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German Pages [414] Year 2017
Lil Helle Thomas
Stimmung in der Architektur der Wiener Moderne Josef Hoffmann und Adolf Loos
2017 BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagabbildung: Friedrich Strauss: Das Ausstellungsgebäude der Secession Wien vom Gemüsemarkt, 1899, Wien Museum. © 2017 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, 1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Dissertationsschrift zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main, 2017 Siegelziffer D.30 Korrektorat: Jörg Eipper-Kaiser, Graz Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Bettina Waringer, Wien Druck und Bindung: General Druckerei, Szeged Gedruckt auf chlor- und säurefrei gebleichtem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-20527-2
Inhalt
1. Einleitung: Stimmung in der Architektur Josef Hoffmanns und Adolf Loos’ im Zeitraum von 1900 bis 1911 . . . . . . . . . . 9 2. Stimmung als Untersuchungsmoment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.1. Stimmung im schriftlichen Werk Loos’ und Hoffmanns . . . . . . . . . . . 20 2.2. Stimmung, Gefühl und Emotion: Eine definitorische Abgrenzung . . . . . 23 2.3. Stimmung und Atmosphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.4. Zwischen Evokationsraum und Nervenstimmungen . . . . . . . . . . . . . 31
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur: Villa Karma und Palais Stoclet, Sanatorium Purkersdorf und Haus am Michaelerplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.1. Villa Karma und Palais Stoclet: Der Ausbau des ‚modernen Ichs‘ zu einer bürgerlichen privaten Lebenswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Zwei Gebäude und viele daran beteiligte Hände . . . . . . . . . . . . . . . 43 Wien um 1900 – das gemeinsame kulturelle Feld der Villa Karma und des Palais Stoclet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Die Villa Karma –‚Hülle‘ und ‚Kern‘ als raumfassende Kategorien der Stimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Standort – Ortsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Der Baumantel – Fassadengestaltungen und deren Beziehungsgeflecht zum Grundriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Raumkomposition – Raumgruppen und deren Lichtregie . . . . . . . . . . 68 Karma – Namensgebung und Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma: Zwei bürgerliche Ersatzwelten der Wiener Moderne . . . . . . . . . . . . . 89 Villa oder Schloss – Bautypus und Skulpturenprogramm . . . . . . . . . . 89 Das Biedermeier – Der genius loci im Werk Josef Hoffmanns . . . . . . . . 95 Die Biedermeierkultur als Quelle eines Wiener ‚Lebensgefühls‘ – Raum-, Blick- und Bewegungsregie des Palais Stoclet und der Villa Karma . . . .
101
Die „Arts and Crafts“-Bewegung und eine verschränkte Wahrnehmung von Mensch und Ding . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
114
Das Gesamtkunstwerk als „Stimmungsbau“ . . . . . . . . . . . . . . . .
137
3.3.
Das Sanatorium Purkersdorf: Stimmung als Realisierung einer Utopie der Gesundheit . . . . . . . . . . 147
3.3.1. Baubeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
147
Konfusion um Standort und Definition eines ungewöhnlichen Bauwerkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
147
Purkersdorf – Der Standort des Sanatoriums . . . . . . . . . . . . . . .
154
Fläche und Volumen – Der äußere Baukörper und seine Wirkung . . . . . 159 Das Quadrat – Die alle Ebenen durchdringende Maßeinheit und Struktur der Bauteile . . . . . . . . . . . 173 Das Quadrat – Die Umrandung des Sanatoriums und Verinnerlichung der Grundform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
181
Die Vorentwürfe zum Sanatorium Purkersdorf . . . . . . . . . . . . . .
190
3.3.2. Werkanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
196
Das Sanatorium und seine implizierten Konzepte . . . . . . . . . . . .
199
Ornament und Quadrat als A und O der Architektur – Ein Übergang zur Einfühlungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
203
Das nervöse Zeitalter – Institution und Hygiene eines Sanatoriums, Nutzenoptimierung sowie Inszenierung von Architektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
209
„Das unrettbare Ich“ – Paradigma einer Generation zwischen Weltuntergangs- und Aufbruchsstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . .
225
Der Auftraggeber und seine Zielgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . .
236
243
Eine Generation mit „Formgefühl“ und deren ‚Gemütsarchitektur‘ . . . .
3.4. Das Haus am Michaelerplatz: Die stimmungshafte Verortung der Architektur in ein städtisches und persönliches Repräsentations- oder Wunschbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 3.4.1. Baubeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Der Michaelerplatz – Eine vielschichtige Adresse . . . . . . . . . . . . .
260
Die Entwicklung des Michaelerplatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Beschreibung der Fassaden – Loos bringt sein Haus auf den Markt . . . . 268 Die Hauptfassade zum Michaelerplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Die Fassaden zur Herrengasse und zum Kohlmarkt . . . . . . . . . . . . 275 Die Ornamentik der Fassade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Die Hoffassade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
277
Die Grundrisse und Schnitte – Der Beginn des Raumplanes und die Verwischung der Ebenen . . . . . .
278
Das Parterre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Das Mezzanin und die Mezzaningalerie . . . . . . . . . . . . . . . . . .
279
Die Wohnstockwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Schnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Entwürfe – eine Auswahl und der Ansatz einer Entwicklung . . . . . . . .
284
Die Inneneinrichtung – Ein Teil vom Ganzen . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Verlauf der Umbauten und Restaurierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . 301 3.4.2. Werkanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Ein Gebäude bürgerlicher Präsenz im aristokratischen Umfeld . . . . . . . 302 Ort, Skandal, Ornamentdebatte und Gestaltung – Das Kaiserforum Gottfried Sempers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 Die Wahrnehmung als architektonischer Maßstab – Camillo Sitte . . . . .
307
Eine gestimmte Maske – Der Flaneur und das Bild des „englischen Dandys“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
349
4.1. Das Gesamtkunstwerk als „geistige Grundstimmung“ . . . . . . . . . . . 4.2. Henry van de Velde und die Emotionalisierung von Linien . . . . . . . . 4.3. Joseph Maria Olbrich: Kontrastierung durch affektreiche Inszenierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Ein Resümee: Das Gesamtkunstwerk nach Josef Hoffmann und Adolf Loos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
349 353 359 370
Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
379
5. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 5.1. Literaturliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Zeitgenössische Primärliteratur, zeitgenössische Zeitschriften und Zeitungsartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
381
Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Zeitschriften- und Zeitungsartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Ausstellungskataloge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 Nachschlagewerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Webseiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409
1. Einleitung: Stimmung in der Architektur Josef Hoffmanns und Adolf Loos’ im Zeitraum von 1900 bis 1911
Die Architekten Josef Hoffmann und Adolf
einem eskapistischen Dasein gelangte. Loos
Loos sind prominente Protagonisten des
zog es vor, einen aus der bisherigen Kultur
berühmten Mythos Wien um 1900. Josef
gereiften Weltstadt-Europäer zu definieren.
Hoffmann als Mitglied der Künstlervereini-
Sowohl bei Hoffmann als auch bei Loos han-
gung Wiener Secession und Leiter der Wie-
delt es sich um gesellschaftlich prägende Vor-
ner Werkstätte und Adolf Loos als unbeque-
stellungen, die das künstlerische Schaffen
mer Einzelgänger, der sowohl als Architekt
motivierten. Dietrich Worbs bezeichnet Loos
als auch als Kulturkritiker in Erscheinung
sogar als einen „Lebensreformator“ und eines
trat, sind bis heute Teil eines emotional auf-
der Loos’schen Bauaxiome als „Funktiona-
geladenen Bildes der Habsburger-Metropole
lität des Bauens unter Einschluß der psychi-
zur Jahrhundertwende. Das Wien des Fin
schen Bedürfnisse der Nutzer“.1 In beiden
und Commencement de siècle wurde zum
Fällen wird eine avantgardistische Rolle ein-
Geburtsort einer Moderne, die konfliktreich
genommen, die sich kontrastierend zu einer
ausgehandelt wurde. Insbesondere Josef
im Wandel befindlichen Welt positioniert.
Hoffmann und Adolf Loos, die als Antago-
Die Secessionisten sind nach dem Architek-
nisten tradiert wurden, nähren jene Vorstel-
turtheoretiker Fedor Roth aus heutiger Sicht
lung einer umkämpften Phase kulturellen
als Revolutionäre zu definieren, da sie den
Umbruchs.
‚modernen Menschen’ aktiv mitformulieren
Hoffmann und Loos sind in ihrem Wirken
wollten, während Loos der Ansicht war, dass
von den Topoi ‚Ästhetizismus’, ‚Psychologis-
dieser ein evolutionär zwingendes Produkt
mus’ und dem ‚Unbehagen’ gegenüber der
unserer Entwicklung sei. Loos sah sich selbst
eigenen Zeit beeinflusst. Josef Hoffmann ent-
in der Rolle des Vorbilds und Vorreiters.2 Die
wickelte eine Gestaltpsychologie, während
Bauten dieser unterschiedlichen Kunstan-
Adolf Loos den Grundsatz einer ökonomi-
schauungen ähneln sich jedoch auf frappie-
schen beziehungsweise ethischen Kulturäs-
rende Weise. Dieses erstaunlich widersprüch-
thetik ausformte. Hoffmann wollte einen
liche Verhältnis wird in Korrelation mit dem
Menschen erziehen, der in einem von den Künsten geprägten Gesamtkunstwerk zu
1 2
Worbs 1982, S. 23f. und S. 54f. Vergleiche dazu Roth 1995.
