Table of contents : Frontmatter Inhaltsverzeichnis Einleitung Die Schreibung nicht-nativer Einheiten in einer Schriftsystemtheorie mit einem mehrschichtigen Wortschatzmodell o.k. [o'ke:] und k.o. [ka'o:] Zur lautlichen und graphischen Integration von Anglizismen im Deutschen Predicting Adaptation Patterns: Multiple Sources of Hebrew Vowels in English Loanwords Genusschwankung bei der Integration von englischen Lehnwörtern im Deutschen und Polnischen Fremde Wörter – fremde Strukturen Durch Fremdwörter bedingte strukturelle Veränderungen im Deutschen Integration und Isolation von suffixverdächtigen Fremdwörtern – das Deutsche in typologischer Perspektive Warum die Unterscheidung fremd–nativ in der deutschen Wortbildung nicht obsolet ist Kontaktbedingte Veränderung der Hilfsverbselektion im Cimbro Ergebnisse einer Pilotstudie Von Bush administration zu Kohl-Regierung: Englische Einflüsse auf deutsche Nominalkonstruktionen? Zur Argumentstruktur entlehnter Verben Loan Words Get-by with A Little Help from Do Zum Erkennen von Anglizismen im Deutschen: der Vergleich einer automatisierten und einer manuellen Erhebung
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Linguistische Arbeiten
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Herausgegeben von Klaus von Heusinger, Gereon Mller, Ingo Plag, Beatrice Primus, Elisabeth Stark und Richard Wiese
Strategien der Integration und Isolation nicht-nativer Einheiten und Strukturen Herausgegeben von Carmen Scherer und Anke Holler
De Gruyter
ISBN 978-3-11-023431-2 e-ISBN 978-3-11-023432-9 ISSN 0344-6727 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.d-nb.de abrufbar. 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Druck: Hubert & Co, GmbH & Co. KG, Gçttingen
¥ Gedruckt auf surefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
VI Anke Holler und Carmen Scherer Zur Argumentstruktur entlehnter Verben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Takashi Nakajima Loan Words Get-by with A Little Help from Do . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Beatrice Alex und Alexander Onysko Zum Erkennen von Anglizismen im Deutschen: der Vergleich einer automatisierten und einer manuellen Erhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
Anke Holler und Carmen Scherer
Einleitung
Entlehnungen sind eines der linguistischen Themen, die nicht nur in der wissenschaftlichen Forschung, sondern auch in der interessierten Öffentlichkeit sowie in Verlagswesen und Lexikographie auf große Resonanz stoßen. Hinsichtlich des Umgangs mit Entlehnungen lassen sich dabei zwei grundlegende Tendenzen erkennen: Einerseits lässt sich eine Fokussierung auf lexikalische Entlehnungen beobachten, andererseits erfahren die entlehnten Wörter sowohl in der Lexikographie (“Fremdwörterbücher”) als auch in der Sprachtheorie oft eine Sonderbehandlung. Im ersten Fall wird übersehen, dass es neben lexikalischen Entlehnungen auch Entlehnungen unterhalb und oberhalb der Wortebene gibt. Zu nennen sind hier insbesondere die Entlehnung von Phonen oder Phonemen (z.B. [ʒ] in Genie), von Graphen oder Graphemen (z.B. in Philosophie) sowie die Übernahme von gebundenen Morphemen wie /ier/ in buchstabieren oder /thek/ in Mediathek. Daneben finden sich aber genauso Entlehnungen größerer Einheiten wie syntaktischer Strukturmuster (z.B. in 2009 oder Air Berlin fliegen) oder komplexer semantischer Einheiten (eine CD brennen). Im Falle der Sonderbehandlung von Entlehnungen wird hingegen die Tatsache ausgeblendet, dass zwischen nativen und nicht-nativen Einheiten und Strukturen systematische Beziehungen bestehen, die es sowohl sprachtheoretisch als auch lexikographisch aufzudecken gilt. Es ist ein maßgebliches Ziel des vorliegenden Sammelbandes, genau diese Zusammenhänge herauszuarbeiten. Die Literatur im Bereich der Entlehnungsforschung ist breit gefächert und äußerst umfangreich. Selbst für eine Einzelsprache, wie z.B. das Deutsche, ist sie kaum vollständig zu überblicken. Dennoch liegen nur wenige systematischtheoretische Beschreibungen nicht-nativer Einheiten vor, die zugleich mehrere sprachliche Ebenen berücksichtigen. Nennenswerte Ausnahmen sind die Arbeiten von Munske (1988) und Eisenberg (2001). Die Mehrzahl der Veröffentlichungen befasst sich eher mit einzelnen Aspekten nicht-nativer Einheiten, etwa mit den Motiven, den Konsequenzen und der Akzeptanz von Fremdwörtern (Zabel (Hg.) 2001, Gardt/Hüppauf (Hgg.) 2004) oder mit Entlehnungen aus bestimmten Sprachen wie dem Französischen (Volland 1986, O’Halloran 2002, Eroms 2006), dem Lateinischen und Griechischen (Munske/Kirkness (Hgg.) 1996, Kirkness 2001), dem Arabischen (Tazi 1998) oder Chinesischen (Sons 1998, Best 2008). Besonders intensiv erforscht ist der Bereich der Anglizismen (Zürn 2001, Glahn 2002, Muhr/Kettemann (Hgg.) 2002, BéchetTsarnos 2005, Onysko 2007). Im Bereich der Grammatik finden sich vor allem Forschungsarbeiten, die sich auf einzelne grammatische Teilbereiche beziehen:
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Anke Holler und Carmen Scherer
Die Arbeiten von Alber (1998), Gaeta (1998), Scholz (2004) und Laeufer (2010) sind in der Phonetik und Phonologie angesiedelt. Im Bereich der Graphie und Graphematik sind die Arbeiten von Zabel ((Hg.) 1987, 1997), Eisenberg (2002) und Neef (2003) erwähnenswert. Zur Flexion haben Gaeta (1995), Scherer (2000), Harnisch (2002) und Wegener (1999, 2003, 2004) wichtige Einzelarbeiten vorgelegt und für die Fremdwortbildung sind die Bände von Eins (2008), Seiffert (2008) und Müller ((Hg.) 2005, (Hg.) 2009) einschlägig. Primär mit dem entlehnten Wortschatz befasst sind beispielsweise die Darstellungen von Stickel (Hg.) (2001) und Zifonun (2002). Recht wenig erforscht ist bislang die Semantik von Entlehnungen (Carstensen 1964, 1980, Kuhn 1971); die Pragmatik blieb in der Entlehnungsforschung bisher nahezu unbeachtet. Angesichts dieser Situation verwundert es nicht, dass eine vollständige systematische Grammatik nicht-nativer Einheiten und Strukturen, die alle grammatischen Ebenen erfasst, bislang noch aussteht. Ein grundlegendes Problem bei der Erforschung von Entlehnungen ist die Abgrenzung nativer versus nicht-nativer Einheiten und Strukturen. Diese Abgrenzung wird zudem erschwert durch die Vermischung synchroner und diachroner Fremdheitsaspekte, die im Bereich der Entlehnungen geradezu symptomatisch ist. Beispielsweise werden aus synchroner Perspektive Wörter häufig nur dann als fremd wahrgenommen, wenn kanonische Graphem-PhonemKorrespondenzregeln bzw. Phonem-Graphem-Korrespondenzregeln durchbrochen werden. Dies ist etwa der Fall, wenn die Graphemfolgen und in Team und Meeting als [i:] realisiert werden. Auch kontextabhängige Beschränkungen können aufgehoben sein: so können beispielsweise die Graphemfolgen und im Anlaut nicht-nativer Einheiten wie Start-up und Speed abweichend als [st] und [sp] auftreten. Heller (1980) unternimmt erstmalig den Versuch, die synchrone und die diachrone Sicht systematisch zusammenzuführen.In seinem häufig rezipierten taxonomischen Modell kreuzklassifiziert er die Merkmalspaare ‛fremd’ vs. ‛heimisch’ und ‛synchron’ vs. ‛diachron’. In der sich daraus ergebenden Matrix werden Fremdwörter als Lexeme fremder Herkunft eingeordnet, die bei synchroner Betrachtung noch fremde Strukturmerkmale aufweisen; Lehnwörter hingegen sind Wörter fremder Herkunft, bei denen synchron keine formalen Fremdheitsmerkmale mehr erkennbar sind. Nach Hellers Klassifikation ergeben sich neben den Fremd- und den Lehnwörtern zwei weitere Kategorien, und zwar die sog. heimischen Wörter, die diachron und synchron nativ sind, sowie die sog. Pseudo-Fremdwörter, die als native Wörter fremde Strukturmerkmale aufweisen. Vor allem die Existenz der letztgenannten Wortklasse veranlasste Eisenberg (1998:335) zu einer Explikation ex negativo: “Fremde Wörter sind solche, die im Verhältnis zum Kernwortschatz strukturelle Auffälligkeiten aufweisen, und Fremdwörter sind solche fremden Wörter, die Bestandteile aus anderen Sprachen enthalten.”
Einleitung
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Das Abgrenzungsproblem zwischen Fremdwörtern und Lehnwörtern im Deutschen hat eine weitere Ursache darin, dass der Übergang zwischen beiden Wortklassen offenbar nicht kategorial, sondern kontinuierlich ist. Der Unterschied zwischen Fremdwörtern und Lehnwörtern scheint daher nur im Grad der Anpassung bzw. Integration fassbar zu sein, wobei die graduelle Abstufung nicht nur lexikalische Entlehnungen, sondern nicht-native Einheiten auf allen grammatischen Ebenen betrifft. Durch diesen Befund kommt dem Begriff der Integration für die Beschreibung nicht-nativer Einheiten und Strukturen eine zentrale Bedeutung zu. Prinzipiell kann Integration aus zwei Perspektiven betrachtet werden: (i) Integration kann als asymmetrische Relation verstanden werden, bei der eine Einheit oder Struktur x aus einer Sprache L1 in eine Sprache L2 integriert wird, wobei der Fokus auf der betrachteten Einheit bzw. Struktur liegt und deren Bewegung auf ein Kernsystem zu; (ii) Integration kann als symmetrische Relation aufgefasst werden. Im zweiten Fall “integrieren sich” Einheiten bzw. Strukturen aus einer Sprache L1 mit Einheiten bzw. Strukturen einer Sprache L2. Der Fokus bei dieser Betrachtung liegt auf den sich herausbildenden selbstständigen grammatischen (Teil-)Systemen, die deutlich erkennbare Merkmale der Geber- und der Nehmersprache aufweisen. Versteht man Integration als asymmetrische Relation, so nimmt man de facto eine synchrone Sicht ein und beschreibt die nicht-nativen Einheiten und Strukturen statisch, da der jeweilige entlehnte sprachliche Ausdruck primär in Bezug auf seine Einbindung in das grammatische System der Nehmersprache beurteilt wird. Nach dieser Vorstellung sind integrierte und nicht-integrierte Ausdrücke dichotomisch unterscheidbar. Beispielsweise wird ein Ausdruck wie Fenster als integriert eingestuft, ein Ausdruck wie chillen hingegen als nicht-integriert. Problematisch ist hierbei die Festlegung entscheidbarer Kriterien für die Integriertheit. Es stellt sich die Frage, in welcher Hinsicht – d.h. beispielsweise auf welchen grammatischen Ebenen – ein entlehnter Ausdruck den Bedingungen der Zielsprache entsprechen muss, um als integriert zu gelten. Wird Integration als symmetrische Relation verstanden, liegt das Hauptaugenmerk auf dem Prozess der Integration und damit auf der Diachronie. Integration wird nach dieser Sichtweise als Form des Sprachwandels verstanden, genauer als Prozess der Konventionalisierung, in dessen Verlauf Markiertheitsmerkmale abgebaut werden. Aus diachroner Perspektive können entlehnte Einheiten und Strukturen mehr oder weniger stark integriert sein, d.h. eine skalare Beschreibung der Integriertheit, mit graduellen Abstufungen, ist möglich. Entsprechend können konkurrierende Formen wie beispielsweise bei der Pluralbildung von Pizza (Pizzas vs. Pizzen) auftreten. Aber auch diese Vorstellung wirft Fragen hinsichtlich der angesetzten Kriterien auf, denn letztlich vollzieht sich der Abbau von markierten Merkmalen auf verschiedenen
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grammatischen Ebenen und ist in aller Regel unterschiedlich gestaltet. Damit stellt sich aber die Frage, ob bestimmte grammatische Teilsysteme maßgeblicher sind als andere und in welchem Ausmaß der Markiertheitsabbau relevant für die Integration ist. Zudem ist in Bezug auf das Sprachsystem zu klären, ob und wenn ja in welcher Weise nicht-native Einheiten und Strukturen eigene Teilmengen und -strukturen im Sprachsystem repräsentieren. Hier nimmt die Forschung bislang unterschiedliche Positionen ein. Munske (1988, 2001) beispielsweise betrachtet das Deutsche als Mischsprache, d.h. als Sprache, durch deren Lexik verschiedene, je miteinander zusammenhängende Teilsysteme der Phonologie, Graphematik, Morphologie und Wortbildung konstituiert werden. Fremdwortschatz und indigener Wortschatz bilden demnach eigene Ausdruckssysteme eines Gesamtsystems. Eisenberg (2001) hingegen sieht eine Herausbildung von Epizentren im Gesamtsystem: Abseits der kerngrammatischen Strukturen bilden sich stabile, als fremd erkennbare strukturelle Epizentren heraus, was sich beispielsweise im Bereich der Fremdwortbildung (Bibliothek vs. Mediathek) zeigt. In diesem Band werden die Strategien der Integration und Isolation nichtnativer Einheiten und Strukturen aus unterschiedlicher Perspektive beleuchtet: hinsichtlich verschiedener grammatischer Ebenen, in Bezug auf ein Dutzend Sprachen und diverse Varietäten, in mehreren theoretischen Ansätzen und mit unterschiedlicher methodischer Ausrichtung. Leitfragen sind dabei: Inwieweit sind die jeweils untersuchten Einheiten und Strukturen als integriert bzw. isoliert einzustufen? Welche Bedingungen für Integration oder Isolation lassen sich im Einzelnen identifizieren? Was bedeutet Integration bzw. Isolation im jeweils betrachteten Zusammenhang? Welche Implikationen haben die Ergebnisse der einzelnen Untersuchungen für eine übergreifende Theorie der Entlehnung? Die Gliederung des Sammelbandes folgt grob den grammatischen Ebenen, beginnend mit drei Beiträgen zur Graphematik und Phonologie (Neef, Munske, Cohen). Die folgenden fünf Beiträge widmen sich morphosyntaktischen (Callies/Ogiermann/Szcześniak, Kolmer) und morphologischen Fragestellungen (Wegener, Harnisch, Kempf). Den Abschluss bilden drei Beiträge mit Themenschwerpunkt in den Bereichen Syntax und Semantik (Zifonun, Holler/ Scherer, Nakajima) sowie ein Beitrag mit methodischer Perspektive (Alex/ Onysko). Im ersten Beitrag des Bandes beschäftigt sich Martin Neef mit der Schreibung von Fremdwörtern. Er plädiert für das Primat der Graphematik gegenüber der Orthographie und entwirft ein beschränkungsbasiertes Schriftsystemmodell, das Korrespondenzen von der Schreibung zur Lautung und umgekehrt erfasst. Für nicht-native Einheiten sieht Neef verschiedene Integrationsstufen vor, die sich daraus ergeben, in welchem Ausmaß Fremdwörter orthographische Beschränkungen für den nativen Wortschatz verletzen.
Einleitung
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Anhand englischer Entlehnungen im Deutschen beschreibt Horst Haider Munske im zweiten Beitrag Formen und Prozesse der lautlichen, der graphisch-lautlichen und der graphischen Integration sowie der lautlichen und der graphischen Transferenz. Er kommt zu dem Schluss, dass Anglizismen im Deutschen zwar phonetisch und phonemisch weitgehend integriert sind, dass sie die englische Schreibung aber tendenziell beibehalten. Im darauffolgenden Beitrag entwickelt Evan-Gary Cohen ein perzeptionsbasiertes stochastisches Modell im Rahmen der Optimalitätstheorie, das es erlaubt, die Integration englischer Vokale in das an Vokalen deutlich ärmere Hebräische adäquat zu erfassen. Marcus Callies, Eva Ogiermann und Konrad Szcześniak untersuchen in ihrem Beitrag kontrastiv die Genuszuweisung bei Anglizismen im Deutschen und Polnischen. Anhand von korpusgestützten und experimentbasierten Fallstudien arbeiten sie heraus, dass das Vorhandensein bzw. Fehlen von formalen Genusmarkern, lexikalischen Äquivalenten sowie die Kenntnis der Wortbedeutung ausschlaggebend für die Varianz bzw. Nichtvarianz in der Genuszuweisung ist. Den Nutzen nicht-nativer Wörter und Strukturen für die Nehmersprache untersucht Heide Wegener in ihrem Beitrag. Am Beispiel des s-Plurals und anhand (reanalysierter) nicht-nativer Suffixe zeigt sie, wie nicht-native Merkmale in bestimmten Nischen, etwa der Pluralflexion von Eigennamen sowie der Ableitung von Kurzwörtern und Markennamen, integriert und produktiv angewendet werden können. Im anschließenden Beitrag diskutiert Rüdiger Harnisch die Prinzipien der Analyse, De-Analyse und Re-Analyse von suffixverdächtigen Fremdwörtern im Deutschen und identifiziert die Güte der Form-Inhalts-Beziehungen als wichtigsten Faktor für die Integration bzw. Isolation dieser Einheiten. Anhand entsprechender Belege weist er nach, dass potenzielle Suffixe umso eher reanalysiert und somit integriert werden, je höher der Strukturiertheits- und Bedeutungsgrad eines nicht-nativen Wortes ist. Mit einem systematischen Vergleich von neoklassischer und nativer Wortbildung befasst sich Luise Kempf in ihrem Beitrag. Aus der Diskussion verschiedener phonologischer und morphologischer Kriterien folgert sie, dass im Rahmen der deutschen Wortbildung nicht von einem einheitlichen, sondern von zwei (Teil-)Systemen auszugehen ist. Der Beitrag von Agnes Kolmer widmet sich dem morphosyntaktischen Wandel im Zimbrischen von Luserna. Auf der Grundlage einer empirischen Studie untersucht sie die Veränderungen in der Hilfsverbselektion zur Bildung des Perfekts in bestimmten verbalen Reflexivkonstruktionen des Zimbrischen und diskutiert, inwiefern diese Prozesse als kontaktinduzierte Sprachwandelprozesse oder als grammatische Entlehnungen aufzufassen sind.
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Anke Holler und Carmen Scherer
Im Anschluss beschäftigt sich Gisela Zifonun in ihrem Beitrag mit syntaktischen und kompositionalen Modifikationsstrategien des Deutschen und Englischen. Anhand entsprechender Korpusvergleiche weist sie nach, dass sich Präund Postmodifikation durch unflektierte nominale Ausdrücke im Deutschen und Englischen nahezu spiegelbildlich verhalten. Im Hinblick auf die zunehmend beobachtbare Prämodifikation im Deutschen lehnt sie eine monokausale Erklärung dieses Phänomens ab, plädiert aber für einen begrenzten Einfluss des Englischen auf deutsche Nominalkonstruktionen. Anke Holler und Carmen Scherer untersuchen in ihrem Beitrag exemplarisch die Argumentstruktur entlehnter Verben im Deutschen. Sie zeigen, dass sich die syntaktischen Formen und semantischen Rollen der untersuchten Argumente auch bei nativen Verben finden und dass das Argument Linking bei nativen und nicht-nativen Verben nach denselben Prinzipien erfolgt. Takashi Nakajima befasst sich mit dem Einfluss von nicht-nativen Einheiten, insbesondere Entlehnungen aus dem Chinesischen, auf die Bildung von Funktionsverbgefügen des Japanischen. Er entwickelt im Rahmen eines minimalistischen Syntaxmodells eine formale Analyse des Phänomens und unterstreicht dabei die integrierende Funktion der tun-Periphrase im Bereich der denominalen Verben. Im abschließenden methodischen Beitrag des Bandes diskutieren Beatrice Alex und Alexander Onysko die Möglichkeiten und Probleme einer maschinellen Erkennung von Anglizismen in deutschsprachigen Texten. Sie stellen ein mehrstufiges Verfahren zur automatischen Klassifikation von Anglizismen in großen Textmengen vor. Um die maschinell erzielten Ergebnisse zu evaluieren, vergleichen sie diese mit den Resultaten einer manuellen Bestimmung von Anglizismen und eruieren dabei integrierte Anglizismen und Mischkomposita als wichtigste Problemfälle. Dieser Band ist das Ergebnis der Arbeitsgruppe 10 “Strategien der Integration und Isolation nicht-nativer Einheiten und Strukturen”, die im Rahmen der 30. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft vom 27.29. Februar 2008 in Bamberg stattfand. Wir danken allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Arbeitsgruppe für ihre Beiträge und anregende Diskussionen. Die Herausgeberinnen
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Anke Holler und Carmen Scherer
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Einleitung
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Martin Neef
Die Schreibung nicht-nativer Einheiten in einer Schriftsystemtheorie mit einem mehrschichtigen Wortschatzmodell
1.
Grenzziehungen
Bei der linguistischen Analyse von Fremdwörtern spielt die ihrer geschriebenen Form eine besondere Rolle. Fremdwörter haben in der geschriebenen Sprache eine höhere Textfrequenz als in der gesprochenen Sprache, wie Eisenberg (1998: 334) ausführt. Zudem können viele aus anderen Sprachen übernommene Wörter synchron nur aufgrund besonderer Eigenschaften ihrer geschriebenen Form als Fremdwörter ausgewiesen werden, während sie grammatisch vollständig in das heimische System integriert sind (z. B. Thron, Strophe). Dass die Frage der Herkunft nicht ausreicht, ein Wort als Fremdwort zu klassifizieren, ist evident, denn für kaum ein morphologisch einfaches Wort lässt sich mit Sicherheit nachweisen, dass es nicht irgendwann einmal (und sei es in grauer Vorzeit) aus einer anderen Sprache importiert wurde, während zugleich zahlreiche Wörter, für die eine fremde Herkunft nachgewiesen ist, in der einschlägigen Literatur nicht als Fremdwörter bewertet werden. So wurden beispielsweise nach Kluge (1995) die Wörter Jauche und Rampe im 15. Jh. bzw. im 18. Jh. aus dem Slawischen bzw. dem Französischen entlehnt, im Fremdwörter-Duden (1994) sind sie aber nicht enthalten. Im Zentrum dieses Beitrags steht die Frage, wie die Schreibung von Fremdwörtern theoretisch modelliert werden kann. Die Überlegungen stehen im Kontext einer spezifischen Konzeption des Schriftsystems, die ich in Neef (2005a) erarbeitet habe. Dabei ergibt sich, dass ein bestimmter Ausschnitt der Fremdwörter im Schriftsystem des Deutschen eine theoretisch signifikante Position einnimmt, die als orthographisch relevante Schicht im Gesamtwortschatz identifiziert werden kann. Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei die Frage, inwieweit sich Fremdwörter in der Analyse von heimischen Wörtern unterscheiden. Zwangsläufig muss hierzu auch eingehend die Analyse heimischer Wörter betrachtet werden. Eingangs möchte ich überlegen, wie die Datenbasis für die linguistische Analyse eines spezifischen Aspekts sinnvoll eingegrenzt werden kann. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit menschlichen Sprachen ist vor die Aufgabe gestellt, die Aspekte der Offenheit und der begrenzten Regelmäßigkeit der jeweiligen Datenbereiche zu modellieren. Offenheit bedeutet, dass sich die Daten eines Teilbereichs eines Sprachsystems nicht vollständig in einem Kor-
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Martin Neef
pus sammeln lassen, weil Sprache ein kreatives System ist, das auf der Grundlage eines Regelsystems in der Lage ist, den Datenbereich ständig zu erweitern. Durch den Regelaspekt lässt sich wohl definieren, was ein mögliches Datum eines Teilbereichs sein kann, aber ein Korpus kann im Normalfall nicht alle möglichen Daten umfassen. Begrenzte Regelmäßigkeit bedeutet, dass gewöhnlich nicht alle Daten eines Teilbereichs den modellierbaren Regeln entsprechen; stattdessen verbleibt ein Rest vor der Folie dieser Regeln als unregelmäßig. Dies liegt unter anderem in dem für Sprachen typischen Merkmal der Veränderlichkeit begründet; Sprache wandelt sich im Laufe der Zeit, und dies kann nicht nur die Daten eines Teilbereichs betreffen, sondern auch den Regelaspekt. Um entscheiden zu können, ob ein Datum regelmäßig oder unregelmäßig ist, bedarf es also einer theoretischen Modellierung, die mithin vorrangig gegeben sein muss. Dabei finden sich in der Linguistik typischerweise zu ein und demselben Datenbereich verschiedene, konkurrierende Theorien, die die Grenzziehung zwischen dem Regelmäßigen und dem Unregelmäßigen in unterschiedlicher Weise vornehmen. Angesichts der prinzipiellen Offenheit des Datenbereichs lässt sich daraufhin nicht geradewegs diejenige Theorie als die bessere bezeichnen, deren unregelmäßiger Datenanteil geringer ist. Für die Analyse von Fremdwortschreibungen ist die skizzierte Problematik in besonderer Weise evident: Für die Analyse dieses Datenbereichs ist zu entscheiden, ob er möglicherweise in seiner Gesamtheit außerhalb desjenigen Bereichs liegt, den orthographische Regeln zu erfassen haben. Wenn diese Frage verneint wird, bleibt dennoch eine Grenze zu ziehen, die sich daran orientiert, wie fremd ein Fremdwort sein darf, um noch in das System der zu analysierenden Sprache gerechnet werden zu können. Denn es ist klar, dass sich Wörter aus anderen Sprachen als Gäste in der zu analysierenden Sprache tummeln können, die kaum oder gar nicht den Regeln des Zielsystems unterliegen, beispielsweise zahlreiche Eigennamen. Für pädagogisch-didaktische Zielstellungen, insbesondere zur Unterrichtung von Kindern im Grundschulalter, mag es angemessen sein, den zu modellierenden Ausschnitt des Wortschatzes relativ frei von nicht-nativen Einheiten zu halten. Aber auch Herangehensweisen, die sich als wissenschaftliche Grammatiken im Sinne von Falkenberg (1996: 1) verstehen lassen, sind erstaunlich schnell bereit, den gesamten Fremdwortbereich bis hin zu einzelnen Buchstaben des lateinischen Alphabets wie oder aus dem Erklärungsbereich auszuschließen. Die Ursache hierfür sehe ich in einem mangelnden Verständnis der Struktur eines Schriftsystemmodells, für das häufig lediglich eine orthographische Komponente angesetzt wird, während eine graphematische nicht in den Blick kommt. In der folgenden Darstellung betrachte ich zunächst typische phonologiebasierte derivationelle Modelle zur Orthographie und überlege, wie hier mit
Die Schreibung nicht-narrativer Einheiten in einer Schriftsystemtheorie
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Fremdwörtern umgegangen werden kann. Im Anschluss präsentiere ich Überlegungen zu Fremdwörtern im Rahmen eines Modells, das zwischen Graphematik und Orthographie unterscheidet. Dabei plädiere ich dafür, dass für eine generelle theoretische Analyse des Schriftsystems einer Sprache ein möglichst großer Ausschnitt von Wörtern als Basis genommen werden sollte, also insbesondere unter Einschluss eines Großteils dessen, was als Fremdwort klassifiziert werden kann, und dass die Schreibungskonventionen nativer und nicht-nativer Wörter grundsätzlich dem gleichen Analyseraster unterliegen sollten.
2.
Einstufige Modelle des Schriftsystems
Üblicherweise wird die zentrale Forschungsfrage der Schriftlinguistik darauf reduziert zu modellieren, wie orthographische Schreibungen für Wörter der gesprochenen Sprache auszusehen haben. Die bevorzugte Konzeption der fraglichen Beziehung hat dabei folgende Struktur: Auf der Basis sprechsprachlicher Äußerungen werden Regeln formuliert, wie diese in orthographische Repräsentation zu überführen sind. Beschränkt auf die Domäne Wort soll so modelliert werden, wie ein Wort des Sprachsystems zu schreiben ist. Ein solches Modell überführt eine sprechsprachliche Repräsentation in direkter Weise in eine orthographische Form. Eingabe ist demnach eine sprechsprachliche Form und Ausgabe eine geschriebene Form. Dazwischen vermitteln Regeln, gewöhnlich in einer bestimmten Anwendungsreihenfolge, oder eventuell auch andere formale Mittel, nämlich Beschränkungen bzw. Constraints. Abkürzend nenne ich dies den orthographischen Regelapparat. (1)
Einstufige Konzeption eines Schriftsystemmodells sprechsprachliche Repräsentation
orthographischer Regelapparat
orthographische Repräsentation
Bierwisch (1972) hat im Rahmen der generativen SPE-Phonologie (Sound Pattern of English; Chomsky & Halle 1968) ein derartiges derivationelles Modell der Orthographie für das Deutsche vorgelegt, das in den 1980er Jahren im damaligen generativen Referenzmodell der Lexikalischen Phonologie von Richard Wiese weiterentwickelt wurde (z. B. Wiese 1989). In jüngerer Zeit wird ein eng verwandtes Modell von Nunn (1998) für das Niederländische vertreten, und Sproat (2000) nutzt es in verfeinerter Form zur computerlin-
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Martin Neef
guistischen Modellierung verschiedener Sprachen. Auch das Modell von Eisenberg (1998; vgl. auch Fuhrhop 2005) basiert auf diesem Grundgedanken, auch wenn seine Graphem-Phonem-Korrespondenzregeln (GPK-Regeln), also Korrespondenzregeln, die Phoneme in Grapheme überführen, nicht das einzige Erklärungselement dieser Theorie sind. Selbst die derzeit vorherrschende Variante einer generativen Phonologie, die Optimalitätstheorie, wiewohl in nichtderivationeller Weise argumentierend, kann im Grunde diesem einstufigen Ansatz folgen, wie folgendes Zitat von Wiese (2004: 311) belegt (wonach interessanterweise für unregelmäßig erklärte Aspekte der Schreibung auf der Eingabeseite gleich mitgegeben werden): I take the inputs to be the non-predictable elements of an orthographic form plus the phonological input of the respective forms. Outputs, in the present work, are orthographic word-forms.
In solchen einstufigen Ansätzen ist festzulegen, um welche Art sprachlicher Repräsentation es sich bei der Eingabe handelt. Hierbei wird unterschieden zwischen phonetischen, phonologischen und zugrundeliegenden Arten der Repräsentation. Weil z. B. am Ende mit geschrieben wird, die Entsprechung dieses Elements auf der phonetischen Ebene oder auch der Ebene der phonologischen Oberfläche aber als [k] anzusetzen ist (vgl. (2a)), wird in einstufigen Modellen als Eingabe bevorzugt eine mehr oder weniger gut zu motivierende zugrundeliegende Repräsentation als Eingabe gewählt, die für das Lexem TAG als // notiert wird (vgl. (2b)). (2)
Ableitung der Schreibung des Worts Tag a. [] b. //
orthographischer Regelapparat
Die Repräsentation (2b) ist offenkundig leicht über Regeln in die richtige Schreibung zu überführen. Einschränkend ist hierbei aber zu bedenken, dass die Offenkundigkeit vor allem darin begründet liegt, dass für die Notation der lautbezogenen Repräsentationen grundsätzlich dieselben Zeichen benutzt werden wie in der Orthographie. Deshalb sehen Regeln in diesem Modell häufig äußerst trivial aus, wie z. B. die folgende: (3)
Derivationelle GPK-Regel (z. B. Fuhrhop 2005: 9) // →
Regeln dieser Art sind aber nicht wirklich trivial, weil rechts und links des Pfeils Elemente distinkter Zeichensysteme stehen. Dies würde deutlicher, wenn der Zeichensatz der sogenannten phonetischen Transkription nicht auf
Die Schreibung nicht-narrativer Einheiten in einer Schriftsystemtheorie
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dem lateinischen Alphabet beruhen würde, und es wird deutlicher bei der Analyse von Schriftsystemen, die andere Schriften als die lateinische nutzen. Grundsätzlich genügen einfache Regeln des Typs (3) auch nicht zur Modellierung eines Gesamtsystems. Mit einer solchen einstufigen Konzeption gibt es zahlreiche Probleme. Zu fragen ist z. B., warum Homonyme wie Wal und Wahl unterschiedliche Schreibungen haben können, warum Weg und weg gleich geschrieben, aber unterschiedlich ausgesprochen werden, und warum das Wort Krebs mit geschrieben wird, obwohl in keiner Wortform des Lexems KREBS ein [b] gesprochen wird und mithin keine zugrundeliegende Form // zu motivieren ist. Interessant ist auch, dass Schreibungen zu solchen Lautfolgen möglich sind, die nicht den Status eines aktuellen Worts und mithin auch keine zugrundeliegende Form auf der Basis eines Lexems haben. Für Fremdwörter ergeben sich bedeutsame weitere Probleme, weil für diesen Bereich in den üblichen Modellen GPK-Regeln angesetzt werden, die es im heimischen Bereich nicht gibt. Nerius et al. (2007: 127), die den fraglichen Wortschatzbereich in ungewöhnlich expliziter Weise aufarbeiten, gehen für den nativen Bereich von 82 ‘Phonographemen’ aus und für den nicht-nativen von zusätzlichen 200 bis 300. Dazu gehört u. a.: (4)
Derivationelle GPK-Regel für Fremdwörter (nach Nerius et al. 2007: 127) // →
Hier stellt sich zwangsläufig die Frage, warum sich die deutsche Orthographie den Luxus leistet, im eher marginalen Bereich der Fremdwörter eine solch große Masse an spezifischen Regeln bereitzustellen. Mit einer solchen Modellierung wird immerhin impliziert, dass die deutsche Orthographie in den nichtnativen Bereich viel mehr Aufwand steckt als in den nativen. Nach der unten in Abschnitt 4 präsentierten Analyse sieht es demgegenüber so aus, dass das deutsche Schriftsystem einen höheren Formgebungsaufwand in den nativen als den nicht-nativen Wortschatzbereich investiert. Verschärfend kommt hinzu, dass die in (4) gegebene Regel nicht dafür annotiert sein kann, für Fremdwörter generell gültig zu sein, denn für viele Fremdwörter gilt sie augenscheinlich nicht. Zwar wird das Fremdwortlexem THERME wie erwartet mit
geschrieben, aber die mit dessen Nennform homonyme Pluralform Terme des Fremdwortlexems TERM nicht. Hierbei aus der Beobachtung von Schreibungsregularitäten zu folgern, das Lexem TERM wäre kein Fremdwortlexem (mehr), hieße offensichtlich zirkulär zu argumentieren. In einer Wortschreibung wie schließlich wird die mutmaßliche Fremdwortregel einmal angewendet und einmal nicht. Dass sich die Schreibung
auch in Wörtern findet, die möglicherweise nicht als fremd zu klassifizieren sind (z. B. Thor), ist eine andere Frage.
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Martin Neef
Diese Beispiele deuten an, dass Fremdwörter in vielfältiger Weise geschrieben werden können, während heimische Wörter über beschränktere Schreibungsmöglichkeiten verfügen. Die folgenden Schreibungen der Wörterbuchstrecke M-Mal mutmaßlicher Fremdwörter aus dem Fremdwörter-Duden (1994) scheinen mir nicht sonderlich fremd; jedenfalls sind hier keine eigentümlichen Phonographeme im Sinne von Nerius et al. (2007) anzusetzen. Die Fremdheit vieler dieser Wörter liegt allein darin begründet, dass sie über mehr als eine Vollsilbe verfügen, was morphologisch einfache native Wörter selten auszeichnet. Dies ist jedoch keine schriftbezogene Eigenschaft. (5)
Auch wenn sich schriftlinguistische Theorien vorrangig mit der Modellierung orthographischer Regularitäten im Verbund mit der Umsetzung von sprechsprachlichen Daten in Schrift befassen, wird die umgekehrte Sichtweise, die Modellierung der Überführung von Schrift in sprechsprachliche Repräsentationen, gewöhnlich nicht als irrelevant, nur als weniger vordringlich oder letztlich als trivial eingeschätzt. Das in Neef (2005a) entwickelte ‘Rekodierungsmodell der Graphematik’ nimmt sich dieses Modellierungsauftrags an und belegt in expliziter Weise, dass von Trivialität keine Rede sein kann. Die Graphematik in diesem Sinne ist derjenige Teilbereich der Linguistik, der fragt, wie in welcher Beziehung geschriebene Formen zu gesprochenen stehen bzw. genauer graphematische Repräsentationen zu phonologischen Repräsentationen. Überdies vertrete ich mit diesem Modell die Auffassung, dass die Graphematik gegenüber der Orthographie als primär einzustufen ist, und zwar auf zweierlei Weise: Ein Schriftsystem muss notwendigerweise eine graphematische Komponente besitzen, denn wenn es kein Regelsystem gibt, das schriftliche in sprechsprachliche Repräsentationen überführt, kann letztlich nicht von einem Schriftsystem die Rede sein, weil es nicht in produktiver Weise genutzt werden kann. Schon allein auf graphematischer Basis ist Schreiben möglich, denn mit diesem Mittel wäre jede Schreibung eine gute, die ihre regelgeleitete Überführung in die entsprechende sprechsprachliche Repräsentation erlauben
Die Schreibung nicht-narrativer Einheiten in einer Schriftsystemtheorie
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würde. Infolgedessen könnte ein und dasselbe Wort ohne Weiteres über unterschiedliche akzeptierte Schreibungen verfügen, wie dies z. B. an Drucken aus der frühen Neuzeit zu beobachten ist, wenn beispielsweise in einem Druck aus dem Jahr 1501 in einem fünfzeiligen Absatz das Wort Pfalzgraf in den drei Varianten , und erscheint (Voeste 2008: 38). Hier fehlt also eine orthographische Normierung. Für phonographische Schriftsysteme bedeutet dies konkret, dass aus der Schreibung über ein Regelsystem die phonologische Repräsentation gewonnen werden muss (dabei aber nicht notwendig in eindeutiger Weise). Ein Schriftsystem kann sich zusätzlich den Luxus einer Orthographie leisten, wie es für entwickelte Schriftsysteme typisch ist. Dann wird für Wörter als Realisierungen von Lexemen in gewöhnlich eindeutiger Weise festgelegt, welches ihre richtige Schreibung ist (und diese ist in den meisten Fällen zugleich graphematisch lizensiert). Hieran schließt die andere Begründung der Vorrangstellung der Graphematik aus der Sicht des Rekodierungsmodells an: Die Analyse einer Orthographie ist danach nur auf der Basis graphematischer Erkenntnisse möglich. Dies soll im Folgenden anhand von Fremdwortschreibungen illustriert werden. Das Modell der Graphematik sieht gemäß dem Rekodierungsmodell folgendermaßen aus: (6)
Rekodierungsmodell der Graphematik (Neef 2005a) graphematische Repräsentation
Korrespondenzregeln
phonologische Repräsentation
graphematische Beschränkungen
Eine graphematische Repräsentation ist eine Folge von Schriftzeichen, im Deutschen eine Folge von Buchstaben, die um bestimmte interpretierte Informationen angereichert ist, nämlich die Markierung von Grenzen eines potentiellen Wortbeginns. So befindet sich im Wort vor dem Buchstaben eine absolute und mithin auch eine potentielle Wortgrenze (oder PW-Grenze), die hier materiell durch das Spatium gegeben ist. Eine ebensolche potentielle Wortgrenze ist auch im Wort vor dem Buchstaben anzusetzen, hier aber eben nur in potentieller Form und nicht materiell gegeben, sondern auf der Basis lexikalischen Wissens hineininterpretiert. Die Rekodierung des Buchstabens als [] hängt von der fraglichen Grenze ab. Grundsätzlich gelten Korrespondenzregeln in dieser Konzeption nur in Domänen, die von keiner PW-Grenze unterbrochen sind; insbesondere Komposita enthalten eine solche Grenze und damit (zumindest) zwei autonome Rekodierungsdomänen. Die Aufgabe der Korrespondenzregeln ist es, den Einheiten der graphematischen Repräsentation phonologische Entsprechungen zuzuordnen. Eine Vor-
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Martin Neef
aussetzung für diese Analyse ist es, die phonologische Ebene in möglichst expliziter Weise zu modellieren, wie ich es in Neef (2005b) versuche. Dort wird die Phonologie definiert als Lehre der potentiell bedeutungsunterscheidenden Einheiten einer Sprache. Die konsequente Beachtung dieser Definition führt zu einigen theoretischen Annahmen zur deutschen Phonologie, die sich mehr oder weniger deutlich von anderen Modellierungen unterscheiden. Beispielsweise ergibt sich in diesem Ansatz, dass die bedeutungsunterscheidende Kraft nicht auf einer zugrundeliegenden Ebene verankert ist, sondern auf der Ebene der phonologischen Oberflächenstruktur, die in eckigen Klammern notiert wird und deren Einheiten als Phone bezeichnet werden. Überdies ist beispielsweise Vokallänge danach nicht distinktiv und mithin in phonologischen Repräsentationen auch nicht zu notieren (also gilt z. B. die Notation [] statt []). Für jede Grundeinheit eines Schriftsystems muss es eine Korrespondenzregel geben, damit sie als Element des fraglichen Schriftsystems fungieren kann. Im Deutschen sind Buchstaben und feste Buchstabenverbindungen die einschlägigen Grundeinheiten. Entsprechende Regeln können eine vielfältige Struktur haben, wie folgende Beispiele illustrieren: (7)
Graphematische Regeln des Deutschen (Auswahl, vereinfacht) a. b. c. d. e. f. g.
→ → → →
→ → →
→ → →
[] [] [] [] [] [] […] [] [] [] []
(primär) (sekundär) (primär) (sekundär)
/ PW__ (primär)
Neben eindeutigen Regeln (7a) sind auch unterdeterminierte wie in (7b) anzunehmen, bei denen nicht entschieden werden kann, welche Korrespondenz in einer bestimmten Schreibung einschlägig ist, wie die Schreibung belegt, die Nennform des Verblexems RASTEN oder eine Präteritalform des Verblexems RASEN sein kann, mit variierender Aussprache bei gleicher Schreibung (graphematische Beschränkungen, die die Phänomene Dehnung und Schärfung erfassen, tragen zu einer Reduzierung dieser globalen Unterdeterminiertheit bei). Die Unschärfe im Regeltyp (7c) ist dagegen phonologisch gesteuert und letztlich vollständig determiniert, da die korrespondierenden Phone in einer Rangfolge stehen. Diese Notation ist so zu lesen, dass in einer bestimmten Schreibung zunächst die primäre Korrespondenz gewählt
Die Schreibung nicht-narrativer Einheiten in einer Schriftsystemtheorie
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wird. Nur wenn das Ergebnis an der entsprechenden Stelle phonologisch ungrammatisch ist, wird die sekundäre Korrespondenz aktiv, wie gut an der Schreibung zu sehen ist: Da *[] wegen der unterbliebenen Auslautverhärtung keine mögliche phonologische Form eines Worts im Deutschen ist, wird hier bei der Rekodierung des Buchstabens auf seine sekundäre Korrespondenz zurückgegriffen. Das korrespondierende Element kann statt eines Phons auch eine Null sein wie z. B. bei den russischen Härte- und Weichheitszeichen. Im Deutschen findet sich eine Nullkorrespondenz nie durchgehend, aber als sekundäre Korrespondenz z. B. beim Buchstaben (vgl (7d)), wie sie etwa bei der Rekodierung von , aber auch von aktiv wird. Dieses Fremdwort ist damit graphematisch als vollständig integriert anzusehen. Anders sieht es mit einem Wort wie aus. Hier kann nicht einfach die Nullkorrespondenz des Buchstabens herangezogen werden, weil der Buchstabe
nicht wie üblicherweise als [] rekodiert wird. Vielmehr liegt hier eine gegenseitige Bedingtheit der Rekodierung zweier Buchstaben vor, die im Rekodierungsmodell so erfasst wird, dass z. B. als eine Einheit besonderer Art, als eine feste Buchstabenverbindung, angesetzt wird, der eine eigene Korrespondenzregel zukommt (vgl. (7e)). Damit verhält sich genauso wie z. B. und kann als Element der deutschen Graphematik eingestuft werden, auch wenn es überwiegend in Fremdwörtern genutzt wird (aber auch in weniger fremden Namen wie Stephan), in Fremdwörtern freilich, die in ihrer Aussprache nicht eindeutig der Quellsprache folgen. In diesem Sinne verfolgt das Rekodierungsmodell das Ziel, Regularitäten mit möglichst großer bzw. möglichst eindeutiger Reichweite zu erfassen. Dabei ist nicht a priori festgelegt, welche Aspekte von Schreibungen in Form einer Korrespondenzregel erfasst werden sollen. Die Grenze liegt dort, wo sich Korrespondenzen in Wörtern, die aus einer fremden Sprache stammen und die weitgehend wie in der fremden Sprache ausgesprochen werden, nicht geradlinig in das System der deutschen Korrespondenzregeln einfügen. Geradlinig heißt hierbei zumindest widerspruchsfrei, aber es ist nicht vorbestimmt, in welchem Ausmaß besonderer Aufwand für besondere Korrespondenzen in Fremdwörtern zu betreiben ist. Dies illustrieren die Korrespondenzregeln (7f und g) genauer. Für den Buchstaben ist ganz problemlos eine eindeutige Regel anzusetzen, die auch für die Rekodierung in Familiennamen wie Leclerq und fremden Ortsnamen wie Qumran gilt. In letzterem Fall ist ohnehin nicht von einer Fremdkorrespondenz auszugehen, weil die Aussprache in der Gebersprache (die in diesem Fall nicht einmal eindeutig zu bestimmen ist) im Deutschen weitgehend unbekannt sein dürfte. Weiterhin gelten manche Korrespondenzen nur in bestimmten graphematischen Kontexten. Das gilt z. B. für die Korrespondenz von zu [] in (7g), die es zwar nur in Fremdwörtern gibt (schon
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Martin Neef
weil es den Laut nur in Fremdwörtern gibt), die aber dennoch in das System der deutschen Graphematik aufzunehmen ist, weil sie zum einen in diesem Kontext durchgehend zu beobachten ist, was eine widerspruchsfreie Modellierung ermöglicht, und weil zum anderen die Schreibung (wie auch die Lautung) nicht der in den Gebersprachen folgt (Dschungel statt jungle etc.), womit die fragliche Korrespondenz ohnehin als Bestandteil der deutschen Graphematik ausgewiesen ist. Die Graphematik definiert mittels des Systems der Korrespondenzregeln in Verbindung mit graphematischen Beschränkungen, was eine systematisch mögliche Schreibung für eine bestimmte Lautung ist, nämlich jede Schreibung, die als die gefragte Lautung rekodiert werden kann. Üblicherweise gibt es sehr viele mögliche Schreibungen für eine bestimmte Lautung, besonders eingedenk Interjektionsschreibungen, bei denen mitunter viele gleiche Buchstaben in einer Reihe stehend problemlos rekodiert werden können. Dies kann durchaus graphematisch als regelhaft analysiert werden. Insgesamt spielt dabei in der Graphematik die Frage, ob ein Wort als nativ oder als nicht-nativ einzustufen ist, noch keine Rolle. Dies ändert sich in der Orthographie.
4.
Orthographie als wortschatzebenensensitives Auswahlverfahren
Die Graphematik definiert also den Lösungsraum zur Schreibung eines Worts mit einer bestimmten Lautung. Beispielhaft analysiere ich im Folgenden den graphematischen Lösungsraum einer bestimmten Lautung, um zu demonstrieren, wie die Orthographie aus diesem Lösungsraum bestimmte Auswahlen trifft. Diese Auswahlprozedur konzipiere ich als sensitiv für Teilbereiche des Wortschatzes. Die Untersuchung motiviert damit eine Unterteilung des Wortschatzes in signifikante Teilbereiche, die günstigstenfalls auch für Untersuchungen anderer Art, bevorzugt für morphologische Untersuchungen, relevant sein sollten. Hierbei kommen mehrere zu unterscheidende Typen von Fremdwörtern ins Spiel. Die Analyse ist nicht systematisch, sondern nur illustrativ; sie ist anhand einer größeren Datenmenge zu prüfen und zu verfeinern. Als Material dienen folgende 48 Schreibungen, die ein signifikanter Teil des graphematischen Lösungsraums für die Lautung [] sein sollen. Nach der zugrundegelegten graphematischen Analyse in Neef (2005a) können all diese Schreibungen mit der fraglichen Lautung rekodiert werden. Wenn die Analyse adäquat ist, sollten kompetente Sprachbenutzer des Deutschen zum selben Ergebnis kommen. Unwichtig ist in diesem Zusammenhang, ob die eine oder andere Schreibung auch noch anders rekodiert werden kann. Außerdem
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Die Schreibung nicht-narrativer Einheiten in einer Schriftsystemtheorie
gehe ich davon aus, dass der graphematische Lösungsraum für die besagte Lautung letztlich wesentlich größer ist. (8)
Graphematischer Lösungsraum für die Lautung [] (Ausschnitt) 1.1 Teip 1.2 Teipp
Theip Theipp
Teihp Teihpp
2.1 Taip 2.2 Taipp
Thaip Thaipp
Taihp Taihpp
1.3 Teib 1.4 Teibb
Theib Theibb
Teihb Teihbb
2.3 Taib 2.4 Taibb
Thaib Thaibb
Taihb Taihbb
3.1 Teyp
Theyp
Teyhp
4.1 Tayp
Thayp
Tayhp
3.2 Teypp 3.3 Teyb
Theypp Theyb
Teyhpp Teyhb
4.2 Taypp 4.3 Tayb
Thaypp Thayb
Tayhpp Tayhb
3.4 Teybb
Theybb
Teyhbb
4.4 Taybb
Thaybb
Tayhbb
Wenn jede aufgeführte Schreibung eine mögliche Schreibung für ein Wort mit der fraglichen Lautung ist, sollte ein Modell der Orthographie erklären können, warum viele dieser Schreibungen für bestimmte Wörter des Deutschen nicht vorstellbar sind. Für native Appellativa kommen nur ganz wenige dieser Schreibungen in Frage, für nicht-native Appellativa eine größere Zahl hiervon und für heimische Eigennamen möglicherweise alle. Dabei haben Eigennamen keine beliebigen Schreibungen, aber sie schöpfen aus einem größeren Reservoir an Schreibungen als Gattungsnamen. Dies lässt sich modellieren, indem die Orthographie so konzipiert wird, dass sie für distinkte Teilbereiche des Wortschatzes unterschiedliche Ausschnitte des graphematischen Lösungsraums als zugelassene Schreibungen zur Verfügung stellt. Das entsprechende theoretische Modell des Wortschatzes, das den Status einer wissenschaftlichen Hypothese hat und dessen Motivation und Reichweite im Folgenden genauer erörtert wird, sieht wie folgt aus: (9)
Schriftsystematisch relevante Gliederung des deutschen Wortschatzes fremdsprachliche Wörter DEUTSCHER WORTSCHATZ Interjektionen, dialektale/ umgangssprachl. Schreibungen, fremde Eigennamen ORTHOGRAPHISCHER WORTSCHATZ indigene Eigennamen KERNWORTSCHATZ assimilierte Fremdwörter HEIMISCHER WORTSCHATZ
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Martin Neef
Dieses Modell ist als ein Inklusionsmodell zu verstehen: Der als ‘deutscher Wortschatz’ markierte Bereich umfasst auch den ‘orthographischen Wortschatz’ etc. Auf der äußersten Schale stehen Fremdwörter, die so fremd sind, dass sie nicht zum deutschen Wortschatz zu zählen sind, auch wenn sie von Sprechern der deutschen Sprache benutzt werden mögen und möglicherweise sogar in einschlägigen Wörterbüchern verzeichnet sein können. Diese als ‘fremdsprachliche Wörter’ bezeichneten Elemente unterliegen keinen Beschränkungen seitens des Schriftsystems des Deutschen. Sie können Zeichen enthalten, die es im Deutschen nicht gibt, und sie können über Rekodierungseigenschaften verfügen, die nicht in der Graphematik des Deutschen verankert sind, sondern typischerweise den Eigenschaften der Quellsprache folgen. Beispiele hierfür sind folgende: (10) Fremdsprachliche Wörter a. Französisch: b. Englisch:
Der ‘deutsche Wortschatz’ zeichnet sich dadurch aus, dass hier die Rekodierung nach den Regeln der Graphematik des Deutschen geschieht. Hier sind also genau alle Elemente des graphematischen Lösungsraums einer Lautung enthalten. Auf der äußersten Schale des deutschen Wortschatzes befinden sich Wörter, die keinen weitergehenden Anforderungen genügen, die also lediglich graphematisch geschrieben werden. Interjektionen sind hierfür besonders typisch, da sie zwar regelmäßig rekodiert werden können, ihre Schreibung aber ansonsten besonders vielfältig ist und sie insbesondere nicht dem Gebot der Konstanzschreibung folgen (vgl. aah gegenüber aaaah neben bummm und rrratsch). Fremde Eigennamen unterscheiden sich von fremdsprachlichen Eigennamen dahingehend, dass sie, bei möglicherweise gleicher Schreibung, nach den Regeln der deutschen Graphematik ausgesprochen werden, dass hier also Schriftaussprachen vorliegen. Beispiele sind London mit der Aussprache [] oder der slowakische Familienname Hrbaty in der deutschen Form []. Die Orthographie des Deutschen hat keinen Einfluss auf diese Schreibungen, aber die Regularitäten der Graphematik sorgen für eine Ausspracheangleichung. Ob überdies dialektale und umgangssprachliche Schreibungen tatsächlich auf dieser Ebene des Wortschatzes anzusiedeln sind, bleibt genauer zu erforschen. Der nächstfolgende Teilbereich des Wortschatzes ist derjenige, auf den die Orthographie Einfluss hat und den ich deshalb als ‚orthographischen Wortschatz‘ bezeichne. Die Daten in (8) sind so zu verstehen, dass sie genau den
Die Schreibung nicht-narrativer Einheiten in einer Schriftsystemtheorie
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Bereich von Schreibungen abdecken, der für den orthographischen Wortschatz zur Verfügung steht. An dieser Stelle ist dies eine nicht weiter begründete Behauptung, von der ich deshalb ausgehe, weil die Diskussion um Fremdwortschreibungen üblicherweise diejenigen Wörter betrifft, die ich als assimilierte Fremdwörter bezeichne. Für diesen Wortschatzbereich gilt es dann, Abgrenzungen nach oben und nach unten zu ziehen, weshalb sich die detaillierte Diskussion sinnvollerweise nur innerhalb des orthographischen Wortschatzes bewegt. Auf der äußersten Schale dieses Teilbereichs liegen heimische Eigennamen. Die Hypothese dabei ist, dass heimische Eigennamen aus einem größeren Bereich des graphematischen Lösungsraums schöpfen können als Wörter der tieferliegenden Ebenen, dass also viele der oben aufgeführten Schreibungen für die Lautung [] zwar für Eigennamen möglich sind, nicht aber für assimilierte Fremdwörter (und den heimischen Wortschatz). Tatsächlich unterscheiden sich Eigennamenschreibungen gern von Schreibungen von Gattungsnamen, aber nicht notwendig: Jede Gattungsnamenschreibung ist auch eine mögliche Eigennamenschreibung, nur nicht umgekehrt. Ein signifikantes Beispiel sind Diphthongschreibungen mit dem Buchstaben als Zweitelement, die (innerhalb des orthographischen Wortschatzes) nur für Eigennamen möglich sind, wie folgende Ortsnamen demonstrieren: (11) Ortsnamensschreibungen mit Diphthongen mit a. Bayenthal, Bayreuth, Bullay, Mayen, Sayn b. Alzey, Breyell, Eiserfey, Freyung, Loreley, Rheydt, Speyer Diese Diphthongschreibungen finden sich heutzutage noch in Namenwörtern, aber nicht in appellativischen Nomen. Vor dem Hintergrund des skizzierten Wortschatzmodells lässt sich dies so erfassen, dass es eine orthographische Beschränkung gibt, die diese Diphthongschreibungen ausschließt. Die fragliche Beschränkung gilt für den Kernwortschatz (und mithin auch für den heimischen Wortschatz als Teilbereich dessen), nicht aber für die Wörter des orthographischen Wortschatzes, die nicht auch zum Kernwortschatz zählen, also für indigene Eigennamen (und ebenso wenig für Wörter, die im Wortschatz noch weiter außen stehen). Diese Art der Konzeption der Orthographie vertraut also darauf, dass es eine vorrangig (nämlich durch die Graphematik) definierte Menge möglicher Schreibungen für einen bestimmten Fall (ein Wort mit einer bestimmten Lautung) gibt. Aufgabe der Orthographie ist es, die Menge dieser möglichen Schreibungen zu reduzieren für Wörter, die näher dem Zentrum des Wortschatzes stehen. Dabei gelten die meisten Beschränkungen für den innersten Bereich des Wortschatzes, also den heimischen Wortschatz. Die fragliche Beschränkung kann auf unterschiedliche Weise formuliert werden. Die folgenden Formulierungen folgen den theoretischen Rahmenbe-
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Martin Neef
dingungen, die durch das Rekodierungsmodell gesetzt sind, und übernehmen insbesondere die dort definierte Terminologie. (12) Orthographische Beschränkung: Schreibung von nach Vokalbuchstaben Die Schreibung des Buchstabens nach einem Vokalbuchstaben ist ausgeschlossen, wenn er als Vokal rekodiert wird. Geltungsbereich: Kernwortschatz Wenn das Wort mit der Lautung [] dem Kernwortschatz angehören soll, verbleiben für seine Schreibung damit nur die Hälfte der diskutierten Schreibungen: (13) Graphematischer Lösungsraum für die Lautung [] (Ausschnitt) 1.1 Teip 1.2 Teipp
Theip Theipp
Teihp Teihpp
2.1 Taip 2.2 Taipp
Thaip Thaipp
Taihp Taihpp
1.3 Teib 1.4 Teibb
Theib Theibb
Teihb Teihbb
2.3 Taib 2.4 Taibb
Thaib Thaibb
Taihb Taihbb
3.1 Teyp
Theyp
Teyhp
4.1 Tayp
Thayp
Tayhp
3.2 Teypp 3.3 Teyb
Theypp Theyb
Teyhpp Teyhb
4.2 Taypp 4.3 Tayb
Thaypp Thayb
Tayhpp Tayhb
3.4 Teybb
Theybb
Teyhbb
4.4 Taybb
Thaybb
Tayhbb
Bei den verbleibenden Schreibungen in (13) fällt die letzte Zeile der beiden Blöcke auf. Im Kernwortschatz darf kein Wort mit doppeltem enden bzw. allgemeiner mit einem doppelt geschriebenen Buchstaben für stimmhafte Plosive, also mit . Selbst unter den Ortsnamensschreibungen kommt eine solche wortfinale Doppelschreibung so gut wie nie vor (außer bei z. B. Brigg), aber möglicherweise erlauben Familiennamen dies. Damit ist ausgesagt, dass die folgende Beschränkung sicher für den Kernwortschatz gilt, möglicherweise sogar für den gesamten orthographischen Wortschatz. (14) Orthographische Beschränkung: zwei finale Buchstaben für stimmhafte Plosive Die wortfinale Schreibung zweier Buchstaben für stimmhafte Plosive ist ausgeschlossen. Geltungsbereich: Kernwortschatz Bei der Orthographiereform von 1996 wurden einige Fremdwörter in ihrer Schreibung angeglichen, um dem Prinzip der Morphemkonstanz stärkere Geltung zu verschaffen. Diese Angleichung hat genau dort halt gemacht, wo die
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Die Schreibung nicht-narrativer Einheiten in einer Schriftsystemtheorie
Beschränkung (14) berührt wird. Dabei wurde diese Beschränkung im Reformkontext aber nicht explizit diskutiert. (15) Angepasste Schärfungsschreibungen von Anglizismen (Duden 1996) alt a. Mop Tip b. Job Mob
neu
(Verb)
Mopp Tipp *Jobb *Mobb
(moppen) (tippen) (jobben) (mobben)
Damit verkleinert sich die Menge möglicher Schreibungen für ein Wort des Kernwortschatzes weiter: (16) Graphematischer Lösungsraum für die Lautung [] (Ausschnitt) 1.1 Teip 1.2 Teipp
Theip Theipp
Teihp Teihpp
2.1 Taip 2.2 Taipp
Thaip Thaipp
Taihp Taihpp
1.3 Teib 1.4 Teibb
Theib Theibb
Teihb Teihbb
2.3 Taib 2.4 Taibb
Thaib Thaibb
Taihb Taihbb
Auch die Fälle in der zweiten Zeile sind nur in Eigennamen möglich. Diese Daten sind dadurch charakterisiert, dass zwei gleiche Konsonantenbuchstaben nach einer Diphthongschreibung bzw. nach dem Buchstaben stehen. Dergleichen ist in Eigennamen möglich: (17) Namenschreibungen mit Doppelkonsonanzschreibung nach Diphthong oder Konsonant a. Kauppen, Eitting b. Schrempp, Württemberg Die diese Daten erfassende Beschränkung lässt sich folgendermaßen formulieren: (18) Orthographische Beschränkung: Konsonantenbuchstaben mit Nullkorrespondenz Die adjazente Schreibung von zwei Konsonantenbuchstaben, wobei dem hinteren eine Nullkorrespondenz zukommt, ist ausgeschlossen, wenn sie nicht einem einzelnen Vokalbuchstaben folgt. Geltungsbereich: Kernwortschatz Wenn das Wort mit der Lautung [] dem Kernwortschatz angehören soll, verbleiben damit noch maximal zwölf Schreibungsmöglichkeiten:
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(19) Graphematischer Lösungsraum für die Lautung [] (Ausschnitt) 1.1 Teip 1.2 Teipp 1.3 Teib
Theip Theipp Theib
Teihp Teihpp Teihb
2.1 Taip 2.2 Taipp 2.3 Taib
Thaip Thaipp Thaib
Taihp Taihpp Taihb
Die vier Fälle in der jeweils dritten Spalte der beiden Blöcke sehen für den Kernwortschatz ebenfalls ungewöhnlich aus. Hierzu ließe sich technisch leicht eine passende Beschränkung formulieren, doch angesichts von formal recht ähnlichen Schreibungen wie als Element der heimischen Wortschatzes überblicke ich nicht recht, welche Reichweite die fragliche Beschränkung haben muss, weshalb ich die Diskussion dieser Daten hier ausspare. Für die dann verbleibenden acht Schreibungsvarianten möchte ich überlegen, welche davon als Wortschreibung für Elemente des heimischen Wortschatzes in Frage kommen. Hierbei geht es natürlich um die Buchstabenfolge
, die ein typisches Kennzeichen für assimilierte Fremdwörter ist, aber dagegen nicht für den heimischen Wortschatz anzusetzen ist. Ein Fall wie ist auf dieser Basis folgendermaßen einzuschätzen: Entweder wird er der Klasse der heimischen Wörter zugeordnet. Dann ist seine Schreibung mit
unregelmäßig und könnte sinnvollerweise im Zuge einer Reform zu verändert werden. Oder er wird der Klasse der assimilierten Fremdwörter zugeordnet mit angemessener Schreibung. Dies ist sprachhistorisch untermauert, auch wenn der Fremdwörter-Duden (1994) dieses Datum nicht als Lemma führt. Neben
gibt es noch zahlreiche analog funktionierende Cluster aus Konsonantenbuchstabe plus ; lediglich die Verbindung aus und ist für den heimischen Wortschatz typisch. (20) Schreibungen mit Konsonantenbuchstabe plus mit Nullkorrespondenz Joghurt, Khaki, Rheuma, Theater, Whisky Damit gilt es, für heimische Schreibungen alle Verbindungen aus Konsonantenbuchstabe plus auszusortieren außer und . In diesen beiden Fällen errechnet sich das korrespondierende Phon nicht aus den Korrespondenzregeln der einzelnen Buchstaben, sondern sie müssen (wie ) als feste Buchstabenverbindungen angesehen werden. Damit lässt sich folgende Beschränkung formulieren, die die festen Buchstabenverbindungen nicht betrifft. Dass allerdings auch nicht im heimischen Wortschatz anzutreffen ist, wird dabei von dieser Beschränkung nicht erfasst, könnte aber leicht in einer weiteren Beschränkung nachgetragen werden.
Die Schreibung nicht-narrativer Einheiten in einer Schriftsystemtheorie
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(21) Orthographische Beschränkung: nach Konsonantenbuchstaben Die Schreibung des Buchstabens mit Nullkorrespondenz ist ausgeschlossen, wenn er einem Konsonantenbuchstaben folgt. Geltungsbereich: heimischer Wortschatz Für den heimischen Wortschatz verbleiben damit zumindest die vier Schreibungen , , und . Hierbei sind die Schreibungen mit sicher markiert gegenüber denen mit . Zwar sind beide Schreibungen möglich, aber die mit stellen (für Wörter des heimischen Wortschatzes) den Normalfall dar. Dies müsste in das Beschränkungsmodell aufgenommen werden, ist aber für die Frage der Fremdwortschreibungen irrelevant. Weiterhin ist von den gegebenen Fällen eine Schreibung mit finalem immer dann richtig, wenn es im Flexionsparadigma eine Form gibt, in der der korrespondierende Laut stimmhaft ist. Wenn z. B. der Plural des Worts die Teibe ist, ist die Schreibung mit finalem richtig, sonst eher die mit finalem
. Wenn es keine Flexionsformen gibt, sind beide Schreibungen möglich.
5.
