Krankheit verbindet: Strategien und Strukturen deutscher Patientenvereine im 20. Jahrhundert 3515126546, 9783515126540

Der Patient von heute sucht selbständig nach Information über seine Krankheit und Kontakt zu anderen mit dem gleichen Le

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German Pages 117 [122] Year 2020

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Gesunde und Kranke, Laien und Experten: Medizinhistorischer Kontext der Patientenbewegung
3. Der Allergikerbund und der Kampf um das Wissen über Allergien
4. Der Deutsche Diabetiker Bund: Eine Selbsthilfegruppe vor Ort
5. Die scheinbare Interessengemeinschaft in der Deutschen Hämophiliegesellschaft
6. Vernetzung der Patientenvereine auf internationaler und deutsch-deutscher Ebene
7. Wege und Ziele der politischen Einflussnahme durch die Patientenvereine
8. Arzt und Patient im Verein
9. Begriffliche und historische Einordnung des Phänomens „Patientenorganisation“
10. Bilanz und Ausblick
Danksagung
Appendix 1 Ärzte im DDB und in medizinischen Fachgesellschaften
Abbildungsnachweis
Abkürzungen
Bibliographie
Register
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Krankheit verbindet: Strategien und Strukturen deutscher Patientenvereine im 20. Jahrhundert
 3515126546, 9783515126540

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Krankheit verbindet Strategien und Strukturen deutscher Patientenvereine im 20. Jahrhundert

von Ylva Söderfeldt MedGG-Beiheft 74 Franz Steiner Verlag Stuttgart

Medizin, Gesellschaft und Geschichte Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung herausgegeben von Robert Jütte Beiheft 74

Krankheit verbindet Strategien und Strukturen deutscher Patientenvereine im 20. Jahrhundert von Ylva Söderfeldt

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Robert Bosch Stiftung GmbH

Coverabbildung: Patienteninformationen für Selbsthilfegruppen Bildquellen: Hämophilie-Blätter, Mitteilungen der Deutschen Hämophiliegesellschaft zur Bekämpfung von Blutungskrankheiten e.V. Broschüre vom Deutschen Diabetiker Bund, Landesverband Hessen e.V. Archiv Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2020 Layout und Herstellung durch den Verlag Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-515-12654-0 (Print) ISBN 978-3-515-12655-7 (E-Book)

Inhaltsverzeichnis 1.

Einleitung ................................................................................................

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2.

Gesunde und Kranke, Laien und Experten: Medizinhistorischer Kontext der Patientenbewegung ........................

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3.

Der Allergikerbund und der Kampf um das Wissen über Allergien .........................................................................................

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4.

Der Deutsche Diabetiker Bund: Eine Selbsthilfegruppe vor Ort ......

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5.

Die scheinbare Interessengemeinschaft in der Deutschen Hämophiliegesellschaft ..........................................................................

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6.

Vernetzung der Patientenvereine auf internationaler und deutsch-deutscher Ebene .......................................................................

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7.

Wege und Ziele der politischen Einflussnahme durch die Patientenvereine ......................................................................................

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8.

Arzt und Patient im Verein ....................................................................

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9.

Begriffliche und historische Einordnung des Phänomens „Patientenorganisation“ ..........................................................................

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10. Bilanz und Ausblick ...............................................................................

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Danksagung ..................................................................................................... Appendix 1: Ärzte im DDB und in medizinischen Fachgesellschaften .... Abbildungsnachweis ....................................................................................... Abkürzungen ................................................................................................... Bibliographie ................................................................................................... Register ............................................................................................................

97 98 104 105 106 116

1. Einleitung „[S]o etwas wie der Pneumothorax verbindet die Menschen natürlich“,1 erklärt in Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“ der Cousin des Protagonisten und erzählt vom „Verein Halbe Lunge“, der von Patienten des Sanatoriums gegründet wurde. Der Gedanke, dass „so etwas wie der Pneumothorax“  – Krankheiten also  – selbstverständlich Menschen zusammenführt, reifte erst im Lauf des 20.  Jahrhunderts. Hier liegt auch der Ursprung der Gründung von Patientenvereinen. Im Verein wird der Patient nicht abstrakt im Sinne einer Prävalenzstatistik oder von der Klinik ausgehend als Klientel, sondern konkret und von sich heraus mit anderen Menschen, die die gleiche Diagnose haben, vergemeinschaftet. Der Patientenverein fügt sich in das Netzwerk medizinischer Akteure ein und verbindet Menschen, die krank sind, auch mit anderen Personen: solchen, die Wissen über die Krankheit produzieren, solchen, die kranke Menschen verwalten, und solchen, die Produkte an sie verkaufen. Patientenvereine wurden während des 20. Jahrhunderts nicht nur selbstverständlich – sie machten auch das Selbst verständlich. Wenn sie Informationen verbreiteten, Ratschläge erteilten und Kontakte zwischen Patienten vermittelten, halfen die Patientenvereine den kranken Menschen, sich selbst zu verstehen. In der vorliegenden Arbeit geht es darum, den Prozess, durch welchen eine Krankheit zum (selbst-)verständlichen Bindeglied zwischen Menschen wurde, an drei Fallbeispielen zu untersuchen. Stand und Gegenstand der Forschung Patientenvereine gehören heute zu den größten und einflussreichsten sozialen Bewegungen. Sie sind sowohl Akteure in der Krankheitsbewältigung des Einzelnen als auch in gesundheitspolitische Entscheidungsprozesse und die Pharmaindustrie involviert.2 Trotz dieser zentralen Position wurden sie bis dato kaum historisch erforscht. Wichtige Gründe dafür liegen in den historiographischen Traditionen des Fachs Medizingeschichte und der Geschichte des Vereinswesens. So werden Vereine historisch als politische Vorfeldorganisationen verstanden, die der Mobilisierung von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen dienen.3 Gleichzeitig führte die – auch lange in den Geisteswissenschaften vorherrschende – Entpolitisierung von Krankheit dazu,4 dass Patientenorganisationen aus dem Blickfeld der Forschung gerieten. Zudem fokussierte die Medizingeschichte traditionell auf die Ärzteschaft und staatliche Biopolitik und weniger auf Laien, insbesondere Patienten. Hier ist aber ein Perspektivwechsel schon längst im Gange. Die seit den 1980er Jahren betrie1 2 3 4

Mann (2002), S. 80. Brown u. a. (2004); Matzat (2005); Braun/Kettler/Becker (1997). Nipperdey (1972); Nathaus (2009). Kudlick (2003).

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1. Einleitung

bene Forschung in der Sozialgeschichte der Medizin hat an vielen Beispielen gezeigt, dass Patienten auch Akteure in der Medizin sind und dass Praktiken außerhalb der Klinik zum Umgang mit Gesundheit und Krankheit nicht vernachlässigt werden dürfen.5 So existieren bereits einige Arbeiten, die verwandte Phänomene der Patientenbewegung untersuchen: Eine Fallstudie darüber, wie der Deutsche Diabetiker Bund die ärztliche Sichtweise auf die Lebensführung der Diabetiker herausforderte, zeigt, dass organisierte Patienten in der Lage waren, die medizinische Profession direkt zu beeinflussen.6 Die Tätigkeit des amerikanischen Heufieberbundes enthüllt die enge Verbindung von Krankheit mit Fragen der sozialen Klasse und der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt.7 Zuletzt zeigte Jan Stoll, wie gerade mit Behinderung befasste Betroffenenorganisationen die deutsche Sozialpolitik der Nachkriegszeit mitbestimmten und ihr kritisch begegneten.8 Darüber hinaus existieren auch bereits grundlegende Studien zu alternativen Gesundheitsbewegungen und Medizinkritik im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert,9 zu Organisationen für Menschen mit bestimmten Behinderungen,10 zu Kriegsgeschädigten11 und zur gesundheitsbezogenen Selbsthilfe der Arbeiterbewegung.12 Anders als in diesen Arbeiten wird hier das Ziel verfolgt, durch Fallstudien das Phänomen Patientenvereine historisch zu beleuchten. Darunter verstehe ich Zusammenschlüsse von und für Menschen mit einer bestimmten Krankheit, die ihre Aktivität vor allem auf den medizinischen Bereich ausrichteten. Dass sie krankheitsspezifischer Art waren, unterscheidet sie von denjenigen Organisationen, die generell unterstützungsbedürftige Personen vertraten, wie etwa Sozialverbände, aber auch von auf die allgemeine medizinische Versorgung ausgerichteten Vereinigungen wie Krankenkassen sowie von Interessengemeinschaften einer bestimmten medizinischen Richtung, wie z. B. den homöopathischen Laienvereinen.13 Eine von Kristina Matron im Auftrag des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung erstellte Vorstudie hat ergeben, dass bei Patientenvereinen der jüngeren Vergangenheit ein Quellenproblem besteht. Das erklärt, warum relativ wenig Forschung zu deren Geschichte existiert. Zugängliche Vereinsarchive sind eher die Ausnahme, gedruckte Quellen wie Zeitschriften sind in etwas größerem Umfang vorhanden, aber längst nicht für alle Gruppen. Matron hat die Dachorganisation Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Selbsthilfe als Ausgangspunkt genommen, um Organisationen zu identifizieren, die vor 1983 bestanden. So wurden insgesamt 45 Vereine und das dazu5 6 7 8 9 10 11 12 13

Porter (1985); Eckart/Jütte (2014), S. 195–207. Prüll (2012); Prüll (2013); Pfaff: Genese (2018). Mitman (2008). Stoll (2017). Dinges (1996); Hau (2003); Regin (1995). Söderfeldt (2013); Fuchs (2001); Poore (2009). Cohen (2001); Kienitz (2008); Söderfeldt (2015). Green (1986). Walther (2017).

1. Einleitung

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gehörige Quellenmaterial ermittelt.14 Matrons unveröffentlichte Studie diente als wertvolle Grundlage für die Auswahl in Frage kommender Vereine. Von den darin untersuchten Organisationen wurde etwa die Hälfte (22) 1970 oder später gegründet und neun in den 1960er Jahren. Das ist ein bemerkenswertes Ergebnis und bestätigt die Annahme, dass Patientenvereine vor 1960 ein nicht besonders häufiges Phänomen waren. Für die folgende Untersuchung wurden gezielt solche Organisationen ausgewählt, die auf eine längere Geschichte zurückblicken können. Das ermöglicht eine größere Tiefenschärfe der Analyse. Außerdem galt es, zwischen Organisationen für Kranke und solchen für Behinderte zu unterscheiden, was bekanntlich nicht einfach ist. Diese Begriffe decken sich einigermaßen mit den häufig in den Disability Studies verwendeten Termini impairment und disability.15 Behinderungen können natürlich Teil eines Krankheitserlebnisses sein, sind aber eine Kategorisierung der Körperfunktionalität im soziokulturellen Sinne. Die Abgrenzung zu Krankheiten auf der theoretischen Ebene ist zwar mit schweren Mängeln behaftet (es soll unter anderem nicht impliziert werden, dass das eine „real“, das andere „konstruiert“ sei), aber in diesem Zusammenhang empirisch sinnvoll. Organisationen, die eine bestimmte medizinische Diagnose zum Gegenstand machten, unterscheiden sich in ihrem historischen Hintergrund von solchen, die sich auf Grundlage der körperlichen Funktionalität zusammenfanden. Behindertenorganisationen haben z. B. Wurzeln in den Gehörlosenvereinen des 19. Jahrhunderts. Diese hatten so gut wie gar keinen Bezug zur Medizin, da Gehörlose zu der Zeit als pädagogisches „Problem“ galten. Im 20. Jahrhundert, insbesondere ab den 1960er Jahren, kamen weitere Gruppen dazu. Sie alle machten die Phasen der wohltätigen Fremdvertretung und schließlich Emanzipationsbestrebungen durch.16 Als aber die ersten Patientenvereine rund um bestimmte Krankheiten – Heufieber machte nach heutigem Forschungsstand sowohl in Deutschland als auch international den Anfang17 – Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, geschah das mit einer unmittelbaren Selbstzuordnung zum medizinischen Bereich. In der vorliegenden Untersuchung soll diese historische Linie verfolgt werden, weshalb Vereinigungen für Blinde, Gehörlose, Schwerhörige sowie Körper- und Geistesbehinderte keine Berücksichtigung finden. Dasselbe Ausschlusskriterium trifft auch auf die Anonymen Alkoholiker zu, da sie aufgrund ihres ideologischen Überbaus einen Sonderfall bilden und auch keinen klaren Medizinbezug aufweisen.18 Es verbleiben somit die Deutsche Hämophiliegesellschaft (DHG), der Deutsche Diabetiker Bund (DDB), der Allergiker- und Asthmatikerbund (AAB) sowie die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG). Zu allen sind ausreichend Quellen vorhanden, um eine historische Studie durchzufüh14 15 16 17 18

IGM, Matron (o. J.), S. 13–16. Shakespeare (2006). Stoll (2017); Fleischer/Zames (2012); vgl. auch Günther u. a. (1999). Wallrafen/Fammler (2009); Mitman (2008). Andrews (2013).

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1. Einleitung

ren. Es erwies sich jedoch als notwendig, eine weitere Abgrenzung vorzunehmen. Der Allergikerbund ist der älteste deutsche Patientenverein, gegründet 1897, und damit auch der einzige der vier, der schon in den 1940er Jahren bestand. Zum Diabetikerbund gibt es einen außerordentlich reichhaltigen Archivbestand im Landesarchiv des Saarlandes, bestehend aus umfangreichen (ungedruckten) Unterlagen einer Ortsgruppe. Solches Material ist für andere Vereine nicht überliefert. Es bietet somit eine einzigartige Möglichkeit, in diesem Fall auch die lokale Ebene sowie die Tätigkeit „hinter den Kulissen“ zu studieren. Die Hämophiliegesellschaft ist dagegen zum großen Teil ein Elternverein und somit Repräsentant einer wichtigen Unterkategorie des Patientenvereinswesens. Außerdem bildet sie in ihrer Verstrickung mit der AIDS-Epidemie der 1980er Jahre einen direkten Bezug zum gewählten Schlusspunkt dieser Studie. Damit im Rahmen der Untersuchung jedem Fallbeispiel genügend Platz eingeräumt werden kann, wurde aus arbeitsökonomischen Gründen beschlossen, die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft nicht mit zu erfassen. Zu den für diese historische Untersuchung ausgewählten drei Selbsthilfegruppen ergibt sich eine lange Reihe an potentiellen Forschungsfragen: zur Organisationsstruktur, zu Zwecken, Aktivitäten, zu ihren Beziehungen zu Ärzten und Behörden sowie zu ihrer Rolle in der Versorgungskette, zu ihrer Bedeutung für die Stellung der Betroffenengruppen bis hin zur Ausprägung der entsprechenden Krankheitsbegriffe und medizinischen Praktiken. Patientenvereine sind nicht nur als Untersuchungsgegenstand interessant, bei der Analyse eröffnet sich zudem ein breites Forschungsfeld. Als Erstes sollen fundamentale Fragen nach dem Charakter der Patientenvereine in der deutschen Nachkriegszeit beantwortet werden: Wie waren diese Organisationen strukturiert, wer führte, wer betätigte sich im Vereinsleben, wie wurde kommuniziert und wie Mitglieder angeworben, wie finanzierte man sich? Wie entwickelten sich die Selbsthilfegruppen im untersuchten Zeitraum, d. h., wie wollten und konnten sie sich organisatorisch entwickeln? Wo lagen die Voraussetzungen und Herausforderungen und wie wurde ihnen im Einzelfall begegnet? Welche Netzwerke bauten sie für sich: unter Medizinern, zur Politik und Verwaltung, zu anderen Ländern? Das so erhaltene Gesamtbild dient schließlich als Ausgangspunkt für eine Diskussion des Patientenvereins als historisches Phänomen und seiner Verortung im Kontext der (west-)deutschen Nachkriegsgesellschaft. Um diese Fragen zu beantworten, werden an erster Stelle die von den Vereinen selbst erzeugten Schriften herangezogen: in erster Linie Zeitschriften und Jahresberichte. Sie enthalten Tätigkeits- und Finanzberichte, Protokolle, Auflistungen der Funktionäre, Nachrichten aus dem Vereinsleben und vieles mehr (u. a. Kreuzworträtsel, Kurzgeschichten, medizinische Fragekästen, Rezepte usw.). Vereinszeitschriften und Jahresberichte sind gut geeignet, um einen Überblick über die formalen Strukturen und die offizielle Haltung zu gewinnen. Jedoch variiert die Transparenz von Verein zu Verein und auch über die Zeit, so dass nur einige  – z. B. finanzielle  – Aspekte untersucht werden

1. Einleitung

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können. Auch strukturell gilt: Diejenigen, die die Ämter innehaben, sind nicht unbedingt auch diejenigen, die tatsächlich die Arbeit ausführen. Ein Vorstand kann sich in aktive, sich tatsächlich einbringende Mitglieder und „Galionsfiguren“, die aus politischen Gründen bestellt werden, teilen. Wer welche Funktion hat, lässt sich anhand dieser Quellen nicht immer eruieren. Auch Krisen, Probleme und interne Unstimmigkeiten kommen hier – davon muss man ausgehen – nur begrenzt zum Vorschein. Aber es gibt gelegentlich durchaus Dokumente, in denen diese offen besprochen werden, jedoch auch solche, in denen selbst ernsthafte Bedrohungen komplett verschwiegen werden. So weit wie möglich wurden daher andere Quellen herangezogen, um das Bild auszubalancieren; vervollständigt werden kann es jedoch nicht. Der stellenweise mögliche Vergleich der Vereinszeitschriften mit Archivmaterial und Angaben von Zeitzeugen vermag jedoch die hier skizzierte Quellenproblematik ein wenig zu entschärfen. Im Folgenden werden zuerst die drei Patientenvereine gesondert dargestellt sowie ihre strukturelle Entwicklung und Ausrichtung im Untersuchungszeitraum nachgezeichnet. Je nach Quellenlage und besonderen Merkmalen der Vereine sind die Übersichten etwas anders gewichtet. Bei dem Allergikerbund spielen die Kommunikationswege und Bemühungen um Mitgliederwerbung, beim Diabetikerbund die Tätigkeiten im Landesverband Saarland und bei der Hämophiliegesellschaft die Verflechtungen mit Ärzten und Industrie die Hauptrolle. Danach wird auf bestimmte, alle Organisationen betreffende Problemstellungen eingegangen: ihre Beziehungen zu Patientengruppen in anderen Ländern, die von ihnen ausgehende politische Einflussnahme sowie ihre Verflechtungen mit der ärztlichen Profession. Darauf aufbauend folgen eine Analyse und historische Einordnung des Phänomens Patientenverein sowie abschließend ein Ausblick auf die durch die Studie deutlich gewordenen Forschungsdesiderate.

2. Gesunde und Kranke, Laien und Experten: Medizinhistorischer Kontext der Patientenbewegung Die Geburt der diagnosespezifischen Patientenvereine muss vor dem Hintergrund des großen Wandels im medizinischen Denken und im ärztlichen Alltag des 19. Jahrhunderts betrachtet werden. Ein verändertes Verständnis von Krankheit sowie eine neu definierte Zweckbestimmung klinischer Praxis versetzten den Patienten konzeptuell wie geographisch und sozial in eine neue Lage, aus der heraus die Patientenorganisation ermöglicht wurde. Gut bekannt ist der Paradigmenwechsel von klimatologischen und humoralpathologischen Theorien zur Bakteriologie im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Die neue, naturwissenschaftlich orientierte und zunehmend technologisierte Medizin entfernte sich dabei von dem Allgemeinwissen und -verständnis von Krankheit und Gesundheit, und die ärztliche Praxis unterschied sich zunehmend von alltäglichen Gesundheitspraktiken. Das Krankenhaus wandelte sich vom Verwahrungsort für Bedürftige, die krank waren, zum Behandlungszentrum für Kranke  – zwar nicht unabhängig von ihrer sozialen Stellung, aber nicht mehr mit Armut und sozialer Ausgrenzung als vorrangigen Auswahlkriterien.1 Im Bereich der Krankheitskonzepte fand ein ontologischer Wandel statt – eine Krankheit wurde zunehmend als ausgeprägte Einheit verstanden, die sich im Körper des Einzelnen einnistete.2 Damit wurde die Idee möglich, dass ein und dieselbe Krankheit eine Gruppe von Menschen vereinte. Wenn Patienten mit identischer Diagnose das gleiche „Etwas“ in ihren Körpern trugen, konnten sie erwarten, dass das Wissen über den Körper des Leidensgenossen auch etwas über den eigenen Körper aussagen würde. Dieses Wissen konnte wissenschaftlich oder alltäglich sein – das Expertenwissen spezialisierter Ärzte und die Erfahrungen anderer Patienten in der Krankheitsbewältigung wurden für spezifische, von der Krankheit ausgehende, abgegrenzte Gruppen interessant. Weil sie dasselbe Leiden teilten, war das Wissen darüber potentiell hilfreich, um die richtige Behandlung zu erhalten und um das eigene Leben so einzurichten, dass es trotz Krankheit möglichst erträglich werden konnte. Damit war ein Bedürfnis entstanden, innerhalb von bestimmten Patientengruppen spezifisches Wissen zu vermitteln und auszutauschen. Es entwickelten sich also im medizinischen Bereich ab dem späten 19.  Jahrhundert verstärkt Kategorien von Menschen, die bestimmte Eigenschaften und Bedürfnisse teilten, weil sie dieselbe Krankheit hatten. Auf einer übergreifenden Ebene wandelte sich bald auch die Patientenrolle an sich. Von den USA ausgehend etablierte sich ab den 1920er Jahren der Gedanke, dass Patienten als Verbraucher medizinischer Dienstleistungen zu verstehen sind. Der ‚Patient-Consumer‘ entstand dort aus einer Unzufriedenheit mit dem Kosten-Nutzen-Verhältnis medizinischer Behandlungen heraus: Die Erwartun1 2

Rosenberg (1987), S. 142–165, 337–349. Worboys (2000), S. 278–286.

2. Gesunde und Kranke, Laien und Experten

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gen an die moderne, wissenschaftliche und professionalisierte Medizin waren groß, die Preise hoch, aber die Ergebnisse oft enttäuschend. Patienten, die aus anderen Lebensbereichen zunehmend daran gewöhnt waren, Preise und Qualität zu hinterfragen und zu vergleichen, übertrugen diese Verhaltensweise auf den medizinischen Sektor. Damit wurde in einem Gesundheitssystem ohne gesetzliche Krankenversicherung einerseits viel Macht, andererseits viel Verantwortung auf den Einzelnen übertragen: Der Patient war nicht mehr hilflos dem Arzt ausgeliefert, sondern konnte die Behandlung hinterfragen und anderswo eventuell etwas Besseres suchen. Gleichzeitig erforderten die Auswertung und Wahl medizinischer Dienstleistungen und Produkte viel Kompetenz und Energie. Die späteren amerikanischen Patientenbewegungen (ab den 1970er Jahren) werden in der Forschung vor diesem Hintergrund als Verbraucherorganisationen verstanden.3 Die Entwicklung eines kaum regulierten medizinischen Marktes in den USA und die damit verbundenen Veränderungen in der Patientenrolle können nicht ohne weiteres auf andere Länder übertragen werden. Gleichwohl hat sich gezeigt, dass sich der Verbrauchergedanke – mit Hilfe von Patientenorganisationen  – selbst in einem staatlichen Gesundheitssystem wie dem Großbritanniens durchsetzen konnte.4 Große Linien wie diese sind für Deutschland schwerer auszumachen. Da, einhergehend mit der politischen Entwicklung, das deutsche Gesundheitssystem und die medizinischen Denk- und Handlungsweisen im 20. Jahrhundert tiefe Zäsuren erlebten, ist eine sich kontinuierlich entwickelnde Patientenrolle hierzulande kaum zu erkennen. Einige Punkte lassen sich allerdings festhalten: Die Krankenkassen hatten im Kaiserreich die Kontaktflächen zwischen den weniger wohlhabenden Bevölkerungsschichten und Ärzten ausgeweitet, auch wenn die ‚Patient-Consumer‘-Rolle auf Kassenpatienten eher weniger zutraf.5 Gleichzeitig kam aber auch in Deutschland, ähnlich wie in den USA, eine zunehmende Unzufriedenheit seitens der Patienten mit der ‚Krise der Medizin‘ zum Ausdruck: Enttäuscht von den nicht eingehaltenen Versprechen der naturwissenschaftlichen Schulmedizin, wandten sich in den 1920er Jahren viele Patienten an alternative Heiler und Methoden.6 In der Bundesrepublik – dem geographischen wie chronologischen Schwerpunkt dieser Arbeit – blickten Mediziner bei der Suche nach einer Neuorientierung nach dem Nationalsozialismus in Richtung USA. Die Unterschiede der Gesundheitssysteme bedeuteten aber, dass in vielen Bereichen, insbesondere bei der Rolle der Patienten, US-amerikanische Modelle nur bedingt übertragbar waren. Ein medizinischer Markt, auf dem sich die Patienten wie Verbraucher verhielten, ist bekanntlich in Westdeutschland nicht entstanden.7 Strukturell gab es in der Bundesrepublik im Unterschied zu den USA keine 3 4 5 6 7

Tomes (2016). Mold (2010). Frevert (1985). Bothe (1998), S. 16–37. Timmermann (2010).

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2. Gesunde und Kranke, Laien und Experten

aufgeklärten, kompetenten Patienten, die sich auf einem freien Markt medizinische Dienstleistungen suchten. Trotzdem erreichten Impulse aus der USamerikanischen Medizin durch eine intensive populärwissenschaftliche Berichterstattung die Öffentlichkeit. In Magazinen wie Der Spiegel nahm man sich des Themas, der Schaffung eines konsumorientierten Medizinmarkts nach amerikanischem Vorbild, an.8 Insofern konnte ein solches Verbrauchermodell durchaus das Selbstverständnis westdeutscher Patienten beeinflussen, auch wenn sie nicht real auf einem medizinischen Markt „shoppen“ konnten. Im westdeutschen Kontext waren für die wachsende Bedeutung der Patientenautonomie nach dem Zweiten Weltkrieg aber die Nachwirkungen der von nationalsozialistischen Ärzten begangenen Verbrechen wichtiger. Im Nürnberger Kodex wurden Einwilligung und Aufklärung als ärztliche Pflicht festgeschrieben. Damit zog auch die Idee eines informierten und frei entscheidenden Patienten in die Richtlinien für die ärztliche Tätigkeit ein. Zwar handelte es sich vorerst um die Forschung, aber das Konzept der informierten Einwilligung erweiterte sich bald auch auf den therapeutischen Bereich.9 Insgesamt kann im Untersuchungszeitraum in der westlichen Welt generell sowie spezifisch in Deutschland beobachtet werden, wie medizinische Themen in der Öffentlichkeit viel Platz einnahmen und dass dabei der Patient und seine Rechte besondere Aufmerksamkeit erhielten. Die Patientenvereine sind also Teil eines größeren medizinhistorischen bzw. gesellschaftlichen Trends. Das muss nicht bedeuten, dass sie offensiv Patientenrechte gegenüber Ärzten und medizinischen Institutionen vertraten. Das Motiv ist auf einer grundlegenderen Ebene zu suchen: In Zeitschriften, Vorträgen und Kursen wurde medizinisches Wissen an ein – in diesem Fall spezifisches, weil betroffenes  – Laienpublikum vermittelt. Weiter deutet der Umstand, dass viele Menschen bereit waren, sich auf Basis einer Krankheit zu organisieren, und damit Ansprechpartner für andere Akteure im Gesundheitssektor wurden, auf ein neues Bewusstsein vom Patienten als medizinisches Subjekt hin.

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Prüll (2010). Vgl. Prüll (2010). Vgl. auch Noack (2004).

3. Der Allergikerbund und der Kampf um das Wissen über Allergien Der Allergiker- und Asthmatikerbund ist, wie bereits erwähnt, vermutlich der älteste deutsche Patientenverein und wechselte in seiner über hundertjährigen Geschichte mehrfach den Namen. Hier soll er der Einfachheit halber zumeist als Allergikerbund bzw. mit der Abkürzung AAB bezeichnet werden. Als „Heufieberbund von Helgoland“ 1897 gegründet, blieb die Organisation im Nationalsozialismus und auch während der Kriegsjahre bestehen. Die Gründung des Heufieberbunds ging auf die Initiative eines Weinhändlers aus Hannover, Otto Schultz, zurück. Es ist kaum etwas über seine Biographie bekannt, und die Angaben zur Gründung des Vereins basieren sämtlich auf seinen Erinnerungen: Er soll einige Jahre zuvor an dem damals mysteriösen und nicht allgemein bekannten oder anerkannten Leiden erkrankt sein und zufällig entdeckt haben, dass ein Seeurlaub Erleichterung brachte. Wegen der günstigen Lage und Topographie habe er sich im Anschluss für Helgoland als Zufluchtsort entschieden und von dort aus Kontakt mit anderen Leidenden mittels Anzeigen in der Tagespresse gesucht.1 Helgoland, erst seit 1890 durch ein Abkommen mit Großbritannien ins Deutsche Reich eingegliedert, war nicht einfach nur ein pollenarmer Ort – schon seit Jahrzehnten war die Insel auch ein beliebtes Reiseziel des deutschen Großbürgertums und Adels sowie vieler Künstler und Intellektueller.2 Genau diese Gruppen litten typischerweise an der, in Schultz’ Worten, „seit einer Reihe von Jahren immer häufiger auftretende[n]“3 Krankheit. Das Heufieber tauchte zum ersten Mal im medizinischen Bereich Anfang des 19. Jahrhunderts auf und wurde im frühen 20. Jahrhundert zur „Pollenallergie“. Die Entstehung der Diagnose bildet gewissermaßen eine Brücke zwischen alten und modernen medizinischen Paradigmen. Sie fügte sich zum Begriff der „Idiosynkrasie“, d. h. ein atypisches Reaktionsmuster in einer bestimmten Person, das nicht mit einer spezifischen Krankheit in Verbindung steht, einschließlich unerwünschter Reaktionen auf bestimmte Lebensmittel oder Pflanzen. Idiosynkrasien gehörten seit der Antike zum beschreibenden Repertoire der Medizin. Sie erklärten rätselhafte Fälle und führten nicht selten zu einem gewissen Gefühl von Stolz beim Patienten, der sich dadurch von der Masse abhebe.4 Darüber hinaus war der Einfluss von Klima und Geographie auf die Gesundheit seit der Antike bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Eckpfeiler medizinischer Erklärungsmodelle. Als Reaktion, die nur bei bestimmten Personen auftrat, aber auch abhängig von ihrem Standort und den Wetterbedingungen war, stellte Heuschnupfen eine neue Erschei1 2 3 4

AAB, Bericht X des Heufieberbundes von Helgoland nach den Mitteilungen von Heufieberkranken und nach wissenschaftlichen Schriften (1908), S. 57. Rüger (2018), S. 74–80. Schultz, Otto: Das Heufieber. Bericht I des Heufieberbundes von Helgoland. In: AAB, Bericht 40 über das Jahr 1937 (1938), S. 1–8. Schadewaldt (1980), Bd. 1, S. 5–38.

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3. Der Allergikerbund und der Kampf um das Wissen über Allergien

nung dar, die sich aber gut in langjährige ätiologische Modelle einfügte. Wie sich herausstellte, war Heuschnupfen jedoch auch für neue Modelle geeignet, die sich aus der Umstellung auf die bakteriologische Medizin ergaben. Als mikroskopische Körperchen als Krankheitserreger in Verdacht gerieten, richtete sich die Aufmerksamkeit zunehmend auf die Pollen. Das erklärte die saisonale und räumliche Kontingenz der Symptome, nicht jedoch die Idiosynkrasie.5 In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts legten die Ärzte Charles Richet (1850–1935) und Clemens von Pirquet (1874–1929) jeweils immunologische Studien vor, die dem Verdacht nachgingen, dass Idiosynkrasien tatsächlich Reaktionen des Immunsystems sein könnten. Richet beschrieb starke Reaktionen bei Hunden, die nach einer ersten Dosis erneut mit Pferdeserum injiziert wurden, und bezeichnete das Phänomen als „Anaphylaxie“. Pirquet führte „Allergie“ als Begriff für veränderte Immunreaktivität ein, entweder als Schutz gegen Krankheiten nach der Impfung oder als Empfindlichkeit gegenüber ansonsten harmlosen Substanzen.6 Da die Symptome, die Pirquet und Richet beschrieben, an Heuschnupfen erinnerten und die Rolle des Immunsystems das Potential hatte, zu erklären, warum manche Menschen davon betroffen waren, andere dagegen nicht, wurde Heuschnupfen ab den 1910er Jahren als eine immunologische Reaktion auf Pollen betrachtet.7 Als der Vorgänger des Allergikerbundes gegründet wurde, war das Heufieber in der Öffentlichkeit weder sehr bekannt noch als somatische Krankheit medizinisch anerkannt. Von den Vertretern des psychiatrischen Erklärungsmodells wurden sogar der Patientenverein und die von ihm veröffentlichten Symptombeschreibungen als Belege für die These genommen, dass es ein hysterisches Leiden sei. So zitierte im Jahr 1902 der Heilbronner Arzt Joseph Rudolph in der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch-gerichtliche Medizin einige Symptombeschreibungen aus den Berichten des Vereins und kommentierte: Sind dies alles neben der Neigung zum Selbstkurieren nicht Symptome, wie sie bei der Hysterie resp. dem hysterischen Irresein auftreten? Auch die Thatsache, dass sogar ein Heufieberbund […] gegründet wurde, lässt sich vom Standpunkte des hysterischen Interessanterscheinenwollens auffassen. Das Kapitel über psychische Ansteckung und inducirtes Irresein ist hier ins Auge zu fassen. Vielleicht lässt sich auch auf diese Weise das gleichzeitige Erkranken der Patienten am gleichen Ort erklären. […] Hysterische Personen, die im Frühjahr einen tüchtigen Schnupfen acquirirt haben, nehmen Notiz von der Existenz dieses Krankenbundes, um auch schon in geheimer Seele den Wunsch aufkeimen zu fühlen, diesem Bunde beizutreten. Ihr Schnupfen ist natürlich ein Heuschnupfen. […] Gelehrte und Aristokraten sind die Patienten. Auf der einen Seite Leute, die durch Ueberarbeitung und Ueberanstrengung an ‚chronischer Erschöpfung‘ leiden, auf der anderen Seite Leute, bei denen hauptsächlich durch den in diesen Kreisen üblichen Heiratsmodus Körper und Nervensystem der Degeneration entgegengeführt werden.8

5 6 7 8

Keirns (2008). Jackson (2007), S. 27–55. Keirns (2008). Rudolph (1902), S. 913.

3. Der Allergikerbund und der Kampf um das Wissen über Allergien

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Sich gegen solche Vorwürfe zu wehren, war eine zentrale Aufgabe des Vereins, genauso die Aufmerksamkeit der Medizin zu gewinnen und die fehlende Versorgung aufzubauen. Das Mittel dazu waren Jahresberichte. Jedes Jahr wurde ein Büchlein herausgegeben, dessen beabsichtigte Verwendung dadurch angedeutet wird, dass die Veröffentlichung immer im Frühjahr stattfand, d. h. kurz vor Beginn der europäischen Pollensaison. Durch das Lesen des Berichts sollte das Mitglied die aktuellsten Erkenntnisse erhalten, um sich in dieser schwierigen Jahreszeit selbst helfen zu können. Die Berichte bestanden aus einer Mischung aus Nachrichten zur Forschung und persönlichen Erfahrungen des Verfassers (meist ein selbst von Heufieber betroffener Arzt) und der Mitglieder, die sich in Briefen und ausgefüllten Fragebögen mitteilten. Besprochen wurden Arzneimittel, Kurorte und Ratschläge zur Lebensführung. Die verschiedenen Quellen standen dabei gleichberechtigt nebeneinander – ärztliches Wissen hatte nicht unbedingt Vorrang vor der Patientenerfahrung, ganz im Gegenteil: Laut des Berichts von 1901 seien am ärztlichen Wissen über Heufieber Zweifel angebracht, während zuverlässige Berichte von den Betroffenen selbst kämen.9 Parallel zu dem steigenden medizinischen Interesse an der Krankheit nahm in den Berichten allmählich die Zahl der wissenschaftlichen Beiträge zu. Ärzte und andere Forscher veröffentlichten dort kleine wissenschaftliche Abhandlungen und Forschungsberichte. Das Zielpublikum blieben aber eindeutig die Patienten. „Was die Symptome des Heufiebers betrifft“, schrieb der Berichterstatter und Arzt Richard Mohr 1904, „so könnte ich mir deren Aufzählung wohl eigentlich ersparen, da sie jedem einzelnen der Leser bekannt sein dürften, teils aus Beobachtungen am eigenen Körper, teils aus unseren früheren Berichten.“10 Sieben Jahre später begann sein Kollege Theodor Albrecht die Beschreibung von Symptomen immer noch mit der Feststellung, dass „[d]ie Art und Weise, wie diese Erscheinungen sich äußern, […] unseren Lesern allbekannt“ sei.11 Obwohl einige Abschnitte des Berichts bereits Anklänge an die Fachliteratur aufweisen, gingen die Redakteure offensichtlich immer noch von einer Leserschaft aus, die überwiegend aus Patienten bestand. Sie setzten also voraus, dass diese die wissenschaftlichen Inhalte verstanden und für nützlich hielten. Für solche Erwartungen an die Betroffenen musste man der Überzeugung sein, dass die Patienten zu einer bestimmten Klasse gehörten. Die Redakteure der Jahresberichte hatten vor allem den gebildeten Leser vor Augen. Die Vereinsmitglieder waren Menschen, denen man zutrauen konnte, aus den Texten qualifizierte Schlussfolgerungen für ihre eigene Gesundheit zu ziehen, Fachliteratur kompetent zu interpretieren und neue medizinische Erkenntnisse selbständig umzusetzen.

9 AAB, Mohr/Baerwald (1901), S. 19, 27. 10 AAB, Mohr (1904), S. 34. Hervorhebung im Original. 11 AAB, Bericht XIII nach den Mitteilungen von Heufieberkranken und nach wissenschaftlichen Schriften (1911), S. 20.