10
1. Einleitung
Phänomen der Stimmung in der Wiener
sigkeit des Individuums in der immer schnel-
Moderne in dieser Arbeit untersucht. Dabei
ler funktionierenden modernen Gesellschaft.
werden die Architekturen Hoffmanns und
Die Forschungsliteratur, die sich mit den bei-
Loos’ durch die Analyse ihrer intendierten
den Architekten Hoffmann und Loos und
Wirkungen erklärt. Um diesem wahrneh-
ihrem Œuvre auseinandersetzt, ist umfang-
mungspsychologischen Gehalt der Bauwerke
reich.6 Bis auf wenige gemeinsame Lebens-
näher zu kommen, sind vor allem die geplan-
daten – beide wurden 1870 in Mähren gebo-
ten und mitgedachten Bewohner und Benut-
ren und gingen wenige Jahre sogar gemeinsam
zer der jeweiligen Gebäude zu definieren und
zur Schule – dominiert bis heute zuweilen
deren vom Architekten in die Bauwerke ein-
ein Bild der Dichotomie der Künstler und
geschriebene Wege nachzuverfolgen.
ihrer Werke.7 Gerade jene Nähe der Kind-
Die zwei ‚Wiener Charaktere’ Josef Hoff-
heit wird seit den 1970er-Jahren immer wie-
mann und Adolf Loos werden im Rahmen
der betont, um darauf aufbauend das Bild
eines Kulturnetzes einer Weltstadt behandelt.
der unterschiedlichen Künstler zu zeichnen.8
Sie sind zwei der bekanntesten Protagonis-
Beide werden oft eindimensional unter-
ten der architektonischen Wiener Moderne um 1900, dem sogenannten ‚nervösen‘ Zeitalter.3 Carl E. Schorske deklariert sogar für
6
das gebildete Bürgertum der Jahrhundertwende eine „Empfindsamkeit für psychische
7
Zustände“ und zusätzlich eine „amoralische Gefühlskultur“.4 Diese insbesondere in den 1980er- und 1990er-Jahren formulierte Epochenbezeichnung allein verdeutlicht schon die Dominanz und Präsenz der psychologischen Selbstwahrnehmung um 1900, unter der auch Hoffmann und Loos betrachtet werden müssen. Der Physiker und Philosoph Ernst Mach entwickelte zur Jahrhundertwende im selben Wiener Kulturnetz die Theorie vom unrettbaren Ich, und wenige Jahre später spaltete Sigmund Freud mit seinem Drei-Instanzen-Modell
den
Menschen.5
Ebenso demonstrieren auch heute noch die Romane Robert Musils das damals wahrgenommene Dilemma einer Orientierungslo3 4 5
Vergleiche dazu Radkau 1998. Schorske 1962, S. 369f. Siehe dazu Kandel 2012, S. 98–105.
8
Umfassende Monografien zu Josef Hoffmann oder Adolf Loos sind Sekler ²1986, Rukschcio und Schachel 1982 und Munch 2005. 2007 wurde die Ausstellung „Josef Hoffmann – Adolf Loos. Ornament und Tradition“, kuratiert von Rainald Franz, der Öffentlichkeit präsentiert, die sich alleine jener konfliktreichen Beziehung der beiden Architekten widmete. (Franz Flyer 2007) Die Ausstellung „Wege der Moderne. Josef Hoffmann, Adolf Loos und die Folgen“ des MAK in Wien stellt 2014/2015 beide Architekten nicht nur in ihrem Werk gegenüber, sondern ordnet sie in eine Entwicklung ein, die von der Entstehung einer Geschmacksdifferenzierung im 18. Jahr hundert bis zur heutigen Digitalen Moderne gezeichnet wird. Vergleiche dazu AK Wege Der Moderne 2015. Vergleiche dazu Rukschcio und Schachel 1982, S. 65 und Kossatz 1970, S. 2, Marilaun 1970, S. 44, Ohne Autor 1970, S. 1, Schachel 1970, S. 2, Augenfeld 1981, S. 1907 und Vorwort von Opel, in: Loos 2010, S. XIV. Im weiteren Verlauf werden fast alle Texte Loos’ nach diesem zuletzt erschienenen Sammelband zitiert. Dieses von Adolf Opel herausgegebene Buch orientiert sich in seiner Schreibweise an den Erstveröffentlichungen vor allem in Zeitschriften und Zeitungen. Die Ausgabe von 1931 und deren Nachdruck wurden unter anderem durch Adolf Loos überarbeitet und durch die durchgehende Kleinschreibung verändert.
1. Einleitung
schiedlichen Kunstinteressen zugeordnet.9
und Vorträge aus den 1920er- und 1930er-Jah-
Noch 1910 nannte Hans Tietze die beiden
ren sind als direkte, überdeutliche Angriffe
Architekten fast selbstverständlich in einem
auf Josef Hoffmann zu verstehen.14 Allgemei-
Artikel und führte für beide das identische
ner Konsens bleibt jedoch, dass Loos’ Artikel
Ziel an, dem „großstädtischen Menschen“
polemischer Natur sind.15
angemessene Charakterarchitekturen zu er
Erstaunlich ist, dass insbesondere bei Ver-
bauen.10 Eine weitere sehr frühe Ausnahme
gleichen der beiden Architekten oft unter-
zu
der
schiedliche Schaffensphasen zueinander in
1980er-Jahre, die den Vergleich der Werke
der
grundlegenden
Forschung
Bezug gesetzt werden, um daraus den Schluss
Hoffmanns und Loos’ regelrecht einfordert,
zu ziehen, Loos hätte sich – im Gegensatz
ist ein Artikel Fritz Lehmanns von 1931. Er
zu Hoffmann – mit seiner Entwicklung des
sieht in Hoffmann und Loos vor allem Zeit-
Raumplans stetig weiterentwickelt.16 Diese
genossen, die „zu denselben Resultaten kamen“ und „im Grunde um Nebensächliches stritten: nämlich das Ornament.“11 Eduard F. Sekler deutet dann in den 1980er-Jahren an, das Verhältnis von Loos und Hoffmann sei bei Weitem „komplexer“, als „eine vergröbernde Lokaltradition“ sich eingestehen wollte.12 Als Quelle für die in vielerlei Hinsicht her-
14
aufbeschworene „Feindschaft“ der beiden wurden in der Literatur die Vorträge Loos’ herangezogen.13 Jedoch erst die späten A rtikel
9 Saddy 1981, S. 55–66 und Schütte-Lihotzky 1981, S. 1874. 10 Tietze 1910, Sp. 52–62. 11 Lehmann 1985 (1931), S. 168–172. 12 Sekler ²1986, S. 207. 13 So setzt sich Loos aber zum Beispiel noch 1897 in seinem Artikel Eine Concurrenz der Stadt Wien dezidiert für Hoffmann und mit ihm zusammen auch für Joseph Maria Olbrich ein. Siehe dazu Loos 2010 (1897), S. 6–9. Direkte Angriffe auf Josef Hoffmann, obwohl dessen Namen nicht immer abgedruckt ist, sind laut der Fachliteratur die Loos’schen Schriften Von einem armen, reichen Mann, Der Sattlermeister sowie der Artikel Kulturentartung. Siehe dazu Sekler ²1986, S. 29f., Roth 1995, S. 84f., S. 88–92, S. 109f. und S. 103, Prokop 2003, S. 302–304 und Rukschcio 1985, S. 57–68. Vergleiche dazu weiterführend Sekler 1986, S. 125–135, Rukschcio 1987, S. 118f. und Long 2011, S. 83 und S. 119. Hier gibt Long an, wie Loos seine Vorträge unter anderem mit Wer-
15
16
ken von Joseph Maria Olbrich und Josef Hoffmann illustrierend untermauerte. Im Sinne von beispielhaft ausgewählten schlechten Arbeiten stellte Loos die Werke seiner Kollegen als verbesserungswürdig bloß und richtete über sie. Welche emotional aufgeladenen Konflikte durch jenen Vortragsstil Loos’ entstehen konnten, beweisen Berichte. (Ermers 1985 (1927), S. 89–92.) Siehe dazu Das Wiener Weh (1927), Adolf Loos über die Wiener Werkstätte (1927), Über Josef Hoffmann (1931) und Adolf Loos über Josef Hoffmann (1931), in: Loos 2010. Vergleiche dazu Stewart 2000, S. 186. Eduard F. Sekler sieht in jenen Angriffen den Grund für Hoffmanns Depressionen und seine zeitweilige Abgabe der Leitung seines Ateliers an Oswald Haerdtl im Jahr 1927 gegeben. (Sekler ²1986, S. 191.) Eines der wenigen Beispiele einer direkten Antwort Hoffmanns auf Loos ist ein kurzer Zeitungsartikel von 1926 (Hoffmann 1926, S. 6). Hoffmanns Bemühen um ein objektives Auftreten in der Öffentlichkeit auch gegenüber den Werken Adolf Loos’ betont bereits Sekler. Rainald Franz gibt ebenso an, Loos sei weiterhin von den Secessionisten zum Ausstellen seiner Werke und zu den Ausstellungseröffnungen eingeladen worden. (Sekler ²1986, S. 232, Franz 1992, S. 13 und Colomina 2008, S. 46–50.) Siehe dazu Schleichl 2002, S. 168. Beatriz Colomina sieht daher in Hoffmann vielmehr eine öffentliche Figur eines Architekten, die für Loos einen „convenient Prop“ zur Kontrastierung seiner Thesen darstellt. Vergleiche dazu Colomina 2008, S. 50 und Colomina 1994, S. 38–41. Siehe dazu Kossatz 1970, S. 2f. und Rukschcio 1987, S. 115–128. Vergleiche dazu die gegensätzliche Position Seklers. (Sekler ²1986, S. 49)
11
12
1. Einleitung
Arbeit möchte sich dieser Vorgehensweise entgegengesetzt nur mit einer Werkperiode beschäftigen, nämlich mit den frühen, aber
Abb. 1: Adolf Loos: Villa Karma, Nordfassade, 1903– 1906, Clarens bei Montreux, Fotografie von Martin Gerlach Jun., Albertina, Wien
nicht frühesten Schaffensjahren. Gerade die Zeit zwischen 1900 und 1911 ist prädestiniert für eine Gegenüberstellung der Bauwerke Hoffmanns und Loos’. Beide Architekten bauten in jenen Jahren sowohl öffentliche Gebäude als auch Villen und das Bild eines Gegensatzes wurde bereits vonseiten Adolf Loos’ in seinen Artikeln oder Vorträgen gezeichnet und von der Öffentlichkeit wahrgenommen.17 Johannes Spalt 17
In der Zeitschrift Das Interieur heißt es: „Dagegen bekämpft er [Adolf Loos; LT] heftig die in Wien als ‚Secession‘ ausgeschriebene Manier, alles und jedes mit ‚Kunst‘ zu versehen.“ (Ohne Autor: Notizen 1900, S. 94.) Letztendlich betont jedoch Sigurd Paul Scheichl, dass wir recht wenig über
den Vortragsstil Adolf Loos’ gesichert wissen. Er unterscheidet aber ganz deutlich den eher „improvisierten“ Charakter der Vorträge von denen der „ausgefeilten Essays“. (Scheichl 2002, S. 165.) Auch im aktuellen Ausstellungskatalog Wege der Moderne. Josef Hoffmann, Adolf Loos und die Folgen von 2015 wird von Matthias Boeckl und Christian Witt-Dörring für den Zeitpunkt um 1910 für die Œuvres Hoffmanns und Loos’ sogar eine sogenannte „Wendethese“ formuliert. Beide Autoren sprechen von „diametral entgegengesetzten Positionen“ Hoffmanns und Loos‘ in der Wiener Moderne. Um dies im Rahmen einer Ausstellung zu visualisieren, präsentieren sie laut eigener Aussage „Gegensatzpaare“ bzw. „Negativbeispiele“. Vergleiche dazu Boeckl und Witt-Dörring 2015, S. 26 und S. 32, Fußnote 7.