Fazit
In diesem Text habe ich die Orthographie als ein System von Beschränkungen rekonstruiert, die für bestimmte Schichten des Wortschatzes spezifisch sind. Dabei zeichnet sich der heimische Wortschatz dadurch aus, dass für ihn die größte Anzahl an Beschränkungen gilt. Die Orthographie des Deutschen steckt damit den meisten Aufwand in den heimischen Bereich. Fremdwörter dürfen im Prinzip genauso aussehen wie heimische Wörter (vgl. Terme), sie dürfen aber, wenn es ihre Herkunftsschreibung nahelegt, auch fremder aussehen, das heißt bestimmte Beschränkungen nicht befolgen, eben jene, die ausschließlich für den heimischen Bereich gelten. Welche dies sind, habe ich in der vorgestellten illustrativen Analyse nur angedeutet. Um zu einem vollständigeren Bild zu kommen, sind weitere Analysen notwendig. Die Fremdheit der assimilierten Fremdwörter hat aber auch ihre Grenzen; es gibt andere Wortschatzbereiche, die noch weniger streng geregelt sind. Dabei fallen Wörter, die als irgendwie fremd zu klassifizieren sind, nicht nur in einen Wortschatzbereich, sondern verteilen sich auf verschiedene Ebenen, die ansatzweise genauer charakterisiert sind, wobei hier sicher weitere Präzisierungen vorzunehmen sind. Insbesondere die Grenze zwischen heimischen Eigennamen und assimilierten Fremdwörtern ist noch wenig erforscht. Für die Integration von Fremdwörtern sagt das Modell voraus, dass der Integrationsweg von außen nach innen gehen sollte mit dem Effekt, dass die
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Martin Neef
Schreibungen in Einklang mit den Beschränkungen gebracht werden, die für innere Wortschatzbereiche gelten. Ob die grundsätzliche Unterteilung in orthographischen Wortschatz vs. heimischen Wortschatz sinnvoll ist, bleibt durch weitere Untersuchungen zu prüfen. Auch wenn für den heimischen Wortschatz nach diesem Ansatz am meisten zu lernen ist, hat dies doch auch funktionale Vorteile, denn für ein heimisches Wort zu einer bestimmten Lautung gibt es gewöhnlich weniger mögliche Schreibungsalternativen als für ein Wort weiter am Rande des Wortschatzes. Das vorgestellte Orthographiemodell (im Sinne einer systematischen Orthographie) sagt nämlich nur voraus, dass ein assimiliertes Fremdwort mit der Lautung [] aus einer Menge von zwölf möglichen Schreibungen wählen darf. Die Analyse geht nicht so weit, dass die konventionell richtige Schreibung eindeutig vorhergesagt werden kann. Dies mag aus theoretischer Sicht unbefriedigend sein, scheint mir aber genau die Verhältnisse in einem natürlichen Schriftsystem widerzuspiegeln.
6.
Literatur
Bierwisch, Manfred (1972): “Schriftstruktur und Phonologie.” In: Probleme und Ergebnisse der Psychologie 43, 21–44 (wieder in: Ferenc Kiefer (ed.) (1975): Phonologie und Generative Grammatik, 11–51. Frankfurt: Athenaion). Chomsky, Noam & Morris Halle (1968): The Sound Pattern of English. New York: Harper & Row. Duden (1994): Das große Fremdwörterbuch. Mannheim etc.: Dudenverlag. – (211996). Rechtschreibung der deutschen Sprache. Mannheim etc.: Dudenverlag. Eisenberg, Peter (1998): Grundriss der deutschen Grammatik: Das Wort. Stuttgart, Weimar: Metzler. Falkenberg, Thomas (1996): Grammatiken als empirische axiomatische Theorien. Tübingen: Niemeyer (LA 346). Fuhrhop, Nanna (2005): Orthografie. Heidelberg: Winter (KEGLI 1). Kluge, Friedrich (231995): Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearbeitet von Elmar Seebold. Berlin/New York: de Gruyter. Neef, Martin (2005a): Die Graphematik des Deutschen. Tübingen: Niemeyer (LA 500). – (2005b): “Die phonologischen Einheiten des Deutschen aus der Sicht einer Autonomen Deklarativen Phonologie.” In: Linguistische Berichte 202, 207–249. Nerius, Dieter et al. (2007): Deutsche Orthographie. 4. Auflage. Hildesheim: Olms. Nunn, Anneke (1998): Dutch Orthography. A Systematic Investigation of the Spelling of Dutch Words. The Hague: Holland Academic Graphics. Sproat, Richard (2000): A Computational Theory of Writing Systems. Cambridge: Cambridge University Press (Studies in Natural Language Processing).
Die Schreibung nicht-narrativer Einheiten in einer Schriftsystemtheorie
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Voeste, Anja (2008): Orthographie und Innovation. Hildesheim etc.: Olms (Germanistische Linguistik Monographien 22). Wiese, Richard (1989): “Schrift und die Modularität der Grammatik.” In: Peter Eisenberg, Hartmut Günther (eds.): Schriftsystem und Orthographie, 321–339. Tübingen: Niemeyer (RGL 97). – (2004): “How to optimize orthography.” In: Martin Neef, Beatrice Primus (eds.): From Letter to Sound. Special Issue of Written Language and Literacy 7, 305–331.
Horst Haider Munske
o.k. [o'ke:] und k.o. [ka'o:] Zur lautlichen und graphischen Integration von Anglizismen im Deutschen
1.
Einführung
Der Umgang mit Entlehnungen aus dem Englischen hat zwei Seiten: teils werden Lautung, Schreibung, Flexion und Bedeutung eines Wortes übernommen, d. h. ins Deutsche transferiert (Transferenz genannt), teils werden sie dem Deutschen angepaßt, d. h. ins Deutsche integriert (Integration genannt). Die beiden Begriffe deuten die Richtung der Interferenz, d. h. des Sprachwandels durch Sprachkontakt, an. Entweder ist die deutsche Sprache betroffen, indem ihr durch Entlehnung etwas hinzugefügt wird, oder die entlehnten Wörter sind betroffen, indem sie Anpassungen an die aufnehmende deutsche Sprache erfahren. Was konkret transferiert oder integriert wird, ist etwas komplizierter, weil in den Bereichen Lautung, Schreibung, Flexion und Bedeutung unterschiedliche Wege eingeschlagen werden. So ist der Gebrauch eines englischen Wortes im Deutschen zunächst immer eine lexikalische Transferenz, in der Regel in nur einer Bedeutung. Das Ende des 19. Jh.s entlehnte Wort Streik (aus engl. strike) hat nur im Deutschen die Bedeutung ‘gewerkschaftlich organisierte Arbeitsniederlegung von Arbeitnehmern’. Mit der Sache wurde damals auch das Wort aus der englischen Arbeiterbewegung ins Deutsche übernommen.1 Andere ältere Bedeutungen von engl. strike wie ‘Schlag, Treffer, Angriff’ verbinden wir nicht mit Streik.2 Ausdrucksseitig läßt sich an diesem Wort vor allem zweierlei beobachten: die lineare Struktur von Lautung und Schreibung wurde aus dem Englischen übernommen, einzelne Laute und Schriftzeichen aber wurden dem Deutschen angepaßt, d. h. integriert. Vergleichen wir dazu engl. strike [strak] und dt. Streik [traik]! Anglisten und Englisch-Lerner wissen, daß das englische Phonem /r/ andere Varianten (Allophone) hat als das deutsche /r/. Vor allem fehlen im Englischen der im Deutschen meistverbreitete uvulare Vibrant [ʀ] bzw. der 1 2
Zur Entlehnungsgeschichte siehe Anglizismenwörterbuch: 1438. Eine neuere, noch in keinem Wörterbuch genannte Bedeutung von strike entstand an der Börse (‘Basispreis für das Ausüben einer Option’). Diesen Hinweis und zahlreiche andere Verbesserungsvorschlage danke ich Dr. Hubert Gburek, Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Erlangen-Nürnberg.
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Horst Haider Munske
Frikativ [ʁ]. Auch der Diphthong und der Verschlußlaut werden in beiden Sprachen leicht verschieden artikuliert. Dies ist an den Ausspracheangaben von deutschem Lehnwort und englischem Vorbild im Anglizismenwörterbuch abzulesen. Wir können hierzu verallgemeinernd feststellen: bei der Aufnahme eines englischen Lehnworts werden die englischen Allophone durch die deutschen Allophone des entsprechenden Phonems ersetzt. Da sich Deutsch und Englisch hinsichtlich des Phoneminventars sehr ähneln, beschränken sich die meisten lautlichen Integrationen auf diesen Bereich unterschiedlicher allophonischer Realisationen. Anders ist dies bei Phonemen des Englischen, die dem Deutschen fehlen: der Frikativ [] wird entweder transferiert wie in Thriller [rl] oder der fremde Laut wird durch einen nächst benachbarten deutschen ersetzt, z. B. durch [s] wie in [srl]. Im Fall von Streik [traik] liegt jedoch noch eine weitere, oft unterschätzte Form der Integration vor. Wie erklärt sich hier der Ersatz von anlautendem englischem [s] durch deutsches [], wo es doch das Phonem /s/ auch im Deutschen gibt? Der Grund liegt in den unterschiedlichen phonotaktischen Regeln beider Sprachen. Im vorliegenden Integrationsfall kommt die deutsche Regel zur Anwendung, nach der anlautend vor /t/ nur ein s-Laut möglich ist: [] wie in Stroh [:], Stall [tal], stoßen [:].3 Die Regel gilt im übrigen noch für weitere Anlautkombinationen, nämlich sp-, sm- sn-, sv-, sr- wie in Spiel, schmal, Schnee, Schwamm, schreiben. Nur im Fall von sp- und st- wird der Laut [] nicht als geschrieben, eine Eigenart deutscher Rechtschreibung, die wir hier nicht erörtern können (vgl. dazu Munske 2005:52f.). Soweit zur lautlichen Transferenz und Integration. Engl. strike, erstmals 1844 im Deutschen belegt, behielt zunächst seine englische Schreibung bei, so auch das Verb striken. Ab 1890 begegnet die integrierte Schreibung . Zweierlei weicht ab: die Großschreibung des Substantivs – dies ist eine regelhafte fast immer durchgeführte Form der Integration, welche die Wortart festlegt – und die Wiedergabe des inlautenden Diphthongs durch das entsprechende, am häufigsten gebrauchte Graphem . Dies nennen wir (etwas vereinfacht) ‘graphische Integration’,4 weil die Lautfolge nach den Regeln der aufnehmenden Sprache graphisch wiedergegeben wird. Damit wird die dem Englischen entsprechende Aussprache gesichert und vermieden, daß irrtümlich als [trikə] ausgesprochen wird. Wir werden sehen, daß solche Wiedergabe der transferierten Schreibung nach deutschen Regeln recht häufig 3 4
Nur die regionale norddeutsche Aussprache (niederdt. Substrat) kennt anlautend [st] und [sp]. In Munske (1983) wurde eine etwas aufwendigere Terminologie vorgeschlagen und auch von anderen Autoren, u. a. Volland (1986) und Inhult (2002), übernommen. Sie hat ihren Sinn, wenn es um die Systematik von Transferenzen und Integrationen geht, war aber für die vorliegende Übersicht entbehrlich.
Zur lautlichen und graphischen Integration von Anglizismen im Deutschen
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vorkommt. Parallelen solcher Integration finden sich in vielen europäischen Sprachen. Görlach (2001: 309) nennt z. B. für engl. folgende Äquivalente: norweg. , isländ. , poln. , kroat. , ungar. . Im vorliegenden Fall war die Gefahr einer ‘falschen’ Aussprache besonders groß, da die kombinatorische englische Ausspracheregel dem Deutschen (wie auch anderen Sprachen) fremd ist. Solche graphische Integration stellt jedoch bei deutschen Anglizismen eher eine Ausnahme dar, ganz im Gegensatz zu Entlehnungen aus dem Französischen. Mit dem Hinweis auf eine ‘falsche’ Aussprache haben wir bereits einen weiteren Integrationstyp erwähnt: die sog. ‘Leseaussprache’, für die ich früher auch den Terminus ‘grapho-phonemische Integration’ benutzt habe (Munske 1983, 1988). Dies läßt sich sehr schön am Beispiel des Lehnworts Jazz illustrieren, das heute allgemein als [ds] gesprochen wird, fachsprachlich (unter Kennern) aber noch immer [jats] heißt, wie auch das Verb jazzen [jatsən]. Diese Aussprache geht auf die schnelle Rezeption in der Nachkriegszeit, vielleicht aber schon in den 20er Jahren zurück (Erstbeleg 1926/29 AWB: 720). Der umgangsprachliche Name ‘Leseaussprache’ deutet an, daß ein entlehntes Wort gesprochen wird, wie man seine Buchstaben im Deutschen liest, d. h. nach den deutschen Laut-Buchstaben-Beziehungen (auch Graphem-PhonemKorrespondenzregeln genannt). Im Englischen heißt dies ‘spelling pronunciation’, wörtlich ‘Aussprache nach der Rechtschreibung’. Die Bezeichnung ‘graphisch-lautliche Integration’, die ich im folgenden benutze, soll im Wort sichtbar machen, daß hier eine lautliche Integration erfolgt, die aber auf dem Umweg über eine Interpretation der entlehnten Schreibung nach den orthographischen Regeln der Empfängersprache zustandekommt. Der Titel dieses Beitrags nimmt am Beispiel von o.k. und k.o. auf die beiden häufigsten Integrationsformen Bezug, die lautliche, [ '] zu [o'ke:] und die graphisch-lautliche (Leseaussprache), ['] zu [ka'o:]. Sie stehen auch deshalb im Vordergrund, weil sie ebenso beim Fremdsprachenlernen auftreten. Nur gelten Integrationen hier als Fehler, weil sie die Normen des Englischen verletzen. Weniger beachtet, aber nicht weniger wichtig sind die Tranzferenzerscheinungen. Wir hatten schon erwähnt, daß die Wortentlehnung in dieser Terminologie als ‘lexikalische Tranzferenz’ bezeichnet wird. Mit ihr werden aber, gleichsam huckepack, auch lautliche und graphemische Erscheinungen ins Deutsche transferiert, z. B. der Frikativ[], wenn wir das Wort Thriller als [rl] aussprechen oder der Dipththong [:] in Girl. In diesem Fall erhält das Zeichen den zusätzlichen Lautbezug [:], wodurch das Schreibsystem des Deutschen erweitert und kompliziert wird. Ziel der folgenden Untersuchung ist es, anhand der Belege des Anglizismenwörterbuchs die auffälligsten Typen der lautlichen und graphischen Tranzferenz und Integration von Anglizismen im Deutschen darzustellen und
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Horst Haider Munske
einen Eindruck von ihrer Entwicklung zu gewinnen. Deshalb sind in Klammern (nach Anglizismenwörterbuch, Stiven 1936 und Paul/Henne 2002) Angaben über die Erstbelegung aufgenommen. So läßt sich ein Profil der Anglizismen-Integration im Deutschen entwerfen. Wie verschieden diese in anderen europäischen Sprachen ist, zeigt das Dictionary of European Anglicisms von Manfred Görlach (2001). Bei dem Nebeneinander der beiden häufigsten Integrationsformen englischer Entlehnungen, der lautorientierten und der schriftorientierten, muß man sich vor Augen halten, daß uns heutzutage Entlehnungen in der Regel in doppelter Form zugänglich sind, in ihrer lautlichen und ihrer geschriebenen Form. Würden wir Anglizismen nur im mündlichen, im auditiven Sprachkontakt übernehmen, dann gäbe es nur lautliche Integrationen. Wir wissen das nicht nur aus früheren, sondern auch aus jüngsten Sprachkontakten, in denen die visuelle Kenntnis eines Lehnworts ausgeblendet ist, weil die betreffende Sprache andere, z. B. kyrillische, griechische, chinesische Schriftzeichen benutzt. Umgekehrt kommen Entlehnungen auch nur über den Schriftkontakt zustande. Bei mangelhafter Kenntnis des Englischen erfolgt dann leicht eine entsprechende Integration, so wenn Fußballfreunde in den 70er Jahren witzelnd reimten Berti Vogts und Heynckes Jupp holten den UEFA-CUP. Es besteht, das läßt sich schon jetzt verallgemeinernd vorausschicken, eine Korrespondenz zwischen Art und Umfang der Integration einerseits und der Verbreitung der betreffenden Fremdsprache in Wort und Schrift im Lande der aufnehmenden Sprache. Eine letzte Vorbemerkung ist über die Grundlagen dieser Auswertung zu machen. Ich beziehe mich bei allen Angaben auf das dreibändige Anglizismenwörterbuch (AWB), das dankenswerterweise sowohl die integrierte deutsche Aussprache und Schreibung, z. T. mit Varianten, und überdies nach Everyman's English Pronouncing Dictionary (1977, 1988) die englische Standardlautung (ohne Varianten) verzeichnet. Über die deutsche Aussprache wird in der Einleitung des AWB (80*f.) ausführlich berichtet. Den Verfassern ist dabei bewußt, daß eine feste Norm häufig noch nicht existiert. Sie haben in ihren Angaben “den Endpunkt eines phonetischen Integrationsprozesses abgebildet” (AWB: 81*), d. h. relativ weitgehende Integrationen, die mancher Kenner des Englischen zu vermeiden versucht. So wird die deutsche Aussprache von Baby als [be:bi] vermerkt, im Englischen als [beb]. Hier mag sich aber auch mancher Sprecher irren, der glaubt einen Diphthong zu produzieren und doch nur einen Langvokal erreicht.5 5
Das Thema dieses Beitrags ist erstmals von Fink (1980), später in einer Erlanger Zulassungsarbeit, (Zweier 1996), behandelt worden. Fink hat eine Gruppe von Paderborner Probanden 51 Anglizismen aus der Gemein- und Werbesprache vorgelegt und kommt zu dem Ergebnis, daß die wahren Quellen für die Aussprache von eng-
Zur lautlichen und graphischen Integration von Anglizismen im Deutschen
2.
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Lautliche und graphische Integration und Transferenz in englischen Entlehnungen
2.1. Lautliche Integration Die Integration einer gehörten Lautfolge durch einen Nicht-Muttersprachler stellt nichts anderes als eine unvollständige Imitation dar. Sind Quell- und Empfängersprache eng verwandt, so beschränken sich die meisten Verschiedenheiten auf den Allophonbereich, d. h. auf die sprachspezifischen Lautvarianten der Phoneme. Quellsprachige Allophone werden durch empfängersprachliche ersetzt. Diese phonetischen Integrationen betreffen fast jedes Lehnwort. So gleicht keine einzige phonetische Umschrift des deutschen Lehnworts im AWB der Umschrift des englischen Modells, die dort verzeichnet ist. Wir behandeln dies Thema hier nur kursorisch (2.1.1), da die kontrastive Phonetik nicht unser Thema ist. Nur in wenigen Fällen kommt es zu einer phonemischen Substitution, weil das englische Phonem kein Pendant im Deutschen hat (2.1.2), weil phonotaktische Regeln eine Integration erzwingen (2.1.3) oder weil das deutsche Lehnwort eine andere Betonung erhält, also prosodisch integriert wird (2.1.4). Die vier Fälle werden im folgenden durch Beispiele belegt.
2.1.1.
Phonetische Integration
Die kontrastive Phonetik vergleicht Artikulationsbasis, Inventar und FormantStruktur der jeweiligen Konsonanten und Vokale sowie prosodische Regeln zweier oder mehrerer Sprachen. Zumeist dienen solche Vergleiche dem Sprachunterricht, um die üblichen Übertragungen von einer Ausgangssprache (L1) auf eine Zielsprache (L2) sichtbar zu machen und Strategien ihrer Vermeidung zu entwickeln.6 Eben diese üblichen lautlichen Fehler sind die phonetischen Integrationserscheinungen im Lehnwortschatz. Beispielhaft seien hier nur die verschiedenen r-Allophone im Deutschen und Englischen, englisch clear l und dark l, die verschiedene Qualität von engl. [] und dt. [], von engl. [] und dt. [a], engl.[] und dt. [] usw. genannt. Hinzu kommt, daß auch –––––––—––
6
lisch-sprachigen Originalquellen (z. B. engl. Rundfunkanstalten in der Besatzungszeit) bis zu deutschsprachigen Quellen, z. B. Popsängern und Tennisprofis, stammen. Zweier hat die ersten beiden Bände des Anglizismen-Wörterbuchs ausgewertet und den konstrastiven Aspekt stärker betont. Die ersten Gesamtdarstellungen von Moulton (1962) und Burgschmidt/Götz (1974) sind bis heute unersetzt.
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die Lehnwörter den Sonderregeln landschaftlicher Aussprache des Deutschen unterworfen werden. Am besten erkennt man die übliche phonetische Integration, wenn sie unterbleibt, z. B. wenn ein Engländer deutsch spricht und dabei auf englische Lehnwörter stößt. Er wird sie unwillkürlich englisch aussprechen und damit die Integrationsnorm des Deutschen verletzen.
2.1.2.
Phonemische Integration
Ein Vergleich der Phoneminventare des Deutschen und Englischen zeigt auf beiden Seiten Lücken. Dem Deutschen fehlen im Konsonantismus bekanntlich die beiden interdentalen Frikative // und //, das stimmhafte // und die Affrikate //, im Vokalismus vor allem zahlreiche Diphthonge. Diese Phoneme werden zuweilen transferiert, meist aber durch ähnliche Phoneme des Deutschen substituiert. Nicht alle begegnen in Lehnwörtern. Ich bespreche hier nur die häufigsten Fälle von Phonemsubstitution: // zu /:/, // zu /:/, // zu // und // zu //. Das Anglizismenwörterbuch nennt bei den Diphthongen stets diese weitestgehende Integration, obwohl es – je nach Englischkompetenz des Sprechers – unterschiedliche Annäherungen an die beiden englischen Diphthonge gibt. Bei der englischen Affrikate /d/, die im Deutschen selten ist, werden stets beide Substitutionen, // zu // als Varianten genannt. (1)
// zu /:/: Approach, Bowling, Broker, Bungalow, Coach, Coca Cola, Code, Controller, Floating, homemade, Koks (s. u. 2.4), Mobil, Show, Petticoat, Poker, Toast.
(3)
// zu //: Manager ['] neben ['], ähnlich Engagement. Zu Image, College, Lounge s. unten (5). In Dschungel ['dʒə] wird die Affrikate durch die graphische Integration gestützt (s. u. 2.4).
(4)
// zu //: Champion, Chart, Check, Chip, Choke, Chopper, Clinch, Franchise, Lunch.7 Die Integration betrifft vorallem den Anlaut, wo /t/ dem Deutschen fehlt.
7
Bei Clinch und Lunch gelten auch im Englischen von jeher beide Aussprachen: [] und [], [ʌ] und [ʌ] (freundlicher Hinweis von Hubert Gburek).
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2.1.3.
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Phonotaktische Integration
Zwei charakteristische Erscheinungen des deutschen Lautsystems wirken sich nachhaltig auf die Integration aus, die Auslautsverhärtung der stimmhaften Obstruenten, d.h. der Verschlußlaute /b, d, g/ und der Frikative /v, z, /, und die Stellungsregeln für die Frikative /s/, // und /z/, konkret die Palatalisierung von anlautendem [] zu [] vor p und t sowie der Zwang zu anlautendem [z] vor Vokal wie in so [zo:], sieben [zi:bən] und intervokalisch wie in Hase [ha:zə]). Dazu Beispiele: (5)
Palatalisierung vor p und t: die Mehrzahl der Lehnwörter mit anlautendem sp- sind im AWB mit beiden Aussprachen [-] und [-] belegt : Spike [], [] (1934), Spleen (18. Jh.), Split, Spoiler, Sponsor, sportiv (1828), Spot, Spray (1904), Sprint (1890); bei etlichen Belegen wird nur die Aussprache [-] angegeben (z. B. Speech, Spacelab, Speed, Special, Spenzer, Spiritual), nur bei wenigen gilt allein integriertes []: Sparring, Sprinkler(anlage) (1929), Spurt. Ähnlich ist das Bild bei Entlehnungen mit anlautendem st-. Bei der Mehrheit der Belege und ihren Ableitungen werden beide Aussprachen, [] und [] angegeben: Stampede, Star (1909), Starlet, Starfighter, Start (1971), Statement, Steak (1871), Steamer (1830), Step (1929), wenige haben nur [] wie Stagflation, Straps, Streik (1865), einige nur [] wie Standby, stone-washed, Straddle, Streetworker, Stretch.
(7)
Tranzferenz des anlautenden engl. [s] oder Integration zu [z]: Meist bleibt, auch in häufigen Wörtern wie (Baby)sitter, Sandwich, Server, Set, Sex, Single, soft, Song, sorry, Sound stl. [s] erhalten, nur selten erfolgt Integration zu [z] wie in Safari, Sensor, Sulky, Leasing, Nonsens. Beide Varianten werden z. B. bei surfen genannt: [':ə] bzw. [':ə]. In einem Fall gibt es sogar ein Minimalpaar: Sex /sks/ vs. sechs //.
Fazit: Die phonotaktischen Auslautsregeln des Deutschen in (5) werden strikter auf Entlehnungen angewandt als die Anlautsregeln in (6) und (7). Hier konkurieren häufiger integrierende und transferierende Variante. Das Alter der Entlehnungen (in Klammern genannt) spielt dabei keine entscheidende Rolle.
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2.1.4.
Prosodische Integration
Englische Entlehnungen fügen sich prosodisch, wegen der Sprachverwandtschaft, relativ leicht ins Deutsche ein. Nur englische Latininismen sind, vor allem wegen des abweichenden deutschen Fremdwortakzents, einer durchgreifenden prosodischen Integration ausgesetzt, wie z. B. Modem, engl. ['], dt. [':, ':], Modul engl. ['], dt. [':], Deodorant engl. [di:'ədərənt] , dt. [']. Dieser Wechsel von Hauptund Nebentonakzent wirkt sich natürlich auf Quantität und Qualität der Vokale aus.
2.2. Graphisch-lautliche Integration (Leseaussprache) Alle Vokalzeichen und einige Konsonantenzeichen in englischen Entlehnungen sind der Leseaussprache ausgesetzt, d. h. sie werden nicht nach den LautBuchstaben-Beziehungen des Englischen, sondern denen des Deutschen ausgesprochen. Dadurch erhalten die betreffenden Entlehnungen eine andere, oft völlig verschiedene Lautung. Ich vermerke im folgenden für jeweils ein Segment die deutsche und die englische Aussprache. (8)
: deutsch [a], engl. [, nebentonig ] brandneu, Grafitti, Hacker [a] oder [ɛ], Hamburger [a] oder [ɛ], Jacuzzi, Jazz [a] oder [ɛ] (1926), jazzen, Kantersieg (1871), k.o. [ka'o:], engl. [ke'ə], Plattform, Hacker, Tank (1920), Tram (1909). Hierzu gehören auch die entlehnten Rufnamen Harry und Fanny. Hinzu kommen Entlehnungen, die im Deutschen als Latinismen erkannt und entsprechend mit [a] ausgesprochen werden wie Adapter, Additiv, AfroLook, Album, Ambulanz, Aquaplaning engl. ['], Astronaut, Betablocker engl. [bi:tə-], Compakt-Disc, Deodorant engl. [di'ədərənt], Expander, Paragliding, Professional [':], auch [ə'fə], Safari, via (engl.['ə]), Vitamin.
Im Amerikanischen ohne j, “einer der berühmten systematischen Unterschiede zwischen brit. und am. Englisch” (Hinweis von Herbert Gburek)
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(10) : deutsch [],[:], engl. [ə], [ə] Deodorant engl.[di'ədərənt], Hormon, engl. hormone [':ə], Klon, k.o. engl. ['ə], Ko-Autor, Kondom engl. condom ['ɒə], Logo, Modem engl. ['ə], Nobody, open-, Overal. Hinzu kommen Latinismen auf kon-, kom- u. a. (deutsch [], engl. [ə]) wie Computer, Kompiler, Monopoly, Motocross, Professional, Rotary. (11) : deutsch [], engl. [] HiFi ['] oder ['], engl. [ '], ['], via (engl.[]). (12) : deutsch [], engl. [] Essential ['()əl] engl. ['], Report(er), Recorder, Reaktor, Rezession; die meisten Entlehnungen auf re- wie Recycling, Receiver folgen der engl. Lautung. (13) : deutsch [e:], engl. [] Steak (1909), Break (19. Jh.) (14) :deutsch [], engl. [] Jacuzzi, Jockey [] oder [] (1913), Jumbo, jumpen [ə] oder [ə], Jumper [] oder [] (1929), Windjammer engl. [ə] (ein hübsches Zitat in AWB: 1721f. erläutert die englische Zusammensetzung aus wind und to jam ‘pressen’). (15) :deutsch [ts], [z], engl. [z] zappen [], [], [], Zapping, Zip [], [], Zoom [:], [:], zoomen, Zombie [],[] (16) : deutsch [r], [ʀ],[] , engl. stumm Orbit [:], engl. [:], parken, Report(er), Sensor [':], engl. [ə] u. a. (Die Leseaussprache tritt hier etwas verborgen auf, das erscheint in der vokalisierten Variante nach Vokal.) Diese Liste ist nicht vollständig, zeigt aber die wichtigsten Tendenzen an. Häufig sind beide Integrationsvarianten, die lautliche und die schriftbezogene, belegt. Leseaussprache zeigen viele ältere Entlehnungen. Die Tendenz zielt heute auf Vermeidung von Leseaussprache. Der feine Mann sagt [], nicht [], wenn er seinen Fernseher bedient. Dies hängt sicher auch mit der weiteren Verbreitung des Englischen zusammen. Was im Fremdsprachunterricht als falsch gilt, wird nicht als Integration ins Deutsche zugelassen. Insofern geraten hier zwei Normen, der Fremdsprache und der Muttersprache, in Konflikt. Einen Sonderfall bilden die Initialwörter englischer Herkunft wie UNO, NATO, USA, VSPO. Sie werden fast immer nach den Regeln entsprechender deutscher Bildungen ausgesprochen, d. h. buchstabenweise mit dem deutschen
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Buchstabennamen wie VDS [o:'] – das gilt z. B. für BMX, CD, HFTV, LP, OECD, UHF, UN, US-, VSOP – oder phonetisch gebunden wie TÜV [] – für AWACS, CD-ROM, NASA, NATO, OPEC, RAM, ROM, UFO, UEFA, UNCTAD, UNESCO, UNO u.v.a. Neuerdings ist bei einigen auch die englische Aussprache üblich, wie z. B. PR [:'a:] neben [:'], VIP [:':] neben [], IBM [:'] neben [::'], nur originalnah wird die amerikanische Nachrichtenagentur ausgesprochen: UPI [::').
2.3. Graphische Integration Mit diesem Terminus erfassen wir alle Änderungen in der Schreibung des Lehnworts, im Vergleich mit dem englischen Modell. Man kann es auch orthographische Anpassung oder orthographische Eindeutschung nennen. Hier können wir (ähnlich wie im Lautbereich) zwischen zwei Arten von Integration unterscheiden: die eine betrifft einzelne Segmente, z. B. beim Wort streiken aus engl. strike die Schreibung des Diphthongs. Daneben gibt es in beiden Sprachen Regeln, die die Schreibung in bestimmten Positionen bestimmen. Dazu gehört im Deutschen die Großschreibung der Substantive und substantivierten Wörter, die Schreibung von Komposita, die in beiden Sprachen unterschiedlich geregelt ist (Zusammenschreibung, Getrenntschreibung, Bindestrichschreibung) und die Schreibung von Doppelkonsonanten nach Kurzvokal (Stopp) bzw. (in der bisherigen Orthographie) von ß statt ss im Auslaut. Die Substantiv-Großschreibung der Lehnwörter bedarf keiner näheren Erörterung, weil sie obligatorisch gilt. Groß- und Kleinschreibung dienen in der deutschen Rechtschreibung der Signalisierung der Wortart (s. Munske 2005: 73ff.). Auch für deutsche Komposita gibt es zwingende Regeln: Zusammenschreibung oder Bindestrichschreibung. Im Englischen gibt es zahlreiche Komposita, deren Konstituenten getrennt geschrieben werden. Man vergleiche engl. happy ending und deutsch Happy-End, engl. desktop publishing und deutsch Desktop-Publishing. (Die sog. Rechtschreibreform hat sich auch dieses Problems angenommen und zunächst ganz unnötigerweise zahlreiche Mammutwörter produziert, wie z. B. Desktoppublishing, von denen später wieder Abstand genommen wurde.) Die Neuregelung der Rechtsschreibung hat lediglich Stopp, Splitt und Tipp früher Stop (1929), Split und Tip (1915) - durchgesetzt, dagegen ist in Flip, Flop, Strip, Spot u. a. die englische Schreibung mit einfachem p bzw. t erhalten geblieben. Das AWB verzeichnet noch zahlreiche Wörter mit auslautendem ß entsprechend den bisherigen Regeln (Boß, Dreß, Fairneß, Hosteß, Miß). Die aktuellen Rechtschreibwörterbücher haben hier alle ß durch ss ersetzt.
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Bei den Graphemen gibt es seit Beginn des intensiven englisch-deutschen Sprachkontakts im 18. Jh. zahlreiche Integrationen vom Typ Streik < strike, die jedoch nur gelegentlich, niemals systematisch durchgeführt sind. Darin unterscheidet sich die Behandlung von Anglizismen grundlegend von der der Gallizismen, die viel häufiger eine graphische Integration erfahren haben (z. B. Bluse/blouse, Perücke/perruque, Plüsch/peluche, Möbel/ meuble usw.).9 Das AWB enthält relativ wenige Beispiele, weil hier im wesentlichen nur Material seit 1945 aufgenommen wurde. Die Fremdwörterbücher des 19. und 20. Jh.s belegen viele weitere Fälle, die weitestgehend in der ertragreichen Dissertation von Stiven (1936) genannt sind. Diese sind hier aufgenommen. Angaben zur Erstbelegung sind Paul/Henne (2002) entnommen. (17) Dt. aus engl. , , : Dt. aus engl. : fesch (1830) < engl. fashionable, Schal (18. Jh.) < engl. shawl, schamponieren (19. Jh.) < engl. shampoo, Schelf (1929) < engl. shelf, Scherbet (19. Jh.) < sherbet; engl. zu dt. : Punsch (1658) < engl. punch, Scheck (1830) < engl. check; engl. anlautend , zu dt. , : Schnappschuß (1910) < engl. snapshot, Schrappnell (1804) < engl. srapnel. (18) Dt. aus engl. : Konzern < engl. concern, Rezession < engl. recession, Spenzer (um 1800) < engl. spencer, Zelluloid (1870) < engl. celluloid. (19) Dt. aus engl. : Kabine (1618) < engl. cabin, Keks (1929) < engl. cakes, Klon < engl. clone, Kondition (1909) < engl. condition, Koks (um 1800) < engl. cokes, Kosmetik < engl. cosmetics, kraulen < engl. crawl, Kreditkarte < engl. credit card (oder Lehnübsersetzung mit Kredit und Karte), Kybernetik < engl. cybernetics [n]. (20) Dt. aus engl. : Dschungel (1838) < engl. jungle. (21) Dt. aus engl. : Streik, streiken (1810) < engl. strike. (22) Dt. aus engl. : Bumerang (1866) < engl. boomerang, Känguruh (1770) < engl. kangaroo. (23) Dt. aus engl. : kraulen (1934) < engl. crawl [kr:l] Selten sind Fälle, in denen einer phonemischen Integration auch eine graphische folgt. Neben Keks [ke:ks] aus engl. cakes [kks] sowie Koks [ko:ks] aus 9
Vgl. dazu erschöpfend Volland (1996). Sehr nützlich ist das Wortregister S. 190211, das jeweils die französische und deutsche Schreibung und Aussprache aller behandelten Lehnwörter dokumentiert.
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Horst Haider Munske
engl. [kəks] (s. o. 2.1.2) wird im AWB an/ab-törnen [t:nə] aus engl. turn on/off [:], bei Stiven (1936) ein heute wieder durch Curry ersetztes Körry ['kri] aus engl. curry ['] genannt. Diese repräsentativen, aber nicht vollständigen Belege lassen sich wie folgt kommentieren: (a) Fast alle Beispiele stammen aus der Frühphase des deutsch-englischen Sprachkontakts im 18. und 19. Jh., als Englisch nur einer Minderheit der Deutschen als Fremdsprache vertraut war. Seit den 50er Jahren des 20. Jh.s hat es kaum noch graphematische Substitutionen englischer Grapheme gegeben. Einige ältere ‘Eindeutschungen’ wurden rückgängig gemacht. (b) Der häufigste Fall, die Integration zu beseitigt eine charakteristische englische Graphie () und ersetzt sie durch eine charakteristisch deutsche. Neuere Entlehnungen bewahren jedoch wie in Shop, shoppen, Shorts. (c) Die Substitution von durch bzw. folgt der entsprechenden ambivalenten Integration lateinischer und französischer Entlehnungen.
2.4. Lautliche Transferenz Es geht hier um die Frage, in welchem Umfang die Spezifik der englischen Lautung, d. h. der Allophone, des Phoneminventars, phonotaktischer und prosodischer Regeln mit der Entlehnung übernommen, d. h. nicht durch Integration substituiert wurde. Dies ist das Gegenstück zur Integration und gibt wesentlichen Aufschluß über den Charakter des Sprachkontakts. Wie bereits in den Kapiteln zur Integration erwähnt, gibt es wenige Transferenzen im Lautbereich, die sich als Erweiterungen oder Ergänzungen des deutschen Lautsystems charakterisieren lassen. Zu nennen sind hier jedoch einige englische Phoneme, die nicht immer substituiert, d. h. integriert werden: Engl. // in Jackpot, Jazz, Jeans, Jeep, Jet-Lag, Job, Jockey, joggen, Joint, Dow-Jones-Index, Joystick, Juice, (Bungee)-Jumping, Junkie; Gentleman, Gin, Manager. Auslautend wird diese stimmhafte Affrikate meist der deutschen Auslautverhärtung unterworfen und zu // integriert (s. o. 2.1.3). In der Wortfamilie Manager ist // teils erhalten, teils substituiert. Engl. // bzw. // z. B. in Thriller, on the rocks wird wohl nur von sehr sprachbewußten Deutschen ‘richtig’ ausgesprochen. In Fällen wie Synthesizer ['] erfolgt Integration nach dem Vorbild deutscher Fremdwörter mit
. Im Vokalismus findet durch englische Lehnwörter eine Ergänzung um die ungespannten Langvokale /:/ und /:/ statt, z. B. in Shorts [:], Board, Brainstorming, Callgirl, Fallout bzw. Girl [:], engl. [:l], Birdie, Cur-
Zur lautlichen und graphischen Integration von Anglizismen im Deutschen
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ling, Cursor. Dies erfolgt problemlos, da // und // als Kurzvokal bereits vorhanden sind und lediglich eine symmetrische Erweiterung im System der Langvokale erfolgt (s. Munske 1988: 56, auch Munske 1997: 109ff.). Deshalb kann man ihnen Phonem-Status zuweisen, auch wenn es keine Minimalpaare gibt. Komplizierter ist die Transferenz phonotaktischer Regeln nachzuweisen. Ich nenne hier nur einen eindeutigen Fall: die Aufnahme von anlautendem [s] vor Vokal wie in Sex (gegenüber sechs). Neben den oben (2.1.3) angeführten Fällen sind auch solche mit der Graphie anzuführen wie Center, Cinemascope, Circuit-Training, City, Dancing.
2.5. Graphische Transferenz Werden englische Wörter in ihrer originalen Schreibform ins Deutsche aufgenommen, so kann das entweder dazu führen, daß sie entsprechend den deutschen Laut-Buchstaben-Beziehungen gedeutet werden, dann wird das engl. in club als /a/ wiedergegeben, aus dem engl. [] wird ein deutscher []. Dies haben wir oben als ‘Leseaussprache’ bzw. graphisch-lautliche Integration beschrieben. Die Schreibung bleibt, die Lautung wird entsprechend indigenen Regeln abgewandelt. Wenn diese Form der Integration nicht erfolgt, also die Lautung und Schreibung der Quellsprache (im wesentlichen) beibehalten werden, hat dies Folgen für das Schreibsystem der Empfängersprache. Denn neben die indigene Regel (wie z. B. im Wort Bus) tritt jetzt die Regel wie in Cup. Das deutsche Schreibsystem erfährt eine Erweiterung und Komplizierung. Denn dieses Schreibsystem leitet sich ab aus den Schreibungen der im Deutschen gebräuchlichen Wörter, natürlich auch der Fremdwörter. So haben bereits die unzähligen Latinismen im Deutschen das Schreibsystem um folgende besonders häufige Laut-Buchstaben-Beziehungen erweitert: (z. B. in System, Physik, Symbol), (z. B. in privat, Universität, Revolution), (z. B. in Philosoph, Photo, Katastophe), (z. B. in Theater, Thema, Apotheke). Auch die Anglizismen haben zu ähnlichen Erweiterungen geführt. Da das englische Schreibsystem selbst recht kompliziert ist, teils weil es ein spätmittelalterliches Stadium des englischen Lautsystems (vor dem Great Vowel Shift) repräsentiert, teils weil es durch lateinische und französische Entlehnungen mitgeprägt ist, sind auch die graphischen Transferenzen, die die Anglizismen mit sich bringen, recht kompliziert. Ich führe im folgenden die häufigsten mit einigen Beispielen an.
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(24) Entlehnte Vokalgrapheme in Anglizismen (Baby), (Fan, Camping, Happy-End), 20.1, z'=z+0.22(z-20.1) – from Traunmüller (1988, 1990). There is no doubt that factoring in F3 and length, and weighting F1 and F2 differently will increase the accuracy of the model. The “short cuts” taken here are only for simplicity's sake and despite them, the model's predictions are quite accurate.
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Multiple Sources of Hebrew Vowels in English Loanwords
5.2. Constraints in a perception grammar The constraints are specified in terms of jnd distances. The incoming token's auditory properties are compared to all the possible outputs (i. e. the 5 Hebrew vowels). The tokens least similar (i. e. with the largest jnd distances) to the incoming token are eliminated one by one, until a single candidate remains. This candidate is the most harmonic, optimal candidate. The mean vowel formant values for all the vowels were taken from Most et al. (2000) for Hebrew, from Hillenbrand et al. (1995) for AE and from Deterding (1997) for UKE. How are the constraints formulated? A reference point is chosen and the jnd value for each vowel formant of each vowel is calculated with respect to these reference points.5 (5)
Reference points a. F1: the jnd equivalent to 282 hertz was set at 0. This is two standard deviations lower than the mean F1 of [i], the vowel with the lowest F1 in Hebrew. b. F2: the jnd equivalent to 734 hertz was set at 0. This is two standard deviations lower than the mean F2 of [o], the vowel with the lowest F2 in Hebrew.
The jnd values for each vowel formant are calculated (see §5.1) with respect to the points in (5). In (6), I present the values for the Hebrew vowels. (6)
Hebrew (mean) vowel jnd values
Vowel
F1(hz)
F2(hz)
jnd(F1)
jnd(F2)
[i]
342
2068
2.04
21.53
[e] [a]
455 626
1662 1182
5.60 10.39
16.66 9.27
[o] [u]
478 359
944 979
6.28 2.59
4.70 5.42
A sample of constraint formulation is provided in (7), with reference to the categorisation of an incoming AE [i].
5
The reference point chosen is irrelevant, provided it is fixed, since the jnd differences are stated in terms of deviations from a certain reference point. The reference points chosen here were extreme points in order to ensure that all Δjnds would be bigger than or equal to 0.
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Evan-Gary Cohen
(7)
Sample constraint formulation a. Input: AE [i]: F1=342, F2=2322; jnd(F1)=2.04, jnd(F2)=24.11 b. The values in (a) are evaluated with respect to the jnd values of each Hebrew vowel (i. e. each possible output). For example, for Hebrew [o], jnd(F1)=6.28 and jnd(F2)=4.70. c. Δjnd(F1)=6.28-2.04=4.24; Δjnd(F2)=24.11-4.70=19.41 d. The procedure is repeated for all 5 Hebrew vowels, resulting in 10 constraints, ranked in descending order according to their Δjnd values.
In such a way, the perception of auditory events (both native and non-native) is measurable and quantifiable, and perception-based adaptation patterns of L2 into L1 can thus be predicted. Of course, specific vowel distributions determine the classification output. Languages with different vowel distributions (i. e. different jnd values for their vowels) have different adaptation patterns, even if the number of categories is the same. For example, Cohen/Escudero (in progress) show that Hebrew and Spanish speakers perceive identical events differently, although both languages have a five-vowel phonemic system, /ieaou/. The different perception is due to the differences between the Hebrew and the Spanish systems, as the vowels are not identical.
6.
Fixed ranking: Sample tableaux
In this section, I present sample rankings and predictions for AE [] (in (8)) and UKE [] (in (9)). Additional sample tableaux are provided in Cohen et al. (in progress). (8)
AE [] – jnd(F1)=9.38, jnd(F2)=20.24
Δjnd
F2*o F2*u F2*a F1*i 15.54 14.82 10.97 7.35
i
*!
) e a o u
F1*u 6.79
F1*e 3.79
F2*e 3.59
F1*o 3.10
F2*i 1.29
F1*a 1.01
* *
*
*!
*
*!
* *!
*
In (8), the worst possible match for AE [] is Hebrew [o], as the Δjnd(F2) is the largest of all. Therefore, Hebrew [o] is the first candidate eliminated, followed by [u], [a] and [i]. The only remaining possible candidate is Hebrew [e],
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Multiple Sources of Hebrew Vowels in English Loanwords
the most harmonic and optimal candidate. Note that although the best match to AE [] is the F1 of Hebrew [a] (i. e. the lowest Δjnd), this candidate is eliminated because of a poor F2 match. (9) Δjnd
In (9), the result is different from (8) due to the different values of the UKE and AE vowels and Hebrew [a] is the best possible candidate. The model's predictions are, in fact, borne out by the data. Older loanwords in Hebrew borrowed from British English, ordinarily adapt English [] as Hebrew [a] (e.g. [] l []), while newer loanwords borrowed from American English prefer Hebrew [e] (e.g. [] l []). However, such a model would always give a specific output for every input, something which the corpus and experimental data do not support. In order to get the attested variable outputs, a fixed ranking of the constraints is not likely.
7.
A stochastic evaluation of auditory tokens
In order to get variable outputs, the constraints have to be ranked stochastically. The distribution of the outputs was generated by presenting 100,000 tokens of each auditory input to a simulated perception grammar with distancebased constraints and constraint ranking. The evaluation noise was set to 2.0 (similarly to Boersma 1998, and in subsequent studies Escudero and Boersma 2003, Escudero and Boersma 2004). The evaluation noise determines the extent to which constraints may overlap (Boersma and Hayes 2001). The lower the evaluation noise setting is, the less overlap there is, and the less “fuzzy” the ranking is. An evaluation noise of 0 would, essentially, produce a fixed ranking. I compare the outputs of the stochastic perception grammar for the vowels in §6 to the corpus and the experiments in §3. Recall, the corpus has loanwords
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Evan-Gary Cohen
with both AE and UKE origins (inseparable) and the discrimination experiment used UKE tokens. The categorisation experiment checked both AE and UKE tokens separately. Additional outputs for the stochastic grammar can be found in Cohen et al. (in progress). The following (10) presents a comparison among the predictions of the adaptation patterns according to the Hebrew stochastic model (the distributions given in percentages), the actual adaptation patterns in the corpus, the discrimination patterns from the Same-Different experiment (§3) and the categorisation patterns of synthetic tokens from the experiment (§3). (10) Stochastic evaluation of English vowels a. AE [] Hebrew model (%) /i/ 16.7
/e/ 82.8
/a/ 0.5
Corpus /o/ 0.0
/u/ 0.0
/o/ 1.2
/u/ 0.5
Same-Different
Categorisation
/a/=50.6% []~[] 90% /e/=49.4%
/e/=99% /i/=0.5% /a/=0.5%
Corpus
Categorisation
b. UKE [] Hebrew model (%) /i/ 1.5
/e/ 40.6
/a/ 56.2
Same-Different
/a/=50.6% []~[] 90% /e/=49.4%
/a/=79.5% /e/=18% /o/=2.5%
Despite the “similarity” between the two vowels, the AE [] in (10a) is predicted to be adapted as Hebrew [e] in 82.8% of the cases, while the UKE [] in (10b) is predicted to be adapted as Hebrew [e] in 40.6% of the cases, and as Hebrew [a] in 56.2 % of the cases. My corpus supports this prediction, with approximately half the English [] adapting as Hebrew [e] and half as Hebrew [a]. The Same-Different experiment shows Hebrew listeners easily differentiate between UKE [] and UKE [] in over 90% of the cases. Since both adapt differently in Hebrew, this is to be expected. Best et al. (2001) present a model which predicts that foreign tokens which adapt to different categories are differentiated more easily than foreign tokens which adapt to the same category. This prediction is supported by the results of the categorisation experiment. 6 Note, although the model predicts the general tendency displayed in the categorisation experiment, the percentages are not identical. This can be attributed 6
It is predicted that Hebrew listeners would confuse AE [] and AE [] more often as both are adapted as Hebrew [e]. Though no experiments have been conducted with this question in mind, the author's intuitions based on preliminary observations are that this is, in fact, the case.
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to several factors, such as the importance of other physical aspects (length, F3) or the size of the sample (100,000 iterations for the model's predictions vs. 280 tokens in the experiment).
8.
Summary and conclusions
“Real” data (i.e. actual loanwords), while patterning similarly to the model's predictions, nonetheless show differences which cannot be accounted for by merely appealing to additional physical aspects of vowels. The difference between real-life vowel adaptation and experimental data is that the former is affected by multiple input sources in addition to perception (§2). Orthography and convention, various sociolinguistic practices, language specific phonological processes, language universals and more can all be shown to have an effect on segment selection in adaptation. Nevertheless, the model presented in §5 and demonstrated in §6 and §7 accurately accounts for listeners' perception and adaptation patterns, as seen in various kinds of experimental data. Any differences can be accounted for by appealing to additional physical aspects of vowels, such as length or F3, or the extent of the experiments conducted. The predictive power of the model can be enhanced by factoring in these additional physical attributes for each vowel.
9.
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Marcus Callies, Eva Ogiermann und Konrad Szcześniak
Genusschwankung bei der Integration von englischen Lehnwörtern im Deutschen und Polnischen
1.
Einleitung
Die Verwendung von Anglizismen in Sprachen, die über die grammatische Kategorie des Genus verfügen, setzt voraus, dass den entlehnten Wörtern ein Genus zugewiesen wird. Bei der Genuszuweisung greifen Sprecher der entlehnenden Sprache unter anderem auf die Kriterien der eigenen Muttersprache zurück. Hinzu kommen eine Reihe von lehnwortspezifischen Zuweisungsregeln (vgl. hierzu Corbett 1991: 75–82). Da Genuszuweisung das Ergebnis der Interaktion verschiedener Kriterien ist, die meist unbewusst angewendet werden, kann man gerade bei neueren Anglizismen beobachten, dass sie mit mehreren Genera auftreten können, wie z. B. der/die/das Badge (‘Anstecker’, ‘Abzeichen’). Diese Variation in der Genuszuweisung bei der Integration von Lehnwörtern wird mit dem Terminus “Genusschwankung” bezeichnet (im Englischen “gender variation”, “gender vacillation” oder “gender wavering”). Der massive Einfluss des Englischen ermöglicht es, Integrationsprozesse bei Anglizismen in verschiedenen europäischen Sprachen genauer zu betrachten. Gerade die Untersuchung von Sprachen mit unterschiedlichen Genuszuweisungsregeln kann entscheidende Erkenntnisse über den Prozess der Genuszuweisung und das Phänomen der Genusschwankung liefern (vgl. SchulteBeckhausen 2002: 234). Während im Polnischen die Genuszuweisung fast ausschließlich auf der Grundlage von morphonologischen Kriterien erfolgt, gibt es im Deutschen eine Reihe von formalen und semantischen Faktoren, die genusdeterminierend wirken. Das eingangs erwähnte Phänomen der Genusschwankung bei Anglizismen im Deutschen ist bislang nicht umfassend untersucht worden, für Anglizismen im Polnischen fast überhaupt nicht erforscht. Die vorliegende Arbeit untersucht Genusschwankung bei der Integration von englischen Lehnwörtern im Deutschen und Polnischen. Es soll der Frage nachgegangen werden, welche Ursachen zu Genusschwankung führen, welche Faktoren sie begünstigen bzw. ihr Auftreten eher unwahrscheinlich machen. Besonders interessant sind hierbei eventuell auftretende Unterschiede zwischen dem Deutschen und Polnischen. Ferner wird untersucht, inwieweit die für das Deutsche vorgeschlagenen Erklärungsmuster auf Genusschwankung im Polnischen anwendbar sind und welche Rolle die Genuszuweisungsregeln in der jeweiligen Nehmersprache für das Ausmaß von Genusschwankung spielen.
66
2.
Marcus Callies, Eva Ogiermann und Konrad Szcześniak
Genuszuweisung im Deutschen und Polnischen
Das Genussystem des Englischen unterscheidet zwischen einem persönlichen und einem unpersönlichen Genus (Corbett 1991: 12), das an genusspezifischen Pronomina markiert wird. Die Genuszuweisung erfolgt anhand von semantischen Kriterien, insbesondere anhand von natürlichem Geschlecht. Da beim unpersönlichen Genus bis auf wenige Ausnahmen keine Genusunterscheidung erfolgt, kann bei Anglizismen das Genus nicht mit entlehnt werden. Bei der Genuszuweisung werden folglich überwiegend die Genuszuweisungsregeln der entlehnenden Sprache herangezogen (Corbett 1991: 74).
2.1. Genuszuweisung im Deutschen Das Deutsche verfügt über ein komplexes Genusklassifikationssystem. Die Genuszuweisung wird von einer Reihe konkurrierender phonologischer, morphologischer und semantischer Kriterien bestimmt (Corbett 1991: 49). Unter den semantischen Regeln stellt das natürliche Geschlecht sicherlich die robusteste Kategorie dar, während das Leitwortprinzip oder die Zugehörigkeit zu einem semantischen Feld lediglich Tendenzregeln darstellen. Die semantischen Felder weisen Substantiven aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu diesen Feldern ein bestimmtes Genus zu. Nach dieser Regel erhalten z. B. Wochentage (der Montag, der Freitag), alkoholische Getränke (der Wein, der Wodka) oder Gewürze (der Pfeffer, der Kümmel) das männliche und Bäume (die Kiefer, die Birke), Blumen (die Rose, die Tulpe) und Flüsse (die Mosel, die Donau) das weibliche Geschlecht, während Farben (das Rot, das Blau), Städtenamen (das katholische Münster) und Sprachen (das Englische, das Polnische) zum Neutrum tendieren. Beim Leitwortprinzip hingegen übernehmen verschiedene Hyponyme das Genus des Hyperonyms. Somit ist z. B. nicht nur der Wagen maskulin, sondern auch der Honda, der Mercedes und der Twingo. Insbesondere bei Markennamen bietet das Leitwortprinzip eine recht zuverlässige Genuszuweisungsregel. Allerdings wird zu Recht darauf hingewiesen, dass Gruppenanalogie und Genuszuweisung nach dem Leitwortprinzip häufig kaum voneinander zu trennen und dass möglicherweise “formale Kriterien mit größerer Reichweite, unabhängig von der Semantik, eine bestimmte Genuszuordnung favorisieren” (Scherer 2000: 19). Im Deutschen kann selbst das natürliche Geschlecht von formalen, d. h. phonologischen und morphologischen, Genuszuweisungskriterien übertroffen werden, insbesondere bei der Bildung des Diminutivs. Die dem Diminutivum zugrunde liegende Konnotation mit etwas Kleinem, Jungem oder Unreifen zieht das neutrale Geschlecht nach sich (der Mann o das Männlein). Da es
Genusschwankung bei der Integration von englischen Lehnwörtern
67
sich bei Diminutiven um Derivata handelt, bestimmt hier aber das Ableitungssuffix das Genus. Ableitungssuffixe ermöglichen eine nahezu eindeutige Genuszuweisung und werden sogar als Genusmorpheme angesehen (Wegener 1995: 74). Pseudosuffixe (der Himmel, die Butter, der Name), gleichen zwar formal echten Suffixen, sind jedoch als phonologische Regeln einzustufen (z. B. Chan 2005: 62). Im Gegensatz zu Ableitungssuffixen stellen Pseudosuffixe, mit Ausnahme der Schwa-Regel, eher Tendenzkriterien dar. Bei einsilbigen Substantiven sind formale Kriterien noch weniger zuverlässig. Köpckes (1982) Versuch, die Genusverteilung bei Einsilbern durch phonologische Kriterien zu erfassen, wurde stark kritisiert, da elf der aufgestellten 24 Regeln lediglich ein (meist das feminine) Genus ausschließen. Zudem kommen die untersuchten Konsonantenkombinationen im An- und Auslaut nur bei einem geringen Teil des deutschen Wortschatzes vor, noch seltener in entlehnten englischen Wörtern, weswegen diese bei der Genuszuweisung von Lehnwörtern eine sehr untergeordnete Rolle spielen (z. B. Scherer 2000: 17f.). Ähnliches gilt für die Schwa-Regel, da in Lehnwörtern ein orthographisch vorhandenes sehr häufig nicht gesprochen wird (Scherer 2000: 17, Onysko 2007: 163). Da jedoch zwei Drittel der von Köpcke analysierten Einsilber das maskuline Genus erhalten, kann man aus seiner Studie zumindest schließen, dass Einsilber tendenziell maskulin sind (Wegener 1995: 78). Die Tendenz zum Maskulinum ist auch für einsilbige Anglizismen charakteristisch (Schulte-Beckhausen 2002: 62). Die Konkurrenz zwischen Maskulinum und Neutrum (Carstensen 1980b: 10, Fischer 2005: 295–299) wird hier noch dadurch verstärkt, dass Lehnwörtern ein höheres Abstraktionsniveau zugeschrieben wird (Talanga 1987: 93, Schulte-Beckhausen 2002: 75–76). Während fehlende Englischkenntnisse die Assoziation von Anglizismen mit etwas Abstraktem begünstigen, erfolgt die Genuszuweisung bei Sprechern mit guten Englischkenntnissen oft über die Assoziation mit einer bestimmten lexikalischen Entsprechung in der Nehmersprache (z. B. Carstensen 1980a: 55ff., Gregor 1983: 47ff.). Allerdings ist die nächste lexikalische Entsprechung als Erklärungsmodell für die Genuszuweisung zu Recht in Frage gestellt worden, vor allem wegen einiger erheblicher operationaler Schwierigkeiten (siehe hierzu Scherer 2000: 18f. und zuletzt Onysko 2007: 166). Der Einfluss dieses Faktors auf Genusschwankung wird weiter unten diskutiert. Bei mehrsilbigen Anglizismen dürfte der Unterschied zwischen Suffixen und Pseudosuffixen von den meisten Sprechern nicht wahrgenommen werden, so dass sie zu einer weiter gefassten Kategorie des Wortausgangs zusammengefasst werden können (Schulte-Beckhausen 2002: 31). Umso mehr Bedeutung wird allerdings der Suffixanalogie zugeschrieben, bei der das Suffix eines deutschen Wortes oder eines bereits etablierten Anglizismus bei einem noch nicht etablierten Lehnwort genusbestimmend wirkt (Gregor 1983: 59, Scherer 2000: 16). Schließlich wird argumentiert, dass gegenüber dem nativen Wort-
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Marcus Callies, Eva Ogiermann und Konrad Szcześniak
schatz semantische Regeln an Bedeutung zunehmen, während formale schwächer werden (Chan 2005: 267).
2.2. Genuszuweisung im Polnischen Im Vergleich zum Deutschen verfügt das Polnische über eine recht einfache Genuszuweisungssystematik. Semantische Kriterien beschränken sich weitestgehend auf das natürliche Geschlecht (Menzel 2000: 91), wohingegen der Großteil der Substantive ihr Genus nach formalen Kriterien erhält. Während im Deutschen das Genus an den das Nomen begleitenden Determinanten angezeigt wird (Wegener 1995: 65), kann es im Polnischen in den meisten Fällen bereits an der Form der Substantive abgelesen werden (Kucała 1978: 9). Auf phonologischer Ebene gibt der Auslaut der Grundform Auskunft über die Genuszugehörigkeit des Wortes (Kreja 1989: 89). Auf morphologischer Ebene kann das Genus mit Hilfe von Synkretismen von Formen in bestimmten paradigmatischen Positionen bestimmt werden (Bańko 2002: 149). Da das Genus des Substantivs anhand von Synkretismen bei der Deklination bestimmt wird und das Polnische über eine Vielzahl an Deklinationsparadigmen verfügt, ist die Frage nach der genauen Anzahl der Genera im Polnischen strittig. Von einem Großteil polnischer Sprachwissenschaftler werden fünf Genera postuliert (Kucała 1978, Bańko 2002), die auf eine Dreiteilung des Maskulinums nach den semantischen Kategorien der Belebtheit und Personalität zurückgehen (Subgenera nach Corbett 1991: 163). Auch bei der Genusbestimmung von Anglizismen im Polnischen werden weniger Kriterien herangezogen als im Deutschen. Während Faktoren wie Suffixanalogie und Homonymie bei sich typologisch nahe stehenden Sprachen genusbestimmend wirken können, spielen sie bei Anglizismen im Polnischen kaum eine Rolle (Fisiak 1975: 60). Ähnlich wie beim nativen Wortschatz erfolgt die Genuszuweisung hauptsächlich anhand phonologischer Kriterien. In Arbeiten, die auf den Einfluss polnischer Genuszuweisungskriterien auf Anglizismen eingehen (Fisiak 1975, Baran 2003, Nettmann-Multanowska 2003), werden daher Vokale und Konsonanten aufgelistet, die charakteristisch für den Wortausgang der drei Genera sind. Vereinfacht dargestellt sind Wörter, die auf einen Konsonanten auslauten, maskulin (kot ‘die Katze’) und die, die auf // oder einen (meist palatalen) Konsonanten auslauten, feminin (droga ‘der Weg’; krawędź ‘die Kante’). Die Vokale //, // und /ɛ̃/ hingegen bieten einen zuverlässigen Hinweis auf das neutrale Genus (siano ‘das Heu’; pole ‘das Feld’; prosię ‘das Ferkel’). Bei Maskulina, die auf // oder /i/, // enden, handelt es sich hauptsächlich um Personenbezeichnungen, die anhand von semantischen Kriterien zuordenbar sind (językoznawca ‘Sprachwissenschaftler’; woźny ‘Hausmeister’). Zu Über-
Genusschwankung bei der Integration von englischen Lehnwörtern
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schneidungen kommt es also vor allem bei Wörtern, die auf palatale Konsonanten auslauten und daher sowohl feminin als auch maskulin sein können. Eine genaue Aufschlüsselung dieser Konsonanten samt Frequenzangaben findet sich bei Kreja (1989: 90). Der überwiegend konsonantische Auslaut englischer Wörter führt also dazu, dass die meisten Anglizismen im Polnischen das maskuline Genus annehmen. So sind in Fisiaks (1975: 61) Korpus 598 von 668 Anglizismen (89,5%) maskulin. Nettmann-Multanowska (2003: 152) berichtet hingegen, dass im Polnischen 87% und im Deutschen 49% der von ihr untersuchten Anglizismen maskulin sind. Während es unter den Anglizismen im Polnischen nur sehr wenige Neutra gibt (18, also 3% bei Fisiak 1975: 61), erhalten viele der Feminina ihr Genus, weil sie Personen bezeichnen. Neben natürlichem Geschlecht werden von polnischen Autoren weitere semantische Kriterien genannt, die jedoch mit sehr wenigen Beispielen belegt werden. So erwähnen sowohl Fisiak (1975: 62) als auch Nettmann-Multanowska (2003: 122) das Wort rugby, das aufgrund seiner Zugehörigkeit zur semantischen Klasse gra (‘Spiel’) feminin sei. Das Wort whisky wird dagegen angeführt als ein Beispiel einer Assoziation mit dem polnischen lexikalischen Äquivalent wódka. Beide Wörter sind durch die Wirkung phonologischer Regeln von Genusschwankung betroffen. Da das Polnische keine phonologische Regel für Wörter bereithält, die auf /i/ auslauten,1 erhalten sie meist das neutrale Genus (Nettmann-Multanowska 2003: 124) und bleiben indeklinabel (Fisiak 1975: 62). Die stark morphonologisch orientierte Genuszuweisungssystematik des Polnischen führt dazu, dass dem entlehnten Wort ein Suffix hinzugefügt werden kann, um die Integration in eines der Deklinationspardigmen zu ermöglichen. Dieses Suffix kann als ein weiterer Faktor der Genuszuweisung angesehen werden (Mańczak-Wohlfeld 2006: 4). So spiegelt sich das natürliche Geschlecht von Anglizismen wie stewardessa auf morphonologischer Ebene wieder.
1
Das /i/ hingegen (das Polnische macht keine Unterscheidungen bezüglich Vokallänge) kann Teil eines Suffixes wie z. B. {–yni} sein, das bei Personenbezeichnungen wie sprzedawczyni (‘Verkäuferin’) vorkommt.
70
3.