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3. Der Allergikerbund und der Kampf um das Wissen über Allergien

Nach einer Zeit der verhaltenen Tätigkeit während des Ersten Weltkriegs erholte sich der Verein um 1920 einigermaßen, obwohl er mit einigen Turbulenzen in seiner Verwaltung zu kämpfen hatte.12 Kurzzeitig spaltete sich ein Teil des Vereins unter dem Namen „Verein zur Bekämpfung des Heufieberleidens“ ab, aber beide Organisationen vereinten sich bald wieder miteinander.13 Als die Aktivität wieder verstärkt aufgenommen wurde, zeigte sich deutlich, dass sich hinsichtlich der Wahrnehmung dieser Krankheit viel verändert hatte. Das beinahe glamouröse Gefühl, das das Heufieber lange begleitet hatte, war verblasst. Im Bericht von 1919 wurde zwar immer noch behauptet, Heuschnupfen sei eine Krankheit der Intellektuellen, nicht der Arbeiter,14 oder mit anderen Worten: „eine Kulturkrankheit besonders hochgezüchteter, reizempfindlicher Wesen“.15 Doch nur wenige Jahre später musste der Vorstand entsetzt feststellen, dass der Verein nach Ansicht der örtlichen Verwaltung in Helgoland „zu viele Arme“ auf die Insel brachte. Trotz der empörten Reaktion auf solche Behauptungen schien die Assoziation des Heuschnupfens mit sozialer Bedürftigkeit nicht mehr völlig absurd zu sein. Die Hyperinflation hatte zudem sowohl die Vereinskasse als auch das Vermögen der Mitglieder getroffen. 1923 bat der Vorstand bessergestellte Mitglieder um zusätzliche Zahlungen. Damit war implizit ausgesprochen, dass es auch „sozial schwächere“ Mitglieder gab – von solchen war vorher nicht die Rede gewesen.16 Während die Wahl des Kurortes zuvor eine Frage des Geschmacks und der gesundheitlichen Verfassung gewesen war, begann man nun in den Berichten, die Erschwinglichkeit von Unterkünften und Heilmitteln zu diskutieren.17 Heufieber war lange Zeit die Krankheit der Bourgeoisie, der Reichen und der Intellektuellen gewesen. Obwohl diese Schichten durch das moderne Leben (Stichwort: Urbanisierung) gesundheitlich belastet waren, genossen sie das Privileg, sich notfalls rasch Linderung – eine Kurreise – zu verschaffen, die zudem keineswegs als unangenehm empfunden wurde. Als der Erste Weltkrieg und die folgende Finanzkrise dem hohen Lebensstand ein Ende bereiteten, verlor Heuschnupfen seine bisherige Bindung an eine bestimmte soziokulturelle Identität. Gleichzeitig wurde die „kuriose“ Diagnose zunehmend im medizinischen Mainstream akzeptiert und bekam von Fachleuten mehr Aufmerksamkeit als je zuvor.18 Der Status der Patienten sank, während der der medizinischen Experten an Bedeutung zunahm. Die Jahresberichte wurden auch nach dem Ersten Weltkrieg weiterhin veröffentlicht. Sie enthielten allerdings keinen Überblick über den aktuellen Wissensstand mehr, sondern eine Reihe von Artikeln, die sich mit bestimm12 13 14 15 16

AAB, Geschäftsbericht für das Jahr 1919 (1920), S. 4–6. AAB, Bericht 25 (1923), S. 5. AAB, Bericht XXI (1919), S. 10. AAB, Bericht XXI (1919), S. 29. „[S]olche Mitglieder, die ihrer Stellung und wirtschaftlicher Lage zufolge auch gerne bereit sein werden, unserer Bitte zu entsprechen“; „sozial schwächere Mitglieder“. AAB, Bericht 25 (1923), S. 6. 17 AAB, Jahresbericht (1922), S. 5, 7 f.; AAB, 2. Jahres-Bericht für das Jahr 1921 (1922), S. 4. 18 Keirns (2008).

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ten Themen befassten –wie in einer Fachzeitschrift. Die meisten Autoren waren Ärzte, die ihre eigene Forschung vorstellten und verschiedene Theorien und Behandlungen propagierten. Zunächst blieben die Grenzen zwischen Vereinsangelegenheiten, Mitgliedererfahrung und medizinischer Forschung unscharf. Der Dresdner Arzt Heinrich Schneider veröffentlichte dort zum Beispiel acht Fallstudien zur prophylaktischen Wirkung von Reflexpunktmassagen. In jedem Fall vermerkte er, ob der Patient auch Vereinsmitglied war und gegebenenfalls seine Funktion im Vorstand.19 Hier erreichten die persönlichen Erfahrungen der anderen Mitglieder erneut die Leser eines Berichts. Schneider zitierte seine Patienten und berichtete ausführlich über ihre Symptome. Die Tatsache, dass die Probanden nicht irgendwer waren, sondern Mitglieder des Vereins, schien die Glaubwürdigkeit zu verbessern. Dies waren Elemente von Laienwissen;20 in ähnlicher Weise finden sich im Geschäftsbericht Elemente eines Expertenwissens: Ärzte hielten auf der Jahrestagung Vorträge, deren Inhalte in das Protokoll aufgenommen wurden, ebenso wie ausgewählte Briefe und Zuschriften von Ärzten.21 Im Laufe der 1920er Jahre nahm diese Ambivalenz des Wissens ab. Bis 1928 waren die Laien- und Fachkenntnisse so weit auseinandergerückt, dass die Jahresversammlung beschloss, die Berichte in zwei Abschnitte aufzuteilen – den „geschäftlichen“ und den „wissenschaftlichen Teil“.22 Ersterer enthielt immer noch umfangreiche Mitteilungen über die Krankheit, jedoch auf eine Weise, die dem sozialen Wandel der Mitgliederschaft im Heufieberbund Rechnung trug. Wandel und verspäteter Erfolg des Allergikerund Asthmatikerbundes Explizit politische Inhalte kamen in den Berichten des AAB bis in die späten 1930er Jahre nicht vor. Der Erste Weltkrieg wurde nur im Zusammenhang mit den konkreten Auswirkungen auf Vereinsarbeit und Krankheitsbewältigung erwähnt, wie z. B. bei Helgolandreisen oder dem Militärdienst der Vorstandsärzte.23 Tendenzen in irgendeine politische Richtung sind auch in der Zwischenkriegszeit nicht zu erkennen. Stattdessen war der Verein intensiv damit beschäftigt, die Beziehung zur Ärzteschaft zu verbessern und zu stärken. Dazu gehörten die Wahl eines neuen Mottos („Nichts ohne ärztlichen Rat!“),24 die systematische Kontaktaufnahme mit praktizierenden Ärzten sowie die Einrichtung eines neuen Gremiums – der Wissenschaftlichen Zentralstelle – im Jahr 1935. Klares Ziel dieser Bestrebungen war, Selbstbehandlung ohne ärzt19 20 21 22 23 24

AAB, Jahresbericht (1922), S. 13–19. Vgl. Mol (2002), S. 146 f. AAB, Bericht 25 (1923), S. 3–21. AAB, Bericht 31 für das Jahr 1928 (1929). Vgl. bspw. AAB, Bericht 31 für das Jahr 1928 (1929), S. 3–5. AAB, Bericht 36 für das Jahr 1933 (1934), S. III.

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liche Verordnung und Behandlung durch Laien zu bekämpfen.25 Die Entwicklung des Allergikerbundes hin zu einem weniger pluralistischen, sich der ärztlichen Deutungshoheit unterwerfenden Verein fand damit zeitgleich mit der in der Forschung oft zitierten „Krise der Medizin“ statt. Vor dem Hintergrund der von Alfred Haug beobachteten Abwehrreaktionen der Ärzteschaft gegenüber einem zunehmenden Interesse der Bevölkerung an Selbsthilfe und alternativen Behandlungen26 tritt ein ambivalentes Bild der Neuausrichtung des Allergikerbundes zutage. Gerade zu der Zeit, als Akteure außerhalb der Schulmedizin an Popularität gewannen, zeigte der Allergikerbund die entgegengesetzte Tendenz auf. Der Verlust des Vertrauens in die Medizin seitens der Allgemeinbevölkerung wiederum wurde, wie Haug betont, von einer verstärkten Intoleranz der meisten Ärzte gegenüber Laieninitiativen begleitet. Der Allergikerbund wurde Schauplatz dieser Auseinandersetzung und ein Ort, an dem die Schulmedizin andere Akteure verdrängen konnte. Offensichtlich blieb der Verein, trotz der Gleichschaltung und Zwangsauflösung anderer Organisationen ab 1933, vorerst als selbständige Körperschaft bestehen. Der Vorstand wurde zwar zum Teil erneuert, aber es finden sich keine Belege dafür, dass die Entscheidung politisch bedingt war. Die Ämter behielten die herkömmlichen Bezeichnungen, wurden also nicht nach dem Führerprinzip umgestaltet.27 Die neue politische Lage hinterließ eine Weile auch kaum Spuren in den Berichten – dann, ab 1936, schließt das Vorwort immer mit einem „Heil Hitler!“.28 Die Gleichschaltung dauerte allerdings bis 1938, als der Verein Mitglied der NS-Organisation „Reichsarbeitsgemeinschaft der Verbände für naturgemäße Lebens- und Heilweise“ (ab 1941 „Deutscher Volksgesundheitsbund“) wurde.29 Die Zugehörigkeit des AAB zu gerade dieser Körperschaft ist bemerkenswert. Keiner der anderen Mitgliedsverbände war nämlich ein diagnosespezifischer Patientenverein. Vielmehr waren die meisten Interessenvertreter alternativmedizinischer Verfahren wie Homöopathie oder Kneipp-Therapie.30 Der Allergikerbund wurde also durch diese willkürliche Zuordnung Teil eines Zusammenschlusses von Laienverbänden und Laienpraktikern, obwohl man sich gerade bemüht hatte, nicht zu dieser Gruppe zu gehören, und auch nicht zu den Kritikern der Schulmedizin zählte.

25 AAB, Bericht 35 für das Jahr 1932 (1933), S. 162; AAB, Bericht 39 für das Jahr 1936 (1937), S. 10; Die wissenschaftliche Zentralstelle des Heufieberbundes E. V. In: AAB, Bericht 38 für das Jahr 1935 (1936), S. 111–115. 26 Haug (1998), S. 29–38. 27 Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Ausscheiden des Geschäftsführers Heinrich Stolzenberg zum Monatswechsel April/Mai 1933 eine politische Dimension hatte – allerdings wird das nicht in den Quellen angedeutet, und es konnten auch keine anderen Belege dafür gefunden werden. In den Berichten werden gesundheitliche Gründe für seinen Rücktritt genannt, eine gewisse Unzufriedenheit mit seiner Person wird aber auch spürbar. Vgl. AAB, Bericht 36 für das Jahr 1933 (1934), S. 367, 380 f. 28 AAB, Bericht 38 für das Jahr 1935 (1936), S. IV. 29 AAB, Bericht 41 über das Jahr 1938 (1939), S. 132 ff. 30 Karrasch (1998), S. 43–214.

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Der Verein trat in die Reichsarbeitsgemeinschaft als „selbständiges“ Mitglied ein. Worin diese Selbständigkeit bestand, ist nicht offensichtlich. Die eigene Geschichtsschreibung31 sowie die Arbeit von Bertram Karrasch32 über Naturheilkundeverbände im Dritten Reich bleiben bei der einfachen Aussage, dass der Heufieberbund weitgehend selbständig geblieben bzw. nicht gleichgeschaltet worden sei. Aus der tatsächlichen Tätigkeit geht das aber nicht hervor: In der einstimmig angenommenen neuen Satzung von 1938 wurde der Heufieberbund dem Beirat der Reichsarbeitsgemeinschaft unterstellt. Der schon davor begonnene Prozess, jüdische Mitglieder aus dem Verband zu vertreiben, wurde in der Satzung verankert.33 Die Vereinstätigkeit war in den Kriegsjahren, wie zuvor im Ersten Weltkrieg auch, eingeschränkt, Berichte erschienen allerdings noch bis 1944.34 Um die folgende dreijährige Lücke mit dem fast völligen Erliegen der Vereinstätigkeit zu erklären, würden sicher allein die chaotischen Zustände in den letzten Kriegsjahren ausreichen. In diesem Fall kamen aber auch besondere, den Heufieberbund betreffende Umstände dazu. Der langjährige Vorsitzende Werner Lindgens fiel 1945 einem Raubmord zum Opfer.35 Helgoland, ehemaliges Zentrum der Aktivitäten und von großer symbolischer Bedeutung, stand nach Kriegsende unter britischer Militärverwaltung, wurde evakuiert und 1947 durch eine kontrollierte Sprengung weitgehend zerstört.36 Noch im gleichen Jahr aber traf sich der Heufieberbund auf Wangerooge zur Mitgliederversammlung mit dem Ziel, die Vereinstätigkeit wieder offiziell aufzunehmen. Zum Vorsitzenden wurde der ehemalige Zentrums-Politiker Heinrich Borgs-Maciejewski,37 zum stellvertretenden Vorsitzenden der Rechtsanwalt Eugen Göpel und zum Schriftführer Eberhard Ristein gewählt. Sie waren alle seit den frühen 1930er Jahren, im Falle von Borgs-Maciejewski ab 1928, im Heufieberbund aktiv, lediglich Göpel übernahm 1947 erstmalig formell ein Amt. Im Beirat und in der Leitung der Wissenschaftlichen Zentralstelle sah es ähnlich aus: Der Dermatologe Carl Ludwig Karrenberg sowie der Kaufmann Hans Ploenes waren seit 1934 bzw. 1933 aktiv. Lediglich bei der Berufung des Arztes und Pharmakologen Gerhard Orzechowski in beide Gremien handelte es sich um eine neue Personalentscheidung.38 Karrenberg und Orzechowski waren beide ehemalige SA-Mitglieder. Zusammen mit Kollegen hatte Karrenberg 1934 seinen Vorgesetzten an der Bonner Hautklinik, Erich Hoffmann, wegen dessen kritischen Äußerungen zum Nationalsozialismus denunziert und zu seiner Zwangsemeritierung beigetragen.39 Orzechowski war 31 32 33 34 35 36 37 38 39

Wallrafen/Fammler (2009). Karrasch (1998), S. 194–205. AAB, Bericht 41 über das Jahr 1938 (1939), S. 132 ff. Karrasch (1998), S. 203–205. AAB, Jubiläums-Jahresbericht 1949 (1950), S. 79–85. Rüger (2018), S. 331–334. Wensky (1995), S. 54 f. AAB, Jahresbericht 1948 (1949). Vgl. zu Karrenberg Forsbach (2006), S. 363 f.

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während des Zweiten Weltkriegs mit der Entwicklung leistungssteigernder Drogen für den Kampfeinsatz beschäftigt.40 Die Zusammensetzung des Vorstandes belegt, trotz der oben erwähnten einschneidenden Ereignisse, die großen Kontinuitäten seit dem Nationalsozialismus. Der Vorstand der unmittelbaren Nachkriegszeit hatte den Verein – auch als er Teil des nationalsozialistischen Volksgesundheitsbundes war – mitgesteuert. Ploenes, Göpel und Borgs-Maciejewski sollten auch noch bis in die zweite Hälfte der 1960er Jahre hinein in verschiedenen Konstellationen untereinander den Bund leiten. Erst 1965 bzw. 1966 legten sie ihre Ämter nieder.41 Genaue Angaben zu Mitgliederzahlen sind in den gedruckten Quellen des Allergikerbundes rar. Es wird über Steigerungen und Stagnationen berichtet, aber meist ohne genaue Zahlen zu nennen. Klar ist allerdings, dass der Verein, der in der Zwischenkriegszeit noch etwa 1.500 Mitglieder hatte, dann deutlich geschrumpft war und lange brauchte, um sich zu erholen. Im Jahr 1949 hatte der Verein nur noch 250 Mitglieder.42 Die Einnahmen durch Mitgliedsbeiträge im Laufe der 1950er und 1960er Jahre deuten darauf hin, dass der Zuwachs nur langsam voranschritt.43 Vermutlich blieben zahlreiche Mitglieder im Zahlungsrückstand, so dass sich von der Gesamthöhe der eingenommenen Beiträge nicht genau auf die Zahl der Mitglieder schließen lässt. Nichtsdestotrotz muss als relativ sicher angenommen werden, dass die Mitgliedschaft des AAB sich zu dieser Zeit in einer Größenordnung von einigen Hundert Personen bewegte: Eine Übersicht von 1975 lässt auf ca. 600 Mitglieder schließen.44 Diese schleppende Entwicklung setzte sich in den 1970er Jahren fort und spiegelte sich in den Vereinsschriften durch dringende Bitten nach Einzahlung der Beiträge und Mitgliederwerbung wider.45 Mit erhöhten Jahresbeiträgen – ab 1970 zunächst 30, ab 1975 dann 40 DM – und durch Erlöse aus Inseraten konnte sich der Verein über Wasser halten.46 Spenden und sonstige 40 Vgl. zu Orzechowski Kieler Gelehrtenverzeichnis: Gerhard Richard Theodor Orzechowski, URL: http://www.gelehrtenverzeichnis.de/person/af627c7b-af80-fdb6–986d-4d4c60 09e7e6 (letzter Zugriff: 28.8.2019). Vgl. auch Ohler (2015), S. 258–260. 41 AAB, Jahresbericht 1965 (1966); AAB, Jahresbericht 1966 (1967). 42 AAB, Jubiläums-Jahresbericht 1949 (1950), S.  194. Die letzte genaue Angabe zur Mitgliederzahl davor ist vom 17. Juni 1935 – zu diesem Zeitpunkt hatte der Bund 1.386 zahlende Mitglieder. Vgl. AAB, Bericht 38 für das Jahr 1935 (1936), S. 99. 43 1950 wurden bei einem Jahresbeitrag von 10 DM 2.593 DM eingenommen, 1959 bei gleichbleibender Höhe des Beitrages 3.879 DM und 1969, als der Jahresbeitrag inzwischen auf 20 DM gestiegen war, 9.212 DM (abgerundete Zahlen). AAB, Jahresbericht 1950 (1951), S. 38; AAB, Jahresbericht 1959 (1960), S. 78, 81; AAB, Jahresbericht 1969 (1970), S. 164, 167. 44 Schulten, Hans: Die Bedeutung des Laienbundes in der heutigen Gesellschaft. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 55 (1975), S. 5–9. 45 Vgl. bspw. Sehr geehrte Mitglieder. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 50 (1973), S. 5; An unsere Mitglieder. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 52 (1974), S. 1; Siebert, Gisela: Liebe Mitglieder! In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 59 (1976), S. 1. 46 AAB, Jahresbericht 1969 (1970), S. 164; Niederschrift über die Mitgliederversammlung des „Allergiker- und Asthmatikerbundes e. V.“ am 14. Juni 1974 in der Nordseehalle auf Helgoland. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 52 (1974), S. 2–7.

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Einnahmen spielten noch eine verhältnismäßig kleine Rolle.47 Die Stagnation führte dazu, dass Mitte der 1970er Jahre die Auflösung des Bundes erwägt wurde. Auf der Mitgliederversammlung 1974 stellte der Vorstand die Frage zur Probeabstimmung und erhielt ein einstimmiges „Ja“ für die Weiterführung „auf Sparflamme“.48 In der eigenen Vereinsgeschichte zum 111-jährigen Bestehen des AAB werden als Gründe für die Krise in den 1970er Jahren interne Streitigkeiten sowie die Gründung einer neuen, mit dem Allergikerbund nicht kooperierenden ärztlichen Arbeitsgemeinschaft für Allergologie genannt.49 Quellen, die dieses Bild bestätigen, konnten im Rahmen dieser Arbeit nicht ermittelt werden. Im Gegenteil ist den öffentlich zugänglichen Schriften zu entnehmen, dass immerhin die Zusammensetzung des Vorstandes in den 1970er Jahren durchaus relativ stabil blieb. Auch die enge Zusammenarbeit mit Ärzten bestand im gesamten Untersuchungszeitraum. So fungierte die genannte ärztliche Arbeitsgemeinschaft zeitweise als beratendes Gremium des AAB, der Gründer Viktor Ruppert (1909–1987) hatte auch Ämter im Patientenverein inne, hielt nach wie vor Vorträge auf den Jahresversammlungen und meldete sich in der Zeitschrift zu Wort.50 Sowohl eine formale als auch praktische Beziehung bestand also fort, bis Ruppert sowie zwei weitere, langjährige ärztliche Mitarbeiter sich 1976 aus Altersgründen aus dem Allergikerbund zurückzogen.51 Die Vermutung liegt daher nahe, dass der ausbleibende Erfolg des AAB – in einer Zeit, in der Patientenvereine generell ihre Popularität erhöhten  – auch strukturelle Gründe hatte. Im Folgenden sollen diese näher beleuchtet werden. Zur Zeit der Gründung des damaligen Heufieberbundes galt diese Krankheit, die noch nicht Allergie genannt wurde, bekanntlich als Leiden der gebildeten Oberschicht. Amerikanische Heufiebervereine waren bereits ein paar Jahrzehnte zuvor, in den 1870er Jahren, gegründet worden. Der „Heufieberbund von Helgoland“ ähnelte ihnen in der Zusammensetzung und im Profil sehr: Sie waren rund um exklusive Kurorte gegründete Gesellschaften, 47 Zusammen typischerweise nicht mehr als zehn Prozent der Einnahmen. Vgl. bspw. Niederschrift über die Mitgliederversammlung des „Allergiker- und Asthmatikerbundes e. V.“ am 9. Juni 1972 in der Nordseehalle auf Helgoland. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 49 (1973), S. 29–35; Protokoll der Jahreshauptversammlung am 11. Juni 1976 in der Nordseehalle auf Helgoland. In: Der Allergiker H. 60 (1976), S. 8–13. 48 Niederschrift über die Mitgliederversammlung des „Allergiker- und Asthmatikerbundes e. V.“ am 14. Juni 1974 in der Nordseehalle auf Helgoland. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 52 (1974), S. 2–7, Zitat S. 4. 49 Wallrafen/Fammler (2009). 50 Vgl. bspw. Der Allergiker und Asthmatiker H. 55 (1975), Vorderumschlag; Ruppert, Viktor: Bitte der Ärztlich-Wissenschaftlichen Zentralstelle an unsere Mitglieder. In: Der Allergiker und Asthmatiker H.  56 (1975), S.  1; Der Allergiker und Asthmatiker H.  57 (1976), Titelei; Ruppert, Viktor: Die Aufgaben des Arztes im Allergiker- und Asthmatiker-Bund. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 56 (1975), S. 12 f. Mehr zu dieser Beziehung in Kapitel 8. 51 Dr. med. Viktor Ruppert tritt ins zweite Glied. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 59 (1976), S. 2; An unsere Mitglieder. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 58 (1976), S. 1.

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die ein fröhliches Beisammensein während der Saison pflegten.52 In einem der ersten Jahresberichte des Heufieberbundes stellte der Schriftführer und Arzt Richard Mohr die „unleugbare Tatsache“ fest, dass „fast nur Angehörige der besseren und gebildeten Kreise vom Heufieber befallen werden, während Erfahrungen von Angehörigen der arbeitenden und der Handwerkerklassen, ferner aber auch der ländlichen Bevölkerung zu den Seltenheiten gehören“.53 Die schon etablierte Priorisierung der schriftlichen Kommunikation blieb im Allergikerbund der Nachkriegszeit bestehen. In der Pollensaison trafen sich viele Mitglieder auf Helgoland und an anderen Kurorten. Der Vorstand tagte auch außerhalb dieser Zeit. Abgesehen davon aber machten die Erstellung und Distribution der Jahresberichte und später der Zeitschrift die Kerntätigkeit des Vereins aus. So war der „Jubiläums-Jahresbericht“ von 1949 bereits der 48. Band dieser Reihe.54 Die Struktur der Jahresberichte blieb auch nach der schon erwähnten Umgestaltung in den 1920er Jahren erst einmal relativ stabil: Inhalte, die den Verein betrafen, wurden von Aufsätzen mit medizinischem oder sonstigem wissenschaftlichen Inhalt getrennt. Beschreibungen und Nachrichten von verschiedenen Kurorten wurden neben zahlreichen Anzeigen abgedruckt. Die Jahresberichte dienten mehreren Zwecken: natürlich der Vereinsinfrastruktur, mit allen grundlegenden Nachrichten über Satzungen, Versammlungen und Vertrauenspersonen; darüber hinaus auch lange sogar der Kommunikation innerhalb der Ärzteschaft. Es mangelte an deutschsprachigen Zeitschriften für Allergologie: Immunität, Allergie und Infektionskrankheiten erschien als erster Titel zwischen 1928 und 1936, dann sollte es wieder bis 1955 dauern, bis vergleichbare Periodika herausgegeben wurden.55 In den Jahresberichten des Allergikerbundes erschienen aber fortlaufend wissenschaftliche Abhandlungen im Bereich der Allergologie, so dass diese Publikationen, zumindest phasenweise, Patientenvereinsschriften und Fachzeitschriften zugleich waren. Daneben sollte der Jahresbericht weiterhin der Gesundheitspflege des Allergikers dienen. In den ersten Jahrzehnten war die Erwartung offensichtlich, dass der Heufieberleidende als höchst aktiver Patient selbst mit schriftlich festgehaltenen Erkenntnissen zur Aufklärung beitragen könne sowie gleichzeitig über neueste Ergebnisse aus der Forschung informiert werden sollte. Zusam52 Mitman (2008), S. 19–26. 53 Mohr, Richard: Das Wesen des Heufiebers und seine Behandlung. In: AAB, Bericht VIII des Heufieberbundes von Helgoland nach den Mitteilungen von Heufieberkranken und nach wissenschaftlichen Schriften (1906), S. 3–22, Zitat S. 10. Hervorhebung im Original. 54 1950 feierte man 50-jähriges Jubiläum und orientierte sich damit am Eintrag im Vereinsregister; nach früheren Angaben wurde der Verein allerdings schon 1897 gegründet und der erste Jahresbericht 1899 herausgegeben. Vgl. Freisburger, W.: 50 Jahre Heufieberbund. In: AAB, Jubiläums-Jahresbericht 1949 (1950), S. 13–26; Vorwort. In: AAB, Bericht 40 über das Jahr 1937 (1938), S. V–XI. 55 Ab 1955 gab die Deutsche Gesellschaft für Allergieforschung in Zusammenarbeit mit der entsprechenden DDR-Gesellschaft eine Zeitschrift unter wechselnden Titeln heraus, heute Allergologie. Vgl. dazu auch Schadewaldt (1984), S. 79–83.

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Fig. 1: An Ärzte und Patienten gerichtete Anzeigen in AAB, Jahresbericht 1959 (1960), S. 8 f.

men mit Informationen über Kurorte, Kliniken und Bezugsstellen für Medikamente ließ sich so ein individueller Plan zum Überstehen der kommenden Pollensaison erstellen  – deshalb die Tradition, dass der Bericht immer im Frühjahr erschien. Diese Ambition war zwar schon vor dem Zweiten Weltkrieg etwas gedämpft worden, obwohl wissenschaftliche Abhandlungen noch ihren Platz hatten. Mit der Gründung ärztlicher Fachgesellschaften und entsprechender Periodika war aber endgültig die Rolle des AAB als ‚Tandemverein‘ überholt, und man ging dazu über, populärmedizinisch für ein Laienpublikum zu berichten. Ab 1951 fand sich in Ingeborg Mauz, Mitglied aus Köln, eine Vermittlerin zwischen Laien und Fachwelt. Ihre Rubrik „Wissenswertes aus dem deutschen und ausländischen Schrifttum“ wurde bald fester Bestandteil der Jahresberichte.56 In dieser Form erschienen Jahresberichte bis einschließlich 1971. Die Jahresberichte waren also weitgehend als Handreichungen konzipiert, die jedes Jahr, auf dem neuesten Stand der Wissenschaft und der Auflistung von Kurorten beruhend, dem Allergiker mit Rat zur Seite standen. Damit waren sie ein deutliches Ergebnis der Fokussierung auf Pollenallergie als saisonales und ortsabhängiges Leiden. In der Nachkriegszeit wandelte sich das 56 Mauz, Ingeborg: Querschnitt durch die Allergie-Tagung in Köln. In: AAB, Jahresbericht 1950 (1951), S. 7–27; vgl. Mauz, Ingeborg: Wissenswertes aus dem deutschen und ausländischen Schrifttum. In: AAB, Jahresbericht 1955 (1956), S. 13–35. Mauz’ Artikel wurden später auch in der Vereinszeitschrift fortgeführt, vgl. bspw. Mauz, Ingeborg: Wissenswertes aus dem deutschen und ausländischen Schrifttum. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 51 (1974), S. 1–13.

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Krankheitsverständnis, was sich auch in den Publikationen des Allergikerbunds niederschlug. So änderte sich auch das Bild des Patienten: War der Heufieberkranke im 19. und frühen 20.  Jahrhundert ein überforderter Bildungsbürger gewesen, der Wochen in vornehmen Kurorten verweilte, wurde der Allergiker der Nachkriegszeit von Chemieprodukten und Umweltverschmutzung geplagt  – typischerweise als Bewohner einer asbestverseuchten Hochhaussiedlung.57 Kontakt-, Nahrungsmittel- und Medikamentenallergien hatten wenig mit dem zwar oft belächelten, aber doch schichtenspezifischen Heufieber von 1897 zu tun. Diese Erkrankungen sind außerdem nicht wie die Pollenallergie abhängig von der Jahreszeit, und als sie in den Tätigkeitsbereich des AAB miteinbezogen wurden, erschienen die auf die Pollensaison vorbereitenden Jahresberichte zunehmend als überholt. Als 1959 Der Allergiker, eine Zeitschrift mit mehreren Ausgaben pro Jahr, zum ersten Mal erschien, veränderte sich der Rhythmus des Vereinslebens. Die Vereinszeitung, ab 1972 alleinige Publikation des Allergikerbundes, umfasste kurze, allgemeinverständliche Texte über verschiedene Erscheinungsformen der Allergie. Daneben bot sie auch Vereinsnachrichten, Anzeigen sowie ab und zu einen Fragekasten unter der Rubrik „Der Allergiker fragt – der Arzt antwortet“. Durch Comics, Plaudereien und Notizen über besonders kuriose Fälle wurde auch für Unterhaltung gesorgt.58 Entsprechend der Bedeutung der Periodika waren die mit ihnen verbundenen Kosten lange die größten Ausgaben des Allergikerbundes.59 Durch den Verkauf von Anzeigen trugen sie zudem zu einem bedeutenden Teil der Einnahmen bei, aber nicht ausreichend, um sich komplett zu refinanzieren. Die „Sparflamme“, auf die nach 1974 immer wieder Bezug genommen wurde, zwang den Verein 1978 dazu, die Zeitschrift nur noch zweimal jährlich erscheinen zu lassen.60 Mit jeweils ca. 15 Seiten pro Ausgabe war damit die lang tradierte schriftliche Wissensvermittlung an die Mitglieder durch periodische Schriften nun auf ein Minimum geschrumpft. Parallel arbeitete Hans Schulten (1912–1995), seit 1971 Vorsitzender, an anderen Kommunikationswegen. Eine zentrale Frage, um die er sich bemühte, war die Einrichtung eines Pollenwarndienstes im Radio.61 Beeindruckt vom Kontakt mit dem schwedischen Allergikerbund, erarbeitete er auch einen Plan für die Neugestaltung des Bundes. Der schwedische Vorsitzende 57 Mitman (2008), S. 129–134, 191–197. 58 Vgl. bspw. Schönemann, H.: „Was tun?“ spricht Schulze. In: Der Allergiker H. 2 (1959), S. 5; Sie tun es ohnehin und darum … In: Der Allergiker H. 31 (1968), S. 14; Unerwartete Allergie. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 40 (1970), S. 23; Allergisch gegen den Ehemann. In: Der Allergiker H. 15 (1965), S. 14. 59 Bspw. 1951 61 Prozent, 1966 55 Prozent und 1975 36 Prozent der Gesamtausgaben. AAB, Jahresbericht 1951 (1952), S. 76; AAB, Jahresbericht 1966 (1967), S. 93; Protokoll der Jahreshauptversammlung am 11. Juni 1976 in der Nordseehalle auf Helgoland. In: Der Allergiker H. 60 (1976), S. 13. 60 Schulten, Hans: Liebe Mitglieder! In: Der Allergiker H. 63 (1978), S. 1. 61 Einrichtung eines Pollenwarndienstes/WDR: Heuschnupfen-Warnung. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 58 (1976), S. 2–4. Vgl. auch Kapitel 7.

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hatte berichtet, dass sie 11.000 in Ortsvereinen organisierte Mitglieder hätten.62 Dass der AAB mehr direkten Kontakt zu Patienten vor Ort benötigte, um das Engagement zu erhöhen, überzeugte Schulten. Er stellte sich vor, einerseits unter Mithilfe der mit dem Bund assoziierten Ärzte, andererseits mit lokalen Informationsabenden die Mitgliederzahlen stark erhöhen zu können: in drei Jahren von etwa 600 auf 5.000.63 Bei der geschwächten Organisation erschien allerdings fraglich, wie das umgesetzt werden könnte. Es war dann der Generationswechsel unter den beteiligten Ärzten, der zum richtungweisenden Umstand wurde. Der Internist Wolfgang Jorde hatte sich schon ein paar Jahre im Allergikerbund engagiert, aber formal kein Amt inne.64 Als Ruppert und mit ihm die „Arbeitsgemeinschaft für angewandte Allergologie“ sich 1976 zurückzogen, trat Jorde als erster beratender Arzt ein.65 Er leitete im Asthmakrankenhaus Mönchengladbach den Fachbereich Allergologie und konnte unter seinen Patienten den Werbemann Harald Kambrück als neuen, ehrenamtlichen Geschäftsführer des AAB gewinnen.66 Kambrück und Jorde brachten die nötigen Ressourcen mit, um Schultens Plan umzusetzen. In Mönchengladbach stellte Jorde eine kombinierte Patienten- und Ärztetagung auf die Beine, die offensichtlich großen Anklang fand. Dieses „Mönchengladbacher Allergie-Seminar“ – übrigens nicht die erste Initiative des Allergikerbundes im Bereich der ärztlichen Fortbildung67 – sollte noch bis 2009 jährlich veranstaltet werden.68 Kambrück seinerseits ließ sein Werbebüro als neue Geschäftsstelle fungieren. Von dort aus trieb er rückständige Beiträge ein und setzte neben der Zeitschrift auf die Veröffentlichung von Broschüren zu spezifischen Themen. Er schlug auch Gruppenreisen in Regie des AAB vor und experimentierte mit gesponsertem Versandhandel.69 Sofort verbesserte er damit die Finanzen. Es gab Spenden von Mitgliedern und Pharmaunternehmen, aber noch wichtiger waren die erhöhten Einnahmen durch Mitgliedsbeiträge sowie Teilnehmergebühren vom jährlichen Allergieseminar.70 62 Niederschrift über die Mitgliederversammlung des „Allergiker- und Asthmatikerbundes e. V.“ am 9. Juni 1972 auf Helgoland. In: Der Allergiker und Asthmatiker H.  49 (1973), S. 29–33. 63 Schulten, Hans: Die Bedeutung des Laienbundes in der heutigen Gesellschaft. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 55 (1975), S. 5–9. 64 Vgl. Niederschrift über die Mitgliederversammlung des „Allergiker- und Asthmatikerbundes e. V.“ am 9. Juni 1972 auf Helgoland. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 49 (1973), S. 29–33. 65 Der Allergiker und Asthmatiker H. 58 (1976), Titelei; allerdings blieb Ruppert, obwohl im Ruhestand, noch aktiv und wurde fortan an zweiter Stelle geführt hinter Jorde. 66 Schulten, Hans: Liebe Mitglieder! In: Der Allergiker H. 63 (1978), S. 1. 67 Vgl. Kapitel 8. 68 Wallrafen/Fammler (2009); vgl. Schütz (2013). 69 Kambrück, Harald: In eigener Sache. In: Der Allergiker H. 64 (1978), S. 2 f. 70 Schulten, Hans: Liebe Mitglieder. In: Der Allergiker H. 66 (1979), S. 1 f.; Bericht über die Kassenprüfung des Allergiker- und Asthmatikerbundes e. V. am 16. Juni 1980. In: Der Allergiker H. 69 (1980), S. 3 f.; Interview mit Wolfgang Jorde (12. April 2018). Die Idee

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Nach wie vor konnten Mitgliederzahlen nur geschätzt werden. Hans Schulten erwähnte 1980, dass sie wüchsen, aber „nicht gerade stürmisch“.71 Die Umstellung der Kommunikationswege bedeutete aber auch eine Umstrukturierung des Haushalts. Im Kassenbericht über das Jahr 1979 ist das Allergieseminar als größter Posten an die Stelle der Gebühren bzw. der Druckschriften getreten – sowohl hinsichtlich der Einnahmen als auch der Ausgaben. Die Aufgabe der ärztlichen Fortbildung stabilisierte damit, trotz anscheinend noch schleppender Mitgliederzahlen, den Allergikerbund und ermöglichte unter Schulten, Kambrück und Jorde die Umstrukturierung des Bundes. Des Weiteren wurden Ortsverbände gegründet, allein 1980 an mindestens fünf Orten. Die Gründung ging von der zentralen Geschäftsstelle in Mönchengladbach aus. Wolfgang Jorde reiste in die einzelnen Orte und veranstaltete dort Versammlungen unter Mitgliedern und Interessierten, die für ihre weitere Tätigkeit auf Ressourcen des Bundes in Form von Büroarbeiten und ärztlicher Beratung zurückgreifen konnten.72 Der Allergikerbund hatte 1948 deklariert, dass er keine Selbsthilfe wolle, und meinte damit, dass er mit der Schulmedizin zusammenarbeiten wollte, was vor dem Hintergrund früherer Vorwürfe des Kurpfuschertums gesehen werden muss.73 Sie seien „kein Verein von Selbstbehandlern“, erklärte die Mitgliederversammlung 1951 und wies auf den Wahlspruch „Alles – mit dem Arzt“74 hin. Diese Unterscheidung zwischen Selbsthilfe und Zusammenarbeit mit Ärzten war zwar längst nicht mehr zeitgemäß, aber auch strukturell geschah die Umgestaltung zu einer ausgeprägten Selbsthilfetätigkeit erst sehr spät. In den Ortsgruppen konnte nun direkt unter Betroffenen ein Austausch stattfinden, was in praktischer und psychosozialer Hinsicht als sehr wertvoll erlebt wurde.75 In der Geschäftsstelle arbeitete zudem hauptamtlich ein neuer Geschäftsführer, der mit Hilfe einer Spende eingestellt werden konnte. Der „großherzige[ ] Gönner“ dahinter wurde nicht öffentlich genannt.76 Damit zeichneten sich die zwei Tendenzen, die sich bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes vollziehen sollten, ab: einerseits die Professionalisierung durch die hauptamtlich geführte Geschäftsstelle, andererseits die Mobilisierung der Basis in den Lokalvereinen. In Mönchengladbach befasste

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der Vereinsreisen wurde insofern realisiert, als ab 1981 in enger Zusammenarbeit mit einem Reisebüro für Allergieleidende besonders zugeschnittene Reisen nach Israel angeboten wurden; es waren aber keine Gruppenreisen im eigentlichen Sinne. Vgl. Klinik für Allergie- und Asthma-Heilbehandlung in Arad  – Israelische Negev-Wüste. In: Der Allergiker H. 72 (1981), S. 15 f. Schulten, Hans: Liebe Mitglieder. In: Der Allergiker H. 70 (1980), S. 1. Wichtige Termine. In: Der Allergiker H. 69 (1980), S. 7; Aus der Geschäftsstelle. In: Der Allergiker H. 70 (1980), S. 12 f.; Interview mit Wolfgang Jorde (12. April 2018). AAB, Jahresbericht 1948 (1949), S. 85; vgl. Kehr: Einführung in die ärztliche Organisation der Bundesarbeit. In: AAB, Bericht 37 für das Jahr 1934: Ärzte-Kongress Wege zur Heilung (1935), S. 7–15. Dieses und vorheriges Zitat in AAB, Jahresbericht 1951 (1952), S. 69. Steimann, Wilhelm: Besondere Aktivitäten in unseren Ortsverbänden. In: Der Allergiker H. 79 (1983), S. 15 f. Schulten, Hans: Liebe Mitglieder. In: Der Allergiker H. 67 (1980), S. 1.

