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German Pages 322 [323] Year 2003
Die Veröffentlichung dieser Publikation wurde gefördert durch:
Uwe Cantner, Roland Helm, Reinhard Meckl (Herausgeber)
Strukturen und Strategien in einem Innovationssystem Das Beispiel Jena
Verlag Wissenschaft & Praxis
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN 3-89673-203-X © Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 2003 D-75447 Sternenfels, Nußbaumweg 6 Tel. 07045/930093 Fax 07045/930094
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Vorwort Innovationen und die Fähigkeit, Innovationen effizient zu entwickeln haben für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Regionen bzw. Nationen eine herausragende Bedeutung. Zahlreiche Publikationen aus der betriebs- und der volkswirtschaftlichen Forschungsrichtung belegen dies seit Jahren in eindrucksvoller Weise. Auch die unternehmensübergreifende Innovativität wurde bereits in vielfältiger Weise diskutiert, aus betriebswirtschaftlicher Sicht beispielsweise im Hinblick auf zwischenbetriebliche Kooperationen, aus volkswirtschaftlicher Sicht im Hinblick auf das Beziehungsgeflecht verschiedener privatwirtschaftlicher und öffentlicher Institutionen. Letzteres wird üblicherweise als Innovationssystem bezeichnet. Die Idee, dieses Forschungsfeld in einem gemeinsamen empirischen Forschungsprojekt zu bearbeiten, entstand bei den Herausgebern des vorliegenden Sammelbandes bei Diskussionen über die eben aufgezeigten Forschungsperspektiven der Wirtschaftswissenschaften. Die regional- und innovationsökonomische Komponente wurde dabei von Uwe Cantner, die Unternehmens- und Managementsichtweise von Roland Helm und Reinhard Meckl abgedeckt. Schließlich zeigten sich zur Abrundung der Thematik im Hinblick auf die Region Jena spontan noch weitere Mitglieder der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-SchillerUniversität Jena bereit, aus ihren Forschungsgebieten entsprechende Beiträge zu verfassen. Der Sammelband sollte dementsprechend einen guten Einblick in die Thematik im Allgemeinen sowie die Strukturen und deren Entwicklung in der Region Jena im Speziellen bieten. Davon ausgehend sollte es möglich sein, Aktivitäten zu formulieren und umzusetzen, welche die aufgezeigte Entwicklung der Region Jena bzw. von regionalen Innovationssystemen im Allgemeinen weiter fördern. Wir möchten uns an dieser Stelle bei den Autoren der verschiedenen Beiträge für ihre Mitarbeit und die zahlreichen anregenden Diskussionen sowie bei Frau Anke Partschefeld und Frau Christine Steinbach für die Übernahme der notwendigen Formatierungsarbeiten bedanken.
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Last but not least gebührt natürlich auch den Förderern dieser Publikation unser Dank. In alphabetischer Reihenfolge sind hier die Hans-Böckler-Stiftung, der Industrieclub Thüringen e. V. sowie die Sparkasse Jena-Saale-Holzland zu nennen. Ohne deren finanzielle Unterstützung wäre die Veröffentlichung dieses Sammelbandes kaum möglich gewesen. Jena, im Juli 2003
Uwe Cantner Roland Helm Reinhard Meckl
Inhaltsverzeichnis Zielsetzung und theoretische Grundlagen 1 Innovationssysteme aus volks- und betriebswirtschaftlicher Perspektive: Bedeutung und Strukturen (Uwe Cantner, Roland Helm und Reinhard Meckl) 2 Innovationssysteme und kollektive Innovationsprozesse: Einige theoretische Grundlagen (Uwe Cantner und Holger Graf) Jena als Innovationssystem 3 Technologische und ökonomische Leistungsfähigkeit des Innovationssystems Jena: Ein Vergleich mit Ulm, Dresden und Heidelberg (Uwe Cantner und Holger Graf) 4 Innovationssystem Jena ? – Ergebnisse einer Unternehmensbefragung (Michael Steiner) Unternehmensstrategien im Innovationssystem Jena 5 Standortfaktoren und Gründungsaktivitäten in Jena (Dirk Fornahl und Holger Graf) 6 Strategieentwicklung und Strategien von Unternehmen in Innovationssystemen: eine empirische Analyse (Roland Helm und Michael Steiner) 7 Wachstums- und Innovationschancen durch Internationalisierung Auslandsaktivitäten junger thüringer Technologieunternehmen (Reinhard Meckl und Alexander Kaulen) 8 Innovationskooperationen im Raum Jena (Martin Kloyer) Öffentliche Forschungseinrichtungen und Politik im Innovationssystem Jena 9 Jenaer Forschungspartnerschaften im Spiegel der Patentstatistik (Reinhard Haupt und Sandra Peterlein) 10 Das Innovationssystem Jena aus Sicht der Landes- und Kommunalpolitik (Michaela Ludl) Die technologischen Stärken des Innovationssystems Jena in historischer Sicht 11 Die Entwicklung der feinmechanisch-optischen Industrie in Jena ab 1846 (Andreas Länger) 12 Die Entstehung eines Biotech-Clusters im Innovationssystem Jena (Eva-Maria Stegemann) Autorenverzeichnis
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1 Innovationssysteme aus volks- und betriebswirtschaftlicher Perspektive: Bedeutung und Strukturen Uwe Cantner, Roland Helm und Reinhard Meckl
In den letzten Jahren konnte man in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung wie auch in der (politischen) Öffentlichkeit ein verstärktes Interesse an sogenannten Innovationssystemen feststellen. Diese Entwicklung ist maßgeblich von der Erkenntnis getragen, dass die Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften und Unternehmen nachhaltig von deren Fähigkeiten abhängig ist, Innovationen hervorzubringen. Diese Innovationsfähigkeit stellt ein vielschichtiges Konzept dar, bei dem individuelle Kenntnisse und Kompetenzen, das institutionelle Umfeld sowie allgemeine ökonomische Bedingungen auf sektoraler und gesamtwirtschaftlicher Ebene zusammenspielen. Mit dem Begriff des Innovationssystems wird innerhalb dieses Rahmens ein spezieller Ansatzpunkt herausgegriffen, dem die Einsicht zugrunde liegt, dass die Innovationsfähigkeit Einzelner wie auch einer gesamten Volkswirtschaft durch bewusstes und unbewusstes Zusammenarbeiten bei der Generierung von technologischem Wissen und Neuerungen befördert wird. Trotz der heute großen Zahl von empirischen Untersuchungen und theoretischen Analysen, hat sich dieses Konzept erst durch die politische Diskussion, welche von Euphorie und Umsetzungswillen getragen ist, in der Öffentlichkeit nachhaltig bemerkbar gemacht. Die positiven Wachstums- und Wohlstandseffekte, die man sich von derartigen Systemen verspricht, geben stets gute Begründungen dafür ab, spezifische Fördermaßnahmen insbesondere für die notwendige Infrastruktur wie etwa Technologietransferstellen, Technologiezentren oder gar gesamte Technologiestädte einzuleiten. Nicht zuletzt die überragenden Erfolge von Silicon Valley als lokales bzw. regionales Innovationssystem par excellence sowie des kooperativ
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organisierten japanischen Innovationssystems dienten regelmäßig als Leitbild für Förderprogramme wie etwa BioRegio oder InnoRegio. Man mag sich durchaus fragen, inwieweit diese politische Begeisterung gerechtfertigt ist und erst eine Bilanz der Erfolge und Misserfolge wird eine Antwort hierauf ermöglichen. Eines ist allerdings heute schon offensichtlich, die politische Behandlung der Thematik ist der analytischen Durchdringung des Phänomens Innovationssystem und dem klaren Verständnis der dort stattfindenden Wirkungsabläufe wohl weit vorausgeeilt. Der Kreativität wurde freien Lauf gelassen und – sicherlich etwas übertreibend – geschicktes Labelling verwandelte jeden normalen Gewerbehof in einen Technologiepark, jede Stadt mit Universität oder Fachhochschule in ein Technopolis und tradierte Industriezentren in zukunftsträchtige Innovationsregionen. Vor diesem Hintergrund soll mit diesem Band ein Schritt hinter die politische Euphorie gemacht und an einem konkreten Beispiel aufgezeigt werden, in welchen Dimensionen ein Innovationssystem – wenn es denn als eines zu identifizieren ist – zu erfassen ist oder erfasst werden kann, von welchen Konzeptionen dies getragen ist und nicht zuletzt welche offenen Fragestellungen dort noch anstehen. Bei dem konkreten Beispiel handelt es sich um die Region Jena, die in der Presse immer wieder als „Silicon Valley des Ostens“ bezeichnet wurde, wobei sich diese Aussage wohl eher aus dem im Vergleich zu anderen ostdeutschen Regionen guten ökonomischen Erfolg ableitet als aus einem tieferen Verständnis für die Wirkungsabläufe innerhalb eines Innovationssystems. Ohne Zweifel nimmt der Wirtschaftsraum Jena in Bezug auf Wachstum, Beschäftigung und Innovationskraft innerhalb der ostdeutschen Wirtschaft eine hervorgehobene Stellung ein. Aber auch den Vergleich mit ähnlich strukturierten innovations- und wirtschaftsstarken Regionen in den westdeutschen Bundesländern, wie etwa der Wissenschaftsstadt Ulm, braucht Jena nicht zu scheuen. In dem Maße wie man den Erfolg von Wirtschaftsräumen oder –regionen an der dort vorhandenen Innovationskraft und an den Fähigkeiten der Umsetzung von technologischen Neuerungen festmacht, rückt die Diskussion automatisch in den Analyserahmen von Innovationssystemen.
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Mit dem Fokus auf Jena verengt sich die Diskussion notwendigerweise auf regionale Innovationssysteme. Regionale Innovationssysteme sind durch spezifische, regional begrenzte wirtschaftliche und technologische Strukturen, die zugrundeliegende Infrastruktur der Forschungs- und Bildungseinrichtungen sowie den dortigen politischen Akteuren gekennzeichnet. Für den ökonomischen Erfolg einer Region spielen daneben auch Wertvorstellungen und Stimmungen innerhalb der Bevölkerung eine große Rolle. Das Zusammenspiel dieser wirtschaftlichen, technologischen, politischen und sozialen Faktoren macht den Erfolg eines Innovationssystems aus. Es wird mit seinen Wirkungszusammenhängen auf verschiedenen Ebenen gestaltet: In den einzelnen Projektverbänden, in den durch Kooperationen der Projekte gebildeten Netzwerken und in den Regionen, denen die Netzwerke zugeordnet werden können. Innerhalb dieses definitorischen Rahmens für ein regionales Innovationssystem untersuchen die Autoren in diesem Band, inwieweit der Wirtschaftsraum Jena, der sich vor allem durch überdurchschnittliche Innovationstätigkeit auszeichnet, als Innovationssystem Jena (ISJ) verstanden werden kann, wie sich Unternehmen und andere Akteure des Systems verhalten und wie sich die Entstehungsgeschichte der heute vorzufindenden Strukturen darstellt. Ziel der Untersuchungen ist es demnach, das Innovationssystem Jena im Sinne eines technologie- und innovationsorientierten Netzwerks formeller und informeller Beziehungen zwischen verschiedenen Akteuren der Forschung, der Wirtschaft und der Politik darzustellen und die dort steuernden und regelnden Mechanismen und Wirkungszusammenhänge zu verstehen. Dabei werden die wesentlichen Bestimmungsgrößen der Entwicklung des Innovationssystems Jena aufgedeckt und in ein Gesamtbild zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit, im Sinne des Wachstums, der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen etc., eingebunden. Die Vorgehensweise mündet in mehreren Beiträgen in eine theoriegeleitete empirische Bestandsaufnahme des Innovationssystems Jena, der darin wirkenden Akteure und Institutionen sowie deren Beziehungen untereinander. Unternehmen zeigen sich im Konzert mit den wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen des Systems im Sinne eines kollektiven Inventions- und Innovationsprozesses („Collective Invention“) für die Generierung von neuem technologischem Know-how ver-
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antwortlich, wobei Unternehmen dieses Know-how in Form neuer Produkte und neuer Produktionsverfahren vermarkten. Zu den wesentlichen Determinanten dieser kollektiven Inventions- und Innovationsprozesse zählen die Ausbildungsstruktur und das Ausbildungsniveau der eingesetzten Arbeitskräfte sowie deren Kreativitäts- und Lernpotenziale, die sektorale Eingliederung und Verteilung der beteiligten Unternehmen, deren technologische Ausrichtung und Niveau, die jeweiligen Marktbedingungen sowie last not least die Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit der politischen Akteure und Institutionen. Für das Verständnis der Wirkungszusammenhänge zwischen diesen einzelnen Akteuren kann auf eine Reihe von theoretischen Ansätzen zur Wirtschaftsagglomeration, zu innovativen Lernprozessen sowie zu Netzwerkanalysen zurückgegriffen werden. Ein wesentliche Merkmal dieses Bandes ist seine bewusst gewählte volks- und betriebswirtschaftliche Perspektive. Ein Innovationssystem war oben als Beziehungsgeflecht verschiedener privatwirtschaftlicher und öffentlicher Institutionen beschrieben worden. Die Regional- und Innovationsökonomik hat Analyse- und Erklärungsinstrumente entwickelt, wie solche Systeme funktionieren (sollen), welche Rahmenbedingungen förderlich wirken und vor allem wie ein solches System empirisch-analytisch erfasst werden kann, um zu normativen Aussagen für wirtschafts- und unternehmenspolitische Überlegungen zu kommen. Innovationen werden aber letztendlich in Unternehmen gemacht. Die Art und Weise, wie Unternehmen sich organisieren, wie sie ihre Prozesse strukturieren und ihre F&E-, Marketing-, Wettbewerbs und Wachstumsstrategien formulieren, stellt einen wesentlichen und bestimmenden Erfolgsfaktor für ein Innovationssystem dar. Die Beiträge dieses Bandes haben wir in vier Gruppen untergliedert. Im Abschnitt „Zielsetzung und theoretische Grundlagen“ findet sich neben diesem einführenden Beitrag eine theoretisch orientierte Abhandlung von Uwe Cantner und Holger Graf mit dem Titel Innovationssysteme und kollektive Innovationsprozesse. Dort werden nach einer Diskussion der theoretischen Grundlagen, über technologisches Wissen und das Verständnis des Innovationsprozesses im Allgemeinen, einige grundlegende Erkenntnisse zur systemischen Sicht der Innovationstätigkeit dargelegt. Zentrales Argument ist, dass die Vernetztheit verschiedener Akteure im Rahmen eines sogenannten kollektiven Innovationsprozesses eine wesentliche De-
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terminante erfolgreicher Innovationstätigkeit darstellt. Daneben werden die verschiedenen Funktionen wie auch Probleme innerhalb von Innovationssystemen näher beleuchtet und erste Hinweise auf Jena als ein Innovationssystem gegeben. Mit der Frage, ob Jena als ein Innovationssystem – im weiteren Sinne der vorgestellten theoretischen Ausführungen – zu bezeichnen ist, befassen sich die beiden Beiträge im Abschnitt „Jena als Innovationssystem“. Zunächst zeigen Uwe Cantner und Holger Graf aus einer übergeordneten Perspektive und anhand einer Reihe von Indikatoren wie die Region Jena als Innovationssystem zu verstehen ist und wie seine Strukturen und Leistungsfähigkeit im Vergleich zu ähnlichen Regionen zu bewerten sind. Im Beitrag Technologische und ökonomische Leistungsfähigkeit des Innovationssystems Jena: Ein Vergleich mit Ulm, Dresden und Heidelberg wird das Innovationssystem Jena einer vergleichenden Analyse unterzogen, wobei die Innovationssysteme Heidelberg, Ulm sowie Dresden als Maßstab dienen. Nach einem strukturellen Vergleich werden die Standorte in erster Linie in Bezug auf ihre technologische Leistungsfähigkeit, ihre Umsetzung einiger idealtypischer Funktionen und Komponenten von Innovationssystemen und ihrer technologischen Entwicklung hin überprüft. Während sich Jena in diesem Teilvergleich sehr gut darstellt, zeigt der Vergleich der ökonomischen Entwicklung, dass Innovationsfähigkeit zwar als notwendige Bedingung für Wohlstand zu sehen ist, deren ökonomische Rendite wohl aber erst mit zeitlicher Verzögerung zu ernten ist. Mit dem Beitrag von Michael Steiner Innovationssystem Jena? – Ergebnisse einer Unternehmensbefragung wird beim Blick auf das Innovationssystem Jena die Perspektive gewechselt und aus Sicht der zentralen ökonomischen Akteure argumentiert. Der Beitrag untersucht auf Basis des Diamanten-Modells von Porter die zentralen Netzwerkbeziehungen zwischen den verschiedenen Akteuren eines Innovationssystems. Innerhalb einer umfangreichen empirischen Untersuchung Jenaer Unternehmen weisen sämtliche Indikatoren, zumindest für den Investitionsgüterbereich, auf die Existenz von engen Netzwerkbeziehungen innerhalb der Region Jena hin. Die verschiedenen Forschungseinrichtungen üben dabei einen entscheidenden Einfluss auf die Innovationsfähigkeit aus. Neben diesen ersten positiven
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Entwicklungstendenzen wird allerdings auch der erhebliche Nachholbedarf im Vergleich zu den alten Bundesländern im Bereich der Infrastruktur deutlich. Ein dritter Abschnitt beschäftigt sich mit „Unternehmensstrategien im Innovationssystem Jena“. Ohne Zweifel eröffnet dies ein weites Feld der Diskussion, aus dem hier jedoch nur einige ausgewählte, aber dennoch zentrale Strategien angesprochen werden können. Eine spezielle Beachtung finden die Entscheidungen zu Unternehmensneugründungen im Innovationssystem, die Strategie der Netzwerkkooperation sowie die Möglichkeiten aus dem regionalen Innovationssystem heraus Strategien der Internationalisierung zu entwickeln. Standortfaktoren und Gründungsaktivitäten in Jena stellen den Fokus des Beitrags von Dirk Fornahl und Holger Graf dar. Anhand von Ergebnissen einer Befragung Jenaer Unternehmen untersuchen sie, inwieweit bei Unternehmensgründungen eine explizite und objektiv nachvollziehbare Standortentscheidung gefällt wird und welche Faktoren für diese Standortentscheidung von besonderer Relevanz sind. Als ein wichtiges Ergebnis der Studie zeigt sich, dass für Jenaer Neugründungen eine aktive Standortsuche nicht bestätigt werden kann. Daneben spielt die Neuansiedlung externer Unternehmen in Jena bislang eine untergeordnete Rolle. Zur Förderung lokaler Firmengründungen scheint es wichtig zu sein, potenzielle Unternehmensgründer zu einem frühen Zeitpunkt ihrer Karriere in die Region zu ziehen. Unter entsprechenden Rahmenbedingungen kann sich dieses Potenzial dann auch in lokalen Gründungen niederschlagen. Der Frage nach denjenigen Faktoren im Innovationssystem Jena, die einen entscheidenden Einfluss auf die Strategieentwicklung ausüben, sowie der Frage nach Grundsatzstrategien der Unternehmen gehen Roland Helm und Michael Steiner im Beitrag Strategienentwicklung und Strategien von Unternehmen in Innovationssystemen nach. Auf Basis einer empirischen Studie leiten sie die mangelnden finanziellen und personellen Ressourcen als die wichtigsten Engpassfaktoren für die Jenaer Unternehmen ab. Gerade im Investitionsgüterbereich nehmen daher Kooperationen mit Forschungseinrichtungen, aber auch anderen regionalen Unternehmen eine besondere Rolle ein. Mit Blick auf die Grundsatzstrategie der betrachteten Firmen zeigt sich, dass diese in ihrem jeweiligen Segment nahezu ausschließlich
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die Leistungsführerschaft anstreben, entsprechend ausgerichtet sind die Indikatoren aus den Bereichen Kundennähe, Distribution, Produktpolitik, Reputationsaufbau usw. Allerdings verdeutlichen die empirischen Befunde auch, dass ein mangelndes Bewusstsein für den Einsatz von Analyseinstrumenten und Beratungsleistungen bei einigen Unternehmen einen vergleichsweise geringen Anteil an marktfähigen Produkten nach sich zieht. Die Außenorientierung von Unternehmen aus einem Innovationssystem heraus und insbesondere die Internationalisierungsstrategien eröffnen nicht nur Großunternehmen erhebliche Wachstums- und Innovationspotenziale. Gerade für kleine und mittelständische Unternehmen bieten regionale Innovationssysteme die Möglichkeit, sich in das globale Produktions- und Innovationsnetz einzuklinken und zwischen Welt-Konzern und Region eine wechselseitige Abhängigkeit herauszubilden. Daneben birgt eine Internationalisierung aber gleichzeitig auch immer Risiken, die gerade für kleinere Unternehmen gefährlich werden können. In dem Beitrag Wachstums- und Innovationschancen durch Internationalisierung - Auslandsaktivitäten junger thüringer Technologieunternehmen leiten Reinhard Meckl und Alexander Kaulen zunächst generelle Erfolgsfaktoren für die Bearbeitung von Märkten im Ausland ab und beziehen diese dann auf Technologieunternehmen wie sie für das Innovationssystem Jena typisch sind. Der Vergleich dieser Faktoren mit den empirischen Erfahrungen ausgewählter thüringer Unternehmen im internationalen Geschäft führt dann zu Mustern von erfolgreichen Strategien und Gestaltungsempfehlungen für die internationalen Beziehungen des Innovationssystems Jena. Der Problematik und Bedeutung von Forschungskooperationen nimmt sich der Beitrag Innovationskooperationen im Raum Jena von Martin Kloyer an. Der Wirtschaftsraum Jena ist in den Hochtechnologiebranchen – trotz einiger Großunternehmen – geprägt durch eine Vielzahl kleiner Anbieter von Forschungs- und Entwicklungsleistungen. Eine bedeutende Existenzbedingung für diese Kleinunternehmen ist die Zusammenarbeit mit Großunternehmen, die auf der Basis der Forschungs- und Entwicklungsleistungen materielle Endprodukte herstellen und vermarkten. Ein wesentliches Problem dieser Kooperationen besteht darin, dass aufgrund von Marktunsicherheiten den F&E-Anbietern im Austauschvertrag typi-
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scherweise kein Innovationsertragsanteil zugebilligt wird. Dies motiviert die Anbieter zu opportunistischer Leistungserstellung. Interviews bei Jenaer F&EAnbietern und –Abnehmern haben allerdings ergeben, dass ein zunächst nur theoretisch erfolgversprechendes Modell einer glaubwürdigen Option des Anbieters auf nachträgliche Aushandlung einer kontinuierlichen Ertragsbeteiligung die Opportunismusmotivation zu Gunsten der Gesamtertragsmaximierung auch real wirksam mindert. Mit dem Abschnitt „Öffentliche Forschungseinrichtungen und Politik im Innovationssystem Jena“ wendet sich die Diskussion weiteren wichtigen Akteuren innerhalb eines Innovationssystems zu. Zunächst werden Einrichtungen der öffentlichen Forschung und deren Rolle im Innovationssystem angesprochen. Gerade die Technologieregion Jena ist – neben einer Vielzahl klein- und mittelständischer Unternehmen – geprägt durch eine Reihe von Forschungseinrichtungen, die in den Bereichen Medizin-, Mess-, Steuer- und Regelungstechnik sowie Optik tätig sind. Dabei spielt die Verbindung aller Akteure in einem Netzwerk von Technologiepartnerschaften eine entscheidende Rolle. Dem Beitrag Jenaer Forschungspartnerschaften im Spiegel der Patentstatistik von Reinhard Haupt und Sandra Peterlein liegt eine Recherche der Schutzrechtsanmeldungen Jenaer Institutionen für die Jahre 1990 bis 2002 zugrunde, bei der kooperationsbedingte Patentanmeldungen mindestens zweier Jenaer Partner analysiert werden. Die Ergebnisse zeigen die Bedeutung von Kooperationen zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen, weisen auf dominante Kooperationspartner innerhalb der Region hin und erlauben eine Zuordnung zu Technologiegebieten anhand der IPC-Klassifizierung, so dass ein verlässliches Abbild der Kooperationspartner und Forschungsfelder institutioneller Partner der Region dargestellt wird. Nicht nur die öffentlichen Forschungseinrichtungen, sondern die politische Dimension von Innovationssystemen ganz allgemein ist ein nicht zu unterschätzender Erfolgsfaktor. Einerseits sind die politischen Akteure oftmals unmittelbar Teil der zentralen Netzwerkbeziehungen in dem Sinne, dass an verschiedenen Stellen spezifische Beziehungen aufgebaut und weiterentwickelt werden. Andererseits steht ein Innovationssystem als ganzes regelmäßig auf dem Prüfstand politischer Bewertung und Mängelanalyse. Dem zweitgenannten Aspekt wendet sich Michae-
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la Ludl in ihrem Beitrag Das Innovationssystem Jena aus Sicht der Landes- und Kommunalpolitik zu. Die für Innovationssysteme charakteristischen Rahmenbedingungen, wie der technische Wissensstand oder die innovative Branchenstruktur, werden mittels geeigneter Indikatoren operationalisiert. Thüringer Landespolitiker und Kommunalpolitiker aus Jena beurteilten die Ausgestaltung der abgeleiteten Indikatoren. Abschließend wird aus Sicht dieser Politiker dargestellt, welche Rahmenbedingungen auszubauen beziehungsweise mittels Fördermaßnahmen zu verbessern sind, damit Jena als Wirtschaftsstandort für innovative Unternehmen weiterhin attraktiv bleibt. Innovationssysteme stellen institutionelle und technologische Strukturen bereit, innerhalb derer sich Netzwerkaktivitäten, Kooperation und Wissensaustausch vollziehen und sich in eine, für das System prosperierende ökonomische Entwicklung umsetzen können. Institutionelle und technologische Strukturen sind nun nicht einfach gegeben, sondern sie bilden sich im Zeitablauf heraus und entwickeln sich zu spezifischen komparativen Vorteilen eines Innovationssystems. Für das Innovationssystem Jena werden in dieser Hinsicht traditionell die Optik und seit jüngerer Zeit mit ansteigender Tendenz die Biotechnologie als entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit benannt. Mit dem Abschnitt „Die technologischen Stärken des Innovationssystems Jena aus historischer Sicht“ sollen die Entwicklung und die Besonderheiten dieser beiden Technologiebereiche dargestellt und diskutiert werden. Zunächst zeigt Andreas Länger Die Entwicklung der feinmechanisch-optischen Industrie in Jena ab 1846 auf. Mit der Gründung seines mechanischen Ateliers in Jena, legte Carl Friedrich Zeiss im Jahre 1846 den Grundstein eines weltweit führenden Unternehmens der feinmechanisch-optischen Industrie. Einen wichtigen Eckpfeiler dieses Erfolges stellt zweifelsohne der intensive Wissensaustausch zwischen dem Unternehmen und der Wissenschaft dar. Die Verpflichtung des Theoretikers Ernst Abbe für das junge Unternehmen und seine „Sinusbedingung“ ermöglichten den Mikroskopbau auf wissenschaftlicher Basis. Die Ressource Wissen, zahlreiche Innovationen und der unbedingte Anspruch an hochpräzise Arbeit gewährleisteten den dauerhaften Erfolg von Carl Zeiss Jena. Dieser ermöglichte es dem Unternehmen, neben der Wissenschaft auch die Region zu fördern und damit
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entscheidend an der Entwicklung eines Clusters für Feinmechanik und Optik in Jena teilzuhaben. Eva-Maria Stegemann nimmt sich im Beitrag Die Entstehung eines BiotechClusters im Innovationssystem Jena einer der erst jüngst generierten technologischen Stärken Jenas an, die Biotechnologie und hier vor allem den Bioinstrumenten. Im Rahmen des BioRegio Wettbewerbs des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (bmbf) im Jahr 1995, der deutschlandweit zur Entstehung von Bioregionen führte, wurde Jena neben den drei Gewinnerregionen als kleinste dieser Regionen mit einem Sondervotum für sein BioInstrumente-Konzept ausgezeichnet. In den Folgejahren wurde aufgrund der verbesserten Infrastruktur in den Regionen, jedoch besonders in den prämierten Regionen, eine große Zahl von Biotech-Unternehmen gegründet. Dabei waren die Ausgangsbedingungen für die Entstehung eines spezialisierten Biotech-Clusters in Jena bereits aus historischen Gründen sehr günstig. Die Entwicklung dieses lokalen Clusters wurde jedoch durch die mit dem Sondervotum verbundene Projektförderung und die damit zusammenhängenden, das lokale Netzwerk stärkenden, Aktivitäten besonders gefördert. Diese Zusammenstellung von spezifischen Aspekten des Innovationssystems Jena ist als eine erste Bestandsaufnahme zu sehen, bei der theoriegeleitet insbesondere spezifische techno-ökonomische Strukturen, die als zentral anzusehenden Netzwerkkooperationen, das Zusammenspiel privatwirtschaftlicher und öffentlicher Akteure sowie Unternehmensgründungs- und -entwicklungsstrategien dargestellt und analysiert werden. Die Befunde weisen aber auch auf weiteren Forschungsbedarf hin. Aus Sicht der Mikroökonomik und der innovationsökonomischen Forschung sollten die Interaktionen zwischen den einzelnen Akteuren eines Innovationssystems näher beleuchtet werden: welche Komplementaritäten in der Wissensbasis treffen zusammen, welche Art von Know-how und Wissenstransfer findet statt, welche Persistenz oder Turbulenz weisen die Beziehungen zwischen den verschiedenen Akteuren auf, welche Rahmenbedingungen fördern oder behindern die Herausbildung bestimmter Kompetenzgruppen, u.a.m.? Methodische Ansatzpunkte zur Beantwortung dieser Fragen finden sich in den theoretischen Ansätzen zur Wirtschaftsagglomeration, zu innovativen Lernprozessen sowie zu Netzwerk-
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analysen. Berücksichtigung finden dabei ohne Zweifel diejenigen Faktoren, die in den eben vorgestellten Beiträgen diskutiert werden, eine zentrale Rolle, wie etwa Ausbildungsstruktur und Ausbildungsniveau der eingesetzten Arbeitskräfte, Kreativitäts- und Lernpotenziale, technologische Ausrichtung und Niveau der beteiligten Unternehmen, die jeweiligen Marktbedingungen sowie Leistungswilligkeit und Kooperationsbereitschaft der politischen Akteure und Institutionen. Auf empirischer Ebene erscheinen darauf aufbauend – und als Ergänzung und Erweiterung der deskriptiven Beschreibung der Leistungsfähigkeit des Innovationssystems Jena in diesem Band – Untersuchungen mit Hilfe der sozialen Netzwerkanalyse erfolgversprechend zu sein. In diesen Modellen kann der Einfluss von Netzwerkstrukturen auf die Leistungsfähigkeit dieser Netzwerke modelliert und geschätzt werden. Auf dieser Basis können neben den bereits benannten ökonomischen, sozialen, bildungsorientierten und politischen Faktoren die wesentlichen Mechanismen des kollektiven Inventions- und Innovationsprozesses identifiziert werden. Als wünschenswertes Ergebnis könnte sich im Sinne eines allgemeineren (und eben nicht nur auf Jena bezogenen) Prinzips ein spezifisch strukturierter und mit entsprechenden Wirkungsmechanismen ausgestatteter „kreativer Netzwerkkern“ ergeben, welcher als der eigentliche Motor eines Innovationssystems fungiert und der im steten Austausch mit einem kooperativen aber auch kompetitiven „Gürtel“ zahlreicher anderer Akteure im und außerhalb des Systems steht. Möglicherweise mag es gerade dieser kreative Netzwerkkern sein, der im Fokus politischer Steuerung zu stehen hat oder gar nur politisch zu induzieren ist, während die darüber hinaus gehenden Netzwerkstrukturen und deren Entwicklung selbstorganisierend sich selbst zu überlassen sind. Für die betriebswirtschaftliche Sicht ergibt sich ein interessantes, weil vielversprechendes Forschungsfeld bei der Identifikation erfolgreicher Unternehmens- und insbesondere Kooperationsstrategien im Innovationssystem. Welche F&E-, Produktions-, Marketing- und Internationalisierungsstrategien erweisen sich vor allem für die technologieorientierten kleinen und mittleren Unternehmen als wertsteigernd? Wie sind dieses Strategien unternehmensübergreifend im oben beschriebenen Netzwerkkern aufeinander abzustimmen? Aber auch, welche Absicherungsmaßnahmen sind bei einer solchen Zusammenarbeit für die Unternehmen wichtig?
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Hinzu kommt die interessante personalwirtschaftliche Frage, welche Qualifikationen der Mitarbeiter und auch welche Führungsstile für ein erfolgreiches Agieren im Netzwerk und damit im Innovationssystem nötig sind. Diesen und weiteren Forschungsfragen wird in Zukunft unser Interesse bei der Bestimmung der Erfolgsfaktoren des Innovationssystems Jena gelten.
2 Innovationssysteme und kollektive Innovationsprozesse: Einige theoretische Grundlagen Uwe Cantner und Holger Graf
2.1 Einleitung Die Frage nach den wesentlichen Determinanten erfolgreicher Innovationstätigkeit steht ohne Zweifel im Zentrum der (ökonomischen) Innovationsforschung. Eine Schlüsselkonzeption zur Beantwortung dieser Fragestellung stellt der sogenannte systemische Charakter der Innovationsfähigkeit und Innovationstätigkeit dar. Dieser Ansatz basiert im Wesentlichen auf der Vorstellung, dass Innovationsaktivitäten und die dahinterstehende Bereitschaft und Fähigkeit einzelner Personen oder Unternehmen, Neuerungen durchzuführen, nicht isoliert zu betrachten sind. Im Gegenteil, sie sind als eingebunden in ein mehr oder weniger breit definiertes System von Akteuren zu verstehen. Über den Wissens- und Erfahrungsaustausch, der nicht zielgerichtet zwischen diesen Akteuren stattfindet, können sich neues Wissen und Informationen schneller verbreiten, in Folge dessen innerhalb des Systems neue Fähigkeiten aufgebaut werden und diese sich, falls ökonomisch verwertbar, in Innovationen niederschlagen. Mit dem Begriff des Innovationssystems wird diese systemische und auf der Interaktion verschiedener Akteure basierende Sicht von Neuerungsprozessen zusammengefasst. Innovationssysteme sowie deren Eigenschaften und Wirkungsmechanismen lassen sich auf verschiedenen Ebenen identifizieren. Bei den Konzepten regionaler oder lokaler Innovationssysteme (vgl. Braczyk, Cooke und Heidenreich 1998 oder Breschi und Lissoni 2001) geht man davon aus, dass die Akteure eine höhere Interaktionswahrscheinlichkeit durch geographische Nähe aufweisen, dem entgegen werden Netzwerke von Akteuren, welche ähnliches technologisches Wissen aufweisen oder ähnliche Technologien nutzen im Rahmen technologischer bzw. sektoraler Innovationssysteme analysiert
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(vgl. Carlsson und Stankiewitz 1991; Malerba 2002). Beide Sichtweisen fließen in die Theorie der Nationalen Innovationssysteme (vgl. Nelson 1993; Lundvall 1992) ein, wobei dort zusätzlich den vorherrschenden Institutionen wie auch den politischen Akteuren eine größere Bedeutung zukommt. Die Idee, in Innovationssystemen zu denken, ist keineswegs neu. Ein erster systematischer und theoretischer Ansatz hierzu geht auf den Nationalökonomen Friedrich List (1798 – 1846) zurück. Im Gegensatz zur eher kosmopolitischen Einstellung von Adam Smith, bei dem ökonomischer Wohlstand durch geeignete Allokation der Produktionsfaktoren und Arbeitsteilung entsteht, hatte List (1841) eine durchaus nationale Sicht der wirtschaftlichen Entwicklung. Er betonte die Bedeutung der eigenen, sprich nationalen produktiven Kräfte. Dem Staat obliegen hierbei, so List, einige wichtige Aufgaben, um die industrielle Entwicklung zu fördern, wie etwa die Bereitstellung entsprechender Infrastruktur und die Verantwortung für Bildung und Weiterbildung. Von einem System an sich, mit einer ausdrücklichen Betonung von Beziehungen zwischen Akteuren und den sich daraus ergebenden Rückkopplungseffekten, sprach List allerdings nicht. Man mag die Rückbesinnung auf List als rein anekdotisch betrachten und mit Verweis auf das damalige Nationalstaatentum als irrelevant ansehen. Ein Blick in die jüngere Vergangenheit führt jedoch zum Modell Japan, das geradezu ein Paradebeispiel für ein stark staatlich geprägtes, um nicht zu sagen gemanagtes, Innovationssystem darstellt, mit einem Koordinator MITI1 und einem Geflecht von Beziehungen vornehmlich des Wissensaustauschs zwischen Unternehmen und anderen öffentlichen und privaten Akteuren. Der Erfolg dieses Modells, zumindest in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, hat ohne Zweifel dazu beigetragen, dass die Innovationsforschung auf die systemische Dimension der Innovationsprozesse eingegangen ist und sich mit der Analyse von Innovationssystemen beschäftigt. Innerhalb der letzten Jahre ist in diesem Zusammenhang eine umfangreiche Literatur entstanden, die sich sogenannten regionalen Innovationssystemen widmet. Im Zentrum dieser Forschung steht die Aussage, dass die räumliche Nähe der Ak1
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teure eines Innovationssystems dem Aufbau von Beziehungen und dem Austausch von Know-how und Informationen förderlich sei.2 Als Paradebeispiel eines regionalen Innovationssystems wird immer wieder Silicon Valley genannt, ein Geburtsort der modernen Computertechnologie. Silicon Valley stellt sich heute als eine räumlich relativ eng begrenzte Konzentration von High-Tech-Unternehmen dar, das sich selbstorganisierend in einem ehemaligen Wüstengebiet entwickelt hat. Diese Erfolgsgeschichte hat der Politik vielerorts keine Ruhe gelassen und man war nicht immer bereit, die Geduld aufzubringen und zu warten, bis sich ähnliches in nächster Nähe entwickelt. So ist die Wissenschaftsstadt Ulm ein Beispiel dafür, wie man mit politischem Nachdruck ein regionales Innovationssystem errichtet oder – besser gesagt – konstruiert hat. Ebenso wie Silicon Valley ist Ulm eine Erfolgsstory, bei der sich der Erfolg bei der Entwicklung neuer Technologien und deren Umsetzung in Innovationen in Unternehmensgründungen niedergeschlagen und damit nicht zuletzt vor allem in wirtschaftlichen Erfolg umgemünzt hat. Man findet allerdings auch Negativbeispiele, bei denen der Erfolg von (geplanten) Innovationssystemen nicht oder nur nach längerer Zeit eingetreten ist, wie etwa in Frankreich (Sophia Antipolis). Breschi und Lissoni (2002) weisen darauf hin, dass weniger die geographische Nähe, sondern die soziale Nähe für die Interaktion verantwortlich ist. Geographische Nähe ist also nur ein Proxy für soziale Nähe. Dies kann auch erklären, warum so manches geplantes Innovationssystem nicht funktioniert. Die sozialen Kontakte müssen sich erst mit der Zeit entwickeln können. Cooke (2001, 950) stellt fest, dass "a lack of systemic network development" beobachtet wurde und weiter "these [government research laboratories] stood like cathedrals in the desert, often in agglomeration but not clustering and not creating synergies through spin-off and subcontracting activities.". Die folgenden Ausführungen beinhalten eine Diskussion der theoretischen Grundlagen, die dem Verständnis der Funktionsweise und des Aufbaus von Innovationssystemen im Allgemeinen und von regionalen Innovationssystemen im Speziellen dienen. In Abschnitt 2.2 werden einige grundlegende Erkenntnisse zur systemischen Sicht der Innovationstätigkeit dargelegt. Zentrales Argument ist, dass die 2
Betont man diesbezüglich andere Faktoren, wie etwa die technologische Verwandtschaft oder Sprache und nationale Identität, so befaßt sich die Analyse eben mit Technologie- oder nationalen Innovationssystemen.
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Vernetztheit verschiedener Akteure im Rahmen eines sogenannten kollektiven Innovationsprozesses eine wesentliche Determinante erfolgreicher Innovationstätigkeit darstellt. In Abschnitt 2.3 werden diese Erkenntnisse auf das Konzept der sogenannten Innovationssysteme angewendet. Der Beitrag schließt mit einem zusammenfassenden Ausblick auf das Innovationssystem Jena.
2.2 Innovationstätigkeit aus systemischer Sicht Ausgangspunkt einer systemischen Sicht der Innovationstätigkeit sind die folgenden drei grundlegenden Einsichten: (1) Technologisches Know-how stellt eine wesentliche Grundlage für den Innovationserfolg dar; (2) dieses Know-how wird im Rahmen von Experimentier- und Lernprozessen aufgebaut; (3) diese Prozesse sind als interaktive, sozial eingebettete Netzwerkaktivitäten zu verstehen. Mit diesen drei Punkten sind auch schon die weiteren Schritte dieses Abschnitts vorgeprägt. Zunächst soll kurz auf den ökonomischen Charakter von Know-how eingegangen werden. Hieraus ergeben sich im zweiten Schritt unmittelbar Konsequenzen für das Verständnis sogenannter kollektiver Innovationsprozesse. Deren Koordination im Rahmen von Netzwerken beschließt dieses Kapitel. 2.2.1
Der ökonomische Charakter von Know-how
Was bedeutet Innovationstätigkeit eigentlich genau? Zur Beantwortung dieser Frage soll zunächst zwischen der Invention auf der einen Seite und der Innovation auf der anderen Seite unterschieden werden. Mit dem Begriff Invention bezeichnet man die Generierung von neuem technologischen Know-how, mit Innovation die erstmalige ökonomische Verwertung, also Vermarktung, dieses Wissens. Dabei stellt das neu geschaffene Know-how, wenn es sich vermarkten lässt, ein immaterielles Wirtschaftsgut dar. Alle seine Materialisierungen, etwa in Form der auf eine CD gebrannten innovativen Software oder in Form des eingesetzten neuen Produktionsverfahrens, dienen letztendlich der Vermarktung und damit der Realisierung von Profiten.
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Eine in diesem Zusammenhang interessante Fragestellung betrifft die Umstände und Bedingungen, unter denen diese Profite auch aneigenbar sind. Ob und in welchem Maße dies der Fall ist, hängt mit den Eigenschaften des Outputs der Inventionstätigkeit zusammen, der – wie gesagt – in Form einer neuen Idee einen immateriellen Charakter aufweist. Immaterielle Wirtschaftsgüter zeichnen sich dadurch aus, dass sie beliebig oft genutzt werden können, ohne sich dabei abzunutzen (Nicht-Rivalität). Daneben lässt sich deren ökonomische Nutzung auch nicht durch Marktpreise regeln (Nicht-Ausschlussprinzip) beziehungsweise die Erträge aus der Nutzung lassen sich vom Anbieter dieses Gutes nicht vollständig aneignen (Nicht-Appropriation). Sind diese (beiden letztgenannten) Eigenschaften erfüllt, so bezeichnet man das betrachtete Gut als ein öffentliches Gut. Wendet man diese Klassifizierung auf technologisches Know-how an, dann liegt durchaus der Schluss nahe, dass gerade dieses die Eigenschaften eines öffentlichen Gutes aufweist. So kann das vom Inventor neu geschaffene technologische Wissen unmittelbar auch von anderen Akteuren, den Imitatoren, genutzt werden, ohne dass es sich dabei verbraucht – es ist somit als nicht-rival einzustufen. Man spricht hier von technologischen Spillover-Effekten, die unmittelbar mit dem Öffentlichen Gut-Charakter technologischen Wissens verbunden sind. Diese Spillover-Effekte vollziehen sich im außermarktlichen Bereich, d. h. sie sind nicht bepreisbar und können daher auch nicht gehandelt werden – entsprechend besteht kein Preisausschluss und damit eine Nicht-Appropriierbarkeit der Erträge durch den Inventor. Akzeptiert man diese Charakterisierung von technologischem Wissen als einem reinen öffentlichen Gut, so wird unmittelbar die herausragende Bedeutung von Patentschutzrechten deutlich. Erst durch sie lassen sich nämlich die Innovationsanreize bei potentiellen Inventoren bzw. Innovatoren erhalten. Man spricht hier von intellektuellen Eigentumsrechten, auf denen basierend es dem Innovator erst möglich ist, die Erträge aus dem neuen Know-how auch vollständig zu appropriieren. Sind diese intellektuellen Eigentumsrechte hingegen nicht vorhanden, so besteht die Gefahr einer kostenlosen Imitation des neuen Know-hows durch Konkurrenten. Die Erwartung einer derartigen Situation wird sich negativ auf den Innovationsanreiz des potentiellen Innovators auswirken. Mit dem Patentschutz besteht dieses Aneignungsproblem und damit das Anreizproblem hingegen nicht. Der Pa-
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tentschutz verhindert hierbei zwar nicht den Fluss oder Spillover des neu geschaffenen Wissens vom Inventor zum Imitator, jedoch wird letzterer an dessen ökonomischer Nutzung gehindert (in einem bestimmten Umfang und innerhalb einer bestimmten Zeit). Als Gegenleistung für diese Schutzwirkung gibt der Patenthalter das neu geschaffene Wissen auch explizit durch Niederschrift in der Patentschrift preis. Man mag sich in diesem Zusammenhang durchaus fragen, ob die dargelegte theoretische Diskussion um den ökonomischen Charakter von technologischem Wissen und der dabei angesprochenen Anreizproblematik die realen Gegebenheiten hinreichend genau widerspiegelt. Benötigen innovative Unternehmen den Patentschutz und nehmen sie die entsprechenden Regelungen auch wirklich wahr? Ein kurzer Blick auf Ergebnisse empirischer Untersuchungen zu diesem Fragenkomplex belegt unmittelbar, dass die oben gemachten theoretischen Überlegungen nicht ohne weiteres Geltung besitzen. So hat der bekannte Yale Survey aufzeigen können, dass Unternehmen neben dem Patentschutz auch die Mechanismen der Geheimhaltung, der Lernkurveneffekte und des Zeitvorsprungs als effektiven Imitationsschutz benennen. Darüber hinaus bewerten Unternehmen den Patentschutz nicht als den effektivsten Mechanismus (vgl. Levin et. al. 1987). Diese Ergebnisse legen eine bedeutende Schlussfolgerung nahe: Neues technologisches Know-how, das sich hinter einer Innovation verbirgt, kann aus Sicht der Innovatoren nicht so leicht imitiert werden und ist demnach nicht – wie oben argumentiert – als ein reines öffentliches Gut zu klassifizieren. Unterstützung findet diese Argumentation durch eine Reihe weiterer empirischer Untersuchungen, die der Frage nachgehen, welchen Aufwand Imitatoren betreiben müssen, um technologisches Know-how vom Innovator übernehmen können. Eine Studie von Mansfield, Schwartz und Wagner (1981) zeigt, dass die Höhe der Kosten des Imitators in aller Regel mindestens 50 % der Kosten des Innovators ausmachen und in manchen Fällen sogar über 100 % liegen. Auch hieraus ergibt sich unmittelbar, dass technologisches Wissen kein öffentliches Gut im reinen Sinne darstellt. Vielmehr sind potenzielle Imitatoren selbst gezwungen, Ressourcen –
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seien es F&E-Ausgaben, Erfahrung oder Zeit – einzusetzen, um das von Innovatoren geschaffene Wissen auch aufnehmen und verstehen zu können. Diesen Ergebnissen Rechnung tragend spricht man von technologischem Wissen als einem latent öffentlichen Gut (vgl. Nelson 1990): Know-how ist oftmals erst unter Einsatz weiterer Ressourcen vom Innovator auf den Imitator übertragbar. Greift man hier noch einmal auf die Definition öffentlicher Güter zurück, so kommt bei latent-öffentlichen Gütern das Nicht-Ausschlussprinzip bzw. das Prinzip der Nicht-Appropriation nicht zum Tragen. Der Imitator muss ebenfalls Ressourcen zur Nutzung des Know-hows einsetzen, womit eben die Anreize des Innovators, in F&E zu investieren, nicht oder nur schwach herabgesetzt werden. In manchen Fällen kann man sogar noch weitergehen und technologisches Knowhow auch als ein privates Gutes klassifizieren. Zutreffend ist dies beispielsweise, wenn Know-how an eine bestimmte Person und deren Talent gebunden ist und sich nicht artikulieren lässt. Man bezeichnet dieses Know-how als tacit. Auch unternehmensspezifische Fähigkeiten, die sich aus einer spezifischen Kombination von technologischem Wissen, Beschäftigten und Organisationsstruktur ergeben, weisen oftmals diesen Charakter auf. Know-how, das als tacit klassifiziert ist, lässt sich in aller Regel nicht oder nur sehr schwer von einem Unternehmen zu einem anderen übertragen. Es ist dann als rivalisierend anzusehen, womit das Prinzip der Nicht-Rivalität, wie es öffentliche Güter charakterisiert, nicht anwendbar ist. Fasst man diese Überlegungen zusammen, so kann man Folgendes festhalten: technologisches Wissen stellt in aller Regel kein öffentliches Gut dar, sondern muss als latent-öffentlich, wenn nicht in manchen Fällen sogar als tacit bezeichnet werden. Die Übertragung von technologischem Wissen von einem Akteur zum anderen, von einem Unternehmer zu anderen, ist demnach nicht kostenlos, sondern das Lernen vom anderen bedarf bestimmter Ressourcen. In dem Maße wie dieser Lernkontext vorliegt ist die Notwendigkeit des Patentschutzes nicht mehr unmittelbar gegeben. Man mag sich in diesem Zusammenhang durchaus fragen, ob technologische Spillovers, die bei einer Interpretation technologischen Wissens als reines öffentliches Gut unter dem Blickwinkel des Innovationsanreizes problematisiert werden, an
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Brisanz eingebüßt haben. Wie die weiteren Ausführungen zeigen werden, zählen technologische Spillover-Effekte zu den wesentlichen Mechanismen der Übertragung von Informationen und Know-how. In dem Maße, wie erfolgreiche Innovationstätigkeit (auch) auf der Qualität von technologischen Fähigkeiten und Wissen potenzieller Inventoren und Innovatoren beruht, erlangen Spillover-Effekte eine besondere Bedeutung: Anstatt Anreize zu mindern stellen sie eine Voraussetzung für erfolgversprechende Innovationsaktivitäten dar. Folgt man dieser Argumentation, so sind die Bedingungen für ein Auftreten beziehungsweise ein Ausbleiben von Spillover-Effekten immer noch von Interesse, jedoch nun unter einem verdrehten Vorzeichen in dem Sinne, dass SpilloverEffekte eher wünschenswert sind. In diesem Zusammenhang kann man sich durchaus fragen, ob technologische Spillover-Effekte dann noch in der traditionellen Art als Nebeneffekte zu diskutieren sind. Sobald nämlich der (nicht-marktliche) Wissens- und Know-how-Austausch eine Strategieoption (aus Sicht privatwirtschaftlicher wie auch politischer Akteure) darstellt, mag deren Beschreibung als unbeabsichtigte Nebeneffekte nicht mehr haltbar sein. Vor diesem Hintergrund sollen die weiteren Ausführungen die Know-how schaffende oder fördernde Rolle von technologischen Spillovern beleuchten. 2.2.2
Inventions- und Innovationstätigkeit als Experimentieren und Lernen
Eine wichtige Frage, die innerhalb der innovationsökonomischen Forschung gestellt wird, betrifft die Einflussfaktoren, unter denen neues technologisches Wissen generiert wird. Hierzu zählt natürlich der ökonomische Innovationsanreiz, also der Anreiz, Profit zu erzielen. Doch daneben sollten potenziell innovative Akteure auch die Fähigkeiten und das Know-how haben, Neuerungen zu schaffen und erfolgreich umzusetzen. Ohne Zweifel, dem kreativen Akt der Generierung von Neuem ist ein hohes Maß an Zufälligkeit zuzumessen, die analytisch nicht mehr handhabbar ist. Dennoch kann man Aussagen darüber machen, wann und unter welchen Bedingungen die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Neuerung höher ist. So bauen diese in aller Regel auf bisher bekanntem Wissen auf und ergeben sich daneben aus der Kombination oder Rekombination verschiedener Wissens- und Know-how-Komponenten.
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In diesem Sinne ist das Schaffen von neuem technologischen Wissen als ein kumulativer Lernprozess zu verstehen, der im Wesentlichen zwei Komponenten enthält. Bei der idiosynkratischen Komponente lernt jeder kreativ tätige Akteur aus den eigenen Erfahrungen und dem bisher angesammelten Wissen. Daneben tritt als zweite Komponente eine Außenorientierung, indem von anderen Akteuren und deren Erfahrungen gelernt wird. Die angesprochenen technologischen Spillovers nehmen hier eine herausragende Stellung ein. In dem Maße allerdings, wie der Aspekt der Imitation zwischen Konkurrenten zurücktritt und Wissen zwischen nicht-konkurrierenden Akteuren ausgetauscht wird, führen technologische Spillovers zu sogenannten cross-fertilization-Effekten – also gegenseitigen Befruchtungswirkungen. Aus der Kombination der beiden angesprochenen Kernkomponenten ergibt sich eine Dynamik der Wissensakkumulation, die einerseits durch die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten der Akteure getragen ist und sich andererseits durch kollektiven Fortschritt auszeichnet. Speziell auf die Innovationstätigkeit bezogen lässt sich hieraus Folgendes ableiten: Obwohl die eigentliche Innovation, d. h. das neue Produkt, das neue Produktionsverfahren, die neue Organisationsform etc., oft nur auf einen einzigen Innovator (oder eine kleinere Gruppe von Innovatoren) zurückgeht, ist genau betrachtet das gesamte Umfeld und das System der technologischen Beziehungen des Innovators mit ausschlaggebend, dass die Innovation auch hervorgebracht werden konnte. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von collective invention (Allen 1983) und einem kollektiven Innovationsprozess. Kollektive Innovationsprozesse basieren demnach auf dem bewussten und unbewussten Austausch von Know-how. Man mag sich in diesem Zusammenhang fragen, wie der Austausch von Know-how organisiert ist, d. h. wie die verschiedenen Akteure miteinander koordiniert werden. Die Antwort zu dieser Frage führt unmittelbar zur Koordinationsform des sogenannten Netzwerks. 2.2.3
Koordination des Austausches von Know-how über Netzwerke
Der Austausch von technologischem Wissen zwischen Akteuren weist einige Besonderheiten auf, die Auswirkungen auf die Art der Mechanismen dieses Austau-
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sches haben. Um hierbei zu Aussagen kommen zu können, müssen einige Abgrenzungen getroffen werden. Tabelle 2.1 fasst diese Diskussion mit Bezug auf unterschiedliche Organisationsformen zusammen. Zunächst einmal beobachtet man durchaus die entgeltliche Übertragung von technologischem Wissen über Märkte, wie etwa bei der Lizenzvergabe. Hierbei bezahlt der Lizenznehmer einen Preis für die Nutzung von technologischem Wissen, das der Lizenzgeber geschaffen hat und das durch entsprechende intellektuelle Eigentumsrechte geschützt ist. Die Koordination der Lizenzpartner erfolgt über einen Markt für Lizenzen. Die Wissensübertragung kann daneben auch hierarchisch organisiert sein, wie etwa wenn in einem Unternehmen beschäftigte Forscher und Wissenschaftler das neu geschaffene Wissen dem Unternehmen überlassen müssen – es besteht hier eine (arbeits-)vertragliche Verpflichtung, welche die Grundlage einer hierarchischen Koordinationsstruktur darstellt. Man mag sich in den beiden hier angesprochenen Fällen durchaus fragen, ob die Wissensübertragung auch in dem Sinne vollständig erfolgt ist, dass der Empfänger dieses in gleichem Umfang nutzen kann wie der Inventor, von dem der Transfer ausgeht. Diesem Aspekt wird hier nicht weiter nachgegangen. Vielmehr soll eine dritte Art der Wissensübertragung betrachtet werden, die weder entgeltlich (im Sinne von Leistung und direkter Gegenleistung) abläuft, noch in eine hierarchische Struktur eingebunden ist. Bei dieser Form handelt es sich vornehmlich um Austauschbeziehungen, d. h. um den beid- oder wechselseitigen Transfer von technologischem Wissen – im Gegensatz zu den oben angesprochenen einseitigen Beziehungen. Der sogenannte informelle Know-how-Transfer (vgl. v. Hippel 1987) nimmt hierbei eine zentrale Rolle ein. Dieser Begriff umfasst den Informationsaustausch von Wissenschaftlern, Forschern oder Ingenieuren auf Messen, Konferenzen und ganz einfach beim gemeinsamen Mittagessen. Auch stärker im formalen Kontext zu sehende Beziehungen zählen dazu, wie etwa Forschungskooperationen oder Forschungsverbünde, bei denen vertragliche Regelungen über das gemeinsam zu erarbeitende technologische Wissen, wenn überhaupt, nur in äußerst rudimentärer Form getroffen werden.
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Tabelle 2.1: Ökonomische Organisationsformen
Normative Grundlage Art der Kommunikation Konfliktbewältigung Flexibilität Gegenseitige Verpflichtungen der Akteure Entscheidungen und Präferenzen der Akteure
Markt
Hierarchie
Netzwerk/ System
Vertrag, Eigentumsrechte
Arbeitsbeziehungen
komplementäre Stärken
Preise
Routinen
Beziehungen
Rechtssystem
über Kontrollmechanismen
Norm der Reziprozität
hoch
gering
mittel bis hoch
niedrig
mittel bis hoch
mittel bis hoch
unabhängig
abhängig
gegenseitig abhängig
Quelle: Nach Powell (1990), S. 300, Konzeption geht zurück auf Kaneko und Imai (1987).
Das Koordinationsmuster, das diesen wechselseitigen informellen oder schwach formalisierten Austausch- und Kooperationsbeziehungen unterliegt, wird als Netzwerk bezeichnet. Die Funktionsweise von Netzwerken basiert in hohem Maße auf den Prinzipien der Komplementarität und der Reziprozität. Dies bedeutet, dass sich Unternehmen an derartigen Netzwerken nur beteiligen, wenn sie erwarten, von anderen Netzwerkteilnehmern etwas lernen zu können (Komplementarität) und der Know-how-Austausch bi- und multilateral – und eben nicht einseitig – abläuft (Reziprozität). Die beiden zentralen Steuerungsmechanismen eines Netzwerks sind im Vergleich zu dem vertraglich gesicherten Übergang an Eigentumsrechten auf Basis eines absichernden Rechtssystems bei marktlicher Koordination oder den Arbeitsbeziehungen und deren Überprüfbarkeit über bestimmte Kontrollmechanismen innerhalb der hierarchischen Koordination ganz anderer Natur. So besteht zwar eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen den Teilnehmern des Netzwerkes, wodurch sich auch eine gewisse Stabilität einstellt. Doch bei mangelnder Reziprozität der Beziehungen sind diese Netzwerkbeziehungen auch schnell gelöst.
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2.3 Innovationssysteme Die Diskussion des systemischen Charakters der Innovationstätigkeit, der daraus abgeleiteten kollektiven Innovationsprozesse sowie der Netzwerkstrukturen des Know-how-Austausches erlaubt es nun, sich dem Begriff des Innovationssystems, wie er heute verwendet wird, zu nähern. Zu diesem Zweck sollen Innovationssysteme kurz charakterisiert und klassifiziert sowie deren Funktionsweise aus unternehmerischer und politischer Sicht beleuchtet werden. 2.3.1
Zur Charakterisierung von Innovationssystemen
Zunächst soll kurz eine Definition gegeben werden: Ein Innovationssystem besteht aus einem Netzwerk von Akteuren, die unter bestimmten institutionellen Rahmenbedingungen bei der Produktion, der Diffusion und Nutzung von neuem, wirtschaftlich verwertbarem Know-how zusammenwirken. Unter einem Innovationssystem versteht man demnach eine Gruppe von Akteuren, die über Know-how-Ströme miteinander in Beziehung stehen. Diese Beziehungen können bewusst geschaffen werden oder unbewusst ablaufen; sie können an bestimmte materielle Gegenstände oder auch Personen gebunden sein oder aber sich unverkörpert entwickeln, wie etwa bei Gesprächen auf Konferenzen und Tagungen. Dabei werden Informationen vermittelt, wobei nicht unbedingt direkte Reziprozität – wie bei Markttransaktionen – bestehen muss. Insgesamt kann man sich ein Innovationssystem als ein Netzwerk von Informations- und Know-how-Beziehungen zwischen verschiedenen Akteuren vorstellen. Die Funktionsweise von Innovationssystemen basiert auf dem Austausch von Know-how zwischen den einzelnen Akteuren des Systems. Inwieweit dieser Austausch auch erfolgreich stattfindet hängt davon ab, ob die Netzwerkakteure miteinander in Kontakt treten können, ob die Know-how-Komponenten zueinander kompatibel sind und ob sie sich gegenseitig überhaupt verstehen. So unterschiedlich diese Kriterien auch sein mögen, im Prinzip wird mit ihnen eine jeweils spezifische Nähe zwischen den Akteuren betont, die es erlaubt, dass Know-how aus-
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tauschbar ist und nutzbringend eingesetzt werden kann. Je nachdem, welchen dieser Aspekte man besonders betont, ergeben sich unterschiedliche Konzeptionen von Innovationssystemen. Betont man so etwa den Aspekt der räumlichen oder geographischen Nähe, so spricht man von lokalen oder regionalen Innovationssystemen. Die räumliche Nähe erlaubt es den Akteuren, auf unkomplizierte Art und Weise und face-to-face in Kontakt zu treten, Informationen auszutauschen und einen gemeinsamen Wissensstock aufzubauen. Regionalen Ballungen ökonomischer Aktivitäten, wie etwa in Clustern, Industrial Districts oder sogenannten innovativen Milieus, werden diese vorteilhaften Bedingungen des Wissensaustausches zugeschrieben. Im Mittelpunkt von sogenannten Technologiesystemen steht der Aspekt der Kompatibilität von bestimmen Wissensstöcken. Die Nähe zwischen den Akteuren ist demnach als eine technologische Nähe zu verstehen, welche den erfolgreichen Austausch von Know-how und Informationen befördert. Eine regionale Ballung ist hierfür nicht erforderlich. Als Beispiel mag die Automobilindustrie stehen, die zum einen aus den Automobilproduzenten und zum anderen aus den technologisch sehr unterschiedlichen Zulieferbetrieben besteht, die aber zusammen und technologisch kompatibel unter dem Dach einer Automobiltechnologie zusammenwirken. Der Aspekt des gegenseitigen Verstehens letztendlich umfasst eine Reihe von Dimensionen. So mag dieses Verstehen nur dann vorhanden sein, wenn sich die Netzwerkakteure auch auf ähnlichem technologischen Niveau befinden und keine allzu großen technologischen Lücken zwischen ihnen bestehen, sondern eben eine technologische Nähe. Daneben hat dieses Verstehen aber auch gewisse soziale Komponenten und damit eine Nähe in sozialer Dimension. Betont man die gemeinsame Sprache, so mag man von nationalen Innovationssystemen sprechen. Bei bestimmten industriellen Distrikten – vor allem in Norditalien – scheinen die soziale Nähe im Sinne sozialer Beziehungen eine wesentliche Rolle zu spielen. Und ebenso mag eine Nähe in der Mentalität und Einstellung der Akteure eine Rolle dabei spielen, ob ein Netzwerk beispielsweise starke unternehmerische Aktivitäten im Sinne von Unternehmensneugründungen aufweist.
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2.3.2
Morphologie und Arten von Innovationssystemen
Innovationssysteme weisen unterschiedliche Arten von Akteuren auf, welche drei Systempolen sowie einem Intermediärelement zugeordnet werden können. Abbildung 2.1 gibt ein in dieser Hinsicht stilisiertes Innovationssystem wieder. Zu dessen Kernelementen zählen: • Ein Marktpol, mit Unternehmen, die Innovationen im Markt einführen wollen; • ein Wissenschaftspol, mit öffentlichen Forschungseinrichtungen zum Zwecke der Grundlagenforschung; • ein technisch-industrieller Pol, mit Forschungseinrichtungen privater Art (z. B. F&E-Laboratorien der Unternehmen, Institutionen der Gemeinschaftsforschung, etc.), die sich im Wesentlichen der angewandten Forschung (inklusive der Prototypentwicklung) widmen. Die sogenannten Intermediärelemente vermitteln zwischen den verschiedenen Systempolen: • Transferinstitutionen, wie etwa Technologietransferstellen. • Ministerien, Behörden, Verbände. • Know-how-Börsen, Konferenzen, etc. • Verbundforschung, (informelle) Kooperationen. • Patente und andere Informationsquellen. • Wechsel von Mitarbeitern zwischen den Polen. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Funktion des Patentwesens als Intermediär. Während man in traditioneller Sicht stärker die Schutzwirkung des Patents betonte, so wird hier die Offenbarung und Niederschrift der neuen Idee in den Vordergrund gestellt. Patente sollen also eine Informationsquelle darstellen, die breit genutzt wird – dies ist gerade die andere Seite des Vertrags zwischen Patenthalter und Öffentlichkeit.
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Institutioneller Rahmen
Kunden
Wissenschaftspol
Zulieferer Transferinstitutionen
Marktpol
Öffentliches F&E
Unternehmen
Tra ns
ferin
n ne tio itu st in er sf an Tr
stitu
tion en
Wettbewerber
Technischindustrieller Pol Privates F&E
Abbildung 2.1: Stilisiertes Innovationssystem Die Systempole und Intermediärelemente sind eingebettet in ein System von Institutionen der Bildung und Ausbildung, der Gesetze und der Rechtsprechung, der Kultur, des Sozialwesen, des Gesundheits- und des Umweltschutzes, der Politik, des Bank-, Finanz- und Geldwesens, etc. Außerdem sollte man auch Beziehungen zu system-externen Akteuren berücksichtigen (die hier nicht eingezeichnet sind). Jeden einzelnen Pol kann man sich wieder als ein System von verschiedenen Akteuren vorstellen, die untereinander über Know-how-Ströme verbunden sind. Innerhalb des Marktpols handelt es sich um Kooperationen zwischen Unternehmen des gleichen oder unterschiedlicher Sektoren. Im technisch-industriellen Pol finden sich Kooperationen zwischen verschiedenen privaten Forschungseinrichtungen, wie etwa im Rahmen von Technologiestädten oder Technologieparks. Und letztendlich im Wissenschaftspol finden sich viele gemeinschaftliche Forschungsprojekte zwischen Universitäten, interdisziplinär zwischen verschiedenen Fakultäten, mit anderen öffentlichen Forschungsinstitutionen, etc.
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Vor diesem Hintergrund können Innovationssysteme auf verschiedenen Ebenen identifiziert werden. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie gemeinschaftlich betriebene Forschung fördern können. Man unterscheidet Innovationssysteme danach, ob sie formal angelegt sind oder informell ablaufen, ob sie alle Kernelemente eines Innovationssystems beinhalten, welche Rolle und welche Bedeutung den einzelnen Kernelementen zukommt, ob sie staatlich initiiert oder privatwirtschaftlich organisiert sind, und letztendlich welches Gewicht jeweils die privatwirtschaftliche und die staatliche Aktivität innerhalb des Systems aufweisen. Die einfachste Art eines Innovationssystems ist die einfache Forschungskooperation (Siemens-Microsoft) oder ein Forschungsnetzwerk, entweder zwischen Unternehmen oder auch zwischen Unternehmen und Institutionen der Grundlagenund angewandten Forschung (Biotechnologie, Optonet). Technologiesysteme verbinden Unternehmen aus verschiedenen Branchen und andere Institutionen miteinander (Automobilindustrie, Laser), welchen die Nutzung einer allgemeinen Technologie gemeinsam ist (vgl. Carlsson und Stankiewitz 1991). Daneben findet man auf der lokalen Ebene Technologieparks und Technologiezentren, wie etwa die Wissenschaftsstadt Ulm. Auf nationaler Ebene findet man sogenannte nationale Innovationssysteme, welche sich in den letzten Jahren einer eingehenden wissenschaftlichen Diskussion erfreut haben. Letztendlich kann man auch über Ländergrenzen hinweg gehen und supranationale Innovationssysteme identifizieren, wie etwa in Form eines europäischen Innovationssystems oder in Form eines nordamerikanischen Innovationssystems. Aus dieser Aufzählung von Innovationssystemen im weiteren Sinne kann man eine Untergruppe von Innovationssystemen im engeren Sinne abgrenzen. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass Institutionen privatwirtschaftlicher Art und öffentlicher oder öffentlich-wirtschaftlicher Art in einem Beziehungsgeflecht der Informationsübertragung und des Know-how-Austauschs zueinander stehen. Unternehmenskooperationen und Unternehmensnetzwerke würde man hier nicht berücksichtigen.
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Tabelle 2.2: Überblick zu Innovationssystemen Innovationssysteme
Beispiel
Forschungskooperation
Siemens-Microsoft
Forschungsnetzwerk
Bioinstrumente Jena, OptoNet e. V.
Technologiesystem
Automobilindustrie, Computerindustrie
Innovationssysteme i.e.S. Lokal
Technologieparks, Wissenschaftsstadt Ulm
Regional
Baden-Württemberg, Thüringen
National
Japan, USA, Deutschland
Supranational
Europäische Union
Tabelle 2.2 enthält einige Beispiele für Innovationssysteme. Bei der Forschungskooperation, dem Forschungsnetzwerk und zumeist auch bei den Technologiesystemen handelt es sich um Innovationssysteme, bei denen die privatwirtschaftlichen Akteure, die Unternehmen, die zentrale Rolle einnehmen; staatliche Akteure sind hier vergleichsweise unwichtig. Bei den Innovationssystemen i. e. S. hingegen sind die staatlichen Institutionen ein wesentlicher Bestandteil des Systems und wichtig für dessen Funktion. In dem Maße, wie das Innovationssystem auf höherer Ebene definiert wird, nimmt die Bedeutung der staatlichen Akteure und Institutionen zu. So ist der Erfolg eines Technologieparks im Wesentlichen von den Aktivitäten der dort integrierten Unternehmen abhängig. Andererseits sind die nationalen und supranationalen Institutionen der Politik und Wissenschaft stärker für den Erfolg von supranationalen Innovationssystemen verantwortlich.
2.4 Die Funktionsfähigkeit von Innovationssystemen 2.4.1
Funktionen von Innovationssystemen
In der zwischenzeitlich sehr umfassenden Literatur über Innovationssysteme finden sich einige Wirkungszusammenhänge immer wieder. Um den Blick auf das Wesentliche zu schärfen, hat Johnson (2001) die verschiedenen Ansätze zum sys-
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temischen Innovationsprozess in Bezug auf die Funktionen des Systems verglichen und zusammengefasst. Die verschiedenen Anforderungen an ein funktionierendes Innovationssystem sind in Tabelle 2.3 dargestellt. Die umfassende Herangehensweise dieser Konzepte zeigt sich in der Breite dieser Funktionen, die von der Identifikation des Problems bis hin zur Wegbereitung des Wandels reicht. Je nach Blickwinkel werden an Innovationssysteme ganz unterschiedliche Erwartungen geknüpft. Die Zielrichtung dürfte dabei für Politiker wie für Unternehmer die gleiche sein: Eine hohe Fortschrittsrate. Einige Funktionen werden aber von beiden Gruppen erfüllt, wobei sie sich in der Umsetzung unterscheiden können. Als Beispiel seien etwa Förderprogramme genannt, welche an bestimmte Technologien geknüpft sind, wo man sich von den Unternehmen die größere Kompetenz in der Beurteilung zukünftiger Technologien erwarten sollte. Aus unternehmerischer Sicht stellen Innovationssysteme einen institutionellen Rahmen zum Austausch von technologischem Know-how dar. Die Vielzahl und Heterogenität der Akteure führt zu einer effizienteren Problemidentifikation auf technologischer Ebene. Kompetenzen werden nicht nur auf individueller Ebene, sondern durch Imitation oder learning-by-doing auf Systemebene aufgebaut. Gerade wegen der Unvorhersehbarkeit, der Unsicherheit und der Risiken von Innovationsaktivitäten bieten sie den Unternehmen breite Informationsmöglichkeiten zur Absicherung und Risikominderung, oder allgemein zur Reduzierung sozialer Unsicherheiten. Die direkten Nutzeffekte, die von Innovationssystemen auf Unternehmen ausgehen, ergeben sich somit im Wesentlichen aus der Verfügbarkeit externen Wissens einzelner Akteure, dem Zusammenwirken komplementärer Kompetenzen, der Beschleunigung des Lernens aller Akteure durch kollektive Lernprozesse und der Verbesserung der zukünftigen Kooperationskompetenz der Akteure (vgl. Drewello und Wurzel 2002, 20-21).
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Tabelle 2.3: Funktionen bei Konzepten von Innovationssystemen Funktion
Erklärung / Ansatzpunkte
Direkter Bezug zum Innovationsprozess Identifikation des Problems
Identifikation von Schwachstellen der Technologie (aber auch des Innovationssystems)
Generierung neuen Wissens
F&E; Such- und Experimentierprozesse; learning-bydoing; learning-by-using; Imitation
Indirekter Einfluss auf den Innovationsprozess Schaffung von Anreizen für Unternehmen, innovativ zu sein
Günstige Appropriationsbedingungen schaffen
Bereitstellung von Ressourcen
Finanzierung; Kompetenzen
Lenkung des Suchprozesses
Beeinflussung der Richtung des Mitteleinsatzes der Akteure; Standards und Regulierung
Wachstumspotenziale erkennen
Identifikation technologischer Möglichkeiten
Austausch von Informationen und Wissen erleichtern
Feedback zwischen Zielen und Leistung des Systems; Diffusion der Technologie; Koordination der Kooperation von Akteuren
Stimulation und Schaffung neuer Märkte
Diffusion und Transfer von Wissen und Technologie
Reduzierung sozialer Unsicherheit
Bereitstellung von Informationen; Förderung stabiler Inter- und Transaktionsstrukturen
Dem Widerstand gegen den Wandel entgegenwirken
Enthusiasmus für die neue Technologie stimulieren; Beeinflussung politischer und gesetzgeberischer Prozesse zu Gunsten der neuen Technologie
Quelle: Eigene Darstellung nach Johnson (2001)
Aus politischer Sicht stellen Innovationssysteme eine Mischung aus direkter und indirekter Forschungsförderung dar, wobei der indirekte Charakter überwiegt. Ganz allgemein erhofft man sich von der politischen Betreuung, dem politischen Management oder der politischen Initiierung von Innovationssystemen, dass es Unternehmen erleichtert wird, Innovationsaktivitäten zu entfalten, und dass deren Innovationsbereitschaft erhöht wird. Diese Anreize zur Innovation werden beispielsweise durch die Schaffung von Eigentumsrechten an technologischem Wis-
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sen gefördert, durch die eine Gewährung kurzfristiger Monopolrenten in Kauf genommen wird. Und auch beim Setzen von Standards haben Behörden eine gewichtige Rolle, da sie die Richtung des weiteren Suchprozesses beeinflussen. Im Gegensatz zu traditionellen Politikbegründungen, die nur auf diese Marktfehler abstellen, werden im Rahmen von Innovationssystemen institutionelle Mängel in dem Sinne hervorgehoben, dass technologisches Know-how aus Gründen der Nichtverfügbarkeit in nicht ausreichendem Maße (wie auch immer definiert) genutzt wird. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass der Transfer von technologischem Know-how nicht immer reibungslos funktioniert. Dieser Mangel hat mit den Akteuren der einzelnen Pole eines Innovationssystems zu tun, denn diese wissen oft nicht, wo an anderer Stelle für sie relevantes Know-how geschaffen wird beziehungsweise wo an anderer Stelle das eigene Know-how eingesetzt werden kann. Eine Politik, die sich an Innovationssystemen orientiert, interessiert sich nicht primär für die Akteure des Systems (Unternehmer, Wissenschaftsinstitutionen, etc.), sondern allein für die Beziehungen zwischen diesen. In dem Netzwerk kommt es aus politischer Sicht also nicht auf die Knoten, sondern auf die Beziehungen zwischen den Knoten an (vgl. Abbildung 2.1). Zur Erfüllung der Funktion Bereitstellung von Ressourcen obliegt dem Staat in erster Linie die Aufgabe, den Aufbau von Kompetenzen im Rahmen der Bildungspolitik oder in der Grundlagenforschung zu fördern. 2.4.2
Probleme innerhalb der Innovationssysteme
Die Leistungsfähigkeit von Innovationssystemen mag allerdings auch eingeschränkt sein. An folgende drei wesentlichen Problembereiche ist zu denken: Intermediationsproblem: Zunächst einmal kann man sich fragen, ob und wie die verschiedenen Systempole zueinander Kontakt finden? Sollten die Transfereinrichtungen entweder nicht vorhanden sein oder nicht entsprechend ihrer Aufgabenstellung agieren, dann werden Know-how-Ströme unterbunden. Sollten diese Intermediationsprobleme auftreten, so spricht man von sogenannten institutionellen Mängeln, welche (wie angesprochen) für die Notwendigkeit staatlicher Eingriffe sprechen.