Marcus Callies, Eva Ogiermann und Konrad Szcześniak
Das Phänomen der Genusschwankung
3.1. Forschungsstand Genusschwankung wird in der Literatur zum Teil unterschiedlich aufgefasst. Im Allgemeinen besteht jedoch Übereinstimmung darüber, dass als “echte” Fälle von Genusschwankung nur solche anzusehen sind, in denen die verschiedenen Genera nicht zur Unterscheidung von Lexemen dienen, also das Auftreten von zwei oder drei Genera für dasselbe Substantiv ohne jegliche Bedeutungsdifferenzierung (Onysko 2007: 174, Schulte-Beckhausen 2002: 79f., Talanga 1987: 14). Daher wäre Variation bei der/das Laptop als Genusschwankung anzusehen, Variation bei der Single (‘allein stehende Person’) vs. die Single (‘Schallplatte’) dagegen nicht. Die meisten Studien, die sich mit Genuszuweisung von Anglizismen im Deutschen beschäftigen, behandeln Genusschwankung nur am Rande. Dabei wird ihr Ausmaß vor allem in den neueren Arbeiten als eher gering eingeschätzt, was allerdings zumindest teilweise mit der Datengrundlage zusammenhängt. Viele Arbeiten verwenden fast ausschließlich die großen Standardwörterbücher (Duden, Wahrig, z. B. Chan 2005) und/oder kleinere Textkorpora. Bei den Textkorpora handelt es sich in der Regel um einen bzw. mehrere Jahrgänge einer überregionalen Zeitung bzw. Zeitschrift, typischerweise Der Spiegel (z. B. Yang 1990, Onysko 2007). Nur selten sind zusätzlich zu Wörterbüchern und Korpora weitere Daten wie z. B. solche aus Informantenbefragungen hinzugezogen worden (Carstensen 1980a, b, Schulte-Beckhausen 2002, Fischer 2005). Onysko (2007: 169f.) stellt nur ein sehr geringes Maß an Genusschwankung in seinem Spiegel-Korpus fest, das allerdings nicht quantifiziert wird. Chan (2005: 84) betont ebenfalls, dass die Anzahl von Anglizismen mit Genusschwankung nicht groß sei. Unter den 3105 Einträgen finden sich 191 (6%), die mit mehr als einem Genus ausgewiesen sind, wovon der weitaus größte Anteil zwischen Maskulinum und Neutrum schwankt (141 Einträge, 5%). Scherer (2000: 14, 96) stellt fest, dass Genusschwankung nur selten zu beobachten und in der Regel von kurzer Dauer sei. Ihre Daten zeigen maximal 2% an Variation, wobei Schwankung am häufigsten zwischen Maskulinum und Neutrum auftritt (12 der 16 Fälle von Genusschwankung). Gregor (1983: 49) geht über eine grobe Schätzung nicht hinaus (“Schwankung des Genus in nicht mehr als 20% aller Fälle”). Die Studien von Carstensen (1980a, b), Talanga (1987), SchulteBeckhausen (2002) und Fischer (2005) beschäftigen sich (in Teilen) detaillierter mit Genusschwankung bei Lehn- und Fremdwörtern im Deutschen. Eine der ersten systematischen Studien zur Genuszuweisung bei Anglizismen ist Carstensen (1980a, b), in der er 14 verschiedene deutsche Wörterbücher mit
Genusschwankung bei der Integration von englischen Lehnwörtern
71
Ergebnissen einer Befragung von 67 deutschen Muttersprachlern vergleicht. Hauptergebnis dieser Arbeit ist, dass die Anzahl der Wörter, die zwei (vor allem Maskulinum und Neutrum) oder gar drei Genera haben können, größer ist als bis dato angenommen. Carstensen (1980a: 68) stellt zudem fest, dass die Unsicherheit der befragten Sprecher bezüglich einer klaren Genuszuweisung zunimmt, wenn die Bedeutung des entsprechenden englischen Wortes unbekannt ist, was auf eine wichtige Rolle semantischer Kriterien hinweist. Talanga (1987) arbeitet ebenfalls auf der Grundlage von Wörterbüchern und untersucht Lehn- und Fremdwörter aus mehreren Sprachen. Von 344 Einträgen, die in den Wörterbüchern als schwankend verzeichnet sind, stammten 88 (25,6%) aus dem Englischen, für die aber leider keine separate Analyse vorgenommen wird. Schulte-Beckhausen (2002) hat die methodologisch bislang ausgereifteste Arbeit zu Genusschwankung bei englischen, französischen, italienischen und spanischen Lehnwörtern im Deutschen seit 1945 vorgelegt. Sie untersucht Genusschwankung in einer Vielzahl von Wörterbüchern (auch in diachroner Perspektive) und vergleicht diese mit der Genusschwankung bei 42 ausgewählten Lehnwörtern2 auf der Grundlage einer Befragung von 160 deutschen Muttersprachlern sowie anhand von Zeitungskorpora (Frankfurter Allgemeine Zeitung 1994–1998 und Tageszeitung 1986–1996). Von den 311 in den Wörterbüchern untersuchten Anglizismen weisen 13% Genusschwankung auf, die besonders stark zwischen Maskulinum und Neutrum (220, 70,7%) ist. 32 Wörter schwanken zwischen allen drei Genera (10,3%), 33 (10,6%) zwischen Femininum und Neutrum und 26 (8,4%) zwischen feminin und maskulin (Schulte-Beckhausen 2002: 104). Die Dominanz der Schwankung zwischen Maskulinum und Neutrum wird zum einen durch die schwache formale Abgrenzung von Maskulina und Neutra im Deutschen erklärt, zum anderen durch die zahlreichen englischen Substantive ohne formale Markierung. Beim Vergleich mit den Korpus- und Fragebogendaten ergaben sich zwar einige Übereinstimmungen mit den Wörterbüchern, allerdings auch eine Reihe von starken Abweichungen (Schulte-Beckhausen 2002: 207), die hier nicht im Detail dargestellt werden können.3 Fischer (2005) befragte 100 deutsche Muttersprachler mit guten Englischkenntnissen mit Hilfe eines Fragebogens mit 33 Anglizismen. Folgende Hauptergebnisse lassen sich erkennen: Intraindividuelle Variation bei der Genuszuweisung nimmt mit steigender fremdsprachlicher Kompetenz der 2 3
Davon 22 weitgehend etablierte englische Lehnwörter. Eine knappe Darstellung wird zudem dadurch erschwert, dass die Verfasserin die Ergebnisse der Korpusanalysen und Informantenbefragung bedauerlicherweise nicht systematisch zusammenfassend darstellt, sondern alle Ergebnisse in komplexe Tabellen in den Anhang verschiebt.
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Marcus Callies, Eva Ogiermann und Konrad Szcześniak
Sprecher bzw. Kenntnis der Wortbedeutung ab. Interindividuelle Variation besteht hauptsächlich zwischen Maskulinum und Neutrum, und zwar unabhängig von der Kenntnis der Wortbedeutung (Fischer 2005: 284f.), die geringste Variation ist zwischen maskulin und feminin zu beobachten. Als einen Hauptfaktor der Genusschwankung nennt Fischer die Verfügbarkeit verschiedener lexikalischer Entsprechungen im Deutschen. Er vermutet zudem, dass der Kontext, in dem die Testwörter präsentiert wurden, die Genuszuweisung erleichtert (disambiguiert) und somit Schwankung reduziert. Entscheidend ist das Ergebnis, dass Genusschwankung offenbar am häufigsten bei einsilbigen Wörtern ohne formale morphologische Markierung auftritt, besonders wenn die Bedeutung des englischen Wortes unbekannt ist (Beispiele wie Jam oder Plot, Fischer 2005: 287ff.). Genusschwankung bei Anglizismen im Polnischen hat nicht zuletzt durch die normativistischen Ansätze der polnischen Sprachwissenschaft verhältnismäßig wenig Beachtung gefunden. Genusschwankung wird vor allem von Fisiak (1975) und Mańczak-Wohlfeld (2006) thematisiert und von beiden Autoren als gering eingeschätzt. Nettmann-Multanowskas (2003) kontrastive Untersuchung von Anglizismen in deutschen und polnischen Wörterbüchern ergab lediglich 9 (3%) Fälle von Genusschwankung im Polnischen gegenüber 57 (10%) im Deutschen. Zu ganz anderen Ergebnissen führte jedoch die von Baran (2003) durchgeführte Studie, in der sie in den USA lebende Polen befragte und bei 39 der 47 getesteten Wörter Variation bei der Genuszuweisung feststellte. Allerdings handelt es sich bei ihrer Untersuchung eher um das Phänomen des Code-switching als um die Integration von Lehnwörtern. In der Literatur werden eine Reihe von Faktoren genannt, die Genuszuweisung allgemein und Genusschwankung im Besonderen beeinflussen (siehe besonders Carstensen 1980a und Schulte-Beckhausen 2002). Neben morphonologischen und semantischen Genuszuweisungsregeln (siehe Abschnitt 2) sind dies die Verwendungshäufigkeit eines Wortes, dialektale Unterschiede, Sprachebene – z. B. Fach- vs. Standard- vs. Umgangssprache, schriftliche vs. mündliche Sprache – Kompetenz in der jeweiligen Fremdsprache bzw. Kenntnis der Wortbedeutung, sowie bei experimentellen Studien auch der Präsentationskontext. Besondere Bedeutung in Bezug auf Genusschwankung wird der Anzahl der verschiedenen lexikalischen Entsprechungen in der Nehmersprache beigemessen, wobei man davon ausgeht, dass eine Vielzahl an möglichen Identifikationsbasen eine höhere Variation zur Folge hat, wie etwa bei dem Wort Login, das wenigstens drei mögliche deutsche Entsprechungen mit drei verschiedenen Genera hat: die Anmeldung, das Passwort, der Benutzername. Schließlich wird in den meisten Arbeiten auch ein diachroner Faktor angesprochen, d. h. wie “neu” bzw. etabliert/integriert ein Anglizismus ist. Dabei betrachten die meisten Autoren Genusschwankung als ein vorübergehendes Phänomen. Zwei Hypothesen sind formuliert worden: a) Genusschwankung
Genusschwankung bei der Integration von englischen Lehnwörtern
73
tritt typischerweise während der ersten Integrationsphase auf und nimmt “mit fortschreitender Integration im Zuge der Konventionalisierung” ab (Gregor 1983: 50, ähnlich Fischer 2005: 136), und b) Genusschwankung tritt ab der zweiten Integrationsphase mit verstärkter Verwendung durch monolinguale Sprecher auf und kann dann als Vorstufe zum Genuswechsel verstanden werden. Schulte-Beckhausen (2002: 164ff.) findet in ihrer diachronen Wörterbuchanalyse Bestätigung für beide Hypothesen, wobei Genuswechsel bei Anglizismen im Vergleich zu Lehnwörtern aus den romanischen Sprachen deutlich seltener ist: Drei Viertel aller Wörter mit Genusschwankung schwanken in der ersten Integrationsphase, wie z. B. Cover (m./n. → n.), nur bei einem Viertel kommt es zu Genuswechsel, wie z. B. Gang (m. → m./f. → f.) oder Slang (n. → n./m. → m.) Angesichts des Zusammenwirkens dieser verschiedenen Faktoren wird Genusschwankung im Allgemeinen als Rivalität der Genuszuweisungsregeln verstanden, wobei in Bezug auf Anglizismen besonders morphonologische und semantische Regeln, häufig mehrere lexikalische Entsprechungen sowie bei fehlender formaler Markierung oder semantischer Motivierung das sog. “abstrakte Neutrum” konkurrieren (Schulte-Beckhausen 2002: 229).4 Die eindimensionale Erklärung von Genusschwankung über die Anzahl der möglichen deutschen Identifikationsbasen, wie sie z. B. von Gregor (1983: 49) vorgeschlagen wird, ist dagegen wenig überzeugend, ebenso wenig wie Erklärungsmuster, die nicht-linguistische Kriterien wie willkürliche Genuszuweisung oder das Sprachgefühl anführen (Carstensen 1980a: 58). Neuerdings ist auch vorgeschlagen worden, Genusschwankung im Rahmen kognitiv-linguistischer Ansätze als “different conceptualizations reflecting semantic primitives of gender” (Onysko 2007: 174f.) zu erklären.
3.2. Motivation und Arbeitshypothesen Obwohl die Ergebnisse der oben besprochenen Arbeiten den Schluss nahe legen, das Genusschwankung bei der Integration von Anglizismen insgesamt weit weniger ausgeprägt ist als angenommen, gibt es doch einige Gründe, die das Gegenteil vermuten lassen. In der Mehrzahl der vorliegenden Untersuchungen sind fast ausschließlich Wörterbücher als Datengrundlage verwendet worden, was gewisse Schwierigkeiten bezüglich der Interpretation der Ergebnisse mit sich bringt. Vergleichende Studien haben gezeigt, dass das Phänomen der Genusschwankung in Wörterbüchern zum einen unterschiedlich ge4
Für eine Reihe verschiedener Konkurrenzbeziehungen, die aufgrund der hier gebotenen Kürze nicht im Detail dargestellt werden können, verweisen wir auf die Darstellung in Schulte-Beckhausen (2002), Kapitel 4.1.1.
74
Marcus Callies, Eva Ogiermann und Konrad Szcześniak
handhabt wird (Schulte-Beckhausen 2002: 80f.) und dass sie sich hinsichtlich ihrer Dokumentation von Genusschwankung zum Teil stark unterscheiden und demnach “nicht besonders zuverlässig” und uneinheitlich sind (Carstensen 1980a: 39, Schulte-Beckhausen 2002: 92ff.). Zudem dokumentieren Wörterbücher nicht notwendigerweise die Sprachverwendung von linguistisch untrainierten Sprechern, sondern repräsentieren Expertenwissen auch was die Motivierung von Genuszuweisung über Regeln angeht (Carstensen 1980a: 39, 43) und besitzen normativen Charakter. Insofern ist die Einschätzung von Chan (2005), die Das große Wörterbuch der deutschen Sprache von Duden (GWB) in der CD-ROM Ausgabe von 2000 als Datenbasis verwendete, nicht ohne Vorbehalt zu betrachten: “mit den grammatischen Angaben im GWB kann andererseits zuverlässige Information über die Genuszugehörigkeit der englischen Entlehnungen erhoben werden, was Textkorpora in Form von Datenerhebung aus Zeitungen oder Zeitschriften nicht immer gewährleisten können” (Chan 2005: 81). Demgegenüber bergen kleinere Textkorpora die Gefahr, insbesondere wenn sie lediglich Texte einer einzelnen überregionalen Zeitung bzw. Zeitschrift beinhalten (wie z. B. die Arbeiten von Yang 1990 oder Onysko 2007), dass hier ein hauseigener Schreibstil bzw. redaktionelle Politik gegenüber der Verwendung eines bestimmten Anglizismus und des entsprechenden Genus dokumentiert wird (Onysko 2007: 177, ähnlich Carstensen 1980a: 39), wobei das Auftreten von Genusschwankung möglicherweise unerwünscht ist. Zudem treten bei der Analyse von elektronischen Korpora einige methodologische Probleme auf, die ausführlicher in Abschnitt 4.1 besprochen werden. Schließlich haben sowohl Wörterbücher als auch Korpora den Nachteil, dass sie intraindividuelle Variation nicht dokumentieren können. Auf der Grundlage des oben skizzierten Forschungsstandes lassen sich für die vorliegende Untersuchung folgende Arbeitshypothesen ableiten: (i)
(ii)
5
Genusschwankung ist weniger ausgeprägt bei Anglizismen, die formal für ein bestimmtes Genus markiert sind. Dabei kann es sich um morphonologische Merkmale handeln, z. B. Suffixe wie {-er} → Maskulinum, {-ing} → Neutrum im Deutschen, oder um konsonantischen Auslaut im Polnischen → Maskulinum. Es können aber auch semantische Kriterien sein, vor allem das natürliche Geschlecht, das eine nahezu eindeutige Genuszuweisung ermöglicht. Genusschwankung wird begünstigt durch das Fehlen eines formalen Genusmarkers.5 Im Deutschen sind hier vor allem Einsilber betroffen, im
Talanga (1987: 104) nennt dies “Genusschwankung par excellence”, die auftrete, wenn weder morphonologische noch semantische Regeln anwendbar sind und auch
Genusschwankung bei der Integration von englischen Lehnwörtern
75
Polnischen Anglizismen, die auf einen Vokal auslauten, der nicht den polnischen Genuszuweisungsregeln zugeordnet werden kann, nämlich wie die im Englischen häufig auftretenden /i:/ und /u:/. (iii) Bei Wörtern, die keine (eindeutige) lexikalische Entsprechung in der Nehmersprache haben (oder deren viele), steigt die Wahrscheinlichkeit der Genusschwankung. (iv) Genusschwankung nimmt zu, wenn die Bedeutung des englischen Wortes unbekannt ist.
4.
Methodologie und Daten
Die Untersuchung von Fremdwörtern, die sich in der entlehnenden Sprache noch nicht etabliert und somit kein Genus zugewiesen bekommen haben, schließt die Verwendung von Wörterbüchern als Datenquelle aus. Eine zusätzliche Herausforderung stellt der kontrastive Ansatz der Studie dar, der die Heranziehung von zwei vergleichbaren Datensätzen erfordert.
4.1. Korpusstudie Wie bereits erwähnt basieren die meisten Untersuchungen zur Genuszuweisung und Genusschwankung auf Analysen einschlägiger Wörterbücher bzw. kleiner Textkorpora. Um die damit verbundenen Beschränkungen aufzuheben, wurde zunächst überprüft, in wieweit zuverlässig und in ausreichendem Maße Daten zur Genusschwankung aus elektronischen Textkorpora des Deutschen bzw. Polnischen erhoben werden können. Dazu wurden zunächst einige neuere Anglizismen bezüglich ihres Genus in deutschen Textkorpora überprüft. Dies war zum einen das Korpus der Berliner Zeitung, das alle online erschienenen Artikel der Berliner Zeitung zwischen 1994 und 2005 umfasst (252 Millionen Textwörter) und über die DWDS-Abfrageplattform verfügbar ist.6 Vier ausgewählte Wörter mit eher niedriger Textfrequenz wurden zusätzlich in COSMAS II getestet.7 Die Korpora belegen zwar, dass bei einigen Testwörtern –––––––—–– 6 7
keine lexikalische Entsprechung vorhanden ist, was dann zu Schwankung zwischen Maskulin und Neutrum führe. http://www.dwds.de/textbasis (letzter Zugriff am 11.07.2008). W-öff, Archiv der geschriebenen Korpora, alle öffentlichen Korpora, zum Zeitpunkt der Recherche im Februar 2008 ca. 2,2 Milliarden Textwörter. Verfügbar unter https://cosmas2.ids-mannheim.de/cosmas2-web/ (letzter Zugriff am 11.07.2008).
517
87
29
169
178
197
111
84
Movie
Cookie
Badge
Jingle
Update
Sale
Slot
Gig
5
64
106
15
166
57
2
2
43
484
100%
100%
100%
100%
100%
100%
100%
100%
100%
100%
bereinigt
25
3
1
1
16
4
0
0
39,1%
2,8%
6,7%
0,6%
28,1%
0
0
9,3%
mask
58
fem. 0
0
0
0
0
0
0
0
0
12%
53
1
1
1
9
1
1
20%
0
0
0
31,9%
1,8%
50%
50%
20,9%
0,2%
neut.
12
2
30
8
1
1
17
3
1
18,8%
0
13,3%
18,1%
14%
50%
50%
39,5%
0,6%
20%
mask. / neut.
23
103
61
32
40
0
35,9%
97,2%
0
36,7%
56,1%
0
0
0
8,3%
Plural
5
12
21
13
382
3
7,8%
0
80%
12,7%
0
0
0
30,2%
78,9%
60%
Genus nicht markiert
123
360
163
323
Login
Cookie
Badge
Slot
ges.
211
30
75
77
Treffer
100%
100%
100%
100%
bereinigt
90
17
15
6
42,7%
56,7%
20%
7,8%
mask.
1
fem.
0
3,3%
0
0
4
16
14
0
13,3%
21,3%
18,2%
neut.
61
4
22
22
28,9%
13,3%
29,3%
28,6%
mask. / neut.
Plural
0
0
0
0
60
4
22
35
28,4%
13,3%
29,3%
45,5%
Genus nicht markiert
Tabelle 2: Genuszuweisung bei ausgewählten Testwörtern in COSMAS II (Korpus: W-öff, Archiv der geschriebenen Korpora, alle öffentlichen Korpora, 2,2 Milliarden Wörter)
29
486
Preview
Treffer
Login
ges.
Tabelle 1: Genuszuweisung bei ausgewählten Testwörtern im Korpus der Berliner Zeitung (1994–2005, 252 Millionen Wörter)
76 Marcus Callies, Eva Ogiermann und Konrad Szcześniak
Genusschwankung bei der Integration von englischen Lehnwörtern
77
Genusschwankung zu beobachten ist, so z. B. bei Movie, Update oder Cookie (siehe Tabelle 1 und 28). Jedoch zeigt sich deutlich, dass Korpusanalysen aufgrund der großen Menge an irrelevanten, nicht eindeutigen bzw. Treffern ohne Genusmarkierung und der somit verbleibenden niedrigen Fallzahlen nur sehr bedingt und eingeschränkt geeignet sind (vgl. Schulte-Beckhausen 2002: 206). Für das Polnische wird dies zusätzlich durch eine nur begrenzte Verfügbarkeit von Korpora des modernen Polnisch sowie deren Zusammensetzung (hauptsächlich literarische Texte) erschwert.9 Die Verwendung des Internet als Datenbasis, z. B. durch Suchabfragen mit Google, ist ebenfalls nur sehr eingeschränkt möglich bzw. liefert kaum zielgerichtete Daten. Korpusdaten können daher primär zur Ergänzung bzw. Verifizierung/Falsifizierung von in experimentellen Studien gewonnenen Eindrücken bzw. Hypothesen eingesetzt werden.
4.2. Experimentelle Studie Auch wenn bei der Korpusstudie deutlich wurde, dass viele Anglizismen nur selten bzw. in einem Kontext vorkommen, der keine Rückschlüsse auf das Genus des Wortes zulässt, erwies sie sich bei der Auswahl der Testwörter für den Fragebogen als nützlich. Nachdem sichergestellt wurde, dass die Testwörter sowohl von deutschen als auch von polnischen Sprechern benutzt werden, d.h. in beiden Sprachen ausreichend bekannt und frequent sind, wurde unter Berücksichtigung der Genuszuweisungsregeln im Deutschen und Polnischen (siehe Abschnitt 2) eine Auswahl von 26 Testwörtern getroffen. Die Auswahl der Testwörter ergab für beide Sprachen eine Aufteilung in Wörter, denen nach bestimmten Regeln der jeweiligen Nehmersprache ein Genus zugewiesen werden kann, und solche, bei denen die Sprecher auf andere Kriterien ausweichen müssen. Der Fragebogen enthält somit: 1. Wörter, die ein natürliches Geschlecht haben oder zu einer bestimmten semantischen Klasse gehören: Bitch, Coach; Alcopop, Shake, Techno, Domain 8
9
Erläuterung zu einzelnen Spalten: mask. / neut. = Die Verwendung des unbestimmten Artikels ein bzw. flektierter Formen erlaubt eine Zuordnung in beide Genuskategorien. Genus nicht markiert = Fälle, in denen kein Artikel verwendet wurde bzw. kontextuell nicht zu erschließen war. bereinigt = Nicht relevante Treffer wie z.B. Cookie in der Bedeutung ‘Keks, Plätzchen’, Treffer in Eigennamen von Firmen oder Produkten und in englischsprachigen Textpassagen wurden nicht berücksichtigt. So zum Beispiel das PELCRA Reference Corpus of Polish (korpus.ia.uni.lodz.pl/) oder das IPI PAN Korpus (korpus.pl/index.php?lang=en&page=welcome).
78
Marcus Callies, Eva Ogiermann und Konrad Szcześniak
2. Wörter, die durch ein (Pseudo-)Suffix markiert sind: Browser, Voucher, Casting, Posting Label, Jingle10 3. deverbale Nomen mit Partikel: Download, Update, Take-off, Login 4. Wörter, die nach ihrem Wortausgang nicht eindeutig einem Genus zugewiesen werden können, z. B. kommt der Auslaut /dʒ/ im Deutschen und /i:/ und /u:/ im Polnischen nicht vor: Preview, Crew; Movie, Cookie (‘Internetprogramm’); Badge, Stage 5. Einsilber: Gate, Sale, Slot, Gig Die ausgewählten Testwörter wurden anschließend in Sätze eingebettet, die eine (im Deutschen) bzw. mehrere Lücken (im Polnischen) enthielten, und zwar überall dort, wo mit Hilfe eines Determinanten das Genus des Testwortes angegeben werden sollte. Die Sätze wurden angeglichen, so dass sie in diesen Sprachen identische Entsprechungen darstellen. Im Deutschen handelt es sich bei den zu ergänzenden Merkmalen durchgehend um bestimmte Artikel. Da es im Polnischen keine Artikel gibt, das Genus aber an diversen Determinanten wie auch an den Verbendungen markiert wird, enthalten die meisten polnischen Sätze mehrere Lücken. Zusätzlich zur Markierung des Genus (hier waren Mehrfachnennungen möglich) sollten die Informanten auch ankreuzen, ob ihnen die Bedeutung des jeweiligen Wortes bekannt ist, und dann eine ungefähre Entsprechung in ihrer Sprache angeben. 7) Sehr zur Erleichterung seiner Fans dementierte Quentin Tarantino sämtliche Gerüchte, daß ____________ nächste Movie seine Karriere beenden werde. Ich kenne die Bedeutung des Wortes. Eine ungefähre deutsche Entsprechung ist z. B. das Wort _______________. Ich kenne die Bedeutung des Wortes nicht. Ich bin mir bezüglich der Bedeutung des Wortes unsicher. Abbildung 1: Fragebogenausschnitt für das Testwort Movie (deutsche Fassung) 5) Ku uldze fanów, Tarantino zaprzeczył pogłoskom, jakoby jego następn____ movie miał_____ zakończyć jego karierę. Znam znaczenie tego słowa. Bliskim polskim odpowiednikiem jest słowo ___________________. Nie znam tego słowa. Nie jestem pewien co do znaczenia tego słowa. Abbildung 2: Fragebogenausschnitt für das Testwort Movie (polnische Fassung) 10
/l/ ist anfällig für Variation im Deutschen, vgl. Schulte-Beckhausen (2002: 138f.). Auf die Verwendung von Phantomwörtern wurde hier verzichtet, zumal frühere Tests, z. B. von Carstensen (1980a: 62f.), nahelegen, dass ein morphologisches Merkmal, z. B. ein Suffix, die Zuweisung eines bestimmten Genus befördert.
Genusschwankung bei der Integration von englischen Lehnwörtern
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Der Fragebogen wurde an zwei deutschen und einer polnischen Universität an 146 deutsche und 100 polnische Muttersprachler verteilt, alle StudentInnen der Anglistik. Von den deutschen TeilnehmerInnen waren 44 männlich und 102 weiblich, im Durchschnitt 21,7 Jahre alt und im 2. oder 3. Semester. Unter den polnischen InformantInnen waren 18 Männer, 80 Frauen (zwei TeilnehmerInnen machten keine Angabe) im Alter von durchschnittlich 20,2 Jahren, ebenfalls im 2. oder 3. Semester. Die Fragebögen wurden anschließend mit Hilfe von SPSS statistisch ausgewertet. Als Maß für die Heterogenität der nominalskalierter Variablen “Genus” wurde ein in den Naturwissenschaften verwendeter Diversitätsindex gewählt, nämlich Simpson’s D (Müller-Benedict 2006: 113f.).11 Anders als bei der üblicheren Berechnung der Variationsbreite, bei der lediglich die Anzahl der genannten Genera berücksichtigt wird, gibt der Diversitätsindex Auskunft darüber, ob die Antworten sich auf verschiedene Genera gleichmäßig verteilen oder ob sie eher auf ein Genus “konzentriert” sind. Die Variationsbreite allein ist kein zuverlässiges Maß für Genusschwankung: Während sich z. B. bei den Testwörtern Domain und Gate die Antworten der polnischen InformantInnen zwar auf 5 verschiedene Kategorien verteilen (inkl. Mehrfachnennungen), fallen sie zu 93,8% bzw. 92,5% in nur eine Kategorie. Dies ergibt zwar die Variationsbreite von 5, jedoch einen relativ niedrigen D-Wert (0,15 bzw. 0,18).
5.
Ergebnisse und Diskussion
Für Wörter, die bei der Genuszuweisung im Deutschen bzw. Polnischen ein erhebliches Maß an Variation aufweisen, ist das Zusammenfallen der folgenden Merkmale zu beobachten: die Variationsbreite liegt zwischen 3 und 7, D ist größer als 0,4, und es tritt in der Regel auch intraindividuelle Variation auf (die betreffenden D-Werte sind in Tabellen 3 und 4 grau unterlegt). In Bezug auf interindividuelle Variation überrascht die recht große Zahl an Testwörtern, für die in beiden Sprachen alle drei Genera angegeben wurden (12 bzw. 13 von 11
Der Diversitätsindex bezieht die Häufigkeiten der Antworten in der jeweiligen Genuskategorie mit ein, d. h. wie oft bzw. selten ein bestimmtes Genus in den Antworten repräsentiert ist. Der Wert D ist dabei eine Zahl zwischen 0 und 1: D ist 1, wenn alle gegebenen Antworten gleichmäßig unter den Genera verteilt sind (also z. B. 50 mal maskulin, 50 mal feminin und 50 mal neutrum). D ist 0, wenn alle gegeben Antworten in nur eine Kategorie fallen, also konsistent nur ein Genus vorkommt und keine Variation erkennbar ist. Kurz gesagt: je höher der Wert für D, desto mehr Variation findet sich in den Antworten.
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26). Am zweitstärksten ausgeprägt ist Genusschwankung zwischen Maskulinum und Neutrum (9 bzw. 6 von 26 Wörtern). Intraindividuelle Variation ist in beiden Sprachen ebenfalls überwiegend auf Schwankung zwischen Maskulinum und Neutrum zurückzuführen (18 bzw. 15 von 26), im Polnischen ist aber auch mehr Variation zwischen maskulin und feminin zu beobachten (12 vs. nur 6 Fälle im Deutschen). Die Dominanz von Schwankung zwischen Maskulinum und Neutrum könnte zumindest für das Deutsche auf das Wirken des sogenannten “abstrakten Neutrums” (Neutrum als “default”) zurückzuführen sein, insbesondere bei erschwerter Motivierung wegen fehlender Markierung und Unkenntnis der Wortbedeutung (vgl. Schulte-Beckhausen 2002: 75ff.; 189). Dies ist auch für das Polnische ein möglicher Erklärungsansatz (Cookie, Badge, Jingle). In Bezug auf Schwankung bei deverbalen Substantiven hat schon Carstensen (1980a: 61f.) gezeigt, dass Substantive, die aus Verb und Partikel bestehen, entweder Neutra sind oder zwischen maskulinem und neutralem Genus schwanken, weil nur in den allerwenigsten Fällen eine direkte lexikalische Entsprechung im Deutschen vorhanden ist. Carstensen nennt zwei Grundprinzipien, bei denen es sich im Grunde um konzeptuelle Unterschiede in der Motivierung des Genus handelt: a) Tätigkeit/Handlung als kontinuierlicher Verlauf, die das entsprechende deutsche Verb ausdrückt (imperfektive Lesart), deshalb Neutrum wie z. B. bei take off = abheben = das Take-Off; b) punktuelle Handlung (perfektive Lesart), mögliche Motivierung über eine existierende lexikalische Entsprechung wie z. B. take-off = der Start/Abflug = der Take-Off (vgl. auch Schulte-Beckhausen 2002: 132ff.) Die vorgelegten Ergebnisse bestätigen im Wesentlichen die eingangs aufgestellten Hypothesen, nämlich dass Genusschwankung weit weniger ausgeprägt ist bei Anglizismen, die in der jeweiligen Nehmersprache für ein bestimmtes Genus markiert sind. Genusschwankung tritt dann sehr häufig und in starkem Maße auf, wenn ein formaler Genusmarker fehlt, der eine eindeutige Genuszuweisung erlauben würde (Fehlen eines morphologischen oder semantischen Merkmals im Deutschen, Uneindeutigkeit des Auslauts im Polnischen). Bei Wörtern, die keine (eindeutige) lexikalische Entsprechung in der Nehmersprache haben (oder deren viele) steigt die Wahrscheinlichkeit der Genusschwankung (z. B. Login, Jingle). Die Hypothese, dass Genusschwankung dann auftrete, wenn die Bedeutung des englischen Wortes unbekannt sei, kann allerdings nicht aufrechterhalten werden, sondern muss modifiziert werden. Fehlende Kenntnis der Wortbedeutung bzw. das Fehlen einer lexikalischen Entsprechung allein ist kein zuverlässiger Indikator für das Auftreten von Genusschwankung. So gaben z. B. beim Wort Browser 66,6% der deutschen InformantInnen keine lexikalische Entsprechung an (von den übrigen Testpersonen wurden 18 verschiedene Entsprechungen genannt), und mehr als der Hälfte war die Bedeutung des Wortes nicht (sicher) bekannt. Bei Voucher
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Genusschwankung bei der Integration von englischen Lehnwörtern
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nannten fast 50% der polnischen TeilnehmerInnen kein Äquivalent, ebenfalls rund 50% war die Bedeutung nicht (sicher) bekannt. Dennoch zeigen beide Wörter überhaupt keine bzw. nur ein sehr geringes Ausmaß an Genusschwankung in der jeweiligen Sprache. Dagegen ist die Bedeutung von Movie beinahe allen InformantInnen bekannt und hat sowohl im Deutschen als auch im Polnischen eine klare lexikalische Entsprechung (der Film bzw. film, mask.). Dennoch schwankt das Genus dieses Wortes in beiden Sprachen erheblich. Es lässt sich daher lediglich festhalten, dass fehlende Kenntnis der Wortbedeutung bzw. Fehlen einer lexikalischen Entsprechung Genusschwankung zusätzlich verstärkt, sie aber nicht zwingend verursacht. In solchen Fällen scheidet Genuszuweisung über eine nahe lexikalische Entsprechung aus, z. B. bei Cookie, Badge und Jingle im Deutschen, im Polnischen setzen sich phonologische Regeln durch; so bei Gig und Techno. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass folgende Faktoren (in absteigender Gewichtung) das Auftreten von Genusschwankung am wahrscheinlichsten und am ausgeprägtesten machen: 1) natürliches Geschlecht ist nicht vorhanden; 2) Regeln der Genuszuweisung, die über formale Genusmarker ablaufen, greifen nicht, 3) es gibt kein (eindeutiges) bzw. kein dominantes lexikalisches Äquivalent, was sich in einer großen Breite der angegebenen Entsprechungen und der hohen Anzahl von Antworten in der Kategorie “keine Entsprechung angegeben” zeigt, und 4) es besteht Unkenntnis bzw. Unsicherheit über die Bedeutung des Wortes. Genuszuweisung über eine oder mehrere lexikalische Entsprechungen scheint im Polnischen weniger ausgeprägt zu sein als im Deutschen. So ist bei einigen Wörtern zu beobachten, dass selbst bei uneindeutigem Auslaut nicht notwendigerweise über das Genus der angegebenen lexikalischen Entsprechungen zugewiesen wird. Zum Beispiel waren alle Entsprechungen, die für das Wort Crew angegeben wurden feminin (załoga, ekipa), aber nur 52 von 100 Informanten wiesen dem Wort feminines Genus zu. Für das Polnische ist zudem zu beobachten, dass phonologische Regeln offenbar nicht so dominant sind wie im nativen Wortschatz: uneindeutige Wortausgänge zeigen zwar die meiste Schwankung, aber auch eindeutige konsonantische Auslaute schließen Schwankung nicht aus (Browser, Label). Insofern lässt sich die von Chan (2005: 267) für das Deutsche vertretene These auch für das Polnische belegen: beim Lehnwortschatz nehmen gegenüber dem nativen Wortschatz semantische Regeln an Bedeutung zu, während formale schwächer werden. Unsere Ergebnisse widersprechen insofern der von Nettmann-Multanowska (2003: 152, 155) vertretenen Auffassung, dass Genusschwankung als Folge des Wettbewerbs der in der jeweiligen Sprache konkurrierenden Zuweisungsregeln durch die Dominanz phonologischer Regeln im Polnischen seltener und weniger ausgeprägt sei als im Deutschen. Ebenso widerlegen unsere Befunde
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ihre These, dass nur bei Anglizismen im Deutschen alle drei Genera auftreten können (Nettmann-Multanowska 2003: 153).
6.
Schlussbetrachtung und Ausblick
Wie die vorliegende Studie gezeigt hat, wird die Genuszuweisung bei Lehnwörtern von einer Vielzahl von Faktoren bestimmt, die zum Teil sprachspezifisch und zum Teil sprachübergreifend sind. Das Ergebnis der Interaktion dieser Faktoren ist wort- und sprecherspezifisch und kann nicht zuverlässig vorhergesagt werden – auch wenn auf der Basis der hier vorgelegten Ergebnisse Tendenzen bezüglich der Dominanz bestimmter Faktoren festgehalten werden können. Welche Bedeutung hat Genusschwankung für den Integrationsprozess von Anglizismen in einer Sprache? Auch wenn Genusschwankung mit fortschreitender Integration von Lehnwörtern in eine Sprache und deren Aufnahme in Wörterbücher abnimmt, ist Genusschwankung nicht bloß ein vorübergehendes Phänomen, sondern kann unterschiedlich lange andauern. Im Deutschen gibt es beispielsweise eine Reihe von seit Jahrzehnten etablierten Anglizismen, die immer noch Genusschwankung aufweisen. Carstensen (1980a) nennt z. B. der/das Quiz, der/das Pub, der/das Essay. Neuere Anglizismen, bei denen sich ausgehend von Genusschwankung eine relativ stabile Variation zu etablieren scheint, sind die/das Mail, der/das Laptop, der/das Event, der/das Movie. Diachrone Veränderungen in der Genusschwankung sind bisher durch sich ändernde Gewichtung genusdeterminierender Faktoren bzw. das Hinzutreten eines weiteren Faktors erklärt worden (Schulte-Beckhausen 2002: 173f.). Weitere Gründe sind aber auch die mögliche unterschiedliche kognitive/konzeptuelle Motivierung anhand einer bestimmten Identifikationsbasis/lexikalischen Entsprechung in der Nehmersprache bzw. stabile regionale Variation. Überhaupt spielen regionale Faktoren eine zentrale Rolle bei der Genusschwankung, wobei ihr Einfluss bisher wenig erforscht ist und sich die Frage stellt, inwieweit Genusschwankung von dialektaler Variation getrennt werden kann (vgl. Schulte-Beckhausen 2002: 233). Aufbauend auf den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit wird in einer Folgestudie der Einfluss soziolinguistischer Variablen auf die Genusschwankung bei englischen Lehnwörtern im Deutschen untersucht (Callies/Ogiermann/Onysko in Vorb.). Anhand von Daten aus verschiedenen Regionen (unterteilt entlang der Benrather Linie bzw. gemäß den deutschen Dialekten und Sprachgebieten seit 1945) soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern es sich beim Auftreten verschiedener Genera
Genusschwankung bei der Integration von englischen Lehnwörtern
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bei einem Anglizismus um tatsächliche Genusschwankung oder um regionale Unterschiede bei der Genuszuweisung handelt. Ein weiteres zentrales Anliegen ist zudem die Frage der Datenerhebung. Während Wörterbücher eher normativen als tatsächlichen Sprachgebrauch dokumentieren, haben experimentelle Methoden den Nachteil, dass das Testdesign die Ergebnisse möglicherweise beeinflusst. Zum einen könnte die im vorliegenden Testformat angelegte Reflexion über die Bedeutung eines Lehnworts und die Suche nach einer passenden lexikalischen Entsprechung in der Nehmersprache eine bewusstere Genuszuweisung eben über eine bestimmte lexikalische Entsprechung bewirkt haben. Wenn man mit Onysko (2007: 174ff.) davon ausgeht, dass Genusschwankung auch durch verschiedene kognitive Motivierung bzw. Konzeptualisierung verursacht werden kann, könnte zudem die kontextuelle Einbettung und Präsentation eines jeden Testworts Genusschwankung eingeschränkt haben. Daher führen wir in unserer Folgestudie einen methodologischen Vergleich durch, der den Einfluss des Aufbaus des Fragebogens auf das Auftreten von Genusschwankung untersuchen soll.
7.
Literatur
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Marcus Callies, Eva Ogiermann und Konrad Szcześniak
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Heide Wegener
Fremde Wörter – fremde Strukturen Durch Fremdwörter bedingte strukturelle Veränderungen im Deutschen
1.
Einleitung und Begriffserklärung
Die Fremdwortlinguistik geht heute davon aus, dass der Wortschatz einer Sprache mehrere Schichten aufweist. Munske (1988: 50) spricht von der “zweifachen Struktur des Deutschen”, wo “die Fremdwörter […] spezifische Teilsysteme bilden bzw. die indigenen Teilsysteme ergänzen”. Eisenberg (2002: 184) sieht einem Kern des Sprachsystems “verschiedene Epizentren gegenüberstehen”, die also an der Peripherie stehen. Auch bei Munske stehen die verschiedenen Teilsysteme nebeneinander, sie durchdringen sich nicht. Ausdrücklich weist er auf die Kombinationsrestriktionen in der Lehnwortbildung hin, bei der entlehnte Suffixe i. d. R. nur an entlehnte Basen treten, so dass es hier “zwei voneinander unabhängig funktionierende produktive Systeme” gebe, zwischen denen “ein gegenseitiges Heiratsverbot” bestehe (1988: 67). Die vorliegende Arbeit will genau hier ansetzen und Wortformen untersuchen, bei denen deutsche Stämme mit fremden Suffixen kombiniert werden, sei es in der Flexion, sei es in der Wortbildung. Die Arbeit will also nicht nur untersuchen, in welchen peripheren Bereichen fremde Strukturmuster gelten, sondern auch zeigen, dass es von der Peripherie ausgehende Einflüsse auf den nativen Wortschatz gibt. 1 Sie will Ursachen und Konsequenzen solcher Bildungen aufzeigen, der Frage nachgehen, welche Motivation die Sprecher haben, fremde Suffixe zu verwenden, obwohl native zur Verfügung stehen, welche Vorteile die neuen Formen also aufweisen. Entlehnung und Übernahme, d. h. produktive Verwendung fremder Suffixe stellt eine viel weitergehende, tatsächlich strukturelle Änderung dar, da Suffixe zu einer Vielzahl neuer Wörter mit eventuell auch in prosodischer Hinsicht neuer Wortstruktur führen können. Die Entlehnung eines Flexionssuffixes ist dabei wegen seines obligatorischen Einsatzes in noch höherem Maße als grammatische Veränderung zu werten als die eines Wortbildungssuffixes. Für beides lassen sich im heutigen Deutsch Belege finden. 1
Eisenberg (2002: 183) hält einen Einfluss auf den Kern für möglich.
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2.
Heide Wegener
Die Entlehnung eines Flexionssuffixes: der s-Plural
Im Folgenden wird eine Veränderung im Bereich der Grammatik beschrieben, die u. a. durch den Einfluss von Fremdwörtern bewirkt wurde. Da es sich dabei um einen genuin grammatischen Bereich handelt, die Pluralbildung der Substantive nämlich, einen Teil der Flexionsmorphologie also, werden von dieser Neuerung ganze Wortklassen betroffen, die auch native Wörter umfassen. Da die Flexion der Substantive im Deutschen andererseits seit alters in mehrere Flexionsklassen zerfällt, sind von der Neuerung nur bestimmte, darüber hinaus relativ kleine und markierte Wortklassen betroffen. Es soll gezeigt werden, was die Entstehung der neuen Pluralklasse für die Grammatik des Deutschen bedeutet, welche Wortklassen in diese Pluralklasse eintreten und warum gerade diese Wörter ihre Pluralbildung ändern. Die strukturelle Änderung in der Pluralbildung bestimmter Substantive kann funktional erklärt werden: es kann gezeigt werden, dass die neuen Pluralformen Vorteile aufweisen, deshalb keinen Verlust, sondern eine strukturelle Bereicherung des Deutschen darstellen, obwohl oder besser weil die neuen Formen existierende ältere Formen verdrängen. Es muss also auch gezeigt werden, inwiefern die alten Formen Mängel aufwiesen.
2.1. Herkunft Für den s-Plural sind mehrere Quellen nachweisbar. Nach Bornschein/Butt (1987: 136) weisen niederdeutsche Dialekte schon immer den s-Plural auf, wie Termini der Seemannssprache zeigen: Wracks, Decks, Relings. Hier stammt das Pluralsuffix wie im Niederländischen und Englischen aus dem Altsächsischen. Für Sprecher der Standardsprache stellen diese Wörter, da sie nur in bestimmten Soziolekten und technischen Bereichen gebraucht werden, nahezu Fremdwörter dar, auch wenn sie aus einem deutschen Dialekt stammen, denn wie andere fachsprachliche Termini führen sie ein Leben an der Peripherie. Für die Ausbreitung des s-Plurals spielen sie aufgrund ihrer geringen Zahl keine Rolle. Die hier untersuchte Ausbreitung des s-Plurals ist eine Folge der Entlehnung von Fremdwörtern aus dem Französischen im 18. und dem Englischen seit dem 19. Jahrhundert, die noch andauert, s. Paul (1917: 129ff.) mit zahlreichen Belegen für Gallizismen (Balkons, Restaurants) und Anglizismen (Schals, Lords, Klubs). Teilweise wird das s-Suffix nur zu Anfang verwendet, ist also ein Zeichen noch nicht erfolgter Assimilation, v. a. bei Gallizismen (Admirals, Generals, Grenadiers, Compliments, Meubles, Memoires, Paul 1917: 129, Anm.1). Die Assimilation unterbleibt, der s-Plural überlebt unter
Durch Fremdwörter bedingte strukturelle Veränderungen im Deutschen
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bestimmten Bedingungen, die bis heute gelten, bei Wörtern, “die deutlich als fremd empfunden werden” wie Billet, Hotel, Leutnant, Coupon (Paul 1917:129). Dies lässt sich präzisieren: da Wörter wie Synthesizer, Computer zweifellos auch als fremd empfunden werden, aber keinen s-Plural bilden, ist die entscheidende Bedingung für dessen Auftreten nur der fremde Wortausgang. Es sind also wortstrukturelle Merkmale, die den s-Plural begünstigen. Die Wörter, die ihn bewahren, lassen sich negativ definieren als Wörter, die “von der normalen Struktur deutscher Substantive, mit Hauptakzent auf der vorletzten Silbe, Auslaut auf eine Schwasilbe oder ein Ableitungssuffix, abweichen”, die also “phonetisch auffällig” sind (Bornschein/ Butt 1987: 138, 140). Dieselben Merkmale sind auch für seine Ausbreitung in den nativen Wortschatz verantwortlich, s. 2.2. Dieselben Merkmale spielen schließlich auch für die Ausbildung neuer Ableitungssuffixe eine Rolle, s. 3.1–2. Ob dieser Plural bei Anglizismen, die diese wortstrukturellen Merkmale nicht aufweisen müssen (Parks, Songs, Jobs), auch nur eine temporäre Erscheinung oder aber stabil ist, ist eine derzeit offene Frage (s. Wegener 2004, zur statistischen Entwicklung von 1898 bis 1975 s. die Tabellen in Wegener 2002:294). Jedoch bedeutete dies, auch bei einer großen Zahl von Anglizismen, noch keine strukturelle Veränderung des Deutschen. Von einer solchen kann erst gesprochen werden, wenn dieses Pluralsuffix auch für Fremdwörter aus anderen Sprachen und für native deutsche Wörter angewandt wird, und wenn sich dabei bestimmte Gesetzmäßigkeiten zeigen. Die phonetische Struktur ist aber nur einer von mehreren Faktoren. Zu den deutschen Wörtern, die vom nativen zum s-Plural übertreten, gehören die Vornamen, und zwar ausnahmslos. Die in Blatz (1900: 278) erwähnten Rudolfe, Heinriche gibt es nicht mehr, sie sind durch s-Formen ersetzt. Hier muss die Wortart eine Rolle spielen. Dasselbe gilt für Familiennamen. Hier stammt der s-Plural historisch allerdings aus dem Genitiv-s (Blatz 1900: 281): ’s Meiers (so noch heute im Schwäbischen für Meiers = ‘des Meiers (Hof, Haus, Familie)’), ursprünglich eine Ellipse. Hier wird also ein ursprünglich den Kasus anzeigendes Suffix als Pluralmarker reanalysiert. Der Übergang vom Kasus- zum Pluralsuffix erfolgt über eine Änderung des Artikels: des Meiers > die Meiers. Dass dieser Übergang so vollständig erfolgt ist, dürfte aber durch das homonyme fremde Pluralsuffix begünstigt worden sein. Auch die Familiennamen (und ebenso die Städtenamen etc.) müssen keine markierte Struktur aufweisen, sie bilden selbst dann den s-Plural, wenn sie auf reduzierten Vokal auslauten. Hierfür muss es also andere als phonetische Gründe geben. Das nhd. Pluralsystem, zu dem der s-Plural hinzutritt, ist nicht einfach, sondern weist bereits 4 Pluralklassen auf, 2 reguläre und 2 irreguläre und im Standard heute unproduktive Klassen, die sich nicht vollständig mit den
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Heide Wegener
Genusklassen decken: die beiden regulären Pluralklassen werden a) von den schwachen und b) dem größten Teil der starken Substantive gebildet, für sie stehen die Pluralmarker en/n und e/0, jeweils mit morphonologischer Variation in einer silbischen und einer nicht-silbischen Variante, zur Verfügung, zur Distribution s. Wegener (2002: 262–265) (schwach: Bank-en, Ranke-n, stark: Fisch-e, Fischer-0). Innerhalb der starken Flexionsklasse existieren daneben die beiden irregulären, da nicht vorhersagbaren, und unproduktiven Pluralklassen mit den Suffixen "e/"0 und "er, also jeweils mit Umlaut, wenn möglich: (Bänk-e, Vögel-0 einerseits, Wört-er, Kind-er andererseits). Die Konsequenz der morphonologischen Variation ist, dass native Pluralformen von phonetisch unauffälligen Simplizia eine einheitliche Struktur aufweisen: indem die silbische Variante an betonte, die nicht-silbische an Schwa-Silben der Basis tritt, sind alle Pluralformen trochäisch mit finaler Schwasilbe, s. die Beispiele oben. Das Deutsche hatte also genügend Pluralmarker für seinen nativen Wortschatz zur Verfügung, das neue Suffix füllt aber für markierte Wörter eine Lücke. Seine Integration in das deutsche Pluralsystem beruht auf seiner Funktionalität für den markierten Bereich. Diese und damit die Motivation für die strukturelle Änderung ergibt sich aus einer Analyse seiner Distribution im heutigen Wortschatz.
2.2. Vorkommen Die den s-Plural wählenden Nomen lassen sich nach zwei sehr unterschiedlichen Kriterien definieren und in vier Wortklassen zusammenfassen, wobei Überlappungen aufgrund der Heterogenität der Kriterien unvermeidlich sind. Die Kriterien sind ein phonologisches (K1) und ein semiotisch-pragmatisches (K2): K1: die Nomen erlauben die Pluralbildung mit einem nativen Suffix nicht ohne Verletzung von Wohlgeformtheitsbeschränkungen, K2: die Nomen haben aufgrund ihrer Funktion, Entstehung oder Neuheit einen speziellen semiotischen Status. “Spezielle Nomen” mit s-Plural sind demzufolge 1. auf unbetonten Vollvokal auslautende Wörter und Akronyme: die Opas, Unis, Kinos, Uhus, PKWs, 2. Eigennamen: die zwei Berlins, die Manns, die (Opel)Kadetts, 3. Onomatopoetika, einschließlich Interjektionen und zitierte Wörter (metalinguistische Substantivierungen):2 die Kuckucks, die “Ach”s und “Weh”s, 2
Diese werden im Folgenden zusammengefasst als Onomatopoetika.
Durch Fremdwörter bedingte strukturelle Veränderungen im Deutschen
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4. konsonantisch auslautende Fremdwörter u. a. Neologismen, Zusammenrückungen und Substantivierungen anderer Wortarten: die Balkons, Loks, Stelldicheins, Hochs und Tiefs. Da auch Auslaut auf Vollvokal für das Deutsche, das in der unbetonten Endsilbe Schwasilben präferiert, ungewöhnlich ist, stellen sämtliche 4 Wortklassen Wörter mit markierter Struktur oder spezieller Funktion dar.3 Klasse 1 enthält nur, Klasse 2–4 auch Wörter mit finalem Vollvokal (Paulas, Uhus, Pizzas), deren s-Plural am eindeutigsten zu begründen ist und hier gemeinsam behandelt wird. Die konsonantisch auslautenden Wörter der Klassen 2–4 weisen aufgrund ihrer besonderen Funktion oder Neuheit Besonderheiten auf. Wie gezeigt werden soll, ist dies der Grund für ihre Selektion des s-Plurals.
2.2.1.
Substantive mit Auslaut auf unbetonten Vollvokal
Am leichtesten ist der s-Plural bei den phonologisch auffälligen Wörtern mit auslautendem Vollvokal zu erklären: da die nativen Suffixe vokalisch anlauten, würde ein nativer Plural zu einem Hiat und einer nicht-trochäischen Wortform führen (die *'Opae, *'Unien, *'Pizzaen), was bei unbetonten Silben ungrammatisch ist, bei betonten aber möglich, da hier eine trochäische Wortform entsteht (die 'Schuhe, I'deen). Hier ist der s-Plural also phonologisch bedingt. Wörter mit diesem speziellen Auslaut finden sich auch unter den nativen Wörtern, bezeichnenderweise ausschließlich unter den oben genannten speziellen Wortklassen der Onomatopoetika und Eigennamen: Uhu, Wauwau – Helga, Otto. Bevor der s-Plural zur Verfügung stand, bildeten auch Eigennamen und Onomatopoetika einen Schwa-Plural, auch wenn damit dreisilbige Strukturen mit Hiat entstanden (Uhuhe), die nicht wohlgeformt waren und teilweise Tilgung des finalen Vokals (Maria- Marien) oder einen Akzentwechsel verlangten, um eine trochäische Pluralform zu bilden: (1)
3
früher: Uhu - die Uhuhe, Maria - die Marien, heute: Uhu - die Uhus, Maria - die Marias,
'Otto - die Ot'tonen Otto - die Ottos
Schon Paul (1917: 131) führt als charakteristisch für die zum s-Plural übertretenden deutschen Wörter an, es handle sich um “substantivierte Indeklinabilia, Interjektionen, Onomatopoetika, imperativische Bildungen wie Tunichtguts […] überhaupt Wörter und Wendungen, die nur nach ihrem Klange genommen werden sollen”. Marcus et al. (1995: 240) führen 10 Wortklassen an und verkennen dabei, dass sich diese in vier Wortklassen zusammenfassen lassen, die nach nur zwei Kriterien definiert werden können, s. Wegener (2002: 274 und Fn. 23).
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Heide Wegener
Die Beispiele zeigen, welche Strategien frühere Sprecher anwandten, um einen Hiat zu reparieren: sie fügten bei Ottonen und Uhuhe epenthetische Konsonanten ein und tilgten bei Maria den finalen Vokal. Der ursprünglich fremde sPlural hat hier die dispräferierten markierten Strukturen mit den nativen Suffixen verdrängt. Im heutigen Deutsch sind Hypokoristika mit finalem Vollvokal (Mutti, Studi, Kita) eine relativ häufige Erscheinung (s. 3.1), ihre hohe Produktivität verdanken sie u. U. der Verfügbarkeit eines Suffixes, das Pluralbildung ohne störenden Hiat erlaubt. Der s-Plural erfüllt somit heute eine Funktion als Mittel zur Bildung wohlgeformter Pluralformen für vollvokalisch auslautende Wörter.4
2.2.2.
Eigennamen
Der s-Plural tritt aber auch bei konsonantisch auslautenden, strukturell unauffälligen Nomen auf, sofern diese einer der o. g. markierten Wortklassen angehören. Dies geschieht bei den Eigennamen, obwohl native Pluralformen möglich sind oder sogar, bei homonymen Appellativa, vorliegen. So haben wir (2)
a. die Müllers, Vogels, Kochs, Manns, Bachs neben die Müller, Vögel, Köche, Männer, Bäche die beiden Deutschlands neben die Länder b. die Elkes, Dietrichs, Heiners, Wolfs neben die Elfen, Dietriche, Eimer, Wölfe
Der s-Plural ist hier nicht phonologisch, sondern kommunikativ-pragmatisch bedingt. Die Erklärung liegt darin, dass Nomen, die als Eigennamen gebraucht werden, in besonderer Weise auf strukturbewahrende Pluralformen angewiesen sind, und dass nur mit dem s-Suffix Pluralformen möglich sind, die ihrer korrespondierenden Singularform maximal ähnlich sind. Eine genaue Analyse der nativen, mit einer Schwasilbe gebildeten Pluralformen und der mit –s gebildeten ergibt, dass die Pluralbildung mittels eines silbischen Suffixes eine Reihe von Nachteilen aufweist: hier wird nämlich die phonologische Gestalt des Singularstamms mehr oder weniger stark verändert,
4
In ähnlicher Weise wird das s-Suffix von manchen norddeutschen Sprechern genutzt, um für Wörter, die aufgrund ihrer Struktur keinen overten Plural bilden, den dann auftretenden 0-Plural durch einen ikonischen Plural zu ersetzen. Es handelt sich um Maskulina und Neutra, die auf eine Schwasilbe enden und deshalb keine weitere Schwasilbe zulassen: Mädels, Bengels, Onkels. Jedoch ist diese Verwendung nicht Standard.
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Durch Fremdwörter bedingte strukturelle Veränderungen im Deutschen
so dass native Pluralformen vom Singular stark abweichen können: Länder >ln.d@ unterscheidet sich von Land >lant@, Bäche [] von Bach [ba] 1. durch die zusätzliche Silbe, also in der prosodischen Struktur, dem Fuß, 2. durch Resyllabierung, die Morphem- und Silbengrenze trennt: [(lant)] [(].[d)()@ 3. durch den Umlaut, 4. durch die Sonorität bzw. Palatalisierung des Endkonsonanten. Alle diese Veränderungen verletzen das Natürlichkeitsprinzip der Transparenz, das Uniformität des Stammes der beiden paradigmatisch zusammenhängenden Formen verlangt. Dies Prinzip präferiert Formen, die leicht zu identifizieren sind, bei denen keine verdunkelnden (morpho)phonologischen Prozesse auftreten wie Umlaut, Palatalisierung, Sonorisierung, Tilgung von Segmenten oder Resyllabierung, vgl. Dressler (1999: 137). Generell gilt “no modification of a phoneme in the stem or in the affix” (Dressler 1987: 102). Speziell die Integrität der Silbengrenzen hebt Mayerthaler (1987:49) hervor: “A form F is said to be transparent if F is morphotactically transparent, the optimum being the coincidence of syllable and formative boundaries.”5 Da die Verletzungen einzeln oder gehäuft auftreten können, bilden die Pluralformen eine Skala von maximal bis minimal singular-ähnlich: Sg: Pl:
Ecke Ecken
Frau Frau.en
Boot Boo.te
Hund [t] Hun.de [d]
Hand [t] Hän.de [d]
Sg: Pl:
Park Parks
Knie [kni:] Kni.e [kni.]
Bank Ban.ken
Burg [k] Bur.gen [g]
Buch [] Bü.cher []
maximal ähnlich Änderung Silbenrand
minimal ähnlich Änderung Fußstruktur
+Änderung +Änderung Silbengrenze Endkonsonant
+Änderung Vokal
Vom absolut identischen, aber nicht ikonischen 0-Plural wird hier abgesehen, weil dieser gegen das Natürlichkeitsprinzip des Ikonismus verstößt: er wäre zwar strukturbewahrend, aber insbesondere bei Feminina, die denselben Artikel wie Pluralformen haben, nicht funktional. Ikonische Pluralbildung ohne Veränderung des Fußes ist nur mit den nicht-silbischen Flexiven -n und -s möglich. Das erstere kann aber nur auf eine Schwa-Silbe mit finalem Sonoranten folgen (Ampeln, Ecken), da die Sonorität im Silbenendrand ab5
In den Termini der Optimalitätstheorie wird das Tranzparenzgebot in den Korrespondenzbeschränkungen, welche Identität zwischen dem Singularstamm und der Pluralform verlangen (Output-Output-Korrespondenz), detaillierter ausformuliert, zur Anwendung auf die Pluralformen s. Wegener (2004).
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Heide Wegener
fällt,6 nach Obstruent wird es automatisch silbisch: *Bankn, scheidet also für Eigennamen wie Bach aus. Die silbischen Flexive führen notwendigerweise zu Mehrsilbigkeit, also einer Veränderung der Fußstruktur, bei konsonantischem Auslaut zu Resyllabierung, bei Endkonsonanten, die der Auslautverhärtung unterliegen, wird diese blockiert, so dass ein stimmloser mit einem stimmhaften Konsonanten alterniert, bei Umlaut schließlich zur Vokaländerung und, als dessen Konsequenz, zur Palatalisierung des dorsalen Frikativs [] zum palatalen []. Die Pluralform Bäche [] für das Appellativum Bach [ba] verletzt das Transparenzprinzip gleich dreifach, da sie in der Fußstruktur, dem Endkonsonanten und dem Vokal vom Singular abweicht. Wenn dasselbe Nomen als Eigennamen gebraucht wird, bildet es daher den Plural mit dem nicht-silbischen s-Suffix: die Bachs. Die Motivation hierfür ist offensichtlich: aufgrund seiner niedrigen Sonorität wird –s in den Stamm integriert, bewahrt die Fußstruktur, desgleichen die Silbenstruktur, es tritt kein Umlaut auf und folglich wird der Frikativ nicht palatalisiert. Aber auch harmlosere Fälle ohne Umlaut gewinnen durch den s-Plural an Transparenz, indem zumindest die Fußstruktur (und eventuell die Stimmlosigkeit des Endkonsonanten) bewahrt wird: Berg - Bergs/ *Ber.ge. Denn nur beim Plural für das Appellativum erfolgt eine Aufspaltung des Stammmorphems auf zwei Silben: Singular pros. Wort
s-Plural pros. Wort
F
F
V
V
Berg [brk]
Bergs [brks]
e-Plural pros. Wort F V
V
Ber [br
ge g]
Strukturbewahrung ist für Eigennamen motiviert, ja notwendig. Eigennamen, die nicht nur referieren, sondern identifizieren, würden ihre identifikatorische Stärke verlieren, sind deshalb gegen Veränderungen geschützt, sie überstehen sogar orthographische Reformen (Thier > Tier, aber Thiel, Theo). Da Familien- und Ortsnamen häufig Homonyme unter den Appellativa haben, besteht ein weiterer Vorteil darin, dass die unterschiedliche Pluralbildung unzweideutige Referenz erlaubt (die Vogels/die Vögel sind weg) und somit einen kommunikativ-pragmatischen Vorteil bietet. 6
Umgangssprachlich wird –n statt –en auch nach Haupttonsilben gebraucht, aber auch hier nur nach finalem Sonoranten: die Zahln, Uhrn, Fraun, *Zeitn.
Durch Fremdwörter bedingte strukturelle Veränderungen im Deutschen
2.2.3.
95
Onomatopoetika
Neben die phonologisch nicht restringierte offene Klasse der Eigennamen tritt die phonologisch stark restringierte marginale Klasse der Onomatopoetika und Interjektionen. Für sie ergibt sich die Notwendigkeit zur Strukturbewahrung aus ihrer speziellen Struktur und Entstehung. (3)
a. Kuckuck -Kuckucks [kuk.kuk] - [kuk.kuks], b. Ach, Oh - die Achs, die Ohs [a] - [as], [o:] - [o:s].
Die Tatsache, dass für diese speziellen Wörter keine Schwa-Plurale gebildet werden, die dem Stamm eine Silbe hinzufügen und so zumindest die Fußstruktur verändern würden (Kuckucke,7 *Ache), ist hier durch deren spezielle Funktion als lautmalerische Zeichen motiviert. Die Vorteile der s-Formen liegen genau wie bei den Eigennamen in der Bewahrung der Wortstruktur, oder negativ ausgedrückt in der Vermeidung jeglicher Strukturänderung: [kuk.kuk] - [kuk.kuks]. Ein hoher Grad an Strukturbewahrung ist bei dieser Klasse hochgradig “spezieller Wörter” funktional. Denn die Veränderungen, die durch silbische Pluralsuffixe ausgelöst werden, hätten bei diesen Nomen fatale Folgen. Onomatopoetika, die ja auf der Imitation von Lauten beruhen, würden ihren lautmalerischen Charakter verlieren, Zitierwörter wären falsch zitiert: deine *Äche und *Wehen (analog zu Bäche und Seen). Onomatopoetika sind nicht nach den Wortbildungsregeln der betreffenden Sprache gebildet, sondern aus dem Bemühen heraus, bestimmte Laute zu imitieren. Die Tier- und Vogelrufe, auf denen die Onomatopoetika Uhu, Kuckuck, Wauwau beruhen, sind aber nun einmal zweisilbig – und sollten das auch in der Pluralform bleiben.
2.2.4.
Fremdwörter
Schließlich stellt das s-Suffix aufgrund seiner hohen Strukturbewahrung die ideale Möglichkeit dar, für Fremdwörter aus beliebigen Sprachen einen Plural zu bilden.8 Für Fremdwörter mit finalem Vollvokal gilt im Prinzip dasselbe wie in 2.2.1. Formen wie Pizzas, Kontos, Geishas vermeiden ungrammatische Pluralformen mit Hiat (*'Pizzaen), sie vermeiden aber auch grammatische, jedoch nicht strukturbewahrende Pluralformen wie Pizzen, Konten mit Tilgung des 7 8
So noch im Duden-Wörterbuch (2001). Eine umfassende Darstellung der Pluralbildung von Fremdwörtern und ihrer Assimilation findet sich in Wegener (2002, 2004).