1. Einleitung
Abb. 2: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Straßenansicht, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren
chungen zum Sanatorium Purkersdorf (1904) von Josef Hoffmann und dem Haus am Michaelerplatz (1909–1911) von Adolf Loos (Abb. 1–4). Beim Vergleich von Villa Karma
formulierte die Methode des Vergleichs –
und Palais Stoclet geht es primär darum, die
ohne ihn auszuführen – als eine Möglichkeit,
gemeinsamen kulturellen Einflüsse und Kon-
um „die gegensätzlichen und gleichartigen
zepte beider Architekten abzustecken und
Positionen beider Architekten sichtbar
erste ‚Stimmungen‘ an den Bauwerken abzu-
machen“ zu können. Jener Annahme soll
lesen, die als Resultat von damaligen Wahr-
nachgegangen werden.
Um dieser metho-
nehmungs-, Denk- und Handlungsgewohn-
dischen Grundidee des Vergleichs so nahe
heiten zu verstehen sind. Das Sanatorium
wie möglich zu kommen, widmet sich diese
Purkersdorf wird insbesondere mittels der
Arbeit in einem Kapitel der Villa Karma
zeitgenössischen Einfühlungstheorie unter-
(1903–1906) von Loos sowie dem Palais
sucht und dient dazu, den Topos der
Stoclet (1905–1911) Hoffmanns, ergänzt von
‚Gestimmtheit‘ einzuführen. Im Falle des
zwei weiteren Abschnitten durch Untersu-
Hauses am Michaelerplatz gilt es, die Ästhe-
18
tik der Maske in Einklang mit der stimmungs18 Spalt 1983, S. 120.
aufgeladenen Inszenierung von Kaufritualen
13
14
1. Einleitung
Abb. 3: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Ostfassade, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, circa 1905–1910 erschienene Bildpostkarte, bezeichnet adressseitig mit „Verlag L. P., W.“, bei dieser Abkürzung scheint es sich um „L. Wollner, Purkersdorf“ zu handeln
die verschränkte Wahrnehmung von Mensch und Ding für die beiden Architekturen. Abschließend nähert sich das Kapitel noch über den um 1900 in Wien durch den Literaten und Journalisten Ludwig Hevesi geprägten Begriff der „Stimmungsarchitek-
zu bringen, wobei die literarisch gefasste
tur“ dem Verhältnis zum Gesamtkunstwerk
Figur des Dandys und seine wirklichen Ver-
für die Villa Karma und das Palais Stoclet.
treter als Beispiele für einen Idealkunden die-
Die Literaturwissenschaftlerin und Kunst-
nen werden.
historikerin Saskia Haag stellt fest, dass der
Im zweiten Hauptkapitel dieser Arbeit, in
Begriff Stimmung schon in den Wohnratge-
dem der Vergleich zwischen Loos’ Villa Kar-
bern des 19. Jahrhunderts als „Ziel der
ma bei Montreux (1903–1906) und Hoffmanns
modernen Wohnung“ formuliert wurde.
Palais Stoclet in Brüssel (1905–1911) geleistet
Gerade für den Zeitraum von 1850 bis 1900
wird, ist es das Ziel, die gemeinsamen Vorbil-
beobachtet sie eine Verknüpfung des Begriffs
der dieser beiden Bauwerke (Abb. 1 und 2)
Stimmung mit dem Interieur beziehungswei-
exemplarisch abzustecken. Hierbei wird klar
se dem Haus.19 Dies soll nun im Falle der
sichtbar, dass die Biedermeierkultur eine
Werke Hoffmanns und Loos’ für die
Quelle des Wiener ‚Lebensgefühls‘ ist. Dies
Jahrhundertwende ergänzt werden.
wird deutlich mittels der Untersuchung von
Anhand der zwei Kapitel zum Sanatorium
Raum-, Blick- und Bewegungsregie in der V illa
Purkersdorf (1904) von Josef Hoffmann und
Karma und dem Palais Stoclet. Die zusätzli-
zum Haus am Michaelerplatz (1909–1911) von
che Herstellung von Bezügen zu den Werken der „Arts and Crafts“-Bewegung ermöglicht
19 Haag 2012, S. 116f.
1. Einleitung
Adolf Loos sind die umfassenden Interdependenzen von Architektur und deren Bewohnern oder Nutzern oder die durch jene verkörperten sozialen Rollenbilder, die sich durch die
Abb. 4: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, 1909– 1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Blick zwischen Looshaus und Palais Herberstein (in seiner ursprünglichen Gestalt) in die Herrengasse (ohne Hochhaus), Foto grafie von 1910
architektonische Verfasstheit der Gebäude ergeben, tiefergehend zu klären (Abb. 3 und
der Menschen in Form, Farbe und Aus-
4). Sowohl Josef Hoffmann als auch Adolf Loos
stattung den jeweiligen Kunstanschauun-
lösten das Bild der Kongruenz zwischen
gen und Kunstschöpfungen entspricht, ja
‚modernem Ich’ und Architektur, das zum Bei-
absolut nicht anders gedacht werden
spiel bereits 1896 vom Architekten Otto Wag-
kann. […] Ein Mann im modernen Reise-
ner, dem Lehrer Hoffmanns und das Vorbild
anzuge wird beispielsweise sehr gut zur
Loos’, in Hinsicht auf das Verhältnis von Klei-
Bahnhofshalle, zum Schlafwagen, zu all
dung und Architektur angedeutet wurde :
unseren Vehikeln stimmen; was würden
20
wir aber für Augen machen, wenn wir bei„Selbst eine geringe Beobachtungsgabe
spielsweise eine Gestalt in der Kleidung
muß in uns die Überzeugung wachrufen,
der Epoche Ludwigs XV. ein Fahrrad be-
daß die Außenerscheinung, die Kleidung
nützen sehen würden?“21 21
20
Vergleiche dazu Oechslin 1999, S. 44–77.
Hier zitiert nach Wagner 2008, S. 44–77. Vergleiche dazu Wagner 1896, S. 33f.