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Kompatibilitätsproblem: Selbst wenn entsprechende Transfereinrichtungen vorhanden sind, dann kann es durchaus sein, dass die Kernelemente beziehungsweise Akteure verschiedener Kernelemente nicht zusammenpassen. Dies kann verschiedene Gründe haben. So weiß man etwa, dass es Sektoren oder Unternehmen gibt, die auf keinerlei oder nur sehr wenig Grundlagenforschung angewiesen sind oder darauf zurückgreifen, sondern ihren technischen Fortschritt einkaufen, wie etwa die Textilindustrie. In diesen Fällen versagen selbst Transfereinrichtungen. Daneben tritt das Kompatibilitätsproblem aber auch auf, wenn Akteure mit sehr unterschiedlichen technologischen Ausrichtungen oder sehr unterschiedlichen technologischen Niveaus zusammentreffen. Je größer diese Unterschiede sind, desto schwieriger wird es sein, dass die entsprechenden Informationsflüsse auch verstanden und umgesetzt werden. Reziprozitätsproblem: Selbst wenn die Akteure eines Innovationssystems zusammengefunden haben und selbst wenn sie zusammenpassen, da das technologische Know-how komplementär ist, so können innerhalb der Kooperation dann Störungen auftreten, wenn der Wissensaustausch nur in einer Richtung erfolgt oder sich sehr unausgewogen gestaltet. Dies kann sogar soweit führen, dass einzelne Akteure aus einem Innovationssystem freiwillig ausscheiden beziehungsweise nur noch sehr ausgewählt Informationen und Wissen auszutauschen bereit sind. Dieses Problem ist wahrscheinlich das ursächliche beim – zumindest kurz- bis mittelfristigen – Scheitern einiger Versuche, Innovationssysteme „am Reißbrett“ zu planen. Wenn das nötige Vertrauen zwischen den Akteuren fehlt, kann die Sorge vor Trittbrettfahrern den Austausch von Wissen verhindern.
2.5 Ausblick: Innovationsregion Jena Abschließend und basierend auf den oben gemachten theoretischen und klassifikatorischen Ausführungen wendet sich dieser abschließende Abschnitt der Frage zu, ob und in welcher Hinsicht, die Innovationsregion Jena ein Innovationssystem darstellt.
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Eine Antwort auf diese Frage hängt zunächst einmal von gewählten Fokus ab. Ohne Zweifel würde es gelingen, Jena als Element eines bundesdeutschen nationalen Innovationssystems oder eines supranationalen europäischen Innovationssystems zu sehen und einzuordnen. Damit versteht sich Jena dann als ein Akteur innerhalb eines größeren Netzwerks. Eine andere Sichtweise ergibt sich, wenn man Jena selbst in den Mittelpunkt stellt und als Ort verschiedener Netzwerke oder Netzwerkaktivitäten zu verstehen versucht. Ein erster Anknüpfungspunkt könnte dabei die oben angesprochene Nähe der Netzwerkakteure sein. Für die Klassifizierung als ein regionales Innovationssystem sprechen vielfältige Kooperationsbeziehungen zwischen Unternehmen und Institutionen der Forschung innerhalb eines klar umrissenen geographischen Raumes. Die Einbindung der Jenaer Unternehmen in verschiedene Technologiesysteme, wie etwa in den Biotechnologie-Verbund oder den Optikverbund mit einer Reihe von Kooperationsaktivitäten aus dem regional eng umgrenzten Bereich hinaus, spricht für die Teilnahme Jenas in verschiedenen Technologiesystemen. Die Bedeutung des traditionellen „Zeissianertums“, das selbst heute noch in vielen Unternehmen zu spüren ist und das eine gewisse innovative und unternehmerische Mentalität widerspiegelt, kann als eine Art sozialer Komponente aufgefasst werden, die sicherlich nicht unmaßgeblich am Erfolg der Region Jena beteiligt ist. Diese kurze Charakterisierung der Innovationsregion Jena zeigt schon, dass eine Vielzahl von Größen Einfluss auf den dortigen Innovationserfolg hat. Eine eindeutige Klassifizierung als lokales Innovationssystem, als Teil eines oder mehrerer Technologiesysteme oder als spezifischer Industrial District wird sich wohl nur schwer bewerkstelligen lassen, da es sich hierbei nicht um eine Frage des „Entweder-Oder?“, sondern um eine Aussage des „Sowohl als auch“ handelt. Es ist aber möglich und liegt durchaus nahe, dass der Erfolg von Innovationsregionen maßgeblich auf der ausbalancierten Mischung von interner Ausrichtung (i. S. lokaler kooperativer Innovationsaktivitäten) und externer Orientierung (i. S. einer Mitgliedschaft in Technologiesystemen) beruht. Wie diese Balance letztendlich konkret auszusehen hat, ob sie sich selbstorganisierend einstellt oder auch politisch gestaltbar ist, sind Problemstellungen, die noch auf eine Bearbeitung und Lösung warten.
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3 Technologische und ökonomische Leistungsfähigkeit des Innovationssystems Jena: Ein Vergleich mit Ulm, Dresden und Heidelberg Uwe Cantner und Holger Graf
3.1 Einleitung Die Region Jena steht seit der Wiedervereinigung Deutschlands 1989 als Paradebeispiel für eine prosperierende ökonomische Entwicklung einer ostdeutschen Region aus der Planwirtschaft des DDR-Systems heraus. Kommentiert wurde dieser außergewöhnliche Verlauf mit Bezeichnungen wie etwa „Silicon Valley des Ostens“ oder „Boomtown des Ostens“. Die der Region innewohnende Innovationskraft, eingebettet in eine von Schott und Zeiss geprägte Industrietradition und einen traditionell starken Universitätsstandort, scheint vielen Aussagen zu Folge der wesentliche Erfolgsfaktor zu sein. Der vorliegende Beitrag möchte dieser Aussage nachgehen und die technologische und ökonomische Leistungsfähigkeit Jenas anhand geeigneter Kennzahlen auf den Prüfstand stellen. Die gewählte Perspektive ist eine vergleichende, indem die Kennzahlen für Jena denjenigen für Ulm, Dresden und Heidelberg gegenübergestellt werden. Unsere Vorgehensweise orientiert sich hierbei am systemischen Ansatz zur Beschreibung und Erklärung von Innovationsphänomenen, der Innovationserfolg und technologischen Fortschritt als Ergebnis interaktiver Forschungs– und Innovationsaktivitäten betrachtet (vgl. Cantner und Graf 2003). Aus dieser Perspektive heraus betrachten wir im Folgenden die vier Vergleichsstandorte als Innovationssysteme, ohne dies allerdings (im Sinne regionaler Sys-
46
teme oder als Technologiesysteme) nachzuweisen – hierzu bedarf es noch einer Reihe weiterer Analysen und dem Erarbeiten des dazu notwendigen Datenmaterials. Wir beschränken uns vielmehr auf einige ausgewählte Aspekte der Morphologie und der Funktionsweise von Innovationssystemen anhand derer die Vergleichsregionen näher beleuchtet werden. In Ergänzung wird der unterschiedlichen ökonomischen Entwicklung der vier Standorte in (ebenso) vergleichender Analyse Rechnung getragen, wobei eine direkte Beziehung zwischen unterschiedlicher technologischen und unterschiedlicher ökonomischen Entwicklung nicht überprüft, sondern nur (als noch zu testende Hypothese) vermerkt werden kann. Der Beitrag ist wie folgt aufgebaut: Abschnitt 3.2 widmet sich der Auswahl der Vergleichsstandorte, den zugrundegelegten Elementen eines Innovationssystems sowie einer kurzen deskriptiven Charakterisierung der vier Standorte. Der Vergleich in technologischer Hinsicht erfolgt in Abschnitt 3.3, derjenige mit Bezug auf die ökonomische Entwicklung im Abschnitt 3.4. Ein kurzes Resümee sowie ein Ausblick auf weitere Fragestellungen beschließen den Beitrag.
3.2 Untersuchungsdesign und Charakterisierung der Vergleichsregionen 3.2.1
Untersuchungsdesign
Möchte man der Frage nachgehen, ob Jena in seiner technologischen und seiner ökonomischen Entwicklung vergleichsweise spezifische Muster aufweist, so kann man bei hierauf abstellenden Studien unterschiedliche Designs zugrundelegen. Zum einen bietet sich ein Vergleich mit den Entwicklungen in geographisch weiter gefassten Gebietseinheiten wie etwa Deutschland oder Thüringen an. Hierbei bleiben die Besonderheiten räumlicher Agglomerationen jedoch unberücksichtigt, da sie mit Charakteristika ländlich geprägter Gebiete vermischt werden. Andererseits wäre auch ein Vergleich mit einer anderen, bestimmten Kriterien genügenden, Region möglich. Der vorliegende Beitrag beschreitet einen Weg zwischen
47
diesen beiden Alternativen und untersucht Jena und dessen Entwicklung im Vergleich zu Ulm, Dresden und Heidelberg. Die Auswahl der Vergleichsregionen orientiert sich an folgenden Kriterien. Zunächst beherbergen alle vier Standorte eine Universität mit naturwissenschaftlicher Ausrichtung sowie weitere öffentliche Forschungseinrichtungen. Von den vier Regionen befinden sich zwei in den alten Bundesländern und zwei in den neuen Ländern. Jena und Dresden haben sich als Hightech-Standorte in den neuen Ländern etabliert und eine ähnlich positive Entwicklung seit 1989 gemacht. Ulm machte in den letzten 20 Jahren als Wissenschaftsstadt von sich reden und stellt ein vom damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth politisch initiiertes Innovationssystem dar.3 Der Vergleich zu Jena ist schon deshalb interessant, da Lothar Späth als Vorstandsvorsitzender der Jenoptik AG die Geschicke Jenas im wiedervereinten Deutschland maßgeblich mitgestaltet hat, auch wenn Jena mit der Tradition von Zeiss und Schott eher zur Klasse der historisch gewachsenen (möglicherweise selbstorganisierenden) Innovationssysteme zählt. Heidelberg letztendlich weist wie Jena eine große Universitätstradition auf und war zudem Teilnehmer beim Bio-Regio Wettbewerb der BMBF. Bei der Abgrenzung der vier Standorte und ihrer Klassifizierung als Wirtschaftsraum und/oder Innovationssystem stößt man auf eine Reihe von Problemen. Für einen Wirtschaftsraum wie auch für ein (regionales) Innovationssystem gilt, dass sich ihre geographische Ausbreitung nicht durch bestimmte physische Grenzen bestimmen lässt. Nach Koschatzky und Zenker (1999, 2) ist eine Region „kein festumrissenes Gebilde, sondern Gegenstand unterschiedlicher Verhältniswelten. Unter Region können ganze Staatengebilde oder auch Kontinente verstanden werden, aber ebenso kleinräumige Einheiten innerhalb bzw. zwischen einzelnen Staaten“. Politische Grenzen können demnach nicht dazu herhalten, einen Wirtschaftsraum abzugrenzen. Ein Blick zur Internetseite „Kompetenznetze.de“ macht dies unmittelbar deutlich, als sich dort Jena zusammen mit Erfurt, Dresden zusammen mit Chemnitz, Ulm als Teil der Region Bodensee-Oberschwaben-Ulm und Heidelberg als Teil des Rhein-Neckar-Dreiecks vorstellen. Ebenso wird man sich auch beim jeweiligen regionalen Innovationssystem schwer auf eine eindeutige
48
Abgrenzung festlegen können. Im Fall von Jena könnte man beispielsweise auch an ein System Jena-Ilmenau-Erfurt oder Jena-Halle-Leipzig denken. Neben diesen konzeptionellen Fragen, eine Region adäquat zu definieren, treten noch Probleme der Datenverfügbarkeit und der entsprechenden regionsspezifischen Zurechnung. Man denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an die geringe Kompatibilität von politischen Grenzen, Postleitzahlenbezirken und Arbeitsamtbezirken. 3.2.2
Bevölkerungsentwicklung
Eine wichtige Kenngröße zur Beschreibung der vier Standorte stellt die Bevölkerung dar. Sie ist zum einen ein Maß für die Größe des jeweiligen Standorts, zum anderen ist die Entwicklung der Bevölkerung auch ein Ausdruck der wirtschaftlichen Entwicklung. Die hauptsächlichen Faktoren, welche die Größe einer Stadt beeinflussen, sind Wanderungsbewegungen und die natürliche Veränderung (Geburten-Sterbefälle). Ist eine Region in der Lage Personen aus anderen Regionen anzuziehen ist das auch ein Indiz für wirtschaftliche Attraktivität. Tabelle 3.1: Bevölkerungsentwicklung in den Vergleichsregionen 1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001*
Heidelberg
138.873
138.825
139.405
139.613
139.479
139.966
141.509
Dresden
472.697
465.968
464.255
456.478
477.590
476.683
478.631
Jena
101.724
100.774
99.958
99.052
99.419
99.763
101.157
Ulm
115.422
115.871
115.825
115.665
115.902
116.668
118.347
Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2002; *Statistische Landesämter Sachsen, Thüringen und Baden-Württemberg
Betrachtet man in Tabelle 3.1 die Zeitreihen der Bevölkerungsentwicklung in den Vergleichsregionen stellt man bei Dresden und Jena einen Abwärtstrend bis in die
3
Zu Ulm siehe auch Boucke, Cantner und Hanusch (1994).
49
Jahre 1997, bzw. 1998 fest, der sich in den letzten Jahren wieder umgedreht hat.4 Heidelberg und Ulm weisen über den betrachteten Zeitraum ein moderates Bevölkerungswachstum auf. 3.2.3
Industriestruktur
Neben der Größe einer Region ist die wirtschaftliche Struktur eine wichtige Kenngröße zur Charakterisierung der Untersuchungsregionen. Abbildung 3.1 verdeutlicht die unterschiedliche Bedeutung einzelner Wirtschaftsbereiche anhand der Erwerbstätigenanteile in den entsprechenden Sektoren.
100% 90% Erwerbstätigenanteil
80%
31%
34%
41%
41%
70% 60% 50% 40%
43%
44% 41%
36%
30% 20% 10%
21%
17%
22%
25%
Dresden
Heidelberg
Jena
Ulm
0%
Land und Forstw irtschaft
Produzierendes Gew erbe
Dienstle is tungen
Öff entliche Dienstleister
Abbildung 3.1: Struktur der Wirtschaftsbereiche anhand von Erwerbstätigenanteilen Quelle: Eigene Darstellung aus Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2002.
In Jena und Heidelberg dominieren die öffentlichen Dienstleister mit jeweils 41 % der Beschäftigten, was nicht zuletzt durch die verhältnismäßig großen Universitä4
Die Gründe für den Bevölkerungszuwachs in Dresden zwischen 1998 und 1999 liegen in Eingemeindungen
50
ten dort begründet ist. Das produzierende Gewerbe beschäftigt in allen vier Regionen weniger als ein Viertel der Erwerbstätigen, wobei es in Ulm noch die größte Bedeutung hat. Die Land- und Forstwirtschaft spielt erwartungsgemäß keine Rolle. Eine alternative Analyse anhand von Anteilen am BIP führt zu einer ähnlichen Charakterisierung der Regionen, wobei die Anteile zugunsten des produzierenden Gewerbes verschoben sind. Ulm zeigt auch dann die relativ stärkste Fokussierung auf die Produktion von Gütern. 3.2.4
Humankapital und Bildung
Im vorigen Abschnitt wurde die Dominanz des Dienstleistungssektors in den Regionen aufgezeigt. Dieser Sektor ist in großem Maße wissensbasiert und stellt daher hohe Anforderungen an das Ausbildungsniveau der Beschäftigten. Daneben ist Humankapital wohl der entscheidende Faktor zur Produktion neuen Wissens und hat somit einen entscheidenden Einfluss auf den Innovationsprozess. Zwar wird seitens der Wirtschaft die Mobilität von Arbeitskräften reklamiert, dennoch ist es tatsächlich so, dass die Unternehmen einen Großteil der Belegschaft lokal rekrutieren, was die lokale Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften zu einem wichtigen Standortfaktor macht.5 Eine ähnliche Argumentation verfolgt der Beitrag von Fornahl und Graf (2003), in dem auch die Mobilität von Unternehmensgründern in Frage gestellt wird. Demnach haben die wenigsten Unternehmensgründer überhaupt alternative Standorte in Betracht gezogen, sondern ihre Firma dort gegründet, wo sie ihren Lebensmittelpunkt hatten. Langfristige persönliche Beziehungen spielen also auch bei der Unternehmensgründung eine wichtige Rolle. Eine gute Ausbildung ist somit nicht nur Vorraussetzung für die lokale Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften, sondern dient auch als lokale Basis für zukünftige Generationen von Entrepreneuren in High-tech Branchen.
5
mit einem Gebietszuwachs um 90 km2 (entspricht 38 %) begründet. Für Jena wurde dieser Aspekt in einer aktuellen empirischen Studie von Cantner, Fornahl und Graf (2003) belegt.
51
Tabelle 3.2: Ausbildungsstruktur Heidelberg
Dresden
Jena
Ulm
6,3
8,8
8,2
7,8
Schulabgänger 1998 ohne Hauptschulabschluss in % mit Hauptschulabschluss in %
20,4
10,2
14,0
28,0
mit Realschulabschluss in %
27,2
48,1
30,5
35,5
mit Hochschulreife in %
45,4
32,8
47,4
28,7
Studenten 1998 je 1000 Einwohner
191,9
63,6
161,9
56,4
Ausländische Studenten 1998 in %
13,4
5,2
3,8
7,9
Quelle: Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung 2000
In Tabelle 3.2 werden die Schwerpunkte der schulischen Ausbildung sowie die relative Bedeutung der Hochschulen miteinander verglichen. Jena und Heidelberg können hier mit 16 % bzw. 19 % Studentenanteil an der Bevölkerung eindeutig als Studentenstädte klassifiziert werden. Interessant ist hierbei die Korrelation des Studentenanteils mit dem Anteil an Schulabgängern mit Hochschulreife. Scheinbar übt eine bedeutende Hochschule einen positiven Anreiz auf das Erlangen eines qualifizierenden Abschlusses aus. Ein weiteres Indiz für ein hohes Innovationspotential liefert der Anteil von Arbeitskräften mit Hoch- oder Fachhochschulabschluss an allen Erwerbstätigen. Mit 21,7 % ist diese Akademikerdichte in Jena um drei Prozentpunkte höher als in Dresden (18,7 %) und um knapp 5 % höher als in Heidelberg (16,9 %), Ulm bildet mit 12,5 % das Schlusslicht in diesem Vergleich. Dieser kurzen Vorstellung der Regionen mit ihren spezifischen Stärken und Potentialen folgt im nächsten Abschnitt eine ausführliche Diskussion der spezifischen Strukturen und Entwicklungen der regionalen Innovationsaktivitäten.
52
3.3 Innovationskraft und technologische Entwicklung Wie in der Einleitung bereits angesprochen orientiert sich die Diskussion der Innovationskraft und der technologischen Entwicklung in den Vergleichsregionen an der Konzeption eines Innovationssystems. Ein solches System umfasst eine Reihe von Akteuren, die bei der Invention und Innovation sowie der Diffusion neuen Wissens zusammenwirken. Im Folgenden werden auf Basis dieser Vorstellung einige Kennzahlen bestimmt und Vergleiche angestellt, die sich mit der Innovationsleistung der Regionen, den dahinterstehenden Formen der kooperativen Forschung zwischen verschiedenen Unternehmen sowie zwischen Unternehmen und öffentlichen Forschungseinrichtungen, der technologischen Spezialisierung sowie letztendlich der Forschungsförderung im Innovationssystem befassen. Unsere Vorgehensweise ist keinesfalls umfassend und um die betrachteten Standorte jeweils als Innovationssystem begreifen zu können, müsste noch eine Reihe interner Wirkungszusammenhänge, vor allem den Inventions- und Innovationsprozess betreffend, untersucht und eine spezifische Analyse und Klassifizierung der Akteure (kleine und große Unternehmen, Unternehmensgründungen, Stellung in der Wertschöpfungskette, etc.) vorgenommen werden. Zudem kann auf Faktoren wie Mentalität und Kultur, Lernbereitschaft oder Konsensfähigkeit, die ohne Zweifel den Erfolg von Innovationssystemen mitbestimmen, nicht eingegangen werden. 3.3.1
Innovationsleistung
Für den Vergleich der technologischen Leistungsfähigkeit im Sinne der Innovationsleistung bedienen wir uns der Patentstatistik. Selbstverständlich ist die Anzahl der Patente keine perfekte Kennzahl, da nicht alle Neuerungen patentiert werden oder auch nicht patentierbar sind, und diese Zählgröße keine qualitative Wertung enthält. Demgegenüber steht der Vorteil, dass diese Datenquelle konsistent über längere Zeiträume verfügbar ist. Als Datenbasis dienen uns die beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) angemeldeten Patentschriften wie sie in der PATOS Datenbank (DPMA 2001) veröffentlicht wurden. Wir beschränken uns auf Patente, die zwischen 1995 und 2001 offengelegt wurden, und bei denen zumindest ein Erfinder seinen Wohnsitz in Deutschland hatte. Bei der regionalen Zuwei-
53
sung eines Patents zu einem der Vergleichsstandorte gehen wir vom Sitz des Erfinders aus.6 Im Falle mehrerer Erfinder wird das betreffende Patent allen Regionen zugerechnet, in denen die Erfinder ihren Wohnsitz haben. Zuerst sei die absolute Anzahl der Patente in der vier Vergleichsstandorten zwischen 1995 und 2001 betrachtet. Abbildung 3.2 zeigt einen für alle vier Orte ähnlichen von 1995 bis 2001 ansteigenden Verlauf, wobei Dresden und Heidelberg durchgängig mehr als doppelt so viele Patente aufweisen wie Jena und Ulm. Der Verlauf der absoluten Patentzahlen ist allerdings nur eingeschränkt aussagekräftig, da Informationen über die Bedeutung der vier Standorte innerhalb Deutschlands, die Größe der vier Orte und über allgemeine Trends der Patentaktivitäten unberücksichtigt bleiben.
600
Anzahl der Patente
500 400 300 200 100 0 1995
1996
1997 Dresden
1998 Heidelberg
1999 Jena
2000
2001
Ulm
Abbildung 3.2: Zeitliche Entwicklung der Anzahl der Patente In Abbildung 3.3 ist die Anzahl der Patente zur Gesamtzahl der offengelegten Patente in Deutschland des Jahres ins Verhältnis gesetzt (Patentanteil). Hierdurch wird die Entwicklung der Patentaktivität um den Trend der Patentierungsaktivitäten bereinigt. Die vier untersuchten Regionen gewinnen demnach innerhalb des Untersuchungszeitraums leicht an „Marktanteilen“ hinzu, d. h. in relativer 6
Zu den Vorzügen dieser Vorgehensweise im Gegensatz zur anmelderbasierten Methode vgl. Greif 1998, S. 13.
54
Anteil an allen Patenten mit mindestens einem deutschen Erfinder
Sicht nimmt die Innovationskraft der vier Standorte zu. Dresden und Heidelberg auf der einen Seite sowie Jena und Ulm auf der anderen Seite entwickeln sich wieder recht ähnlich.
1.6% 1.4% 1.2% 1.0% 0.8% 0.6% 0.4% 0.2% 0.0% 1995
1996
1997
Dresden
1998 Heidelberg
1999 Jena
2000
2001
Ulm
Abbildung 3.3: Patentanteil Um bei der Bewertung der Patentleistung einer Region die Größe des Standortes zu berücksichtigen, werden die offengelegten Patente pro 100.000 Einwohner berechnet, die sogenannte Patentquote (vgl. Greif 1998). Die Entwicklung dieser Indexzahl findet sich für die vier Standorte in Abbildung 3.4. Grundlage für die Bevölkerungszahl sind die Daten aus Tabelle 3.1. Beim Vergleich mit Hilfe der Patentquote zeigt sich eine gegenüber von Abbildung 3.2 und Abbildung 3.3 veränderte Rangfolge der vier Regionen. Dresden fällt jetzt hinter den anderen Standorten zurück, Heidelberg verbleibt auf dem ersten Rang und Jena liegt stets (leicht) vor Ulm. Diese Rangfolge besteht über den gesamten Beobachtungszeitraum. Bei allen vier Standorten verbessert sich die Patentquote von 1995 bis 2001, wobei der absolute Abstand zwischen Heidelberg und Dresden nahezu konstant bleibt, während Ulm und Jena den Abstand gegenüber Heidelberg verringen können.
55
Patente pro 100.000 Einwohner
400 350 300 250 200 150 100 50 0 1995
1996
1997 Dresden
1998 Heidelberg
1999 Jena
2000
2001
Ulm
Abbildung 3.4: Patentquote
3.3.2
Formen der Patentierung
Ein wesentliches Element eines Innovationssystems ist die Interaktion der verschiedenen Akteure im Innovationsprozess. Diese Interaktionen können beispielsweise in Forschungskooperationen (die nicht unbedingt auf einer formalen Basis zu stehen haben) ihren Ausdruck finden. Eine Möglichkeit, den Grad der Interaktion auf regionaler Ebene zu bestimmen, ist die Messung der sogenannten kooperativen Patente. Hierunter versteht man Patente, die von mehr als einem Erfinder angemeldet werden. Folgenden Fragen gehen wir in diesem Zusammenhang nach: Wird in den Regionen unterschiedlich kooperiert? Sind die Kooperationspartner lokal auf den betrachteten Standort konzentriert oder sind sie eher außerhalb der Standorte zu finden? Bestehen zwischen den Vergleichsstandorten Unterschiede hinsichtlich der Beteiligung öffentlicher Forschungseinrichtungen und Universitäten als Patentanmelder, die den Grad der Kooperation eventuell beeinflussen?
56
Tabelle 3.3: Patentierung in den untersuchten Regionen* Heidelberg
Dresden
Jena
Ulm
Patente
2694
2699
1181
1110
Kooperationen
2077
2203
992
846
externe Kooperationen
1942
1615
665
794
interne Kooperationen
135
588
327
52
Einzelerfindungen
617
496
189
264
Patente von Universität oder öff. Forschungseinrichtung Anteil der Patente in Kooperation
33
636
326
32
0,771
0,816
0,840
0,762
Anteil der Patente in interner Kooperation
0,050
0,218
0,277
0,047
Anteil der Patente in externer Kooperation
0,721
0,598
0,563
0,715
Anteil der Patente von Universität oder öff. Forschungseinrichtung
0,012
0,236
0,276
0,029
*Alle Patente, bei denen zumindest ein Erfinder seinen Wohnsitz in der jeweiligen Region zum Zeitpunkt der Patentanmeldung hatte (Offenlegung zwischen 1995 und 2001).
Erste Ansatzpunkte für Antworten auf die gestellten Fragen erhält man durch einen Blick auf Tabelle 3.3. Unter Kooperationen verstehen wir die Anzahl kooperativer Patente, also diejenigen Patente, bei denen mehr als ein Erfinder genannt ist. Patente werden als interne Kooperation klassifiziert, falls alle Erfinder in der jeweiligen Region ihren Wohnsitz gemeldet haben, im Falle unterschiedlicher Wohnsitze der Erfinder klassifizieren wir das Patent als externe Kooperation. Für die Rubrik "Patente von Universität oder öff. Forschungseinrichtung" wurden alle Patente gezählt, bei denen zumindest ein Anmelder eine Hochschule oder eine öffentliche Forschungseinrichtung ist. Auffällige Unterschiede zwischen den Regionen bestehen insbesondere bei den Anteilen der internen bzw. externen Kooperation sowie dem Anteil der Patente von Universitäten und anderen öffentlichen Forschungseinrichtungen. Insbesondere treten diese Unterschiede zwischen den Regionen der neuen Bundesländer und denjenigen der alten Länder auf. Während 22 % bis 28 % der Patente in Dresden bzw. Jena als interne Kooperation klassifiziert werden können, sind dies nur je-
57
weils 5 % in Heidelberg und Ulm. Die aus dem öffentlichen Sektor stammenden Patente machen im Osten zwischen 24 % und 28 % aus, während dieser Sektor in Heidelberg mit einem Prozent und in Ulm mit drei Prozent weniger Relevanz besitzt. Auf dieser Basis wenden wir uns nun den oben gestellten Fragen zu. Zur Beantwortung der ersten Frage widmen wir uns der Kooperationstätigkeit, wie sie anhand von Patentdaten analysiert werden kann. Wie gesagt, hinter Patenten können sowohl einzelne Erfinder wie auch Teams von Erfindern stehen. Teams können aus Personen derselben Region wie aus Personen unterschiedlicher Regionen zusammengesetzt sein. Ein hohes Patentaufkommen im ersten Fall ist ein Indiz für ein dichtes internes Forschungsnetzwerk, was für ein lokales Innovationssystem spricht. Sind die Erfinder hingegen regional breiter gestreut, so spricht man von externen Kooperationen, was möglicherweise auf die Integration der Patenthalter in ein Technologiesystem (oder ein größeres regionales System) hinweist.
Anteil der kooperativen Patente
90% 85% 80% 75% 70% 65% 60% 1995
1996
1997
Dresden
1998 Heidelberg
1999 Jena
2000
2001
Ulm
Abbildung 3.5: Anteil der Patente in Kooperation Zunächst betrachten wir die Kooperationstätigkeit ohne zwischen internen und externen Verbindungen zu unterscheiden. Im Bundesdurchschnitt werden 53 %
58
der Patente von Teams erfunden. Für unsere betrachteten Regionen berechnet man einen durchschnittlichen Anteil von 80 %. Jena sowie Dresden weisen, wie in Abbildung 3.5 dargestellt, den größten Kooperationsanteil auf, wobei im Zeitablauf die Kooperationstätigkeit an allen vier Vergleichsstandorten zugenommen hat. Als nächstes sei der Anteil interner Patentkooperationen an allen Patenten betrachtet, also Patente bei denen alle Erfinder aus derselben Region stammen. Abbildung 3.6 zeigt, dass die beiden Standorte der neuen Länder einen vielfach höheren Anteil interner Kooperationen aufweisen. Für den Anteil der internen Kooperationen an allen Patenten erkennt man bei Jena und Dresden einen leichten Abwärtstrend. Diese Entwicklung ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass man einige Zeit benötigt, um externe Kontakte zu knüpfen und Vertrauensverhältnisse zu schaffen, welche dann in gemeinsamen Patentierungen münden können.
Anteil der internen Kooperationen
40% 35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% 1995
1996
1997
Dresden
1998 Heidelberg
1999 Jena
2000
2001
Ulm
Abbildung 3.6: Interne Kooperationen Betrachten wir des Weiteren die Bedeutung der öffentlichen Forschung. In Abbildung 3.7 ist der Anteil der Patente einer Region wiedergegeben, bei denen zumindest als ein Anmelder eine öffentliche Forschungseinrichtung oder Hoch-
59
Anteil der Patente von Hochschulen und öffentlichen Forschungseinrichtungen
schule auftritt. Im Wesentlichen zeigt sich für Jena der höchste Anteil an Patenten mit Beteiligung von Hochschule und öffentlichen Einrichtungen. Der Unterschied zwischen den beiden Standorten in den neuen Bundesländern und Heidelberg sowie Ulm ist auffällig. Während sich in Jena und Dresden die Anteile zwischen 18 % und 33 % bewegen, liegen sie in Ulm und Heidelberg unter 5 %. Ein Trend zu mehr oder weniger großen Anteilen der öffentlichen Forschung ist nicht zu erkennen; lediglich in Heidelberg hat der Anteil in den letzten Jahren, wenn auch schwach, zugenommen.
35% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% 1995
1996
1997
Dresden
1998 Heidelberg
1999 Jena
2000
2001
Ulm
Abbildung 3.7: Patentierung an Hochschulen und öffentlichen Forschungseinrichtungen Aufgrund der Ähnlichkeit zu Abbildung 3.6 könnte man einen Zusammenhang zwischen den Patenten öffentlicher Einrichtungen und internen Kooperationen vermuten. Tabelle 3.4 ist zu entnehmen, dass bei den Universitätspatenten diejenigen, die gemeinschaftlich angemeldet wurden, einen hohen Anteil von 90,7 % ausmachen. Innerhalb dieser Kooperationen stellen diejenigen auf interner Basis einen Anteil von 35,1 %. Berechnet man die entsprechenden Anteile an der Gesamtzahl der Patente der vier Standorte, so erhält man für die kooperativen Patente
60
79,5 % und die internen Kooperationen (an den Kooperationen insgesamt) 18,2 %. Die öffentlichen Forschungseinrichtungen zeigen sich also sowohl bei Kooperationen insgesamt als auch bei den internen Kooperationen als überdurchschnittlich beteiligt. Tabelle 3.4: Kooperationen in der Patentierung in den vier Regionen Unipatente
Gesamt
Patente
1019
7645
Kooperationen
924
6079
Interne Kooperationen
324
1105
Anteil Kooperationen
90,7 %
79,5 %
Anteil interner Kooperationen an allen Kooperationen
35,1 %
18,2 %
Anteil interner Kooperationen an allen Patenten
31,8 %
14,5 %
3.3.3
Technologische Felder der Patentierung
Ein letzter Punkt der Betrachtung der Innovationskraft der vier Standorte betrifft deren spezifische technologische Stärken. Eine Kennzahl, mit deren Hilfe man die technologischen Stärken aufdecken kann, ist ein Spezialisierungsindex, der auf dem aus der Außenhandelstheorie bekannten Balassa's Index basiert und in einer abgewandelten Form bei Patenten Anwendung findet (vgl. Grupp 1997). Der sogenannte Index des technological revealed comparative advantage, TRCAij, setzt den Anteil der regionalen Patente einer Region i in einer Technologie j an allen Patenten dieser Technologie j ins Verhältnis zum Anteil aller Patente der betrachteten Region i an allen Patenten: TRCAij =
∑
Pij / ∑i Pij j
Pij / ∑i ∑ j Pij
,
mit Pij als der Anzahl der Patente in Region i und der Technologieklasse j. Liegt dieser Wert über 1 hat die Region i gegenüber allen anderen Regionen einen komparativen Vorteil in der betrachteten Technologieklasse j (Spezialisierung).
61
Tabelle 3.5: Spezialisierungsfelder* der Regionen Rang
Heidelberg
Dresden
Jena
Ulm
1
Organische Fein-Chemie
Halbleiter
Optik
Halbleiter
2
Biotechnologie
Oberflächentechnik, Schichtkörper, Kristallzüchtung
Biotechnologie
Telekommunikation
3
Makromolekulare Chemie, Polymere
Nukleartechnik, Strahlentechnik
Medizintechnik
Werkstoffe, Metallurgie
4
Handhabung, Druck
Handhabung, Druck
Messen, Steuern, Regeln
Biotechnologie
5
Pharmazie, Kosmetik
Werkstoffe, Metallurgie
Pharmazie, Kosmetik
Oberflächentechnik, Schichtkörper, Kristallzüchtung
*
gemessen am TRCA
Tabelle 3.5 enthält für die vier Standorte jeweils diejenigen Technologien mit den fünf höchsten TRCA-Werten. Für die Bestimmung der Technologiefelder bedienen wir uns einer Konkordanz zwischen Patentklassen und Technologien, die vom Fraunhofer Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (FhG-ISI) in Zusammenarbeit mit dem Observatoire de Sciences et des Techniques (OST), und der Science and Technology Research Policy Unit der University of Sussex (SPRU) ausgearbeitet wurde. Ulm und Dresden weisen sehr ähnliche Spezialisierungsfelder auf, wobei 3 Technologien bei beiden Standorten unter den Top 5 sind (Halbleiter, Oberflächentechnik und Metallurgie). Jena und Heidelberg zeigen zwei Überschneidungen (Pharmazie und Biotechnologie), während zwischen Jena und Dresden keine Überschneidungen auftreten. Biotechnologie ist in Jena, Heidelberg und in Ulm unter den Top 5. Gemessen an der Anzahl der Patente ist die Nukleartechnologie in Dresden zwar relativ unbedeutend (Platz 26 von 30), aber durch den TRCA wird gemessen, ob die Region als Standort dieser Technologie innerhalb Deutschlands bedeutend ist.
62
Ein Abgleich dieser Spezialisierungen mit Ergebnissen des Mannheimer Innovationspanels zur sektoralen Innovationskraft erlaubt es uns, die identifizierten Technologiefelder als insgesamt mehr oder weniger innovativ einzuordnen. Tabelle 3.6 weist 13 ausgewählte Branchen nach dem jeweiligen Anteil der Innovatoren an allen Unternehmen der Branche aus. Die Branche mit dem größten Innovatorenanteil in den Jahren 1999 und 2000 ist die Medizin-, Mess-, Steuer- und Regelungstechnik, Optik. Diese Branche umfasst auch drei der Top 5 Technologien in Jena (Optik; Messen, Steuern, Regeln; Medizintechnik), was auf gute Zukunftschancen dieser Region hindeutet. Tabelle 3.6: Innovatorenanteile (in %) 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 Optik, Medizin, Mess-, Steuer- und Regelungstechnik
49
76
83
86
76
84
80
Maschinenbau
61
72
76
85
81
81
75
Elektrotechnik
52
53
65
82
88
80
74
EDV und Telekommunikation
84
81
78
77
65
62
73
Chemische Industrie
67
53
75
77
80
80
70
Fahrzeugbau
46
70
68
72
72
74
64
Gummi und Kunststoff verarbeitende Industrie
68
42
49
65
69
71
63
Holz, Papier, Druck und Verlag
42
45
52
42
40
56
59
Metallerzeugung und -bearbeitung, Herstellung von Metallerzeugnissen
52
59
57
50
69
62
57
Möbel, Schmuck, Spielwaren, Musikinstrumente und Sportgeräte
45
60
63
66
71
64
56
Textil-, Bekleidungs- und Ledergewerbe
40
54
57
53
65
66
55
Glas- und Keramikindustrie
31
74
68
57
58
52
55
Ernährungsgewerbe und Tabakverarbeitung
50
39
43
71
67
64
54
Quelle: ZEW - Mannheimer Innovationspanels
63
Für die Beschreibung der Struktur eines Innovationssystems ist es von Bedeutung, ob dieses von wenigen Technologien dominiert wird oder ob das System eher diversifiziert ist, bzw. ob sich die Struktur im Zeitablauf veränderte. Zur Untersuchung dieser Aspekte haben wir für jedes Jahr die Konzentration der Technologien innerhalb der Regionen mit Hilfe des Herfindahl-Index berechnet. Ein hoher Wert bedeutet dabei eine stärkere Konzentration der Technologiefelder, ein niedriger ist ein Indikator für ein diversifiziertes System. Falls alle n Technologien die gleiche Anzahl von Patenten aufweisen, berechnet sich für den Herfindahl-Index der Wert 1/n. Abbildung 3.8 zeigt für den Zeitraum 1995 bis 2001 die Entwicklung der Konzentration in der Patentierung. Jena ist die am stärksten spezialisierte Region über alle untersuchten Jahre hinweg. Der Wert für Jena weist zwar relativ große Schwankungen auf, bewegt sich aber immer um einen Herfindahl-Index von 0,12. In Heidelberg wie in Ulm scheint der Grad der Diversifizierung zugenommen zu haben, wohingegen Dresden fast unverändert mit leichter Tendenz zu einer stärkeren Fokussierung verbleibt. 0.16
Herfindahl-Index
0.14 0.12 0.1 0.08 0.06 0.04 1995
1996
1997
Dresden
1998 Heidelberg
Abbildung 3.8: Konzentration der Technologien
1999 Jena
2000 Ulm
2001
64
0.9
Spearman's rho
0.8 0.7 0.6 0.5 0.4 0.3 0.2 1995-96
1996-97 Dresden
1997-98
1998-99
Heidelberg
1999-2000
Jena
2000-01
Ulm
Abbildung 3.9: Stabilität der Innovationsfelder Der Konzentrationsindex allein lässt bekanntlich keine Aussage zu, ob sich die Struktur oder die Rangfolge der Technologien über die Zeit hinweg geändert hat. Um zu untersuchen, ob die vorgefundene Spezialisierung auch Jahr für Jahr auf den gleichen Technologien basiert, bestimmen wir für jedes Jahr die Rangfolge der Technologien in den Regionen und berechnen eine paarweise Rangkorrelation über jeweils zwei Jahre. Ein Wert von 1 besagt, dass die Reihenfolge der Technologien von einem Jahr zum nächsten gleich geblieben ist, während sich bei völliger Umkehrung der Reihenfolge ein Wert von -1 ergibt. Hinsichtlich dieser Kenngröße weist Ulm die geringste Stabilität der Innovationsfelder auf, während Jena, Dresden und Heidelberg über den ganzen Zeitraum relativ geringe Veränderungen in der Rangfolge der Technologien zeigen. 3.3.4
Öffentliche Förderung
Innovationssysteme besitzen in aller Regel eine politische Dimension, wobei die öffentliche Forschungsförderung eine zentrale Rolle spielt. Die vier Innovationsregionen sollen daher anhand der bewilligten Fördermittel miteinander verglichen werden. Die einzigen Daten die hier vollständig und für alle Regionen vergleich-
65
bar zur Verfügung stehen, entstammen dem Förderkatalog der Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und schließen damit Gelder des BMWi und des BMBF ein (vgl. BMBF 2002). Neben der Leistungsfähigkeit der Innovationsregionen, Fördermittel zu akquirieren, kann man mit diesen Daten auch die Hauptakteure des jeweiligen Systems identifizieren. Tabelle 3.7: Forschungsförderung - jährliche Fördersumme* (Mio. €) 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Heidelberg
22,3 18,9 21,1 19,5 16,9 17,3 17,8 19,8 19,1 22,9 28,9 40,8 37,6
Dresden
1,3 28,1 29,7 34,4 38,8 43,0 40,7 38,9 51,5 53,4 55,5 64,7 44,8
Jena
0,1 17,1 20,6 19,9 25,1 28,3 27,8 29,3 23,7 23,8 23,8 32,9 27,1
Ulm
9,4
8,7 11,7 12,7 15,6 18,0 22,0 20,6 20,3 21,0 18,5 18,1 19,3
*Projektsumme wurde auf Laufzeit gleich verteilt. Quelle: Eigene Berechnungen aus BMBF 2002
Natürlich wird mit der Forschungsförderung auch Regionalpolitik betrieben, dennoch muss sich eine Region zum einen durch das Erkennen von interessanten Forschungsprojekten als fähig erweisen, Mittel bewilligt zu bekommen, und zum anderen das Potential zur Umsetzung dieser Projekte besitzen. In Tabelle 3.7 ist die Fördersumme (Mio. €), die von 1990-2001 in die Regionen floss, ausgewiesen. Ein Vergleich der Fördersummen zeigt Mitte der 90er Jahre einen deutlichen regionalpolitischen Effekt. Jena liegt in den Jahren 1993 bis 1999 an zweiter Stelle und fällt dann wieder hinter Heidelberg zurück. In den letzten Jahren folgt die Rangfolge in Fördersummen mehr der Größe der Innovationssysteme, gemessen anhand von Bevölkerung und Patenten. Die Anzahl der verschiedenen Organisationen, die Fördermittel bewilligt bekommen haben, ist in Abbildung 3.10 dargestellt und soll die Vielfalt der Akteure im Innovationssystem zum Ausdruck bringen. Trotz der fast fünffachen Größe hat Dresden im Jahr 2002 weniger als die doppelte Anzahl an Fördermittelempfängern, wobei der einzelne Empfänger sogar weniger Mittel erhält (Abbildung 3.11).
66
Anzahl der geförderten Organisationen
Daneben fällt die große Zahl an Empfängern in Jena auf. Trotz der relativ geringen Größe hat Jena seit 1993 fast durchgehend die zweithöchste Anzahl an Mittelempfängern, was auf eine vielfältige Forschungslandschaft hindeutet. Im Gegensatz zu Dresden ist die Anzahl der Akteure in Jena auch kontinuierlich angestiegen, während dort schon 1993 das heutige Niveau erreicht war. Es ist erstaunlich, welche Anzahl an forschenden Organisationen die Innovationssysteme der neuen Bundesländer in sehr kurzer Zeit hervorgebracht haben. Schon 1992 wurden in Jena mehr Einrichtungen gefördert als in Ulm und 1993 mehr als in Heidelberg. 120 100 80 60 40 20 0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Dresden
Heidelberg
Jena
Ulm
Abbildung 3.10: Anzahl der geförderten Organisationen Quelle: Eigene Darstellung aus BMBF 2002.
Weitere Hinweise auf unterschiedliche Strukturen der Forschungslandschaft kann uns die Fördersumme pro Empfänger liefern. In Abbildung 3.11 erkennt man deutlich, dass 1991 und 1992 in Jena sehr hohe Beträge an wenige Institutionen flossen. Diese konzentrierte Struktur nahm dann im Laufe der Zeit ab und im Jahr 2002 scheinen Jena und Dresden am wenigsten durch große Forschungseinrichtungen geprägt.
Fördersumme pro Empfänger (Tsd. Euro)
67
1600 1400 1200 1000 800 600 400 200 0 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 Dresden
Heidelberg
Jena
Ulm
Abbildung 3.11: Fördersumme pro Empfänger Quelle: Eigene Darstellung aus BMBF 2002.
80% 67%
70% 60% 50%
50%
30%
38%
38%
40%
33%
38%
32%
28%
27% 23% 18%
20%
6%
10% 0% Dresden
Heidelberg
Außeruniversitäre Forschungseinrichtung und Sonstige
Jena Hochschule
Ulm Privatunternehmen
Abbildung 3.12: Aufteilung der Fördermittel nach Art des Empfängers Quelle: Eigene Darstellung aus BMBF 2002. Zeitraum 1990-2002.
68
Die geförderten Organisationen lassen sich in Hochschulen, privatwirtschaftliche Organisationen und sonstige Forschungseinrichtungen7 einteilen. Ein Vergleich der Innovationsregionen nach Art der geförderten Organisationen erlaubt Aussagen bezüglich der Relevanz der Pole im Innovationssystem. Abbildung 3.12 zeigt, dass in Ulm der Wirtschaftspol mit Abstand am stärksten ausgeprägt ist. Dort fließen 67 % der Fördermittel an Privatunternehmen, in Heidelberg lediglich 18 %. In Jena ist der Anteil der Fördersumme für Hochschulen vergleichsweise gering, allerdings sind die weiteren öffentlichen Forschungseinrichtungen hier auch sehr stark vertreten. Die Analyse der Forschungsförderung zeigt zwei Aspekte auf. Aussagen über die Leistungsfähigkeit der Regionen anhand dieser Daten sind schwierig zu treffen, da der Einfluss politischer Ziele auf die Förderung nicht von der Forschungsleistung getrennt werden kann. Allerdings lassen sich die Strukturen der Innovationssysteme sowohl in Bezug auf die Relevanz der unterschiedlichen Akteure als auch der Konzentration an Innovatoren gut vergleichen. Jena zeigt hier eine ausgewogene Struktur in Bezug auf die Art der Akteure und sowohl die hohe Anzahl der geförderten Organisationen als auch die geringe Fördersumme pro Empfänger deuten auf ein Umfeld hin, welches ein breiteres Spektrum technologischer Neuerungen wahrscheinlich werden lässt.
3.4 Ökonomische Entwicklung 3.4.1
Entwicklung des Wohlstands
Ein hohes Maß an Kreativität und Innovationen ist kein Ziel an sich. Vielmehr ist dieses Ziel lediglich als ein Zwischenschritt auf dem Weg zu ökonomischem Wohlstand und Wachstum zu verstehen. Wären – zumindest die ökonomischen – Folgen technologischer Neuerungen nicht eindeutig, hätten die Forderungen nach mehr Fortschritt aus der Politik keine Berechtigung. Obwohl sich unser Beitrag in erster Linie mit den Innovationsaktivitäten und technologischen Strukturen und 7
Darunter fallen alle Institute, die als Verein eingetragen sind sowie Einzelpersonen und andere Organisationen die nicht eindeutig den beiden anderen Kategorien zuzuordnen sind.
69
Entwicklungen befasst, soll abschließend der Frage nachgegangen werden, ob sich die positive Bewertung Jenas anhand der technologischen Faktoren in ökonomischem Erfolg niederschlagen.
BIP in Preisen von 1995 in EUR je Einwohner
Als Gradmesser für die ökonomische Entwicklung dient uns das Bruttoinlandsprodukt (BIP) einer Region. Das BIP pro Kopf ist hier als ein Wohlstandsindikator zu verstehen. Schließlich verwendet man Wachstumsraten zwischen einzelnen Jahren um die Entwicklung im Zeitablauf, aber auch im Vergleich zu anderen Regionen beurteilen zu können.
50000 45000 40000 35000 30000 25000 20000 15000 1995
1996 Dresden
1997
1998
Heidelberg
1999 Jena
2000
Ulm
Abbildung 3.13: Entwicklung des pro Kopf BIP Quelle: Eigene Darstellung aus Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2002.
Bei einem Blick auf Abbildung 3.13 fällt es schwer den Zusammenhang zwischen technologischem Potential und ökonomischem Erfolg zu erkennen. Allerdings ist der theoretische Zusammenhang natürlich mit einer großen zeitlichen Verzögerung verbunden, die in unserem kurzen Beobachtungszeitraum nicht abgebildet werden kann. Die Region mit dem stärksten Wirtschaftspol, Ulm, hat auch mit Abstand das höchste BIP pro Kopf. Jena hingegen ist demnach die ärmste Region,
70
wobei der Abstand zu Dresden seit 1995 kontinuierlich geringer geworden ist. Einen deutlichen Aufholprozess oder Catch-up gegenüber Ulm und Heidelberg kann man in den vergangenen Jahren allerdings nicht erkennen. Um ein klareres Bild dieser Dynamik zu erhalten, sind in Abbildung 3.14 die jährlichen Wachstumsraten im Vergleich zur bundesweiten Entwicklung dargestellt. Nach den hohen Wachstumsraten in den neuen Bundesländern Anfang der 90er Jahre scheint der Aufholprozess mit Wachstumsraten deutlich über dem Bundesdurchschnitt in Jena im Jahr 1998 und in Dresden schon im Jahr 1997 zum Stillstand gekommen zu sein, wobei 1999 und 2000 die Wachstumsraten wieder überdurchschnittlich waren. Daneben fällt in Abbildung 3.14 das kontinuierlich überdurchschnittliche Wachstum Heidelbergs auf, während die Stärke des produzierenden Gewerbes in Ulm zu einer größeren Volatilität oder Anfälligkeit für konjunkturelle Schwankungen führt. 15.0%
Wachstumsrate des BIP
13.0% 11.0% 9.0% 7.0% 5.0% 3.0% 1.0% -1.0%
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
-3.0% -5.0% Dresden
Heidelberg
Jena
Ulm
Bund
Abbildung 3.14: Vergleich der regionalen Wachstumsraten mit dem Bundesdurchschnitt Quelle: Eigene Darstellung aus Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2002.
71
Einen kleinen Hinweis auf den Zusammenhang zwischen einem gut funktionierenden Innovationssystem und wirtschaftlicher Prosperität erhält man durch einen Vergleich der durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten zwischen 1992 und 2001. Vergleichbare makroökonomische Rahmenbedingungen findet man in Jena und Dresden vor, wobei Jena als das „bessere“ Innovationssystem auch ein höheres Wachstum mit 8,0 % zu verzeichnen hat (Dresden 6,9 %). Ulm zeigt zwar den höchsten pro Kopf Wohlstand, ist im Beobachtungszeitraum aber mit 0,9 % weniger als Gesamtdeutschland (1,5 %) gewachsen. Heidelberg verzeichnet dagegen mit 2,3 % ein überdurchschnittliches BIP-Wachstum. 4.2
Beschäftigungsentwicklung
Hohe Arbeitslosigkeit ist ein tiefgreifendes Problem für jede Gesellschaft. Vollbeschäftigung ist sowohl aus finanzwirtschaftlicher als auch gesellschaftspolitischer Sicht erwünscht. Wie ist Arbeitslosigkeit im Rahmen des Konzeptes von Innovationssystemen zu bewerten? Innovationstätigkeit hat mit Kreativität und Durchsetzungsvermögen auf der einen Seite, aber auch mit Akzeptanz der Veränderungen durch die Bevölkerung als Arbeitnehmer, als potentielle Entrepreneure oder als Konsumenten zu tun. Frustration durch Arbeitslosigkeit führt zu einer feindseligen Stimmung und Abwehrhaltung gegenüber Menschen von außerhalb, die eine wichtige Quelle externen Wissens sowie externer Kontakte für ein funktionierendes Innovationssystem sind. Beim Vergleich der Arbeitslosenquote in Abbildung 3.15 fällt der große Abstand zwischen den Paaren Jena, Dresden sowie Ulm, Heidelberg auf. Bis 1998, dem Jahr mit dem geringsten BIP-Wachstum in Jena und Dresden, steigt die Arbeitslosigkeit in beiden Regionen auf das höchste Niveau von 18,8 % bzw. 17,1 %. In den Folgejahren gelingt Jena ein kontinuierlicher Abbau, während Dresden dieses Problem weniger gut zu meistern vermag und um die 16 % Marke pendelt. Die Studie von Fornahl und Graf in diesem Band liefert auch eine mögliche Erklärung für diesen Rückgang in Jena. Die Jahre 1998 bis 2000 sind diejenigen mit der höchsten Gründungsaktivität junger Unternehmen, welche allem Anschein nach zu einer deutlichen Erholung des regionalen Arbeitsmarktes beigetragen haben.
72
20
Arbeitslosenquote (in %)
18 16 14 12 10 8 6 4 96/I
96/III
97/I
97/III
98/I
Dresden
98/III
99/I
Heidelberg
99/III
00/I
Jena
00/III
01/I
01/III
Ulm
Abbildung 3.15: Arbeitslosenquote Quelle: Eigene Darstellung aus Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2002.
3.5 Resümee Mit dieser Arbeit wurde der Versuch unternommen, das Innovationssystem Jena anhand eines Vergleiches mit anderen Regionen zu bewerten. Zunächst gilt festzuhalten, dass sich zwischen den Vergleichsregionen bei manchen Determinanten eines Innovationssystems kaum Unterschiede ergeben, bei anderen jedoch sehr große. Viele dieser Unterschiede, wie die Bedeutung einer Universität oder die technologische Spezialisierung, resultieren aus historisch gewachsenen Strukturen. Bei anderen Faktoren scheinen Unterschiede auch auf Impulse aus der Politik und der Bevölkerung zurückzuführen sein beziehungsweise auf dem unterschiedlichen Bewusstsein der Unternehmer zu basieren, Wandel vollziehen oder gar „leben“ zu wollen. Die Orientierung am Konzept lokaler Innovationssysteme führte zu einer umfassenden Auseinandersetzung mit Strukturen und Prozessen bei Innovationsaktivitä-
73
ten. Die heterogene Forschungslandschaft in Jena sowie die Interaktionen im kollektiven Innovationsprozess sind hier besonders ausgeprägt. In Bezug auf das innovative Potential braucht Jena ebenfalls keinen Vergleich zu scheuen. Die zeitliche Differenz zwischen Erfolg bei technologischen Neuerungen und wirtschaftlichen Profiten fordert allerdings Geduld und Beharrlichkeit bei allen Akteuren. Der vorgestellte, deskriptive Vergleich der Regionen und die erzielten Ergebnisse werfen natürlich eine Reihe von Fragen nach den vermuteten Wirkungsmechanismen auf. Zufriedenstellende Antworten hierauf bedürfen weitaus detaillierterer Analyse beispielsweise der Netzwerkaktivitäten innerhalb der Regionen, der Bedingungen für das erfolgreiche Umsetzen technologischer Erfolge in ökonomischen Wohlstand und der historischen und sozialen Dimension lokaler Innovationssysteme. Sowohl auf theoretischer wie auch auf empirischer Seite sind hiermit noch teilweise ungelöste Probleme angesprochen, zu deren Lösung in jüngerer Zeit Forschungsinitiativen auf breiter internationaler Ebene auf den Weg gebracht wurden.
3.6 Referenzen BMBF (2002): Förderkatalog des BMBF/BMWA, Datenbank im Internet, Url: http://oas2.ip.kp.dlr.de/foekat/foekat/foekat, Abfrage am 5.12.2002. Boucke C.; Cantner, U.; Hanusch, H. (1994): Technopoleis as a Policy Goal: A Morphological Study of the Wissenschaftsstadt Ulm, in: Technovation, vol. 14, pp. 407-418. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2000): INKAR - Indikatoren und Karten zur Raumentwicklung CD-ROM - Ausgabe zu Berichte Band 8, Bonn. Cantner U.; Fornahl, D.; Graf, H. (2003): Innovationssystem und Gründungsgeschehen in Jena: Erste Erkenntnisse einer Unternehmensbefragung, Jenaer Schriften zur Wirtschaftswissenschaft, FSU Jena, 06/2003. Cantner, U.; Graf, H. (2003): Innovationssysteme und kollektive Innovationsprozesse, in: Cantner, U.; Helm, R.; Meckl, R. (Hrsg.): Strukturen und Strategien in Innovationssystemen - Das Innovationssystem Jena, S. 21-45
74
DPMA (Deutsches Patent- und Markenamt) (2001): PATOS Text, CD-ROM, München. Fornahl, D.; Graf, H. (2003): Standortfaktoren und Gründungsaktivitäten in Jena, in: Cantner, U.; Helm, R.; Meckl, R. (Hrsg.): Strukturen und Strategien in Innovationssystemen - Das Innovationssystem Jena, S. 97-291. Greif, S. (1998): Patentatlas Deutschland: Die räumliche Struktur der Erfindungstätigkeit, Deutsches Patentamt, München. Grupp, H. (1997): Messung und Erklärung des Technischen Wandels, Heidelberg. Koschatzky, K.; Zenker, A. (1999): Innovative Regionen in Ostdeutschland – Merkmale, Defizite, Potentiale, Fraunhofer Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung, Arbeitspapier Regionalforschung Nr. 17. Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2002): Statistik Regional – Daten und Informationen, CD-ROM - Ausgabe.
4 Innovationssystem Jena ? – Ergebnisse einer Unternehmensbefragung Michael Steiner8
4.1 Einleitung Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden Standortfaktoren in der wissenschaftlichen Diskussion um die Wettbewerbsfähigkeit von Nationen kaum beachtet. Zwar untersuchte man schon immer Unternehmensagglomerationen, ihre Bedeutung hat sich in der wissenschaftlichen Diskussion und Praxis in den letzten Jahrzehnten jedoch entscheidend gewandelt. Ziel von Agglomerationen war früher vor allem die Realisierung von Economies of Scale. Mittels vertikaler Integration von vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsstufen sollten zudem weitere Kosteneinsparungspotenziale realisiert werden. Durch die immer intensivere Globalisierung schien später der Standort eines Unternehmens zunächst in der wissenschaftlichen Diskussion immer mehr an Bedeutung zu verlieren und der Einfluss der Politik auf die Unternehmen zu schwinden. Tatsächlich hat der Standort aber einen entscheidenden Einfluss auf das Wachstum und das absolute Niveau der Produktivität. War die vertikale Integration früher eher die Norm, wird sie heute oftmals als ineffizient gesehen, da sie die Flexibilität von Unternehmen einschränken kann (vgl. Porter 1998b, 206ff.). Unternehmen agieren deshalb zunehmend innerhalb von Innovationssystemen. Solche geographischen Konzentrationen und somit auch der Faktor „Standort“ gewinnen umso mehr an Bedeutung, je dynamischer und wissensintensiver eine Branche ist (vgl. Porter 1998b, 197). Ziel des folgenden Beitrages ist die Identifikation eines regionalen Innovationssystems im Raum Jena aus Sicht der Unternehmen. 8
Ein besonderer Dank für die Unterstützung bei der Datenerhebung geht an Nathalie Becker, Michael Hunoldt, Severine Lindig, Markus Petzold, Nancy Scheler sowie Nancy Thamke.
76
4.2 Einflussfaktoren eines Innovationssystems Die Wettbewerbsfähigkeit einer Nation ist nach Porter vor allem davon abhängig, inwieweit es den Unternehmen eines Landes gelingt, innovativ tätig zu sein und bestehende Produkte ständig zu verbessern (vgl. Porter 1998a, 155). Er fand im Rahmen einer langjährigen internationalen Studie die beiden oben genannten Faktoren als entscheidende Einflussgrößen auf die Produktivität einer Industrie und somit auf die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes (vgl. Porter 1998a, 155ff.). Der Produktivität kam deshalb eine besondere Rolle zu, weil sie als ein Indikator für das Ausmaß des Einsatzes der Faktoren Arbeit und Kapital genutzt wurde und Produktivität immer auch von der Qualität und den Funktionen der Produkte abhängig ist. Sie kann als geschaffener Wert pro Arbeitseinheit und Kapitaleinheit bzw. physischer Ressource definiert werden (vgl. Porter 1998b, 209). Das Ziel von Nationen sollte die Steigerung der Lebensqualität seiner Bewohner sein, d. h. der möglichst effiziente Einsatz von Arbeit und Kapital, was der Steigerung der Produktivität entspricht. Dies ist nur möglich, wenn der betrachtete Industriezweig die Fähigkeit besitzt, sich stetig durch Innovationen zu erneuern und zu spezialisieren. Es kommt demnach nicht nur darauf an, dass eine bestimmte Zahl von Unternehmen eines Wirtschaftszweiges in einer Region existiert, sondern eher darauf, wie die Firmen untereinander in Konkurrenz treten und welche Interaktionen zwischen den Netzwerkpartnern innerhalb der Wertschöpfung stattfinden (vgl. Porter 1998b, 209; Tödtling 1997, 165). Porter stellte in seinen Untersuchungen fest, dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Nationen oft nur auf bestimmte Marktsegmente beschränkt ist und es zudem in den verschiedenen Bereichen nur wenige internationale Wettbewerber gibt (vgl. Porter 1998a, 160f.). Er schlussfolgerte, dass die Wettbewerbsfähigkeit von Nationen auf stark lokalisierten Prozessen beruht und durch diese aufrecht erhalten wird, d. h. innovative und spezialisierte Cluster bestimmen die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Landes (vgl. Porter 1998a, 150). Cluster sind geographische Konzentrationen von miteinander in Netzwerken verbundenen Unternehmen, spezialisierten Lieferanten, Serviceanbietern, Unternehmen verwandter Branchen sowie Institutionen wie Forschungseinrichtungen, Fi-
77
nanzdienstleistern, öffentlichen Verwaltungen usw., diese sind durch bestimmte Gemeinsamkeiten und Komplementarität gekennzeichnet, so dass durch die diversen Verbindungen der Clusterteilnehmer Synergieeffekte realisiert werden können. Unternehmen in einem Cluster bedienen oft ähnliche Marktsegmente bzw. Kundenbedürfnisse, haben ein ähnliches Image und nutzen oftmals vergleichbare Strategien in der Kommunikationspolitik. Eine genauere Definition des Begriffs Cluster ist jedoch je nach Region unterschiedlich und von den zu bearbeitenden Marktsegmenten und Unternehmensstrategien abhängig (vgl. Porter 1998b, 199ff.; Pascha und Philipsenburg 2002, 560; OECD 1999, 24). Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Cluster entsteht durch ständige Innovationen, so dass analog zur Definition eines Clusters auch der Begriff Innovationssystem genutzt werden kann, beide Wörter werden deshalb hier als Synonyme verwendet (vgl. Lundvall 1995, 2; Tödtling 1997, 165; Pascha und Philipsenburg 2002, 560 ). Innovationssysteme können länderübergreifende, nationale oder regionale Grenzen haben (vgl. Porter 1998b, 199; Pascha und Philipsenburg 2002, 560), in diesem Beitrag soll der Fokus auf dem regionalen Netzwerk „Jena“ liegen. Unter Innovation wird im Folgenden ein für die Zielgruppe subjektiv „marktneues“ Produkt oder Dienstleistung verstanden (vgl. Helm 2001, 47ff.). Mit Innovationssystemen werden üblicherweise „High-Technology“-Branchen wie die Informations-, Bio- oder Nanotechnologie in Verbindung gebracht. Dies ist entsprechend der oben genannten Definition eines Innovationssystems eine zu enge Sichtweise, da jede Branche innovativ und wissensintensiv sein kann. Somit können sich Cluster auch im Dienstleistungssektor oder in traditionellen Bereichen bilden. Üblicherweise findet man innerhalb der Netzwerke eine Mischung aus traditionellen und hoch-technologischen Branchen (vgl. Porter 1998b, 203ff.). In den folgenden Abschnitten werden deshalb nicht nur die Hersteller von Investitionsoder Konsumgütern, sondern sämtliche Branchen der Region Jena untersucht. Im Rahmen von Innovationsprozessen treten zahlreiche Interdependenzen innerhalb des Unternehmens, mit anderen Firmen, Institutionen usw. auf. Innovation kann deshalb als kollektiver Lernprozess der Partner im Innovationssystem gesehen werden (vgl. Tödtling 1997, 165). Die Einflussfaktoren auf diesen Prozess sollen im nächsten Abschnitt beschrieben werden.
78
4.3 Quellen lokaler Wettbewerbsfähigkeit Cluster implizieren Verbindungen und Komplementarität zwischen den einzelnen Netzwerkteilnehmern, so dass ein Spill-Over von Technologien, Wissen, Informationen, Marketingkenntnissen und Kundenbedürfnissen erreicht wird. Die einzelnen Einflussfaktoren auf die Wettbewerbsfähigkeit von Innovationssystemen können zusammenfassend in dem folgenden Porter-Diamanten dargestellt werden (Abbildung 4.1).
Zufall
Unternehmensstrategie und Wettbewerb
Faktorbedingungen
Nachfragebedingungen
verwandte und unterstützende Industrien
Staat
Abbildung 4.1: Porter-Diamant – Quellen der Wettbewerbsfähigkeit (in Anlehnung an Porter 1991, 151) Um die Wettbewerbsfähigkeit einer Region zu erhöhen, müssen Inputfaktoren mit einer beständig höheren Effizienz und Qualität sowie spezialisierte Faktoren (z. B. Forschungseinrichtungen) eingesetzt werden (vgl. Porter 1998b, 211). Zu den Inputfaktoren (Faktorbedingungen) zählen die natürlichen Ressourcen, das Humankapital, Infrastruktur (Straßen, administrative Einrichtungen, IT), Forschungseinrichtungen usw. Neben sog. Basisfaktoren, die in allen Clustern vorhanden sein sollten (z. B. Infrastruktur), sind gerade die clusterspezifischen Ressourcen (z. B. Forschungseinrichtungen) für die Wettbewerbsfähigkeit eines Innovationssystems
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entscheidend, da sie intangibel und somit nur eingeschränkt handelbar oder am Markt verfügbar sind (vgl. Porter 1998b, 211). Unternehmensstrategie und Wettbewerb werden durch den Grad der lokalen Wettbewerbsintensität innerhalb des Clusters bestimmt. Innerhalb von innovativen Clustern entwickelt sich ein energischer Wettbewerb um lokale und internationale Abnehmer; um hier bestehen zu können, reicht Imitation nicht aus, vielmehr muss das Unternehmen selbst innovativ tätig sein. In diesem Fall gewinnen intangible Ressourcen wie Humankapital eine immer größere Bedeutung (vgl. Porter 1998b, 212). Nachfragebedingungen haben einen Einfluss darauf, ob die Unternehmen innovativ tätig werden. Höhere Anforderungen des lokalen Marktes unterstützen die Entwicklung und üben Druck auf die Unternehmen aus, sich den ständig ändernden Kundenbedürfnissen anzupassen. Idealerweise sollten die lokalen Zielgruppen die zukünftigen Marktbedürfnisse antizipieren, damit die Unternehmen später erfolgreicher im globalen Markt tätig werden können (vgl. Porter 1998b, 212). Letztendlich ist das Vorhandensein von verwandten und unterstützenden Branchen, die weltweit wettbewerbsfähig sind, ein weiterer wichtiger Einflussfaktor, da z. B. innovative lokale Lieferanten den Zugang zu wichtigen Vorprodukten oder Maschinen erleichtern. Lieferanten und Kunden haben in den Netzwerken einen engen Kontakt, so dass ein schneller und effizienter Wissensaustausch möglich ist. Die Unternehmen dienen somit als Pilotkunden für die jeweiligen Zulieferer, was den Innovationsprozess beschleunigen kann (vgl. Porter 1998a, 176). Wie bereits oben beschrieben, ist die Politik ein Teil des Clusters und hat somit erheblichen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit. Ein Hauptaugenmerk der Regierung sollte deshalb der Aufbau von Clustern sein, da diese den Export steigern, einen Magnet für Investitionen darstellen und den direkten Dialog zwischen Unternehmen, Regierungen und Institutionen erlauben. Weltweit ist entsprechend den Thesen von Porter ein Trend zur Förderung von Innovationssystemen zu beobachten (vgl. Porter 1998b, 198f.). Auch in Deutschland nahm der Anteil der Netzwerkförderung an der Gesamtförderung zu (vgl. Hilpert und Bastian 2001, 9). Viele Förderprogramme werden inzwischen speziell auf wissensbasierte Netzwerke
80
zugeschnitten; die Förderdatenbank des Bundeswirtschaftsministeriums umfasst inzwischen 125 entsprechende Programme. Speziell Start-Up’s haben so schon in sehr frühen Gründungsphasen Zugang zu den entsprechenden Netzwerken und erhalten durch Mentoren und Betreuungsinvestoren des Clusters weitere Unterstützung (vgl. Birkelbach 2002, 91). Im folgenden Abschnitt sollen zunächst zwei Studien zur Innovationsfähigkeit kurz vorgestellt werden. Es schließt sich eine Darstellung der allgemeinen wirtschaftlichen Situation und der Besonderheiten der Region Jena an. Im letzten Abschnitt wird der Standort Jena in einer empirischen Studie genauer untersucht. Ziel des Beitrags ist die Identifikation eines Innovationssystems in der Region Jena.
4.4 Auswahl aktueller Untersuchungen zur Innovationsfähigkeit von Regionen Im Folgenden soll der aktuelle Ist-Zustand Jenas im Vergleich zu anderen Regionen, speziell im Vergleich zu anderen ostdeutschen Standorten dargestellt werden. Zunächst wird die Situation in Deutschland und insbesondere in Ostdeutschland beschrieben und die Region Jena in diesen Kontext eingeordnet. Die Wettbewerbsfähigkeit von Clustern wird, wie bereits mehrfach ausgeführt, durch ihre Innovationskraft determiniert. Nutzt man die Ausgaben für Forschung und Entwicklung als einen Indikator undifferenziert über alle Branchen, so liegt Deutschland im Vergleich der OECD-Länder eher im Mittelfeld und deutlich hinter Ländern wie der Schweiz, USA, Schweden, Korea und Finnland. Während in Japan ca. 3 % des Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Entwicklung ausgegeben werden, sind es in Deutschland nur 2,5 %. Innerhalb Europas nimmt Deutschland hingegen immer noch eine der führenden Rollen ein; im Durchschnitt geben die EU-Staaten derzeit ca. 1,9 % des Bruttoinlandsproduktes für F&E-Maßnahmen aus (o.V. 2002). Eine aggregierte Betrachtung über alle Regionen eines Landes und über alle Wirtschaftszweige ist allerdings problematisch, da Cluster gerade regionale Konzentrationen darstellen. Zudem ist eine Beurteilung der Situation allein anhand der F&E-Ausgaben bedenklich, da dies wenig über die effi-
81
ziente Allokation der Mittel aussagt. Diese These unterstützt eine Untersuchung von Pascha und Philipsenburg (2002, 560), die zu dem Schluss kommen, dass trotz der hohen Investitionen in das nationale Innovationssystem Japans dieses nur noch begrenzt den heutigen Anforderungen gerecht wird. Vergleicht man in einem zweiten Schritt die Attraktivität verschiedener Standorte in Europa, so wird auch hier eine für Deutschland unvorteilhafte Situation dargestellt. In einer vom Marktforschungsinstitut "Empirica Deleasse" durchgeführten Studie wurde die Standortqualität europäischer Städte/Regionen anhand von über 240 Faktoren bewertet. Im Vergleich zu den Ergebnissen vor vier Jahren verschlechterte sich die Einschätzung fast aller deutschen Standorte, woraus die Autoren der Studie schlussfolgerten, dass Deutschland insgesamt an Innovationskraft verloren hat. Diese Untersuchung macht auch auf die weiterhin gravierenden Unterschiede zwischen den neuen und alten Bundesländern aufmerksam; die Lage der Wirtschaftsregionen in Ostdeutschland scheint sich im Vergleich zu den alten Bundesländern, aber auch zu den anderen europäischen Regionen in den letzten vier Jahren kaum verbessert zu haben. Das Land Thüringen befindet sich bei dieser Studie auf dem 163. Platz und damit hinter Berlin, Dresden, Chemnitz, Leipzig und Halle (vgl. Kamp, Losse und Spiller 2002, 20ff.; Spiller 2002, 25). Allerdings ist auch hier die Interpretation der Ergebnisse problematisch, da die Region „Thüringen“ zu undifferenziert betrachtet wurde. Zwar beinhaltet sie das Forschungsdreieck Jena-Ilmenau-Erfurt, jedoch ist die wirtschaftliche Entwicklung des Landes Thüringen eher heterogen. So gehen von dem Wirtschaftsstandort Jena (aber auch von den anderen sechs später noch angesprochenen Innovationsinseln Ostdeutschlands) momentan keine besonderen Impluse für das Umland aus, die umgebenden Standorte profitieren somit nicht von dem Wirtschaftswachstum Jenas (vgl. DIW 2002, 15). Insofern erscheint eine aggregierte Betrachtung der Wirtschaftsentwicklung in zu großen Einheiten als problematisch, da eine Durchschnittsbetrachtung die Wirtschaftsentwicklung einer Teileinheit nicht darstellen kann und ihre Besonderheiten nicht erkennbar sind. Diese Forschungslücke soll die folgende Studie schließen.
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4.5 Entwicklungsstand und Besonderheiten der Wirtschaftsregion Jena Die Stadt Jena gehört neben Leipzig, Dresden, Halle, Erfurt, Chemnitz und Berlin zu den sieben ostdeutschen Wachstumsregionen (vgl. DIW 2002, 15). Wie bereits erwähnt, sind von diesen Regionen derzeit noch keine besonderen Impulse auf das Umfeld ausgegangen. Es handelt sich um Wirtschaftsstandorte, deren Einfluss auf das Gebiet innerhalb der Stadtgrenzen beschränkt ist. Somit erscheint eine Konzentration auf Unternehmen in der Stadt angebracht. In der folgenden Untersuchung wurden deshalb nur Unternehmen befragt, die ihren Firmensitz innerhalb der Stadtgrenzen Jenas haben. Nach dem tiefgreifenden Strukturwandel der ostdeutschen Betriebe in Folge der politischen Wende konnten in den neuen Bundesländern vor allem die Unternehmen ein Produktionswachstum verzeichnen, die ohnehin schon auf überregionale Märkte ausgerichtet waren. Insofern weisen ostdeutsche Betriebe einen relativ hohen Anteil an Gütern auf, der an Kunden außerhalb der Wirtschaftsregion geliefert wird (vgl. DIW 2002, 16f.; Ragnitz 2002, 376). Dies gilt vor allem für komplexe Güter, die relativ wenig auf lokalen Märkten abgesetzt werden. So realisieren inzwischen ostdeutsche Hersteller mit den Firmen in den alten Bundesländern einen höheren Umsatz als mit Unternehmen aus den neuen Bundesländern. Für die Hersteller von Investitionsgütern spielt dagegen der Export eine besonders wichtige Rolle (vgl. DIW 2002, 17). Diese Besonderheit der Firmen in den neuen Bundesländern lässt sich auch in der Wirtschaftsregion Jena vermuten. Weiterhin waren die Wirtschaftszweige durch Kombinate zu DDR-Zeiten stark regional konzentriert. Diese regionale Verteilung der Branchen ist auch heute noch zu beobachten, da man nach der Wende versuchte, die großen Betriebe zu erhalten, damit sich um diese industriellen Kerne Netzwerke aus kleineren Unternehmen bilden können. Betrachtet man alle ostdeutschen Wirtschaftsstandorte, so wurde dieses Ziel in nur wenigen Regionen wie Jena, Chemnitz, Dresden, Zwickau und Eisenach erreicht. Hier entstehen nach Ansicht des DIW erste ostdeutsche Cluster (vgl. DIW 2002, 19f.).
83
Die starke Konzentration auf nur wenige Branchen innerhalb einer Region birgt allerdings auch immer eine starke Abhängigkeit von einem Wirtschaftsbereich. Dies erwies sich als besonderes Problem, da viele Monostrukturen der ehemaligen DDR nicht im Wettbewerb bestehen konnten (vgl. DIW 2002, 34), was zu Massenarbeitslosigkeit führte. Multisektorale Wirtschaftsgebiete sind gegen Wirtschaftsschwankungen unempfindlicher. Die Arbeitsproduktivität (der Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit einer Region) beträgt in Ostdeutschland ca. 70 % der alten Bundesländer. Hauptgrund dafür ist die Betriebsgrößenstruktur, die hier weit unter dem bundesdeutschen Durchschnitt liegt. Wegen der vorherrschenden kleineren Betriebe sind geringere Economies-of-Scale möglich, zudem erschwert dies aufgrund fehlender Ressourcen den Marktzugang und verringert die Innovationsfähigkeit. Letztendlich verfügen die Tochterunternehmen westdeutscher oder ausländischer Konzerne nur über wenig zentrale Unternehmens-, sondern eher über einfachere Funktionen. Allerdings ist auch hier eine branchenspezifische Sichtweise nötig, da einige Bereiche wie die Mess- und Regeltechnik eine höhere Produktivität im Vergleich zu der westdeutschen Konkurrenz erlangten (vgl. DIW 2002, 21f.). Tabelle 4.1: Anteil der F&E bezüglich Personal und finanziellen Ressourcen
1991 1993 1995 1997 1999
F&E Personal - Anteil an Beschäftigten in %) Neue BL Alte BL 1,58 3,67 2,38 3,82 3,05 4,00 3,46 4,24 2,97 4,37
Interne F&E Aufwendungen - Anteil am Umsatz in % Neue BL Alte BL 1,60 2,44 1,62 2,55 1,68 2,45 1,86 2,44 1,53 2,62
(Quelle: DIW 2000, 23)
Die F&E-Aktivitäten sind in den letzten Jahren in den neuen Bundesländern gestiegen. Dennoch zeigt Tabelle 4.1, dass insgesamt in Ostdeutschland weniger Personal und finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen als in den alten Bundes-
84
ländern. Dies ist wiederum durch die unterschiedlichen Betriebsgrößenstruktur begründet, d. h. der anteilmäßig größeren Zahl kleiner Unternehmen in Ostdeutschland (vgl. DIW 2002, 23). Rund 60 % der Unternehmen in den neuen Bundesländern betreiben F&E. Von diesen Firmen kooperieren 50 % mit externen Partnern (vgl. DIW 2002, 23). Handelt es sich bei der Wirtschaftsregion Jena um ein Innovationssystem, so ist zu erwarten, dass die F&E-Intensität sowie die Kooperationsdichte entsprechend höher als die ostdeutschen Mittelwerte sein müssen.