96
Heide Wegener
finalen Vokals. Dass hier im Italienischen Stammflexion vorliegt und dass das finale –a oder –o das Genus anzeigt, ist den deutschen Sprechern i. a. nicht bewusst. Die s-Formen Pizzas, Kontos erhalten den Vokal des Stamms und sind daher ihrem Singular ähnlicher als die assimilierten Formen. Bei konsonantisch auslautenden Fremdwörtern gilt dasselbe wie das in 2.2.2 zu Eigennamen Gesagte: das nicht-silbische s-Suffix vermeidet Resyllabierung und Änderung der Fußstruktur, vgl. die früheren Formen auf –s (Paul 1917: 129, 131) und die assimilierten auf –e oder –en:9 (4)
Fremdwörter sind Appellativa und haben deshalb keinen semiotisch speziellen Status wie Eigennamen und Onomatopoetika, aber auch für sie sind strukturbewahrende Pluralformen von Vorteil, zumindest zu Beginn ihrer Karriere im fremden Sprachgebiet: Die Singular-ähnlichen Formen erleichtern ihr Bekanntwerden. Würden sofort vom Singular abweichende Formen wie Pizzen, Generäle gebildet, so könnte dies ihre Verbreitung erschweren, denn die Sprecher müssten sich zwei Formen merken, die nicht durch eine einfache Regel voneinander abgeleitet werden können. Bei Fremdwörtern tritt der s-Plural daher nur temporär auf, ist ein Übergangsplural, der dem deutschen Sprecher die grammatisch korrekte Verwendung von Fremdwörtern aus beliebigen Sprachen ermöglicht. Eisenberg (2001: 200) spricht ihm die Rolle eines Integrierers zu. Andererseits führt das konsonantische s-Suffix bei konsonantisch auslautenden Wörtern zu Konsonantenclustern, die schwer zu artikulieren sind (Lifts, Kiosks). Dieser Nachteil (und weitere, s. Wegener 2002, 2004), bewirkt dann die Assimilation, Pluralbildung mit den silbischen Suffixen, die die Konsonantencluster auflösen: Lifte, Kioske.
2.2.5.
Das Prinzip der Strukturbewahrung
Gemeinsames Charakteristikum der Wortklassen, die den s-Plural selegieren, sei es als Übergangs- oder als Dauerlösung, ist, dass sie phonologisch oder semiotisch markiert sind. Bei Onomatopoetika ist die phonologische Struktur durch ihre lautmalerische Funktion bedingt, sie sind in besonderem Maße auf Strukturbewahrung angewiesen. Bei Eigennamen ist die phonologische Struk9
Da die konsonantisch auslautenden Fremdwörter meist Maskulina oder Neutra sind und in die starke Flexionsklasse integriert werden, tritt -en selten auf.
Durch Fremdwörter bedingte strukturelle Veränderungen im Deutschen
97
tur sakrosankt, sie sind sogar juristisch vor Veränderungen geschützt. Fremdwörter können erst dann in ihrer phonologischen Struktur verändert werden, wenn sie einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben. Dann können die Sprecher sich die leichter artikulierbaren assimilierten Formen erlauben. Denn Strukturbewahrung - und der dafür notwendige artikulatorische Aufwand - ist nur bei speziellen Wörtern funktional, bei Onomatopoetika, die auf Lautimitation beruhen, und bei Eigennamen, die einen Teil der Identität ihres Trägers bilden, bei Fremdwörtern nur als Übergangsplural. Periphere Wortklassen, zu denen Uspensky/Zhivov (1977: 8) bezeichnenderweise “loanwords, interjections, onomatopoeic forms, ideophones, and nursery words” zählen, verhalten sich typischerweise anormal, sie flektieren anders als die Kernbereiche oder gar nicht. They “can be identified by the feature of their belonging to another system” (Uspensky/Zhivov 1977: 8). Andersartigkeit bringt für Familiennamen, die ja häufig homonym mit Berufs-, Herkunfts- oder Tierbezeichnungen sind, einen Vorteil. Indem sie sich von den Appellativa in Wortstruktur oder Flexionsverhalten unterscheiden, können sie als Namen erkannt werden. Da der s-Plural ein Phänomen peripherer Wortklassen ist, ist er gerade untypisch für das Deutsche, weshalb von daher keine Gefahr besteht, dass er in die anderen Klassen eindringt. Die Peripherie von Sprachen, so Uspensky/Zhivov (1977: 18), ist jedoch keineswegs chaotisch und inkonsistent, sondern “governed by definite principles”. Eines dieser Prinzipien scheint Strukturbewahrung zu sein.
3.
Die Entlehnung neuer Wortbildungssuffixe
Neben Anglizismen und Gallizismen üben auch Italianismen, Latinismen, sogar Exotismen strukturellen Einfluss auf das Deutsche aus. Ein Beispiel dafür bietet die Bildung von Kurzwörtern und Ableitungen mithilfe von Suffixen, die aus einem Vollvokal bestehen oder auf einen solchen enden wie Abi, Ossi, Kita, Limo sowie Butella, Brandino etc. Kurzwörter und Ableitungen auf finalen Vollvokal (meist auf -i, seltener auch auf -o und -a) stellen eine Neuerung im Deutschen dar, Strukturen, die nach dem Vorbild fremder Wörter entstanden sind. Dank der Verfügbarkeit solcher zunächst fremder Strukturen erlangten die neuen Wortbildungsverfahren Produktivität, so dass sie nun auch auf native Stämme angewandt werden (Mutti, Schlaffi, Schupo). Da es keine nativen vollvokalischen Ableitungssuffixe gibt und da native Simplizia gerade nicht auf Vollvokal auslauten, erfolgt hier also eine Änderung der Wortstruktur unter dem Einfluss von Fremdwörtern.
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Heide Wegener
3.1. Kurzwörter und Ableitungen auf einfachen Vollvokal Muster dieser Kurzwörter und Wortbildungen sind Fremdwörter mit finalem Vollvokal aus verschiedenen Sprachen, v. a. dem Italienischen: (5)
Nach diesen Mustern entstehen heute Kurzwörter und Ableitungen: (6)
a. auf -a: Asta Buga Kita Mofa Fewa
< < < < A'zubi erkauft wird. Für alle Kurzwörter gilt, dass sie im Vergleich zur Vollform leichter zu artikulieren sind, da die Zahl der Konsonanten im Silbenaus- und -anlaut reduziert ist. Dies entspricht den universalen Präferenzgesetzen für die Silbenstruktur, wie sie von Vennemenn (1988) und im Rahmen der OT formuliert wurden. Für den Auslaut gilt die Beschränkung “No Coda”, d. h. die Silbe sollte offen sein, vgl. (6b) Jung > Ju, Kin > Ki, Schutz > Schu. Für den Anlaut gilt entsprechend die Beschränkung “No Complex Onset”, die Silbe sollte gedeckt sein, aber mit nur einem Konsonanten beginnen, Konsonantencluster vermeiden, deshalb Andreas > Andi, Compjuter > Compi. Eine Ausnahme bildet nur der Anfangsrand der ersten Silbe, der nicht reduziert wird: spontan > Sponti. Die erste Silbe ist für die Worterkennung wichtig und bleibt erhalten, um den Bezug zur Vollform zu gewährleisten und das Verstehen der Kurzform zu erleichtern. Dies ist jedoch keine Bedingung: die Kurzform wird auch von Sprechern gebraucht, denen nur die referentielle Bedeutung, der Bezug aber nicht klar ist. Für die neuen Markennamen ergibt sich ein ähnliches Bild. Vergleicht man sie mit älteren Markennamen, die häufig identisch mit Familien- oder Herkunftsnamen waren und sich formal nicht von Appellativa unterschieden: Ackermann (Nähgarn), Adler (Nähmaschine), Albrecht, Birkenstock, Nürnberger Lebkuchen, oder den Komposita Lippen-stift, Staub-blitz, Frauen-gold, so zeigt sich auch hier ein Unterschied in der Silben- und Wortstruktur: die alten Formen weisen teilweise Sequenzen von schweren Silben auf, die mit Konsonantenclustern beginnen oder enden, die neuen haben leichtere, meist offene
Durch Fremdwörter bedingte strukturelle Veränderungen im Deutschen
101
Silben, keine Koda: But > Bu-, Eduard > Edu-, Schopf > scho und sind alle trochäisch. Die neuen Formen sind daher leichter zu artikulieren als ihre Vorgänger, vgl. Labello vs. Lippenstift, durch die Kürze sind sie ökonomischer. Die Reduktion der Konsonanten erleichtert nicht nur die Artikulation, auch der Hörer profitiert von dem deutlichen, da kontrastreichen Aufbau der KVSilben. Seine Perzeption profitiert außerdem von der Schallfülle der Vollvokale. Im Gegensatz zu den speziellen Wortklassen mit s-Plural geht es bei den Kurzwörtern und Ableitungen nicht um Transparenz in Bezug auf die ihnen zugrundeliegenden Vollformen, sondern einerseits um Kürze und leichtere Artikulierbarkeit, andererseits um Wohlklang und leichtere Perzipierbarkeit und schließlich um die Vermittlung bestimmter Konnotationen: die vollvokalischen ebenso wie die mehrsilbigen Suffixe besitzen noch einen gewissen semantischen Gehalt und erlauben daher Assoziationen mit i. a. positiv bewerteten Merkmalen: bei –i mit Niedlichkeit, weshalb die Bildungen oft hypokoristisch, nur selten pejorativ konnotiert sind, bei den italienischen Suffixen mit Italien und allem damit Assoziierbaren. Mit den Kurzwörtern, die auf Vollvokal enden, und mit den vokalischen bzw vokalfinalen Suffixen hat sich das Deutsche neue Möglichkeiten der Ableitung und Wortschöpfung geschaffen, deren Ergebnisse nach RonnebergerSibold (1995) zu besonders wohlgeformten Wortstrukturen führen, ja eine Optimierung von Lautgestalten darstellen. Für Féry (1997) stellen die i-Bildungen “die besten Wörter des Deutschen” 12 dar. Der Vorteil der Kurzwörter allgemein wird klar, wenn man sie der unmarkierten Struktur von nativen Zweisilbern gegenüberstellt, deren unbetonte Silbe meistens ein Schwa enthält (vgl. Kinder-tages-stätte). Mit der seit dem Ahd. erfolgten Reduktion sämtlicher Endsilbenvokale zu Schwa verschenkt das Deutsche nämlich die Möglichkeit, in der Endsilbe der Wörter mehr als grammatische Information zu übermitteln. Wie schon Jean Pauls Klage über die Reduktion der nebentonigen Vokale zeigt (“Wir gaben die alten deutschen [Klänge] auf o und a schon weg und ließen so viele e’s herein; warum wollen wir uns nicht die Wiederkehr ähnlicher gefallen lassen” (1804, Vorschule der Ästhetik, zit. nach Munske 1988: 54), sind die Sprachbenutzer “mit dem ‘Schutt’ der vielen // in den unbetonten Silben ihres Normalwortschatzes nicht besonders zufrieden”, und es ist bezeichnend, dass sie “wieder unbetonte Vollvokale verwenden, sobald sie frei sind, sich neue Wörter zu schaffen.” (Ronneberger-Sibold 1995: 43). Der Mangel wird durch die neuen Wortformen behoben, die daher nicht nur eine lexikalische, sondern auch eine strukturelle Bereicherung der deutschen Sprache darstellen.
12
So der Titel des Artikels von Féry (1997).
102
4.
Heide Wegener
Die Bedeutung der neuen Strukturen für das Deutsche
Fremdwörter spielen in den hier untersuchten Bereichen die Rolle von strukturellen Mustern und Auslösern. Das gilt einmal für das s-Suffix, das in fast jeden Stamm integriert werden kann (alle außer auf Sibilanten auslautende) und dadurch eine strukturbewahrende Pluralisierung von Wörtern spezieller Struktur oder Funktion ermöglicht: die noch erhaltenen Formen Kuckucke, Uhuhe zeigen, dass das Deutsche ohne seine Gallizismen und Anglizismen wohl kaum diese Lösung gefunden hätte. Das gilt ebenso für die vokalischen oder vokalfinalen Suffixe der Kurzwörter und Markennamen: ohne seine Italianismen hätte das Deutsche weniger Kurzwörter, die Markennamen mit den italienischen Suffixen vielleicht gar nicht entwickelt. Zum Schluss stellt sich die Frage, welche Bedeutung diese neuen Strukturen für das Deutsche insgesamt haben: stellen sie neue Epizentren zur Verfügung oder verändern sie das Gesamtsystem, gar den Kern? Die neuen Markennamen gehören ebenso wie andere Eigennamen zweifellos zur Peripherie, die sich gerade durch markierte Strukturen auszeichnet. Zwar können Markennamen zu Appellativa übergehen, was für Tempo, Labello beobachtet werden kann, aber ihre Zahl und Tokenfrequenz ist dennoch gering. Der s-Plural hat das deutsche Pluralsystem insofern verändert, als eine neue Flexionsklasse entstand. Solange dieses Pluralsuffix nur für die hochmarkierten Wortklassen der Eigennamen und Onomatopoetika und unassimilierte Fremdwörter verwendet wurde/wird, betrifft aber auch er nur periphere Bereiche des Wortschatzes. Von besonderem Interesse ist daher das gleichzeitige Auftreten der in 3.1 beschriebenen Kurzwörter und i-Ableitungen, die fast alle Appellativa sind. Da nicht-fachsprachliche Kurzwörter wie Auto, Kita, Opa, Mutti zur Umgangssprache gehören und schon früh erworben werden, können sie durchaus Einfluss auf die Struktur des Gesamtwortschatzes haben. Aus phonologischen Gründen bilden sie sämtlich den s-Plural, der hier zudem zu trochäischen Formen mit einfachen Silbenstrukturen führt. Der Vorteil der nativen trochäischen Struktur wird hier kombiniert mit dem Vorteil des nicht-silbischen Suffixes, eine geradezu ideale Lösung für die Bildung des Plurals. Die Produktivität des Wortbildungsmusters bedingt und befördert die Produktivität des Flexionsmusters. Diesen Zusammenhang sah schon Munske (1988: 62): “Durch die indigene Produktivität solcher Bildungen”, so prophezeit er, sei der s-Plural “auf dem Wege, sich zu einem Strukturmuster der deutschen Gesamtsprache zu entwickeln.” 20 Jahre später kann gesagt werden: der s-Plural hat den Bereich der Peripherie verlassen und sich als eine Pluralklasse des Systems etab-
Durch Fremdwörter bedingte strukturelle Veränderungen im Deutschen
103
liert, – “ein bemerkenswertes Beispiel für die Wirkung von Sprachkontakten” (Munske 1988: 62).
5.
Literatur
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104
Heide Wegener
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Rüdiger Harnisch
Integration und Isolation von suffixverdächtigen Fremdwörtern – das Deutsche in typologischer Perspektive
1.
Problemaufriss und Thesen
In diesem Beitrag werden “Strategien der Integration und Isolation nicht-nativer Einheiten und Strukturen”1 in Bezug darauf dargestellt, wie die deutsche Sprache mit suffixverdächtigen Fremdwörtern verfährt. Suffixverdacht liegt vor, wenn Wortausgänge von Fremdwörtern nach ihrer Form und Funktion Suffixe der Nehmersprache sein oder als Suffixe der Gebersprache eingeschätzt werden könnten. Von Integration soll gesprochen werden, wenn suffixverdächtige Wortausgangsstrukturen als morphosemantisch nutzbar erachtet und dann auch genutzt werden, von Isolation soll gesprochen werden, wenn das nicht der Fall ist. Typologisch relevant sind diese Strategien insofern, als die Nehmersprache eine Suffixsprache ist. Bei Sprachen dieses Typs ist die morphosemantische Nutzbarkeit von Wortausgangsstrukturen latent immer gegeben und ihre Nutzung wird tatsächlich oft virulent. Wird eine vorhandene Struktur erkannt oder eine vermeintliche Struktur hergestellt, wird im Folgenden von Analyse bzw. Re-Analyse gesprochen. Typologisch ist (Re-)Analyse mit dem Stamm-Prinzip verbunden. Ein Beispiel dafür ist die Pluralform Pizz-en zum Singular Pizz-a.2 Wird eine Struktur hingegen nicht bzw. nicht vollständig erkannt oder nicht bzw. nicht vollständig hergestellt, wird im Folgenden von De-Analyse oder Semi-Analyse gesprochen. Sie ist typologisch mit dem Grundform-Prinzip verbunden.3 Beispiel hierfür ist die Pluralvariante Pizza-s, in der die Grundform Pizza unangetastet enthalten ist. Durch die Tatsache, dass Varianten nebeneinander existieren, zeigt sich übrigens, dass Strukturen nicht einfach “im System” vorhanden sind 1
2
3
So die Sektion auf der Jahrestagung 2007 der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft in Bamberg, konzipiert und organisiert von Anke Holler und Carmen Scherer. Pizza ist zu so etwas wie einem Schibboleth der Forschung zur (Des-)Integration von nicht-nativen Lexemen ins System der Pluralbildung des Deutschen geworden. Dazu Harnisch (1994: 110 und Anm. 19), Harnisch (2001: IX) und Wegener (2002: 113–114), schließlich sogar titelgebend Wegener (2004). Zu Stamm- vs. Grundformprinzip Harnisch (1990, 1994, 2001) in Auseinandersetzung mit Wurzel (1984).
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Rüdiger Harnisch
oder nicht, sondern dass sie sprecherabhängig erkannt (und dann analysiert) werden können oder nicht.4 Insofern ist die Beschäftigung mit der morphologischen Fremdwortintegration immer auch Variations- und nie nur Systemlinguistik.5 Die beiden geschilderten gegensätzlichen Strategien sind Ergebnis zweier widerstrebender Präferenzen und haben diametral entgegengesetzte Folgen. Diese Strategien lassen sich als folgende Maximen formulieren:6 1. Lass übernommene fremde Strukturen formal möglichst unangetastet! 2. Nutze vorhandene morphologische Strukturiertheit oder erzeuge sie! Die erste Maxime, die das Prinzip der De- bzw. Semi-Analyse stützt und nach dem Grundform-Prinzip verfährt, belässt die übernommenen Einheiten tendenziell in Isolation. Es ist die probate Strategie zumindest für die Anfangsphase der Übernahme und erklärt etwa Pluralformen wie Pizza-s oder Sauna-s mit Wortbildungen wie sauna-baden. Die zweite Maxime, die das Prinzip der Analyse und Re-Analyse stützt und nach dem Stamm-Prinzip verfährt, führt tendenziell zu einer stärkeren Integration der übernommenen Einheiten in das System der morphologischen Klassen- und Kategorienbildung der Nehmersprache bzw. zu einem kreativen eigenen Umgang mit den fremden morphologischen Einheiten. Diese Strategie entfaltet eine Langzeitwirkung und favorisiert auf Dauer die Herausbildung von Pluralformen wie Pizz-en oder Saun-en mit Wortbildungen wie dem Verb saun-(ier-)en.7 Zwei sprecherpsychische Kräfte, die Jespersen (1925) beschrieben hat, wirken bei der zweiten Maxime zusammen und spielen bei den in vorliegender Untersuchung dargestellten einschlägigen Fällen eine Rolle: ein Bedürfnis nach “Sekretion” und ein “klassenbildender Trieb”. Unter “Sekretion” versteht er “die Erscheinung, daß ein ursprünglich unselbständiger Bestandteil eines 4
5 6
7
Auch Becker (1990: 18) weist darauf hin, “daß manche Regeln von bestimmten Sprechern erkannt werden und von anderen nicht”. Sprecherabhängiges Regelwissen und schwankendes Normbewusstsein veranschlagte schon Rettig (1972: 74). Siehe entsprechende Hinweise in Harnisch (1990: 40 und 1994: 104–106). Vgl. den Titel von Rettig (1972). Auf eine Darstellung dieser Maximen etwa im Format der Optimalitätstheorie mit ihren Constraints wurde hier wegen des Formalisierungsaufwands verzichtet. Ferner wird in vorliegender Untersuchung ein segmental-morphologisches Modell verfolgt, womit die Möglichkeit, den Gegenstand mit a-morphologischen Ansätzen wie dem Schema-Modell von Köpcke (1993) anzugehen, nicht bestritten werden soll. Material dazu stellt der Anhang von Wegener (2004) bereit. Siehe auch das Korpus 1 im Anhang von Scherer (2000), Bereich 1.1. Substantive mit Kennzeichnung “+n SF” für den häufigsten Fall von n-Suffigierung bei Stammflexion, z. B. Filialprokura – Filialprokuren.
Integration und Isolation von suffixverdächtigen Fremdwörtern
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eigentlich unteilbaren Wortes zu einer grammatischen Bedeutung kommt, die er anfänglich nicht hatte” (Jespersen 1925: 370f.). Zum Beispiel kann das -i am Wortausgang der generisch maskulinen, aber geschlechtsneutralen Personenbezeichnung Ossi als Marker des biologisch ‘männlichen’ Sexus reanalysiert werden, dem dann eine Bildung Ossa auf -a-Suffix, das biologisch ‘weiblichen’ Sexus ausdrückt, antonymisch gegenübergestellt wird.8 Aus dem “klassenbildenden Trieb” entstehen seiner Auffassung nach unter Verwendung der sekretierten Suffixe “Gruppen von lautlich und begrifflich ähnlichen Wörtern” (Jespersen 1925: 377). So bilden Nennformen wie Stud-i, Knack-i, Israel-i als relativ transparente Bildungen aus Stamm und -i-Suffix, aber auch Ossi, Profi, Ami mit gleichem Wortausgang, doch mit nur semitransparanter oder relativ intransparenter Struktur, eine morphosemantische Reihe von Personenbezeichnungen auf -i, in die dann auch Nicht-Nennformen wie der fremdsprachliche Plural Paparazzi als deutscher Singular *ein Paparazzi aufgenommen werden können.9 Ob fremdsprachliche Einheiten eher nach der ersten Maxime behandelt, also nicht oder nicht ganz analysiert werden, oder ob sie nach der zweiten Maxime behandelt, also analysiert oder re-analysiert werden, hängt unter anderem von bestimmten – begünstigenden oder hindernden – systemischen Begleitmerkmalen ab, die im Folgenden exemplarisch herausgearbeitet werden sollen. Auf soziale Begleitfaktoren wird im Rahmen dieser Untersuchung nicht weiter eingegangen.10
2.
Analyse und Re-Analyse
Zur Veranschaulichung analytischer und re-analytischer Verfahren werden zunächst Beispiele von Jespersen (1925) für die Grundwirksamkeit des sekretierend-suffixbildenden Verfahrens gegeben. Einige der Fälle haben mit der Übernahme nicht-nativer Einheiten zu tun, andere spielen sich im nativen Bereich ab. Ein Beispiel für den ersten Fall sind etwa die Reanalysen der Sin8
9 10
DIE ZEIT vom 19. Oktober 1993, Karikatur. Ferner: “Dem Ossi (männlich verstanden) wurde die Ossa an die Seite gestellt” (Wörter und Unwörter 1993). Ossi und Ossa sind zwar keine Fremdwörter, weisen aber mit dem suffixverdächtigen vollvokalischen Wortausgang in der zweiten, unbetonten Silbe Strukturähnlichkeit mit nicht-nativen Lexemen auf. Beleg ein hochwürdiger Paparazzi in: Heinrichsblatt [des Bistums Bamberg] vom 22.1.2006. Ungeachtet der in Anm. 4 und 5 gemachten Bemerkungen.
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Rüdiger Harnisch
gularformen frz. pois ‘Erbse’ und cerise ‘Kirsche’ im Englischen. Dort werden die lautlich integrierten Formen peas und cherries als Pluralformen pea-s, cherrie-s reanalysiert, aus ihnen werden die Singularformen pea, cherry rückgebildet. Ein Beispiel für den zweiten Fall ist etwa die Reanalyse der Nennform engl. oxen als Pluralform (ox-en), aus der ein Singular ox rückgebildet wird: ursprüngliche Basisform (frz. pois, cerise ‘Erbse, Kirsche’ >) me. peas, cherries engl. Chinese, Portuguese ‘Chinese’, ‘Portugiese’ ae. oxen- ‘Ochse’ (Stamm aller Formen außer N.Sg.) ahd. rinder ‘Rind’ (Stamm aller Formen außer N.A.Sg.) engl. (X is) mine my (X) vs.
nach-ahd. rind-er ‘Plural’-Stamm vulg. mi-ne prädikativ’ ‘attributiv’ vs. my
nach-ahd. rind ‘Singular’-Stamm vulg. ‘prädikativ’ mi-ne his-n etc.11 danach auch
An den Beispielen ist zu sehen, dass gute Form-Funktions-Beziehungen die Re-Analyse, d. h. die Re-Segmentierung auf der formalen und die kategorialsemantische Re-Motivierung auf der inhaltlichen Seite, fördern. Die substantivischen Wortausgangsmuster -s, -en und -er symbolisieren vermeintlich ‘Pluralität’ (aus rind-er, ox-en, pea-s so die Singularformen rind, ox, pea), das possessivpronominale Muster -n symbolisiert vermeintlich ‘Prädikativität’ (aus mi-ne so auch his-n usw.).12 Die Frage ist nun, wo solche günstigen Form11 12
Gegebenfalls unter Ersatz des Prädikativmarkers -s durch -n, z. B. her-s > her-n. Über Jespersen hinaus lassen sich weitere Beispiele aus Sprachwandel, dialektalen Entwicklungen und Spracherwerb anführen. So wird in Harnisch (1998: 2002) gezeigt, wie monomorphes Falter in Falt-er resegmentiert, das -er also als ‘Agens’Suffix remotiviert und mit falt-en (der Schmetterlingsflügel) in Verbindung gebracht wird; ähnlich die Reanalyse von engl. grocer in das vermeintliche Nomen agentis groce-r ‘Kramer’ mit verbaler Rückbildung to groce ‘Kramhandel treiben’. Vergleichbar ist auch die Reanalyse von -t bei bair. unt ‘unten’, hint ‘hinten’, ent ‘jenseits’ als Suffix der ‘Statik’ räumlicher Adverbien, das zu Bildungen wie draus-t ‘draußen’ nach dem Muster von un-t, hin-t, en-t führt. Das -t des Bairischen entspricht funktional dem -en des Neuhochdeutschen in unt-en, hint-en, ob-en, auß-en usw., das ebenfalls erst sprachgeschichtliches Reanalyse-Produkt ist (dazu Harnisch 2000); ähnlich die Reanalyse des -er von unter, über, hinter als Suffix für ‘präpositionale Räumlichkeit’ im Ostfränkischen, was zu Präpositionen wie zwisch-er, neb-er, geg-er (statt zwischen, neben, gegen) führt, die einem morphologischen
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Inhalts-Beziehungen auch bei fremdsprachlichen Lexemen vorliegen und ob sie deren Integration erleichtern. Hier spielen bildungsbürgerliche Kenntnisse von Fremdsprachen und ihrer Morphologie eine Rolle. So kann es etwa zu “Gelehrten”-Reanalysen wie den folgenden kommen:13 fremdwörtliche Basisform
pseudo-fremdsprachliche Reanalyse der Basisform
auf reanalysierter Basis aufbauende Pluralform
Plural-e tantum Sg.
Pluraletant-um Sg.
Curricul-a ntr. Pl. (zu Curricul-um ntr. Sg.)
Curricul-a fem. Sg.
Pluraletant-a14 statt Plural-ia tantum Curricul-ae15 fem. Pl. statt Curricul-a ntr. Pl.
Ganz an die Verhältnisse der Nehmersprache wird ein Fremdwort-Typ angepasst, der für eine große Gruppe von Entlehnungen aus dem Französischen steht. Zuerst wird aus einer gebersprachlichen Nennform wie (le) blam-age (mask.) ein Deklinationsklassensuffix -e reanalysiert (Grenzentstehung vor dem -e bei gleichzeitiger Grenzaufhebung zwischen blam und ag-) und im Zuge dieses Vorgangs dann sogar feminines Genus zugewiesen, da die Masse der Substantive mit dem Deklinationsklassensuffix -e in der Nehmersprache feminines Genus hat: (die) Blamag-e (fem.!) wie (die) Klag-e. Bei den Beispielen Plurale tantum, Curricula und Blamage war die Form nur an semantisch schwache Kategorien wie Genus und Deklinationsklasse gekoppelt. Doch gibt es auch Beziehungen von Formen zu semantisch stärkeren Kategorien, z. B. derivationeller Art. Auf der Basis von günstigen FormInhalts-Beziehungen ist eine Integration von Fremdwörtern besonders gut möglich bei Fällen wie Torero, Mephisto, bei Fällen wie Paulus, Saulus, Sozius, Lazarus oder eben auch bei pseudo-nichtnativen Bildungen wie Realo, Ossi. Die genannten Beispiele sind mit ihrem Wortausgangsmuster alle an das semantische Merkmal ‘Personenbezeichnung’ geknüpft, ob ‚nur’ als (generische) Maskulina oder, mit bereits remotivierter stärkerer Kategorialsemantik, als Bezeichnungen biologisch ‘männlicher’ Wesen. Die Wortausgänge -o, -us oder -i dieser Maskulina werden als Suffix reanalysiert und ablösbar. Die ent–––––––—––
13 14 15
Muster unt-er, üb-er, hint-er nachgebildet sind. Siehe auch Harnisch (2007) zu kindersprachlichen Reanalysen wie der von sauber als Komparativ saub-er mit Rückbildungen eines Positivs saub und eines Superlativs saub-st; aus demselben Korpus super, heiser reanalysiert als sup-er, heis-er ‘Komparativ’, zu sehen an den Positivbildungen die sup-en, heis und der Superlativbildung am sup-st-en. Vgl. den Begriff der “Gelehrten-Etymologie” bei Förstemann (1852), die nichts anderes als eine Fehl- oder Volksetymologie darstellt (Vennemann 1999). Häufig in studentischen Referaten und Wortmeldungen. Forschung & Lehre 12 (1999).
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Rüdiger Harnisch
scheidende Evidenz dafür ist, dass sie durch das Suffix -a zur Bezeichnung biologisch ‘weiblicher’ Wesen ersetzt werden können, ein kreatives Spiel mit der ‚fremden’ Suffixmorphologie, das erst in der Nehmersprache stattfindet und so gar nicht mit-übernommen worden ist oder übernommen worden sein muss. Besonders beliebt – und frei – ist das Sprachspiel mit Eigennamen: Mephist-a16 nach Mephist-o, Lazer-a [sic mit -e-17] nach Lazar-us und, phraseologisch eingebettet, eine Saula (wird) zur Paula18 nach Saul-us/Paul-us. Hier ist nicht zu erwarten, dass die movierten Formen gebucht sind. Anders ist es bei Appellativen. Schon früh ist hier etwa Sozi-a aus Sozi-us ‘Motorradbeifahrer’ gebucht gewesen.19 Die erwähnte Langzeitwirkung hat sich später auch bei Torer-a20 aus Torer-o und bei Real-a zum Neologismus Real-o21 eingestellt. Aus dem Maskulinum Oss-i ist ein Femininum Oss-a gebildet worden.22 Es ist in keinem der genannten Referenzwerke gebucht. Sein Sprachspiel-Charakter kommt insofern besonders zur Geltung, als ein -i/-a-Wechsel anders als die romanischen -us/-a- und -o/-a-Wechsel als Alternationsmuster für ‘maskulin/feminin’ nicht etabliert ist. Dagegen gibt es inzwischen das mit dem Maskulinum homonyme Femininum die Oss-i (vgl. die Tuss-i). Ein Plural *Oss-en statt Oss-i-s zu Oss-i fem. ist, anders als der Plural Tuss-en statt Tuss-i-s zu Tuss-i, jedoch (noch) nicht möglich.23 Dieses Sprachspiel mit grammatischen Endungen, die semantisch aufgewertet werden, hat Parallelen in der Suffixmorphologie der Nehmersprache,24 16 17 18 19
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22 23 24
Faltprospekt Faust-Festspiele Kronach 2002. SZ vom 13.12.1997. SZ vom 16.2.1991. Zum Nachvollzug eventueller diachroner Entwicklungen wurde folgende Auswahl von Referenzwerken konsultiert: [1] Duden Fremdwörterbuch (51990), [2] Duden Rechtschreibung (201991), [3] Duden Rechtschreibung (242006), [4] Duden Fremdwörterbuch (92007). Die Ziffern in eckiger Klammer werden im Folgenden als Literaturnachweise für Buchungen von belegten Formen verwendet. Sozia ist in [1] bereits gebucht. SZ vom 25.5.1996, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13.5.1998, gebucht aber erst in [3] und [4]. Reala ist schon in der SZ vom 11.11.1995 und vom 27.1.1996 belegt, aber erst in [3] gebucht. Anders als Realo, das bereits in [1] gebucht ist, ist Reala nie in Fremdwörterbüchern verzeichnet, offensichtlich, weil es stärker als die maskuline Form als eine Bildung angesehen wird, die erst im Deutschen stattfindet. Ossi ist ab [2] gebucht. Belege für Ossa s. o. Anm. 8. Die Ossi ‘fem.’ und ‘weiblich’ ist in [3] gebucht. Mehr zu Tussi/Tusse mit dem Plural Tussis/Tussen in Kap. 4 und Anm. 43. Die besondere Rolle eines Parameters der ‘Äquivalenz/Nichtäquivalenz’ von Ergebnissen der Integrations- und Isolationsprozesse mit Strukturvorgaben und
Integration und Isolation von suffixverdächtigen Fremdwörtern
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z. B. bei (natürlich nicht gebuchten) Personenbezeichnungen bzw. personifizierenden Bezeichnungen, bei denen das genusspezifische Femininsuffix -e zum ‘weiblichen’, die morphologische -Ø des Maskulinums zum ‘männlichen’ Sexusmarker erhoben wird: der Siren msk. ‘männliche Sirenenfigur’25 aus Siren-e fem., ein männlicher Briefmark26 aus Briefmark-e fem., mein besser-er Hälft ‘Gatte’27 aus mein-e besser-e Hälft-e ‘Gattin’, Frau Holl-e als lausbübische Bezeichnung der Ehefrau von Herrn Holl28 oder der Politess29 zu die Politess-e, was jedoch nur funktioniert, wenn das Schwa von Politesse hörbar ist. Auch können immer wieder vorhandene Suffixe mit bestimmter Bedeutung als homonyme Suffixe mit anderer Bedeutung re-interpretiert werden, so wenn das Dativ-Plural-Suffix -en von Weihnacht-en (< ze den wîhen nahten ‘zu den heiligen Nächten’) zum -en eines singularischen Neutrums umgedeutet wird: Froh-es Weihnacht-en! wie ein gut-es Zeich-en. Man hat es, um auf die Fremdwörter zurückzukommen, bei Lexemen auf -o, -us und -i also offensichtlich mit Wortausgängen zu tun, die in einer guten Verbindung zum semantischen Merkmal ‘männliche Personenbezeichnung’ stehen und die es in der Nehmersprache deshalb zu einem guten morphologischen Status bringen, zu einem so guten sogar, dass innerhalb der Nehmersprache mit diesen fremden Elementen gespielt werden kann, übrigens auch in die andere Richtung, wenn z. B. zu dem Frauennamen Anit-a Ekberg ein männliches Antonym Anit-o Ekberg-er gebildet wird.30 Die enge Kopplung der Formanten -o, -us und -i an die Funktion der Bezeichnung männlicher Personen hat ihre Entsprechung also in der ebenso engen Kopplung des Suffixes -a an die Funktion der Bezeichnung weiblicher Personen. Als Stütze dieser Form-Inhalts-Beziehungen können typische Wortausgänge oder Suffix(oid)e männlicher und weiblicher Vornamen und Personenbezeichnungen gelten: für männliche Wesen z. B. Ing-o, Both-o, Brun-o, Kun-o, Mari-o, Marc-o usw. im onymischen Bereich, Desperad-o, Buff-o, Putt-o, Gigol-o, Eskim-o, Indi-o, Albin-o, Torer-o usw. im appellativischen; Mark-us, Juli-us, Vit-us, Corneli-us, Ruf-us usw. bei Eigennamen, Bakkalaure-us, Stu–––––––—––
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28 29 30
Tendenzen in der Nehmersprache stellen Holler und Scherer (in diesem Band) heraus. Deshalb wird in vorliegender Untersuchung systematisch auf mögliche Parallelen im nativen System geachtet. SZ vom 1.7.1995. Ringelnatz (1984: 65). So die Gattin zu ihrem Gatten in einer Karikatur (DIE ZEIT vom 20.4.1984). Er antwortet ihr ebenso feministisch korrekt mit mein-e gut-e Geist-in, was eine ‘männliche’ Interpretation des -e-losen Maskulinums Geist voraussetzt. Hörbeleg. SZ vom 8.7.1995. SZ vom 10.6.1995.
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Rüdiger Harnisch
dios-us, Bacch-us, Fili-us, Geni-us, Musik-us, Intim-us usw. bei Appellativen; Will-i, Ton-i, Ul-i, Sig-i usw. bei Namen, Dand-y, Prof-i, Israel-i, Am-i, San-i, Rabb-i usw. bei Personenbezeichnungen, Vat-i, Op-i im appellativischonymischen Übergangsbereich. Bei der i-Gruppe ist eine Verbindung zu weiblichen Namen bzw. Personenbezeichnungen allerdings genauso möglich, z. B. Ton-i für Antonia, Ull-i für Ulrike mit homophonem männlichem Pendant, ohne ein solches Usch-i usw. bei den Vornamen, Lad-y usw. bei den Personenbezeichnungen, Mutt-i, Om-i usw. im appellativisch-onymischen Übergangsbereich. Sehr stark und fast ausschließlich mit dem semantischen Merkmal ‘weiblich’ verkoppelt sind Personennamen und Personenbezeichnungen auf -a: Mari-a, Andre-a, Michael-a usw. bei den Vornamen, Geish-a, Intim-a, Primadonn-a, Ballerin-a, Div-a usw. bei den Gattungsnamen.
3.
Semi-Analyse und De-Analyse
Der Wortausgang auf -i begegnet auch in Form des fremdwörtlichen Pluralsuffixes, hier auch wieder bei Personenbezeichnungen (Mafiosi). In diesen Fällen kommen zwei Faktoren zusammen, die eine Analyse bzw. Re-Analyse des -i als Pluralanzeiger behindern: 1. -i ist aus der Perspektive der Nehmersprache Deutsch gesehen kein guter Wortausgang für Pluralformen. 2. -i ist, ebenfalls von der Nehmersprache her betrachtet, jedoch ein guter Wortausgang für singularische maskulin-generische oder männliche Personenbezeichnungen. Die token-frequentiell wahrscheinlich überwiegenden Verwendungen von fremdsprachlichen Pluralformen auf -i wie bei Bambini, Sinti, Mafiosi oder Paparazzi werden im Deutschen zum Teil singularisch verwendet, zum Teil lässt sich eine singularische Verwendung lediglich aus einem Plural auf -s erschließen, der an den Wortausgang auf -i antritt. Ein Beispiel für einen solchen Plural auf -s, zu dem es keine Singular-Form auf -i gibt, ist etwa Bambini-s.31 Ein Beispiel für die singularische Verwendung der nicht-nativen Pluralform auf -i im Deutschen ist etwa ein/einen/einem Sinti.32 Ein Beispiel für die singularische Verwendung der nicht-nativen Pluralform mit gleichzeiti-
31 32
NK vom 14.12.1993. SZ vom 9.1.1993.
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Integration und Isolation von suffixverdächtigen Fremdwörtern
gem Plural auf -s ist etwa ein hochwürdiger Paparazzi / die Papparazzi-s [sic mit -pp-].33 Bei den beiden letzten – belegten – Typen (Sg. ein Sinti, ein Paparazzi) kann man von tatsächlichen “Singular”-Formen auf -i und von einem tatsächlichen “Plural” auf -s sprechen. Der erste Typ (Pl. Bambini-s ohne Sg.-Form *ein Bambini) lässt dagegen lediglich den Schluss zu, dass statt eines – unbelegten – Singulars ein “Hypo-Plural” auf -i vorliegt, d.h. eine Form (Bambin-i), die wohl als Plural erkannt, aber als noch nicht gut genug für eine Pluralform eingeschätzt und deshalb mit einem aus der Sicht des Deutschen erst salienten Plural-Marker (-s) versehen wird (Bambin-i-s). Diese Bildung kann dann als tatsächlicher “Hyper-Plural” bezeichnet werden.34 Singular (de-analysierter Fremd-Plural) Paparazzi Sinti
Plural auf -s und Singular auf -i sind, wie gesehen, ebenso zwei Seiten einer Medaille wie Hyper-Plural auf -s und Hypo-Plural auf -i. Singular und HypoPlural auf -i sind Ergebnis einer nicht oder nicht voll durchgeführten Analyse (De-Analyse bzw. Semi-Analyse). Bei De-Analyse wird überhaupt erst ein Plural gebildet, bei Semi-Analyse ein schlechter Plural verbessert. Das -i der fremden Pluralform wird im Nehmersystem also nicht als stammflektierendes Plural-Suffix analysiert. Vielmehr wird diese Form als Singular oder Hypo-Plural eingeschätzt, auf deren Basis nach dem Grundform-Prinzip eine Pluralsuffigierung mit -s operiert. Die im Flexions-Paradigma de- oder semi-analysierten Singularformen auf -i können aber im Wortbildungs-Paradigma nach dem Stamm-Prinzip sehr wohl analysiert oder reanalysiert werden, hier als Personenbezeichnungen auf -i: Paparazz-i wie Stud-i; Sint-i wie Israel-i. Auf der Basis einer solchen Wortbildungsstruktur wären dann analog zu Movierungen wie Oss-a aus Oss-i (s. o.) auch solche wie *eine Mafios-a zu ein
33 34
[Berliner] Tagesspiegel vom 22.7.1997. Zugunsten der Annahme von Hypopluralen/Hyperpluralen argumentieren auch Haspelmath (1993: 305) und Schmöe (1998: 198). Pragmatisch dagegen ist der Ansatz von Becker (1990: 24), der von singularischen Interpretationen von Pluralformen in situativen Kontexten der ‘Einzahligkeit’ in der außersprachlichen Realität ausgeht. Zu seinem Beispiel kinderengl. feet-s und der Diskussion darum siehe Harnisch (2002: 73–74).
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Rüdiger Harnisch
Mafios-i, *eine Sint-a zu ein Sint-i denkbar. Paparazz-a ist sogar schon belegt.35 De-Analysen fremdsprachlicher Pluralformen als Singulare bzw. Hypo-Plurale gibt es zum Beispiel auch bei griechisch-lateinischen oder Romani-Bildungen mit Plural auf -a. Sie stellen aus nehmersprachlicher Perspektive offensichtlich ebensoschlechte Pluralformen dar. So wird Roma nicht als Pluralform Rom-a zum Singular Rom erkannt, sondern wie Pascha oder Maharadscha als Singular-Form behandelt, die einen Plural (auf -s) erst bekommt. Was für den Fall Paparazzi / Paparazzi-s ausgeführt wurde, gilt für den Fall eines jungen Roma36 / die Roma-s37 also in gleicher Weise. Plurale bzw. Hyper-Plurale auf -s zu desintegrierten Fremdwörtern und ihre Kehrseite, die Verwendung von fremden Plural-Bildungen auf -a als Singulare, gibt es auffallend häufig und keineswegs nur im Bereich der Personenbezeichnungen: Praktikas,38 Internas39 bzw. ein Antibiotika, ein Visa sind vielgehörte Beispiele dafür, die keiner weiteren nachgewiesenen Belege bedürfen. Neben den stammflektierend gebildeten Pluralen mit -um/-a-Alternation macht die (Hyper-) Pluralbildung auf -s auch vor den additiv grundformbasiert entstandenen Pluralformen wie Lemmata oder Stigmata nicht halt, die oft zu Lemmata-s bzw. Stigmata-s aufgebessert werden. Ähnlich verhält es sich mit dem Pluralsuffix -s vor allem an englischen einsilbigen Basen, deren Silbenzahl durch das -s nicht erhöht wird und deren Pluralkennzeichnung durch das -s nicht besonders salient ist (shrimps, chips). Auf dieser Basis kommt es im Deutschen zu silbenzahl-erhöhenden und salienteren Plural- bzw. Hyperpluralformen wie Shrimpse40 und Tortilla-Chipse.41 Deutschsprachige Kinder analysieren die englische Pluralform Tricks oft nicht und verwenden als Singular die Form Tricks (ich kenne einen guten Tricks), als Plural die Form Tricks-e. Auf der unanalysierten Basis des Plurals Tricks bilden auch Erwachsene das Verb tricks-en. Lexikalisiert und normkonform geworden sind hier Fälle wie (Pl. engl. cakes >) Sg. Keks – Pl. Kekse oder (Pl. engl. straps > ) Sg. Straps – Pl. Strapse. Wie die Singularformen des Typs Profi, Ami und Sozi Formen wie Mafiosi, Sinti und Paparazzi als gute Singularia aussehen lassen und deren Interpreta35 36 37 38 39 40 41
In [3] gebucht und normkonform natürlich zu Paparazz-o gestellt. Auch *Sint-a und *Mafios-a können direkt zu Sint-o und Mafios-o gebildet sein. SZ vom 5.8.1995. Zweites Deutsches Fernsehen am 4.11.1992: interviewte Bürger. Passauer Neue Presse vom 6.10.2007. NK vom 3.10.2001. Speisekarten-Posten, abgedruckt in der Schülerzeitung Symposion [Bayreuth] im Mai 1994. Für diesen Beleg aus Schäfer (1999: 157) danke ich Heide Wegener.
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Integration und Isolation von suffixverdächtigen Fremdwörtern
tion als Pluralia behindern, tun das auch Singularformen des Typs Klops, Luchs und Knirps in Bezug auf Formen wie Chips, Tricks und Keks. Der Plural wird Vorbildern wie Profi-s, Ami-s, Sozi-s bzw. Klops-e, Luchs-e, Knirps-e analogisch nachgebildet und es kommt zu Formen wie Mafiosi-s, Sinti-s, Paparazzi-s bzw. Chips-e, Tricks-e, Keks-e. Eine De-Analyse von suffixverdächtigen Einheiten findet sich auch im Erbsystem. So ist zum Beispiel der Singular-Plural-Gegensatz Birne / Birnen daraus entstanden, dass (1) zum ursprünglichen Stamm mhd. bir- ein Pluralsuffix -n trat, dieses n aber – aus silbisch-phonotaktischen Gründen – (2) mit dem Stamm verschmolz und so eine neue einsilbige und morphologisch unstrukturierte Singularform Birn entstand, die – sprachgeschichtlich gesehen – (3) ‚erneut’ mit einem Pluralsuffix versehen wurde: Birn-en. Daraus wurde (4) ein neuer Singular Birn-e rückgebildet: (1) ursprünglicher Plural auf -n
(2) als ‘Singular’ de-analysierter ursprünglicher Plural
(3) neuer Plural auf -en
bir-n
Birn (4) aus neuem Plural auf -en rückgebildeter Singular auf -e Birn-e
Birn-en
4.
Rückbildungen
Abschließend sollen in Bezug auf die Fremdwortintegration noch solche Rückbildungs-Prozesse behandelt werden, wie sie bei Birn-en > Birn-e (analog Bien-en > Bien-e) beobachtet wurden. Es geht auch hier um Singularformen, die aus Pluralformen nach Kenntnissen der – oft nur vermeintlichen – gebersprachlichen Morphologie oder nach Regeln des Nehmersystems erschlossen werden. Dabei wird oft nicht nur die Form beeinflusst, sondern der Rückbildungsprozess kann auch inhärente kategoriale Merkmale, vor allem die Genus-Zugehörigkeit, ändern.42 So kann statt des lateinischen FremdwortSingulars Präteritopräsens aus der lateinischen Pluralform Präteritopräsenti-a ein Singular-Neutrum *Präteritopräsenti-um ebenso rückgebildet werden wie aus der eingedeutschten Pluralform Präteritopräsenti-en sogar ein Singular42
Vgl. oben le blamage > die Blamag-e, wo die Singularform allerdings nicht erst durch Rückbildung entstand, sondern schon Input aus der Fremdsprache war.
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Rüdiger Harnisch
Femininum *Präteritopräsenti-e mit prototypischem Genus für Substantive auf -e. Alle folgenden Beispiele sind aus -en-Pluralen von Fremdwörtern rückgebildet und erhalten eine Singularform, die zum Prototyp der -en-Plural-Klasse, den Feminina auf -e, passt. Hier wird postuliert, dass die neuen Formen auf -e und ihr beibehaltenes altes oder ihr hergestelltes neues Genus ‘feminin’ nicht von den ursprünglichen Fremdwort-Nennformen im Singular her gebildet wurden, sondern sie auf dem Umweg über den -en-Plural entstanden sind, also z. B. nicht Tax-e aus Tax-i direkt, sondern vermittelt über den Plural Tax-en zu Tax-i. Auch Fremdwörter ohne Suffixverdacht der Nennform geraten in dieses Alternationsmuster (Beispiel Box-e). Allen Beispielen ist gemeinsam, dass die Integration der Nennform der Integration der Flexionsform erst folgt. Pluralformen
aus dem Plural rückgebildete Singularformen
-en-Plural (zu vollvokalischem, konsonantischem oder endungslosem Fremdwort-Singular) Pros-en (zu Pros-a)
-e-Singular (statt vollvokalischem, konsonantischem oder endungslosem Singular) und feminines (ggf. statt abweichendem Ursprungs-) Genus Pros-e statt Pros-a
Dafür spricht zum einen, dass nur solche Substantive eine Nennform auf -e haben können, die auch einen Plural auf -en bilden können. Zum andern kann in einer Vielzahl von Fällen ein Plural auf -en auch schon vorkommen (Firm-en), wenn die Nennform noch und nur das nichtnative Suffix aufweist (Firm-a). Das heißt, dass ein integrierter Plural wie Firm-en nicht erst dann gebildet werden kann, wenn aus Firm-a schon eine integrierte Nennform *Firm-e entstanden ist. Die Pluralform auf -en erweist sich damit als Vorreiter der Integration. 43
Was den Fall Tussen betrifft, wird die Buchung Tussi, Pl. Tussi-s in [2] zwar in [3] wiederholt, doch wird dort auch die Variante Tusse, Pl. Tusse-n gebucht. Ein Pl. Tussen wird dort jedoch nicht zu einem Sg. Tussi gestellt. Nach obigem Postulat müsste aber die Variante Tussen Pl. vor Tusse Sg. entstanden sein, ja letztere hätte erstere geradezu zur Bedingung. Die Reihenfolge der Variantenbildung sähe mithin wie folgt aus: (1) Sg.1 Tussi, (2) Pl.1 Tussi-s, (3) Pl.2 Tuss-en, (4) Sg.2 Tuss-e. Zum identischen Verlauf bei (1) Sg.1 Pizza, (2) Pl.1 Pizza-s, (3) Pl.2 Pizz-en, (4) Sg.2 berlinisch Pizz-e siehe Harnisch (1994: 110 und Anm. 19).
Integration und Isolation von suffixverdächtigen Fremdwörtern
5.
117
Zusammenfassung
Zusammenfassend kann man sagen, dass sich die Isolation und Integration von suffixverdächtigen Fremdwörtern ins Deutsche zwischen den eingangs aufgestellten polaren Maximen der Nichtantastung und der Suffixabspaltung abspielt. Das erste Verfahren begünstigt den de- (und semi-)analytischen Typ und das Grundform-Prinzip, das zweite begünstigt den (re-)analytischen Typ und das Stamm-Prinzip. Ob es im jeweiligen Fall eher in die Richtung des ersten oder des zweiten Prinzips geht, entscheiden Begleitfaktoren. Als wichtigster Faktor konnte hier die Güte der Form-Inhalts-Beziehungen herausgearbeitet werden. 5.1. Gute Form-Inhalts-Beziehungen gibt es demnach beispielsweise auf derivationeller Ebene zwischen den ‚fremden’ Wortausgängen -o, -i und -us und der Funktion, männliche Personen zu bezeichnen. Entsprechend hoch und sicher ist der Suffixstatus dieser Wortausgänge. Dasselbe gilt für das ‚fremde’ -a in seiner Funktion, weibliche Personen zu bezeichnen (der Torer-o vs. die Torer-a). Mit nicht-nativem Material kann im nativen System sogar kreativ gespielt werden (der Real-o vs. die Real-a). Gut sind Form-Inhalts-Beziehungen z. B. auch, wenn Fremdwörter auf Schwa ausgehen und wegen dieser Eigenschaft in den Sog des nativen Prototyps mit diesem Muster, der Feminina auf -e, geraten (die Blamag-e). Neben dem lateinischen -us und -a wird von deutschen Muttersprachlern auch das lateinische -um relativ gut als Suffix analysiert, sogar als solches re-analysiert, wenn es diesen Status ursprünglich gar nicht hatte (Pluraletant-um, Pluraletant-a). Hier haben die Inhalte aber nicht mehr einen – semantisch relativ starken – derivationellen Status, sondern nurmehr einen – semantisch relativ schwachen – klassenbildenden Deklinationstypen-Status. Genus steuert die Pluralbildung von Fremdwörtern mit. Zum Beispiel weisen trochäisch strukturierte Feminina mit einem suffixverdächtigen unbetonten fremden Wortausgang auf Vollvokal nach dem Vorbild des ebenfalls trochäisch strukturierten nativen Femininums auf Schwa häufig ebenfalls einen -enPlural auf: wie Dam-e / Dam-en so Div-a / Div-en44 und Tuss-i / Tuss-en; wie Flasch-e / Flasch-en so Firm-a / Firm-en und in Einzelbelegen sogar Fälle wie Disk-o / Disk-en.45 Hier entsteht jeweils eine interne Wortstruktur mit Stamm und Suffix, typologisch gesprochen also Stammflexion. Diese Implikationsbe44
45
Gleichwohl gibt es auch hier Ausnahmen wie Geisha/Geisha-s, möglicherweise durch deren ‘Exotik’ und entsprechende Seltenheit/Nichtintegriertheit bedingt. Zu diesem Faktor ausführlicher Harnisch (1994: 108f.). Fleischer et al. (1987: 292).
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Rüdiger Harnisch
ziehung zwischen dem Wortstrukturmerkmal ‘Trochäus mit Wortausgang unter Suffixverdacht’, dem Genus-Merkmal ‘feminin’ und dem FlexionsMerkmal ‘Stammflexion mit -en-Plural’ ist offensichtlich so mächtig, dass in dieses Beziehungsdreieck auch Feminina mit konsonantischem Suffix einbezogen werden wie Prax-is / Prax-en, Maskulina aber nicht einmal, wenn sie auch vokalisch ausgehen: so zwar Firma/Firmen oder Diva/Diven, aber nicht Salto / *Salten46 oder Buffo / *Buffen, auch nicht Kuli / *Kulen oder Profi / *Profen.47 Der Wortausgang -a ist über seine Domäne, die Feminina, hinaus morphologisch offensichtlich so stark, dass er auch bei den Neutra als Suffix reanalysiert wird und stammflektierend mit dem nativen Pluralsuffix -en alterniert. Der Typ das Drama / die Dramen ist also ebensogut integriert wie der Typ die Firma / die Firmen. Dagegen ist -a für grammatische Maskulina und erst recht für männliche Personenbezeichnungen kein guter Wortausgang und wird dementsprechend auch nicht als Suffix reanalysiert: Pascha / Paschas und nicht *Paschen. Diese Fälle bleiben im Deutschen also stärker isoliert. 5.2. Schlechte Form-Funktions-Beziehungen und damit Integrationshindernisse bestehen über Beispiele wie das obige Pascha / Pascha-s hinaus auch bei personenbezeichnenden Fremdwortpluralen auf -i. Dieses Wortausgangsmuster ist zu stark an das ethnonymische, kosende, spottende, akronymische -i von Nennformen im Singular gebunden, als dass der Wortausgang ein gutes Pluralsuffix oder das Wort als Ganzes ein gutes Pluralschema abgeben könnte. Dementsprechend wird Mafiosi oft nicht als Plural Mafios-i analysiert, sondern als singularische männliche Personenbezeichnung Mafios-i nach Vorbildern wie etwa Knack-i ‘der zu Gefängnis Verknackte’ (< Verbstamm knack und personenbezeichnendes -i-Suffix). Auch ein unbetontes suffixverdächtiges -a ist aus Sicht der deutschen Sprache kein guter Pluralmarker, so dass Roma nach Vorbildern wie Pascha als Singular aufgefasst wird. Der Plural zu solchen Maskulina auf -i oder -a wird regelmäßig mit -s gebildet: Roma-s (wie Pascha-s, Mafios-i-s wie Knack-i-s). Dieses Pluralsuffix hat einerseits den Vorteil, dass es die Silbenzahl nicht erhöht und der präferierte trochäische Fuß erhalten bleibt, anderseits ist es dadurch salient genug, dass es in einer zweiten Silbe dieses Trochäus steht. Die zuletzt genannte Bedingung gilt jedoch nicht für fremde s-Plurale an Einsilblern. Sie werden deshalb bei Entlehnung ins Deutsche zum Teil nicht als solche wahrgenommen, bleiben also de-analysiert. Wegen dieser schlechten Form-Inhalts-Beziehungen kann es dann zu Singularformen wie kindersprachlich ein Tricks kommen, auf deren Basis dann Plural46 47
Daneben aber z. B. durchaus Sald-o – Sald-en, wo man fachsprachliche Traditionen wird berücksichtigen müssen (vgl. auch Putt-o – Putt-en u. ä.). Daneben aber z. B. durchaus Soz-i – Soz-en, was wieder die prinzipielle Möglichkeit zur (Re-)Analyse zeigt.
Integration und Isolation von suffixverdächtigen Fremdwörtern
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formen wie die Tricks-e gebildet werden. Damit wiederholen sich Prozesse, wie sie für Keks (< engl. cake-s Pl.) mit seinem Plural Keks-e längst abgeschlossen sind. Zu Pluralbildungen wie Chips-e, Shrimps-e (vgl. Scampi-s zu ital. scamp-i) sind keine Singularformen wie ein Chips, Shrimps oder Scampi belegt.48 Deshalb sind diese Formen wohl als Hypo-Plurale im oben geschilderten Sinne aufzufassen, die nach Einschätzung der Sprecher noch verbessert werden müssen. 5.3. (Re-)Analyse, verbunden mit einem höheren Grad von Integration, und De-/Semi-Analyse, verbunden mit einem höheren Grad von Isolation, kommen oft bei ein und demselben Fremdwortlexem vor. Als – durchaus ‚richtig’ – (re)analysiert und in das Stamm-Prinzip des Deutschen integriert wird beispielsweise Torer-o, dessen -o aufgrund der Möglichkeit zur Bildung einer movierten Form Torer-a auf der Basis der männlichen Personenbezeichnung als derivationelles Morphem erscheint, das zu dem -a der Bildung einer weiblichen Personenbezeichnung in einem antonymischen Verhältnis steht. Als deoder besser semi-analysiert und nach dem Grundform-Prinzip des Deutschen verfahrend und insofern eher desintegriert/isoliert erscheint dagegen das flexivische Bildungsmuster von Torer-o-s Pl., dem auch die movierte Bildung Torer-a-s folgt. Ein Plural *Torer-en auf der Basis von Torer-o ist hier ebenfalls nicht oder zumindest nicht so schnell zu erwarten (vgl. Gringo-s, Bajazzo-s), schon eher, wenn auch von der Vorkommenshäufigkeit des Denotats und der entsprechenden Tokenfrequenz des Lexems her eher unwahrscheinlich, ein Plural *Torer-en auf der Basis von Torer-a (vgl. Div-en – Div-a). Allerdings wären die Pluralformen *Torer-en von Torer-o einerseits und Torer-a anderseits homonym – ein Hinderungsgrund, den es bei Div-en aus Div-a mangels eines maskulinen Antonyms *Div-o (mit einer unterstellten homonymen Pluralform *Div-en) nicht geben kann. Für die ‘falschen’ (Re-)Analysen gilt im Prinzip das Gleiche wie für die soeben beschriebenen ‘richtigen’: Das singularisch verwendete ein Paparazz-i setzt die Strukturierung in den Stamm Paparazz und das personenbezeichnende Suffix -i voraus, ist also Produkt einer (Re-)Analyse, während die Pluralbildung Paparazz-i-s (statt *Paparazz-en) wieder de- oder nur semi-analytisch verfährt. Das Deutsche erweist sich also als eingespannt zwischen die eingangs postulierten polaren Maximen, erstens fremd(artig)e Derivations- oder Flexionsbasen zumindest anfangs formal unangetastet zu lassen (Deanalyse), was die Isolation der nicht-nativen Einheit begünstigt, und zweitens eine vorhandene morphologieverdächtige Ausdruckssubstanz mit Inhalt zu belegen und seman48
Dazu passt der Massen-Charakter der Denotate. Von einem (!) Chip, Shrimp oder Scampo wird man schwerlich satt.
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Rüdiger Harnisch
tisch zu nutzen (Analyse), was die Integration der nicht-nativen Einheit fördert.49 Drift scheint jedoch in Richtung der Integration zu gehen, wie die Zusammenstellungen in Harnisch (1994: 104f.),50 Wegener (2004: 112)51 und die Beispiele dieser Untersuchung52 zeigen. Die Nummerierung der beiden Maximen steht also auch für ihre tendenzielle zeitliche Reihenfolge.
6.
Literatur
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50 51 52
Diese Strategie ist in Harnisch (2004) als “re-konstruktioneller Ikonismus” der Variante, dass Ausdrucksubstanz (+sym) nach semantischer Nutzung (+sem) verlangt, wenn letztere vorher nicht gegeben war (-sem), erklärt worden. Damit werden im Sinne der Natürlichkeitstheorie (Mayerthaler 1981) die ‘Vorzeichen’ formaler Merkmalhaltigkeit und semantischer Markiertheit in Übereinstimmung gebracht. Z. B. zunächst nur Siesta-s, später auch Siest-en. Z. B. zunächst nur Diva-s, später auch Div-en. Z. B. zunächst nur Tussi-s, später auch Tuss-en; z. B. zunächst nur Torer-o, später auch Torer-a; derzeit noch allein Torero-s, irgendwann vielleicht auch einmal *Torer-en?
Integration und Isolation von suffixverdächtigen Fremdwörtern
121
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7.
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122
Rüdiger Harnisch
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Luise Kempf
Warum die Unterscheidung fremd–nativ in der deutschen Wortbildung nicht obsolet ist1
1.
Einleitung
Dieser Beitrag befasst sich mit der Unterscheidung zwischen fremder und nativer Wortbildung im Deutschen. Den Ausgangspunkt bilden Diskussionen um Wert und Nutzen dieser Unterscheidung in der gegenwärtigen Forschungsliteratur. Die Vorstellung von zwei unterscheidenswerten Teilsystemen existiert schon lange. Ein prominenter Vertreter ist Munske (1988). Auch Bergmann (1998) spricht von den “beiden Wortbildungssysteme[n] des Deutschen”, Eisenberg (2001) von einem nativen Kernsystem und einer fremden Peripherie. Gegen eine solche Betrachtungsweise wenden sich Lüdeling et al. (2002). In ihrer Studie kommen sie zu dem Fazit, dass sich neoklassische Wortbildung nicht prinzipiell von nativer Wortbildung unterscheide. Mit einer zu “isolationistischen” Haltung aufzuräumen, war sicherlich angezeigt. So kritisiert z. B. auch Seiffert (2008: 28, 44ff.), dass in der Nachfolge Munskes (1988) die Autonomie der Fremdwortbildung überbetont worden sei. Auch Munske selbst (2001: 25f.) mahnt an, dass neben der Autonomie die integrierende Funktion der Fremdwortbildung stärker wahrgenommen werden müsse. Eine Unterscheidung jedoch ganz aufzugeben, wäre m. E. zu weit gegriffen – und es ginge schlichtweg an den sprachlichen Gegebenheiten vorbei. Daher haben Beschreibungsansätze, die die Besonderheiten der Fremdwortbildung anerkennen, mehr Potential. Dem entsprechend verfolgt dieser Beitrag zwei Ziele: Er will erstens zeigen, dass – entgegen diversen Zweifeln – tatsächlich nennenswerte Unterschiede bestehen. Zweitens soll skizziert werden, was damit gewonnen ist, diese Unterschiede zu berücksichtigen. Bei der Beschreibung der Unterschiede wird vor allem auf das Akzentverhalten von fremden Suffixen (Kap. 2.1) und Konfixen (Kap. 2.2) eingegangen. Dabei werden bestehende Erkenntnisse gestärkt und um neue Beobachtungen erweitert. Weiter zeigen sich Unterschiede im Wortbildungsverhalten von Konfixen (Kap. 2.2), in Kombinationsbeschränkungen zwischen fremden und nativen 1
Ich danke Antje Dammel, Damaris Nübling, Carmen Scherer und Renata Szczepa– niak sowie den Zuhörerinnen und -hörern beim Vortrag auf der DGfS-Tagung für hilfreiche Anmerkungen. Carmen Scherer danke ich besonders für ihre Unter– stützung.
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Luise Kempf
Einheiten (Kap. 2.3) sowie in der Funktion von nativen vs. fremden Fugenelementen (Kap. 2.4). Die Spezifik zu bedenken ist an vielen Stellen Voraussetzung, um bestimmte Phänomene erklären zu können. So wird hier dargelegt, wie das spezifische Akzentverhalten eine weitreichende Erklärung für verschiedene Kombinationsbeschränkungen bieten kann. Auch für das Verständnis der fremden o-Fuge ist die Berücksichtigung des Akzentverhaltens nicht unwesentlich. Um Missverständnissen vorzubeugen, sei betont, dass der vorliegende Beitrag Gemeinsamkeiten und ein Interagieren zwischen nativer und fremder Wortbildung nicht verneint. Vielmehr teilt er die Auffassung Bergmanns (1998) und Seifferts (2008), dass sowohl Autonomie als auch Isonomie das Verhältnis von nativer und fremder Wortbildung prägen. Der Fokus dieser Arbeit aber liegt auf den Besonderheiten der Fremdwortbildung. Als fremd soll hier betrachtet werden, was die Sprachfähigkeit eines Muttersprachlers (unbewusst) als fremd erkennt und z. B. in der Wortbildung als fremd behandelt.2 Eine solche Einstufung dürfte vor allem dadurch zustandekommen, dass das betreffende Element phonetisch-phonologische, graphematische und/oder morphologische Fremdheitsmerkmale aufweist. Ein solcher Fremdheitsbegriff lässt bewusst Elemente zurück, die in einen Grenzbereich fallen, weil verschiedene Sprecher sie unterschiedlich einstufen. Dieser Unschärfe kann durch die Wahl besonders eindeutiger Beispiele begegnet werden. Mit Fremdwortbildung ist Wortbildung mit mindestens einem fremden Bestandteil gemeint. Bei komplexen Wörtern aus nur fremden Bestandteilen ist i. d. R. nicht zu erkennen, ob sie im Deutschen gebildet oder als Ganzes entlehnt sind. Von Interesse ist, ob ihre Struktur einem im Deutschen produktiven Verfahren entspricht. In Fragen der Produktivität stütze ich mich auf Aussagen in der Literatur sowie auf Folgerungen aus den betrachteten Daten.3
2
3
Gegen eine solche “subjektiv-psycholinguistische” Definition wendet Seiffert (2008: 69) ein, dass die Fremdheit eines Elements dann von individuell unterschiedlichen Gegebenheiten abhängig sei. Im Kontext der Wortbildung stört aber die Gebundenheit an ein Individuum nicht – im Gegenteil: Die Erstprägung eines Wortes erfolgt durch ein Individuum. Seiffert (2008: 70f.) bevorzugt ein kommunikativvergleichendes Kriterium, nach dem fremd ist, was erkennbare Ähnlichkeit zu entsprechenden Elementen in anderen Sprachen aufweist. Dieses Kriterium könnte aber auch ohne Weiteres in die individuelle Einstufung mit einfließen. Ähnlich könnte eventuell vorhandenes etymologisches Wissen mitwirken. Abkürzungen und Schreibkonventionen: […]ω kennzeichnet ein phonologisches Wort. Auf eine phonetische Transkription wurde i. d. R. verzichtet.