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man sich zunehmend neben der zentralen Verwaltung mit Öffentlichkeitsarbeit und Lobbying, während die zahlreichen Ortsgruppen Selbsthilfe betrieben.77 Als gemeinsames Organ wurde Der Allergiker fortgeführt, wieder mit häufigeren Erscheinungsterminen und ab 1984 im neuen, professionelleren Layout, und von diesem Zeitpunkt an großflächig an Arztpraxen zur Auslage im Wartezimmer verschickt.78 Damit hatte die Zeitschrift auch eine neue, nach außen gerichtete Funktion erhalten, die sich in der einleitenden Ansprache „Liebe Mitglieder, liebe Leser“ widerspiegelte. Die bereits lange Geschichte des Allergikerbundes zu dem Zeitpunkt, als sich andere Patientenvereine erst gründeten, war nicht unbedingt ein Vorteil. Im Gegenteil: An dem Verein hafteten Ideen und Strukturen, die sich an wandelnde Krankheitsbegriffe sowie Gesellschaftsstrukturen erst anpassen mussten. Es sollte sich als ein zäher Prozess herausstellen, bei dem man so viel an Bedeutung verlor, dass es fast zur Auflösung gekommen wäre. Hervorzuheben ist aber, dass es sich bei den letztendlich erfolgreichen Veränderungen nicht um eine Bewegung von unten handelte. Entscheidend für den Aufbau der Basisstrukturen war der Einsatz von Ärzten und Sponsoren, mit deren Hilfe erst wichtige Grundlagen geschaffen werden konnten.

77 Bspw. Zunahme von Allergien als Ursache chronischer Krankheiten. In: Der Allergiker H. 82 (1983), S. 7 f.; Steimann, Wilhelm: Besondere Aktivitäten in unseren Ortsverbänden. In: Der Allergiker H. 79 (1983), S. 15 f.; 1985 gab es im AAB 65 Ortsverbände, die elf Landesverbänden untergeordnet waren. Vgl. Liste der Landes- und Ortsverbände. In: Der Allergiker H. 4 (1985), S. 26 f. 78 Bongers, Werner: Liebe Mitglieder, liebe Leser! In: Der Allergiker H. 1 (1985), S. 3. Das neue Layout wurde erstmals in Der Allergiker H. 85 (1984) eingesetzt.

4. Der Deutsche Diabetiker Bund: Eine Selbsthilfegruppe vor Ort Die „Zuckerkrankheit“ gehört zu den distinkten Erkrankungen, deren typische Kennzeichen leicht erkannt werden können, auch in antiken und mittelalterlichen Quellen. Gleichzeitig ist Diabetes eine ausgeprägt moderne Krankheit: Ein seit den 1920er Jahren mühsam erarbeitetes System der Kontrolle, Hygiene, Diätetik und Insulingabe hat in der Nachkriegszeit den Verlauf und die Erfahrung einer Diabeteserkrankung grundlegend transformiert.1 Damit war Diabetes auf dem Weg, die chronische Krankheit schlechthin zu werden. Die in der Diabetestherapie aufgebauten, außerklinischen Netzwerke und Allianzen zwischen Ärzten und Patienten wurden zum Musterfall in der spätmodernen Medizingeschichte.2 Der süße Geschmack des Urins, der übertriebene Durst und das übermäßige Wasserlassen gehören zu den klassischen Symptomen. Im späten 19. Jahrhundert wurden zwei verschiedene Typen voneinander getrennt, der mit Gewichtsabnahme verbundene, junge Patienten betreffende und schnell zum Tod führende Typ I und der meist ältere, übergewichtige Patienten betreffende und langsamer verlaufende Typ II. Letzterer konnte oft relativ gut mit einer kohlenhydratarmen Diät unter Kontrolle gehalten werden, während Typ I ein Todesurteil innerhalb weniger Monate darstellte.3 Im frühen 20. Jahrhundert wurde mit extremen Hungerkuren experimentiert, um das Leben der erkrankten Kinder zu verlängern.4 Der Durchbruch kam mit der Entdeckung des Insulins durch eine Forschergruppe in Toronto im Jahr 1921. Schon im folgenden Jahr war ein entsprechendes Präparat auf dem Markt. Die Entdeckung wurde in den Medien der Zeit als schlagartige Wunderheilung dargestellt, und dieses Narrativ hat bis heute nicht nachgelassen. Allerdings war die Gesundheit der Diabetiker nicht einfach über Nacht wiederhergestellt. Blutzuckermessung und Insulingabe waren mühsam auszuführen und nicht einfach zu lernen und zu regulieren. Auch reichten sie alleine nicht aus: Es musste immer noch streng auf die Diät und sonstige Lebensweise geachtet werden. Folgekrankheiten wie Sehschwäche, Nierenschäden und entzündete Wunden an den Füßen brauchten auch Behandlung. Schwangerschaft und Geburt stellten besondere Risiken dar.5 Vor dem Hintergrund einer Krankheit, deren Therapie hohe Erwartungen an einen gut informierten und aktiven Patienten stellte, waren Beweggründe für die Bildung einer organisierten Patientengemeinschaft reichlich gegeben. Der erste Deutsche Diabetiker Bund wurde im Jahr 1931 gegründet und der zweite, bis heute noch existierende, 1951. Die Organisationsstruktur und Entwicklung des zweiten Diabetikerbundes seit der Gründung und bis in 1 2 3 4 5

Dietrich von Engelhardt (1989). Falk (2018); Pfaff: Stoffwechselselbstkontrolle (2018). Lieberman (1993). Mazur (2011). Feudtner (2015), S. 6–10, 121–168.

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die 1990er Jahre wurden bereits in einer medizinischen Dissertation von Sabine Roth dargestellt. Auch wenn dort keine historische Analyse vorgenommen wird, bietet diese Arbeit einen guten Überblick zum DDB hinsichtlich des formalen Aufbaus der Organisation. Roth legt dar, dass die Gründung von 1951 auf die Initiative Robert Beinings, eines Journalisten aus Bayern, zurückging. Die 1931 unter dem identischen Namen ins Leben gerufene Organisation steht in keinem Zusammenhang mit dem Diabetikerbund der Nachkriegszeit.6 Zeitgleich mit der Gründung 1951 erschien die Zeitschrift Der Diabetiker, anfangs mit Hilfe eines Zuschusses vom Verlag. Beinings Beruf war sicher ein Grund für die rasche und von Anfang an sehr professionelle Aufmachung und Reichweite der Zeitschrift, die wiederum wesentlich zur Etablierung des DDB beitrug. Durch den Anzeigenverkauf konnte Der Diabetiker schon 1953 einen Überschuss erzielen, der für die Vereinsarbeit verwendet wurde. Gemeinsam mit der öffentlichen Förderung lassen sich daraus die günstigen Mitgliedsbeiträge erklären, die zudem nach Einkommen gestaffelt waren – ein wesentlicher Unterschied zum Allergikerbund.7 Der Diabetikerbund hatte einen fliegenden Start. Im ersten Jahr nach der Gründung wurden schon neun Lokalgruppen gebildet. Mit Gerhardt Katsch (1887–1961), Hans-Joachim Banse und Erich Grafe (1881–1958) konnten namhafte Diabetesärzte als Vorstandsmitglieder bzw. Ehrenvorsitzende gewonnen werden.8 Bereits ein Jahr später hatte man über 1.000 Mitglieder – eine Zahl, die bis in die 1970er Jahre exponentiell wachsen sollte.9 Wie unten weiter ausgeführt wird, waren die Tätigkeiten vor Ort zentral für die Arbeit des Diabetikerbunds. Von den lokalen Vertretern bekamen Diabetiker Rat und konkrete Unterstützung im Alltag sowie die Vermittlung von Bildungsangeboten, an denen sie teilnehmen konnten. Anfangs waren die Mitglieder noch direkt dem Bund angeschlossen, obwohl bereits 1956 eine föderalistische Umstrukturierung erwogen wurde. Im Laufe der 1960er Jahre wurde diese dann vollzogen, und Beiträge waren somit an die Landesverbände zu entrichten.10 Auf Bundesebene ging man vorrangig der Öffentlichkeitsarbeit nach; in dem herausgelösten Diabetiker-Sozialwerk (DSW) betrieb man Wohlfahrtsarbeit in Form von Kinderferienlagern.11 Die Idee dahinter war, auf diabetische Kinder zugeschnittene Freizeitangebote bereitzustellen, mit einem sicheren Umfeld und kompetenter Für6 7

Roth (1993), S. 10, 27 f. Der höchste Beitrag war 1955 monatlich 1 DM und mindestens bis 1969 gleichbleibend; in der gleichen Zeit waren es im AAB jährlich 20 DM. Vgl. Roth (1993), S. 39 f.; Unser Verband wird weiterhin stärker. Ein Gespräch mit dem Präsidenten des DDB, Stadtrat Heinz Ständer (Kassel). In: Der Diabetiker 19 (1969), H. 2, S. V f.; AAB, Jahresbericht 1969 (1970), S. 164. 8 Der Diabetiker 3 (1953), H. 6, Vorderumschlag Innenseite; Der Diabetiker 2 (1952), H. 12, Rückumschlag Innenseite. 9 Roth (1993), S. 38. 10 Roth (1993), S. 22. 11 Roth (1993), S. 21–23, 44–47, 53–55.

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sorge. Nicht unwichtig war auch, dass die Eltern während der Lagerzeit eine Auszeit von der oft aufwendigen Betreuung des diabetischen Kindes genießen konnten. Gleichzeitig wurden die Kinder von Fachleuten zur erforderlichen Selbstkontrolle erzogen. In anderen Worten: Die Ferienlager, die zum ersten Mal im Jahr 1954 angeboten wurden, erfüllten viele Aufgaben.12 Der besondere Charakter der DDB-Ferienlager wird im Kontrast zu ähnlichen Initiativen im Ausland deutlich. Diabetiker-Kinderferienlager in England und den USA wurden von einzelnen deutschen Kindern oder Jugendlichen spätestens ab den frühen 1960er Jahren besucht. Aus einem im Diabetiker abgedruckten Tagesplan wird ersichtlich, dass die täglichen Abläufe dort streng reguliert waren. Steuerndes Prinzip war die Kontrolle des Blutzuckers: Essen, Urinproben und körperliche Aktivität bzw. Ruhe lösten einander nach einem straffen Plan ab, wie der folgende Auszug des Tagesplans einer amerikanischen Einrichtung dieser Art zeigt: 8.00 Uhr Frühstück 8.20 Uhr Versammeln in der Halle, Morgenfeier 8.30 Uhr Aufräumen der Hütten und des Lagers 9.15 Uhr ‚active period‘ 10.15 Uhr Urin sammeln – Verteilen von Keksen 10.30 Uhr ‚less active period‘ 11.30 Uhr Urinprobe 12.00 Uhr Mittagessen 13.00 Uhr ‚active period‘13

Das Essen jedes Kindes wurde genau zugeteilt und abgewogen. Die Betreuerinnen stellten sicher, dass die genaue Menge auch tatsächlich eingenommen wurde. Insgesamt sollten diese Maßnahmen dazu führen, dass die Teilnehmer des US-amerikanischen Lagers in einer Zeit von drei Wochen ihre Krankheit unter Kontrolle bekamen. Sie stammten aus verschiedenen sozioökonomischen Schichten und waren teilweise sehr schlecht „eingestellt“ (d. h., dass sie keinen funktionierenden Plan für Kost, Insulingabe und Bewegung hatten). In der deutschen Diabetiker-Zeitschrift wurde allerdings bezweifelt, ob die Wirkung nachhaltig war. Die „fast ‚preußisch‘ anmutende Straffheit“,14 meinte der Diabetologe und Münchner Professor Felix Steigerwaldt, sei nicht unbedingt der beste Weg, um die Kinder auf die Selbstführung im Alltag außerhalb des Lagers vorzubereiten. Man sollte die Patienten lieber „ohne ängstlichen Gebrauch von Waage und Kohlenhydrattabellen zu Bedingt-Gesunden […] machen“.15 Der Begriff des „bedingt gesunden“ Diabetikers stammt übrigens von dem führenden deutschen  – in der DDR tätigen  – Diabetologen Gerhardt Katsch. Wie Oliver Falk bemerkt, war Teil der ‚Bedingungen‘ immer die ärzt12 Roth (1993), S. 53–55. 13 Linn, D.: Clara Barton Birthplace Camp, U. S. A. – Sommerlager für Mädchen mit Diabetes. In: Der Diabetiker 15 (1965), H. 1, S. 10–12. 14 Steigerwaldt, Felix: Ein Weg zur Erziehung kindlicher und jugendlicher Diabetiker. In: Der Diabetiker 15 (1965), H. 1, S. 10. 15 Steigerwaldt, Felix: Ein Weg zur Erziehung kindlicher und jugendlicher Diabetiker. In: Der Diabetiker 15 (1965), H. 1, S. 10.

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liche Führung.16 Die Haltung Steigerwaldts sollte demnach nicht als eine Ablehnung von professioneller Kontrolle über die Lebensführung des Diabetikers verstanden werden. Vielmehr deutet sie auf eine Vision eines Patienten hin, der so weit die erforderliche Selbstkontrolle internalisiert hat, dass er Instrumente wie Waagen und Tabellen nicht mehr braucht. Der deutsche Ansatz bei Ferienlagern war deshalb anders. Alle mit der Krankheit verbundenen Aufgaben, die Verpflegung mit besonderer Kost und auch die Schulungen, waren Teil des Angebotes, aber die pädagogische Aufgabe wurde anders verstanden. Statt Regelmäßigkeit und Disziplin war das hauptsächliche Ziel, ein Gefühl der Normalität zu erzeugen.17 Die Kinder und Jugendlichen sollten im Lager nicht nur lernen, was die Bedingungen für ihre Gesundheit waren  – sie sollten die ‚bedingte Gesundheit‘ erleben. „Ferien, Schulung, Blut- und Urinzuckerüberwachung, aber auch Gemeinschaft, Anknüpfen von Freundschaften und das Erlebnis eines jeden einzelnen“,18 fasste das Diabetes-Journal 1983 zusammen.

Fig. 2: „In der Gemeinschaft ist das Spritzen fast ein Spaß“. Aufnahme vom Ferienlager für diabetische Kinder und Jugendliche in Nettelstedt 1983, aus: Diabetes-Journal 33 (1983), H. 10, S. 446.

Die bereits erwähnte Vereinszeitschrift ergänzte diese Aufklärungsarbeit. Die Zeitung erschien bis 1971 als Der Diabetiker, dann als Diabetes-Journal jeden Monat mit einem reichhaltigen Angebot an informativen Texten zum Krankheitsbild und zur Gesundheitspflege sowie zu sozialen und rechtlichen Fragen mit Diabetesbezug. Reichlich Platz nahmen auch Rezepte ein, oft ganze Kostpläne, die außerdem Alternativen für Nichtdiabetiker enthielten.19 Der Leser wurde auf spezifische, diabetikergeeignete Produkte aufmerksam gemacht, 16 Falk (2018). 17 Roth (1993), S. 53–57. 18 Nettelstedt 1983. Ferienparadies für diabetische Kinder und Jugendliche. In: DiabetesJournal 33 (1983), H. 10, S. 446. 19 Vgl. bspw. Diätetische Ratschläge. In: Der Diabetiker 7 (1957), H. 7, S. 144 f.

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nicht nur durch Werbung, sondern auch in redaktionellen Texten. Die Grenze zwischen Werbung und redaktionellem Teil wurde nicht nur durch diese Erwähnungen verwischt, sondern auch durch die Angabe, dass Anzeigen „unter ärztlicher Kontrolle“ stünden.20 Bis Mitte der 1970er Jahre nahmen rein gesellige Texte ebenfalls viel Raum ein. Unter den Rubriken „Die Insel“, „Das Eiland“ bzw. „Feuilleton“ waren es vor allem Kurzgeschichten, Plaudereien, Scherze und Comics, die abgedruckt wurden. Neben redaktionellem und kommerziellem Material kamen zudem die Leser in Briefen, Fragekästen und Kleinanzeigen zu Wort. Auffallend an der Zeitschrift ist, wie Cay-Rüdiger (Livia) Prüll treffend feststellte, die vorgeschobene Rolle von Geschlecht, Ehe und Sexualität. Das äußert sich in verschiedenen Genres: eugenischen Diskursen, stark gegenderten Ratschlägen und sexistischen Comics. Prüll erkennt darin eine von den Patienten ausgehende Kritik gegenüber der Ärzteschaft und deren konservativen sowie eugenisch gefärbten Vorstellungen über das ‚korrekte‘ Sexualverhalten der Diabetiker.21

Fig. 3: Scherzzeichnung aus Der Diabetiker 3 (1953), H. 3, S. 43.

20 Vgl. bspw. Anzeigenteil in Der Diabetiker 3 (1953), H. 12, S. 173; Kade, H.: Kostanweisung für Zuckerkranke. In: Der Diabetiker 3 (1953), H.  12, S.  133–135; Schnitzler, K.: Sionon, das naturgemäße Süßungsmittel für Diabetiker. In: Der Diabetiker 9 (1959), H. 3, S. 63. 21 Prüll (2012).

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Fig. 4: Anzeigenseite mit Werbung für Nahrungsergänzungsmittel, medizintechnische Produkte, Literatur und Lebensmittel sowie Kontakt- und sonstige Gesuche von privat, aus: Diabetes-Journal 21 (1971), H. 10, S. 392.

Neben dieser an Mitglieder und Öffentlichkeit gerichteten Publikation teilte sich der Diabetikerbund auch intern durch Rundschreiben mit. Diese waren nach Rollen und Regionen gegliedert: So gab es ein allgemeines Mitgliederrundschreiben, Rundschreiben für Mitarbeiter (d. h. Mitglieder, die Ämter innehatten) sowie an Landes- und Bezirksvorsitzende. Diese wiederum, wenn anhand des saarländischen Beispiels generalisiert werden kann, gaben regionale Rundschreiben heraus.22 Insgesamt gibt der Diabetikerbund schnell nach seiner Gründung das Bild einer hochgradig professionalisierten Organisation ab. Die interne Struktur war überaus formalisiert. Auch wenn gestritten wurde, geschah das innerhalb des bürokratischen Gefüges. Die Tätigkeiten und Kommunikation waren sehr professionell und teilweise kommerziell geprägt: Die Vereinszeitschrift ähnelte trotz der medizinischen Artikel in großen Teilen einer Illustrierten; mit dem Sozialwerk war man direkt in die Versorgung involviert und durch die Zusammenarbeit mit Firmen auch in den Vertrieb von Diabetikerprodukten.23 Die vielfältigen Tätigkeitsbereiche des Diabetikerbundes bieten Material für weitere umfangreiche Untersuchungen. Im Folgenden liegt der Fokus auf der lokalen Arbeit am Beispiel des Landesverbandes Saar und seines Vorsitzenden in den Jahren 1962 bis 1972. Karl Handfest (1926–1985) hatte einen facettenreichen Hintergrund, als er die Lokalabteilung des DDB übernahm. In den 1940er und 1950er Jahren hatte er archäologische Forschungen auf Madagaskar unternommen, um dann anschließend hauptberuflich die franzö22 LA Saarbrücken, Bestand DDB 15: Verschiedene Rundschreiben 1961–1970. 23 Bspw. mit dem DDB-Reisedienst und Verträgen zur Verleihung von Gütesiegeln. Vgl. Roth (1993), S. 80–83, und LA Saarbrücken, Bestand DDB 57: Willy Knyrim, Bericht über die Prüfung bei der Hauptgeschäftsstelle des Deutschen Diabetiker Bundes e. V. (1971), S. 13.

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sische, antikommunistische Organisation „Paix et liberté“ im Saarland zu vertreten. Darauf folgte eine Teilzeitstelle als Fremdsprachenkorrespondent, die er mit einer fortgesetzten publizistischen Tätigkeit kombinierte. Er schrieb für die Gewerkschaftspresse, verfasste Schriften, u. a. zur Geschichte der Arbeiterbewegung und zum Leben Karl Marx’, und gab ein Informationsblatt mit politischen Nachrichten heraus. Am Ende seines Lebens überließ er dem Landesarchiv Saarbrücken sowie dem Institut für Zeitgeschichte einen umfangreichen Nachlass, unter anderem seine Papiere aus der Zeit im DDB.24 Als DDB-Mitglied erfuhr Handfest aus einem Rundschreiben, dass aktive Vertreter vor Ort gesucht wurden, und meldete im September 1961 sein Interesse an. Bis er allerdings die Ortsgruppe offiziell gründen konnte, sollte es über ein Jahr dauern. Die DDB-Zentrale wies auf die Gründung des DSW als Grund dafür hin, dass die Bearbeitung von Handfests Anmeldung mehrere Monate benötige. Es folgte dann etwas Zögern auf seiner Seite, bis er im Frühling 1962 zur Vorbereitung der Gründungsversammlung eine intensive Tätigkeit entfaltete. In seinem Schreiben erwähnte Handfest, dass er über gediegene Erfahrungen in der Vereinsarbeit verfüge, was ab diesem Zeitpunkt auch dem Außenstehenden deutlich wird. Er verhandelte mit dem Diabetikerbund über das Erlassen seiner ausstehenden Mitgliedsbeiträge – als Ausgleich sollte er stattdessen Anzeigen in lokalen Zeitungen schalten und dort Diabetiker bitten, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Vom Erfolg dieser Aktion zeigte er sich begeistert: Hunderte von Adressen gingen über die folgenden Monate ein. Außerdem kontaktierte er auf eigene Initiative hin die Landesversicherungsanstalt des Saarlandes, wo die Gründung der Ortsgruppe von behördlicher Seite abgesegnet wurde.25 In Vorbereitung auf die Gründungsversammlung hatte Handfest zugleich eine große Anzahl an Firmen angeschrieben, deren Produkte auf die eine oder andere Art für Diabetiker geeignet waren. Es handelte sich um Süßstoffe, Mineralwasser, Wein, Pralinen, Gebäck und vieles mehr. Angefragt von Handfest, schickten die Firmen für DDB-Veranstaltungen Ware zur Verlosung und zur Verwendung in Kochkursen.26 Kleine Barbeträge flossen auch; so war es zwar den Farbwerken Hoechst, Hersteller von Insulin und oralen Antidiabetika, nicht möglich, Produktproben zur Verfügung zu stellen, stattdessen spendeten sie jedoch 50 DM. Andere Pharmazieunternehmen – Novo Indus-

24 Laufer (1978). S. 6–9; Institut für Zeitgeschichte München – Berlin, Findbuch zum Bestand ED 415 Handfest, Karl (o. J.); Stefan und Michael Handfest, E-Mail an Ylva Söderfeldt betr. „Karl Handfest“ (10. September 2018). Vgl. Handfest (1963); Klopp/Handfest (o. J.). 25 LA Saarbrücken, Bestand DDB 45: Karl Handfest an den deutschen Diabetiker Bund (4. September 1961); Robert Beining an Karl Handfest (2. Februar 1962); Karl Handfest an den deutschen Diabetiker Bund (4. September 1962); Karl Handfest an den deutschen Diabetiker Bund (16. September 1962). 26 LA Saarbrücken, Bestand DDB 16: zahlreiche Schreiben von den und an die Firmen Drugofa, Apollinaris, Friedrich Christian Heilquelle, SüssStoff, Kauvit, Reko Reformkost u. v. m. (1961–1968).

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trie und Boehringer & Söhne – sandten Broschüren und Blutzuckertests zur Verteilung unter den Mitgliedern.27 Handfest hatte offensichtlich keine Schwierigkeiten, Beziehungen mit der Wirtschaft aufzubauen und auch zu unterhalten. Mit vielen Unternehmen stand er, wie aus den überlieferten Schreiben deutlich wird, über Jahre fortlaufend in Kontakt und wurde dort, wie es scheint, eher wie ein Geschäftspartner als ein Bittsteller angesehen.28 Das verwundert nicht, ermöglichte doch der Kontakt zu ihm eine kostengünstige und perfekt auf die Zielgruppe zugeschnittene Werbung. Handfest setzte sich sogar als Lobbyist für den Vertrieb der Produkte ein, nämlich indem er bei Rudolf Hussong, einem SPD-Bundestagsabgeordneten des Saarlandes, dafür plädierte, ein bestimmtes Mineralwasser dem örtlichen Konsumverein zugänglich zu machen.29 Gewisse Grenzen gab es dennoch. Als sich die Dr. Theinhardt Nährmittel-Gesellschaft 1963 an Handfest wie folgt wandte („Sehr geehrter Herr Handfest! Bitte teilen Sie uns mit, ob Sie uns ein Verzeichnis beschaffen können, aus dem die Anschriften aller Zuckerkranken ersichtlich sind. Eventuell können wir auch gleichzeitig im Werbeschreiben für den Bund werben.“30), notierte er am Seitenrand handschriftlich „Nein“. Für den DDB-Landesverband waren die Wirtschaftskontakte ein Mittel, den Besuch von Versammlungen attraktiv zu machen, da dort Gratisproben verteilt oder verlost wurden. Sie halfen auch, Veranstaltungen wie die beliebten Kochkurse anzubieten, bei denen mit gespendeten Produkten gekocht wurde, oder die in Zusammenarbeit mit den Farbwerken Hoechst arrangierten Filmabende.31 Durch seine Öffentlichkeitsarbeit schaffte es Karl Handfest, vor Ort ansässige Diabetiker auf die DDB aufmerksam zu machen. „[N]iemand hier weiss wer und was der DDB ist“, schrieb er 1962 an die Geschäftsführung und versprach das zu ändern.32 Offensichtlich ist ihm das sehr gut gelungen. Neben den Anschriften von Diabetikern und Rückmeldungen auf seine Kontaktaufnahmen mit der Industrie gingen auch Mitteilungen von anderen Stellen ein. Bedeutsam sollte die Zuschrift von Waltraute Aign, Ernährungsberaterin in der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE), werden. Die DGE 27 LA Saarbrücken, Bestand DDB 16: Hauck und Boy, C. F. Boehringer & Söhne, an Karl Handfest (23. Oktober 1962); Novo Industrie an Karl Handfest (28. Oktober 1963); Farbwerke Hoechst an Karl Handfest (15. November 1963). 28 Zum Beispiel wurde ihm von der Firma SüssStoff zum Geburtstag gratuliert. Vgl. LA Saarbrücken, Bestand DDB 16: SüssStoff an Karl Handfest (27. Juni 1966); vgl. auch LA Saarbrücken, Bestand DDB 15: Drugofa an Karl Handfest (28. Oktober 1969). 29 LA Saarbrücken, Bestand DDB 16: Karl Handfest an Rudolf Hussong (16. April 1963). 30 LA Saarbrücken, Bestand DDB 16: Dr. Theinhardt Nährmittel-Gesellschaft an Karl Handfest (16. Oktober 1963). Hervorhebung im Original. 31 Vgl. bspw. LA Saarbrücken, Bestand DDB 15: Drugofa an Karl Handfest (7. Januar 1964); Drugofa an Karl Handfest (24. Januar 1968); vgl. auch Landesverband Saarland des DDB eV gegründet. In: Der Diabetiker 13 (1963), H. 1, S. 42 f.; LA Saarbrücken, Bestand StK 568: Karl Handfest, Einladung (20. November 1965). 32 LA Saarbrücken, Bestand DDB 16: Karl Handfest an den deutschen Diabetiker Bund (4. September 1962).

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wurde im Jahr 1953 als Nachfolgerin der nationalsozialistischen Deutschen Gesellschaft für Ernährungsforschung gegründet.33 Sie verstand sich als wissenschaftliche Fachgesellschaft und vereinte unter ihrem Dach Ernährungswissenschaftler mit praktisch tätigen Personen, wie die Ernährungsberaterin Aign. In ihrer öffentlichen Aufklärung über Ernährungsfragen wollte die DGE aktuelles Wissen vermitteln und die Einführung neuer Technologien fördern, aber gleichzeitig eine vermeintlich ‚traditionelle deutsche Küche‘ bewahren.34 Aign hatte die Ankündigung der Landesverbandsgründung in der Zeitung gesehen und kontaktierte Handfest mit dem Angebot, Kochkurse für Diabetiker zu geben. Für die Kosten würde das Ministerium für Landwirtschaft und Ernährung aufkommen.35 Damit erhielt der junge Landesverband im Handumdrehen sowohl Zugriff auf die Infrastruktur als auch auf weitere Inhalte für eine sinnvolle lokale Tätigkeit – was sonst womöglich viel Mühe und Zeit gekostet hätte. Nun konnte der DDB Saarland direkt nach der Gründung mit professionellen Kochkursen anfangen. Teilnehmerlisten dieser Veranstaltungen sind teilweise im Nachlass Karl Handfests überliefert. Sie zeigen einerseits, dass sie gut besucht waren, nicht selten von 40 bis über 50 Personen, andererseits geht daraus hervor, dass viele Teilnehmer Nichtmitglieder waren.36 Kochkurse waren also ein wichtiger Bestandteil der Tätigkeit des Diabetikerbundes im Saarland. Durch die Reichweite über den reinen DDB-Kreis hinaus hatten sie ein enormes Potential bei der Werbung von Mitgliedern. Diese wurden darüber hinaus, wie schon beschrieben, durch Anzeigen in der Presse akquiriert. Nicht allein die von Handfest angegebenen Zahlen von über 300 Zuschriften in den ersten Monaten, sondern auch die überlieferten Briefkarten selbst geben den Eindruck, dass die Bereitschaft, sich anzumelden, groß war. Ein Herr schrieb: „Gebe Ihnen hiermit als Diabetiger [sic!] [m]eine Anschrift bekannt. Wenn ich wissen darf, warum das ist? bin Rentner, mit nicht alzuhohem [sic!] Einkommen bitte keine Finanszielle [sic!] Auslagen.“37 Die Bitte, Diabetiker sollten sich melden, war offensichtlich ausreichend, um manche Patienten zu aktivieren. Wiederum andere wurden Handfest durch persönliche Kontakte bekannt. Briefe zeigen, dass einige Schreiber nicht nur das eigene Interesse anmeldeten, sondern auch die Adressen anderer, ihnen bekannter Diabetiker vermittelten.38 Als Landesvorsitzender des DDB sah Handfest sich nicht nur als Vertreter der dortigen Mitglieder, sondern der saarländischen Diabetiker insgesamt.39 Für sie fungierte er als Ansprechpartner und Fürsprecher auch in persönli33 Joost/Heseker (2016). 34 Weinreb (2011), S. 349 f. 35 LA Saarbrücken, Bestand DDB 18: Waltraute Aign an Karl Handfest (21. September 1962). 36 LA Saarbrücken, Bestand DDB 8: Teilnehmerlisten Diabetiker-Kochkurse (1964–1968). 37 LA Saarbrücken, Bestand DDB 9: P. W. an Karl Handfest (1963). 38 LA Saarbrücken, Bestand DDB 9: P. S. und R. R.-W. an Karl Handfest (1963). 39 Vgl. bspw. LA Saarbrücken, Bestand DDB 27: Karl Handfest an Paul Grabe, Landesgeschäftsstelle der SPD (21. April 1965).

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Fig. 5: Briefkarten von saarländischen Diabetikern im Nachlass Karl Handfests, aus: LA Saarbrücken, Bestand DDB 9.

chen Anliegen. So existiert eine umfangreichere Korrespondenz mit Sozialämtern über die Gewährung von Ernährungsbeihilfen, in welcher Handfest als Vermittler zwischen Betroffenen und Behörden auftritt.40 Dabei ging er teilweise noch weiter, als lediglich bei der Antragstellung behilflich zu sein. Als ihn eine ältere Frau ersuchte, für sie Ernährungsbeihilfe zu beantragen, wendete er sich gleichzeitig an den Bürgermeister mit der Bitte, „sich einmal dringlichst um die Wohnverhältnisse der Antragstellerin zu kümmern, die bitter darüber klagt, dass in dem Hause, in dem sie wohnt, jetzt 9 Italiener untergebracht sind, und sie auf Grund ihres Alters und ihrer Krankheit den dortigen Lärm etc. nicht vertragen kann“.41 Einer anderen alten Dame wurde eine teure Massagebürste „aufgeschwätzt“, was Handfest veranlasste, dem Hersteller ein scharfes Beschwerdeschreiben zukommen zu lassen und mitzuteilen, dass weitere Abschlagszahlungen nicht zu erwarten seien.42 Bei einem Jungen setzte er sich beim Sozialamt für die Heimunterbringung ein und begründete dies damit, dass die Eltern sich nicht angemessen um seine Krankheit kümmerten. „Vertraulich“ teilte er mit, dass der Betroffene „vor Kurzem 7 Schei40 LA Saarbrücken, Bestand DDB 22: Karl Handfest an verschiedene Sozialämter: Schiffweiler, Saarbrücken, Gersweiler, Völklingen usw. (1962–1965). 41 LA Saarbrücken, Bestand DDB 22: Karl Handfest an den Bürgermeister von Gersweiler (6. März 1963). 42 LA Saarbrücken, Bestand DDB 100: Karl Handfest an Kurt Stoll Maschinen- und Apparatenbau KG (7. Oktober 1966).

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ben Brot, 2 Weck und fast ½ Pfd. Wurst“43 zum Frühstück gegessen hätte, und empfahl, auch das Gesundheitsamt miteinzubeziehen. Hier stand Handfest offensichtlich einerseits als Vertreter der Eltern da, von denen er die entsprechenden Unterlagen bekommen hatte, um Hilfe zu beantragen, andererseits als Advokat der Selbstkontrolle, der das Fehlverhalten der Eltern meldete. Handfest besaß offenbar gute Kenntnisse über die Gesetzgebung und hatte keine Hemmungen, gegenüber Ämtern und anderen Stellen fordernd aufzutreten. Mitteilungen, die eine allgemeine Notlage vermittelten – medizinische, soziale und finanzielle Probleme der Diabeteskranken –, konnte er ‚übersetzen‘ in Taten, wie Anträge auf definierte Leistungen und Hilfen. Das machte ihn in Fällen wie dem geschilderten zu einem wertvollen Anwalt, der sicherstellte, dass die zentral vom Diabetikerbund eingeforderten Unterstützungen dem Einzelnen wirklich zugesprochen wurden. Abgesehen von diesen Eigenschaften konnte allein die Tatsache, dass ein Vermittler da war, von Bedeutung sein. Ein älterer Mann schrieb ihm 1963, dass er nach 13 Jahren mit Diabetes nun unter schweren Symptomen leide, die ihn arbeitsunfähig machten. Gleichzeitig reiche die Rente nicht aus. „Jetzt geht es fast gar nicht mehr“, schrieb er. „Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir einen Rat geben könnten [wie] ich aus der Lage herauskommen könnte. Bitte um Diskretion anderen gegenüber, [man] hat nicht gern mit Zuckerkranken zu tun und man will auch keine Leute haben die so arm sind. Bisher konnte ich es verhindern, daß die Armut so bekannt wurde.“44 In dem Landesvorsitzenden des DDB sah der Briefschreiber offensichtlich eine Vertrauensperson, an die empfindliche Informationen herangetragen werden konnten, um so an eine Unterstützung zu kommen, deren Beantragung sonst schambehaftet sein würde. Die von Sabine Roth anhand von Sitzungsprotokollen geschilderten Reibungen innerhalb des Diabetikerbundes kommen neben weiteren internen Konflikten im Handfest-Nachlass ebenfalls zum Vorschein. Offenbar war die Beziehung zwischen Landesverbänden und Zentralorganisation in den 1960er Jahren mit einigen Meinungsverschiedenheiten behaftet, und es bildeten sich unter den einzelnen Verbänden wechselnde Lager. Im Zentrum stand der Landesvorsitzende aus Hamburg, Richard Boll, der sich für eine weitgehende Selbständigkeit der Landesverbände starkmachte und sich dabei mit anderen Vertretern verfeindete – in einem internen Schreiben aus Handfests Nachlass wurde Boll zudem von seinem Hauptgegner finanzieller Betrug vorgeworfen.45 In dieser Phase, als der föderalistische Aufbau angegangen wurde, herrschte strukturell wie finanziell eine unsichere Situation. Manche Landesverbände zogen direkt Mitgliedsbeiträge ein, andere sollten sie von der Zentrale überwiesen bekommen. Gleichzeitig hatte sich der Diabetikerbund durch ambitionierte Sozialprojekte verschuldet, was man 1970 durch Zuschüsse der 43 LA Saarbrücken, Bestand DDB 22: Karl Handfest an Herrn Koch, Sozialamt Völklingen (24. Juli 1963). Hervorhebung im Original. 44 LA Saarbrücken, Bestand DDB 22: H. S. an Karl Handfest (6. April 1963). 45 Vgl. Roth (1993), S. 21–23; LA Saarbrücken, Bestand DDB 48: Arthur Pahlitzsch, Der Hilferuf eines Schatzmeisters! (1964).

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Bundesregierung auszugleichen versuchte. Diese wiederum verlangte als Bedingung eine Wirtschaftsprüfung, die unter anderem ergab, dass aufgrund von Formfehlern das Präsidium nicht rechtmäßig zustande gekommen war.46 Kurz gesagt, es war damals eine turbulente Zeit für den Verein. Für das Saarland wirkten sich diese Querelen insofern aus, als die dem Landesverband zustehenden Mitgliedsbeiträge nicht überwiesen wurden.47 Handfest zeigte sich auch über anderes Verhalten der Zentrale frustriert, wie den Ausschluss von Mitgliedern aus dem Landesverband oder den Umgangston des Notpräsidenten Willi Pröpper.48 Vermutlich besiegelten diese und möglicherweise weitere Umstände49 seinen bereits 1969 angekündigten Beschluss, 1972 endgültig das Amt niederzulegen.50 Er trat dann tatsächlich aus dem Diabetikerbund aus. Das führte schließlich dazu, dass der Landesverband Saar vorerst zu existieren aufhörte.51 Ein Jahrzehnt lang hatte Karl Handfest im Saarland höchstpersönlich die Diabetiker vertreten. In ihm hatten sie sowohl einen Lobbyisten als auch einen persönlichen Fürsprecher. Das feingliedrige Kontaktnetz, das er dort in kürzester Zeit aufbauen konnte, beeindruckt und zeigt einerseits, wie bedeutend das persönliche Talent der Funktionäre sein konnte, andererseits aber auch, dass die Bereitschaft im Allgemeinen durchaus groß war, mit Patientenvereinen zu kooperieren. Meistens rannte er offene Türen ein, Firmen spendeten bereitwillig, andere Gesellschaften wie die DGE waren erfreut über die Partnerschaft. Auch die Ärzte, die er anschrieb, waren positiv eingestellt. Sicher entstanden  – nicht zuletzt in Hinsicht auf seinen sozialen Status  – für Handfest selbst dabei Vorteile, und er zögerte nicht, die durch seine DDB-Tätigkeit gewonnenen Netzwerke für persönliche Zwecke einzusetzen, wenn-

46 LA Saarbrücken, Bestand DDB 39: Heinz Ständer, Bericht über die derzeitige Situation des Deutschen Diabetiker-Bundes e. V., mehrere Ausgaben (1961–1970); Heinz Ständer an Karl Handfest (8. November 1971); LA Saarbrücken, Bestand DDB 56: Willy Knyrim, Zusammenfassung des Berichtes über die bei der Hauptgeschäftsstelle des Deutschen Diabetiker Bundes e. V. […] vorgenommene Prüfung (10. Juni 1971). 47 LA Saarbrücken, Bestand DDB 54: Karl Handfest an Frau Burtin, Hauptgeschäftsstelle des Deutschen Diabetiker Bundes (9. April 1971). 48 LA Saarbrücken, Bestand DDB 54: Karl Handfest an den Deutschen Diabetiker Bund (18. Oktober 1970); LA Saarbrücken, Bestand DDB 48: Karl Handfest an H. Clausing (28. Oktober 1971). 49 Es hätte ein Hochwasser die Vereinsunterlagen vernichtet, außerdem sei Handfest arbeitslos geworden. Vgl. LA Saarbrücken, Bestand DDB 48: Karl Handfest, MitgliederRundschreiben Nr. 1/1971 (20. Januar 1971); LA Saarbrücken, Bestand DDB 54: Willi Pröpper an Rainer Wicklmayr (22. September 1971). 50 LA Saarbrücken, Bestand DDB 48: Karl Handfest, An alle Mitglieder und Freunde! (3.  November 1972); vgl. LA Saarbrücken, Bestand DDB 54: [unlesbare Unterschrift], Universitätskliniken im Landeskrankenhaus Homburg (Saar) an Karl Handfest (20. November 1969). 51 Es sollte bis 1984 dauern, bis der Landesverband neu gegründet wurde. Vgl. Roth (1993), S. 23; LA Saarbrücken, Bestand DDB 48: Karl Handfest an den Deutschen Diabetiker Bund (4. August 1972).