4.6 Unternehmensbefragung Im Rahmen der Untersuchung wurden 120 Unternehmen persönlich kontaktiert bzw. ihnen wurde ein Fragebogen zugeschickt. Insgesamt standen 58 ausgefüllte Fragebögen zur Verfügung, die für die weitere Untersuchung berücksichtigt werden konnten. Dies entspricht einer Rücklaufquote von fast 50 %. Die befragten Unternehmen stammen vor allem aus dem Bereich der Investitionsgüter sowie der Dienstleistungen. Es ergab sich folgende Verteilung: Tabelle 4.2: Verteilung der Stichprobe nach Güterbereichen Bereich
Anzahl der Unternehmen
Konsumgüter
Investitionsgüter
Dienstleistungen
über alle Bereiche gleich gewichtet
Keine Angabe
1
26
22
3
10
Aufgrund der geringen Anzahl an Unternehmen im Konsumgüterbereich und der Firmen, die über alle drei Bereiche gleich gewichtet sind, soll der Fokus im Folgenden vor allem auf den Herstellern von Investitionsgütern und Dienstleistungsanbietern liegen.
85
4.6.1
Unternehmen
Wie bereits oben beschrieben, sind in Jena vor allem viele kleine und einige wenige große Unternehmen angesiedelt. In der Stichprobe waren entsprechend viele kleine Unternehmen mit einer Angestelltenzahl von unter 10 Mitarbeitern zu finden. Insgesamt ergab sich folgende Verteilung. Tabelle 4.3: Mitarbeiterzahl der Unternehmen in der Stichprobe (50 Antworten) Mitarbeiterzahl 1-10
11 bis 25
26 bis 50
51 bis 75
76 bis 100
101 bis 500
mehr als 500
absolut
18
14
11
2
2
2
1
Prozent
36 %
28 %
22 %
4%
4%
4%
2%
kumuliert kum. Prozent
32
43
45
47
49
50
64 %
86 %
90 %
94 %
98 %
100 %
Es wird deutlich, dass es sich bei den in der Stichprobe befindlichen Firmen vor allem um Kleinst- und Kleinbetriebe handelt; so beschäftigen 86 % der befragten Unternehmen bis zu 50 Mitarbeiter, 36 % sogar 10 oder weniger. Die Stichprobe bekräftigt somit eine Untersuchung des DIW (2002, 19f.); demnach ist es der Region Jena gelungen, um die wenigen großen Betriebe viele kleinere Unternehmen anzusiedeln, was schon als erstes Indiz für die Entstehung eines Clusters gewertet werden könnte. Die Rolle von kleinen und mittelständischen Betrieben ist unbestritten, sie dienen als wichtige Zulieferer und wettbewerbliches Regulativ (vgl. Meiler 1999, 167). Zudem wurde in anderen Untersuchungen festgestellt, dass ein Zusammenhang zwischen Betriebsgröße und Entwicklungsdynamik besteht. Demnach sind Unternehmen mit einer Mitarbeiterzahl von unter 30 oftmals besonders dynamisch (vgl. Hilpert 2001, 7). In dieser Studie befinden sich 35 (bzw. 70 %) Unternehmen dieser Größe in der Stichprobe.
86
4.6.2
Selbstbild der Jenaer Unternehmen
Zunächst soll untersucht werden, wie sich die Jenaer Unternehmen selbst wahrnehmen. Selbstbild und Fremdbild von Unternehmen hängen eng zusammen, da die eigene Einschätzung immer im Bezug zu externen Referenzpunkten erfolgt, d. h. man kann davon ausgehen, dass die Unternehmen sich auch selbst über die Unternehmen aus anderen Regionen definieren und umgekehrt. Die Einschätzung, wie innovativ sich ein Unternehmen selbst einstuft, hängt also immer von dem entsprechenden Bezugsverhältnis (d. h. den Spannbreiten der Ausprägungen für das Merkmal „Innovativität“) ab. Die eigene Einschätzung kann somit als erster Anhaltspunkt zur Feststellung der Innovativität dienen. Zur Ermittlung des Selbstbildes wurden verschiedene Fragen genutzt. Zunächst sollte direkt auf einer Schulnotenskala von „1“ bis „6“ bewertet werden, wie innovativ der Antwortende das eigene Unternehmen einschätzt. Diese Schulnotenskala wird konsistent während des gesamten Fragebogens genutzt, wobei „1“ jeweils starke Zustimmung und „6“ starke Ablehnung bedeutet. Betrachtet man sämtliche befragten Unternehmen, so schätzen sich die Firmen selbst mit einem Mittelwert von „2“ ein. Insgesamt 16 Unternehmen sehen sich sogar als sehr innovativ (Abbildung 4.2).
Anzahl der Unternehmen
35 30 25 20 15 10 5 0 1
2
3
4
5
6
Abbildung 4.2: Selbsteinschätzung der Jenaer Unternehmen zur eigenen Innovativität
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Untersucht man die Stichprobe differenziert nach der Art der hergestellten Güter (Investitionsgüter bzw. Dienstleistungen), so ist festzustellen, dass sich die Unternehmen der Investitionsgüterbranche innovativer als die der Dienstleistungsbranche einschätzen. Dieser Unterschied ist auf einem Niveau von p < 0,01 signifikant. In einer weiteren Frage sollte die Wichtigkeit von Innovationen für das Unternehmen eingeschätzt werden. Als Durchschnitt über alle betrachteten Unternehmen ergibt sich ein hoher Mittelwert von 1,57. Unterschiede zwischen den einzelnen Güterbereichen sind hier allerdings nicht zu beobachten (Abbildung 4.3). 40
Anzahl der Unternehmen
35 30 25 20 15 10 5 0 1
2
3
4
5
6
Abbildung 4.3: Wichtigkeit von Innovationen (1: äußerst wichtig bis 6: völlig unwichtig) Zusammenfassend lässt sich schlussfolgern, dass unter den Jenaer Unternehmen ein „innovatives Klima“ herrscht. Die Werte zum Selbstbild der Unternehmen befinden sich fast ausnahmslos auf hohem Niveau. 4.6.3
Kooperationsintensität innerhalb der Jenaer Unternehmen
Der Kooperationsgrad innerhalb sämtlicher Teilnehmer eines Netzwerkes bestimmt die Wettbewerbsfähigkeit eines Clusters. Zunächst stellt sich die Frage, welche Einstellung die Jenaer Unternehmen generell gegenüber Kooperationen besitzen. Danach soll untersucht werden, wie oft diese Form der Zusammenarbeit
88
genutzt wird. Ein Vergleich dieses Wertes mit dem Mittelwert für Ostdeutschland erlaubt weitergehende Aussagen zur Kooperationsintensität. In einem ersten Schritt wurden die Unternehmen befragt, ob sie Kooperationen zwischen den Firmen als eine geeignete Möglichkeit erachten, um Zugang zu neuen Technologien zu bekommen. Es ergab sich ein hoher Wert von durchschnittlich 2,15, so dass man feststellen kann, dass die Jenaer Firmen eine positive Einstellung gegenüber der Kooperation mit anderen Unternehmen besitzen. Im nächsten Schritt soll deshalb überprüft werden, ob sich diese positive Grundhaltung in einer entsprechend hohen Kooperationsintensität innerhalb der Jenaer Unternehmen manifestiert. Zunächst soll jedoch untersucht werden, wie viele Unternehmen überhaupt F&E Maßnahmen durchführen. Indikator dafür ist die Anzahl der F&E-Mitarbeiter in den Unternehmen, die mindestens „1“ betragen sollte. Als Ergebnis ist erkennbar, dass immerhin 86 % der befragten Unternehmen im Bereich F&E aktiv sind. Differenziert man nach Gütern, so stellt man fest, dass alle (100 %) Unternehmen des Investitionsgüterbereiches Mitarbeiter im F&E-Bereich haben. Somit kann man zunächst vermuten, dass die Region Jena damit weit über dem ostdeutschen Mittelwert von 60 % liegt (vgl. DIW 2002, 23) und somit ein höheres Innovationspotenzial aufweist. Einschränkend ist allerdings anzumerken, dass zu diesem Vergleichswert des DIW keine Operationalisierung vorliegt, so dass die Ergebnisse lediglich als Trendaussage zu verstehen sind. Im Folgenden soll die Kooperationsintensität innerhalb der Jenaer Unternehmen anhand des Indikators „Mitgliedschaft in einer freiwilligen Interessengemeinschaft“ untersucht werden. Dieses Item umfasst die Bereiche der F&E-Kooperation durch Erfahrungsaustausch und persönliche Kontakte, die gemeinsame Nutzung von Know-how bei der Distribution und gemeinsame Messeauftritte. Insgesamt beteiligen sich 44 % der Unternehmen an mindestens einer dieser Kooperationsform. Betrachtet man die Werte der Investitionsgüterhersteller, so kann man hier eine höhere Rate von 56 % bzw. 29 % für den Dienstleistungsbereich beobachten. Dieses Ergebnis könnte unter anderem darauf hindeuten, dass der Investi-
89
tionsgüterbereich aufgrund seiner historisch gewachsenen Entwicklung besser organisiert ist und es deshalb mehr Vertretungen gibt. Im Vergleich zum Mittelwert aller ostdeutschen Unternehmen, hier kooperieren lediglich 50 % miteinander (vgl. DIW 2002, 23), zeigt sich, dass die Kooperationsintensität in der Wirtschaftsregion Jena, zumindest im Bereich der Investitionsgüter, über dem Durchschnitt liegt. Wiederum muss einschränkend festgestellt werden, dass die Operationalisierung der „Kooperationsintensität“ des DIW nicht bekannt ist. Wie bereits beschrieben, befanden sich in der Stichprobe vor allem kleinere Unternehmen. Aufgrund möglicherweise fehlender Ressourcen leidet die Innovationsfähigkeit, der Zugang zu weiteren Märkten ist erschwert und es stehen weniger Mittel für die Kommunikationspolitik z. B. für Messeauftritte zur Verfügung. Es bietet sich deshalb an, die Art der tatsächlich genutzten Kooperationsform zu untersuchen. Der gemeinsame Messeauftritt sowie die Zusammenarbeit bei der Vermarktung spielen aus aggregierter Sicht für die Jenaer Firmen keine besondere Bedeutung, auf einer Skala von „1“ (äußerst wichtig) bis „6“ (völlig unwichtig) ergaben sich Mittelwerte von über 3,8 (gemeinsamer Messestand) und 3,2 (gemeinsame Vermarktung). Unterscheidet man jedoch nach Gütergruppen, so erkennt man zumindest bei der Distribution unterschiedliche Ergebnisse. Demnach bewerten Investitionsgüterhersteller eine Zusammenarbeit bei der Vermarktung von Gütern wichtiger (Mittelwert von 2,73) als Dienstleistungsanbieter (4,33). Dieser Unterschied ist auf einem Niveau von p < 0,01 signifikant. Betrachtet man die Bedeutung persönlicher Kontakte für den Erfahrungsaustausch, so ergibt sich insgesamt ein hoher Mittelwert von 1,8. Überraschenderweise beurteilen Dienstleistungsanbieter (1,4) diesen Faktor im Vergleich zu den Investitionsgüterherstellern (2,0) als bedeutsamer; die Unterschiede sind allerdings statistisch nicht signifikant. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Erfahrungsaustausch zwischen den Unternehmen eine wichtige Rolle spielt, was als weiterer Anhaltspunkt für das Bestehen eines regionalen Innovationssystems gewertet werden kann.
90
4.6.4
Verwandte und unterstützende Industrien
Untersucht man die Branche der befragten Unternehmen, so wird deutlich, dass historisch bedingt der Anteil der Firmen aus dem Bereich der Feinmechanik/Optik/Optoelektronik/Lasertechnik zwar am größten ist, jedoch kein Wirtschaftszweig eine eindeutig dominierende Stellung einnimmt (Abbildung 4.4).
Abbildung 4.4: Brancheneinordnung der befragten Unternehmen Um die großen Unternehmen Jenas hat sich somit eine heterogene Branchenstruktur gebildet, die aber eine Struktur aufweist, die der eines Innovationssystems entspricht. So waren die Bereiche der Elektrotechnik sowie der Optik schon zu DDRZeiten stark mit der Medizin- und Messtechnik verbunden. Die Medizintechnik ist auf der anderen Seite wiederum für die Biotechnologie bedeutsam. Ähnliche Beziehungen lassen sich zwischen Softwareentwicklung und der IT-Branche postulieren. Weitere Zusammenhänge zwischen den einzelnen Unternehmen sind denkbar, die im Rahmen dieser Studie allerdings nicht weiter untersucht wurden. Bemerkenswert ist weiterhin, dass Jena der einzige BioRegio Standort in Ostdeutschland ist (vgl. Hilpert 2001, 10f.).
91
Ein trans-sektoraler Charakter von Clustern kann sich aufgrund ihrer komplementären Wirkung positiv auf die Entwicklung von Netzwerken auswirken, dies ist nach Untersuchungen von Hilpert (2001, 37), vor allem bei Unternehmen im Bereich der Medizin-, Mess- und Regeltechnik der Fall, die in der Wirtschaftsregion Jena vorkommen. Letztendlich wird deutlich, dass die aufgeführten Wirtschaftsbereiche in ihrer Tendenz vor allem den wissensintensiven Branchen zugeordnet werden können, so dass man vermuten könnte, dass die Bedeutung der regionalen Forschungseinrichtungen hoch ist. Wissensintensive Bereiche begünstigen die Entwicklung von Innovationssystemen (vgl. Porter 1998b, 197). 4.6.5
Nachfragebedingungen
Betrachtet man die Nachfragebedingungen als weiteren Einflussfaktor in Porters Diamanten, so bietet es sich an, die lokalen Pilotkunden als einen Indikator zu verwenden. Insgesamt arbeiten 62 % aller befragten Unternehmen mit Pilotkunden zusammen, bei einer genaueren Betrachtung der Gütergruppen ergeben sich keine Unterschiede zwischen beiden Bereichen. Interessanter zur Beurteilung des regionalen Innovationssystems ist allerdings die Prozentzahl der lokalen Pilotkunden. Es zeigt sich, dass insgesamt 51 % der Pilotkunden aus der Region Jena und 37 % aus Deutschland kommen, weitere 11 % sind weltweit verteilt (Tabelle 4.4). Tabelle 4.4: Räumliche Verteilung der Pilotkunden Jenaer Unternehmen
Region Jena Deutschland weltweit
Gesamt
Investitionsgüter (n = 12)
Dienstleistungen (n = 15)
51,4 % 37,4 % 11,4 %
50 % 25 % 25 %
53,3 % 40,0 % 6,7 %
Insgesamt kann man erkennen, dass zumindest die Hälfte der Pilotkunden aus der Wirtschaftsregion Jena stammen, die räumliche Nähe dieser Zielgruppe ermöglicht einen regen Informationsaustausch und bewirkt somit eine Beschleunigung
92
des Innovationsprozesses (vgl. Porter 1998a, 176). Allerdings wird auch deutlich, dass die Firmen nicht nur regional, sondern auch national und international in Netzwerke eingebunden sind. Innovationssysteme sind keine in sich geschlossenen regionalen Kreisläufe. Um die Wettbewerbsfähigkeit des Clusters zu erhalten, ist es deshalb notwendig auch außerhalb des Netzwerkes gezielt nach Partnern zu suchen (vgl. Hilpert 2001, 24). 4.6.6
Faktorbedingungen
Die Infrastruktur wird derzeit in allen ostdeutschen Regionen als ein bedeutender Grund für die nur schleppende Angleichung der Wirtschaftsentwicklung zwischen den neuen und alten Bundesländern gesehen. Zwar hat sich die Lage inzwischen schon erheblich verbessert, es wird aber derzeit noch ein Nachholbedarf im Wert von 80 Mrd. Euro prognostiziert (vgl. DIW 2002, 27f.). Im Rahmen des Solidarpaktes II soll vor allem die Verkehrsinfrastruktur über die nächsten 20 Jahre verbessert werden, ein Zeitraum, der von vielen als zu lang angesehen wird (vgl. DIW 2002, 48). Die Basisfaktorausstattung muss somit in allen Regionen Ostdeutschlands noch erheblich verbessert werden. Neben diesen allgemeinen Faktoren beeinflussen hoch spezialisierte Inputfaktoren wie das regionale Humankapital und die vorhandenen Forschungseinrichtungen die Wettbewerbsfähigkeit eines Clusters. Der Erfolg von Unternehmen wird wesentlich durch die Qualifikation seiner Mitarbeiter beeinflusst. Das Humankapital spielt somit für die Produktivität von Unternehmen eine entscheidende Rolle (vgl. Hilpert, 2001, 1). In der Region Jena war bisher vor allem ein arbeitskräftefreies Wachstum zu beobachten, d. h. durch kapitalintensive Investitionen konnten zwar die Produktivität gesteigert, aber kaum Beschäftigungseffekte erzielt werden (vgl. DIW 2002, 13). Weite Teile des Arbeitsmarktes in Thüringen entwickelten sich in den letzten Jahren relativ gut. Ein Grund ist in den Arbeitskosten zu sehen, die inzwischen ein Standortvorteil für die ostdeutschen Wirtschaftsregionen darstellen (vgl. DIW 2002, 49). Insbesondere Jena kann trotz der oben schon angesprochenen Rationalisierungsmaßnahmen auf eine relativ niedrige Arbeitslosenquote in Höhe von 15 % verweisen und befindet sich damit auf dem fünften Platz unter den ostdeutschen Regionen
93
(vgl. DIW 2002, 37). Aufgrund der historischen Entwicklung hat Jena eine relativ gute Basis an ausgebildeten Arbeitskräften. Forschungsinstitute zählen zu den bedeutenden clusterspezifischen Ressourcen (vgl. Porter 1998b, 211) und sind deshalb für den Erfolg von Innovationssystemen mitentscheidend. In dieser Untersuchung schätzten die befragten Unternehmen Kooperationen mit Forschungseinrichtungen (auf der oben beschriebenen Skala) im Mittel mit 2,21 ein. Somit erscheint eine Zusammenarbeit mit Instituten und der Universität eine geeignete Möglichkeit, um an neues Know-how zu gelangen. Auffällig ist, dass die Bedeutung von wissenschaftlichen Einrichtungen sowohl bei Investitionsgütern als auch im Dienstleistungsbereich ähnliche Werte aufweist und ihre Bedeutung keineswegs geringer als bei Unternehmenskooperationen eingeschätzt wird. Dies widerspricht der Untersuchung von Rosenfeld (2002, 474), der den Forschungseinrichtungen in Ostdeutschland eine eher untergeordnete Rolle zuspricht. Einschränkend zu seinen Erkenntnissen ist allerdings anzumerken, dass Rosenfeld lediglich die Einnahmen an Drittmitteln von Universitäten als Indikator nutzte, in Jena allerdings zahlreiche weitere Forschungseinrichtungen tätig sind (vgl. Ludl, 2003, 247). In einer weiteren Frage wurde erfasst, ob die Unternehmen die Möglichkeit der Kooperation mit Unternehmen und Instituten für sinnvoll erachten, oder lediglich eine von beiden Varianten bevorzugen. Durch Mittelwerte um „3“ wird deutlich, dass sich die Jenaer Firmen nicht auf eine der beiden Arten konzentrieren, sondern beide Möglichkeiten in Betracht ziehen. Dies entspricht dem Netzwerkgedanken Porters, dass sämtliche Teilnehmer des Innovationssystems miteinander zusammenarbeiten (vgl. Porter 1998b, 209). Insgesamt kooperieren immerhin 72 % der befragten Unternehmen mit einer Forschungseinrichtung aus der Region Jena, lediglich 28 % führen keine Kooperationen mit wissenschaftlichen Instituten durch. Unter den Unternehmen, die Investitionsgüter herstellen, kooperieren sogar 88 % mit Forschungseinrichtungen. Bei den Unternehmen der Dienstleistungsbranche ergibt sich eine Kooperationsrate von 55 %.
94
4.7 Zusammenfassung und Ausblick Die Jenaer Unternehmen sind bezüglich der Mitarbeiterzahl durch eine heterogene Unternehmensstruktur gekennzeichnet. Um wenige große Betriebe haben sich viele kleine innovative Unternehmen angesiedelt. Es dominieren Hersteller von Investitionsgütern und Anbieter von Dienstleistungen. Alle Elemente aus Porters Diamanten-Modell (Faktorbedingungen, Nachfragebedingungen, Unternehmensstrategie bezüglich Kooperationen sowie verwandte und unterstützende Industrien) weisen, zumindest für den Investitionsgüterbereich, auf das Vorhandensein eines Innovationssystems „Jena“ hin. Aber auch die Anbieter von Dienstleistungen sind in ein enges Netzwerk eingebunden. Zusammenfassend kann somit festgestellt werden, dass es sich bei der Region Jena um ein Innovationssystem handelt. Besonders bemerkenswert ist das innovative Klima und die überragende Bedeutung der Forschungseinrichtungen. Gerade sie haben vermutlich einen großen Einfluss auf die Innovationskraft und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Region. Um auch zukünftig auf globalen Märkten erfolgreich zu sein und die Zukunft des Standorts Jena zu sichern, sollte demnach ein Hauptaugenmerk auf der weiteren Förderung der Universität und der anderen Institute liegen. Einen entscheidenden Einfluss auf die weitere Entwicklung haben somit vor allem das Land und der Bund, da sie die Bildungseinrichtungen bzw. Forschungsinstitute finanzieren. Kürzungen in diesem Bereich könnten somit die Wettbewerbsfähigkeit des Innovationssystems Jena langfristig gefährden.
4.8 Referenzen Birkelbach, J. (2002): An die Geldtöpfe - Gründungskapital für High-TechPioniere, in: c't, Nr. 18, S. 90-91. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Berlin; Institut für Weltwirtschaft Kiel (2002): Fortschritte beim Aufbau Ost: Fortschrittsbericht wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsinstitute über die wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland - Kurzfassung, 8.2002, 7/8, Inst. für Wirtschaftsforschung, Halle.
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Helm, R. (2001): Planung und Vermarktung von Innovationen - Die Präferenz von Konsumenten für verschiedene Innovationsumfänge unter Berücksichtigung des optimalen Stimulationsniveaus und marktbezogener Einflussfaktoren, Stuttgart. Hilpert, U.; Bastian, D. (2001): Innovationsinseln und Standortdifferenzierung in Ostdeutschland - zur Rolle der Politik für fortgeschrittene Wirtschaftsentwicklung und zukunftsweisende Beschäftigung, Forschungsbericht September 2001, Stiftung für Industrieforschung. Hilpert, U. (2001): Standort, Unternehmenskonzept und Netzwerkbildung, Bedingungen unterschiedlicher Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung und ihre regionalen Auswirkungen - Ein Vergleich zentraler Standorte und peripherer Regionen in Ostdeutschland, Arbeitsheft Nr. 19, Otto-BrennerStiftung. Kamp, M.; Losse, B.; Spiller, R. (2002): Stockholm, Utrecht, München ... Europas Städte im Vergleich, in: Wirtschaftswoche, Nr. 33, S. 18-24. Ludl, M. (2003): Das Innovationssystem Jena aus Sicht der Landes- und Kommunalpolitik, in: Cantner, U., Helm, R. und Meckl, R. (Hrsg.), Strukturen und Strategien in einem Innovationssystem - Das Innovationssystem Jena, S. 247267 Lundvall, B.-Å. (1995): National systems of innovation: towards a theory of innovation and interactive learning, London. Meiler, C. R. (1999): Die Rolle kleiner und mittlerer Unternehmen in der neuen wirtschaftspolitischen Diskussion, in: Meiler, C. R. (Hrsg.): Mittelstand und Betriebswirtschaft: Beiträge aus Wissenschaft und Praxis, Wiesbaden, S. 165-181. Organisation for Economic Cooperation and Development (1999): Managing national innovation systems, OECD, Paris. o.V. (2002): Bei der Forschung ist Deutschland Mittelmaß, http://www.handelsblatt.com, Abfragedatum 29.10.2002. Pascha, W.; Philipsenburg, G. (2002): Japans nationales Innovationssystem im Wandel, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 31. Jg., S. 560-566. Porter, M. E. (1990): The competitive advantage of nations, London.
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Porter, M. E. (1998): The Competitive Advantage of Nations, in: Porter, M. E. (ed.): On Competition, Boston, pp. 155-195. Porter, M. E. (1998): Clusters and Competition: New Agendas for Companies, Governments, and Institutions, in: Porter, M. E. (ed.): On Competition, Boston. Ragnitz, J. (2002): Aktuelle Trends - Ausgeprägte technologische Spezialisierung in Ostdeutschland, Institut für Wirtschaftsforschung, Halle, S. 370-391. Rosenfeld, M. T. W.; Kawka, R. (2002): Wie groß ist das wirtschaftliche Gefälle zwischen den Regionen in Ostdeutschland?, Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 31. Jg., S. 473-475. Spiller, R. (2002): Aufsteiger und Absteiger, Wirtschaftswoche, Nr. 33, S. 25.
5 Standortfaktoren und Gründungsaktivitäten in Jena Dirk Fornahl und Holger Graf
5.1 Einleitung Die Gründungsintensitäten zwischen verschiedenen Regionen oder Lokalitäten unterscheiden sich stark voneinander. So sind in einigen Regionen starke Gründungsaktivitäten zu beobachten, wohingegen andere deutlich geringere Gründungsraten zeigen (vgl. Longhi 1999; Fritsch und Niese 1999; Reynolds, Miller und Maki 1995; Bade und Nerlinger 2000; Berger und Nerlinger 1997). Mit der empirischen Erfassung und der theoretischen Erklärung dieses Phänomens sind Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftsgeografen bereits seit über 150 Jahren beschäftigt (vgl. z. B. für eine Übersicht Schätzl 1993; für neuere Analysen z. B. Reynolds 1994 oder Braunerhjelm und Carlsson 1999). Die empirischen Untersuchungen zum Phänomen der Gründungsaktivitäten lassen sich dabei in zwei unterschiedliche Gruppen unterteilen: In der ersten Gruppe werden die regionalen Gründungsunterschiede durch die Identifikation wichtiger ökonomischer und regionaler Variablen herausgearbeitet. Die zweite Gruppe konzentriert sich auf die Person des Gründers. Es wird versucht, individuelle Eigenschaften der Person oder bestimmte Rahmenbedingungen im Umfeld der Person zu identifizieren und somit die Gründer von Nicht-Gründern zu unterscheiden. Zur Erklärung verschiedener Gründungsaktivitäten wird eine Vielzahl von Variablen herangezogen: Variierende Nachfrageentwicklungen (gemessen in Wachstumsraten von Bevölkerung oder Bruttosozialprodukt) haben tendenziell einen positiven Einfluss (vgl. Reynolds 1994; Bade und Nerlinger 2000). Agglomerationsund Infrastruktureffekte, die die Bevölkerungsdichte, die Nähe zu Autobahnen oder Zügen oder die Existenz von Universitäten oder Technologiezentren berücksichtigen, wirken ebenfalls in den meisten Fällen positiv (vgl. Berger und Nerlin-
98
ger 1997; Engel und Fier 2000; Spilling 1996). Ebenso hat der lokale Arbeitsmarkt, das verfügbare Haushaltsvermögen und die lokale Industriestruktur Einfluss auf die lokalen Existenzgründungen (vgl. Audretsch und Fritsch 1994). Eine theoretische Erklärung und eine darauf basierende politische Förderung solcher Gründungsaktivitäten ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil neue Firmen einerseits in vielen Fällen die regionale ökonomische Entwicklung positiv beeinflussen (z. B. Audretsch und Thurik 2000; Bednarzik 2000) und andererseits die Gründungen einen wichtigen Einfluss bei der Bildung und Veränderung sogenannter branchenspezifischer industrieller Cluster und regionaler Innovationssysteme besitzen (vgl. Feldman und Franics 2001; Saxenian 1994; Fornahl und Menzel 2002). In Bezug auf individuelle Faktoren wird ein positiver Einfluss auf die Gründungsneigung für die Höhe des Humankapitals oder spezifische Fähigkeiten festgestellt (vgl. Almus und Nerlinger 1999; Pfeiffer 1999; Shane 2000). Weiterhin haben Männer eine höhere Gründungswahrscheinlichkeit (vgl. Sternberg 2000; vanPraag 1996). Die Rahmenbedingungen beinhalten Faktoren wie persönliche Netzwerke oder generell das Umfeld der Person. Dabei wurde festgestellt, dass neben Netzwerken, die vor allem bei technologieorientierten Gründungen einen positiven Einfluss haben (vgl. Johannisson 1998; Almus und Nerlinger 1998), auch das soziale und regionale Umfeld einen Einfluss hat (vgl. vanPraag 2000; Kriegesmann 1999). Somit ist festzustellen, dass auf Grund des sozialen und regionalen Umfeldes Unterschiede in den Gründungsaktivitäten auftreten können. Weiterhin kann eine indirekte Wirkung eintreten, wenn Personen mit dem entsprechenden Humankapital oder den entsprechenden sonstigen persönlichen Eigenschaften in bestimmte Regionen gezogen werden oder sich diese Faktoren speziell in bestimmten Regionen herausbilden. In diesem Papier versuchen wir auf Basis von quantitativen Erhebungen im Rahmen einer Fallstudie Erkenntnisse über die Standortentscheidung von Unternehmen im Gründungsprozess zu gewinnen. Wir fokussieren unsere Untersuchung auf die Frage, wodurch die Entscheidung für einen bestimmten Standort der Unternehmensgründung beeinflusst wird. Die Standortfrage steht im Fokus, da immer
99
wieder über die Entscheidung von (in den meisten Fällen großen) Unternehmen berichtet wird, die ihre Produktionsstätten gezielt an bestimmte Orte verlegen oder solche Produktionsstätten dort neu gründen. Bei solchen expliziten Standortentscheidungen wird eine Vielzahl von Faktoren, von staatlicher Förderung und Subventionen bis zum Arbeitskräftepool und dem Image der Stadt, geprüft und bewusst gegeneinander abgewogen. Wir gehen in diesem Papier aber davon aus, dass es insbesondere Neugründungen an Ressourcen und Informationen fehlt, um sämtliche potenzielle Standorte nach einem solchen Schema zu prüfen. Vielmehr scheinen diese Restriktionen zu einer simplen Heuristik zu führen, die den aktuellen Standort der Gründer zur ersten Wahl werden lässt, falls einige Grundbedingungen als erfüllt angesehen werden. Die Entscheidung eine solche Heuristik anzuwenden, wird durch die große Relevanz persönlicher Aspekte der Unternehmensgründer, wie einem persönlichen Netzwerk, begründet. Aus diesen Überlegungen ergeben sich zwei weitere Fragen: 1) fällt eine explizite und objektiv nachvollziehbare Standortentscheidung und welche Faktoren beeinflussen, ob eine solche Entscheidung gefällt wird, und 2) welche Faktoren sind relevant für die Entscheidung für einen Standort? Entsprechend dieser Leitfragen ist auch dieser Beitrag aufgebaut. In Abschnitt 2 geben wir einen Überblick über den theoretischen Zusammenhang zwischen Standortfaktoren und regionalen Gründungsunterschieden. Insbesondere vergleichen wir die Aussagen der Theorien zu lokalen Innovationssystemen und regionalen Clustern mit denen klassischer Standorttheorien. Die Ergebnisse unserer quantitativen Studie stellen wir in Abschnitt 3 vor. Dabei werden die lokale Gebundenheit von Gründungen, die Faktoren, welche beeinflussen, dass eine Standortentscheidung getroffen wird, und die Standortfaktoren selbst untersucht. Abschnitt 4 fasst die Arbeit zusammen und gibt einen Ausblick.
5.2 Innovationssysteme und Standortentscheidung Aus der Literatur kennt man verschiedene Erklärungsansätze, um die unterschiedliche regionale Verteilung von Gründungsaktivitäten und ökonomischen Aktivitäten im Allgemeinen zu erklären. Im Folgenden soll nur auf zwei dieser Ansätze
100
eingegangen werden, den Theorien zu regionalen Clustern und Innovationssystemen sowie den Theorien zur Standortentscheidung. Eine solche Unterteilung erscheint sinnvoll, da der erste Ansatz speziell auf die regionalen, technologischen und institutionellen Rahmenbedingungen abstellt, durch welche ökonomische Erfolge begründet werden können, ohne dass die Akteure notwendigerweise eine gezielte Ansiedlungsentscheidung fällen. Dahingegen impliziert der zweite Ansatz eine eher bewusste Entscheidung der Firmen auf Basis relevanter Standortfaktoren. Trotz dieser Unterschiede weisen die beiden Ansätze eine Reihe von Überschneidungen auf, wobei vor allem die regionalen Bestimmungsfaktoren und Unterschiede in identischer oder sehr ähnlicher Weise in die Analyse einfließen. Diese mangelnde Trennschärfe spiegelt sich insbesondere in eher empirisch orientierten Ansätzen wider, bei denen die reine Theorie in den Hintergrund tritt zugunsten einer Überprüfung der regionalen Bestimmungsfaktoren anhand verschiedener Variablen. 5.2.1
Cluster und Innovationssysteme
Den Ansätzen zu regionalen Innovationssystemen (vgl. z. B. Cantner und Graf 2003) oder regionalen Clustern (vgl. z. B. Brenner 2001) ist gemein, dass lokale Akteure direkt, z. B. durch Kooperationsverträge oder indirekt, z. B. durch informelle Kontakte auf Mitarbeiterebene, mit anderen Firmen oder Organisationen der jeweiligen Region verbunden sind oder anderweitig von ihnen profitieren. Die Faktoren, mit denen die Bildung von Clustern und deren Erfolg erklärt werden, reichen von Wissensspillovern (vgl. Jaffe, Trajtenberg und Henderson 1993) über das Vorhandensein von Forschungsinstituten und Universitäten (vgl. Garnsey 1998) bis zu Venture Capital (vgl. Florida und Kenney 1988) oder einer regionalen unternehmerischen Einstellung (Feldman 2001; Fumugalli und Mussati 1993) (für einen Überblick siehe Brenner 2000). In vielen Fallstudien zu regionalen Clustern und Innovationssystemen konnte als wichtiger Faktor für deren Entstehung und Entwicklung eine große Anzahl von Firmengründungen identifiziert werden (vgl. Brenner und Fornahl 2002). Somit scheint ein starker Einfluss von Firmengründungen auf Clusterentstehung und -entwicklung zu bestehen. Allerdings ist diese Beziehung wohl wechselseitig, denn es werden viele (speziell tech-
101
nologieorientierte) Firmen in regionalen Clustern gegründet, d. h. auch der regionale Cluster selbst scheint wiederum einen Einfluss auf die Firmengründungen zu haben (vgl. Cooper und Folta 2000). Bisher gibt es nur wenige Analysen, welche die wechselseitige Beziehung zwischen Unternehmensgründungen und regionalen Clustern und Innovationssystemen systematisch untersuchen (vgl. Fornahl und Menzel 2002). In den meisten Fällen wird auf die Wirkung von Clustern auf die Firmengründungen eingegangen und die Entstehung des Clusters somit ausgeklammert. Neben den bereits oben angeführten Faktoren zur Clusterentstehung soll hier auf einige Faktoren eingegangen werden, die Unternehmensgründungen unterstützen bzw. beeinflussen (die Ausführungen beruhen auf Fornahl und Menzel 2002 sowie Cooper und Folta 2000). Zum Ersten ist in Clustern spezialisiertes Humankapital verfügbar und die Suche danach gestaltet sich über die Nutzung enger sozialer Netzwerke relativ einfach (siehe auch Granovetter 1995). Vor allen Dingen junge Firmen nutzen diese Möglichkeit der Rekrutierung. Zum Zweiten stellt ein Cluster oftmals weitere spezifische Inputs wie technische Geräte und Infrastruktureinrichtungen zur Verfügung, die ebenfalls durch die bestehenden Netzwerke einfacher zu nutzen sind. Junge Firmen haben oft nicht ausreichende finanzielle Mittel, um anderweitig an diese Inputs zu gelangen und die entsprechenden Einrichtungen zu nutzen. Drittens können Finanzmittel durch regionale Business Angels oder durch Venture Capital Firmen bereitgestellt werden. Viertens, sind die Kunden ebenfalls in der Region ansässig, so dass geringere Such- und Marketingkosten anfallen und es zu Rückkopplungen zwischen Herstellern und Konsumenten kommen kann, was die Qualität des Produkts erhöht (vgl. Porter 1990; Lissoni und Pagani 2003). Fünftens sind lokale Wissensspillover möglich, die insbesondere durch die soziale und technologische Nähe innerhalb der regionalen Cluster die Innovationskraft erhöhen (siehe Cantner und Graf in diesem Band). Trotz dieser regionalen Erfolgsfaktoren gibt es auch Nachteile der Gründung in einem regionalen Cluster, da beispielsweise höhere Kosten für Mitarbeiter, Geschäfts- und Wohnräume anfallen, die Infrastruktur überlastet ist oder ungewollt Wissen an andere Firmen weitergeleitet wird.
102
5.2.2
Theorien zur Standortwahl
Neben diesen Überlegungen zu regionalen Clustern und Innovationssystemen, bei denen jeweils Faktoren identifiziert werden, die zur Bildung eines Clusters oder zu dessen Erfolg führen, fokussieren Theorien zur unternehmerischen Standortwahl und zu Standortentscheidungen auf die Festlegung einer „optimalen“ Lokalisation eines Unternehmens. Standortentscheidungen beruhen auf einer Bewertung alternativer Standorte anhand von Standortfaktoren. Schätzl (1993) unterscheidet dabei grob nach Faktoren der Leistungserstellung, der Leistungsverwertung, Agglomerationsfaktoren und der Infrastruktur. Zu den Faktoren der Leistungserstellung zählen die Quantität und Qualität der zur Verfügung stehenden Inputfaktoren (z. B. Rohstoffe, Arbeitskräfte) sowie die damit verbunden Kosten inkl. der Transportkosten. Bei der Leistungsverwertung spielen primär die Entfernung zu den anvisierten Märkten und die damit verbundenen (Transport-)Kosten eine wichtige Rolle. Agglomerationsfaktoren, die auf die regionale Konzentration von Firmen, Beschäftigten oder Kunden abstellen, sind bereits oben bei den regionalen Clustern angesprochen worden. Die hier relevanten Faktoren können sowohl positiv (z. B. auf Grund eines großen Arbeitskräftepools oder Absatzmarktes) als auch negativ (z. B. auf Grund von hohen Kosten für Produktionsfaktoren) auf die Standortwahl wirken. Die materielle, institutionelle und personelle Infrastruktur von Regionen hat letztendlich ebenfalls einen wichtigen Einfluss auf die Standortentscheidung. Den Ansätzen zu Standortwahl zufolge wird auf Basis dieser Faktoren eine objektive, rationale Entscheidung für einen Standort gefällt. Problematisch zu sehen ist sicherlich, dass die angesprochenen Faktoren teilweise schwer oder gar nicht zu quantifizieren sind. Trotz dieser Problematik wird grundsätzlich angenommen, dass die angesprochenen Faktoren einen Einfluss auf die Gründungs- und Standortentscheidung haben, und dies wird auch durch die empirischen Studien gestützt. Es ergeben sich dabei aber zwei Fragen: 1) Treffen ökonomische Akteure wirklich im obigen Sinne rational kalkulierte Entscheidungen in Bezug auf die konkrete Standortentscheidung? 2) Auf welche direkt gründungsbezogenen Aspekte oder Phasen wirken diese Standortfaktoren genau ein? D. h. wirkt z. B. eine Universität auf die Attrahierung des Gründerpotenzials, auf die Wahrscheinlichkeit eine Ge-
103
schäftsidee zu entdecken, auf die endgültige Gründungsentscheidung, die Standortentscheidung oder auf einen möglichen Erfolg des Unternehmens? Wie Cooper und Folta (2000) feststellen, wird in einem Großteil der Literatur davon ausgegangen, dass Firmen extrem mobil sind, sie explizit unterschiedliche Standortalternativen berücksichtigen und die Entscheidung letztendlich auf Grund ökonomischer Variablen erfolgt. Wie oben bereits angeführt wurde, scheint ein solches Verhalten eher für größere Firmen als für Neugründungen zuzutreffen. Viele Gründer hingegen starten ihre Firma in der Umgebung ihres Arbeitsplatzes oder ihrer Wohnung, weil sie beispielsweise ihre alten Netzwerke nutzen können (vgl. Cooper und Folta 2000). Weiterhin wird die Standortwahl durch subjektive Wertvorstellungen und die Wahrnehmung der Akteure mitbeeinflusst, die sowohl auf die Auswahl als auch die Bewertung der Standortfaktoren wirken. 5.2.3
Alternative Erklärungsansätze
Diese Beobachtung deckt sich mit dem verhaltenswissenschaftlichen Ansatz von Pred (1967). Er geht davon aus, dass Entscheidungen von der Quantität und der Qualität der wahrgenommenen Information des Entscheidungsträgers sowie der Fähigkeit, mit diesen Informationen umzugehen, abhängt. So ist es gerade für neugegründete Unternehmen schwierig, entsprechend umfassend an alle, für eine optimale Standortentscheidung notwendigen Informationen zu gelangen und sie angemessen zu bewerten. Eine Standortentscheidung ist (falls sie dann überhaupt stattfindet) somit durch große Unsicherheiten gekennzeichnet. Die Gründer werden die meisten Informationen über ihren Wohn- und Arbeitsort oder andere Orte, mit denen sie persönliche Erfahrungen gemacht haben, besitzen. Da das Sammeln von weiteren Informationen Zeit und Geld kostet, kann es sein, dass sie den Suchraum für Standorte (stark) einschränken. Dies kann sogar soweit gehen, dass sie gar nicht nach alternativen Standorten suchen und diese bewerten, sondern vor Ort bleiben, wenn dort zumindest zufriedenstellende Rahmenbedingungen vorhanden sind. Im Laufe der Zeit ist es aber wahrscheinlich, dass Firmen mehr und bessere Informationen erhalten und diese bewerten können, so dass es auf längere Sicht möglich ist, dass diese Firmen ihren Standort wechseln (vgl. Schätzl 1993).
104
5.2.4
Zusammenfassung
Wir bezweifeln nicht, dass Großunternehmen vor dem Bau neuer Produktionsstätten, aber neuerdings auch Forschungs- und Entwicklungseinheiten, sehr genau prüfen, wo sie sich ansiedeln. Bei neu zu gründenden Unternehmen sind jedoch andere Faktoren entscheidend für die Wahl des Standorts. Aus den bisherigen Ausführungen schließen wir, dass die Mehrheit der Unternehmen dort gegründet wird, wo die Gründer zum Zeitpunkt der Gründungsentscheidung bereits ihren Lebensmittelpunkt haben. Gründe hierfür sind die hohen Suchkosten, aber auch die Kosten die anfallen, um neue Kontakte aufzubauen, während das bestehende Netzwerk weniger stark und effizient genutzt werden kann. Diese lokale Gebundenheit von Gründungen ist generell zu beobachten, egal wo der jeweilige Ort liegt. Daraus ergibt sich die Frage, warum tendenziell mehr Gründungen in regionalen Clustern stattfinden. Ein Grund könnte sein, dass die Wahrscheinlichkeit in Clustern höher ist, eine Gründungsidee zu finden und die Motivation zu haben, eine Firma zu starten, weil die entsprechenden Rollenmodelle und eine Unterstützung für neue Firmen vorhanden sind (vgl. Fornahl 2003). Außerdem ist es möglich, dass neue Firmen in regionalen Clustern erfolgreicher sind und somit eine höhere Überlebenswahrscheinlichkeit aufweisen. Neben diesen beiden in der Literatur (vgl. Cooper und Folta 2000) angeführten Faktoren soll hier auf eine weitere Hypothese eingegangen werden: durch die Aktivitäten innerhalb eines Clusters oder eines regionalen Innovationssystems und durch die Existenz der damit verbundenen Organisationen (Universitäten, Forschungsinstitute etc.) können Personen in den regionalen Cluster gezogen werden, die mit einer höheren Wahrscheinlichkeit eine Gründung durchführen.
5.3 Fallstudie Jena Aus der obigen Diskussion leiten wir unser Argument ab, dass das endogene Potential (Pool potentieller Gründer) einer Region einen wichtigen Einfluss auf die Gründungsintensität hat. Um dies zu prüfen, wurde im Sommer 2002 eine Befragung Jenaer Unternehmen zum Innovationssystem und Gründungsgeschehen
105
durchgeführt. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Daten, welche in Cantner, Fornahl und Graf (2003) ausführlich dokumentiert sind. 5.3.1
Beschreibung des Datensatzes
Für die Befragung wurden 173 Jenaer Firmen des verarbeitenden Gewerbes sowie unternehmensnahe Dienstleister zufällig aus einer Liste mit 293 Unternehmen ausgewählt und angeschrieben. Letztendlich erklärten sich 93 Geschäftsführer oder Bereichsleiter bereit, die persönlichen Interviews mit uns durchzuführen. Zur Beschreibung der resultierenden Stichprobe konzentrieren wir uns auf die zeitliche Verteilung der Gründungen sowie deren Tätigkeitsfelder. In Abbildung 5.1 sind zwei Gründungswellen zu erkennen, die eindeutig durch das Jahr 1993 - mit keiner einzigen lokalen Gründung - voneinander getrennt sind. Bei einer Analyse der Vergangenheit aus einer Zeitpunktbetrachtung tritt möglicherweise ein Stichproben-Selektionsproblem auf. Unternehmen, die in früheren Jahren gegründet wurden, aber nicht überlebt haben, werden nicht beobachtet, wohingegen sehr junge Unternehmen eventuell noch nicht aus dem Markt selektiert werden konnten. Dennoch ist die Formation der beiden Wellen so deutlich, dass dieses Problem eine untergeordnete Rolle spielen dürfte. Die erste Welle, direkt nach der politischen Wende, ist durch den Systemwechsel und dessen Begleiterscheinungen zu erklären. Die zweite Welle, die ihren Höhepunkt im Jahr 1999 findet, wird hauptsächlich von Unternehmen aus dem Bereich Medizin-, Mess-, Steuer- und Regelungstechnik, Optik getragen. In den beiden Spitzenjahren (1991 und 1999) wurden jeweils 15 Unternehmen originär in Jena gegründet und je ein Unternehmen eröffnete eine Niederlassung oder verlegte seinen Stammsitz nach Jena. Zwischen 1991 und 1999 zog es fast jedes Jahr ein Unternehmen nach Jena, in den Jahren 2000 und 2001 kam kein Unternehmen mehr von außerhalb. Mit insgesamt 93 % spielen die originären Gründungen gegenüber den Standortverlegungen für Jena die dominante Rolle.
106
18
Anzahl der Firmen
16 14 12 10 8 6 4 2 0 vor 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 1990 Jahr der Gründung bzw. Standortverlegung Gründung in Jena
Standortverlegung nach Jena
Abbildung 5.1: Unternehmensgründungen in Jena In unserer Stichprobe dominieren Unternehmen aus dem Bereich Medizin-, Mess-, Steuer- und Prüftechnik, Optik mit 28 Firmen. Dienstleistungs- und Datenverarbeitungsunternehmen bilden zwei weitere große Gruppen mit 22 und 15 Firmen (Tabelle 5.1). Daneben finden sich Firmen aus der chemischen Industrie, der Metallbe- und -verarbeitung sowie dem Maschinenbau. Legt man die Anzahl der beschäftigten Mitarbeiter in den jeweiligen Branchen zugrunde, so ergibt sich ein verändertes Bild. Über die Hälfte der Beschäftigten sind entweder in der Medizin-, Mess-, Steuer- und Regelungstechnik, Optik (30,8 %) oder der Datenverarbeitung (27,1 %) tätig, die Dienstleistungsunternehmen (mit durchschnittlich 13,2 Mitarbeitern im Vergleich zur chemischen Industrie mit 112,6 vergleichsweise kleine Unternehmen; siehe Tabelle 5.1) nehmen dann nur noch die vierte Position ein.
107
Tabelle 5.1: Branchenverteilung der Unternehmen mit Belegschaftsgröße Branche
Anzahl der Firmen
Anteil an Anzahl der allen Firmen Beschäftigten
Anteil an Beschäftigte allen Bepro Firma schäftigten
Medizin-, Mess-, Steuerund Prüftechnik, Optik
28
30,1 %
1010
30,8 %
36,1
Dienstleistungen
22
23,7 %
291
8,9 %
13,2
Datenverarbeitung
15
16,1 %
887
27,1 %
59,1
Metallerzeugnisse
5
5,4 %
233
7,1 %
46,6
Chemische Industrie
5
5,4 %
563
17,2 %
112,6
Forschung und Entwicklung
4
4,3 %
24
0,7 %
6,0
Verlage
3
3,2 %
15
0,5 %
5,0
Maschinenbau
3
3,2 %
65
2,0 %
21,7
Metallerzeugung
3
3,2 %
147
4,5 %
49,0
Sonstige
5
5,4 %
42
1,3 %
8,4
Gesamt
93
-
277
-
5,2
5.3.2
Lokaler Charakter von Unternehmensgründungen
Die theoretischen Ausführungen lassen vermuten, dass gerade bei Unternehmensneugründungen die Frage nach dem ‚optimalen‘ Unternehmensstandort nicht gestellt wird. Im Folgenden gilt es, diese Hypothese zu überprüfen. Weiterhin ist zu klären, welche Charakteristika eines Unternehmens oder der Gründer eine aktive Standortsuche wahrscheinlicher machen. Abschließend zu diesem Abschnitt widmen wir uns der Frage, welche Standortfaktoren für die Jenaer Unternehmen relevant sind und wie sie beurteilt werden. Die Veränderungen der Lebensumstände durch eine Unternehmensgründung verursachen eine große Unsicherheit bezüglich der Zukunft. Gerade die persönlichen Netzwerke der Gründer haben somit die Aufgabe, einen Teil der Unsicherheiten zu reduzieren. Die Gewissheit, bei technologischen Problemen ehemalige Kollegen konsultieren zu können, oder, was bei Spin-offs häufig zu beobachten ist,
108
Einrichtungen des ehemaligen Arbeitgebers nutzen zu können, sind wertvolle Faktoren für den Entrepreneur. Diese stabilisierenden Wirkungen wissen die Gründer zu schätzen, und sie suchen daher selten nach alternativen Standorten für ihr Unternehmen. In unserer Befragung haben nur 31 % der Unternehmen Alternativen in Betracht gezogen. Bei den Unternehmen, die ihren Standort verlegt haben bzw. eine Niederlassung gegründet haben, waren es 50 %. Da sich unser Beitrag aber mit der Standortfrage im Gründungsprozess befasst, werden diese Fälle sowie Gründungen vor 1990 ausgeblendet. Durch diese Zahlen ist aber noch nicht geklärt, ob die Gründer zuvor tatsächlich in Jena lebten, also bereits ein persönliches Netzwerk aufgebaut hatten, oder ob Jena für manche Unternehmer einen solch interessanten Standort darstellte, dass gar nicht erst über Alternativen nachgedacht wurde. Zu diesem Zweck ist in Abbildung 5.2 der Anteil der Firmen nach der Anzahl lokaler Gründer, also Personen, welche zum Zeitpunkt der Gründung ihren Lebensmittelpunkt in Jena hatten, dargestellt. Nur 14 % der Unternehmen wurden komplett von Außen gegründet. In 58 % der Firmen gibt es zwei oder mehr lokale Gründer. 30%
Anteil der Unternehmen
25% 20% 15% 10% 5% 0% 0
1
2
3
4
5
6
12
17
Anzahl lok aler Gründer
Abbildung 5.2: Relative Häufigkeit der Gründer mit Lebensmittelpunkt im Jahr vor der Gründung in Jena (N = 82)
109
Abbildung 5.3 zeigt die Besetzung der Gründungsteams nach ihrem Anteil an lokalen Gründern. Bei mehr als der Hälfte der Firmen setzt sich das Gründungsteam zu über drei Viertel aus lokalen Gründern zusammen. Bei 35 Firmen hatte sogar das komplette Gründungsteam den Lebensmittelpunkt in Jena. Diese deutlichen Indizien für den lokalen Charakter von Unternehmensgründungen dienen als Ausgangsbasis der Diskussion im folgenden Abschnitt.
60%
Anteil der Unternehmen
50% 40% 30% 20% 10% 0% 0 = 25%
25 = 50%
50 = 75%
75 = 100%
Anteil lokaler Gründer
Abbildung 5.3: Besetzung der Gründungsteams mit Gründern mit Lebensmittelpunkt in Jena (N = 82)
5.3.3
Standortentscheidung
Wenn auch die meisten Unternehmen keine - auf einem abwägenden Vergleich von Alternativen beruhende - Standortentscheidung treffen, ist es dennoch aufschlussreich, anhand welcher Faktoren sich die Firmen der jeweiligen Gruppe (Standortentscheidung [ja/nein]) unterscheiden. Im Folgenden werden einige Merkmale der Unternehmen oder ihrer Gründer mit ihrem potentiellen Effekt auf eine zu treffende Standortentscheidung diskutiert. Aus dem letzten Abschnitt folgt, dass ein steigender Anteil lokaler Gründer eines Unternehmens einen negativen Effekt auf eine bewusste Standortentscheidung ha-
110
ben sollte. Angenommen, ein Team von Ingenieuren, Betriebswirten, Juristen usw., die alle ihren Lebensmittelpunkt (Freunde, Bekannte, Familie, usw.) in Jena haben, möchte ein eigenes Unternehmen aufbauen, wird es kaum auf den Gedanken kommen, beispielsweise nach München, Hamburg oder Chemnitz zu wechseln. Um genauere Aussagen über die Beziehung der Akteure zu Jena machen zu können, wurde nach eben diesen Beziehungen der befragten Person, d. h. nicht des gesamten Gründungsteam, gefragt. Tabelle 5.2 gibt die entsprechenden Antworten wieder. Wie zu erkennen ist, ist nur ein kleiner Teil der Gründer tatsächlich in Jena geboren. Der größte Einfluss geht von der abhängigen Beschäftigung aus: ca. zwei Drittel der Beantwortenden waren vorher in Jena beschäftigt. Weiterhin ist festzuhalten, dass das Studium an einer Hochschule einen Einfluss hat, der stärker ist als derjenige der Promotion. Von den 13 Befragten, die promoviert haben, haben 11 auch hier in Jena studiert. Somit scheinen durch die Möglichkeit einer abhängigen Beschäftigung und durch das Studium in Jena Leute attrahiert zu werden, die später Unternehmensgründer werden. Tabelle 5.2: Beziehung der befragten Personen zu Jena Beziehungen
Geburt Berufliche Ausbildung Abhängige Beschäftigung Studium Promotion Sonstiges
Geburt
Berufliche Ausbildung
Abhängige Beschäftigung
Studium
Promotion
Sonstiges
16
10
8
9
4
0
27
16
14
6
6
45
14
10
7
25
11
3
13
2 11
n = 67
Ist der Anteil der Gründer ohne jegliche Beziehung zu Jena besonders groß, kann man, da sie sich für Jena entschieden haben, sehr wohl eine aktive Standortent-
111
scheidung unterstellen. Ein Vergleich der Mittelwerte dieser beiden Variablen für die Unternehmen mit und ohne Standortentscheidung spricht für unsere Hypothese (Tabelle 5.3). Unternehmen, die keine Alternativen berücksichtigt haben, setzen sich zu 81 % aus lokalen Gründern und zu 12 % aus Gründern ohne Beziehung zu Jena zusammen. Bei den Unternehmen, die sich über ihren Standort Gedanken gemacht haben, ist diese Aufteilung 61 % zu 27 %. Tabelle 5.3: Unterschiede zwischen Unternehmen, welche alternative Standorte berücksichtigen und Unternehmen ohne eine solche Standortentscheidung - Gruppierte Mittelwerte Über Alternative Standorte wurde nachgedacht (Anzahl)
Anteil lokaler Gründer
Anteil der Gründer ohne Beziehung zu Jena
Spin-off Gründung
Anteil erfahrener Gründer
nein (50)
81,1 %
12,1 %
28,0 %
32,0 %
ja (19)
60,8 %
26,8 %
36,8 %
42,5 %
Gesamt (69)
75,5 %
16,2 %
30,4 %
34,9 %
Neben diesen, für unser Argument entscheidenden Variablen lohnt es, sich über den möglichen Einfluss weiterer Unternehmensmerkmale auf die Standortentscheidung Gedanken zu machen. 30 % der Firmen sind als Spin-offs lokaler Unternehmen, Hochschulen oder Forschungseinrichtungen gegründet worden. Hierbei sind 35 % der Inkubatoren Hochschulen und andere öffentliche Forschungseinrichtungen und 65 % bereits existierende Jenaer Unternehmen. Gerade bei diesen Gründungen könnte man eine spontane Festlegung auf den Standort Jena vermuten, da diese, unter anderem, häufig (16 von 21 =ˆ 76 %) Einrichtungen des Inkubators nutzen. Andererseits konnten diese Unternehmer schon Erfahrungen über den Markt und die Konkurrenzsituation sammeln, die ihnen die Relevanz des Standortes besonders bewusst werden lassen. Die dritte Spalte in Tabelle 5.3 spricht für die zweite Möglichkeit: Die Spin-offs machen sich häufiger Gedanken über ihren Standort als der Durchschnitt der Unternehmen.
112
Ein weiterer Einflussfaktor auf die Standortentscheidung könnte in der Art der Produkte bzw. des Marktes begründet sein. Verkauft man ein Produkt, welches in erster Linie am Ort der Produktion nachgefragt wird, wie z. B. einige unternehmensnahe Dienstleistungen, macht es Sinn, sich über den möglichen Absatz an verschiedenen Orten Gedanken zu machen. Ist der zu bearbeitende Markt hingegen eher global, spielen diese Überlegungen eine untergeordnete Rolle. In unserer Untersuchung wurden die Unternehmen nach dem lokalen Umsatzanteil gefragt, wobei die Antwortmöglichkeiten in fünf 20 % Intervallen vorgegeben waren. Ein geringer Wert spricht also für einen globalen bzw. überregionalen Markt, während ein sehr hoher Wert für lokale Produkte spricht. Auf die gleiche Art wurde nach dem Anteil lokaler Vorleistungen gefragt, wobei mit der gleichen Argumentation ein hoher Anteil für die Relevanz der Standortfrage sprechen würde. Sind diese Vorleistungen allerdings sehr spezielle Produkte, die nur von wenigen Anbietern vertrieben werden, welche im Vorfeld der Gründung schon bekannt sind, kann dies zu einer Vor-Selektion der Standorte führen, die wir nicht beobachten können. Des Weiteren soll das Gründungsjahr des Unternehmens Unterschiede in den Rahmenbedingungen zum Zeitpunkt der Gründung auffangen, während der Anteil erfahrener Gründer Lernprozesse bei Unternehmensgründungen widerspiegeln soll. Hier würde ein negativer Einfluss auf eine Standortentscheidung für gute Erfahrungen am Standort Jena sprechen, welche Überlegungen zu alternativen Standorten überflüssig machen. In Tabelle 5.4 sind die geschätzten Koeffizienten von vier Logit-Regressionen9 einer erfolgten Standortentscheidung auf die oben diskutierten Variablen zusammengestellt. Die entscheidende Variable zur Erklärung, ob ein Unternehmen in der Gründungsphase alternative Standorte berücksichtigt, ist der Anteil an Gründern mit Lebensmittelpunkt in Jena. Je höher dieser Anteil ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit einer Standortsuche.
9
Einen Überblick zur Methode vermittelt beispielsweise Greene (1997, Kap. 19).
113
Tabelle 5.4: Erklärung der Standortentscheidung Abhängige Variable: Berücksichtigung alternativer Standorte (ja/nein) Maximum Likelihood Logit Regression I
II
III
C
-0,161
-0,210
-184,667
Anteil der Gründer mit Lebensmittelpunkt in Jena
-1,299
-1,691 *
-1,929 *
-3,028 **
Anteil der Gründer ohne Verbindung zu Jena
0,688
0,749
0,901
1,145
0,933
1,305 *
2,084 **
0,431
0,912 **
Spin-off Gründung Anteil lokaler Umsätze
IV
Anteil lokaler Vorleistungen
-0,338
Gründungsjahr
0,092
Anteil der erfahrenen Gründer LR Statistik
-214,759
5,043
7,160
0,107
0,340
-0,297
10,965
16,756
Probability(LR stat)
0,080
0,067
0,089
0,019
McFadden R2
0,062
0,088
0,135
0,222
Keine Berücksichtigung alternativer Standorte:
50
50
50
45
Berücksichtigung alternativer Standorte:
19
19
19
18
* p = 0,1; ** p = 0,05
Diese Tatsache der lokalen Gebundenheit der Unternehmer spiegelt sich auch in dem positiven Koeffizienten des Anteils an Gründern ohne Verbindung zu Jena wider. Der Koeffizient der Spin-off Gründungen ist positiv, und in den letzten beiden Modellen auch signifikant von null verschieden. Dies bedeutet, dass bei Unternehmen mit sonst gleichen Merkmalen das Spin-off Unternehmen eher nach einem günstigen Standort sucht. Dieses Ergebnis könnte auf mangelndes Problembewusstsein mancher Neugründungen bei der Standortfrage hinweisen: Ob die Unternehmen in Jena die richtige Standortentscheidung getroffen haben, bleibt dahingestellt. Die Tatsache, dass Ausgründungen, welche Erfahrung in Bezug auf Markt und Geschäftskontakte aufweisen, ihren Standort bewusster wählen, deutet auf eine häufige Unterschätzung des Problems hin. Einen ähnlichen Einfluss könn-
114
te man auch bei dem Anteil erfahrener Gründer vermuten. Ein Vergleich der Koeffizienten in den letzten beiden Modellen zeigt jedoch, dass dieser Faktor nicht sehr robust geschätzt wird. In Bezug auf den Einfluss der marktlichen Beziehungen zeigt sich, dass vor allem der Absatzmarkt eine Rolle bei der Standortentscheidung spielt. Je größer die Relevanz des lokalen Marktes ist, desto eher werden verschiedene Standorte geprüft. Die Vorleistungen scheinen hier eine geringere, oder in Bezug auf die obige Diskussion, ambivalente Rolle zu spielen. 5.3.4
Standortfaktoren
Aufbauend auf den bisher gewonnenen Erkenntnissen stellt sich die Frage, welche Standortfaktoren die Stadt Jena besonders auszeichnen und somit einerseits eine erhöhte Anziehungskraft auf die Ansiedlung neuer Unternehmen begründen und andererseits Faktoren zur Förderung von lokalen Neugründungen darstellen. Als besonders relevant für die Standortentscheidung wird die hohe Anzahl an qualifizierten Arbeitskräften, das Vorhandensein anderer Firmen (außer Konkurrenzunternehmen), das persönliche Netzwerk der Gründer, die Hochschulen und das Image der Stadt Jena genannt (Tabelle 5.5). Am wenigsten relevant sind das Vorhandensein von Gewerbeflächen, von Konkurrenzunternehmen und von Gründerzentren sowie die niedrigen Löhne und die Verfügbarkeit von Venture Capital. Die geringe Bedeutung von Venture Capital lässt sich zum einen durch die breite Streuung der befragten Unternehmen bezüglich der Art des Gewerbes begründen. Für weniger kapitalintensive Firmen wie z. B. Dienstleister spielt Venture Capital eine geringere Rolle. Zum anderen wird Venture Capital auch durch überregionale Firmen bereitgestellt, d. h. es wird tendenziell weniger als lokaler Standortfaktor gesehen. Eine disaggregierte Betrachtung der Bedeutung von Hochschulen (HS) und Forschungsinstituten (FI) ergibt, dass sie vor allen Dingen als Kooperationspartner wichtig sind. 57 Firmen geben dies für Hochschulen und 45 Firmen für Forschungsinstitute an. Die Rolle dieser Institutionen bezüglich der Nutzung von Einrichtungen (37 HS / 27 FI) und als Ausbildungsstätte (27 HS / 12 FI) ist deutlich geringer.
115
Insgesamt hat die Existenz von Konkurrenzunternehmen kaum einen Einfluss auf die Standortentscheidung. 20 Firmen geben an, dass sie als mögliche Kooperationspartner relevant sind, 18 nennen sie als wichtig für die Verfolgung gemeinsamer Interessen und 3 als Ausbildungsstätte. "Andere Firmen" haben vor allem eine Bedeutung als Kooperationspartner (53 Nennungen), Abnehmer (46) und Zulieferer (39). Auch hier ist die Möglichkeit der Nutzung von Einrichtungen (17) und als Ausbildungsstätte (8) nicht besonders wichtig. Tabelle 5.5: Bedeutung von unterschiedlichen Standortfaktoren für die Standortwahl Relevanz (Anteile in %) Rang
Faktoren
Ja
Nein
Gültige Antworten (in %) 89,2
1
Qualifizierte Arbeitskräfte
83,1
16,8
2
Andere Firmen
77,4
22,6
90,3
3
Persönliches soziales Netzwerk
75,3
24,7
87,1
4
Hochschulen
73,5
26,5
89,2
5
Image der Stadt Jena
64,6
35,4
88,2
6
Forschungsinstitute
55,6
44,4
87,1
7
Lebensqualität
54,4
45,6
84,9
8
Verkehrsinfrastruktur
51,9
48,2
87,1
9
Staatliche Förderung
49,4
50,6
89,2
10
IT-Infrastruktur
41,6
58,4
82,8
11
Gewerbeflächen
38,8
61,3
86,0
12
Konkurrenzunternehmen
32,5
67,5
89,2
13
Niedrige Löhne
28,1
71,9
88,2
14
Gründerzentren
29,5
70,5
83,9
15
Venture Capital
16,1
84,0
87,1
Ein durchaus überraschendes Ergebnis ist die Relevanz weicher Standortfaktoren. Wenn man qualifizierte Arbeitskräfte ausklammert, bleiben als wichtigste Faktoren auf den Plätzen zwei bis sieben potentielle Kooperationspartner, das Image
116
und die Lebensqualität der Stadt sowie das persönliche soziale Netzwerk. Insbesondere die große Relevanz dieser persönlichen Netzwerke unterstreicht unsere Hypothese und liefert auch die Begründung für die Signifikanz der Variable "Anteil lokaler Gründer" in der obigen Regression. Diese Variable dient uns somit als Instrument zur Berücksichtigung der eigentlich entscheidenden Variable eines funktionierenden persönlichen Netzwerks. Neben der Relevanz der unterschiedlichen Faktoren wurde auch die Ausprägung dieser Faktoren zum Zeitpunkt der Gründungsentscheidung abgefragt. Möglich war hierbei eine Bewertung von 1 (= sehr gut) bis 5 (= mangelhaft). In Tabelle 5.6 wird der Mittelwert als Indikator für die Ausprägung dieser Faktoren herangezogen und die Tabelle entsprechend sortiert. Es zeigen sich hierbei starke Überschneidungen zwischen den Faktoren, die besonders relevant für die Gründung in Jena sind, und der Bewertung dieser Faktoren. So ist die Bewertung der Arbeitskräfte, des persönlichen Netzwerkes und des Images der Stadt Jena auch hier besonders hervorzuheben. Ebenso finden sich wiederum Hochschulen und andere Firmen (diesmal aufgeteilt nach der geleisteten Funktion) in der ersten Gruppe. Die Verkehrsinfrastruktur, Konkurrenzfirmen als Ausbildungsstätte oder als Kooperationspartner sowie andere Firmen zur Nutzung von Einrichtungen und als Ausbildungsstätte werden dahingegen am schlechtesten bewertet. Hierin zeigt sich auch deutlich, dass die jeweiligen Akteure nach den durch sie geleisteten Aufgaben zu differenzieren sind. Da sich zwischen dem Zeitpunkt der Gründung und dem Zeitpunkt der Befragung eine Veränderung dieser Faktoren ergeben haben kann, wurde gefragt, ob sich die einzelnen Faktoren verbessert oder verschlechtert haben bzw. ob sie gleich geblieben sind. Tabelle 5.6 zeigt die Ergebnisse in der letzten Spalte. Interessant ist, dass sich das Image der Stadt Jena noch verbessert hat, obwohl es bereits als gut eingeschätzt wurde. Insgesamt haben sich nur fünf Faktoren verschlechtert (Werte fett gedruckt). Dies sind neben den 'Gewerbeflächen' insbesondere 'Venture Capital', 'staatliche Förderung', 'qualifizierte Arbeitskräfte' und 'niedrige Löhne'.
117
Tabelle 5.6: Bewertung und Veränderung der Standortfaktoren Bewertung Mittelwert
Veränderung* Mittelwerte
Qualifizierte Arbeitskräfte
1,7
2,4
Persönliches soziales Netzwerk
1,8
1,9
Image der Stadt Jena
2,0
1,7
Faktoren
Institute als Kooperationspartner
2,0
1,8
Hochschulen zur Nutzung von Einrichtungen
2,1
1,8
Hochschulen als Ausbildungsstätten
2,1
1,7
Institute zur Nutzung von Einrichtungen
2,1
1,7
Hochschulen als Kooperationspartner
2,2
1,8
Lebensqualität
2,2
1,6
Andere Firmen als Kooperationspartner
2,3
1,7
Andere Firmen als Zulieferer
2,3
1,6
Gewerbeflächen
2,4
2,2
Niedrige Löhne
2,4
2,4
Institute als Ausbildungsstätten
2,4
1,8
Gründerzentren
2,5
1,6
Staatliche Förderung
2,5
2,3
Andere Firmen als Abnehmer
2,5
1,8
IT-Infrastruktur
2,7
1,4
Konkurrenzunternehmen zur Verfolgung gemeinsamer Interessen
2,7
1,9
Venture Capital
2,8
2,3
Andere Firmen zur Nutzung von Einrichtungen
2,9
1,8
Konkurrenzunternehmen als Kooperationspartner
3,0
1,9
Andere Firmen als Ausbildungsstätte
3,1
1,8
Verkehrsinfrastruktur
3,1
2,0
Konkurrenzunternehmen als Ausbildungsstätte
3,3
1,9
*
Antwortmöglichkeiten: Verbesserung (1), keine Veränderung (2), Verschlechterung (3). Ein Mittelwert von 2 bedeutet somit, dass sich der Faktor nicht verändert hat. Werte kleiner als 2 stehen für eine Verbesserung und Werte größer als 2 für eine Verschlechterung.
118
Die Verschlechterung von 'qualifizierte Arbeitskräfte', 'niedrige Löhne' und 'staatliche Förderung' überrascht nicht, sind doch nach dem Systemwechsel Tausende hochqualifizierter Arbeitnehmer des Zeiss Kombinates entlassen worden. Die anfänglichen Unterschiede im Lohnniveau zwischen Ost und West sind im Begriff, ausgeglichen zu werden, und die Förderung der neuen Bundesländer nimmt ebenfalls ab. Diese Veränderungen sind somit nicht als Jena-, sondern eher als ostspezifisch zu verstehen. Die schlechtere Verfügbarkeit von 'Venture Capital' ist wohl auch auf die makroökonomischen Bedingungen nach dem bis Mitte 2000 dauernden Boom zurückzuführen. Eine genauere Analyse dieser Zusammenhänge in Tabelle 5.7, die zwischen den Unternehmen der ersten und zweiten Gründungswelle unterscheidet, zeigt, dass die früheren Gründungen größere Probleme der Kapitalbeschaffung hatten (Beurteilung: 3,5 zu 2,5) und auf Grund der schlechteren Ausgangslage die Veränderung zum heutigen Zeitpunkt positiv bewerten (1,9 zu 2,5). Für Arbeitskräfte und Löhne gilt eine umgekehrte Entwicklung, wobei die früheren Gründungen bessere Voraussetzungen fanden und somit die Veränderung zu den jetzt gleichen Bedingungen schlechter ausfällt. Tabelle 5.7: Unterschiede in der Beurteilung und Veränderung ausgewählter Standortfaktoren zwischen Unternehmen der ersten und zweiten Gründungswelle Mittelwerte Gründung bis 1993
Gründung nach 1993
Venture Capital
Beurteilung Veränderung
3,5 1,9
2,5 2,5
staatl. Förderung
Beurteilung Veränderung
2,8 2,4
2,3 2,3
qualifizierte Arbeitskräfte
Beurteilung Veränderung
1,6 2,5
1,8 2,3
niedrige Löhne
Beurteilung Veränderung
1,7 2,5
2,8 2,3
119
5.4 Fazit Neben dem Wachstum bestehender Firmen zeichnen sich ökonomisch prosperierende regionale Wirtschaftsräume durch die Ansiedlung neuer Firmen aus. Dies kann zum einen durch einen Zuzug bereits bestehender Unternehmen von Außen erfolgen, zum anderen kann es auf Basis des endogenen Gründerpotentials einer Region, das durch Humankapital und soziales Kapital der Bevölkerung charakterisiert ist, zu Neugründungen kommen. Wir haben gezeigt, dass eine aktive Standortsuche bei wenigen Jenaer Neugründungen eine Rolle spielt und die Gründer ihr Unternehmen dort ansiedeln, wo sie auch bisher ihren Lebensmittelpunkt hatten. Dies bedeutet nun aber nichts anderes, als dass potentielle Unternehmensgründer keine abwägende Standortentscheidung treffen, sondern "nur" noch eine Gründungsentscheidung. Diese Feststellung hat eine enorme Bedeutung für wachstumsorientierte Regionen und mag sich auch in wirtschaftspolitischen Konzepten niederschlagen. Exemplarisch für Jena zeigt sich nämlich, dass es wichtig zu sein scheint Personen zu einem frühen Zeitpunkt ihrer Karriere in die Region zu ziehen. Unter entsprechenden Rahmenbedingungen kann sich dieses Potential dann auch in lokalen Gründungen niederschlagen. Hierzu zählen alle Faktoren, welche die Bereitschaft der Akteure beeinflussen, ein Unternehmen zu gründen. Dies kann beispielsweise sehr spezifisch durch die bewusste Förderung von Kontakten zwischen Gründern und potentiellen Gründern geschehen, um letzteren die Möglichkeit zum Austausch von Informationen und Erfahrungen zu geben. Dies mag es auch erleichtern, eine Idee für eine mögliche Unternehmung zu finden, d. h. sowohl technologisches Wissen als auch die entsprechenden Märkte kennen- und einschätzen zu lernen. Außerdem sollten auf allgemeinerer Ebene Rahmenbedingungen wie etwa verfügbares Human- und Finanzkapital und Gewerbeflächen dergestalt sein, dass sie Gründungen befördern. Alle diese Faktoren können aber letztendlich nur erfolgreich wirken, wenn ein regionales Potential vorhanden ist, welches diese Möglichkeiten auch nutzt. Aus politischer Sicht stellt sich so das Problem, wie man dieses Gründerpotential durch die Attrahierung von Personen und die Beeinflussung derer Fähigkeiten stärkt. Eine besondere Bedeutung haben hier zweifelsohne Hochschulen und andere öffentlichen Forschungsinstitute, die als Attraktor für qualifizierte Fachkräfte dienen und deren Kooperationen mit lo-
120
kalen Firmen einen regen Wissensaustausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft bewirken. Aber auch überregional aktive und bekannte Firmen stärken das Image der Stadt als High-tech Standort und können als Inkubator für Neugründungen fungieren.