15
16
1. Einleitung
In der dritten Auflage von 1902 wurde dies
Hoffmanns Fassaden zeigen sich sowohl ano-
noch ergänzt:
nymisierende als auch individualisierende Strukturen. Franz Dröge und Michael Mül-
„Einfach, wie unsere Kleidung, sei der
ler sprechen dabei von einem „System der
Raum, den wir bewohnen. Hiermit ist aber
Differenzierung“ zwischen „Außen/Innen“
nicht gesagt, daß der Raum nicht reich
oder
und vornehm ausgestattet sein könne oder
Abschottung ins Private, wie es das Bieder-
daß nicht Kunstwerke ihn schmücken
meier propagiert hatte, wird von Loos ins
dürften. Reichtum und Vornehmheit sind
20. Jahrhundert transferiert und zwar als ein
aber nicht durch Formen auszudrücken,
Lebensmodell. Beatriz Colomina formuliert
welche mit unseren Anforderungen von
jedoch die Ansicht, dass das „Subjekt der
Komfort und mit unserem heutigen Form-
Loosschen Architektur der Bühnenschau-
und Farbgefühl disharmonieren.“
spieler“ sei.26 Der Bewohner von Loos’schen
22
„Gesellschaft/Individuum“.25
Eine
Villen oder der Kunde eines von Loos einHoffmann und Loos stellten sich beide gegen
gerichteten Geschäfts befindet sich demnach
eine Gesellschaft des Historismus, die in
auf einem Bühnenraum, den es verschiedent-
ihren Fassaden ‚falsche Tatsachen‘ vortäusch-
lich zu bespielen gilt. Daher sollen im wei-
te. Jene versteckten sich nach Ansicht ihrer
teren Verlauf dieser Arbeit sowohl das Bild
Generation, wie es Otto Wagner formulierte,
der Maske als auch verschiedene Subjekt-
hinter der repräsentativen „Maske des Palas-
konstitutionen, die die Architektur Loos’ ver-
tes“. Die Fassaden, die etwas vortäuschen,
körpert, erarbeitet werden. In diesem Sinne
das sich dahinter gar nicht befindet, reflek-
wurden auch die hier zu behandelnden
tieren ihrer Meinung nach eine Gesellschaft,
Architekturen sowohl Hoffmanns als auch
die von Vorspiegelungen lebt und dadurch
Loos’ ausgewählt, da sie verschiedene Grade
langfristig gesehen erkranken muss. Josef
von öffentlicher Repräsentation bis hin zu
Hoffmann reagiert mit beruhigten Formen,
privaten Rückzugsmöglichkeiten veran
die mithilfe geometrischer Ordnungen eine
schaulichen.
23
klar strukturierte Welt entstehen lässt. Für
Weiterführend für diese Arbeit stellt sich
das Haus am Michaelerplatz wird indessen
die zentrale Frage nach der Ausprägung der
von Loos die Metapher der Maske umgedeu-
im Innenraum inszenierten Stimmungen.
tet. Er sieht die Lösung in der neutralen Fas-
Liegt der Fall wirklich so, wie bisher vermu-
sade als Maske und Schutzschicht zwischen
tet wird, dass die anonymen Stimmungen in
der öffentlichen und privaten Sphäre.
Loos’ Räumen und die persönlichkeitsauf-
24
Bei
geladenen Räumlichkeiten bei dem Secessi22 Wagner ³1902, S. 170. 23 Bahr 2007 (1899.1), S. 97. 24 Im Rahmen des Kapitels zum Haus am Michaelerplatz werden die Quellen dieser Theorie noch detailliert angegeben. An dieser Stelle soll fürs Erste nur eine kleine Auswahl genannt werden: Moravánszky 2008.1, S. 17–22, Colomina 1988,
onisten Hoffmann zu finden sind? Beatriz
S. 65–77, Wigley 1996, S. 148–268 insbesondere S. 207–212 und Shapira 2004. 25 Dröge und Müller 1995, S. 155f. 26 Colomina 1997.1, S. 220.
1. Einleitung
Colomina erkennt etwa für Loos’ Architek-
in die Untersuchung mit einzubeziehen.
tur die Rolle sowohl als schützende Maske
Fassen lassen sich diese vielschichtigen
für das moderne Individuum als auch den
Erscheinungen unter dem Sammelbegriff der
„social character“, der die Einrichtungen
Stimmung, der im weiteren Verlauf der Ein-
Hoffmanns dominierte. Sie spricht im Falle
leitung noch näher erläutert und für diese
der Hoffmann’schen Einrichtungen von einer
Untersuchung spezifiziert wird.
„harmony“, die sich im Einklang mit dem
Den beiden Architekten ist neben dem
sozialen Charakter des Bewohners befinden
gleichen Wirkungskreis – dem politischen
sollte. Diese Harmonie führe jedoch zu
und kulturellen Zentrum des Vielvölkerstaa-
einem ‚eingefrorenen‘ Zuhause, das nicht
tes der k. & k. Monarchie – auch der Wunsch
mehr mit dem Bewohner gemeinsam altere
nach der Realisierung des Ideals vom ‚moder-
– im Sinne eines Wandels – und genau die-
nen Menschen‘ gemein.29 Diese von Hoff-
ser Umstand habe zur Kritik Adolf Loos’ an
mann oder den Secessionisten revolutionär
Hoffmann geführt.27 Während Loos’ Bauten
und von Loos evolutionär motivierte Aus-
von Colomina als „introvertiert“ und
richtung zeichnet sie als die Avantgarde der
„autistisch“ beschrieben werden, zeichnet
Moderne oder als die Initiatoren der Vormo-
sie für die Einrichtung des Palais Stoclet ein
derne aus,30 denn offenkundig beschäftigte
Bild der Anpassung zwischen Raum und
die Suche nach dem ‚modernen Ich‘ und des-
Möbeln. Jedes Möbelstück kreiert seinen
sen Definition durch Künstler in den folgen-
eigenen Raum. Colomina fasst zusammen:
den Jahrzehnten immer wieder ganze Künst-
„Hoffmann tries not to differentiate, but to
lergemeinschaften, wie zum Beispiel den
cancel differences. Space and furniture are
Werkbund oder das Bauhaus. Dieses Hoff-
part of the same whole. They are inhabitants.
mann und Loos gemeinsame Übersteigern
One is one’s mask.“28 Es stellt sich jedoch ebenso die Frage, ob nicht auch Loos’ Ein-
29
richtungen sich sozialer Stereotypen bedienten und jene ebenso in Szene setzten. Deutlich zu beobachten ist eine sowohl in ihrer Konzeption durch den Architekten eingearbeitete Wahrnehmungsstrategie der Bauten als auch eine emotional geäußerte Wahrnehmung der Architekturen durch die Zeitgenossen. Dies gilt ebenso für die Bauwerke Loos’ als auch für die Hoffmanns. Demzufolge besteht die Notwendigkeit, ebenso die Wahrnehmung der Architektur Hoffmanns und Loos’ in der Wiener Öffentlichkeit 27 Colomina 1988, S. 67. 28 Colomina 1988, S. 71.
30
Bereits Otto Wagner hatte den Architekten „als die Krone des modernen Menschen“ bezeichnet. Dadurch wird jene formulierte Anspruchshaltung verständlicher. (Wagner 2008, S. 17.) Zu den Aspekten, die das Wien um 1900 zu einem zentralen Ort der Vorformulierung der Moderne charakterisieren, gehören die Bemühungen um Hygiene, die durch Badehäuser und die Assanierung der Stadt einer breiten Schicht vermittelt werden sollte. Daneben zählen auch die Mobilität, die durch das öffentliche Stadtbahnsystem Otto Wagners bis heute besteht, und die Umformulierung der bürgerlichen Ansprüche an die Wohnung oder das Haus. Weiterhin bezeichnet Carl E. Schorske Wien als eine der „fruchtbarsten Brutstätten der ungeschichtlichen Kultur“ des 20. Jahrhunderts. (Schorske 1982, S. X.) In Wien wurde auf vielerlei Wegen die Forderung einer von Geschichte befreiten Kultur laut. Man denke nur an den Wahlspruch der Wiener Secessionisten: „Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“.
17
18
1. Einleitung
der Rolle des Architekten zum selben Zeit-
neu zu positionieren. Die Erfahrung von
punkt und Ort verlangt nach einem Vergleich
Disparatheit und Ambivalenz schürt den
der beiden Baukünstler.
Wunsch nach einem gestalteten, sicheren
Die vorliegende Untersuchung wendet
Umfeld und erklärt die Beweggründe für die
sich auch der Literatur um 1900 in Wien zu,
Gesamtkunstwerk- und Reformbewegung.
da sie die Quelle für die Rekonstruktion eines
Diese aufrüttelnde, spannende, aber auch
kulturellen Netzes darstellt, in dem Hoff-
verstörende Atmosphäre führt zu zwei künst-
mann und Loos sich positionierten. Gerade
lerischen Positionen: Auf der einen Seite ist
die Romane Robert Musils umschreiben ver-
der Eskapismus in eine Kunstwelt zu nen-
störende Ambivalenzen eines Menschen. Ins-
nen, andererseits ist der rationale Wille
besondere der Mann ohne Eigenschaften
erkennbar, das Umfeld im Einklang mit der
wird in der Forschungsliteratur zu Recht
lebensweltlichen Realität zu gestalten. In bei-
immer wieder als Kompendium für die Welt-
den Fällen heißt es sowohl für den Künstler
sicht um 1900 bis circa 1910 herangezogen.
als auch für seinen Auftraggeber, eine domi-
Hier soll diese Weltsicht in ihren einzelnen
nante und aktive Rolle einzunehmen, die
Paradigmen auf zwei bisher als kontrahie-
sich gegen eine, wie Ernst Topitsch sie
rend gezeichnete Architektur-Biografien
bezeichnet, „zutiefst gefährdete Welt“31
angewendet werden, um damit als gemein-
positioniert. Dies wird im Umkehrschluss
samer Hintergrund zu fungieren. So gibt zum
überdeutlich, wenn Musil im Falle von Wien
Beispiel das berühmte Bild des in unter-
eine Analogie zwischen Stadt und Mensch
schiedliche Instanzen zerrissenen Menschen
deklariert: „Städte lassen sich an ihrem Gang
– das seine Ausformung auch im Mann ohne
erkennen wie Menschen.“32 Demnach ist
Eigenschaften findet – das Weltbild des
auch für die Werke Loos’ und Hoffmanns
damaligen Städters wieder, der sich mit
um 1900 zu vermuten, dass sich in ihnen
einem schnell wachsenden und immer rasan-
eine individuelle Haltung zur eigenen Zeit
ter entwickelnden Umfeld konfrontiert fühlt,
manifestiert. Dieser Annahme ist nach
in dessen stetig sich verändernden Grenzen
zugehen.
er sich immer wieder gezwungen sieht, sich
31 Topitsch 1986, S. 17. 32 Musil 2006, S. 9. Vergleiche zur Erwähnung des Architekturskandals um das Haus am Michaelerplatz im Roman Der Mann ohne Eigenschaften Brüggemann 2002, S. 508–523.