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gleich in bescheidenem Maße.52 Die oben geschilderten Fälle – seine Weigerung, Diabetikeradressen herauszugeben, die Lieferung zum Nachteil gereichender Angaben über die Eltern eines Diabetikers an das Sozialamt und die Hilfeleistung für die erwähnte Dame mit der ihr aufgeschwatzten Massagebürste – sprechen dafür, dass er auch bei den engen Beziehungen zu anderen Akteuren sich an erster Stelle als Vertreter der an Diabetes Erkrankten sah. Problematischer erweisen sich im saarländischen Archivbestand die Verhältnisse innerhalb des Diabetikerbundes. Auffällig ist, dass die Krise um 1971, die dort so einschneidend wirkt, in der Vereinszeitschrift Der Diabetiker totgeschwiegen wurde. Dort findet sich kein einziger Hinweis darauf, dass finanzielle Not bestand. Dass man den Vorstand für rechtsunfähig erklärte, wird nur in einer kleinen Randnotiz mitgeteilt.53 Dieses konkrete Beispiel macht deutlich, dass anhand von gedruckten Schriften das interne Geschehen der Patientenvereine nur begrenzt nachvollziehbar ist.

52 Er versuchte z. B. von der Firma Drugofa Unterstützung für eine Broschüre über Karl Marx zu bekommen. Vgl. LA Saarbrücken, Bestand DDB 15: Drugofa an Karl Handfest (19. Januar 1968). 53 Not-Präsident des DDB. In: Der Diabetiker 21 (1971), H. 9, S. XXXV.

5. Die scheinbare Interessengemeinschaft in der Deutschen Hämophiliegesellschaft Hämophilie bezeichnet eine Gruppe von Störungen der Blutgerinnung, die die Koagulation des Blutes mehr oder weniger stark beeinträchtigen. Es wird angenommen, dass die erste Erwähnung des heute als Hämophilie bekannten Krankheitstypus aus dem Babylonischen Talmud stammt (5. Jh. u. Z.). Dort wird eine Ausnahme bei der Beschneidung solcher Jungen erlaubt, deren ältere Brüder bei dem Eingriff gestorben sind.1 Medizinisches Interesse erweckte das Phänomen der Bluter allerdings erst im 19. Jahrhundert. Zu der Aufmerksamkeit gerade zu dieser Zeit trug sicher die Anhäufung von Fällen in mehreren europäischen Königshäusern bei. Insbesondere deutsche und amerikanische Fall- und Familienstudien führten zur Etablierung der Hämophilie als Krankheitsbegriff. Zentral war dabei, dass weibliche von männlichen Blutern begrifflich getrennt wurden. Obwohl am Anfang viele Fälle mit zu extremen Blutungen neigenden Frauen in der Literatur miteinbezogen waren, wurde die Krankheit im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend männlich konnotiert und weibliche Bluter per Definition ausgeschlossen. Mit der Wiederentdeckung der Mendel’schen Genetik sah man Hämophilie als typisches Beispiel eines geschlechtsspezifischen Vererbungsmusters an und bestimmte sie als angeblich nur bei Männern vorkommendes Leiden. Pathologische Blutungen bei Frauen wurden damit aus Sicht der Wissenschaft zu Nebenerscheinungen von deren genetischer Belastung, aber nicht zu eigentlichen Erkrankungen.2 Als Erbkrankheit geriet die Hämophilie ins Blickfeld der eugenischen Bewegung. So wurden damals Heiratsverbote in medizinischen Fachkreisen diskutiert. Bei Sterilisationsdebatten ging es ausschließlich um weibliche Trägerinnen der Anlage, da ein chirurgischer Eingriff bei den männlichen Blutern zu gefährlich war.3 Nur in Japan konnte eine politische Umsetzung von eugenisch motivierten Zwangsmaßnahmen belegt werden  – dort wurden Bluter von 1948 bis 1996 von dem „eugenischen Schutzgesetz“ erfasst.4 In Deutschland waren Bluter dagegen nicht unter den Gruppen, die auf der Grundlage des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ zwangssterilisiert wurden.5 Zur gleichen Zeit, als der Begriff der Hämophilie geformt wurde, befassten sich viele Mediziner mit der Blutgerinnung, aber nicht im direkten Bezug auf die Hämophilie. Die Hoffnung, dass Patienten bei großem Blutverlust mit Hilfe des Blutes einer anderen Person (oder eines Tieres) gerettet werden könnten, trieb Versuche im Bereich der Bluttransfusion an. Neben der Unkenntnis der Blutgruppen bestand aber noch ein weiteres Hindernis, nämlich 1 2 3 4 5

Rosner (1994). Pemberton (2011), S. 18–47. Pemberton (2011), S. 41–44. Tsuchiya (1997). Schmuhl (1987), S. 157.

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die bei der Transfusion zu beachtende Koagulation des Spenderblutes. Als Anfang des 20. Jahrhunderts die Bestimmung der Kompatibilität von Spender und Empfänger sowie die wenigstens kurzzeitige Aufbewahrung des Blutes ermöglicht wurden, waren wichtige Voraussetzungen für die Entstehung des Blutspendewesens geschaffen.6 Bis dahin mussten, wenn eine Transfusion notwendig wurde, passende Spender jedes Mal erneut gesucht werden. Um den Prozess zu beschleunigen und die Sicherheit zu erhöhen – man war sich der Risiken einer Krankheitsübertragung durch Transfusionen also durchaus bereits bewusst –, wurde im Jahr 1921 in London die erste Blutbank gegründet. Der Ansatz war von Beginn an altruistisch: Die Spender sollten nicht monetär vergütet werden, sondern das Spenden als eine selbstlose Gabe im Interesse des Gemeinwohls betrachten.7 Die Verbreitung vieler neuer, anspruchsvoller chirurgischer Eingriffe und die Entwicklung verschiedener Arzneimittel aus Blutprodukten erhöhte in der Nachkriegszeit die Nachfrage nach Blut so stark, dass freiwillige Spenden nicht mehr ausreichten. In den 1950er Jahren entstand folglich in den USA ein Blutmarkt, auf dem Spender mit ihrem Blut Geld oder temporäre Freiheit  – viele von ihnen waren Gefängnisinsassen  – verdienen konnten. Von dem auf diese Weise gewonnenen Plasma wurde ein großer Teil ins Ausland exportiert. Aufgrund der immer stärker wachsenden Nachfrage gingen US-amerikanische Firmen bald dazu über, das Rohmaterial selbst aus der Dritten Welt zu importieren und dann das bearbeitete Blutprodukt nach Europa und Japan zu verkaufen.8 Die Schwere der Hämophilie variiert stark zwischen Patienten. Obwohl im Allgemeinverständnis der Krankheit meist auf Blutungen nach Verletzungen oder chirurgischen Eingriffen fokussiert wird, begrenzen sich die Symptome nicht darauf. Bei ernsten Fällen entstehen spontane innere Blutungen, die lebensbedrohlich sein können. Außerdem besteht die Gefahr sehr schmerzhafter Gelenkblutungen, die körperliche Beeinträchtigungen zur Folge haben. Frauen leiden häufig unter starken Blutungen im Zusammenhang mit Menstruation und Geburt. Die Pathophysiologie hinter der Krankheit wurde seit den 1930er Jahren besser verstanden: Es handelte sich nicht, wie vorher vermutet, um eine Schwäche der Blutgefäße oder Abnormitäten in den Blutplättchen, sondern um den Mangel an einem Protein – oder, wie in den folgenden Jahrzehnten klar wurde, einem von zwei verschiedenen Proteinen, nämlich Blutgerinnungsfaktor VIII (Hämophilie A) oder IX (Hämophilie B). Eine weitere, in den 1920er Jahren beschriebene Blutgerinnungsstörung war das VonWillebrand-Syndrom. Dieses wird durch das Fehlen eines Glykoproteins, das für die Bindung von Faktor VIII notwendig ist, verursacht und betrifft Frauen und Männer gleich häufig.9 6 7 8 9

Giangrande (2000). Starr (2000), S. 53–57. Starr (2000), S. 186–249. Nilsson (1999).

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Bis Mitte der 1960er Jahre existierte keine effektive Behandlung der Hämophilie. Blutungen konnten lediglich mit Transfusionen behandelt werden, was bei ernsten Fällen häufig nicht ausreichend war. Entsprechend war die Lebenserwartung von Blutern gering. Mit der Entwicklung von Präparaten, die in konzentrierter Form die fehlenden Gerinnungsfaktoren enthielten, konnten dann Bluter wirksamer und einfacher behandelt werden – auch prophylaktisch.10 Obwohl es sich um eine seltene Krankheit handelt, hat sie, wie Stephen Pemberton feststellt, eine Reihe von Merkmalen, die sie für mehrere Expertenkreise interessant macht(e). Ihre Vererbung beschäftigte Eugeniker, die Herstellung der Gerinnungsfaktoren wurde Aufgabe einer jungen Biotechnikbranche, und die Kombination einer fast ausschließlich männlichen Patientengruppe mit der Kontraindikation risikobehafteter  – und damit männlich konnotierter! – körperlicher Aktivitäten machte sie zu einem Genderproblem par excellence. Mit der AIDS-Krise wurde sie schließlich zum tragischen Exempel der Risiken medizinischen Fortschritts.11 Westdeutschland nimmt eine Sonderstellung in der jüngeren Geschichte der Hämophilie ein, da aufgrund der insbesondere vom Bonner Hämophiliezentrum verbreiteten prophylaktischen Heimselbstbehandlung der Konsum von Blutprodukten stark zunahm: Im internationalen Vergleich wurden in Deutschland erheblich mehr Blutgerinnungsfaktoren als in anderen westlichen Ländern verschrieben.12 Auch die deutsche Geschichte der Hämophilie befindet sich also im Schatten des erst 1994 von der Regierung aufgearbeiteten „Blutskandals“: HIV-positive Blutgerinnungsfaktor-Präparate wurden jahrelang noch verwendet, obwohl das Infektionsrisiko bekannt war. Nicht nur Vertreter der Pharmaindustrie, sondern auch behandelnde Ärzte waren an einer Verharmlosung der Risiken und an der Verzögerung von Maßnahmen, die viele Infekte hätten verhindern können, beteiligt.13 Doch in dieser Studie steht ein anderer, früherer Zeitraum im Fokus. Hier soll die Strukturentwicklung der Deutschen Hämophiliegesellschaft in den Jahrzehnten vor dieser Zäsur festgehalten werden, um die Organisation einerseits in die Geschichte der Patientenvereine einzuordnen, andererseits aber auch wichtige Merkmale darzulegen, die zum Verständnis ihrer späteren Rolle im Kontext der AIDS-Krise beitragen können. Die Gründung der Deutschen Hämophiliegesellschaft im Jahr 1956 ging auf eine Initiative des Münchner Internisten Rudolf Marx (1912–1990) zurück. Schriftliche Quellen zum ersten Jahrzehnt ihrer Existenz sind äußerst spärlich: Erst 1967 erschienen die Hämophilie-Blätter. Das älteste Archivmaterial stammt auch aus diesem Jahr.14 Damit fügt sich die Geschichte des Patientenvereins in die Chronologie der medizinischen Entwicklung ein: Die da10 11 12 13 14

Franchini/Mannucci (2012). Pemberton (2011), S. 1–10. Starr (2000), S. 241–245. Scheu u. a. (1994). BA Koblenz, Bestand B 122/15074: Helft den Blutern! Ein Aufruf der Deutschen Hämophiliegesellschaft zur Bekämpfung von Blutungskrankheiten (1967).

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mals gerade eingeführten Blutgerinnungsfaktorkonzentrate weckten ab Mitte der 1960er Jahre die berechtigte Hoffnung, die Erkrankung aus einem Todesurteil in eine chronische Krankheit umzuwandeln.15 Wie Rudolf Marx in der ersten Ausgabe der Hämophilie-Blätter kundtat, bedeuteten Faktorenkonzentrate „bei Hämophilen dasselbe […] wie für schwer Zuckerkranke das Insulin“.16 Der Übergang zur aktiven Phase, in der sich Betroffene tatsächlich zusammenfanden und sich zu organisieren begannen, setzte also in dieser Zeit der sich wandelnden Krankheitserfahrung ein. Erfreulicherweise war gerade in diesem Fall die Suche nach gesprächsbereiten Zeitzeugen ergiebig. So konnte Marx’ Nachfolger als Leiter der Abteilung für Hämostaseologie an der Universitätsklinik der Ludwig-MaximiliansUniversität München, Wolfgang Schramm, interviewt werden. Laut seiner Angaben hatte Marx, der 1953 zur Blutgerinnung habilitierte, in Zusammenarbeit mit den Behringwerken – Hersteller von Plasmaprodukten – ein Kolloquium zur Hämophilie ins Leben gerufen. Daraus entstanden die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Blutgerinnungsforschung (DAB) und zeitgleich als ihr untergeordnete Einheit die Hämophiliegesellschaft.17 Diese Darstellung deckt sich mit den Aufzeichnungen des späteren Vorsitzenden Maximilian Maurer.18 Die Lücke in den Quellen, die Frühzeit betreffend, erklärt sich wohl dadurch, dass eine vereinsmäßige Tätigkeit zunächst kaum stattfand. Erst 1965 begann die wirklich aktive Phase. Der eben erwähnte Maximilian Maurer war Vater eines Jungen mit Hämophilie, der von Marx behandelt wurde. In Zusammenhang damit fragte ihn Marx, ob er die Aufgabe, die DHG zu „aktivieren“, übernehmen könne.19 Maurer wurde zuerst Schriftführer und Schatzmeister. In dieser Rolle machte er sich daran, den Verein im folgenden Jahr neu zu konstituieren. Auf der ersten Mitgliederversammlung 1966 wurde er auch zum Vorsitzenden gewählt. Ein weiterer wichtiger Neuzugang war Wernher Dünnbier, Direktor bei der Bayerischen Hypotheken- und Wechsel-Bank. Er war bei Marx in Behandlung und traf mit ihm die Absprache, dass die Hämophilie-Blätter in der Hausdruckerei der Bank gedruckt werden konnten.20 Im Vorstand tätig waren außerdem der erwähnte Dr. Marx, der Rechtsanwalt Heinz Wollmeringer, ein weiterer Arzt – Günter Landbeck (1925–1992) – sowie der Jurist Hermann Miesbach. Von diesen Herren sollten Maurer, Marx, Wollmeringer und Landbeck bis 1984 im Amt sein, so dass der Vorstand im untersuchten Zeitraum äußerst stabil blieb. Bewegungen kamen nur insofern vor, als zusätzliche Personen in den Vorstand rückten, so dass dieser 1983 aus 15 Pemberton (2011), S. 157–194. 16 Marx, Rudolf: Brennende Probleme und Nahziele der Deutschen Hämophilie-Gesellschaft. In: Hämophilie-Blätter 1 (1967), H. 1, S. 3–9, Zitat S. 4. 17 Interview mit Wolfgang Schramm (17. Oktober 2017). 18 Maurer: Selbsthilfebewegung (2001), S. 32. 19 Vogel (2007). 20 Maurer: Selbsthilfebewegung (2001), S. 35 f.; Hinweise und Mitteilungen des Vorstandes. In: Hämophilie-Blätter 1 (1967), H. 1, S. 10; Hämophilie-Blätter 1 (1967), H. 1, Titelei; Marx, Rudolf: Bemerkungen zur Gründung und der ersten Entwicklungsphase der Deutschen Hämophiliegesellschaft (1956–1984). In: Hämophilie-Blätter 20 (1986), H. 2, S. 4–8.

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insgesamt elf Personen bestand.21 Laut Schramms Angaben war jedoch nur ein Teil von ihnen tatsächlich in die Arbeit des Vorstandes involviert, während die Mehrheit eher aus Gründen der Repräsentativität hineingewählt wurde.22 Im Vorstand waren also stets mehrere Ärzte Mitglieder. Darüber hinaus fungierte die ärztliche Fachgemeinschaft DAB als beratendes Gremium. Die DAB war kein offener Verein, bei dem sich jeder an Blutgerinnung interessierte Arzt beteiligen konnte, sondern eine kleine Gruppe ausgewählter Mitglieder rund um Rudolf Marx.23 Damit war die Beziehung zwischen Hämophiliegesellschaft und auf Hämophilie spezialisierten Ärzten eng. Das gilt insbesondere für das Verhältnis der Gesellschaft zu Marx. Hauptsächlich akquirierten Ärzte neue Mitglieder oder waren für deren Anwerbung verantwortlich. Marx selbst regte seine Patienten und deren Eltern zur Mitarbeit an.24 Es ist zu vermuten, dass dies auch andere der DHG nahestehende Ärzte taten: In Zusammenhang mit dem Neuanfang 1967 wurden in einer besonderen Aktion sämtliche deutsche Chefärzte mit der Bitte angeschrieben, eventuell von ihnen behandelte Bluter auf die Hämophiliegesellschaft aufmerksam zu machen.25 Im Vergleich zu V ‚ olkskrankheiten‘ wie Diabetes und Allergie handelt es sich bei Hämophilie um eine relativ kleine Patientengruppe, wessen man sich in der DHG auch bewusst war.26 Gleichzeitig hat sie durch die sehr teure Behandlung aber eine unverhältnismäßig große finanzielle Bedeutung: für die Pharmaindustrie als Einkommensquelle, für die Krankenversicherung als Ausgabeposten. Im Zusammenhang mit der Hämophiliegesellschaft bedeutete das, dass die eigene Gruppe für wichtige Teilhaber im Gesundheitsbereich bedeutsam wurde. Dank Industriesponsoring konnte die Infrastruktur stark ausgebaut werden – „eine Chance, die die meisten Behindertenverbände in dieser Form nie hatten und auch nie haben konnten“,27 wie Maurer später kommentierte. So konnte beispielsweise bereits 1970 eine eigene Geschäftsstelle eingerichtet werden. Ab 1976 hatte man einen hauptberuflichen Geschäftsführer.28

21 Bericht über die Mitgliederversammlung am 10. Dezember 1966 in München. In: Hämophilie-Blätter 1 (1967), H. 1, S. 10; Hämophilie-Blätter 17 (1983), H. 1–2, Vorderumschlag Innenseite. 22 Interview mit Wolfgang Schramm (17. Oktober 2017). 23 Interview mit Wolfgang Schramm (17. Oktober 2017). 24 Interview mit Wolfgang Schramm (17. Oktober 2017). 25 Maurer: Selbsthilfebewegung (2001), S. 36; vgl. Mitgliederversammlung der Deutschen Hämophilie-Gesellschaft. In: Hämophilie-Blätter 2 (1968), H. 3, S. 3. 26 Maurer, Maximilian: Eröffnung und Begrüßung durch den Vorsitzenden der Deutschen Hämophilie-Gesellschaft, Herrn Maximilian Maurer. In: Hämophilie-Blätter 5 (1971), H. 1–2, S. 3–5. 27 Maurer: Selbsthilfebewegung (2001), S. 40. 28 Geschäftsstelle der DHG in München. In: Hämophilie-Blätter 4 (1970), H. 3–4, S. 27; Mitteilungen des Vorstandes. In: Hämophilie-Blätter 11 (1977), H. 1, S. 28.

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Dazu kamen Mittel aus öffentlicher Hand. Die DHG war erfolgreich darin, sich auf politischer Ebene Gehör zu verschaffen. Auch hier war die monetäre Größe sicherlich ein wichtiger Faktor, der die verhältnismäßig kleine Patientengruppe regelmäßig ins Blickfeld rückte. Über die Jahre wurden Gespräche mit verschiedenen Ämtern, sogar auf Regierungs- und Bundespräsidentenebene, geführt.29 Die genauen Verhältnisse zwischen den verschiedenen Einkommensarten sind anhand der Kassenberichte nicht klar ersichtlich, denn Industriesponsoring und öffentliche Mittel wurden mit Spenden von Privatpersonen zusammen aufgeführt. In jedem Fall machten Zuschüsse einen größeren Teil der Einnahmen aus als Mitgliedsbeiträge.30 Nachdem die Hämophiliegesellschaft 1967 aktiv geworden war, entfaltete sie eine umfassende Tätigkeit, die neben dem erwähnten Lobbying auch sehr direkt auf das Leben der Betroffenen einwirken sollte. Wie bei den anderen hier untersuchten Vereinen wurde mittels einer Zeitschrift mit den Mitgliedern kommuniziert. Die Hämophilie-Blätter hatten lange Zeit ein sehr anspruchsloses Erscheinungsbild, ein einfacher Abdruck maschinengeschriebener Originale, zwei- bis dreimal jährlich erscheinend und neben kurzen Vereinsnachrichten hauptsächlich aus medizinischen Aufsätzen bestehend. Verfasser der Letzteren waren vorrangig Ärzte aus dem Vorstand der DHG. Weiter wurde auch über relevante steuer- und sozialrechtliche Fragen referiert, auch Adressen von Behandlungszentren und Vertrauensmitgliedern tauschte man auf diese Weise aus. Die Blätter dienten damit als schlichter Informationsdienst für Betroffene, die dort medizinische Informationen und – für die ganzheitliche Krankheitsbewältigung – Hilfe zur Orientierung im Alltag erhielten. Hämophilie ist historisch mehrfach mit gegenderten Vorstellungen eng verbunden, beginnend mit ihrer Konstruktion als nur bei Jungen und Männern existente Krankheit. Selbst im Untersuchungszeitraum wurden deshalb weibliche Bluter weitgehend außer Acht gelassen. Die Angst vor Blutungen infolge von Verletzungen und die durch Gelenkblutungen oft eingeschränkte Beweglichkeit führten zudem häufig dazu, dass betroffene Jungen von stereotypisch maskulinen Aktivitäten, wie Sport oder tobendes Spielen, ausgeschlossen wurden. Von den Müttern dieser Jungen wiederum wurde einerseits erwartet, dass sie ihre Söhne rund um die Uhr beschützten, andererseits bestand so das Risiko des Verhätschelns. Teil der Bestrebungen, für Hämophile 29 Vgl. bspw. Vorstandssitzung am 24. Oktober 1969 in München. In: Hämophilie-Blätter 3 (1969), H.  3, S.  11; Berichte der Vertrauensmitglieder. In: Hämophilie-Blätter 4 (1970), H. 1, S. 13–19; Sitzung beim Kultusminister Nordrhein-Westphalen am 18.10.1978. In: Hämophilie-Blätter 12 (1978), H. 2, S. 43; Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in Nürnberg. In: Hämophilie-Blätter 3 (1969), H. 1, S. 13 f.; Fühlungnahme mit dem Bundesgesundheitsministerium. In: Hämophilie-Blätter 2 (1968), H. 2, S. 11; Bundespräsident Carstens betont öffentliche Aufgabe von Behindertenverbänden. In: Hämophilie-Blätter 14 (1980), H. 2, S. 22 f. Vgl. auch Kapitel 7. 30 Schmidt, G.: Regularien. Finanzbericht des Schatzmeisters. In: Hämophilie-Blätter  15 (1981), H. 1–2, S. 35–47; für die meisten Jahre fehlt eine genaue Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben, daher kann zu der Entwicklung über den Zeitraum der Untersuchung hinweg keine Aussage gemacht werden.

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ein „begrenzt normales“ Leben zu ermöglichen, war daher, die maskuline Identität der Patienten zu fördern, beruhend auf dem Gefühl einer drohenden „Verweiblichung“.31 Die DHG ging das Genderproblem mit speziellen Kur- und Freizeitangeboten für Bluter und deren Familien an. Ab 1977 konnten hämophiliekranke Jungen im von Western inspirierten „Fort Christoph“ in Oberbayern unter Aufsicht spezialisierter Betreuer das Cowboy-Leben entdecken.32 Obwohl die DHG nicht Betreiberin der Anlage war, sondern mit einem Verein zusammenarbeitete, der sich auf die Freizeitgestaltung behinderter Kinder spezialisierte, war der hypermaskuline Charakter des Lagers durchaus in ihrem Sinne, denn es ging ihr nicht zuletzt darum, den besonders an der Bluterkrankheit haftenden Männlichkeitsproblemen zu begegnen: Der Lageralltag war nicht bequem und problemlos, vor allem nicht für unsere oft überbehüteten Patienten, sondern eher unbequem, fordernd, anstrengend und auch etwas rauh. Dies hat aber die Begeisterung und die glückliche Erinnerung in keinem einzigen Fall gemindert, sondern im Gegenteil immer gefördert,33

erinnerte sich später Maximilian Maurer.

Fig. 6: Fort Christoph, aus: Hämophilie-Blätter 10 (1976), H. 2, S. 25.

Auch die Mütter hatten psychosoziale Beanspruchungen zu bewältigen. Sie waren (in den meisten Fällen) „Konduktorinnen“ und mussten damit zurechtkommen, eine schwere Krankheit an ihre Söhne vererbt zu haben – und das in einer Gesellschaft, die noch mit den Nachwirkungen der nationalsozialisti31 Pemberton (2011), S. 144–151. 32 Fort Christoph – ein Ferienlager für Kinder und Jugendliche. In: Hämophilie-Blätter 10 (1976), H. 2, S. 24 f. 33 Maurer: Ferienlager (2001), S. 189.

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schen ‚Erbgesundheits‘-Politik zu kämpfen hatte.34 Außerdem lag die Betreuung des kranken Kindes zum überwiegenden Teil in ihren Händen. Das bedeutete, ständig in der Angst vor plötzlich auftretenden Blutungen zu leben. Sie fühlten sich verpflichtet, alles zu tun, um ein lebhaftes Kind vor im Normalfall oft vorkommenden Bagatellunfällen zu behüten – Geschehnisse, die natürlich nicht ganz vermieden werden konnten. Bei den Müttern fanden sich also Symptome wie Überanstrengung, gemischt mit schwer zu vermeidenden Schuldgefühlen. Sie waren ein weitverbreitetes Phänomen, welches von der DHG mit Mutter-Kind-Kuren zu bekämpfen versucht wurde. Die organisierte Kinderbetreuung ermöglichte den Müttern eine Auszeit und natürlich auch den Informationsaustausch untereinander.35 Damit ist zugleich der Charakter der Hämophiliegesellschaft als Elternverein angeschnitten. Von Anfang an wurden sowohl Betroffene als auch Eltern betroffener Kinder angesprochen. Zur gleichen Zeit, als die DHG in ihre wirklich aktive Phase überging, erlebten Elternvereine in der Bundesrepublik einen Aufschwung: Durch ihre intensive Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit wurden De-Asylisierungs- und Integrationsprozesse angestoßen, die nachhaltig die deutsche Sozialpolitik veränderten.36 Vorbilder fehlten also nicht, und die Hämophiliegesellschaft identifizierte sich offenbar schnell und intensiv mit dieser Bewegung. So gehörte man bereits 1969 der „Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte“, später BAG Selbsthilfe genannt, an und zählte damit zu den Mitgliedsorganisationen, die schon sehr früh beitraten.37 Mit den Worten Maximilian Maurers war die DHG jedoch am Anfang eher eine „Selbstkontrollgruppe“:38 Eng an die Kliniken gebunden, wo die Bluter jeweils behandelt wurden, übernahm der Verband  – unter ärztlicher Kontrolle – Aufgaben der Patientenaufklärung, war also an erster Stelle ein Vermittler von ärztlichen Botschaften an das Patientenkollektiv. Da sich aber mehr Betroffene engagierten, wurden bewusst Schritte in Richtung einer größeren Selbständigkeit getan. Die DAB hatte, so meinte der Schatzmeister Dünnbier 1970, als „Antriebsmotor“ gedient, aber die Zeit für eine Neuordnung sei gekommen, „sowohl ideell hinsichtlich des Selbstverständnisses und der Aufgabenstellung, wie auch organisatorisch hinsichtlich der vertikalen

34 Vgl. zur Problematik von Eltern behinderter Kinder vor dem Hintergrund der NS-Vergangenheit Stoll (2017), insbesondere S. 126 f., 135, 206 f. 35 Sonderkuren für Mütter und ihre hämophilen Kinder. In: Hämophilie-Blätter 5 (1971), H. 4, S.  38; Seiler, G.; Weseloh, G.: Berichte über die Sonderkur für Mütter und ihre hämophilen Kinder. In: Hämophilie-Blätter 6 (1972), H. 2, S. 45–51; Gesslein, U.: Erfahrungsbericht über zwei Sonderkuren für Mütter mit hämophilen Kindern aus Sicht der Kurleiterin. In: Hämophilie-Blätter 7 (1973), H. 2, S. 25–28; Kiel, B.: Sonderkur für Mütter und ihre hämophilen Kinder. In: Hämophilie-Blätter 8 (1974), H. 2, S. 54 f. 36 Stoll (2017), S. 125–207. 37 Hinweise und Mitteilungen des Vorstandes. In: Hämophilie-Blätter 3 (1969), H. 2, S. 14–16. 38 Maurer: Selbsthilfebewegung (2001), S. 33.

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und horizontalen Struktur“.39 So wurde die Hämophiliegesellschaft in der Satzung von 1971 nicht mehr als „Zusatzorganisation zur DAB […] durch die die Ziele der DAB unterstützt werden sollen“,40 sondern als „Notgemeinschaft der an einer angeborenen oder erworbenen Blutungskrankheit Leidenden“41 definiert. Trotzdem blieb die enge Beziehung zur Ärzteschaft: Ein DAB-Vertreter sollte laut Satzung immer Vorstandsmitglied sein, und diese Organisation bildete gleichzeitig ein beratendes Gremium der DHG.42 Die Mittlerfunktion zwischen Ärzten und Patienten blieb also, wurde jedoch durch die Bildung von lokalen Netzwerken ergänzt, in denen ein intensiver Austausch unter den Betroffenen stattfinden konnte. Diese Lokalgruppen hatten keine formale Verankerung in der Satzung, sondern formierten sich rund um eine zentral gewählte Vertrauensperson.43 Berichte in den Hämophilie-Blättern zeigen, dass dort aus Eigeninitiative nicht nur ärztlich geleitete Aufklärung stattfand. Es wurde auch praktische, gegenseitige Hilfe geleistet oder man tauschte dort schlicht Ratschläge und Erfahrungen aus.44 Insgesamt war die DHG Anfang der 1980er Jahre eine erfolgreiche und stabile Organisation. Von Ärzten gegründet und eng mitbetreut, von der Pharmaindustrie finanziell unterstützt, stand sie den Mitgliedern ressourcenstark zur Seite. Es schien eine für alle Beteiligten vorteilhafte Konstellation entstanden zu sein. Dass Faktorenkonzentrate Infektionskrankheiten übertragen konnten, war bereits unter Patienten gut bekannt,45 als die Hämophiliegesellschaft zum ersten Mal im Mai 1983 AIDS öffentlich thematisierte. In seiner Eröffnungs- und Begrüßungsansprache auf der DHG-Mitgliederversammlung sprach Maximilian Maurer von einer drastischen Veränderung in der Situation für Hämophiliekranke in den letzten Jahren. Sie seien zu Sündenböcken für steigende Kosten der Krankenversicherung gemacht worden; die Versorgung mit Medikamenten sei durch Marktbewegungen und bürokratische Hürden destabilisiert.

39 Dünnbier, Wernher: Erläuterungen zum Entwurf einer Neufassung der Satzung der DHG. In: Hämophilie-Blätter 4 (1970), H. 2, S. 10–13, Zitat S. 10. 40 Satzung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft zur Blutgerinnungsforschung (1956), § 10. 41 DHG, Satzung der Deutschen Hämophiliegesellschaft zur Bekämpfung der Blutungskrankheiten e. V. (1971), § 1. 42 DHG, Satzung der Deutschen Hämophiliegesellschaft zur Bekämpfung der Blutungskrankheiten e. V. (1971), § 6, § 9. 43 Erste Vertrauenspersonen wurden 1968 gewählt und ihre Funktion dann mit der neuen Satzung von 1971 formal festgelegt. Bericht über die Mitgliederversammlung der Deutschen Hämophilie-Gesellschaft am 9./10. November 1968 in Hamburg. In: HämophilieBlätter 2 (1968), H. 3, S. 2–8 und S. 16; DHG, Satzung der Deutschen Hämophiliegesellschaft zur Bekämpfung der Blutungskrankheiten e. V. (1971), § 8. 44 Vgl. bspw. Berichte der Vertrauensmitglieder. In: Hämophilie-Blätter 4 (1970), H.  3–4, S. 15–26; Berichte der Vertrauensmitglieder. In: Hämophilie-Blätter 8 (1974), H. 2, S. 58. 45 Vgl. bspw. Landbeck, Günter: Aktuelle Aufgaben der klinischen Hämophilieforschung. In: Hämophilie-Blätter 8 (1974), H. 2, S. 6–15.

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Zuletzt gäbe es auch mit dem „sog. AIDS“ ein weiteres, neues Risiko der Behandlung. Der „Versorgungswohlstand“ sei vorbei.46 Diese Ansprache kam ein Jahr nach dem Tod des hämophiliekranken „Bonner Patienten“ und nur eine Woche, nachdem er Schlagzeilen als erster vermuteter AIDS-Toter in der BRD gemacht hatte.47 In den deutschen Medien entfaltete sich bekanntlich zur selben Zeit eine regelrechte Panikmache vor der ‚neuen Seuche‘.48 Das Virus wurde  – wenig überraschend  – mit zunehmender Häufigkeit auch zu einem Thema in der DHG. In den HämophilieBlättern war es ab 1985 der dominante Gegenstand der Berichterstattung. Um die unerwartete Krise bzw. die Bedrohung in den Griff zu bekommen, machte sich die Hämophiliegesellschaft die vorhandenen Ressourcen zunutze: Lokalgruppen, in denen die neue Bedrohungslage Gegenstand von Informationsund Diskussionstreffen wurde,49 Öffentlichkeitsarbeit, die bestrebt war, einer drohenden Stigmatisierung entgegenzuwirken,50 und eine Mitgliederzeitschrift, in der führende Experten die Patienten auf dem Laufenden halten konnten. Die DHG war also gut strukturiert und mit ausreichenden Mitteln ausgestattet. Lange gab die Hämophiliegesellschaft vor allem Entwarnungen heraus. Eine Ausnahme von solchen Beschwichtigungsversuchen bildet ein Schreiben des Hamburger Hämatologie-Professors und Mitglied des erweiterten Vorstands Günter Landbeck vom April 1983. Dort informierte er die DHG-Mitglieder über das durchaus ernstzunehmende AIDS-Risiko und hielt fest, dass es bereits deutsche Fälle gebe. Deshalb empfahl er leicht kranken Blutern, auf Gerinnungsfaktoren möglichst zu verzichten.51 Damit schnitt er den springenden Punkt in Bezug auf AIDS und Hämophilie zu dieser Zeit an: ob es als sichergestellt gelten konnte, dass in der Bundesrepublik Bluter an AIDS erkrankt waren oder nicht. Im Jahr 1983 herrschte in dieser Frage noch Uneinigkeit, insbesondere unter auf Hämophilie spezialisierten Ärzten. Hier geht es – auch in der Rückschau – nicht in erster Linie um bewusste und vorsätzliche Geheimhaltung von Fakten – vielmehr lassen sich unterschiedliche Strategien und Risikobewertungen beobachten. Da damals noch kein Test vorhanden war, beruhte das Urteil, ob es sich bei einem Fall wie dem „Bonner Patienten“ um eine AIDS-Erkrankung handelte oder nicht, allein auf einer Bewertung der Symptomatik. Als Todesursache hatte man damals eine multifokale Leukenzephalopathie festgestellt, also eine virale Gehirnentzündung, die ausschließlich extrem immunschwache Patienten betrifft. In den USA war über die Verbindung dieser schweren Erkrankung mit AIDS bereits berichtet worden. Daraus ergibt sich allerdings nicht zwangsläufig die Schlussfolgerung, 46 Maurer, Maximilian: Eröffnung und Begrüßung. In: Hämophilie-Blätter 17 (1983), H. 1–2, S. 16–18, Zitate S. 17 und S. 18. 47 Scheu u. a. (1994), S. 125–127. 48 Bänziger (2014). 49 Regionalberichte. In: Hämophilie-Blätter 19 (1985), H. 1, S. 17–25. 50 Gabbert, Jürgen: Liebe DHG-Mitglieder. In: Hämophilie-Blätter 19 (1985), H.  2, S.  3; Letzte Meldung. In: Hämophilie-Blätter 19 (1985), H. 3, S. 44. 51 Vgl. Faksimile in Koch (1990), S. 49.