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6 Strategieentwicklung und Strategien von Unternehmen in Innovationssystemen: eine empirische Analyse Roland Helm und Michael Steiner10
6.1 Einleitung Insgesamt existieren in Deutschland mehr als 3,3 Millionen kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), die vor allem in den Bereichen des verarbeitenden Gewerbes, im Handwerk, im Handel oder als Dienstleistungsanbieter tätig sind (vgl. BMBF 2002a, 4). Kleine und mittelständische Unternehmen dienen dabei oftmals als Zulieferer für größere Betriebe (vgl. Meiler 1999, 168f.; BMBF 2002a, 4). Mit ungefähr 20 Millionen Beschäftigten (70 % der Beschäftigung) und mit einem Anteil von 49 % an der Bruttowertschöpfung sind KMU entscheidend für den Wohlstand Deutschlands (vgl. BMBF 2002a, 4). Ihre Bedeutung ist in den letzten Jahren insbesondere aufgrund von Outsourcingmaßnahmen der großen Konzerne weiter gestiegen. Auch in Zukunft wird mit einem wachsenden Anteil der Zulieferer (darunter vor allem KMU) an der Gesamtwertschöpfung von Konzernen gerechnet, da der internationale Wettbewerb ein hohes Maß an Flexibilität und Innovativität erfordert (vgl. Reinking und Clausen 2002, 7). Insbesondere KMU haben in diesem Wettbewerbsumfeld durch flache Hierarchien und engen Kundenkontakt entscheidende Vorteile gegenüber größeren Konzernen. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass gerade in hochinnovativen Wirtschaftsbereichen die Bedeutung der KMU steigt (vgl. BMBF 2002a, 4). Durch Entwicklungen wie Outsourcing, sinkende Transaktionskosten aufgrund von modernen Kommunikationsmedien und dem steigenden Bedarf an Dienstleistungen ergeben sich zudem
126
neue Formen der vertikalen Arbeitsteilung zwischen Konzernen und KMU. Letztere sind entweder „Enabler“ oder „Treiber“ für neu entstehende Technologiefelder, d. h. sie schaffen die Voraussetzungen bzw. erzeugen Wettbewerbsdruck in den entsprechenden Wirtschaftsbereichen (vgl. BMBF 2002a, 5). Die Aktivitäten der KMU werden besonders von der fortschreitenden Globalisierung beeinflusst. Gerade in Deutschland, der zweitstärksten Exportnation der Welt, ist die Internationalisierung des Mittelstandes weit fortgeschritten (vgl. Bassen, Behnam und Gilbert 2001, 414ff.). Um in diesen veränderten Wettbewerbsbedingungen bestehen zu können, sind ständig Innovationen und somit kontinuierliche F&E-Maßnahmen nötig. Betrachtet man die Unternehmen in Deutschland undifferenziert über alle Branchen, so wird der Großteil der F&E-Aktivitäten von großen Firmen aufgebracht. Lediglich 18 % des gesamten F&E-Budgets wird von KMU zur Verfügung gestellt (vgl. BMBF 2002a, 7). Vergleicht man ost- und westdeutsche Betriebe hinsichtlich ihrer F&E-Aktivitäten, so sind große Unterschiede erkennbar. Der Anteil von F&E-Mitarbeitern in KMU am gesamten F&E-Personal beträgt in Westdeutschland 15 %, in Ostdeutschland sind dagegen mehr als 55 % der F&E-Mitarbeiter in KMU beschäftigt. In den neuen Bundesländern wird somit die Forschung- und Entwicklungsarbeit vor allem durch KMU geleistet (vgl. BMBF 2002a, 7). Bei einem Vergleich zwischen Ost- und Westdeutschland darf allerdings nicht vergessen werden, dass lediglich 8 % des gesamten F&E-Personals oder 4,5 % der F&E-Aufwendungen auf die neuen Bundesländer entfällt. Der Abstand zu westdeutschen Betrieben konnte in den letzten Jahren aufgrund der kleinbetrieblichen Unternehmensstruktur der ostdeutschen Firmen nicht verringert werden. Allerdings stieg bei ostdeutschen Betrieben der Anteil an Patentanmeldungen. Vor allem ostdeutsche Wachstumspole wie Jena haben einen entscheidenden Anteil an dieser ersten positiven Entwicklung (vgl. BMBF 2002b).
10 Ein besonderer Dank für die Unterstützung bei der Datenerhebung geht an Nathalie Becker, Michael Hunoldt, Severine Lindig, Markus Petzold, Nancy Scheler sowie Nancy Thamke.
127
Das F&E-Engagement von KMU variiert entsprechend der betrachteten Branchen. KMU dienen insbesondere bei dynamischen Spitzentechnologien als Innovationstreiber (z. B. in der Nano- und Biotechnologie) und der Diffusion neuer Technologien. Je höher jedoch die Entwicklungskosten in dem jeweiligen Bereich sind, desto weniger KMU sind anzutreffen. Aufgrund der begrenzten Ressourcen in KMU spielt die Fähigkeit, externes Wissen für das eigene Unternehmen zu nutzen, eine entscheidende Rolle für die Innovationskraft der Betriebe. F&E-Kooperationen mit wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen sowie mit anderen Unternehmen haben somit eine entscheidende Bedeutung für KMU und sind oftmals für die Firmen unumgänglich (vgl. BMBF 2002a, 7). Aus diesen Kooperationen können sich entsprechende Innovationssysteme entwickeln. Diese sind durch eine geographische Konzentration von kooperierenden Unternehmen, verwandten Forschungseinrichtungen, spezialisierten Lieferanten, Serviceanbietern und Finanzdienstleistern sowie öffentlichen Institutionen gekennzeichnet, wobei durch eine entsprechende Komplementarität untereinander Synergieeffekte erzielt werden können (vgl. Porter 1998, 199ff.; Pascha 2002, 560; OECD 1999, 24). Ziel des vorliegenden Beitrags ist die Untersuchung der Strukturmerkmale der Betriebe im Innovationssystem Jena sowie die daraus resultierende strategische Ausrichtung der Unternehmen. Aufgrund der hohen Komplexität der Wirkungszusammenhänge im Bereich der Strategieentwicklung wurde bewusst auf ex ante Hypothesen verzichtet, da es als nicht möglich erschien durch Deduktion allgemein gültige Hypothesen zu formulieren. Im Folgenden findet deshalb ein explorativer Erklärungsansatz Anwendung. Die Ergebnisse werden mit bisherigen Untersuchungen verglichen. Sämtliche Vergleiche mit anderen Studien sind allerdings mit Vorsicht zu interpretieren, da keine Operationalisierung der Vergleichsuntersuchungen vorlag und somit lediglich Tendenzaussagen möglich sind.
128
6.2 Untersuchungsgegenstand und Datenerhebung In der folgenden Untersuchung sollen die Strategien der Unternehmen im Innovationssystem Jena (ISJ) untersucht werden. Es stellt sich zunächst die Frage, welche Reichweite das ISJ besitzt. Entsprechend den Untersuchungen des DIW (2002, 15) gehen von der Region Jena keine besonderen Impulse auf die Unternehmen anderer Regionen, insbesondere des Umlandes, aus. Der Einflussbereich der Betriebe ist somit auf das Gebiet innerhalb der Stadtgrenzen beschränkt. Aus diesem Grund wurden in die folgende Studie lediglich Firmen mit Unternehmenssitz innerhalb der Stadtgrenzen Jenas einbezogen. Durch eine vorgeschaltete telefonische Kontaktaufnahme im September 2001 sollte die Rücklaufquote der Umfrage erhöht werden. Im Anschluss an diese Kontaktphase wurden die Unternehmen teilweise persönlich befragt bzw. die Fragen zugesandt. Von den insgesamt 120 kontaktierten Firmen beantworteten 58 den Fragebogen, was einer Rücklaufquote von fast 50 % entspricht.
6.3 Merkmale der Jenaer Unternehmen 6.3.1
Güterbereiche
Betrachtet man die einzelnen Industriebereiche in Tabelle 6.1, so überwiegen Investitionsgüterhersteller und Dienstleistungsanbieter. Konsumgüterhersteller sind kaum in der Stichprobe vertreten. Diese Struktur begünstigt die Entwicklung von innovativen Betrieben, da im Konsumgüterbereich kaum hoch-innovative KMU zu finden sind (vgl. Simon 1990, 878).
129
Tabelle 6.1: Verteilung der Stichprobe nach Güterbereichen Bereich
Anzahl der Unternehmen
Konsumgüter
Investitionsgüter
Dienstleistungen
alle Bereiche gleich gewichtet
keine Angabe
1
26
22
3
10
Innerhalb des Bereiches der Investitionsgüterhersteller dominiert eindeutig das Produktgeschäft mit 74 % der Unternehmen, vier Firmen (17 %) sind im Anlagenbau und zwei (9 %) im Systemgeschäft tätig. Aufgrund der geringen Fallzahl in den beiden letztgenannten Bereichen werden alle drei unter dem Begriff „Investitionsgüter“ zusammengefasst. Da in dieser Stichprobe die Anzahl der „Konsumgüterhersteller“ und „Unternehmen, in denen alle drei Bereiche gleich gewichtet sind“ sehr gering ist, werden diese aus den folgenden Auswertungen herausgenommen und nur die Investitionsgüterhersteller sowie die Dienstleistungsanbieter betrachtet.
Abbildung 6.1: Brancheneinordnung der befragten Unternehmen.
130
Wie aus Abbildung 6.1 ersichtlich ist, weist die Stichprobe eine relativ homogene Branchenstruktur auf, d. h. die einzelnen Bereiche stehen untereinander in komplementären Beziehungen. Obwohl der Bereich der Elektrotechnik/Optik und der der Medizintechnik sehr stark vertreten sind, kommt keiner Branche eine eindeutig dominierende Rolle zu. 6.3.2
Altersstruktur der Jenaer Unternehmen
Die Altersstruktur der Unternehmen könnte als ein Indikator für die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung einer Region genutzt werden. In der Stichprobe ergab sich folgende Verteilung des Unternehmensalters (Tabelle 6.2): Tabelle 6.2: Verteilung des Unternehmensalters in der Stichprobe Gründungsjahr
1999-2001
1996-1998
1993-1995
1990-1992
vor 1990
Anzahl der Unternehmen
11 (19,6 %)
12 (21,4 %)
8 (14,3 %)
24 (42,9 %)
1 (1,8 %)
23 (41,1 %)
31 (55,4 %)
55 (98,2 %)
56 (100 %)
kumuliert
Lediglich ein Unternehmen aus dieser Stichprobe bestand schon vor der Wiedervereinigung 1990. In den Jahren von 1990-1992 wurde ein Großteil der Unternehmen gegründet, dieser „Boom“ ließ in den Folgejahren nach. Dennoch sind über 40 % der betrachteten Betriebe ein bis sechs Jahre alt. Knapp 20 % der Unternehmen können noch als Start-Ups bezeichnet werden. Man kann erkennen, dass es sich bei den befragten Firmen vor allem um junge Unternehmen handelt. Unternehmensneugründungen sind für eine Region deshalb von entscheidender Bedeutung, da sie den Wettbewerb in einer Region intensivieren und eine Umstrukturierung sowie technologischen Fortschritt und somit die schnellere Diffusion neuer Technologien erleichtern (vgl. BMBF 2002a, 5). Betrachtet man die oben genannten Altersgruppen der beiden Bereiche der Investitionsgüterhersteller und Dienstleistungsanbieter genauer, so wird deutlich, dass die
131
Zahl der Neugründungen im Investitionsgüterbereich in den letzten zwei Jahren gesunken, die der Dienstleistungsanbieter dagegen gestiegen ist (Tabelle 6.3). Tabelle 6.3: Anzahl der Neugründungen in den beiden Bereichen Investitionsgüter und Dienstleistungen Jahr 1999-2001 1996-1998 1993-1995 1990-1992 Anzahl der Neugründungen
6.3.3
Investitionsgüter
1
6
4
13
Dienstleistungsbereich
7
3
3
9
Mitarbeiterzahl
In der Stichprobe befinden sich vor allem Kleinst- und Kleinbetriebe. Es ergibt sich ein Mittelwert von 66 Mitarbeitern, welcher jedoch durch einen „Ausreißer“ mit fast 1.500 Arbeitnehmern entsteht. Der Median liegt bei 15 Mitarbeitern. Eine Einteilung der Betriebe in Klein-, Mittel- und Großunternehmen ist nicht problemlos möglich. Kayser (1992, 247) verwendet eine Mitarbeiterzahl von 50 als Grenze für kleine Unternehmen. Entsprechend dieser Einteilung besteht die Stichprobe zu 86 % aus kleinen Firmen. Fichtel (1997, 11) sieht die Grenze erst bei 100 Mitarbeitern (in dieser Studie 94 % der Unternehmen). Auch die Einteilung in mittelständische Betriebe geschieht in der Literatur uneinheitlich. Fichtel (1997, 11) sieht die Grenze zwischen Mittel- und Großbetrieben bei 500 Mitarbeitern. Demgegenüber beträgt die mittlere Mitarbeiterzahl in der Studie von Simon (1990, 877) zu den „Hidden Champions“ im Mittelstand 2904 Mitarbeiter. Verwendet man im Folgenden die Einteilung von Fichtel (1997, 11) so befinden sich lediglich zwei (4 %) „Mittelbetriebe“ und ein (2 %) „Großbetrieb“ in der Stichprobe (vgl. Tabelle 6.4).
132
Tabelle 6.4: Mitarbeiterzahl der Unternehmen in der Stichprobe (n=50) Mitarbeiterzahl 1-10
10 bis 24 25 bis 49 50 bis 74 75 bis 99
100 bis 500
mehr als 500
absolut
18
14
11
2
2
2
1
Prozent
36 %
28 %
22 %
4%
4%
4%
2%
kumuliert
32
43
45
47
49
50
Kum. Prozent
64 %
86 %
90 %
94 %
98 %
100 %
Die Tabelle 6.5 zeigt die Verteilung der Unternehmensgröße entsprechend der Einteilung von Fichtel (1997, 11). Insgesamt arbeiten 47 % der Mitarbeiter in Klein- und Mittelbetrieben (KMU) sowie 53 % in einem Großbetrieb. Tabelle 6.5: Mitarbeiterzahl nach Betriebsgrößen Kleinbetriebe (0-99 Beschäftigte)
Mittelbetriebe (100-499 Beschäftigte)
Großbetriebe (ab 500 Beschäftigte)
Anzahl der Unternehmen
47 (94 %)
2 (4 %)
1 (2 %)
Summe der Mitarbeiter
997 (36 %)
307 (11 %)
1488 (53 %)
Aufgrund der geringen Fallzahl der Großbetriebe (Tabelle 6.5), werden im Folgenden nur die Daten der Klein- und Mittelbetriebe berücksichtigt. 6.3.4
Angestrebter Wettbewerbsvorteil
Der angestrebte Wettbewerbsvorteil (Tabelle 6.6) bestimmt die weitere strategische Ausrichtung eines Unternehmens. Im Folgenden wurde deshalb untersucht, welche strategische Grobausrichtung die Unternehmen anstreben oder bereits realisiert haben.
133
Tabelle 6.6: Angestrebter Wettbewerbsvorteil der befragten Unternehmen Wettbewerbsvorteil
alle Güterbereiche
Investitionsgüter
n
%
n
Leistungsführerschaft
28
76 %
produktbegleitende Dienstleistungen
1
3%
Dienstleistungen
%
n
%
17
77 %
11
73 %
1
4,5 %
0
0%
Kostenführer
0
0%
0
0%
0
0%
Differenzierung durch das Sortiment
6
16 %
3
14 %
3
20 %
sonstiges
2
5%
1
4,5 %
1
6,7 %
Sowohl im Investitionsgüter- wie auch im Dienstleistungsbereich haben die meisten Unternehmen das Ziel der Leistungsführerschaft. Keine Firma sieht sich als Kostenführer. Dies ist verständlich, da die befragten Betriebe klein sind und deshalb nicht die für einen Kostenführer nötigen Economies-of-Scale realisieren und somit kaum auf Massenmärkten überleben könnten. Auch im bundesweiten Vergleich sehen die meisten kleinen und mittelständischen Unternehmen ihren Wettbewerbsvorteil in der Qualität der Produkte, d. h. das Ziel ist die Leistungsführerschaft in dem jeweiligen Marktsegment (vgl. Kayser 1992, 250). Entsprechend dominieren im Sample die Unternehmen, die in Nischenmärkten tätig sind (Tabelle 6.7). Tabelle 6.7: Bearbeitete Marktart alle Güterbereiche
Investitionsgüter
Dienstleistungen
Massenmarkt
2
4,5 %
1
4,2 %
1
5,0 %
Nischenmarkt
41
93,2 %
23
95,8 %
18
90,0 %
sonstiges
1
2,3 %
0
0,0 %
1
5,0 %
Anzahl der Nennungen
44
24
20
134
6.3.5
Führungsverhalten im Unternehmen
Das Führungsverhalten innerhalb von Unternehmen ist ein entscheidender Einflussfaktor auf die Innovationskraft der Betriebe, da mitarbeiterorientierte KMU oftmals innovativer als weniger mitarbeiterorientierte Betriebe sind. Der Grund ist der schnellere und einfachere Diffussionsprozess von neuen Ideen im Unternehmen (vgl. Meiler 1999, 174f.). Insofern sind Kommunikationsbeziehungen und Kooperationen zwischen den einzelnen Bereichen wichtige Variablen des Führungsverhaltens im Unternehmen (vgl. Meiler 1999, 173). Die Beziehungen zwischen Marketing- sowie F&EAbteilung sollen im Folgenden durch die Variablen „Kommunikations-„ und „Kooperationsbeziehungen“ beschrieben werden. Unter den Kommunikationsbeziehungen wird dabei die Art und Weise der innerbetrieblichen Konfliktlösung, die Intensität der Austauschprozesse der Mitarbeiter und Vorgesetzten beider Bereiche sowie die Motivation zur Zusammenarbeit subsumiert. Kooperationsbeziehungen umfassen Einflussgrößen wie die Verteilung von Aufgaben und Kompetenzen. Neben der Einschätzung der oben genannten Beziehungen durch die Geschäftsleitung, wurde die Stärke der Förderung der Zusammenarbeit abgefragt. Die Unternehmen wurden gebeten, die Beziehungen und die Stärke der Förderung auf einer Skala von eins bis sechs, d. h. analog zu einer Schulnotenskala, einzuschätzen. Anhand der gewonnenen Daten wurden im Folgenden drei Gruppen gebildet. In Firmen mit einer Selbsteinschätzung von „1“ bis „2“ wurden die Beziehungen als „gut“ eingestuft, in Betrieben mit Wertungen von „3“ bis „4“ als eher „mittelmäßig“ und in denen mit „5“ bis „6“ als „schlecht“. Entsprechend wurde für die Variable „Stärke der Förderung“ eine Einteilung in die drei Gruppen vorgenommen.
135
Tabelle 6.8: Kommunikations- und Kooperationsbeziehungen undifferenziert über alle Güterbereiche KommunikationsFörderung der beziehungen Kommunikationsbeziehungen
Kooperationsbeziehungen
Förderung der Kooperationsbeziehungen
gut
42
76 %
38
69 %
39
74 %
37
69 %
mittelmäßig
13
24 %
14
26 %
13
25 %
15
28 %
schlecht
0
0%
3
6%
1
2%
2
4%
n
55
55
53
54
Tabelle 6.9: Kommunikations- und Kooperationsbeziehungen bei Investitionsgütern KommunikationsFörderung der beziehungen Kommunikationsbeziehungen
Kooperationsbeziehungen
gut
17
68 %
15
60 %
16
64 %
mittelmäßig
8
32 %
10
40 %
8
schlecht
0
0%
0
0%
1
n
25
25
Förderung der Kooperationsbeziehungen 15
60 %
32 %
9
36 %
4%
1
4%
25
25
Tabelle 6.10: Kommunikations- und Kooperationsbeziehungen bei Dienstleistungen KommunikationsFörderung der beziehungen Kommunikationsbeziehungen
Kooperationsbeziehungen
Förderung der Kooperationsbeziehungen
gut
17
85 %
17
85 %
16
84 %
16
80 %
mittelmäßig
3
15 %
2
10 %
3
16 %
3
15 %
schlecht
0
0%
1
5%
0
0%
1
5%
n
20
20
19
20
136
Bei einem Vergleich der Tabelle 6.8, Tabelle 6.9 und Tabelle 6.10 ist zu erkennen, dass die Kommunikations- und Kooperationsbeziehungen zwischen den einzelnen Abteilungen im Dienstleistungsbereich tendenziell besser eingeschätzt und diese Zusammenarbeit stärker gefördert wird. Aufgrund der geringen Fallzahl in den Gruppen „mittelmäßig“ sowie „schlecht“ ist eine weitere Untersuchung auf signifikante Unterschiede zwischen den Güterbereichen allerdings nicht möglich. In weiteren Untersuchungen des Wirkungszusammenhangs der Kommunikationsund Kooperationsbeziehungen auf andere Variablen wie z. B. den Anteil an marktfähigen Produkten konnte keine direkte Verbindung festgestellt werden. Die Anzahl der Hierarchiestufen hat weiterhin einen Einfluss auf die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Abteilungen. Bei einer Selbsteinschätzung gaben 87,5 % der befragten Firmen an, dass ein flaches Hierarchiesystem im Unternehmen vorliegt. Die restlichen 12,5 % schätzen ihre Hierarchie als mittelmäßig ausgeprägt ein. Aussagekräftiger ist in diesem Fall der konkrete Vergleich der Anzahl der Hierarchiestufen. Lediglich eine Firma verfügt nach eigenen Angaben über 35 Hierarchiestufen, allerdings sind in diesem Unternehmen fast 1.500 Mitarbeiter beschäftigt. Betrachtet man alle befragten Betriebe so ergeben sich als Median wie auch als Modus zwei Hierarchiestufen. Selbst in kleineren Unternehmen mit 1-9 Mitarbeitern dominiert mit 41,2 % eine zweistufige Hierarchie. Diese Organisationsstruktur überwiegt bis zu einer Unternehmensgröße von 50 Personen, erst danach sind drei bis vier Hierarchiestufen zu beobachten.
6.4 Gründe für das Scheitern von tragfähigen Ideen aus Sicht der Unternehmen In einem nächsten Schritt sollen die Hauptgründe für das Scheitern bei der Umsetzung von tragfähigen Ideen in marktfähige Produkte untersucht werden. Die folgende Tabelle 6.11 zeigt die Gründe für das Scheitern marktfähiger Ideen sowie die Bedeutung der Problembereiche.
137
Tabelle 6.11: Gründe für das Scheitern tragfähiger Ideen
Gesamtsample
Investitionsgüterhersteller
Dienstleistungsanbieter
Gründe:
n
%
n
%
n
%
•
fehlende personelle Ressourcen
27
24 %
16
24 %
11
26 %
•
fehlende finanzielle Ressourcen
28
25 %
16
24 %
12
28 %
•
fehlende spezifische Beratung
3
3%
1
1%
2
5%
•
fehlende Kooperation mit anderen Unternehmen oder Instituten
6
5%
3
4%
3
7%
unzureichende Kommunikation im Unternehmen
8
7%
5
7%
3
7%
•
fehlende Nachfrage
15
14 %
10
15 %
5
12 %
•
technologischer Fortschritt
6
5%
5
7%
1
2%
•
Wettbewerb
18
16 %
12
18 %
6
14 %
•
Allen untersuchten Unternehmen fehlt es vor allem an Humankapital und finanziellen Mitteln um tragfähige Ideen erfolgreich umzusetzen. Die fehlende spezifische Beratung als Scheiterungsgrund wird dagegen selten genannt. Dies ist insofern ein überraschendes Ergebnis, da es sich bei den meisten Unternehmen noch um junge Firmen oder Start-Ups handelt, die kaum über Markterfahrung verfügen dürften. Entweder ist die bereits genutzte Beratungsleistung ausreichend oder eine spezifische Beratung wird aus Sicht der Unternehmen nicht als wichtig erachtet und entsprechend weniger genutzt. Wettbewerb und fehlende Nachfrage werden an dritter und vierter Stelle der Scheiterungsgründe genannt (vgl. Tabelle 6.11). Um die Nachfrage und das Wettbewerbsverhalten entsprechend antizipieren zu können, ist der Einsatz von Analysetechniken notwendig. Aufgrund der beobachteten relativ hohen Bedeutung dieser beiden Elemente (Nachfrage und Wettbewerbsverhalten) als Scheiterungsgrund, kann vermutet werden, dass nicht ausreichend von Analyseinstrumenten Gebrauch gemacht wird. Die oben aufgeworfenen Fragestellungen werden im Folgenden genauer betrachtet.
138
Zu einem vergleichbaren Ergebnis bezüglich der Innovationshemmnisse kommt das BMBF (2002a, 7) in einer gesamtdeutschen Untersuchung. Personelle und finanzielle Restriktionen der KMU werden auch hier als Hauptproblem identifiziert. Zudem wird in dieser Studie dem Problembereich der Beschaffung von „Marktinformationen“ nur geringe Bedeutung beigemessen. Dies deckt sich mit den Werten aus Tabelle 6.11, in der eine spezifische Beratung als weniger wichtig eingeschätzt wurde. 6.4.1
Kooperationen
Kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) sind zumeist Zulieferer für größere Unternehmen (Meiler 1999, 168f.). In den letzten Jahren ist in vielen großen Konzernen ein Trend zu einer geringeren Wertschöpfungstiefe zu beobachten. Immer mehr Wertschöpfung, aber auch Entwicklungsarbeit wird an die Zulieferer übertragen, so dass die finanzielle und personelle Belastung der KMU steigt. Forschungs- und Entwicklungsarbeiten müssen vorfinanziert, Werkzeuge und Maschine gekauft sowie personelle Kapazitäten erhöht werden. Diese Vorleistungen sind insbesondere deshalb für deutsche KMU eine außerordentliche Belastung, da die Eigenkapitalausstattung in Deutschland im Durchschnitt nur 14 % beträgt. Die Eigenkapitalquote von KMU in den USA beläuft sich immerhin auf 45 %, in Japan noch 22 %. Deutsche KMU können sich deshalb nur mit einem höheren Zinssatz refinanzieren und sind eher von Finanzierungsproblemen betroffen (Reinking und Clausen 2002, 7). Eine Methode, um den Human- und Kapitalbedarf zu vermindern, ist die Kooperation mit anderen Unternehmen. Da die fehlende Kooperation mit Instituten nur selten als Scheiterungsgrund genannt wurde, kann vermutet werden, dass die Jenaer Firmen diesbezüglich einen hohen Kooperationsgrad aufweisen, was später noch genauer untersucht wird. Die generelle Einstellung gegenüber Kooperationen hat Einfluss auf die Anstrengungen der Unternehmen zur Realisierung von Kooperationsaktivitäten. Deshalb wurden die Firmen befragt, ob sie Kooperationen überhaupt als geeignete Möglichkeit ansehen, um Zugang zu neuen Technologien zu bekommen.
139
Die Unternehmen wurden gebeten, ihre Einstellung auf einer Skala von „1“ (stimme voll und ganz zu) bis „6“ (stimme überhaupt nicht zu) abzutragen. Anhand der Bewertungen wurden drei Gruppen gebildet. Unternehmen mit einer Bewertung von „1“ bis „2“ wurden in Gruppe „ja“; Firmen mit einer Einschätzung von „3“ bis „4“ in Gruppe „mittel“ und jene mit Werten von „5“ bis „6“ in Gruppe „nein“ eingeordnet. Die erste Gruppe („ja“) setzt sich aus den Firmen zusammen, die die Kooperation als geeignete Möglichkeit sehen um Zugang zu neuen Technologien zu gelangen. Die zweite Gruppe („mittel“) besteht aus Befragten, die sich unsicher sind, ob die Kooperation eine geeignete Form in diesem Zusammenhang darstellt. In der dritten Gruppe („nein“) befinden sich Unternehmen, die die Eignung von Kooperationen zum Zugang zu neuen Technologien bezweifeln. Tabelle 6.12: Einstellung zu Unternehmenskooperationen alle Güterbereiche n %
Investitionsgüter n %
Dienstleistungen n %
17
65 %
15
68 %
ja
32
67 %
mittel
14
29 %
9
35 %
5
23 %
nein
2
4%
0
0%
2
9%
Tabelle 6.13: Einstellung zu Kooperationen mit wissenschaftlichen Instituten alle Güterbereiche n %
Investitionsgüter n %
Dienstleistungen n %
18
72 %
14
ja
32
68 %
64 %
mittel
12
26 %
7
28 %
5
23 %
nein
3
6%
0
0%
3
14 %
Insgesamt kann festgestellt werden, dass die befragten Firmen Kooperationen als geeignete Möglichkeit ansehen, um Zugang zu neuen Technologien zu erlangen.
140
Gerade bei den Investitionsgüterherstellern scheinen wissenschaftliche Einrichtungen eine höhere Bedeutung einzunehmen. Es stellt sich nun die Frage, welcher Kooperationspartner vornehmlich genutzt, d. h. ob entweder Unternehmenskooperationen oder die Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Instituten bevorzugt wird. Die Häufigkeitsverteilung der Aussagen sind Tabelle 6.14 und Tabelle 6.15 zu entnehmen. Tabelle 6.14: Nutzung vor allem von Unternehmenskooperationen alle Güterbereiche n %
Investitionsgüter n %
Dienstleistungen n %
ja
15
31 %
7
27 %
8
36 %
mittel
22
46 %
12
46 %
10
45 %
nein
10
21 %
6
23 %
4
18 %
Tabelle 6.15: Nutzung vor allem von Kooperationen mit wissenschaftlichen Einrichtungen alle Güterbereiche n % ja
20
Investitionsgüter n %
Dienstleistungen n %
42 %
10
38 %
10
45 %
mittel
17
35 %
11
42 %
6
27 %
nein
11
23 %
5
19 %
6
27 %
Anhand von Tabelle 6.14 und Tabelle 6.15 ist erkennbar, dass in keinem der beiden Güterbereiche ein Kooperationspartner eine dominierende Rolle einnimmt. Vielmehr kann vermutet werden, dass beide Kooperationspartner eine wichtige Rolle spielen. In einem nächsten Schritt soll die Zusammenarbeit mit externen Forschungseinrichtungen untersucht werden. Die Unternehmen wurden gebeten, die Kooperationsintensität auf der bereits mehrfach vorgestellten sechs-stufigen Rating-Skala
141
abzutragen. Hieraus konnten wiederum drei Gruppen gebildet werden: erstens die Unternehmen, die eine hohe Kooperationsintensität aufweisen, zweitens die, die zwar mit Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten, bei denen die Intensität jedoch geringer ist und letztendlich die Unternehmen, in denen kaum oder keine Zusammenarbeit zu externen Forschungseinrichtungen zu beobachten ist (Tabelle 6.16). Tabelle 6.16: Nutzung von externen Forschungseinrichtungen alle Σ: 100 %
Investitionsgüter Σ: 100 %
Dienstleistungen Σ: 100 %
starke Nutzung von externen Forschungseinrichtungen
16 (34 %)
11 (44 %)
5 (23 %)
Gelegentliche Nutzung der Dienste von externen Forschungseinrichtungen
18 (38 %)
11 (44 %)
7 (32 %)
Kaum oder keine Nutzung der Dienste von externen Forschungseinrichtungen
13 (28 %)
3 (12 %)
10 (46 %)
47
25
22
Gesamt
Investitionsgüterhersteller nutzen entsprechend den Ergebnissen aus Tabelle 6.16 tendenziell häufiger externe Forschungseinrichtungen. So arbeiten in dieser Gruppe 88 % der Unternehmen zumindest gelegentlich mit externen Forschungseinrichtungen zusammen, bei den Dienstleistungsanbietern sind es lediglich 55 %. Innerhalb der Unternehmenskooperationen unterscheidet man unterschiedliche Ausprägungsformen, deren Bedeutung in Tabelle 6.17 aufgezeigt wird. Die Unternehmen sollten die Bedeutung der einzelnen Kooperationsarten auf einer Skala von eins (äußerst wichtig) bis sechs (völlig unwichtig) abtragen. Aus den gewonnenen Daten wurden zwei Gruppen gebildet, zum einen die Unternehmen, die die Bedeutung der Kooperationsart als „wichtig“ einschätzen (1-3) und die, denen sie „weniger wichtig“ erscheint (4-6).
142
Tabelle 6.17: Bedeutung der Art der Unternehmenskooperationen Art der Unternehmenskooperation
alle Güter
Investitionsgüter
Dienstleistungen
wichtig eher un- wichtig eher un- wichtig eher unwichtig wichtig wichtig kooperativer Ergebnisaustausch
28
0
11
0
17
0
Erteilung gemeinsamer Forschungsaufträge an Dritte
13
5
11
2
2
3
koordinierte, kooperative Einzelforschung und -entwicklung mit Ergebnisaustausch
26
4
15
2
11
2
arbeitsteilige Zusammenarbeit der F&E-Abteilungen durch Personaltausch
14
3
8
2
6
1
Errichtung gemeinsamer F&E Unternehmen (Joint Venture)
4
7
3
5
1
n = 48
n = 26
2 n = 22
Der gemeinsame Ergebnisaustausch erscheint mit seinen beiden Ausprägungsformen in beiden Güterbereichen besonders wichtig, wobei Investitionsgüterhersteller vor allem die koordinierte Einzelforschung bevorzugen. Dies ist einsichtig, da in diesem Bereich die F&E-Kosten deutlich höher als bei den Dienstleistungsanbietern sind, so dass durch eine koordinierte Einzelentwicklung Doppelarbeit vermieden und Kosten gespart werden können. Insbesondere bei Beziehungen zwischen Hersteller und Zulieferer ist deshalb der Typ der koordinierten Einzelforschung häufig anzutreffen (vgl. Brockhoff 1999, 59ff.). In einer weiteren Frage wurde die tatsächliche Nutzung von Kooperationen in Form von „freiwilligen Interessengemeinschaften“ abgefragt. Diese beinhaltet die Bereiche der gemeinsamen Zusammenarbeit bei Distribution, den persönlichen Kontakten zu anderen Unternehmen mit Erfahrungsaustausch sowie gemeinsame Messeauftritte. F&E-Kooperationen sollten dabei als Teil des Erfahrungsaustausches gesehen werden. Insgesamt nutzen 43,5 % (bzw. 56 % der Investitionsgüterhersteller und 28,5 % der Dienstleistungsanbieter) freiwillige Interessengemein-
143
schaften. Tabelle 6.18 zeigt einen deutlichen Unterschied zwischen den beiden betrachteten Güterbereichen. Tabelle 6.18: Bedeutung der Elemente freiwilliger Interessengemeinschaften alle Güter
Investitionsgüter Dienstleistungen
wichtig weniger wichtig weniger wichtig weniger wichtig wichtig wichtig gemeinsame Messepräsenz
6
11
4
6
2
5
gemeinsame Nutzung von Know-how zur Vermarktung
9
8
7
4
2
4
persönliche Kontakte und Erfahrungsaustausch
19
1
12
1
7
n = 48
n = 26
0 n = 22
Es wird deutlich, dass für Investitionsgüterhersteller die gemeinsame Nutzung von Know-how bei der Distribution wichtiger ist. Dies ist offensichtlich, da die Distribution von Investitionsgütern aufwendiger als die von Dienstleistungen ist und, wie später noch gezeigt wird, Investitionsgüterhersteller eher auf internationalen Märkten tätig sind. Der persönliche Kontakt und Erfahrungsaustausch wird in beiden Bereichen als besonders wichtig gesehen, während eine gemeinsame Messepräsenz nur eine untergeordnete Rolle spielt (auf diese letzten beiden Punkte wird noch ausführlicher im Kapitel 6.6.3.1 und 6.6.3.2 eingegangen). Die hier gefundenen Merkmale stehen im Gegensatz zu den von Simon (1990, 885f.) beschriebenen Eigenschaften der „Hidden Champions“. Unter der Überschrift „Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott“ (Simon 1990, 885) stellt er das Postulat auf, dass erfolgreiche Unternehmen entgegen aktuellen Trends vor allem auf die eigene Kraft vertrauen und kaum Kooperationen eingehen. Insbesondere bei Produktion und F&E käme es demnach kaum zu einer Zusammenarbeit. Als Grund nennt Simon (1990, 886) in der starken Spezialisierung der „Hidden Champions“, das spezifische Know-how wäre demnach nicht am Markt verfügbar und müsste im eigenen Unternehmen aufgebaut werden. Diese Argumentation muss allerdings kritisch hinterfragt werden, da in der Studie von Simon (1990)
144
z. B. keine F&E-Kooperationen mit wissenschaftlichen Einrichtungen untersucht wurden, die insbesondere im Investitionsgüterbereich eine große Rolle spielen (vgl. Tabelle 6.16). Zudem ermöglichen F&E-Kooperationen gerade die Spezialisierung von Unternehmen (vgl. Brockhoff 1999, 59f.), erlauben sie doch die Konzentration auf Kernkompetenzen. Letztendlich sind die Angaben zur untersuchten Unternehmensstichprobe ungenügend, da z. B. zur untersuchten Mitarbeiterzahl lediglich ein Mittelwert von 2904, aber keine Verteilung oder genauere Daten angegeben wurden (vgl. Simon 1990, 887). Es kann somit vermutet werden, dass in dieser Studie lediglich größere Betriebe (entsprechend der Einteilung von Fichtel (1997 11)), aber gerade keine KMU befragt wurden, so dass diese nicht den finanziellen und personellen Restriktionen der typischen KMUs unterliegen. 6.4.2
Nutzung von Beratungsleistungen
Wie bereits in Kapitel 6.4 beschrieben, spielt der Faktor „fehlende Beratung“ aus Unternehmenssicht keine entscheidende Rolle für das Scheitern von tragfähigen Ideen. Da sich in der Stichprobe vor allem kleine Unternehmen befinden, kann man jedoch nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass für alle benötigten Bereiche (z. B. Exportmärkte) entsprechende Experten vorhanden sind. Möglicherweise nutzen die befragten Unternehmen aber bereits intensiv Beratungsangebote, so dass dies keinen Problembereich darstellt (vgl. Tabelle 6.19). Da es sich bei fast 20 % noch um Start-Ups handelt, soll zudem untersucht werden, ob diese die Hilfe von Existenzgründerzentren in Anspruch nehmen (Tabelle 6.20 und Tabelle 6.21). Überraschenderweise ist entsprechend Tabelle 6.19 lediglich die Hälfte der untersuchten Firmen Kunde von Unternehmensberatungen. Insofern muss die oben aufgeworfene Vermutung kritisch hinterfragt werden – es scheint demnach zunächst so, also ob bei der Hälfte der Betriebe kein Beratungsbedarf vorhanden ist oder der Beratungsbedarf nicht erkannt wurde. In einer weiteren Frage wurde die Inanspruchnahme der Unterstützung von Existenzgründerzentren untersucht. Da sich die Angebote dieser Einrichtungen vor al-
145
lem an jüngere Firmen richten, werden hier nur die Unternehmen mit einem Alter von bis zu drei (Tabelle 6.20) bzw. vier bis sechs Jahren (Tabelle 6.21) betrachtet. Tabelle 6.19: Nutzung von Beratungsdienstleistungen alle Güter
Investitionsgüter
Dienstleistungen
Zahl % kum.% Zahl % kum.% Zahl % kum.% Nutzung einer Unternehmensberatung aus Jena
6 13 % 13 %
2
8%
8%
4 18 % 18 %
Unternehmensberatung stammt teilweise aus Jena
6 13 % 26 %
2
8 % 17 %
4 18 % 36 %
Unternehmensberatung aus einer anderen Region
9 20 % 46 %
6 25 % 42 %
3 14 % 50 %
keine Nutzung von Unternehmensberatungen
25 54 % 100 % 14 58 % 100 % 11 50 % 100 %
Tabelle 6.20: Nutzung von Existenzgründerzentren von Unternehmen mit einem maximalen Alter von 3 Jahren Gründungsjahr 1999-2001
alle Zahl
%
Investitionsgüter Zahl % 100 %
Dienstleistungen Zahl %
regelmäßige Nutzung
5
46 %
1
3
43 %
seltene Nutzung
2
18 %
0
1
14 %
keine Nutzung
4
36 %
0
3
43 %
Wie vermutet, lässt die Nutzungsintensität von Existenzgründerzentren mit steigendem Unternehmensalter nach. Deutlich erkennbar ist, dass nur ein Teil der Start-Ups das Angebot von Existenzgründerzentren in Anspruch nimmt. Aufgrund der geringen Fallzahl Tabelle 6.20 kann jedoch keine Aussage zu dem Bereich der Investitionsgüteranbieter gemacht werden. Bezüglich der Dienstleistungsanbieter ist zu beobachten, dass 43 % keine Hilfe von Existenzgründerzentren nutzt. Es stellt sich somit die Frage, warum ein so großer Teil der Unternehmensgründer auf diese Hilfe verzichtet.
146
Tabelle 6.21: Nutzung von Existenzgründerzentren von Unternehmen mit einem Alter von 4-6 Jahren alle
Gründungsjahr 1996-1998
Zahl
Investitionsgüter Zahl %
%
0
Dienstleistungen Zahl %
regelmäßige Nutzung
0
seltene Nutzung
4
33 %
2
33 %
0 1
33 %
keine Nutzung
8
66 %
4
66 %
2
66 %
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Beratungsangebote nur teilweise genutzt werden. Beratungsunternehmen bieten unter anderem Managementdienstleistungen an, in deren Rahmen verschiedene Analyseinstrumente eingesetzt werden. Da die Nachfrage nach solchen Leistungen eher eingeschränkt genutzt wird, ist davon auszugehen, dass in den Unternehmen selbst solche Analysemethoden verwendet werden und deshalb kein weiterer Beratungsbedarf besteht. 6.4.3
Nutzung von Analyseinstrumenten
Betrachtet man die Anwendung von Analyseinstrumenten differenziert nach Güterbereichen, so wird ersichtlich, dass Investitionsgüterhersteller stärker solche Methoden einsetzen. Aber selbst in diesem Teil der Stichprobe nutzen 38 % keine Analyseinstrumente (Tabelle 6.22). Tabelle 6.22: Nutzung von Analysehilfen alle Güterarten n % ja nein
26
54 %
22
46 %
n=48
Investitionsgüter n % 16
62 %
10
38 %
n=26
Dienstleistungen n % 10
45 %
12
55 %
n=22
147
Werden Analyseinstrumente verwendet, so handelt es sich zumeist um die Konkurrenzanalyse, die Stärken-/Schwächenanalyse sowie die Portfolioanalyse (Tabelle 6.23). Tabelle 6.23: Eingesetzte Analysemethoden alle Güter
Investitionsgüter
Dienstleistungsgüter
Portfolioanalyse
18
13
5
Stärken-/Schwächenanalyse
20
11
9
Potenzialanalyse
13
5
8
Szenarioanalyse
10
5
5
Konkurrenzanalyse
23
14
9
sonstiges
1
0
1
n = 48
n = 26
n = 22
Im nächsten Schritt soll untersucht werden, ob die Unternehmen, die selbst keine Analyseinstrumente nutzen, entsprechend mehr Beratungsleistungen in Anspruch nehmen (Tabelle 6.24). Tabelle 6.24: Zusammenhang zwischen Einsatz von Analysehilfen und Inanspruchnahme von Beratungsleistungen Kunde einer Unternehmensberatung ja nein ja Einsatz von Analysehilfen nein
n erwartete n
10
15
11,4
13,6
n
11
10
erwartete n
9,6
11,4
Berechnet man den Chi2-Wert zur Untersuchung des Zusammenhangs zwischen den Variablen „Nutzung von Beratungsleistungen“ und „Einsatz von Analysehilfen“, so erhält man einen Wert von 0,705 mit p = 0,4 (nicht signifikant).
148
In zehn Firmen werden keine Analysemethoden eingesetzt, aber auch keine Beratungsdienstleistung genutzt. Man könnte vermuten, dass diese zehn Unternehmen weniger marktreife Produkte als die anderen Firmen hervorbringen. Die Unternehmen wurden in dem Fragebogen gebeten, die Prozentzahl an marktreifen Produkten anzugeben. Um diese Werte besser interpretieren zu können, wurden zwei Gruppen gebildet. In der ersten Gruppe befinden sich die Unternehmen mit relativ wenigen marktreifen Produkten, in der zweiten entsprechend die mit mehr marktreifen Angeboten. Als Grenzwert für die Einteilung dient der Median von 72,5 % (Tabelle 6.25). Um Interpretationsprobleme im sog. „unscharfen Mittelbereich“ zu vermeiden, wurden jeweils die Unternehmen, die sich im Grenzbereich von ±10 % um den Median befanden, aus der Untersuchung ausgeschlossen. Diese Vorgehensweise hat sich bereits bei vergleichbaren Studien bewährt (vgl. Meiler 1999, 172). Tabelle 6.25: Anteil der marktreifen Produkte alle Güter
Investitionsgüter
Dienstleistungen
Mittelwert
67,9 %
68,5 %
67 %
Median
72,5 %
70 %
75 %
Tabelle 6.26: Marktreife je nach Nutzung von Analysemethoden und Beratungsleistungen Marktreife (in 2 Gruppen)
keine Analyse keine Beratung
Analyse Beratung
keine Analyse Analyse Beratung keine Beratung
wenig marktreife Produkte
6
67 %
2
22 %
3
33 %
3
27 %
viele marktreife Produkte
3
33 %
7
78 %
6
67 %
8
73 %
n
9
9
9
11
Aufgrund der geringen Fallzahl sind die Ergebnisse nur mit Vorsicht zu interpretieren. Es wird allerdings anhand von Tabelle 6.26 deutlich, dass Unternehmen,
149
die Analyseinstrumente verwenden bzw. Beratungsleistungen in Anspruch nehmen, eine höhere Zahl an marktreifen Produkten aufweisen als Betriebe, die keine Analysemethoden einsetzen und keine Beratungsleistungen nutzen. Eine Schwäche der Jenaer Unternehmen ist in der zu geringen Nutzungsintensität von Analyseinstrumenten zu sehen. Dieses Verhalten ist jedoch nicht spezifisch für die Firmen des ISJ, sondern bei sämtlichen KMU immanent (vgl. Simon 1990, 883f.; Fichtel 1997, 75; Bassen, Behnam und Gilbert 2001, 424). 6.4.4
Marktsegmentierung
Betrachtet man sämtliche Managementtechniken, so gilt die Marktsegmentierung als beliebtestes Managementinstrument; immerhin 78 % aller Großunternehmen verwenden diese Technik und mit fortschreitender Kundenorientierung wird ihre Bedeutung vermutlich weiter steigen (Bierach 2002, 96). Auch die hier betrachteten KMU müssen sich an den Kundenbedürfnissen orientieren. Deshalb könnte man vermuten, dass ein Großteil der Unternehmen zunächst eine Marktsegmentierung durchführen und danach ein entsprechendes Produkt für ein spezielles Segment entwickeln (Tabelle 6.27). Tabelle 6.27: Nutzung der Marktsegmentierung Alle Güter
Investitionsgüter Dienstleistungen
zunächst Marktsegmentierung und dann Produktentwicklung
32 (76 %)
17 (85 %)
15 (68 %)
zunächst Produktentwicklung und dann Marktsegmentierung
5 (12 %)
2 (10 %)
3 (14 %)
keine Marktsegmentierung
5 (12 %)
1 (5 %)
4 (18 %)
48
26
22
n
Die meisten Unternehmen verkaufen ihre Produkte an spezielle Kundengruppen, 12 % der befragten Firmen nutzen keine Marktsegmentierung, im Bereich der Investitionsgüter ist es lediglich ein Unternehmen. Zudem analysieren 85 % der In-
150
vestitionsgüterhersteller zunächst die verschiedenen Kundenbedürfnisse und entwickeln dann spezifische Produkte. Diese Vorgehensweise sichert, dass man nicht an den Bedürfnissen des Marktes vorbei entwickelt und ermöglicht erste Absatzprognosen für verschiedene Alternativen, bevor man mit der eigentlichen Produktentwicklung beginnt. Insofern erscheint sie sinnvoll, da so Entwicklungskosten reduziert werden können. Entwickelt man zunächst ein Produkt und führt danach eine Marktsegmentierung durch, erkennt man u. U. zu spät, dass es für das entwickelte Produkt keinen ausreichend hohen Bedarf gibt. In diesem Fall muss ein Unternehmen entweder im Nachhinein entsprechende Anpassungen vornehmen oder die Entwicklung komplett von vorn beginnen. Spätere Änderungskosten betragen üblicherweise das Zehnfache der Kosten, die ursprünglich zur Entwicklung notwendig gewesen wären (vgl. Haupt 2000, 103). Insofern ist sofort ersichtlich, dass es nicht vorteilhaft sein kann, zunächst das Produkt zu entwickeln und danach eine Marktsegmentierung durchzuführen. 6.4.5
Strategische Grundausrichtung der Unternehmen anhand der Ansoff-Matrix
Anhand der Ansoff-Matrix soll im Folgenden die strategische Ausrichtung der Unternehmen dargestellt werden. Dabei werden die angestrebten geographischen Märkte und Produkte näher untersucht. Die Unternehmen wurden befragt, welche strategische Ausrichtung in der Firma derzeit verfolgt wird. Die Häufigkeit der Nennung wird in der Tabelle 6.28 und der Tabelle 6.29 dargestellt. Tabelle 6.28: Strategische Ausrichtung undifferenziert für die Bereiche Investitionsgüter und Dienstleistungen Gegenwärtige Märkte
Neue Märkte
Vorhandene Produkte
5 (18 %)
5 (18 %)
Neue Produkte
13 (43 %)
5 (18 %)
151
Tabelle 6.29: Strategische Ausrichtung getrennt für die Bereiche Investitionsgüter und Dienstleistungen Investitionsgüter
Dienstleistungen
Gegenwärtige Märkte
Neue Märkte
Gegenwärtige Märkte
Neue Märkte
Vorhandene Produkte
3 (19 %)
3 (19 %)
2 (17 %)
2 (17 %)
Neue Produkte
9 (56 %)
1 (6 %)
4 (33 %)
4 (33 %)
Es ist erkennbar, dass der Fokus der Investitionsgüterhersteller auf der Produktentwicklung liegt, die Diversifikation dagegen erscheint kaum von Bedeutung. In seiner Untersuchung zu den „Hidden Champions“ in Deutschland, stellte Simon (1990, 879) fest, dass viele Weltmarktführer auf eine Diversifikation verzichten, da eine solche Wettbewerbsposition nur durch „extreme Spezialisierung und Konzentration“ (Simon 1990, 879) erreichbar sei. Entsprechend ist die in Tabelle 6.29 erkennbare Situation der Investitionsgüterhersteller als positiv zu werten. Im Bereich der Dienstleistungsanbieter wird auch der Schwerpunkt auf die Entwicklung neuer Angebote gelegt, wobei hier die Diversifikation gleich häufig wie die Produktentwicklung genannt wird. In beiden betrachteten Bereichen (Investitionsgüter und Dienstleistungen) scheint die Erweiterung der geographischen Reichweite der Produkte eine weniger wichtige Rolle zu spielen. Im Folgenden soll deshalb untersucht werden, ob die Jenaer Unternehmen bereits international engagiert sind oder ihre Güter vor allem auf nationalen Märkten vertreiben (Tabelle 6.30). Tabelle 6.30: Geographische Reichweite der Jenaer Unternehmen alle Güterbereiche
Investitionsgüter
Dienstleistungen
nur nationale Märkte
19 (44 %)
7 (28 %)
12 (67 %)
internationale Märkte
24 (56 %)
18 (72 %)
6 (33 %)
152
Dienstleistungsanbieter sind eher auf nationalen Märkten tätig. Im Investitionsgüterbereich fällt die hohe Rate der international tätigen Unternehmen auf, da es sich bei den befragten Firmen vor allem um Klein- und Kleinstunternehmen handelt.
6.5 Quellen der Innovationen 6.5.1
Selbsteinschätzung der Jenaer Unternehmen
Anhand einer Selbsteinschätzung soll nun untersucht werden, wie innovativ sich die Jenaer Unternehmen sehen. Das abgefragte Selbstbild von Unternehmen ist immer auch von externen Referenzpunkten abhängig, d. h. von der Innovativität anderer Betriebe der Region Jena sowie von Firmen anderer Wirtschaftsgebiete. Insgesamt sehen sich die Jenaer Unternehmen (n = 57) selbst als innovativ; d. h. 28 % (n = 16) sehen sich als sehr innovativ, 51 % (n = 29) als innovativ und weitere 18 % (n = 10) als mittelmäßig innovativ. Weniger innovativ bewerteten sich lediglich 2 Firmen (3,6 %). 6.5.2
Innovationsquellen
Quelle von Innovationen sind vor allem der eigene F&E-Bereich und Kundenanregungen (Tabelle 6.31). Weiterhin wurden an dritter Stelle die Initiierung durch wissenschaftliche Einrichtungen und weitere externe Partner wie Lieferanten genannt. Anhand dieser Verteilung kann man bereits vermuten, dass technologieund nachfrageinduzierte Innovationen sich in etwa die Waage halten werden. Zudem wird der wichtige Einfluss der Jenaer Forschungseinrichtungen deutlich, die entscheidend an dem Innovationsprozess beteiligt sind und diesen mit prägen. Letztendlich ist erkennbar, dass Lieferanten, wenn auch mit geringerer Bedeutung, in den Innovationsprozess einbezogen werden.
153
Tabelle 6.31: Initiierung von Innovationen alle Güterbereiche (n = 58) Die Initiierung von Innovationen erfolgt durch: eigenen F&E Bereich
wissenschaftliche Einrichtungen
Kunden
externe Partner (z. B. Lieferanten)
38
19
34
13
Unterscheidet man in einem zweiten Schritt nach Investitionsgüterherstellern (Tabelle 6.32) und Dienstleistungsanbietern (Tabelle 6.33), verschieben sich die Bedeutungsgewichte der Innovationsquellen. In der Gruppe der Investitionsgüterhersteller bleibt die führende Rolle des F&E-Bereichs und die der Kunden bestehen. Auch die Bedeutung der wissenschaftlichen Institute ist unverändert, allerdings sinkt der Einfluss der externen Partner stark. So geben nur noch zwei von insgesamt 26 befragten Unternehmen an, dass externe Partner als Quelle von Innovationen dienen. Tabelle 6.32: Initiierung von Innovationen bei den Investitionsgüterherstellern (n = 26) eigenen F&E Bereich
wissenschaftliche Einrichtungen
Kunden
externe Partner (z. B. Lieferanten)
22
11
16
2
Tabelle 6.33: Initiierung von Innovationen bei den Dienstleistungsanbietern (n = 22) eigenen F&E Bereich
wissenschaftliche Einrichtungen
Kunden
externe Partner (z. B. Lieferanten)
13
5
11
7
154
Im Bereich der Dienstleistungsanbieter (Tabelle 6.33) ist zu erkennen, dass der Einfluss von wissenschaftlichen Einrichtungen stark schrumpft, dagegen gewinnen andere externe Partner an Bedeutung. 6.5.3
Technologie- vs. nachfrageinduzierte Innovationen
Wie bereits in 6.5.2 angesprochen, wird vermutet, dass die Bedeutung von technologie- und nachfragerinduzierte Innovationen in etwa gleich gewichtet ist. Betrachtet man die Stichprobe undifferenziert über alle Güterbereiche, so kann man zwar diese Vermutung bestätigen – weder technologie- noch nachfrageinduzierte Innovationen dominieren (Tabelle 6.34), jedoch sind über 70 % der Innovationen entweder technologie- oder nachfragerinduziert. Eine Mischung findet sich nur bei knapp 30 % der Innovationen. Tabelle 6.34: Technologie- vs. nachfrageorientierte Innovationen über alle Gütergruppen Häufigkeit der Nennungen
Prozent
vor allem technologieinduziert (60-100% der Innovationen sind technologieinduziert)
21
36,2 %
gleich gewichtet
17
29,3 %
vor allem nachfrageinduziert (60-100% der Innovationen sind nachfrageinduziert)
20
34,5 %
n
58
100,0 %
Ein ähnliches Bild ergibt sich bei einer separaten Betrachtung der einzelnen Güterbereiche Dienstleistungsanbieter und Investitionsgüterhersteller.
155
Tabelle 6.35: Technologie- vs. nachfrageorientierte Innovationen – differenziert nach Gütergruppen Investitionsgüter Häufigkeit %
Dienstleistungen Häufigkeit %
vor allem technologieinduziert
10
39 %
7
32 %
gleich gewichtet
7
27 %
9
41 %
vor allem nachfrageinduziert
9
35 %
6
27 %
n
26
22
Simon (1990, 881) sieht in einem ausgewogenen Mix aus technologie- und nachfragerinduzierten Innovationen einen bedeutendes Merkmal für „Hidden Champions“, d. h. erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass keiner der Bereiche dominiert. Eine solche Gleichgewichtung findet man eher im Dienstleistungsbereich, dagegen weniger im Sektor der Investitionsgüterhersteller. In weiteren Untersuchungen wurden Zusammenhänge von technologie- und nachfrageinduzierten Innovationen mit anderen Variablen wie der z. B. geographischen Reichweite untersucht, allerdings konnten keine Verbindungen dieser Variable mit anderen gefunden werden. 6.5.4
Innovationsprozess
Im Folgenden soll untersucht werden, welche Phasen im Innovationsprozess die meisten finanziellen Ressourcen benötigen. Zu diesem Zweck wurden die befragten Unternehmen gebeten, mittels eines Konstant-Summen-Verfahrens 100 Punkte auf die einzelnen Phasen entsprechend ihres Mittelbedarfs zu verteilen (Tabelle 6.36). Die Phasen der Entwicklung und Vermarktung benötigen in beiden Güterbereichen die meisten finanziellen Ressourcen. Die Ideengenerierung hat lediglich bei den Dienstleistungsanbietern einen ähnlich hohen Bedarf. Bei den Investitionsgüteranbietern werden dagegen weniger Mittel für diesen ersten Schritt im Innovati-
156
onsprozess eingesetzt. Möglicherweise können durch eine frühzeitige Einbeziehung von Pilotkunden (Tabelle 6.37) entsprechende Kosten gespart werden. Tabelle 6.36: Verteilung der finanziellen Aufwendungen auf den Innovationsprozess alle Güter
Investitionsgüter
Dienstleistungen
Invention / Ideengenerierung
13 %
10 %
18 %
Screening & Analyse
11 %
9%
14 %
Entwicklung
32 %
37 %
27 %
Test
14 %
15 %
13 %
Vermarktung
20 %
22 %
18 %
Anpassung / Verbesserung
10 %
9%
11 %
Tabelle 6.37: Einsatz von Pilotkunden Einsatz von Pilotkunden
Alle Güter
Investitionsgüter
Dienstleistungen
ja
30
62,5 %
17
65,4 %
13
59,1 %
nein
18
37,5 %
9
34,6 %
9
40,9 %
Tabelle 6.37 zeigt, dass die Investitionsgüterhersteller stärker Pilotkunden einsetzen, wobei die Unterschiede relativ gering sind. Es ergibt sich ein Chi2-Wert von 0,2 mit p = 0,65 (nicht signifikant). Im Folgenden wurden weitere Zusammenhänge zwischen der Nutzung von Pilotkunden und Variablen wie der Prozentzahl der marktreifen Produkte, dem Wettbewerbsvorteil, den technologie- vs. nachfrageinduzierte Innovationen, dem Markteintrittszeitpunkt sowie geographische Märkte untersucht, allerdings konnten keine Abhängigkeiten zwischen den entsprechenden Items gefunden werden, was zum Teil auch auf die geringen Fallzahlen zurückzuführen sein dürfte.
157
6.6 Vermarktung 6.6.1
Markteintrittszeitpunkt
Die meisten Unternehmen in der Stichprobe sind späte Folger in Nischenmärkten (vgl. Tabelle 6.38). Betrachtet man jedoch die Stichprobe getrennt nach Investitionsgüterherstellern und Dienstleistungsanbietern, so ist festzustellen, dass sich im Bereich der Investitionsgüterhersteller die „späten Folger in Nischenmärkten“ und die „Pioniere“ in etwa die Waage halten. Dies könnte als Indiz für die existenz eines Innovationssystems Jena gewertet werden. Im Dienstleistungsbereich dominieren dagegen eindeutig die „späten Folger“. Tabelle 6.38: Markteintrittszeitpunkt der Unternehmen untersucht nach Güterbereichen Alle Güter Pionier
13
33 %
früher Folger
6
später Folger mit Imitation
3
später Folger in Marktnischen
18
38 %
n
40
Investitionsgüter
Dienstleistungen
7
35 %
15 %
4
20 %
2
10 %
8%
1
5%
2
10 %
8
40 %
10
50 %
20
6
30 %
20
Eine Untersuchung der Variablen „Markteintrittszeitpunkt“ und „Wettbewerbsvorteil“ lässt (auch aufgrund der wenigen Beobachtungen) keine Zusammenhänge erkennen. Ebenso konnte zwischen dem Markteintrittszeitpunkt und der Anzahl der marktreifen Produkte, den nachfrage- vs. technologieinduzierten Innovationen, der Nutzung von Beratungsleistungen sowie dem Einsatz von Analyseinstrumenten kein Zusammenhang gefunden werden. 6.6.2
Möglichkeiten zum Reputationsaufbau
Unternehmen besitzen verschiedene Möglichkeiten um Informationsasymmetrien zwischen Anbieter und Nachfragern bezüglich der Qualität des Austauschobjektes
158
zu reduzieren. Zum einen ist eine Selbstbindung des Anbieters durch eine den gesetzlichen Bestimmungen weiter gehende Garantiepolitik zur Reduzierung der Unsicherheit möglich. Garantien sind eine Art der Selbstbindung des Anbieters mit dem Ziel einer ex post-Kompensation des Kunden für einen eventuellen Schaden. Weiterhin ist es möglich, die Informationsasymmetrien durch eine entsprechende Reputationspolitik zu reduzieren. Reputation „umfasst den Aufbau von Ansehen und Vertrauenswürdigkeit“ (Gierl, Helm und Satzinger 1999, 1184). Durch eine gezielte Informationspolitik, Garantien, Imagewerbung oder Nutzung von Referenzkunden kann das Unternehmen versuchen, seine Reputation langfristig zu erhöhen, wobei der Begriff „Reputation“ den augenblicklichen Ist-Zustand darstellt und zeitlich relativ stabil ist. Dieses immaterielle Gut dient dem Nachfrager später als Pfand. Der Hersteller kann durch eine hohe Reputation das Vertrauen in die von ihm angebotenen Güter steigern und so die Transaktionskosten (vor allem in Form von Such- und Prüfkosten) für den Nachfrager senken (vgl. Gierl, Helm und Satzinger 1999, 1184ff.). Tabelle 6.39: Maßnahmen der Informations- und Garantiepolitik sowie Einflussfaktoren auf die Reputation (Quelle: in Anlehnung an Gierl, Helm, Satzinger 1999, 1184 Informationspolitik
Garantiepolitik
Reputation
•
•
•
•
persönlicher Verkauf (Kapitel 6.6.3.1) Messenutzung (Kapitel 6.6.3.2)
•
Zusätzliche Garantieleistungen Kundenservice
• • • •
Erwähnung von Referenzkunden (siehe auch Kapitel 6.5.4) Innovationswettbewerbe Qualität der Produkte Lieferkonditionen
Unternehmensalter (Kapitel 6.3.2)
Wie bereits angesprochen können Unternehmen durch Maßnahmen der Informations- und Garantiepolitik langfristig die Reputation beeinflussen. Zudem gibt es verschiedene Ausprägungen, die einen direkten Einfluss auf die Reputation haben.
159
In Anlehnung an Gierl, Helm und Satzinger (1999, 1184) wurden einige davon abgefragt. Im Folgenden (Tabelle 6.40) wird der Markteintrittszeitpunkt in Abhängigkeit der Instrumente zum Reputationsaufbau betrachtet. Die Unternehmen sollten hierbei die tatsächlich eingesetzten Mittel zum Reputationsaufbau angeben. Tabelle 6.40: Zusammenhang von Markteintrittszeitpunkt und Faktoren zur Beeinflussung der Reputation (Mehrfachantworten möglich) Qualität der Produkte
Erwäh- Zusätzli- Kundennung von che Gaservice Referenz- rantiekunden leistungen
Lieferkonditionen
Innovati- Gesamt onswettZeile bewerbe
Pionier
13 100 %
11 85 %
2 15 %
11 85 %
4 31 %
3 23 %
13 33 %
früher Folger
6 100 %
4 67 %
1 17 %
3 50 %
2 33 %
1 17 %
6 15 %
später Folger mit Imitation
1 50 %
0 0%
0 0%
2 100 %
1 50 %
0 0%
2 5%
später Folger in Marktnischen
17 94 %
11 61 %
3 17 %
12 67 %
9 50 %
2 11 %
18 46 %
Gesamt Spalten
37 95 %
26 67 %
6 15 %
28 72 %
16 41 %
6 15 %
Wie bereits in Kapitel 6.3.4 angesprochen, streben die meisten Unternehmen in dieser Stichprobe die Leistungsführerschaft an. Dementsprechend legen fast alle befragten Firmen (95 %) besonderes Gewicht auf die Qualität der Produkte. Weiterhin spielen der Kundenservice und der Einsatz von Referenzkunden im Kommunikationsprozess eine bedeutende Rolle. Garantieleistungen, die Teilnahme an Innovationswettbewerben und Lieferkonditionen werden seltener zum Reputationsaufbau genutzt. Aufgrund der geringen Fallzahl bei den „frühen Folgern“ und den „späten Folgern mit Imitation“ soll bei der weiteren Betrachtung nur auf die „Pioniere“ und „spä-
160
ten Folger in Marktnischen“ eingegangen werden. Untersucht man zunächst nur die „Pioniere“, so ist festzustellen, dass die Bedeutung des Kundenservice und der Einsatz von Referenzkunden im Kommunikationsprozess eine hohe Rolle spielen. Überraschenderweise ist jedoch keine gestiegene Wichtigkeit von Garantieleistungen und Innovationswettbewerben zu erkennen. Bei den „späten Folgern in Marktnischen“ steigt dagegen die Bedeutung der Lieferkonditionen, man kann somit vermuten, dass die Preissensibilität der Kunden von späten Folgern höher als die von Pionieren ist. In der Untersuchung von Simon (1990, 880f.) wurde festgestellt, dass erfolgreiche Unternehmen besonderen Wert auf Qualität der Produkte, Service und Kundennähe legen. Die Elemente Qualität und Service besitzen auch in dieser Stichprobe eine hohe Bedeutung (Tabelle 6.40); ebenso weisen die Unternehmen des Investitionsgüterbereiches eine hohe Kundennähe auf, worauf in den Kapiteln 6.6.3.1 und 6.6.3.2 noch genauer eingegangen wird. Garantieleistungen spielen entsprechend Tabelle 6.40 eine eher untergeordnete Rolle. Dies gilt sowohl für die Investitionsgüterhersteller als auch für die Dienstleistungsanbieter. In einer weiteren Frage wurde erhoben, ob die Unternehmen zusätzlich zu den gesetzlichen Bestimmungen weitere Garantien gewähren (Tabelle 6.41). Es zeigt sich hierbei kein Unterschied zwischen den beiden betrachteten Güterbereichen. Tabelle 6.41: Gewährung von zusätzlichen Leistungen, die über die gesetzliche Gewährleistungspflicht hinausgehen alle
Investitionsgüter
Dienstleistungen
Gewährung zusätzlicher Leistungen
12 (26 %)
7 (29 %)
5 (23 %)
Keine Gewährung zusätzlicher Leistungen
34 (74 %)
17 (71 %)
17 (77 %)
46
24
22
n
161
Möglicherweise besteht ein Zusammenhang zwischen dem Markteintrittszeitpunkt und der Gewährung zusätzlicher Garantieleistungen (Tabelle 6.42). Pioniere könnten z. B. durch einen erweiterten Garantieumfang zur Reduzierung der Unsicherheit bei den Kunden beitragen (vgl. Helm 2001, 100f.). Tabelle 6.42: Gewährung von zusätzlichen Garantieleistungen unterteilt nach Markteintrittszeitpunkt Gewährung von zusätzlichen Garantieleistungen ja nein Gesamt Pionier
n erwartete n Spaltenprozent
1 3,3 10,0 %
12 9,8 40,0 %
13 13,0 32,5 %
früher Folger
n erwartete n Spaltenprozent
1 1,5 10,0 %
5 4,5 16,7 %
6 6,0 15,0 %
später Folger mit Imitation
n erwartete n Spaltenprozent
1 0,8 10,0 %
2 2,3 6,7 %
3 3,0 7,5 %
später Folger in Marktnischen
n erwartete n Spaltenprozent
7 4,5 70,0 %
11 13,5 36,7 %
18 18,0 45,0 %
10
30
40
n Gesamt
In dieser Stichprobe sind es nicht wie erwartet die Pioniere, die zusätzliche Garantieleistungen anbieten, sondern die späten Folger, die dieses Mittel zum Reputationsaufbau nutzen. Insgesamt 80 % der Unternehmen, die zusätzliche Garantieleistungen gewähren, sind späte Folger. Dagegen nutzen lediglich 10 % der Pioniere und 10 % der frühen Folger dieses Instrument. Ein Zusammenhang zwischen der Art der Garantiegewährung (Garantiedauer bzw. Garantieumfang) und dem Markteintrittszeitpunkt konnte, auch aufgrund zu weniger Beobachtungen, nicht gefunden werden. Schließlich hat die Dauer der Unternehmenstätigkeit, d. h. das Alter der Firma einen Einfluss auf die Reputation und insbesondere auf die Glaubwürdigkeit der in Tabelle 6.40 dargestellten Signale der Informations- und Garantiepolitik, da diese
162
Erfahrungs- und Vertrauensgüter darstellen (Gierl, Helm und Satzinger 1999, 1184f.). Entsprechend könnte man vermuten, dass beim Einsatz der in Tabelle 6.41 bereits angesprochenen Möglichkeiten ein Unterschied zwischen lange am Markt existierenden und jungen Unternehmen besteht. Um diesen vermuteten Zusammenhang besser untersuchen zu können, wurde die Stichprobe in zwei Gruppen unterteilt. In der ersten Gruppe befinden sich Unternehmen, die nach 1995 gegründet wurden, in der zweiten die, die bis 1995 entstanden sind (Tabelle 6.43). Tabelle 6.43: Zusammenhang von Unternehmensalter und Faktoren zur Beeinflussung der Reputation (Mehrfachartworten möglich) Unternehmensgründung
Qualität der Produkte
ErwähZusätzlinung von che GaReferenzrantiekunden leistungen
Kundenservice
Lieferkonditionen
Innovationswettbewerbe
Gesamt Zeile
1996 bis 2001
16 94,1 %
13 76,5 %
4 23,5 %
13 76,5 %
8 47,1 %
3 17,6 %
17 37,8 %
bis 1995
27 96,4 %
17 60,7 %
5 17,9 %
21 75,0 %
13 46,4 %
5 17,9 %
28 62,2 %
Gesamt Spalten
43 95,6 %
30 66,7 %
9 20,0 %
34 75,6 %
21 46,7 %
8 17,8 %
Es sind anhand von Tabelle 6.43 lediglich zwei Unterschiede erkennbar. Demnach setzen junge Unternehmen stärker als ältere Betriebe auf zusätzliche Garantieleistungen sowie Referenzkunden. 6.6.3 6.6.3.1
Distribution Persönlicher Verkauf
Die Art der eingesetzten Absatzmittler dient als weiteres Instrument zum Reputationsaufbau (vgl. Helm 2001, 98ff.; Gierl, Helm und Satzinger 1999, 1184). In den beiden Bereichen der Investitionsgüter und Dienstleistungen ist davon auszuge-
163
hen, dass der persönliche Verkauf eine große Rolle spielt. Die Ergebnisse in Tabelle 6.44 unterstützen diese Vermutung, d. h. insgesamt 83 % legen sehr viel Wert auf den persönlichen Verkauf. In der Befragung wurden die Unternehmen gebeten, die Bedeutung des persönlichen Verkaufsgesprächs auf einer sechs-stufigen Rating-Skala abzutragen. Aus den Ergebnissen konnten, wie schon weiter oben beschrieben, drei Gruppen gebildet werden (Tabelle 6.44). Tabelle 6.44: Bedeutung des persönlichen Verkaufs
Gruppe 1: Der persönliche Verkauf ist sehr wichtig. Gruppe 2: Dem persönlichen Verkauf kommt eine mittelmäßige Bedeutung zu. Gruppe 3: Der persönliche Verkauf ist unwichtig. n
alle Güter
Investitionsgüter
Dienstleistungen
39 (83 %)
23 (92 %)
16 (73 %)
4 (9 %)
1 (4 %)
3 (14 %)
4 (9 %)
1 (4 %)
3 (14 %)
47
25
22
Wie erwartet, ist die Bedeutung des persönlichen Verkaufes im Investitionsgüterbereich sehr hoch (92 % erachten ihn als sehr wichtig). Überraschend ist allerdings ihre geringere Wichtigkeit für Dienstleistungsanbieter, da hier die Leistungen zumeist immaterieller Art sind und die Angebote somit oft nur persönlich vermittelt werden können. 6.6.3.2 Messen Letztendlich ermöglichen Messen einen direkten Kundenkontakt und dienen somit ebenfalls dem Reputationsaufbau (vgl. Helm 2001, 98). Es soll deshalb untersucht werden, wie oft (Tabelle 6.45) und welche Messen (Tabelle 6.48) genutzt werden.
164
Tabelle 6.45: Nutzungsintensität von Messen Präsenz auf Messen
alle Güter
Investitionsgüter
Dienstleistungen
nie 1 bis 2 mal pro Jahr mehr als 2 mal pro Jahr
5 (10 %) 23 (48 %) 20 (42 %)
0 (0 %) 10 (39 %) 16 (61 %)
5 (23 %) 13 (59 %) 4 (18 %)
48
26
22
n
Alle befragten Unternehmen des Investitionsgüterbereichs sind entsprechend den Ergebnissen aus Tabelle 6.45 mindestens einmal pro Jahr auf einer Messe vertreten. Mehr als die Hälfte (61 %) häufiger als zweimal. Im Dienstleistungsbereich stellen dagegen nur 18 % mehr als zweimal pro Jahr auf Messen aus. Möglicherweise hat die Verteilung der geographischen Märkte einen Einfluss auf die Häufigkeit der Messeauftritte, d. h. es könnte vermutet werden, dass Unternehmen auf internationalen Märkten häufiger auf Messen vertreten sind als Firmen, die nur national aktiv sind. Tabelle 6.46: Messenutzung je nach geographischen Märkten
Messepräsenz
geographische Märkte national international Gesamt
nie
5
0
5
1 bis 2 mal pro Jahr mehr als zweimal pro Jahr
10
9
19
4
15
19
Gesamt
19
24
43
Entsprechend den Ergebnissen aus Tabelle 6.46 kann die Vermutung eines Zusammenhangs zwischen Häufigkeit der Messepräsenz und geographischer Ausdehnung der Märkte in der Tendenz bestätigt werden, wobei aufgrund der geringen Fallzahl kein Signifikanztest durchgeführt werden konnte. Wie bereits in Kapitel 6.4.5 betrachtet, sind Investitionsgüterhersteller stärker auf internationalen Märkten tätig. Anhand von Tabelle 6.45 wurde zudem ersichtlich,
165
dass Investitionsgüterhersteller häufiger auf Messen vertreten sind als Dienstleistungsanbieter. Deshalb soll der Einfluss der Güterart auf die Häufigkeit der Messenutzung genauer untersucht werden (Tabelle 6.47). Tabelle 6.47: Messenutzung nach Güterbereichen Investitionsgüter geographische Märkte national international
Dienstleistungen geographische Märkte national international
nie
n %
0 0%
0 0%
5 42 %
0 0%
1 bis 2 mal pro Jahr
n %
4 57 %
5 28 %
6 50 %
4 67 %
mehr als zweimal pro Jahr
n %
3 43 %
13 72 %
1 8%
2 33 %
Gesamt
n
7
18
12
6
Man kann anhand von Tabelle 6.47 erkennen, dass die Messenutzung von der Güterart und dem geographischen Markt abhängig ist. Während 72 % der international tätigen Investitionsgüterhersteller häufiger als zweimal pro Jahr auf Messen vertreten sind, nutzen nur 33 % der international tätigen Dienstleistungsanbieter entsprechende Veranstaltungen mehr als zweimal. Im nächsten Schritt soll nun untersucht werden, welche Messeformen bevorzugt eingesetzt werden (Tabelle 6.48). Tabelle 6.48: Nutzung von Messearten
Universalmesse Fachmesse Hausmesse technische Mehrbranchenmesse virtuelle Messe
Alle Güter n = 43
Investitionsgüter n = 26
Dienstleistungen n = 17
2 (5 %) 41 (95 %) 10 (23 %) 7 (16 %)
1 (4 %) 26 (100 %) 6 (23 %) 5 (19 %)
1 (6 %) 15 (88 %) 4 (24 %) 2 (12 %)
5 (12 %)
3 (12 %)
2 (12 %)
166
Die dominierende Messeart ist die Fachmesse; sämtliche Unternehmen (100 %) des Investitionsgüterbereiches nutzen diese als Kommunikationsplattform. Bei den Dienstleistungsanbietern sind es 88 %. Alle anderen Messearten spielen dagegen eine eher untergeordnete Rolle. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass durch den persönlichen Verkauf und durch eine starke Nutzung von Messeauftritten insbesondere im Bereich der Investitionsgüterhersteller eine hohe Kundennähe erreicht werden kann.