Warum die Unterscheidung fremd–nativ nicht obsolet ist
2.
125
Phänomene
2.1. Akzentverhalten fremder Suffixe Die spezifischen Akzentverhältnisse bei Fremdwörtern stellen nach Munske (1988: 55) das Fremdmerkmal mit der größten Reichweite dar: Sie markieren “am deutlichsten und regelmäßigsten die Sonderstellung des Fremdwortschatzes im Deutschen”. Ein Teil dieser Besonderheiten liegt in der Tatsache, dass fremde Suffixe den Hauptakzent tragen können. Lüdeling et al. (2002: 276) kommen in ihrer Studie jedoch zu dem Schluss: “We do not get a principled difference between native and classical suffixes on phonological grounds”. Dieser Widerspruch soll im Folgenden geklärt werden. Ein Unterschied zwischen nativen und fremden Suffixen liegt darin, wie bzw. ob sie sich mit ihrer Basis zu einem phonologischen Wort (im Folgenden “pWort”) verbinden.4 Unter den nativen Suffixen gibt es einige, die ein eigenes pWort bilden, z. B. [Heiter]ω[keit]ω. Andere, z. B. -ung, werden in das pWort der Basis integriert ([Ta.gung]ω). Solche Suffixe bezeichnet u. a. Booij (2002) als cohering. Er beobachtet für das Niederländische, dass sich unter den nativen Suffixen beide Typen finden, während die fremden Suffixe immer cohering sind. Das Gleiche lässt sich auch für das Deutsche feststellen. Wortwertige Suffixe fehlen im Fremdwortbereich. Alle fremden Suffixe beginnen vokalisch und sind mit der Basis zu einem pWort integriert (banal + -ität → [Ba.na.li.tät]ω). Diese Integration ist zudem anders geartet als die Integration nativer “kohärenter” Suffixe: Während bei der Ableitung mit nativen Suffixen der Hauptakzent positionsfest ist, also auf der Stammsilbe bleibt, weisen fremde Suffigierungen einen beweglichen Wortakzent auf (Effékt : effektív). Der Hauptakzent wird vom Wortende aus und unabhängig von der morphologischen Struktur positioniert (siehe u. a. Vennemann 1991). Die Suffigierungen verhalten sich wie monolexematische Fremdwörter (Szczepaniak 2007: 309, zum Niederländischen Booij 2002: 6), vgl. promen- + -ade → [Pro.me.ná.de]ω wie [Scho.ko.lá.de]ω. Im Gegensatz zu den nativen Suffixen lassen fremde Suffixe diese Art der Akzentplatzierung zu, sie sind sogar auf das Vorkommen in solchen Strukturen festgelegt. Dabei werden sie i. d. R. zum Träger des Hauptakzents: effektív, emotionál etc.5 Dies kommt bei nativen Suffixen nicht 4 5
Zu den Merkmalen des phonologischen Worts siehe Hall (1999), Raffelsiefen (2000), Wiese (1996: 65–74, 83). Dies bezieht sich auf das Auftreten des Suffixes in wortfinaler Position. Folgt ihm ein weiteres fremdes Suffix, wandert die Hauptbetonung auf dieses weiter: Fórm : formál : Formalitä́ t, vgl. Eisenberg (32006: 293f).
126
Luise Kempf
vor (Fuhrhop 1998: 117), im fremden Bereich dagegen gilt es für fast alle Suffixe.6 Angesichts dieser Tatsachen erstaunt es, dass Lüdeling et al. (2002) zu der Auffassung kommen, native und neoklassische Suffixe unterschieden sich phonologisch nicht prinzipiell. Ihre Argumentation basiert auf einem Abgleich mit der Klassifikation von Suffixen, die Booij (2002) für das Niederländische ansetzt. An die Einteilung in cohering und non-cohering schließt sich dort auch die Beobachtung an, dass fremde Suffixe nur fremde Basen selegieren, während native Suffixe sowohl an fremde, als auch an native Basen treten. Lüdeling et al. (2002: 273–277) argumentieren, dass die nativen Suffixe -ei, -keit und -isch nicht problemlos zu Booijs Beobachtungen passen. Die “Probleme” resultieren jedoch größtenteils aus den Selektionseigenschaften der Suffixe (z. B. dass -keit nicht, wie nach Booij zu erwarten wäre, mit nativen u n d mit fremden Basen kombiniert, sondern nur mit nativen). Da es sich hierbei um Selektions- und nicht um prosodische Eigenschaften handelt, bleiben die o. g. prosodischen Fremd-Spezifika von derartigen Beobachtungen gänzlich unberührt. Was außerdem als problematisch dargestellt wird, ist, dass -ei die Hauptbetonung trägt, obwohl es nativ sei, und dass -isch den Akzent verlagere. Zum ersten Punkt: Natürlich kann man -ei (mit seinen Varianten -elei/-erei) als nativ einstufen. So handhaben es auch die Standardwerke (Kluge 221989, Fleischer/Barz 21995, Eisenberg 32006: 269f.) – jedoch unter Verweis auf die romanische Herkunft des Suffixes. Die Hauptbetontheit ist eine aus dem Französischen übernommene Eigenschaft. Daher kann man dieses “native“ Suffix nicht als Argument verwenden gegen die Ansicht, dass Hauptbetontheit typisch fremd ist – denn die Hauptbetontheit entspringt ja gerade seiner Fremdheit. (Dies gilt auch, wenn man einen rein synchronen Blickwinkel einnimmt: Der diachrone Prozess äußert sich synchron als eine Zwischenstellung zwischen klar fremden und klar nativen Elementen, die dadurch gekennzeichnet ist, dass das betreffende Element sowohl fremde als auch native Eigenschaften aufweist.) Zum zweiten Punkt: Lüdeling et al. (2002: 276) attestieren dem nativen Suffix -isch, dass es den Akzent auf die ihm vorausgehende Silbe verlagere, wie sie mit diesen Beispielen illustrieren:
6
Siehe z. B. Eisenberg (32006: 144, 293). Die bei Fuhrhop (1998: 116, 126, 131) als aktiv analysierten Fremdsuffixe tragen alle den Hauptakzent. Auch bei den von Fleischer/Barz (21995: 185–192, 268f.) gelisteten Suffixen trifft dies auf fast alle zu, genauer: auf 40 von 43 (z. B. -ant: Informánt, -ismus: Vulkanísmus, -al: emotionál). Die drei Ausnahmen bilden: das englischstämmige -ing (Shópping), das Suffix -or (Agréssor) – welches aber meist in der Variante -ator vorliegt und darin dann hauptbetont ist: Ventilátor – sowie das Suffix -ik (Spezífik).
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(1)
Kánon Jápan
: kanónisch : japánisch
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Sátan : satánisch Amérika : amerikánisch
Eine Bemerkung dazu findet sich bereits in Eisenbergs Studie zur Prosodie im deutschen Wortschatz (1991: 40): “-isch fixiert den Akzent auf die unmittelbar vorausgehende Silbe”. Ihr folgt allerdings der Zusatz: “wenn diese betonbar ist (Koréa – koreánisch). Andernfalls wird der Akzent nicht verschoben (díchterisch, réchnerisch).” Hier deutet sich ein Problem an: Damit es zu einer Akzentverschiebung kommt, bedarf es einer Basis mit mehr als einer betonbaren Silbe. Native Lexeme dieser Art sind äußerst rar (siehe z. B. Eisenberg 2001: 189, Szczepaniak 2007: 295) und kommen als Basis von -ischSuffigierungen nicht vor. Daher lassen sich Akzentverschiebungen nur bei Ableitungen aus fremden Stämmen beobachten. Das bedeutet: Man kann nicht feststellen, ob die Akzentverlagerung von -isch ausgeht. Sie kann ebenso gut aus dem beweglichen Akzent der Basis resultieren. Dieser wird vom Wortende aus platziert und liegt daher automatisch weiter hinten, wenn dem Stamm eine weitere Silbe folgt. Dies tritt auch bei anderen Suffixen ein: (2)
Amérika
: Amerikáner
Diréktor : Direktórin, Direktóren
Daher kann angezweifelt werden, dass -isch akzentverlagernd sei. Die Besonderheit von -isch dürfte primär darin liegen, dass es sich überhaupt so häufig mit fremden Basen verbindet. Auch in Eisenbergs Studie wird -isch letztlich den akzentneutralen Suffixen zugeordnet (1991: 55; vgl. auch Eisenberg 3 2006: 292). Es kann also festgehalten werden, dass Fremdsuffixe die spezifische Eigenschaft haben, auf Bildungen mit beweglichem Wortakzent festgelegt zu sein und dabei selbst die Hauptbetonung zu tragen.
2.2. Fremde Konfixbildungen Den Terminus Konfix hat Schmidt (1987/2005: 103) in die deutsche Wortbildungsforschung eingebracht. Seither sind verschiedene Definitionskriterien vorgeschlagen und verworfen worden (z. B. Donalies 2001, Müller 2000/ 2005). Eine genaue Abgrenzung gegenüber anderen Morphemtypen bleibt schwierig.7 Daher erscheint es sinnvoll, anstelle der nicht möglichen scharfen Abgrenzung mit einer prototypischen Konzeption zu arbeiten. Seiffert (2008: 103) entwickelt eine prototypische Konfix-Konzeption, für die die Merkmale 7
Gegen Donalies' Konfixdefinition wendet Seiffert (2008: 92f.) ein, dass das Kriterium der mittel- oder unmittelbaren Basisfähigkeit nicht gegenüber Affixen abgrenzen kann. Denn auch sie können mittelbar basisfähig sein (z. B. müsste man ex- und in- (im-) in express-iv, impress-iv auch als mittelbar basisfähig betrachten).
128
Luise Kempf
“gebunden” und “Träger lexikalisch-begrifflicher Bedeutung” an erster Stelle stehen. Diese Konzeption soll auch hier zugrundegelegt werden. Insbesondere folge ich darin, an begrifflicher Bedeutung als Kriterium festzuhalten.8 Dass in Konfixbildungen ein spezifisches Verfahren der Fremdwortbildung begegnet, ist eigentlich eine bekannte Tatsache. Eisenberg (2001: 193) beschreibt dies so: Reanalyseprozesse […] haben weiter zu einem Wortstrukturtyp geführt, der im Kernwortschatz nur mit einzelnen isolierten Exemplaren, bei den Latinismen/Gräzismen sowie den Anglizismen aber in großem Umfang vertreten ist. Gemeint sind Konfixbildungen wie autonom, homogen, turbophil oder hardtop, workshop, software. Auch solche Muster sind teilweise produktiv und zeigen wenig Tendenz zur Integration.
Lüdeling et al. (2002: 264) dagegen vertreten die Meinung, dass dieses Phänomen keine Besonderheit darstellt. Das erläutern sie anhand der von ihnen zugrundegelegten Modellierung von Lexikoneinträgen und Wortbildungsregeln. Darin wird kein Unterschied zwischen Affixen und Stämmen angenommen. Gebundenheit ist nur ein Merkmal von vielen. Damit verbunden ist auch ihre Auffassung, dass kein prinzipieller Unterschied zwischen neoklassischer und nativer Wortbildung bestehe. Sie stellen fest: The feature [ + classic] is one morphological feature among many. Neoclassical elements are like native elements in every respect: Some of them are bound, some are free. Some select, some do not select. Some combine with classical elements only, some combine also with native elements. Some are semantically independent, some are like functors. Some attract stress, some influence stress, some do neither.
Wie hier zum Ausdruck kommt, sieht diese Lexikon-Modellierung vor, dass die Ausprägungen der einzelnen Merkmale unabhängig voneinander sind. Lüdeling et al. (2002: 261–264) illustrieren die unabhängige Ausprägung der Merkmale an einigen Lexikoneinträgen. Z. B. ist -lich gebunden und selegiert 8
Zwar lässt sich argumentieren, dass auch Derivationsaffixe einen gewissen Bedeutungsgehalt haben. Doch entfaltet sich diese Bedeutung immer nur in Bezug auf das durch das Basiselement denotierte Konzept. Sog. Autosemantika hingegen denotieren selbst, an sie sind “konzeptuelle Informationen über außersprachliche Objekte und Sachverhalte” gebunden (Seiffert 2008: 97). Dass man im Einzelfall nicht zweifelsfrei zwischen + oder - [begriffliche Bedeutung] entscheiden kann, liegt in der Natur eines semantischen Kriteriums, macht es aber nicht wertlos, insbesondere nicht, wenn es wie hier als Kriterium für einen prototypisch konzipierten Begriff verwendet wird.
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Simplizia. Sonder- ist ebenfalls gebunden, kann aber an jegliche Substantive antreten. In kräftig liegt ein nicht-gebundenes Element vor, in einer seiner Lesarten selegiert es jedoch (und zwar abstrakte Nomina: farben-, sinn-, konsumkräftig). Gebundenheit ist also eines von vielen Merkmalen und bedeutet nichts weiter, als dass das Element gebunden auftritt. Gebundene Stämme sind folglich nichts Besonderes gegenüber freien Stämmen. Entsprechend ist Wortbildung mit gebundenen Stämmen keine Besonderheit. Auch Fremdheit selbst ist nur ein Merkmal unter vielen. Diese Darlegungen von Lüdeling et al. zeigen m. E. nicht, dass dem Merkmal Fremdheit in der deutschen Wortbildung eine geringe oder gar keine Signifikanz zukommt. Sie besagen lediglich etwas über seine Rolle in dem von ihnen verwendeten Modell. Ein Modell des Lexikons bzw. der Wortbildung kann aber auch ganz anders gestaltet sein. Die Merkmale als prinzipiell unabhängig voneinander zu betrachten, lässt zwar einerseits alle Möglichkeiten offen und man hat nicht mit störenden Ausnahmefällen zu kämpfen. Andererseits erfährt man auch nichts über Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten. Und: Ohne generelle Gesetzmäßigkeiten muss Fall für Fall beschrieben werden (“we have to look at each stem, each affix and each rule and determine their properties” Lüdeling et al. 2002: 264). Alternativ könnte man typischen Zusammenhängen und Korrelationen mehr Gewicht einräumen. Dies verspricht, die Ökonomie und Adäquatheit der Modellierung zu erhöhen. Einer dieser Zusammenhänge ist, dass Wortbildung aus gebundenen Elementen ein spezifisches Verfahren des Fremdbereichs darstellt. Bekanntlich gibt es vereinzelt auch native Elemente dieser Art (Schwieger-, Stief-, -wart). Fleischer (1995) beschreibt, wie sich diese von den fremden Konfixen in ihrer Entstehungsweise, Funktion und Quantität unterscheiden. Die nativen seien eher marginale Erscheinungen, die am Endpunkt ihrer Entwicklungen stehen. Dagegen ist die Wortbildung mit fremden Konfixen “im Deutschen ein hochproduktives Verfahren” (Fleischer 1995: 67). Dieses Verfahren lässt zu, neue Wörter aus n u r gebundenen Bestandteilen zu bilden. Im nativen Bereich kommt es zu solchen Bildungen nicht (*Stief-wart, *stief-lich, *Un-wart).9 Man könnte zwar versuchen, diese Restriktionen über semantische Kriterien zu erklären. Z. B. lässt sich die Grundannahme treffen, dass eine Bildung nach einem produktiven Muster einen semantischen “Kern” haben muss (vgl. Eisenberg 32006). Dabei ist erwartbar, dass diesen semantischen Kern eher oder sogar nur solche Elemente bilden können, die über begriffliche Bedeutung verfügen. Ein solcher Ansatz müsste aber mit der Unschärfe semantischer 9
Als Präfix-Suffix-Kombinationen lassen sich einige wenige Beispiele diskutieren (miß-lich, ur-ig). Doch wie Reis (1985: 381) bemerkt, repräsentieren diese Einzelfälle keinen produktiven Subtypus des betreffenden Suffixes. Eher ist anzunehmen, dass sie als komplexes Ganzes im Lexikon stehen.
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Luise Kempf
Kriterien zurechtkommen. Z. B. scheint Stief- durchaus eine begriffliche Bedeutung zu haben, es tritt aber nicht als Basis auf. Möglicherweise müsste man dann zwischen begrifflicher und selbständiger Bedeutung differenzieren. Des Weiteren könnte man mit lexikalischen Merkmalen wie etwa [±basisfähig] arbeiten. Einen eleganteren Weg könnte eine Regel darstellen, die zur Bildung eines neuen Wortes mindestens einen [-gebundenen] Bestandteil fordert. Diese Regel hätte ihren Geltungsbereich nur über [+native] Elemente. Sie hätte die Vorteile, dass sie mit geringen Mitteln verschiedene ungrammatische Bildungen ausschließt und dass sie ohne semantische Kriterien auskommt. Für den nicht-nativen Bereich sind die Verhältnisse etwas komplizierter, da es hier nicht möglich ist, die Beschränkungen durch das Merkmal Gebundenheit zu erfassen. Auch hier ließe sich von der Notwendigkeit eines semantischen Kerns ausgehen (*dis-ell). Der semantische Gehalt ist hier allerdings noch schwerer fassbar, da fremde Stämme häufig als Bestandteil komplexer Wörter entlehnt werden. Darin haben sie unter Umständen (wenn nämlich das komplexe Wort opak ist) überhaupt keine eigene Bedeutung (weder eine begriffliche, noch eine sonstige). Die Bedeutung, die das Element in der Ursprungssprache hat, kann sich auch im Deutschen etablieren, z. B. durch Kenntnisse der Fremdsprache oder durch das Erschließen anhand verwandter Wörter (vgl. das Konzept Aktivierung bei Müller 2005: 40). In der Folge kann sich morphosyntaktische Selbständigkeit entwickeln (z. B. chaot- → Chaot, vgl. Reis 1985: 391, -grafie → Grafie, vgl. Pfeifer 82005: 469f), muss aber nicht (-loge ‘Fachwissenschaftler’). Versucht man die Prozesse des nativen und des fremden Bereichs einheitlich zu beschreiben, müsste man diese Verhältnisse in der Fremdwortbildung mit erfassen. Das würde die Beschreibung stark verkomplizieren. Man würde die Möglichkeit, den nativen Bereich über Gebundenheit zu erfassen, “verschenken”. Die angesprochenen semantischen und morphosyntaktischen Faktoren sind natürlich nicht das Einzige, was das Wortbildungsverhalten beeinflusst, und auch nicht der einzige Bereich, in dem sich Unterschiede zwischen fremd und nativ auswirken. Im Folgenden geht es um prosodische Eigenschaften, die Auswirkungen auf das Wortbildungsverhalten haben. Die o. g. Notwendigkeit eines semantischen Kerns ist nur eine Mindestanforderung an Neubildungen. Einige Konfixverbindungen, die diese einhalten, sind dennoch nicht möglich, vgl. z. B. hydrophil, frankophil, aber nicht: *chaosphil; oder: Bibliophobie, Bibliomanie, aber nicht *Biblioproblem. Wie kann man das erklären? Zunächst scheint es so, dass diejenigen Verbindungen nicht möglich sind, die ein freies Element beinhalten (Chaos, Problem). Doch eine Regel, dass Fremdkonfixe nur Verbindungen mit anderen gebundenen Elementen eingehen, würde nicht funktionieren. Denn z. B. Bibliophobie oder
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Biosphäre sind möglich, obwohl die Zweitglieder Phobie und Sphäre freie Wörter sind. Bisher hat in der Forschung wenig (wenn überhaupt) Beachtung gefunden, dass Konfixbildungen in zwei unterschiedlichen prosodischen Strukturen auftreten. Die eine ist die auch für native Komposita übliche prosodische Struktur (im Folgenden “PS1”). Dabei besteht das Kompositum aus zwei oder mehreren pWörtern, derer das erste das prominenteste ist, d. h. die Hauptbetonung trägt ([Karten]ω1[spiel]ω2, [Chemo]ω1[therapie]ω2). Ein großer Teil der Konfixbildungen tritt aber in einer anderen, von der der nativen Komposita abweichenden prosodischen Struktur auf (im Folgenden “PS2”). Bei dieser Struktur wird der Hauptakzent – wie bei den Suffigierungen – vom Wortende aus platziert (hydrophíl, Telegrámm). Bei einigen Konfixbildungen dieser Art lässt sich durch pretonic laxing erkennen, dass auch sie, wie die Suffigierungen, aus nur einem pWort bestehen, z. B. [Ps[y]chologie]ω (genauer dazu Raffelsiefen 2000: 45 und Szczepaniak 2007: 308f.). Die Bildungen mit PS2 stehen damit im Kontrast zu nativen Komposita – hinsichtlich der Akzent- und auch hinsichtlich der pWort-Struktur. Welche der beiden Strukturen eine Konfixbildung hat, rührt weitgehend aus Eigenschaften der Bestandteile. Wenn die Bildung ein neoklassisches Postkonfix beinhaltet, weist sie die Struktur PS2 auf, da neoklassische Postkonfixe genau wie fremde Suffixe die Hauptbetonung tragen.10 Eine Bildung mit ihnen ist nicht möglich, wenn das Erstglied PS2 nicht zulässt. So wäre z. B. bei *cháosphíl schwer zu entscheiden, wo der Hauptakzent liegen sollte. Die Präkonfixe verhalten sich weniger einheitlich. Einige lassen die gewöhnliche Kompositastruktur PS1 zu (Bio-Auto, Chemo-Experiment, PsychoThema).11 Andere verlangen, genau wie die Postkonfixe, die Struktur PS2 –
10 11
Bildungen mit englischstämmigen Postkonfixen zeigen PS1: Hárd-ware, Sóft-ware, Spý-ware. Interessanterweise lässt sich bei diesen beobachten, dass sie über eine frei vorkommende Variante verfügen (z. B. Psyche zu psycho-) oder in gleicher Form frei vorkommen (Elektro Müller). Harras (1997: 122) bemerkt, dass manche “positionsfeste gebundene Formen auch frei vorkommen können” (z. B. öko- : Öko). Das findet Donalies (2001: 150f.) “begriffsungenau”. Sie plädiert dafür, “frei vorkommende Einheiten grundsätzlich als Wörter zu definieren”. Das Problem entsteht dadurch, dass die Elemente in eine Dichotomie gepresst werden, tatsächlich aber auch gerade in der Entwicklung von einem gebundenen zu einem freien Element stecken können. Man kann die Dichotomie trotzdem beibehalten, muss dann aber festlegen, ab wann man etwas nicht mehr als gebunden bezeichnet. Bei dieser Festlegung folge ich dem (impliziten) Vorgehen von Harras, Elemente als gebunden zu betrachten, wenn sie typischerweise gebunden auftreten. Das freie Vorkommen hat oft noch den
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also eine Struktur, in der der Hauptakzent sich verlagert. Sie scheinen selbst nicht hauptbetonbar zu sein. Daher sind sie mit Zweitgliedern, die sich gegen diese Akzentverlagerung sperren, nicht kompatibel (Anthropológe, aber *Anthropothéma, *Anthrópo-Thema).12 Es sind also sämtliche (neoklassischen) Postkonfixe und ein Teil der Präkonfixe mit der Eigenschaft behaftet, nur in Bildungen mit PS2 aufzutreten. Die Eigenschaft hängt mit gebundenem Status zusammen. Freie Elemente sind natürlich pWort-fähig und damit nie auf PS2 beschränkt. Freier-Wort-Status und pWort-Fähigkeit sind jedoch nicht völlig deckungsgleich. Das zeigt sich an Elementen, die eher gebunden als frei sind, aber dennoch PS1 zulassen (psycho- in [Psycho]ω1[terror]ω2). Es ist also nicht die Gebundenheit, die ein Element von Verbindungen mit freien Wörtern abhält, sondern die fremdspezifische Eigenschaft, PS2 zu verlangen.
2.3. Kombinationsrestriktionen fremd–nativ Während im vorausgehenden Kapitel Kombinationen innerhalb des Fremdwortbereichs diskutiert wurden, liegt hier das Augenmerk auf Kombinationen zwischen fremd und nativ. Die beschränkte Kompatibilität stellt traditionell ein starkes Argument für eine Unterscheidung beider Bereiche dar. Oft wird erwähnt, dass die Kombination von nativen Basen und fremden Suffixen besonders stark restringiert ist (*ertragiv, *Veränderion). Diese Beobachtung wird jedoch unterschiedlich bewertet. Grob gesehen gibt es zwei Positionen: Entweder man betrachtet die Unmöglichkeit solcher Kombinationen als systematische Beschränkung und gibt eine Erklärung für die wenigen Ausnahmen (Lagerist). Oder man sieht – mit Verweis auf die Ausnahmen – keine prinzipielle Beschränkung, und muss dann erklären, warum die Kombination doch meistens nicht möglich ist. –––––––—–– 12
markierten Charakter z. B. des Umgangssprachlichen (Der ist ein Psycho!) oder einer Kürzung (Sie bekommt eine Chemo. ‘Chemotherapie’). Kombinationen dieses Typs scheinen im geeigneten Kontext denkbar. Das Präkonfix klepto- z. B. erscheint normalerweise als nicht-betontes Erstglied (Kleptomaníe). Stellt man sich aber ein Treffen der anonymen Kleptomanen vor, klingen Bildungen wie Klépto-Problem, Klépto-Phase durchaus akzeptabel. Das kann daran liegen, dass durch den Kontext bzw. die Frequenz die autonome Bedeutung von kleptogestärkt wäre. Daher würde es betonbar und deshalb auch kombinierbar mit Zweitgliedern, die PS1 fordern (Problem). Die Eigenschaft, PS2 zu verlangen, ist also veränderlich. Andererseits kann diese Änderung nicht durch den Wortbildenden spontan herbeigeführt werden – und ist somit durchaus ein gewisse Bildungen hemmender Faktor.
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Der ersten Position lassen sich Reis (1985), Munske (1988), Harras (1997), Bergmann (1998) und Eisenberg (2001) zuordnen. Reis (1985: 388, 403) setzt ein Merkmal [±nativ] an und beschreibt es als systematische Beschränkung, dass Suffixe mit dem Merkmal [-nativ] nur Basen selegieren, die ebenfalls [-nativ] sind. Ausnahmen lassen sich als Wortspiel erklären (schauderös) oder als lexikalisiert (Flötist), in jedem Fall repräsentieren sie aber kein produktives Verfahren. Ähnlich stuft auch Munske (1988: 66f) Fälle wie Schwulität als Wortspiel ein, und betrachtet es als Regel, dass fremde Suffixe nur an fremde Basen treten. Entsprechend sieht er im Bereich der Suffigierung im Deutschen “zwei voneinander unabhängig funktionierende produktive Systeme”. Diese Zweiheit sei einerseits historisch bedingt, andererseits können synchrone Fremdheitsmerkmale einen Grund für Unvereinbarkeit bilden. Eisenberg (2001: 192f) knüpft hier an Munske an: Bei der Ableitung mit fremden Suffixen (und auch bei der Konfixbildung) liegen “eigene stabile Muster” vor, die dem Kernsystem gegenüber stehen. Dies schreibt er offenbar der “eigene[n] Strukturiertheit” der fremden Muster zu. Im Falle der Suffixe bezieht er sich wohl darauf, dass sie nicht akzentneutral sind und im Falle der Konfixe darauf, dass es “einen Prototyp von nicht wortfähigem […] Stamm gibt”, dessen Sinn sich nur indirekt durch Dekomposition erschließt. Am konkretesten wird Bergmann (1998: 181f.): “Die Seltenheit von Bildungen wie Schwulität, Paukist lässt sich vielleicht damit begründen, daß die Einreihung in einen endbetonten Suffigierungstyp dem autonomen Merkmal heimischer Basen, Wortakzent auf der Wurzelsilbe, widerspricht”. Dieser Ansatz stimmt mit den bisher dargelegten Beobachtungen überein: In Kap. 2.1 wurde beschrieben, dass fremde Suffixe auf Strukturen mit beweglichem Wortakzent festgelegt sind. Bei einer Bildung mit einem fremden Suffix muss also Akzentverlagerung stattfinden. Fremde Stämme haben die Tendenz zu beweglichem Wortakzent ohnehin, also stellt die Akzentverlagerung keine Abweichung dar. Native Stämme jedoch tragen den Wortakzent konstant auf der Wurzelsilbe. Wird er von dort weg verlagert, stellt das eine Verfremdung dar, die die Lexemerkennung behindert. Auch für die Kombination fremder Konfixe mit nativen Elementen werden Einschränkungen festgestellt: “In den meisten Fällen bleiben Kombinationen dieser Art im Teilsystem fremdsprachiger Lexeme, z. B. -thek in Karto-, Disko-, Phonothek, […] Linguathek” (Fleischer 1977/2005: 67). Hierbei bleibt unklar, was genau die “meisten Fälle” sind und warum. Postkonfixe verhalten sich prosodisch sehr ähnlich wie die Suffixe. Oben wurde angesprochen, dass fremde Postkonfixe auf PS2 festgelegt sind und daher nicht mit freien Wörtern kombinieren, die PS2 nicht zulassen (*chaosphíl). Bei nativen Kombinationspartnern besteht dieses Problem natürlich besonders. Die vom Postkonfix verlangte Akzentverschiebung würde das native Erstglied verfremden. Diese Schwierigkeit könnte sich durch pretonic
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laxing noch weiter verschärfen: Wenn beide Bestandteile zu einem pWort integriert werden und der Hauptakzent auf dem Suffix bzw. Postkonfix liegt, geriete die Wurzelsilbe des nativen Erstglieds in eine vortonige Position und könnte damit einer Kürzung unterliegen. 13 Dadurch wäre die Erkennbarkeit des nativen Glieds zusätzlich beeinträchtigt: *ertr[a]gív, *Ertr[a]glóge. Ähnliches gilt für diejenigen Präkonfixe, die wie oben beschrieben auf Strukturen mit beweglichem Wortakzent festgelegt sind. Hier wäre das Hauptproblem die Akzentplatzierung: *Anthrópo-Gabe, *Anthropogábe. Die Probleme auf prosodischer Ebene sind m. E. der wesentliche Faktor, warum die Kombination fremder Suffixe und Konfixe mit nativen Erstgliedern nicht funktioniert.14 Nachdem hier also die Position geteilt wird, die Beschränkung als grundsätzlich zu betrachten, sollen noch die Ansätze diskutiert werden, die der o. g. zweiten Position entsprechen. Polenz (1994: 93) betrachtet die Lage so: Dass uns Kombinationen wie Blumist, Kleidage, Bummelant als Seltenheiten erscheinen, liege an der “Wirksamkeit des Fremdwortpurismus”. Im Zuge dieser “sprachpuristische[n] Hybridenfurcht” habe man hybride Bildungen als etwas “Anormales, eigentlich nicht Zulässiges” ausgegrenzt. Tatsächlich sei aber die Kombination nativer und fremder Elemente “etwas ganz Natürliches” – was man an der “viel toleranteren Handhabung von Präfixen (unmodern, übersensibel, entmilitarisieren; prodeutsch, Exgattin,...) und vor allem an der völlig freien Kombinierbarkeit entlehnter und indigener Elemente in Zusammensetzungen (Abendtoilette, Rührkomödie, Nationalgefühl,…)” erkennen könne. Die Frage nach Auswirkungen des Sprachpurismus soll hier nicht diskutiert werden. An den Beispielen fällt jedoch auf: Bei allen problematischen Fällen fordert der fremde Bestandteil ein prosodisches Verhalten nach fremdem Muster (?Blumíst, ?Schwulitä́ t). Anders herum sind Kombinationen, bei denen dies nicht der Fall ist, i. d. R. unproblematisch ([un]ω1[modern]ω2, [Abend]ω1[toilette]ω2). 13 14
Vgl. Becker (1996: 275), Raffelsiefen (2000: 45) und Szczepaniak (2007: 308f.). Das in Kap. 2.1 behandelte Suffix -ei kombiniert mit nativen Basen, obwohl es hauptbetont ist. Dies ist deshalb möglich, weil das Suffix nicht mehr vollständig fremd ist. Dies bedeutet u. a. dass das Muster native Basis + -ei häufig vertreten ist, was die Erkennung der Basis erleichtert. Hinzu kommt, dass “-ei nur nach den Verbendungen -el(n) und -er(n) produktiv” ist, ansonsten wird -erei verwendet (Fuhrhop 1998: 85 u. 50–55). Damit geht dem Hauptakzent des Suffixes “regelmäßig eine unbetonte Silbe voraus […], so daß die in der Ableitungsbasis betonte Silbe stets einen Nebenakzent erhält: bácken – Bàckeréi.” (Fuhrhop 1998: 85). Mit anderen Worten: “Der Hauptakzent in der Basis wird durch einen Nebenakzent ‘ersetzt’. Die Akzentverschiebung ist damit ‘entschärft’” (Fuhrhop 1998: 135).
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Auch Lüdeling et al. (2002: 272f.) sehen die Ursache für Kombinationsrestriktionen nicht in strukturellen Faktoren. Vielmehr seien Registerverletzungen der Grund dafür, dass in Einzelfällen die Kombination aus fremd und nativ als abweichend empfunden wird (Lüdeling et al. 2002: 260). Das versuchen sie an folgenden Beispielen zu zeigen: -itis werde normalerweise in einem medizinisch-wissenschaftlichen Kontext gebraucht, z. B. Dermatitis, Tonsilitis. Zum Vergleich betrachten sie die Bildungen in (3). (3)
?Unterbrecheritis, ?Geistreichelitis
Ihrer Ansicht nach sind diese Bildungen wohlgeformt. Wenn sie als markiert empfunden würden, dann habe das stilistische Gründe – der Sprecher wisse nämlich, dass -itis eigentlich in den medizinischen Gebrauchskontext gehöre. Dieser Effekt soll nicht in Abrede gestellt werden, aber er ist nicht der Grund für die mangelnde Wohlgeformtheit der Beispiele in (3). Denn z. B. bei Telefonitis lässt sich dieser Effekt auch finden, dennoch ist es deutlich wohlgeformter. Dass Registerverletzungen relevant sind, versuchen Lüdeling et al. weiter daran zu illustrieren, dass Kombinationen aus fremd und nativ dann gut möglich sind, wenn das fremde Element als Bestandteil der Alltagssprache akzeptiert ist: Audioanlage, Audiokabel, Ganzheitskosmetik, Kosmetikabteilung. Die Frage nach dem Register liefert hier m.E. keinen Erklärungsbeitrag. Denn andere Fremdelemente lassen sich genauso im Alltagskontext ansiedeln, können aber trotzdem nicht ohne weiteres mit nativen kombiniert werden, z. B. -thek wie in Diskothék, Vinothék, Videothék, aber: *Plattenthék. Die obigen Kombinationen sind deswegen unproblematisch, weil die fremden Glieder keine fremde prosodische Struktur fordern bzw. pWort-fähig sind, z. B. [Audio]ω1[kabel]ω2. Das Element -itis jedoch führt zu einer Bildung mit beweglichem Wortakzent. Die Erstglieder in (3) sind dafür schlecht geeignet, u. a. da sie aus mehr als einem pWort bestehen ([geist]ω1[reich]ω2).15 2.4. Die Funktion der o-Fuge Die native Komposition ist berühmt für ihre Fugenelemente. Die Fremdwortbildung verfügt ebenfalls über ein Fugenelement: das o wie in Spiel-o-thek. Liegt hierin eine Parallele oder sind die Funktionen unterschiedlich? Zur Funktion der nativen Fuge bieten Nübling/Szczepaniak (2008) einen aktuellen 15
Im Zusammenhang mit dem in Fußnote 14 beschriebenen Verhalten von -ei ist übrigens interessant, dass bei den Versuchen, -itis mit nativen Basen zu kombinieren, offenbar intuitiv eine unbetonte Silbe vor der hauptbetonten Suffixsilbe eingefügt wurde: Es wurde ?Geistreich-el-itis gebildet, nicht *Geistreich-itis, welches aufgrund des Akzentclashs noch weniger wohlgeformt wäre.
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Forschungsüberblick mit kritischer Diskussion. Unter anderem wird gezeigt, dass bisherige Ansätze nur auf spezielle Fälle zutreffen, während es an einer umfassenden Erklärung aber noch mangelt. Unter besonderer Berücksichtigung des gegenwärtig produktivsten Fugenelements s wird eine neue generelle Funktion aufgezeigt, die phonologischer Natur ist. Sie besteht darin, den Endrand des betreffenden phonologischen Wortes zu stärken und damit der Hörerin beim Dekodieren der Komposita zu helfen. Dies ist umso notwendiger, je weiter das Erstglied davon entfernt ist, ein wohlgeformtes pWort zu sein (Das optimale pWort ist im Deutschen ein einfüßiges trochäisches Wort wie Váter). Entsprechend erscheinen prosodisch suboptimale Erstglieder häufig oder sogar obligatorisch mit Fugen-s, z. B. Derivata auf -ung (Staffelung-s-gesetz) oder Derivata mit unbetonten Präfixen (Gesicht-s-maske, Betrieb-s-ausflug). Die Markierung des Endrands kann das Fugen-s leisten, indem es ein wortfinales Konsonantencluster erzeugt und dabei sogar oft ein extrasilbisches Element bildet, z. B. in [bətRi:ps]. Den Gedanken der Grenzmarkierung greift Eins (2008: 114f.) auf und versucht eine derartige Funktion auch beim fremden Fugenelement o auszumachen. Dass dieses vokalische Element eine Grenze nicht wie das native Fugens durch Konsonantenclusterung und Extrasilbizität markieren kann, ist klar. Eins skizziert die Grenzmarkierung aber so: “In etwa Philologe ist auch ohne altphilologischen Sachverstand klar, wo die Morphemgrenzen verlaufen, da nur das rechte o unbetont ist und damit Fuge sein kann” (Eins 2008: 114f.). M. E. kann das o eine Grenzmarkierung auch nicht kraft seiner Unbetontheit leisten. Das zeigt sich z. B. an Anthropologe, wo das erste unbetonte o keineswegs ein Grenzmarker ist. Um mehr über die Funktion der o-Fuge herauszufinden, müsste man natürlich eine Reihe von Beispielen betrachten. Dazu würde man gerne wissen, welche Fälle überhaupt Instanzen einer o-Fuge darstellen. Ein Blick in die Standardwerke verhilft dabei jedoch nicht zu einem klaren Bild. Im Duden heißt es einerseits, die Endvokale der Präkonfixe biblio-, elektro- usw. könnten “Bestandteil des Konfixes oder Fugenelement” sein (Duden 72005: 690). An anderen Stellen wird Elektroladen zusammen mit Spielothek (Duden 72005: 724) und bibliophil zusammen mit Filmothek (Duden 72005: 693) als Beispiel für das Fugenelement o angeführt. Fleischer/Barz (21995: 142) nennen als Beispiele für o-Verfugung: (4)
Aerobus, Elektromotor, Kristallografie
Chemotherapie,
Filmothek,
Gasometer,
Dabei vermerken sie: “in den letztgenannten Fällen kein Konfix als Erstglied!”. Weiter führen sie aus: “In einigen Fällen gehört -o- zum Stamm des Erstgliedes, ist also nicht als Fugenelement anzusehen, hat aber wohl mit zur Ausbreitung beigetragen: Mikro-, […] Pseudo-, Stereo-” (Fleischer/Barz
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1995: 142). Hierbei wird nicht deutlich, warum das -o- in Mikro-, Stereo- zum Stamm gehören, aber in Elektro-, Aero- ein Fugen-o sein soll. Die Funktion der o-Fuge zu identifizieren fällt also schon deshalb so schwer, weil nicht klar ist, welche Fälle überhaupt dazugerechnet werden können. Andersherum lässt sich nicht entscheiden, welche dazugehören, so lange die Funktion nicht klar ist. Ein Ausweg kann hier sein, die Analyse mit solchen Fällen zu beginnen, in denen am eindeutigsten ein Fugen-o vorliegt. Dafür eignen sich Bildungen mit nativem Erstglied, da hier das o nicht zum Stamm gehören kann, vgl. die Beispiele in (5). (5)
tütophob (Donalies 22005: 80), Quatschothek (Müller 2005: 42), Berlinomat (Cosmas II), Wahlomat (Name eines Programms), Der Schlafomat (Titel eines Kurzfilms), Glotzophon (Müller 2000/2005: 212), Bankomat (usuell)
Zwar haben diese Bildungen oft einen etwas spielerischen, okkasionellen Charakter, doch finden sich hier, anders als bei Schwulität, schauderös, außerordentlich viele Types,16 die regelmäßig nach dem gleichen Muster gebildet werden: nativer Stamm17 + o + neoklassisches Postkonfix. Das spricht dafür, dass hier ein produktives Verfahren vorliegt. In diesen Bildungen dient das o folgendem Zweck: Die neoklassischen Postkonfixe verlangen eine Akzentverlagerung – die die nativen Erstglieder normalerweise nicht zulassen würden. Mithilfe des Fugen-os wird zu den nativen Stämmen ein Konfix-Allomorph gebildet. Dieses Allomorph hat nicht mehr die den nativen Stämmen inhärente Eigenschaft, den “Wortakzent auf der Wurzelsilbe” zu verlangen; es lässt die Akzentverlagerung zu. Offenbar ist die Lexemerkennung trotz Verlust des Hauptakzents sichergestellt – wahrscheinlich weil das o als entsprechendes Signal fungiert. Elemente wie tüto-, schlafo- lassen sich als [-native] Allomorphe zu nativen Stämmen zu betrachten. 18 Mit diesen Allomorphen wird die Kombination ermöglicht, was den Vorteil eines kompakten und pointierten Ausdrucks hat, vgl. Er ist tütophob vs. Er hat eine Phobie/Abneigung gegen Tüten. Fast ebenso eindeutig lassen sich auch einige Komposita mit fremdem Erstglied als Instanzen einer o-Fuge bestimmen. Die Komposita in (6) haben mit 16 17 18
Für weitere Belege siehe z. B. Donalies (22005: 22, 71, 80), Cosmas II – oder jede beliebige Zeitung! Dafür kommen offenbar vor allem Substantive, Verbstämme und Eigennamen in Frage. Das verlangt nach einer Modellierung von Lexikoneinträgen, die für einzelne Allomorphe “Untersektionen” mit eigenen Merkmalen zulässt. Dies wird aber, z. B. angesichts unterschiedlicher Selektionseigenschaften bei Affixallomorphen (z. B. -heit vs. -keit), ohnehin benötigt.
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den eben besprochenen gemeinsam, dass die Hauptbetonung auf das Zweitglied fällt. Sie entsprechen dem Muster PS2. Weiter haben sie gemeinsam, dass das o nur in diesen Fällen auftritt und daher als Fugen- und nicht als Stamm-o zu betrachten ist (vgl. dagegen z. B. Elektro Müller). (6)
a. Charakterologe (Schmidt 1987: 29) b. Gigantomanie (Hörbeleg; ‘Neigung zu Gigantischem’) c. Kristallografie (Duden 72005: 693)
Das Fugen-o ermöglicht also auch hier die Bildung eines Allomorphs, welches Akzentverlagerung zulässt. In (6)a. ist das notwendig, damit mit dem Postkonfix -loge kombiniert werden kann. Auch hier bringt die o-Bildung den Vorteil, kompakter und weniger explizit zu sein als alternative Konstruktionen, z. B. Charakter-Wissenschaftler oder Sachkundiger bezüglich Charakterfragen. In (6)b. liegt nun ein Zweitglied vor, das nicht PS2 fordert. Auch das Erstglied würde PS1 zulassen: [Giganten]ω1[manie]ω2. Man würde sich damit jedoch auf das Substantiv der Gigant beziehen. Gemeint ist aber nur das von gigant- denotierte wortartunspezifische Konzept. 19 Auch bei (6)c. wäre PS1 möglich gewesen: [Kristall]ω1[grafie]ω2. Hier ist es das Zweitglied, bei dem das freie “Pendant” eine spezielle, hier nicht gewünschte Bedeutung entwickelt hat (Grafie ‘Schreibung’). Mit ihm würde die Bedeutung 'Schreibung, die etwas mit Kristallen zu tun hat' anstatt der intendierten ‘Beschreibung von Kristallen’ aufkommen. In allen drei Fällen schafft also die Bildung des oAllomorphs die Möglichkeit der Akzentverlagerung – einmal um die Kombination überhaupt zu ermöglichen, einmal um ein Zuviel an Eigensemantik bei einem der Glieder zu vermeiden. Beides bedeutet eine engere Fügung – einmal weil Wortbildung kompakter ist als eine syntaktische Konstruktion, einmal weil dann das einzelne Glied weniger Eigensemantik enthält. Die Beispiele in (7) unterscheiden sich von den bisherigen, da bei ihnen keine Akzentverlagerung erfolgt. Dennoch kommen sie als Instanzen einer oFuge in Betracht, da auch hier das o stammfremd ist. (7)
Italo-Western, Afro-Look
Auch hier dient das o zur Bildung einer Konfix-Form: Wie die Präkonfixe chemo-, sozio-, elektro- sind auch diese Erstglieder wortart-unmarkiert und treten typischerweise nicht frei auf. Darin sind die Fälle in (7) mit dem Typ Gigantomanie vergleichbar. Mit Italo- legt sich die Sprecherin nicht darauf 19
Vgl. Harras (1997: 122) “Der Witz der Verwendung von sozio- [im Gegensatz zu sozial, soziologisch] liegt offenbar genau in der Offenheit einer solchen Zuordnung [zu einem bestimmten Lexikoneintrag, indirekt auch: zu einer Wortartkategorie]”. Zu mangelnder Wortartspezifik bei Präkonfixen siehe auch Eisenberg (32006: 286), Duden (72005: 690).
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fest, dass der Film in Italien gedreht wurde oder dass es sich um eine italienische Produktion handelt. Vielmehr ist das Konfix semantisch unterspezifiziert und erlaubt daher alle erdenklichen Bezüge – eine Freiheit, die erwünscht sein kann. Eine Besonderheit stellen die Fälle in (8) dar. Fleischer/Barz (21995: 251) schreiben, dass auf diese Weise die als unschön empfundene Wiederholung von -isch erspart werde. M. E. geht es hier nicht nur um formal-ästhetische Einsparung, sondern die zwei Stämme sind so enger gefügt, die morphologische Struktur ist eine andere, vgl. (9). (8)
semanto-pragmatisch, anglo-amerikanisch
(9)
[[semant]isch]-[[pragmat]isch] vs. [[[semanto][pragmat]]isch] [[engl]isch]-[[amerikan]isch] vs. [[[anglo][amerikan]]isch]
Wieder entspricht dies dem Bedarf nach Unterspezifiziertheit: Es soll nicht unbedingt zum Ausdruck gebracht werden, dass etwas sowohl englisch als auch amerikanisch bzw. sowohl semantisch als auch pragmatisch ist – sondern dass es auf den Unterschied nicht ankommt bzw. eine Unterscheidung schwer zu treffen ist. Als gemeinsamer Nenner zeigt sich also, dass die o-Fuge dazu dient, ein Konfix-Allomorph herzustellen, welches eine engere Fügung (und die ihr innewohnende semantische Unterspezifiziertheit) ermöglicht. Damit steht fest, dass sich das fremde Fugenelement o hochgradig von der oben skizzierten Funktion des nativen Fugenelements -s- unterscheidet, ja sogar geradezu konträr zu ihr ist (Ermöglichung einer engeren Verbindung vs. Markierung der Grenze zwischen den Gliedern).
3.
Zusammenfassung und Desiderata
Mit dem vorliegenden Beitrag wurde dafür plädiert, dass die Unterscheidung zwischen fremd und nativ in der deutschen Wortbildung von Nutzen ist. Es wurde gezeigt, dass es Besonderheiten des fremden Bereichs gibt – und dass diese zur Beschreibung, Erklärung und Vorhersage relevant sind. Dies wurde an fremden Suffixen, an Konfixbildung, an Kombinationsrestriktionen sowie an der Funktion der fremden Fuge illustriert. Die Suffixe sind als Folge ihrer Fremdheit i. d. R. hauptbetont. Auch fremde Konfixe können eine Akzentverlagerung verlangen. Bildungen mit solchen Konfixen haben mit den fremden Suffigierungen gemeinsam, dass der Akzent vom Wortende aus platziert wird und dass anders als z. B. bei nativen Komposita die morphologische Struktur
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nicht prosodisch profiliert wird. Für diese Form wurde das Konzept PS2 eingeführt. Es wurde beschrieben, dass diejenigen fremden Elemente nicht mit nativen kombinieren, die auf diese prosodische Struktur festgelegt sind. Das erklärt sich darüber, dass sie eine Akzentverlagerung auslösen würden, wogegen native Stämme sich sperren. Diese Sperrung kann aufgehoben werden, indem zu einem nativen Erstglied ein o-Allomorph gebildet wird. Die dabei entstehenden Konfixbildungen sind nicht nur quantitativ kompakter als alternative Ausdrücke, sondern auch morphologisch und semantisch. Darin lässt sich im Übrigen eine Bereicherung der Wortbildungsverfahren des Deutschen erkennen. Es zeigen sich also Wirkungsketten, an deren Anfang Fremdheit steht. Fremdheit kann spezielle phonologische Eigenschaften bedingen. Fremdheit bringt auch den Typus der gebundenen, teilweise wortartunmarkierten Stämme mit sich. Beides kann einen geringeren Grad an Eigenständigkeit bedeuten und sich hemmend auf die Kombinierbarkeit auswirken. Genau an dieser Stelle setzt das Fugen-o ein, indem es freie Stämme, gerade auch native, an die phonologischen und semantischen Besonderheiten der Konfixbildung anpasst. Ohne ein Verständnis der Spezifik des fremden Bereichs ließen sich weder die Kombinationsrestriktionen, noch die Funktion der o-Fuge erklären. Die Auswirkungen von Fremdheit sind mit diesem Beitrag keinesfalls restlos erfasst. An fremd-nativen Kombinationen wurden nur die am stärksten restringierten Bereiche diskutiert. Es bliebe noch auszuloten, was genau die weiteren Kombinationen, z. B. mit fremden Präfixen oder mit nativen Suffixen steuert bzw. restringiert. Völlig ausgeblendet wurde auch die für den Fremdbereich typische mangelnde Segmentierbarkeit von gebundenen Stämmen und Suffixen. So lässt sich z. B. schwer beurteilen, ob ein Suffix -ion, -tion oder -ation anzusetzen ist. Mit Beschreibungsmethoden des nativen Bereichs kann dieses Verhalten nicht befriedigend erklärt werden. Eher wäre hier von sogenannter “substituierender Ableitung” (Munske 1988: 64f., Eisenberg 32006: 293) auszugehen. Solche Verfahren sind m. E. noch nicht genügend untersucht worden.
4.
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Agnes Kolmer
Kontaktbedingte Veränderung der Hilfsverbselektion im Cimbro Ergebnisse einer Pilotstudie
1.
Einleitung
In diesem Beitrag steht ein Phänomen des kontaktbedingten grammatischen Wandels im Mittelpunkt, das in der deutschen Minderheitensprache Cimbro, die in dem Dorf Luserna (Trentino, Italien) gesprochen wird, vorkommt. Es handelt sich dabei um Veränderungen, die in der Hilfsverbselektion zur Bildung des Perfekts festzustellen sind, konkret um den allmählichen Übergang von HABEN zu SEIN als Hilfsverb zur Bildung der periphrastischen Vergangenheitsform von Verben in reflexiven Konstruktionen. Es werden Ergebnisse einer Pilotstudie präsentiert, die im Winter 2007 in Luserna durchgeführt wurde, und es wird die Diachronie der Entwicklung nachgezeichnet. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit der untersuchte Wandel, der im Cimbro bei der jüngeren Sprechergeneration zu einer Generalisierung von SEIN als PerfektAuxiliar in reflexiven Konstruktionen führt, als ein kontaktinduzierter Sprachwandelprozess und als ein Fall von grammatischer Entlehnung aufzufassen ist. Die im Cimbro zu beobachtenden Veränderungen im Bereich der Hilfsverbselektion werden schließlich mit der Frage nach dem syntaktischen Status von Pronominalklitika in Zusammenhang gebracht.
1.1. Das Cimbro von Luserna Beim Cimbro von Luserna handelt es sich um einen deutschen Sprachinseldialekt, der auf spätmittelalterliche Siedlungsmaßnahmen zurückzuführen ist. “Zimbrisch” ist die Bezeichnung für eine Gruppe deutscher Varietäten, die in den norditalienischen Provinzen Trentino und Veneto im 18. Jahrhundert noch von mehreren tausend Menschen gesprochen wurde (vgl. Rowley 1996). Es handelt sich dabei um auf dem Südbairischen basierende Siedlungsmundarten, die ursprünglich in Ortschaften verbreitet waren, die im Westen vom Vallagarina und im Norden vom Valsugana begrenzt sind. Diese deutschsprachigen Minderheiten im Trentino und Veneto gehen auf systematische Siedlungen ab dem 12. Jahrhundert zurück. Zimbrische Dialekte waren bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in den sogenannten Dreizehn Gemeinden in den Lessinischen Alpen, in den sogenannten Sieben Gemeinden auf der Hoch-
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ebene von Asiago und auf den Hochebenen von Folgaria und Lavarone verbreitet. Heute lebt das Zimbrische nur noch in Luserna, das ca. 200 permanent im Dorf lebende Einwohner zählt. In Anlehnung an die italienischsprachige Bezeichnung der Sprecher selbst nenne ich den deutschen Dialekt Cimbro. Luserna ist eine Tochtersiedlung, die im 16. Jahrhundert von dem ca. 10 km entfernt liegenden Ort Lavarone aus gegründet wurde (vgl. Mastrelli-Anzilotti 1994). In Luserna setzte, wie in den anderen Siedlungen schon Jahrzehnte bzw. Jahrhunderte zuvor, in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts der allmähliche Sprachwechsel zum Italienischen ein. Die Kinder, die seit den 70er Jahren aufgewachsen sind, erwarben den deutschen Dialekt nicht mehr auf die gleiche selbstverständliche Weise als Erstsprache wie die Generation ihrer Eltern. Mittlerweile gibt es, dank der Unterstützung durch die Autonome Provinz Trentino-Alto Adige, vielfältige Bemühungen, den Sprachwechsel aufzuhalten. Die Daten, die hier das Cimbro repräsentieren, sind, wenn nicht anders angegeben, einem Korpus entnommen, das während mehrerer Feldforschungsaufenthalte (2000, 2001, 2007) von mir erstellt wurde. Es enthält sowohl freie Erzählungen als auch elizitierte Einzelsätze. Es repräsentiert die Redeweise von kompetenten Sprecherinnen und Sprechern des Cimbro. Diese sind zwar unterschiedlichen Altersgruppen zuzuordnen, es handelt sich bei ihnen jedoch nicht um “semi-speakers” oder “rusty speakers”.
1.2. Grammatische Entlehnung Den Terminus grammatische Entlehnung gebrauche ich in Anlehnung an Matras/Sakel (2007) als Überbegriff. Abgedeckt wird damit sowohl die Entlehnung von Funktionswörtern, die einer geschlossenen Klasse angehören, als auch die kontaktinduzierte Veränderung von Strukturen, die auf der morphologischen und syntaktischen Ebene angesiedelt sind. Kontaktinduzierter Wandel, der die Strategien der Abbildung der informationsstrukturellen Gliederung einer Äußerung auf die Satzform erfasst und damit auch die diskurspragmatische Ebene einer Sprache betrifft, fasse ich ebenfalls unter den Terminus grammatische Entlehnung. Mit Aikhenvald/Dixon und Matras/Sakel sind 2007 zwei Sammelbände erschienen, in denen Forschungsergebnisse zur grammatischen Entlehnung in ganz verschiedenen Sprachkontaktsituationen zusammengeführt sind. Die Zielvorstellungen, die mit dem Vergleich der Ergebnisse verbunden werden, unterscheiden sich jedoch, wie man den Synopseartikeln Aikhenvald (2007) und Matras (2007) entnehmen kann. Aikhenvald (2007) interessiert sich vor allem dafür, wie es zur Verbreitung (“diffusion”) von Mustern (“patterns”) und zu sprachlicher Konvergenz kommt. In ähnlicher Weise, wie dies auch Thomason (2001) tut, unterscheidet sie linguistische Faktoren (wie z. B. die
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typologische Distanz bzw. Nähe der in Kontakt stehenden Sprachen/Varietäten) und soziolinguistische Parameter (wie z. B. die Dauer und die Intensität des Sprachkontakts) und kommt zu dem Schluss: Diffusion of grammar in contact is not a unitary mechanism of language change. Foreign forms and patterns make their way into a language through a number of paths [...].1 The status and the expression of a category in interacting languages determines the path. (Aikhenvald 2007: 48)
Weiterführende Generalisierungen über die Art und Strukturiertheit der Pfade werden an dieser Stelle nicht angestrebt. Demgegenüber sieht Matras (2007) das Ziel der vergleichenden Studien darin, universal gültige Hierarchien der Entlehnbarkeit formulieren zu können, sowohl für grammatische Einheiten als auch für grammatische Strukturen. Die Hierarchisierungen bilden dabei die Voraussetzung für das Verständnis der dem Angleichungsprozess zugrundeliegenden Kräfte, die Matras (2007: 68) zum einen in der Funktionalität der betroffenen sprachlichen Kategorien und zum anderen in der Sprachverarbeitung begründet sieht. Dabei führt die Zweisprachigkeit unter bestimmten Bedingungen zu der Notwendigkeit “to reduce the cognitive load when handling a complex linguistic repertoire” (Matras 2007: 67). Für den Bereich der materiellen Entlehnung ist es seit Langem üblich, generelle Aussagen über die Entlehnbarkeit in Form einer Häufigkeits- oder einer implikationalen Hierarchie zu formulieren (vgl. Whitney 1881, Haugen 1950, Thomason/Kaufman 1988). Im Bereich des kontaktinduzierten grammatischen Wandels konzentrierte man sich auf das Verständnis der jeweils zugrundeliegenden Mechanismen und beteiligten Faktoren einer konkreten Sprachkontaktsituation. In dem erstgenannten Bereich handelt es sich um Aussagen, die darüber Auskunft geben, welche Mitglieder einer Klasse von grammatischen Elementen anfälliger für die Übernahme bzw. Ersetzung sind. Eine bestimmte implikationale oder Häufigkeits-Hierarchie gilt demnach für eine bestimmte Klasse von funktionalen Elementen, z. B. für Konjunktionen oder Fokuspartikeln. Es ist auffällig, dass sich die meisten der 24 von Matras (2007) vorgenommenen Hierarchisierungen auf Einheiten und nicht auf Strukturen beziehen. Es stellt sich also nach wie vor die Frage, wie Hierarchisierungen in diesem Bereich aussehen könnten. Heine/Kuteva (2005) zeigen auf, dass kontaktinduzierter struktureller Wandel häufig als Grammatikalisierung aufgefasst werden kann. Hierarchisierun1
Folgende Pfade werden an dieser Stelle angeführt: “enhancement of an already existing feature”, “extension by analogy”, “reinterpretation and analysis”, “induced grammaticalization”, “grammatical accomodation”, “loan translation” und “lexical and grammatical parallelism”.
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gen sind demnach mit den Parametern der Grammatikalisierung “extension”, “desemanticization”, “decategorialization” und “erosion” in Einklang zu bringen. Daneben können solche kontaktinduzierten Sprachwandelprozesse identifiziert werden, die sie Replizierung von Gebrauchsmustern (“replicating use patterns”) nennen. Darunter fassen sie unterschiedliche Phänomene, u. a. auch Veränderungen in der Hilfsverbselektion, wie sie z. B. in vom Englischen beeinflussten deutschen Minderheitensprachen, die in Nordamerika gesprochen werden, zu beobachten sind, und zwar als vermehrte Selektion des Hilfsverbs HABEN auf Kosten von SEIN zur Bildung des Perfekts. Diese Veränderung in der Hilfsverbselektion wird von Heine/Kuteva (2005: 51) im Zusammenhang der kontextuellen Ausweitung von “grammatical use patterns” behandelt, ohne jedoch ins Detail zu gehen bzw. aufgrund der beschränkten Datenlage ins Detail gehen zu können. Heine/Kuteva (2005) ist zuzustimmen, wenn sie feststellen: “contact-induced language change is not an abrupt process, leading straight from one category or structure to another; rather, it involves a gradual transition [...]” (Heine/Kuteva 2005: 78). In diesem Beitrag wird anhand des Wandels der Hilfsverbselektion in reflexiven Konstruktionen im Cimbro gezeigt, dass der graduelle Übergang in sich strukturiert ist. Dabei stellt sich die Frage, wie man zu präziseren Beschreibungen und letztlich zu Generalisierungen hinsichtlich der zu erwartenden Übergangsstufen gelangen kann.
2.
Zur Hilfsverbselektion intransitiver und reflexiver Verben
Variation hinsichtlich der Hilfsverbselektion ist ein Phänomen, das seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts im Zusammenhang der sogenannten Ergativitäts-Hypothese bzw. “unaccusative hypothesis” diskutiert wird. Im Mittelpunkt dieser Diskussion steht die Frage, inwiefern die variable Selektion von HABEN und SEIN bei Verben, die gemeinhin als intransitiv klassifiziert werden, als ein Epiphänomen syntaktischer und/oder semantischer Regularitäten anzusehen ist. Eine rein syntaktische Analyse bringt die Hilfsverbselektion zur Bildung des Perfekts z. B. mit der Repräsentation der syntaktischen Größe in Zusammenhang, die in der Oberflächenstruktur als Subjekt eines intransitiven Satzes aufscheint. Die Selektion des Hilfsverbs SEIN für die Partizip-Perfekt-Form eines intransitiven Verbs, wie z. B. gekommen, ist bei einer solchen syntaktischen Analyse ein Indikator dafür, dass das interne, d. h. innerhalb der Verbalphrase projizierte Argument in die Subjekt-Position bewegt wurde, damit ihm dort bestimmte Merkmale zugewiesen werden können. Diese Analyse trägt der Beobachtung Rechnung, dass das Subjekt eines unakkusativischen bzw. ergativen Verbs wie kommen syntaktische Ähnlichkeit
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147
mit dem direkten Objekt eines transitiven Verbs hat.2 Antonella Sorace (2000), die eine hauptsächlich auf der Untersuchung romanischer und germanischer Sprachen basierende Hierarchie der Hilfsverbselektion bzw. “auxiliary selection hierarchy” vorschlägt, geht – wie schon andere vor ihr – davon aus, dass das Phänomen des variablen Hilfsverbgebrauchs letztlich semantisch basiert ist.3 Ihr Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass die Hilfsverbselektion als ein gradient strukturiertes Phänomen aufgefasst wird. Sowohl Sorace (2000) als auch Bentley/Eythórsson (2003), die den Ansatz von Sorace weiterentwickeln, müssen zugeben, dass es eine Klasse von Verben gibt, die der Idee von der semantischen Determiniertheit der Hilfsverbselektion widerspricht. Es handelt sich dabei um die reflexiven bzw. reflexiv gebrauchten Verben. In den zwei “split intransitivity”-Sprachen Standarddeutsch und Standarditalienisch gibt es hinsichtlich der Wahl des Hilfsverbs zur Bildung des Perfekts in diesem Bereich keine systematischen Alternationen. Sie unterscheiden sich jedoch in der Hinsicht, dass in reflexiven Konstruktionen im Standarddeutschen HABEN und im Standarditalienischen SEIN gewählt wird.4 Vor diesem Hintergrund ist es interessant, welche Auswirkungen der Sprachkontakt mit dem Italienischen auf die Hilfsverbselektion im Cimbro hat.
3.
Hilfsverbselektion in reflexiven Konstruktionen im Cimbro
3.1.
Sprachgeschichtliche Einbettung
Bekanntlich differieren das Standarddeutsche und Standarditalienische hinsichtlich der Selektion von HABEN und SEIN zur Bildung des Perfekts bestimmter verbaler Subklassen. Während im Deutschen die allermeisten reflexiven Verben das Perfekt mit dem Hilfsverb HABEN bilden, ist im Standarditalienischen das entsprechende Hilfsverb SEIN (italienisch essere), vgl. (1a-b). 2
3
4
Hierzu zählt z. B. die Unfähigkeit eines unergativen Verbs wie arbeiten in seiner Partizip-Perfekt-Form als prä-nominales Attribut fungieren zu können. Man vgl. hierzu Alexiadou/Anagnostopoulou/Everaert (2004: 6) und auch Paul (1902: 162 und 165). Schon Perlmutter (1978: 161–166), der als erster die sogenannte UnakkusativitätsHypothese formuliert hat, bringt die Klassifizierung eines Verbs als unergativ oder unakkusativ mit den semantischen Eigentümlichkeiten des Prädikats in Zusammenhang. Diese Aussage gilt unter Vernachlässigung der Tatsache, dass es hierzu Ausnahmen gibt, im Standarddeutschen z. B. bei dem reziproken Verb sich begegnen.