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dass der „Bonner Patient“ an AIDS erkrankt war oder dass in einem solchen Fall er das Virus durch die ihm verabreichten Gerinnungspräparate bekommen hatte. Dies war im Jahr 1983 noch eine Frage der Einschätzung: Waren die Indizien – die seltene Erkrankung, die im Zusammenhang mit AIDS stehen konnte, der Umstand, dass er Bluter war und damit die Blutprodukte als möglicher Ansteckungsweg in Frage kamen – ausreichend? Sollte man Vorsicht walten lassen, indem man keine zu schnellen Schlussfolgerungen zog – oder gebot die Vorsicht eher, von einer Ansteckung auszugehen? Manche Beobachter kamen zu dem Schluss, dass der Bonner Fall und andere bekanntgewordene Kasuistiken genug Indizien lieferten, um frühzeitig Alarm zu schlagen, andere jedoch meinten damals, dass es nicht genug Beweise gebe, um auch in der Bundesrepublik von einem AIDS-Ausbruch sprechen zu können.52 Es gab also einen gewissen diagnostischen Spielraum, der zu unterschiedlichen Einschätzungen der Lage führte. Gleichzeitig wurde in einschlägigen Fachpublikationen (Deutsche medizinische Wochenschrift, Deutsches Ärzteblatt und Bundesgesundheitsblatt) bereits über die neuesten Erkenntnisse der AIDSForschung berichtet, einschließlich der Erwähnung deutscher Fallberichte.53 Die meisten von der Hämophiliegesellschaft verbreiteten Informationen folgten trotzdem der Linie, dass zu diesem Zeitpunkt in Deutschland bereits bestehende AIDS-Erkrankungen nicht bewiesen werden könnten. Berichte über die Probleme des Plasmahandels wurden als tendenziös kritisiert.54 Auf Informationsveranstaltungen und in der Berichterstattung darüber in den Hämophilie-Blättern wurde die Sicherheit der Präparate beteuert und den Patienten geraten, sie weiter zu verwenden. Es sei „in Deutschland kein einziger Fall gesichert“, bekräftigte Wolfgang Schramm auf einer DHG-Veranstaltung in München im Juli 1983.55 Das Bonner Bluterzentrum soll zudem versucht haben, Einfluss auf die Vorstandswahl in der DHG zu nehmen, um deren Loyalität mit Ärzten und Pharmaindustrie weiterhin sicherzustellen.56 Hier wird ein tragisches Paradox deutlich. In den USA sollte die mangelnde Organisation der Hämophilen dazu beitragen, dass diese erst spät innerhalb der AIDS-Bewegung aktiv wurden.57 In Deutschland war es genau umgekehrt: Es gab sehr wohl ein gut entwickeltes Netzwerk unter an Hämophilie Erkrankten und deren Familien. Obwohl sie über die nötige Ausstattung und Verbindungen verfügte, um politisch und öffentlich Druck machen und effektiv mit den Betroffenen kommunizieren zu können, war die DHG bemüht, genau das zu verhindern. Wie wir heute wissen, unternahmen die 52 Koch (1990), S. 26 f., 50 f., 55 f. 53 Scheu u. a. (1994), S. 58 f. 54 Schürmann, Michael; Studier, Alphons: Der Stoff[,] aus dem die „hämophilen“ Träume sind. In: Hämophilie-Blätter 18 (1984), H. 1–2, S. 27–29; Gruson, Rainer: Stellungnahme zum Buch und Film „Bluternte“. In: Hämophilie-Blätter 19 (1985), H. 1, S. 25 f. 55 Schramm, Wolfgang: Diskussionsabend am 21. Juli 1983 in München zum Thema AIDS und HÄMOPHILIE? In: Hämophilie-Blätter 17 (1983), H. 1–2, S. 69; vgl. auch Region München und Südbayern. In: Hämophilie-Blätter 19 (1985), H. 1, S. 21–25. 56 Koch (1990), S. 81 f. 57 Epstein (1996), S. 289 f.

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Hersteller, von deren Sponsorengeldern die DHG abhängig war, alles, um die umstrittenen Präparate weiterhin vertreiben zu können. Außerdem hatten die Firmen zu führenden Hämatologen enge Beziehungen, die auch finanziell für die Experten lukrativ waren. Von diesen Ärzten gehörten nicht wenige der Hämophiliegesellschaft an. So hat z. B. Hans Egli (1922–2007), Leiter des Bonner Hämophiliezentrums und seit 1968 im DHG-Vorstand, entwarnende Nachrichten in den Hämophilie-Blättern publiziert.58 Später sollte er in der Öffentlichkeit als einer derjenigen gelten, die für die verzögerte Reaktion auf das HI-Virus in Fachkreisen verantwortlich waren.59 Laut des Journalisten Egmont Koch, der über den Blutskandal ein Buch schrieb, war Egli sogar „[h]auptverantwortlich für die AIDS-Epidemie unter deutschen Blutern“.60 Der in den Medien häufig erwähnte Zusammenhang zwischen HIV/AIDSÜbertragung und Hämophilie führte ab Mitte der 1980er Jahre zur lange befürchteten Stigmatisierung dieser Patientengruppe. Kinder mit Hämophilie waren fortan in manchen Schulen nicht mehr willkommen, erwachsene Bluter verloren ihre Anstellungen, sie und ihre Familien wurden oft sozial ausgegrenzt.61 Neben den direkten Krankheitsfolgen hatte die AIDS-Epidemie unter Hämophiliekranken daher tiefgreifende indirekte Folgen. Im Jahr 1986 suchte die DHG anwaltliche Hilfe, um außergerichtlich ein Entschädigungsabkommen mit der Industrie zustande zu bringen. Vom Gerichtsweg wurde Abstand genommen, teilweise aus Loyalität zu den behandelnden Ärzten, deren Schuld im Rahmen eines straf- oder zivilrechtlichen Verfahrens vermutlich hätte erörtert werden müssen. Ergebnis der Verhandlungen war 1987 ein Abkommen, nach dem Betroffene individuell Schadenersatzansprüche bei den Versicherern der Hersteller einreichen sollten.62 Gleichzeitig drohte der Gesellschaft eine finanzielle Krise aufgrund von sinkenden Sponsorengeldern.63 Das Abkommen mit der Industrie deckte nicht annähernd den Bedarf der Betroffenen. Auf Empfehlung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum Blutskandal, der 1993 seine Arbeit abschloss, wurde 1995 die „Stiftung Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“ gegründet. Aus Mitteln des Bundes, der Länder und der involvierten Pharmaunternehmen zahlt die Stiftung monatliche Leistungen an Erkrankte und deren Angehörige. Schon bald nach der Gründung zeigte sich allerdings, dass die Berechnungen falsch waren; denn man war davon ausgegangen, dass alle 58 Schimpf, Klaus; Egli, Hans; Kurme, Anatol: Verhalten bei positivem LAV/HTLV-III-Antikörper-Befund. In: Hämophilie-Blätter 19 (1985), H. 2, S. 4–6; Egli, Hans; Kurme, Anatol; Schimpf, Klaus: Änderung der Beipackzettel. In: Hämophilie-Blätter 19 (1985), H. 1, S. 5 f. 59 Der Tod aus der Spritze (1991). 60 Koch (1990), S. 15. 61 Scheu u. a. (1994), S. 204; Henkel, S.: Regionaltagung in München am 15. November zur Problematik AIDS. In: Hämophilie-Blätter 20 (1986), H. 1, S. 44–47. 62 Gabbert, Jürgen: Liebe DHG-Mitglieder. In: Hämophilie-Blätter 22 (1988), H. 1, S. 3; Koch (1990). 63 Gabbert, Jürgen: Liebe DHG-Mitglieder. In: Hämophilie-Blätter 21 (1987), H. 2, S. 3.

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Betroffenen spätestens 1999 verstorben sein würden. Dank verbesserter Therapien war das jedoch nicht der Fall. So waren weiterhin Entschädigungsgelder nötig. Nicht zuletzt der Druck von Betroffenen, die mittlerweile eigene, von der DHG unabhängige Organisationen gegründet hatten, führte mehrmals zu Revisionen der Stiftungssatzung, um die Weiterführung der Zahlungen zu ermöglichen. Trotzdem wird die Abfindung für die Opfer als nicht ausreichend angesehen. Der Umstand, dass nur eine HIV-Infektion berücksichtigt wird und nicht andere Erkrankungen wie Hepatitis, gibt auch heute noch Anlass zu Rechtsstreitigkeiten.64 Die Rolle der DHG in der AIDS-Krise der 1980er Jahre bedarf aber weiterer, tiefergehender Recherchen, um die jeweiligen Handlungsspielräume und das Verhalten der Akteure bewerten zu können. Dazu wäre eine eigene Untersuchung notwendig, die hier nicht erbracht werden kann. Vor dem Hintergrund der geradezu panischen Berichterstattung in den frühen Jahren der AIDS-Epidemie erscheinen die Versuche der Hämophiliegesellschaft, potentiell Betroffene und die Allgemeinheit zu beruhigen, grundsätzlich als plausibel. Im Rahmen dieser Studie geht es nicht darum, eventuelle Schuldfragen zu erörtern. Vielmehr soll die Tatsache, dass die Beteiligten beim Aufbau eines Patientenvereins – Betroffene, Ärzte, Industrie und Behörden – sich plötzlich in einer Situation befanden, in der Interessen kollidierten, einer Problematisierung der typischen Struktur von Patientenvereinen dienen. Die Instrumentalisierung von Patientenvereinen durch Pharmasponsoring wurde in der jüngeren Vergangenheit als Problem eines mehr oder weniger verdeckten Marketings und Lobbyismus diskutiert. Für die Hersteller von pharmazeutischen Produkten bieten Patientenvereine ein ausgezeichnetes Publikum für zielgerichtete (Schleich-)Werbung. Das ist kein Geheimnis, sondern wird offen als gute Marketingstrategie angesehen. Im Austausch sollen die Patientengruppen Unterstützung ihrer Öffentlichkeitsarbeit und Zugang zu relevanten, qualitätsgesicherten Informationen über die Krankheit erhalten  – aus der Sicht des Pharmamarketings eine „win-win-Situation“ also.65 Wenig überraschend wird diese Beziehung aber von vielen – in der Politik, innerhalb der Medizin und in der Medizinethik – kritisch betrachtet. Patientenvereine, die ihre Öffentlichkeitsarbeit mit Hilfe von Industriegeldern betreiben, wecken den Verdacht, sie würden als „Büttel“ der Industrie auftreten und kommerzielle Interessen unter dem Deckmantel des Patienteninteresses verteidigen.66 Ein Sonderfall solcher Allianzen ist die Einbeziehung von Patientengruppen in Prozesse des „disease-mongerings“, d. h. der Medikalisierung menschlicher Eigenschaften oder Verhaltensweisen aus dem Interesse heraus, entsprechende Medikamente zu verkaufen. Selbsthilfegruppen, manchmal

64 Stiftung für HIV-infizierte Bluter droht das Aus (2014); HIV-Hilfegesetz (2017). Organisationen, die die Betroffenen vertreten, sind der Verband der Opfer des Blutskandals e. V. (Lübeck) und das Netzwerk Robin Blood (Wentorf bei Hamburg). 65 Buttle/Boldrini (2001). 66 Merten/Rabbata (2007).

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von der Industrie selbst ins Leben gerufen, stellen dabei das geeignete Patientenkollektiv zur Verfügung.67 Aktuell kann beobachtet werden, dass ausgiebiges Sponsoring es manchen Organisationen erlaubt hat, stark zu wachsen und Umsätze in Millionenhöhe zu verzeichnen.68 Um der damit verbundenen Frage nach Interessenkonflikten begegnen zu können, kam es zur Ausarbeitung von Richtlinien, die unter anderem regeln sollen, dass Sponsoring nicht die an die Mitglieder verbreiteten Informationen beeinflussen darf und dass das Verhältnis zur Industrie transparent sein muss.69 In Deutschland haben der Paritätische Wohlfahrtsverband und die BAG Selbsthilfe 2003 Richtlinien für die Zusammenarbeit verfasst, an deren Wirksamkeit jedoch gezweifelt werden kann.70 Die DHG war in diesem Bereich Vorreiter und musste früh und schmerzhaft erkennen, dass dieses Vorgehen auch Risiken mit sich brachte. Die historische Betrachtung kann zur Nuancierung dieses Problems beitragen: Festzuhalten ist, dass Patientenvereine seit mehr als einem Jahrhundert als Werbeträger für Medikamentenhersteller dienen.71 Die Verflechtung von Patientenverein, Industrie und Arzt hat aber eine Tragweite über das reine Marketing hinaus und betrifft, wie im Fall der DHG deutlich wurde, die Rolle der Vereine als Vertreter der Patienten. Schon früh tritt eine scheinbare Interessengemeinschaft der Akteure in Erscheinung, die im Ernstfall die Möglichkeiten einer Vertretung der Patientenbelange einschränkt.

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Wolinsky (2005). Heier (2006); Rose u. a. (2017). Herxheimer (2003). Merten/Rabbata (2007). In AAB, Bericht 25 (1923), S. 51 f., tauchen die ersten Anzeigen für Heilmittel auf; Kurorte schalteten im Jahresbericht des AAB schon 1914 Werbung, vgl. AAB, Bericht XVI (1914), S. 15–17.

6. Vernetzung der Patientenvereine auf internationaler und deutsch-deutscher Ebene Zur Zeit seiner Gründung verstand sich der spätere Allergikerbund nicht als deutsch, sondern als „Heufieberbund von Helgoland“. Die Erwähnung von Helgoland im Titel fiel zwar schon mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs weg, aber ‚deutsch‘ nannte sich der Verein erst ab 1955.1 Listen aus der Anfangszeit belegen, dass der Heufieberbund in ganz Europa Mitglieder hatte – unter anderem die spanische Königin Victoria Eugenia, aber auch weniger bekannte Männer und Frauen aus Norwegen, Großbritannien, Italien, Russland, Belgien, den Niederlanden sowie Österreich und der Schweiz.2 Im Zusammenhang mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten mussten allerdings sämtliche ausländische Mitglieder den Verein verlassen.3 In der Nachkriegszeit verzeichnete der Allergikerbund wieder eine kleine Anzahl ausländischer Mitglieder.4 Jedoch hatte er längst den Charakter einer europäischen Patientenvertretung für Allergie verloren, da Patienten in anderen Ländern nun die Gelegenheit hatten, sich Vereinen dort anzuschließen. Damit ergab sich stattdessen die Möglichkeit, sich mit den nationalen Allergikerverbänden im Ausland auszutauschen. Solche Verbindungen bestanden vor allem nach Skandinavien.5 Gemeinsam mit diesen Zusammenschlüssen und dem schweizerischen sowie dem belgischen Allergikerbund wurde von Seiten des AAB versucht, einen europäischen Dachverband zu gründen. Die Initiative verlief aber im Sande.6 Die beiden anderen hier untersuchten Selbsthilfevereine hatten ihrerseits mehr oder weniger von Beginn an Kontakt zu internationalen Organisationen. Noch unter der Führung Rudolf Marx’ hatte die Hämophiliegesellschaft die World Federation of Hemophilia 1963 mitgegründet. Vorsitzender war der selbst an Hämophilie erkrankte Kanadier Frank Schnabel, der 1987 an AIDS starb.7 Zweimal im Untersuchungszeitraum war die DHG Gastgeberin der Tagungen dieser Dachorganisation, 1973 in Heidelberg und 1980 in Bonn. Für beide Tagungen gelang es, die Schirmherrschaft des jeweils amtierenden Bundespräsidenten – Gustav Heinemann bzw. Karl Carstens – zu gewinnen. 1 2 3 4 5

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Vgl. AAB, Bericht XVII (1915); AAB, Jahresbericht 1955 (1956). AAB, Verzeichnis der ordentlichen Mitglieder (1912). AAB, Bericht 37 für das Jahr 1934: Ärzte-Kongress Wege zur Heilung (1935), S. 269. Prozentuale Verteilung der Mitglieder auf die einzelnen Länder. In: Der Allergiker H. 2 (1959), S. 7. Niederschrift über die Mitgliederversammlung des „Allergiker- und Asthmatikerbundes e. V.“ am 9. Juni 1972 in der Nordseehalle auf Helgoland. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 49 (1973), S. 31; Hanson: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren! In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 56 (1975), S. 14 f.; Korrespondenzen mit unserer Geschäftsstelle. In: Der Allergiker H.  60 (1976), S.  15–17; Besuch beim schwedischen Asthma-Allergie Bund. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 47 (1972), S. 1–6. Kommt der Europäische Allergiker- und Asthmatikerbund? Wenn ja, was soll er? In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 58 (1976), S. 4–6; danach nicht wieder thematisiert. Buchbesprechungen (1967), S. 231; vgl. World Federation of Hemophilia (2013), S. 1–5.

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6. Vernetzung der Patientenvereine

Beim Kongress 1980 kam die Schirmherrschaft offensichtlich durch den Vorstandsarzt Egli und über den CDU-Abgeordneten Walter Picard zustande – ein Beispiel für die guten Kontakte der Hämophiliegesellschaft in die Politik, wenn auch über mehrstufige Vermittlungsprozesse.8 Die „2. Europäische Tagung der World Federation of Hemophilia“ in Heidelberg fand 1973 mit einem Programm sowohl für Wissenschaftler als auch für Betroffene statt. Auf die Eltern hämophiler Kinder besonders zugeschnitten, bot die Tagung spezialisierte Kinderbetreuung an.9 Obwohl es ein europäisches Treffen war, kamen Teilnehmer von allen Kontinenten (mit Ausnahme Australiens). Wie viele der internationalen Gäste Betroffene waren, bleibt allerdings unklar.10 Das Modell eines kombinierten Ärzte- und Betroffenenkongresses wurde bei der „1. Internationalen Hämophilie-Konferenz“ in Bonn 1980 fortgesetzt. Hans Egli erklärte dazu, dass es von großer Wichtigkeit sei, dass die Tagungen auch von Betroffenen besucht würden. Sie stellten mit ihren Erfahrungen, insbesondere wenn sie aus verschiedenen Ländern kämen, eine Ressource für die Wissenschaft dar: Bei der Fortentwicklung in der Behandlung von Bluterkranken kann aber auf eine intensive wissenschaftliche Tätigkeit ebenso wenig verzichtet werden wie auf die engagierte Mitarbeit des Hämophilen selbst. Nur wenn die häufigen und insbesondere von Land zu Land wechselnden Probleme und Schwierigkeiten des Hämophilen bekannt sind, kann ihnen wirksam begegnet werden. Dabei gilt es insbesondere, durch gemeinsamen Erfahrungsaustausch nicht nur alle verfügbaren Möglichkeiten zur Verbesserung von Behandlung, Rehabilitation sowie der gesamten Lebensqualität zu erschließen, sondern auch Fehlentwicklungen rechtzeitig zu vermeiden. Internationale Begegnungen stellen hier eine geeignete Plattform dar, auf der ein solcher Erfahrungsaustausch vollzogen werden kann.11

Deshalb hatte man die Konferenz so organisiert, dass für Betroffene zugeschnittene Inhalte auf das Wochenende gelegt wurden. Dadurch sollten möglichst viele die Gelegenheit zur Teilnahme haben.12 Das trat auch ein: Egli konnte im Nachhinein berichten, dass eine große Anzahl Hämophiler aus aller Welt angereist sei. Bei der Angabe, dass 1.200 Personen aus 58 Ländern teilnahmen, bleibt auch in diesem Fall unklar, wie viele davon Betroffene waren, aber deren Zahl dürfte nicht gering gewesen sein.13 Laien konnten an Workshops über Fragen der Versorgung, Selbstbehandlung und Selbstorgani-

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BA Koblenz, Bestand B 122/15073: Briefwechsel Maximilian Maurer und Büro Gustav Heinemanns (Dezember 1972); BA Koblenz, Bestand B 122/29663: Briefwechsel Walter Picard und das Bundespräsidialamt (Dezember 1979); vgl. auch Kapitel 7. Kongresstage für Kinder. In: Hämophilie-Blätter 7 (1973), H. 2, S. 28 f. 2. Europäische Tagung der World Federation of Hemophilia. In: Hämophilie-Blätter  7 (1973), H. 2, S. 5–11; Kongressprogramm. In: Hämophilie-Blätter 7 (1973), H. 2, S. 11–15. BA Koblenz, Bestand B 122/29663: Hans Egli, Gedanken und Anmerkungen zur 1. Internationalen Hämophilie-Konferenz in Bonn, 3.–7. Oktober 1980 (April 1980). BA Koblenz, Bestand B 122/29663: Hans Egli, Gedanken und Anmerkungen zur 1. Internationalen Hämophilie-Konferenz in Bonn, 3.–7. Oktober 1980 (April 1980). Egli, Hans: Eine kurze Nachlese. In: Hämophilie-Blätter 14 (1980), H. 2, S. 12–15.

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sation teilnehmen, aber auch am geselligen Programm.14 Besonders hervorgehoben wurde nach der Veranstaltung die Tätigkeit der „World Hemophiliac Youth“, ein Jugendverband, der auch während der Konferenz tagte und dort sein Netz an Kontakten ausweitete.15 Damals wurde der Grundstein für weitere Kontakte zwischen jüngeren Hämophilen aus Deutschland und anderen Ländern gelegt.16 Auf einer informellen Ebene fanden auch Begegnungen statt: So berichtete eine Mutter 1979 über einen Schüleraustausch mit Frankreich, den sie für ihren Sohn mit Hilfe der dortigen Hämophiliegesellschaft organisiert hatte, da eine Teilnahme an allgemeinen Austauschprogrammen für die Jungen zu riskant wäre. Dadurch, dass beide Schüler Bluter waren, konnten sowohl die deutsche als auch die französische Familie sicher sein, dass die Heimselbstbehandlung auch während des Austausches funktionierte.17 Der DDB seinerseits war seit 1952 Mitglied der damals jungen International Diabetes Federation (IDF; 1949 gegründet).18 Im Zusammenhang mit der Gastgeberschaft des 3. IDF-Kongresses im Jahr 1958 in Düsseldorf wurden die Verflechtungen beider Organisationen enger: Der im Vorstand des Diabetikerbundes tätige Arzt Karl Oberdisse (1903–2002) wurde zum Vizepräsidenten der IDF gewählt. In den folgenden Jahrzehnten blieb der DDB im Vorstand der IDF vertreten.19 Daneben bestanden auch intensive, mehr oder weniger formelle Kontakte zu Diabetesvereinigungen anderer Länder, wozu auch der gegenseitige Besuch von nationalen Tagungen und Treffen in Verbindung mit vom Diabetikerbund organisierten Urlaubsreisen gehörten.20 Zu erwähnen ist auch die Vermittlung eines Austausches zwischen Studenten mit Diabetes in Deutschland und den Niederlanden.21 Bisher wurde in dieser Untersuchung nur die Bundesrepublik als Ort der Patientenmobilisierung berücksichtigt, was daran liegt, dass mit den hier geschilderten Organisationen vergleichbare Gruppen in der DDR nicht existierten. Dennoch verdient das Thema „organisierte Patienten in der DDR“ eine Diskussion, nicht zuletzt, weil dies die Handlungsspielräume westdeutscher Patienten mitbeleuchtet sowie eine vergleichende Perspektive zu den Tätigkeiten der Patientenvereine bietet.

14 BA Koblenz, Bestand B 122/29663: Programmheft der 1. Internationalen HämophilieKonferenz (1980). 15 Die Welt-Hämophilie-Jugend. In: Hämophilie-Blätter 14 (1980), H. 2, S. 16 f. 16 Helmhold, Christian: Aufruf an die Jugend in der Deutschen Hämophiliegesellschaft zur Bekämpfung von Blutungskrankheiten e. V. In: Hämophilie-Blätter 16 (1982), H.  1–2, S. 70; Helmhold, Christian: Internationales Hämophilie-Jugendtreffen 1983 in Dalarna/ Schweden. In: Hämophilie-Blätter 17 (1983), H. 1–2, S. 70. 17 Oppermann, Rosemarie: Jugendaustauschreisen zwischen hämophilen Jugendlichen. In: Hämophilie-Blätter 13 (1979), H. 1, S. 7 f. 18 Roth (1993), S. 98. 19 International Diabetes Federation (2017), Annex 1, Annex 2 (o. S.). 20 Roth (1993), S. 90 f. 21 Beining, Robert: Studentenaustausch nach Holland. In: Der Diabetiker 2 (1952), H.  5, S. 60.

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Vereinzelte Gruppen mit Selbsthilfecharakter oder als Zusammenschluss von Patienten in der DDR sind aus den 1980er Jahre gleichwohl bekannt. Daneben existierten staatlich gesteuerte Verbände für Gehörlose und Blinde, die sozialpolitisch eine gewisse Rolle spielten. Über finanzielle und mediale Ressourcen verfügende, geographisch umfassendere Organisationen für Patienten mit einer bestimmten Diagnose waren aber weder erwünscht noch vorhanden.22 Auch wenn die hier beschriebenen westdeutschen Patientenorganisationen nicht als besonders radikale Gesellschaftskritiker erscheinen, hätte das bloße Vorhandensein solcher Organisationen in der DDR eine nicht gestattete öffentliche Kritik am staatlichen Gesundheitswesen dargestellt.23 Der Umstand, dass in der BRD die Selbsthilfe populär war, wurde als Beweis dafür gesehen, dass das kapitalistische System Unzufriedenheit bei den Bürgern hervorrief.24 Kontakte zwischen DDR-Bürgern und westdeutschen Patientenorganisationen sind kaum belegt. Um dieses Problem besser einschätzen zu können, wird im Folgenden zuerst ein Blick auf Patientenbeteiligung und -aufklärung in der DDR geworfen, und zwar unter besonderer Berücksichtigung des zeitlichen Untersuchungsrahmens. Dass nach der Wende schnell eine große Zahl kleinerer Selbsthilfegruppen entstand und westdeutsche Patientenorganisationen sich auch in den neuen Bundesländern rasch etablierten, weist darauf hin, dass Nachfrage und Interesse an Selbsthilfe und Patientenbeteiligung vorhanden waren.25 Das gilt gleichfalls für den Umstand, dass viele Angebote, die in der BRD durch die Patientenorganisationen bereitgestellt wurden, in der DDR Gegenstücke hatten. So wurden beispielsweise von der dem Fachverband „Gesellschaft für Hämatologie und Bluttransfusion der DDR“ angegliederten Sektion „Hämophilie“ ebenfalls Kinderferienlager organisiert sowie Merkblätter für Schulen und Arbeitsplätze herausgegeben und Informationstreffen für Patienten – „Patientenforen“ – veranstaltet. Auch Lobbyarbeit für die Patienten fehlte nicht: Der Ärzteverein setzte sich unter anderem für ein erhöhtes Krankengeld und die Aufhebung des Kurverbots für Hämophile ein. Diese Initiativen kamen aber wohlgemerkt allesamt von der ärztlichen Seite; eine Patientenorganisation konnte erst nach dem Mauerfall gegründet werden.26 Anette Mund hat in ihrer Untersuchung zur DDR-Selbsthilfe Beispiele von diagnosespezifischen (genannt werden Zöliakie und Leukämie) Patientenund Angehörigengruppen gefunden, die jedoch immer von Fachleuten initiiert und auch oft geleitet wurden.27 Wie eine Stichwortsuche in der ZEFYSDatenbank der DDR-Presse ergibt, existierten „Patientenforen“ in den 1970er und 1980er Jahren an unterschiedlichen Orten und waren diagnoseübergreifend ausgerichtet, als Aufklärungs- und Austauschkreis für Patienten, Pflege22 23 24 25 26 27

Braun/Kettler/Becker (1997), S. 49 f.; Reger (2016), S. 13 f. Schulz (1991); Mund (2009). Mund (2009), S. 46 f. Reger (2016), S. 56; Braun/Kettler/Becker (1997), S. 59–65. Wenck (1983); Hofmann (2001). Mund (2009), S. 46.

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personal, Angehörige und Ärzte einer Klinik28 oder auch unter Einbeziehung politischer Vertreter.29 Eine ähnliche Funktion hatten die mancherorts tätigen „Patientenräte“, die Unterhaltung in den Kliniken organisierten,30 Wünsche und Kritik entgegennahmen31 sowie Mitsprache in der Gestaltung des Klinikalltags und der Versorgung haben sollten.32 Laut der Berichterstattung in der DDR-Presse gingen auch die Foren und Räte auf die Initiative der Versorgungseinrichtungen, nicht der Patienten zurück. Weitere Funktionen solcher Gremien werden außerdem in einem Kommentar eines ehemaligen Patienten des Friedrichshainer Krankenhauses in Berlin aus dem Jahr 1952 angedeutet: Er hätte sich einen Patientenrat dort gewünscht, um unter den Patienten „eine ganze Flut von Rias-Lügen einzudämmen und in sachlicher Form mit überzeugenden Argumenten die Hetze der Westpresse zu entlarven“.33 Nach der Wende wurde in medizinischen Fachzeitschriften berichtet, dass allergische Krankheiten im Osten seltener vorkämen als im Westen.34 Jedoch scheint das Thema durchaus sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Fachwelt der DDR präsent gewesen zu sein – eine Gesellschaft für Asthma- und Allergieforschung bestand seit 1955, und auch in der Tagespresse und im Fernsehen wurde gelegentlich über Allergien informiert. Zentrale Persönlichkeit in der öffentlichen Aufklärung über dieses Thema war Diether Findeisen, Internist und im Bereich der Diätetik und Physiotherapie an der Charité in Berlin tätig sowie Vorsitzender der Gesellschaft für Allergie- und Asthmaforschung in der DDR.35 Durch die Zusammenarbeit der Allergologen in beiden deutschen Staaten war er in Westdeutschland gut vernetzt und schrieb auch für den Jahresbericht des AAB.36 Diabetes hatte dagegen in der medizinischen Versorgung und Forschung der DDR eine Sonderstellung. Das geht auf Gerhardt Katsch zurück. Dieser international führende Diabetologe leitete bis zu seinem Tod das später nach ihm benannte Zentralinstitut für Diabetes in Karlsburg bei Greifswald.37 Von dieser Einrichtung aus wurde die gesamte gesundheitliche Versorgung und Betreuung von Diabetikern in der DDR organisiert, was auch Angebote wie Kinderferienlager (seit 1956) miteinschloss.38 Ostdeutsche Diabetespatienten waren fast flächendeckend im seit 1958 aufgebauten „Zentralen Diabetesre28 29 30 31 32 33 34 35

Nachtweih (1973); Arnold (1972). Im Gespräch mit Patienten (1980); Zeidler (1980). W. L. (1950). P. S. (1950). Günter Fischer (1972); Ren. (1962). Grieshammer (1952). Mutius u. a. (1994); Nowak u. a. (1996). Allergie und Asthma 1 (1955). Eine Suche im ZEFYS ergibt 246 Treffer für „Allergie“ zwischen 1947 und 1985. Siehe bspw. Findeisen (1955); Dr. Hilfreich hat das Wort (1966); Der nächste, bitte! (1968); E. M. Fischer (1980). 36 Schadewaldt (1984), S. 79–81; Findeisen, Diether G. R.: Leitfaden zur Gesunderhaltung. In: AAB, Jahresbericht 1964 (1965), S. 95–119. 37 Vgl. Ewert/Ewert (2016). 38 mg. (1966); „Dürfen wir im nächsten Jahr wiederkommen?“ (1962); Mogling (1966); Ferienlager für diätetische Kinder in mehreren Bezirken (1977).

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gister“ erfasst und wohnortsnahen Dispensarien zugeordnet, die die Therapie eng begleiteten.39 Die Schulung zur Selbstbehandlung sollte auch in den Bezirken durchgeführt werden, aber es bestanden Hindernisse in Form von Materialmangel. So fehlte es z. B. an Blutzuckerteststreifen. Die Insulinherstellung war andererseits, nach einer anfänglichen Knappheit direkt nach Kriegsende, für den Bedarf ausreichend.40 Insgesamt wurde in Rückblicken nach der Wende auch die Versorgungslage als gut bewertet.41 Bei der Hämophilie war die Lage anders. In der DDR herrschte zeitweise Mangel an Blutprodukten, da dort gewonnenes Blut – teilweise von Häftlingen – nicht nur den Eigenbedarf decken musste, sondern in den 1980er Jahren auch gegen Devisen exportiert wurde.42 Schon davor aber, in den späten 1970er Jahren, führte mangelnde Versorgung mit Plasma dazu, dass bei der Herstellung von Anti-D–Immunisierungspräparaten auf mit Hepatitis C infiziertes Blut zurückgegriffen wurde.43 Auch unter Hämophiliepatienten kam es neben den bekannten Versorgungsproblemen zu sehr vielen Hepatitisfällen. Andererseits führte die Isolation des Landes, inklusive ausbleibendem Import von Blutprodukten, dazu, dass nur sehr wenige Hämophiliekranke mit HIV infiziert wurden. Angeblich sollen die fünf bekannten Fälle auf importiertes Blut zurückgehen.44 Wie erwähnt fand kein offizieller Import statt, aber die persönlichen Kontakte zwischen Hämatologen in den beiden deutschen Staaten waren gut, so dass auf diesem Weg Gerinnungspräparate aus dem Westen in die DDR gelangten.45 Als einziger der drei hier untersuchten Vereine bestand der Allergikerbund schon vor der deutschen Teilung. Geographischer Schwerpunkt war allerdings schon seit den frühen Jahren der Raum Köln-Düsseldorf gewesen, so dass wenigstens für die dort wohnenden aktiven Mitglieder kein Einschnitt durch die Teilung Deutschlands erfolgte. Allerdings lebten natürlich unter den übrigen Mitgliedern viele in dem Teil des Landes, der dann zur Ostzone wurde. Als die Vereinstätigkeit nach dem Krieg wiederaufgenommen wurde, stellte sich daher die Frage nach dem Status dieser Mitglieder. Es sollte sich um Hunderte Personen handeln, deren Mitgliedschaften nun „ruhen“ mussten.46 Noch 1959 sollen knapp sechs Prozent der Mitglieder aus der DDR gewesen sein;47 allerdings wurden tatsächliche Kontakte zu ihnen fortan nicht mehr in den Vereinsschriften thematisiert. Soweit Wolfgang Jorde sich erinnern konnte, gab es sie gar nicht.48 39 40 41 42 43 44 45 46 47

Häussler u. a. (2006), S. 16. Bruns u. a. (2004), S. 7 f., 38 f. Bruns u. a. (2004), S. 49; Gerst u. a. (2009); Merten/Gerst (2006). Erices (2014); Erices/Gumz (2015), S. 19 f. Mesecke (2015), S. 123. Hofmann (2001). Interview mit Wolfgang Schramm (17. Oktober 2017). AAB, Jahresbericht 1953 (1954), S. 75; vgl. auch AAB, Jahresbericht 1950 (1951), S. 36. Prozentuale Verteilung der Mitglieder auf die einzelnen Länder. In: Der Allergiker H. 2 (1959), S. 7. 48 Interview mit Wolfgang Jorde (12. April 2018).

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Etwas präsenter war die DDR bei den Diabetikern, was sicher auch mit der bereits erwähnten Sonderstellung der Krankheit dort zusammenhing. Jedoch sind die belegten Kontakte auf wenige Fälle begrenzt und betreffen hauptsächlich nicht die Patienten selbst. Die einzigen Verbindungen wurden im ersten Jahrgang der DDB-Zeitschrift Der Diabetiker erwähnt. Dort ist zu lesen, dass viele Zuschriften aus dem Osten beim Bund eingingen. Diabetiker „aus der Ostzone“ suchten Hilfe und berichteten von mangelnder Versorgung mit Insulin und Lebensmitteln. Sie bedauerten zudem, nicht als Mitglieder eintreten zu können.49 Durch die Vermittlung des DDB soll zu dieser Zeit gespendetes Insulin an Diabetiker in Ostdeutschland gegangen sein.50 Später wurde eine solche Korrespondenz nicht mehr erwähnt, zum Teil sicher auch, weil der Insulinmangel im Osten beseitigt worden war. Gleichzeitig hat man aber Diabetesärzte aus der DDR an den westdeutschen Diabetikerbund gebunden, darunter Gerhardt Katsch als Ehrenpräsident und seinen Kollegen Gerhard Mohnike (1918–1966) als Mitglied des wissenschaftlichen Beirates.51 Auch Karl Handfest korrespondierte, trotz seiner antikommunistischen Gesinnung, zwecks Zusammenstellung seiner „Diabetiker-Sozialfibel“ mit dem VEBVerlag „Volk und Gesundheit“.52 In der Hämophiliegesellschaft wurde die DDR lediglich auf einer allgemeineren Ebene thematisiert.53 Kontakte zu Hämophiliepatienten dort konnten nicht belegt werden. Insgesamt kann also festgehalten werden, dass Patientenvereine  – nicht nur für diese drei Krankheiten – ein westliches Phänomen waren, das so in der DDR nicht existierte. Wenngleich nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Schriften der Patientenvereine beispielsweise durch Vermittlung von Ärzten auch von ostdeutschen Patienten gelesen wurden, hat das kaum Spuren in den Quellen hinterlassen. Insgesamt ergibt sich sowohl für deutsch-deutsche also auch sonstige transnationale Kontakte ein deutlicher Schwerpunkt auf der ärztlichen Seite. Internationale Tagungen stellten professionell-medizinische Inhalte ins Zentrum und waren, wie die geschilderten Hämophilietagungen, gewissermaßen Ärztekongresse mit Patienten im Publikum. Gleichzeitig sollten die Möglichkeiten zum informellen Austausch unter den Anwesenden nicht unterschätzt werden, obwohl dies naturgemäß keine schriftlichen Spuren hinterlassen

49 Zuschriften aus der Ostzone. In: Der Diabetiker 1 (1951), H. 1, S. 9; Zuschriften aus der Ostzone. In: Der Diabetiker 1 (1951), H. 2, S. 18. 50 Beining, Robert: Kleiner Überblick über die soziale Lage der deutschen Diabetiker und über die Arbeit des Diabetiker-Bundes. In: Der Diabetiker 2 (1952), H. 9, S. 103 f. 51 Roth (1993), S. 37, 42. 52 LA Saarbrücken, Bestand DDB 48: Guthmann VEB Verlag Volk und Gesundheit an Karl Handfest (11. Februar 1964). 53 Gabbert, Jürgen: Prof. Waldemar Remde. In: Hämophilie-Blätter 19 (1985), H. 2, S. 14; Gruber, Herbert: Prof. Remde. In: Hämophilie-Blätter 19 (1985), H. 2, S. 15; Krankenhilfe bei Reisen in der DDR. In: Hämophilie-Blätter 8 (1974), H. 2, S. 52.

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hat.54 Sicher wurden Kontakte von Patient zu Patient dort geknüpft. Die Initiativen zum Schüler- und Studentenaustausch für Hämophile und Diabetiker zeigen, dass Patientenvereine darüber hinaus als direkte Vermittler internationaler Kontakte ihrer Mitglieder fungieren konnten. Was das Verhältnis der westdeutschen Patientenvereine zu Patienten in der DDR betrifft, deutet jedoch alles darauf hin, dass auch informelle Kontakte nur in sehr geringem Ausmaß, wenn überhaupt, vorkamen. Dass trotz des Fehlens von Patientenorganisationen in der DDR Gegenstücke ihrer typischen Aktivitätsfelder, wie Ferienlager oder kollektive Gesprächsrunden mit Ärzten, belegt werden können, zeigt gleichzeitig, dass diese an sich keine Alleinstellungsmerkmale der Patientenvereine sind. Die Verortung dieser Aufgaben im Vereinsleben muss daher als eine sozialpolitische Strategie bezeichnet werden.