6.7 Zusammenfassung Bei den befragten Unternehmen handelt es sich vor allem um Betriebe im Investitions- und Dienstleistungsbereich. Eine Besonderheit ist das Alter der Firmen, lediglich ein Unternehmen bestand schon vor 1990; der Anteil der jungen Unternehmen mit einem Alter von bis zu zwei Jahren beträgt dagegen fast 20 %. Das Alter der untersuchten Betriebe hat auch Einfluss auf die Unternehmensgröße, die Anzahl der Hierarchiestufen und auf die Gründe für das Scheitern tragfähiger Ideen. Bei den Firmen in dieser Stichprobe handelt es sich vornehmlich um kleine Unternehmen mit zwei Hierarchiestufen. Als Hauptgründe für das Scheitern von tragfähigen Ideen werden mangelnde finanzielle Ressourcen, aber auch fehlendes Personal gesehen. Eine Methode, die finanziellen und personellen Engpässe zu lindern, ist die Kooperation mit anderen Unternehmen oder externen Forschungseinrichtungen. Diese Möglichkeiten werden insbesondere von den Investitionsgüterherstellern genutzt. Es scheint allerdings teilweise ein mangelndes Bewusstsein für die Bedeutung von Beratungsleistungen und den Einsatz von Analyseinstrumenten in den Unternehmen vorherrschend zu sein, da nicht alle Firmen diese nutzen, obwohl deren Einsatz einen positiven Einfluss auf den Anteil der marktfähigen Produkte hat. Die meisten Unternehmen analysieren zunächst die entsprechenden Bedürfnisse am Markt und entwickeln danach entsprechende Angebote. Quellen von Innovationen sind vor allem die eigene F&E-Abteilung und die Kunden, aber auch externe Forschungseinrichtungen werden in den Innovationspro-
167
zess einbezogen. Fast alle betrachteten Unternehmen streben die Leistungsführerschaft in ihrem jeweiligen Marktsegment an, entsprechend dominieren Firmen in Nischenmärkten. Im Investitionsgüterbereich sind besonders viele Pioniere zu finden, während im Dienstleistungsbereich vor allem die späten Folger in Marktnischen vorherrschend sind. Als Mittel zum Reputationsaufbau nutzen die Firmen vor allem die hohe Qualität der Produkte, den Kundenservice und die Erwähnung von Referenzkunden. Lieferkonditionen spielen eher bei den späten Folgern in der Marktnische eine Rolle. Bei der Distribution setzen die Unternehmen vor allem auf den persönlichen Verkauf sowie auf eine Messepräsenz, wobei diese Instrumente bei den Investitionsgüterherstellern eine höhere Bedeutung besitzen. Die unternehmensinternen Stärken und Schwächen der Jenaer Unternehmen im Investitionsgüterbereich lassen sich demnach gemäß Tabelle 6.49 zusammenfassen: Tabelle 6.49: Stärken und Schwächen der Unternehmen im ISJ Stärken
Schwächen
strukturbedingte Stärken: • flache Hierarchien • hohe Kundennähe • Nutzung von Nischenmärkten
strukturbedingte Schwächen: • geringe finanzielle und personelle Ressourcen • zu geringer Einsatz von Analyseinstrumenten / zu geringe Nachfrage nach Beratungsleistungen • geringe Economies of Scale
spezifische Stärken der Unternehmen des ISJ: spezifische Schwächen der Unternehmen des ISJ: • hoher Anteil von Unternehmen in hochspezia- • geringe Reputation aufgrund einer relativ kurlisierten und high-tech Branchen zen Marktpräsenz (hoher Anteil sehr junger Unternehmen) • angestrebtes Ziel der Strategieentwicklung: • kein ausgewogener Mix aus technologie- und Leistungsführerschaft nachfragerinduzierten Innovationen • hohe Bedeutung von Produktqualität, Kundenservice und Kundennähe • hohe Kooperationsintensität mit anderen Unternehmen aber auch mit Forschungseinrichtungen • hoher Internationalisierungsgrad
168
6.8 Referenzen Bassen, A.; Behnam, M.; Gilbert, D. U. (2001): Internationalisierung des Mittelstands: Ergebnisse einer empirischen Studie zum Internationalisierungsverhalten deutscher mittelständischer Unternehmen, Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 71. Jg., S. 413-432. Bierach, B. (2002): Hammer, Nagel, Schere: Welche Managementtechniken halten, was sie versprechen? Eine Studie von Bain&Company, Wirtschaftswoche, Nr. 38; 12.09.2002, S. 96-97. BMBF (2002a): Mittelstand innovativ: Kleine und mittlere Unternehmen im Fokus der Bildungs- und Forschungspolitik, http://www.bmbf.de/pub/mittelstand_innovativ.pdf. BMBF (2002b): Pressemitteilung Nr. 66/2002 vom 27.03.2002: Deutsche Wirtschaft investiert in Innovationen so viel wie nie zuvor, http://www.bmbf.de/presse01/604.html. Brockhoff, K. (1999): Forschung und Entwicklung - Planung und Kontrolle, 5. ergänzte und erweiterte Auflage, München. Fichtel, R. (1997): Technologietransfer für Klein- und Mittelbetriebe, Wiesbaden. Gierl, H.; Helm, R.; Satzinger, M. (1999): Technologische Innovationen und asymmetrische Information: Die Eignung verschiedener Signale für Anbieter unterschiedlicher Technologiegenerationen, Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 10, 69. Jg., S. 1181-1205. Haupt, R. (2000): Industriebetriebslehre: Management im Lebenszyklus industrieller Geschäftsfelder, Wiesbaden. Helm, R. (2001): Planung und Vermarktung von Innovationen - Die Präferenz von Konsumenten für verschiedene Innovationsumfänge unter Berücksichtigung des optimalen Stimulationsniveaus und marktbezogener Einflussfaktoren, Stuttgart. Kayser, G. (1992): Mittelstand im EG-Binnenmarkt, Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 62. Jg., S. 243-268.
169
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7 Wachstums- und Innovationschancen durch Internationalisierung Auslandsaktivitäten junger thüringer Technologieunternehmen Reinhard Meckl und Alexander Kaulen
7.1 Internationalisierung junger Technologieunternehmen als Wachstumstreiber Die Internationalisierung der Unternehmenstätigkeit bleibt schon lange nicht mehr nur großen, etablierten Unternehmen vorbehalten, sondern ist in steigendem Maße auch Inhalt der Strategien junger, kleiner Unternehmen insbesondere in der Technologiebranche, da in dieser die Internationalisierung große Wachstumschancen verspricht. Unter jungen Technologieunternehmen werden im folgenden Neugründungen oder Unternehmen am Anfang ihres Lebenszyklus verstanden, die durch innovative Produkte, Verfahren oder Dienstleistungen gekennzeichnet sind (vgl. Pleschak 1996, 11) und Merkmale wie eine hohe Forschungs- und Entwicklungs (F&E)-Quote, hohe technische und finanzielle Unsicherheiten und ein hohes Marktrisiko aufweisen (vgl. Pleschak 1998, 1). Der hohe technologische Anspruch der Produkte und immer kürzere Produktlebenszyklen zwingen junge Technologieunternehmen intensiv in die Internationalisierung zu investieren, um notwendiges Marktvolumen in kurzer Zeit zu erreichen und damit die hohen F&E-Kosten zu decken (vgl. Boter und Holmquist 1996, 481; Bell 1995, 62; Meckl 2002, 300-301; Litvak 1990, 1-2; Bürgel 2000, 64). Diese Notwendigkeit verstärkt sich, wenn das Unternehmen seinen Sitz in einem für die neuen Produkte zu kleinen Heimatmarkt hat (vgl. Boter und Holmquist 1996, 481). Der deutsche Markt bietet in der Regel nicht ausreichend Wachstumspotential für junge Technologieunternehmen, so dass zumindest bis zur Konjunktur-
172
und Börsenwende im Jahr 2000 ein wesentliches Ziel junger Technologieunternehmen in einer frühzeitigen und schnellen Internationalisierung bestand. Ein weiteres wichtiges Argument zur Internationalisierung besteht für viele junge Technologieunternehmen darin, durch eine Präsenz in Auslandsmärkten die technologische Entwicklung in diesen Märkten besser nachvollziehen und damit mögliche Innovationen früher erkennen und in das eigene Produkt integrieren zu können. Für viele Branchen und Technologien hat der US-amerikanische Markt diese "lead-market"-Rolle inne. Neben den Wachstums- und Innovationschancen, die mit der Internationalisierung verbunden sind, sind auch die Risiken einer solchen Strategie von Bedeutung. Junge Tochtechnologieunternehmen müssen hohe Anfangsinvestitionen tätigen, um den Zielmarkt zu bearbeiten. Die Höhe hängt dabei stark von der Markteintrittsstrategie des Unternehmens ab. Eventuell findet das Unternehmen andere technologische Standards oder Nachfragestrukturen im Zielland vor, womit aufwendige Produktanpassungen notwendig werden. Jede Internationalisierungsstrategie ist mit einem hohen Zeitaufwand verbunden, so dass sich Rückflüsse aus der Strategie erst in Folgeperioden einstellen. Nicht zu unterschätzen sind trotz sich homogenisierender Märkte und kultureller Verschmelzung, zumindest westlicher Industrienationen, die interkulturellen Divergenzen, die das Management bewältigen muss (vgl. Meckl 2002, 298). Für junge thüringer Technologieunternehmen kommt erschwerend hinzu, dass die bekannten Auslandsmärkte Osteuropas aufgrund der verhaltenen wirtschaftlichen Entwicklung ergänzt werden müssen durch vielversprechende, aber weitgehend unbekannte Märkte in anderen Regionen. Allerdings lässt die EU-Osterweiterung hoffen, dass sich auch das Auslandsgeschäft in den osteuropäischen Märkten beleben wird. Zusätzlich zu den Risiken, die eine Auslandstätigkeit birgt, ist auch zu beachten, dass sich seit der Konjunktur- und Börsenwende im Frühjahr 2000 die Rahmenbedingungen für junge Technologieunternehmen gewandelt haben. Junge Unternehmen haben zunehmend Probleme genügend Ressourcen wie z. B. Finanz- und Humankapital zu akquirieren, um die schnelle und frühzeitige Internationalisierung umzusetzen. Einige Unternehmen müssen ihre bereits getätigten Auslandsinvestitionen abschreiben und die internationalen Aktivitäten drastisch reduzieren.
173
Es bleibt festzuhalten, dass sich erhebliche Wachstums- und Innovationspotentiale mit allen positiven Effekten, wie z. B. Gewinn- und Beschäftigungserhöhung durch die Internationalisierung für junge Technologieunternehmen bieten. Allerdings müssen unter den neuen Rahmenbedingungen viele junge Technologieunternehmen ihre Internationalisierungsstrategien überarbeiten, um in Zukunft erfolgreich bestehen zu können.
500 400 300
Analytik Jena
200
CyBio
100
Intershop
0
Biolitec
-100 01.06.2002
01.03.2002
01.12.2001
01.09.2001
01.06.2001
01.03.2001
01.12.2000
01.09.2000
01.06.2000
01.03.2000
01.12.1999
01.09.1999
01.06.1999
01.03.1999
01.12.1998
-200
Abbildung 7.1: Kursverläufe börsennotierter junger thüringer Hochtechnologieunternehmen; indexierte Schlusskurse des Quartals Quelle: Reuters 2002.
Die vorliegenden Ausführungen haben deshalb zwei Ziele. Zum einen soll durch konzeptionelle Überlegungen deutlich gemacht werden, welche Einflussfaktoren für den Erfolg einer Internationalisierungsstrategie wesentlich sind. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen werden dann die Auslandsstrategien ausgewählter thüringer Technologieunternehmen beschrieben und in ihren Konsequenzen bewertet, um so erfolgversprechende Konzeptionen für den Aufbau von Auslandsaktivitäten ableiten zu können. Betrachtet werden die börsennotierten thüringer Unternehmen Analytik Jena, Biolitec, CyBio und Intershop, deren Börsenkursverläufe in Abbildung 7.1 dargestellt sind.
174
7.2 Rahmenbedingungen junger Technologieunternehmen 7.2.1 Internationalisierungsrelevante Einflussgrößen Die strategische Umweltanalyse soll der Unternehmensführung möglichst vollständige Informationen über das betriebliche Umfeld zur Verfügung stellen. Chancen und Risiken, die sich daraus ergeben, müssen frühzeitig erkannt und bei der Formulierung der Unternehmensstrategie berücksichtigt werden (vgl. Weber 1997, 43). Für junge Technologieunternehmen ist eine umfangreiche Umweltanalyse insbesondere deshalb notwendig, weil in einem dynamischen Umfeld sehr schnell, am besten antizipativ, auf Veränderungen reagiert werden muss. So muss z. B. überprüft werden, ob auch in Zukunft ausreichend Absatzmärkte vorhanden sind, um die angestrebte Wachstumsdynamik zu unterstützen. Sollten die bisher bearbeiteten Märkte kein ausreichendes Potenzial bieten, muss frühzeitig nach neuen regionalen Märkten gesucht werden. In der Regel werden bei einer Umweltanalyse die ökonomischen, politischrechtlichen, natürlichen und soziokulturellen sowie technologischen Umweltfaktoren berücksichtigt. Die Beschreibung der Rahmenbedingungen junger Technologieunternehmen wird im folgenden anhand des Modells in Abbildung 7.2 vorgenommen. In Abbildung 7.2 sind auch die internen Faktoren, die für eine Internationalisierung eine Rolle spielen, genannt. Die Managementqualität und auch die zur Verfügung stehende Quantität an Managementleistungen, die vorhandenen finanziellen Mittel als auch die Kenntnisse, Fähigkeiten und die Motivation der Mitarbeiter sowie die mit zunehmender Größe des Unternehmens zu verändernden Organisationsstrukturen spielen für den Auf- und Ausbau der Auslandsaktivitäten eine zentrale Rolle (vgl. genauer dazu Abschnitt 2.3).
175
Technologische Umwelt: Transport- und Telekommunikationskosten Produkt- und Markteigenschaften junger Hochtechnologieunternehmen
Externe Faktoren Management Mitarbeiter Natürliche und sozio-kulturelle Umwelt: Psychische Distanz
Finanzierung
Interne Faktoren Organisationsstruktur
Politisch-rechtliche Umwelt: Deregulierung: Transport, Kommunikation, Kapitalmärkte
Wettbewerb
Ökonomische Umwelt: Konjunktur, Volkswirtschaftliche Bedeutung
Abbildung 7.2: Externe und interne Rahmenbedingungen junger Hochtechnologieunternehmen In den folgenden Abschnitten soll insbesondere auf die Umweltentwicklung und die internen Rahmenbedingungen für junge Technologieunternehmen in Deutschland eingegangen und auf Besonderheiten des Technologieclusters Jena hingewiesen werden. Die meisten Feststellungen kann man aufgrund der Internationalität der Technologiebranche und der fortschreitenden Homogenisierung der Märkte auch auf andere Länder und Regionen übertragen. 7.2.2
Externe Faktoren
Technologische Umwelt Junge Hochtechnologieunternehmen agieren in dynamischen Märkten, die eine hohe Innovationsrate aufweisen. Bezüglich der Durchsetzbarkeit der Innovation herrscht eine hohe Unsicherheit. Auf diesen besonders in frühen Lebensphasen stark wachsenden Märkten wird die Zeit zur limitierenden Ressource (vgl. Meckl
176
2002, 300). Das Management muss deshalb die sich immer stärker verkürzenden Innovationszyklen rechtzeitig erkennen und ins Zielsystem des Unternehmens integrieren (vgl. Sachsenmeier 2001, 1). Die Produkte junger Technologieunternehmen sind durch sich verkürzende Produktlebenszyklen gekennzeichnet. Sie weisen häufig einen relativ hohen Anteil an F&E-Kosten auf. Softwareunternehmen zeichnen sich zudem durch hohe Skaleneffekte aus, da die Kosten der (Re-)produktion einer zusätzlichen Produkteinheit im Vergleich zu den F&E-Kosten sehr niedrig sind. Ziel von Softwareunternehmen wie z. B. Intershop muss es deshalb sein, möglichst schnell „ins Volumen“ zu kommen, um diese Skaleneffekte nutzen zu können. Der Erschließung von Auslandsmärkten kommt deshalb hohe Bedeutung zu. Gemeinsam ist allen Produkten junger Technologieunternehmen jedoch die fortschreitende Konvergenz internationaler technologischer Standards, was zu einer Öffnung der Märkte für ausländische Wettbewerber führt. Auch weisen die Produkte junger Technologieunternehmen häufig ein relativ hohes „Value-to-weight“ bzw. „Value-to-volume“ Verhältnis auf. Das heißt, es handelt sich um Produkte, die bei geringen Abmessungen bzw. geringem Gewicht einen hohen Wert aufweisen. Der internationale Vertrieb solcher Güter wird somit durch den geringen Transportkostenanteil in vielen Fällen erleichtert. Die bisher genannten Produkteigenschaften stellen Vorteile bei der Internationalisierung junger Hochtechnologieunternehmen dar. Schwierigkeiten ergeben sich insbesondere dann, wenn die Produkte kundenspezifisch angepasst werden müssen (vgl. Bürgel 2000, 189), was aufgrund der Komplexität und des hohen Erklärungsbedarfs vieler Produkte junger Technologieunternehmen recht häufig ist. Die Globalisierung wird durch schnellere, qualitativ bessere, effizientere und kostengünstigere Transport- und Telekommunikationsmöglichkeiten wesentlich begünstigt (vgl. Levitt 1983, 92-93; Porter 1990, 13-15). Einer der Gründe für sinkende Transport- und Telekommunikationskosten ist die Anfang der 1990er begonnene Öffnung der Märkte, die zu Wettbewerb in Bereichen führte, die vorher von staatlichen Monopolisten beherrscht wurden. Die Internetrevolution führte ihrerseits zu ganz neuen Telekommunikationsmöglichkeiten und einer Konver-
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genz der Medien. Neue Formen der Kommunikation, wie e-mail, Videokonferenz und IP-Telefonie treten in Konkurrenz zu traditionellen Kommunikationsformen und üben so einen zusätzlichen Preisdruck aus. Das Internet als Medium dieser neuen Formen findet immer größere Akzeptanz in Unternehmen und der Bevölkerung. Durch diese Veränderungen konnten Geschäftsmöglichkeiten außerhalb des Heimatmarktes auch von jungen Technologieunternehmen mit limitierten Ressourcen wesentlich besser als früher wahrgenommen werden (vgl. Oviatt und McDougall 1994, 46). Der globale Wissensaustausch sowohl innerhalb der Organisationen als auch mit dem Markt hat sich durch diese Entwicklungen wesentlich vereinfacht, was zu einer deutlichen Verbesserung des Innovationspotentials gerade für junge Unternehmungen führt. So können nun auch junge Technologieunternehmen mit geringen Investitionen globale elektronische Infrastrukturen installieren und relativ einfach die Geschäftstätigkeit in entfernten Märkten aufnehmen. Marktliche und ökonomische Umwelt Unter „New Economy“ wird der Konjunkturaufschwung besonders in den USA seit Anfang der 1990er und die IT- und Internetrevolution verstanden. Im gleichen Zeitraum sank in den USA im Gegensatz zu früheren Boomphasen die Arbeitslosigkeit deutlich und die Inflationsrate blieb auf niedrigem Niveau stabil. Es setzte sich vielfach die Meinung durch, dass das Produktivitätswachstum, durch welches die Inflation bei steigenden Löhnen und sinkenden Stückkosten stabil gehalten werden konnte, auf den Einsatz neuer Technologien zurückzuführen ist (vgl. Gräf 2000, 3; Schnorr-Bäcker 2001, 167-168). Im Gegensatz dazu entwickelten sich in Deutschland die Arbeitslosenzahlen nach oben und das Wachstum war nicht so stark ausgeprägt wie in den USA (vgl. Schnorr-Bäcker 2001, 168-169). Da der US-Markt jedoch für viele international tätige Technologieunternehmen der wichtigste Auslandsmarkt ist, hatte die Entwicklung dort entsprechenden Einfluss auf deutsche junge Technologieunternehmen gerade auch in Thüringen. So weisen die in Tabelle 7.1 genannten Unternehmen bis auf Analytik Jena deutliche Umsatzanteile „USA“ bzw. „Amerika“ aus.
178
Tabelle 7.1: Anteil des Auslandsumsatzes börsennotierter junger Technologieunternehmen in Thüringen (6-Monatszahlen 2002, Euro) Unternehmen
Gesamtumsatz in Mio
AuslandsAuslandsAnteil AusAnteil Ausumsatz umsatz Ge- landsumsatz landsumsatz USA/Ameri- samt in Mio USA/Amerika Gesamt in ka in Mio in Prozent Prozent
Analytik Jena
38,6
0,8
11,7
2,1
30,3
Biolitec*
8,8
4,9
5,2
55,7
59,1
CyBio
6,0
2,1
5,1
35,0
86,6
Intershop
12,0
2,9
5,3
24,2
44,2
*Biolitec gibt im Segmentbericht keinen Inlandsumsatz an, der angegebene Auslandsumsatz ist exklusive „Europa“. Quelle: Analytik Jena AG 2002; Biolitec AG 2002; CyBio AG 2002; Intershop AG 2002.
Unternehmen investierten im Konjunkturaufschwung verstärkt in neue Technologien, um dem internationalen Wettbewerb standzuhalten. Diese Investitionstätigkeit spiegelte sich in einem steigenden Anteil an Technologieprodukten am Bruttoinlandsprodukt wider, wie sich exemplarisch sehr gut bei den IT-Investitionen in den USA nachvollziehen lässt (vgl. Gräf 2000, 10). Seit es im Frühjahr 2000 zu einem Konjunkturabschwung kam, gehen die Investitionen allerdings zurück (vgl. http://www.manager-magazin.de/geld/ 2001, 1), womit auch die Nachfrage nach Produkten junger Technologieunternehmen sinkt. Der Globalisierungstrend hat den Wettbewerb in technologiebasierten Branchen deutlich erhöht (vgl. Brahm 1995, 73). Unternehmen werden nicht mehr nur von anderen Unternehmen des Heimatmarktes bedroht, sondern müssen sich von Anfang an mit internationalen Unternehmen messen (vgl. Oviatt und McDougall 1994, 46). Gleichzeitig sind die jungen Technologieunternehmen aufgrund des für ihre Produkte zu kleinen Heimatmarktes und der globalen Präsenz ihrer Kunden gezwungen, auch Auslandsmärkte zu penetrieren und sich somit schnell der dort ansässigen Konkurrenz auszusetzen (vgl. Bain & Company 2000, 17-18). Hinzu kommt, dass außer der Konkurrenz anderer neu gegründeter Technologieunter-
179
nehmen sich die jungen Unternehmen immer stärker dem Druck großer etablierter Unternehmen ausgesetzt sehen. Zum einen bauen diese eigene Technologietöchter auf und zum anderen kaufen sie verstärkt junge Technologieunternehmen, um deren Kompetenz zu integrieren und ebenfalls die Chancen der wachsenden Technologiemärkte zu nutzen. Politisch-rechtliche Umwelt Die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Landes oder einer Region hängt nach Porter von vier Haupt- und zwei Nebenelementen ab, die er zur „DiamantTheorie“ zusammenfasst (vgl. Porter 1990) und die als Standortfaktoren wesentlichen Einfluss auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit haben. Die Ausprägung dieser Elemente entscheidet darüber, ob Innovationsprozesse gefördert oder gehemmt werden. Untersucht man den Technologiecluster Jena anhand der vier Hauptelemente der Diamantentheorie wird deutlich, dass Unternehmen einiger Branchen einen wettbewerbsfähigen Technologiecluster vorfinden. Tabelle 7.2 zeigt am Beispiel Jena, dass junge Technologieunternehmen dort günstige Rahmenbedingungen vorfinden, und dass Regionen durch eine Standortpolitik, die die Hauptelemente von Porters „Diamant-Theorie“ positiv mitgestaltet, eine Ansiedlung solcher Unternehmen beschleunigen und die nachhaltige Entwicklung der dort bestehenden Unternehmen fördern können. Insofern kann der externe Faktor „Standortfaktoren“ auch teilweise der „Politisch-rechtlichen Umwelt“ (vgl. Abbildung 7.2) zugerechnet werden.
180
Tabelle 7.2: Vier Hauptelemente der Diamant-Theorie und Ausprägungen am Standort Jena Hauptelemente Ausprägung FaktorbedinAls Standort des ehemaligen Kombinates Carl Zeiss und Zentrum der unigungen versitären Ausbildung des Freistaates Thüringen bietet Jena hochqualifizierte Arbeitnehmer, deren Lohnniveau allgemein niedriger als in Technologieclustern der alten Bundesländer ist. Außerdem werden durch zahlreiche Initiativen des Freistaates (z. B. STIFT) oder des Bundes (z. B. BioRegio) finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt und erhebliche Investitionen in Infrastruktur getätigt (z. B. Biotechnologiezentrum), um jungen Hochtechnologieunternehmen die Niederlassung am Standort Jena zu vereinfachen und Ausgründungen aus Universitäten zu fördern. Verwandte und Der Standort Jena hat neben der Universität und der Fachhochschule auch unterstützende zahlreiche wissenschaftliche Institute angesiedelt (z. B. Institut für MolekuBranchen lare Biotechnologie, Fraunhofer-Institut für angewandte Optik und Feinmechanik und mehrere Max-Planck-Institute). Der Austausch des Forschungswissens mit Unternehmen des Clusters fördert den Innovationsvorsprung der Unternehmen gegenüber Wettbewerbern anderer Regionen und die schnelle praktische Applikation der Forschungsergebnisse der Hochschulen und Institute. Nachfragebedin- Die Nachfragebedingungen werden durch die Produkt- und Markteigengungen schaften bestimmt. Diese sind global ausgeprägt. Durch Standortmarketing konnte der Cluster in den Medien dargestellt werden. Das fördert zum einen die weitere Ausprägung des Clusters und zum anderen den internationalen Wiedererkennungswert der Produkte „Made in Jena“. Unternehmens- Aufgrund der Vielzahl der Hochtechnologieunternehmen die sich inzwistrategie, Struk- schen am Standort angesiedelt haben, erhöht sich auch die Wettbewerbsintur und Wettbe- tensität und somit der Innovationsdruck im Cluster. Auch an dieser Stelle werb hat die Standortpolitik durch Gründung mehrerer „Cluster-Vereine“ Strukturen geschaffen, um die Clusterbildung weiter zu fördern (z. B. BioRegio Jena e. V., OptoNet e. V., OphthalmoInnovation e. V).
Die Deregulierung vieler Technologiemärkte wie z. B. des Telekommunikationsmarktes schafft aus Sicht des internationalen Managements neue Möglichkeiten zum Ausbau der Auslandsaktivitäten. Der Abbau von Markteintrittsbarrieren und vor allem die zunehmende Kompatibilität von Technologien durch offene Schnittstellen erlaubt jungen Technologieunternehmen die erfolgversprechende Entwicklung von Internationalisierungsstrategien.
181
Natürliche und sozio-kulturelle Umwelt Sinkende Transport- und Kommunikationskosten (s. o.) haben auch den multinationalen Austausch wesentlich erleichtert und Manager bzw. Gründer viel stärker internationalen Entwicklungen ausgesetzt als früher. Somit verringerte sich die „Psychische Distanz“ per se, was auch empirisch durch einige Studien bewiesen werden konnte (z. B. vgl. Bell 1995, 71-72). Der Begriff der „Psychischen Distanz“ geht auf eine Studie von Johanson und Wiedersheim-Paul zurück. Darin wurde festgestellt, dass Unternehmen zunächst in vertraute, nahe gelegene Märkte expandieren, bevor sie sich in vom Heimatmarkt weiter entfernte Regionen wagen. Das Konzept geht davon aus, dass zwischen verschiedenen Ländermärkten Differenzen bestehen, die den Fluss an Informationen zwischen Unternehmen und Zielmarkt stören oder verhindern (vgl. Johanson und Wiedersheim-Paul, 1975, 306-309). Wenn das Unternehmen Informationen über den Markt gewonnen hat, nimmt die „Psychische Distanz“ ab und das Unternehmen internationalisiert auch in entferntere Regionen (vgl. Bäurle 1996, 68) bzw. erhöht generell das Engagement in dem dann besser bekannten ausländischen Markt. 7.2.3
Interne Faktoren
Finanzierung Abbildung 7.2 enthält zusätzlich zu den internationalisierungsrelevanten externen Faktoren auch interne Bestimmungsmerkmale, die für den Erfolg und die zu wählende Art der Internationalisierung eine große Rolle spielen. Die Gründung und Entwicklung eines Technologieunternehmens bedarf großer finanzieller Mittel. Am Anfang kann das Unternehmen in der Regel nicht auf nennenswerte Umsatzerlöse verweisen und muss dennoch Forschung und Entwicklung, Fertigungsaufbau und Marketing finanzieren. Eine Rendite auf das eingesetzte Kapital ist erst bei erfolgreicher Vermarktung des Produktes zu erwarten. Aufgrund der geringen Selbstfinanzierungskraft muss das junge Technologieunternehmen externes Kapital in Anspruch nehmen. Wegen fehlender Sicherheiten stehen Banken für eine Finanzierung in der frühen Phase der Geschäftsentwicklung im allgemeinen nicht zur Verfügung. Weitere Quellen externer Finanzierung sind in diesem risikorei-
182
chen Umfeld Venture-Kapitalisten (vgl. Murray 1996, 42) und staatliche Förderstellen. Der wachsenden volkswirtschaftlichen Bedeutung junger Technologieunternehmen wurde auch mit der Gründung der „Neuen Märkte“ in der zweiten Hälfte der 1990er in vielen Ländern der Europäischen Union Rechnung getragen. Durch diese Entwicklung vereinfachte sich die Finanzierung technologieorientierter Unternehmen wesentlich. Schon während der Entwicklungsphase konnten sich die Unternehmen über den Kapitalmarkt finanzieren. Die Börsenpräsenz führte außerdem zur erhöhten Visibilität der jungen Unternehmen. Waren die Kapitalgeber bei Investitionen in junge Technologieunternehmen aufgrund der damit verbundenen Risiken in der Vergangenheit sehr zurückhaltend, so hatte sich das Bild in Deutschland mit der Gründung des Neuen Marktes 1997 wesentlich geändert. Mit dem Börsenboom mussten Venture Capital Gesellschaften oder andere Investoren ihre Beteiligungen nicht mehr wie gewohnt über Jahre hinweg begleiten, sondern konnten die Unternehmen sehr schnell an der Börse platzieren und das eingesetzte Kapital in kürzester Zeit vervielfachen (vgl. Bain & Company 2000, 32). Diese Entwicklung schlägt sich in der hohen Anzahl der Initial Public Offerings (nachfolgend: „IPOs“), also der Neuemissionen der Jahre 1999 und 2000 mit 191 bzw. 195 nieder (vgl. http://www.goingpublic-online.de/ analysen/ 2001, 1). Von untergeordneter Rolle bei diesen Eigenkapitalinvestitionen waren klassische betriebswirtschaftliche Maße wie Eigenkapitalrendite oder Break-Even-Punkte. Während des Börsenbooms wurde der Erfolg der Unternehmen häufig an der Fähigkeit der Entwicklung phantasievoller Geschäftspläne gemessen. Diese Entwicklung ist mit der Abkühlung der Konjunktur beendet und die Kurse am Neuen Markt sind stark gesunken (s. auch Abbildung 7.1). In der Folge sind IPOs in 2001 auf 11 zurückgegangen und die Finanzierung der jungen Hochtechnologieunternehmen ist deutlich schwieriger geworden. Zwar hat der Zufluss von Kapital in Venture Capital Fonds angehalten, die Investoren sind aber bei Neuengagements vorsichtiger geworden. Geld steht nun vor allem für Unternehmen mit wirklich neuen innovativen Technologien zur Verfügung (vgl. Müller, Rickens und Schmalholz 2001, 196).
183
Auch staatliche Förderstellen reduzieren ihre Investitionen seit dem Börsenabschwung im April 2000 und erschweren so die Finanzierungsmöglichkeiten junger Technologieunternehmen. So hat die Deutsche Ausgleichsbank im ersten Halbjahr 2001 17 % weniger Kredite als im Vergleichszeitraum des Vorjahres ausgegeben und deren Tochter TBG, die sich auf Beteiligungen im Hochtechnologiebereich spezialisiert hat, gar 50 % weniger (vgl. Müller, Rickens und Schmalholz 2001, 193-194). Gelingt es dem jungen Technologieunternehmen dennoch, Investoren zu gewinnen, sind die Kosten für das Kapital sehr hoch. Aufgrund der bereits geschilderten Risiken erwarten die Investoren eine Rendite von deutlich mehr als zwanzig Prozent (vgl. Meckl 2002, 301). Internationalisierungsstrategien steigern das Risiko wie oben geschildert und führen deswegen häufig zu einem entsprechenden Risikoaufschlag beim Verzinsungsanspruch, was die Kapitalsuche zudem erschwert. Management und Mitarbeiter Das Managementteam und die Mitarbeiter in jungen Technologieunternehmen sind ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor (vgl. Bloodgood, Sapienza und Almeida 1996, 64). Die schnelle Umsetzung der Geschäftskonzepte erfordert geeignete Mitarbeiter sowie Führungskräfte mit internationaler Managementerfahrung. Mitarbeiter oder Gründer müssen häufig sowohl technische als auch organisatorische Fähigkeiten besitzen, um das Unternehmen und die Produkte erfolgreich zu entwickeln (vgl. Murray 1996, 50). Die personelle Expansion ist jedoch nicht unproblematisch. Sollte das Unternehmen vom eingeschlagenen Pfad abkommen und die Erwartungen des Business Plans nicht erfüllen, kann ein Personalüberhang die Cash-Burn-Rate des Unternehmens stark erhöhen und das Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten führen (vgl. Bain & Company 2000, 23), da ein rascher Abbau des Personals in vielen Fällen nicht möglich oder sehr teuer ist. Anfang der 1990er hat die Konjunkturdelle zu einem Gründerboom geführt, der sich dann später in den IPOs am Neuen Markt widerspiegelte. Viele der Unternehmen entstanden in dieser Zeit, weil der Arbeitsmarkt nur wenig attraktive Arbeitsplätze bot und qualifizierte Arbeitnehmer nach Alternativen suchten. Mit der steigenden Konkurrenz um Humankapital in der zweiten Hälfte der 1990er wurde
184
die Anwerbung qualifizierten Personals zum Erfolgsfaktor junger Technologieunternehmen (vgl. Müller, Rickens und Schmalholz 2001, 194). Diese gelang unter anderem durch die Ausgabe von Aktienoptionen, die zu einem festen Bestandteil der Bezahlung in den Unternehmen wurden. Viele junge Technologieunternehmen gewannen so mit steigenden Aktienkursen an Attraktivität, ein Trend, der sich mit dem Börsenumschwung im April 2000 umkehrte. Zu diesem Zeitpunkt hatten auch die großen etablierten Unternehmen ihre Geschäftsmodelle an die neuen Rahmenbedingungen und Produktanforderungen angepasst und nahmen über eigene Töchter an der Entwicklung in der Technologiebranche teil oder nutzten neue Technologien, um ihre Geschäftsprozesse effizienter zu gestalten. Für die Umsetzung benötigten sie qualifiziertes Personal, das nun von den jungen Unternehmen wieder verstärkt zu den „Großen“ zurückkehrte. Arbeitnehmer fanden dort mehr Sicherheit und bessere Anfangsgehälter (vgl. Müller, Rickens und Schmalholz 2001, 194). Diese Bewegung wurde durch fallende Aktienkurse der jungen Technologieunternehmen und somit fallenden Preisen der Aktienoptionen noch verstärkt. Im internationalen Umfeld erschwert auch der in der Regel unter Arbeitnehmern fehlende Bekanntheitsgrad junger Technologieunternehmen aus dem Ausland die Rekrutierung hochqualifizierten Personals. Sollte die derzeitige Konjunkturflaute weiter anhalten und etablierte Unternehmen zum Personalabbau zwingen, so könnte das paradoxerweise wieder den jungen Technologieunternehmen zu Hilfe kommen (vgl. Müller, Rickens und Schmalholz 2001, 195). Organisationsstruktur Zu Beginn der Unternehmensentwicklung steht für junge Technologieunternehmen die Entwicklung des Produktes und des Marktes im Vordergrund. In dieser Phase ist die Kreativität der Gründer der entscheidende Erfolgsfaktor. Von der Gründungsphase bis hin zur ersten Wachstumsschwelle ist der Managementstil durch zentrale Entscheidungsvorgänge und informelle Kommunikationswege gekennzeichnet. Als Kontrollmechanismus dient die direkte Rückmeldung der Kunden (vgl. Greiner 1972, 41-42) und nahezu alle Führungs- und Entscheidungsaufgaben werden von den Gründern übernommen.
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Mit steigender Mitarbeiterzahl und Marktpräsenz des Unternehmens ändern sich die Aufgaben der Gründer, da nun Produktionsprozesse einer besseren Koordination und effizienteren Gestaltung bedürfen. Steigende Mitarbeiterzahlen erfordern Führungskenntnisse und informelle Kommunikations- und Kontrollprozesse genügen der neuen Situation nicht mehr. Zusätzliches Kapital muss aufgebracht und ein Finanzcontrolling eingerichtet werden (vgl. Greiner 1972, 42). Diese Wachstumsphase ist mit dem Übergang vom „unternehmerischen“ zum „professionellen“ Management verbunden. Die organisatorische Veränderung erfordert verschiedene Schritte: (1) Notwendigkeit der Veränderung erkennen, (2) Aufgaben und Verantwortung delegieren, (3) Human Ressourcen entwickeln und (4) formale Kontroll- und Kommunikationsmechanismen etablieren (vgl. Stevenson, Roberts und Grousbeck 1993, 527-530). An der Wachstumsschwelle, die bei dynamisch wachsenden Unternehmen entsprechend schnell erreicht wird, entscheidet sich der langfristige Erfolg des jungen Technologieunternehmens. Erfolgt parallel die Wandlung vom heimischen zum internationalen Unternehmen, steigt die Komplexität dieses Anpassungsprozesses. Neben der Veränderung und Restrukturierung der bereits vorhandenen Managementdimensionen gilt es nun auch eine weitere, die internationale Dimension in das Unternehmen zu integrieren, d. h. Planungs-, Kontroll- und Steuerungsaufgaben auf Auslandsaktivitäten zu erweitern. Bei Export, als einfachste Bearbeitungsfunktion, wird das Grundmuster der Organisationsstruktur in der Regel lediglich durch Einrichtung einer Exportabteilung geändert. Steigt der Anteil des Auslandsumsatzes am Gesamtumsatz jedoch an und treten neben Export auch andere Bearbeitungsformen, wie Auslandsproduktion in Erscheinung, genügen in der Regel die bestehenden Koordinationsinstrumente nicht aus, um Schnittstellenprobleme zu beseitigen. Sowohl die operationale (z. B. Funktionsstruktur) als auch die statutarische Struktur (z. B. Rechtsformwahl, Kapitalbeziehungen) müssen angepasst werden (vgl. Welge und Holtbrügge 2001, 155-156).
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Die Betrachtung der Rahmenbedingungen junger Technologieunternehmen hat gezeigt, dass sich externe wie interne Faktoren im Zeitablauf verändert haben. Insbesondere wirkt der Nachfragerückgang, die schwierigere Finanzierung und die Problematik, in diesem Umfeld qualifizierte Mitarbeiter anzuwerben, erschwerend für die Geschäftspolitik. Diese Verknappung der Ressourcen erschwert auch die Internationalisierungsstrategien der jungen Unternehmen erheblich.
7.3 Konzeption idealtypischer Internationalisierungsstrategien 7.3.1
Stufenweise und schubweise Internationalisierung
Bevor die konkreten Internationalisierungsstrategien der jungen Technologieunternehmen und der Einfluss der Rahmenbedingungen erläutert werden, werden einige theoretische Grundlagen des Internationalisierungsprozesses junger Technologieunternehmen dargelegt, um daraus die Strategievarianten ableiten zu können. Die Internationalisierung junger Technologieunternehmen ist ein Prozess, der durch die Ausdehnung des internationalen Engagements des Unternehmens gekennzeichnet ist (vgl. Melin 1992, 101; Welch und Luostarinen 1988, 36). Es herrscht jedoch keine einheitliche Meinung darüber, wie dieser Prozess abläuft. Der Auffassung der „Uppsala-Schule“, die einen inkrementalen Verlauf propagiert (vgl. Johanson und Wiedersheim-Paul 1975; Johanson und Vahlne 1977; Johanson und Vahlne 1990; Johanson und Mattsson 1995), steht die Meinung von Oviatt und McDougall gegenüber, die den Verlauf als revolutionäre, quantenhafte Veränderung der internationalen „Gestalt“ versteht (vgl. Oviatt und McDougall 1994; McDougall, Shane und Oviatt 1994; McDougall und Oviatt 1996). Eine dritte Ansicht ist die Kutschkers, der den Prozess differenzierter beschreibt. Er vertritt die Ansicht, das die Internationalisierung sowohl inkremental, als auch schubweise ablaufen kann (vgl. Kutschker 1996; Kutschker 1997; Kutschker und Bäuerle 1997).
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Tabelle 7.3: Prozessarten und Modelle der Internationalisierung zur Betrachtung junger Technologieunternehmen Prozessart
inkremental, stufenweise, evolutionär
schubweise, quanten- inkremental als auch haft, revolutionär schubweise
Jahr
1977
1994
1996
Forscher
Johanson/Vahlne
Oviatt/McDougall
Kutschker
Modell
Uppsala-Modell
INV-Theorie
Prozessmodell der Internationalisierung
Internationalisierungsstrategie
Stufenstrategie
Kick-Down-Strategie Flexible Mischstrategie
Somit können die in Tabelle 7.3 dargestellten Prozesstypen unterschieden werden. Den gezeigten Prozesstypen kann jeweils eine Internationalisierungsstrategie zugeordnet werden. 7.3.2
Typen von Internationalisierungsstrategien für junge Technologieunternehmen
7.3.2.1 Stufenstrategie Die Strategie der stufenweisen Internationalisierung basiert auf den Überlegungen der Uppsala-Schule. Das primäre Ziel dieser Strategie ist die langfristige Etablierung einer Präsenz im Ausland mit dem wesentlichen Merkmal der sequenziellen Umsetzung der strategischen Maßnahmen zur Internationalisierung (vgl. Meckl 2002, 306-307). Dieser Strategie folgend, würde das junge Technologieunternehmen einen eher vorsichtigen Internationalisierungspfad einschlagen. Nach der Gründung des Unternehmens würde zunächst der Heimatmarkt so lange bearbeitet werden, bis ein bestimmter Grad an Penetrierung erreicht und absehbar ist, dass die Zielvorstellungen nicht mit dem Heimatmarktpotential erreichbar sind. Erst dann würde das junge Unternehmen mit der Internationalisierung beginnen. Für einen ersten Schritt ins Ausland würden Länder gewählt, die geographisch und kulturell sehr nah sind, um so das Risiko zu begrenzen. Nur wenige Wertschöpfungsstufen wür-
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den zunächst im Ausland angesiedelt werden. Mit wachsendem Marktwissen würde dann der Internationalisierungsgrad evolutionär ansteigen (vgl. Bürgel 2000, 39). Die stufenweise Internationalisierung bietet dem jungen Technologieunternehmen einige Vor- und Nachteile. Vorteilhaft ist die Begrenzung des Risikos durch die stufenweise Erweiterung der Geschäftstätigkeit im Ausland. Korrigierende Maßnahmen als Reaktion auf eine sich ändernde Umwelt oder aber aufgrund sich ändernder Wahrnehmung können so rechtzeitig eingeleitet und der Internationalisierungspfad angepasst werden. Der Kapitaleinsatz bleibt überschaubar und wird erst nach erfolgreichem Markteintritt erweitert. Nachteilig wirkt sich hingegen der verzögerte Markteintritt auf eine Verbesserung der Kostenstruktur durch Volumeneffekte aus. Skaleneffekte sind bei der stufenweisen Internationalisierung nur langfristig möglich. Außerdem ermöglicht es Konkurrenten, auf den eigenen Markteintritt zu reagieren und den vorhandenen Innovationsvorsprung einzuholen. Werden Distributionspartner im Vertrieb genutzt, dann stellt sich vor allem das Problem der Kontrolle und Flexibilität. Häufig vertreiben die ausländischen Vertriebspartner nicht exklusiv das eigene Produkt, sondern auch das der Konkurrenz. Hinsichtlich der sich veränderten Rahmenbedingungen scheint vor allem die Ressourcenknappheit bezüglich des Finanz- und Humankapitals für eine stufenweise Internationalisierung zu sprechen. In Anbetracht der sich verstärkenden Homogenisierung der Märkte und der zu kleinen Heimatmärkte stellt sich allerdings die Frage, ob diese zeitintensive Strategie trotz Ressourcenknappheit sinnvoll ist. 7.3.2.2 Kick-Down-Strategie Oviatt und McDougall (1994) lehnen einen inkrementalen Verlauf der Internationalisierung für junge Hochtechnologieunternehmen ab. Sie gehen davon aus, dass Unternehmen unter den neuen Rahmenbedingungen „from inception“ internationalisieren müssen. Die schnellen technologischen Umbrüche und damit die kurzfristigen "strategischen Fenster" zum Eintritt in einen Auslandsmarkt, wenn ein Innovationsvorsprung für kurze Zeit erreicht ist, zwingen junge Technologieunternehmen zu einer schnellen Vermarktung des erarbeiteten Wettbewerbsvorteils.
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Aus dieser These kann die Kick-Down-Strategie (vgl. Meckl 2002, 305) abgeleitet werden, die besonders durch die schnelle Umsetzung der Internationalisierung gekennzeichnet ist und als primäres Ziel die schnelle Besetzung von Auslandsmärkten verfolgt. Dieser Strategie folgend würde sich das Unternehmen nicht mehr nur auf geographisch-kulturell nahe Länder konzentrieren, sondern versuchen, möglichst flächendeckend besonders in stark wachsende Märkte einzutreten. Ein schneller und paralleler Aufbau mehrerer Wertschöpfungsstufen in den einzelnen Zielmärkten kennzeichnet diese Strategie. Der gesamte Internationalisierungsprozess verläuft also schubweise. Die Kick-Down-Strategie ermöglicht somit den schnellen Aufbau einer Marktpräsenz und die Ausnutzung von Volumeneffekten und bestehenden Innovationsvorsprüngen. Dadurch können in den besetzten Märkten Marktanteile gesichert werden. Allerdings bedarf dieses Vorgehen eines umfangreichen Finanz- und Humankapitaleinsatzes. Auftretende Umsetzungsprobleme erfordern besondere Managementqualitäten und internationale Erfahrung der Unternehmensspitze. Aufgrund der damit verbundenen großen finanziellen Belastung des Unternehmens und der verzögerten, unsicheren Rückflüsse erhöht sich das Risiko des Auslandsengagements erheblich (vgl. Meckl 2002, 305f.). Ob die Kick-Down-Strategie unter den neuen Rahmenbedingungen in dieser Form von jungen Technologieunternehmen umgesetzt bzw. weitergeführt werden kann, ist aber aufgrund der Ressourcenknappheit sicherlich nicht in jedem Fall garantiert. 7.3.2.3 Flexible Mischstrategie Weder die Strategie der stufenweisen Internationalisierung, noch die Kick-DownStrategie scheinen der Internationalisierung junger Technologieunternehmen unter den neuen Rahmenbedingungen gerecht zu werden. Für die Strategie der stufenweise Internationalisierung spricht die Ressourcenknappheit vieler junger Technologieunternehmen im derzeitigen Börsen- und Konjunkturumfeld. Allerdings bleibt dabei die besondere Wettbewerbssituation der jungen Technologieunternehmen unberücksichtigt.
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Die Kick-Down-Strategie trägt diesen Entwicklungen Rechnung und favorisiert deshalb die schnelle Penetrierung vieler Märkte. Der große finanzielle Aufwand, der hohe Anspruch ans Management und die damit verbundenen Risiken gestalten allerdings eine Umsetzung aufgrund der Ressourcenknappheit im derzeitigen Marktumfeld für junge Technologieunternehmen schwierig. Unternehmen, die im Börsenumfeld der zweiten Hälfte der 1990er diese Strategie initiiert haben wie z. B. Intershop, müssen Auslandsengagements wie z. B. die Brokat AG nun reduzieren (vgl. www.manager-magazin.de/ebusiness/ 2001a, 1). Andere Unternehmen werden wegen der starken, vor allem internationalen Expansion in dieser Zeit und der ausgebliebenen Umsatz- und Ergebniserfolge nun sogar zur Aufgabe der Geschäftstätigkeit gezwungen (vgl. www.manager-magazin/ebusiness/ 2001b, 1). Es stellt sich die Frage, ob knappe Ressourcen eine Präsenz in vielen Märkten ausschließen, oder ob es eine Strategie gibt, die auch jungen Unternehmen eine „internationalization from inception“ unter den neuen Rahmenbedingungen ermöglicht. Dazu kann eine flexible Mischstrategie entwickelt werden, die im folgenden erläutert wird. Die zunehmende Globalisierung der Märkte sowie zu kleine Heimatmärkte zwingen junge Technologieunternehmen zu einer schnellen geografischen Ausbreitung. Insofern ist der INV-Theorie von Oviatt und McDougall zuzustimmen, die eine schubweise Internationalisierung beobachtet haben und den inkrementalen Prozess der Uppsala-Schule in Bezug auf junge Technologieunternehmen für nicht geeignet halten. Auch die Wahl der Länder wird bei jungen Technologieunternehmen nicht mehr auf die Psychische Distanz, wie im Uppsala-Modell, zurückgeführt, sondern mit der strategischen Bedeutung des Zielmarktes für das junge Technologieunternehmen erklärt. Die Ressourcenknappheit zwingt das junge Technologieunternehmen allerdings, außerhalb der geografischen Dimension eine vorsichtigere Strategie zu verfolgen. Deshalb werden Markteintritts- und -bearbeitungsstrategien empfohlen, die ressourcensparend sind. Zum Markteintritt eignet sich sowohl der direkte als auch der indirekte Export. Bei der Auswahl geeigneter Distributionspartner ist zu berücksichtigen, dass viele Produkte junger Technologieunternehmen stark erklärungs-
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bedürftig sind und nach einem umfangreichen pre- und after-sales support verlangen. Kosten für die Schulung und Marketingunterstützung müssen bei einem Vertrieb über Distributionspartner eingeplant werden. Vertreibt das Unternehmen die Produkte mit eigenen Mitarbeitern im Zielland, müssen zwar Erlöse nicht geteilt, aber höhere Fixkosten amortisiert werden. Problematisch könnten Markteintrittsstrategien werden, die mit Direktinvestitionen verbunden sind, da besonders in der frühen Phase der Unternehmensentwicklung die Ressourcen knapp sind, die Technologiebranche sehr schwankungsanfällig ist und Erlösströme nur schwer abschätzbar sind. Die erläuterten Markteintrittsstrategien führen anfänglich zur Ansiedlung der Wertsschöpfungsstufe „Vertrieb“ im Zielland. Um das Engagement im Zielland zu erhöhen, empfiehlt sich dann eine inkrementale Vorgehensweise, die den Charakter der stufenweisen Internationalisierung hat. Der wesentliche Unterschied zur Uppsala-Schule, also zur „reinen“ Stufenstrategie, besteht in zwei Punkten. Zum einen kann die Abfolge der internationalisierten Wertschöpfungsstufen variiert werden. Zum zweiten erfolgt wie oben ausgeführt keine Beschränkung auf zunächst physisch und psychisch naheliegende Märkte, sondern es kann durchaus parallel in mehrere strategisch relevante Märkte eingetreten werden, was wiederum ein Charakteristikum der Kick-Down-Strategie wäre. Diese beschriebene Mischstrategie erfordert eine zentralisierte Organisationsstruktur, da alle Wertschöpfungsstufen, mit Ausnahme des Vertriebs, im Heimatland angesiedelt sind. Der Informationsfluss läuft vorrangig von der Zentrale zum Vertriebspartner. Um die Integration schon in diesem frühen Stadium der Unternehmensentwicklung zu erhöhen, muss der Informationsrückfluss durch standardisierte Prozesse und Systeme begünstigt werden. Andernfalls kann die Nutzung von Distributionspartnern zum Verlust der Kommunikation zwischen Unternehmen und ausländischen Endkunden führen. Zusammenfassend soll Tabelle 7.4 die bekannten Strategien mit der neuen Strategie vergleichen. Es wird deutlich, dass sich die vorgeschlagene Strategie aus einer Kombination der Teilstrategien ergibt. Dabei können die grau unterlegten Teile in die neue Gesamtstrategie übernommen werden.
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Tabelle 7.4: Vergleich der Internationalisierungsstrategien Teilstrategien Geografische Struktur
Markteintrittsstrategie
Wertschöpfungsstufen
Stärkung der Auslandsaktivitäten
Stufenweise Internationalisierung • stufenweise Entwicklung • Länder mit geringer psychischer Distanz werden als erstes besetzt • es werden Markteintrittsstrategien mit geringer Ressourcenbindung bevorzugt, z. B. direkter oder indirekter Export • stufenweise erhöht sich die Ressourcenbindung • Wertschöpfungsstufen stufenweise ausgebaut • Kompetenzzentren werden anfänglich nicht gebildet
•
•
Kick-Down-Strategie • • • •
•
Zentralisierung der • meisten Funktionen im Heimatland, Aktivitäten in Zielländern sind stark ge- • prägt vom Mutterhaus Erhöhung der Integration stufenweise
Vorgeschlagene Strategie für die Zukunft schnelle geografi• schnelle geografische Ausbreitung sche Ausbreitung der Aktivitäten der Aktivitäten „lead market“ Kon- • „lead market“ Konzept ist stärker als zept ist stärker als psychische Distanz psychische Distanz Direktinvestitionen • es werden Markteinwerden schnell umtrittsstrategien mit gesetzt geringer Ressourcenbindung bevorRessourcenbindung zugt, z. B. direkter von Anfang an sehr oder indirekter Exhoch port • stufenweise erhöht sich die Ressourcenbindung es werden Tochter- • Wertschöpfungsstugesellschaften gefen stufenweise gründet, die von ausgebaut Beginn an mehrere • Kompetenzzentren Wertschöpfungsstuwerden anfänglich fen übernehmen und nicht gebildet häufig Kompetenzzentren innerhalb des Konzern darstellen Informationen wer- • Zentralisierung der den zwischen Kommeisten Funktionen petenzzentren ausim Heimatland, Akgetauscht tivitäten in Zielländern sind stark geDezentralisierung prägt vom Muttervieler Funktionen haus • Erhöhung der Integration stufenweise
Unternehmen, die sich den neuen Rahmenbedingungen anpassen müssen, können demnach auf bekannte Teilstrategien zurückgreifen. Das dürfte eine Implementierung der Gesamtstrategie in den Unternehmen wesentlich vereinfachen. Erschwert wird die Umsetzung vor allem durch Direktinvestitionen der Vergangenheit. Diese
193
müssen eventuell abgeschrieben werden und belasten so die Unternehmen. Die verstärkte Nutzung von Netzwerken und Partnern zur Umsetzung der Ziele kann in Zukunft die Anpassungsfähigkeit an Konjunkturschwankungen erhöhen.
7.4 Internationalisierungsstrategien junger thüringer Technologieunternehmen Im Folgenden werden die in Kapitel 7.1 aufgelisteten thüringer Technologieunternehmen beschrieben und den in Kapitel 7.3 entwickelten Typen zugeordnet. Dadurch ist es möglich, die spezifischen Chancen und Risiken eines jungen Unternehmens im Ausland aufgrund der gewählten Internationalisierungsstrategie zu bestimmen. Analytik Jena AG Das Unternehmen wurde 1990 in Jena gegründet und entwickelt, produziert und vertreibt analytische Systeme für industrielle und wissenschaftliche Anwendungen. Die Analytik Jena AG setzte seit der Gründung 1990 die stufenweise Internationalisierung um. Zunächst konzentrierte sich das Unternehmen auf den Heimatmarkt und begann erst 1996 mit ersten Exportaktivitäten, der typischen ersten Stufe dieser Strategie. Erst 2000 entschied man sich, in den USA, dem führenden Markt für analytische Produkte, Fuß zu fassen. Als Vertriebspartner konnte man das Unternehmen SPECTRO gewinnen. Durch diesen Schritt wurden die Auslandsaktivitäten im Sinne der Stufenstrategie vorsichtig vergrößert. Um das USA-Geschäft stärker unter eigener Kontrolle zu haben, entschloss sich Analytik Jena AG im Mai 2001, eine eigene Tochter zu gründen. Gleichzeitig wurde die Akquisition des Unternehmens APS erfolgreich durchgeführt, so dass die Analytik Jena AG insgesamt über Produktion und Entwicklung im wichtigen Zielmarkt USA verfügte.
194
Tabelle 7.5: Analytik Jena AG - Meilensteine der Internationalisierung 1990
Gründung des Unternehmens in Jena
1996
Internationale Ausrichtung: Aufbau von Exportkapazitäten
2000
IPO am Neuen Markt Vertriebspartner: SPECTRO
2001
Akquisition: APS Technologies (USA) Eröffnung einer Niederlassung in Italien Beteiligung: Indien Repräsentanzen: China, Russland, Brazilien
2002
Beteiligung: Perichrom (Frankreich) Vertriebspartnerschaft mit Rigaku (Japan)
Weitere Internationalisierungsschritte waren insbesondere durch die Wahl ressourcensparender Internationalisierungsformen gekennzeichnet. Vorrangig wurden Auslandsmärkte über Vertriebspartnerschaften, Repräsentanzen und, bei sich bietenden Gelegenheiten, über Beteiligungen besetzt. Strategisch fokussiert sich die Analytik Jena AG vor allem auf Märkte mit geringen Markteintrittsbarrieren. Im Mittelpunkt stehen derzeit der Nahe und Ferne Osten und Länder Osteuropas, wo vor allem auf „alten“ Kontakten aufgebaut wird. Biolitec AG Das 2000 in seiner jetzigen Form entstandene Unternehmen entwickelt, produziert und vertreibt Geräte bzw. Verfahren zur Behandlung von Krankheiten durch moderne Lasertechnik und neuartige Werkstoffe. Das Unternehmen CeramOptec hat bereits ein Jahr nach der Gründung mit der Internationalisierung begonnen. Innerhalb von drei Jahren wurden Produktionsstätten in den Triade-Märkten durch Eigengründung eröffnet. Weitere Gründungen und Akquisitionen folgten bis zur Übernahme durch die Biolitec AG. Seit der Konjunkturwende hat das Unternehmen die Internationalisierung nicht verlangsamt. Allerdings kann festgestellt werden, dass das Unternehmen zahlreiche Distributionsverträge abgeschlossen hat. Es kam aber auch zu weiteren ressourcenintensiven Internationalisierungsschritten. In Frankreich wurde eine weitere Gründung vorgenommen und in Großbritannien wurde das Unternehmen QuantaNova akquiriert. Insbesondere diese Akquisition belastet das Unternehmen allerdings
195
weiterhin und hat entsprechend zu einem Jahresverlust von zwei Millionen Euro (nach +1,4 Millionen in 2001) beigetragen. Zukünftig will das Unternehmen vor allem in den Nahen und Mittleren Osten sowie nach Asien expandieren. Tabelle 7.6: Biolitec AG - Meilensteine der Internationalisierung 1988
Gründung des Unternehmens CeramOptec GmbH, Bonn
1989
Gründung der CeramOptec Inc. (USA)
1991
Gründung der CeramOptec Sdn. (Malaysia)
1995
Akquisition: AndaOptec Ltd. (Lettland)
1998
Gründung der CeramOptec Ltd. (Irland)
1999
Gründung der Biolitec AG, Jena
2000
Übernahme der CeranOptec Gruppe durch die Biolitec AG IPO am Neuen Markt
2001
Gründung der Biolitec SARL (Frankreich); Distributionsverträge mit Händlern in Zypern, Brasilien, Argentinien, Kolumbien, Chile, Peru
2002
Akquisition: QuantaNova Ltd. (UK)
Die Internationalisierung des Unternehmens ist von der Kick-Down-Strategie gekennzeichnet. Insbesondere die Schnelligkeit der internationalen Expansion ist ein typisches Kennzeichen dieses Strategietyps. Besonders aber der frühzeitige Aufbau von komplexen Wertschöpfungsstufen wie der Produktion zeigt die Intensität des Auslandsengagements der Biolitec AG. Besonders interessant ist dabei zu beobachten, dass trotz der Konjunkturwende 2000 die Kick-Down-Strategie nicht verlangsamt oder gar zurückgenommen wurde. CyBio AG Die CyBio AG wurde 1995 als Jenoptik-Tochter „Opal Jena“ gegründet. 1998 entstand als Nachfolger die Jenoptik Bioinstruments als Holding unabhängiger Forschungsunternehmen und 1999 erfolgte die Umwandlung in eine AG und die Firmierung zu CyBio. Aus der Unternehmensgeschichte wird deutlich, dass das Unternehmen kein Start-up im eigentlichen Sinn ist. Es weist aber typische Merkmale eines jungen Technologieunternehmens, das am Anfang seines Lebenszyklus’ steht, auf.
196
Das Unternehmen beschäftigt sich mit der Entwicklung technologischer Plattformen und Laborsysteme zur Suche nach innovativen medizinischen Wirkstoffen. Tabelle 7.7: CyBio AG - Meilensteine der Internationalisierung 1995
Gründung des Unternehmens als „Opal Jena“
1996
Bearbeitung des US-Marktes über einen Vertriebspartner (Händler-Vertrag bis Ende 1999)
1998
Eigene Niederlassungen in den USA, Großbritannien und Frankreich
1999
IPO am Neuen Markt
2000
Start des Direktvertriebs in den USA über eigene Niederlassung Händlervertrag in Japan
2001
Händlervertrag in Korea Akquisition eines Händlers in Großbritannien und Ausbau als eigene Vertriebstochter Aufbau des Vertriebs als 4-Säulen-Modell, d. h. vier Vertriebszentren in Großbritannien (Nordeuropa), Deutschland (Mittel- und Südeuropa), USA (Nordamerika) und Japan (Asien), die den Weltmarkt bedienen
CyBio setzte weder eine Kick-Down-Strategie noch eine Stufenstrategie um, sondern folgte vielmehr einer Internationalisierungsstrategie, die der Flexiblen Mischstrategie ähnelt. Das Unternehmen internationalisierte geografisch schon sehr früh und begann bereits nach einem Jahr damit, den US-Markt zu bearbeiten. Nach fünf Jahren waren die Kernmärkte (Triade-Märkte) besetzt. Bezüglich der geografischen Dimension kann also durchaus von einer Kick-Down-Strategie gesprochen werden. Allerdings ging CyBio, etwa im Gegensatz zur Intershop AG (vgl. unten), ressourcenschonender vor. Zum einen wurden von den Kernmärkten aus andere Märkte der jeweiligen Region bedient, womit sich die Länderanzahl reduzierte, und zum anderen wurden vorrangig Vertriebs- und Servicetätigkeiten angesiedelt. Andere Wertschöpfungsstufen blieben zentralisiert in Jena. Diese Vorgehensweise entspricht eher der stufenweisen Internationalisierung. Der Aufbau der Wertschöpfungsstufen im Ausland erfolgte über Direktinvestitionen, Akquisitionen oder Distributionspartner. Zwar sind Direktinvestition und Akquisition relativ ressourcenintensiv und werden bei einer stufenweisen Internationalisierung erst später eingesetzt. Die guten Finanzierungsbedingungen in den 1990ern ermöglichten je-
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doch derartige Engagements schon in frühen Phasen der Unternehmensentwicklung. CyBio konnte aufgrund der gewählten Internationalisierungsstrategie relativ schnell auf die genannten Marktveränderungen reagieren. Nichtsdestotrotz leidet das Unternehmen derzeit noch an den Folgen eines Expansionskurses im Vertrieb, der auf Planzahlen beruhte, die in einem zu optimistischen Umfeld aufgestellt wurden. Die eingeleiteten Restrukturierungsmaßnahmen führten jedoch bereits im zweiten Quartal 2002 dazu, dass ein deutlich reduzierter Verlust ausgewiesen werden konnte und der Zahlungsmittelabfluss deutlich abgenommen hat. Die internationalen Aktivitäten sind, wie in Tabelle 7.7 zu sehen, nach wie vor von zentraler Bedeutung für das Unternehmen, so dass die Mischstrategie mindestens das Ziel der Etablierung erreicht hat. Intershop AG 1992 als IT-Dienstleister in Jena gegründet, war das Ziel der Geschäftstätigkeit ab 1993 die Entwicklung und der Vertrieb von Standardsoftware für e-BusinessAnwendungen. Das strategisches Ziel des Unternehmens wurde im Geschäftsbericht 2000 mit Blick auf 2001 wie folgt definiert: „Wir liefern die Lösungen, mit denen unsere Firmenkunden das Internet als Basis für alle geschäftlichen Aktivitäten und damit als leistungsstarken und langfristigen Wettbewerbsvorteil nutzen können.“ (Intershop 2001a, 1) Die Internationalisierungsstrategie der Intershop AG weist bis Anfang 2000 typische Merkmale der Kick-Down-Strategie auf. Innerhalb von acht Jahren wurden weltweit auf allen wichtigen Märkten, insbesondere in den USA, wichtige Wertschöpfungsstufen aufgebaut. Bei Markteintritt konnten aufgrund guter Finanzierungsmöglichkeiten ressourcenintensive Strategien umgesetzt werden und so dem Zeitwettbewerb standgehalten und Wettbewerbsvorteile global genutzt werden. Deshalb wurden außer Strategischen Allianzen, Distributionspartnern und Lizenzverträgen auch Direktinvestitionen, unter anderem in Form von Akquisitionen, durchgeführt (z. B. Übernahme des New Yorker Unternehmens Fountainhead). Zudem konnten in den Zielmärkten schnell mehrere Wertschöpfungsstufen installiert werden. In allen besetzten Ländermärkten waren Vertriebs- und Marketingeinheiten anzutreffen und mehrere Standorte verfügten über F&E-Einrichtungen.
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Die Konzentration bestimmter Funktionen in Kompetenzzentren (Jena: F&E, Services; Hamburg: Finanzen; San Francisco: Strategie) und der damit verbundene starke Informationsaustausch unter den Mitarbeitern hat zu einer hohen internationalen Integration des Gesamtunternehmens geführt. Tabelle 7.8: IntershopAG - Meilensteine der Internationalisierung 1992
Gründung in Jena als IT-Dienstleiter (erst ab 1993 Softwareentwicklung)
1996
Erste Niederlassung in USA und Paris; VC-Finanzierung
1997
Verlegung des Firmensitzes nach San Francisco; Eröffnung der Niederlassung London
1998
IPO am Neuen Markt; Niederlassungen: Sydney, Melbourne, Toronto u. a.
1999
Niederlassungen: New York, Stockholm, Helsinki, Hong Kong
2000
Dual-Listing NASDAQ Niederlassung: Tokio, Singapur, Taipeh Strategische Partnerschaften: Commerce One, Sybase, HP, Nokia, SVC, NSE, Icon Medialab Akquisitionen: OWiS, Subotnic
2001
Restrukturierungsprogramm mit Hauptziel Break-Even Zentralisierung der meisten Funktionen in Jena Start des „Globalen Partner-Programms“ Partnerschaften mit Vertriebspartner VRC Netshopping in Belgien und Niederlande
2002
Strategische Partnerschaften: T-Systems, CMG
Mit den sich ändernden Rahmenbedingungen seit Frühjahr 2000 musste Intershop die ressourcenintensive Kick-Down-Strategie aufgeben. Das Unternehmen leidet seit dem Konjunkturabschwung unter einem Nachfragerückgang sowie zu hohen Fixkostenbestandteilen. Aus diesem Grund wurde ein umfangreiches Restrukturierungsprogramm eingeleitet, das sich im weiteren Internationalisierungsprozess des Unternehmens niederschlägt und zu einer veränderten Internationalisierungsstrategie führte. Diese entspricht nun großenteils der Flexiblen Mischstrategie. Die Auslandsniederlassungen des Unternehmens blieben im wesentlichen bestehen. Konsolidierungsmaßnahmen äußerten sich vor allem in der Verringerung der Wertschöpfungsstufen, was zur Zentralisierung vieler Funktionen in Jena führte und die Kosten des Unternehmens reduzierte. Zukünftig baut das Unternehmen bei
199
seiner geografischen Expansion verstärkt auf Allianzen sowie Distributions- und Implementierungspartner. Besonders in Europa wird die geografische Ausbreitung aber weiter vorangetrieben.
7.5 Resümee Die Internationalisierung junger Technologieunternehmen hat sich im Zeitablauf geändert. Die technologischen und politischen Entwicklungen in den 1990ern haben die Globalisierung vorangetrieben und die Internationalisierung wesentlich vereinfacht. Besonders die Liberalisierung der Kapitalmärkte und die Veränderung der Risikowahrnehmung der Anleger hatten das klassische Finanzproblem junger risikoreicher Unternehmen reduziert. Ausreichend mit Ressourcen ausgestattet, trieben junge Technologieunternehmen ihre Internationalisierung schnell voran und erreichten hohe Internationalisierungsgrade. Dabei konnten die jungen Technologieunternehmen verschiedene Internationalisierungsstrategien umsetzen. Die vier untersuchten thüringer Unternehmen zeigen, dass alle drei in Abschnitt 7.3.2 entwickelten Typen von Internationalisierungsstrategien zur Anwendung kamen. So weisen Intershop und Biolitec typische Merkmale der Kick-Down-Strategie auf. Unter den neuen Rahmenbedingungen erscheint diese Strategie als nunmehr schwierig umsetzbar. Insbesondere Intershop kämpft derzeit mit den Folgen und hat umfangreiche Restrukturierungsmaßnahmen eingeleitet, die einer Strategieänderung hin zur Flexiblen Mischstrategie entsprechen. Die Biolitec AG hat ihre Kick-Down-Strategie nach der Konjunkturwende nicht geändert und der letzte Internationalisierungsschritt, die Akquisition eines britischen Unternehmens, trug im Geschäftsjahr 2001/2002 erstmalig zu einem Jahresverlust von zwei Millionen Euro bei. Die Analytik Jena AG hat dagegen eine Stufenstrategie umgesetzt und der Anteil des Auslandsumsatzes ist mit 30 % verglichen mit den anderen Unternehmen geringer (vgl. Tabelle 7.1). Jedoch konnte das Unternehmen in den letzten vier Jahren konstant Jahresüberschüsse erzeugen. Das einzige Unternehmen, dass die Flexible Mischstrategie schon vor der Konjunkturwende umgesetzt hat, ist die CyBio AG. Obwohl das Unternehmen besonders unter dem Nachfragerückgang litt und erst im vierten Quartal 2001 auf die veränderten Marktbedingungen rea-
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gierte, konnten die eingeleiteten Restrukturierungsmaßnahmen aufgrund der Flexibilität der Internationalisierungsstrategie innerhalb kurzer Zeit den Verlust reduzieren. Zusammenfassend kann festgestellt werden, das die untersuchten Technologieunternehmen trotz Ressourcenknappheit weiter eine aktive Internationalisierungspolitik betreiben. Dies scheint vor dem Hintergrund eines für alle Unternehmen zu kleinen Heimatmarktes unumgänglich. Welche der drei dargestellten Internationalisierungsstrategien erfolgreicher ist, kann aufgrund der Unterschiedlichkeit der Produkte und Geschäftsmodelle nicht pauschalisiert werden. Aufgrund der fortschreitenden Globalisierung und der sich dadurch verschärfenden Wettbewerbssituation wird jedoch deutlich, dass eine Internationalisierungsstrategie für junge Technologieunternehmen schon in der Gründungsphase zu formulieren ist und dabei die dargestellten Strategietypen als idealtypische Varianten verwendet werden können.
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201
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8 Innovationskooperationen im Raum Jena Martin Kloyer
8.1 Einführung Ziel eines in den Jahren 1999 und 2000 durchgeführten empirischen Forschungsprojekts war es, die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit von Thüringer Hochtechnologieunternehmen durch Kooperation zu untersuchen. Dabei war die Ausgangslage, dass in Thüringen und speziell in Jena in den Hochtechnologiebranchen (vgl. zum Begriff der Hochtechnologie z. B. Gerpott 1999, 20-25, zu dem verwandten Begriff der Spitzentechnik etwa Brockhoff 1999, 28-34) kleine und mittlere Anbieter von F&E-Leistungen den Charakter des Wirtschaftsraumes stärker bestimmen als F&E-Leistungen abnehmende Großunternehmen, die in der Lage sind, materielle Endprodukte herzustellen und zu vermarkten. Dies gilt, obwohl gerade in Jena mit Jenapharm, Jenoptik, Schott und Zeiss vier solcher Großunternehmen anzutreffen sind. Konkretisiertes Ziel der empirischen Untersuchung wurde mithin, die Verbesserung der Wettbewerbsposition der F&E-Anbieter durch Kooperation zu untersuchen. Grund für diese Fokussierung war auch, dass von der Entwicklung dieser oft jungen Unternehmen deutlichere gesamtwirtschaftliche Impulse für die Region erwartet wurden als von etablierten Großunternehmen.
8.2 Relevante Kooperationstypen und Managementprobleme Aus theoretischer Perspektive war zunächst einmal eine Vielzahl von Kooperationstypen in Erwägung zu ziehen. Die Typologien intermediärer, hybrider Organisationsformen, die Koordinationsinstrumente des Markts und der Hierarchie kombinieren, sind mittlerweile kaum mehr überschaubar (vgl. für viele z. B. Backhaus
206
und Meyer 1993; Wildemann 1997; Sydow 1999; Haupt 2000, 85-98). Auch für die speziellen Fälle der Innovations-, Technologie- und F&E-Kooperationen11 existieren mittlerweile zahlreiche Systematisierungen (vgl. z. B. Dobberstein 1992, 11; Dodgson 1993, 12f.; Domrös 1994, 36f.; Hauschildt 1997, 67-80; Chiesa und Manzini 1998). Sowohl Kooperationen im Allgemeinen als auch innovationsorientierte Kooperationen im Besonderen können hauptsächlich nach der Orientierung an der Wertschöpfungskette (horizontal, vertikal, diagonal), nach der Bindungsintensität (u. a. abhängig vom Ausmaß der wechselseitigen partnerspezifischen Investitionen), nach der Art der einbezogenen Organisationen (u. a. Kriterium der Gewinnorientierung), nach der Zahl der kooperierenden Organisationen sowie nach dem Kooperationszweck unterschieden werden. Die Studie, die im Sommer 1999 zur Vorbereitung einer großzahligen schriftlichen Befragung durchgeführt wurde, ergab, welche Kooperationstypen und welche Probleme des Kooperationsmanagements für die F&E-Anbieter besonders relevant sind. So äußerte eine deutliche Mehrheit der interviewten Geschäftsführer bzw. F&E-Leiter (darunter 12 aus Jena und Umgebung), dass die vertikale Kooperation mit F&E-Abnehmern, die materielle Endprodukte herstellen und vermarkten, die für die weitere Unternehmensentwicklung wichtigste Kooperationsform sei. Demgegenüber nachrangig sei die horizontale Zusammenarbeit mit staatlichen Forschungseinrichtungen und anderen F&E-Anbietern. Den in der Vorstudie kontaktierten F&E-Anbietern ist gemeinsam, dass sie über Stärken in den frühen Innovationsprozessphasen der Grundlagenforschung, der angewandten Forschung und der Entwicklung von materiellen Endprodukten verfügen, dass ihnen aber jene Ressourcen fehlen, die für die Herstellung und Vermarktung der materiellen Endprodukte benötigt werden.12 Geschäft dieser Unter11 Diese Differenzierung erfolgt in Anlehnung an die entsprechende Unterscheidung der Managementfelder: F&E-Management umfasst den internen Erwerb von technologischem Wissen, Technologiemanagement darüber hinaus den externen Erwerb und die externe Verwertung technologischen Wissens, und Innovationsmanagement umfasst das F&E-Management und darüber hinaus Herstellung und Vermarktung eines materiellen F&E-Ergebnisses (vgl. Brockhoff 1999, 71). 12 Hier wird das Konzept des Technologiediffusionszyklus von Ford und Ryan 1981, 120 zugrundegelegt. Sie unterscheiden vor der Markteinführung von materiellen Endprodukten die Phasen der Technologieentwicklung und der produktbezogenen Technologieanwendung. Erstere wird hier als Grundlagenforschung bezeichnet. Letztere soll entsprechend einer weit verbreiteten Unterscheidung (vgl. z. B. Schneider und Zieringer 1991, 9) weiter in angewandte Forschung und Produktentwicklung unterteilt werden.