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(1) a. Ich habe mich angezogen. b. Mi sono vestita. Für das Deutsche ist im Bereich der intransitiven Verben bekannt, dass es regionale bzw. dialektale Unterschiede gibt hinsichtlich des Gebrauchs von HABEN und SEIN als Hilfsverb. Dies betrifft aber nur bestimmte Klassen intransitiver Verben, wie Keller/Sorace (2003) aufzeigen. Was die reflexiven Verben angeht, gibt es bisher kaum Anhaltspunkte dafür, dass es irgendwelche areal fassbaren Unterschiede bezüglich der Hilfsverbselektion gibt. 5 Auch in sprachgeschichtlicher Perspektive ist für das Deutsche nicht bekannt, dass es in früheren Phasen systematische Schwankungen bei der Hilfsverbselektion reflexiver Verben gegeben hat.6 Über das Italienische weiß man, dass sich im Laufe der Sprachgeschichte der vorherrschende Gebrauch von essere als Hilfsverb zur Bildung des Perfekts in reflexiven Konstruktionen erst spät herausgebildet hat. Seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts hat das Toskanische und die Schriftsprache avere als Hilfsverb zur Bildung des Perfekts reflexiver Verben aufgegeben (vgl. Rohlfs 1969: 125). Aber es ist – zumeist als Variante zu essere – erhalten in einigen Teilen Oberitaliens, wie z. B. im Venetischen und Friaulischen (vgl. Benincà/ Vanelli 1984), im Trentinischen (vgl. Cordin 2009) und auch in Teilen Süditaliens, wie z. B. im Kalabresischen (vgl. Rohlfs 1969: 125). 3.2. Bisherige Annahmen Für das Zimbrische von Luserna findet man in der zweisprachigen Grammatik (italienisch und deutsch), die für den Sprachunterricht konzipiert wurde und unter der wissenschaftlichen Leitung von Luca Panieri entstand, die Aussage, dass die sogenannten echt reflexiven Verben – also diejenigen, die nur reflexiv gebildet werden – stets das Hilfsverb SEIN zu sich nehmen; diejenigen Verben, die sowohl reflexiv als auch nicht-reflexiv gebraucht werden können, variieren zwischen HABEN und SEIN (vgl. Panieri et al. 2006: 85). Im Gegensatz zu Panieri et al. (2006) sieht Tyroller (2003) als die die Hilfsverbselektion bestimmende Größe nicht die Obligatorität bzw. Fakultativität des reflexiven Gebrauchs eines Verbs an, sondern die Tatsache, ob das Reflexivpronomen, das referentielle Identität mit dem Subjekt des Satzes markiert, 5 6
Die Dissertation von Berndt (1912) gibt in dieser Hinsicht keinen Aufschluss. Bentley/Eythórsson (2003: 468) weisen anhand der Sprachgeschichte des Sizilianischen nach, dass auch bei reflexiven Verben die Hilfsverbselektion ursprünglich nach semantischer Klassenzugehörigkeit erfolgte. Ob eine solche Variation auch für ältere Stufen des Deutschen gilt, kann zum jetzigen Stand der Forschung nicht gesagt werden.
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als Akkusativ- oder als Dativpronomen erscheint: in Konstruktionen mit Reflexivpronomen im Akkusativ wird SEIN gewählt, in denjenigen mit Reflexivpronomen im Dativ hingegen wird HABEN selegiert (vgl. Tyroller 2003: 120). Auf Aspekte der Variation geht Tyroller (2003) in diesem Zusammenhang nicht ein. Im Folgenden wird zunächst der von Tyroller (2003) beschriebene Sachverhalt, der eine Zwischenstufe des Sprachwandelprozesses darzustellen scheint, anhand von Beispielen illustriert. Die Beispiele unter (2a) und (3a) zeigen, dass in reflexiven Konstruktionen, in denen der Reflexivitätsmarkierer ein akkusativisches Reflexivpronomen ist, das Hilfsverb SEIN gewählt wird. Für die entsprechenden transitiven Verben dreenen ‘(etw.) drehen’ und boraatn ‘heiraten’ wird erwartungsgemäß HABEN (vgl. (2b) und (3b)) selegiert: (2) a.
un alora is=se=se gedreent [und dann ist=sie=sich gedreht] ‘und dann hat sie sich (um)gedreht’
hat=ma=si b. un daseli [und dasselbe hat=man=es ‘und das hat man so gedreht’ (3) a.
vor'd=e=me pin [bevor+HT7=ich=mich bin ‘bevor ich geheiratet habe’
gedreent gedreht
aso so]
boraatet verheiratet]
b. hat=se boraatet an dokhtur [hat=sie geheiratet einen Doktor] ‘hat sie einen Doktor geheiratet’ Die Verben õleng ‘anziehen, kleiden’ bzw. õleng=se ‘sich anziehen, sich kleiden’ (wörtlich anlegen bzw. anlegen=sich) eignen sich zur Illustration des zweiten von Tyroller (2003) genannten Aspekts. In einer Konstruktion, in der Referenzidentität zwischen einem Reflexivpronomen im Akkusativ und dem Subjekt des Satzes hergestellt wird, erscheint das Hilfsverb SEIN, vgl. (4): (4) a.
7
bar soin=as õgelek bahemme [wir sind=uns angelegt schnell] ‘wir haben uns schnell angezogen’
b. di
kindar soin=se õgelek [die Kinder sind=sich angelegt] ‘die Kinder haben sich angezogen’
Die Abkürzung HT steht für “Hiatustilger”. Er tritt zwischen nebensatzeinleitender Konjunktion und vokalisch anlautendem enklitischen Subjektpronomen nicht nur dann auf, wenn die Konjunktion auf Vokal auslautet (vgl. hierzu Beispiel (8b)), sondern auch dann, wenn es sich beim Auslaut um einen Liquid handelt, wie in Beispiel (3a). Für eine ausführlichere Darstellung vgl. Kolmer (2005).
150
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In einer reflexiven Konstruktion, in der der Referent, auf den mit Hilfe des Reflexivpronomens im Dativ Bezug genommen wird, zum Beispiel Träger oder Rezipient ist (typischerweise eines Kleidungsstückes), tritt das Hilfsverb HABEN auf, vgl. (5a). In dieser Konstruktion erscheint auch ein Akkusativobjekt, mit dem im vorliegenden Fall auf Kleidungsstücke (Schuhe) Bezug genommen wird. Es handelt sich also um eine transitive Konstruktion. Anders als im Standarditalienischen, aber wie im Deutschen, wählen bestimmte Sprecher des Cimbro bei einer transitiven Konstruktion mit Reflexivpronomen im Dativ (riflessivi indiretti transitivi) bevorzugt das Hilfsverb HABEN (vgl. (5a)). Bezüglich der Hilfsverbselektion unterscheiden also diese Sprecher nicht zwischen einer solchen reflexiven Konstruktion und einer nicht-reflexiven transitiven Konstruktion wie in (5b). (5) a.
i ho(n)=mar õgelek di schua (vgl. Mi sono messa le scarpe.) [ich habe=mir angelegt die Schuhe] ‘ich habe mir die Schuhe angezogen’
b. alora hast=(d)o õgelek di fötsch [und hast=du angelegt die Fötsch] ‘also hast du / hat man die Fötsch [= eine Art Filzschuh] angezogen’ Geht man davon aus, dass Tyrollers Darstellung der sprachlichen Realität näher kommt als diejenige von Panieri et al. (2006), und zwar in der Weise, dass sie den Kernbereich der Regularitäten trifft, die für die “konservative Norm” des Cimbro im 20. Jahrhundert gelten, handelt es sich dabei um eine besondere Art eines “split auxiliary”-Systems. Die für die Selektion von HABEN als Hilfsverb entscheidende Bedingung stellt dabei die Anwesenheit eines mit dem Subjekt des Satzes referenzidentischen Dativpronomens dar, das vom Verb nicht valenzgebunden ist.
3.3. Ergebnisse einer Pilotstudie Die Selektion von HABEN als Hilfsverb in reflexiven Konstruktionen mit Dativpronomen gilt nicht für alle Cimbro-Sprecher gleichermaßen. Ein gegenwärtig fassbarer Sprachwandelprozess führt zu einer allmählichen Ersetzung von HABEN durch SEIN in diesen Konstruktionen. Dies deuten die Ergebnisse einer Pilotstudie an, die ich im Winter 2007 mit sieben InformantInnen im Alter zwischen 26 und 78 Jahren durchgeführt habe.8 Bei der Befragung waren kurze Sätze im Präsens vorgegeben, wie z. B. I bèsch mar di hent ‘Ich wasche 8
Vielen Dank für ihre Hilfe an die zeitweiligen Begleiterinnen Prof. Elvira Glaser und Dr. Gisella Ferraresi.
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mir die Hände’, I koaf mar an naügn auto ‘Ich kaufe mir ein neues Auto’, I lee mar õ an schümman konsott ‘Ich ziehe mir ein schönes Kleid an’. Insgesamt handelte es sich um zwanzig Sätze. Diese wurden den Informanten auf Cimbro vorgelesen. Die Aufgabe bestand darin, diese Sätze ins Perfekt zu setzen, wobei als Hilfestellung bzw. als Muster ein Satzpaar mit einem nicht-reflexiven Verb vorgegeben wurde (I koaf an auto ‘Ich kaufe ein Auto’/ Gestarn i han gekoaft an auto ‘Gestern habe ich ein Auto gekauft’). Während der Befragung wurde die spontane Wahl des Hilfsverbs notiert. In einem zweiten Durchgang wurde gefragt, ob das jeweils andere Hilfsverb in dieser Konstruktion auch verwendet werden kann.9 In Bezug auf die Auswahl der Verben konzentrierte ich mich auf Reflexivkonstruktionen, die von Geniušienė (1987: 290–296) als “dative transitive reflexives” klassifiziert werden. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie von (di-)transitiven nicht-reflexiven Verben abgeleitet sind und das Reflexivpronomen bzw. der Reflexivitätsmarkierer die Koreferenz des “semantischen Dativs” mit dem Subjekt markiert. “Semantischer Dativ” bezeichnet dabei eine “hyper-role assigned to the referent of an indirect dative object which receives or acquires something.” Geniušienė (1987: 40) Innerhalb dieser Reflexivkonstruktionen differenziert Geniušienė (1987: 290) drei Typen entsprechend der semantischen Rolle, die dem Referenten der dativischen Konstituente zugewiesen werden kann: die drei Typen nennt Geniušienė (1987: 290) ● “beneficiary” (man vgl. die Beispiele in (6a–d)), ● “recipient” (man vgl. das Beispiel unter (5a)) und ● “possessor” (man vgl. die Beispiele in (7a–b)): (6) a.
und dopo han=sa=s [...] gelat kemen trukhan [...] [und dann haben=sie=es gelassen kommen trocken] un han=en gemacht disan matratz10 [und haben=ihnen gemacht diesen Matratze] ‘und dann haben sie es [= das Laub von Maisblättern] trocken werden lassen und haben sich diese Matratze gemacht’
b. un ha=bar=as genump a karge meel [und haben=wir=uns genommen eine Ladung Mehl] ‘und haben wir uns eine Ladung Mehl genommen’ 9
10
Die Sätze im Präsens, die den Ausgangspunkt der Transferaufgabe bildeten, waren alle in der 1. Person Singular konstruiert. Vereinzelt wurde auch um einen Transfer der reflexiven Konstruktion im Perfekt in die 3. Person Singular gebeten. Die bisher erhobenen Daten lassen vermuten, dass Informanten der älteren Generation in den Konstruktionen, in denen sie spontan HABEN wählen, bevorzugt bei der 1. Person Singular auch SEIN als grammatisch empfinden, nicht jedoch bei der 3. Person Singular. In diesem Bereich sind jedoch weitere Untersuchungen notwendig. Im Cimbro ist “Matratze” ein maskulines Substantiv, vgl. ital. materasso.
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c.
alora aniaglas hat=en gekoaft an matratz [also ein_jedes hat=ihm gekauft einen Matratze] ‘also hat sich jeder eine Matratze gekauft’ d. intonto hat=ar=en argehakt di lugonega eer [derweil hat=er=ihm abgeschnitten die Lugonega er] ‘derweil hat ER11 sich eine Lugonega [= eine Wurstart] abgeschnitten’
(7) a.
i ho(n)=mar … // [ich habe=mir // ‘ich habe mir … //
b. si hat=ar gestreelt s haar sie hat=ihr gekämmt das Haar] sie hat sich das Haar gekämmt’
Von der Perspektive des Deutschen aus betrachtet ist die Selektion des Hilfsverbs HABEN in den aufgeführten Kontexten nicht überraschend. Ungewöhnlich, aber im Grunde nur konservativ, ist die Kodierung von Reflexivität in der 3. Person. Dies betrifft die Tatsache, dass im Cimbro in der 3. Person das Reflexivpronomen se ‘sich’ nur Akkusativ kodiert und nicht auch Dativ. Wie noch im Mittelhochdeutschen werden für die 3. Person Dativ die entsprechenden Formen des Personalpronomens gebraucht (=en ‘ihnen; ihm’ im Plural und im Singular für Neutrum und Maskulinum, vgl. (6a, c, d), und =ar ‘ihr’ im Singular für Femininum, vgl. (7b)). Das Ergebnis der Befragung, das sich auf den Typ der “dative transitive reflexives” bezieht, lässt sich wie in Tabelle 1 abgebildet zusammenfassen: Tabelle 1: Spontane Selektion von HABEN (H) und SEIN (S), Akzeptanz von HABEN (h) und SEIN (s) und Nichtakzeptanz von HABEN (*h) und SEIN (*s) während der Transferaufgabe bei ortsansässigen weiblichen (w) und männlichen (m) Informanten verschiedenen Alters (angegeben in Jahren, abgekürzt mit “J”). 1. Sg., Perfekt BENEFAKTIV koavan (an auto) REZIPIENT õleng (an schümman konsott) POSSESSOR beschan (die hent)
ADA w GAB w ADE w GIA m (78 J.) (62 J.) (60 J.) (57 J.)
SER m ELI w ALE w (48 J.) (26 J.) (31 J.)
H / *s
H / *s
H/s
H/s
H/s
S/h
S / *h
H / *s
H/s
H/s
H/s
H/s
S/h
S / *h
H/s
H/s
H/s
H/s
H/s
S/h
S / *h
Die in Tabelle 1 aufgeführten Konstruktionstypen (BENEFAKTIV, REZIPIENT, wurden mit mehreren Satzbeispielen getestet. Zwar fiel das Urteil
POSSESSOR) 11
Die Großschreibung zeigt an, dass das Pronomen in diesem Kontext kontrastiv fokussiert wird. In der Erzählung wird ‘er’, d. h. der Vater der Erzählerin, seinem ängstlichen Freund Basilius gegenübergestellt.
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153
der Gewährspersonen innerhalb eines Typs nicht immer einheitlich aus, am Gesamtbild mit dem Ergebnis “spontane Selektion von HABEN, weitgehende Akzeptanz von SEIN” ändert sich dadurch bei den Gewährspersonen ADA, GAB, ADE und GIA jedoch nichts. Nur die Gewährsperson SER m. (48 J.) selegiert für manche transitive Reflexivkonstruktionen mit Reflexivpronomen im Dativ spontan das Hilfsverb SEIN (z. B. I bi(n)=mar boschisst di foat ‘Ich habe mir das Hemd beschmutzt’). Die spontane Hilfsverbselektion von SER m. (48 J.) ist also weniger einheitlich als diejenige von ADA, GAB, ADE und GIA auf der einen Seite (HABEN) und diejenige von ELI und ALE auf der anderen Seite (SEIN). Das Ergebnis der Pilotstudie kann so gedeutet werden, dass sich die Sprecherinnen und Sprecher des Cimbro hinsichtlich der spontanen Wahl des Hilfsverbs in transitiven Reflexivkonstruktionen mit einem Reflexivpronomen im Dativ grob in zwei Gruppen teilen lassen: eine Gruppe von Sprechern, die spontan in den genannten Konstruktionen mehrheitlich das Hilfsverb HABEN wählen und eine Gruppe von Sprecherinnen und Sprechern, bei der im gleichen Kontext die spontane Selektion des Hilfsverbs SEIN vorherrscht; letzteres wird in Tabelle 1 durch die Schattierung symbolisiert. Das z. T. schwankende Selektionsverhalten von SER m. (48 J.) deutet darauf hin, dass bei einer Befragung, bei der mehr Gewährspersonen der mittleren Generation beteiligt sind, sich eventuell eine dritte Gruppe abzeichnet. Zwar lässt sich das Ergebnis der Pilotstudie zum jetzigen Stand der Forschung aufgrund der beschränkten Datengrundlage, d. h. aufgrund der geringen Anzahl an befragten Gewährspersonen, nicht verallgemeinern, es zeichnet sich jedoch ab, dass sich die jüngeren Sprecherinnen (und Sprecher) des Cimbro – in der Pilotstudie repräsentiert durch die Gewährspersonen ELI und ALE – hinsichtlich der Hilfsverbselektion in reflexiven Konstruktionen deutlich anders verhalten als die älteren Sprecherinnen und Sprecher, die in der Pilotstudie repräsentiert sind durch die Gewährspersonen ADA, GAB, ADE und GIA. Die Hilfsverbselektion in reflexiven Konstruktionen zeichnet sich demnach bei jüngeren Sprecherinnen und Sprechern des Cimbro dadurch aus, dass bei den “dative transitive reflexives” eine Variation zwischen HABEN und SEIN nicht zu erwarten ist, sondern – wie bei den Konstruktionen mit Reflexivpronomen im Akkusativ auch – das Hilfsverb SEIN vorherrscht, wie in den Beispielen unter (8) illustriert wird. Während es sich bei (8a) um einen Beleg handelt, der im Zuge der systematischen Befragung zu den Reflexivkonstruktionen eliziert wurde, wurden die Sätze unter (8b) und (8c). während spontansprachlicher, längerer Monologe geäußert; die Belege in (8b–c) stammen von der Gewährsperson SAR w, die zur Zeit der Erhebung, d. h. im Jahr 2001, 22 Jahre alt war. (8) a.
si is=ar gestreelt s haar [sie ist=ihr gekämmt das Haar] ‘sie hat sich das Haar gekämmt’
(Gewährsperson ELI w, 26 J.)
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b. an lestn is gest a krätzle bo'd=e=mar bin [zuletzt ist gewesen ein Kratzerchen wo+HT=ich=mir bin gest gemacht gewesen gemacht] ‘zuletzt war es ein kleiner Kratzer, den ich mir zugefügt habe’ c.
un i hon umana genump [...] un bin argevalt [und ich habe eine genommen [...] und bin hinuntergefallen] von tisch un bin=mar gehakt in spitz12 vo dar zun(g) [vom Tisch und bin=mir geschnitten den Spitz von der Zunge] ‘und ich habe eine [= Nadel] genommen und bin hinuntergefallen vom Tisch und habe mir in die Zungenspitze geschnitten’
In reflexiven Konstruktionen, in denen die Referenzidentität mit einem Reflexivpronomen im Akkusativ hergestellt wird, ist ein Unterschied zwischen den Generationen hinsichtlich der Selektion des Hilfsverbs nicht in der gleichen Art festzustellen. Dies zeigen die Ergebnisse der Transferaufgabe zu den Verben ‘sich schämen’, ‘sich verheiraten’ und ‘sich erzürnen’, die in Tabelle 2 zusammengefasst sind: Tabelle 2: Spontane Selektion von HABEN (H) und SEIN (S), Akzeptanz von HABEN (h) und SEIN (s) und Nichtakzeptanz von HABEN (*h) und SEIN (*s) während der Transferaufgabe bei ortsansässigen weiblichen (w) und männlichen (m) Informanten verschiedenen Alters (angegeben in Jahren, abgekürzt mit “J”). 1. Sg., Perfekt schemense ‘sich schämen’ boraatnse ‘sich verheiraten’ darzüarnense ‘sich erzürnen’
ADA w (78)
GAB w (62)
ADE w (60)
GIA m (57)
SER m (48)
ELI w (26)
ALE w (31)
H/s
S/h
S/h
S/h
S/h
S / *h
S/h
S / *h
S / *h
S / *h
S / *h
S/h
S / *h
S / *h
S / *h
S / *h
S / *h
S / *h
S / *h
S / *h
S / *h
Bei dem echt reflexiven Verb schemense ‘sich schämen’ akzeptieren vier der fünf Gewährspersonen, die ich zur mittleren und älteren Generation rechne, das Hilfsverb HABEN, wählen jedoch spontan das Hilfsverb SEIN; nur eine Gewährperson dieser Gruppe (ADA) wählt spontan HABEN und akzeptiert das Hilfsverb SEIN bei diesem reflexiven Verb. Die jüngeren Sprecherinnen ELI und ALE hingegen lehnen sowohl für schemense ‘sich schämen’ als auch für boraatnse ‘sich verheiraten’ und darzüarnense ‘sich erzürnen’ das Hilfsverb 12
Im Cimbro ist – wie im Bairischen – ‘Spitze’ ein maskulines Substantiv, vgl. mhd. spiz.
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ab. Die Ablehnung von HABEN als Hilfsverb zur Bildung des Perfekts bei reflexiven Konstruktionen mit einem Reflexivpronomen im Akkusativ ist für die Verben boraatnse ‘sich verheiraten’ und darzüarnense ‘sich erzürnen’ generationenübergreifend (vgl. die Schattierung in Tabelle 2). Ein Vergleich der Tabellen 1 und 2 vermittelt den Eindruck, dass – die Hilfsverbselektion betreffend – bei reflexiven Konstruktionen mit einem Reflexivpronomen im Akkusativ ein sehr viel geringerer Unterschied zwischen den Sprechergenerationen herrscht als bei den reflexiven Konstruktionen mit einem Reflexivpronomen im Dativ. Die Ergebnisse lassen zwei weitere Schlüsse zu: zum einen, dass SEIN als Hilfsverb zur Bildung des Perfekts bei reflexiven Konstruktionen mit einem Reflexivpronomen im Akkusativ sehr viel früher eingedrungen ist als bei reflexiven Konstruktionen mit einem Reflexivpronomen im Dativ; und zum anderen, dass wir es bei dem System der Hilfsverbselektion in reflexiven Konstruktionen, das sich im Sprachgebrauch der älteren Sprechergeneration manifestiert, um ein interessantes “split-auxiliary”-System zu tun haben, das sonst – soweit ich die Forschungsliteratur überblicke – nur im Sardischen belegt ist (vgl. Loporcaro 2001: 465f., Manzini/Savoia 2005: 640–649, Manzini/Savoia 2007: 185f.).13 Die Regularitäten der Hilfsverbselektion, die Tyroller (2003) beschreibt, gelten für den Teil der Cimbro-Sprecher, der heute zur ältesten und älteren Sprechergeneration gezählt werden kann; es handelt sich dabei um Personen, die vor 1960 geboren sind. Und selbst innerhalb dieser Gruppe ist der “split” bezüglich der Hilfsverbselektion nicht mehr ganz stabil, wie das folgende spontansprachliche Datum der Sprecherin ADA zeigt: HABEN
(9)
13
da sain=se alle õgelek an schbarzan konsott [sie sind=sich alle angelegt ein schwarzes Kleid] ‘sie haben alle (oder: alle haben sich) ein schwarzes Kleid angezogen’
In einigen italienischen Dialekten handelt es sich bei der Variation zwischen HABEN und SEIN um eine nach der Kategorie Person ausgerichtete Selektion (vgl. Loporcaro/Vigolo 1995, Manzini/Savoia 2005: 649-654). Cordin (2009, Fußnote 16) berichtet für den Dialekt von Castellano bei Rovereto, dass in der 1./2. Person Singular bei den Reflexivkonstruktionen mit indirektem Objekt vermehrt HABEN gebraucht wird (M'ho comprà na moto ‘Ich habe mir ein Moped gekauft.’), nie jedoch bei den echt reflexiven Verben (*M'ho vergognà ‘Ich habe mich geschämt’); akzeptiert wird das Hilfsverb HABEN zum Teil in Konstruktionen mit transitiven Verben, die reflexiv gebraucht werden (?M'ho vestì ‘Ich habe mich angezogen.’). In anderen vom Italienischen beeinflussten deutschen Minderheitensprachen ist über Veränderungen der Hilfsverbselektion in Perfektkonstruktionen reflexiver Verben bisher nichts bekannt, vgl. Bauen (1978: 166f.) und Rowley (2003: 185).
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Sie zählt in der Befragung zur ältesten Generation, die die Selektion von SEIN für die Typen “beneficiary” und “recipient” der “dative transitive reflexives” als ungrammatisch klassifiziert (vgl. Tabelle 1). In dem Satz in (9) liegt ein Gebrauch von Reflexivpronomen und Hilfsverb vor, als handelte es sich nicht um eine Konstruktion des Typs “dative transitive reflexive”, trotz der Anwesenheit eines Reflexivpronomens, dessen Referenten nur als Träger des benannten Kleidungsstücks, das als direktes Objekt erscheint, interpretiert werden können. Es scheint, als würden hier zwei Ausgleichsprozesse gleichzeitig sichtbar: zum einen die Generalisierung von SEIN als Hilfsverb zur Bildung des Perfekts reflexiver Konstruktionen und zum anderen der Ausgleich von =se als generelles Reflexivpronomen der 3. Person. Das letztgenannte Phänomen wurde für das Cimbro bisher noch nicht näher untersucht. Dass der erstgenannte Ausgleichsprozess längst dazu geführt hat, dass sich bei den jüngeren Sprecherinnen und Sprechern eine “innovative Norm” etabliert, zeigen die Ergebnisse der Befragung, wobei die jüngere Sprechergeneration hier repräsentiert wird durch die Gewährspersonen ELI und ALE. Die in (10) präsentierte Gegenüberstellung zeigt die für das Cimbro beschriebene Entwicklung anhand eines weiteren Beispielpaares auf. Das Beispiel unter (10a) stammt von einer fast 80-jährigen Informantin, dasjenige unter (10b) von einer jungen Frau Mitte zwanzig. (10) a. er hat=en nicht getont [...] ma di ross sain gest getöatet [er hat=ihm nichts getan [...] aber die Rösser sind gewesen getötet] ‘er hat sich nichts getan [...] aber die Pferde waren getötet’ b. aso s kin mocht gian au [so das Kind muss gehen auf wo=da is=en forse getont [wo=da ist=ihm vielleicht getan ‘so muss das Kind (gehen), [um] den vielleicht weh getan hat’
14
zo lesa in hunt zu lesen den Hund] bea14 weh] Hund auf(zu)heben, der sich
Auch die Wortstellung in dem Relativsatz unter (10b) zeigt auf, dass es sich um eine innovative Sprecherin handelt. Anders als im System der “konservativen Norm”, die die von Josef Bacher am Anfang des 20. Jahrhunderts gesammelten Texte am besten dokumentieren, steht das Reflexivpronomen in (10b) nicht enklitisch zur nebensatzeinleitenden Relativpartikel bo ‘wo’ (vgl. (i) unten), sondern enklitisch zum finiten Verb. Dies ist ein Beispiel für die allmähliche Aufhebung der für das Deutsche typischen Asymmetrie zwischen Haupt- und Nebensatzwortstellung. (i) di laüt bo=d(a)=en hãm ghèt di hèrbeghe (Bacher 1905: 89 bzw. [die Leute wo=da=ihm haben gegeben die Herberge] Bellotto 1978: 59) ‘die Leute, die ihm die Unterkunft gegeben hatten’
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3.4. Zur Diachronie der Entwicklung Dass sich die Selektion des Hilfsverbs zur Bildung des Perfekts bei reflexiven Konstruktionen im Cimbro unter dem Einfluss des Italienischen schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts verändert hatte, kann anhand der von Josef Bacher veröffentlichten Texte nachgewiesen werden. In Konstruktionen mit einem Reflexivpronomen im Akkusativ taucht neben HABEN, vgl. (11a), auch das Hilfsverb SEIN auf, vgl. (11b–c). (11) a. in an maal hat=se=se nidarghelék on is hii=inschlaaft15 [einmal hat=sie=sich hingelegt und ist eingeschlafen] ‘einmal hat sie sich hingelegt und ist eingeschlafen’ b. on in an maal is=se=se nidarghelék t'schlaava ...16 [und einmal ist=sie=sich niedergelegt zu_schlafen] ‘und einmal hat sie sich hingelegt, um zu schlafen’ c. ma da inschlavate is=se=se nèt gherüart17 18 nicht gerührt] [aber die Eingeschlafene ist=?? =sich ‘aber die Eingeschlafene hat sich nicht gerührt’ Auch am Beginn des 21. Jahrhunderts ist in diesem Kontext noch Variation wahrzunehmen, wie die folgenden Beispiele zeigen. 19 (12) a. dar Gianni is=se=se gehöart [der Gianni ist=??20=sich gefühlt ‘Gianni hat sich schlecht gefühlt’ 15 16 17 18
19
20
letz schlecht]
Das Beispiel stammt aus Bacher (1905: 86), man vgl. auch Bellotto (1978: 51). Das Beispiel stammt aus Bacher (1901: 291), man vgl. auch Bellotto (1978: 245). Das Beispiel stammt aus Bacher (1901: 175), man vgl. auch Bellotto (1978: 226). Bei der Verdopplungsform sese könnte es sich um ein phonetisch bedingtes Phänomen handeln, dessen Entwicklung eventuell auf eine lautliche Ähnlichkeit im trentinisch-venetischen Dialekt in vergleichbaren Konstruktionen zurückzuführen ist, vgl. das folgende venetische Beispiel aus Benincà/Vanelli (1984: 183): ‘Die Tür hat sich geöffnet.’ la porta se śe verta die Tür REFLEXIV ist geöffnet Tyroller (2003) erläutert an der oben zitierten Stelle nicht, für welche Verben seine Generalisierung nicht gilt. Die Durchsicht der von mir gesammelten Daten hat eine Handvoll reflexiv gebrauchter Verben im Perfekt zu Tage gefördert, die trotz eines Reflexivpronomens im Akkusativ das Hilfsverb HABEN selegieren oder sowohl mit HABEN als auch mit SEIN vorkommen: vörtnse ‘sich fürchten’ (vgl. ital. temere, avere paura), höarnse ‘sich fühlen’ (vgl. ital. sentirsi), hoasanse ‘heißen’ (vgl. ital. chiamarsi), vennense ‘finden; sich treffen; sich fühlen’ (vgl. ital. trovarsi) und õlengse ‘sich anziehen, ankleiden’ (vgl. ital. mettersi, vestirsi). Man vgl. hierzu Fn. 18.
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b. da hon=se gehöart mearar daütsche [sie haben=sich gefühlt mehr Deutsche] ‘sie haben sich mehr (als) Deutsche gefühlt’ (13) a. abas sain=sa=se gevuntet umar in di haüsar [abends sind=sie=sich gefunden umher in die Häuser] ‘abends haben sie sich in den Häusern herum getroffen’ b. i hon=me gevuntet a disagio ad esempio redante belesch [ich habe=mich gefunden unwohl zum Beispiel redend italienisch] ‘ich fühlte mich unwohl zum Beispiel, wenn ich italienisch redete’ Inwiefern diese Vorkommen von HABEN als Fortsetzung der alten Variation angesehen werden können, bedarf noch genauerer Untersuchung. Es könnte sich dabei um eine “anhaltende Variation” handeln, die nicht mit dem Faktor Alter korreliert.21 Nimmt man an, dass die Beschreibung von Panieri et al. (2006) der Realität des Sprachgebrauchs näher kommt, handelt es sich dabei um freie Variation. Es stellt sich jedoch die Frage, wieviele Verben bei welchen Sprechern auf diese Weise variieren. Panieri et al. (2006) differenzieren nicht zwischen der Hilfsverbselektion von Konstruktionen, die in der italienischen Fachliteratur “riflessivi diretti transitivi” (Maria si è lavata) und “riflessivi indiretti transitivi” (Maria si è lavata le mani) genannt werden (vgl. Loporcaro 2001: 463). Die Ergebnisse der vorgestellten Befragung widerlegen zumindest für den letztgenannten Typ, dass es sich hinsichtlich der unterschiedlichen Wahl des Hilfsverbs bei allen Sprechern um freie Variation handelt. Vielmehr konnte aufgezeigt werden, dass sich hinter der Variation in reflexiven Konstruktionen mit Dativpronomen ein Sprachwandelprozess verbirgt, dessen Ausgangspunkt bei der ältesten Generation noch und dessen Endpunkt bei der jüngeren Generation auf jeden Fall schon greifbar ist. Auch wenn die Ergebnisse der präsentierten Pilotstudie aufgrund der geringen Anzahl an Gewährspersonen nicht als repräsentativ für die gesamte Sprechergemeinschaft des Cimbro von Luserna angesehen werden können, so geben sie doch wichtige Hinweise und die folgende Zusammenfassung der diachronen Entwicklung kann den Weg weisen für zukünftige Forschung: der Sprachwandelprozess im Cimbro, der die Hilfsverbselektion zur Bildung des Perfekts in reflexiven Konstruktionen betrifft und schließlich zum Ersatz des Hilfsverbs HABEN durch SEIN zu führen scheint, ist insofern in sich geordnet, als dass sich die Selektion des Hilfsverbs SEIN zunächst bei den Konstruktionen “riflessivi diretti transitivi” durchsetzt und in einer weiteren Entwicklungsphase auch bei den Konstruktionen “riflessivi indiretti transitivi”, womit 21
Man vgl. King (2000: 68, Fußnote 68) für ein vergleichbares Phänomen in der französischen Varietät, die auf der Prince Edward Insel gesprochen wird.
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schließlich eine größtmögliche Entsprechung zu den Regularitäten des Standarditalienischen erreicht ist. Dieser Spachwandelprozess ist eindeutig kontaktinduziert und wird hier als ein Beispiel für grammatische Entlehnung angesehen. Fasst man mit Heine/Kuteva (2005) die Veränderungen in der Hilfsverbselektion des Cimbro als Replizierung eines Gebrauchsmusters der Modellsprache Italienisch auf, bei der der Mechanismus Lehnübersetzung eine gewisse Rolle spielen mag, kann man im Verlauf des graduellen Übergangs eine Stufe ausmachen. Auf der sprachlichen Ebene äußert sich diese Übergangsstufe in der diachronen Entwicklung dadurch, dass eine transitive Satzkonstruktion, in der neben einem Akkusativobjekt auch ein Reflexivpronomen im Dativ erscheint, bezüglich der Hilfsverbselektion zur Bildung des Perfekts in einer ersten Phase behandelt wird wie eine (nicht-reflexive) transitive Satzkonstruktion und in einer zweiten Phase wie eine prototypische reflexive Konstruktion, in der Referenzidentität zwischen einem Reflexivpronomen im Akkusativ und dem Subjekt herrscht. Diese Übergangsstufe in der diachronen Entwicklung des Cimbro scheint auf der außersprachlichen Ebene mit dem Faktor “Alter der Sprecherinnen und Sprecher” zu korrelieren. Die Tatsache, dass sich am Anfang des 21. Jahrhunderts strukturelle Eigenschaften des Italienischen im Sprachgebrauch der jüngeren Sprecherinnen (und Sprecher) zu einem höheren Grad niederschlagen als im Sprachgebrauch der älteren Sprechergeneration, legt die Vermutung nahe, dass bei den Sprecherinnen und Sprechern der jüngeren und jüngsten Generation, d. h. bei denjenigen CimbroSprechern, die heute unter 40 Jahre alt sind, die Modellsprache (Standard-) Italienisch während der Spracherwerbsphase eine wichtigere Rolle gespielt hat als bei früheren Generationen. Diese Vermutung steht in Einklang mit der Darstellung von Rita Morandi (2008: 77–79). Demnach hätten wir es – etwas überspitzt und vor dem Hintergrund der terminologischen Differenzierung zwischen “borrowing” und “imposition” nach van Coetsem (1988) formuliert – beim System der Hilfsverbselektion in reflexiven Konstruktionen der älteren Sprechergeneration des Cimbro mit dem Ergebnis von Entlehnung bzw. “borrowing” zu tun und beim System der Hilfsverbselektion der jüngeren Sprechergeneration mit dem Ergebnis von “imposition”. Während der Prozess der Entlehnung – und damit auch der grammatischen Entlehnung – impliziert, dass Muttersprachler des Cimbro Eigenschaften des Italienischen in das Sprachsystem des Cimbro importieren (auch “recipient language agentivity” genannt), drückt der Terminus “imposition” aus, dass Muttersprachler des Italienischen, die Cimbro womöglich schon sehr früh und sehr gut als Zweitsprache gelernt haben, beim Sprachgebrauch des Cimbro Eigenschaften des Italienischen transferieren (auch “source language agentivity” genannt). Nachdem in diesem Abschnitt das angenommene Szenario der diachronen Entwicklung nachgezeichnet wurde, das mit den Ergebnissen der vorgestellten Pilotstudie in Einklang steht, wird im nächsten Abschnitt diskutiert, welche
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weiteren Konsequenzen an die Veränderung der Hilfsverbselektion in reflexiven Konstruktionen von HABEN zu SEIN geknüpft sein könnten. Es geht dabei um die Frage, ob die Selektion von SEIN als Indiz für den Status der unbetonten Pronomen als syntaktische Klitika gewertet werden kann.
4.
Hilfsverbselektion und Pronominalklitika
Warum geht im (Standard-)Italienischen die Anwesenheit eines Reflexivpronomens einher mit der Selektion des Hilfsverbs SEIN? Haider/Rindler-Schjerve (1987) sehen den Unterschied zwischen Italienisch einerseits und Deutsch andererseits darin, dass es sich bei den Reflexivpronomen im Italienischen (wie auch bei den unbetonten Objektpronomen) um syntaktische Klitika und um zur “Inflectional Phrase” gehörende Elemente handelt. Die Korrelation der unterschiedlichen Hilfsverbselektion mit einem davon unabhängigen Unterschied – Italienisch als “cliticizing language” und Deutsch als “language without obligatory cliticization” – scheint eine elegante Lösung des Problems zu sein. Haider/Rindler-Schjerve (1987) gehen selbst der Frage nach, ob es sich dabei um eine implikationale Beziehung oder um ein optional auftretendes Phänomen handelt. Dabei suchen sie speziell nach Dialekten, die zwar beide Hilfsverben gebrauchen, aber bei reflexiven Konstruktionen nicht von avere zu essere wechseln. Denn “[i]f there are dialects with avere instead of essere in these contexts, this is evidence for a parametric option.” (Haider/RindlerSchjerve 1987: 1049) Tatsächlich finden sie ein solches System in Dialekten Norditaliens (Friaulisch und Venetisch), woraus sie schließen, “that there is no principled way to decide between the two options for auxiliary selection that arise in a language with cliticization [...].” (Haider/Rindler-Schjerve 1987: 1051) Anders ausgedrückt sollten also nur diejenigen Sprachen/Varietäten, die nachweisbar über syntaktische pronominale (Objekt-/Reflexiv-)Klitika verfügen, optional in Reflexivkonstruktionen zur Bildung des Perfekts das Hilfsverb SEIN wählen können. Unter den germanischen Sprachen verhält sich in Bezug auf die Hilfsverbselektion zur Bildung des Perfekts reflexiver Verben zum jetzigen Stand der Forschung nur das Cimbro ungewöhnlich. Die Frage ist nun, ob umgekehrt für das Cimbro geschlossen werden darf, dass es über syntaktische pronominale (Objekt-/Reflexiv-)Klitika verfügt, weil in Reflexivkonstruktionen zur Bildung des Perfekts das Hilfsverb SEIN gewählt wird. Da im Cimbro auch das Phänomen des sogenannten “clitic doubling” auftritt, erscheint eine syntaktische Analyse dieser Art möglich (vgl. Bidese 2008).
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Eine Besonderheit dieses Klitisierungssystems stellt freilich die Tatsache dar, dass im Cimbro eine Entwicklung von proklitischen unbetonten Objektund Reflexivpronomen, die die Zugehörigkeit zur Klasse der sogenannten “verbal clitics” und einen Teil der syntaktischen Analyse dieser Elemente als Flexionsaffixe (oder zur “inflectional phrase” gehörige Köpfe) ausmacht, bisher nicht eingesetzt hat. Es ist nicht abzustreiten, dass eine Analyse dieser Elemente als syntaktische Klitika, die auf Bewegung basiert, grundsätzlich möglich ist. Die zimbrischen Varietäten nehmen so gesehen innerhalb der germanischen Sprachfamilie eine besondere Stellung ein. Von einer sprachvergleichenden Perspektive aus betrachtet bleibt es rätselhaft, warum für eine germanische Varietät, die seit Jahrhunderten in intensivem Kontakt mit dem Italienischen und seinen Varietäten steht, in Bezug auf die Entwicklung eines Klitisierungssystems nach romanischem Muster letztlich kaum überwindbare Barrieren bestehen bleiben, während der Herausbildung eines Systems mit verbalen Klitika in einigen südslawischen Sprachen wie Mazedonisch oder Bulgarisch keine so schwer überwindbaren Hindernisse im Weg standen. 22 Die Lösung des Rätsels mag in den unterschiedlichen Voraussetzungen für eine mögliche Entwicklung von verbalen Klitika liegen. 23
5.
Zusammenfassung
In diesem Beitrag wurde gezeigt, dass es sich bei der Variation im Cimbro zwischen HABEN und SEIN als Hilfsverben zur Bildung des Perfekts in Konstruktionen unecht reflexiver Verben mit Dativpronomen, deren Entstehung auf den Einfluss des Italienischen zurückzuführen ist, nicht um eine freie handelt, wie es die Darstellung in Panieri et al. (2006) suggeriert, sondern dass für Konstruktionen des Typs “dative transitive reflexive” die Variation vom Faktor Alter abhängt. Die von Tyroller (2003) gemachte Generalisierung, dass in diesen Konstruktionen HABEN als Hilfsverb zur Perfektbildung gewählt wird, gilt heute nur noch für die “konservative Norm”, d. h. für den Sprachgebrauch derjenigen Sprecherinnen und Sprecher des Cimbro, die heute mindestens älter als 40 Jahre sind. Es konnte festgestellt werden, dass wir gegenwärtig für das 22 23
Man vgl. in Bezug auf die Entwicklungen im Bulgarischen Pancheva (2005). Zum einen scheint dabei die unterschiedliche phonologische Ausrichtung (proklitisch vs. enklitisch) von Wichtigkeit zu sein, zum anderen auch Veränderungen im Bereich der Negationssyntax. Gewisse Ähnlichkeiten, die die Voraussetzungen der Entwicklung verbaler Klitika betreffen, bestehen hingegen in der Positionierung von klitischen Elementen in der sogenannten Wackernagelposition.
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Cimbro mindestens zwei Systeme der Hilfsverbselektion in reflexiven Konstruktionen unterscheiden müssen. Ein älteres System, in dem die Konstruktionen “riflessivi diretti transitivi” (Maria hat sich gewaschen.) und “riflessivi indiretti transitivi” (Maria hat sich die Hände gewaschen.) bezüglich der Hilfsverbselektion unterschiedlich behandelt werden und ein jüngeres System, in dem – wie im Standarditalienischen – für beide Konstruktionen das Hilfsverb SEIN selegiert wird. Während die Entstehung des älteren Systems auf einen Prozess der grammatischen Entlehnung und der sogenannten “recipient language agentivity” (van Coetsem 1988) zurückgeführt werden kann, ist die Herausbildung des jüngeren Systems mit der veränderten Sprachkontaktsituation in Verbindung zu bringen, die als “source language agentivity” (van Coetsem 1988) mit Italienisch als dominanter Sprache charakterisiert werden kann. Darzulegen, inwiefern diese Schlussfolgerungen, die die präsentierten Ergebnisse einer Pilotstudie mit sieben Gewährspersonen nahe legen, generalisiert und präzisiert werden können, ist Aufgabe zukünftiger Forschung. Weiterhin ist nach wie vor nicht geklärt, ob der Ersatz von HABEN durch SEIN als Hilfsverb in Reflexivkonstruktionen als Indiz dafür gewertet werden kann, dass es sich bei den klitischen Objekt- und Reflexivpronomen im Cimbro um syntaktische Klitika handelt.
6.
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Gisela Zifonun
Von Bush administration zu Kohl-Regierung: Englische Einflüsse auf deutsche Nominalkonstruktionen?
1.
Zur Problematik der Übernahme von Strukturmustern
Über die “Strategien der Integration und Isolation” englischer Strukturen im Deutschen wissen wir vergleichsweise wenig. Im Zentrum des öffentlichen Interesses steht die Frage nach dem quantitativen Umfang der Übernahme von (lexikalischen) Einheiten aus dem Englischen in verschiedenen sprachlichen Varietäten und Gattungen und deren Folgen für den Zustand und den Status des Deutschen sowie nach der Aussagekraft dieses Befunds im Hinblick auf die Sprachbefindlichkeit der Sprecher, die sprachliche und kulturelle Identität der Deutschen (vgl. dazu etwa Zimmer 1997, Gardt/Hüppauf 2004). Die Fachwissenschaft greift im Wesentlichen dieses Interesse am nicht-nativen Wortschatz auf; sie zeichnet (vgl. etwa die Beiträge in Stickel 2001) die Wege der Integration und Isolation von Wörtern oder auch Affixen auf den verschiedenen sprachlichen Ebenen (Phonetik, Phonologie, Flexions- und Wortbildungsmorphologie) nach und bewertet die Befunde gegebenenfalls im Hinblick auf die sprachkritisch aufgeworfenen Fragen. Es ist jedoch nicht nur der stärkeren öffentlichen Wahrnehmung von Wortschatzfragen geschuldet, dass strukturelle Übernahmen wenig bearbeitet wurden. Grundsätzliche methodische Probleme sind hier zu bewältigen: (i)
1
Strukturelle Änderungen, zumal der Umbau syntaktischer (oder auch wortbildungsmorphologischer) Strukturen, geschehen anders als dies bei lexikalischen Übernahmen der Fall sein kann, nicht “ex nihilo”, sondern unter Anknüpfung an bereits etablierte Strukturen. 1 So nimmt z. B. Lawrenz (1996: 2006) an, dass unter englischem Einfluss das Deutsche nun verstärkt phrasale Erstglieder von Komposita zulasse wie in das NetterJunge-von-nebenan-Image, die Pfeil-nach-rechts-Taste. Dieses Muster hat im Deutschen allerdings durchaus Tradition, vgl. z. B. Goethe, Briefe Schöneraritätenkasten (Paul 1920: 32); vgl. auch Ortner et al. (1991: 444ff.). Wortgruppen als Erstglieder sind zum einen ein für Okkasionalismen typisches Muster. Zum anderen kann der Umgang mit (ggf. zu flektierenden) Adjektiven hier anders als im Englischen Probleme bereiten. Beides mag dazu beigetragen haben, dass Phrasenkomposita im Deutschen wenig beachtet oder gar sprachkritisch sanktioniert wurden. Gerade im
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Gisela Zifonun
(ii)
Das Aufkommen von (syntaktischen) Strukturen ist in aller Regel nur schwer exakt auszumachen und zu datieren. Bei entlehnten oder auch einfach nur neu gebildeten Wörtern hingegen können – zumindest für die Epochen schriftsprachlicher Überlieferung – "Erstbelege” oder zumindest frühe Belege, vergleichsweise einfach auch mithilfe elektronischer Rechercheverfahren, ausfindig gemacht werden, wenn auch die erfolgreiche Etablierung im Gemeinwortschatz einen längeren Prozess bedeutet. Der Nachweis einer “neuen syntaktischen Struktur” ist sehr viel schwerer zu führen, setzt er doch das manuelle oder computergestützte Annotieren und Parsen größerer Mengen von Texten über längere Zeitstrecken voraus. (iii) Im Standarddeutschen als “neu” erscheinende Strukturen können auch bereits lange im Substandard oder in regionalen Varietäten gängig gewesen sein. Ihre Verbreitung in der Standardsprache kann dann dem veränderten Verhältnis zwischen den Varietäten geschuldet sein, das eine größere vertikale Durchlässigkeit zulässt, in dem Sinne, dass normativ sanktionierte substandardsprachliche oder auch regionale Erscheinungen auch im überregionalen Standard aufgegriffen und weiter stabilisiert werden. Dies trifft auf Erscheinungen zu wie etwa das Rezipientenpassiv, die Verbzweitstellung in Nebensätzen (weil-, obwohl-Sätze), die so genannte “rheinische” Verlaufsform oder auch das “Präpositionsstranden”. (iv) Wenn grammatische Erscheinungen wie die unter (iii) genannten nun nicht nur in bestimmten Varietäten des Deutschen eine Parallele haben, sondern auch im Englischen, liegt es nahe, ihr Aufkommen bzw. ihre intensive Nutzung auch im Standard englischem Einfluss zuzuschreiben. Dies gilt etwa für die Verlaufsform und das Präpositionsstranden, wo ein zumindest verstärkender Einfluss des Englischen nicht abwegig ist,2 aber auch im Hinblick auf die Verbzweitstellung im Nebensatz, wo mir das englische Vorbild weniger plausibel erscheint (vgl. Schäfer 2002: 77).
2
Bereich der Komposition erweist sich generell die Parallelität der deutschen und der englischen Muster nach Onysko (2007: 22ff.) als Faktor, der die Bildung strukturell und semantisch analoger Neologismen in beiden Sprachen enorm begünstigt (vgl. z. B. Blumenkind neben flower child, Datenverarbeitung neben data processing, Echtzeit neben real time). Onysko weist deutlich darauf hin, dass gerade diese formale Parallelität den Nachweis von lexikalischem Transfer ohne kulturhistorische Analysen des Einzelfalls enorm erschwere. Die Verlaufsform (Karl ist am arbeiten) ist eventuell auch auf Sprachkontakt zwischen dem Niederländischen und den rheinischen Dialekten zurückzuführen; vgl. König/Gast (2007: 95). Die Autoren verweisen aber auch auf autochthones Vorkommen in süddeutschen Dialekten, die keinen direkten Kontakt zum Niederländischen haben.
Englische Einflüsse auf deutsche Nominalkonstruktionen?
167
Einschränkend festzuhalten ist, dass die Übernahme “konkreter” Konstruktionen, also etwa die Adaption der Rektion bzw. Valenz bei einem bestimmten Verb oder Substantiv, in Analogie zu einer englischen Entsprechung leichter nachzuweisen ist und in der Tat in einer Reihe von Fällen nachgewiesen werden konnte. Ein bekanntes Beispiel ist die Übernahme des Musters realisieren
NP[nom] Agens; NP[akk]/dass-Satz
in Analogie zu engl. realize wie in: (1)
Wann hast du realisiert, dass dein Abnehmen zu Magersucht beziehungsweise Bulimie geworden ist? (die tageszeitung, 01.06.2002, S. 10–11)
Hier ist das neue Valenzmuster Ausdruck einer “Neubedeutung” des Verbs im Sinne von ‘sich etwas klar machen’, vgl. Carstensen/Galinsky (1975: 23), Onysko (2007: 19). Bei dem Verb kommunizieren mag das in den Wörterbüchern als veraltet gebuchte Valenzmuster kommunizieren
NP[nom] Agens, NP[akk] Thema
unter englischem Einfluss wieder belebt worden sein; es ist in den IDS-Korpora zahlreich belegt wie etwa in: (2)
Am Ende werde wohl eine halbe Wahrheit kommuniziert, die weder den USA noch der alliierten Regierung Berlusconi schade. (Berliner Zeitung, 08.03.2005, S. 6)3
Für “abstrakte” Konstruktionen im Sinne der Konstruktionsgrammatik bzw. syntaktische/ morphologische Strukturmuster hingegen steht der empirische Nachweis von Übernahmen meist auf schwachen Füßen. Im Folgenden wird es um einen Strukturtyp gehen, den ich ebenfalls unter den Verdacht stelle, unter englischem Einfluss zu stehen. Dabei bemühe ich mich, auch empirische Evidenz durch Korpusvergleiche für diesen Verdacht beizubringen. Allerdings ist bereits an dieser Stelle festzuhalten, dass wie in anderen vergleichbaren Fällen keine konklusive Beweisführung zu erwarten ist. Das engere Thema, nämlich die Frage, ob der Strukturtyp Kohl-Regierung nach Maßgabe des englischen Strukturtyps Bush administration gebildet ist oder zumindest durch ihn beeinflusst und verstärkt ist, stelle ich in den Kontext des Vergleichs zwischen den englischen und den deutschen Möglichkeiten der 3
Diese Beobachtungen sollten auch im Zusammenhang mit den Ergebnissen von Holler/Scherer (in diesem Band) bewertet werden. Dabei ist zu beachten, dass die in beiden Fällen unter englischem Einfluss neu zugeordneten Argumentstrukturen selbst durchaus übliche native Strukturmuster repräsentieren.
168
Gisela Zifonun
‘nominalen Prä- und Postmodifikation’, also der Modifikation durch linear einem substantivischen Kern vorangehende bzw. nachfolgende modifizierende Ausdrücke, wobei als Modifikatoren nur nicht-flektierte nominale Ausdrücke (bzw. deren phrasale Erweiterung) untersucht werden sollen. Neben dem Strukturmuster Kohl-Regierung geht es auch um das Muster Regierung Kohl und deren englische Entsprechungen – sofern vorhanden. Dieses Thema tangiert unmittelbar die Thematik des von mir geleiteten Forschungsprojekts “Grammatik des Deutschen im europäischen Vergleich” (ids-mannheim.de/ gra/eurostudien.html), bei dem derzeit nominale Kategorien und Konstruktionen behandelt werden. Konkreter Anlass, gerade prämodifikative Strukturen in den Blick zu nehmen, waren auch (überwiegend werbesprachliche) “Denglisch”-Konstruktionen wie online Betrieb/Online Betrieb oder Intensiv Crash Kurs, Make-Up Unterlage(A), Super Phyto-Vitalizing Factor(A),4 die bisher vorwiegend nur unter orthografischem Aspekt betrachtet wurden (vgl. Altmann 2008).
2.
These
Ich werde im Folgenden Evidenzen für die folgende These vorlegen: Die liberaleren englischen Möglichkeiten der Prämodifikation durch nichtflektierte nominale (und andere) Ausdrücke werden in inkorrektem “Denglisch”5 oder in der gezielt innovativen und normverletzenden Werbesprache z. T. imitiert. Aber auch auf normgerechtes Deutsch besteht ein (indirekter) Einfluss. Syntaktische und kompositionale Prämodifikation des Englischen wird (in aller Regel) auf kompositionale deutsche Prämodifikation abgebildet. Strukturell vorhandene Möglichkeiten wie etwa die Prämodifikation durch einen Eigennamen (Kohl-Regierung a Mozartkugel, Beethoven-Symphonie) werden verstärkt (häufigeres Vorkommen) und semantisch ausgedehnt. Das formale und funktionale Verhältnis gegenüber der postmodifikativen Konkurrenzkonstruktion (Regierung Kohl versus *Symphonie Beethoven) kann so ggf. längerfristig beeinflusst und verändert werden. 4 5
Hochgestelltes ‘(A)’ kennzeichnet Belege, die aus Altmann (2008) entnommen wurden. Mit der Bezeichnung “Denglisch”, einer Wortkreuzung aus “Deutsch” und “Englisch”, wird meist in sprachkritischer Intention eine Sprachform bezeichnet, die in Wortschatz und Grammatik stark vom Englischen beeinflusst ist und dabei gegen Regeln des Deutschen verstößt; aus normativer Perspektive ist Denglisches somit oft inkorrekt.
169
Englische Einflüsse auf deutsche Nominalkonstruktionen?
3.
Befunde
Die Recherche im historischen Korpus des IDS 6 lieferte unter den insgesamt 14 Belegen für Zusammensetzungen mit Regierung keinen “historischen” Beleg für die Kombination ‘Name-Regierung’; die beiden Belege BismarckRegierung und Lincoln-Regierung stammen aus den späteren Anmerkungen der Herausgeber der Marx-Engels-Ausgabe. Im gegenwartssprachlichen Vergleichskorpus hingegen beträgt die Vorkommensmenge für ‘Name-Regierung’ etwas mehr als ein Drittel aller Komposita mit dem Kern Regierung.7 In dieser Textsorte scheint somit, wie diese erste Auswertung zeigt, der spezifische Konstruktionstyp ‘Name-Regierung’ usuell geworden zu sein: Tabelle 1: Konstruktionen im historischen Korpus und im gegenwartssprachlichen Vergleichskorpus Name-Regierung
*-Regierung
Historisches Korpus
(2)
14
gegenwartssprachl. Vergleichskorpus
58
150
Eine zweite Auswertung bezieht sich auf das Verhältnis von prämodifizierender Konstruktion (Modifikator-Kern) und postmodifizierender Konstruktion (Kern Modifikator) zu den Kernen Regierung/Administration und den Modifikatoren Schröder und Bush, wobei das kleine gegenwartssprachliche Vergleichskorpus und das gesamte Archiv der geschriebenen Sprache herangezogen werden: Tabelle 2: Konkurrenzkonstruktionen im gegenwartssprachlichen Vergleichskorpus/ Archiv der geschriebenen Sprache
6 7
Kern
Modifikator
Regierung
Schröder
Regierung Administration
Bush Bush
Modifikator-Kern 0/
Kern-Modifikator
362
9 / 1.382
21 / 1.297 3 / 2.424
18 / 3.061 0/ 23
Gebrauchstexte des 18. und 19. Jhs., überwiegend kürzere Zeitungs-/Zeitschriftentexte, aber auch das große Marx-Engels-Korpus, Umfang: ca. 6 Mio. Wortformen. Vergleichskorpus ist ein Teilkorpus des Archivs der geschriebenen Sprache des IDS: Zeitungsjahrgänge 2005 des Mannheimer Morgen, der FAZ und der Berliner Zeitung, Umfang: 96 Mill. Wortformen (16 x größer als das Historische Korpus). Die Tatsache, dass im Historischen Korpus relativ mehr Belege für *-Regierung vorhanden sind als im Vergleichskorpus ist nicht ausschlaggebend. Es kommt auf das Verhältnis zwischen dem generelleren Muster *-Regierung und seinen konkreteren Ausprägungen Name-Regierung an, da nur im Hinblick auf diese hier argumentiert wird.
170
Gisela Zifonun
Betrachten wir die Werte für das Gesamtarchiv (nach ‘/’) so ergibt sich für beide Modifikatoren beim indigenen Kern Regierung dasselbe Verhältnis: Die Prämodifikation macht nur etwa ein Drittel der Postmodifikation aus. 8 Bei Bush-Administration versus Administration Bush ist das Verhältnis dramatisch verändert: Die im anderen Fall präferierte postmodifikative Struktur ist im Gesamtarchiv nur 23 Mal, im kleinen Vergleichskorpus gar nicht belegt, während die prämodifikative Struktur dicht belegt ist. Man beachte, dass im Englischen die entsprechende Postmodifikation ungrammatisch zu sein scheint. Im “British National Corpus” (BNC) finden sich 162 Belege für Bush administration, 0 Belege für administration Bush. Bei Kabinett als Kern ist das Verhältnis noch deutlicher zugunsten der Postmodifikation: Kabinett Kohl Kabinett Schröder Kabinett Schmidt Kabinett Brandt
Man kann diesen Befund als Indiz dafür bewerten, dass der prämodifikative Strukturtyp vom englischen Analogon zumindest profitiert und dass das “Einfallstor” offensichtlich die Kombination mit nicht-indigenen Kernen zu sein scheint.9
4.
Vergleich der Strukturen und ihrer Funktionen: nominale Prä- und Postmodifikation
Der folgende detaillierte Strukturvergleich soll die Parallelen und die Unterschiede zwischen den beiden Sprachen bei der Modifikation durch unflektierte nominale Ausdrücke, jeweils in Voran- und in Nachstellung, herausarbeiten. Bekanntlich ist im Englischen Prämodifikation sowohl als syntaktische Strukturbildung (Prototyp London college), als Juxtaposition zweier nominaler Einheiten innerhalb einer komplexen syntaktischen Konstituente, möglich, als 8 9
Auch die Kombination mit den Modifikatoren Brandt, Kohl, Merkel bestätigt das Übergewicht der postmodifikativen Struktur. Die Werte für das kleinere gegenwartssprachliche Vergleichskorpus zeigen m. E. klarer als das Gesamtarchiv die Befunde für die Printmedien der Gegenwartssprache, die eine Vorreiterrolle für die geschriebene Standardsprache spielen. Sie spiegeln z. B. auch den Einfluss des englischen Modifikators Bush zugunsten der Prämodifikation deutlich wider, der im Gesamtarchiv (noch) nicht durchschlägt.
Englische Einflüsse auf deutsche Nominalkonstruktionen?
171
auch als morphologische Strukturbildung, als Bildung eines komplexen Wortes (Prototyp: ice-cream). a London college / a morning train: an ice-cream:
Die Unterscheidung stützt sich auf extrasyntaktische Kriterien – in erster Linie die Akzentstruktur mit dem Hauptakzent auf dem zweiten Bestandteil bei der syntaktischen Fügung und dem ersten Bestandteil beim Kompositum –, vor allem aber auf syntaktische Kriterien. Die syntaktische Diagnostik zur Unterscheidung zwischen komplexem Nominale (Kategorie: Nom) und Kompositum (Kategorie: N) umfasst eine Reihe von Tests (vgl. Huddleston/Pullum 2002: 449); sie werden in den Abschnitten 4.1 und 4.2 aufgeführt als (T1) bis (T4).11 Komplexe Nominale bestehen die Tests, Komposita nicht. InternetBelege zeigen, dass ihre Anwendung auf den Strukturtyp Bush administration erfolgreich verläuft, es sich somit um komplexe Nominale, nicht um Komposita handelt.
4.1.
Strukturmuster im Englischen
4.1.1.
Prämodifikation durch unflektierte Nominale im Englischen
(T1) Koordination von Prämodifikatoren: two [London and Oxford] streets the [Clinton and Bush] administrations
(3)
Clarke worked on antiterrorism policy in the Reagan, Bush One, Clinton, and Bush Two administrations. (books.google.com/books?isbn=0742510905)
(T2) Koordination von Kernen: two Oxford [streets and places] the Bush [administration and government]
(4)
10 11
This is just one more example of the insincerity and two-facedness of the Bush administration and government in general. (politico.com/news/stories/0707/4789.html)
Ich übernehme die konstituentenstrukturelle Darstellung aus Huddleston/Pullum (2002). Die auf Modifikatoren bezogenen Tests, also (T1), (T3) und (T4) erscheinen jeweils in zwei Varianten, und zwar für Prä- und Postmodifikation.
172
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(T3) Modifikation von Prämodifikatoren: two [south Oxford] streets the [older Bush] administration
(5)
At that point, the older Bush Administration declined to go along with Cheney. (www.larouchepub.com/lar/2003/3037burbank_kynt.html)
(6)
The 4th song, “Killers For Hire” shows yet another side of Shi’s vocals, with an almost Bush flavor, but without the suck of your typical Bush song. (TheHvScene.com | The Hudson Valley Music Scene since 1999)
(T4) Rekursive Prämodifikation: two [Oxford [theological colleges]], Cambridge [University Press] / [Cambridge University] Press, a [new [giant size] [cardboard [detergent carton]]] (Quirk et al. 1985: 1343) the Bush [political x]
(7)
The Bush political dynasty begins with the birth in Columbus, Ohio, of Prescott Sheldon Bush, who will be the father of one president and the grandfather of another. (cbsnews.com/elements/2002/11/01/politics/timeline527902_0_main.html)
Was die Funktion der Modifikatoren angeht, so ist entscheidend, dass hier (vgl. morning train) keine vollen Nominalphrasen vorliegen,12 sondern einfache oder modifikativ erweiterte Substantive. Diese haben nicht den Status referentieller Ausdrücke, sondern bezeichnen Begriffe/Konzepte. Die modifikative Relation wird interpretiert als In-Beziehung-Setzen des vom Modifikanden ausgedrückten Begriffs zum vom Modifikator ausgedrückten Begriff, durch eine vom Sprachsystem her offene, jeweils kontextuell festzulegende Relation R. Im Anschluss an Rijkhoff (2007) sprechen wir hier von ‘klassifikatorischer Modifikation’: Das modifikativ erweiterte Nominal bezeichnet eine bestimmte Subklasse, eine bestimmte Unterart der Gegenstände, die vom Kernsubstantiv bezeichnet werden: ‘morning trains’ sind eine Art Züge, ‘evening trains’ eine andere. Selbst wenn der Modifikator als Eigenname referentiell fungieren könnte, wie in London street oder eben in Bush administration, so kommt semantisch das mit dem Eigennamen verbundene ‘Individuenkonzept’ zur Geltung, nicht der Namensträger selbst. Dies zeigt sich deutlich etwa an Beleg (7): the Bush political dynasty wird mit Bushs politischer Dynastie nicht ganz korrekt wiedergegeben, denn der deutsche pränominale Genitiv ist referentiell, man identifiziert damit hier eine bestimmte Person, die diesen Namen trägt, während im Englischen nur von einer 12
In generativem Rahmen wäre hier von 'DP' zu sprechen. Ich schließe mich (siehe Anm. 10) den Strukturvorgaben der deskriptiven Grammatiken, insbesondere Huddleston/Pullum (2002), an.
Englische Einflüsse auf deutsche Nominalkonstruktionen?