2. Stimmung als Untersuchungsmoment
Im Folgenden wird der methodische Über-
Neben dieser Objekt-Subjekt-Korrelation
bau der Untersuchung, der die Arbeit in die
wird aber auch nachzuweisen sein, dass jene
historische Emotionsforschung einordnet,
Wechselwirkung von den Architekten Josef
erläutert. Dabei wird die ‚Stimmung‘ zum
Hoffmann und Adolf Loos bewusst akzep-
zentralen Moment deklariert und in seiner
tiert, sogar geschürt wurde. Eine der zu
Relevanz für den Vergleich zwischen den
beantwortenden Fragen ist, in welcher Art
Œuvres Hoffmanns und Loos’ definiert.
und Weise die Evokation von Stimmungen,
Der Annahme Hartmut Böhmes von einer
als pädagogisch anmutender intentionaler
Beziehung zwischen Architektur und Ich soll
Eingriff des Architekten in das direkte
nachgegangen werden.
Umfeld des Menschen, das Bild der verwirklichten Architekturen bestimmt und gelenkt
1
„Offenbar gibt es zwischen Gefühlen und
hat. Dabei ist eine enge Verflechtung von
atmosphärischen Räumlichkeiten Bezie-
Wahrnehmung und Empfindung oder Ein-
hungen, die ebenfalls weder kulturell
fühlung um 1900 zu beobachten. Dies wird
selbstverständlich noch phänomenolo-
sinnfällig durch die häufige Verwendung des
gisch zwingend sind. Viele Forscher wür-
Begriffs Stimmung als Gemütszustand, aber
den überhaupt die Beziehung zwischen
auch als räumliche oder landschaftliche
Gefühlen und räumlichen Atmosphären
Atmosphäre. Hartmut Böhme bezeichnet
als bloße Projektion abtun, zumindest für
Gefühle sogar als „räumliche, in sich geglie-
nicht analysierbar halten. So bemerken
derte und analysierbare Atmosphären“ und
wir mancherlei Korrelationen zwischen
die „Stimmungen der Dinge“ als „Auslegun-
Nacktheit, Kleidung, Entblößung, Scham,
gen“ von jenen Gefühlen.2 Da die Stimmung
Situationen, Atmosphären, Normen. Doch
an sich ein diffuses und unscharfes Untersu-
hätten wir größte Mühe, diese Beziehun-
chungsfeld buchstäblich bedingt, weil sie
gen in einen theoretischen Zusammen-
ebenso wie Gefühle keine direkte Objekt-
hang zu bringen.“1
qualität besitzt,3 ist zunächst eine Begriffs-
Böhme 1997, S. 527.
2 3
Böhme 1997, S. 535f. Böhme 1997, S. 525.
20
2. Stimmung als Untersuchungsmoment
definition erforderlich, die jedoch nicht chro-
ein Aufgreifen einer Loos’schen Formulierung
nologisch, sondern auf die Methodik dieser
aus seinem Aufsatz Architektur von 1910:
Arbeit zugespitzt vorgenommen wird.4 Diese augenscheinliche definitorische Unschär-
„Die Architektur erweckt Stimmungen im
fe soll gerade als Stärke des Begriffs genutzt
Menschen. Die Aufgabe des Architekten
werden und als Vergleichsmoment zwischen
ist es daher, diese Stimmungen festzuhal-
den Werken Hoffmanns und Loos’ dienen.
ten. Das Zimmer muß gemütlich, das Haus
Daher ist zunächst der Gebrauch des Wortes
wohnlich aussehen. Das Justizgebäude
Stimmung durch Loos und Hoffmann selbst
muß dem heimlichen Laster wie eine be-
abzustecken, bevor des Weiteren eine allge-
drohliche Gebärde erscheinen. Das Bank-
meinere Herleitung geleistet werden kann.
gebäude muß sagen: hier ist dein Geld bei ehrlichen Leuten fest und gut verwahrt.“5
2.1. Stimmung im schriftlichen Werk Loos’ und Hoffmanns
Dietrich Worbs nimmt jene Aussage auf und folgert, dass Loos der Ansicht war, die Auf-
Adolf Loos’ Architektur wurde bisher nur sehr
gabe des Architekten sei es „Stimmungen im
selten mit dem Begriff der Stimmung ver-
Menschen zu erwecken“. Dies fasst Worbs
knüpft. Meistens handelte es sich dabei um
auf als eine Einschreibung von „semiotischen Signalen“ in die Architektur. Jene Signale
4
Die Darstellung der zeitlichen Entwicklung des Stimmungsbegriffs seit Kant lässt sich nachlesen bei: David E. Wellbery: Stimmung, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 5 (2010), S. 703–733. Wellbery zeichnet eine Entwicklung des Stimmungsbegriffs unter der Regie eines „Subjektivierungsprozesses“. Vergleiche dazu Gisbertz 2009, S. 14–21. Im Laufe der letzten Jahre zeigte sich ein gesteigertes Interesse in der Kunst- und Literaturwissenschaft am Topos der Stimmung als äußerst produktiv. Ergebnis dieser Auseinandersetzungen sind unter anderem die beiden Bände aus der Passagen/Passages-Reihe: Thomas 2010.1 und Thomas 2010.2. Anna-Katharina Gisbertz legte für die Literaturwissenschaft und insbesondere für den Handlungsraum Wien um 1900 mit ihrer Dissertation eine elementare Publikation vor (Gisbertz 2009). Siehe auch Gisbertz 2011. Weiterhin gab es ein SNF-Projekt unter der Leitung von Hans-Georg von Arburg mit dem Titel Stimmung. Geschichte und Kritik ästhetischer Empfindung zwischen Literatur, Musik und Kunst in der Moderne an der Université de Lausanne (UNIL). Im Rahmen dieses Projektes wurde im Mai 2010 eine internationale Tagung unter dem Titel Concordia discors – Ästhetiken der Stimmung zwischen Literaturen, Künsten und Wissenschaften abgehalten. (Arburg 2012.)
seien wiederum Medien der Vermittlung von „Bedeutung und Funktion“ von Architektur.6 Des Weiteren präzisiert er: „Für Loos sind Zweckmäßigkeit, Ökonomie und die Anmutungsqualität, die Stimmung, die ein Gebäude und ein Raumgefüge ausstrahlt, Aspekte ein und derselben Sache, nämlich des im Raum entwickelten und gelösten Entwurfs.“7 5 Loos 2010 (1910.5), S. 403. Die gleiche Textstelle lautet im Band Trotzdem: „Die architektur erweckt stimmungen im menschen. Die aufgabe des architekten ist es daher, diese stimmungen zu präzisieren. Das zimmer muß gemütlich, das haus wohnlich aussehen. Das justizgebäude muß dem heimlichen laster wie eine drohende gebärde erscheinen. Das bankhaus muß sagen: hier ist dein geld bei ehrlichen leuten fest und gut verwahrt.“ (Loos 1962 (1910), S. 317f.) 6 Worbs 1982, S. 372f. Siehe auch Worbs 1983, S. 66. 7 Worbs 1983, S. 66. Vergleiche dazu Dittmann 2005, S. 198.
2.1. Stimmung im schriftlichen Werk Loos’ und Hoffmanns
Dieses Stimmungsverständnis grenzt Mat-
Er selbst schreibt 1901 in seinem Aufsatz
thias Tripp noch ein, indem er bei Loos’
Einfache Möbel:
Arbeiten im Vergleich zu den Entwürfen der Revolutionsarchitekten keine „hohen
„Ein großer Übelstand ist die Bedürfnis-
Stimmungen“ erkennt, sondern eine Orien-
losigkeit des Publicums. Dieses trägt über-
tierung über den Innenraum „am individu-
haupt vielfach die Schuld, wenn wenig
ellen Bewußtsein“. Unter dieses zählt Tripp
Gutes geleistet wird. Es ist zu träge, um
„Bedürfnisse, Empfindungen und Stimmun-
den richtigen Weg und den richtigen
gen“.8 Adolf Loos’ Ausführungen nochmals
Künstler zu suchen und sich nicht dessen
exakt gelesen ergeben, dass Architekturen
bewusst, dass es die Aufgabe hat, genau
an sich schon Stimmungen im Subjekt aus-
seine Wünsche zu präcisieren. Hätten wir
lösen und dass als Aufgabe des Architekten
ein gutes geschultes Publicum, dessen
zu verstehen sei, jene Stimmungen zu ver-
Auge klar unterscheiden würde zwischen
ankern, vielleicht zu verstärken oder auch
gut und schlecht, welches nicht auf Arti-
zu verfeinern. Worbs und Tripp ist daher
kel und Hörensagen angewiesen wäre,
zuzustimmen, wenn sie aufgrund jenes
wenn es seine Bestellung macht, welches
Zitats vor allem die Funktion, das heißt die
mit Bewusstsein den Comfort verlangen
Bedürfnisstruktur von Architektur als Stim-
und jeden unnützen Tand verwerfen wür-
mungsträger für Loos definieren. Insbeson-
de, dann hätten wir bald nichts Schlech-
dere Joseph Imorde verbindet explizit Adolf
tes mehr zu sehen, denn es fehlt den meis-
Loos’ Raumplan mit einer bewussten „Wir-
ten Entwurfskünstlern nicht so sehr an
kungsabsicht“ und bezeichnet den Raum
Talent, als an Charakter und an dem
seiner Villen als „Empfindungszentrum“.