207
nehmen ist mithin der Absatz von F&E-Leistungen - von schon erstellten (Verkauf und Auslizenzierung von (patentierten) F&E-Ergebnissen) und/oder noch zu erstellenden (Auftragsforschung und –entwicklung). Bei letzteren handelt es sich um Kontraktgüter (vgl. z. B. Kaas 1992; Schade und Schott 1993). Jenaer Unternehmen unterscheiden sich darin nicht von entsprechenden Unternehmen in anderen Hochtechnologieregionen. Ein Unterschied besteht allenfalls in der Konzentration auf bestimmte Branchen. Das Auftreten von F&E-Anbietern aus dem Bereich der Optik (im weitesten Sinn) lässt sich noch auf die lange Tradition dieser Technologie in Jena zurückführen. Die Aktivitäten in der Biotechnologie hingegen gehen überwiegend darauf zurück, dass Jena in dem 1995 vom Bundesforschungsministerium ausgeschriebenen BioRegio-Wettbewerb den mit einem Sondervotum und erheblichen Fördermitteln verbundenen vierten Platz erzielen konnte (vgl. Stegemann 2003). Hier sei kurz darauf eingegangen, inwieweit die genannten Geschäfte der F&EAnbieter mit ihren Abnehmern tatsächlich als Kooperationen und nicht nur als Lieferbeziehungen zu bezeichnen sind. Jede Austauschbeziehung ist eine Kooperation, sofern die Koordination des Leistungsaustauschs nicht nur marktliche, sondern auch hierarchische Elemente enthält, bzw. wenn zumindest einer der Austauschpartner wiederholt Einfluss auf den Leistungserstellungsprozess des anderen nimmt oder nehmen könnte. Nicht erforderlich – aber auch nicht schädlich – ist ein arbeitsteilig zu erfüllendes Leistungsprogramm oder gar eine integrierte Leistungserstellung durch die Kooperationspartner (vgl. allgemein Sydow 1999, 103f., und speziell zum Fall der vertikalen Innovationskooperation z. B. Rühl 2001, 51.).Von den genannten Geschäften der F&E-Anbieter sind Auftragsforschung und –entwicklung sowie die Auslizenzierung von (patentierten) F&E-Leistungen Kooperationsbeziehungen im Sinne dieser Definition, da eine koordinierende Beeinflussung gegeben ist, im Falle der Auftragsforschung und –entwicklung seitens des Abnehmers, und bei der Lizenzbeziehung seitens des Anbieters oder sogar wechselseitig. Der Verkauf von schon erstellten F&E-Leistungen, beispielsweise von Patenten, wird nur dann als Kooperationsbeziehung erfasst, wenn der ihm zugrundeliegende Vertrag bestimmte Regelungen beinhaltet, die dem Anbieter eine nachvertragliche Verhandlungsmacht
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verschaffen bzw. durch die der Anbieter Einfluss auf den Leistungserstellungsprozess des Abnehmers nehmen könnte. Ansonsten handelt es sich um eine einfache F&E-Lieferbeziehung. Vertikale Innovationskooperationen sind häufig in bestimmten Branchen auszumachen: In der Pharmabranche, deren Unternehmen oft F&E-Leistungen von Biotechnologieunternehmen beziehen (vgl. z. B. Forrest und Martin 1992, 45; Dillmann 1997; Senker und Sharp 1997, 37, 50), oder auch in der Informationstechnikbranche (vgl. z. B. Saxenian 1991, 425). Sie dienen aus der Perspektive des Anbieters nicht nur unmittelbar dem Absatz der F&E-Leistungen, sondern können auch mittelbar auf informellem Weg Know-how der Herstellung und Vermarktung materieller Endprodukte vermitteln. Sofern der Abnehmer mit mindestens zwei Anbietern längerfristig zusammenarbeitet, kann er als die führende „hub organization“ in einem strategischen Netzwerk bezeichnet werden. Im Raum Jena bieten sich den F&E-Anbietern aus der Optikbranche mit Jenoptik, Schott und Zeiss drei potentielle hub organizations. F&E-Anbieter sind auf die Kooperation mit Unternehmen, die die F&E-Ergebnisse in vermarktbare Endprodukte umsetzen, angewiesen. Für F&E-Abnehmer besteht zwar immer die Alternative der eigenständigen F&E. Für externe F&E sprechen allerdings mehrere Gründe (vgl. z. B. Teichert 1994, 27ff.; Hauschildt 1997, 199f.; Sakakibara 1997, 145f.; Narula und Hagedoorn 1999, 285). Zwei Wesentliche seien hier genannt: Der parallele oder zumindest überlappende Vollzug von Innovationsprozessschritten vermindert die Time-to-market (vgl. z. B. Voigt und Wettengl 1999, 428f.). Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, als Markteintrittspionier einen stärkeren Größenvorteil und höheren Gewinn als ein Markteintrittsnachfolger realisieren zu können. Diese Effekte können einen durch die Innovationsbeschleunigung verursachten Anstieg der F&E-Kosten überkompensieren (vgl. z. B. Voigt 1998, 99f.; zu einer Darstellung, die auch Pioniernachteile beleuchtet, vgl. etwa Clement, Litfin und Vanini 1998, 207-211). Das für Unternehmen in Hochtechnologiebranchen relevante Spektrum technologischer Entwicklungen wächst aufgrund der zunehmenden Innovationskomplexi-
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tät. Vertikale Austauschbeziehungen mit F&E-Anbietern verschaffen einen Zugang zu den Ergebnissen dieser Entwicklungen, ohne dass eigene F&E-Kapazität aufgebaut werden müsste (vgl. z. B. De Bresson und Amesse 1991, 367f.; Gemünden und Ritter 1997; Türck 1999, 61). Die in der Voruntersuchung geführten Interviews sollten zunächst einmal die aus der Sicht des F&E-Anbieters entscheidenden Kooperationshindernisse bzw. – positiv gewendet - Erfolgsdeterminanten ermitteln. Erkennbar wurden dabei drei besonders relevante Bereiche: • (mangelhafte) Kompatibilität des Kooperationspartners hinsichtlich der Kooperationsziele, der Ressourcenausstattung und der Organisationskultur, • (keine) hinreichende Kompetenz im interorganisationalen Struktur- und Prozessmanagement, • (subjektiv nicht hinreichende) Beteiligung am Ertrag aus der Vermarktung materieller Endprodukte, also am Innovationsertrag. Da dem Problem der Innovationsertragsverteilung die größte Bedeutung zugemessen wurde, lag es nahe, die Vorstudie im weiteren Verlauf darauf zu konzentrieren. Die anderen Felder wurden bewusst ausgeklammert.13
8.3 Informationsprobleme und Opportunismus in vertikalen Innovationskooperationen Aus der Perspektive der in der Voruntersuchung Befragten stellt sich das Problem der Innovationsertragsverteilung folgendermaßen dar: Aufgrund von Informationsproblemen ist ein Abnehmer von F&E-Leistungen nicht bereit, den Anbieter schon im Austauschvertrag kontinuierlich am Innovationsertrag zu beteiligen. Dies führt zu einer suboptimalen Leistungsmotivation des Anbieters und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Spielräume für opportunistisches Verhalten genutzt werden. Die Folge sind Wohlfahrtsverluste. Gespräche mit F&E-Abnehmern bestätigten diese Problembeschreibung.
210
Im Falle der Erstellung von F&E-Leistungen ergeben sich wegen der ausgeprägten Informationsasymmetrien zwischen Anbieter und Abnehmer eine Reihe von Möglichkeiten opportunistischen Verhaltens. Bevor jene spezifischen Formen des Opportunismus erläutert werden, die in den hier interessierenden Formen der vertikalen Innovationskooperation drohen, seien in einem knappen Exkurs die vier wesentlichen, in der Agency-Theorie (zur Agency-Theorie vgl. z. B. Pratt und Zeckhauser 1985; Spremann 1990; Milgrom und Roberts 1992; Ebers und Gotsch 1999; Picot, Dietl und Franck 1999, 87-94; Jost 2001) unterschiedenen Informationsasymmetrien mit den jeweils aus ihnen resultierenden Arten opportunistischen Verhaltens genannt: • „hidden characteristics“: Der Abnehmer (Prinzipal) kann wesentliche Merkmale der Leistung des Anbieters (Agenten) und/oder leistungsrelevante Merkmale des Agenten nicht erkennen. Daraus resultiert das Problem der „adverse selection“, also der Auswahl ungeeigneter Agenten. • „hidden action“: Der Prinzipal kann den Leistungserstellungsprozess des Agenten nicht beobachten. Daraus resultieren die Probleme des „shirking“ („Drückebergerei“) und des „moral hazard“ (der Agent verfolgt eigene Ziele zum Nachteil des Prinzipals). • „hidden information“: Der Prinzipal kann nicht beurteilen, inwieweit die Leistung des Agenten auf dessen Anstrengungen oder auf externe Einflüsse zurückzuführen ist. Auch hier ist die Gefahr des moral hazard gegeben. • „hidden intention“: Der Agent will bzw. muss einseitig partnerspezifisch investieren und weiß nicht, ob der Prinzipal beabsichtigt, die daraus entstehende einseitige Abhängigkeit opportunistisch auszunutzen, indem er den Preis auf das Niveau der bestmöglichen Alternativverwendung der spezifischen Investitionen drückt (hold up).
13 Einen Einstieg in die hier nicht behandelten Problemfelder liefern z. B. Specht und Beckmann 1996, 385-415; Gerpott 1999, 245-251.
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Auftragsforschung und –entwicklung, Lizenzierung und Patentverkauf ermöglichen dem Anbieter und dem Abnemer spezifische Formen opportunistischen Verhaltens: Der Abnehmer einer Leistung der Auftragsforschung oder -entwicklung ist von hidden action, hidden information und anbieterbezogenen hidden characteristics sowie den sich daraus ergebenden Möglichkeiten opportunistischen Verhaltens bedroht. Dem Abnehmer droht auch in dem Umfang hidden intention bzw. hold up seitens des Anbieters, in dem er einseitig durch die Übertragung von Knowhow auf den Anbieter, das dieser für die Leistungserstellung benötigt, spezifisch investiert. Dem stehen allerdings zu diesem Zeitpunkt, am Anfang einer Austauschbeziehung, typischerweise höhere spezifische Investitionen des Anbieters in die Leistungserstellung gegenüber. Ein Lizenznehmer und der Käufer eines Patents sind von leistungsmerkmalbezogenen, also den Lizenzgegenstand bzw. das Patent betreffenden hidden characteristics bedroht. Der Anbieter einer Leistung der Auftragsforschung oder -entwicklung investiert zu Beginn der Lieferbeziehung in größerem Umfang spezifisch als der Abnehmer, der allenfalls Know-how transferiert. Daraus ergibt sich für den Abnehmer die Möglichkeit des hold up. Auch ein Lizenzgeber investiert - infolge des Transfers des erforderlichen Knowhows - typischerweise zu Beginn einer Austauschbeziehung höher spezifisch als der Abnehmer, also der Lizenznehmer. Dieser kann die daraus resultierende einseitige Abhängigkeit des Lizenzgebers im Sinne von hold-up dafür nutzen, den vereinbarten Gebührensatz zu senken. Außerdem kann sich herausstellen, dass der Lizenznehmer nicht so leistungsfähig und -motiviert ist, wie es für die Ausschöpfung des Marktpotenzials erforderlich wäre (hidden characteristics) (Shirking und moral hazard im eigentlichen Sinne liegen hier nicht vor, da sich der Lizenznehmer über verminderte Umsätze selbst schädigt.). Dem Verkäufer eines Patents droht keine der hier eingeführten Formen opportunistischen Abnehmerverhaltens.
212
Im Rahmen der Agency-Theorie werden zahlreiche Instrumente diskutiert, die geeignet sind, die hier beschriebenen Gefahren opportunistischen Verhaltens zu mindern14: Gegen die den Abnehmer von Auftragsforschungs- oder -entwicklungsleistungen betreffenden Gefahren der hidden action und hidden information wird eine erfolgsabhängige Vergütung in Verbindung mit Monitoring des Anbieters vorgeschlagen (vgl. z. B. Krafft 1995, 87; Picot, Dietl und Franck 1999, 91). Die in vertikalen Innovationskooperationen anzutreffende Meilensteinabhängigkeit der Entgeltzahlungen an den Anbieter kann als Beispiel für die Verknüpfung dieser beiden Instrumente angesehen werden. Das Interesse des Anbieters an den noch ausstehenden Teilzahlungen soll dabei seine Motivation zu moral hazard und shirking vermindern. Als Instrumente gegen die aus anbieterbezogenen hidden characteristics resultierenden Gefahren werden Zeugnisse, Referenzen, allgemein der Mechanismus des Signalling (Vgl. insbesondere die grundlegende Arbeit von Spence (1973). Zur „Signalingtheorie“ im Innovationsmarketing vgl. Helm 2001, 88ff. (dort in der US-amerikanischen Schreibweise mit einem „l“)) genannt. Wirksam ist auch hier die Meilensteinabhängigkeit von Entgeltzahlungen, und zwar insofern, als sich die leistungsfähigen und –motivierten Anbieter für die leistungsabhängige Entgeltform entscheiden und damit für den Abnehmer identifizierbar sind. Gegen die den Lizenznehmer und den Patentkäufer betreffenden leistungsmerkmalbezogenen hidden characteristics können ebenfalls Zeugnisse und Referenzen wirken. Gegen die hold up-Gefahr, der der Anbieter einer Leistung der Auftragsforschung oder -entwicklung ausgesetzt ist, wirken up-front-payments, durch die der maximal mögliche Schaden reduziert wird. Dem hold up-Risiko eines Lizenzgebers kann der Verzicht auf ein Exklusivbezugsrecht, also die Vereinbarung einer einfachen Lizenz, entgegenwirken, da dadurch ein Ausweichen auf alternative Lizenznehmer ermöglicht wird. Gegen man14 Das Untersuchungsziel dieses Beitrags ist eher der positivistischen Agency-Theorie zuzuordnen, die zu erklären versucht, „(...) warum bestimmte Vertragsgestaltungen in der Realität zustande kommen (...)“ (Elschen 1991, 1006). Neben dieser Forschungstradition steht die normative Agency-Theorie, die sich mit der mathematischen Modellierung von Agency-Problemen befasst (vgl. zu dieser Differenzierung z. B. Jensen 1983, 334f.; Wenger und Terberger 1988, 506; Eisenhardt 1989, 59; Krafft 1995, 88).
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gelnde Leistungsfähigkeit und –motivation des Lizenznehmers können Mindestlizenzgebühren oder auch Senkungen des Gebührensatzes bei steigendem Umsatz (in einem Umfang, der dennoch zu einem Anstieg der absoluten Gebührenhöhe führt) vereinbart werden. Abnehmer, die sich hierfür entscheiden, dokumentieren damit ihre Leistungsfähigkeit und -motivation. Mehrere Vertreter der mikroökonomischen Vertragstheorie entwickeln angesichts des Problems ineffizienter Investitionen aufgrund der Antizipation opportunistischen Verhaltens Modelle, nach denen ein Dritter/Koordinator über die Verteilung von Verfügungsrechten die Anreize für die Kooperationspartner so setzt, dass der Gesamtertrag bzw. die Wohlfahrt maximiert werden (vgl. z. B. Wielenberg 1999; Schweizer 1999; Meckl und Kubitschek 2000; Kubitschek und Meckl 2000, 758). Diese Lösung ist allerdings nur in bestimmten Fällen praktikabel. Dabei handelt es sich insbesondere um konzern- und holdingartige Strukturen. Dort ist es möglich, dass Koordinatoren von Anbieter und Abnehmer gleichermaßen akzeptiert werden. In anderen Strukturen aber versuchen Anbieter und Abnehmer in bilateralen Verhandlungen, den Gesamtertrag zu verteilen (Vgl. z. B. Spremann 1990, 576.). Dort sind dann allenfalls Mediations- und Schiedsgerichtsverfahren vorgesehen, in denen einem Dritten keine vom ursprünglichen Vertrag losgelöste Weisungsbefugnisse zukommen.15
8.4 Verbesserte Opportunismusbegrenzung durch Option auf nachträgliche Aushandlung einer kontinuierlichen Ertragsbeteiligung Die Voruntersuchung ergab, dass die Leistungsmotivation des Anbieters weiter gesteigert bzw. seine Neigung zu opportunistischem Verhalten weiter vermindert werden könnte, wenn er über die schon erfolgten Zahlungen (up-front-payments, meilensteinabhängige Zahlungen, einmalige Kaufzahlungen) hinaus zusätzlich eine kontinuierliche Beteiligung am Innovationsertrag erhielte. Im Falle einer 15 Vgl. z. B. Nicklisch 2001. Dies war auch die Meinung mehrerer wirtschaftsjuristischer Experten auf der von Prof. Dr. Fritz Nicklisch am 28. und 29.6.2001 in der Heidelberger Akademie der Wissenschaften zum Thema „Komplexe Langzeitverträge für neue Technologien und neue Projekte“ veranstalteten Tagung.
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Auslizenzierung wird diese Beteiligung bereits im Austauschvertrag vereinbart. Im Falle eines Patentverkaufs kann sie ebenfalls schon zum Zeitpunkt des Abschlusses des Austauschvertrags vereinbart werden, wenn zu diesem Zeitpunkt bereits eine Bemessungsgrundlage vorhanden ist, was bei Patenten, die Ergebnisse der Grundlagenforschung oder der angewandten Forschung betreffen, typischerweise nicht der Fall ist. Im Fall der Auftragsforschung und –entwicklung allerdings ist zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe bzw. des Abschlusses des Austauschvertrags noch keine Bemessungsgrundlage für eine kontinuierliche Beteiligung vorhanden. Es ist da noch nicht einmal klar, ob es eine derartige Bemessungsgrundlage in Gestalt eines materiellen Endprodukts überhaupt jemals geben wird. Dies liegt daran, dass eine Aussage zur Möglichkeit von Herstellung und Vermarktung eines materiellen Endprodukts nur mit umso niedrigerer Wahrscheinlichkeit gemacht werden kann, je früher im F&E-Prozess die Leistungserstellung angesiedelt ist (Tabelle 8.1). Tabelle 8.1: Von der F&E-Phase abhängige Informationsprobleme in vertikalen Innovationskooperationen F&E-Leistung
Wahrscheinlichkeit der Herstellung und Vermarktung eines Endprodukts
Auslizenzierung (1)
Ja/Nein-Aussage zu Herstellung und Vermarktung möglich
Auftragsentwicklung; Entwicklungspatent (2)
Ja/Nein-Aussage zu Herstellung und Vermarktung mit höherer Wahrscheinlichkeit als in (3) möglich
Auftragsforschung; Forschungspatent (3)
Ja/Nein-Aussage zu Herstellung und Vermarktung mit niedrigerer Wahrscheinlichkeit als in (2) möglich
Diese auf der F&E-Phase beruhende Unsicherheit kann dann verstärkt werden, wenn die Forschungs- oder Entwicklungsleistung in einer unreifen Branche erstellt wird, in der sich noch kein „dominant design“ (Afuah und Utterback 1997, 185), also kein Industriestandard herausgebildet hat16, bzw., in der noch keine Marktund Wettbewerbsbedingungen etabliert sind. 16 Welche technologische Entwicklung schließlich den Standard setzen wird, hängt von zahlreichen industrieökonomischen Parametern ab (zu diesen Parametern vgl. z. B. Utterback 1994). In der Transaktionskostentheorie ist dieses Informationsproblem durch die Transaktionskostendeterminante der Unsicherheit erfasst.
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Die Voruntersuchung und Gespräche mit wirtschaftsjuristischen Experten (Hier sei nochmals auf die von Nicklisch veranstaltete Tagung verwiesen.) verschafften nun allerdings Einblick in eine in der Praxis des F&E-Managements durchaus wahrgenommene und realisierte Möglichkeit, trotz des Fehlens einer Bemessungsgrundlage die Leistungsmotivation des Anbieters zu steigern bzw. seine Opportunismusbereitschaft zu mindern. Dies geschieht, indem dem Anbieter durch vertragliche Pfänder eine glaubwürdige Option auf nachträgliche Aushandlung einer kontinuierlichen Ertragsbeteiligung verschafft wird. Da sich die wirtschaftswissenschaftliche Literatur bislang nicht mit der Ausgestaltung einer derartigen Option befasst hat, sollte sich die Voruntersuchung näher mit ihr beschäftigen. Ihre Ergebnisse erlauben es, ein Modell einer vertikalen Innovationskooperation zu entwickeln. Es unterscheidet drei Zeitpunkte (Tabelle 8.2). Tabelle 8.2: Grundmodell einer vertikalen Innovationskooperation Interaktions- Vereinbarungen, Interaktionssituation zeitpunkt t0
Vertrag zwischen Anbieter und Abnehmer (bei Auslizenzierung und Patentverkauf auch Transfer der Anbieterleistung; bei Auslizenzierung und Verkauf von Produktpatenten fallen t0 und t2 zusammen)
t1
Ende der Erstellung von Leistungen der Auftragsforschung und –entwicklung
t2
Möglichkeit der Entscheidung über Herstellung und Vermarktung eines materiellen Endprodukts und damit der Aushandlung einer kontinuierlichen Innovationsertragsbeteiligung des Anbieters
In t0 wird der Vertrag über den Leistungsaustausch geschlossen. In den Fällen des Patentverkaufs und der Auslizenzierung wird zu diesem Zeitpunkt auch die Anbieterleistung transferiert. Die Erstellung einer Leistung der Auftragsforschung oder entwicklung dauert bis t1 an. In t2 ist der Innovationsprozess dann so weit fortgeschritten, dass über Herstellung und Vermarktung eines Endprodukts und damit die Aushandlung einer kontinuierlichen Ertragsbeteiligung des Anbieters entschieden werden kann.17 In Fällen der Auftragsentwicklung, in denen das Ergebnis des 17 Rühl 2001, 56, geht von einer Situation aus, in der der Prinzipal bereits in t0 den Innovationsertragsverteilungsschlüssel bestimmt.
216
Leistungserstellungsprozesses ein herstell- und vermarktbarer Prototyp ist, fallen t1 und t2 zusammen. Allein im Fall der Auslizenzierung kann typischerweise schon in t0 der Ertragsverteilungsschlüssel festgelegt werden. Im Fall des Patentverkaufs ist dies nur möglich, wenn das Schutzrecht eine Produktentwicklung betrifft. Bei der Auftragsforschung und -entwicklung und dem Verkauf von Patenten, die nicht marktfähige Produkte schützen, ist in t0 keine Bemessungsgrundlage vorhanden. Dort kann eine glaubwürdige Option auf eine nachträgliche, in t2 erfolgende, Aushandlung einer kontinuierlichen Ertragsbeteiligung die Leistungsmotivation des Anbieters anheben bzw. seine Opportunismusneigung senken. Diese Option kann aber auch bei den zuvor genannten Leistungen, bei denen schon in t0 eine kontinuierliche Beteiligung möglich ist, die Opportunismusneigung weiter senken. So motiviert sie einen Lizenzgeber, hinsichtlich des Informationstransfers nicht nachzulassen, da er an zusätzlichem Innovationsertrag eine zusätzliche Beteiligung in Gestalt einer Gebührenerhöhung aushandeln kann. Und in dem praktisch seltenen Fall, in dem ein Patentverkäufer schon in t0 eine kontinuierliche Ertragsbeteiligung erhält, kann die Perspektive auf eine spätere Beteiligungserhöhung den Verkäufer motivieren, leistungsmerkmalbezogene hidden characteristics weitestmöglich offenzulegen, um damit den Innovationserfolg, an dem er partizipieren möchte, zu befördern. Die Option auf nachträgliche Aushandlung einer Ertragsbeteiligung in t2 ist für den Anbieter nur dann glaubwürdig, wenn er sie realisieren kann. Hierfür benötigt er nachvertragliche Verhandlungsmacht. Verhandlungsmacht kann in t2 nun aber nicht mehr wie in t0 auf einem Vorenthalten der eigenen Leistung beruhen. Ausgenommen sind hier Fälle, in denen wegen impliziter Wissenskomponenten (vgl. z. B. Rüdiger und Vanini 1998) der Leistung eine weitere Mitwirkung des Anbieters an der Leistungserstellung des Abnehmers erforderlich ist. Die nachvertragliche Verhandlungsmacht des Anbieters muss also auf andere Weise begründet werden. Dabei muss gewährleistet werden, dass es dem Abnehmer unmöglich ist, eine in t0 gegebene Zusage nachträglicher Beteiligungsaushandlung opportunistisch nicht einzuhalten. Möglich ist hier die Vereinbarung vertraglicher Regelungen, die dem Anbieter als Pfänder die Möglichkeit eröffnen,
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die Verwertung der F&E-Leistung für Herstellung und Vermarktung materieller Endprodukte durch den Abnehmer in t2 zu blockieren bzw. zu erschweren. Als Gegenleistung für Verzicht auf Blockade bzw. Erschwerung kann der Anbieter dann eine Beteiligung am Innovationsertrag fordern. In Frage kommen mehrere, häufig vereinbarte vertragliche Regelungen (vgl. zu den vertraglichen Regelungen z. B. Stumpf und Groß 1993; Gaul und Bartenbach 1997; Pagenberg und Geißler 1997; Henn 1999; Möffert 2001). Hier seien jene in ihrer Funktion als Pfänder des Anbieters beschrieben, die in der Voruntersuchung als besonders relevant ermittelt werden konnten: Vereinbarungen, die dem Anbieter ausschließlich oder gemeinsam mit dem Abnehmer die Verwertungsrechte an Weiterentwicklungen des Vertragsgegenstandes, die der Abnehmer vorgenommen hat, zuschreiben, ermöglichen es diesem, den Abnehmer in t2 zu blockieren. Der Anbieter kann als Gegenleistung dafür, dass er den Abnehmer nicht blockiert, in t2 eine Beteiligung am Innovationsertrag fordern.18 Spezifische Investitionen des Abnehmers in das Anbieterunternehmen - z. B. in Form von Mitwirkung an der Leistungserstellung oder Beteiligungen - verringern sein Interesse, den Anbieter zu schädigen bzw. geben ihm einen Grund, diesen in t2 am Innovationsertrag zu beteiligen. Wenn der Anbieter nicht zur Geheimhaltung von Know-how des Abnehmers verpflichtet wird, könnte er wettbewerbsrelevante Informationen an Konkurrenten des Abnehmers weiterleiten. Als Gegenleistung für eine nachträgliche Verpflichtung zur Geheimhaltung kann er in t2 eine Beteiligung fordern. Wenn der Abnehmer zur Geheimhaltung von Know-how des Anbieters verpflichtet wird, büßt er unternehmerischen Bewegungsspielraum ein. Der Anbieter kann dafür, dass er den Abnehmer seiner Pflicht enthebt, eine Beteiligung fordern.
18 Wenn der Anbieter laut Vertrag Verwertungsrechte vor t2 erhält, kann er den Abnehmer in t2 direkt blockieren. Wenn er sie laut Vertrag nach t2 erhält, dann kann er sie in t2 insofern als Druckmittel einsetzen, als er auf eine spätere Blockademöglichkeit verweisen kann. Letzteres wäre also beispielsweise im Fall von „grant-back“Klauseln, die von einem Lizenznehmer vorgenommene Weiterentwicklungen dem Lizenzgeber rückübereignen, möglich. Zur Funktion von Schutzrechten als Voraussetzung für den Transfer von Wissen vgl. den property-rights-theoretisch basierten Ansatz von Kubitschek und Meckl (2000), insbes. S. 752f.
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Wenn der Anbieter nicht verpflichtet wird, den Abnehmer von Weiterentwicklungen des Vertragsgegenstandes in Kenntnis zu setzen, sind nachteilige Auswirkungen auf den Innovationsertrag wahrscheinlich. Dafür, dass er sich nachträglich zur Information verpflichtet, kann der Anbieter eine Beteiligung fordern. Wenn ein Abnehmer verpflichtet wird, den Anbieter von Weiterentwicklungen des Vertragsgegenstandes in Kenntnis zu setzen, kann dieser – sofern er während der Kooperation die hierfür erforderlichen Ressourcen hinzugewonnen hat – selbst als Produzent und Vermarkter von Endprodukten auftreten. Der Anbieter kann als Gegenleistung dafür, dass er das unterlässt, in t2 eine Beteiligung am Innovationsertrag fordern. Wichtig ist nun, dass ausschließlich das Instrument der Verwertungsrechte es dem Anbieter gestattet, den Abnehmer in t2 zu blockieren. Die anderen Regelungen können die Nutzung der F&E-Leistung lediglich erschweren. Ein über Verwertungsrechte verfügender Anbieter könnte in t2 den Abnehmer blockieren und einen alternativen Abnehmer wählen. Die Voruntersuchung hat ergeben, dass sich ein Abnehmer in dieser Situation nur dann auf die Geschäftsbeziehung einlässt und effizient investiert, wenn seine einseitige Abhängigkeit in t2 in eine wechselseitige überführt wird. Offenbar wird die wechselseitige Abhängigkeit in erster Linie durch die Vereinbarung eines Exklusivbezugsrechts des Abnehmers in t0 herbeigeführt. Dadurch wird dem Anbieter die Möglichkeit des Abnehmerwechsels in t2 genommen - dies war auch in Vorträgen auf der Heidelberger Tagung zu hören, so von Priv.-Doz. Dr. Joachim Frick, LL.M. (Baker & McKenzie, Zürich; Thema „Komplexe Langzeitverträge im Spiegel der Rechtsentwicklung“) und von Robert Zahler (Shaw Pittman, New York; Thema „Outsourcing Contracts“). Exklusivbezugsrechte in vertikalen Innovationskooperationen sind typischerweise derart weit reichend, dass ausgenommene Gegenstände nicht isoliert verwertet werden können. Als alternative Absicherung des Abnehmers wären auch spezifische Investitionen des Anbieters in das Abnehmerunternehmen möglich. Real sind sie allerdings – wie auch andere denkbare Instrumente – kaum anzutreffen. Plausible Begründung hierfür ist, dass diese spezifischen Investitionen mindestens so hoch wie der potentielle Gewinn des Anbieters aus der Ver-
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marktung des Endprodukts durch einen Alternativabnehmer sein müssten, um den Abnehmer wirksam zu schützen. Es gibt aber nur sehr wenige F&E-Anbieter, die zu derartigen Investitionen in der Lage wären. Wenn in t2 durch Verwertungsrechte des Anbieters und Exklusivbezugsrecht des Abnehmers Interdependenz besteht, liegt ein bilaterales Monopol vor (Hier soll nicht vertieft werden, welche Modelle der Ertragsverteilung sich den Parteien in t2 anbieten. Vgl. zur oft diskutierten Nash-Verhandlungslösung von Anbietern und Abnehmern im bilateralen Monopol z. B. Bamberg und Coenenberg 1994, 184186; Schenk-Mathes 1999, 63-65). Die Austauschpartner können sich wechselseitig blockieren, haben aber kein ökonomisches Interesse daran. Der Anbieter kann in dieser Situation nur dazugewinnen – allenfalls, wenn sich kein Innovationsertrag einstellt, leer ausgehen. Der Abnehmer will einen Innovationsertrag erzielen, damit sich seine Ausgaben für die F&E-Leistung amortisieren können. Tabelle 8.3 fasst das entwickelte Modell der Opportunismusbegrenzung in vertikalen Innovationskooperationen zusammen. An dieser Stelle ist nun zu diskutieren, ob durch das bilaterale Monopol zwar die Opportunismusgefahr vermindert, aber wegen des Ausschaltens von Wettbewerbsdruck auch die Leistungsanreize reduziert werden. Dazu ist folgendes anzumerken: Der Anbieter erhält die Verwertungsrechte an Weiterentwicklungen erst, nachdem er die Leistung erstellt und transferiert hat, und außerdem erst dann, wenn der Abnehmer die Leistung tatsächlich weiterentwickelt hat. Er ist also zum Zeitpunkt seiner Leistungserstellung noch kein Monopolist. Er kann durchaus ausgetauscht werden, wenn seine Leistung nicht als zufrieden stellend wahrgenommen wird. Von daher droht also keine neue Opportunismusgefahr. Umgekehrt ist die Gefahr, dass ein mit einem Exklusivbezugsrecht ausgestatteter Abnehmer bei der Umsetzung der Anbieterleistung in die Herstellung und Vermarktung eines Endprodukts nicht maximal motiviert ist, nur insoweit nicht gegeben, als er daran interessiert ist, dass sich die bereits geleisteten Zahlungen amortisieren. Ansonsten besteht das Problem durchaus. In Lizenzbeziehungen werden deshalb - wie bereits erwähnt - häufig Mindestgebühren vereinbart. Die Voruntersuchung lässt auch darauf schließen, dass Abnehmer wegen der
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ansonsten einseitigen Abhängigkeit nicht bereit sind, auf ein Exklusivbezugsrecht zu verzichten. Tabelle 8.3: Modell einer an der Opportunismusbegrenzung orientierten vertikalen Innovationskooperation Interaktionszeit- Vereinbarungen, Güterflüsse, Interaktionssituation punkt bzw. -phase Vertrag zwischen Anbieter und Abnehmer mit folgenden Vereinbarungen: Zeitpunkt t0 • Leistung des Anbieters • Vergütung: Bei Auslizenzierung: kontinuierliche Beteiligung am Innovationsertrag (t0 und t2 fallen zusammen); Bei Patentverkauf: einmalige Zahlung, bei Produktpatenten eventuell kontinuierliche Beteiligung (t0 und t2 fallen zusammen); Bei Auftragsforschung und -entwicklung: up-front-payment und sukzessive, meilensteinabhängige Vergütung • Pfänder des Anbieters, insbesondere: Verwertungsrechte des Anbieters an durch den Abnehmer durchgeführten Weiterentwicklungen des Vertragsgegenstandes; Spezifische Investitionen des Abnehmers in das Anbieterunternehmen • Pfänder des Abnehmers, insbesondere: Exklusivbezugsrecht Phase t0-t1 • Bei Auftragsforschung und -entwicklung: Leistungserstellung und sukzessive Vergütung • Bei Auftragsforschung und -entwicklung: Abnehmer wartet auf Informationsstand, der sichere Aussagen zu Herstellung und Vermarktung eines materiellen Endprodukts zulässt Abschluss der Erstellung von Leistungen der Auftragsforschung und -entZeitpunkt t1 wicklung Abnehmer warten auf Informationsstand, der sichere Aussagen zu HerPhase t1-t2 stellung und Vermarktung eines materiellen Endprodukts zulässt Zeitpunkt t2 • Sichere Aussagen zu Herstellung und Vermarktung eines materiellen Endprodukts möglich • Wenn Herstellung und Vermarktung durchführbar und positive Entscheidung des Abnehmers, dann bilaterales Monopol wegen des Exklusivbezugsrechts des Abnehmers und wegen der Pfänder zugunsten des Anbieters • Aushandlung der kontinuierlichen Innovationsertragsbeteiligung des Anbieters, danach Investition des Abnehmers in Herstellung und Vermarktung Herstellung und Vermarktung des materiellen Endprodukts und VerteiPhase ab t2 lung des Innovationsertrags
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Es fragt sich auch, ob Anbieter und Abnehmer unternehmerische Chancen verpassen, wenn sie sich in einem bilateralen Monopol aneinander binden. Hierzu ist zu bemerken, dass der Anbieter - wie soeben erwähnt - durchaus während der Leistungserstellung ausgetauscht werden kann. Umgekehrt trifft es allerdings zu, dass der Abnehmer nicht ausgetauscht werden kann. Die Voruntersuchung lieferte Hinweise darauf, dass Anbieter diese Einschränkung ihrer unternehmerischen Chancen in Kauf nehmen. Die Institution der nachträglichen Aushandlung einer kontinuierlichen Ertragsbeteiligung des Anbieters führt zu einem Wohlfahrtsgewinn bzw. zu einer Senkung der gesamten Agency-Kosten (nach Jensen und Meckling 1976, 308) Steuerungsund Kontrollkosten, Kosten für Garantieversprechen des Agenten sowie Kosten durch das nicht verhinderte opportunistische Agentenverhalten), ohne dass ein Koordinator erforderlich wäre. Damit ist sie für die in vertikalen Innovationskooperationen anzutreffende Situation geeignet. Es verbleiben allerdings die Kosten, die durch den Prozess des nachträglichen Aushandelns der Ertragsbeteiligung anfallen. Diese könnten durch den Einsatz eines von beiden Seiten akzeptierten Koordinators möglicherweise gesenkt, aber auch nicht ganz ausgeschlossen werden. Ein weiterer Wohlfahrtsgewinn wäre also möglich, aber nicht sicher. Es wird nun aufgezeigt, wie das bilaterale Monopol das in 8.2 beschriebene Instrumentarium der Agency-Theorie zur Begrenzung des wechselseitigen Opportunismus bei den verschiedenen Leistungsarten ergänzen kann: Durch die im Modell vorgesehenen vertraglichen Pfänder und die damit untermauerte Option auf eine nachträgliche Ertragsbeteiligung kann der Anbieter einer Leistung der Auftragsforschung oder -entwicklung - wie bereits erwähnt - ebenso wie durch die Meilensteinabhängigkeit von Zahlungen zum Verzicht auf die Ausnutzung von hidden action und hidden information motiviert werden. Der Grund hierfür ist, dass er den Gesamtertrag, an dem er in t2 beteiligt werden kann, schmälern würde, wenn er sich bei der Leistungserstellung im Sinne von shirking oder moral hazard opportunistisch verhielte. Gegen die Gefahr der adverse selection aufgrund von anbieterbezogenen hidden characteristics kann nicht nur die Meilensteinabhängigkeit von Zahlungen wirken, sondern auf dieselbe Weise auch das
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Angebot von Pfändern in Verbindung mit einer Senkung von up-front-payment und meilensteinabhängigen Zahlungen: Leistungsfähige und –motivierte Anbieter können sich durch ihr Votum für diese Entgeltform von weniger leistungsfähigen und –motivierten abheben (Es ist allerdings möglich, dass ein zwar leistungsfähiger, aber sehr risikoaverser Anbieter sich nicht auf den Leistungsaustausch einlässt, möglicherweise auch, weil er dem Abnehmer nicht zutraut, die gute Anbieterleistung zu einem Endprodukterfolg weiterzuführen.). Ein Lizenznehmer und der Käufer eines Patents kann sich gegen die Gefahr der leistungsmerkmalbezogenen hidden characteristics in Ergänzung der oben genannten Möglichkeiten auch durch die Vereinbarung der den Anbieter stärkenden Pfänder in Verbindung mit niedrigerer sofortiger Bezahlung wehren. Der Anbieter hochwertiger Lizenzgegenstände oder Patente wird im Vertrauen auf deren Wert eine Option auf spätere Erhöhung der kontinuierlichen Ertragsbeteiligung bzw. die erstmalige Aushandlung einer solchen bevorzugen. Der Vollständigkeit wegen sei auch hier noch einmal darauf hingewiesen, dass sich für einen Anbieter im Fall der Vereinbarung der Pfänder die Möglichkeit des hold up ergibt. Es wurde bereits ausgeführt, dass dieser Gefahr durch die Vereinbarung eines Exklusivbezugsrechts des Abnehmers entgegengewirkt werden kann. Wie bereits erläutert, sieht sich der Anbieter einer Leistung der Auftragsforschung oder -entwicklung durch seine spezifischen Investitionen in die Leistungserstellung der Gefahr des hold-up durch den Abnehmer ausgesetzt. Wenn der Anbieter nun in t0 die genannten Pfänder vereinbaren kann, hat der Abnehmer kein Interesse daran, den Preis auf das Niveau der bestmöglichen Alternativverwendung zu drücken, da der Anbieter dann in t2 die Verwertung blockieren bzw. erschweren kann. Auch gegen die Gefahr, dass ein Lizenznehmer den Gebührensatz drücken will, können alle genannten Pfänder wirken, da diese es dem Lizenzgeber erleichtern, den Lizenznehmer zu wechseln. Dem Verkäufer eines Patents droht - wie bereits erwähnt - kein Abnehmeropportunismus.
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Die auf der Voruntersuchung aufbauende, zum Jahreswechsel 1999/2000 durchgeführte, bundesweite schriftliche Befragung von 1.200 F&E-Anbietern (verwertbarer Rücklauf: 94) ergab, dass in der deutlichen Mehrheit der Fälle die im Modell postulierten vertraglichen Regelungen und die Parallelität von Verwertungsrechten für den Anbieter und Exklusivbezugsrecht für den Abnehmer zu verzeichnen sind (vgl. Kloyer 2004).
8.5 Fazit Die wesentlichen Ergebnisse zusammenfassend ist zu sagen: Interviews mit Geschäftsführern bzw. F&E-Leitern von 12 aus Jena und Umgebung stammenden F&E-Anbietern ergaben, dass die vertikale Kooperation mit F&E-Abnehmern, die materielle Endprodukte herstellen und vermarkten, die für die weitere Unternehmensentwicklung wichtigste Kooperationsform sei. Weitere Gespräche mit Experten und Wirtschaftsjuristen haben zu der Modellannahme geführt, dass F&EAnbieter und -Abnehmer dann effizient investieren, wenn im Rahmen eines bilateralen Monopols dem Anbieter eine glaubwürdige Option auf nachträgliche Aushandlung einer kontinuierlichen Innovationsertragsbeteiligung und dem Abnehmer ein Schutz vor Anbieteropportunismus verschafft werden. Für die Jenaer F&EAnbieter kann auf der Basis der Interviews festgestellt werden, dass sie mehrheitlich in vertikale Innovationskooperationen eingebunden sind, in denen das Optionsmodell verwirklicht ist und damit wirksam Wettbewerbsvorteile durch die Senkung von Agency-Kosten erzielt werden.
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9 Jenaer Forschungspartnerschaften im Spiegel der Patentstatistik Reinhard Haupt und Sandra Peterlein
9.1 Innovationsverbund Jena Die Technologieregion Jena hat sich seit der Industrialisierung eine Reputation als Standort spitzentechnischer Innovationen und wissenschaftsnaher Industrieentwicklungen erworben. Beides, die Ausrichtung auf Zukunftstechnologien und die Vernetzung zwischen Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsunternehmen, hat die gewachsenen Pozentiale Jenas in der Vergangenheit hervorgebracht. Beide Stärken der Region, die High-Tech-Entwicklungen und die Forschungsallianzen, sollten die Position Jenas auch im Standortwettbewerb der Zukunft unterstützen. Eine innovative Wissenschaft, die Wissensinnovationen schafft, und eine starke Technologiepartnerschaft, die Technologiestärke für die Partner schafft, können dem traditionellen Spitzentechnikcluster Wege für seine künftige wirtschaftliche Entwicklung weisen. Das Verarbeitende Gewerbe, dem auch die Wirtschaftszweige der Hochtechnologie zuzurechnen sind, ist im vergangenen Jahrzehnt Träger der (zwar noch unbefriedigenden, aber) stetigen wirtschaftlichen Entwicklung Thüringens gewesen. Die Wachstumsrate der Bruttowertschöpfung des Verarbeitenden Gewerbes lag preisbereinigt seit Mitte der 90er Jahre jeweils beim gut 3-fachen der entsprechenden gesamtwirtschaftlichen Wachstumsrate des Freistaats. Damit hat sich der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der gesamten Bruttowertschöpfung in Thüringen von 9,9 % (1991) auf 18,4 % (2001) verdoppelt und liegt damit deutlich über dem entsprechenden Anteil im Durchschnitt der Neuen Länder (ca. 14 %) – allerdings auch ebenso deutlich unter dem entsprechenden Anteil im Durchschnitt der Alten Länder (ca. 23 %) (Statistisches Jahrbuch Thüringen 2002, 550f.).
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Die Wirtschaftszweige, die innerhalb des Verarbeitenden Gewerbes die traditionellen Stärken der Technologieregion Jena repräsentieren, konzentrieren sich auf die Medizin-, Mess-, Steuer- und Regelungstechnik sowie Optik.19 Diese Branchen nahmen im Jahre 2001 mit 39,6 % einen oberen Platz bei der Exportquote der Wirtschaftszweige des Verarbeitenden Gewerbes ein, das im Mittel in Thüringen nur einen Auslandsanteil am Umsatz von 23,4 % aufwies. Die Exportquote, ein Indikator unter anderen für die Technologiestärke einer Region, liegt dabei für die Stadt Jena mit 46,8 % (gesamtes Verarbeitendes Gewerbe) bei einem absoluten Spitzenwert aller Kreise des Freistaats und beim Doppelten des Thüringer Durchschnittswertes (Statistisches Jahrbuch Thüringen 2002, 206-209). Dies spricht für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Jenaer Wissensbranchen. Die Technologieförderung des Landes hat vor allem die Stärkung von High-TechClustern auf zukunftsweisenden Innovationsfeldern im Auge. Die Thüringer Verbundprojektförderung, die sich F&E-Kooperationen zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen widmet, kann für sich das Attribut „einzigartig“ (Mittelstands- und Jahreswirtschaftsbericht 2001, 174) in Anspruch nehmen, wurden doch von 1997 bis 2000 mehr als 60 Mio. € für den „Aufbau neuer Cluster bei ausreichendem industriellen Engagement unter Nutzung der in Thüringen vorhandenen öffentlichen Infrastruktur“ eingesetzt (vgl. Technologiekonzeption Thüringen 2002, 18). Besondere Schwerpunkte der Zukunftstechnologiepolitik für den Raum Jena bilden die Optik/Photonik und die Biotechnologie/Medizintechnik. Die optischen Technologien umfassen die Kompetenzen zur Beherrschung von Licht. Ihre Märkte liegen, mit abnehmendem Bedeutungsgewicht, auf den Gebieten der Life Sciences (Diagnostik und Therapie mit Photonen, optische Bioanalytik etc.), der Fertigungstechnik (Nanotechnologien, Laserdirektbearbeitung etc.), der Informationsund Kommunikationstechnik (Informationswiedergabe und -visualisierung, Sensorik etc.), der Photovoltaik etc. (vgl. Technologiekonzeption Thüringen 2002, 106ff.) Die Marktangebote der Biotechnologie umfassen die Bereiche Individualmedizin, Biosensorik, Fermentation, nachwachsende Rohstoffe und sekundäre 19
Diese Branchen entsprechen insgesamt der Abt. 33 der Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 1993 (WZ 93).
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Pflanzeninhaltsstoffe u. a. Die Medizintechnik widmet sich ophthalmologischen Geräten der Lasertherapiesysteme, Implantaten auf Metall-, Kunststoff- sowie Keramikbasis, Bildverarbeitungssystemen u. a. (vgl. Technologiekonzeption Thüringen 2002, 114-116). Die für Jenaer Innovationsfelder bedeutsamen Kompetenznetze und Technologiecluster sind OptoNet (mit Schwerpunkten in der Grundlagenforschung zu optischen Technologien, in der optischen Informations- und Messtechnik, Biophotonik usw.), BioInstrumente Jena (zelluläre und molekulare Technologien, Individualmedizin und Drug Targeting, Biomaterialien usw.), OphthalmoInnovation Thüringen (Systeme zur objektiven Funktionsdiagnostik des Sehens sowie der Lasertherapie für die Augenheilkunde) und fanimat (Funktionelle anorganischnichtmetallische Materialien) (vgl. Technologiekonzeption Thüringen 2002, 49ff.).
9.2 Recherche zu kooperationsbezogenen Schutzrechtsanmeldungen im Raum Jena Die folgende Studie versucht, dem Aufbau von Innovationsclustern im Raum Jena auf der Grundlage der Statistik von gewerblichen Schutzrechten nachzugehen. Dahinter steht die Überlegung, dass sich Forschungskooperationen und Technologiepartnerschaften in entsprechenden Erfindungen und Anmeldungen von Schutzrechten niederschlagen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass sich nicht alle Erfindungen in Schutzrechtsanmeldungen niederschlagen. Gegebenenfalls könnte die Innovation bspw. geheimgehalten werden oder nicht patentierbar sein, oder die vertragliche Regelung der Kooperation (z. B. bei Kontrakt-Forschung) könnte eine alleinige Anmeldung durch das Unternehmen vorsehen. Der Analyse liegt eine Untersuchung von kooperationsbasierten Schutzrechtsanmeldungen im Zeitraum von 1990 bis 2002 zugrunde. In Betracht gezogen wurden dabei solche Offenlegungsschriften bzw. Schutzrechtserteilungen20 der betreffenden Jahre, auf welchen „Jena“ als Herkunftsbezeichnung im Feld „Anmelder“21 20
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Erfolgt eine Patenterteilung vor dem Zeitpunkt der Offenlegung, existiert für die entsprechende Anmeldung keine Offenlegungs- oder A-Schrift. Der Anmelder ist immer mit Wohnort angegeben.
232
verzeichnet ist. Unter Jena wurde dabei die erweiterte Technologieregion mit angrenzenden Kreisen wie Weimar, Gera, dem Saale-Holzland-Kreis, Rudolstadt und Greiz verstanden, nicht hingegen die Region Ilmenau und deren Einzugsbereich, da diese einer eigenständigen Position als wissenschaftliches Zentrum und High-Tech-Raum entsprechen. Als weitere Prämisse mussten auf dem Deckblatt der Schutzrechtsschriften mindestens zwei Anmelder verzeichnet sein, weil dies als ein erster Hinweis auf Kooperationsbeziehungen zwischen den betreffenden Partnern interpretiert werden kann. Den Untersuchungen liegen Informationen unterschiedlicher Datenbanken zugrunde.22 Hauptsächlich wurde auf die PATOS-Datenbank des WILA-Verlages, ergänzt durch Recherchen in der Internet-Datenbank des elektronischen Archivund Recherchesystems DEPATIS des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA), zurückgegriffen. Betrachtet wurden nur DPMA-Erstanmeldungen, da allgemein davon ausgegangen werden kann, dass 98 % des originären Anmeldevolumens inländischer Anmelder beim DPMA und lediglich 2 % direkt beim Europäischen Patentamt (EPA) vorgenommen werden (vgl. Greif 1998, 10). Im betrachteten Zeitraum von 1990-2002 gab es insgesamt 1718 Schutzrechtsanmeldungen mit mindestens einem Anmelder aus der Region Jena.23 Dabei weisen einige Akteure überproportional starke Aktivitäten auf, so die Carl Zeiss Jena GmbH mit 398 Anmeldungen, die Jenoptik AG mit 267 Anmeldungen, die Friedrich-Schiller-Universität Jena mit 156 Anmeldungen und das Institut für Physikalische Hochtechnologie mit 70 Anmeldungen. Damit entfallen allein auf diese vier forschungsstärksten Institutionen mehr als die Hälfte aller Schutzrechtsanmeldungen der Region.
9.3 Auswertung der Patentrecherche Aus der Grundgesamtheit von 1718 Schutzrechtsanmeldungen wurden diejenigen Fälle selektiert, welche mehr als einen Anmelder aufweisen, bei denen es sich also 22
23
Diese Daten wurden teilweise im Rahmen einer Diplomarbeit am Lehrstuhl Produktion/Industriebetriebslehre der FSU erhoben. Vgl. Witt 2003. Stand der Recherche: Januar 2003
233
um kooperative Innovationen handelt. Dies ergab eine Anzahl von 233 kooperativen Anmeldungen, wobei mindestens ein Partner aus der Region stammte. Abbildung 9.1 gibt einen Überblick über die zeitliche Entwicklung der gesamten Anmeldungen und der kooperativen Anmeldungen (mindestens ein Jenaer Anmelder) im betrachteten Zeitraum.
220
Anzahl der Anmeldungen
200 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0 1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
Jahr
Schutzrechtsanmeldungen insgesamt
kooperative Schutzrechtsanmeldungen
Abbildung 9.1: Gesamte Schutzrechtsanmeldungen und kooperative Anmeldungen Die gesamten und die kooperationsbedingten Schutzrechtsanmeldungen weisen im Prinzip im gesamten Zeitraum einen ansteigenden Trend auf, wobei allerdings ein möglicher Trendumbruch der kooperativen Anmeldungen nach dem Jahr 2000 nicht zu übersehen ist. Im weiteren Vorgehen wurden die 30 kooperativen Gebrauchsmusteranmeldungen ausgesondert, da diese weniger der Forschungsintensitäts- und High-Tech-Vermutung der vorliegenden Thematik entsprechen dürften, was eine verbleibende Anzahl von 203 kooperativen Patentanmeldungen ergab. Um nun einen Überblick über kooperationsbezogene Anmeldungen von Partnern innerhalb Jenas zu erhalten, mussten auch alle Patentanmeldungen ausgeschlossen werden, bei denen nicht mindestens zwei Jenaer Partner an der betreffenden Kooperation beteiligt sind.
234
Ferner wurden kooperative Anmeldungen mit Privaten, welche nicht eindeutig als Hochschulangehörige identifizierbar24 und daher nicht einer Hochschul-Forschungseinrichtung zuzuordnen waren, ebenso ausgeschlossen.25 Die auf diese Weise verbleibenden 72 Patente26 entsprechen dem strengen Maßstab einer Technologieclusterbildung aufgrund von kooperativen Beziehungen mindestens zweier institutioneller Partner der Region. Abbildung 9.2 zeigt den zeitlichen Verlauf von allen kooperationsbedingten Anmeldungen und von Kooperationspatenten, bei denen mindestens zwei Partner innerhalb der Region Jena ansässig sind.
40
Anzahl der Anmeldungen
35 30 25 20 15 10 5 0 1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
Jahr kooperative Schutzrechtsanmeldungen insgesamt Patentanmeldungen von mindestens zwei Jenaer Partnern
Abbildung 9.2: Kooperative Schutzrechtsanmeldungen insgesamt und Patentanmeldungen von mindestens zwei Jenaer Partnern Kooperative Anmeldungen mindestens zweier Jenaer Partner treten im Gegensatz zu denen, bei denen ein Jenaer mit einem oder mehreren externen Partnern kooperiert, erst ab 1993 auf, weisen im Weiteren ein geringes Wachstum auf, erfahren jedoch in den späten 90er Jahren einen sprunghaften Anstieg, bevor sie sich dann 24
25
26
Bis Februar 2002 galt das sogenannte Hochschullehrerprivileg, welches es Hochschullehrern ermöglichte, ihre Erfindung selbstständig, ohne Einbeziehung der jeweiligen Hochschule, zum Schutzrecht anzumelden. Möglicherweise wurden damit auch Unternehmen ausgeschlossen, in denen z. B. der Geschäftsführer einer GmbH als Privatperson anmeldete. Dabei handelt es sich um Offenlegungsschriften bzw. um erteilte Patente.
235
in den frühen 2000er Jahren auf einem Niveau um die zehn Anmeldungen p. a. einpendeln. Die Partner Jenaer Kooperationen wurden im Folgenden in Unternehmen und Forschungseinrichtungen bzw. Wirtschaftsnahe Forschungseinrichtungen und FuE-Dienstleister kategorisiert. Die Unternehmenslandschaft der Region ist geprägt durch klein- und mittelständische Unternehmen mit Branchenschwerpunkten in den Bereichen Optik und Feinmechanik, Mess-, Kontroll- und Navigationsinstrumente, Glas- und Keramikverarbeitung, Metallerzeugung, Medizin- und Biotechnologie und Bereichen der Kommunikations- und Informationstechnologie (vgl. Wirtschafts- und Innovationsportal Thüringen 2003). Ansässige Forschungseinrichtungen umfassen die Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) und die Fachhochschule Jena (FH) als Hochschuleinrichtungen sowie die Forschungseinrichtungen Hans-Knöll-Institut für Naturstoff-Forschung (HKI), Fraunhofer Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik (IOF), Institut für Physikalische Hochtechnologie (IPHT), Institut für Molekulare Biotechnologie (IMB) sowie die beiden Max-Planck-Institute für Biogeochemie und für Chemische Ökologie. Die vom Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur direkt geförderten Wirtschaftsnahen Forschungseinrichtungen und FuE-Dienstleister umfassen eine Gruppe von 19 überwiegend gemeinnützig orientierten und als Geschäftsbereiche von eingetragenen Vereinen bzw. als GmbH’s tätigen Einrichtungen.27 Die Betrachtung von Gesamtanmeldungen und von lokalen kooperativen Anmeldungen ausgewählter Institutionen lässt auf unterschiedliche Bedeutungen von Kooperationen für diese Akteure im Zeitverlauf schließen (Abbildung 9.3):
27
Zu den für die Region Jena relevanten Einrichtungen gehören z. B. das CiS Institut für Mikrosensorik gGmbH Erfurt, das Forschungsinstitut für Tief- und Rohrleitungsbau e. V. Weimar (FITR), die Gesellschaft für Physikalisch-Technische Studien Jena mbH (PTS), das Hermsdorfer Institut für technische Keramik e. V. (HITK), die INNOVENT Technologieentwicklung e. V. Jena, das Institut für Baustoff- und Umweltschutztechnologie GmbH, Weimar (IBU-tec), das Institut für Fertigteiltechnik und Fertigbau Weimar e. V. (IFF), das Institut für Fügetechnik und Werkstoffprüfung GmbH Jena (ifw), das Mikroelektronik Anwendungszentrum GmbH Thüringen, Erfurt (MAZet), das Textilforschungsinstitut Thüringen-Vogtland e. V. Greiz (TITV), das Thüringische Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung e. V. Rudolstadt (TITK), das Thüringer Verfahrenstechnische Institut für Umwelt und Energie e. V. Saalfeld (VTI) und die Wärmetechnik und Umweltschutz GmbH Jena (WTU).
236
Jenoptik AG
Carl Zeiss Jena GmbH 25
60 Anzahl der Anmeldungen
Anzahl der Anmeldungen
70
50 40 30 20 10 0 1990 1991
1992
1993 1994
1995
1996
1997
1998 1999
2000
20
15
10
5
0 1990
2001 2002
1991
1992
1993
1994
1995
1996
Jahr gesamte Schutzrechtsanmeldungen
18
18
16
Anzahl der Anmeldungen
Anzahl der Anmeldungen
1998
1999
2000
2001
2002
lokale kooperative Patentanmeldungen
Hans-Knöll-Institut (HKI)
Friedrich-Schiller-Universität (FSU) 20
16 14 12 10 8 6 4
14 12 10 8 6 4 2
2
0
0 1990
1997
Jahr
gesamte Schutzrechtsanmeldungen
lokale kooperative Patentanmeldungen
1991 1992 1993 1994 1995
1996 1997
1998
1999
2000
2001
2002
Jahr gesamte Schutzrechtsanmeldungen
1990
1991
1992
1993 1994
1995
1996
1997
1998 1999
2000
2001
2002
Jahr lokale kooperative Patentanmeldungen
gesamte Schutzrechtsanmeldungen
lokale kooperative Patentanmeldungen
Institut für Physikalische Hochtechnologie (IPHT) 16
Anzahl der Anmeldungen
14 12 10 8 6 4 2 0 1990
1991
1992
1993
1994
1995 1996
1997
1998
1999
2000
2001 2002
Jahr gesamte Schutzrechtsanmeldungen
lokale kooperative Patentanmeldungen
Abbildung 9.3: Gesamte und lokale kooperative Patentanmeldungen einzelner Institutionen im Zeitverlauf Während die Unternehmen, wie hier an den Beispielen der Carl Zeiss Jena GmbH und der Jenoptik AG ersichtlich, immer einen sehr geringen Anteil kooperativer Anmeldungen an Gesamtanmeldungen aufwiesen, welcher zu stagnieren scheint, verläuft dieser für die Forschungseinrichtungen auf deutlich höherem Niveau und tendenziell im Zeitverlauf steigend. Für die FSU liegt der Anteil Jenaer kooperativer Patentanmeldungen in den letzten Jahren (außer 2002) durchschnittlich bei ca. der Hälfte der gesamten Schutzrechtsanmeldungen. Das IPHT und das HKI wei-
237
sen in den letzten Jahren sogar häufig mehr kooperative Anmeldungen mit Jenaer Partnern als Einzelanmeldungen auf, was die große Bedeutung von Kooperationen insbesondere für Forschungseinrichtungen der Region hervorhebt. Ziel ist es im Folgenden, zunächst herauszufinden, welche Arten von Partnerschaften, kategorisiert nach der Herkunft der Partner, innerhalb der Technologieregion zu Patentanmeldungen geführt haben, ob beispielsweise überwiegend Unternehmen und Forschungseinrichtungen miteinander oder Forschungseinrichtungen untereinander kooperieren. Aus den oben genannten Gruppen von Institutionen ergeben sich drei grundsätzliche Arten von lokalen Kooperationen: zum einen Kooperationen zwischen zwei Forschungseinrichtungen (bzw. Wirtschaftsnahen Forschungseinrichtungen) (F-F), zum anderen Kooperationen zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen (bzw. zwischen Unternehmen und Wirtschaftsnahen Forschungseinrichtungen) (U-F) und schließlich Kooperationen zwischen zwei Unternehmen (U-U).
14
12
Anmeldungen
10
8
U-U F-F U-F
6
4
2
0 1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
Jahre
Abbildung 9.4: Entwicklung der Kooperationsarten im Zeitverlauf Die Recherche ergab für die Stichprobe von 72 lokalen kooperativen Patentanmeldungen lediglich vier Anmeldungen des Typs U-U, 36 Anmeldungen des Typs
238
U-F und 32 Anmeldungen des Typs F-F. Abbildung 9.4 gibt Aufschluss über die Entwicklung im Zeitablauf. Damit scheinen aufschlussreiche Trendaussagen zu Technologiepartnerschaften im Spiegel von regionalen Patentanmeldungen möglich zu sein: Bereits in den frühen 90er Jahren existierten kooperative Beziehungen zwischen Unternehmen der Region, welche jedoch in den letzten Jahren auf Null zurückgingen. Kooperationen zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen erlangten ebenfalls zu Beginn des betrachteten Zeitraums erste Bedeutung, bevor sie dann Ende der 90er Jahre einen rasanten Anstieg erfuhren, zu Beginn dieses Jahrzehnts jedoch wieder zurückgingen. Innovationspartnerschaften zwischen Forschungseinrichtungen erlangten erst gegen Ende der 90er Jahre Bedeutung, bewegen sich bis heute aber auf ungefähr konstantem Niveau und haben in ihrer absoluten Zahl die Kooperationen zwischen Unternehmen und Forschungsinstitutionen überholt. Interessant ist im Weiteren die Fragestellung, ob es herausragende Partner innerhalb dieser Technologiepartnerschaften gab. Dazu sind sämtliche kooperative Anmeldungen im Einzelnen ausgewertet worden. Die rein unternehmensbezogenen Kooperationen lassen aufgrund der geringen Datenmenge keinerlei Interpretation zu. Bei den rein forschungsbezogenen Kooperationen fallen augenscheinlich die Friedrich-Schiller-Universität und das Hans-Knöll-Institut als vorrangige Technologiepartner auf. Dies gilt zum einen für Kooperationen jeder dieser beiden Einrichtungen mit anderen Forschungspartnern als insbesondere auch für Kooperationen zwischen FSU und HKI mit 15 gemeinsamen Patenten.28 Betrachtet man schließlich die Partnerschaften zwischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen hinsichtlich der beteiligten Partner, stellt sich ein breites Feld von Akteuren als mögliche Kooperationspartner dar. Die Unternehmenspartner streuen über eine Vielzahl von Firmen. Hervorzuheben sind die Carl Zeiss Jena GmbH und die Jenoptik AG mit acht bzw. vier Kooperationen, was einem sehr geringen eigenen Kooperationsanteil entspricht, da sie bei den Gesamtanmeldungen (398 bzw. 267 Anmeldungen) zu den führenden Akteuren gehörten. Einen deutlich größeren Kooperationsanteil an allen ihren Patentanmeldungen weisen hingegen die Cybio AG und die Carl Zeiss Meditec AG mit vier bzw. drei Kooperationen auf. Insgesamt
239
ist der Kooperationsanteil der Jenaer Unternehmen, wie schon in Abbildung 9.3 dargestellt, gering. Kooperationen haben also für Unternehmen eine viel geringere Bedeutung als für die Forschungseinrichtungen. Unter den Forschungspartnern treten bei Betrachtung der Kooperation des Typs U-F das IPHT und wiederum die Friedrich-Schiller-Universität hervor. Insbesondere das IPHT jedoch weist aufgrund viel geringerer eigener Gesamtanmeldungen einen signifikant höheren Kooperationsanteil mit der Industrie als die führenden Industrievertreter in ihren Innovationspartnerschaften mit Forschungsinstitutionen auf. Im Folgenden wurde die IPC-Hauptklassifikation29 der 72 selektierten Patente analysiert, um einen Überblick über die kooperationsrelevanten Forschungsgebiete zu erhalten. Dabei wurde die 3. Ebene der IPC („Klasse“) betrachtet, da ein höheres Aggregationsniveau („Sektionen“ bzw. „Untersektionen“) zu grob, ein geringeres („Unterklassen“) dagegen zu detailliert und insgesamt zu wenig aussagefähig erschien. Tabelle 9.1: Bezeichnung der Klassen der Hauptklassifikation nach IPC (vgl. Deutsches Patent- und Markenamt 2003) IPC
Bezeichnung der Klasse
A61
Medizin oder Tiermedizin; Hygiene
B01
Physikalische oder chemische Verfahren oder Vorrichtungen allgemein
C07
Organische Chemie
C12
Biochemie; Bier; Spirituosen; Wein; Essig; Mikrobiologie; Enzymologie; Mutation oder genetische Techniken
G01
Physik: Messen, Prüfen
G02
Optik
H01
Grundlegende elektrische Bauteile
28 29
Bei letzterer Konstellation ist außerdem ein eindeutiger zeitlicher Anstieg in den letzten Jahren erkennbar. Die internationale Patentklassifikation (IPC) ist ein System, das eine Zuordnung der technischen Gebiete der Erfindung zu Sektionen, Untersektionen, Klassen usw. erlaubt. Die Hauptklasse bezeichnet das hauptsächlich durch die Erfindung verkörperte technische Gebiet. Die Nebenklassen bezeichnen weitere neben der Hauptklasse durch die Erfindung verkörperte technische Gebiete. Vgl. Deutsches Patent- und Markenamt 2003.
240
Für die Grundgesamtheit von 1718 Gesamtanmeldungen wurde, mit abnehmendem Gewicht, eine Konzentration auf die Klassen G01, G02, A61, H01, C07, B01 und C12 (siehe Tabelle 9.1) festgestellt. Die drei führenden Klassen (G01, G02, A61), die zusammen mehr als die Hälfte aller Schutzrechtsanmeldungen auf sich vereinigen, entsprechen dabei den Wirtschaftszweigen des Verarbeitenden Gewerbes, die oben als die traditionellen Stärken der Technologieregion Jena angesprochen wurden, nämlich die Medizin-, Mess-, Steuer- und Regelungstechnik sowie die Optik (Abt. 33 der WZ 93). 450
24,5 %
Gesamtanmeldungen
400 350 300
15,3 %
250 11,9 %
200 150 5,9 %
4,9 %
100 3,3 %
2,5 %
50 0 A61
B01
C07
C12
G01
G02
H01
IPC-Hauptklassifikation
lokale kooperative Anmeldungen
16 14
19,4 %
19,4 %
12 10 8
9,7%
6
9,7%
6,9%
4
5,6 %
5,6 %
G02
H01
2 0 A61
B01
C07
C12
G01
IPC-Hauptklassifikation
Abbildung 9.5: IPC-Hauptklassifikation von Gesamtanmeldungen und lokalen kooperativen Anmeldungen Diese sieben Klassen repräsentieren alleine 68,3 % aller 1718 Gesamtanmeldungen. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Betrachtung der Hauptklassen der Stich-
241
probe von 72 kooperativen Patenten mindestens zweier Jenaer Anmelder. Hier sind 55 der 72 Patente, also 76,4 % den oben genannten sieben Klassen zuzuordnen. Die traditionellen Forschungsgebiete der Region spiegeln sich demnach auch in den Kooperationsbeziehungen wider. Abbildung 9.5 visualisiert die Verteilung der Gesamtanmeldungen bzw. der lokalen kooperativen Anmeldungen auf die führenden Klassen der IPC-Hauptklassifikation nach absoluter Anzahl und prozentualem Anteil. Auffällig ist allerdings der gegenüber den Gesamtanmeldungen prozentual etwa doppelt so hohe Anteil an Kooperationen im Bereich der Medizin/Tiermedizin (A61), bei physikalischen und chemischen Verfahren (B01), organischer Chemie (C07) und der Biochemie (C12). Hingegen fällt ein unterproportionaler Anteil an Kooperationen im Bereich der Optik (G02) auf, der nur gut ein Drittel des prozentualen Wertes der Gesamtanmeldungen beträgt. Dies deutet auf eine Verschiebung der Gewichte der Forschungsschwerpunkte bei lokalen Innovationskooperationen von traditionellen Potenzialen der Region wie z. B. der Mess- und Prüftechnik, Feinmechanik, Optik, etc. zu Zukunftsfeldern wie der Medizintechnik und Biotechnologie hin. Solche neuen Schrittmacher- und Schlüsseltechnologien bedingen offenbar mehr Zusammenarbeit in Form von Technologiepartnerschaften. Diese Zukunftsfelder lokaler Kooperationen spiegeln sich auch in den lokalen Clustern und Netzwerken wider, wie z. B. OptoNet, OphthalmoInnovation Thüringen und BioInstrumente Jena. Das Bioinstrumente-Netzwerk vereint beispielsweise Unternehmen, welche verstärkt als kooperative Anmelder in den Klassen A61, C07 und C12 auftreten. Zu nennen sind hier die Carl Zeiss Jena GmbH, die Carl Zeiss Meditec AG, die Jena Bios GmbH, die FSU, das HKI, und auch das IPHT. Im Netzwerk OptoNet sind eine Reihe von Unternehmen zusammengeschlossen, welche sich durch Kooperationsanmeldungen in typischen Klassen der optischen Industrie wie B01, G01, G02 und H01 auszeichnen. Zu nennen sind hier beispielhaft die Leica Microsystems Jena GmbH, die Jenoptic AG, die Analytik Jena GmbH, die Carl Zeiss Jena GmbH und auf Forschungsseite vor allem das Fraunhofer Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik (IOF). Das Kompetenzzentrum OphthalmoInnovation Thüringen, welches Kompetenzen von medizinischer und medizintechnischer Forschung bis zur industriellen Umsetzung von
242
Systemen zur Funktionsdiagnostik des Sehens und der Lasertherapie des Auges vereint,30 lässt Anmeldungen in den Klassen A61, B01, G01 und G02, also aus der Schnittmenge von Medizintechnik und Optik, vermuten. Da davon ausgegangen werden kann, dass nicht alle Patente von gleicher Güte sind, werden in der Literatur verschiedene Indikatoren vorgeschlagen, die zur Beurteilung der technischen bzw. ökonomischen Qualität von Patenten dienen. Zu nennen sind hier z. B. die Patenterteilungsrate, Patentlaufzeiten, Auslandsanmeldungen von Patenten und Zitierungen von Patenten. Die Patenterteilungsrate ergibt sich als Verhältnis von erteilten zu angemeldeten Patenten eines Anmelders. Bei der Untersuchung wurden nur die Anmeldungen, die bis 1999 offengelegt wurden, berücksichtigt, um Verzerrungen durch noch laufende Prüfungsverfahren aufgrund des erst sehr kurzen Zeitraumes der jüngeren Patentanmeldungen seit Offenlegung zu vermeiden. Dabei wird davon ausgegangen, dass zwischen Offenlegung und Erteilung eines Patentes in der Regel ca. zwei Jahre vergehen. Die Analyse ergab bei den bis 1999 offengelegten Patenten folgende Ergebnisse: Für die vier kooperativen unternehmensbezogenen Anmeldungen (U-U) ergab sich eine Erteilungsrate von 100 %, bei den kooperativen Anmeldungen zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtung (U-F) eine Erteilungsrate von 52 % und bei den kooperativen forschungseinrichtungsbezogenen Anmeldungen (F-F) eine Erteilungsrate von 23 %. Aufgrund der alleinigen Betrachtung der Erteilungsrate könnte darauf geschlossen werden, dass Ergebnisse reiner Unternehmenskooperationen von größerer Qualität sind als solche der Partnerschaft zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtung bzw. besonders zwischen mehreren Forschungseinrichtungen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass in Deutschland angemeldete Patente bundesweit nur eine Erteilungsrate von ca. 25 % aufweisen31, was auf eine überdurchschnittliche bzw. durchschnittliche Qualität aller betrachteten Kooperationsarten im Raum Jena hinweist. Andererseits ist jedoch unübersehbar, dass Kooperationsformen, an denen Unternehmen beteiligt sind, einen signi30 vgl. VDI-Technologiezentrum (2002): Kompetenznetze 31 So lag die Erteilungsrate für 1999 bei 23 %. Vgl. Statistisches Jahrbuch 2000, 351.
243
fikant höheren Erfolgsanteil aufweisen, selbst wenn Kooperationen des Typs (U-U) aufgrund der zu geringen Stichprobe außer Betracht gelassen werden. Mögliche Erklärungen hierfür wären beispielsweise eine gründlichere Neuheitsrecherche oder ein professionelleres Anmeldemanagement – zu nennen sind hier bspw. die Sorgfalt bei der Definition der Ansprüche, bei der Begründung und Dokumentation der Anmeldung usw. – bei den beteiligten Unternehmen. Ebenso wie die Patenterteilungsrate deutet auch eine Auslandsanmeldung auf einen hohen ökonomischen Wert eines Schutzrechtes hin, da davon ausgegangen werden kann, dass aufgrund erheblichen zeitlichen und finanziellen Aufwandes nur Patente mit guten Erfolgsaussichten in fremden Märkten dort zum Patent angemeldet werden (vgl. Basberg 1987, 136). Die Untersuchungen ergaben folgende Ergebnisse: Von den kooperativen unternehmensbezogenen Anmeldungen (U-U) weisen drei der vier Patente Auslandsanmeldungen und zwar in durchschnittlich 4,3 Ländern auf. Bei den Kooperationsanmeldungen eines Unternehmens mit einer Forschungseinrichtung (U-F) beträgt diese Quote 47,2 %, wobei durchschnittlich in zwei Ländern außerhalb Deutschlands angemeldet wurde. Die Kooperationen innerhalb von Forschungseinrichtungen (F-F) schließlich weisen ähnliche Resultate auf: Der Anteil der Schutzrechte mit Auslandsanmeldungen lässt sich mit 46,7 % beziffern, durchschnittlich wurde in 2,1 Ländern angemeldet.
9.4 Zusammenfassung Bei aller angesichts der begrenzten Stichprobe gebotenen Zurückhaltung vermittelt die Auswertung von Jenaer kooperationsbasierten Patentanmeldungen des vergangenen Jahrzehnts doch einige profilierte Trendaussagen zu High-Tech-Forschungspartnerschaften in der Technologieregion Jena. Es scheint sich zu bestätigen, dass ein Spitzentechnologiecluster besonders durch Partneringstrategien der betreffenden Akteure unterstützt wird, mit anderen Worten dass ein lokaler Innovationsverbund durch Verbundinnovationen gefördert wird. Zunächst ist offensichtlich, dass der Anteil von kooperationsbedingten an sämtlichen Schutzrechten für Unternehmen einerseits und Forschungsinstitutionen ande-
244
rerseits sehr polarisiert ausfällt: Für Unternehmen sind Innovationspartnerschaften ungleich weniger gewichtig als für Forschungseinrichtungen, wenn man ihre Bedeutung an der jeweiligen Quote von kooperativen an allen Patentanmeldungen misst. Darüber hinaus lassen die Daten überdeutlich erkennen, dass Unternehmen, wenn sie denn im lokalen Umfeld Innovationskooperationen eingehen, um ein Vielfaches mehr, nämlich um den Faktor 9, mit Forschungsinstituten als mit anderen Unternehmen zusammenarbeiten. Dies könnte sich mit dem wettbewerblichen Schonraum von vertikalen Wertschöpfungspartnerschaften zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen, im Gegensatz zu einem wettbewerbssensibleren horizontalen Technologieverbund zwischen mehreren Unternehmen, erklären. Die gesamten schutzrechtsbasierten Forschungsergebnisse in der Region im Allgemeinen spiegeln die traditionellen Standortstärken im Bereich medizintechnischer, optischer und anderer feinmechanischer Kompetenzen wider: Mehr als die Hälfte aller Inventionen konzentriert sich auf die entsprechenden drei relevanten IPC-Patentklassen bzw. auf den zugehörigen herausragenden Wirtschaftszweig innerhalb des Verarbeitenden Gewerbes. In den kooperationsbasierten Patenten erfährt die Fokussierung auf die klassischen Innovationspotenziale jedoch eine spezifische Zuspitzung: Kooperiert wird besonders auf solchen gewachsenen Technologiefeldern, die an der Schnittstelle zu zukunftsbezogenen Schrittmacherinnovationen liegen, wie die Biosensorik, die Biophotonik oder die ophthalmologische Lasertherapie. Versucht man, die innovative Reichweite und wirtschaftliche Zukunftserwartung von Inventionen durch die Patenterteilungsrate und die Auslandsanmeldedichte der betreffenden Schutzrechte zu erfassen, so ergeben sich zwei Bewertungen der Jenaer Forschungspartnerschaften. Zum einen scheint die Quote der erteilten an den angemeldeten Patenten innerhalb der Kooperationen ein Gefälle von Unternehmen zu Forschungsinstituten aufzuweisen: Reine ForschungseinrichtungsAllianzen weisen eine geringere Erteilungsrate als Partnerschaften auf, an denen Unternehmen beteiligt sind – obgleich die Jenaer Forschungskooperationen mit der bundesweiten Erfolgsträchtigkeit von Patentanmeldungen in jedem Fall mithalten können. Eine Erklärung für diesen Befund einer erfolgreicheren unternehmensbezogenen Forschung könnte etwa darin liegen, dass das Schutzrechtsmana-
245
gement in Unternehmen möglicherweise professioneller als in Forschungsinstituten gehandhabt wird. Zum anderen scheint sich mit Blick auf die internationale Patentanmeldetätigkeit die Beobachtung herauszuschälen, dass kooperative Patente, die unter Beteiligung von Unternehmen entstanden sind, in einer größeren Zahl von Ländern und generell häufiger auch im Ausland angemeldet werden – womöglich wegen des ausgeprägteren globalen Marktbewusstseins im Innovationsmanagement von Unternehmen im Vergleich zu Forschungseinrichtungen. Die Technologieregion Jena lebt von der Reputation eines gewachsenen Spitzentechnologieclusters. Im vergangenen Jahrzehnt sind sichtbare Schritte gegangen worden, um diesen Innovationsverbund an die Zukunft heranzuführen. Eine Bündelung des Standortwissens wird auch der künftigen Profilierung dieses Wissensstandortes zugutekommen.