173
politischen Dynastie die Rede ist, die etwas mit dem Konzept ‘Bush’ zu tun hat. Die Relation ‘R’ kann in Abhängigkeit von den Relata als ‘Argumentsättigung’ (microfilm reader, book seller) gedeutet werden oder aber als eine spezifischere, semantisch gehaltvolle Beziehung wie: ‘Ort’ in Oxford street, ‘Zeit’ in morning train, ‘Zweck’ in cooking apple, ‘Material’ in gold coin; ‘Instrument’ in gas cooker usw. (Huddleston/Pullum 2002: 449). Die Relata sind im unmarkierten Fall sortal verschieden. Zu Bush’s administration versus Bush administration vgl. Koptjevskaja-Tamm/Rosenbach (2006). Daneben gibt es als markierten Fall eine sortale Übereinstimmung der beiden Relata: Hier bezeichnet der Kern einen Oberbegriff bzw. eine Klasse, der Modifikator einen Unterbegriff bzw. ein Element der Klasse: Ersteres trifft auf die Modifikation durch Appellativa zu wie in cedar/cypress/pine/yew tree (BNC), letzteres auf die Modifikation durch Eigennamen wie in Hudson River, Pointer Sisters. Hinweisen möchte ich noch auf die im Englischen frequente Kombination von prämodifizierendem Familiennamen und dem klassifizierenden Gattungsnamen family wie in the Clayhanger Family. Die Interpretation der Beziehung R changiert hier zwischen den Lesarten‘Clayhanger ist eine Familie’ oder ‘Clayhanger kennzeichnet (als Label/Index) eine (einelementige) Klasse von Familien’ oder ‘Familie der Person Clayhanger’ (inalienable Possession).
4.1.2.
Postmodifikation durch unflektierte Nominale im Englischen
(T1) Koordination von Postmodifikatoren the brothers [John and James], the chapters [9 and 10]
(T2) Koordination von Kernen (semantisch beschränkt) the [brothers and sisters] Brown, the [chapter or section] 9, the [chapters or sections] 9 and 1
Eine Parallele zu Muster (T3) der Prämodifikation existiert bei der Postmodifikation wohl nicht. Das heißt, die Modifikation von Postmodifikatoren ist nicht möglich, vgl.: *the brothers [younger Brown] Dagegen ist rekursive Postmodifikation, in sehr engem Rahmen, möglich, vgl.: (T4) Pest Control [London [South]] (BNC) Offensichtlich ist Postmodifikation stärker beschränkt als ihr prämodifikatives Gegenstück. Zum einen fungieren als Modifikatoren nur unerweiterte Substantive, in erster Linie Eigennamen oder eigennamenähnliche Konstrukte
174
Gisela Zifonun
(Nummern, Bezeichnungen von Himmelsrichtungen). Zum anderen ist die Funktion in aller Regel eingeschränkt auf die hierarchische Relation zwischen Klasse und Element, es handelt sich also um eine Subsumptionsrelation, die ich im Anschluss an die Datenmodellierungen in Begriffsnetzen (Ontologien) der KI-Forschung kurz ISA-Relation nenne (nach z. B. “John is a brother”); vgl. auch Hudson (2007). Im unmarkierten Fall ist diese ISA-Relation ‘nondiskriminativ’. Das heißt, die Zugehörigkeit des Elementes zu der vom Kern bezeichneten Klasse wird nicht zur Debatte gestellt oder eigens betont. Beispiele sind etwa: the novel “Great Expectations”, Lake Michigan, River Thames. Einen markierteren Fall stellt die ‘diskriminative’ ISA-Relation dar, wie sie etwa in New York City (versus New York State), Quebec Province (versus Quebec City (vgl. Quirk et al. 1985: 1318) vorliegt. Hier ist die Klassenbezeichnung nachgestellt und damit potentieller Fokusakzentträger. Bei dieser Struktur wirkt die Klassenbezeichnung insofern diskriminativ, als sie zwischen zwei (oder mehr) Entitäten unterscheiden soll, die denselben Namen tragen, z. B. die Stadt und der Staat New York, die Provinz und die Stadt Quebec. In beschränktem Umfang sind neben diskriminierenden Ausdrücken in ISA-Relationen auch determinierende postmodifikative Zusätze anderer Art, vor allem zu Städtenamen, möglich, etwa: London East.
4.2.
Strukturmuster im Deutschen
4.2.1.
Prämodifikation im Deutschen
Prämodifikation durch unflektierte Nomina ist im Deutschen kein syntaktisches Phänomen; dies zeigt der Versuch, die parallel zum Englischen angelegte syntaktischen Strukturmuster (T1) bis (T4) von Abschnitt 4.1.1. auf das Deutsche zu übertragen: Bei den beiden Koordinationsmustern (T1) und (T2) stehen den ungrammatischen Strukturen (a) grammatische (b) gegenüber, die jedoch als Ellipsen zu erklären sind. (T1) Koordination von Prämodifikatoren: a. *die [Clinton und Bush] Administrationen b. [die Clinton-[]] und [die Bush-Administration] (T2) Koordination von Kernen: a. *die Bush [Administration und Regierung] b. die [Bush-Administration] und []-Regierung] (T3) Modifikation von Prämodifikatoren: *die [älterer Bush] Administration
Englische Einflüsse auf deutsche Nominalkonstruktionen?
175
(T4) Rekursive Prämodifikation: *die Bush [politische Dynastie]
Im Deutschen ist Prämodifikation somit nur als morphologische Strukturbildung, als Komposition, möglich. Interessanterweise wird etwa in der Werbesprache mit eben den Mitteln der Komposition versucht, auch die komplexeren Möglichkeiten des Englischen zu imitieren. So erwähnt Altmann (2008: 21) Beispiele wie (8)
Bett&Bike-Häuser, Mozart City&Culture-Angebot.13
Er bezeichnet (a. a. O.) solche koordinativen Strukturen (vgl. Muster (T1)) als “Zusammenrückung innerhalb eines Determinativkompositums”. Dabei enthält letzteres Beispiel zudem eine Art “rekursive Prämodifikation”, wenn wir etwa folgende intendierte Struktur zugrunde legen: (9)
Mozart [City&Culture-Angebot].
Ähnlich auch (10) Outdoor [Kinder-[Fun-Park]], wo Altmann (2008: 22) von “komplexe(r) Wortneubildung” spricht. Diese Beispiele verstoßen zwar gegen die Regeln der Wortschreibung, insofern als – in Analogie zum Englischen – der erste Bestandteil des Kompositums durch ein Spatium abgetrennt wird. Sie werden jedoch nicht unbedingt als grammatische Verstöße empfunden, weil keine internen Flexionsmorpheme vorhanden und somit die Analyse als ein einziges Wort – konträr zum Augenschein – durchaus möglich ist. Was nun die Funktion der Modifikatoren in Komposita angeht, so unterscheidet sie sich nicht wesentlich von der Funktion syntaktischer Prämodifikatoren, wie sie in Abschnitt 4.1.1 für das Englische beschreiben wurde. Auch hier stehen die Modifikatoren zu dem Kern in einer kontextuell näher zu spezifizierenden Relation R und haben insgesamt klassifikatorischen Status. Der Spielraum der Interpretation reicht wie im Englischen von der Argumentsättigung (Zeitungsleser) bis zu semantisch gehaltvolleren Relationen wie ‘Ort’: Gartenhaus, ‘Zeit’: Morgenkaffee, ‘Zweck’: Vergrößerungsglas, ‘Zugehörigkeit’: Beethoven-Symphonie. Auch im Deutschen sind die Relata normalerweise sortal verschieden. Bei sortaler Übereinstimmung ist die Kombination von appellativischem Unterbegriff als Modifikator und Oberbegriff als Kern wie in Tannenbaum oder Spatzenvogel eher unüblich, aber im13
Ich übernehme die Unterstreichung des Silbenkerns zur Kennzeichnung der Hauptakzentsilbe aus der Vorlage Altmann (2008).
176
Gisela Zifonun
merhin möglich.14 Die Kombination von Eigenname und Klassenbezeichnung hingegen, also die Denotation einer “proprialen” ISA-Relation, ist in den meisten Fällen hochgradig markiert, wenn nicht ungrammatisch: (11) ?Rhein-Fluss, ?Mai-Monat, *Türkei-Land, *Afrika-Kontinent, *KohlBundeskanzler15 Wenden wir uns nun Personen-Eigennamen als Modifikatoren zu und kommen damit auf den Kern unserer Fragestellung zurück, so scheinen neben der unakzeptablen ISA-Relation auch andere Spezifikationen von R wenig präferiert, die eine besonders “enge” Beziehung zwischen dem Eigennamen-Träger und der Denotation des Kopfnomens bezeichnen. So finden sich zwar pressesprachlich Komposita wie Brandt-Familie, Kohl-Sohn, sie sind aber deutlich markierter als etwa Kohl-Anhänger, Brandt-Biografie oder Strauß-Anekdoten. D. h. Rektionskomposita (Kohl-Anhänger, Mozart-Verehrung) und solche, die eine unspezifische “alienable” Zugehörigkeit ausdrücken (Brandt-Biografie, Strauß-Anekdoten, Beethoven-Symphonie) sind präferiert gegenüber solchen, die eine inalienable Zugehörigkeit (Brandt-Familie) oder die Repräsentanz einer Institution ausdrücken. Unter diesem Stichwort ‘(Institutionen-)Repräsentanz’ fasse ich den uns besonders interessierenden Typ Kohl-Regierung/ Kohl-Kabinett: ‘diejenige Regierung/dasjenige Kabinett, die durch Kohl repräsentiert/geführt wird’. Wir können somit folgende Präferenzordnung postulieren – sie wäre im einzelnen noch genauer empirisch zu untermauern: Präferenzordnung für die Funktion von Personen-Eigennamen als Modifikatoren in Komposita: Teil von Rektionskompositum/alienable Zugehörigkeit > inalienable Zugehörigkeit/Repräsentanz > *ISA-Relation
14 15
Für Spatzenvogel gibt es einen Beleg in den Mannheimer Korpora der geschriebenen Sprache. Bei “exotischen” Flussnamen wird allerdings häufiger verdeutlichend der Gattungsbegriff hinzugesetzt. So findet sich in COSMAS kein Beleg für Rhein-Fluss, wohl aber jeweils einige wenige z. B. für Irrawaddy-Fluss oder Potomac-Fluss. Komposita der Struktur Monatsname-Monat finden sich vor allem im Plural – die Monatsnamen selbst sind nicht pluralisierbar – und zwar in börsensprachlichen Berichten (z. B. höchster Kursstand von allen Mai-Monaten). Dialektal bzw. nähesprachlich finden sich auch im Bereich der Personenbezeichnungen prämodifikative Kombinationen, bestehend aus Vorname + Verwandtschaftsbezeichnung wie in die AnnaTante (statt standardsprachlich die Tante Anna).
Englische Einflüsse auf deutsche Nominalkonstruktionen?
4.2.2.
177
Postmodifikation im Deutschen
Rein formal scheinen sich die Möglichkeiten der Postmodifikation des Deutschen nicht vom Englischen zu unterscheiden. Wie im Englischen sind die beiden koordinativen Muster (T1) und (T2) sowie, sehr beschränkt, die Rekursion der Modifikation (T4) möglich, adjektivisch modifizierte Modifikatoren (T3) hingegen ausgeschlossen: (T1) Koordination von Postmodifikatoren: die Brüder [Hans und Fritz], die Universitäten [Berlin und Hamburg], die Regierungen [Kohl und Schröder]
(T2) Koordination von Kernen (semantisch beschränkt): die [Brüder und Schwestern] Braun, in [Kapitel oder Abschnitt] 9, die [Kapitel oder Abschnitte] 9 and 10
Wie zum Englischen ausgeführt, ist das dominante semantische Muster der Postmodifikation die non-diskriminative ISA-Relation, die eine sortale Gleichheit von Kern und Modifikator voraussetzt wie in der Roman “Die Wahlverwandtschaften”, der See Genezareth. Daneben finden sich determinative Beziehungen, bei denen die Relata sortal verschieden sein können. Die Duden-Grammatik (2005: 997) spricht hier von “determinativer Apposition” gegenüber “explikativer Apposition” (ISA-Relation). Determinative Postmodifikation ist besonders in Gebrauchstexten üblich. Sie ermöglicht die ökonomische und komprimierte Identifikation von Referenzobjekten oder Eingrenzung von Konzepten nach dem Prinzip des Fortschreitens vom Allgemeineren (Oberbegriff) zum Besonderen (Unterbegriff/ Eigenname). Das Verhältnis des “Besonderen” zum Allgemeinen kann z. B. in der Nennung eines (geografischen) Teils zu einem Ganzen bestehen wie in Startbahn West, Mannheim Innenstadt, vor allem aber bei Produktbezeichnungen realisiert werden als: Produkt (Modifikator) zu Firma (Kern), Modell zu Marke, Produkt zu Produktreihe usw., mit rekursiven Kombinationen dieser Verhältnisse wie in: (12) Opel Kadett Corsa, Pocket Coffee Multibox(A), Leibniz Minis(A)
178
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Wo nötig, werden dabei – etwa in Prospekten, Gebrauchsanleitungen – auch die Muster gedehnt. So findet sich in Altmanns Datensammlung neben Sitzheizung Vordersitze auch Sitzheizung [linker Vordersitz], wo der Modifikator adjektivisch modifiziert ist. Trotz der strukturellen Ähnlichkeit zwischen der Postmodifikation im Englischen und im Deutschen erweist sich bei näherem Hinsehen das Deutsche hier als weniger restriktiv als das Englische. Dies gilt sowohl für ISA-Verhältnisse als auch für determinative Verhältnisse. Im Deutschen können ISA-Relationen zwischen Klassenbezeichnung (‘Klassifikator/ Deskriptor’) und Eigenname unbeschränkt durch Postmodifikation (also Juxtaposition) ausgedrückt werden. Das gilt auch für Klassifikatoren wie Kontinent, Land, Stadt und geografische Namen oder dem Klassifikator Monat und Monats“namen”. Im Englischen hingegen muss in diesen (und weiteren) Fällen anstelle der Postmodifikation durch ein “reines” Nominal die analytische Konstruktion mithilfe des Relators of treten: (13) der Kontinent Afrika, das Land Spanien, die Stadt Berlin, der Monat Mai; das Buch Genesis/ Hiob versus (14) the continent *(of) Africa, the country *(of) Spain, the city *(of) Berlin, the month *(of) May; the book *(of) Genesis/Job Determinative Postmodifikation umfasst in beiden Sprachen das diskriminative ISA-Verhältnis; entsprechend zu New York City (versus New York State) haben wir im Deutschen Mannheim Stadt (versus Mannheim Land). Parallel erfolgt auch die determinative Spezifikation von Produktbezeichnungen (Dodge Spirit R/T neben Opel Kadett Corsa). Im Deutschen wird aber auch die Lokalisation und die Repräsentanz von Institutionen so kodiert. In solchen und ähnlichen Fällen fungieren Eigennamen als Etiketten oder Indizes, die einen Allgemeinbegriff vereindeutigen, auch wenn dieser nicht als Oberbegriff zu dem Eigennamen zu verstehen ist. (15) die Universität Mannheim, die Villa Reitzenstein, die Regierung/das Kabinett Kohl In diesen Fällen ist im Englischen reine Postmodifikation ausgeschlossen und es wird prämodifikativ verfahren oder mit of kodiert: (16) the Mannheim University / the University of Mannheim, the mansion of Gormenghast (BNC), the Bush administration
Englische Einflüsse auf deutsche Nominalkonstruktionen?
5.
179
Resultierende Präferenz-Unterschiede zwischen den Sprachen
Die Gegenüberstellung der Strukturmuster in Abschnitt 4 hat gezeigt, dass es für nicht-flektierte nominale Ausdrücke als Attribute Präferenzunterschiede zwischen den beiden Sprachen gibt. Im Englischen gibt es eine Präferenz für die pränominale Position, im Deutschen eine Präferenz für die postnominale, und zwar in folgendem Sinne: (i)
(ii)
quantitativ: Prämodifikative Strukturen des Englischen werden im Deutschen nur teilweise prämodifikativ wiedergegeben, zum Teil auch durch Postmodifikation. Postmodifikative Strukturen des Deutschen werden nur zum Teil durch rein postmodifikative Strukturen wiedergegeben, zum Teil auch durch prämodifikative oder durch Postmodifikation mithilfe von of. qualitativ: Englische Prämodifikation durch nicht-flektierte Nominale ist als syntaktisches Verfahren formal flexibler als die entsprechende deutsche Kompositabildung. Semantisch gibt es weitgehende Übereinstimmung; allerdings sind im Englischen auch Prämodifikatoren in den Relationen inalienable Possession und Repräsentanz (von Institutionen) weniger markiert als im Deutschen. Umgekehrt sind bei Postmodifikation im Deutschen ISA-Relationen gänzlich unbeschränkt – was auf das Englische nicht zutrifft – und determinative Relationen weiter ausgedehnt, z. B. eben auf Lokalisation und Repräsentanz von Institutionen.
Aussagen (i) und (ii) können durch die Gegenüberstellung von Übersetzungsäquivalenten bestätigt werden. Ich nenne hier einige Werktitel englischer Autoren, die im Original Eigennamen in prämodifikativer Funktion enthalten, während in ihrer deutschen Übersetzung die Eigennamen nachgestellt sind (vgl. dazu Kindlers Literaturlexikon): (17) “The Clayhanger Family” (Arnold Bennett) “Heartbreak House” (G.B. Shaw) “The Framley Parsonage” (Anthony Trollope)
Umgekehrt werden deutsche Werktitel mit postmodifizierenden Eigennamen im Englischen durch Prämodifikation wiedergegeben: (18) “der Fall Mauritius” (Jakob Wassermann)
– “The Mauritius case”
Dass Prämodifikation im Englischen besonders “stark” ausgebildet ist, mag u. a. mit zwei Faktoren zusammenhängen: der im Vergleich zum Deutschen schwächer ausgeprägten Scheidung zwischen den Wortklassen Substantiv und Adjektiv und dem Fehlen der Flexion beim (attributiven) Adjektiv. Im Engli-
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Gisela Zifonun
schen gibt es zahlreiche lexikalische Einheiten, die in den syntaktischen und semantischen Funktionen sowohl von Adjektiven als auch von Substantiven gebraucht werden. Dies gilt für die Ableitungen von (geografischen) Namen, wo im Default-Fall Adjektiv und Substantiv (z. B. Einwohner- oder Anhängerbezeichnung) zusammenfallen: African, Canadian, Lutheran, Elizabethan. Auch andere, meist denominale Adjektive auf gräkolateinischer Basis wie human, female, male, public, canine, feline, animal, domestic usw. zeigen, dass die “lexikalische Kategorienaffiliation” im Englischen “nicht so stark konsolidiert ist”, wie Sasse (1993: 192) formuliert. Klassifikatorische Prämodifikation durch unflektierte nominale Ausdrücke beruht daher im Englischen auf drei Säulen: Substantiv als Modifikator (Bush administration), Adjektiv als Modifikator (volcanic eruption), Modifikation durch unterdeterminierte Ausdrücke, die sowohl Substantiv als auch Adjektiv sein können (human thinking/dignity). Im Deutschen dagegen gibt es kaum Homonymien/Unterdeterminiertheit zwischen Adjektiv und Substantiv (vereinzelte Beispiele sind: r/Reaktionär, r/Revolutionär, v/Visionär) und in syntaktischer Prämodifikation sind nur flektierte Adjektive möglich: (19) human dignity: ‘Menschenwürde / menschliche Würde’
6.
Resümee des Strukturvergleichs
Prä- und Postmodifikation durch nicht-flektierte nominale Ausdrücke verhalten sich im Englischen und Deutschen annähernd spiegelbildlich. Das englische syntaktische Verfahren der Prämodifikation ist formal flexibler (Koordination, Modifikation, Rekursion des Modifikators) und semantisch (etwas) weniger beschränkt als das deutsche Verfahren der Komposition. Das deutsche syntaktische Verfahren der Postmodifikation ist formal (etwas) flexibler und semantisch deutlich weniger beschränkt als das englische Verfahren der Postmodifikation ohne den Relator of. Für Personennamen als Modifikatoren gibt es im Deutschen eine semantische Präferenzordnung bei Prämodifikation, nach der u. a. Institutionen-Repräsentanz (Kohl-Regierung) und inalienable Zugehörigkeit (Kohl-Sohn, KohlFamilie) wenig präferiert, ISA-Relationen (*Kohl-Bundeskanzler) ausgeschlossen sind. Das Englische ist in Bezug auf Repräsentanz und inalienable Zugehörigkeit weniger restriktiv. Für Institutionen-Repräsentanz und allgemeiner determinative Verhältnisse zwischen einem sortal verschiedenen Oberbegriff und einem Eigennamen als identifizierendem Etikett steht im Deutschen aber anders als im Englischen die Postmodifikation zur Verfügung.
Englische Einflüsse auf deutsche Nominalkonstruktionen?
181
Dieses Muster ist im Deutschen in diesen Fällen traditionell die präferierte Alternative. “Minimal invasive” Einflüsse des Englischen können in einer Änderung der Präferenzordnung zugunsten der Prämodifikation bestehen, so dass sich allmählich zumindest das zahlenmäßige Verhältnis zwischen z. B. Regierung Kohl und Kohl-Regierung zugunsten des letzteren Musters verschiebt. Allerdings gehe ich nicht von einer monokausalen Erklärung aus. Andere Einflüsse erscheinen denkbar. Im “Neuen Deutschland”, Jahrgang 69 (im “Archiv der geschriebenen Sprache” des IDS) finden sich 43 Belege für AdenauerRegierung (auch in Kombination mit autoritär), nur 5 für Regierung Adenauer, für Brandt-Regierung kein Beleg, aber 8 Belege für Regierung Brandt. Die Konkurrenz beider Konstruktionen scheint die Bedeutungs- bzw. Konnotationsdifferenzierung zu fördern: Die Prämodifikation, die wir ja klassifikatorisch deuten, als ‘Art’-Bestimmung (‘Regierung nach der Art Adenauer/ Regierung Typ Adenauer’), hat hier eine pejorative Note, die im Zusammenhang mit der von DDR-Seite wenig geschätzten Regierung von Bundeskanzler Adenauer ins Spiel gebracht wird, während die Regierung von Bundeskanzler Brandt mit der postmodifikativen, neutraleren Ausdrucksform gekennzeichnet wird. Zwischen zwei Strukturmustern mit annähernd gleicher Bedeutung wird somit, wie allgemein üblich, pragmatisch differenziert. Insgesamt möchte ich meinen Beitrag verstanden wissen als Etüde zum Strukturvergleich zwischen den beiden nah verwandten und in engem Kontakt stehenden Sprachen an der Schnittstelle zwischen Syntax und Wortbildung. Die These einer semantischen Ausdehnung vorhandener deutscher Strukturmuster unter englischem Einfluss und der Verschiebung im Verhältnis zwischen post- und prämodifikativer Struktur bedarf zweifellos weiterer Stützung durch korpusbezogene Untersuchungen.
7.
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182
Gisela Zifonun
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Anke Holler und Carmen Scherer
Zur Argumentstruktur entlehnter Verben
1.
Einleitung
In der Erforschung nicht-nativer Einheiten und Strukturen lassen sich im deutschsprachigen Raum deutliche Schwerpunkte erkennen. Diese liegen insbesondere in den Bereichen Lexikon, Aussprache, Flexion, Wortbildung und Schreibung. Weitaus weniger erforscht sind semantische oder gar syntaktische Formen und Aspekte der Entlehnung. Zudem konzentriert sich die Forschung in der Regel auf Nomen, wohl auch, weil diese über 80% der Fremdwörter im Deutschen ausmachen. Trotz der Dominanz nominaler Fremdwörter ist die Anzahl entlehnter Verben im Deutschen nicht unerheblich: Allein im aktuellen großen Fremdwörterduden sind rund 4.000 Verben verzeichnet. Sie reichen von A wie abaissieren bis Z wie zoomen und lassen sich grob in zwei Gruppen gliedern: Verben wie abaissieren und chauffieren mit -ier-Suffix (und dessen Varianten -isier- bzw. -ifizier-) und solche ohne (checken, zoomen). Trotz ihrer großen Zahl haben Lehnverben und ihre grammatischen Eigenschaften in der Forschung bislang kaum Beachtung gefunden. Dies ist umso erstaunlicher, als Verben aufgrund ihrer Rektions- und Selektionseigenschaften sowohl die Struktur als auch die Bedeutung von Sätzen entscheidend prägen. Das Verb legt nicht nur kategoriale Eigenschaften und syntaktische Funktionen seiner Argumente fest, sondern restringiert diese auch in semantischer Hinsicht durch die Zuweisung von thematischen Rollen. Sind die in einem Satz realisierten Ausdrücke nicht mit der Argumentstruktur des prädizierenden Verbs vereinbar, so führt dies zur Ungrammatikalität des Satzes. Die Argumentstruktur ist im Bereich der nativen Verben inzwischen ein etabliertes Forschungsgebiet (z. B. Ágel et al. 2003, Hale/Keyser 2002, Stiebels 2002, Dowty 1991, Grimshaw 1990, Wunderlich 1985), zur Argumentstruktur entlehnter Verben liegen unseres Wissens bislang jedoch keine systematischen Untersuchungen vor. Ziel unserer Studie ist es, anhand von Fallbeispielen die syntaktische und semantische Struktur entlehnter suffigierter und nicht-suffigierter Verben zu analysieren. Geklärt werden soll, ob sich entlehnte Verben in ihrer Argumentstruktur von nativen Verben unterscheiden, und wenn ja, auf welche Weise. Wir werden dazu eine theoretische und empirische Analyse der syntaktischen und semantischen Struktur entlehnter suffigierter und nicht-suffigierter Verben
184
Anke Holler und Carmen Scherer
vornehmen und die Ergebnisse aus einer Pilotstudie mit insgesamt 40 nichtnativen Verben vorstellen. Wir werden im Folgenden zwei konkurrierende Hypothesen zur Argumentstruktur entlehnter Verben beleuchten: (1)
Hypothese A:
(2)
Hypothese B:
Nicht-native Verben verhalten sich bezüglich ihrer Argumentstruktur wie die jeweiligen Äquivalente in der Herkunftssprache. Nicht-native Verben verhalten sich bezüglich ihrer Argumentstruktur wie native Verben des Deutschen.
Hypothese B lässt sich wie in (3) differenzieren: (3)
Hypothese B1: Nicht-native Verben übernehmen die Argumentstruktur von nativen Äquivalenten. Hypothese B2: Nicht-native Verben nutzen native Argumentstrukturen und -muster unabhängig von konkreten nativen Äquivalenten.
Für Hypothese A sprechen die Befunde von Scherer (2007) bei Anglizismen (vgl. Kap. 2). Gegen diese Hypothese sprechen folgende Argumente: Zum einen existieren Verben wie netsurfen,1 die keine Vorlage in einer Gebersprache haben, da sie ausgehend von entlehnten Wörtern im Deutschen gebildet wurden (sog. Pseudofremdwörter). Zum Zweiten gibt es Verben wie dolmetschen oder benedeien, die zwar eine Vorlage in einer Gebersprache haben, bei denen aber entweder die Beziehung zur Vorlage aufgrund von Sprachwandelprozessen oder fehlenden Kenntnissen der Gebersprache für einzelne oder alle Sprecher synchron nicht oder nicht mehr transparent ist oder bei deren Vorlage es sich um Nomen oder Adjektive handelt, die im Deutschen durch Wortbildung (Konversion, Derivation) zu Verben werden (computern, firmieren). Drittens schließlich existieren Verben, die potenzielle Vorlagen in mehreren Sprachen haben, sodass die Herkunftssprache nicht eindeutig ermittelbar ist. Hier sind Dubletten möglich, z. B. campen/campieren oder chloren/chlorieren. Angesichts dieser Sachlage erwarten wir, dass Hypothese B, die keine bestehende Verbindung zwischen dem entlehnten Verb und einer Gebersprache voraussetzt, besser geeignet ist, die Verhältnisse zu erfassen, als Hypothese A, die Bezug auf die Herkunftssprache nimmt. Um dies zu überprüfen, werden wir in einem ersten Schritt klären, welche Argumentstrukturen bei nativen Verben auftreten, um dann im zweiten Schritt ausgehend von den Ergebnissen unserer Pilotstudie die Argumentstruktur von nicht-nativen Verben im Deutschen theoretisch und empirisch zu analysieren. 1
Laut DFW handelt es sich bei netsurfen um ein verbales Kompositum, das im Deutschen ausgehend von engl. net ‘Netz’ und surfen gebildet wurde.
185
Zur Argumentstruktur entlehnter Verben
2.
Zur Argumentstruktur
Die Argumentstruktur des Verbs beeinflusst maßgeblich die Konstitution eines Satzes, denn als prädizierende Größe lizenziert das Verb die im konkreten Fall realisierten Komplemente. Es weist ihnen aufgrund seiner Argumentstruktur bestimmte syntaktische (Kasus) und semantische Eigenschaften (thematische Rollen) zu. Ein nominaler Ausdruck in Subjektfunktion bzw. mit Kasus Nominativ muss darüber hinaus mit dem finiten Verb kongruieren. Diese Zusammenhänge werden in den einschlägigen sprachtheoretischen Ansätzen, wie beispielsweise der Valenztheorie/Dependenzgrammatik oder der generativen Grammatik, auf verschiedene Weise erfasst. Der Argumentstruktur des Verbs, die in der Regel lexikalisch verankert wird, kommt dabei aber stets eine zentrale Rolle zu. In den letzten Jahrzehnten ist für das Deutsche die Argumentstruktur der Verben zwar aus theoretischer Perspektive ausführlich diskutiert worden, empirische Arbeiten, die die Vorkommenshäufigkeit bestimmter syntaktischer oder semantischer Argumente untersuchen, sind jedoch kaum zu finden. Eine nennenswerte Ausnahme bildet hier die Untersuchung von Primus (1999), auf der Grundlage von Mater (1971). Primus (1999) untersucht hinsichtlich der Kasusmarkierung der Argumente und ihrer syntaktischen Funktionen, welche Argumentstrukturmuster am häufigsten im Deutschen zu beobachten sind. Nach Primus (1999) regieren einstellige Verben im Regelfall den Nominativ, zweistellige Verben Nominativ und Akkusativ. Dreistellige Verben nehmen in der Mehrzahl Komplemente im Nominativ, Akkusativ und Dativ, seltener Nominativ, Akkusativ und Präpositionalkasus, vgl. (4). Aus diesen Beobachtungen leitet Primus die Hierarchie syntaktischer Funktionen und Kasus in (5) ab. (4)
Häufigste Argumentstrukturen im Deutschen (Primus 1999) 1 Argument 2 Argumente 3 Argumente
(5)
NOM NOM NOM NOM
AKK AKK AKK
DAT PRÄP
Hierarchie syntaktischer Funktionen und Kasus im Deutschen (Primus 1999) a. Subjekt > Akkusativ-Objekt > Dativ-Objekt > Präpositional-Obj. b. Nominativ > Akkusativ > Dativ > Präpositionalkasus
Auch hinsichtlich der Verteilung der semantischen Rollen, die die Verben ihren jeweiligen Argumenten zuweisen, liegen bislang keine empirischen Erhebungen zum Deutschen vor.
186
Anke Holler und Carmen Scherer
In Bezug auf die nicht-nativen Verben ist die Forschung bisher nicht nur auf dem Gebiet der Argumentstruktur sehr dürftig. Zwar befassen sich drei neuere Arbeiten teilweise (Onysko 2007) oder ausschließlich (Hausmann 2006, Siekmeyer 2007) mit entlehnten Verben, bei allen dreien stehen jedoch morphologische bzw. morphosyntaktische Aspekte der Verben, wie Flexion und Trennbarkeit, im Vordergrund. Dies gilt auch für den Aufsatz von Geller (1983). Systematische Untersuchungen zur Argumentstruktur nicht-nativer Verben liegen bislang nicht vor. Erste Hinweise auf die Argumentstruktur entlehnter Verben lassen sich einer Fallstudie von Scherer (2007) entnehmen, die acht verbale Anglizismen im Hinblick auf deren morphologische und syntaktische Eigenschaften untersucht hat. Abbildung 1 fasst die Ergebnisse zur syntaktischen Struktur zusammen.2 transitiv to download, to mail, to update È Ì
Gebersprache Englisch
Nehmersprache Deutsch
transitiv & intransitiv to chat, to check, to design, to relax Ë È Ì
Syntaktische Struktur verbaler Anglizismen (Scherer 2007)
Die untersuchten Verben zeigten kaum Unterschiede in der Argumentstruktur von Geber- und Nehmersprache. Lediglich beim intransitiven deutschen Verb mailen verzeichnete das OED, das als Referenzwörterbuch verwendet wurde, keine intransitive Vorlage für das Englische. Generelle Abweichungen der verbalen Anglizismen von den Argumentstrukturen des Deutschen finden sich nicht, vielmehr entsprechen die Argumentstrukturen den laut Primus (1999) häufigsten Strukturen, vgl. (6) mit (4): (6)
chatten, chillen, relaxen NOM checken, downloaden, NOM – AKK updaten NOM bzw. designen NOM – AKK NOM bzw. mailen NOM – AKK – DAT
Ein detaillierter Überblick über die Ergebnisse der Studie findet sich im Anhang.
187
Zur Argumentstruktur entlehnter Verben
Vergleicht man die acht Verben hinsichtlich ihrer semantischen Eigenschaften im Deutschen und Englischen, so lässt sich anhand der Daten von Scherer (2007) lediglich festhalten, dass zwei der Verben in ihrer Herkunftssprache laut OED monosem und sechs polysem sind. Im Deutschen hingegen sind alle acht entlehnten Verben laut DFW monosem, vgl. Abbildung 2. Allein diese Tatsache zeigt, dass bei mindestens sechs der acht verbalen Anglizismen semantische Veränderungen gegenüber den Verben in der Gebersprache stattgefunden haben müssen (vgl. auch Zifonun 2000). Gebersprache Englisch
Nehmersprache Deutsch Abbildung 2:
3.
monosem to download, to update
polysem to chat, to check, to chill, to design, to mail, to relax
È monosem downloaden, updaten
È monosem chatten, checken, chillen, designen, mailen, relaxen
Semantische Struktur verbaler Anglizismen (Quellen: Scherer 2007, OED, DFW)
Empirische Untersuchung zur Argumentstruktur
Um Genaueres über die Argumentstruktur entlehnter Verben zu erfahren, war es angesichts der Forschungslage erforderlich, eigene Daten zu erheben. Wir untersuchten dazu eine Stichprobe von insgesamt 40 nicht-nativen Verben der Alphabetstrecke C-G aus dem DFW. Je 20 der Verben verfügten über ein bzw. kein nicht-natives Ableitungssuffix (-ier bzw. -isier/-ifizier). Folgende Verben mit Suffix (vgl. 7) bzw. ohne Suffix (vgl. 8), wurden hinsichtlich ihrer Argumentstruktur analysiert: (7)
Für jedes dieser Verben wurden je 20 Belege aus den Korpora des Instituts für Deutsche Sprache entnommen. Von der Analyse ausgeschlossen wurden Ver-
188
Anke Holler und Carmen Scherer
ben mit nativen Partikeln wie einchecken, Verben wie charakterisieren, die sog. Small Clauses als Ergänzung nehmen, sowie all jene Verben, die weniger als 20 auswertbare Belege lieferten. Nicht bei der Auswertung einzelner Verben berücksichtigt wurden Belege, die entweder keine vollständige Argumentstruktur aufweisen (z. B. infinite Formen, Imperative) oder bei denen zusätzliche Einflüsse auf die Argumentstruktur (Passiv, Small Clauses, Modalverbkonstruktionen) nicht auszuschließen sind. Für die Klassifikation der Belege wählten wir einen möglichst einfachen Klassifikationsrahmen. Syntaktisch wurden die Belege nach Phrasentypen – NP[nom], NP[akk], PP[…] usw. – klassifiziert, semantisch nach den Rollen Agens, Patiens, Experiencer, Rezipient, Benefaktiv, Quelle, Ziel, Lokativ, Zeit. Die meisten dieser Rollen gehören einem weitgehend unumstrittenen Kernbestand an. Darüber hinaus haben wir die Rollen Lokativ und Zeit verwendet: Mit Lokativ erfassen wir räumliche Bewegungen, die weder auf ein Ziel noch auf eine Quelle bezogen sind. Die Notwendigkeit, eine Zeit-Rolle anzusetzen, ergab sich beim Verb datieren, das eine obligatorische Zeitangabe erfordert, deren Inhalt durch keine der anderen Rollen erfasst werden kann. Tabelle 1 bietet einen stark kondensierten Überblick über die Ergebnisse unserer Untersuchung, der lediglich die obligatorischen Argumente erfasst, Art und Anzahl der fakultativen Argumente jedoch nicht berücksichtigt. Ausgewertet wurde bei Verben mit mehreren Argumentstrukturen jeweils nur die dominante Variante, d. h. dribbeln1 (sich), datieren1, debütieren1, deformieren1 und degradieren1. Das Verb debattieren, das sein zweites obligatorisches Argument entweder als NP[akk] oder als PP[über] realisieren kann, wurde je zur Hälfte dem einen bzw. anderen Muster zugeordnet. Eine detaillierte Auflistung aller Verben und ihrer Argumentstruktur findet sich im Anhang. Tabelle 1: Argumentstruktur syntaktisch: Überblick nach obligatorischen Argumenten obligatorische Argumente
fakultative Argumente
gesamt
in %
NP[nom]
0–3 NPs / PPs
14,0
35%
NP[nom] + NP[akk]
0–2 PPs
20,5
51%
NP[nom] + PP
0–1 PPs
5,5
14%
40,0
100%
Verben gesamt
Die Zahlen in Tabelle 1 zeigen, dass alle Lehnverben über eine obligatorische NP im Nominativ verfügen. Ein Drittel der untersuchten Verben hat ein obligatorisches Argument (vgl. 9a), die restlichen Verben haben zwei. Die meisten zweistelligen Verben nehmen eine NP im Nominativ und eine im Akkusativ (vgl. 9b), daneben findet sich aber auch die Kombination NP im Nominativ und PP (vgl. 9c).
Auffällig ist, dass Verben, die eine NP im Dativ nehmen, im Vergleich zum nativen Wortschatz unterrepräsentiert sind: Bei keinem der entlehnten Verben ist eine NP im Dativ obligatorisch, als fakultatives Argument tritt sie nur beim Verb faxen auf. Verben mit drei obligatorischen Argumenten fanden sich nicht. Verben wie collagieren, datieren2 oder degradieren1, die drei Argumente regieren, nehmen im Normalfall neben obligatorischen NPs in Nominativ und Akkusativ eine fakultative PP (jmd. datiert etw. auf). Die häufigsten syntaktischen Argumentstrukturen für nicht-native Verben stellen sich nach unserer Untersuchung wie in (10) dar und weichen demnach deutlich von den von Primus (1999) für native Verben ermittelten Strukturen in (4) ab. Auch die Hierarchie der syntaktischen Funktionen und Kasus stellt sich bei entlehnten und nativen Verben unterschiedlich dar, vgl. (5) mit (11). (10) Argumente nicht-nativer Verben 1 Argument 2 Argumente 3 Argumente
NOM NOM NOM NOM
AKK PRÄP AKK
(PRÄP)
(11) Hierarchie syntaktischer Funktionen und Kasus bei nicht-nativen Verben a. Subjekt > Akkusativ-Objekt > Präpositional-Objekt / Adverbial b. Nominativ > Akkusativ > Präpositionalkasus Zwar zeigen entlehnte Verben dieselbe Dominanz von NPs im Nominativ und Akkusativ wie native Verben, eine klare Diskrepanz besteht jedoch im Bereich Dativ-NPs und PPs. Ausgehend von dieser Beobachtung drängt sich die Frage auf, ob, wie Primus (1999) annimmt, der Dativ im Vergleich mit dem Präpositionalkasus tatsächlich der unmarkiertere Kasus ist. Die Ergebnisse unserer Untersuchung zumindest weisen in die entgegengesetzte Richtung. Zu prüfen wäre insofern, ob bei Lehnverben PPs klassische Funktionen der DativNPs nativer Verben übernehmen. Auch in semantischer Hinsicht zeigen die untersuchten Lehnverben eine Vielzahl an unterschiedlichen Mustern, sodass wir uns bei der Darstellung der
190
Anke Holler und Carmen Scherer
Ergebnisse in Tabelle 2 wie bereits in Tabelle 1 auf die obligatorischen Argumente – sowie ggf. die der dominanten Variante – konzentriert haben. Tabelle 2: Argumentstruktur semantisch: Überblick nach obligatorischen Argumenten obligatorische Argumente
fakultative Argumente
gesamt
in %
Agens Agens + Patiens
0–3 Argumente
12,0
30%
0–2 Argumente
21,0
53%
Agens + Lokativ / Ziel Patiens
0 Argumente
3,0
8%
0–1 Argumente
2,0
5%
Patiens + Quelle / Ziel
0–1 Argumente
1,0
3%
Patiens + Zeit
0 Argumente
Verben gesamt
1,0
3%
40,0
100%
Die meisten Verben mit einem obligatorischen Argument vergeben die AgensRolle (vgl. 12a), lediglich bei floaten und degenerieren findet sich die PatiensRolle (vgl. 12d). Unter den Verben mit zwei obligatorischen Argumenten dominiert die Kombination Agens + Patiens (vgl. 12b) deutlich gegenüber den Kombinationen Agens + Lokativ / Ziel (vgl. 12c) sowie den Kombinationen Patiens + Quelle / Ziel bzw. Patiens + Zeit (vgl. 12e-f), die jeweils nur einmal vorkommen. (12) a. campen, campieren, chargieren, chatten, dealen, dolmetschen, dopen, fighten, finishen, firmen, flirten, gondeln b. canceln, chartern, checken, choreographieren, christianisieren, coachen, codieren, collagieren, covern, dämonisieren, debattieren, dechiffrieren, decodieren, decouvrieren, definieren, deformieren1, degradieren1, degustieren, designen, faxen, grillen c. dribbeln1 (sich), debütieren1, defilieren d. floaten, degenerieren e. changieren f. datieren1 Die Rolle des Agens stellt bei den untersuchten Verben eindeutig die am häufigsten vergebene obligatorische Rolle dar. Knapp ein Drittel der Verben vergeben allein die Agens-Rolle, gut 50% der Verben regieren neben dem Agens ein weiteres obligatorisches Argument. Knapp zwei Drittel der Verben vergeben obligatorisch eine Patiens-Rolle. Seltener sind obligatorische Argumente mit den Rollen Lokativ, Ziel, Quelle oder Zeit. Auffällig ist, dass die Rolle des Experiencers nicht, die des Rezipienten oder Benefaktivs bei den untersuchten Verben nur fakultativ, bei faxen bzw. dolmetschen und firmen, auftritt. Anhand
191
Zur Argumentstruktur entlehnter Verben
der untersuchten Stichprobe lassen sich analog zu (10) und (11) folgende Häufigkeitsverteilung bzw. Hierarchie der semantischen Rollen ermitteln: (13) Argumente nicht-nativer Verben 1 Argument 2 Argumente 3 Argumente
Agens Agens Agens
Patiens Patiens
(Lokativ / Quelle / Ziel)
(14) Hierarchie semantischer Rollen bei nicht-nativen Verben Agens > Patiens > Lokativ / Quelle / Ziel Entlehnte Verben mit einem bzw. zwei obligatorischen Argumenten vergeben bevorzugt die Rolle des Agens bzw. die Rollen Agens und Patiens. Verben mit zwei obligatorischen und einem fakultativen Argument nehmen zusätzlich zu Agens und Patiens im Regelfall die Rolle des Lokativs, der Quelle oder des Ziels. Es lässt sich somit festhalten, dass native und nicht-native Verben dieselbe Dominanz von Agens und Patiens zeigen. Jedoch treten bei Lehnverben lokale und temporale Rollen im Vergleich zu Rezipient und Benefaktiv auffällig häufig auf. Dies deutet darauf hin, dass lokale und temporale Rollen eine geringere Markiertheit aufweisen als die gewöhnlich mit dem Dativ verbundenen Rollen Rezipient und Benefaktiv. Tabelle 3: Argument-Linking: Überblick obligatorische Argumente
NP [nom]
Agens
36,0
Patiens
4,0
NP [akk]
PP
NP [nom]
NP [akk]
PP
90% 20,5
0,5
10%
100%
9%
Lokativ / Quelle / Ziel
4,0
73%
Zeit
1,0
18%
40,0
20,5
5,5
Patiens
3,5
Benefaktiv
1,0
100%
100%
100%
2,5
78%
17%
2,0
22%
14%
fakultative Argumente
Rezipient
1,0
7%
Lokativ / Quelle / Ziel
8,0
55%
Zeit
1,0 4,5
14,5
7% 100%
100%
Betrachten wir schließlich das Argument-Linking bei entlehnten Verben. Tabelle 3 macht deutlich, dass bei entlehnten Verben ebenso wenig wie bei
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Anke Holler und Carmen Scherer
nativen Verben eine 1:1-Zuordnung von syntaktischer zu semantischer Struktur besteht. So kann eine NP im Nominativ sowohl die Rolle des Agens (chatten) als auch des Patiens (floaten) tragen, und die Rolle des Patiens kann nicht nur als NP im Akkusativ (canceln), sondern auch als Nominativ-NP (floaten) oder PP (debattieren über) realisiert werden. Dennoch sind einige Tendenzen sichtbar. Es lassen sich starke Korrelationen zwischen der syntaktischen Realisierung und der semantischen Rolle eines Arguments feststellen: So tragen beispielsweise 90% aller Nominativ-NPs die Agens-Rolle, 100% der obligatorischen und 78% der fakultativen AkkusativNPs die Rolle des Patiens, und die überwiegende Mehrheit der obligatorischen (91%) und fakultativen (62%) PPs sind mit temporalen oder lokalen Rollen verknüpft. Diese Beobachtung legt den Schluss nahe, dass das Argument-Linking bei entlehnten Verben denselben Prinzipien folgt wie bei nativen Verben.
4.
Woher kommt die Argumentstruktur nicht-nativer Verben?
Kehren wir nun zurück zu unserer Ausgangsfragestellung, woher die Argumentstruktur entlehnter Verben kommt. An dieser Stelle sollen die eingangs formulierten Hypothesen erneut evaluiert werden. Hypothese A, nach der die Argumentstruktur aus der Gebersprache übernommen wird, kann aus vielerlei Gründen als widerlegt gelten. Die bereits in Kap. 1 vorgebrachten Argumente sollen an dieser Stelle ergänzt werden. Wie die Studie von Scherer (2007) am Fall von intransitivem mailen zeigte, kann die Hypothese A nicht für alle entlehnten Verben gelten, da es Lehnverben gibt, die eine Argumentstruktur realisieren, die für das betreffende Verb in der Gebersprache nicht belegt ist. Zudem könnten Sprecher, die die Herkunftssprache nicht beherrschen, einem Verb keine Argumentstruktur zuordnen, sodass für diese Fälle eine zusätzliche Erklärung notwendig wird. Schließlich lassen sich die Befunde von Scherer (2007) nicht nur durch Hypothese A, sondern auch durch Hypothese B erklären. Hypothese B1 geht davon aus, dass entlehnte Verben die Argumentstruktur von nativen Äquivalenten übernehmen. Diese Hypothese kann ebenfalls nicht alle Fälle erfassen, da nicht für alle Verben ein natives Äquivalent (chillen, interessieren) existiert. Darüber hinaus gibt es nicht-native Verben, die zwei oder mehrere native Äquivalente mit unterschiedlicher Argumentstruktur haben, so etwa changieren, als dessen Äquivalent sowohl wechseln als auch schillern infrage kommt. Daneben finden sich nicht-native Verben, deren Argumentstruktur von der des nativen Äquivalents abweicht, wie z. B. bei shoppen und einkaufen. Das Argument des einstelligen Verbs shoppen trägt die
Zur Argumentstruktur entlehnter Verben
193
Agens-Rolle und wird als Nominativ-NP realisiert. Das äquivalente native Verb einkaufen hingegen ist zweistellig, die Agens-Rolle ist wie bei shoppen mit einer Nominativ-NP verknüpft, die zusätzliche Patiens-Rolle mit einer NP im Akkusativ. Da die Zuordnung der nativen Äquivalente zudem sprecherabhängig ist, wäre, sofern Hypothese B1 zutrifft, eine weitaus größere Varianz bei den einzelnen Verben zu erwarten, als sie sich de facto beobachten lässt. Hypothese B2 schließlich, der zufolge entlehnte Verben native Argumentstrukturen und -muster nutzen, erfasst die bisher vorliegenden Ergebnisse am besten. Zum Einen steht sie in Einklang mit der empirischen Evidenz der analysierten Stichprobe. Zum Zweiten sind frequente Strukturen salient und schneller verfügbar. Mehr noch: Berücksichtigt man die Deutlichkeit der Ergebnisse, so ist anzunehmen, dass Art und Frequenz der Argumente, die entlehnte Verben realisieren, Rückschlüsse auf die Markiertheitsverhältnisse von Argumentstrukturen im Deutschen im Allgemeinen ermöglichen. 3 Drittens erfasst Hypothese B2 alle nicht-nativen Verben. Sie kann insofern als verifiziert gelten. Dennoch bleiben einige problematische Aspekte bestehen. Diese sind sowohl methodischer als auch theoretischer Art. In methodischer Hinsicht muss darauf verwiesen werden, dass sich die von uns präsentierten Ergebnisse nur bedingt verallgemeinern lassen, da sie auf einer begrenzten Stichprobe von 40 Verben beruhen. Sie bilden damit knapp 1% aller im DFW verzeichneten Verben ab. Zudem ist eine eindeutige Abgrenzung von obligatorischen und fakultativen Argumenten sowie von fakultativen Argumenten und Nicht-Argumenten mit den herkömmlichen Tests und Heuristiken in den gegebenen Satzkontexten nur schwer möglich. Beachtet werden muss darüber hinaus, dass auch zu den nativen Verben im Deutschen bisher verlässliche Daten fehlen. Dies betrifft insbesondere PPs, die als Argumente fungieren, sowie die Frequenz der semantischen Rollen. In theoretischer Hinsicht sollte das in den Belegen beobachtete häufige Auftreten von Adverbialen, die nicht Bestandteil der Argumentstruktur sind, genauer untersucht werden, insbesondere das obligatorische Auftreten zumindest einer Adverbiale, ohne dass diese an eine bestimmte Rolle gebunden wäre. Ein Beispiel hierfür ist das Verb debütieren, das neben dem Agens obligatorisch ein weiteres Argument nimmt, das sowohl die semantische Rolle Lokativ (vgl. 15a) als auch Patiens (vgl. 15b) als auch Zeit (vgl. 15c) einnehmen kann. Ein Satz wie (15d), in dem das Verb mit nur einem, dem AgensArgument, auftritt, ist in unserem Material nicht belegt.
3
Jedoch zeigt das Verb interessieren, dass Lehnverben durchaus ungewöhnliche Argumentstrukturen aufweisen können.
194
Anke Holler und Carmen Scherer
(15) a. b. c. d.
Die Sängerin debütierte an der Mailänder Scala. Die Sängerin debütierte mit dem Musical Cats. Die Sängerin debütierte vor drei Jahren. *Die Sängerin debütierte.
Hier ist zu fragen, ob es neben obligatorischen und fakultativen Argumenten eine Art Wahlpflicht-Argumente gibt, bei denen lediglich deren Auftreten, nicht aber deren semantische Rolle festgelegt ist. Einer Erklärung bedarf auch das Fehlen von NPs im Dativ sowie bestimmter semantischer Rollen, wie Rezipient und Benefaktiv, bei nicht-nativen Verben. Dies kann sowohl ein Artefakt der untersuchten Auswahl an Verben sein als auch eine allgemeine Tendenz verbaler Entlehnung aufzeigen. Nimmt man an, dass entlehnte Verben unmarkierte Argumentstrukturen bevorzugen, kann das Fehlen bestimmter Kasus bzw. Rollen als Hinweis darauf interpretiert werden, dass Argumentstrukturen, die entsprechende Argumente enthalten, markierter sind als jene, die dies nicht tun, und aus diesem Grund seltener vorkommen. Sollte eine repräsentative Studie verbaler Entlehnungen zum selben Ergebnis kommen, müsste die Unterrepräsentation von Dativ-NPs, Rezipienten und Benefaktiven durch eine geeignete Theorie erklärt werden.
5.
Isolation und/oder Integration?
Die Analyse der von uns untersuchten 40 Lehnverben zeigte, dass sich alle syntaktischen Formen und semantischen Rollen, die bei den Argumenten der nicht-nativen Verben beobachtet wurden, auch bei nativen Verben finden und dass das Argument-Linking bei nicht-nativen und nativen Verben nach denselben Prinzipien erfolgt. Nach den Ergebnissen unserer Fallstudie können nichtnative Verben somit hinsichtlich ihrer Argumentstruktur als in das Deutsche integriert gelten. Darüber hinaus ermöglichen die Art und Häufigkeit der Argumentstrukturen, die sich bei nicht-nativen Verben finden lassen, Rückschlüsse darauf, welche Argumentstrukturen im Deutschen als markierter und welche als weniger markiert einzuschätzen sind.
6.
Literatur
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Zur Argumentstruktur entlehnter Verben
195
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7.
Korpora
Berliner Zeitung (BZ). Zugänglich über: DWDS. Das digitale Wörterbuch der deutschen Sprache des 20. Jahrhunderts. (dwds.de) IDS-Korpora. Zugänglich über: Institut für Deutsche Sprache (IDS), Mannheim. (idsmannheim.de)
updatet / datet up Tabelle 5: Syntaktische Struktur verbaler Anglizismen Argumente
Vorlage
OED
chatten
intransitiv
NP[nom], PP[mit]
intransitiv chat1 I,3
checken
a. transitiv
NP[nom], NP[akk] = Objekt
transitiv
check1 IV,16
b. transitiv
NP[nom], NP[akk] = Person (Sport)
transitiv
check1 II,3
chillen
intransitiv
NP[nom]
intransitiv I,1?
designen
a. transitiv
NP[nom], NP[akk]
transitiv
b. intransitiv NP[nom]
III, 14–15
intransitiv III, 16
downloaden transitiv
NP[nom], NP[akk]
transitiv
I
mailen
NP[nom], NP[akk], NP[dat]
transitiv
IV
b. intransitiv NP[nom], PP[an]
transitiv!
IV
relaxen
intransitiv
NP[nom]
intransitiv II, 7
updaten
transitiv
NP[nom], NP[akk]
transitiv
4
a. transitiv
Nicht alle vorhandenen Belege wurden ausgewertet.
I
Zur Argumentstruktur entlehnter Verben
197
8.2. Argumentstrukturen der 40 auswertbaren Verben { [ [ (
} ] bei NP ] bei PP )
ODER UND
8.2.1.
= = = = = =
Tokenfrequenz Angabe von Kasus Angabe der gefundenen Präposition(en) fakultatives Argument alternative Realisierung eines Arguments zusätzlich erforderliche Realisierung des folgenden Arguments
According to a survey,1 47.5% of all the vocabulary words surveyed in 90 Japanese magazines were Chinese in origin. The same survey also reports that 9.8% of vocabulary words were also loan words from other languages like English and Portuguese, and 6% were mixed category. I.e., over 60% of functional vocabulary words in the Japanese language consist of words that originated in languages other than Japanese. Japanese is hardly alone in this scheme. Other languages also contain a large number of loaned words in their lexicon. Korean, for example, also heavily relies on loaned Chinese words just like Japanese does due to the geographical proximity and historical/cultural relations with China. An anonymous reviewer pointed out that in German some nouns that are loaned from English are fully integrated into German lexicon and are no longer felt as loan. For example, Hit (as in music), Citys and Babys are completely Germanized. Words like Ladys and Partys are acceptable as well as Ladies and Parties are suggesting that they are on the way to complete Germanization. The initial vowel of Auto could be pronounced either /ɔ/ or /ɑʊ/ in which the former is English based but the latter German thereby showing that the word is in the partial assimilation with the German lexicon. One of the natural questions that arise here is how the extensive loaning seen in Japanese and Korean was possible. Even though word loaning is commonly observed, the amount of loaning we see in the Japanese lexicon seems to be rather extreme. Furthermore, the integration of loaned words into the Japanese lexicon is an on-going process as many words of English origin are coined even more frequently due to the development of computer technologies * I thank Carmen Scherer, Anke Holler, an anonymous reviewer and all the partici-
1
pants of the session Strategien der Integration und Isolation nicht-nativer Einheiten und Strukuren for helpful comments and suggestions. Professor Hideo Nakagawa generously gave me help with German data. All remaining shortcomings are mine. National Institute of Japanese Language. (1963). Gendai zasshi 90-syu no yogo/yoji, Shyuei Shuppan. Tokyo. pp. 1962-1964. This is a rather old survey, but the trend of using loan words has hardly changed since the survey was conducted, and the number of loan words in the Japanese lexicon has been increasing.
200
Takashi Nakajima
and the wide spread use of the Internet. This fact suggests that there must be a general mechanism that is utilized to do the integration task of loaned words. In this paper, I will argue that loaned words are registered as category neutral “root words”, and they must go under the categorization procedure to function either as V or N. The results are the categorical ambiguity of the loaned words and the Light Verb Construction (LVC). Crucially, native roots must also be specified categorically to function as a part of a predicate. This means that the native mechanism for predicate formation is versatile enough to accommodate the vast number of loaned words. In what follows, I first briefly introduce the Root Hypothesis (Kiparsky 1997, Marantz 1997, 2009, Ramchand 2008) and show how predicates are derived from native roots. Second, I will integrate the LVC with this general scheme of predicate formation and show that the phoneme /s/ plays an important role as a generic verbalizer. This /s/ is the core of the verb suru ‘do’. This verb is chosen for the LVC due to morpho-syntactic and morpho-phonological reasons. The morpho-syntactic reason is that the loaned words are “closed” in the sense that they do not inflect as native roots do, and all the inflection must be borne by suru. The morpho-phonological reason is that while native roots may vary in terms of whether they end in vowels or consonants, loaned Chinese words invariably end in a vowel. This puts a phonological restriction on the choice of an inflection-bearing unit as we shall see below.
2.
Deriving Roots and the Formation of Predicates
In Japanese, verbs in root clauses consist of at least two morphemes that are both bound: a root and the tense morpheme –ru (present) or –ta (past). Verbal roots end either in a vowel or a consonant. Take, for example, verbal roots tabe- ‘eat’ and kak- ‘write’ in which the former ends in the vowel /e/ and the latter in the consonant /k/. Since Japanese is strictly a head final language, both the subject and the object precede the verb. The subject is marked with the nominative marker ga while the object is marked with the accusative marker o. Observe the sentences in (1). (1)
a. Taro ga ringo o tabe-ta. Taro NOM apple ACC eat-PAST ‘Taro ate an apple.’ b. Taro ga tegami o kak-ta. Taro NOM letter ACC write-PAST ‘Taro wrote a letter.’
Loan Words Get-by with A Little Help from Do
201
Japanese is a mora-based language where the basic mora is either V or CV, the combination of a consonant and a vowel.2 There is a strict phonological constraint on mora that dictates that there be no consecutive consonantal hiatus CC. To conform to the constraint, the language employs several readjustment rules to resolve CC hiatus. In (1b), the root final consonant /k/ becomes /i/ in front of /t/ as in kai-ta ‘wrote X’.3 Having observed the basic patterns in verb formation, let us see more specific cases that suggest that we need to postulate (abstract) heads between the root and the tense morphemes.
2.1. Intransitive-Transitive Alternations In addition to the simple cases in (1), Japanese verbal roots show quite a complicated state of affairs with respect to changes in valency and transitivity alternations as Jacobsen (1992) observes. Jacobsen classified them into sixteen basic categories. Take, for example, the pair mawar-u ‘spin, intr.’ and mawasu ‘spin, tr.’ that is classified as Type V in Jacobsen. (2)
a. Koma ga NOM top ‘A top spins.’
mawar-u. spin-PRES
b. John ga koma NOM top John ‘John spins the top.’
o ACC
mawas-u. spin-PRES
Traditionally, the root is taken to be mawar- for intransitive and mawas- for transitive. There are, however, reasons to doubt the accuracy of the traditional analysis, and further breaking down of the root into smaller constituents is necessary. For example, the root mawar- and mawas- are historically related to 2
3
In addition to V and CV morae, there are nasal /n/ and limited cases of consonantal geminates that consist a mora. In this paper, I will ignore such morae since they have little to do with the main discussion of the paper. See Shibatani (1990) for more details about Japanese phonology in general. This reflects the historical changes of the following: kai-ta < kaki-tari < kaki-te ari. The internal structure of kaki-te ari is the following. (i) kaki te ari write GERND be-PAST The verb kaki ‘write’ is in the adnominal form. This verb is further derived to a gerund and finally the tense morpheme attaches. The tense morpheme is actually bimorphemic in which ar- ‘be, inanimate’ is a root. We will see below that some remnants of this classical system are still observable in modern Japanese.
202
Takashi Nakajima
another root maw-i ‘dance’. If we take mawar- and mawas- to be roots, their relation to maw- would be a mere coincidence. Furthermore, it has been noted that /s/ and /r/ consist of two poles of an axis in Japanese word formation in which /s/ is generally associated with volitional activities and /r/ with nonintentional and internally caused event (Ohno et al. 1974). Here are some more examples. Jacobsen (1992) lists 27 cases of this type. (3)
Intransitive Roots with /r/
Transitive Roots with /s/
a. nigoru ‘become muddy’ b. yadoru ‘lodge at’ c. naoru ‘heal’
This suggests that /r/ and /s/ have a vital role to play in verbal root formation both semantically and syntactically, and not isolating them would cause a loss of a significant generalization in Japanese predicate formation. Another piece of evidence that supports that further decomposition is needed comes from idiosyncrasy. I.e., they often show semantic drift. For example, nigos-u ‘muddy’ could be used in the following fashion. 4 (4)
a. Taro ga ochya o nigoshi-ta (koto). Taro NOM tea ACC muddy-PAST (fact) ‘(the fact that) Taro did not give details.’ b. Taro ga kotoba o nigoshi-ta (koto) Taro NOM words ACC muddy-PAST (fact) ‘(the fact that) Taro was not specific.’
The verb nigosu ‘muddy’ takes the direct objects ochya ‘tea’ in (4a) and kotoba ‘words’ in (4b), and as a result, both attain idiomatic meaning of Taro’s deliberately not being specific. This idiosyncrasy does not arise in (5) where the verb appears with mizu ‘water’. (5)
Taro ga ike no mizu o nigoshi-ta. Taro NOM pond POSS water ACC muddy-PAST ‘Taro muddied the water of the pond.’
Furthermore, the intransitive counterpart nigor-u ‘become muddy’ does not give rise to the idiosyncrasy. (6)
4
a. Ochya ga nigor-u. tea NOM become muddy-PRES ‘The tea becomes muddy.’
The nominalizer koto ‘fact’ is added at the end to reduce the contextual awkwardness the exhaustive listing reading that nominative marker ga brings.
Loan Words Get-by with A Little Help from Do
203
b. ?*Kotoba ga nigor-u. words NOM become muddy-PRES lit. ‘Words become muddy.’ Sentences (5) and (6) suggest that /s/ makes nigos-u a transitive verb and possible to take a direct object. When it does so with particular and marked ones such as ochya ‘tea’ and kotoba ‘words’ the idiosyncrasy arises in a similar way as kick the bucket in English. That is, there is direct link between the transitivizer /s/ and the semantic drift. In what follows, we will see that the Root Hypothesis gives a natural explanation to this situation.
2.2. Decomposing the Roots and the Root Hypothesis Languages have intransitive and transitive alternations similar to (3). The verb spin in English, for example, is used both for intransitive and transitive use. The former creates an inchoative predicate while the latter a causative predicate. This is presumably universal due to our general properties of event cognition. If something spins, it has an inherent property to do so, and there should be some external force that brings about the event of spinning. How languages encode this state of affairs and externalize them at the interface vary, however. In the case of Japanese verbal formation, certain morpho-phonemes such as /s/ and /r/ are loaded with syntactic and semantic features and are added to a root to create not only the intransitive and transitive alternations but also semantic idiosyncrasy. Such symbols are “like the phonetic units of mental representation” (Chomsky 2008: 16). Languages like English do not choose the Japanese type strategy, and the intransitive and transitive use of the verb spin is indistinguishable on the surface although the distinction is presumably made at the level of l-syntax (Hale/Keyser 1993, 1999, 2002). In the recent literature, an important theoretical advancement has been made that puts the tradition of lexical semantics, event semantics and generative syntax together. The theory is called the Root Hypothesis (Marantz 1997, 2007, Embick/Marantz 2008, Kiparsky 1997, Harley/Noyer 2003, Arad 2003, 2005 to name just a few). One of the most important tenets of the theory is the recognition of a category neutral root (√). To see this, take the difference between the paddle type and the tape type words in English. They both function either as V or N, but paddleV does not require the existence of actual paddlesN in sentence interpretation but tapeV does. In fact, such involvement is obligatory. Consider the sentences in (7) that are taken from Arad (2003). (7)
a. I paddled the canoe with a copy of the New York Times. b. *She taped the picture to the wall with pushpins. c. She taped the picture to the wall with duct tape.
204
Takashi Nakajima
The contrast between paddle and tape in (7) shows that some verbs are more complex than others, and some deeper analysis is necessary. This contrast is captured well by the following proposal from Kiparsky (1997). (8)
The Root Hypothesis Morphologically, noun and verb could still be analyzed as related, but the relationship would be a matter of a derivation from a common root. (Kiparsky 1997: 488)
By adopting the Root Hypothesis, Arad (2003) proposes the following derivations for paddle and tape which are shown in (9) and (10), respectively. (9)
The derivation of √paddle a. V V
b.
√paddle
N
(10) The derivation of √tape a. N N
N
b.