nötigen Halt. Ich verstehe darunter die
Dabei nehme Loos regelrecht eine „subjek-
Nachgiebigkeit gegenüber seinen und
tivistische Position“ ein. Doch ist es nun
seines Bestellers Launen und falschen
9
unerlässlich,
erstmalig
alle
einzelnen
Begrifflichkeiten hinsichtlich des ästhetischen Stimmungsbegriffs noch einmal zu überprüfen und mithilfe der Architektur detailliert gegenzulesen. Für Josef Hoffmann persönlich findet sich nur eine prägnante Nennung des Stimmungsbegriffs.10 8 Tripp 1983, S. 45–49. 9 Imorde 2006, S. 34f. 10 Für die Secession als Künstlergemeinschaft finden sich schon mehrere zeitgenössischen Nennungen der Stimmung. So schreibt Rudolph Lothar: „Seelenkunst, das ist die Secession, das will sie sein. Sie hat mit dem Angelernten gebrochen, sie hat an Stelle der ‚Stimmung‘, des ‚Schönen‘, des ‚Großen‘, das der Herr Professor lehrte, die Stimmung,
das Schöne und Große gesetzt, das der Künstler, in sich selbst fand. Das ist ihre Jugend, ihre Kraft, ihre Bedeutung! Sie ist wie jede wahre Kunst, persönlich, individuell.“ (Lothar 1898, S. 813.) Bei der 8. Secessionsausstellung, die unter anderem Werke von Charles Rennie und Margaret Mackintosh präsentierte, spricht Otto Stoessl von einer „Märchenstimmung“. (Stoessl 1900, S. 330.) In der Zeitschrift Das Interieur hieß es zu dieser Ausstellung: „Die innere Wahrheit dieser Arbeiten … wirkt überwältigend. Die Strenge, Reinheit, Einfachheit und Inbrunst dieser Konstruktion lassen den Gegensatz zwischen lebendiger Stimmungsgestaltung und jener erkünstelten Plattheit erkennen, welche uns an gewissen angeblich modernen Erzeugnissen jetzt schon seit Jahren langweilt …“. (Hier zitiert nach Sekler ²1986, S. 39.)
21
22
2. Stimmung als Untersuchungsmoment
Empfindungen, das Stimmungmachen in
fehlgeleitetes, nicht ursprüngliches, bloß
Räumen des täglichen Lebens und das fal-
durch die Architekten und Bildmedien
sche Pathos dort, wo wir nach Natürlich-
lanciertes.“12
keit lechzen sollten.“11 Mittels des Artikels Der Sessel vom Oktober Hoffmann verwendet nicht den Begriff an
1899 des Wiener Journalisten und Literaten
sich, sondern das Substantiv „Stimmungma-
Hermann Bahr – der unter anderem im
chen“. Die Stimmung ist demnach für ihn
Umkreis der Wiener Secession einzuordnen
ein Zustand, der aktiv hergestellt werden
ist –, kann man feststellen, dass Bahr hinge-
kann. Jedoch zeichnet er die Stimmung hier
gen die Vorteile des Gebrauchs sowie der
in einem negativen Sinn. Liest man Hoff-
Ästhetik betonte. Am Beispiel des Sessels
manns Äußerungen zum „Comfort“, wird an
stellt Bahr drei Herangehensweisen vor, wobei
dieser Stelle noch der Eindruck einer Schwer-
uns hier nur zwei interessieren: Die Suche
punktlegung auf die Funktion der Möblie-
nach dem „absoluten“ und dem „individuel-
rung verstärkt. Findet sich bei Loos eine
len Sessel“. Beim ersten geht es vornehmlich
funktionalistische Betonung, die vielmehr
darum, die „ideale Haltung eines Sitzenden
an die Definition einer architecture parlante
rein zu empfinden“ und diese „Empfindung
erinnert, ist es Hoffmann, der eine klare Für-
in einem Materiale auszudrücken“. Dann
sprache an die Bequemlichkeit des Möbel-
erlange man einen „unübertrefflichen“ Ses-
stücks formuliert. So hatte jedoch Fedor Roth
sel.13 Das zweite Verfahren umschreibt Bahr
in seiner Publikation von 1995 für Loos fol-
mit der folgenden Einstellung des „Künstlers“:
gende plausible Beobachtung aufgestellt: „Das, stille Freude und anschmiegende Er„Das Konzept der Bequemlichkeit ist also
gebung in das Schicksal, ist die Stimmung,
die umfassende Anforderung, die Loos an
der Grundton meines Lebens. Ihn will ich
die Architektur und den Gebrauchsgegen-
mittheilen. In meinen Bildern habe ich es
stand stellt. Bequemlichkeit schließt die
durch Farben versucht, jetzt will ich es ein-
praktische Handhabe, die passende Stim-
mal durch einen Sessel versuchen. Dieser
mung als auch kulturelle Glaubwürdig-
soll so sehr meinen Stempel, das Gepräge
keit ein. […] Loos unterscheidet zwischen
meines Wesens haben, dass er von Jedem
dem Bedürfnis nach sinnlichem und be-
sofort als mein Sessel erkannt werden
quemen Gebrauch der Dinge und dem
muss. […] Allerdings gäbe es noch etwas,
nach visueller Ästhetik, dem Bild des
was mich eigentlich noch mehr reizen wür-
Ganzen. Er ist überzeugt, daß letzteres
de. Nämlich zu versuchen, ob ich nicht ei-
Bedürfnis schädlich sei, weil es den wirk-
nen Sessel machen könnte, der meine
lichen Gebrauch behindere. Er sieht im
Empfindungen durch eine so suggestive
Bedürfnis nach bildhafter Ästhetik ein
Linie ausdrücken w ürde, dass Jeder, der
11 Hoffmann 1901, S. 202f. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.
12 Roth 1995, S. 149f. und S. 167. 13 Bahr 2007 (1899.2), S. 135.
2.2. Stimmung, Gefühl und Emotion: Eine definitorische Abgrenzung
sich auf ihn setzt, von derselben Empfin-
Der Physiker, Philosoph und Pädagoge Otto
dung ergriffen würde.“
Friedrich Bollnow (1903–1991) sieht in der
14
Stimmung eine „gleichnishafte Übertragung Dieser Exkurs zeigt, wie sehr man in ein defi-
eines musikalischen Begriffs auf die mensch-
nitorisches Schwanken gerät, wenn man nur
liche Seele“ und wendet metapherngleich
ausgehend von der Basis von Architekten-
das Bild des Tons auf das Gemüt des Men-
oder Literaten-Äußerungen ein grundsatz-
schen an, das in einem Grundton gestimmt
gleiches Verständnis der Bauwerke nachzu-
sei.16 Hierin folgt er deutlich dem Verständ-
bilden versuchte. Daher ist es notwendig,
nis der Stimmung wie es bereits gegen Ende
immer wieder einen Abgleich zwischen
des 18. Jahrhunderts bestand.17 So ist es zum
schriftlichen oder programmatischen und
Beispiel Novalis, der die Stimmung aus ihrem
architektonischen Erzeugnissen vorzuneh-
musikalischen System löst und sie in ein
men. Nachdem die Verwendung des Stim-
Indiz für „musikalische Seelenverhältnisse“
mungsbegriffes nun schon für Hoffmann und
transferiert.18 Die Germanistin Anna-Katha-
Loos aufgezeigt wurde, ist es als nächstes
rina Gisbertz definiert die Stimmung im Rah-
nötig, den Stimmungsbegriff als solches
men ihrer Begriffsgenese weiterhin wie folgt:
näher zu umreißen. Wobei lediglich eine für den weiteren Verlauf der Arbeit relevante
„Stimmungen bilden einen Erfahrungs
Auswahl präsentiert werden kann.
bereich, der die seit Descartes vorherrschende Subjekt-Objekt-Trennung in der
2.2. Stimmung, Gefühl und Emotion: Eine definitorische Abgrenzung
Wahrnehmung von Selbst und Welt aufhebt, da die Stimmungen weder dem einen noch dem anderen Bereich zuzu-
Meyers Konversationslexikon definiert in der
schreiben sind.“19
Ausgabe von 1885 das Wort Stimmung anfangs über seine musikalische Komponen-
Des Weiteren betont Gisbertz den Umstand,
te: im Sinne von „ein Instrument stimmen“,
dass es sich bei der Stimmung um einen
um einen ‚Wohlklang‘ zu erlangen. Erst zum
Begriff handelt, dessen Klärung sich viele
Schluss des Lexikoneintrages heißt es:
verschiedene wissenschaftliche Disziplinen widmen, u. a. die Psychologie, Physiologie,
„Im geistigen Sinn bezeichnet S. einen be-
Literatur,
Ästhetik
und
Philosophie.20
stimmten Gemütszustand, den in aller
Hans-Georg von Arburg sieht gerade in jener
Reinheit zum Ausdruck zu bringen eine der Hauptaufgaben der Musik wie jeder anderen Kunst ist.“15
14 Bahr 2007 (1899.2), S. 136. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit. 15 Stimmung, in: ⁴Meyers Konversationslexikon 1885–1892, Bd. 15, S. 334.