9.5 Referenzen Basberg, B. L. (1987): Patents and the measurement of technological change: A survey of the literature, in: Research Policy, vol. 16, pp. 131-141. Deutsches Patent- und Markenamt (2003): url: http://www.depatisnet.de. Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik (2002): Jahresbericht 2002, Jena. Greif, S. (1998): Patentatlas Deutschland: Die räumliche Struktur der Erfindungstätigkeit, München. Hans-Knöll-Institute for Natural Products Research (2001): Annual Report 2001, Jena. Institut für Molekulare Biotechnologie e. V. (2001): Jahresbericht 2001, Jena. Institut für Physikalische Hochtechnologie e. V.(2002): Jahresbericht 2002, Jena. Knorre, W.A.; Reinhold, C. (2003): Festschrift “10 Jahre HKI“, Jena. Statistisches Bundesamt Wiesbaden (2000): Statistisches Jahrbuch 2000 für die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart.
246
Thüringer Landesamt für Statistik (2002): Statistisches Jahrbuch Thüringen, Ausgabe 2002, 10. Jahrgang, Erfurt. Thüringer Landtag (2001): Abschlussbericht der Enquetekommission 3/2 „Wirtschaftsförderung in Thüringen“, Erfurt. Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur (2002): Mittelstands- und Jahreswirtschaftsbericht 2001, Erfurt. Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur (2002): Wirtschaftsnahe Forschungseinrichtungen, Erfurt. Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur (2002): Technologiekonzeption Thüringen 2002, Erfurt. VDI-Technologiezentrum (2002): url. http://www.kompetenznetze.de Wirtschafts- und Innovationsportal Thüringen (2003): url: http://www.wipthueringen.de. Witt, T. (2003): Patentstatistische Analysen zu F&E-Kooperationen am Beispiel der Technologieregion Jena, Diplomarbeit, Jena.
10 Das Innovationssystem Jena aus Sicht der Landes- und Kommunalpolitik Michaela Ludl32
Im weltweiten Standortwettbewerb können sich hoch entwickelte Volkswirtschaften nur behaupten, wenn sie bestmögliche Voraussetzungen für permanente Produkt- und Prozessinnovationen sicherstellen. Da im Zeitalter der Globalisierung die meisten Produktionsfaktoren ubiquitär sind und daraus keine Wettbewerbsvorteile resultieren, ist die Innovationsfähigkeit von Unternehmen, die in starkem Maße durch das regionale Produktionsumfeld und die immobilen Produktionsfaktoren determiniert ist, für den Erfolg im globalen Wettbewerb ausschlaggebend (vgl. Dohse 2000, 14; Porter 1998). Wie auch die neuere Innovationsforschung herausstellt, werden Innovationsprozesse von Unternehmen und ganzen Wirtschaftszweigen vor allem durch ihr Umfeld beeinflusst (vgl. Lagendijk 2001; Gehrke und Legler 2001, 17ff.). Gerade im Hinblick auf die Globalisierung der Wirtschaft bieten regionale Innovationssysteme besonders für kleine und mittelständische Unternehmen die Möglichkeit, sich in das globale Produktions- und Innovationsnetz einzuklinken (vgl. Porter und Stern 2001). Ein regionales Innovationssystem mit seinen Wirkungszusammenhängen wird auf verschiedenen Ebenen gestaltet: In den einzelnen Projektverbänden, in Netzwerken, die durch Kooperationen der Projekte gebildet werden und in den Regionen, denen die Netzwerke zugeordnet werden können. Die Region Jena wird nachfolgend als zu untersuchender Aktionsrahmen betrachtet und das „Innovationssystem Jena“ aus Sicht der politischen Akteure Freistaat Thüringen als staatliche und Stadt Jena als kommunale Regulation näher beleuchtet. Nach der grundlegenden Charakterisierung eines Innovationssystems und der Übertragung auf den Wirt32 Für die Datenerhebung danke ich Ines Braunschweig, Romy Fuhrmann, Matthias Rudolph und Alexandra Seele.
248
schaftsraum Jena, erfolgt die Vorstellung der allgemeinen, ein Innovationssystem determinierenden Rahmenbedingungen und die jeweiligen Einflussmöglichkeiten der politischen Akteure.
10.1 Charakterisierung eines Innovationssystems Die Mehrzahl der in der Literatur gemachten Ausführungen zum Begriff Innovationssystem beziehen sich auf die von Lundvall (1995) durchgeführte Studie zu „National Innovation Systems“, worin ein Innovationssystem als „constituted by elements and relationships which interact in the production, diffusion and use of new, and economically knowledge [...]“ (Lundvall 1995, 2) beschrieben wird. Als Akteure gelten dabei Unternehmen mit ihren Innovationsaktivitäten, Forschungseinrichtungen sowie Institutionen des Technologie- sowie Wissenstransfers und politische Instanzen, beispielsweise in Forschungs-, Technologie-, Wirtschafts-, Finanz- und Umweltpolitik, die in Interaktion treten (vgl. Pleschak und Sabisch 1996, 36; Backhaus 2000, 12). Dieses Geflecht bildet die Grundlage für Unternehmen, neue Erkenntnisse zu gewinnen, Ideen zu generieren, diese umzusetzen, abzusichern und damit die ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung voranzutreiben (vgl. Cooke 1998, 245ff.). Innovationssysteme können sich auf lokaler, regionaler, nationaler oder globaler Ebene entwickeln, wobei sie häufig an Standorten ausgeprägt sind, „[...]where there are critical masses of firms to allow economies of scale and scope, a strong science and technology base, and a culture conductive to innovation and entrepreneurship[...]“ (OECD 1999, 66). Die primären Voraussetzungen zur Entwicklung eines Innovationssystems sind demnach die Konzentration von technologieintensiven Branchen, eine ausgeprägte Forschungslandschaft und die Interaktion zwischen diesen mit einem daraus resultierenden innovationsfreundlichen Klima. Im Folgenden wird der Blick auf die Aktionsebene Jena gerichtet. Dabei wird analysiert, ob die Gegebenheiten in dieser Region mit den oben angesprochenen Merkmalen eines Innovationssystems übereinstimmen.
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10.2 Das Innovationssystem Jena Bereits im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde Jena durch das Zusammenwirken von Carl Zeiss und Ernst Abbe zum Inbegriff produktiver Verbindung von Wissenschaft und Industrie. Durch die damit verbundene Ansiedelung wissensund technologieintensiver Branchen wurde Jena das Zentrum der optischen Industrie und der Feinwerkindustrie. Diese traditionell verankerte Zusammenarbeit hat sich bis heute fortgesetzt. Im Zusammenhang mit der Systemtransformation 1989 wurde das gesamte Wissenschafts- und Wirtschaftssystem der DDR nach neuen Leitbildern und Vorstellungen umgebildet (vgl. Wildermuth 1998, 10). Aus dem großen Kombinat Carl Zeiss Jena entstand die Jenoptik Carl Zeiss Jena GmbH, die 1991 in die Jenoptik GmbH und die Carl Zeiss Jena GmbH aufging. Die bestehenden Forschungseinrichtungen wie die Friedrich Schiller Universität wurden neu strukturiert und zum Teil verkleinert, wie beispielsweise durch die Schließung der technikwissenschaftlichen Fakultät (vgl. Wildermuth 1998, 17). Durch öffentliche Förderungen (vgl. Wochenzeitung Die Wirtschaft 1993, 178) konnte ein Zusammenbruch der Region verhindert werden und wichtiges wissenschaftliches Know-how erhalten und an die Region gebunden werden. Zudem wurden neue Forschungsgebiete (z. B. im Bereich der Biotechnologie) erschlossen (vgl. BMBF 2000, 417) und in Verbindung mit einer Vielzahl neuer und restrukturierter Einrichtungen (z. B. Hans-Knöll-Institut, Institut für Physikalische Hochtechnologie e. V., etc.) (vgl. Wetzel 1998, 57) entstand in Jena ein regionaler Schwerpunkt außeruniversitärer Forschungseinrichtungen (vgl. Hornschild und Scherzinger 1996). Kooperationen zwischen diesen Einrichtungen und der ansässigen Wirtschaft bestanden schon vor der Systemtransformation 1989 (vgl. Wildermuth 1998, 35) und sind nach der Umstrukturierung in neuer Form wieder aufgebaut worden (vgl. Plattner 1998, 92). Per Definition stellen eine gut entwickelte Wirtschafts- und Forschungsinfrastruktur sowie die Bereitschaft zur Kooperation wichtige Bausteine für den Aufbau eines innovativen Netzwerkes dar (vgl. OECD 1999, 66). In Jena zielte der für die Entstehung von Netzwerken typische Prozess der betriebsübergreifenden Struktur des Technologiepotenzials weniger auf eine Verän-
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derung der technischen Basis selbst, als auf die der betrieblichen Organisationsform ab (z. B. Ausgründungen/Outsourcing, Spinn offs). Die Technologiepotenziale der Region blieben somit im Kern erhalten, demgegenüber veränderte sich die betriebliche Organisationsform radikal (vgl. Hessinger, Eichhorn, Feldhoff und Schmidt 2000, 220). Zusätzlich wurde durch die Ansiedlung neuer Unternehmen und der damit verbundenen Zuführung externen Know-hows versucht, bestehende und neue Potenziale zu verknüpfen (vgl. Plattner 1998, 85). Heute ist Jena nach Erfurt und Gera mit knapp 100.000 Einwohnern die drittgrößte kreisfreie Stadt im Freistaat Thüringen. Bezogen auf die Infrastruktur profitiert der Wirtschaftsraum Jena stark von dem Anschluss an die Autobahn A 4 und von der räumlichen Nähe zur Autobahn A 9. Jedoch sind unter dem Aspekt der zeitlichen Erreichbarkeit Defizite im Vergleich mit dem bundesdeutschen Durchschnitt zu verzeichnen, was vor allem die innerstädtische Verkehrssituation sowie die Bahnanbindungen (Ost-West) betrifft. Hinsichtlich der Ansiedelungsflächen für Unternehmen bestätigt die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen mbH (LEG), dass der erfasste Bestand an Nettogewerbeflächen zu etwa 80 % belegt ist (vgl. LEG 2002, 50). Bezüglich der Arbeitsmarktentwicklung gestaltet sich der Trend in Jena bereits seit Mitte der 1990er Jahre positiv. Im Vergleich dazu stieg die Arbeitslosenquote im gesamten Freistaat bis 1997 auf einen Höchststand von 19,1 % und ist seither rückläufig (Stand 2001: 16,5 %) (vgl. TMWAI 2001, 34; TLS, 2002). Derzeit (Juni, 2002) besitzt Jena mit 16 % die zweitniedrigsten Arbeitslosenquoten der sechs kreisfreien Städte Thüringens. Bei der Analyse der Beschäftigungsstruktur Jenas wird deutlich, dass die Bereiche der öffentlichen und privaten Dienstleister führend sind (Anteile in % (Juni, 2000): 40,5), gefolgt vom produzierenden Gewerbe ohne Baugewerbe (17,6 %), Finanzierung, Vermietung und Unternehmensdienstleistern (17%) und dem Handel, Gastgewerbe und Verkehr (16,9 %) (vgl. TLS 2000). Daraus ist zu schließen, dass die Stadt Jena ein breites Branchenspektrum abdecken kann und die Ressourcen sowie die Qualifikation der Jenaer Bevölkerung dies auch ermöglichen. Um das Humankapital aufrecht zu erhalten, verfügt Jena über zahlreiche Bildungseinrichtungen, wie allgemeine und berufsbildende Schulen, eine Volkshochschule sowie ein Studien- und Prüfungszentrum, die ein-
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zige Volluniversität Thüringens und die größte Fachhochschule Thüringens. Außerdem zeichnet sich Jena durch einen ausgesprochen vielschichtiges Spektrum an außeruniversitären Forschungseinrichtungen (Thüringer Landesanstalt für Umwelt und Geologie sowie für technische und angewandte Physik, Hans-Knöll-Institut, Institut für Physikalische Hochtechnologie e. V., Fraunhofer Institute, Max Planck Institute) aus. Mit der Förderung des Auf- und Ausbaus des Technologie- und Innovationsparks (TIP) sowie mit entsprechenden Technologietransfereinrichtungen wurde die Entstehung und Weiterentwicklung von Start ups und Spin offs durch eine Vielzahl von Organisationen mit Schnittstellenfunktion unterstützt. Um Ergebnisse aus Forschung und Entwicklung, insbesondere auf den Gebieten der Mikrooptik, Mikrosensorik sowie Aufbau- und Verbindungstechnik noch schneller in marktfähige Produkte umzusetzen, wurde in Jena das Applikationszentrum Mikrotechnik errichtet. Das derzeit am weitesten fortgeschrittene Netzwerk in Jena ist das der Biotechnologie. Hier wurde das unter der Führung des BioRegio Jena e. V. erarbeitete Konzept „Bioinstrumente“ umgesetzt und auf dem Campus Jena-Beutenberg als Bioinstrumentezentrum (BIZ) eingerichtet. Existenzgründern oder ansiedlungswilligen Unternehmen stehen hier vor allem Laborflächen, die erforderliche Ausrüstung sowie Gemeinschaftsdienste zur Verfügung. Inzwischen kann das Zentrum mit mehr als 20 Unternehmensgründungen eine überaus positive Bilanz verbuchen (vgl. TMWAI 2000, 45). Im deutschlandweiten Vergleich der Patentanmeldungen nach Bundesländern lag Thüringen im Jahr 2001 mit 32 Patenten pro 100.000 Einwohner an 10. Stelle, nahm dabei den ersten Platz unter den neuen Bundesländer ein. Allerdings ist verglichen mit dem gesamten Bundesgebiet (64 Patente/100.000 Einwohner) das Thüringer Niveau weiterhin gering. Den wesentlichen Beitrag zur relativ guten Patentsituation Thüringens trägt seit vielen Jahren die Region Jena bei, was die Vormachtstellung Jenas als innovatives Zentrum unterstreicht (vgl. DPMA 2002, 17).
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10.3 Die Rahmenbedingungen und Determinanten eines Innovationssystems Wie aus den Ausführungen zum Innovationssystem generell und übertragen auf die Region Jena bereits ersichtlich wurde, müssen für die Ansiedelung innovativer Branchen in einer Region bestimmte Rahmenbedingungen vorliegen. Diese lassen sich durch die Ausprägung lokaler Standortfaktoren determinieren, wobei die Wichtigkeit der unterschiedlichen Standortfaktoren für Unternehmen verschiedener Branchen variiert. Allgemein können zu diesen Faktoren das Humankapital und der Arbeitsmarkt, der technische Wissensstand, die innovative Branchenstruktur, die Möglichkeiten der Wirtschaftsförderung und die infrastrukturellen und kulturellen Rahmenbedingungen gezählt werden (vgl. Gehrke und Legler 2001, 19ff.). 10.3.1 Humankapital und Arbeitsmarkt Der zentrale Bestimmungsfaktor für das wirtschaftliche Ergebnis einer Region ist der Mensch. Ist kein hinreichender Einsatz an menschlicher Arbeitskraft vorhanden, wird der Output und somit auch der Ertrag durch diesen Faktor limitiert (vgl. Rosenfeld, Barjak, Franz, Heimpold und Schulze 2001, 13; Boutellier und Völker 1997, 152f.). Das in einer Region zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhandene Humankapital darf jedoch nicht als unveränderbare Größe angesehen werden. Das verfügbare Humankapital ist ein Indikator für die allgemeinen Chancen von Regionen, sich im technologischen Wettbewerb zu positionieren und im qualifikatorischen Strukturwandel Schritt zu halten. Der Bestand an Humankapital einer Region zählt als ein wichtiges Entscheidungskriterium für Investoren, die an einer guten Humankapitalausstattung interessiert sind. Investitionen können zudem anregend für eine komplementäre Veränderung des Humankapitals sein, da sich wegen der veränderten Nachfrage nach Humankapital – verursacht durch den Investor – ein entsprechendes Angebot entwickelt. Humankapital ist somit ein mobiler Produktionsfaktor (vgl. Rosenfeld, Barjak, Franz, Heimpold und Schulze 2001, 13). Quantitativ besteht aus politischer Sicht die Möglichkeit einer Steigerung des Humankapitals, indem bisher nicht tätige Personen mobilisiert oder die Zuwande-
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rung von Arbeitskräften in die Region gefördert wird. Letzteres ist nicht die einfachste Variante, da die Zuwanderung vor allem von den gebotenen monetären und nichtmonetären Anreizen in der Zuwanderregion im Vergleich zur Abwanderregion abhängt, so dass indirekt auch infrastrukturelle und kulturelle Rahmenbedingen Einfluss auf den Humankapitalbestand ausüben. Qualitativ lässt sich das Humankapital nur über Bildung erhöhen. Die staatliche Intervention auf dem Arbeitsmarkt ist neben dem Bildungssystem eine weitere wichtige Determinante für den Humankapitalbestand einer Region. Bei einer erfolgreichen Arbeitsmarktpolitik kommt es durch die Verbesserung der regionalen Humankapitalausstattung zu geringerer Arbeitslosigkeit, was sich wiederum positiv auf die Qualität des regionalen Humankapitals auswirkt (vgl. Rosenfeld, Barjak, Franz, Heimpold und Schulze 2001, 15f.). Somit können als Indikatoren für Humankapital und Arbeitmarkt die Konzentration an Bildungs- und Forschungseinrichtungen, das Bildungs- und Qualifikationsniveau sowie die Innovationsfähigkeit und –aufgeschlossenheit der Jenaer Bevölkerung herangezogen werden, sowie das Arbeitskräftepotenzial und die Beschäftigungssituation. 10.3.2 Technischer Wissensstand Auch das technische Wissen kann zusammen mit anderen Faktoren, wie kulturelle und natürliche Gegebenheiten das Produktionsniveau von Kapital und Arbeit bestimmen und ist damit als Produktionsfaktor anzusehen. Diejenige Region oder Volkswirtschaft erweist sich als produktiver, die bei gleichem Bestand an Arbeitskraft und Kapital den höheren technischen Wissensstand hat. Dieser kann sich beispielsweise in leistungsfähigeren Maschinen und Anlagen (kapitalgebundenes technisches Wissen) oder in besseren Fähigkeiten und Fertigkeiten der Arbeitskräfte (arbeitsgebundenes technisches Wissen) ausdrücken. Welche Faktoren das Entstehen und die Ausbreitung technischen Fortschritts determinieren ist davon abhängig, ob der technische Fortschritt zur Divergenz (lokal begrenzte Ausbreitung) oder zur Konvergenz (überregionale Ausbreitung) einer Region beisteuert, beziehungsweise wie die regionale Strukturpolitik die Erzeugung oder Adaption
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technischen Wissens einer Region positiv beeinflussen kann (vgl. Rosenfeld, Barjak, Franz, Heimpold und Schulze 2001, 35f.). Gemäß älterer Theorien hierarchischer Innovationsentstehung (vgl. Lasuen 1973; Porter 1998) muss eine Region über bestimmte materielle Inputfaktoren verfügen, wie z. B. große Absatz- und Beschaffungsmärkte, ausreichend vorhandenes Humankapital und eine gute Verkehrsinfrastruktur. Neuere Theorien, wie der Milieuansatz (vgl. Camagni, 1994; BMBF 2000, 37f.), betonen jedoch die Wichtigkeit immaterieller Inputfaktoren bei der Entstehung von Innovationen. Häufige persönliche Kontakte, die durch ähnliche soziale, politische oder kulturelle Interessen aufgebaut werden, können diesen Prozess positiv beeinflussen; räumliche Nähe wirkt außerdem unterstützend (vgl. Porter 1998; Rosenfeld, Barjak, Franz, Heimpold und Schulze 2001, 36). Technisches Wissen in Form von Erfindungen ist zudem Ausgangspunkt von Innovationen und findet überwiegend in Patenten seinen Niederschlag. Diese sind Bindeglieder zwischen Forschung, Entwicklung und gewerblicher Nutzung und über sie lassen sich Tendenzen in Markterwartungen und Marktentwicklungen erkennen (vgl. Gehrke und Legler 2001, 72ff.). Jedoch führt nicht jedes Patent zu einer Innovation, denn Schutzrechte können auch unverwertet bleiben. Somit hat die Patentsituation in der Region Jena nur Indikatorfunktion für Innovationsfähigkeit und –bereitschaft. Als weiteren Indikator für technisches Wissen – wie auch schon für Humankapital – kann hier wieder die Innovationsfähigkeit und -aufgeschlossenheit der Bevölkerung herangezogen werden. 10.3.3 Die innovative Branchenstruktur Eine Untersuchung der regionalen Branchenstruktur ermöglicht, wachsende und schrumpfende Branchen zu ermitteln und die Wichtigkeit des sektoralen Strukturwandels richtig einzuschätzen. Schwerpunktmäßig wird heute Wert auf ein ausgeglichenes Verhältnis von Landwirtschaft-, Industrie- und Dienstleistungssektor gelegt, da dies entscheidend ist, ob eine Region ihr Produktionspotential ausnutzt oder nicht (vgl. Gehrke und Legler 2001, 61ff.). Der sektorale Strukturwandel zwischen den einzelnen Branchen ist vor allem durch Veränderung der Nachfrage,
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des technischen Wissens und der Preise der Produktionsfaktoren zu erkennen. Ein ausgeglichenes Verhältnis der Branchen ist allerdings nicht immer sinnvoll, da die Regionen Spezialisierungen in den Branchen aufgebaut haben, in denen sie einen komparativen Vorteil gegenüber anderen Regionen aufweisen (vgl. Rosenfeld, Barjak, Franz, Heimpold und Schulze 2001, 62). Von diesen wirtschaftsstrukturellen Gegebenheiten, insbesondere der Existenz von FuE-intensiven Industrien und wissensintensiven Dienstleistungen, wird maßgeblich das Innovationspotenzial einer Region beeinflusst. Deshalb werden folgende Indikatoren für innovative Branchenstrukturen herangezogen: Verhältnis innovativer Unternehmen zur gesamten Unternehmensstruktur Jenas; Vorhandensein von Hochtechnologiebranchen; Existenz von informationsund kommunikationsbestimmten Industrien. 10.3.4 Infrastrukturelle und kulturelle Rahmenbedingungen Die Bedeutung dieses Aspekts wurde bereits beim Humankapital angesprochen. Vom Standpunkt der Ökonomie aus betrachtet, versteht man unter dem Begriff Infrastruktur das Grundgerüst einer Volkswirtschaft, auf dem wiederum die verschiedenen Akteure ihre Transaktionen und Aktivitäten aufbauen. Sie umfasst also die Gesamtheit aller materiellen, institutionellen und personellen Anlagen, Einrichtungen und Gegebenheiten, die den Wirtschaftseinheiten zur Verfügung stehen (vgl. Schlag 1999, 15; Jochimsen 1996, 145). Infrastruktur, ob unternehmens- oder haushaltsbezogen, wird überwiegend öffentlich bereitgestellt. Der unternehmensbezogenen Infrastruktur wird häufig eine größere Bedeutung zugesprochen, jedoch ist dabei zu beachten, dass die haushaltsbezogene Infrastruktur (kulturelle und soziale Einrichtungen sowie Ausstattung des Einzelhandels) der Steigerung des Humankapitals dient. Durch sie werden die Konsummöglichkeiten der privaten Haushalte und die Anziehungskraft für zuziehende Arbeitnehmer erhöht und sollte deshalb für die Entwicklung einer Region nicht unterschätzt werden. Kulturell besser ausgestattete Regionen werden bei der Standortentscheidung häufig vorgezogen (vgl. Rosenfeld, Barjak, Franz, Heimpold und Schulze 2001, 42f.).
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Da die Infrastrukturbedingungen einer Region für zukünftige Investitionsentscheidungen von Unternehmen eine herausragende Rolle spielen und die Ausstattung dieser im Gegensatz zu anderen Standortfaktoren veränderbar ist, gehören sie zu den zentralen Bestandteilen der regionalen und kommunalen Wirtschaftsförderung (vgl. Iglhaut 1994; Ortlitsch und Pfeifer 1994). Als Indikatoren werden die physische Ausstattung mit Infrastruktureinrichtungen (z. B. Straße, Schiene) sowie das Vorhandensein von Wissenschafts- und Bildungseinrichtungen eingesetzt. Auch die Ausstattung mit Gewerbegebieten (einschl. Gewerbe- und Technologiezentren) wird betrachtet, sowie weiche Standortfaktoren. 10.3.5 Möglichkeiten der Wirtschaftsförderung Unter Wirtschaftsförderung wird die Summe aller Maßnahmen verstanden, die unmittelbar für betriebliche Investitions- und Standortentscheidungen von Bedeutung sind. In der deutschen Standortpolitik spielt die Wirtschaftsförderung eine wesentliche Rolle, wobei neben der Ansiedelung von Unternehmen mittels Standortmarketing und der Bereitstellung von Gewerbeflächen auch zunehmend die Unterstützung der ansässigen Unternehmen wichtig ist (vgl. Iglhaut 1994; Hundrieser 1994). Im Rahmen der Wirtschaftsförderung ist zwischen einzelbetrieblicher Förderung, Maßnahmen, die im Bereich des Technologietransfers (Technologie- und Gründerzentren) zum Tragen kommen (vgl. Pagel, Raetz und Seiff 1994) und der Förderung wirtschaftnaher Forschungseinrichtungen zu unterscheiden. Erstere beeinflussen die privaten Investitionen unmittelbar, da sie die Kapitalkosten für Investitionen in bestimmten Betrieben senken und dadurch Investitionen rentabel machen. Mit der Bereitstellung der entsprechenden Förderinstrumente kann das Land Investitionen mit direkten Fördemaßnahmen, wie Investitionszulagen und – zuschüsse, zinsverbilligte Kredite aus dem ERP (European Recovery Program)Regionalförderprogramm, aus Sondervermögen und aus Eigenmitteln der Kreditanstalt für Wiederaufbau sowie mit Ländereigenen Förderprogrammen finanziell unterstützen (vgl. Hundrieser 1994, 279f.; Weilepp 1995, 116ff.). Letztere ergänzen überregionale Förderinstrumentarien und bieten den Vorteil, Lücken im Fördernetz durch Länderinitiative schließen zu können. Neben den direkten gibt es
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auch indirekte Fördermaßnahmen, wie beispielsweise eine qualitativ und quantitativ leistungsfähige Infrastruktur, die erst den eigentlichen Rahmen für private Investitionen schafft (vgl. Weilepp 1995, 125f.). In diesem Punkt haben die Kommunen einen großen Anteil an dem Ausbau und der Instandhaltung der sogenannten wirtschaftsnahen Infrastruktur, vor allem bei örtlichen Verkehrsnetzen, Energie- und Wasserversorgung, Abwasser- und Müllentsorgung, bei der Bereitstellung von Gewerbeflächen und natürlich bei der Errichtung von Bildungs- und Kulturstätten. Zudem haben Gemeinden durch die Steuer- und Finanzhoheit die Möglichkeit Unternehmen Unterstützung in Form von Stundung, Ermäßigung oder Erlass von Gemeindesteuern zu gewähren (vgl. Ortlitsch und Pfeifer 1994).
10.4 Beurteilung des ISJ aus der Sicht der Landesund Kommunalpolitik Im Hinblick auf die Einflussnahme der politischen Akteure wurde mittels der vorgestellten Indikatoren analysiert, wie die Thüringer Landes- und Jenaer Kommunalpolitik das Innovationssystem Jena beurteilt und welche Rahmenbedingungen weiter auszubauen beziehungsweise mittels Fördermaßnahmen zu verbessern sind, um als Wirtschaftsstandort für innovative Unternehmen weiterhin attraktiv zu bleiben. Dazu wurden vier Landespolitiker des Freistaates Thüringen sowie sechs Kommunalpolitiker Jenas befragt, die unter anderem auch in wirtschaftlichen Ressorts tätig sind. In ihrer Gesamtheit fielen die abgegebenen Wertungen der befragten Lokal- und Landespolitiker zu den Einflussgrößen Humankapital und Arbeitsmarkt, technischer Wissensstand, Branchenstruktur, infrastrukturelle und kulturelle Rahmenbedingungen und Wirtschaftsförderung relativ homogen und zu Gunsten der Region Jena überwiegend positiv aus. Die Entwicklung Jenas nach der politischen Wende bis heute wird vor allem im Vergleich zu anderen Thüringer Städten von allen Experten als Besonderheit herausgestellt. Zudem genießt Jena bei der eigenen Bevölkerung ein positives Image und besitzt auch über die Landesgrenzen hinaus einen hohen Bekanntheitsgrad. Diese gute Reputation gründen die Befragten auf der traditionellen Verbindung zwischen Wissenschaft und Forschung, deren Grundstein
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durch die Großbetriebe Carl Zeiss Jena, Schott und Jenapharm gelegt wurde. Diese Unternehmen übten schon vor der Systemtransformation 1989 soviel Einfluss aus, dass Jena im thüringenweiten Vergleich gute infrastrukturelle Rahmenbedingungen, ausgeprägtes Arbeitkräftepotential und hohes Qualifikationsniveau sowie technisches Wissen vorweisen konnte. Zwar flossen nach der politischen Wende umfangreiche Fördermittel in den Auf- und Ausbau des Hochschulbereichs und der Industriebetriebe (Jenoptik), aber die Bildung des leistungsfähigen regionalen Innovationssystems Jena wurde nicht nur durch die enormen Wirtschaftsfördermaßnahmen initiiert, sondern es konnte auch auf bereits vorhandenen Strukturen aufgebaut werden. Somit wurde das in den Grundzügen bestehende System weiter entwickelt und gestärkt. Die Politiker räumen aber ein, dass sich der Standort Jena bis zum heutigen Zeitpunkt trotz aller positiven Umstände noch nicht von alleine trägt, da Defizite im industriellen Fundament und damit in der Exportbasis bestehen sowie Ausbaubedarf in der Anwendung von Schlüsseltechnologien (vgl. auch TMWAI 2000, 21). Deswegen sei der Weg der politischen Wirtschaftsförderung weiter zu verfolgen. Ideale Rahmenbedingungen für einen attraktiven und innovativen Wirtschaftsstandort muss die Landes- und Kommunalregierung somit weiterhin durch indirekte und direkte Fördermaßnahmen schaffen. Aus landespolitischer Sicht ist die indirekte Förderung der Wirtschaftsentwicklung Jenas auf Maßnahmen begrenzt, die sich auf den Hochschul-/Forschungsbereich und die überregionale Verkehrsinfrastruktur beziehen. Andere Standortfaktoren, wie die Erschließung von Gewerbegebieten, Ausstattung der Schulen und der sozialen und kulturellen Einrichtungen sowie der Entsorgungsinfrastruktur, liegen im Kompetenz- und Gestaltungsbereich der Kommune. Als Hauptinstrumente kommunalpolitischer indirekter Förderung wurde der An- und Verkauf von Flächen herausgestellt und in diesem Zusammenhang die Bereitstellung sowie Anbindung von Gewerbegebieten und Industrieparks. Generell messen alle Politiker der infrastrukturellen Ausstattung der Stadt den wesentlichen Einfluss zu, wenn es um die Beurteilung der Attraktivität einer Stadt geht bzw. wenn Unternehmen eine Standortentscheidung treffen. Die Kommune hat im Bereich des innerstädtischen Straßenbaus die größten Einflussmöglichkeiten, welche sie laut
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Angaben aller Befragten auch nach Kräften ausnutzt, denn die Förderung der Infrastruktur kommt allen Akteuren der Region zu Gute. Jedoch müssen aus finanzieller Sicht Einschränkungen in diesem Bereich gemacht werden, da eine weitere Inanspruchnahme zu Lasten der Förderung weicher Standortfaktoren ginge. Diese bilden den zweiten großen Einflussbereich der Kommune und deren Wichtigkeit für die Ausgestaltung einer bürgernahen Stadt wurde mehrmals deutlich gemacht. Ein Aspekt, der im Einflussbereich der Landespolitik liegt und zur Förderung der innovativen Wirtschaftsentwicklung Jenas beiträgt, ist der Auf- und Ausbau einer leistungsfähigen Forschungsinfrastruktur. Dazu zählen z. B. die Förderung der Grundlagen- und angewandten Forschungsinstitute, der Hochschulen sowie der Technologie- und Gründerzentren. All diese Einrichtungen sind in Jena in hoher Konzentration vorhanden und sind laut Angaben der Befragten verantwortlich für die niedrige Arbeitslosenquote, viele Aus- und Neugründungen innovativer Unternehmen und einen hohen Bildungsstand. Der Kommunal- und Landesregierung stehen zudem zahlreiche Förderinstrumente im Rahmen der direkten Wirtschaftsförderung zur Verfügung. Die Instrumente auf Landesebene haben zumeist nur begrenzten Einfluss auf die Steuerung der Verbesserung eines regionalen Umfeldes, weil die Fördermittel grundsätzlich allen Bewerbern eines Landes zugänglich sind, und die Landespolitik letztendlich nur auf Basis der Förderrichtlinien Einfluss auf die Mittelvergabe nehmen kann. Inhalt der Förderrichtlinien sind lediglich der Mittelverwendungszweck und die Branche, in der die Mittel eingesetzt werden sollen. Deshalb kann die Landesregierung mit direkten Fördermaßnahmen nur sehr wenig zur lokalen Verteilung einzelbetrieblicher Fördergelder und somit zur Stärkung des regionalen Umfeldes beitragen. Einschränkend ist anzumerken, dass durch die Förderung bestimmter Branchen wie beispielsweise der der Biotechnologie indirekt natürlich wieder die Regionen gefördert werden, in denen eine Konzentration dieser Branchen vorliegt. Durch eine Verbesserung der angespannten kommunalen Haushaltslage über Landesmittel könnte zudem der Handlungsspielraum der Kommune bezüglich Ausbau der weichen Standortfaktoren erweitert werden. In diesem Bereich werden jedoch auf Landsebene die Mittel gekürzt, was dem Gesamtziel der Thüringer Landespolitik eine leistungsfähige Technologie- und Forschungslandschaft aufzubauen
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(„Willkommen in der Denkfabrik – Freistaat Thüringen“) deutlich widerspricht. Denn nur mit dem Ausbau einer guten Verkehrs- und Bildungsinfrastruktur schafft die Politik ein innovationsfreundliches Umfeld, mit dem sie wiederum Investoren anziehen kann. Des Weiteren hat sowohl die Kommunal- als auch die Landespolitik über einzelbetriebliche Fördermittel die Möglichkeit, ansiedlungswillige Unternehmen in der Startphase ihres Innovationsprozesses zu unterstützen. Ein Beispiel dafür ist der Technologie- und Innovationspark (TIP) Jena, dessen Gründung von der Stadt initiiert und mitgetragen wurde. Zudem hat sich im Laufe der Zeit herausgestellt, dass eine Unterstützung durch die Technologie- und Gründerzentren mit einer umfangreichen Beratung und Begleitung viel erfolgversprechender ist als eine reine finanzielle Förderung, da hierbei die zunehmende Bedeutung von Wissen- und Technologietransfer sowie die ständige Nähe zu anderen Akteuren zum Ausdruck kommt. Die Unterstützung von Unternehmensgründungen und Unternehmenswachstum durch umfassende Netzwerke von Innovationszentren wird auf politischer Ebene auch zukünftig weiter verfolgt, wie in jüngster Vergangenheit das Projekt JenArea 21 zeigt, bei dem die Stadt die Errichtung eines neuen Technologie- und Gründerzentrums am ehemaligen Jenaer Brauereistandort fördert. Da sich aufgrund der räumlichen Nähe aller Wirtschaftsakteure leicht innovative Netzwerke aufbauen lassen, bezeichnen die Politiker Jena auch als „Stadt der kurzen Wege“. Erkenntnisse und Ideen von den Hochschulen und den Einrichtungen der Grundlagenforschung finden in Jena relativ schnell in den zahlreichen wirtschaftsnahen Forschungseinrichtungen bzw. den FuE-Abteilungen der ansässigen Industrie ihre Anwendung. Die Weiterentwicklung zum marktfähigen Produkt wird durch die im Technologie- und Innovationspark Jena ansässigen Untenehmen unterstützt. Aus dieser räumlichen Nähe resultieren häufig Kooperationsbeziehungen und intensiver Wissenstransfer zwischen den Akteuren, was an verschiedensten Stellen zu Synergieeffekten führt. Auf landespolitischer Ebene wird in diesem Zusammenhang auch auf das Innovationsdreieck Erfurt-Jena-Ilmenau verwiesen, als Beispiel für einen „Verbund“ der Kooperationen überregional fördert. Allen Politikern ist es sehr wichtig, die Bedeutsamkeit eines Netzwerkes als innovatives regionales Entwicklungspotenzial den betroffenen Akteuren nahe zu brin-
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gen, wobei auf die Schwerpunkttrennung bezüglich der vorherrschenden Branchenstruktur geachtet werden soll. In Jena liegt die Schwerpunktförderung generell in den Bereichen produzierendes Gewerbe und auf dem Dienstleistungssektor, da die Stadt durch diese Branchen schon immer geprägt war. Somit werden Existenzgründungen im technologischen und wissensintensiven Bereich gezielt unterstützt, da zum einen der Technologie- und Innovationspark Jena darauf spezialisiert ist und zum anderen die einzelbetrieblichen Förderinstrumente vermehrt Vorhaben aus den Technologiefeldern (z. B. Biotechnologie, Mikroelektronik, MSRTechnik) zum Ziel haben. Die schon vorhandene Branchenspezialisierung Jenas mit vielen innovativen Unternehmen trägt dazu bei, dass sich wiederum hauptsächlich Unternehmen dieser Ausrichtungen in Jena niederlassen. Eine Clusterbildung wird somit unterstützt und fördert den Ausbau an Humankapital. Diese Konzentration auf die Clusterbildung ist nötig, um die Branchenstruktur Jenas weiter zu festigen. Anreize dazu werden durch entsprechende Landesinvestitionsprogramme gesetzt. Im Verlauf der Untersuchung konnten aus politischer Sicht als Haupthindernisse für Investitions- und Innovationsanstrengungen in Jena vor allem die unzureichend ausgebaute Verkehrsinfrastruktur bestätigt werden. Hier kann die Landespolitik einen entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Bahnhöfe und der Bahnverbindungen leisten, um die Kommune und den Standort Jena in diesen Bereichen für die Zukunft zu stärken. Als weiteres Defizit wird die Situation der Gewerbegebiete angesehen. Da nahezu Vollauslastung vorherrscht, sind die Flächenpreise hoch. Die Kommunalpolitik der kreisfreien Stadt Jena sollte Lösungen in der Flächenproblematik mit den umliegenden Kreisen finden, um günstige Kapazitäten zur Verfügung stellen zu können. In einer innovativen Stadt sollten zudem die weichen Standortfaktoren intensiver gefördert werden, um durch steigende Lebensqualität das Ansiedelungspotenzial zu erhöhen. Ein umfassendes Standortmarketing und eine gute Öffentlichkeitsarbeit bilden hierzu den operativen Rahmen.
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10.5 Fazit Als Resultat der geführten Experteninterviews ist herauszustellen, dass Jena im thüringenweiten Vergleich traditionell begründet eine überaus erfolgreiche Entwicklung durchlaufen hat. Im Bereich von Wissenschaft und Forschung gilt Jena als „Zugpferd“ Thüringens, dass in diesem Bereich in den letzten zehn Jahren bemerkenswerte Ergebnisse vorweisen kann. Wenn unter dem Begriff „Innovationssystem“ ein Geflecht aus Unternehmen, Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen, politisch-administrativen Instanzen, Patentbehörden und den Anwendern verstanden wird, das es ermöglichen soll, neue Erkenntnisse zu gewinnen, Ideen zu generieren, diese umzusetzen, abzusichern und damit die ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung voranzutreiben, dann sind in Jena aus Sicht der Politik gute Voraussetzungen vorhanden. Jedoch bleiben dies bisher nur Ansätze, denn im bundesweiten Vergleich sind Regionen, wie München, Stuttgart, Tübingen oder Karlsruhe weitaus innovativer als der Raum Jena (vgl. o.V. 2002, 23).
10.6 Referenzen Backhaus, A. (2000): Öffentliche Forschungseinrichtungen im regionalen Innovationssystem: Verflechtungen und Wissenstransfer – Empirische Ergebnisse aus der Region Südostniedersachsen, Hamburg. Boutellier, R.; Völker, R. (1997): Erfolge durch innovative Produkte, München. Bundesministerium für Bildung und Forschung – BMBF (2000): Regionale Verteilung von Innovations- und Technologiepotentialen in Deutschland und Europa, Berlin. Camagni, R. (1994): Space-time in the concept of „milieu innovateur”, in: Blien, U.; Herrmann, H.; Koller, M. (Hrsg.): Regionalentwicklung und regionale Arbeitsmarktpolitik. Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Bd. 184, Nürnberg, S. 74-89. Cooke, P. (1998): Global clustering and regional innovation, in: Braczyk, H.-J.; Cooke, P.; Heidenreich, M. (eds.): Regional Innovation Systems: The role of governance in a globalized world, London.
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11 Die Entwicklung der feinmechanischoptischen Industrie in Jena ab 1846 Andreas Länger
11.1 Vorbemerkungen Die Suche nach Erklärungen für die räumliche Konzentration von Industrien ist schon seit dem 19. Jahrhundert Gegenstand der raumwirtschaftstheoretischen Diskussion. Bereits im Jahre 1826 setzte sich der deutsche Ökonom Johann Heinrich von Thünen in seinem Werk „Der isolierte Staat in Beziehung auf Landwirtschaft und Nationalökonomie“ mit der Standortfrage auseinander (vgl. Thünen 1930, 12; Schätzl 1992, 61). Mit der Identifizierung von Transport- und Arbeitskosten sowie Agglomerationswirkungen als Faktoren, welche die Standortwahl beeinflussen, gelang Alfred Weber in seinem 1909 erschienenen Werk „Über den Standort der Industrien“ eine systematische Standorttheorie. Für ihn ist die Industrieagglomeration vor allem notwendige Folge der regionalen Ballung von Arbeitskräften (vgl. Weber 1922, 12 u. 95). Alfred Marshall präsentierte 1890 mit „Principles of Economics“, die „classic economic analysis of the phenomenon [Lokalisierung von Industrien]“ (Krugman 1996, 36). Er sah die Gründe für Agglomerationen in der Konzentration von Arbeitskräften an einem Ort, in den auf die jeweilige Industrie spezialisierten Dienstleistungen und einem besseren Informationsfluss und damit der Generierung technologischer Spillovers (vgl. Marshall 1961, 271f.). Es ist aber auch ein Wandel der Standortfaktoren, von der reinen Kostenorientierung hin zur Qualität des Umfeldes und insbesondere zur Humankapitalausstattung einer Region zu beobachten (vgl. Kotler, Haider und Rein 1994, 287; IfS 1998, 5). Gerade die Inhomogenität des Faktors Humankapital in Qualität und Quantität und die, branchenabhängig, unterschiedlichen Anforderungen an diesen scheinen wichtig für die Lokalisierung von Industrien (vgl. Malecki 1991, 208). Wettbewerbsentscheidend sind für Porter (1998, 236f.): die Konzentration von
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hoch qualifizierten und spezialisierten Fachkräften, die Verfügbarkeit von Informationen und Wissen, unterstützende Institutionen, die Wettbewerbssituation, verwandte Unternehmen und unterstützende Branchen sowie anspruchsvolle Nachfragebedingungen und Konsumenten – der Standort wird zum Erfolgsfaktor. Damit sind verschiedene raumwirtschaftliche Ansatzpunkte aufgezeigt, die im Folgenden näher zu untersuchen sind. Ziel dieses Beitrages ist, die Entwicklung der feinmechanisch-optischen Industrie in Jena von den Anfängen im Jahre 1846 bis heute nachzuzeichnen. Es gilt dabei, besonders der Unternehmensperspektive Beachtung beizumessen, aber daneben auch die Themenbereiche Humankapital und seine Bildung, Inventionen und Innovationen sowie die Verbindungen von Wirtschaft und Wissenschaft auch in ihren Wechselwirkungen näher zu beleuchten. Damit erfolgt eine Analyse ausgewählter Aspekte, die bei der Diskussion um Agglomerationen und Cluster, als „a geographically proximate group of interconnected companies and associated institutions in a particular field, linked by commonalities and complementarities“ (Porter 1998, 199), immer wieder in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt werden.
11.2
Unternehmensentwicklungen
11.2.1 Gründungsjahre 11.2.1.1 Carl Zeiß und die Anfänge Den Ausgangspunkt bilden die Gründerperson Carl Zeiß und sein Unternehmen. Carl Friedrich Zeiß wurde am 11. September 1816 in Weimar geboren, besuchte dort das Gymnasium und ging 1834 nach Jena, um eine Lehre zum Mechaniker beim Universitätsmechaniker und Privatdozenten Dr. Friedrich J. C. Körner (1778-1847) zu beginnen (vgl. Wittig 1993a, 21). Während seiner vierjährigen Lehrzeit besuchte Zeiß Vorlesungen u. a. in Mathematik und Physik an der Jenaer Universität. Nach Beendigung der Lehre verließ er Jena, arbeitete in physikalischen, optischen, mathematischen und Maschinen-Werkstätten in Stuttgart, Darm-
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stadt, Wien und Berlin und betrieb daneben Studien im mechanischen Bereich (vgl. Rohr 1936, 4f.). Ausgestattet mit einer fundierten Ausbildung und Arbeitserfahrung fasste Carl Zeiß den Entschluss, sich in seiner Heimatstadt Weimar mit einer „mechanischen Werkstätte“ selbstständig zu machen. Die Erteilung einer Konzession wurde ihm dort jedoch versagt. So ging er nach Jena, wo er am 17. November 1846 sein „mechanisches Atelier“ in der Neugasse 7 eröffnete. Seine umfassenden Kenntnisse fanden bei vielen Jenaer Bürgern Beachtung und Unterstützung im Konzessionsbegehren. Die Notwendigkeit einer solchen Werkstätte, sowohl für die naturwissenschaftlichen als auch medizinischen Institute der Universität, erkannten vor allem der Botaniker und Mikroskopiker Matthias Jakob Schleiden (1804-1881) sowie andere Personen aus seinem Umfeld am „Physiologischen Institut“ (vgl. Schomerus 1952, 5-10; BACZ 7792, 14). Gerade die Erforschung neuer Arbeitsgebiete in den Naturwissenschaften und die Nachfrage nach dabei benötigten Mikroskopen und Apparaten schien sicher (vgl. Schomerus 1952, 8). Somit war bereits bei der Gründung des Unternehmens die Beziehung zur Universität von grundlegender Bedeutung und sollte in der Zukunft auch immer mehr an Gewicht gewinnen. Vertrieb Carl Zeiß anfänglich noch Waagen, Brillen, Laboratoriums- und andere optische Artikel, reparierte und baute er die physikalischen, chemischen und sonstigen Apparate des naturwissenschaftlichen Unterrichts an den Instituten der Universität, so stellte er ab September 1847, angeregt durch Prof. Schleiden, einfache Mikroskope und bessere Lupen her, welche sich durch „die Präzision des Schliffes und äußerste Genauigkeit aller Teile auszeichneten“ (Schomerus 1952, 11). Bereits in diesem Jahr verkaufte Zeiß 23 dieser Mikroskope und konnte den Absatz in den Folgejahren steigern, so dass es im Jahre 1856 48 Stück waren (vgl. Schomerus 1952, 12; Hellmuth und Mühlfriedel 1996, 25f.). Die allgemein gute Geschäftsentwicklung im ersten Jahr des Bestehens führte dazu, dass Zeiß einen Gesellen einstellte und mit seinem Geschäft am 1. Juli 1847 in die Wagnergasse 32 umzog. Hier verfügte er über mehr Raum und konnte auch ein Ladengeschäft einrichten (vgl. Hellmuth und Mühlfriedel 1996, 24). Schomerus konstatiert für das erste Jahrzehnt noch eine verhältnismäßig langsame Unternehmensentwicklung (vgl. Schomerus 1952, 10f.; Hellmuth und Mühlfriedel 1996, 30-40). Das Personal
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stieg bis 1860 auf lediglich 5, bis 1870 dann auf 39 Mitarbeiter an (vgl. BACZ 7792). Mit dem Jahr 1858 ergaben sich entscheidende Veränderungen. Zum einen, auch bedingt durch das wachsende Personal, erwarb Carl Zeiß am Johannisplatz ein Hausgrundstück, in welchem Verkaufsraum, Werkstätte sowie die familiären Wohnräume Platz fanden. Zum anderen begann er mit der Fertigung und dem Verkauf zusammengesetzter Mikroskope (vgl. Hellmuth und Mühlfriedel 1996, 52-55). Diese Mikroskope, welche zu „den vortrefflichsten in Deutschland angefertigten“ (Schomerus 1952, 14) gehörten und 1861 auf der Allgemeinen Thüringischen Gewerbeausstellung in Weimar den ersten Ehrenpreis erhielten, entwickelten sich zu einem vollen Erfolg für das Unternehmen. Wurden 1858 noch 11 Stück abgesetzt, so waren es 1866 bereits 146. Die Fertigung des 3.000sten Mikroskops konnte 1876 gefeiert werden, die des 10.000sten 1886. Ebenso sind die 1860 erfolgte Ernennung zum Universitäts-Mechanikus und die 1863 folgende zum Hof-Mechanikus ein Zeichen von Achtung und Geltung, die sich Zeiß durch seine Leistungen erworben hat (vgl. Schomerus 1952, 13-15, 25; Rohr 1936, 11). Bereits in diesen ersten zwei Jahrzehnten wurde auch dem Humankapital und seiner Bedeutung die notwendige Beachtung geschenkt. Der spätere Werkmeister August Löber (1830-1912) begann im August 1847 seine Lehrlingsausbildung. Durch die innerbetriebliche Ausbildung hat sich das Unternehmen über die Jahre hinweg einen Stamm von Mechanikern und Optikern gesichert, die an Präzision und exakte Arbeit und die Qualitätsstandards der Firma gewöhnt waren. Wesentlich für die Qualität der Ausbildung war auch des Entstehen des „Zeiss´schen Werkmeisters, dessen Gepräge gründliche Sachkenntnis, hohe Pflichtauffassung und tiefes Verantwortungsbewusstsein ist, und in dessen Schule fortlaufend beste Kräfte für die Aufgaben der Werkstätten sowohl hinsichtlich der Technik wie der Menschenführung heranwuchsen“ (Schomerus 1952, 75).
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11.2.1.2 Ernst Abbe und der Übergang vom Pröbeln zur theoriegeleiteten Fertigung Der Übergang zur modernen Mikroskopfertigung auf wissenschaftlicher Basis war erst möglich durch die Zusammenarbeit von Carl Zeiß mit Ernst Abbe. Der am 23. Januar 1840 in Eisenach geborene Abbe begann 1857 sein Studium der Physik und Mathematik in Jena. Der Besuch von Vorlesungen auch aus anderen Bereichen, wie der Botanik, Pädagogik, Philosophie, Geschichte und Kristallographie, zeugen von einem breiten wissenschaftlichen Interesse (vgl. Auerbach 1918, 5455). Im Jahre 1859 verließ Abbe Jena in Richtung Göttingen, wo er sein Studium beendete. Nach erfolgreicher Promotion im März 1861 und Honorardozentur in Frankfurt/Main kehrte Abbe dann am 18. April 1863 wieder nach Jena zurück, um als Privatdozent an der Jenaer Universität tätig zu werden (vgl. Stolz 1993, 201). Bereits während seines Studiums in Jena hatte Abbe die Bekanntschaft von Carl Zeiß machen können, aus der sich die für Jena bedeutende Partnerschaft entwickeln sollte (vgl. Auerbach 1918, 65). Am 3. Juli 1866 vereinbarten Carl Zeiß und Ernst Abbe, dass dieser in der Werkstätte mitwirken sollte. Zeiß erhoffte sich davon vor allem ein fundiertes mathematisches Vorgehen bei der Konstruktion von Mikroskopobjektiven und Fortschritte bei seinen Versuchen mit Immersionsystemen, während für Abbe wohl die praktischen Ansprüche der Werkstatt an die Wissenschaft von Interesse schienen. Dass eine Zusammenarbeit der beiden fruchtbringend sei, erkannten sie in zahlreichen Gesprächen, die sie seit Mitte der 1860er Jahre führten (vgl. Hellmuth und Mühlfriedel 1996, 66). Die Bedeutung der Wissenschaft für eine hochpräzise Arbeit war Zeiß wohlbewusst, weshalb er in dieser Zeit das geordnete Zusammenwirken von Wissenschaft und technischer Vervollkommnung beim Mikroskopbau anbahnte (vgl. Abbe 1906, 62). Schomerus (1952, 23) konstatiert: „Ohne Beteiligung der Wissenschaft kein Fabrizieren, ohne theoretische Vorarbeit des Gelehrten kein technisches Erzeugnis“. Zu Beginn seiner Tätigkeit schenkte Abbe gerade den Arbeitsabläufen und methoden in der bereits 20 Mitarbeiter zählenden Werkstätte besondere Aufmerksamkeit (vgl. Schomerus 1952, 13). Sehr schnell entwickelte er Vorschläge zur Arbeitsteilung und Optimierung der Arbeitsabläufe bei der Herstellung der Mikro-
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skope, so dass die Arbeiter lediglich Teilarbeiten verrichteten, anstatt das komplette Produkt zu fertigen. Diese Maßnahmen führten zu einer schnelleren und besseren, vor allem aber auch billigeren Fertigung. Bereits 1869 konnten die Preise für Mikroskopobjektive um teilweise bis zu 25 % gesenkt werden (vgl. Willam 1967, 82). Die Qualitätsverbesserung bei den Mikroskopen war auch ein Ergebnis verschiedener neu entwickelter Mess- und Prüfmittel, wie dem ab 1867 gebauten Fokometer zur exakten Brennweitenbestimmung von Linsen und optischen Systemen, dem Refraktometer ab dem Jahre 1869, dem Sphärometer oder dem Komparator (vgl. Rohr 1936, 21-24). Ein Verkauf dieser Produkte war nicht beabsichtigt, lediglich Refraktometer wurden von 1875 an separat vertrieben (vgl. Hellmuth und Mühlfriedel 1996, 67-68). Der Wunsch, Mikroskopobjektive nach einem vorher berechneten Plan, also ohne das bisher angewandte Probieren, dem „Pröbeln“, herzustellen, war bei Zeiß schon seit Werkstattgründung vorhanden, weshalb er schon mit dem Theoretiker Friedrich Wilhelm Barfuß (1809-1854) zusammenarbeitete, jedoch ohne Erfolg. Ab 1869 sah sich Abbe dieser Herausforderung gegenüber (vgl. BACZ 168, 8). Im Februar begann er mit der Erforschung der optischen Gesetze für den Durchgang des Lichts durch Linsen. Bei der praktischen Kontrolle seiner theoretisch rechnerischen Denkarbeit, musste er wiederholt feststellen, dass die Praxis scheinbar der Theorie widersprach. So brachten die berechneten Objektive, trotz zweifellos richtiger Rechnung, nicht die erwarteten Ergebnisse. Er erkannte, dass neben den Gesetzen zur Brechung des Lichts auch die der Beugung desselben zu berücksichtigen seien. Die weitere Forschung nach der „einwandfreien Abbildung“ auch bei Trocken- und Wasserlinsen mit weitem Öffnungswinkel führten dann zu dem nach ihm benannten, bisher unbekannten „Abbeschen Sinussatz“ (vgl. Schomerus 1952, 34; Hellmuth und Mühlfriedel 1996, 68-77; Abbe 1904). Abbes „bahnbrechende Theorie des Mikroskops und der mikroskopischen Bilderzeugung“ (Dippel 1882, V) stellt die Grundlage jeder modernen Hochleistungsoptik sowie den „Kern der industriellen Avantgarde in Jena“ dar (Walter 2000a, 14). Für die Helligkeit, die Richtigkeit und Schärfe des Bildes war überdies die richtige Anordnung der Beleuchtung zu berücksichtigen. Auf diesem konstruktiven Gebiet
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stellte Abbe im Jahre 1872 seinen Beleuchtungsapparat vor, den er bereits drei Jahre zuvor für Anton Dohrn ausgeführt hatte (vgl. Auerbach 1918, 282f.). Mit dem Jahre 1872 war es dem Unternehmen aufgrund der Abbeschen Forschungsergebnisse möglich, gerechnete Mikroskope zu fertigen, die jedoch anfänglich noch hinter den gepröbelten zurück blieben (vgl. Walter 2000a, 14). Trotzdem brachten sie Zeiss „mit einem Ruck an die Spitze der Mikroskopbauer [...], und die Leipziger Naturforscher- und Ärzteversammlung des Jahres 1872 als der höchstzuständige Areopag bestätigte dies“ (Schomerus 1952, 37). Die Substitution des Pröbelns durch die systematische Forschung bedeutete für Zeiss die Stabilisierung der Produktion und eine gleichbleibende Qualität (vgl. Walter 2000a, 13f.). Die bewährte Zusammenarbeit von Abbe und Zeiß wurde im Jahre 1876 mit der Unterzeichnung eines Gesellschaftervertrages auf eine neue Basis gestellt. Abbe wurde, mit einer Beteiligung am Geschäftskapital in Höhe von 33.335,68 Mark, zum stillen Gesellschafter (vgl. Fischer 1936, 89). Die akademische und literarische Tätigkeit Abbes sollte nicht beschnitten werden, jedoch verzichtete er auf eine Steigerung seines Lehrberufes, insbesondere auf die Annahme einer ordentlichen Professur. Seine wissenschaftliche Laufbahn opferte er dem Unternehmertum, aber als außerordentlicher Professor und späterer ordentlicher Honorarprofessor sollte er immer in Verbindung zur Wissenschaft bleiben (vgl. Schomerus 1952, 42). 1880 wurde dann das erste Fabrikgebäude auf dem angekauften Gelände zwischen Krautgasse und heutiger Ernst-Abbe-Straße errichtet. In der Folgezeit sollte an dieser Stelle das Hauptwerk empor wachsen. Bereits 1883 war eine Erweiterung des Baus notwendig und aufgrund weiterhin andauernden Platzmangels wurde zudem Hausarbeit erlaubt. Es begann eine Zeit ständiger Baumaßnahmen, infolge derer sich auch das Gesicht der Stadt veränderte (vgl. BACZ 7792). Mit der Werkserweiterung begann auch der Anstieg der Jenaer Bevölkerung. Diese überschritt im Jahr 1880 die Zehntausendergrenze und stieg bis 1900 auf über 20.000 Einwohner (vgl. Schultze 1955, 82).
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11.2.1.3 Otto Schott und die Jenaer Glaswerke Schott & Genossen Die bisherigen Berechnungen Abbes bedeuteten zwar einen weltweiten Knowhow-Vorsprung, doch die praktische Umsetzung gelang erst durch die Kooperation mit dem damals führenden Glasflussspezialisten Otto Schott (1851-1935). Es sollte jetzt auch in der Chemie der Übergang zur systematischen, theoriegeleiteten Forschung erfolgen (vgl. Walter 1996, 7). Auf dem Gebiet der Glasschmelze arbeiteten Abbe und der in Witten lebende Schott, schon bevor dieser im November 1881 nach Jena umsiedelte, zusammen (vgl. BACZ 168). Hatte dieser früher seine Schmelzproben von dort nach Jena geschickt, so vereinbarte man jetzt, dass Schott seine Versuche in einem von Abbe zur Verfügung gestellten Laboratorium weiterführen solle. Ziel war es, die neuen Gläser völlig auszuarbeiten, damit aus diesen Linsen und Prismen geschliffen werden könnten (vgl. Schomerus 1952, 57f.). Mit der Einrichtung und Eröffnung dieses glastechnischen Labors war Zeiss eines der ersten Unternehmen mit einem unter Leitung eines habilitierten Universitäts-Physikers stehendem derartigen Laboratorium (vgl. Walter 1996, 7). Schott nahm seine Arbeiten am 17. Januar 1882 in Jena auf und konnte bis Ende März erste Erfolge verzeichnen. So schrieb er gemeinsam mit Abbe am 30. März einen Bericht über ihre Fortschritte und weiteren Absichten an Wilhelm Julius Förster, den Leiter der Kaiserlichen Normal-Eichungs-Kommission. Sie hofften auf eine Unterstützung und staatliche Beihilfe ihrer Bestrebungen. Förster leitete das Begehren der Jenaer schließlich an den verantwortlichen Geheimen Rat Wilhelm Wehrenpfennig im Preußischen Kultusministerium weiter (vgl. Rohr 1936, 67; Hellmuth und Mühlfriedel 1996, 99f.). Im November desselben Jahres erfuhr man in Jena von einem geplanten staatlichen Institut für Präzisionsmechanik mit einer optischen Abteilung, deren Leitung Otto Schott angetragen wurde. Daraufhin beschlossen Carl Zeiß, sein Sohn Roderich (1850-1919) und Ernst Abbe, eine Genossenschaft mit Schott zu gründen, um die Experimente mit staatlicher Beihilfe in Jena weiterführen und auf eine industriemäßige Grundlage stellen zu können. Abbe informierte Schott über das Vorhaben zur Gründung einer Fabrik für die Herstellung optischer Gläser für wissenschaftliche Instrumente, der sich, wohl auch gebunden „durch die Freundschaft mit Abbe, das geistige Milieu und die
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landschaftlichen Reize Jenas“, entschied, am Ort zu bleiben (Schomerus 1952, 59). Im Folgenden kam es dann nicht zur Gründung eines staatlichen Institutes, sondern zur Einrichtung eines finanziellen Fonds, zur öffentlichen Unterstützung allgemeinnütziger Arbeiten privater Unternehmen. Aus diesem Fond flossen im Jahre 1884, nachdem die Zusage wohl bereits im Oktober 1883 erfolgte, 25.000 Mark nach Jena. Die Aufbauphase der Versuchsanstalt begann dann, parallel zu den Arbeiten im bereits vorhandenen Laboratorium, im Dezember des Jahres 1883. Mit in Kraft treten des von Carl und seinem Sohn Roderich Zeiß, Abbe und Schott vereinbarten Vertrages „betreffend die Gründung einer glastechnischen Versuchsanstalt“ in Jena zum 1. Januar 1884, entstand der Ursprung der Jenaer Glaswerke Schott & Genossen. Bereits am 1. September desselben Jahres konnten der Schmelzbetrieb aufgenommen werden und neue, zum Betrieb notwendige Mitarbeiter eingestellt werden (vgl. Hellmuth und Mühlfriedel 1996, 106-113). Die Höhe der wirklich anfallenden Kosten machten Abbe und Schott sehr schnell bewusst, dass ein zweiter staatlicher Zuschuss beantragt werden müsse. Entscheidend dafür waren Belege über das bisher Erreichte und noch zu Erreichende, die Abbe und Schott dann im Juli und September 1884 lieferten. Förster betonte immer wieder, dass die Glashütte auch Thermometergläser herstellen solle, was dann auch geschah. Im April 1885 wurde den Jenaern die Bewilligung von weiteren 35.000 Mark angezeigt (vgl. Rohr 1936, 68f.). Am 23. Juli 1885 erfolgte die Eintragung der Firma „Glastechnisches Laboratorium Schott & Genossen“ als offene Handelsgesellschaft der vier Partner in das Handelsregister beim GroßherzöglichSächsischen-Amtsgericht in Jena (vgl. Hellmuth und Mühlfriedel 1996, 110). Die Hütte trat mit den meisten optischen Werkstätten Deutschlands in Verkehr und war, abgesehen von bescheidenen früheren Verkäufen, ab 1886 lieferfähig (vgl. Rohr 1936, 73). Die Erfindungen Schotts auch außerhalb der Optik sowie die preußischen Unterstützungen und die Bereitschaft der Gründer, unternehmerische Risiken einzugehen, führten zu einem raschen Anstieg von Umsatz und Beschäftigung und ließen aus der kleine Hütte bald einen ansehnlichen Großbetrieb werden (vgl. Schomerus 1952, 67; Hellmuth und Mühlfriedel 1996, 111).
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Eine besondere Würdigung erfahren die Gründer unter anderem bei Schomerus (1952, 52), wenn dieser schreibt: „Dank dem Weitblick und der Tatkraft der Männer, die in der ersten Hälfte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts die Schmelzung optischen Glases erforschten und den Mut zur Gründung des Jenaer Glaswerkes von Schott & Gen. hatten, ist Deutschland in bezug auf den wichtigen Rohstoff der Optik, das Glas, nicht nur vom Ausland unabhängig geworden, sondern dieses hat selbst in hohem Maße Nutzen von dem wertvollen Erzeugnis gezogen“. Mit den von nun an zur Verfügung stehenden neuen Glasarten und Kristallen und deren Verwendung in den Objektiven war es Abbe möglich, die 1873 begonnenen Versuche zur Hebung „des schlimmen Farbenfehlers“ (BACZ 168) bei Objektiven in einer nie erwarteten Vollendung abzuschließen. Nach den vorher herausgebrachten farbenfreien Linsen, den Achromaten, war Zeiss jetzt in der Lage, farbspurenfreie Linsen, die Apochromate, zu fertigen (vgl. BACZ 168). Bei den farbfehlerkorrigierten Objektiven war Zeiss mit den Apochromaten lange Zeit führend (vgl. Walter 1996, 7). 11.2.2 Wachstumsjahre 11.2.2.1 Von der Manufaktur zum Großbetrieb Als Wendepunkt in der Entwicklung der Werkstätte kann ohne Zweifel das Jahr 1886 angesehen werden. Die deutlich verbesserten Mikroskope ermöglichten Fortschritte in der Forschung, wodurch sich auch die Nachfrage aus den Kreisen der Naturwissenschaften und der Medizin erhöhte, was eine mengenmäßige Anpassung an diese Veränderungen erforderte (vgl. Schomerus 1952, 73f.). Doch auch in anderer Hinsicht stellte dieses Jahr einen Wendepunkt dar. Wurden bisher lediglich Mikroskope und Nebenapparate bei Zeiss hergestellt, so erachtete es vor allem Abbe als notwendig, das Unternehmen auf eine breitere Basis zu stellen. Gerade auch die neuen Gläser aus der Glashütte ermöglichten die Bearbeitung neuer Zweige der Optik (vgl. Schomerus 1952, 75). Abbe (1906, 83) sah in der durchzuführenden Diversifikation die Sicherstellung der wirtschaftlichen Basis
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des Unternehmens, denn: „innerhalb eines so beschränkten Aufgabenkreises [Mikroskopbau] muss zu irgendeiner Zeit einmal eine Periode der Stagnation eintreten, weil Gedanken, die längere Zeit treibende Kraft betätigt haben, einmal ausgelebt und erschöpft sein werden. Was als Ganzes in eine solche Periode der Stagnation gerät, verfällt fast rettungslos innerer Verflachung und dauerndem Verlust der tieferen Triebkräfte. Nur aus einer Mannigfaltigkeit von Aufgaben, die in verschiedenen Interessen wurzeln, kann ein Unternehmen fortgesetzt die neuen Anregungen und Antriebe schöpfen, die, wenn auch einzelnes zeitweilig stagniert, doch dem Ganzen das höhere Niveau der Tätigkeit und Triebkräfte neuen Fortschrittes erhalten“. Nach dem Tode des Gründers Carl Zeiß im Jahre 1888, waren Roderich Zeiß und Ernst Abbe als gleichberechtigte Teilhaber des Zeissbetriebes verblieben. Im Folgenden kam es zu unüberbrückbar scheinenden Unstimmigkeiten hinsichtlich der Geschäftspolitik, weshalb Abbe vorschlug, die Partnerschaft zu lösen, indem einer von beiden aus dem Geschäft aussteigt und ausgezahlt wird. Roderich Zeiß wählte den Ausstieg, so dass Abbe die Firma vom 1. Oktober 1889 an für alleinige Rechnung führte (vgl. Fischer 1936, 89f.). Damit war es ihm möglich, seinen Expansionskurs weiterzuführen und auch den Stiftungsgedanken wirklich werden zu lassen. Felix Auerbach (1903) und Friedrich Schomerus (1940) haben die 1889 von Ernst Abbe gegründete Carl-Zeiss-Stiftung, ihr Entstehen und Ihre Bedeutung für die Universität und die Region und die von ihr ausgehenden sozialen Wirkungen sehr eingänglich beschrieben, so dass ein Verweis an dieser Stelle genügen soll. Erwähnt werden müssen im Zusammenhang mit den Wissenschaftsindustrien des ausgehenden 19. Jahrhunderts und den Wechselwirkungen von Wissenschaft und Wirtschaft jedoch vor allem die Gedanken der „Pflege der Zweige wissenschaftlicher Industrie [...] [und der] Förderung mathematisch-naturwissenschaftlicher Studien ...“, kodifiziert im Paragraphen 1 der Stiftungsurkunde vom 19. Mai 1889 (vgl. Wittig 1993c, 149). Zur Erfüllung dieser Aufgaben gingen 1891 das ZeissWerk vollständig und das Schott-Werk zur Hälfte, im Jahre 1919 dann vollständig in Stiftungsbetriebe über, womit die wirtschaftliche Basis der Stiftung geschaffen wurde (vgl. Wittig 1993b, 67f.). Bereits 1891 förderte die Stiftung den Bau des
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Chemischen Institutes der Universität und wurde in der Folgezeit immer wieder aktiv, wie in den Jahren 1905 bis 1908 als Unterstützungszahlungen zum Bau des Universitätshauptgebäudes flossen (vgl. BACZ 7792; Walter 2000b, 16). Über die Förderung der Universität gingen von der Stiftung weitere wesentliche Impulse, besonders auch für die Stadtentwicklung und des kulturellen Lebens Jenas, aus. So wurden beispielsweise im Jahre 1896 das Volkshaus mit der angeschlossenen Lesehalle und der Ernst-Abbe-Bücherei errichtet, 1908/09 Zuschüsse für den Bau des Volksbades gewährt oder aber 1937 das Ernst-Abbe-Sportfeld eröffnet (vgl. Schumann 1962, 28). Neben dem Kerngeschäft von Zeiss wurde 1890 mit dem Aufbau der Abteilungen „Mess“ (für optische Messinstrumente), geleitet von Dr. Carl Pulfrich (18581927), und „Photo“ die Diversifikation begonnen (vgl. BACZ 7792). Die PhotoAbteilung unter Dr. Paul Rudolph (1858-1935) gewann durch die von ihm patentierten „Zeiss-Anastigmate“ und weiterer nachfolgender Erfindungen, wie das Tessar, rasch an Bedeutung. Von besonderer Wichtigkeit waren dabei vor allem die neuen Glassorten aus der Jenaer Hütte (vgl. Pfeiffer 2002, 32f.). Ging der Umsatz mit Mikroskopen zwischen 1890 und 1896, auch bedingt durch die Verhältnisse auf dem Weltmarkt, zurück, so steigerte sich dieser bei den photographischen Objektiven. Die Umsätze der Mess-Abteilung fielen in diesem Zeitraum noch wenig ins Gewicht (vgl. Schomerus 1952, 84f.). 1893 begann die Herstellung von Prismenfernrohren, womit die erste umfassende Erweiterung des Arbeitsgebietes einen vorläufigen Abschluss fand (vgl. Rohr 1936, 105). Erdfernrohre und Prismenfeldstecher wurden dann im Jahre 1894 in der Abteilung „Fernrohre“ zusammengefasst (vgl. BACZ 7792; Schomerus 1952, 86-92). 1897 gründeten Zeiss und Max Pauly gemeinsam die noch externe Abteilung „Astro“, die dann 1903 im Werk aufging (vgl. Walter 2000b, 45). Mit diesen neuen Produktbereichen betrat das Unternehmen neue zukunftsträchtige Märkte. Der Aufstieg zum Großbetrieb erforderte über das erweiterte Produktportfolio hinaus auch eine dementsprechend leistungsfähige Verkaufsorganisation, hatte sich doch schließlich die Zahl der Kunden erhöht. Max Fischer (1857-1930) war nach dem Ausscheiden von Roderich Zeiß ab 1890 für den kaufmännischen Bereich
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verantwortlich und wurde 1895 Mitglied der Geschäftsleitung (vgl. Schomerus 1952, 108f.). Als Abbe am 14. Januar 1905 starb, wurde Siegfried Czapski (1861-1907) zum neuen Geschäftsleiter. Der Maxime wissenschaftlichen Nachwuchs zu pflegen, folgend, war dieser von Abbe selbst in die technische Optik eingeführt worden und jetzt dessen Nachfolger (vgl. Schomerus 1952, 170). Die Bemühungen, das Unternehmen auf eine breitere Basis zu stellen, wurden in den folgenden Jahren und Jahrzehnten fortgesetzt. Im Zuge dieser Erweiterungen wurden die Abteilungen „Geo“ für Vermessungsgeräte (1908), „Auto“ (1911), die Abteilung für ophthalmologische Geräte und „Opto“ für Brillengläser (beide 1912), für Feinmessgeräte (1918), für Bildmessgeräte (1927) und Zeiss-Aerotopograph (1931) gegründet (vgl. BACZ 7792). Dementsprechend ist in diesen Jahren eine starke Veränderung des Produktportfolios zu erkennen. So wurde im Jahre 1901 mit der Fertigung von Kameras und Auswertegeräten für wissenschaftliche Luftbildaufnahmen begonnen (vgl. Brogiato und Horn 2002, 33). Auch im militärtechnischen Bereich kamen neben den Feldstechern, Scheren- und Zielfernrohren, Periskope für U-Boote, Entfernungsmesser u. a. hinzu. Der Militärumsatz stellte einen nicht unwesentlichen Umsatzanteil von knapp 92 % im Jahre 1918 dar (vgl. Walter 1996, 10f.). Weltruhm erlangte die Firma auch mit ihren Planetariumsbauten. Prof. Walter Bauersfeld (1879-1959), den eine ausgeprägte Ingenieursgeschicklichkeit auszeichnete, war in diesem Geschäftsbereich federführend. Bereits in den Jahren 1905 bis 1907 war dieser als Ingenieur und Konstrukteur und ab 1908 als leitender Ingenieur in Jena tätig (vgl. Schomerus 1952, 171). 1916 begann er mit der Ausarbeitung des Planetariumsprojektes für das „Deutsche Museum“ in München. Auf dem Fabrikdach in Jena konnte im August 1923 erstmalig ein künstlicher Himmel in der Kuppelhalle mit einem Durchmesser von 16 m erstrahlen. Am 7. Mai 1925 folgte dann die Eröffnung des Baus in München. Noch im selben Jahr begannen die Arbeiten für einen zweiten Typ mit Kuppeln von 30 m Durchmesser, wovon das erste dieser Art in Barmen Ende Mai 1926 übergeben werden konnte. Bereits 1929 und 1930 folgten Bauten in Moskau und Chicago (vgl. BACZ 7792).
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Mit der Erweiterung des Betriebes wurden in diesen Jahrzehnten zahlreiche innerbetriebliche und im Jahre 1918 mit der Fachschule für Augenoptik „Hermann Pistor“ eine außerbetriebliche Ausbildungsstätte eingerichtet (vgl. Walter 2000b, 96-98). Im Jahr 1939 folgte die Eröffnung einer Lehrwerkstatt als Betriebsfachschule (vgl. BACZ 19401). Der Aufstieg der Firma wurde seit 1905 von einem regelrechten Bauboom als sichtbarem Ergebnis der Industrialisierung und der ständig steigenden Nachfrage nach Optik „made in Jena“ begleitet. Bereits seit 1896 unterhielt Zeiss ein eigenes Baubüro. Es mussten Grundstücksflächen hinzu gekauft und die Betriebsflächen erweitert werden (vgl. Walter 2000b, 45-51). Neben dem Hauptwerk in der Innenstadt wurden ab 1934 die Bauten am Südwerk und ab 1937 am Nordwerk vorangetrieben (vgl. BACZ 7792). Es kam in den Jahren 1930 bis 1943 nahezu zu einer Verdoppelung der Werksräume von 115.200 auf 220.900 qm (vgl. BACZ 19217). In der Dekade 1900 bis 1910 ist auch ein enormes Bevölkerungswachstum in Jena von 20.700 auf 38.000 Einwohner zu beobachten, dessen Gründe zweifelsohne in der Vergrößerung vom Zeiss-Werk und der Schottschen Glashütte sowie dem Aufblühen der Universität und der Eingemeindung Wenigenjenas liegen. Bis 1950 stieg die Bevölkerung bis auf über 80.000 (vgl. Schultze 1955, 84f., 79). Man kann uneingeschränkt behaupten, dass sich Zeiss in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem der weltweit führenden Unternehmen in der Optik entwickelte und Achtung und Geltung erlangte. Die Marke „Zeiss Jena“ etablierte sich. 11.2.2.2 Kriegsende und getrennte Wege Als am 13. April 1945, kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges, amerikanische Streitkräfte in Jena einmarschierten, fanden sie die komplette Geschäftsführung und ein relativ intaktes Zeiss-Werk vor. Deshalb war es möglich, binnen weniger Tage Teile der zivilen Fertigung wieder aufzunehmen. Ziel war es, wieder in Friedensqualität zu fertigen und die während des Krieges behördlich angeordneten Vereinfachungen und Qualitätsminderungen zu beseitigen (vgl. BACZ, 19217). Qualitätsoptik, wofür der Name Zeiss stand, sollte wieder gefertigt werden.