54 Zur gar subversiven Funktion eines solchen Austausches „am Rande“ vgl. Söderfeldt (2014).

7. Wege und Ziele der politischen Einflussnahme durch die Patientenvereine Jede der drei Organisationen hatte den Anspruch, die Sozial- und Gesundheitspolitik zu beeinflussen. Der politische Bereich war aber unterschiedlich stark priorisiert: Der Diabetikerbund hatte recht weitgehende Ambitionen, insbesondere die soziale Lage der Betroffenen zu verändern, während der Allergikerbund sich auf vereinzelte, oft lokale und sehr handfeste Fragen konzentrierte. Die Hämophiliegesellschaft befasste sich ihrerseits vor allem mit Versorgungsproblemen. Die politische Tätigkeit der Patientenvereine soll im Folgenden vor dem Hintergrund der Einflussnahme von Selbsthilfeinitiativen auf die westdeutsche Sozialpolitik betrachtet werden. In der Forschung über dieses Themenfeld werden Patientenvereine selten spezifisch in den Blick genommen, sondern mit verschiedenen sozialen Initiativen gebündelt betrachtet. Nichtsdestotrotz sind die allgemeinen Entwicklungslinien im Bereich der Betroffenenbeteiligung und das Mitspracherecht von Selbstvertretungen im sozial- und gesundheitspolitischen Bereich bedeutsam, um die spezifische Tätigkeit der Patientenvereine kontextualisieren zu können. Hans Dietrich Engelhardt vertritt die These, dass Selbsthilfeinitiativen seit den 1980er Jahren die deutsche Sozialpolitik in Richtung Demokratisierung beeinflusst haben. Er versteht Demokratisierung in diesem Zusammenhang als ein praktisch stattfindendes oder gesetzlich verankertes Mitspracherecht von Betroffenen in sozial- und gesundheitspolitischen Gremien sowie als Verschiebung der Leitbilder in Richtung einer größeren individuellen Autonomie in den entsprechenden Politikbereichen. Den Umstand, dass die Sozialgesetzgebung ab den 1990er Jahren stärker Selbstbestimmung und Mitwirkung betonte, betrachtet Engelhardt als eine Folge der Selbsthilfebewegung.1 Inwieweit Vereine wie die DHG, der DDB und AAB zum Kurswechsel beitrugen, ist aber schwer zu belegen. Erst 20 Jahre nach dem hier im Fokus stehenden Untersuchungszeitraum wurde das Mitspracherecht der Patientenvereine gesetzlich verankert, und zwar in den Gremien des Gemeinsamen Bundesausschusses.2 Dem ging  – so Christopher Kofahl, Stefan Nickel und Alf Trojan  – ein langer Prozess der Annäherung der medizinischen Selbsthilfegruppen an die Vertreter des Gesundheitssystems voraus. Sie stellen die These auf, dass vor den 1980er Jahren die gesundheitsbezogene Selbsthilfe eine Widerstandshaltung eingenommen habe, die dann durch eine auf Zusammenarbeit ausgerichtete Verhaltensweise ersetzt worden sei. Der Begriff der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe ist allerdings zeitlich sehr weit gefasst: Die Autoren sehen die Ursprünge der Bewegung in der Revolution von 1848 und in der Arbeiterbewegung sowie in den neuen sozialen Bewegungen von 1968.3 Aus dieser 1 2 3

Hans Dietrich Engelhardt (2011), S. 206. Kofahl u. a. (2016), S. 24. Kofahl/Nickel/Trojan (2011).

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7. Wege und Ziele der politischen Einflussnahme durch die Patientenvereine

Perspektive erscheint die spätere Allianz mit staatlichen Stellen fraglos als Kurswechsel, aber die Frage bleibt offen, inwieweit die von Kofahl, Nickel und Trojan beobachteten Phasen des Widerstandes und der Annäherung für die Patientenvereine, wie die hier untersuchten, von Bedeutung waren. Eine grundsätzlich systemkritische oder oppositionelle Haltung ist bei ihnen nämlich nicht festzustellen, auch wenn sie teilweise Unmut und Unzufriedenheit in bestimmten Fragen öffentlich äußerten. Die politischen Kontakte der drei Patientenvereine waren von der lokalen bis auf die höchste Bundesebene gestreut und je nach Krankheitsbild auch sehr verschiedenartig. Gemeinsam war ihnen jedoch, dass ihre Versuche, sich politisches Gehör zu verschaffen, ausschließlich in Form von Lobbying stattfanden. Damit schließen sich die Patientenvereine in den 1960er Jahren zeittypischen Haltungen an: Die bedeutendste Vertretung behinderter Menschen zu dieser Zeit waren Elternvereine, die bewusst ihren bürgerlichen Charakter markierten, unter anderem dadurch, dass sie jede Form des Aktionismus ablehnten. Protestveranstaltungen oder Aktionen, wie diejenigen, die früher von Kriegsopferverbänden oder später von der Behindertenbewegung ausgingen, gehörten nicht zum Repertoire der Elternvereine.4 Das gilt auch für die hier untersuchten Patientenvereine, obwohl es sich bei ihnen zum überwiegenden Teil um eine Selbstvertretung handelte. Seit 1967 hatte die Bundesarbeitsgemeinschaft „Hilfe für Behinderte“, Vorgängerin der heutigen BAG Selbsthilfe, sich als Akteurin der deutschen Sozialpolitik etabliert. Gründungsmitglieder der BAG „Hilfe für Behinderte“ waren vier Elternorganisationen. Sie vertraten Eltern von contergangeschädigten, geistig behinderten, spastisch gelähmten sowie hör- und sprachgeschädigten Kindern. Obwohl die einzelnen Vereine noch klein waren, wurde die BAG schnell im politischen Leben als Interessenvertretung im Bereich der Rehabilitation anerkannt.5 Durch die Aufnahme weiterer Mitgliedsorganisationen, die andere Gruppen vertraten, im folgenden Jahrzehnt erweiterte sich das Profil der BAG. Nicht nur behinderte Kinder bzw. deren Eltern, sondern auch erwachsene Behinderte, die sich selbst vertraten, sowie chronisch Kranke wurden ab den 1970er Jahren durch die BAG repräsentiert.6 Zu dieser Zeit galt ihre Tätigkeit vor allem Fragen der Versorgung und Integration: zum Beispiel das Recht auf Schulbildung für Kinder mit Behinderungen oder der Zugang zu notwendigen medizinischen oder sonstigen Hilfen. Man wandte sich nicht nur an den Staat, sondern hatte auch das Ziel, die Wahrnehmung von Kranken und Behinderten in der Bevölkerung zu verändern.7 Die Brisanz dieses Ansatzes muss vor dem Hintergrund der deutschen Nachkriegsgesellschaft betrachtet werden. Einstellungen gegenüber Behinderten als „lebensunwertes Leben“ oder „unnütze Esser“ waren noch nach Ende des Nationalsozialismus im Bewusstsein vieler Bürger

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Stoll (2017), S. 102–118, 179–182, 303–316. Stoll (2017), S. 184–187. Danner/Nachtigäller/Renner (2009). Danner (2017).

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verankert. Daraus folgte eine starke soziale Ausgrenzung, deren Abbau zum Teil eine Errungenschaft von Betroffenenorganisationen wie der BAG war.8 Wie erwähnt war die DHG schon früh – ab 1969 – Mitglied der BAG. Der Diabetiker- und der Allergikerbund folgten später, DDB im Jahr 1974 und AAB erst 1978.9 Damit stand ihnen, was diagnoseübergreifende Anliegen betraf, eine gut entwickelte sozialpolitische Vertretung zur Verfügung. Die Interessen der jeweiligen Vereine galten aber, wie in diesem Abschnitt geschildert werden soll, meist spezifischen, die eigene Krankheit betreffenden Fragen. Für die Hämophiliegesellschaft ging es beim Wunsch, die Politik zu beeinflussen, um Versorgungsangelegenheiten. Bis 1970 waren Bluter von der Krankenversicherung ausgeschlossen und gerieten somit teilweise in finanzielle Notlagen, wenn es darum ging, für die extrem teure Substitutionstherapie aufzukommen. Die Veränderung dahingehend, dass gesetzliche Krankenkassen nicht mehr Hämophile ausschließen durften, war ein früher Erfolg der DHG.10 Der Verein befasste sich aber auch mit vielen anderen Fragen der Versorgung, wie zum Beispiel einer besser aufgebauten Rehabilitation oder der Ermöglichung von Beschulung trotz Krankheit durch Gründung eines besonderen Internats. Um sich Gehör zu verschaffen, hat die Gesellschaft informelle Kontaktnetze genutzt und immer wieder auf den folgenschweren Charakter der Krankheit hingewiesen. Man vertrat eine Gruppe schwerkranker Kinder und daneben auch Mütter, die von den Sorgen um ihre Kinder und deren Pflege oft erschöpft waren. Die psychische Belastung der Familien und der mitleiderregende Zustand der Kinder lenkten die Aufmerksamkeit der Bundesregierung auf diese Gruppe. Gelungen ist das, wie Quellen im Bundesarchiv belegen, durch eine zweistufige Vermittlung: 1970 appellierte eine Stuttgarter Psychologin an Hilda Heinemann, Gattin des Bundespräsidenten Gustav Heinemann, es müsse mehr für die an Hämophilie Erkrankten und deren Familien getan werden. Das war sicher keine zufällige Aktion: Frau Heinemann hatte durch ein starkes öffentliches Engagement in Behindertenfragen und in der Unterstützung von Müttern auf sich aufmerksam gemacht und war so eine perfekte Ansprechpartnerin für dieses Anliegen.11 In dem Schreiben schilderte die Psychologin die Notlage einer von ihr behandelten Familie mit einem an Hämophilie erkrankten Kind, fasste Angaben zu der Krankheit und der Situation der Bluter in der Bundesrepublik zusammen und wies auf die Hämophiliegesellschaft hin. Schon oft, erklärte sie, habe die DHG versucht, auf verschiedene Behörden und das Gesundheitsministerium einzuwirken, jedoch ohne Erfolg. Nun bat sie Frau Heinemann, im Gesundheitsministerium für die Interessen der Bluter zu sprechen.12

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Vgl. hierzu Poore (2009), S. 154–158, 163–169, 176–194. Vgl. Das behinderte Kind 11 (1974), H. 4, S. II; Das behinderte Kind 15 (1978), H. 3, S. 2. Vogel (2007). Sack (1974). BA Koblenz, Bestand B 122/15074: Ingrid Kache-Rost an Hilda Heinemann (20. Januar 1970).

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Fig. 7: Brief an Hilda Heinemann, aus: BA Koblenz, Bestand B 122/15074.

Der Brief lässt eine vorherige Absprache mit der DHG vermuten. Rhetorisch sehr geschickt sprach die Psychologin zuerst als engagierte Bürgerin und Therapeutin eines Kindes, bewegte sich aber von dort auf die gesellschaftliche Ebene und präsentierte den Patientenverein als Vertreter der Hilfsbedürftigen. Damit wurde Frau Heinemann für die Sache gewonnen, und durch sie erreichten die Wünsche der Hämophiliegesellschaft auch die Gesundheitsministerin.13 Nach diesem ersten Kontakt durch eine Vermittlerin eröffnete sich offensichtlich die Möglichkeit für die DHG, bei weiteren Anfragen direkt mit dem Büro Hilda Heinemanns zu kommunizieren. Das geschah nun auch mit offiziellen Anfragen vom Verein aus; noch im selben Jahr übernahm Heinemann deshalb die Schirmherrschaft des DHG-Jahreskongresses, den sie auch mit einer Spende von 1.000 DM förderte.14 Aus der Akte wird zudem ersichtlich, dass Vertreter der Hämophiliegesellschaft über die folgende Zeit oft mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Heinemanns in Kontakt waren und vereinzelt nach formlosen Anfragen direkt eine Förderung vom Gesundheitsministerium erhielten.15 Später konnte die DHG für diesen Lobbyismus auch Betroffene mobilisieren: 1972 wandten sich 26 Mütter hämophiler Kinder an 13 BA Koblenz, Bestand B 122/15074: Richter an Ingrid Kache-Rost (5. Februar 1970). 14 BA Koblenz, Bestand B 122/15074: Maximilian Maurer an Hilda Heinemann (1. September 1970), Ruth Bahn-Flessburg an Maximilian Maurer (9. September 1970) und Maximilian Maurer an Ruth Bahn-Flessburg (27. April 1971); BA Koblenz, Bestand B 122/15073: Richter an die Geschäftsführung der DHG (23. Oktober 1970). 15 BA Koblenz, Bestand B 122/15074: Ruth Bahn-Flessburg an Maximilian Maurer (6. Mai 1971), Ruth Bahn-Flessburg an Maximilian Maurer (21. Mai 1971), Ruth Bahn-Flessburg

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Hilda Heinemann mit Erzählungen über ihr „sorgenvolle[s] Leben“ und Forderungen nach einer besseren Fürsorge für die Kinder und Entlastung der Mütter. Sie fragten auch nach der Möglichkeit für Bluter, verbeamtet zu werden. Als Vertreter ihrer Interessen gaben sie die Hämophiliegesellschaft an. Mit diesem Schreiben wurde kein wirklich konkretes Ergebnis erzielt, gleichwohl weist es auf eine gut entwickelte Strategie für politische Kontakte hin: Wieder wandte man sich mit Hinweis auf eine persönliche Betroffenheit an die Bundespräsidentengattin, um so für politische Forderungen auf einer allgemeinen Ebene zu argumentieren. Die Adressatin war aufgrund ihres öffentlichen Profils, ihrer Kontakte, aber gleichzeitig unpolitischen Rolle sehr gut gewählt.

Fig. 8: Der Brief der Mütter an Hilda Heinemann, aus: BA Koblenz, Bestand B 122/15074.

Wie oft von Medizinhistorikern thematisiert, werden Krankheiten mit verschiedenen, historisch kontingenten Bedeutungen und emotionalen Qualitäten assoziiert.16 Hämophilie ist tragisch  – Allergien waren dagegen, zumindest in den ersten Jahrzehnten ihrer medizinischen „Karriere“, eine eher banale, neurotische Überempfindlichkeit.17 Obwohl es an sich gut denkbar ist, dass ein schwer asthma- oder allergiekrankes Kind auch Sympathien hervorrufen könnte, standen aufgrund dieser kulturellen Konnotation dem Allergikerbund keine wirkmächtigen Argumente zur Verfügung. Zwar kamen solche an die 26 Mütter hämophiler Kinder in der Sonderkur im Mütter-Genesungsheim 8504 Stein über Nürnberg (18. April 1972) und Vermerk (4. Mai 1971). 16 Sontag (1979) und weiterführend zu weniger berüchtigten Krankheiten Porter (1994). 17 Schadewaldt (1980), Bd. 2.

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Narrative anderswo zu dieser Zeit vor, im AAB spielte dieses Bild der Krankheit aber noch keine Rolle.18 Allergiker hatten aber andere Hebel: Ihr Leiden machte sie in bestimmten Kontexten zu einer wichtigen Verbrauchergruppe. Damit hingen auch die meisten behördlichen Kontakte des AAB zusammen. Diese waren auf der lokalen Ebene verankert, nämlich in den Kurorten. Orte wie Helgoland und Wangerooge konnten von dem Tourismus der Heufieberleidenden profitieren. So entstand eine Symbiose zwischen Patientenverein und Gemeindeverwaltung. In den Vereinsschriften wurden geeignete Kurorte empfohlen, was sicherlich eine gute Werbung war. Die Entscheidung darüber, wo die Jahresversammlung abgehalten wurde, konnte beeinflussen, wie viele Heufiebertouristen den jeweiligen Ort aufsuchten.19 Im Gegenzug erhielten Mitglieder auf den Inseln verschiedene Vergünstigungen.20 In den Jahresberichten wird deutlich, dass der Verein sich bewusst war, wie er die betreffenden Gemeinden unter Druck setzen konnte. Auf der Jahresversammlung 1951 hieß es: Wangerooge sei nach dem Zusammenbruch, da Helgoland nicht mehr zur Verfügung stand, von Herrn Prof. Dr. Karrenberg empfohlen worden. Es sei nicht zu verkennen, daß für eine große Anzahl von Heufieberkranken der Aufenthalt auf Wangerooge eine wesentliche Linderung der Beschwerden bringe und es sei dringend zu hoffen, daß sich die Verwaltung der Insel dieser Tatsache bewußt bleibe und sich die errungene Vorrangstellung gegenüber anderen Zufluchtsorten der Heufieberpatienten nicht verscherze.21

Gleichzeitig begleitete der Allergikerbund publizistisch die Wiederbesiedlung Helgolands. Schon 1953 wurde es möglich, dort in einer „Zelthotel-Stadt“ zu übernachten.22 Nachdem der Kurbetrieb wiederaufgenommen worden war, tagte der AAB ab 1957 wieder auf der Insel. Der Bürgermeister besuchte persönlich die Jahresversammlung und diskutierte ausführlich die Gestaltung des Neuaufbaus mit den Anwesenden. Es ging hier an erster Stelle um die Bepflanzung. Der Bürgermeister zeigte sich sehr offen für Anregungen: „Für jeden Hinweis seitens des Bundes sei er dankbar und er könne versichern, daß er auch weiterhin die Belange der Heufieberkranken berücksichtigen werde“,23 hieß es im Jahresbericht. In den folgenden Jahren besuchten Bürgermeister oder andere Vertreter des Kurbetriebs und der Gemeinde weiter die Jahresversammlungen und gaben somit dem Verein die Möglichkeit, direkt Wünsche und Kritik zu äußern.24 Fortlaufend und mit Erfolg bemühte sich der Verein um den Umgang mit den Helgoländer Grünflächen – sie sollten abgemäht werden, und Schafe sollten auf dem Oberland die Vegetation kurz halten. Dabei äußerte man sich mit einem nicht zu übersehenden Selbstver18 Vgl. Mitman (2008), S. 130 f. 19 AAB, Jahresbericht 1952 (1953), S. 84 f. 20 Vgl. bspw. AAB, Jahresbericht 1953 (1954), S.  81 f.; AAB, Jahresbericht 1959 (1960), S. 76. 21 AAB, Jahresbericht 1951 (1952), S. 70. 22 AAB, Jahresbericht 1953 (1954), S. 84–94. 23 AAB, Jahresbericht 1957 (1958), S. 112 ff., Zitat S. 114. 24 Vgl. bspw. AAB, Jahresbericht 1959 (1960), S.  78 f.; AAB, Jahresbericht 1961 (1962), S. 115 ff.; AAB, Jahresbericht 1963 (1964), S. 163; AAB, Jahresbericht 1968 (1969), S. 155.

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Fig. 9: Anzeige der Kurverwaltung Helgoland, aus: AAB, Jahresbericht 1956 (1957), S. 103.

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trauen als wichtige Interessengruppe, wie ein Beschluss der Mitgliederversammlung im Jahr 1968 belegt: Der Vorstand wird beauftragt, die Gemeinde Helgoland zu veranlassen, für die kommenden Jahre alle technischen Möglichkeiten und Mittel einzusetzen, um rechtzeitig und umfassend die auf der Insel vorhandenen pollentragenden Gräser und Pflanzen zu mähen oder auf sonstige Weise zu entfernen.25

Der Verein war erfolgreich: Ab dem folgenden Jahr war eine Schafsherde wieder auf der Insel zu Hause.26 Im Gegenzug hatten Berichte aus Helgoland in jedem Jahresbericht und jeder Ausgabe des Allergikers ihren Platz, selbst solche, die eigentlich nichts mit der Bedeutung der Insel für Heufieberkranke zu tun hatten, wie die Möglichkeit eines dortigen Winterurlaubs.27 Helgolands Sonderstellung blieb im gesamten Untersuchungszeitraum bestehen, obwohl die Beziehung zur „roten Insel“ in den späten 1970er Jahren weniger eng war als zuvor. 1984 erhielten Mitglieder dort aber immer noch Vergünstigungen.28 Bis einschließlich 1978 wurde jede Jahresversammlung dort abgehalten – ein Erbe des ehemaligen Heufieberbundes, über das sich die neue Generation offensichtlich etwas verwunderte.29 Bei anderen lobbyistischen Tätigkeiten hatte der Allergikerbund geringeren Erfolg. Für den geplanten Pollenwarndienst und auch überhaupt beim Bemühen, Förderung für den Allergikerbund zu erhalten, sprach der Vorsitzende Hans Schulten beim Gesundheitsministerium und Bundesumweltamt vor, aber ohne Resultat. Er zeigte sich darüber zunehmend enttäuscht: Bei meinen Bemühungen […] komme ich mir manchmal vor wie Don Quichotte. Ich halte zwar Gasthäuser nicht für Ritterburgen, aber Ämter und Ministerien kommen nach meinen Erfahrungen dem Begriff Trutzburgen sehr nahe.30

In seinen Beschwerden über das fehlende behördliche Interesse bezog er sich im Allergiker auf die verhältnismäßig geringen Summen, die beantragt wurden, und verglich sie mit den viel höheren Ausgaben für die Olympischen Spiele, die Zwangsernährung der RAF-Täter oder für ein Kölner Frauenhaus.31 Der Erfolg blieb weiterhin aus. Ein Pollenwarndienst sollte erst 1983 durch eine Initiative von ärztlicher Seite realisiert werden.32 Genauso wenig Gehör fand der AAB beim Bundesministerium des Innern bezüglich Beihilfe für Kuren.33

25 Von Kreisler: Empfang im Rathaus anläßlich der 50. Mitgliederversammlung unseres Bundes auf Helgoland. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 33 (1968), S. 33–37. 26 Wieder Schafhaltung auf Helgoland. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 34 (1969), S. 27. 27 Helgoland wirbt für die Wintersaison. In: Der Allergiker H. 13 (1964), S. 13–16. 28 Helgoland. In: Der Allergiker H. 84 (1984), S. 20 f. 29 Warum Helgoland? In: Der Allergiker H. 68 (1980), S. 4. 30 Schulten, Hans: Liebe Mitglieder! In: Der Allergiker H. 61 (1977), S. 1. 31 Vgl. Schulten, Hans: Liebe Mitglieder! In: Der Allergiker H. 61 (1977), S. 1, und Schulten, Hans: Die Bedeutung des Laienbundes in der heutigen Gesellschaft. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 55 (1975), S. 5–9. 32 Brockmann (2003), S. 41–43. 33 Beihilfen für Kuren auf Helgoland. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 34 (1969), S. 30.

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Mit der symbiotischen Beziehung zur Gemeinde und insbesondere der Tourismusbranche Helgolands tradierte der Allergikerbund noch in der Nachkriegszeit das Heufieber der „Belle Époque“.34 Den Aufenthalt auf Helgoland angenehm zu gestalten und die Eignung der Insel als Zufluchtsort herzustellen und zu bewahren, blieben mindestens bis Ende der 1960er Jahre wesentliche Anliegen des Vereins. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach seiner dortigen Gründung als kleine, exklusive Gesellschaft  – zu diesem Zeitpunkt war die Möglichkeit eines Kuraufenthaltes eine „natürliche“, ein breiteres Publikum ausschließende Hürde gewesen – hatte der Allergikerbund dieses Kernanliegen nicht aufgegeben. Allergien – und Asthma – waren aber nicht gleich geblieben. Abgase vom Straßenverkehr, Verschmutzung durch die Industrie, Schadstoffe in Gebäuden und Konsumgütern wurden mit zunehmender Häufigkeit mit diesen Erkrankungen in Verbindung gebracht.35 Gleichzeitig wuchs in Westdeutschland eine soziale Bewegung, die sich genau diesen Fragen widmete – die Umweltbewegung. Tatsächlich teilte der Allergikerbund mit der Umweltbewegung eine gemeinsame Geschichte: Im ‚Zeitalter der Nervosität‘ im späten 19. Jahrhundert wies die Lebensreformbewegung auf die gesundheitsfördernden Kräfte einer sauberen Natur hin. Daraus entstanden Forderungen nach Schutz der von der Industrialisierung noch unzerstörten Natur  – und zwar insbesondere weil diese Erhaltung gesundheitsfördernd sei. Stadtmenschen suchten in der Natur eine Auszeit vom Lärm und Schmutz der Großstadt und sammelten an Kurorten mit sauberer Luft neue Kräfte.36 Der Heufieberbund als Verein von überbeanspruchten Stadtmenschen, die Erleichterung am Meer suchten, war in seinen ersten Jahren offensichtlich eng mit der Naturheil- und Lebensreformbewegung verflochten. Die bereits oben geschilderte Anerkennung allergischer Leiden in der Schulmedizin und die daraus entstandene Allianz mit der Ärzteschaft verschob bereits ab den 1920er Jahren den Schwerpunkt des Allergikerbundes und trennte die Allergiefrage vorübergehend von der Umweltfrage. Als Relikt der früheren Zeit blieb nach dem Zweiten Weltkrieg die Verbindung zu Helgoland. In der Zwischenzeit hatte die deutsche Umweltbewegung eine eigene Entwicklung vollzogen. Im frühen 20. Jahrhundert wurden Natur- und Heimatschutz miteinander verbunden und so die Umweltbewegung mit der völkischen Bewegung eng assoziiert. Damit fanden Ideen des Naturschutzes Gehör in der Zeit des Nationalsozialismus und schlugen sich 1935 in der NS-Gesetzgebung in Form des Reichsnaturschutzgesetzes nieder. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in der frühen Bundesrepublik, bestanden wie in anderen Teilen des öffentlichen Lebens auch in der Umweltpolitik und im bürgerlichen Engagement für den Naturschutz beachtliche Kontinuitäten zur NS-Zeit. Nach wie

34 Zu der Tätigkeit amerikanischer Heufiebervereine, die im 19. Jahrhundert mit ähnlichen Strategien die Landschaft ihrer Kurorte mitgestalteten, vgl. Mitman (2008), S. 39–50. 35 Jackson (2007), S. 148–184; Mitman (2008), S. 130–166. 36 Radkau (2014), S. 24–37.

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vor wurde der Schutz der Natur in einen nationalistischen Diskurs eingeordnet und eine Einheit von „Volk“ und „Landschaft“ postuliert.37 Um 1970 trat eine Wende in der Struktur des bürgerlichen Engagements sowie in der staatlichen Umweltpolitik ein. Naturschutz – schon in der frühen Bundesrepublik durchaus ein präsentes Thema – wurde nun von staatlicher Seite in „Umweltschutz“ umbenannt. Der Begriff wurde schnell von gesellschaftskritisch ausgerichteten Gruppen aufgegriffen, und im Lauf der 1970er Jahre entstand in Westdeutschland eine Vielzahl lokaler Initiativen, die sich damit befassten. Auch wenn die Zahl der tatsächlich aktiven Mitglieder dieser Bürgerinitiativen relativ gering war, konnte die Bewegung in den 1970er Jahren ein gutes Image aufbauen und erhielt so eine breite Unterstützung in der Bevölkerung. Durch eine erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit konnte die grüne Bewegung erreichen, dass Umweltfragen in den Vordergrund der öffentlichen Debatte und Berichterstattung rückten. Von staatlicher Seite aus wurden zur gleichen Zeit viele neue gesetzliche Regelungen im Interesse des Umweltschutzes eingeführt.38 Damit wäre für den Allergikerbund eigentlich die Gelegenheit da gewesen, sich an das wachsende Interesse für Umweltpolitik anzuschließen. Lange aber standen Strukturen aus einer längst vergangenen Ära im Weg: Die gemeinsamen Wurzeln von Allergikerbund und Umweltbewegung waren nicht mehr sichtbar. Von der ursprünglichen Beziehung zur Naturheilbewegung blieb zwar die Verortung des Bundes auf Helgoland, aber genau diese Beziehung stand einer Neuorientierung im Wege. Der Inselaufenthalt hatte eine gewisse, durchaus erwünschte, Exklusivität sichergestellt, die später nicht aufgegeben wurde, obwohl man gleichzeitig über die geringe Zahl an Mitgliedern frustriert war. Viel Energie wurde aufgebracht, um die kleine Insel noch mal zum Heufieberparadies zu machen, und so blieb der Verein gewissermaßen Interessenvertretung einer Sonderkategorie der Nordseetouristen – statt der an einer Volkskrankheit Leidenden. Erst zögernd passte sich der Allergikerbund der neuen kulturellen Bedeutung von Allergien an.39 Vor der Einführung des Insulins hatte Diabetes fraglos die gleichen tragischen Assoziationen wie Hämophilie geweckt, geprägt von ausgemergelten Kindern mit einer Lebenserwartung von höchstens ein paar Jahren.40 Als der Diabetikerbund gegründet wurde, war diese Zeit aber bereits in Vergessenheit geraten. An der Krankheit haftete nun aufgrund der geforderten Selbstkontrolle und des Risikos plötzlicher Verschlechterung einerseits eine stark moralische, individualisierte Färbung, andererseits ein soziales Stigma. Das Versprechen der Medizin war ein normales Leben durch maximale Einhaltung 37 Engels (2006), S. 35–56. 38 Engels (2006), S. 275 f., 322–328; Uekötter/Egan (2014), S. 49–100. 39 Vgl. bspw. Sachsse, Horst: Umweltbedrohung wächst, Allergien im Vormarsch. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 43 (1971), S. 12–15; Sachsse, Horst: Allergien als Zivilisationsschäden entlarvt. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 42 (1971), S. 1 f.; Jorde, Wolfgang: Umwelt und Allergie. In: Der Allergiker H. 85 (1984), S. 4–6. 40 Feudtner (2015), S. 6 f.

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Fig. 10: Schon der Umschlag machte auf Umweltverschmutzung aufmerksam in Der Allergiker H. 85 (1984).

von Diät, Blutzuckermessung und Insulinspritzen – schlechte Gesundheit konnte leicht als persönliches Versagen gedeutet werden.41 Gleichzeitig begegneten Diabetiker vielerorts Diskriminierung.42 In der DDB-Zeitschrift kommen die verschiedenen Facetten der Krankheit zum Vorschein: einerseits durch umfangreiche und detaillierte Anleitungen zur Selbstkontrolle, wie Essenspläne, Rezepte, Ratschläge zur Bewegung und nicht zuletzt zur medizinischen Selbstbehandlung. Andererseits wurden im weiteren Sinne sozialpolitische Fragen ausführlich thematisiert, wie Steuervergünstigungen für Diabetiker, Ver41 Falk (2018); Feudtner (2015). 42 Vgl. Feudtner (2015), S. 185 f.; Hilferuf aus Augsburg. In: Der Diabetiker 3 (1953), H. 11, S. 167; Beining, Robert: Lehrstellenvermittlung. In: Der Diabetiker 3 (1953), H. 12, S. 183; Diabetes verhindert noch immer beruflichen Aufstieg. In: Der Diabetiker 21 (1971), H. 1, S. I f.

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sicherungsfragen, Arbeits- und Verkehrsrecht, d. h. solche Bereiche, die für die Integration der Diabetiker in die Gesellschaft relevant waren. Es wurde also einerseits der einzelne Diabetiker zur Selbstkontrolle angehalten, andererseits kam es zu Forderungen an die Gesellschaft, manchmal auch durch direkte Initiativen. Die Rolle des Diabetikerbundes vor Ort als Fürsprecher für einzelne Diabetiker bei verschiedenen Ämtern ist schon in der Fallstudie zum DDB Saarland geschildert worden; auf Bundesebene setzte sich der Verband für die kollektiven Interessen der Diabetiker ein. Durch Gerichtsprozesse und Vorsprachen bei zuständigen Ministerien konnte so in den Bereichen Steuer- und Arbeitsrecht Einfluss ausgeübt werden. Bemerkenswert ist auch das Handeln des DDB-Präsidenten Hermann Schaub, zugleich Leiter des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen, der diese Position genutzt hat, um für die Interessen der Diabetiker zu kämpfen. Als er 1960 einen bei ihm tätigen Diabetiker verbeamtete, schuf er einen Präzedenzfall. Was mit früheren Eingaben an das Bundesinnenministerium nicht hatte erreicht werden können, vermochte Schaub aufgrund seiner Stellung persönlich durchzusetzen.43 In der Übersicht der Versuche politischer Einflussnahme seitens der Patientenvereine bestätigt sich noch einmal das Bild eines fest im bürgerlichen Kontext verankerten Vereinswesens, das mit neuen, radikaler ausgerichteten politischen Bewegungen der 1960er und 1970er Jahre überhaupt nichts zu tun hat. Die Vorstellung, dass Patientenvereine als Phänomen auf „[i]m Fortgang der 68er Bewegungen“ erwachten „Unmut und Widerstand […] auch in den Bereichen der gesundheitlichen Versorgung“44 zurückgehen, ist damit nicht nur aus chronologischen Gründen, sondern auch in Anbetracht der Ausrichtung ihrer Aktivitäten zweifelhaft. Vielmehr wollten sie innerhalb bestehender politischer Strukturen Einfluss ausüben, ähnlich wie die zumindest mit der Hämophiliegesellschaft eng verwandten Vereine der Eltern behinderter Kinder. Zentral in der Einflussnahme Letzterer war, wie Jan Stoll gezeigt hat, die Einbindung medizinischer und anderer Expertise und die dadurch eröffnete Möglichkeit der Politikberatung.45 Soweit dies im Rahmen dieser Studie festgestellt werden konnte, gewannen Patientenvereine so in begrenztem Ausmaß an Einfluss. Es wäre jedoch übertrieben, zu behaupten, dass sie, wie die von Stoll untersuchte „Lebenshilfe“, bei größeren Reformen mitgewirkt hätten. Immerhin erkannten die Patientenvereine – ähnlich wie die größeren Elternverbände – die Bedeutung ‚vereinseigener‘ Experten für ein Wirken auf politischer Ebene. Von diesen engen Beziehungen zu Ärzten soll im Folgenden die Rede sein.

43 Präsident Hermann Schaub beging 60. Geburtstag. In: Der Diabetiker 10 (1960), H.  4, S. 111; Frick, R. S.: Zehn Jahre Deutscher Diabetiker-Bund e. V. In: Der Diabetiker 11 (1961), H. 1, S. 21; vgl. Roth (1993), S. 86–89. 44 Kofahl/Nickel/Trojan (2011), S. 69 f. 45 Stoll (2017), S. 179–182.

8. Arzt und Patient im Verein Jede der hier untersuchten Organisationen band auf verschiedene Weise Ärzte an sich. Beiträge von Ärzten – manchmal auch von Ärztinnen – waren zentraler Bestandteil der von ihnen herausgegebenen Publikationen. Besonders ausgeprägt war das, wie bereits erwähnt, bei den Hämophilie-Blättern. In den ersten Jahren bestand die Zeitschrift fast ausschließlich aus medizinischen Aufsätzen, meist von einem der ärztlichen Vorstandsmitglieder. Später, im Laufe der 1970er Jahre, fanden andere Arten von Beiträgen zunehmend Platz; vornehmlich Nachrichten aus dem Vereinsleben und Informationen zu sozialen Fragen. Auch in den bis 1971 erscheinenden Jahresberichten des Allergikerbundes hatten medizinische Aufsätze ihren Platz. In der Zeitschrift Der Allergiker wurden ebenfalls populärmedizinische Beiträge veröffentlicht, darüber hinaus war die medizinische Wissenschaft durch wiederkehrende Zusammenfassungen der aktuellen Forschung vertreten. Der Diabetikerbund schließlich präsentierte in jeder Ausgabe der Verbandszeitschrift nicht nur von Ärzten verfasste Aufsätze zu spezifischen Themen und die „Diabetiker-Schulung“, eine Serie mit praktischen Ratschlägen zu allen Aspekten des Lebens mit Diabetes, sondern auch über die Jahre verschiedene Varianten eines Fragekastens, in dem Ärzte Leserbriefe beantworteten. Kern der an die Mitbetroffenen zu vermittelnden Informationen war also in jeder der drei Patientenorganisationen das ärztliche Wissen. Zwar finden sich auch Beispiele von Laienwissen – in Form von Anregungen, Hinweisen und sogar Innovationen von Patienten für Patienten1 –, aber weit bedeutsamer war die Vermittlung medizinischen Wissens von Arzt zu Patient mit der Patientenorganisation als Bindeglied. Ein weiterer und formalisierterer Weg, Beziehungen zu Ärzten zu knüpfen, existierte durch deren Berufung in Vorstände und andere Gremien. Der Allergikerbund hatte hier eine lange Tradition. Anfangs spielten dort heufieberkranke Ärzte eine wichtige Rolle. Diese waren oft im Vorstand vertreten. Die Doppelrolle als Arzt und Patient zugleich hatte aber in der Nachkriegszeit deutlich an Bedeutung verloren. Im engeren Vorstand waren fortan keine Ärzte mehr vertreten, jedoch noch im Beirat. Dort sollten laut Satzung von den drei Mitgliedern „möglichst zwei Ärzte“ sein. Zu ihren Befugnissen gehörte, eine neue Abstimmung über Vorstandsbeschlüsse erzwingen zu können.2 Schon 1935 war auch eine „Wissenschaftliche Zentralstelle“ gegründet 1

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Schüttelmaschine aus Teilen der „Fischertechnik“ Konstruktions-Baukästen zur Auflösung von AHF-Konzentraten. In: Hämophilie-Blätter 9 (1975), H. 1, S. 27; Klingensteiner, A.: Querschnittslähmung infolge einer Blutung – Erfahrungsbericht eines Hämophilen. In: Hämophilie-Blätter 11 (1977), H. 1, S. 40 f.; Heine, Henry: Reise eines Hämophilen nach Australien. In: Hämophilie-Blätter 12 (1978), H.  1, S.  19–22; Raab, Ludwig: Ich spritze nun schon über 27 Jahre Insulin! In: Der Diabetiker 1 (1951), H. 1, S. 3 f.; Mitglieder berichten! In: Der Allergiker H. 80 (1981), S. 11–14; Holzknecht, Angelika: Tipps für Neurodermitiker. In: Der Allergiker H. 4 (1985), S. 28. Satzung des Deutschen Allergikerbundes e. V.: Heufieberbund. In: AAB, Jahresbericht 1960 (1961), S. 58–61.

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Fig. 11: Beschreibung einer Schüttelmaschine für Faktorenkonzentrate zum Selbstbauen, erfunden von einem Hämophiliepatienten, aus: Hämophilie-Blätter 9 (1975), H. 1, S. 27.

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worden, die bis 1976 aus einem dem Verein angehörenden Expertengremium bestand.3 Die Wissenschaftliche Zentralstelle sollte, so die Ankündigung im Jahresbericht, ein „Verbindungsglied zwischen Bund und Ärzteschaft“4 sein. Ihre Aufgaben waren darauf konzentriert, den Bedarf an Informationen über Allergien unter Ärzten zu decken. Dazu wurde um die Unterstützung der Mitglieder geworben: Insbesondere bitten wir um Einsendung aller, in Tageszeitungen erscheinender Aufsätze über allergische Krankheiten und Heufieber. Wir bitten weiterhin um Zusendung besonders wichtiger Beobachtungen, Krankengeschichten, Ergebnisse von Familienforschungen, Ergebnisse von Untersuchungen zur Frage der Pollenverteilung in einzelnen Gegenden sowie zur Frage des Blütebeginns usw. Alle diese Mitteilungen werden gesichtet, gesammelt, gegebenenfalls beantwortet und für den nächstjährigen Jahresbericht zusammengestellt.5

Durch Beteiligung der Patienten sollte das verfügbare Wissen über Allergien wissenschaftlich erfasst und neben den AAB-Mitgliedern auch der medizinischen Fachwelt zur Verfügung gestellt werden. Als neuer Leiter der Wissenschaftlichen Zentralstelle verfolgte Viktor Ruppert 1954 eine ähnliche Linie in seiner Auslegung der satzungsgemäßen Aufgaben. Ein „Laienbund“ wie der AAB brauche eine Art wissenschaftliche Kontrollinstanz, um innerhalb und außerhalb des Vereins die richtige, schulmedizinische Ausrichtung zu wahren. „Außenseitermethoden“ und sich widersprechenden Ergebnissen aus der Wissenschaft sollte so durch die Wissenschaftliche Zentralstelle mit „sachlicher Kritik“ begegnet werden. Durch ihre Mitwirkung werde sichergestellt, dass der Inhalt in den Vereinspublikationen zum Wohl der Leser konservativ ausgelegt und nur über bewährte Behandlungen berichtet werde, auch wenn das für die Patienten vorerst frustrierend sein könne. Die Aufgabe, Allergieforschung zu fördern und Ärzte über allergische Krankheiten zu informieren, bestand weiter und wurde durch Fortbildungsveranstaltungen erfüllt.6 Als Teil der Neugestaltung des Allergikerbundes 1976 ersetzte man die Wissenschaftliche Zentralstelle durch vier „beratende Ärzte“.7 Ähnlich wie der Allergikerbund unterschieden die Hämophiliegesellschaft und der Diabetikerbund zumeist zwischen Betroffenen und ärztlichen Amtsträgern und wiesen ihnen jeweils eigene Rollen zu. Die von Ärzten gegründete DHG hatte den Posten „ärztliches Vorstandsmitglied“ sowie einen „erweiterten Vorstand“, in dem auch Ärzte Mitglieder waren, während die 3 4 5 6

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Die wissenschaftliche Zentralstelle des Heufieberbundes E. V. In: AAB, Bericht 38 für das Jahr 1935 (1936), S. 111–115. Die wissenschaftliche Zentralstelle des Heufieberbundes E. V. In: AAB, Bericht 38 für das Jahr 1935 (1936), S. 112. Hervorhebung im Original. Die wissenschaftliche Zentralstelle des Heufieberbundes E. V. In: AAB, Bericht 38 für das Jahr 1935 (1936), S. 112. Hervorhebung im Original. Ruppert, Viktor: Die wissenschaftliche Zentralstelle: Überblick und Vorschau. In: AAB, Jahresbericht 1954 (1955), S. 79–82, Zitate S. 80. Vgl. auch Albus, Günter: Entwicklung und Bedeutung der ärztlich-wissenschaftlichen Zentralstelle. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 55 (1975), S. 12–14. Der Allergiker und Asthmatiker H. 57 (1976), Titelei.