16 Bollnow ⁸1995, S. 38f. Auch Paola-Ludovika Coriando sieht in der Stimmung „ein eher diffuses und vages, wenn auch sehr wohl wirksames, ja tonangebendes Grundgefühl“. (Coriando 2002, S. 7.) 17 Vergleiche dazu Frey 2011, S. 75–91. 18 Reents 2011, S. 114. 19 Gisbertz 2009, S. 11. 20 Gisbertz 2011.1, S. 9f.
23
24
2. Stimmung als Untersuchungsmoment
multidisziplinären Anwendung des Begriffs
Beispiel die Gegensatzpaarungen von Leib
und seine dadurch entstandenen Definitio-
– Seele, Körper – Geist oder Physis – Psy-
nen, die sich von Natur aus durch unter-
che.26 Dass dieses reziproke Denken letzt-
schiedliche Schwerpunkte auszeichnen, eine
endlich zu kurz gedacht ist, zeigen die vielen,
„signifikante Unschärfe ästhetischer Stim-
in Nuancen voneinander abweichenden Defi-
mungen“ gegeben. Vor allem die Psycholo-
nitionsangebote.
21
gie nimmt in den letzten Jahrzehnten eine
Seit einigen Jahren werden Emotionen
leitende Rolle ein und stellt die Frage nach
auch als „soziale oder kulturelle Konstrukte“
der Definition. Dabei steht im Mittelpunkt
verstanden.27 Der Psychologe Matthias Sie-
der Erörterungen das Einwirken von „Stim-
mer zählt explizit drei affektive Zustände auf:
mung als emotionale[m] Zustand auf kogni-
Emotionen, Stimmungen und Gefühle. Zu
tive Prozesse“. In diesem Zusammenhang
den Gefühlen zählt er physiologische Emp-
werden Stimmungen als „Teilbereiche des
findungen wie Hunger oder Schmerz. Er defi-
Gefühlslebens“ definiert. Sie seien der „dif-
niert die Gefühle als „nichtintentionale
fuse Hintergrund“, auf dessen Basis sich
Zustände“, während er hingegen die Emoti-
Gefühle entwickelten und seien daher unter
onen als „intentionale Zustände“ festlegt.28
die Affektforschung zu zählen, wobei sie sich
Stimmungen unterscheidet Siemer von Emo-
durch ihre Dauer voneinander unterscheiden
tionen mittels ihres Merkmals der „Globalität
ließen.
Der Sozialpsychologe Herbert Bless
bzw. Diffusität“. Dabei legt er die Stimmun-
umgrenzt Stimmungen als eine „Teilmenge
gen als „atmosphärisch diffuse, ungegliederte
der emotionalen Zustände“ und bestimmt
Gefühlserlebnisse, in denen sich die Gesamt-
„Emotionen, Kognitionen oder Verhalten“
befindlichkeit des Menschen ausdrückt“ aus.29
22
als Folgen dieser. Auch der Soziologe Ulaş
Christiane Voss geht bei der Beurteilung
Aktaş sieht die Stimmung als verhaltenskon-
von Emotionen und Stimmungen etwas
stituierend.24 Stimmungen, Gefühle und
anders vor. Ihr ist es darum gelegen, die Emo-
Affekte sind jedoch voneinander zu unter-
tionen von ihrem Synonym „Affekt“ oder
scheiden. Üblich sind die Gegenüberstellung
„Leidenschaft“ abzugrenzen. Dabei folgt sie
von Emotionen und Kognitionen sowie die
der etymologischen Wurzel des lateinischen
Kontrastierung von Emotionen, Gefühlen
Wortes affectus, zählt die Stimmung als
und Affekten über die Teilbereiche des
sinnverwandt zum Affekt auf und betont
„Physisch-Leiblichen“
dessen Faktor als „einwirkend“ oder „anre-
23
oder
„Psychisch-
Seelischen“.25 Hierbei fällt auf, dass Unter-
gend“. Im Gegensatz zu Siemer zählt Voss
scheidungen oft durch die Ziehung von Oppo-
sowohl die Emotionen als auch die Stimmun-
sitionen vorgenommen werden, wie zum
gen unter die Obergruppe der Gefühle. Die
21 Vergleiche dazu Arburg 2010.2, S. 7f. 22 Arburg 2010.2, S. 14f. 23 Bless 1997, S. 1–5. Vergleiche dazu auch Parkinson 2000, S. 15–22. 24 Aktas 2010, S. 14. 25 Vergleiche dazu Böhme 1997, S. 534.
26 Winko 2003, S. 166. 27 Winko 2003, S. 66f. Zur weiteren Definition von Emotionen siehe Winko 2003, S. 74. 28 Siemer 1999, S. 11. 29 Siemer 1999, S. 37.
2.2. Stimmung, Gefühl und Emotion: Eine definitorische Abgrenzung
Philosophin Agnes Heller spricht im Falle
stituiert existenzial die Weltoffenheit des
von Stimmungen sogar von genetischen oder
Daseins,‘ ‚Die Stimmung hat je schon das
biografischen „Prädispositionen der Gefüh-
In-der-Welt-sein als Ganzes erschlossen
le“.
Simone Winko hingegen bezeichnet
und macht ein Sichrichten auf … allererst
die Stimmung als eine „Manifestationsform
möglich,‘ [...] Im Gegensatz zu dem wohl
von Emotionen“. Beim näheren Abstecken
definierten Gegenstandsbezug der Affek-
der Stimmung setzen Voss und Winko jedoch
te liegt in dem Weltbezug der Stimmun-
die gleichen Kriterien wie Siemer an: Stim-
gen zwar auch ein Gegenstandsbezug,
mungen zeichnen sich nämlich ihrem Ver-
aber ein offener, unbestimmter.“35
30
31
ständnis nach durch ihre Nicht-Intentionalität aus und seien auf die Welt oder das
Kerstin Thomas entscheidet sich aus kunst-
Leben im Allgemeinen gerichtet. David E.
historischer Perspektive für eine Distinktion
Wellbery fasst Stimmungen im Gegensatz zu
von Stimmung und Affekt. Die Stimmung
Gefühlen ebenfalls als nicht-intentional.32
wird im Zusammenhang mit der Malerei zu
Als Differenzierung zur Laune sei die Stim-
einer „emotionalen Einkleidung“ und büßt
mung wiederum weniger „sprunghaft in
darüber den zeitgebundenen Faktor eines
ihrem Auftreten und Verschwinden“.
Affektes ein. Die Stimmung verliert dadurch
33
Voss bezieht sich des Weiteren aber auch
ebenso ihren individuellen Charakter und
auf Ernst Tugendhat, der die Stimmung wie-
wird zu einem sozial lesbaren Code. Klaus
derum als nicht den Affekten zugehörig ver-
Herding fasst jene Stimmung nach Thomas
steht, dafür jedoch als „affektiven Zustand“
als ein „Gemeinschaftsgefühl“.36 Dieser
umschreibt. Dies weiter ausführend zitiert
Definitionsansatz rückt die Stimmung in die
sie den Philosophen Ernst Tugendhat, der
Nähe zum Mental Habit nach Erwin Panofs-
selbst wiederum an Heideggers Stimmungs-
ky und weiterhin zu Bourdieus Habitus-
verständnis anknüpft :
Theorie.37
34
Martin Hartmann zieht aus philosophi„… die Stimmung [ist; LT] ein Zustand
scher und soziologischer Perspektive die
der Person, der ihre affektive Aufgeschlos-
umgangssprachliche Verwendung des Begriffs
senheit bzw. Verschlossenheit mit Bezug
als Erklärungsmuster zur Annäherung an den
auf das ‚im ganzen’ betrifft, und genau so
Begriff der Stimmung heran. So führe die
wird sie von Heidegger charakterisiert:
Gebrauchssprache zur Umzeichnung von
‚Die Gestimmtheit der Befindlichkeit kon-
Stimmungen wie zum Beispiel „Melancholie, Traurigkeit oder Nostalgie“ als Gefühle. Er
30 Hier zitiert nach Voss 2004, S. 11 und S. 38. 31 Winko 2003, S. 78. 32 Wellbery, David E.: Stimmung, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 5 (2010), S. 704. 33 Voss 2004, S. 11f. und Winko 2003, S. 109. 34 Vergleiche zum Stimmungsbegriff bei Heidegger Aktas 2010, S. 353–365 und Thomas 2010.1, S. 14–17.
fordert daher bei „philosophischen Zusam-
35 Hier zitiert nach Voss 2004, S. 84. 36 Thomas 2004, S. 448–466 und Herding 2004, S. 33. 37 Vergleiche dazu Panofsky 1989 und Bourdieu 1970, S. 125–158.
25
26
2. Stimmung als Untersuchungsmoment
menhängen“ eine klarere Trennung von
Und dennoch sieht Bollnow die Entwicklung
Gefühlen und Stimmungen.