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Das Interesse der Amerikaner galt Produktionsunterlagen und -abläufen im zivilen wie militärischem Bereich des Unternehmens. Deshalb versuchten eine Reihe von amerikanischen Kommissionen, sich bei Zeiss und Schott einen Überblick über verwertbare Pläne, Patente, Konstruktionszeichnungen und ähnlichem zu verschaffen (vgl. Walter 2000b, 285). Die Zeit war für sie dabei knapp bemessen, denn gemäß der Konferenz von Jalta sollte Thüringen in der zukünftigen sowjetischen Besatzungszone liegen. Bereits am 5. Juni 1945 vereinbarten Truman, Churchill und Stalin den Abzug der Amerikaner zum 1. Juli des Jahres. Das ursprüngliche Ziel einer Verlagerung eines Großteils der Produktionsanlagen war damit nicht mehr realisierbar, weshalb man sich auf die Deportation der Geschäftsführungen von Zeiss und Schott, wichtiger Wissenschaftler, Ingenieure und kaufmännischer Angestellter beschränkte. Insgesamt 126 Personen wurden dann am 23./24. Juni 1945 nach Baden-Württemberg deportiert (vgl. Fügener 1997, 150155). Im schwäbischen Oberkochen gelang den „Zeissianern“ ein Neuanfang. Am 4. Oktober 1946 wurde mit „Opton Optische Werke Oberkochen“ das spätere als „Carl Zeiss Oberkochen“ firmierende Unternehmen gegründet (vgl. Becker 1997, 246). Nach dem Abzug der Amerikaner, wurde Hugo Schrade (1900-1974) am 27. Juni 1945 als neuer Geschäftsleiter in Jena eingesetzt. Mit dem Eintreffen der Sowjets am 1. Juli und der später gegründeten russischen Werkskommission stand das Werk jedoch unter sowjetischer Kontrolle, und Schrade war rechenschaftspflichtig. Der Befehl zur Zwangsverwaltung kam am 31. Dezember 1945 (vgl. Mühlfriedel 2001, 31-33). Es gelang, vor allem bedingt durch Aufträge der russischen Besatzer, die Produktion zu erhöhen. Der Anstieg der Fertigung sowie die Instandsetzung und Beseitigung der Bombenschäden führten zu einem Zuwachs bei der Belegschaft bis Oktober 1946 auf fast 13.000 Mitarbeiter, nachdem im Juli desselben Jahres noch ca. 6.000 Mitarbeiter beschäftigt waren (vgl. BACZ 19217). Am 22. Oktober schienen die Bemühungen der Vergangenheit vergebens. Die Demontage des Werkes, die bis zum 13. März 1947 andauern sollte, begann mit dem Abtransport von 245 „Zeissianern“ und deren Familien in die UdSSR (vgl. Mühlfriedel 2001, 35-38). Die Demontage bedeutete für das Zeiss-Werk den Verlust von fast 94 % seiner Maschinenkapazität und den Abbau von nahezu 89 % der bisheri-
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gen Werkräume (vgl. BACZ 19217). Auch die Belegschaftszahl sank auf nahezu 5.000 Mitarbeiter (vgl. Mühlfriedel 2001, 38). Doch keinesfalls machte sich Mutlosigkeit breit. Für Schrade ging es darum, abermals von Neuem anzufangen (vgl. BACZ, 22073). Im Jahre 1948 wurde dann das industrielle Vermögen der Carl-Zeiss-Stiftung enteignet und am 1. Juli Carl Zeiss Jena zum volkseigenen Betrieb und in die Vereinigung Volkseigener Betriebe Feinmechanik/Optik überführt (vgl. Fügener 1997, 165). Damit verlor die Stiftung am Jenaer Standort ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage und war fortan nicht mehr Kapitaleigentümerin der beiden Stiftungsbetriebe. Die wissenschaftlichen, kulturellen und sozialen Aufgaben blieben ihr jedoch erhalten und konnten sichergestellt werden, da seit 1949 finanzielle Zuwendungen vom späteren Kombinat flossen (vgl. Carl-Zeiss-Stiftung 1979, 30). Am 23. Februar 1949 wurde das schwäbische Heidenheim zum neuen Sitz der Stiftung (vgl. Becker 1997, 247). Trotz der beschriebenen Widrigkeiten zwischen 1945 und 1948 war es Zeiss Jena möglich, in der Folgezeit zum Technologieführer in der Optik im sozialistischen Wirtschaftsraum zu werden und seinen Weltruf wieder zu erlangen und zu behaupten. Verschiedene Betriebseingliederungen in den 50er Jahren und nach der Kombinatsbildung im Jahre 1965 ließen das Unternehmen immer größer und zum Leitbetrieb der „feinmechanisch-optisch-elektronischen Industrie“ der DDR werden. In der DDR entwickelte sich Zeiss ab 1976 unter Leitung des Generaldirektors Wolfgang Biermann (1927-2001) zum „Kombinat der Hochtechnologie“ (vgl. Kasten 1997, 183-185). Mit der 1958 eröffneten zentralen Betriebsschule und dem angebotenen ESP-Unterricht, der Schülern eine sowohl theoretische als auch praxisbezogene Einführung in die Sozialistische Produktion geben sollte, der 1961 eingeführten „Berufsausbildung mit Abitur“ und dem 1963 gegründeten heutigen „Carl-Zeiss-Gymnasium“ mit naturwissenschaftlichen Spezialklassen befand man sich in der Kontinuität, das vom Unternehmen benötigte Humankapital zu bilden (vgl. Esche 1975, o. S.).
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In den einzelnen Geschäftsbereichen gelang es dem Unternehmen immer wieder, dem Markt innovative Produkte zuzuführen. Bekannt wurde vor allem in der Photogrammetrie die Multispektralkamera (MKF-6) durch Ihren Einsatz an Bord der russischen Raumfähre Sojus 22 im Jahre 1976. Mit der Kamera gelangen detaillierte Bilder der Erdoberfläche (vgl. Carl-Zeiss-Stiftung 1979, 14). Auch bei den Planetarien war es möglich, an die Erfolge der Vergangenheit anzuknüpfen, und so konnte 1954 mit der Serienfertigung des Kleinplanetariums ZKP 1 begonnen werden. Es folgten weitere Modifizierungen und 1984 das Großplanetarium Cosmorama. Auch auf dem Gebiet der Mikroelektronik wurde das Kombinat aktiv und entwickelte den ersten 1-Megabit-Chip der DDR, der 1988 vorgestellt werden konnte (vgl. Kasten 1997, 185). 11.2.2.3 Ende des Kombinats und Neuanfänge Mit dem politischen Umbruch in der DDR 1989 wurde das Ende des zu diesem Zeitpunkt ca. 69.000 Mitarbeiter zählenden und 25 Betriebe umfassenden Kombinats eingeleitet. Mit der Übernahme durch die Treuhandanstalt am 1. Juli 1990 erfolgte die Aufspaltung, wobei sich aus dem Stammbetrieb mit über 30.000 Beschäftigten und 13 Betrieben die Jenoptik Carl Zeiss Jena GmbH herausbildete. Die restlichen 12 Unternehmen wurden ausgegliedert (vgl. Bohn 1993, 175). Den wichtigsten Problemen, wie die nicht mehr vorhandene Wettbewerbsfähigkeit oder die deutlich verschlechterten Absatzbedingungen im ehemaligen Ostblock, konnte damit nicht abgeholfen werden. Für den Standort Jena bedurfte es einer dauerhaften Lösung. Mit der Grundsatzvereinbarung vom Juni 1991 zwischen Treuhandanstalt, den Ländern Thüringen und Baden-Württemberg, der Jenoptik Carl Zeiss Jena GmbH, der Firma Carl Zeiss Oberkochen, der Jenaer Glaswerk GmbH und der Fa. Schott Glaswerke Mainz wurde der rechtliche Rahmen für die Entflechtung der ehemaligen Kombinatsbetriebe und die Gründung der Jenoptik GmbH und der Carl Zeiss Jena GmbH geschaffen. Während die Carl Zeiss Jena GmbH mit Sitz im Südwerk zur Tochter der Oberkochener Zeisswerke wurde und den Bereich der Produktion behielt, entstand mit der JENOPTIK GmbH der Rechtsnachfolger des Zeiss-Kombinats. Die Jenoptik übernahm die Geschäftsbereiche Optoelektronik, Systemtechnik, Präzisionsfertigung und Qualitätsmechanik
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und trieb mit der 1992 gegründeten Aufbaugesellschaft Ostthüringen die Strukturentwicklung in Jena voran (vgl. Bohn 1993, 176-179). Binnen weniger Jahre gelang es aus dem in den 1970er Jahren entstandenen Zeissproduktionsstandort in Göschwitz ein Technologiezentrum entstehen zu lassen, welches die Jenoptik im Juli 1995 eröffnen konnte. Zahlreiche Neuansiedlungen fanden hier einen Standort und profitieren von der räumlichen Nähe zu anderen Firmen (vgl. Jenoptik 1996, 56-59). Die Carl-Zeiss-Stiftung Jena wurde, angesichts der Heidenheimer Stiftung mit gleichem Namen, nicht revitalisiert. Vielmehr brachte sie ihre Warenzeichenrechte und Lizenzen in diese ein, die nun an beiden Standorten unternehmerisch tätig werden konnte. Einrichtungen wie das Planetarium oder das Optische Museum und das übrige nicht-industrielle Vermögen der Jenaer Stiftung wurden in der 1992 neu gegründeten Ernst-Abbe-Stiftung fortgeführt (vgl. Bohn 1993, 176f.). Zweck dieser Stiftung ist die Förderung von Wissenschaft, Forschung und Innovation, womit sie in der Tradition Abbes steht. Als Bauherr und Eigentümer und über die BioCentiv GmbH, als Betreiber des im Jahre 2000 eröffneten Jenaer Bioinstrumentezentrums auf dem Beutenberg-Campus, beteiligt sich die Stiftung sichtbar an der Innovationsförderung in der Region (vgl. Ernst-Abbe-Stiftung, o. J.). Damit ist auch schon eine neue Entwicklungstendenz für Jena angesprochen. Mit einem Sondervotum im BioRegio-Wettbewerb des Bundesministerium für Bildung und Forschung im Jahre 1996 war es möglich, die Gründung neuer Unternehmen und deren Wachstum in einem Netzwerk zu fördern und zu begleiten (vgl. Bioregio 2000, 13-15). Damit scheint am Ausgang des 20. Jahrhunderts der Grundstein für die Biotechnologie als eine neue Kompetenz in Jena gelegt.
11.3 Schluss Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Entwicklung der feinmechanisch-optischen Industrie und die Entwicklung der Stadt eng miteinander verknüpft waren und Elemente eines Clusters am Standort vorhanden waren bzw. entstanden.
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Es zeigt sich am Jenaer Beispiel sehr klar, dass eine aufgeschlossene Obrigkeit und damit auch die entsprechenden Rahmenbedingungen für das Entstehen fortschrittlicher Unternehmen wie Zeiss und Schott von Bedeutung waren. Es ist aber ebenso zu erkennen, wie diese Rahmenbedingungen nicht unwesentlich von den Unternehmen selbst und der später gegründeten Carl-Zeiss-Stiftung positiv verändert wurden. Ohne die Stiftung wäre so manche Wohlfahrt, Unterstützung für die Universität oder Förderung der Stadt zweifellos unterblieben. Von entscheidender Bedeutung war auch immer das Zusammenwirken von Industrie und Wissenschaft. Zeiß erkannte sehr früh, dass der Gerätebau ein Beitrag zur Förderung der Naturwissenschaft, Technik und Medizin, aber auch die wissenschaftliche Forschung von großem Wert für die Industrie ist. Gerade der Wissenschaftler Jacob Schleiden lenkte den eigentlichen Mechaniker Carl Zeiß ganz wesentlich in Richtung Optik. Mit Ernst Abbe, dem Theoretiker und umsetzenden Pragmatiker rückte das „systematisch-wissenschaftliche Element“ (Walter 2000b, 97) in den Vordergrund und es begann eine sowohl für das Unternehmen als auch für die Universität nutzenstiftende Zusammenarbeit. Darüberhinaus war mit der Universität auch ein wichtiger Nachfrager Zeiss´scher Optik vorhanden. Für die Wissensindustrien des 19. und 20. Jahrhunderts stellte der Faktor Humankapital ein ganz besonders wichtiges Element dar, bestimmt doch die Qualität des menschlichen Arbeitseinsatzes den Fortschritt von Produktion und Wirtschaft (vgl. Walter 2000a, 11). Die Ausbildung dieser wichtigen Ressource wurde bei Zeiss von Beginn an gefördert und über die Jahre nicht vernachlässigt, wie die Entwicklungen in diesem Bereich gezeigt haben. Das Heranziehen qualifizierten und an exakte Arbeit gewöhnten Personals stellt zweifelsohne einen wesentlichen Faktor dar. Ebenso war es, wie Abbe (1906, 70) selbst schon einschätzte, „für den Erfolg ganz wesentlich gewesen, dass Zeiss gleich von Anfang an alles darauf anlegte, in seiner kleinen Werkstatt eine sehr exakte Technik einzubürgern, die unsichere Geschicklichkeit der Hand überall unter die Kontrolle strenger Prüfungsmethoden zu stellen“. Das wirtschaftliche und wissenschaftliche Umfeld ließen nicht nur Abbe und Schott nach Jena kommen und dort bleiben, sondern auch Personen wie Bauers-
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feld und Rudolph hier forschen, die durch ihren Erfindungsreichtum auf ihren Gebieten immer wieder Inventionen und Innovationen vorantrieben. Die daraus folgenden neuen Produkte und der hohe Anspruch an Präzision sicherten das lange Bestehen der optischen Industrie am Standort Jena. Die Konzessionsverweigerung in Weimar führte Zeiß nach Jena, wo eine entsprechende Nachfrage insbesondere aus der Wissenschaft vorhanden war. Das Humankapital konnte, soweit noch nicht verfügbar, entwickelt bzw. angezogen werden. Ebenso entstand mit staatlicher Unterstützung das Glaswerk als Lieferant dringend benötigter Glassorten. Im Ergebnis entwickelte sich mit dem Zeiss-Werk ein international wettbewerbsfähiges Unternehmen und ein Zentrum für Feinmechanik und Optik und der Kern des Jenaer Clusters. Der Standort Jena wurde zum Erfolgsfaktor für die Feinmechanik und Optik. Heute stellt sich die Wissenschaftslandschaft und Wirtschaftsstruktur der Region mit der Universität, der Fachhochschule Jena, den angesiedelten Forschungsinstituten, zahlreichen Neu- und Ausgründungen aus der Universität und anderen Forschungseinrichtungen, vor allem im Bereich der Biotechnologie, vielen mittelständischen sowie einigen börsennotierten Unternehmen sehr heterogen dar. Das Bild Jenas hat sich gewandelt – vom „Opto-Valley“ zum „Bio-Valley“.
11.4 Referenzen Quellen Betriebsarchiv Carl Zeiss Jena (BACZ) BACZ 168 (Die Apochromate vom Sommer 1886) BACZ 7792 (Wichtigere Daten aus der Geschichte des Zeisswerkes) BACZ 19217 (Übersicht über die Entwicklung der Firma Carl Zeiss, Jena) BACZ 19401 (Lehrwerkstatt und Werk-Berufsschule in ihrer Entwicklung von 1939-1955) BACZ 22073 (Protokoll der Leiterbesprechung vom 9. November 1946)
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12 Die Entstehung eines Biotech-Clusters im Innovationssystem Jena Eva-Maria Stegemann
12.1 Einleitung Seit einigen Jahren greift der weltweite Biotechnologie-Boom aufgrund der veränderten rechtlichen, politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen auch auf Deutschland über. Eine rasante technologische und ökonomische Entwicklung kann stattfinden, die dazu führt, dass Deutschland in Europa seit 2000 hinsichtlich der Anzahl an Biotechnologie-Unternehmen an der Spitze steht (vgl. Ernst & Young 2001). Die Auswirkungen des Booms erstrecken sich auch auf an die Biotechnologie angrenzende Industriezweige, wie z. B. den wissenschaftlichen Apparatebau. Als Startpunkt für den deutschen Boom gilt der in 1995 ausgeschriebene BioRegio-Wettbewerb des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (bmbf). Die in diesem Wettbewerb mit einem Sondervotum prämierte Region Jena positioniert sich mit dem BioInstrumente-Konzept weniger in den Hauptfeldern der Biotechnologie, sondern in einem Schnittstellenbereich zwischen Biotechnologie und angrenzenden Technologiefeldern. Grundlage hierfür sind die vorhandenen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Kompetenzen insbesondere in der Optik, im Apparatebau und in der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung in den Bereichen Biologie und Physik. In Jena wurden zwischen 1996 und 2001 mehr als 30 Unternehmen gegründet, deren Tätigkeit größtenteils in diese Grenzbereiche der Biotechnologie fällt. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die Entstehung und Entwicklung der BioRegion Jena, die unter den 1995 am BioRegio-Wettbewerb teilnehmenden Regionen nicht nur die kleinste, sondern auch die einzige ist, die sich explizit auf technologische Nischengebiete konzentriert. Die folgenden Hypothesen bilden den
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Ausgangspunkt der Betrachtung und werden anhand der dargestellten Daten und Fakten diskutiert: Hypothese 1: Bereits vor dem BioRegio-Wettbewerb ist Jena ein Innovationssystem, das die Voraussetzungen für die Ausbildung eines lokalen Biotech-Clusters weitgehend erfüllt. Hypothese 2: Die Ausschreibung des BioRegio-Wettbewerbs ist der entscheidende Auslöser für das Take-off des Biotech-Clusters Jena. Hypothese 3: Das Sondervotum wirkt als zusätzlicher Katalysator, der die positive Wirkung des Wettbewerbs verstärkt und die Entwicklung des Biotech-Clusters beschleunigt. Im Folgenden wird zuerst ein Überblick über die Bedeutung von Innovationssystemen und lokalen Clustern für die Kommerzialisierung der Biotechnologie gegeben. Im Anschluss wird das Konzept des BioRegio-Wettbewerbs erläutert und die Auswirkung des Wettbewerbs auf die Entwicklung der Biotechnologie-Branche in Deutschland skizziert. Darauf folgt eine Darstellung des Jenaer BioinstrumenteKonzepts, seiner Umsetzung sowie der Entwicklung des Standortes während der Förderung durch das bmbf. Der Artikel endet mit einer Diskussion der Eingangshypothesen und einem Ausblick.
12.2 Innovationssysteme in der Biotechnologie 12.2.1 Die Bedeutung von Innovationssystemen in der Biotechnologie Biotechnologie steht für eine Vielzahl unterschiedlicher Technologien und Verfahren, die eine Gemeinsamkeit aufweisen: sie verwenden lebende Organismen oder Teile von diesen in Produktions- und Herstellungsprozessen, zur Analyse von Organismen bzw. ihrer Bestandteile oder als Therapeutika (vgl. Saviotti 1998). Die moderne Biotechnologie umfasst innovative Methoden, die seit Beginn der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts entwickelt werden. Zu den Pioniertechnologien gehören die Polymerase-Kettenreaktion, die Herstellung von rekombinanten Proteinen und monoklonalen Antikörpern. Jüngere Entwicklungen sind z. B.
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die Klonierung von Säugetieren, Biochips, Bioinformatik und die Züchtung komplexer Gewebekulturen im Labor. Aufgrund der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten, die neben der Medikamententwicklung z. B. auch agrarbiologische Produkte und Umweltanwendungen umfassen (vgl. Ernst & Young 1998), ist die Biotechnologie eine klassische Querschnittstechnologie. Der Beginn der kommerziellen modernen Biotechnologie wird in der Gründung des Unternehmens Genentech in 1976 in San Francisco gesehen (vgl. Saviotti 1998). Während die Biotech-Branche in den Anfangsjahren vor allem in den USA und auch in Großbritannien lokalisiert ist, kann in den letzten Jahren ein starkes weltweites Wachstum verzeichnet werden. Nach Erhebungen von Ernst & Young gibt es im Jahr 2002 weltweit über 4000 Biotech-Unternehmen (vgl. Ernst & Young 2002). Die Basis dieser Entwicklung bildet ein rasanter technologischer Fortschritt in den Biowissenschaften und angrenzenden Technologien: „Keeping track of biotechnology, in all its different guises, is a daunting task. The scope and speed of ‘biotechnology research’ constantly expands.“ (Marshall 2000, 1). Dabei besteht eine enge Verknüpfung zwischen akademischer Grundlagenforschung und der kommerziell verwertbaren angewandten Forschung (vgl. Bartholomew 1997). Die Entwicklung von Innovationen und die Kommerzialisierung neuer Technologien findet meist in Clustern statt (vgl. Porter und Stern 2001). Ein Cluster besteht aus „geographic concentrations of interconnected companies and institutions in a particular field.“ (Porter und Stern 2001, 29). Auch die Biotech-Branche entwickelt sich von Beginn an in solchen Agglomerationen, z. B. in der Gegend um San Francisco (Bay Area) und in der Gegend um Boston, die heute noch die größten und erfolgreichsten Biotech-Cluster sind (vgl. Boston Consulting Group 2001). Ein großer Vorteil von Clustern liegt in der Vernetzung der verschiedenen Akteure, die sowohl in Form vertraglich festgeschriebener Kollaborationen aber auch in informellen Beziehungen bestehen kann (vgl. Powell 1998). Besonders in Branchen mit rascher technologischer Entwicklung können interorganisationale, lernende Netzwerke einen wichtigen Beitrag zur Innovationsfähigkeit der Unternehmen leisten (vgl. Powell, Koput und Smith-Doerr 1996)
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Ein Cluster ist Teil eines komplexeren Innovationssystems. „The factors [which had facilitated the commercialization of biotechnology in the U.S.] are not independent of the context in which they have developed... Neither scientific and technological competences in molecular biology and genetic engineering, nor venture capital units, developed in the U.S. purely by accident. They are partly related to features of the economic and social environment of that country and such features are not easily reproducible elsewhere.“ (Saviotti 1998, 38). Das Konzept des nationalen Innovationssystems beschreibt die Einflussfaktoren, die auf nationaler Ebene auf die Innovationsaktivität wirken, wie z. B. Wissenschaft, Industrie, Institutionen und geltendes Recht (vgl. Bergmann und Feser 2001). Für unterschiedliche Technologiegebiete können verschiedene Komponenten des nationalen Innovationssystems relevant sein (vgl. Archiburgi, Howells und Michie 1999). Als Kriterien für den Vergleich der nationalen Biotech-Innovationssysteme der USA, Deutschlands, Großbritanniens und Japans identifizierte Bartholomew (1997, 246) die Parameter: „tradition of scientific education; pattern of basic research funding; linkages with foreign research institutions; degree of commercial orientation of academia; labour mobility; venture capital system; national technology policy; and technological accumulation in related industrial sectors“. Der empirische Vergleich Mitte der neunziger Jahre ergibt, dass nur das System der USA für die Kommerzialisierung der Biotechnologie geeignet ist (vgl. Bartholomew 1997). Allein Großbritannien, dessen institutionelles System die Autorin als traditionell dysfunktional beschreibt, hat zu dem Zeitpunkt bereits Reformen eingeleitet, die die Entstehung einer nationalen Biotech-Branche erleichtern (vgl. Bartholomew 1997) und die ihm in Europa eine Vorreiterrolle einbringt (vgl. z. B. Ernst & Young 1994 und 1998). Auch dort kann von Anfang an eine Clusterbildung, insbesondere in der Region um Cambridge, beobachtet werden (vgl. Ernst & Young 1994). Dem deutschen System wird in der Studie eher die Förderung inkrementeller Innovationen denn die Förderung von radikalem technologischem Wandel bescheinigt, und in der deutschen Gesellschaft wird ein Widerstand gegen moderne Gentechnologien beobachtet (vgl. Bartholomew 1997). Doch gibt es auch in Deutschland zu dieser Zeit bereits erste, wenngleich bescheidene Bestrebungen zur Kommerzialisierung der Biotechnologie (vgl. Ernst & Young 1997).
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Auch im regionalen und lokalen Kontext findet das Konzept Innovationssystem Anwendung (vgl. Cooke, Gomez Uranga und Etxebarria, 1997). Regionale und lokale Innovationssysteme komplementieren die nationalen Systeme, indem sie mit Bezug auf die lokalen und regionalen Erfordernisse versuchen „to integrate the whole industrial fabric within a given regionally administered space.“ (Braczyk, Cooke und Heidenreich, 1998, vii). Sie bilden Systeme einer gemeinschaftlichen Ordnung, die auf gegenseitigem Verstehen, Vertrauen und Reziprozität zwischen den Mitgliedern der Innovationsgemeinschaft basieren (vgl. Cooke 1998). Cluster sind somit immer Bestandteil und bestehen vor dem Hintergrund von lokalen und regionalen Innovationssystemen, deren Ausprägung den Erfolg eines Clusters wesentlich beeinflusst.
12.3 Anforderungen an Innovationssysteme in der Biotechnologie Ein Modell zur Analyse von Standortfaktoren, das sich im Zusammenhang mit der Bildung von Clustern heranziehen lässt, ist das Diamant-Modell (vgl. Porter 1990a, Porter 1990b), das in Abbildung 12.1 dargestellt ist. Die Einflussfaktoren, die positiv auf eine Clusterbildung wirken, sind: Faktorkonditionen, d. h. die Verfügbarkeit von qualifiziertem Personal und einer tragfähigen Infrastruktur; die nationale Nachfragesituation, insb. anspruchsvolle Kunden; das Vorhandensein verwandter und unterstützender Branchen, die international wettbewerbsfähig sind; die (rechtlichen) Rahmenbedingungen für Unternehmensgründung und -organisation sowie die Wettbewerbssituation (vgl. Porter 1990b).
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Chance
FIRM STRATEGY, STRUCTURE, AND RIVALRY
DEMAND CONDITIONS
FACTOR CONDITIONS
RELATED AND SUPPORTING INDUSTRIES
Government
Abbildung 12.1: Der Diamant von Porter (1990, 127) Überträgt man diese Anforderungen auf die Bedürfnisse von Biotech-Clustern, so müssen die folgenden Voraussetzungen gegeben sein: • qualifiziertes Personal und Infrastruktur: in den Biowissenschaften ausgebildete Wissenschaftler und technische Assistenten, Manager mit relevanten Erfahrungen, für Biotech-Unternehmen geeignete Gewerbeflächen sowie akademische Einrichtungen der Grundlagenforschung (vgl. auch Boston Consulting Group 2001); • Nachfrage: Entsprechend der von Biotech-Unternehmen bedienten Märkte, z. B. ein funktionierendes Gesundheitssystem, eine wettbewerbsfähige pharmazeutische und chemische sowie Agrar- und Umwelt-Industrie; • Verwandte und unterstützende Branchen: z. B. chemische, pharmazeutische Industrie, wissenschaftlicher Apparatebau, Maschinenbau, optische Industrie; • Unternehmensstrategie, -struktur und Wettbewerb: z. B. gute Rahmenbedingungen für Unternehmensgründungen, Unternehmen mit Vorbildfunktion und v. a. auch Konkurrenz.
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Ähnlich wie beim nationalen Innovationssystem ist davon auszugehen, dass die Anforderungen unterschiedlicher Branchen auch an regionale und lokale Innovationssysteme unterschiedlich sind. So findet anders als in vielen Branchen in der Biotechnologie z. B. die Integration von Grundlagenforschung und angewandter Forschung weniger innerhalb von Unternehmen als vielmehr zwischen Unternehmen und akademischen Forschungseinrichtungen statt (vgl. Bartholomew 1997; Powell 1998). Für Biotech-Unternehmen ist somit das Vorhandensein von und der Austausch mit lokalen akademischen Forschungseinrichtungen von hoher Bedeutung. Der Vorteil der räumlichen Nähe resultiert aus dem dadurch möglichen Informationsvorsprung. „The more proximate another organization is, the greater the level of information that is likely to be available. As models suggest, spatial proximity also leads to greater levels of interaction between firms“ (Green 1990, 43). Dies ist von Bedeutung, da biotechnologisches Wissen, vor allem Wissen um neue Techniken und Technologien, meist einen impliziten Charakter hat und somit nur durch direkte Interaktion, z. B. durch das gemeinsame Bearbeiten eines Projektes, übertragbar ist (vgl. Nonaka 1991). Dies erklärt auch die hohe Bedeutung von erstklassigen Wissenschaftlern, sogenannten „Star-Scientists“, die bahnbrechende oder innovative Entdeckungen und Erfindungen gemacht haben, für die Gründung von Biotech-Unternehmen (vgl. Zucker, Darby und Torero 2002). Sie bilden häufig den Keim der Unternehmensgründung (vgl. Zucker, Darby und Torero 2002) und bestimmen auch oft den Standort des Unternehmens (vgl. Zucker, Darby und Brewer 1998). Daher ist das Vorhandensein von Star-Scientists ebenfalls ein wichtiger Faktor eines lokalen Innovationssystems. Weitere Faktoren, die für Biotech-Cluster von Bedeutung sind, und die über Porters Forderungen hinausgehen, werden in einer Studie der Boston Consulting Group aus dem Jahr 2001 analysiert. Dies sind die Qualität der lokalen akademischen Forschung, das Vorhandensein eines gut funktionierenden Technologietransferprozesses und die Verfügbarkeit von Risikokapital und staatlicher Förderung (vgl. Boston Consulting Group 2001). Aufgrund der zahlreichen Auflagen und Genehmigungsverfahren, denen die biotechnologische Forschung und Entwicklung unterliegt und die meist auf nationaler Ebene festgelegt werden, ist auch
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deren Implementierung durch die zuständigen Behörden der lokalen und regionalen Innovationssysteme relevant.
12.4 Der BioRegio-Wettbewerb des bmbf 12.4.1 Motivation, Konzept und Sieger Bis Mitte der neunziger Jahre ist die kommerzielle Biotechnologie in Deutschland wenig entwickelt. Zwar gibt es in den achtziger Jahren von Seiten der deutschen Pharmaindustrie Bestrebungen zur Entwicklung biotechnologischer Produkte, doch verlegten diese Ende der achtziger Jahre größtenteils ihre biotechnologischen Forschungsaktivitäten in die USA (vgl. Ernst & Young 1998). Dies ist die Reaktion auf ein zunehmend ungünstiges gesellschaftspolitisches und ökonomisches Klima, was sich auch in dem 1990 in Kraft tretenden restriktiven GenTechnikGesetz (GenTG) äußert (vgl. Ernst & Young 1998). Zudem gibt es in den USA bereits zahlreiche innovative Biotech-Unternehmen, deren Technologievorsprung sie für die deutschen Großunternehmen als Kooperationspartner attraktiv macht (vgl. Ernst & Young 1998). Anfang der 90er Jahre wächst in Europa zunehmend das Bewusstsein, dass Biotechnologie eine Schlüsseltechnologie ist (vgl. Ernst & Young 1994). In Deutschland führt dies u. a. zur Novellierung des GenTG, so dass Restriktionen und Genehmigungsverfahren für die gentechnische Forschung aufgehoben bzw. vereinfacht werden (vgl. Ernst & Young 1998). Dennoch entwickelt sich die Kommerzialisierung der Biotechnologie in Deutschland, trotz internationaler Spitzenstellung in der Forschung, nur zögerlich (vgl. Bartholomew 1997), weshalb von Seiten der Politik mit Sorge reagiert wird (vgl. Dohse 2000). Sie reagiert 1995 mit der Ausschreibung des BioRegio-Wettbewerbs, dessen Ziel es ist, „erfolgreiche und weithin – auch international – sichtbare Zentren biotechnologischer Forschung und Anwendung in Deutschland zu schaffen“ (bmbf 1996, 8). Hierzu soll auf regionaler Ebene eine interdisziplinäre Vernetzung der vorhandenen biologischen Forschung erreicht und eine unterstützende Dienstleistungs-
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struktur entwickelt werden (vgl. bmbf 1996). Dies soll zu einer Gründungswelle von „kleinen aus der Wissenschaft heraustretenden Biotechnologie-Unternehmen“ führen (bmbf 1996, 8). Am Wettbewerb teilnehmen können selbst definierte Regionen, die in einem schlüssigen Konzept darstellen müssen, wie die in der Region bereits vorhandene biotechnologische Infrastruktur genutzt und mit dem Ziel der Kommerzialisierung wissenschaftlicher Forschung, weiterentwickelt werden kann. Auf Basis eines den politischen Zielen entsprechenden Kriterienkatalogs soll eine Jury die drei besten Regionen auswählen (vgl. bmbf 1996). Die Kriterien lassen sich in drei Kategorien einteilen: bestehende Ausstattung der Regionen mit biotechnologischer „Hardware“, d. h. relevante Unternehmen, Forschungseinrichtungen etc.; das politische Umfeld und das Finanz- und Dienstleistungsangebot für die Entwicklung einer BioRegion; die lokale und regionale „Software“, d. h. bestehende Interaktionen zwischen Wissenschaftlern und Forschungseinrichtungen unterschiedlicher Fachrichtungen, sowie Strategien, das vorhandene Know-how in Produkte zu überführen (vgl. Dohse 2000). Insgesamt 17 Regionen bewerben sich. Als Sieger prämiert werden das RheinNeckar-Dreieck, München und das Rheinland. Sie erhalten jeweils eine Förderung von 50 Mio. DM, die über eine Laufzeit von fünf Jahren für Projektanträge von Unternehmen sowie zum Aufbau der regionalen Koordinierungsstellen verwendet werden kann (vgl. Ernst & Young 1998). Zusätzlich erhalten sie Priorität bei der Vergabe von Fördermitteln aus dem Biotechnologie-Fachprogramm des bmbf mit einem jährlichen Gesamtvolumen von 200 Mio. DM (vgl. bmbf 1996). Entgegen der ursprünglichen Konzeption des Wettbewerbs wird mit Jena eine weitere Region prämiert, „weil das Jenaer Konzept ein besonders klares und in sich geschlossenes Profil gezeigt hat. In der Breite konnte dieses Konzept nicht an die konkurrierenden großen Regionen heranreichen. Aber in der Tiefe, nämlich auf dem speziellen Gebiet der Bioinstrumente…“ (Molitor 2000, 34). Mit einem Sondervotum der Jury erhält die kleinste BioRegion Deutschlands somit eine Förderung von bis zu 30 Mio. DM, die sie ebenso wie die Siegerregionen einsetzen kann (vgl. www.bioinstrumente-jena.de/dt/ 2002).
300
12.4.2 Auswirkungen des BioRegio-Wettbewerbs auf die Entwicklung der BioRegionen Eine umfassende Analyse der Auswirkungen des BioRegio-Wettbewerbs auf die Entwicklung der einzelnen BioRegionen würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Hierzu wäre eine detaillierte Betrachtung der Regionen unter Berücksichtigung ihrer Besonderheiten erforderlich. Eine wesentliche Frage ist jedoch, ob nur die Siegerregionen von dem Wettbewerb, bzw. inwieweit sie besonders von ihrer Auszeichnung, profitierten. Ein Indikator, um den Erfolg des Wettbewerbs zu untersuchen, ist die Anzahl der Unternehmensgründungen in den BioRegionen. Da die Zahlen zu den BioRegionen nur für einen begrenzten Zeitraum verfügbar sind und jüngere Erhebungen die Bundesländer als Unterteilungskriterium verwenden, muss die Entwicklung der Bundesländer als Hilfsmaßstab herangezogen werden. Die hier nicht dargestellten graphischen Abbildungen in den verschiedenen Biotech-Reports von Ernst & Young dokumentieren, dass der Großteil der deutschen Biotech-Unternehmen in kleineren und größeren Clustern lokalisiert ist, die den BioRegionen entsprechen (vgl. z. B. Ernst & Young 1998, 2000, 2002). Ein Vergleich der verschiedenen Statistiken ist aufgrund der zugrunde liegenden uneinheitlichen Definitionen von Biotech-Unternehmen jedoch schwierig. Die in Abbildung 12.2 wiedergegebene Aufstellung bildet die Zahl der BiotechUnternehmen im Jahr 1996 in den BioRegionen sowie die bis April 1998 dort gegründeten Unternehmen ab. In den ersten eineinhalb Jahren nach der Prämierung ist in fast allen Regionen eine starke Gründungstätigkeit zu beobachten. Daten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young, die die Anzahl der BiotechUnternehmen in den Bundesländern erheben, belegen ähnliches (vgl. Ernst & Young 1998, 2000a, 2002a). In den Statistiken unterscheidet Ernst & Young zwischen Core-Biotech-Unternehmen, deren Geschäftstätigkeit ausschließlich in der Kommerzialisierung der modernen Biotechnologie liegt, und Extended-CoreBiotech-Unternehmen, bei denen nur ein Teil der Geschäftstätigkeit (> 50 %) in diesem Bereich liegt. Zu letzteren zählen auch Unternehmen mit BioInstrumenteFokus.
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Gründungen bis April 1998 Unternehmen bis 1996 11 16 12 20 20
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Anzahl Unternehmen
Biotech-Unternehmen in den BioRegionen
Abbildung 12.2: Entwicklung von Unternehmensgründungen in den BioRegionen (Quelle: Dohse 2000, 1129)
Die Statistiken zeigen, dass die Bundesländer in denen die drei Siegerregionen liegen, sowohl die meisten Core-Biotech-Unternehmen aufweisen als auch die meisten Extended-Core-Unternehmen (vgl. Ernst & Young 1998, 2000a, 2002a). Der Vergleich der Bundesländer zeigt jedoch auch, dass die Zahl der BiotechUnternehmen in allen Bundesländern zugenommen hat (vgl. Ernst & Young 1998, 2000a, 2002a). Auch Länder ohne prämierte Regionen weisen hohe Zuwachsraten auf. Allerdings ist das absolute Wachstum in den Siegerregionen und auch in Berlin-Brandenburg stärker als das der anderen Regionen. Dass der BioRegio-Wettbewerb tatsächlich die Ursache der deutschlandweiten Zunahme von Biotech-Unternehmensgründungen ist, kann im Nachhinein kaum eindeutig belegt werden. Es ist davon auszugehen, dass zahlreiche Faktoren für diese Entwicklung eine Rolle spielen. Hierzu zählen vor allem auch die verbesserten Finanzierungsmöglichkeiten für technologieorientierte Unternehmensgrün-
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dungen. Darunter fallen neben einer größeren Verfügbarkeit von Wagniskapital auch spezielle Förderprogramme, wie z. B. die vom bmbf konzipierten Programme FUTOUR und BTU, aber auch das Refinanzierungsprogramm für Eigenkapitalbeteiligungen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) (vgl. Ernst & Young 1998). Allerdings kann der BioRegio-Wettbewerb als deutliches Signal eines veränderten politischen Willens interpretiert werden. Er stellt aus mehreren Gründen eine tiefgreifende Veränderung im nationalen Innovationssystem Deutschlands dar: er richtet sich an eine Branche, die stark von radikalen Innovationen geprägt ist; er hat die Zielsetzung mittels einer nationalen Initiative, Veränderungen in regionalen und lokalen Innovationssystemen zu bewirken; er führt ein Element des Wettbewerbs zwischen den Regionen ein (vgl. ähnlich Dohse 1998). Diese Gründe belegen die große Bedeutung des Wettbewerbs und stützen die Hypothese, dass er für die Entwicklung der Biotechnologie in Deutschland das zentrale Element darstellt.
12.5 Die Entwicklung der (Bio-)Region Jena bis 1995 12.5.1 Die Entwicklung bis 1990 Jena kann auf eine lange Tradition wissenschaftlicher Exzellenz zurückblicken. Mit der Gründung der Universität im Jahr 1548 ist die Stadt einer der ältesten Hochschulstandorte Deutschlands. Renommierte Geistes- und Naturwissenschaftler forschen und lehren an der Universität und prägen das kulturelle und soziale Leben der Stadt. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung Jenas und gleichzeitig als Begründer des Rufes Jenas als innovatives Technologiezentrum werden jedoch die Namen Zeiss, Abbe und Schott in Verbindung gebracht. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts ist in Jena kaum Industrie vorhanden. 1846 gründet Carl Zeiss eine Werkstatt für Feinmechanik und Optik, bereits im Folgejahr beginnt er erste einfache Mikroskope zu bauen (vgl. Schilling 1995). Ab 1866 arbeitet er mit dem Mathematiker und Physiker Ernst Abbe zusammen, dem 1872 mit der Theorie der Abbildung im Mikroskop („Sinusbedingung“) ein bahnbrechender wissenschaftlicher Durchbruch ge-
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lingt, der die Herstellung von erheblich leistungsfähigeren Mikroskopen ermöglicht (vgl. Schilling 1995). Die neuen Mikroskope verschaffen Zeiss einen Wettbewerbsvorteil, so dass auch die internationale Nachfrage zunimmt (vgl. Schilling 1995). Auf der Suche nach besseren Linsen, wirbt Abbe den Glaschemiker Otto Schott an, der 1882 aus Witten nach Jena kommt (vgl. Schilling 1995). Gemeinsam gründen Otto Schott, Ernst Abbe, Carl und Roderich Zeiss im Jahr 1884 das Jenaer Glaswerk Schott & Genossen. Nach dem Tod von Carl Zeiss schafft Abbe in 1889 mit der Carl-Zeiss-Stiftung, die 1891 Eigentümerin des Zeiss-Werks und Teilhaberin bzw. 1919 ebenfalls Eigentümerin des Glaswerks wird, eine Institution, die nicht nur den dauerhaften Fortbestand der Unternehmen sichern sondern auch einen nachhaltigen Beitrag zum Gemeinwohl der Belegschaften und der Gesellschaft leisten soll (vgl. Schilling 1995). Nach dem zweiten Weltkrieg sind nicht nur große Teile der Stadt und der Jenaer Werke zerstört, darüber hinaus werden hochrangige Wissenschaftler und Führungskräfte des Zeiss- und des Schott-Werks von den Alliierten abgeworben sowie Teile der Produktion demontiert und in die Sowjetunion überführt (vgl. Schilling 1995). 1948 werden beide Werke enteignet und in Volkseigene Betriebe (VEB) überführt, VEB Carl Zeiss Jena und VEB Jenaer Glaswerk, während in Westdeutschland „Carl-Zeiss“ in Oberkochen und „Schott Glaswerke“ in Mainz als neue Stammwerke aufgebaut werden (vgl. Schilling 1995). Noch ein weiteres Staatsunternehmen geht letztlich auch auf das Wirken von Zeiss, Abbe und Schott zurück: im Schott-Zeiss-Institut für Mikrobiologie gelingt es Hans Knöll während des zweiten Weltkrieges als erstem europäischen Wissenschaftler Penicillin zu produzieren (vgl. Schilling 1995). Aus diesen Vorarbeiten geht 1950 der VEB Jenapharm hervor, der neben Antibiotika vor allem auch Steroidhormone und Vitamine entwickelt und 1965 mit Ovosiston® das erste orale Kontrazeptivum der DDR auf den Markt bringt (vgl. www.jenapharm.de/de/ 2002). Neben der Universität ist mit dem Zentralinstitut für Mikrobiologie und experimentelle Therapie (ZIMET) am Standort Jena zudem eines der drei biowissenschaftlichen Institute der Akademie der Wissenschaften der DDR angesiedelt. Einen internationalen Ruf genießt vor allem die Abteilung Medizinische Mikrobiologie, zu der unter anderem das zentrale Labor für Streptokokken gehört, das eine
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der weltgrößten Streptokokken-Sammlung umfasst (vgl. Siegmund-Schultze 2000). Das am Beutenberg angesiedelte Institut hat kurz nach der Wende 1010 Mitarbeiter (vgl. Siegmund-Schultze 2000). 12.5.2 Die Veränderungen zwischen 1990 und 1995 Mit der Wende beginnen umfassende Umstrukturierungen die wissenschaftliche und wirtschaftliche Landschaft Jenas zu verändern. Ein erster Schritt ist die Auflösung der VEB. Aus dem VEB Carl Zeiss Jena, der 1989 etwa 69.000 Mitarbeiter beschäftigt, „wird der Kern des Kombinates – es sind noch 13 Betriebe mit etwa 27.000 Mitarbeitern – als Jenoptik Carl Zeiss Jena GmbH von der Treuhandanstalt Berlin übernommen“ und in 1991 in die Jenoptik GmbH sowie die Carl Zeiss Jena GmbH überführt (vgl. Hettmann und Lauterbach 1995). Mit dem nicht-industriellen Vermögen der wiedervereinigten Carl-Zeiss-Stiftung wird 1992 die gemeinnützige Ernst-Abbe-Stiftung gegründet (vgl. www.ernst-abbe-stiftung.de/entwicklung/ 2002). Der VEB Jenaer Glaswerk wird 1991 erst zum Teil und 1995 dann vollständig von der Schott Gruppe übernommen (vgl. www.schott.com/german/ 2000) und der VEB Jenapharm wird von der Gehe AG in Stuttgart aufgekauft und geht später an die Schering AG in Berlin über (www.jenapharm.de/de/ 2002a). Auch die Friedrich-Schiller-Universität (FSU) und das ZIMET sind von den Veränderungen betroffen. Neben der FSU entsteht eine Fachhochschule. Im Wiedervereinigungsvertrag wird die Auflösung des ZIMET beschlossen. Einige Abteilungen, u. a. das Zentrale Labor für Streptokokken werden an die FriedrichSchiller-Universität angegliedert (vgl. Siegmund-Schlutze 2000). Andere Bereiche bilden die Grundlage für das der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Gesellschaft zugehörige Institut für Molekulare Biotechnologie e. V. (imb) sowie für das Hans-KnöllInstitut für Naturstoff-Forschung e. V. (HKI). Zudem werden verschiedene neue Institute in Jena angesiedelt bzw. gegründet. Zu diesen zählen u. a. das Institut für Physikalische Hochtechnologie (IPHT), das Fraunhofer Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik (IOF), sowie drei Max-Planck-Institute (MPI), das MPI zur Erforschung von Wirtschaftssystemen, das MPI für Chemische Ökologie und das MPI für Biogeochemie.
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Zur Förderung von Unternehmensgründungen wird 1993 auf dem Beutenberg der Technologie- und Innovationspark Jena (TIP) gebaut. Hier werden für junge Unternehmen insgesamt 3000 qm Mietfläche zur Verfügung gestellt. Von 1990 bis 1995 werden insgesamt vier Unternehmen mit Bioinstrumente Fokus gegründet (vgl. BioRegio Jena e. V. 2001b).
12.6 BioInstrumente Jena 12.6.1 Inhalt des BioInstrumente-Konzepts Das Ziel des Konzepts, mit dem die BioRegion Jena 1996 in den BioRegio Wettbewerb eintritt, ist die „Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit von Wirtschaft und Wissenschaft der Region durch Verbreiterung und Beschleunigung der Innovationsprozesse“ (BioRegio Jena e. V. 1996, 40). Somit zielt es auf eine unmittelbare Verbesserung des Innovationssystems Jena ab. Der Fokus ist durch den BioInstrumente Begriff bewusst eng gefasst. BioInstrumente sind „…sowohl ‚Instrumente für die Biologie‘ als auch ‚Instrumente aus der Biologie‘. Die erste Bezeichnung faßt Geräte, Systeme und Materialien zusammen, welche für Problemlösungen im Bereich Gesundheit eingesetzt werden. Dazu gehören Geräte und Materialien für die Medizin, den Umweltbereich und den Forschungsbedarf. Der zweite Begriffsinhalt bezeichnet technische Problemlösungen, welche zelluläre Strukturen und Funktionen als integrierte Bestandteile nutzen. Dazu gehören biotechnologische Herstellungsverfahren, Analyse- und Screeningverfahren sowie Produkte und Materialien, welche auf zellulärer und biomolekularer Basis entstehen, sowie weitere Geräte und Gerätesysteme, welche biologische Struktur- und Funktionsmodule enthalten.“ (BioRegio Jena e. V. 1996, 6). Die wissenschaftlichtechnischen Kompetenzfelder, die diese Definition begründen, liegen in den Bereichen zelluläre und molekulare Technologien, Individualmedizin und Drug Targeting, Biomaterialien und in dem Komplex Geräte/Automatisierung/Miniaturisierung/Sensorik (vgl. BioRegio Jena e. V. 1996). Neben der Nutzung der Fördermöglichkeiten für konkrete Projekte der Unternehmen und Institute sieht das Konzept eine Reihe von weiteren Maßnahmen zur
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Verbesserung des Innovationssystems vor. So soll die Vernetzung zwischen den verschiedenen Institutionen, Fachgebieten und die dafür erforderliche technische Infrastruktur ausgebaut werden (vgl. BioRegio Jena e. V. 1996). Insgesamt sollen eine bessere Koordination der verschiedenen Aktivitäten erreicht, der Informationsfluss in der Region und die Beratung von Existenzgründungen und Ansiedlungsinteressenten verbessert sowie der Standort Jena national und international bekannt gemacht werden (vgl. BioRegio Jena e. V. 1996). Mit der Umsetzung wird die Geschäftsstelle des BioRegio Jena e. V. betraut (vgl. BioRegio Jena e. V. 1996). Weitere geplante Maßnahmen sind der Ausbau des Beutenberg-Campus, auf dem u. a. gewerblich nutzbare Laborflächen entstehen sollen, und die Gründung eines Bioinstrumente Jena Fonds, der Mittel für die Frühphasenfinanzierung von Unternehmensgründungen bereitstellen soll (vgl. BioRegio Jena e. V. 1996). 12.6.2 Die Arbeit des BioRegio e. V. nach der Prämierung (1996-2001) Mit der Prämierung erhält die BioRegion Jena die finanziellen Möglichkeiten, ihr Konzept zu verwirklichen. Zu den ersten Maßnahmen gehört der Aufbau der Geschäftsstelle des BioRegio Jena e. V., die anfangs aus einem Geschäftsführer und einer Assistentin besteht und später um eine Projektmanagerin erweitert wird. Weiterhin bildet der Verein 1997 einen Beirat, dem Vertreter aus Wissenschaft und Wirtschaft angehören und der den Vorstand des Vereins berät. Mit den beiden Gremien Mitgliederversammlung und Beirat stärkt der Verein gleichzeitig die Vernetzung in der Region (vgl. BioRegio Jena e. V. 1997). Eine wichtige Funktion von Vorstand und Beirat ist die Begutachtung der für eine Förderung des bmbf eingereichten Projektanträge. Die Geschäftsstelle, bei der vorab Projektskizzen abgegeben werden, unterstützt die Antragssteller bei der Ausarbeitung der Anträge. Zu Beginn des Förderzeitraums wird deutlich, dass die Anforderungen des bmbf an die Projekte hoch sind: insbesondere „die Forderung, 50 % der Projektkosten durch privates Kapital zu finanzieren“ führt dazu, dass im ersten Jahr nur sieben von über 100 Projektideen zur Förderung vorgeschlagen werden können (BioRegio Jena e. V. 1997, 3). Um die Aussichten von besonders risikoreichen Projekten zu verbessern, handelt der BioRegio unter Beteiligung des bmbf mit dem Thüringer Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur
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(TMWFK) ein Förderprogramm zur Startphasenfinanzierung aus (vgl. BioRegio Jena e. V. 1997). Die Arbeit des Vereins und seiner Geschäftsstelle findet auf mehreren Ebenen statt. Durch eine aktive Öffentlichkeitsarbeit werden das BioInstrumente-Konzept und die Stärken der BioRegion sowie der ansässigen Unternehmen lokal, regional und international bekannt gemacht. Hierzu organisiert und unterstützt der Verein Ausstellungen, Diskussionsveranstaltungen und Workshops vor Ort. Beiträge in allgemeinen Zeitungen, Zeitschriften und in Fachzeitschriften werden veröffentlicht. Durch eine Anzeigenserie in der Fachzeitschrift Nature Biotechnology und Teilnahmen an Konferenzen und Kongressen wird die BioRegion Jena in der internationalen Biotech-Szene bekannt gemacht (vgl. BioRegio Jena e. V. 19972001a). Um die internationale Präsenz zu verbessern, unterstützt der Verein die Gründung der BioStart GmbH, einer Gesellschaft zum internationalen branchenspezifischen Standortmarketing (vgl. BioRegio Jena e. V. 1997 u. 1998). Die überregionale Vernetzung wird zudem durch einen Kooperationsvertrag mit der BioM AG, der Koordinationsstelle der BioRegion München, ausgebaut, mit der 1999 in Jena auch eine Konferenz zur Anbahnung von Unternehmenskooperationen durchgeführt wird (vgl. BioRegio e. V. 1998 u. 1999). Die Geschäftsstelle unterstützt Unternehmensgründungen, indem sie Gründer über Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten berät, und z. B. Studien über relevante Märkte und Branchen vorhält. Zudem fördert sie das Seminar „Biotechnologie und Unternehmensgründung“ an der FSU. In dem Seminar erarbeiten BWL-Studenten gemeinsam mit Naturwissenschaftlern Unternehmenskonzepte und formulieren sie als Business-Plan. Einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Infrastruktur für Biotech-Unternehmen bildet der Bau eines biotech-adäquaten Technologie- und Gründerzentrums am Beutenberg-Campus, ein Projekt, das der Verein aktiv unterstützt. In Abstimmung mit dem Thüringer Ministerium für Wirtschaft (TMWI), dem TMWFK und der Ernst-Abbe-Stiftung wird 1997 die Entscheidung für den Bau des BioInstrumente-Zentrums (BIZ) gefällt. Er beginnt 1998 und wird 2000 fertig gestellt. Ein zweiter Bauabschnitt soll 2002 folgen. Weniger erfolgreich ist allerdings die
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Gründung des Bioinstrumente Jena Fonds. Trotz wiederholter Bemühungen kann das Projekt nicht realisiert werden (vgl. BioRegio e. V. 1997-2001a). Schon im November 1995 entsteht als Reaktion auf die Ausschreibung des Wettbewerbs der „Jenaer Arbeitskreis Biotechnologie“, der verschiedene Biotechnologie-Arbeitsgruppen bildet. Diese Arbeit führt der BioRegio Jena e. V., dessen Wurzeln in dem Jenaer Arbeitskreis liegen, fort. So bestehen 1997 fünf Arbeitsgruppen, die gemeinsam Studien erarbeiten und das Konzept weiterentwickeln. In den Folgejahren nimmt ihre Bedeutung für die Tätigkeit des Vereins ab. Erst in 2000 werden wieder Arbeitsgruppen gebildet, um das BioInstrumente-Konzept in einer vollständigen Überarbeitung an die veränderten Rahmenbedingungen sowohl in Jena als auch der Biotech-Branche weltweit anzupassen. Die identifizierten neuen Schwerpunkte sind: Individualmedizin, targetorientierte Wirkstoffentwicklung, Nanobiotechnologie und Bioinformatik. Im darauf folgenden Jahr entwickeln die Arbeitsgruppen für den vom bmbf ausgeschriebenen Wettbewerb „Innovative regionale Wachstumskerne“ ein Konzept mit dem Titel „Jenomics“, das besonders die Kompetenzen im Bereich der Individualmedizin stärken soll, aber nicht prämiert wird. Die Landesregierung will jedoch sechs ausgewählte Projekte fördern (vgl. BioRegio Jena e. V. 1996-2001a). Ab dem Jahr 2000 stellt sich zunehmend die Frage, welche Rolle der BioRegio e. V. nach Ablauf der Förderung übernehmen und vor allem auch, wie er sich finanzieren wird. Trotz steigender Mitgliederzahl ist die Arbeit der Geschäftsstelle, die bis 2001 mit Fördermitteln des bmbf finanziert wird, nicht durch die Mitgliedsbeiträge gedeckt und das Potenzial, z. B. durch Dienstleistungen Einnahmen zu erzielen, ist begrenzt. 12.6.3 Neue Institutionen in der BioRegion Jena Die Umsetzung des BioInstrumente-Konzepts verändert die institutionelle Landschaft Jenas. So wird am 1.12.1997 die Biostart GmbH mit dem Auftrag gegründet, den Biotech-Standort Jena weltweit zu vermarkten und Unternehmen für eine Ansiedlung zu gewinnen. Zu ihren Gesellschaftern zählen die großen Jenaer Unternehmen: Carl-Zeiss Jena GmbH, Jenoptik AG, Jenapharm GmbH, Jenaer Glas-
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werk GmbH sowie die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen mbH (LEG) und die Ernst-Abbe-Stiftung. Biostart und BioRegio arbeiten eng zusammen. Drei Jahre lang ist Biostart auf den relevanten Messen und Konferenzen vertreten, wiederholt werden Gespräche mit ansiedlungsinteressierten Unternehmen geführt. Ende 2000 wird Biostart aufgrund fehlender Anschlussförderung liquidiert. Die Aufgaben werden von der LEG und vom Verein übernommen (vgl. BioRegio Jena e. V. 1997-2000). Die Entscheidung, das Bioinstrumente-Zentrum am Beutenberg zu bauen, führt 1999 zur Gründung der BioCentiv GmbH, die, als hundertprozentige Tochter der Ernst-Abbe-Stiftung, als Betreibergesellschaft für das neu gebaute Gründerzentrum fungiert. Zu ihren Aufgaben gehört auch die Vorbereitung und Leitung des zweiten Bauabschnittes des BIZ ab 2002. Darüber hinaus bietet sie Dienstleistungen für die Mieter des BIZ sowie für den BioRegio e. V. an, mit dem ein Kooperationsvertrag besteht (vgl. BioRegio e. V. 1999-2001). Mit dem Kauf der Deutschen Effecten- und Wechselbeteiligungsgesellschaft AG (DEWB) installiert die Jenoptik AG einen Risikokapitalgeber in Jena. Zwar liegen die Aufgaben der DEWB anfangs auch in der Immobilienverwertung der Jenoptik AG, dennoch entspricht ihr Fokus als VC-Geber bald dem BioInstrumente-Profil der Region (vgl. Kindervater 2001). 1999 wird unter Beteiligung des Freistaats Thüringen und der Technologiebeteiligungsgesellschaft der Deutschen Ausgleichsbank (tbg) in Erfurt die Venture Capital Thüringen GmbH & Co. KG (VCT) gegründet (vgl. www.vct.th-online.de/aktuell.htm 2002). Ebenfalls unabhängig von der BioRegio-Initiative werden Jena, Ilmenau und Schmalkalden 1998 mit dem GET UP-Konzept im Rahmen des EXIST-Wettbewerbs des bmbf prämiert. Die EXIST-Initiative unterstützt HochtechnologieExistenzgründungen aus Hochschulen. Die Auszeichnung ist mit einer Förderung verbunden, die u. a. genutzt wird, um in den drei Städten Gründerbüros einzurichten, und das Bildungsangebot der Hochschulen um Veranstaltungen zum Thema Unternehmensgründung zu erweitern (vgl. www.exist.de/exist/ 2002).
310
12.6.4 Entwicklung der BioInstrumente-Unternehmen Im Verlauf der BioRegio-Förderung werden in Jena und Umgebung über 30 Unternehmen mit BioInstrumente-Fokus gegründet und 627 neue Arbeitsplätze in diesen Unternehmen geschaffen. Arbeitsplätze in schon länger bestehenden Unternehmen sind nicht dokumentiert. Die Entwicklung der Neugründungen ab 1996 ist in Abbildung 12.3 dargestellt. Nicht alle in Jena gegründeten Unternehmen bleiben in Jena. So siedelt die Graffinity Pharmaceuticals AG nach Heidelberg um (vgl. www.graffinity.com/englisch/ 2002) und die ProbioDrug AG nach Halle (vgl. www.probiodrug.de/aboutus.html 2002). Auch sind nicht alle Unternehmen gleichermaßen erfolgreich. So muss 2001 die id pharma GmbH Konkurs anmelden. Drei BioInstrumente Unternehmen können im Förderzeitraum jedoch die positive Stimmung der Börsen für eine Platzierung am Neuen Markt nutzen: die Cybio AG 1999 und im Jahr 2000 die Analytik Jena AG sowie die biolitec AG (vgl. www.deutsche-boerse.com/nm/ 2002).
10
627
600
Neugründungen pro Jahr Arbeitsplätze in Neugründungen seit 1996
9
538
500
8 7
400
6 341
300 4
4
200 2
0
2
100
86 27
3
1996
Anzahl Mitarbeiter
Anzahl Unternehmen
8
1
0 1997
1998
1999
2000
2001
Jahr
Abbildung 12.3: Neugründungen ab 1996 und die durch sie geschaffenen Arbeitsplätze (Quelle: Daten aus BioRegio e. V. 1997-2001a und BioRegio Jena e. V. 2001b)
311
Die direkte Wirkung des BioRegio-Sondervotums auf die Unternehmen der BioRegion Jena besteht in der Förderung von F&E-Projekten der Unternehmen. Einen Überblick über Anzahl und Volumen der durch das bmbf geförderten Projekte gibt Abbildung 12.4. Insgesamt werden mehr als 20 Projekte mit einem Gesamtvolumen (Förderung und Eigenbeitrag) von über 30 Mio. Euro durchgeführt, wobei die letzten Projekte 2005 auslaufen. Vorrangig gefördert werden Verbundprojekte, an denen meist neben lokalen Unternehmen auch lokale und/oder externe wissenschaftliche Einrichtungen beteiligt sind (vgl. BioRegio Jena e. V. 2001a). Nur vier Projekte werden von einzelnen Unternehmen durchgeführt, so dass auch auf diese Weise die Vernetzung der Region gefördert wird (vgl. BioRegio Jena e. V. 2001a). 6
16
15
5
12
12
0,5
beantragte Förderungen genehmigte Förderungen Anzahl laufender Projekte
14 12 10
9
3
0,1
7
8
6
Projekte
Mio. Euro
0,1
10
4
6
2
4 2
1
2
0,6
1,8
1,2
2,1
3,8
4,7
2,9
0,4
0,7
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
0
2 0
Jahr
Abbildung 12.4: Anzahl laufender Projekte und Fördervolumen im Rahmen der BioRegio-Sonderförderung von 1997 bis 2001 (Daten basierend auf BioRegio Jena e. V. 2001b und Auskünften der BioRegio e. V. Geschäftsstelle, 2002) Vor allem zu Anfang sind es vorwiegend Anträge von etablierteren Unternehmen bzw. von wissenschaftlichen Instituten, die eine Förderung erhalten. Allein vier Kooperationsprojekte der Carl Zeiss Jena GmbH werden bewilligt und bilden ein Fundament auf dem der Aufbau des neuen Geschäftsbereichs Molekulare Medizin
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stattfinden kann (vgl. BioRegio e. V. 2001a, Fritsch 2001). Auch die Opal Jena GmbH, spätere Cybio AG, und die Jenapharm GmbH können jeweils zwei Projekte realisieren. Von wissenschaftlicher Seite sind u. a. die FSU mit neun Projekten, das HKI mit sieben und das imb mit insgesamt vier Projekten in den F&EKooperationen vertreten (vgl. BioRegio e. V. 2001b).
12.7 Diskussion 12.7.1 Voraussetzungen für ein Biotech-Cluster in Jena vor dem Wettbewerb Wie ist die Entwicklung der BioRegion Jena, insbesondere in Hinblick auf die drei eingangs formulierten Hypothesen, zu bewerten? Für die erste Hypothese muss die Frage diskutiert werden, wie sich die Voraussetzungen zur Clusterbildung in Jena anhand der Erfolgsfaktoren des Porter’schen Diamanten vor Beginn der Förderung darstellen. Eine solche Analyse sollte zugleich die Rahmenbedingungen für die Entstehung einer Biotech-Branche im restlichen Deutschland berücksichtigen. Die in den vorangegangenen Abschnitten präsentierten Daten machen deutlich, dass die Faktorkonditionen in Jena Mitte der neunziger Jahre zumindest teilweise positiv bewertet werden können. Technisch qualifiziertes Personal ist durch den Personalabbau der ehemaligen VEB und durch die Lehrtätigkeit der Universität verfügbar; einen Engpass gibt es am ehesten im Bereich des biotech-spezifischen Managements – dieser Mangel betrifft jedoch die gesamte Biotech-Branche in Deutschland (vgl. Ernst & Young 1998). Biotech-spezifische Gewerbeflächen sind ebenfalls knapp. Auch dieses Problem teilen fast alle deutschen Standorte (vgl. Boston Consulting Group 2001). Eine positive Nachfrage-Situation für Produkte aus dem BioInstrumente-Spektrum ist durch die biowissenschaftlichen Institute der FSU, durch das imb und das HKI sowie durch Jenapharm auch vor Ort gegeben. Auch gibt es mit Jenapharm, Schott, Carl-Zeiss-Jena und verschiedenen Jenoptik-Töchtern einige große und darüber hinaus verschiedene kleinere Unternehmen aus verwandten und unterstützenden Branchen. Das Vorhandensein von Konkurrenzunternehmen vor Ort ist beschränkt, jedoch entspricht auch dies der Situation in ganz Deutschland (vgl. Ernst & Young 1998). Die Rahmenbedingun-
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gen für Unternehmensgründungen sind aufgrund der Fördermöglichkeiten in den neuen Bundesländern eher besser als in den alten Ländern. Insgesamt kann festgehalten werden, dass mehrere wichtige Voraussetzungen für die Entstehung eines tragfähigen, spezialisierten Biotech-Clusters Mitte der neunziger Jahre in Jena bereits erfüllt sind. Die Bereiche, in denen Jena Mängel aufweist, sind an nahezu allen deutschen Standorten ebenfalls problematisch (vgl. Ernst & Young 1998). Die Vorteile in den anderen Bereichen, stellen Jena eher besser als viele der anderen BioRegionen. Aus diesem Grund kann Hypothese 1 bestätigt werden. 12.7.2 Bedeutung des BioRegio-Wettbewerbs für das Take-off der Region Jena Die Frage, die hinter Hypothese 2 steht, ist die, ob sich die BioRegion Jena auch zu einem Biotech-Cluster entwickelt hätte, wenn sie nicht mit dem Sondervotum prämiert worden wäre. Um dies zu beantworten, bietet sich ein Vergleich mit der Entwicklung der anderen BioRegionen an. Darüber hinaus muss analysiert werden, wie sich die Beteiligung der Region Jena am BioRegio-Wettbewerb auf die Entwicklung der BioRegion Jena ausgewirkt hat, um diesen Effekt von der Auswirkung der Förderung möglichst zu trennen. Nach der Ausschreibung des BioRegio-Wettbewerbs bilden sich 17 Regionen in Deutschland, die an dem Wettbewerb teilnehmen. Bis 1998 kann in allen Regionen eine Zunahme der Gründungsaktivität von Biotech-Unternehmen verzeichnet werden. Nach 1998 sind nur Informationen zu den Bundesländern verfügbar. Aber auch hier wird deutlich, dass fast überall in Deutschland Biotech-Unternehmensgründungen zunehmen. Die Zunahme ist nicht überall gleich stark, dennoch entstehen an zahlreichen Orten in Deutschland kleinere und größere Biotech-Cluster. Das Entstehen der Cluster ist weitgehend unabhängig von einer Prämierung im BioRegio-Wettbewerb, wenngleich die prämierten Regionen besonders große Cluster entwickeln und somit auch am ehesten über eine kritische Masse verfügen. Eine Ausnahme bildet Berlin-Brandenburg, das ohne Prämierung das zweitgrößte Cluster nach München ist.
314
Die Entwicklung der BioRegion Jena von der Ausschreibung des Wettbewerbs bis zur Prämierung zeigt, dass bereits die Erarbeitung des Konzepts ein wichtiger Grundstein für eine Verbesserung des Innovationssystems Jena ist. Die in Abschnitt 12.6.2 beschriebene Bildung des „Jenaer Arbeitskreis Biotechnologie“ mit seinen Arbeitsgruppen stellt den ersten Schritt einer Netzwerkbildung dar. Das gemeinsame Erarbeiten eines Konzepts ermöglicht ein gegenseitiges Kennenlernen der Akteure, so dass eine Vertrauensbasis entstehen kann – eine wichtige Komponente eines lokalen und regionalen Innovationssystems. Mit der resultierenden Gründung des BioRegio Jena e. V. entsteht zudem eine neue Institution, die die Interessen von (neu entstehenden und existierenden) Biotech-Unternehmen vertritt. Die Anstrengungen der Region werden auch auf Landesebene wahrgenommen. Das Thüringer Ministerium für Wissenschaft und Kultur fördert die Konzeptentwicklung finanziell (vgl. www.bioinstrumente-jena.de/dt/BioRegio/index.html 2000, 1). Es ist davon auszugehen, dass die Landesregierung durch den BioRegioWettbewerb für die Stärken der Region um Jena sensibilisiert wird. Hierauf weist auch das Bebauungskonzept des TMWFK für den Beutenberg-Campus hin. Die frühzeitige Berücksichtigung von Gewerbeflächen sowie die Möglichkeit „StarterUnits“ für Unternehmensgründungen zu schaffen, stellen eine wichtige Weichenstellung dar (vgl. BioRegio Jena e. V. 1996). Mit Blick auf die anderen Regionen ist es wahrscheinlich, dass die Entwicklung eines Biotech-Clusters in Jena auch ohne das Sondervotum vorangeschritten wäre. Die Annahme wird dadurch bestärkt, dass bereits im BioInstrumente-Konzept mehrere Gründungsprojekte in der Vorbereitungsphase benannt werden (vgl. BioRegio Jena e. V. 1996). Dafür spricht zudem, dass Förderungen aus dem Sondervotum nur für hinreichend finanzierte Unternehmen zugänglich sind. Für Gründungen ist eine Förderung daher kaum realisierbar, so dass die Fördermittel nur einen geringen Effekt auf die tatsächliche Durchführung von Unternehmensgründungen haben dürften. Die genannten Gründe sprechen daher für Hypothese 2, so dass diese als bestätigt angesehen werden kann.
315
12.7.3 Die Wirkung des Sondervotums auf die BioRegion Jena Die Wirkung des Sondervotums soll analysiert werden, indem zuerst die direkten auf die Förderung zurückgehenden Effekte und dann die indirekten durch die Förderung verursachten Effekte diskutiert werden. Auf diese Weise soll festgestellt werden, inwieweit das Sondervotum eine beschleunigte Entwicklung der BioRegion bewirkt haben könnte. Zu den direkten Effekten gehört die Vergabe der Fördermittel in Höhe von 30 Mio. DM. Diese kommen zu Beginn v.a. den bereits länger bestehenden Unternehmen zugute. Zu den ersten erfolgreichen Antragstellen in 1997 gehören die Carl Zeiss Jena GmbH und die Opal Jena GmbH, spätere Cybio AG. Beiden Unternehmen erleichtert die Förderung eine beschleunigte Erschließung neuer Märkte, für die Cybio AG dürften zudem die Voraussetzungen für den späteren Börsengang verbessert worden sein. Erst ab 1999 werden neben den etablierten Unternehmen auch nach 1996 gegründete Unternehmen gefördert. Eine positive Wirkung der BioRegio-Förderung auf die Entwicklung neu gegründeter Unternehmen kann also erst ab diesem Zeitpunkt angenommen werden. Ein weiterer direkter Effekt der BioRegio-Förderung ist die durch die Kooperations- und Verbundprojekte erreichte Vernetzung von regionalen Biotech-Unternehmen, wissenschaftlichen Instituten und überregionalen Partnern. Auch die Arbeit der Geschäftsstelle des BioRegio e. V. wird aus Mittel des Sondervotums finanziert. Daher zählen auch die von der Geschäftsstelle durchgeführten Maßnahmen und initiierten Projekte zu den direkten Effekten. Ihre Auswirkungen sind allerdings nur zum Teil messbar. So können die verschiedenen Effekte der Öffentlichkeitsarbeit ebenso wenig bestimmt werden wie die Auswirkung der Überarbeitung des BioInstrumente-Konzepts in 2000 oder der Effekt von Gründungsberatungen auf die tatsächlichen Gründung von Unternehmen. Jedoch etabliert sich der Verein als zentrale Schnittstelle und Koordinator in der BioRegion. Seine Gremien, insbesondere der Beirat bilden ein zusätzliches Netzwerk, das die Akteure der Region verbindet. Die große Bedeutung des Vereins für die Vernetzung der Region wird durch empirische Ergebnisse bestätigt (vgl. Achtenhagen, Hoffmannswaldau und Knyphausen-Aufsess 2001).
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Der Verein hat auch eine nicht unerhebliche Beteiligung an den indirekten Effekten des Sondervotums. So ist die in 1997 vom TMWFK eingeführte Startphasenfinanzierung für Projekte mit hohem Risiko bei der Produktentwicklung ein solcher Effekt. Ohne die relativ hohen Auflagen für Förderungen durch das bmbf wäre die Notwendigkeit einer solchen landesspezifischen Förderung möglicherweise weniger deutlich geworden und ohne die Aktivitäten des BioRegio Jena e. V. wäre sie wohl nicht zustande gekommen. Auch der Bau des BIZ kann zu den indirekten Effekten gezählt werden, die durch das Sondervotum begünstigt wurden. Auch hier ist wieder der Verein an den Verhandlungen und der frühen Planung beteiligt, vor allem aber ist mit dem Sondervotum die positive Entwicklung der BioRegion Jena wahrscheinlicher geworden, so dass der Bedarf einer solchen Investition besser zu rechtfertigen ist. Mit dem BIZ entstehen dringend benötigte biotechadäquate Gewerbeflächen am Beutenberg. Auch die BioStart GmbH wäre ohne Sondervotum wohl nicht gegründet worden. Die im BioInstrumente-Konzept formulierte Notwendigkeit eines besseren internationalen Standortmarketings ist hier das auslösende Moment. Es lassen sich sicherlich noch weitere direkte und indirekte Effekte des BioRegioSondervotums identifizieren. Die hier präsentierte Aufstellung macht aber bereits deutlich, dass die Wirkung des Sondervotums die positive Entwicklung der BioRegion Jena in nicht unerheblichem Maß beeinflusst und beschleunigt hat. Die Vernetzung in der Region kann sowohl durch die direkte Förderung und durch die gemeinsame konzeptionelle Arbeit der verschiedenen Akteure erheblich verbessert werden. Auch die Infrastruktur der Region verbessert sich durch die Förderung deutlich. Insgesamt kann daher auch Hypothese 3 bestätigt werden: Das Sondervotum der Jury hat für die BioRegion Jena einen Effekt der über eine reine Signalwirkung weit hinausgeht.
12.8 Ausblick Wie hat sich die Situation der BioRegion Jena verändert und welche Perspektiven bietet die Zukunft? Eine Analyse der BioRegion anhand der Erfolgskriterien von Porter’s Diamant und ein Vergleich der Ergebnisse mit denen vor der Prämierung,
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zeigt, dass die beiden größten Schwachpunkte, die Faktorausstattung – Gewerbeflächen und Manager mit relevantem Erfahrungshintergrund – aber auch der Wettbewerb zwischen Unternehmen und die Gründerkultur sich stark verbessert haben. Die Region hat nun den Punkt erreicht, an dem sie alle Voraussetzungen für einen erfolgreichen Cluster erfüllt. Weitere Weichen für eine positive Entwicklung sind gestellt: so wird seit Herbst 2002 am zweiten Bauabschnitt des BioInstrumente-Zentrums gearbeitet. Allerdings ist die Finanzierung der Geschäftsstelle des BioRegio für die nähere Zukunft weniger gut gesichert und eine Fortführung der Arbeit in der bisherigen Form ist nur bedingt gewährleistet. Gegenwärtig bereitet die Geschäftstelle die Teilnahme an der thematischen Priorität „Nanotechnology and Nanosciences“ des 6. Rahmenprogramms der Europäischen Union vor und erarbeitet mit "Life Science NanoSysteme Thüringen" ein thüringenweites Konzept für die Nanobiotechnologie. Vor allem: trotz eines insgesamt schlechteren wirtschaftlichen Klimas seit 2000 werden in der Region noch immer Bioinstrumente-Unternehmen gegründet. Es spricht vieles dafür, dass die Clusterbildung in Jena ein nachhaltiger Erfolg ist.
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13 Autorenverzeichnis Prof. Dr. Uwe Cantner ist Inhaber des Lehrstuhls für Mikroökonomik an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Dipl.-Ök. Dirk Fornahl ist research fellow am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Wirtschaftssystemen in Jena. Dipl. oec. Holger Graf ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Mikroökonomik an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der FriedrichSchiller-Universität Jena. Prof. Dr. Reinhard Haupt ist Inhaber des Lehrstuhls für ABWL und Produktion/Industriebetriebslehre an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Prof. Dr. Roland Helm ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre sowie Absatzwirtschaft, Marketing und Handel an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Dipl.-Kfm. Alexander Kaulen ist Mitarbeiter im Unternehmensbereich "Power Generation" der Siemens AG. Dr. Martin Kloyer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für ABWL und Produktion/Industriebetriebslehre an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Dipl.-Kfm. Andreas Länger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Dipl.-Ing. Michaela Ludl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre sowie Absatzwirtschaft, Marketing und Handel an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-SchillerUniversität Jena. Prof. Dr. Reinhard Meckl ist Inhaber des Lehrstuhls für ABWL, insbesondere Internationales Management an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
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Dipl.-Kffr. Sandra Peterlein ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für ABWL und Produktion/Industriebetriebslehre an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Dipl.-Biochem. Eva-Maria Stegemann ist Mitarbeiterin am Lehrstuhl für ABWL, insbesondere Internationales Management an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Mitgründerin des Biotech-Unternehmens "microfluidic chipShop GmbH". Dipl.-Kfm. Michael Steiner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre sowie Absatzwirtschaft, Marketing und Handel an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-SchillerUniversität Jena.