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sonstigen Ämter von gewöhnlichen Mitgliedern bekleidet wurden.8 Mit einer Ausnahme – Dr. med. Oskar Vontz als Sekretär 1952 bis 1956 – berief auch der DDB Ärzte nicht in den engeren Vorstand, sondern als Beisitzer oder in den „Wissenschaftlichen Beirat“ bzw. „Senat“.9 Offenbar war es also den Patientenvereinen wichtig, nicht von Ärzten an erster Stelle vertreten zu werden, gleichzeitig aber diese doch formal an sich zu binden. In welchem Umfang das geschah, spiegelte die Größe der Organisationen wider: Beim größten Verband DDB, der es außerdem im Vergleich zu den anderen mit einem besonders gut etablierten medizinischen Fachgebiet zu tun hatte, waren in den Jahren 1952 bis 1985 insgesamt 81 Ärztinnen und Ärzte entweder in den oben genannten Gremien oder als „ständige Mitarbeiter“ im Diabetiker/Diabetes-Journal vertreten. Bei der DHG, die an einer seltenen Krankheit Leidende und ein kleines Spezialgebiet vertrat, waren von 1966 bis 1985 lediglich fünf Ärzte im Vorstand. Die Wissenschaftliche Zentralstelle des AAB schließlich hatte zwischen 1948 und 1976 21 Mitglieder. Danach zählte der Verein bis 1985 drei weitere beratende Ärzte. Die Interviews mit Wolfgang Jorde und Wolfgang Schramm, die als Ärzte im Allergikerbund bzw. in der Hämophiliegesellschaft tätig waren, belegen, dass die Rolle der mit den Patientenvereinen assoziierten Ärzte sehr unterschiedlich gestaltet sein konnte. Beide betonten, dass unter den in den schriftlichen Quellen als Amtsträger geführten Ärzten etliche „Galionsfiguren“ waren, die tatsächlich wenig am Vereinsleben teilnahmen.10 Ihre Zahl sagt also unter Umständen nicht viel darüber aus, inwieweit Ärzte Einfluss in der jeweiligen Organisation hatten. Ohne Zugang zu Quellen aus der internen Vereinsarbeit kann sowohl im Einzelfall als auch generell schlecht festgestellt werden, wie die Rollen der Ärzte dort ausgeprägt waren. Nichtsdestotrotz sagt die Tatsache, dass zahlreiche Ärzte mit den Vereinen assoziiert waren – ob eher als „Aushängeschild“ oder als aktive Mitgestalter –, etwas über die Ausrichtung der Vereine aus. Andere Betroffenenorganisationen haben nicht unbedingt immer Vertreter der Ärzteschaft in ihren Gremien. Als Beispiel können Gehörlosenvereine genannt werden. Es kam zwar vor, dass Gehörlosenlehrer, Geistliche oder andere hörende Personen mit einem beruflichen Bezug zu der Gruppe der Gehörlosen an den Verein gebunden wurden. In der Regel aber waren sie reine Betroffenenvereine.11 Die hier studierten Patientenvereine gehören deshalb deutlich zu einem anderen Vereinstypus, was Konsequenzen für die Interpretation ihrer Vertreterrolle hat. Es wurden nicht an erster Stelle Patienten als eine Akteursgruppe im Gesundheitswesen vertreten. Eine treffendere Charakterisierung wäre, dass diese Patientenvereine Krankheiten ver-

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Vgl. bspw. Hämophilie-Blätter 8 (1974), H. 1, Vorderumschlag Innenseite. Der Diabetiker 3 (1953), H. 6, Vorderumschlag Innenseite; Der Diabetiker 6 (1956), H. 1, Vorderumschlag Innenseite; Roth (1993), S. 31 f., 36 f. 10 Interview mit Wolfgang Jorde (12. April 2018); Interview mit Wolfgang Schramm (17. Oktober 2017). 11 Söderfeldt (2013), S. 160 f.

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traten. Sie sammelten rund um Diabetes, Allergie oder Hämophilie die relevanten Teilhaber: Patienten, Angehörige, Ärzte und Industrie. Die persönlichen Bekanntschaften und Netzwerke der Ärzte konnten auch für die Patientenvereine hilfreich sein. Sie sind nur selten dokumentiert, aber einige beiläufige Erwähnungen in den Quellen geben einen Hinweis darauf, welche Bedeutung sie besaßen. Für alle drei Vereine gibt es Belege, dass dort engagierte Ärzte Personen aus ihrem Bekanntenkreis als Vorstandsmitglieder einberiefen. So gelang es der Hämophiliegesellschaft 1966 und dem Allergikerbund 1978, mit den durch tatkräftige Unterstützung ärztlicher Vertreter gewonnenen neuen Vorsitzenden bzw. Geschäftsführern das Vereinsleben wieder in Gang zu bringen.12 Die Wahl Paul Schwengers zum Präsidenten des DDB 1956 soll ebenfalls durch eine Initiative des im wissenschaftlichen Beirat tätigen Karl Oberdisse zustande gekommen sein.13 Weiter soll der Internist Paul Martini (1889–1964), einer der einflussreichsten Mediziner der Zeit, nach seiner Wahl zum Ehrenpräsidenten 1961 weitere Ärzte für die Mitarbeit im Diabetikerbund gewonnen haben.14 Wenngleich also von den Vereinen Wert auf Selbständigkeit gelegt wurde, indem sie Ärzte nicht an die Spitze stellten, signalisierten die Beziehungen zu Ärzten gleichzeitig Legitimität und wurden deshalb hervorgehoben. Die Vereinszeitschriften präsentierten häufig die Namen der beratenden Ärzte auf dem Umschlag. Die Leser konnten sofort sehen, dass das Heft in ihren Händen nicht einfach ein Laienblatt war, sondern medizinische Autorität für sich in Anspruch nehmen konnte. Dieser Eindruck wurde auch dadurch gestärkt, dass unter den genannten Ärzten auffallend viele höhergestellte Positionen innehatten. Die vielen Professoren, Klinikleiter und Chefärzte deuten darauf hin, dass die Vereine daran interessiert waren, Ärzte mit einem gewissen Renommee, insbesondere solche in akademisch oder klinisch führender Stellung, an den Verein zu binden. Es überrascht deshalb nicht, dass im Vergleich zwischen Patientenverein und entsprechender Fachgesellschaft viele Überschneidungen existierten – an der Spitze eines Fachverbandes zu sein, signalisierte auch den Status als führender Experte im entsprechenden Bereich. Für jede der drei Krankheiten gab es im Untersuchungszeitraum mindestens eine ärztliche Organisation. Durch Personen, die eine doppelte Rolle als Amtsträger in der Fachgesellschaft und der Patientenorganisation hatten, bestanden zudem in jedem Fall Verflechtungen zwischen beiden Kreisen. Am engsten war aber die Verbindung zwischen Fachgesellschaft und Patientenverein  – wenig überraschend, da er als Tochterorganisation der Fachgesellschaft entstanden war  – im Fall der DHG. Bis 1983 waren Rudolf Marx, Günter Landbeck und Hans Egli

12 Schulten, Hans: Liebe Mitglieder! In: Der Allergiker H.  63 (1978), S.  1; Interview mit Wolfgang Jorde (12. April 2018); Interview mit Wolfgang Schramm (17. Oktober 2017). 13 Berger/Lilla/Petzoldt (1990), S. 11. 14 Roth (1993), S. 42.

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ärztliche Vorstandsmitglieder; alle drei waren auch Teil der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Blutgerinnungsforschung.15 Bei den beiden anderen hier untersuchten Organisationen ging die Gründung des Patientenvereins derjenigen der Fachgesellschaft voraus. Mit nur zehn Mitgliedern war das 1956 – d. h. fünf Jahre nach dem DDB – gegründete Deutsche Diabetes-Komitee (DDK) ein der Gesellschaft für Innere Medizin untergeordneter Arbeitskreis.16 Sieben der zehn DDK-Gründungsmitglieder hatten zur gleichen Zeit oder später Ämter im DDB inne.17 Aus dieser Arbeitsgruppe heraus wurde 1964 die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG) gegründet. Initiator war Karl Oberdisse, der den Vorstandsposten bereits im DDK und dann auch in der neuen Vereinigung innehatte, außerdem Beisitzer im DDB-Vorstand war.18 Von den übrigen 28 Gründungsmitgliedern der DDG waren zwölf auch im Diabetikerbund aktiv (einschließlich der schon erwähnten DDK-Mitglieder).19 Ein Vergleich der weiteren Entwicklung der Diabetes-Gesellschaft mit derjenigen des DDB zeigt, dass insgesamt fast ein Drittel der Ärzte, die im Patientenverein aktiv waren, auch zu dem einen oder anderen Zeitpunkt im Vorstand der Fachgesellschaft war.20 Wie bereits erwähnt, fungierte der AAB anfangs als eine Art Patientenverein und Fachgesellschaft zugleich. Laut der Geschichtsschreibung des Allergikerbundes soll die Deutsche Gesellschaft für Allergie- und Immunitätsforschung (DGAF) auf Anregung der Wissenschaftlichen Zentralstelle gegründet worden sein.21 Diese Angabe erscheint allerdings höchst fraglich. Zwar wurde die Gründung der DGAF vom Allergikerbund und der Wissenschaftlichen Zentralstelle freundlich begrüßt; zum ersten Vorstand der DGAF gehörte aber keiner der mit dem Allergikerbund assoziierten Ärzte – auch wenn der Leiter der Wissenschaftlichen Zentralstelle, Curt Carrié (1907–1983), bei der Gründungsversammlung 1951 immerhin anwesend war.22 Jahresberichte des Allergikerbundes aus der folgenden Zeit erwähnen, dass die Zusammenarbeit mit

15 Hämophilie-Blätter 1 (1967), H. 1, Vorderumschlag Innenseite; Hämophilie-Blätter 17 (1983), H. 1–2, Vorderumschlag Innenseite. 16 Berger/Lilla/Petzoldt (1990), S. 8–15. 17 Karl Oberdisse, Carl Hermann Mellinghoff, Platon Petrides, Hellmut Mehnert, Gerhard Mohnike, Felix Steigerwaldt, Karl Jahnke: vgl. Roth (1993), S. 32, 37; Der Diabetiker 13 (1963), H. 2, S. 76. 18 Berger/Lilla/Petzoldt (1990), S. 9, 17–20; DDB-Nachrichten. In: Der Diabetiker 12 (1962), H. 1, S. 42. 19 Erich Both, Horst Günther Krainick, Platon Petrides, Rudolf Pannhorst, Heinz-Adolf Heinsen, Karl Jahnke, Hellmut Mehnert, Carl Hermann Mellinghoff, Gerhard Mohnike, Helmut Otto, Bernd Sachsse, Volker Schliack: vgl. Berger/Lilla/Petzoldt (1990), S. 18; Der Diabetiker 12 (1962), H. 1, Vorderumschlag Innenseite; Der Diabetiker 12 (1962), H. 1, Vorderumschlag. 20 Wegen des Umfangs werden die Personen und deren Verbindungen im Appendix 1 tabellarisch zusammengestellt. 21 Albus: Entwicklung und Bedeutung der ärztlich-wissenschaftlichen Zentralstelle. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 55 (1975), S. 12–14. 22 AAB, Jahresbericht 1951 (1952), S. 73 f.; Schadewaldt (1984), S. 54 ff.

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der „sich im wesentlichen mit wissenschaftlichen Fragen“23 beschäftigenden DGAF nicht besonders lebhaft sei.24 Stattdessen veranstaltete die Wissenschaftliche Zentralstelle ab 1954 eigene, gut besuchte Fortbildungsveranstaltungen.25 Dafür erhielt man 1957 den Segen der DGAF, die fortan mit Referenten vertreten war.26 Gleichzeitig soll innerhalb der DGAF Unzufriedenheit darüber geherrscht haben, dass ärztliche Fortbildungen in der Regie eines Patientenvereins betrieben wurden.27 Abgesehen von Carrié gab es in den Organisationen mehr als zwei Jahrzehnte lang – bis 1972 – keine erkennbaren personellen Überschneidungen. In diesem und dem folgenden Jahr wurden insgesamt fünf Ärzte aus der DGAF als Mitglieder der Wissenschaftlichen Zentralstelle berufen.28 Nach dieser Annäherung wurden weitere, schon im Allergikerbund tätige Ärzte auch in verschiedenen Rollen bei der DGAF aktiv. Insgesamt war im Untersuchungszeitraum somit im Vorstand oder in sonstigen Gremien der DGAF knapp die Hälfte der mit dem Allergikerbund assoziierten Ärzte vertreten.29 Wie im Namen schon deutlich gemacht, war die DGAF eine auf die Forschung fokussierte Organisation, was dazu führte, dass praktische Ärzte 1969 eine „Ärztliche Arbeitsgemeinschaft für angewandte Allergologie“ (ÄAA) gründeten. Führende Persönlichkeit, Gründer und langjähriger Präsident war Viktor Ruppert, der bereits seit 1950 die Wissenschaftliche Zentralstelle der AAB vertrat, sie von 1954 bis 1976 leitete und noch bis 1978 beratender Arzt des Allergikerbundes war. Auch hier gab es, abgesehen von Ruppert selbst, vorerst kaum Überschneidungen. Es war wiederum die Erneuerung der Wissenschaftlichen Zentralstelle 1972/73, die weitere Repräsentanten der ÄAA in den Verein holte.30 Damit sammelte der Allergikerbund in seinem Gremium Repräsentanten zweier medizinischer Fachgesellschaften, die zu dieser Zeit sonst nicht besonders enge Beziehungen hatten.31

23 24 25 26 27 28

AAB, Jahresbericht 1953 (1954), S. 96. AAB, Jahresbericht 1957 (1958), S. 19. AAB, Jahresbericht 1953 (1954), S. 86; AAB, Jahresbericht 1955 (1956), S. 85. AAB, Jahresbericht 1957 (1958), S. 119; AAB, Jahresbericht 1959 (1960), S. 82 f. Brockmann (2003), S. 5. Max Werner, Friedrich-Ernst Schmengler, Friedrich Scheiffart, Erich Letterer und Erich Fuchs: vgl. Schadewaldt (1984), S. 56, 75, 87, 96, 104, 135, 151; Der Allergiker und Asthmatiker H. 45 (1972), Vorderumschlag; Der Allergiker und Asthmatiker H. 48 (1973), Vorderumschlag. 29 Wolfgang Jorde, Karl-Heinz Schulz, Wilfried Rüdiger, Viktor Ruppert: vgl. AAB, Jahresbericht 1950 (1951), S. 2; Der Allergiker und Asthmatiker H. 48 (1973), Vorderumschlag; Der Allergiker und Asthmatiker H. 59 (1976), Vorderumschlag; Schadewaldt (1984), S. 142 f., 145, 153 ff., 159. 30 Günther Stüttgen, Wilfried Rüdiger, Hans-Herman Schwarting, G. Ackermann, H. U. Kienow, Karl-Heinz Schulz und Max Werner. Daneben auch Erich Fuchs, der Kassenwart der DGAF war und gleichzeitig die ÄAA mitbegründete. Vgl. Der Allergiker und Asthmatiker H. 45 (1972), Vorderumschlag; Der Allergiker und Asthmatiker H. 48 (1973), Vorderumschlag; Brockmann (2003), S. 9, 66–69; Schadewaldt (1984), S. 104, 151. 31 Schadewaldt (1984), S. 140 f.

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Nicht nur war der AAB also Träger der ersten und lange einzigen organisierten Gruppe allergologisch tätiger Ärzte; mit der Wissenschaftlichen Zentralstelle hatte der Verein noch bis 1972 eine eigene ärztliche Arbeitsgemeinschaft, die offensichtlich ihre Mitglieder aus anderen Kreisen als denjenigen der beiden Fachgesellschaften rekrutierte. Das mag damit zusammenhängen, dass, im Gegensatz zu den beiden anderen Patientenvereinen, von ärztlicher Seite unterschwellig ein gewisser Unmut dem AAB gegenüber spürbar war. Schon in der älteren Geschichte der Organisation war die Beziehung zur Ärzteschaft ambivalent gewesen. Einerseits waren viele Vertreter und Mitglieder Ärzte, andererseits wurde der Bund gegründet, als Allergien noch nicht allgemein als somatische Leiden anerkannt waren. Als mehr Mediziner sich dafür zu interessieren begannen, hielt der damalige Heufieberbund lange daran fest, dass der Patient selbst seine Behandlung steuern sollte.32 Obwohl der Allergikerbund sich schon längst davon distanziert hatte, blieb sein Selbstbewusstsein verkörpert in Form der von ihm veranstalteten Ärztetagungen, der Doppelrolle der Jahresberichte als Patienten- und Ärztezeitschrift und in der Wissenschaftlichen Zentralstelle als ärztliche Unterorganisation des Patientenvereins. Die Phase der größeren Distanz zwischen Fachgesellschaften und Patientenverein in diesem Fall mag aus dem Wunsch entstanden sein, mit der ungewöhnlichen Tradition des AAB als Träger ärztlicher Unterorganisationen zu brechen. Gleichzeitig wird deutlich, dass im Selbstverständnis der Wissenschaftlichen Zentralstelle die ärztliche Kontrolle der Kommunikation im Patientenverein im Vordergrund stand. Wie oben schon geschildert, gehörte das zu den ursprünglichen Zielen der Körperschaft. Unter Rupperts Leitung verfestigte sich diese Ausrichtung. Auf der Jahresversammlung 1955 kam die Bedeutung dieser Bindung zur Aussprache. Ruppert zog zwei Mitglieder als Beispiele heran: Der eine habe sich beim Austritt darüber beschwert, dass aus den Jahresberichten nicht mehr ersichtlich sei, welche Medikamente er einnehmen solle. Offensichtlich sehnte er sich nach der Funktion der älteren Berichte als Anleitungen zur Selbstbehandlung. Dieser Wunsch wurde aber von Ruppert mit Hinweis auf ein anderes Mitglied deutlich zurückgewiesen. Dieses hatte Arzneimittel auf Anraten eines Bekannten eingenommen und musste in der Folge unter schweren Nebenwirkungen leiden. Wegen ebensolcher Fälle gäbe es die Wissenschaftliche Zentralstelle, betonte Ruppert: Einerseits ermittele man jetzt bei dem entsprechenden Hersteller, andererseits sollte die ärztliche Fortbildung in der Zukunft zu einer besseren Beratung führen.33 Auch die neugegründete Vereinszeitschrift, so hoffte Ruppert, sollte Teil dieses Projektes sein, denn durch ihr regelmäßiges Erscheinen würden die Mitglieder an die Wissenschaftliche Zentralstelle „enger als bisher geknüpft“ werden.34 Die Wissenschaftliche Zentralstelle führte per Brief manche Beratungen mit Patienten selbst durch, wies aber auch regelmäßig durch Listen im Jahres32 AAB, Jahresbericht 1948 (1949), S. 79; AAB, Jubiläums-Jahresbericht 1949 (1950), S. 200. 33 AAB, Jahresbericht 1955 (1956), S. 80 f. 34 AAB, Jahresbericht 1959 (1960), S. 82.

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bericht auf Kliniken und Ärzte hin, welche sich mit allergischen Krankheiten befassten.35 Als sich die ÄAA formierte, wurde den Mitgliedern des Allergikerbundes versprochen, dass die Angaben zu den ihr zugehörigen Ärzten noch bekanntgegeben werden sollten, „so daß sie weit gestreut in der Bundesrepublik die Möglichkeit haben, Ärzte aufzusuchen, die sich besonders mit ihren Problemen befassen“.36 Es liegt nahe, diese Listen im Lichte von Rupperts Bestrebungen zu betrachten, die Allergologie als medizinische Disziplin zu etablieren. In einem zusammen mit Carrié verfassten Kommentar zu den Ärztelisten aus dem Jahr 1953 wies er darauf hin, dass es im Ausland Fachärzte für allergische Krankheiten gäbe.37 Später wurde das Einwirken auf die Bundesärztekammer in dieser Hinsicht ein Hauptfokus der von Ruppert geführten ÄAA.38 Durch seine Tätigkeit im Allergikerbund propagierte er gegenüber Patienten gleichzeitig die Auffassung, dass Allergiker bei auf ihr Leiden spezialisierten Ärzten behandelt werden sollten, noch bevor es die Fachrichtung formal gab. Jeder der hier betrachteten Patientenvereine fungierte also gewissermaßen als Vermittler und Bindeglied zwischen Arzt und Patient. Obwohl fast ausschließlich Patienten die Spitzenposten innehatten, waren sie zu keinem Zeitpunkt in der Nachkriegszeit von der Ärzteschaft unabhängig. Das sollte aber nicht als eine Dominanz seitens der Ärzte verstanden werden, sondern vielmehr als ein Strukturelement dieses Organisationstypus: eine von den dort engagierten Patienten durchaus erwünschte Konstellation. Dass die von den Vereinen angebotene Aufklärung professionell war, sah man nicht als Ausdruck medizinischer Kolonialisierung, sondern als zentrales Vereinsziel und Werbeargument. Im Gegenzug erfüllten Patientenvereine wichtige Funktionen im Interesse der Ärzte. Sie hatten, wie bereits angesprochen, das Potential, die Patientenaufklärung zu ergänzen und zu unterstützen. Sie konnten auch zur Konsolidierung von Expertise beitragen. Insbesondere waren sie imstande, ‚boundary work‘ zu übernehmen. Indem sie, wie der Allergikerbund, bestimmte Ärzte und Kliniken empfahlen und für sich beanspruchten, im Gegensatz zu anderen Veröffentlichungen korrekte Informationen zu verbreiten, produzierten sie ein Bild von dem, was in Bezug auf die jeweilige Krankheit innerhalb der akzeptablen Wissenschaft und medizinischen Praxis lag. Um Grenzen zu ziehen, ist das aber oft nicht ausreichend, sondern die ‚boundary work‘ besteht häufig aus einer Kontrastrhetorik. Das Wissenschaftliche erhält Konturen dadurch, dass es anders ist als das Nichtwissenschaftliche.39 Dementsprechend warnte der Diabetikerbund vor Behandlern, Thesen und Methoden

35 AAB, Jahresbericht 1955 (1956), S. 85, 89–95. 36 Gründung einer Ärztlichen Arbeitsgemeinschaft für angewandte Allergologie e. V. In: Der Allergiker und Asthmatiker H. 37 (1969), S. 28. 37 AAB, Jahresbericht 1953 (1954), S. 95. 38 Brockmann (2003), S. 13, 22, 57. 39 Gieryn (1983).

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außerhalb der medizinischen Orthodoxie.40 Die Bemühungen des Allergikerbundes, Abstand von der „Selbsthilfe“ bzw. „Selbstbehandlung“ zu nehmen und „Außenseitermethoden“ zu bekämpfen, waren grenzziehende Maßnahmen, die mit dazu beitrugen, Allergiebehandlungen in der Klinik zu verorten. Auf diese Weise werden Patientenvereine zu wissenshistorisch relevanten Akteuren in der Etablierung spezialisierten Wissens.

40 Rottenhöfer, Helmuth: Zuckerkranke in Gefahr! In: Der Diabetiker 3 (1953), H. 11, S. 157– 160; Marx, Paul: Können Sie das verantworten, Herr Doktor? In: Der Diabetiker 16 (1966), H. 3, S. 109 f.

9. Begriffliche und historische Einordnung des Phänomens „Patientenorganisation“ Diese Untersuchung versteht sich als Teil eines größeren Vorhabens, die Kategorie „Patientenverein“ historisch einzuordnen, um damit der gegenwärtigen Unsicherheit im grundsätzlichen Verständnis des Phänomens zu begegnen. Es gilt hier herauszuarbeiten, was ein Patientenverein ist. Ausgehend von den präsentierten Fallbeispielen wird deutlich, dass die vorherrschende Vorstellung einer „Selbsthilfebewegung“, die einerseits Teil der in den 1960er Jahren geborenen „Alternativbewegung“ sei, andererseits die Patientenvereine miteinschließe, revidiert werden muss. Selbsthilfe wird demnach verstanden als eine grundsätzlich subversive Tätigkeit, die sich über die Jahre professionalisiert und institutionalisiert hat, dabei aber ihre „systemsprengenden Phantasien“1 zum großen Teil aufgeben musste. Es besteht kein Zweifel daran, dass eine solche Bewegung existierte, und auch nicht daran, dass ab einem gewissen Zeitpunkt diejenigen Gruppen, die eine solche Entwicklung durchmachten, kaum von dem hier studierten Organisationstypus zu unterscheiden sind. Aber die Geschichte von AAB, DHG und DDB in diese Historiographie einzuordnen, wäre irreführend. So ließen sich ihre unterschiedlich ausgeprägten, aber doch durchgehend bürokratischen Strukturen, Professionalisierungsprozesse und engen Beziehungen zu Ärzten, Behörden und Industrie als intern-demokratisches Problem kritisieren. Anhand der geschilderten Fälle ist aber kein Zeitpunkt belegt, zu dem es anders gewesen wäre – jedenfalls nicht freiwillig. Jeder der hier behandelten Vereine war von Anfang an bemüht, genau diese Form zu etablieren. Die Nähe zu Vertretern des ‚Systems‘ wird zu keinem Zeitpunkt als Problem angesehen, sondern sogar intensiv gesucht und begrüßt. Wie insbesondere an dem Beispiel Handfest klar geworden sein dürfte, besteht auch kein Widerspruch zwischen lokalen Netzwerken einerseits und Sponsoring, ärztlicher Mitarbeit und Zusammenwirken mit Behörden andererseits: Das geschah genauso auf lokaler, ehrenamtlicher Ebene wie in den professionalisierten Zentralstellen. Anders als bei den der Alternativbewegung nahestehenden Gruppen sind hier „pragmatische und der Not gehorchende […] Kompromisse zwischen den eigenen Ansprüchen und den je aktuellen Rahmenbedingungen“2 kaum zu erkennen: Vielmehr war die professionalisierte, systemnahe Ausrichtung die „ursprüngliche […] Idee[ ] und Position[ ]“, die im Untersuchungszeitraum mehr oder weniger mühsam realisiert wurde.3 Es bedarf daher einer eigenen Geschichtsschreibung dieser Gruppen, denn ihre Entwicklung und die der systemkritischen Emanzipationsbewegungen können nicht aus der gleichen Perspektive betrachtet werden. Lediglich in der Versorgungs- oder Sozialforschung ohne historiographische Ansprüche 1 2 3

„Netzwerk  – Selbsthilfe Bremen/Nordniedersachsen“ 1985, zit. n. Rohrmann (1999), S. 26. Rohrmann (1999), Zitat S. 32. Rohrmann (1999), Zitat S. 32.

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können beide Erscheinungen gemeinsam analysiert werden, weil Gruppen aus den unterschiedlichen Traditionen im Laufe der Zeit ähnliche gesellschaftliche Funktionen übernommen haben. Historisch sind sie allerdings voneinander zu trennen. Nichtsdestoweniger erscheint es als ungerecht und inkorrekt, den hier geschilderten Gruppen das Attribut „Selbsthilfeverein“ zu nehmen, da allerspätestens in den 1980er Jahren zweifellos alle sich als solche betrachteten. Besser gefragt wäre, was sie darunter verstanden – das kann zur Diskussion über den Selbsthilfebegriff beitragen. In seiner Untersuchung von parallel existierenden, mit den Patientenvereinen verwandten Organisationstypen machte Jan Stoll zuletzt darauf aufmerksam, wie schwer greifbar die Definition von Selbsthilfe ist. Es liege auf der Hand, dass sie eine solche Hilfe sei, die nicht von anderen, sondern von „mir selbst“ bzw. „uns selbst“ komme. Das wäre dann einerseits eine eher emotional ausgerichtete, gegenseitige Unterstützung zur Bewältigung der eigenen Situation, zum Beispiel durch den Austausch mit anderen Betroffenen, andererseits vom Verein selbst bereitgestellte Hilfsangebote. In der Tat verstanden aber, so Stoll, Behindertenorganisationen auch die von ihnen geführte Interessenpolitik als Selbsthilfe  – die Grenzen zwischen Selbstvertretung und -hilfe verwischen also.4 Stolls Befunde stimmen gut mit der ursprünglich auf die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Selbsthilfegruppen zurückgehenden, von Siegfried Borelli und Roland Bauerdorf 1990 wie folgt formulierten Klassifizierung der deutschen Selbsthilfe überein: – „Gesprächs- und handlungsorientierte Selbsthilfegruppen“, deren Ziel „die Bewältigung von individuellen, besonders seelischen Problemen in der Gruppe durch gegenseitige Hilfe und gegenseitige Information“ ist; – „Selbsthilfe-Projekte“, also „Zusammenschlüsse von Betroffenen, die unter Förderung von außen und unter Leitung von oft professionellen Helfern, von ehrenamtlichen oder angestellten Laienhelfern eine eigenständige Problembewältigung anstreben“ und – „Selbsthilfeorganisationen“, die „auf Länder- und Bundesebene im wesentlichen äußere Selbsthilfeziele [verfolgen], also eine Interessenvertretung der Betroffenen in Politik und Öffentlichkeit“.5 Diesem Verständnis von Selbsthilfe ist ein Spannungsfeld zwischen Individuum und Gesellschaft inhärent. Gesprächs- und handlungsorientierte Selbsthilfegruppen können sehr individualistisch und entpolitisierend als ein Prozess der Selbstoptimierung ausgelegt werden, wo es in der Verantwortung des Einzelnen liegt, persönlich erlebte Schwierigkeiten zu meistern. Selbsthilfe-Projekte können außerdem als Ersatz für sozialstaatliche Hilfen ausgenützt werden.6

4 5 6

Stoll (2017), S. 74–79, 359–361. Borelli/Bauerdorf (1990), S. 14 f. Sutter (2011).

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Fig. 12: Eine Karikatur aus Hämophilie-Blätter 19 (1985), H. 2, S. 41, greift die Thematik der Selbsthilfe als Ersatz staatlicher Angebote auf.

Einige Autoren und Autorinnen haben in den „langen“ 1970er Jahren eine Entwicklung des Selbst zu einem „beratenen Selbst“ gesehen. Ein sich durch Beratung optimierendes Selbst übernimmt so Aufgaben des Regierens, indem die eigenen Fähigkeiten und Verhaltensweisen an die von der Gesellschaft gestellten Anforderungen angepasst werden. Darüber hinaus war nach Sabine Maasen mit dem verbesserten Selbst die Hoffnung auf eine dadurch verbesserte Gesellschaft verbunden.7 Treibende Kraft hinter dieser Entwicklung war die Idee, dass Menschen, die vorher nicht für therapeutische Interventionen in Frage kamen, nun davon profitieren sollten. Im Zuge des sogenannten „Psychobooms“ brauchte es nunmehr keiner Erkrankung mehr – Beratung, Therapie oder Coaching könne jedem Menschen zum besseren, erfüllteren Leben verhelfen, sei es als Liebespartner, Berufsperson oder Familienmitglied. Laut Jens Elberfeld war den verschiedenen Strömungen, die sich mit der therapeutischen Befreiung des Subjekts befassten, „die Kritik gesellschaftlich vorherrschender Normen und sozialer Beziehungen, welche die freie Entfaltung und die individuelle Entwicklung des Subjekts einengen und behindern würden, sowie die Annahme, Psychotherapie böte diesbezüglich eine Lösung an“,8 gemeinsam. Wie Elberfeld betont, ist diese Lösung ambivalent. Einerseits konnte sie zu einer größeren Selbstbestimmung beitragen. Andererseits bedeutet sie die Übertragung einer weitgehenden Verantwortung für das eigene Wohlbefinden sowie in der Verlängerung für die gesamte Gesellschaft auf den Einzelnen. 7 8

Maasen (2011). Elberfeld (2015), S. 69.

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In Bezug auf die Patientenselbsthilfe tritt darüber hinaus eine weitere Komplexität in Erscheinung: Der Wandel des Selbst wird von Jens Elberfeld und Pascal Eitler mit einer Ausweitung therapeutischer Interventionen auf den ‚normalen‘ Menschen in Verbindung gebracht.9 Dabei ignorieren sie den Umstand, dass das Selbst beispielsweise bedingt durch Krankheit oder Behinderung bei als abweichend kategorisierten Menschen schon zuvor Gegenstand von Optimierungsbestrebungen war, in Form von sowohl Fremd- als auch Selbstführung. Damit war, genauso wie im Psychoboom der 1970er Jahre, auch ein Befreiungsversprechen verbunden: Der Kranke oder Behinderte sollte durch therapeutische Intervention befreit werden. Im Folgenden gilt es, die Tragweite der Begriffe und Kategorisierungen der bisherigen Forschung am Beispiel der untersuchten Patientenvereine zu prüfen. Die von Borelli und Bauerdorf aufgezeichneten Dimensionen von Selbsthilfe konnten auch im Rahmen dieser Arbeit belegt werden. Wenngleich die erstgenannte Form, die „gesprächs- und handlungsorientierte Selbsthilfegruppe“, eher wenig Schriftgut hinterlässt, sieht man die strukturellen Voraussetzungen dafür nach und nach in Form von Lokalgruppen und deren regelmäßigen Treffen entstehen. Vereinzelt gibt es auch Belege dafür, dass sich die Betroffenen durch diesen persönlichen Austausch gestärkt fühlten.10 Darüber hinaus kann man außerdem in diese Richtung gehende Tendenzen in den Vereinsschriften beobachten – dann oft im Sinne einer Selbstoptimierung. Diabetes ist gewissermaßen die Krankheit der Selbstführung; die meisten Inhalte der DDB-Zeitungen können auch als Teil dieses Vorhabens betrachtet werden. Ergänzt wurden die Berichte durch Porträts realer Diabetiker und Diabetikerinnen, die über ihr Leben erzählten, von der Diagnose, über das Arbeits- und Privatleben bis zur Krankheitserfahrung.11 Von anderen Betroffenen zu lesen, die den gleichen Herausforderungen ausgesetzt sind wie man selbst, konnte auf ähnliche Weise wie eine Gesprächsgruppe den Einzelnen zur Selbstreflexion und -führung anregen. In der Zeitschrift des Allergikerbundes dagegen, derjenigen Organisation, in der erst sehr spät Selbsthilfe von Angesicht zu Angesicht stattfand, fehlen solche Inhalte gänzlich, und in den Hämophilie-Blättern sind sie rar.12 Es ist bereits geschildert worden, wie die jeweiligen Organisationen, insbesondere der Diabetikerbund, Träger von „Selbsthilfe-Projekten“ waren und 9 Eitler/Elberfeld (2015), S. 21 f. 10 Vgl. die Kapitel 3 und 4. 11 Vgl. bspw. Ramb, Helmut: Ein „Ja“ zum Leben – sagt auch der jugendliche Diabetiker. In: Der Diabetiker 1 (1951), H. 7, S. 78–80; J. H. B.: Auch Zuckerkranke können 100 Jahre alt werden. In: Der Diabetiker 1 (1951), H. 2, S. 19; Schweisheimer, W.: Bange machen gilt nicht! Optimistische Auffassung der Zuckerkrankheit. In: Der Diabetiker 8 (1958), H. 8, S. 164–166. Siehe auch Bürger-Büsing, Heinz: Unser Kind hat Diabetes. In: Der Diabetiker 21 (1971), H.  2, S.  67 f.; Philips, Fay: Von einer Mutter… In: Der Diabetiker 3 (1953), H. 10, S. 144. 12 Johannes Bräuning, unser ältestes Mitglied. In: Hämophilie-Blätter 13 (1979), H. 2, S. 34– 37; Wolter, Barbara: Pascal und der Sturzhelm. In: Hämophilie-Blätter 19 (1985), H.  2, S. 21–23.

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wie sie darüber hinaus auf Mikro- und Makroebene die Interessen der Mitglieder vertraten. Insofern fallen sie und ihre Tätigkeit in jede der verschiedenen Kategorien der Selbsthilfe. Gleichzeitig haben sie, stärker ausgeprägt als alle diese Facetten, eine andere Funktion, die in bisherigen Arbeiten über die Selbsthilfebewegung nicht beleuchtet wird, nämlich die Wissensvermittlung. Das hängt mit der anfangs erwähnten Selbstzuordnung zum medizinischen Bereich eng zusammen: Natürlich ist die Medizin auch durch und durch politisch, wie bereits Rudolf Virchow Mitte des 19. Jahrhunderts erkannt hatte, und zweifellos sind Selbstführungstechnologien tief eingebettet in ihre Praxis. Die oben zitierten Selbsthilfedefinitionen und -kritiken sind aber im System der Gesellschaftspolitik gedacht, wo der relevante Gegenpart der Selbsthilfe und Selbstvertretung eben Verwaltungen und Volksvertretungen sind. Dort gefasste Entscheidungen betreffen und bestimmen zwar die Verteilung medizinischer Ressourcen; daneben ist die Medizin aber ein eigenes System aus Wissenspraktiken, und als solches stand sie den Patientenvereinen am nächsten. Wenn also soziale Bewegungen verschiedener Art als Akteure im gesellschaftspolitischen (oder wirtschaftlichen) System verstanden werden, sollten Patientenvereine am ehesten als Akteure im medizinischen Bereich gesehen werden. Das gilt zumindest für den hier untersuchten Zeitraum, auch wenn sie in anderen Zusammenhängen Aktivitäten entfalteten, beispielsweise klassische politische Interessenvertretung und soziale Projekte. Damit entsteht die Frage, ob entsprechende Unterkategorien der Selbsthilfe im medizinischen Bereich erarbeitet werden können. Die Assoziation von Selbsthilfe mit „Selbstbehandlung“ von Seiten des Allergikerbundes gibt ein erstes Stichwort dazu. Es existieren genügend Beispiele von kollektiven Laieninitiativen, die tatsächlich mit „Selbstbehandlung“ befasst waren oder sind.13 Die hier untersuchten Gruppen sollten aber nicht dazugerechnet werden, wenngleich Patienten aus allen drei Bereichen Teile ihrer medizinischen Versorgung übernahmen. Diabetiker und Hämophile betrieben (teilweise) intensive und fortgeschrittene Selbstbehandlung. Im Gegensatz zu DIY-Gynäkologinnen und Laienhomöopathen handelte es sich bei ihnen aber um die außerklinische Durchführung von ärztlich verordneten und regelmäßig betreuten Maßnahmen  – nicht in Opposition zu, sondern in Allianz mit der Mainstreammedizin. Dabei waren die Patientenvereine behilflich  – sie verbreiteten ärztlich abgesegnete Informationen, um diesen Prozess zu unterstützen, und darüber hinaus für die Behandlung nicht unbedingt notwendiges Wissen zu der jeweiligen Krankheit. Wissen steht im Zentrum von Steven Epsteins Studie der US-amerikanischen AIDS-Bewegung, die eine „sustained lay invasion of the domain of scientific fact-making“14 herbeiführte. Davon kann in Bezug auf die studierten Patientenvereine in diesem Zeitraum allerdings keine Rede sein; ein Hauptargument Epsteins ist eben auch die Neuheit dieser Betätigung Betroffener ab Mitte der 1980er Jahre, also direkt nach dem Untersuchungszeitraum dieser 13 Mahr/Prüll (2017); Walther (2017). 14 Epstein (1996), S. 330.