√tape
√paddle V
V
N N
√tape
The verbalization of tape involves two steps; the first step derives √tape to N, then this N is further derived to V. This nominal part within V (i) prevents it from being a genuine activity verb and (ii) explains the obligatory involvement of some physical tape. Paddle does not have this complex structure, therefore, it simply behaves either as V or N. The Root Hypothesis is also adapted to verbs (Chomsky 1995, 1999, Arad 2003. 2005, Borer 2005, Embick (to appear), Harley 2008, Marantz 2007, Ramchand 2001, 2008, Travis (in preparation) and many others). Abstracting away from certain differences and simplifying them somewhat, let us adapt the following syntactic representation for VP where it contains three layers of projections: the ROOT (√), the category defining head v and transitivier v. (11)
vP spec
v v
vP spec
v √ROOT
v
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205
The “little” v head determines the category of the root as verb. If the root is unergative, spec of vP does not appear since it is the position for direct objects. The subject is licensed in the spec of v. This subject ultimately merges with T for the case reason as traditionally assumed. If the root is transitive, the spec vP projects and is occupied by the direct object. The subject is licensed in the spec vP. If the root is unaccusative, the direct object of the root appears in spec vP. vP that projects on top of the unaccusative vP is defective and does not license an argument in its spec position (Chomsky 1995). Thus, the direct object internally merges with vP and appears as a surface subject. Adapting (11), the verbs tabe-ru ‘eat’ and kak-u ‘write’ in (1) has the following structure (12)
TP vP spec Taro ga
v vP
spec ringo o
T
v v
√ROOT
tegami o tabe-
ta
ø v ø
kakThis shows that when verbal roots are simple and have no extra morpho-phonemic items, v and v heads are phonetically null.5 These “functional” heads become overt when V is more complex. For example, the inchoative-causative pair mawar-u ‘spinintr.’ and mawas-u ‘spintr.’ in (2) has the following representations. In (13) the phoneme /a/ appears as v and categorizes the root as verb. There are two basic reasons for this choice. First, /a/ has [+V] feature. It has continuously been the core of the verbal root ar- ‘exist, be’ in the history of Japanese. Second, this appearance is necessary for a phonological reason. Recall that in Japanese mora structure, CC hiatus is strictly forbidden. Since the root ends in the consonant /w/, it would make CC hiatus with /r/ and /s/ in (13a) and in 5
Marantz (2008: 6) argues that “little x heads” (i.e., category determining heads such as v) “would be incapable of being uttered by itself”. They become overt only with the presence of other language particular inflectional items in the layers above them.
206
Takashi Nakajima
(13b), respectively. To break the consonantal hiatus and make it in conformity with the mora requirement, /a/ as the overt realization of the v head is needed. 6 (13) a.
mawar-
b.
mawas-
vP spec koma ga
vP v
vP
spec
v
spec v
Taro ga
rINCHOATIVE
spec
v vP
v v
sCAUS.
(koma) √ROOT
v
koma o √ROOT
v
maw-
a
maw-
a
(13a) and (13b) diverge on the next derivational cycle. In (13a) the inchoative/passive marker /r/ appears as the head of v. This v is defective and does not license its own argument. The specifier of v, however, needs to be filled due to the EPP requirement, and this forces the internal argument in spec v to internally merge with v leaving its copy behind. In (13b), the transitivezer /s/ merges with the vP. Since this head licenses an agentive subject in its spec position, the internal argument stays in situ and is marked with ACC case o. The proposed analysis captures the lexical relatedness and semantics in a well disciplined manner while utilizing independently motivated syntactic positions. Under this analysis, the syntax and the semantics of verbal morphology has one-to-one mapping relation via designated morpho-phonemes such as /r/ and /s/. Note that the majority of Jacobsen’s sixteen classifications is 6
With regard to the choice of overt version of v, it is interesting to observe that there is a limited number of such items in Jacobsen’s classification, /a/, /i/, /o/ to be specific, and these vowels are all allomorphs of the verb be. /a/ and /o/ constitute ar-u ‘be, inanimate’ and or-u ‘be, animate’ that is slightly archaic while /i/ constitutes ir-u ‘be, animate’. Here are partial list of intransitive-transitive alternations with such overt v heads. (i) -i-/-as- (Type X) a. dekir-u ‘come into existence b. dekas-u ‘bring about’ c. mitir-u ‘become full’ d. mitas-u ‘fill’ f. tozas-u ‘closetr.’ e. tozir-u ‘closeintr.’ (ii) -i-/-os- (Type XI) a. horobir-u ‘go to ruin’ b. horobos-u ‘destroy’ d. okos-u ‘gettr. up’ c. okir-u ‘get upintr.’ e. otir-u ‘fall’ f. otos-u ‘drop’
207
Loan Words Get-by with A Little Help from Do
done in terms of such morpho-phonemes as /e/, /o/ and zero ø in addition to /r/ and /s/. These phonemes continuously play pivotal roles in the history of Japanese language. For example, /e/ ‘obtain, get’ has been tacitly assumed to be an auxiliary verb that expresses potentiality. Whitman (2008) proposes that this /e/ was an inchoative and transitive maker and played a crucial role for the emergence of the bigrade conjugational system in Old Japanese. Furthermore, passive morpheme rare and causative morphemes sase are the combinations of those morpho-phonemes. These facts suggest other transitivity alternation patterns as well as passive and causative constructions may be explained in a similar fashion. To give a more comprehensive view on the scheme, I will take up two types of transitivity alternations from Jacobsen (1992) that make an interesting contrast. They are his Type I and Type II shown below. (14) Type I -e-/ø a. hageru ‘peel offintr.’
b. hagu ‘peel offtr.’
(15) Type II ø/-ea. aku ‘openintr.’
b. akeru ‘opentr.’
As depicted here, Type I and Type II have exactly the opposite distribution of the phoneme /e/, and it seems difficult to make a generalization. Under the proposed analysis, however, there is a natural solution to this puzzle. Recall that in the simple cases, the v and v heads are phonetically null. This means that when there is no need for overt realization of these heads, they remain null, and they become overt only when (a) some new features are added to the head and/or (b) phonology requires it. That is, we expect that verbs that consist of a fewer number of functional heads be more basic. If this is correct, (14a) is derived from (14b) since the latter has fewer overt heads. Similarly, (15b) is derived from (15a) since the former has fewer overt heads. The role of /e/ differs in that it makes inchoative in (14a) while it makes transitive in (15b) presumably because of the nature of the associated roots. When the root is transitive, /e/ makes it inchoative as in (14), but when the root is intransitive, it makes the root transitive as in (15). See below. (16) a. Postaa ga hager-u. peel off-PRES poster NOM ‘The poster peels off.’ b. John ga postaa o hagu. NOM poster ACC peel-PRES John ‘John peels posters off.’
208
Takashi Nakajima
(17) a.
hager-
b.
hag-
vP spec postaa ga
vP v
vP
spec
v
spec v
John ga
eINCHOATIVE
spec
v
(postaa) √ROOT hag-
v vP
v v
postaa o √ROOT
ø
ø v
hag-
ø
/e/ appears in the v positioning (17a) and makes the root inchoative. If no such derivation is done, the root simply remains transitive, and both v and v heads are phonetically null. Exactly the opposite situation holds for (15). (18) a. Doa ga ak-u. NOM open-PRES door ‘The door opens.’ b. John ga doa o NOM door ACC John ‘John opens the door.’ (19) a.
ake-ru. open-PRES
ak-
b.
aker-
vP spec doa ga
v vP
spec v
John ga
øINCHOATIVE
spec
√ROOT
v
doa o
ak-
ø
spec (doa)
vP
v
v vP
v v
e
√ROOT
v
ak-
ø
Here, /e/ appears in the v position in (19b) and makes the root transitive. In this case, /e/ functions more like ‘get’ in English ‘get causative’. Note that ‘get’ is one of the original meanings associated with /e/, therefore, it is not surprising that it appears in the v position as a grammaticalized verbal element. In (19a), ak- ‘open’ simply remains as an inchoative verb.
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This root ak- is also related to akas-u ‘spend (the night)’ that is classified as Type IX in Jacobsen (1992). (20)
John ga yoru o John NOM night ACC ‘John spent the night.’
akasi-ta. spend-PAST
This is analyzed as follows. (21)
vP spec John ga
v vP
spec
v v
yoru o √ROOT ak-
s v a
The causative marker /s/ appears in the v position and makes the root transitive. The verbalizer /a/ is overt due to the reasons discussed above. What is interesting with akas-u is that this is highly idiomatic: it almost exclusively appears with the direct object yoru ‘night’, or its equivalents such as yo, with the meaning of spending a night. A similar case of semantic drift is also discussed in (4) above where the verb nigos-u ‘muddy’ appears with particular direct objects such as kotoba ‘words’ and ochya ‘tea’ and delivers the meaning of deliberately being vague. The proposed theory can give a natural account for this phenomenon. According to Marantz (2008, see also Dubinsky and Simango 1996, Embick (to appear), Embick/Marantz 2008, Arad 2003, Ramchand 2008 etc.), the first category defining derivation is “inner morphology”, and this is assumed to be where idiosyncrasy could occur. Derivations after inner morphology are “outer morphology” where no such semantic drift is expected. Since the direct object yoru ‘night’ is in the inner morphology vP, the observed idiosyncrasy comes as no surprise.7 7
As we have seen in fn.6, the overt version of the inner morphology v is one of the allomorphs of the verb ‘be’, /a/, /i/, and /o/. Similarly, the overt versions of outer morphology are limited in number and kind; they are /s/ (causative), /r/ (passive), and /e/ (‘get’). Excluding grammaticalized aspectual verbs such as hazimer-u ‘begin’, owar-u ‘end’ and tuzuker-u ‘continue’, the Japanese verbal morphology is quite regular and can be schematized as follows.
210
Takashi Nakajima
Having seen the basic morpho-syntax and semantics of Japanese verbal predicate formation, let us turn our attention to the loan word syntax: the light verb construction.
3.
Light Verb Construction (LVC) and Its Analyses
In Japanese, words with Chinese origin appear most robustly in the LVC. One of the most important properties of the LVC is that it has a bi-morphemic structure in that the loaned words are combined with the “light” verb ‘do’ (surin Japanese, hada in Korean and et- in Turkish). Consider (22). GAKUSHYU (22) a. Taro ga suugaku o NOM math ACC study Taro ‘(the fact that) Taroo studies math.’
sur-u (koto). do-PRES (fact)
sur-u (koto) b. Taro ga suugaku no GAKUSYHU o NOM math GEN study ACC do-PRES (fact) Taro ‘(the fact that) Taro does the study of math.’ In (22a), GAKUSHYU ‘study’ makes a complex predicate [GAKUSHYU suru] with the light verb suru, a native Japanese verb that is equivalent to English ‘do’.8 In (22b), the situation is slightly different. In this case, GAKUSHYU is separated from the light verb suru and receives ACC case. Its internal argument suugaku ‘math’ is licensed with GEN case. In other words, in (22a) GAKUSHYU behaves like it is a part of the complex verb and assigns ACC case to its internal argument, but in (22b) it behaves like a noun. Due to these dual properties of being V and N simultaneously, loaned words that participate in the syntax of LVC are called verbal nouns (VNs) 9. –––––––—––
8
9
(i) [[[√ROOT] be ]vP s/r/e ]vP Varieties of syntactic and semantic properties are derived by the nature of the √ROOT, v and v heads and their interactions. This seems to be the nature of the agglutinative character of Japanese syntax. Aspectual verbs mentioned above merge with the results of (i). If correct, as it seems to be, this gives a significant generalization about Japanese morpho-syntax. ‘Do’ is called ‘light’ because it lacks much of the semantic content and appears even in stative-like predicates. (i) John-wa aoi me-o shi-te ir-u. TOP blue eye-ACC do-GERND be-PRES ‘John has blue eyes. ’ I capitalize VNs (e.g. GAKUSHYU) hereafter.
Loan Words Get-by with A Little Help from Do
211
The LVC reflects the properties of VNs in their syntactic realization. The ACC case alternation in (22) is degraded somewhat with unaccusative VNs. 10 Consider (23) below. (23) a. Mizu ga ZYOHATSU shi-ta. water NOM evaporate do-PRES ‘The water evaporated.’ ZYOHATSU o shi-ta. b. ?Mizu ga water NOM evaporate ACC do-PRES ‘The water evaporated.’
Unergative verbs, on the contrary, show the alternation. (24) a. Taro ga UNDO shi-ta. NOM exercise do-PAST Taro ‘Taro exercised.’ UNDO o shi-ta. b. Taro ga NOM exercise ACC do-PAST Taro ‘Taro exercised.’
Some languages allow double assignment of ACC case. This is most robustly observed in Korean. (25)
John
i
ku cha-lul WUNCHEN-ul hay-ss-ta. that car ACC drive ACC do-PAST-DEC ‘John drove the car.’ NOM
Yet, some VNs such as HOYO ‘embrace’, MIRYO ‘charm’ and MOORA ‘ (exhaustively) list’ do not allow their internal arguments to appear with GEN case. (26) a. Wakamono ga koibito o HOYO shi-ta. NOM lover ACC embrace do-PAST young man ‘The young man embraced his lover.’ b. *Wakamono young man
ga NOM
o shi-ta. koibito no HOYO lover GEN embrace ACC do-PAST
As this quick observation shows, the LVC exhibits complicated predicate formation and argument licensing patterns.
10
It has been argued in the literature that unaccusative VNs do not allow ACC -o marking on them as in (23b). I argue below, however, that this is in principle possible albeit somewhat degraded grammaticality due to the semantic mismatch between unaccusative VNs and /s/ as v head.
212
Takashi Nakajima
One of the main topics of the study of the LVC has been to show how semantic information and event types are syntactically realized. Here is a partial list of past analyses.11 Lexical Approach: Argument Transfer Grimshaw/Mester (1988) Syntactic Approaches from the Generative Tradition: They utilize Incorporation (Baker 1988) in one way or another. Ahn (1991), Nakajima (1993), Dubinsky (1994), Saito/Hoshi (2000) among numerous others. Syntactic Approach other than Generative Grammar: LFG framework Sells (1995), Matsumoto (1996), Jun (2003), etc. The problem is that with so many analyses based upon different theoretical assumptions available, it is difficult to assess which one really captures the fundamentals of the phenomenon. Also, none of the above approaches take the loan-word nature of VNs into consideration. In this study, I will analyze the properties of VNs a little bit deeper and propose that they are category neutral root (√) words that parallel the native roots. While they contain the core of semantics that makes up a predicate, they cannot behave as V alone due to their category neutral status. Thus, they need to incorporate a functional head v or n (Marantz 2007) to determine their part of speech.
3.1. The Root Hypothesis and LVC As we have seen above, the Root Hypothesis gives us an insightful view of the composition of lexical items, their meanings and grammatical expressions. I believe that it is also effective in analyzing the nature of VNs and the LVC. Recall that VNs are categorically ambiguous between V and N. It is ultimately the environment that determines their category. This fact could be taken as evidence for their categorical neutrality, i.e., they are roots (√), and their category needs to be determined syntactically. This assumption is further strengthened by the fact that VNs are categorically ambiguous between V and N even in their native Chinese (Han and Rambow 2000). From the observations above, let us adopt the Root Hypothesis by analyzing the VNs and the LVC. One piece of supporting evidence for this move is that the LVC does show semantic idiosyncrasy although it may not be as frequent. The VN ZYOHATSU ‘evaporate’, for example, gains idiomatic meaning of one’s 11
The space limitation does not allow me to go into detailed critiques on previous approaches to the LVC in the literature. Interested readers may consult Jun (2003) for a comprehensive review of each approach.
213
Loan Words Get-by with A Little Help from Do
sudden and unexpected disappearance without leaving trace as in John ga disappeared.’ This would be expected if VNs are treated
ZYOHATSU shita ‘John as a √ROOT category.
3.2. VNs as Category Neutral Root Words (√) Adopting the Root Hypothesis, let us assume that the LVC predicate in (22) goes through the following derivations. (27) a. GAKUSHYU [[GAKUSHYU ] ø]nP b. GAKUSHYU [[[√GAKUSHYU] ø]vP s]vP This is the same as the derivations in (11). The root VNs are derived to N or V by category defining functional “little” heads n and v. /s/ appears as the head of transitivizer head v and marks the vP below as transitive. 3.3. What’s Good About This? The derivational scheme in (27) immediately explains the contrast in (22), which is repeated as (28) for convenience. GAKUSHYU (28) a. Taro ga suugaku o NOM math ACC study Taro ‘(the fact that) Taroo studies math.’ b. Taro ga suugaku no GAKUSYHU NOM math. GEN study Taro ‘(the fact that) Taro does the study of math.’
sur-u (koto). do-PRES (fact) o ACC
sur-u (koto) do-PRES (fact)
In (28a), the VN GAKUSHYU makes a complex predicate together with the LV. This is why the internal argument of the VN suugaku ‘math’ receives ACC case from the predicate. This is shown in (29). (29)
vP spec
v
Taro ga
vP
spec
v v
suugaku o √ROOT GAKUSHYU
s v ø
214
Takashi Nakajima
The head of v is null because the root is a word and is a free morpheme. Since every free morpheme ends in a vowel in Japanese, the overt realization of the v head is not necessary given that the word final vowel and /s/ always satisfy the CV more requirement. In (28b) the VN is derived to N. The /s/ appears as the root and takes the VN as its complement. The internal argument of the VN is licensed with GEN case.12 See (30). (30)
vP spec Taro ga
v vP
v
spec
v
[suugaku no GAKUSHYU] o √ROOT s
ø v ø
In (30), /s/ is the root and not the head of v. This is so because if it were not the root, the clause would become root-less, which is impossible. I argue that this versatility of /s/, i.e., it could either be the transitivizer (v) or the root (√), is at the heart of the extremely productive nature of the LVC. It enables the scheme (11) to be used in two ways as depicted in (29) and (30) and makes the massive adaptation of loan words into the Japanese lexicon possible.
3.4. Unergative and Unaccusative VNs Unergative VNs such as UNDO in (24) can be explained in the same fashion. When unergative VNs appear with ACC case, /s/ is the root. If they make a single predicate with /s/, the VN is the root. This is shown in (31a) and (31b), respectively Unergative verbs do not have internal arguments by definition. Thus they do not project spec at the vP cycle as in (31b).
12
The internal structure of [suugaku no [√GAKUSYU] ø n]]]
GAKUSHU]
would be [GEN suugaku [GEN no [nP
215
Loan Words Get-by with A Little Help from Do
(31) a.
vP spec
v
Taro ga
vP
spec UNDO
b.
v
o √ROOT s
vP spec
v
v
Taro ga
vP
v
ø
√ROOT
v
v
UNDO
ø
s
ø
Unaccusative VNs such as ZYOHATSU in (23) have slightly different properties. Recall that when unaccusative VNs appear with the ACC marker o, the sentence is degraded. See (32). ZYOHATSU (32) a. Mizu ga NOM evaporate water ‘The water evaporated.’ ZYOHATSU-o b. ??Mizu ga NOM evaporate ACC water ‘The water evaporated.’
shi-ta. do-PRES shi-ta. do-PRES
Let us first see (32a). Since the surface subject mizu ‘water’ is the underlying object, it occupies the spec of vP in inner morphology. Unaccusative VNs, however, cannot assign case to their internal arguments, and as a consequence, they must be realized in the spec of vP. This is possible because the v in this case is defective and cannot license its own argument. These considerations give the following analysis. (33)
vP spec
v
mizu ga
vP
spec (mizu)
v v
s
√ROOT
v
ZYOHATSU
ø
Let us examine (32b). This is degraded; however, expressions of this type are not uncommon in discourse. That the VN receives ACC case suggests that it is in the spec of vP. See (34) below.
216
Takashi Nakajima
(34)
vP spec mizu ga
v vP
v
spec ZYOHATSU
v
ø
o √ROOT
v
s
ø
This is an apparent mismatch between the unaccusative nature of VN and the syntax that has /s/ as its root. More specifically, the subject mizu ‘water’ receives agentive interpretation while the unaccusative VN only licenses nonagentive internal argument. In other words, unaccusative VN is realized in the conventional transitive syntax, and this seems to be the source of the grammatical degradation. As noted above, however, these types of expressions are not uncommon. In fact, they are sometimes required. Consider (35). (35) Mizu ga totsuzen no ZYOHATSU o/*?ø suru wake ga do reason NOM water NOM sudden GEN evaporate ACC nai NEG-PRES ‘There is no reason for the water evaporating suddenly.’ In (35), the unaccusative VN ZYOHATSU makes a complex NP with totsuzen ‘sudden’ and receives ACC case. This forces the complex NP to be in the spec of vP that is headed by /s/. Interestingly, ACC marker is obligatory in this case. (36)
vP spec mizu ga
v vP
spec
v v
[totsuzen no ZYOHATSU] o √ROOT s
ø v ø
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Loan Words Get-by with A Little Help from Do
It is not immediately clear why ACC case marking is obligatory in (36); however, what is significant here is the possibility that syntactic apparatus overrides the semantics of VNs.
3.5. Double Accusative Case Assignment The current analysis gives an interesting account for the double ACC case assignment we have seen in (25). It is repeated below. ku cha-lul WUNCHEN-ul hay-ss-ta. that car ACC drive ACC do-past-DEC ‘John drove the car.’
(37) John i
NOM
I tentatively propose that Korean allows the iteration (i.e., internal merge) of the same VNs. (38)
vP v
Johni nP
v
vP ku cha lul (√WUNCHENi)
n v √WUNCHENi v
hayn -ul ø
ø Here, the VN WUNCHEN is typed as V and projects vP in the first cycle. In so doing, it licenses the internal argument ku cha ‘that car’ and assigns ACC case to it. In the second cycle, the whole vP is licensed in the spec position of another instance of VN WUNCHEN. This VN is the one that gets phonological content at the interface. Importantly and crucially, the VN is derived to N in the second cycle and is given ACC case by hada ‘do’ in its complement position. Note that hada ‘do’ in this case is a ‘heavy’ and a real verb. The Japanese equivalent to (37) sounds awkward due to the ‘Double o’ (Kuroda 1965) constraint, which says that a clause has no more than one ACC marker ‘o’.13 13
This does not mean that the double ACC case assignment in the LVC never occurs in Japanese. On the contrary, it does fairly often in discourse particularly with
218
Takashi Nakajima
(39) ??John ga sono kuruma o UNTEN o shi-ta. ACC drive ACC do-PAST John NOM that car ‘John drove the car.’ This double ACC construction is probably reminiscent to the English ACC– ing nominalization of the following type (Harley 2009, taken from Lees (1960)). (40) Belushi(’s) foolishly mixing drugs and alcohol was the cause of his death. In the ACC-ing construction, verbs assign ACC case to their direct objects and allow modification by adverbs. In the Korean and the Japanese examples, these generalizations hold. For example, in the Japanese example (39) the adverb hayaku ‘quickly’ may modify the clause but not the adjective hayai ‘quick’. (41) ??John ga sono kuruma o hayaku/*hayai UNTEN o shi-ta. ACC slowly/slow drive ACC do-PAST John NOM that car ‘John drove the car.’ Harley (2009:325) analyzes (40) as follows (slightly simplified). (42)
nP n -ing
VoiceP DP
Voice’ VP
Belushi Voice+acc ø
V
DP
mix
drugs and alcohol
For Harley, VoiceP is responsible for both the ACC case marking and the licensing of the subject. The verb mix originates in the lower VP and moves cyclically to the head of nP where it gains [+N] feature. Putting aside some differences, what is important for our purpose here is the similarities of the general scheme of the derivations; both in English and Korean/Japanese, the –––––––—–– emphatic effect. At the same time, some Korean informants told me that against the wide spread belief that Korean easily allows the double ACC assignment, it is also marked in the language as well. If correct, it is safe to say that the double ACC construction is equally marked in both languages. Theoretically speaking, the double derivation of VNs is a possibility due to how they are categorized.
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219
roots are derived twice from V to N while licensing their arguments along the way.14 The nP in (42) could appear in the object position. (43) People hated [Belushi mixing drugs and alcohol]. (43) and (38) are near equivalent at least at the level of the derivation of the roots and the direct object licensing. The major difference lies in the subject licensing; in English the Voice head licenses it while in Korean and Japanese the light verbs do. If the voice head is the overt realization of v since VoiceP is assumed to determine the transitivity of the verb, the similarities become even more significant. A question still remains as to why (39) is marked on the one hand while (37) is not on the other. If the ‘Double o’ constraint is nothing more than a surface filter, a deeper explanation is called for. I leave this important issue for future research.
4.
Conclusion
In this paper, I have shown how Chinese loan words are utilized in the native grammar of Japanese. I argued that the Root Hypothesis gives a natural and independently motivated solution to wide range of complex syntactic phenomena the LVC shows. The most crucial point of the analysis is that the phoneme /s/ is used in two ways; it could either be a root (√) or the head of overt v. This resourcefulness of the phoneme /s/ makes the Japanese grammar more complicated (Kuroda 1998), but at the same time it is an indispensable ingredient for the use of loan words.
5.
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Takashi Nakajima
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Beatrice Alex und Alexander Onysko
Zum Erkennen von Anglizismen im Deutschen: der Vergleich einer automatisierten und einer manuellen Erhebung
1.
Notwendige Entwicklungen in der Anglizismenforschung
Der Einfluss des Englischen auf das Deutsche hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts zu einem wichtigen Untersuchungsgegenstand der germanistischen Sprachwissenschaft und zum Teil der deutschen Anglistik entwickelt. Mit dem Aufkommen der Sprachkontaktmodelle und Lehntypologien von Betz (1936, 1949), Haugen (1950) und Weinreich (1953) intensivierte sich auch das sprachwissenschaftliche Interesse am zunehmenden anglo-amerikanischen Einfluss im Deutschen (vgl. Carstensen 1965, Fink 1968, Galinsky 1963, Zindler 1959). In der Folge kam es zur Abänderung der vorgeschlagenen Terminologien, die einerseits als Reaktion auf die Starrheit von vor allem der Betzschen Taxonomie entstanden und die sich andererseits aufgrund des bestehenden Graubereiches schwer fassbarer, möglicher kontakt-induzierter Spracheinflüsse fortführen (vgl. u. a. Duckworth 1977, Carstensen/Busse 1993, Gottlieb 1999, Winter-Froemel 2005). Bis heute herrscht in der Forschung teilweise Uneinigkeit darüber, was unter dem konzeptuellen Kernstück des englischen Einflusses, dem Begriff Anglizismus, genau zu verstehen sei. Zugleich spiegelt der öffentliche Diskurs das Bewusstsein über ein vermehrtes Vorkommen englischer Elemente im Deutschen wieder, das sich besonders ab der zweiten Hälfte der Neunziger-Jahre in der Gründung privater Sprachpflegeorganisationen und damit in Verbindung stehenden radikaleren Diskursformen wider das Fremde äußert (vgl. Pfalzgraf 2006). Spitzmüller (2005) konstatiert ein SichEntfremden des wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurses zur Frage des englischen Einflusses, da die öffentliche Konzeption von Sprache als statisches, abgrenzbares Konstrukt dem linguistischen Verständnis von Sprache als offenes sich ständig wandelndes System gegenübersteht. Es liegt in diesem Fall insbesondere an der Sprachwissenschaft, die Brücke zwischen wissenschaftlichem und öffentlichem Diskurs zu schlagen, und ein mögliches Mittel dazu stellt die Aufbereitung der Ergebnisse wissenschaftlicher Analysen des englischen Einflusses auf das Deutsche dar. Abseits der Spannung zwischen der wissenschaftlichen und der öffentlichen Seite des Diskurses zu englischen Lehneinflüssen hat die Integration englischer Einheiten im Deutschen durch politische, ökonomische und vor allem aufgrund der raschen informationstechnologischen Entwicklungen seit den 60er Jahren bis heute weiter zugenom-
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Beatrice Alex und Alexander Onysko
men. So stellen bspw. Lee (1996), Yang (1990), Schelper (1995), Plümer (2000) und Onysko (2007) einen steten Anstieg in der Verwendung von Anglizismen in verschiedenen deutschen Presseorganen in ausgewählten Zeiträumen bis zur Jahrtausendwende fest. Ein immerwährendes Problem dieser Studien zeigt sich in verschiedenem Maße allerdings in deren Einschränkungen, was die Korpusauswahl und -analyse betrifft. Schließlich bleibt die manuelle Identifikation von Anglizismen (auch mit Unterstützung korpuslinguistischer Software, vgl. Onysko 2006) eine äußerst arbeitsaufwendige Methode. Diese Begrenztheit wird umso spürbarer, je rascher sich die deutsche Sprache infolge der Möglichkeiten der neuen Informationstechnologien (besonders des Internets) weiterentwickelt, je mehr sie dadurch in Kontakt mit dem Englischen tritt und je stärker sich ein erst- und zweit(Lerner)sprachlicher Bilingualismus in Deutsch und Englisch innerhalb der deutschsprachigen Bevölkerung manifestiert. Um weiterhin quantitativ und qualitativ relevante und differenzierte Aussagen treffen zu können, die das mannigfaltige Vorkommen von Anglizismen in verschiedenen Textsorten, in der gesprochenen Sprache und in diversen Diskurssegmenten wie zum Beispiel in der Werbung, in der Jugendsprache, im computertechnischen Jargon, im (Trend-)Sport, in der Mode und im Lifestyle, in der Politik und in der Wirtschaft dokumentieren, scheint die Anwendung computerisierter automatischer Prozesse zur Erkennung von Anglizismen im Deutschen unabdingbar. Dieser Beitrag widmet sich diesem Neuland der Anglizismenforschung und verfolgt die folgenden Ziele: (a) Die Leistung eines neu entwickelten und sich in Weiterentwicklung befindlichen Computerprogrammes, des English Inclusion Classifiers (vgl. Alex 2008), soll mit Hilfe eines Vergleiches mit einer umfangreichen Studie über Anglizismen im Nachrichtenmagazin Der Spiegel, Jahrgang 2000 (Onysko 2007),1 auf seine Effizienz und auf seine Mängel bei der automatischen Erkennung von Anglizismen geprüft werden. (b) Daraus sollen allgemeine Einsichten zu Problemen der Klassifizierung nicht-nativer Einheiten und Lösungsvorschläge zur automatischen Erkennung derselben entstehen. Ein funktionierendes System zur automatisierten Erkennung von Anglizismen sollte schließlich darauf ausgerichtet werden, die Analyse großer Sprachdatenmengen aus verschiedenen Diskursbereichen zu ermöglichen, die nicht nur quantitative und qualitative Rückschlüsse auf das Vorkommen und die Integration von Anglizismen zulassen, sondern auch für lexikographische Zwecke genutzt werden können. Um diese Themenbereiche in dem Beitrag zu umreißen, gliedert sich der Aufsatz folgendermaßen: Zuerst werden kurz die bisher wichtigsten Versuche 1
Das Korpus umfasst die 53 Ausgaben des Spiegels im Jahr 2000 mit einer Wortanzahl von 287.301 Types und 5.202.583 Token.
Zum Erkennen von Anglizismen im Deutschen
225
der automatisierten Erkennung von nicht-nativen Einheiten dargestellt. Danach werden die theoretischen Grundlagen für den Vergleich der manuellen und der automatisierten Erhebung erörtert, wobei die Definition des Begriffes Anglizismus das zentrale Kriterium für den Vergleich der beiden Arbeitsweisen darstellt. Dies ist insofern von Bedeutung, als dass die Interpretation der Resultate grundlegend mit dem Verständnis von Anglizismus und englischer Einheit zusammenhängt. Aufbauend auf der Einführung in den English Inclusion Classifier (EIC) und in die Methodik der Erhebung zeigen die Resultate der automatischen Klassifizierung, inwieweit sich diese mit der manuellen Analyse von Anglizismen im Spiegel, Jahrgang 2000, decken. Die Ergebnisse des Vergleiches fließen in die abschließende Diskussion, welche Vorteile der automatischen Erkennung und notwendige weitere Entwicklungen aufzeigt.
2.
Bisherige Forschung zur automatischen Erkennung von nichtnativen Elementen
In den letzten Jahren sind die ersten Entwicklungen im Bereich der automatischen Erkennung von englischen Elementen in unterschiedlichen Sprachen unternommen worden. Die Studien verfolgen verschiedene Ansätze, die bis dato nur unter kontrollierten Bedingungen ausreichend genaue Ergebnisse bringen. Bartsch und Siegrist (2002), zum Beispiel, verwendeten eine Liste typischer englischer Suffixe und Zeichenfolgen, um Anglizismen im Darmstädter Corpus Deutscher Fachsprachen zu identifizieren, ohne jedoch ihre Resultate zu evaluieren. Die Erkennung englischer Einheiten in Marcadet et al. (2005) erfolgt indem potentielle englische Einheiten automatisch im Wörterbuch gesucht werden. Zusätzlich werden Worte mit Hilfe von sprachtypischen n-grams nach ihrer englischen Herkunft klassifiziert. Die Fehlerquote im relativ kleinen und kontrollierten Testdatenset ist sehr gering, allerdings konnten die Ergebnisse noch nicht mit natürlichen Sprachdaten bestätigt werden. Eine ähnliche Methodik, die Kombination von n-grams und die direkte Suche nach englischen Ausdrücken, wurde von Andersen (2005) zur Erkennung von Anglizismen in einem norwegischen Neologismen-Archiv angewendet. Die Genauigkeit der Identifizierung erscheint mit 96,32% insgesamt hoch, da allerdings der Anteil an Anglizismen mit 5,53% im gesamten Korpus sehr gering ist, ergibt sich von vornherein eine Ausgangsbasis zur richtigen Erkennung von 94,47%. So bleibt am Ende unklar, wie hoch die Prozentzahl der richtig erkannten Anglizismen wirklich ist, da die Evaluierung am ganzen Korpus und nicht nur am Anteil der Anglizismen durchgeführt wurde. Furiassi und
226
Beatrice Alex und Alexander Onysko
Hofland (2007) beschreiben einen Versuch zur Identifikation von Pseudoanglizismen in italienischen Pressetexten, der ebenfalls auf einem n-gramZeichenalgorithmus basiert. Abgesehen von einer noch nötigen Evaluation des Algorithmusses geht aus der Beschreibung nicht hervor, wie zwischen Pseudoanglizismen und entlehnten englischen Einheiten unterschieden werden konnte. Farrugia (2005) kombiniert die Wörterbuchsuche und ein n-gram-Sprachmodell mit “Hidden Markov Model Tagging”, um englisches Codeswitching in maltesischen SMS-Nachrichten zu identifizieren. Diese Methode ist mit 95% an Treffern erfolgreich, aber die Interpretation dieses Resultates bleibt offen, da nicht spezifiziert ist, welche genaue Sprachverteilung das Testdatenset aufweist und ob Codeswitches auf der Wort-, Satz- oder Nachrichtenebene vorkommen. Außerdem ist das Verständnis des Begriffes Codeswitching nicht genau geklärt, da der Autor nur den allgemeinen Hinweis gibt, dass es sich dabei um die Vermischung zweier Sprachen handelt. Aus der Übersicht dieser Versuche zur automatischen Erkennung von englischen Einheiten in verschiedenen Sprachen und Texten wird klar, dass die Identifikation englischer graphemischer Einheiten einerseits über direkte Worterkennung und Zeichenfolgenerkennung annäherungsweise möglich ist. Andererseits bedürfen die Versuche, typische Zeichenfolgen zur richtigen Erkennung anzuwenden, weiterer empirischer Evaluationen, und vor allem muss eine klare theoretische Basis zwischen der Begrifflichkeit einer englischen Einheit (Anglizismus) und der darauf aufbauenden Erkennungsmethode geschaffen werden. Es stellt sich also die Frage, inwieweit das Erkennen englischer Einheiten mit Prozessen des Sprachkontaktes in Verbindung gebracht werden kann.
3.
Theoretische Grundlage für den Vergleich der manuellen und der automatischen Erhebung englischer Elemente im Spiegel-Korpus
Der folgende Vergleich der manuellen Erhebung der Anglizismen im Spiegel, Jahrgang 2000, mit der automatischen Erkennung des EIC gründet sich auf dem Verständnis des Begriffes Anglizismus nach Onysko: “An anglicism is any instance of an English lexical, structural, and phonological element in German that can be formally related to English” (2007: 90). [Ein Anglizismus ist jede lexikalische, strukturelle und phonologische Einheit, die formal im Englischen begründet ist.] Diese Definition könnte noch verallgemeinert werden, um den Kern einer Lehnerscheinung – die Aufrechterhaltung der Einheit von Form und Bedeutung der Ausgangsprache in der Zielsprache – zu beschreiben: Ein Anglizismus ist jede Einheit aus dem Englischen, welche sich
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Zum Erkennen von Anglizismen im Deutschen
in gleicher oder ableitbarer Beziehung von Bedeutung und Form im Deutschen wiederfindet, wobei das ausschlaggebende Erkennungsmerkmal die englische Form der Einheit im Deutschen ist. Diese allgemeine Definition schließt neben allen Arten sprachlicher Ausdrucksformen (so wie pragmatische Muster) auch paralinguale Phänomene wie Gesten und Verhaltensmuster mit ein, die durch Kultur- und Sprachkontakt mit einer (englischsprachigen) Kultur- und Sprachgemeinschaft gegeben sein können. Zugleich sind aller Art von Lehnübersetzungen und konzeptuell bedingter Neuschöpfungen in der Zielsprache Deutsch, die sich nativem Wortmaterial bedienen von der Definition als Anglizismus ausgeschlossen, wie z. B. das Kompositum Wolkenkratzer, das nach dem englischen Vorbild skyscraper gebildet wurde. Für eine Untersuchung des englischen Einflusses im geschriebenen Deutsch ist die spezifische Definition ausreichend, die zusammengefasst in der folgenden Grafik (aus Onysko 2007: 90) dargestellt wird. Anglicism Formal Equivalence (E → G.) Formally Marked
Typen von Kernanglizismen (Core Anglicisms) und peripheren Anglizismen (Borderline Anglicisms) im Deutschen
Ohne an dieser Stelle auf die Definitionen der einzelnen Typen näher eingehen zu können (vgl. Onysko 2007, Kapitel 2–6), sei zu bemerken, dass sich die mit Wordsmith 4 computergestützte manuelle Analyse und die automatische Erkennung von Anglizismen im Spiegel-Korpus auf den Bereich der Kernanglizismen beschränken. So findet der EIC borrowing (wie etwa Internet, online und mail (für E-mail)), codeswitching (z. B. in a timely manner) und PseudoAnglizismen (z. B. Handy, Dressman) sowie die englischsprachigen Teile von mit Bindestrich geschriebenen Mischkomposita (Hybridkomposita, z. B. Abend-Show). Es gibt allerdings auch ein paar Bereiche, in denen die automatische Erkennung von der manuellen Analyse abweicht. Das betrifft die Klassifizierung englischer Eigennamen und allgemeine englische Wörter, die im Spiegel-Korpus nur in Eigennamen, als Teil von Titeln oder in Zitaten vorkommen. Diese
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Beatrice Alex und Alexander Onysko
wurden in der kontextgebundenen manuellen Analyse ausgefiltert. Der EIC erkennt sie jedoch mit Ausnahme von Personennamen als englische Einheiten an. Eine weitere Abweichung zwischen der manuellen und der automatischen Erkennung von Anglizismen/englischen Einheiten stellt die momentane Konzeption des EIC dar, der orthographisch ungetrennte morphemische Mischformen aus englischem und deutschem Wortmaterial nicht als englische Einheiten erkennt. Das betrifft sowohl zusammengeschriebene Mischkomposita (z. B. Abendshow, Milchstraßenmanager) als auch flektierte Wörter (z. B. downloaden, combinen, geboomt etc.). Diese Divergenzen zwischen dem Erkennen von Anglizismen in der manuellen und in der automatischen Erhebung erklären auch zum Teil die gegebenen Unterschiede in den Resultaten des EIC (vgl. Abschnitt 6.7), der in der Folge genauer in seiner Arbeitsweise und Struktur beschrieben wird.
4.
Der English Inclusion Classifier (EIC)
Der English Inclusion Classifier (EIC), der von Alex (2008) entwickelt wurde, erkennt Anglizismen und andere englische Einheiten in deutschen und französischen Texten automatisch. Dieses System wurde sowohl mit deutschen als auch mit französischen von Hand annotierten Zeitungsartikeln verschiedener Domänen evaluiert und erzielt relativ hohe Genauigkeits- (engl. accuracy), Präzisions- (engl. precision) und Abdeckungsraten (engl. recall), sowie F-Maß (engl. F-measure) für beide Sprachen (siehe Tabelle 1).2 Tabelle 1: Häufigkeit von englischen Einheiten (Token, Types und Type-Token-Relation (TTR)) und Evaluierungsresultate für deutsche/französische Textdaten im Internet Sprache des Testsets Deutsch Französisch
2
Engl. Einheiten Token
Type
TTR
Genauigkeit
Präzision
Abdeckung
F-Maß
6,4%
5,9%
0,25
97,93% 92,13%
75,82%
83,18
6,48%
10,7%
0,34
98,10% 88,59%
84,11%
86,29
Die Genauigkeit bezieht sich auf den Anteil der korrekt klassifizierten Token. Die Präzision ist der Anteil der korrekt klassifizierten englischen Token gemessen an allen vom System klassifizierten englischen Token. Die Abdeckung ist der Anteil der korrekt klassifizierten englischen Token gemessen an allen englischen Token im Text. F-Maß ist ein Evaluierungsmaß, das Präzision und Abdeckung eines Systems gleich gewichtet und somit den harmonischen Mittelwert errechnet.
Zum Erkennen von Anglizismen im Deutschen
229
Diesem Artikel vorausgehende Forschung von Alex (2008) hat außerdem gezeigt, dass das Vorkommen von englischen Einheiten zu Fehlern von monolingualen Parsern (Syntaxanalysatoren) führen kann. Bei fast allen bestehenden Sprach- und Texttechnologien wird angenommen, dass die Eingabe monolingual ist und keine fremden Einheiten enthält. Es wurde gezeigt, dass die Kopplung des EIC mit zwei Parsern des Deutschen, deren Ausgabe für deutsche Sätze, die aus mehreren Worten bestehende englische Einheiten enthalten, verbessern kann. Der folgende Abschnitt erklärt die Systemarchitektur des English Inclusion Classifiers. Der EIC ist eine Unix-Pipeline, die HTML-Dokumente in XML umwandelt. Sie besteht aus mehreren Modulen, die miteinander verknüpft sind, um linguistische Markups hinzuzufügen und die Sprache einzelner Token zu bestimmen: einem Vorverarbeitungsmodul, einem Lexikonmodul, einem Suchmaschinenmodul und einem Nachbereitungsmodul. Das Vorverarbeitungsmodul wandelt zuerst heruntergeladene Webdokumente mit Hilfe von Tidy in XML um. Anschließend wird der Text in den XML-Dokumenten mittels zweier regelbasierter Grammatiken, die speziell für Deutsch und Französisch entwickelt wurden, automatisch tokenisiert. Die Tokenisierungsregeln werden mit lxtransduce, einem Kernbestandteil der Textverarbeitungsprogramme LT-TTT2 und LT-XML2 angewandt (Grover et al. 2006).3 Im Vorverarbeitungsmodul wird anschließend für jedes Token im Text automatisch die Wortart mittels des Wortartentaggers TnT (Brants 2000) bestimmt. Im Lexikonmodul werden gegenwärtige Token mit den vom TnT-Tagger bestimmten Wortarten NN (normales Nomen), NE (Eigenname), FM (fremdsprachliches Material), ADJA (attributives Adjektiv) und ADJD (adverbiales oder prädikatives Adjektiv) automatisch im deutschen und englischen Teil des Lexikons CELEX nachgeschlagen. 4 Wie zu erwarten kommt der größte Anteil von Token nur im deutschen Lexikon vor. Dies sind hauptsächlich deutsche Wörter, aber auch vereinzelt häufig verwendete und integrierte Wörter englischer Herkunft, wie Computern. Die Token, die nur im englischen Lexikon vorkommen und sich nicht mit deutschen Lexikoneinträgen überschneiden, wie zum Beispiel Software und News, sind auch vorwiegend englische Einheiten in deutschen Texten. Solche Token werden dementsprechend als eng3
LT-TTT2 und LT-XML2 sind verbesserte Versionen von LT-TTT und LT-XML (siehe Grover et al. 2000 und Thompson et al. 1997) und sind unter GPL erhältlich: http://www.ltg.ed.ac.uk/software. 4 Die Quellen, die zur Erstellung der beiden CELEX-Lexika benutzt wurden, werden auf der folgenden Webseite aufgeführt: http://www.ldc.upenn.edu/Catalog/docs/ LDC96L14/README. Es ist nicht bekannt, welcher Anteil an Entlehnungen in CELEX berücksichtigt wird.
230
Beatrice Alex und Alexander Onysko
lisch klassifiziert. Token, die in beiden Lexika vorkommen, d. h. Wörter mit gleicher Orthographie, haben oft die gleiche oder eine ähnliche Semantik in beiden Sprachen. Das sind zum Beispiel assimilierte Lehnwörter oder verwandte Wörter, bei denen die Sprachherkunft nicht immer sofort ersichtlich ist (z. B.: Start oder Service). Eindeutige Anglizismen wie die obengenannten Wörter englischer Herkunft (z. B.: Computer oder Monster) machen nur einen kleinen Anteil aus. Einige Token, die in beiden Lexika vorkommen, sind interlinguale Homographen, mit unterschiedlichen Bedeutungen in den beiden Sprachen (z. B.: dt. Wall – engl. wall ‘Mauer’). Programme, die die Sprache solcher Wörter automatisch klassifizieren soll, können sich nicht auf die Orthographie oder auf das Vorkommen im Lexikon verlassen, da diese für beide Sprachen gleich sind. Sie müssen also die Wort- und Satzbedeutung verstehen und damit semantische Textverarbeitung durchführen. Im Nachbereitungsmodul des EIC wird versucht, die Sprache solcher ambiger Token durch regelbasierter Kontextanalyse zu bestimmen. Diese wird später noch näher erklärt. Alle Token, die in keinem der beiden Lexika stehen, u. a. Wörter aus der Informatik (z. B.: Browser) oder Komposita (z. B.: Hypertext, Homepage, Showmaster), Abkürzungen (z. B.: UMTS, Abk. für engl. Universal Mobile Telecommunications System) oder englische Wörter mit amerikanischer Schreibweise (z. B.: Center), werden zum Suchmaschinenmodul weitergeleitet. Das Suchmaschinenmodul nutzt die Tatsache, dass sich das World Wide Web immer weiter vergrößert und damit immer mehr Dokumente in verschiedenen Sprachen verfügbar werden. Die Größe und das ständige Hinzuführen von neuen Daten machen das Web zu einer wertvollen Informationsquelle und Ressource als linguistisches Korpus. Das Suchmaschinenmodul basiert auf der Suche mit Yahoo. Es nutzt die Anzahl der Ergebnisse für die Suche eines Tokens in Yahoo, um die Sprache des Tokens zu bestimmen. Das Suchmaschinenmodul vollzieht Sprachklassifikation anhand des maximalen normalisierten Wertes der Ergebnisse zweier Yahoo-Suchen pro Token (rfCweb(L) (t)), einer pro Sprache (vgl. Alex 2008) und wird wie folgt berechnet: rfCweb(L) (t) = fCweb(L) (t) / NCweb(L) Im Detail heißt das, dass sich der Wert für die Klassifikation aus fCweb(L) (t),5 dem Verhältnis der Trefferanzahl des Tokens einer Yahoo-Suche in WebDokumenten einer Sprache, und NCweb(L),6 der automatisch errechneten Korpusgröße dieser Sprache im Internet, ergibt.
5 6
fCweb(L) (t) entspricht der Anzahl der Ergebnisse (f) der Yahoo-Suche für ein bestimmtes Token (t). Dabei wird die Suche auf die jeweilige Sprache beschränkt. NCweb(L) entspricht der Korpusgröße (N) der jeweiligen Sprache im Internet (Cweb(L)) und wird nach der Methode von Grefenstette/Nioche (2000) berechnet.
231
Zum Erkennen von Anglizismen im Deutschen
Es wird dabei angenommen, dass ein deutsches Wort öfter in deutschen als in englischen Texten vorkommt und umgekehrt. Tabelle 2 zeigt zum Beispiel, dass das deutsche Wort Anbieter eine weitaus größere normalisierte Trefferzahl in deutschen Web-Dokumenten hat. Andererseits kommt das englische Wort Provider ‘Anbieter’ häufiger in englischen Webdokumenten vor. Im seltenen Fall, dass das Suchmaschinenmodul einen Wert von 0 für beide Sprachen erzielt, wird das jeweilige Wort automatisch als zugehörig zur Hauptsprache des Dokumentes betrachtet und damit nicht als englische Einheit klassifiziert. Tabelle 2: Absolute und normalisierte Trefferzahl des Suchmaschinenmoduls für ein deutsches und ein englisches Beispiel (Anbieter/Provider) Sprache Anzahl
Trefferzahl Deutsch absolut
normalisiert
Trefferzahl Englisch absolut
normalisiert
Anbieter
62,0 Mio.
0,00116463
0,333 Mio.
0,00000626
Provider
11,2 Mio.
0,00001753
168,0 Mio.
0,00026289
Zum Schluss bestimmt das regelbasierte Nachbereitungsmodul die Sprache der Token, die entweder aus einem Buchstaben bestehen oder in den vorhergehenden Modulen nicht eindeutig klassifiziert werden konnten. Das Nachbereitungsmodul behebt Ambiguitäten in der Sprachklassifizierung für interlinguale Homographen, englische Funktionswörter und Namen von Währungen und Maßeinheiten. Dies geschieht durch die automatische Anwendung einer Anzahl von verschiedenen Regeln, z. B. Kontextregeln. Ein ambiges Token zwischen zwei Token, die schon zuvor als englische Einheiten erkannt wurden, wird beispielsweise im Nachbereitungsmodul auch als englische Einheit klassifiziert. Ein weiterer Nachbereitungsschritt überprüft in Kombination mit dem Algorithmus von Schwarz und Hearst (2003) zum Erkennen von Abkürzungen, ob die Sprache zwischen Abkürzungen und deren Definitionen übereinstimmt. Als letzten Schritt unterscheidet das Nachbereitungsmodul mittels einer Anzahl von Regeln zwischen Personennamen und englischen Einheiten (Alex 2008). Es folgt ein Beispiel der Erkennung des EIC für das Zitat von Jil Sander (FAZ-Magazin 1996), wofür sie 1997 vom Verein Deutscher Sprache e.V. den Titel “Sprachpanscher des Jahres” verliehen bekommen hat. Dieses Beispiel enthält eine Reihe von Anglizismen, von denen die meisten durch das Lexikonmodul erkannt wurden (contemporary, Future, Concept, Collection und Audience). Die Token Tailored, Coordinated und supported wurden durch das Suchmaschinenmodul korrekt als englisch klassifiziert. Die einzigen ambigen Token sind Future und Hand, welche durch das Nachbereitungssystem richtig durch Kontextregeln erkannt wurden. Dieses Beispiel zeigt auch, dass hybride Formen wie combinen gegenwärtig noch nicht vom EIC erkannt werden.
232
Beatrice Alex und Alexander Onysko
Ich habe verstanden, dass man contemporary sein muss, das Future-Denken haben muss. Meine Idee war, die HandTailored-Geschichte mit neuen Technologien zu verbinden. Und für den Erfolg war mein Coordinated Concept entscheidend, die Idee, dass man viele Teile einer Collection miteinander combinen kann. Aber die Audience hat das alles von Anfang an auch supported. (Jil Sander in FAZ-Magazin 1996)
Die Funde des EIC werden automatisch als Attribute im XML-Format gespeichert.7 Damit können die Daten beliebig von Benutzern systematisch analysiert werden. Zum Beispiel können alle aus mehreren Worten bestehenden englischen Einheiten im Kontext aufgelistet werden, um eine gezielte Untersuchung von Codeswitching zu ermöglichen und um potentielle Anglizismen auszusortieren, die in längeren Eigennamen, als Teil von Titeln und in englischen Zitaten im Deutschen vorkommen.
5.
Zur Methodik des Experiments
Im folgenden Experiment ließen wir den EIC über die 53 Ausgaben des Spiegels aus dem Jahr 2000 laufen, um englische Einheiten automatisch zu identifizieren. Das Experiment verfolgte das Ziel zu ermitteln, wie genau der EIC Anglizismen erkennen kann. Die Ergebnisse des EIC wurden in Relation zu den Statistiken der manuellen Analyse von Onysko (2007) gesetzt. Es ist zu beachten, dass die Leistungsfähigkeit von Klassifizierern oder Taggern in der Computerlinguistik sehr häufig berechnet wird, indem sich die Präzision und die Abdeckung des klassifizierten Textes aus dem Vergleich mit einem manuell annotierten Goldstandard ergibt. In diesem Experiment stand jedoch kein handannotierter Goldstandard, sondern eine manuell erstellte Liste von Anglizismen und deren Häufigkeiten im Spiegel-Korpus zur Verfügung. Es wurde daher eine ähnliche Auflistung der automatisch erkannten englischen Einheiten und deren Häufigkeiten erstellt. Diese Liste wurde dann mit der von Onysko manuell erstellten Liste von Anglizismen verglichen. Die Leistungsfähigkeit des EIC wurde dann bezüglich der Listenpräzision und der Listenabdeckung (siehe Evaluierung) berechnet. Vor der Evaluierung wurden jedoch noch einige zusätzliche Filter angewendet, um die automatisch erstellte Liste der englischen Einheiten weitestgehend von Klassifizierungsfehlern zu reinigen. In der Evaluierung wurden somit 7
Für dieses Beispiel wurde das XML zur besseren Veranschaulichung sehr stark vereinfacht.
Zum Erkennen von Anglizismen im Deutschen
233
alle Token, die Symbole oder Ziffern enthielten, nicht berücksichtigt. Weiterhin wurden alle Token, die aus fünf oder mehr Großbuchstaben bestanden, vor der Evaluierung aus der Liste herausgefiltert. 8 Im Vergleich der automatisch und der manuell erstellten Listen wurden englische Einheiten, die sich nur in der Groß- und Kleinschreibung unterschieden, als übereinstimmende Token gezählt.
6.
Resultate und Evaluierung
Nach dem Filtern enthielt die automatisch erstellte Liste insgesamt 12.222 Einträge unterschiedlicher englischer Einheiten (als Wortformtypen). Die manuell aufgestellte Liste enthielt dagegen 16.663 verschiedene Anglizismen. Dabei ist zu beachten, dass die Tokenisierung in der automatischen Analyse und die der manuellen Analyse nicht gänzlich überein stimmt (vgl. Abschnitt 3). Die größte Abweichung betrifft die Tokenisierungsregeln für wortinterne Bindestriche. In der manuellen Analyse wird zum Beispiel das Wort FutureDenken als ein Type gezählt. In der automatischen Analyse wird an Bindestrichen getrennt und dieses Wort somit als ein weiteres Token des Types Future behandelt. Dies spielt nicht nur eine Rolle, was die Zählung englischer Wörter in englischen Komposita betrifft (z. B. Acid-Trip, Action-Comic), die insgesamt weniger als 4% der Anglizismen in der manuellen Erhebung ausmachen, sondern vor allem, was die Registrierung hybrider Komposita betrifft, die den Hauptteil an Typen von Anglizismen in der manuellen Erhebung ausmachen (ca. 70% aller Types). Die häufigsten englischen Einheiten und im Vergleich dazu die 10 häufigsten Anglizismen der manuellen Analyse im Spiegel aus dem Jahr 2000 sind in Tabelle 3 zusammengefasst. Im Vergleich der beiden Resultate kann man erkennen, dass der EIC eine größere Anzahl von bestimmten Worten automatisch erkennt. Das ist hauptsächlich auf die unterschiedliche Tokenisierung der Spiegeltexte, auf die kontextgebundene Filterung von Anglizismen als Eigennamen oder als Teil von Titeln in der manuellen Analyse und auf die Konsistenz des Systems der automatischen Erkennung zurückzuführen. So werden zum Beispiel häufig gebrauchte Anglizismen, die schon in die deutsche Spra8
Die Spiegel-Texte enthalten viele Überschriften komplett in Großbuchstaben, bei denen vermutlich schon durch eine vorausgehende Formatumwandlung eine falsche Tokenisierung verursacht wurde (wie zum Beispiel FOTOGR A F I E). Falls eine Zeichenfolge wie FOTOGR vom EIC als englische Einheit klassifiziert wurde, wird sie durch die Anwendung der Filterregeln in der Evaluierung ignoriert.
234
Beatrice Alex und Alexander Onysko
che integriert sind (z. B. Film) vom EIC nicht erkannt, da sie schon im Lexikonmodul als deutsche Wörter etabliert sind. Tabelle 3: Die 10 häufigsten englischen Einheiten (EIC) und die 10 häufigsten Anglizismen (Onysko 2007) im Spiegel, Jahrgang 2000 Resultate EIC
Resultate manuell (Onysko 2007)
Häufigkeit
Type
Häufigkeit
Type
3170
Internet
1819
Internet
2306 2072
Fax USA
1058 872
Film Computer
2039 1033
US Ex
692 676
Interview Manager
849 842
Mail AP
549 416
Job Reporter
830 796
Online New
365 298
Trends Software
675
Software
295
Trainer
Um zu erfassen, wie genau der EIC die von Onysko im Spiegel-Korpus manuell gefunden Anglizismen identifiziert, haben wir die Überschneidung beider Listen anhand von Listenpräzision (LP) und Listenabdeckung (LA) berechnet. Dabei ist die Listenpräzision der Anteil aller englischen Einheiten in der automatisch erstellten Liste, die auch als Anglizismen in der manuell erstellten Liste aufgeführt sind. Die Listenabdeckung ist der Anteil aller manuell aufgelisteten Anglizismen, die als englische Einheiten automatisch erkannt wurden: Tabelle 4: Die Berechnung von Listenpräzision und Listenabdeckung Listenpräzision
Listenabdeckung
LP = EI(m) ÷ EI EI(m) ... Anzahl der automatisch identifizierten englischen Einheiten, die in der manuellen Liste aufgeführt sind EI ... Gesamtzahl aller automatisch identifizierten englischen Einheiten
LA = EI(m) ÷ AZ EI(m) ... Anzahl der automatisch identifizierten englischen Einheiten, die in der manuellen Liste aufgeführt sind AZ ... Gesamtzahl aller manuell identifizierten Anglizismen
Aufgrund der unterschiedlichen Tokenisierung berechneten wir verschiedene Werte für die Listenpräzision und die Listenabdeckung: entweder für die genaue Übereinstimmung oder für teilweise Übereinstimmung zwischen Anglizismen und automatisch identifizierten englischen Einheiten (siehe Tabelle 5).
Zum Erkennen von Anglizismen im Deutschen
235
Tabelle 5: Die verschiedenen Werte der Listenpräzision und der Listenabdeckung des EIC im Vergleich zu der von Onysko manuell erstellten Liste von Anglizismen. Listenpräzision in % 17,9 35,6 44,3 Listenabdeckung in % 32,2 60,0
Art der Übereinstimmung Die englische Einheit stimmt mit dem manuellen Listeneintrag genau überein. Die englische Einheit stimmt mit dem ersten Wort eines manuellen Listeneintrages überein. Die englische Einheit stimmt mit einem Teil des manuellen Listeneintrages überein. Art der Übereinstimmung Der Anglizismus stimmt mit einem automatischen Listeneintrag genau überein. Der Anglizismus oder wenigstens ein Teil eines mit Bindestrich geschriebenen Anglizismus stimmt mit einem automatischen Listeneintrag genau überein.
Die Resultate in Tabelle 5 zeigen, dass die Evaluierung des EIC hinsichtlich der manuell gefundenen Anglizismen durch die unterschiedliche Tokenisierung erschwert ist. Die unterschiedlichen Werte zeigen, dass der EIC eine große Anzahl der Anglizismen erkennt, aber auch einige nicht oder irrtümlicherweise als solche identifiziert. Anglizismen, die vom EIC nicht erkannt wurden, sind oft hybride Formen (Komposita oder gebeugte Formen), wofür das System gegenwärtig nicht konzipiert ist. Automatisch erkannte englische Einheiten, die nicht als Anglizismen gelten, sind oft Teil von Eigennamen. So wurden beispielsweise die englischen Wörter in European Boating Association vom EIC als englische Einheiten im Spiegel erkannt. Da es sich dabei allerdings um einen Eigennamen handelt, wurden diese Einheiten nicht als Anglizismen in der manuellen Untersuchung registriert.
7.
Diskussion und Schlussfolgerungen
Linguisten und Sprachforscher, die den Einfluss der englischen Sprache auf die deutsche Sprache analysieren, basieren ihre Forschung oft auf manuelle Textanalysen, die oft Monate dauern können. Obwohl solche Analysen noch nicht vollständig automatisiert werden können, hat dieser Artikel gezeigt, dass die Ausgabe des EIC genutzt werden kann, um einen Teil von Anglizismen automatisch zu erkennen und somit die Arbeit der Forscher zu erleichtern und
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zu beschleunigen. Ebenso kann der EIC als Werkzeug für Lexikographen dienen, um beispielsweise die Häufigkeit von Anglizismen über einen bestimmten Zeitraum hin zu messen. Diese Information kann für eine Entscheidung, die jeweiligen Begriffe in ein Wörterbuch aufzunehmen, behilflich sein. Der Vergleich der Resultate der manuellen und der automatischen Erkennung von Anglizismen und englischen Einheiten unterstreicht einerseits das große Potential des EIC als analytisches Werkzeug, um die Beschreibung des englischen Einflusses auf das Deutsche im großen Umfang zu ermöglichen. Andererseits zeigt der Vergleich die noch notwendigen Schritte in der Weiterentwicklung auf, welche die Zuverlässigkeit beim Erkennen potentieller Anglizismen im Deutschen erhöhen und so den EIC zu einer hervorragenden Methode für die Untersuchung großer Sprachdatenmengen machen können. Neben einer systembedingten noch nicht gänzlich fehlerfreien Erkennung englischer Einheiten, die der allgemeinen Weiterentwicklung des EIC bedürfen, ergeben sich, wie schon zuvor erwähnt, die Abweichungen zwischen den manuellen und den automatischen Ergebnissen aufgrund der folgenden unterschiedlichen Erkennungskriterien: (a) Englische Eigennamen und Wörter in englischen Zitaten wurden in der manuellen Untersuchung kontextgebunden ausgesiebt; der EIC hingegen registriert solche englischsprachigen Wörter als Englische Einheiten. (b) Gängige und im Deutschen etablierte Anglizismen (wie z. B. Film, Computer, Interview, Test und Start) sind bereits im deutschen Lexikon enthalten und werden deshalb nicht als englische Einheiten/Anglizismen erkannt. In der manuellen Vergleichsstudie werden diese aus etymologischen und wortformbedingten Gründen als Anglizismen klassifiziert. (c) Die englischen Einheiten in mit Bindestrich geschriebenen englischen Komposita werden vom EIC jeweils einzeln als englische Einheiten gezählt. In der (semi-)manuellen Analyse jedoch gelten englische Komposita als Worteinheiten. Die getrennte Identifikation englischer Elemente in Komposita wirkt sich auch auf die Registrierung von Mischkomposita, die dasselbe englische Element beinhalten, aus (z. B. Kabarett-Star, Kunst-Star). Da der EIC das englische Wort Star getrennt erkennt, zählt dieses als zwei Token eines Types. In der (semi-)manuellen Analyse hingegen werden die Komposita als zwei verschiedene Types von Anglizismen registriert. (d) Nach der momentanen Konzeption des EIC bleiben zusammengeschriebene hybride Komposita, verbale Anglizismen, Derivationen und im Deutschen regelmäßig flektierte englische Einheiten unerkannt, wie z. B. Aktienclub, abscannen und aufgestylt. Abgesehen von der Entscheidung, ob englische Eigennamen und Zitate in deutschen Texten als Anglizismen betrachtet werden, brächte die Vermeidung der Probleme in (b), (c) und (d) eine Verbesserung des EIC mit sich. Eine mögliche Lösung dieser Punkte beinhaltet verschiedene Maßnahmen. So könn-
Zum Erkennen von Anglizismen im Deutschen
237
ten Evergreens der Anglizismen (z. B. Film, Computer, Test und Trainer) durch eine Modifikation des Lexikonmoduls als englische Einheiten erhalten bleiben. Zusätzlich könnte eine ständig erweiterbare Liste von bereits in anderen Studien klassifizierten Anglizismen als Erkennungshilfe ins Lexikonmodul eingebaut werden. Die automatische Identifikation von hybriden Wörtern aus englischen und deutschen Morphemen (morphologische Mischformen und Mischkomposita) stellt eine größere Herausforderung dar. Um Einzelzählungen von Kompositaelementen zu vermeiden, ist die Interpretation des Bindestriches als Worttrennungssymbol zu umgehen. Zugleich könnte der EIC um einen zusätzlichen analytischen Prozess erweitert werden. Nach der Erkennung der englischen Einheiten sollten diese gemeinsam mit der obengenannten Liste von bereits klassifizierten Anglizismen ein weiteres Mal auf wortinterne Übereinstimmung im gesamten Korpus überprüft und identifiziert werden. Zur Unterstützung dieses Schrittes könnte eventuell auch ein passender n-gram-Algorithmus angewendet werden. Obwohl die geplante Umsetzung dieser Strategien die Präzision des EIC weiter verbessern wird, haben sich durch den Vergleich der beiden Erhebungen schon jetzt die Vorteile einer auf den EIC basierten Untersuchung gezeigt. Aufgrund der Zeit- und Arbeitsersparnis beim automatischen Finden von Anglizismen eröffnet der EIC die Möglichkeit umfangreiche und differenzierte Erhebungen zum Vorkommen und zur Integration englischer Einheiten im Deutschen durchzuführen. Das semi-manuelle Herausfiltern der Anglizismen im Spiegel-Korpus benötigte 26 Monate intensiver Arbeit, die in der letzten Phase eine kontextuelle Überprüfung von ca. 23.000 möglichen Anglizismen mit sich brachte – im Vergleich dazu findet der EIC im momentanen Entwicklungsstand mit ungleich weniger Arbeitsaufwand automatisch eine Liste von 12.222 englischen Einheiten im Korpus. So dient der EIC als ausgezeichneter Sprachdatenfilter, der kontextgebundene Analysen zum Gebrauch von Anglizismen in verschiedenen elektronischen Genres und Texttypen ermöglicht. Dies wiederum stellt eine notwendige Entwicklung in der Anglizismenforschung dar, um den dringenden Bedarf an detaillierten und umfassenden Beschreibungen des gegenwärtigen englischen Spracheinflusses im Deutschen auf einer breiten empirischen Basis zu verfolgen.
8.
Literatur
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