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9. Einordnung des Phänomens „Patientenorganisation“

Studie. Statt also wie die AIDS-Aktivisten in der Wissenserzeugung Mitspracherecht zu verlangen – in anderen Worten innermedizinisches Lobbying zu betreiben oder Patienten gegenüber Ärzten zu vertreten –, wurden AAB, DDB und DHG mit ihrer Wissensvermittlung zu einem Sprachrohr der Ärzte gegenüber den Patienten. Damit soll allerdings kein Gegensatzverhältnis vorausgesetzt werden. Wir müssen vielmehr davon ausgehen, dass in der hier untersuchten Zeit genau diese ärztliche Wissensvermittlung ausdrücklich erwünscht war. Dafür spricht natürlich der einfache Umstand, dass sie über Jahrzehnte eine zentrale Aktivität der von Patienten geführten Vereine darstellte. Auch eine Leserumfrage in Der Diabetiker bestätigt dies: Die medizinischen Inhalte waren weitaus beliebter als alle anderen. 95 Prozent der Antwortenden hielten sie für „eine wesentliche Hilfe bei der Führung des Diabetes“.15 Ein weiterer Aspekt der Selbsthilfe hängt mit dieser Wissensvermittlung zusammen. Wenn die pathophysiologischen Prozesse hinter den Krankheiten tiefgehend erklärt, Schlaglichter ihrer Geschichte präsentiert und Kurioses über sie erzählt wurde, hatte das keine direkte Funktion für die Selbstversorgung. Diese Inhalte konnten aber insofern zur Selbstkonstitution beitragen, als sie den Körper des Lesers für ihn interpretierten. Auf diese Weise und auch mit handfesteren, nicht direkt auf die Behandlung, aber doch auf die Lebensführung des Patienten bezogenen Ratschlägen befassten sich Patientenvereine mit der Gestaltung des Selbst als Diabetiker, Hämophiler oder Allergiker. Im Allergikerbund handelte es sich hierbei, vielleicht als Relikt seiner Verwandtschaft mit der Lebensreformbewegung, um allgemeine Ratschläge zum gesunden Leben, während sich die Diabetiker und – in geringerem Ausmaß – die Hämophilen mit Fragen der Familiengründung befassten.16 Zweifellos ist es von entscheidender Bedeutung, dass die hier untersuchten Gruppierungen sich rund um chronische Krankheiten formten. Zum einen ergibt sich natürlich durch die Kontinuität des Leidens zwangsläufig auch die für einen Organisationsaufbau förderliche Kontinuität seitens der Betroffenengruppe. Chronisch kranke Patienten hatten zudem in der Krankenhausmedizin, so wie sie sich im 20. Jahrhundert entwickelte, zunehmend keinen Platz mehr in der stationären Behandlung. Stattdessen fanden die Krankhei-

15 „Der Diabetiker“ und seine Leser. Eine Leserumfrage. In: Der Diabetiker 15 (1965), H. 4, S. 123–127, Zitat S. 123. 16 Vgl. bspw. DMI: Bereiten Sie sich auf den Schlaf richtig vor? In: Der Allergiker H.  11 (1963), S.  8; Venzmer, Gerhard: Hütet den Kopf! Allzu intensive Sonnenbestrahlung kann gefährlich werden! In: Der Allergiker H. 17 (1965), S. 17 f.; GPD: Nicht alle Lebensmittel gehören in den Kühlschrank. In: Der Allergiker H. 13 (1964), S. 8; Lehmann, Wolfgang: Sollen Bluter Kinder haben? In: Hämophilie-Blätter 9 (1975), H. 1, S. 17–21; pfl: Für genetische Eheberatung. In: Diabetes-Journal 21 (1971), H. 4, S. 148 f.; Paler, Lester: Diabetiker und Ehe. In: Der Diabetiker 3 (1953), H. 8, S. 113–115; Daweke, H.: Fragen der Partnerwahl und Nachkommenschaft bei Diabetikern. In: Der Diabetiker 16 (1966), H. 9, S. 307–311; Katsch, Gerhardt: Partnerwahl (Antwort auf Zuschriften aus dem Leserkreis). In: Der Diabetiker 6 (1956), H. 11, S. 224.

9. Einordnung des Phänomens „Patientenorganisation“

93

ten im Alltag des Patienten und außerhalb der Klinik statt.17 Damit musste der Patient den Hauptteil seiner Versorgung selbst übernehmen, was nicht mit der vom Allergikerbund abgelehnten „Selbstbehandlung“ verwechselt werden darf. Vielmehr soll der chronisch Kranke eine Allianz mit der Klinik eingehen, indem das medizinische Personal seine Aufgaben an ihn delegiert. Patientenvereine erscheinen hier als – wenn auch nicht notwendige, so doch sicher höchst zweckdienliche – Bindeglieder, die die Reichweite medizinischer Verordnungen und ärztlichen Wissens in die Privatsphäre des Patienten ausdehnen. Indem die Patienten selbst die Struktur aufbauen, die das ermöglicht, übernehmen sie durch Patientenvereine auf der Metaebene das, was sie in ihrer jeweils eigenen Krankheitsbewältigung individuell schon umsetzen, nämlich die Implementierung medizinischer Wissenspraxis bei sich selbst.

17 Vgl. Falk (2018), S. 38 f.

10. Bilanz und Ausblick Informationsvermittlung, Orientierungshilfe und Interessenvertretung waren für jeden der hier untersuchten Vereine zentrale Aufgaben. Die Vereinszeitschriften machten zielgerichtetes, ärztlich geprüftes und verständliches Wissen über die Krankheit zugänglich. Dort und auch durch den persönlichen Einsatz von aktiven Mitgliedern wurde zudem darüber informiert, wo und wie Behandlung, Medikamente, angepasste Produkte und Dienstleistungen und staatliche Hilfen zu erhalten waren. Weiter wurde – mehr oder weniger erfolgreich – versucht, Entscheidungsträger und Behörden im Interesse der Patientengruppe zu beeinflussen. Dazu kommt ein breites Spektrum an gemeinsamen Aktivitäten und selbstorganisierten Angeboten: Kurse, Kuren, Reisen, Ferienlager, sogar eigene Heime. Bisher ist, auch wenn spezifisch von „medizinischer Selbsthilfe“ gesprochen wurde, das Tätigkeitsfeld dieser Gruppen innerhalb der Medizin nicht berücksichtigt worden. Diese Studie lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass organisierte Patienten immer auch medizinische Akteure sind. Sie investierten ihre freiwillige Arbeit und Mitgliedsbeiträge in den Aufbau von Kommunikationskanälen, die Patienten, Ärzte, Öffentlichkeit und Entscheidungsträger miteinander verbanden. Damit förderten sie maßgeblich ein an chronische Krankheiten gekoppeltes Selbstführungsregime und gestalteten insofern die Krankheitserfahrung mit. Das war eine Dienstleistung nicht nur an Patienten, sondern darüber hinaus am medizinischen System sowie, durch die Übernahme bestimmter Versorgungsaufgaben, auch an der Gesamtgesellschaft. Für die weitere Forschung über Patientenvereine im Kontext der Medizingeschichte des 20.  Jahrhunderts ist deren strukturierende Funktion im Gesundheitswesen zu beachten. Die hier vorgelegte Untersuchung hat versucht, deutlich zu machen, wie Patientenvereine Aufgaben der sogenannten ‚boundary work‘ übernahmen – ein Aspekt, der in wissens- und professionshistorischen Arbeiten zukünftig nicht mehr unberücksichtigt bleiben sollte. Darüber hinaus erscheint es aufgrund der Integration von Medizinern in ihre Gremien als sinnvoll, Patientenvereine in die Forschung über medizinische Netzwerke künftig miteinzubeziehen. Dazu sei angemerkt, dass – obwohl solche Erkenntnisse ursprünglich nicht Ziel dieser Arbeit waren  – schon bei einem Überblick über die in den Patientenvereinen tätigen Ärzte festgestellt werden konnte, dass sich unter ihnen auch Täter oder Belastete aus der Zeit des Nationalsozialismus befanden. Studien zu Karrierekontinuitäten nationalsozialistischer Ärzte nach dem Zweiten Weltkrieg hätten also auch gute Gründe, die Patientenvereine der unmittelbaren Nachkriegszeit den Strukturen hinzuzufügen, in denen deren fortgesetztes Wirken ermöglicht wurde.1 1

Friedrich Meythaler (1898–1967) war Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des DDB. Zwischen 1941 und 1942 führte er Humanexperimente – Infizierung mit Hepatitis – an australischen Kriegsgefangenen auf Kreta durch. Vgl. Kwiet/Weisz (2017). Carl Ludwig Karrenberg (1898–1950) war SA-Arzt und bis zu seinem Tod im AAB Vorstandsarzt und Leiter der Wissenschaftlichen Zentralstelle. Vgl. Forsbach (2006), S. 363. Louis Ruyter

10. Bilanz und Ausblick

95

Angesichts der gewählten Methode stellt sich zuletzt die Frage, inwieweit die hier behandelten Organisationen repräsentativ sind. Das grundlegende Problem dabei ist, dass eine Gruppe, die bürokratischer geführt ist und durch staatliche Unterstützung und Industriesponsoring genug Mittel hat, auch mehr Dokumente hinterlässt. Das Volumen und die Ergiebigkeit der vorhandenen schriftlichen Quellen waren Auswahlkriterien für diese Studie. Daher überrascht es nicht, dass die hier analysierten frühen Beispiele genau diese Merkmale aufzeigen. Untersuchungen, die stattdessen vornehmlich mit Methoden der Oral History arbeiten, würden unter Umständen andere Ergebnisse liefern können  – von Patientengruppen, die autonomer und auf der Grundlage spontaner Solidarität tätig waren. Sollen jedoch für die hier untersuchte Periode noch Zeitzeugen herangezogen werden, entsteht mittlerweile ein erheblicher Zeitdruck. Vereinzelt konnte auch in dieser Darstellung auf Interviews mit Akteuren zurückgegriffen werden. Für den hier betrachteten Zeitraum wird deutlich, dass Selbstvertretung und Selbsthilfe, so wie sie von den Patientenvereinen erstrebt wurden, nicht allein durch Mitgliedsbeiträge ermöglicht werden konnten. Wer – wie lange der Allergikerbund  – auf diese Mittelbeschaffung angewiesen war, hatte Schwierigkeiten, die Vereinsarbeit zu finanzieren. Eine wenig aktive Vereinsarbeit wiederum ist nicht förderlich für die Mitgliederwerbung. „Finanzspritzen“ verschiedener Art, sei es in Form von direkten Spenden, wie die Finanzierung des AAB-Geschäftsführers, oder von Investitionen, wie das Verlagssponsoring beim Diabetiker, erwiesen sich anhand der gezeichneten Beispiele als zentral – nicht nur für den Erfolg, sondern auch für die fortgesetzte Existenz der Vereine. Hier gibt es aber auch eine entgegengesetzte Abhängigkeit: Ohne die „Kundschaft“ erreichen zu können, findet sich kein Sponsor. Mitgliederzahlen sind deshalb wesentlich. Wer viele Mitglieder hatte, konnte den Anreiz bieten, diesen Personenkreis finanziell zu fördern. Für die Firmen brachte das gezielte Werbung, für Mediziner vereinfachte es die Patientenaufklärung, insbesondere bei chronisch Kranken, die fortlaufend betreut werden konnten – der Begriff „Selbstkontrollgruppe“ ist hier treffend. Das wiederum, sowie die Eigeninitiativen in der Fürsorge, bedeutete die Übernahme von Aufgaben in der Versorgung und war daher sozialpolitisch wertvoll sowie aus Sicht verschiedener Behörden unterstützungswürdig. All dies macht den Eindruck, als sei im Laufe insbesondere der 1960er und 1970er Jahre eine für alle Beteiligten günstige Konstellation entstanden aus Patientenvereinen in enger Zusammenarbeit mit Ärzten, Wirtschaft und Verwaltung. Die Interessen stimmten, so schien es, miteinander überein oder konnten wenigstens zum beidseitigen Nutzen vereinbart werden. Dann kam die AIDS-Epidemie. Die Hämophiliegesellschaft war nicht erheblich anders strukturiert als die beiden anderen Vereine, wurde aber plötzlich von einem Radcliffe Grote (1886–1960), Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des DDB, war im Erbgesundheitsobergericht Sachsen an Zwangssterilisationsprozessen beteiligt. Vgl. Heidel (2008), S. 133.

96

10. Bilanz und Ausblick

Arzneimittelskandal betroffen, in dem auf einmal die Interessen gegensätzlich waren. Es entstand eine akute Situation, in der die Patientengruppe dringend eine Interessenvertretung benötigte, die eben nicht loyal gegenüber den anderen Protagonisten der Krise (Ärzte und Pharmaindustrie) war. Es entstand ein Widerspruch, denn die DHG war von Ärzten gegründet worden und konnte mit Hilfe der Industrie wachsen und sich etablieren. Ohne diese Interessen also kein wirksamer Patientenverein – aber mit ihnen begrenzte dieser Patientenverein seine Wirksamkeit. Das war beim Allergikerbund und Diabetikerbund nicht viel anders, nur erlebten sie keine Situation, in der die potentiellen Interessenskonflikte in solchem Ausmaß bemerkbar wurden. Die Belange von Patient, Arzt, Industrie und Staat sind eben nur vereinbar, solange keine Interessenskonflikte entstehen.

Danksagung Die Forschung, auf der diese Arbeit fußt, wurde vom Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung finanziert. Ich möchte mich für die Förderung herzlich bedanken und insbesondere auch für die vielen hilfreichen Hinweise und inspirierenden Gespräche mit Prof. Dr. Dr. h. c. Robert Jütte und Prof. Dr. Martin Dinges sowie mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Institutskolloquiums. Ein herzliches Dankeschön geht auch an Tabea Kreher, Matthis Krischel, Tim Ohnhäuser, Pierre Pfütsch und Enno Schwanke. Sie haben frühere Fassungen des Textes kritisch gelesen und kommentiert. Die vorliegende Studie wäre nicht zustande gekommen ohne den Ansporn und die Ermunterung, die ich von Frau Dr. Sylvelyn Hähner-Rombach erhielt. Schon bei meinem ersten Besuch am Institut für Geschichte der Medizin im Jahr 2008, als ich mich mit einiger Verunsicherung auf ein Promotionsstipendium bewarb, waren ihre aufmunternden Worte eine große Stärkung. In den folgenden Jahren, während und nach der Promotion, war sie mir eine aufrichtige und immer unterstützende Ansprechpartnerin. Ihre Integrität, die intellektuelle Großzügigkeit und ihr Humor waren inspirierend und hilfreich in vielen schweren Arbeitsphasen. Die Nachricht von ihrem Tod Anfang dieses Jahres hat mich mit tiefer Trauer erfüllt. Sie wird als Wissenschaftlerin und Kollegin ein Vorbild bleiben. Uppsala, Mai 2019

Appendix 1 Ärzte im DDB und in medizinischen Fachgesellschaften Person

Rolle DDB

– Banse, Hans-Joachim

Sekretär des Wissenschaftlichen Beirates 1952–1956 (9) (11) Mitglied im Senat 1957–1960 (12) Beisitzer im Vorstand 1961 (18) Beisitzer im Vorstand (Jugendfragen) 1962 (21) Ständiger medizinischer Berater ab 1951 (37) Beisitzer im DSW ab 1963 (41)

– Berchtold, P.

Ständiger Mitarbeiter DiabetesJournal ab 1979 (33)

– Berger, Michael

Ständiger Mitarbeiter DiabetesJournal ab 1979 (33)

– Bernhard, H.

Wiss. Beirat (38)

– Bertram, Ferdinand

Mitglied im Senat 1959–1960 (15) (16) Wiss. Beirat (38)

– Bibergeil, Horst

Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker ab 1961 (19)

– Blackert, Theodor

Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker ab 1960 (17)

– Blank, H.

Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker ab 1964 (24)

– Both, Erich

Mitglied im Senat 1958 (13) Redaktion Der Diabetiker 1952–1981 (9) (34)

– Brechmann, Hermann

Wiss. Beirat (38)

– Burger, W.

Ständiger Mitarbeiter DiabetesJournal ab 1981 (34)

– Campe, E.

Wiss. Beirat (38)

– Dehmel, Karl-Heinz

Beantwortete Fragen aus der Praxis ab 1969 (40) Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker ab 1969 (27) Chefredaktion Der Diabetiker ab 1970 (29)

Rolle in Fachgesellschaft(en)

Vorstandsmitglied DDG (7) Ausschuss Laienarbeit DDG 1980– (8)

Gründungsmitglied DDG (3)

Ärzte im DDB und in medizinischen Fachgesellschaften Person

Rolle DDB

– Diemer, K.

Redaktion Der Diabetiker ab 1966 (25) Verantwortlich für „Das diabetische Kind“ in Der Diabetiker ab 1968 (26)

– Eggstein, Manfred

Ständiger Mitarbeiter DiabetesJournal ab 1979 (33)

– Grafe, Erich

Wiss. Beirat (38) Ehrenpräsident ab 1952 (39)

– Grote, Louis Ruyter Radcliffe

Wiss. Beirat (38)

– Hagen, H.

Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker 1960 (17)

– Hasslacher, Ch.

Ständiger Mitarbeiter DiabetesJournal ab 1979 (33)

– Heinsen, Heinz-Adolf

Mitglied im Senat 1959–1963 (15) (23) Wiss. Beirat (38)

– Hering, H. W.

Wiss. Beirat (38)

– Heupke, Wilhelm

Wiss. Beirat (38)

– Hochrein, Max

Wiss. Beirat (38)

– Jahnke, Karl

Hauptschriftleitung/Redaktion Der Diabetiker 1963–1981 (22) (34)

– Jakobi, J.

Wiss. Beirat (38)

– Jung, G. F.

Redaktion Der Diabetiker Literaturberichte (22) Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker ab 1969 (27)

– Kade, H.

Wiss. Beirat (38)

– Katsch, Gerhardt

Wiss. Beirat (38) Ehrenpräsident 1952–1961 (39)

– Kerp, Lothar

Redaktion Diabetes-Journal ab 1979 (33)

– Kleinfelder, H.

Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker ab 1960 (17)

99

Rolle in Fachgesellschaft(en)

Präsident DDG 1987–1988 (5) Vorstandsmitglied DDG (7)

Gründungsmitglied DDG (3)

Schriftführer DDK (2) Gründungsmitglied DDG 1964 (3) Sekretär DDG 1964–1967 (4) (6) Präsident DDG 1970–1971 (5) Vorstandsmitglied DDG (7)

Schriftführer DDG 1976–1978 (6) Präsident DDG 1978–1979 (5) Vorstandsmitglied DDG (7)

100

Appendix 1

Person

Rolle DDB

– Kloppe, W.

Wiss. Beirat (38)

Rolle in Fachgesellschaft(en)

– Knick, Bernhard

Wiss. Beirat (38)

– Koopmann, Cl.

Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker ab 1960 (17)

– Krainick, Horst Günther

Mitglied im Senat 1957–1963 (12) (23) Wiss. Beirat (38)

– Kuntze, J.

Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker ab 1959 (14)

– Laube, Heinrich

Ständiger Mitarbeiter DiabetesJournal 1981 (34)

– Liebermeister, Hermann

Wiss. Beirat (38)

– Lübken, Wulf

Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker/ Diabetes-Journal 1960–1981 (17) (34)

– Luft, D.

Ständiger Mitarbeiter DiabetesJournal ab 1979 (33)

– Luh, K.

Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker ab 1969 (27)

– Mahrhofer

Beantwortete „Fragen aus der Praxis“ in Der Diabetiker 1968 (40)

– Martini, Paul

Wiss. Beirat (38) Ehrenpräsident 1961 (39)

Präsident der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin 1948 (44)

– Mehnert, Hellmut

Beisitzer im Vorstand ab 1966 (36) Chefredaktion Der Diabetiker/ Diabetes-Journal 1963–1981 (22) (34) Beantwortete „Fragen aus der Praxis“ in Der Diabetiker ab 1968 (40) Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker ab 1960 (17)

Präsident DDG 1964–1967 (5) Präsident der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin 1980–1981 (43) Mitglied DDK (2) Gründungsmitglied DDG (3) Vorstandsmitglied DDG (7)

– Meier, Wilhelm

1. Vorsitzender DSW ab 1963 (41)

– Mellinghoff, Carl Hermann

Wiss. Beirat (38)

– Melzer, Heinz

Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker ab 1959 (14)

– Meythaler, Friedrich

Wiss. Beirat (38)

– Mirus, Georg

Wiss. Beirat (38)

– Mohnike, Gerhard

Wiss. Beirat (38)

Gründungsmitglied DDG (3)

Stellvertretender Vorsitzender DDK (2) Gründungsmitglied DDG (3)

Mitglied DDK (2) Gründungsmitglied DDG (3)

Ärzte im DDB und in medizinischen Fachgesellschaften

101

Person

Rolle DDB

– Müller-Plettenberg, Dieter

Redaktion „Rund um die Medizin“ in Der Diabetiker (22)

Rolle in Fachgesellschaft(en)

– Nikolowski, Wolfgang

Wiss. Beirat (38)

– Oberdisse, Karl

Beisitzer im Vorstand 1960 (18) Wiss. Beirat (38)

Mitbegründer des DDK 1956, 1. Vorsitzender bis 1965 (2) Gründungsmitglied DDG 1964 (3) Präsident DDG 1964–1967 (5) Vorstandsmitglied DDG (7)

– Otto, Helmut

Redaktion Diabetes-Journal 1981 (34) Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker ab 1959 (14)

Gründungsmitglied DDG (3) Präsident DDG 1980–1981 (5) Vorstandsmitglied DDG (7)

– Otto-Bendfeldt, Elinor

Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker ab 1959 (14)

– Pannhorst, Rudolf

Mitglied im Senat 1957–1963 (12) (23) Wiss. Beirat (38)

Gründungsmitglied DDG (3)

– Petrides, Platon

Mitglied im Senat 1957–1963 (12) (23) Wiss. Beirat (38)

Mitarbeiter Allergie und Asthma (1) Vortragender auf der wissenschaftlichen Tagung des AAB 1954 (39) Anwesend 1. Mitgliederversammlung DGAF 1951 (42) Stellvertretender Vorsitzender DDK (2) Gründungsmitglied DDG 1964 (3) Vorstand DDG 1964 (4) Vorstandsmitglied DDG (7)

– Petzel, G.

Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker ab 1962 (20)

– Petzoldt, Rüdiger

Redaktion Diabetes-Journal 1981 (34) Ständiger Mitarbeiter DiabetesJournal ab 1974 (31)

– Pfeiffer, Werner

Chefredaktion Diabetes-Journal ab 1975 (32)

– Rickmann, L.

Wiss. Beirat (38)

– Rottenhöfer, Helmuth

Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker ab 1969 (27)

– Sachsse, Bernd

Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker/ Diabetes-Journal 1959–1981 (14) (34)

Schriftführer DDG 1989– (6) Ausschuss Laienarbeit DDG 1980– (8)

Gründungsmitglied DDG (3)

102

Appendix 1

Person

Rolle DDB

– Sachsse, Ruth

Wiss. Beirat (38) Redaktion Der Diabetiker/DiabetesJournal 1969–1981 (28) (34) Ständige Mitarbeiterin DiabetesJournal 1981 (34)

Rolle in Fachgesellschaft(en)

– Schaefer, H. F.

Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker/ Diabetes-Journal 1960–1981 (17) (34)

– Scheffler, H.

Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker ab 1959 (14)

– Schliack, Volker

Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker ab 1960 (17)

Gründungsmitglied DDG (3)

– Schöffling, Karl

Beisitzer im Vorstand ab 1966 (38) Redaktion Der Diabetiker 1968–1981 (26) (34) Verantwortlich für „Sozialmedizin“ in Der Diabetiker ab 1968 (26)

Präsident DDG 1971–1972 (5) Vorstandsmitglied DDG (7)

– Schuler, Bruno

Wiss. Beirat (38)

– Schweisheimer, Waldemar

Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker ab 1959 (14)

– Specht, K. G.

Wiss. Beirat (38)

– Standl, Eberhard

Chefredaktion/Redaktion DiabetesJournal 1971–1981 (30) (34)

Präsident DDG 1988–1989 (5) Vorstandsmitglied DDG (7) Ausschuss Laienarbeit DDG ab 1978 (8)

– Steigerwaldt, Felix

Wiss. Beirat (38)

Gründungsmitglied DDG (3) Mitglied DDK (2)

– Steudel, Johannes

Wiss. Beirat (38)

– Struwe, Friedrich Ernst

Ständiger Mitarbeiter Der Diabetiker ab 1960 (17)

– Vogelberg, K. H.

Ständiger Mitarbeiter DiabetesJournal 1981 (34)

– Vontz, Oskar

Sekretär des DDB 1952 (9) Mitglied im Senat 1957–1963 (12) (23) Wiss. Beirat (38) Redaktion Der Diabetiker 1956–1968 (10) (26)

– Wahl, P.

Ständiger Mitarbeiter DiabetesJournal ab 1979 (33)

– Weber, B.

Ständiger Mitarbeiter DiabetesJournal 1979–1981 (33) (34)

Vorstandsmitglied DDG (7)

– Willms, B.

Ständiger Mitarbeiter DiabetesJournal 1979- (33)

Vorstandsmitglied DDG (7)

Ärzte im DDB und in medizinischen Fachgesellschaften 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44.

103

Allergie und Asthma 1 (1955), Titelblatt. Berger/Lilla/Petzoldt (1990), S. 9. Berger/Lilla/Petzoldt (1990), S. 18. Berger/Lilla/Petzoldt (1990), S. 19. Berger/Lilla/Petzoldt (1990), S. 20. Berger/Lilla/Petzoldt (1990), S. 21. Berger/Lilla/Petzoldt (1990), S. 22. Berger/Lilla/Petzoldt (1990), S. 81. Der Diabetiker 3 (1953), H. 6, Vorderumschlag Innenseite. Der Diabetiker 6 (1956), H. 1, Vorderumschlag. Der Diabetiker 6 (1956), H. 1, Vorderumschlag Innenseite. Der Diabetiker 7 (1957), H. 2, Vorderumschlag Innenseite. Der Diabetiker 8 (1958), H. 1, Titelei. Der Diabetiker 9 (1959), H. 1, Vorderumschlag. Der Diabetiker 9 (1959), H. 2, Titelei. Der Diabetiker 10 (1960), H. 1, Vorderumschlag. Der Diabetiker 10 (1960), H. 4, Vorderumschlag. Der Diabetiker 11 (1961), H. 11, Vorderumschlag. Der Diabetiker 11 (1961), H. 6, Vorderumschlag. Der Diabetiker 12 (1962), H. 1, Vorderumschlag. Der Diabetiker 12 (1962), H. 7, S. 223. Der Diabetiker 13 (1963), H. 2, S. 76. Der Diabetiker 13 (1963), H. 9, S. 310. Der Diabetiker 14 (1964), H. 1, Vorderumschlag. Der Diabetiker 16 (1966), H. 1, S. 2. Der Diabetiker 18 (1968), H. 2, S. 76. Der Diabetiker 19 (1969), H. 1, S. 3. Der Diabetiker 19 (1969), H. 2, Vorderumschlag. Der Diabetiker 20 (1970), H. 1, S. 3. Diabetes-Journal 21 (1971), H. 1, S. 3. Diabetes-Journal 24 (1974), H. 1, S. 3. Diabetes-Journal 25 (1975), H. 1, S. 3. Diabetes-Journal 29 (1979), H. 1, S. 3. Diabetes-Journal 31 (1981), H. 1, S. 3. Petrides, Platon: Die Bedeutung der Allergie im Rahmen der Blutkrankheiten. In: AAB, Jahresbericht 1954 (1955), S. 51–58. Roth (1993), S. 32. Roth (1993), S. 36. Roth (1993), S. 37. Roth (1993), S. 42. Roth (1993), S. 51. Roth (1993), S. 61. Schadewaldt (1984). Standl (2003). Shelley/Baur (1999).

Abbildungsnachweis Fig. 1:

An Ärzte und Patienten gerichtete Anzeigen in AAB, Jahresbericht 1959 (1960), S. 8 f. .................................................... Fig. 2: „In der Gemeinschaft ist das Spritzen fast ein Spaß“. Aufnahme vom Ferienlager für diabetische Kinder und Jugendliche in Nettelstedt 1983, aus: Diabetes-Journal 33 (1983), H. 10, S. 446. ....................................................................... Fig. 3: Scherzzeichnung aus Der Diabetiker 3 (1953), H. 3, S. 43 ............ Fig. 4: Anzeigenseite mit Werbung für Nahrungsergänzungsmittel, medizintechnische Produkte, Literatur und Lebensmittel sowie Kontakt- und sonstige Gesuche von privat, aus: Diabetes-Journal 21 (1971), H. 10, S. 392 ........................................ Fig. 5: Briefkarten von saarländischen Diabetikern im Nachlass Karl Handfests, aus: LA Saarbrücken, Bestand DDB 9 .............. Fig. 6: Fort Christoph, aus: Hämophilie-Blätter 10 (1976), H. 2, S. 25 ..... Fig. 7: Brief an Hilda Heinemann, aus: BA Koblenz, Bestand B 122/15074 ..................................................................................... Fig. 8: Der Brief der Mütter an Hilda Heinemann, aus: BA Koblenz, Bestand B 122/15074 ....................................................................... Fig. 9: Anzeige der Kurverwaltung Helgoland, aus: AAB, Jahresbericht 1956 (1957), S. 103 ................................................... Fig. 10: Schon der Umschlag machte auf Umweltverschmutzung aufmerksam in Der Allergiker H. 85 (1984) .................................... Fig. 11: Beschreibung einer Schüttelmaschine für Faktorenkonzentrate zum Selbstbauen, erfunden von einem Hämophiliepatienten, aus: Hämophilie-Blätter 9 (1975), H. 1, S. 27 .................................. Fig. 12: Eine Karikatur aus Hämophilie-Blätter 19 (1985), H. 2, S. 41, greift die Thematik der Selbsthilfe als Ersatz staatlicher Angebote auf ....................................................................................

25

33 34

35 39 49 68 69 71 75 78 89

Abkürzungen ÄAA AAB

Ärztliche Arbeitsgemeinschaft für angewandte Allergologie Allergiker- und Asthmatikerbund (1967–1992), auch: Heufieberbund von Helgoland (1897–1914), Heufieberbund (1915– 1954), Deutscher Allergikerbund: Heufieberbund (1955– 1966), Deutscher Allergie- und Asthmabund (1993-heute). AIDS Acquired Immune Deficiency Syndrome BA Bundesarchiv BAG Bundesarbeitsgemeinschaft BRD Bundesrepublik Deutschland DAB Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Blutgerinnungsforschung DDB Deutscher Diabetiker Bund DDG Deutsche Diabetes-Gesellschaft DDK Deutsches Diabetes-Komitee DDR Deutsche Demokratische Republik DGAF Deutsche Gesellschaft für Allergie- und Immunitätsforschung DGE Deutsche Gesellschaft für Ernährung DHG Deutsche Hämophiliegesellschaft DIY Do It Yourself DM Deutsche Mark DMSG Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft DSW Diabetiker-Sozialwerk HIV Human Immunodeficiency Virus IDF International Diabetes Federation LA Landesarchiv LAV/HTLV-III Lymphadenopathy Associated Virus/Human T-Lymphotropic Virus-3; frühere Bezeichnungen für HIV RAF Rote Armee Fraktion SA Sturmabteilung SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands US United States VEB Volkseigener Betrieb ZEFYS Zeitungsinformationssystem der Staatsbibliothek zu Berlin

Bibliographie Archivalien Institut für Zeitgeschichte München – Berlin Findbuch zum Bestand ED 415 Handfest, Karl Bundesarchiv Koblenz (BA Koblenz) Bestand B 122 Bundespräsidialamt: B 122/15073 B 122/15074 B 122/29663

Landesarchiv Saarbrücken (LA Saarbrücken) Bestand Deutscher Diabetikerbund (DDB), Landesverband Saar: DDB 8 DDB 9 DDB 15 DDB 16 DDB 18 DDB 22 DDB 27 DDB 39 DDB 45 DDB 48 DDB 54 DDB 56 DDB 57 DDB 100 Bestand Staatskanzlei (StK) 10 Ministerpräsident Dr. Röder: StK 568

Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart (IGM) Matron, Kristina: Geschichte der Selbsthilfegruppen im Gesundheitsbereich in der Bundesrepublik Deutschland – Eine Quellenrecherche [unveröffentlichtes Manuskript, o. J.]

Persönliche Mitteilungen Interview mit Wolfgang Jorde (12. April 2018) Interview mit Wolfgang Schramm (17. Oktober 2017) Stefan und Michael Handfest, E-Mail an Ylva Söderfeldt betr. „Karl Handfest“ (10. September 2018)

Veröffentlichungen des AAB (unter verschiedenen Verbandsnamen)

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Veröffentlichungen des AAB (unter verschiedenen Verbandsnamen) Mohr, Richard; Baerwald, Richard: Das Heufieber, seine Linderung und seine Behandlung. Bericht III auf Grund der vom Heufieberbund von Helgoland bei Heukranken und Ärzten veranstalteten Umfragen (1901) Mohr, Richard: Das Heufieber, sein Wesen und seine Behandlung. Bericht IV auf Grund der vom Heufieberbund von Helgoland (eingetragener Verein) bei Heukranken und Ärzten veranstalteten Umfragen sowie auch der neueren wissenschaftlichen Veröffentlichungen (1904) Bericht VIII des Heufieberbundes von Helgoland nach den Mitteilungen von Heufieberkranken und nach wissenschaftlichen Schriften (1906) Bericht X des Heufieberbundes von Helgoland nach den Mitteilungen von Heufieberkranken und nach wissenschaftlichen Schriften (1908) Bericht XIII nach den Mitteilungen von Heufieberkranken und nach wissenschaftlichen Schriften (1911) Verzeichnis der ordentlichen Mitglieder (1912) Bericht XVI (1914) Bericht XVII (1915) Bericht XXI (1919) Geschäftsbericht für das Jahr 1919 (1920) Jahresbericht (1922) 2. Jahres-Bericht für das Jahr 1921 (1922) Bericht 25 (1923) Bericht 31 für das Jahr 1928 (1929) Bericht 35 für das Jahr 1932 (1933) Bericht 36 für das Jahr 1933 (1934) Bericht 37 für das Jahr 1934: Ärzte-Kongress Wege zur Heilung (1935) Bericht 38 für das Jahr 1935 (1936) Bericht 39 für das Jahr 1936 (1937) Bericht 40 über das Jahr 1937 (1938) Bericht 41 über das Jahr 1938 (1939) Jahresbericht 1948 (1949) Jubiläums-Jahresbericht 1949 (1950) Jahresbericht 1950 (1951) Jahresbericht 1951 (1952) Jahresbericht 1952 (1953) Jahresbericht 1953 (1954) Jahresbericht 1954 (1955) Jahresbericht 1955 (1956) Jahresbericht 1956 (1957) Jahresbericht 1957 (1958) Jahresbericht 1959 (1960) Jahresbericht 1960 (1961) Jahresbericht 1961 (1962) Jahresbericht 1963 (1964) Jahresbericht 1964 (1965) Jahresbericht 1965 (1966) Jahresbericht 1966 (1967) Jahresbericht 1968 (1969) Jahresbericht 1969 (1970)

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Bibliographie

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J Jahnke, Karl 99 Jakobi, J. 99 Jorde, Wolfgang 27–28, 62, 80 Jung,G. F. 99 K Kade, H. 99 Kambrück, Harald 27–28 Karrenberg, Carl-Ludwig 21, 70, 94 Katsch, Gerhardt 31–32, 61, 63, 99 Kerp, Lothar 99 Kleinfelder, H. 99 Kloppe, W. 100 Knick, Bernhard 100 Koopmann, Cl. 100 Krainick, Horst Günther 100 Kuntze, J. 100 L Landbeck, Günter 46, 52, 81–82 Laube, Heinrich 100 Liebermeister, Hermann 100 Lindgens, Werner 21 Luft, D. 100 Luh, K. 100 Lübken, Wulf 100 M Mahrhofer 100 Mann, Thomas 7 Martini, Paul 81, 100 Marx, Karl 31, 42 Marx, Rudolf 45–47, 57, 81–82 Maurer, Maximilian 46–52 Mauz, Ingeborg 25 Mehnert, Hellmut 100 Meier, Wilhelm 100 Mellinghoff, Carl Hermann 100 Melzer, Heinz 100 Meythaler, Friedrich 100 Miesbach, Hermann 46 Mirus, Georg 100 Mohnike, Gerhard 63, 100 Mohr, Richard 17, 24 Müller-Plettenberg, Dieter 101 N Nikolowski, Wolfgang 101

Register O Oberdisse, Karl 59, 81–82, 101 Orzechowski, Gerhard 21–22 Otto-Bendfeldt, Elinor 101 Otto, Helmut 101 P Pannhorst, Rudolf 101 Petrides, Platon 101 Petzel, G. 101 Petzoldt, Rüdiger 101 Pfeiffer, Werner 101 Picard, Walter 58 Ploenes, Hans 21–22 Pröpper, Willi 41 R Richet, Charles 16 Rickmann, L. 101 Ristein, Eberhard 21 Rottenhöfer, Helmuth 101 Rudolph, Joseph 16 Ruppert, Viktor 23, 27, 79, 83–85 S Sachsse, Bernd 101 Sachsse, Ruth 102 Schaefer, H. F. 102 Schaub, Hermann 76

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Scheffler, H. 102 Schliack, Volker 102 Schnabel, Frank 57 Schneider, Heinrich 19 Schramm, Wolfgang 46–47, 53, 80 Schuler, Bruno 102 Schulten, Hans 26–28, 72 Schultz, Otto 15 Schweisheimer, Waldemar 102 Schwenger, Paul 81 Schöffling, Karl 102 Specht, K. G. 102 Standl, Eberhard 102 Steigerwaldt, Felix 32–33, 102 Steudel, Johannes 102 Struwe, Friedrich Ernst 102 V Victoria Eugenia, Königin von Spanien 57 Virchow, Rudolf 91 Vogelberg, K. H. 102 Von Pirquet, Clemens 16 Vontz, Oskar 80, 102 W Wahl, P. 102 Weber, B. 102 Willms, B. 102 Wollmeringer, Heinz 46

medizin, gesellschaft und geschichte



beihefte

Herausgegeben von Robert Jütte.

Franz Steiner Verlag

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ISSN 0941–5033

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ISBN 978-3-515-12654-0

9 783515 126540