Er selbst
von Gefühlen auf der Basis von einem „Stim-
bezeichnet Stimmungen aber als wesensver-
mungsuntergrund“ gegeben.45 Genau jener
wandt zu den „objektlosen Gefühlen“39, da
Hintergrundcharakter der Stimmung ist für
er Stimmungen allgemein als nicht-intentio-
Bollnow das Argument für eine Übertragung
nal definiert.
38
Otto Friedrich Bollnow ver-
des Stimmungsbegriffs auf eine Landschaft
gleicht Stimmungen mit den „Lebensgefüh-
oder sogar auf einen Wohnraum.46 Die Stim-
len“ und beides seien die „ursprünglichsten
mung zeichne sich gerade durch eine Bezo-
Formen“ einer Selbstwahrnehmung.41 Dies
genheit auf Welt an sich aus. Diese Begriffs-
präzisierend, unterscheidet Bollnow die
bestimmung folgt vor allem der Definition
Stimmungen von den leiblichen Gefühlen
Martin Heideggers für Stimmungen als
wie zum Beispiel Hunger, Durst oder Müdig-
„In-der-Welt-sein“ und Stephan Strassers
keit. Stimmungen werden von ihm als
Umschreibung der Stimmung als „Ich- und
„Grundbefindlichkeiten“ umrissen, die allen
Weltgefühl zugleich“.47 Jenes Verständnis
„Regungen“ eine „eigentümliche Färbung“
beruht vermutlich in Teilen auch auf demje-
verabreichen.42 Als Sitz der Stimmungen
nigen der ‚romantischen Psychologie‘,48 die
bezeichnet Bollnow das Gemüt. Da Regung
eine eindeutige Verbindung zwischen Seele
jedoch streng genommen nur ein anderes
und Leib deklarierte und die Stimmungslage
Wort für Gefühl darstellt, ist diese Definiti-
somit zum Faktor für die körperliche Befind-
on abermals eine Vermischung der Begriff-
lichkeit erklärte.49 Bollnow begründet die
lichkeiten von Gefühl und Stimmung. Den-
Stimmung in ihrer Disposition als Unter-
noch grenzt Bollnow diese beiden Wörter
grund auch als essenziell für die Wahr
voneinander ab, indem er Stimmungen als
nehmung.50
40
43
etwas Gegenstandsloses definiert:
Die Verknüpfung von Landschaft und Stimmung ist an sich aber auch ein Topos
„Sie [Stimmungen; LT] sind Zuständlich-
der Romantik. So wird in jener Epoche das
keiten, Färbungen des gesamten mensch-
„Stimmungsbild“ zu einem vordringlichen
lichen Daseins, in denen das Ich seiner
Auftrag der Landschaftsmalerei51 und die
selbst in einer bestimmten Weise unmit-
Landschaft wird im Sinne einer Naturbesee-
telbar inne wird, die aber nicht auf etwas außer ihnen Liegendes hinausweisen.“44
38 Hartmann ²2010, S. 31f. Vergleiche zum Aspekt der Stimmung in Alltagsgesprächen Parkinson 2000, S. 12. 39 Hartmann ²2010, S. 85. 40 Hartmann ²2010, S. 92. 41 Bollnow ⁸1995, S. 33. 42 Bollnow ⁸1995, S. 33f. 43 Bollnow ⁸1995, S. 34. 44 Bollnow ⁸1995, S. 34f.
45 Bollnow ⁸1995, S. 36 und S. 54. 46 Bollnow ⁸1995, S. 39f. 47 Bollnow ⁸1995, S. 40f und S. 55. Ähnliches erklärt auch Böhme, nur dass er statt der Stimmung den Begriff des Gefühls einsetzt. (Böhme 1997, S. 539.) 48 Hartmut Böhme deklariert eine „Psychologisierung und Moralisierung der Gefühle“ im Laufe des 18. Jahrhunderts. (Böhme 1997, S. 534.) 49 Bollnow ⁸1995, S. 42. Vergleiche dazu Gisbertz 2011.1, S. 9. 50 Bollnow ⁸1995, S. 57. 51 Reents 2011, S. 120 und Thomas 2010.2, S. IX.
2.2. Stimmung, Gefühl und Emotion: Eine definitorische Abgrenzung
lung zum „Resonanzraum für Seelenzustän-
„Weltseele“. Die Stimmung stellt sich über
de“.
Genau an jenem Knotenpunkt setzte
die Ruhe und Fernsicht im modernen Men-
bereits der Wiener Kunsthistoriker Alois
schen ein und wird von Riegl auch als „erlö-
Riegl 1899 mit seinem Aufsatz Die Stimmung
sende Stimmung“ bezeichnet.54 Mit der expli-
als Inhalt der Modernen Kunst an. Er ver-
ziten Nennung des modernen Menschen
setzt den Ich-Erzähler zu Beginn seines
transferiert Riegl den romantischen Stim-
Essays auf einen Alpengipfel und lässt ihn
mungsbegriff in ein Zugangsmodell zur
„das Ganze überschaue[n]“. Dabei entstehe
modernen Weltsicht.55 Er formuliert als Auf-
ein „Gefühl der Beseeligung, Beruhigung,
gabe der modernen Kunst sogar, dem
Harmonie“. Jenes positive Gefühl näher aus-
Betrachter „die tröstliche Gewißheit von der
führend, schreibt Riegl:
Existenz jener Ordnung und Harmonie zu
52
verschaffen, die er in der Enge des Weltge„Was nun die Seele des modernen Men-
triebes
vermißt“.56 Jene
„ganzheitliche
schen bewußt oder unbewußt ersehnt, das erfüllt sich dem einsam Schauenden auf jener Bergeshöhe. Es ist nicht der Friede des Kirchhofs, der ihn umgibt, tausendfältiges Leben sieht er ja sprießen; aber was in der Nähe erbarmungsloser Kampf, erscheint ihm aus der Ferne friedliches Nebeneinander, Eintracht, Harmonie. So fühlt er sich erlöst und erleichtert von dem bangen Drucke, der von ihm keinen Tag seines gemeinen Lebens weicht. Er ahnt, daß weit über den Gegensätzen, die ihm seine unvollkommenen Sinne in der Nähe vortäuschen, ein Unfaßbares, eine Weltseele alle Dinge durchzieht und sie zu vollkommenem Einklange vereinigt. Diese Ahnung aber der Ordnung und Gesetzlichkeit über dem Chaos, der Harmonie über den Dissonanzen, der Ruhe über den Bewegungen nennen wir die Stimmung. Ihre Elemente sind Ruhe und Fernsicht.“53 Riegl definiert die Stimmung zu einem Vorgefühl um das Wissen einer waltenden 52 Thomas 2010.1, S. 12. 53 Riegl 1928 (1899), S. 29.
54 Riegl 1928 (1899), S. 30. Auch Otto Wagner sah die Ruhe als essenziell für das ästhetische Empfinden: „Es ist eine dem menschlichen Empfinden eigentümliche Eigenschaft, daß das Auge bei Betrachtung jedes Kunstwerkes einen Ruhe- oder Konzentrierungspunkt sucht, da sonst peinliche Unsicherheit, ein ästhetisches Unbehagen eintritt.“ Daher fordert er eine „STETE BERÜCKSICHTIGUNG DES HORIZONTALEN UND VERTIKALEN SEHWINKELS DES BESCHAUERS BEI JEDER ART VON DISPOSITION“. (Wagner 2008, S. 73f.) 55 Vergleiche dazu Kerstin Thomas, die weiterhin die grundlegende Rolle der Einfühlungstheorie nach Friedrich Theodor Vischer für Riegl in diesem Zusammenhang betont. (Thomas 2010.1, S. 13f. und David E. Wellbery: Stimmung, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 5 (2010), S. 718–724.) 56 Riegl 1928 (1899), S. 31. Vergleiche dazu Lochner 2010, S. 11 und S. 13. Wie sehr sich wiederum der Mensch gegen eine solche Erfahrung verschließen kann, beschreibt Bollnow mithilfe eines Zitats aus der Erzählung Zum wilden Mann (1885) von Wilhelm Raabe, der ebenfalls die Fernsicht, die sich von einer Bergspitze aus bieten kann, thematisiert: „Es ist ein Irrtum oder gar eine Lüge, wenn man behaupten will, daß einem unglücklichen oder von Not und Sorge bedrängten Menschen eine schöne Gegend und herrlich erhabene Aussicht zum Heil und zur Genesung gereiche. Es ist einfach nicht wahr. Im Gegenteil, nichts ist schlimmer für einen Kummervollen, Schmerzbeladenen, als eine weite sonnenklare, in allen süßen Farben der Erde leuchtende Fernsicht, hoch von
27
28
2. Stimmung als Untersuchungsmoment
Stimmung“ greift Riegl im „Alterswert“ eines
S. Falser es zusammenfasst – „individuelle
Denkmals 1903 in seinem Aufsatz zum Denk-
Stimmung der Moderne“.59
malkultus wieder auf, denn dieser „Alters-
Bollnow spricht von einer „Hygiene der
wert“ helfe dem Menschen bei einer stim-
Seele“, die darauf abzielt, alle Auslöser einer
mungshaft erfahrbaren Einordnung seiner
„unfruchtbaren Stimmung“ auszugrenzen.60
selbst. Riegl erklärt im selben Artikel von
Diese generell subjektive Struktur der Stim-
1903 die „Stimmungswirkung“ zu einer gene-
mung ist weitestgehend auf einen wissen-
rell „sinnlichen Wahrnehmung“. Sie sei nicht
schaftlich greifbaren Nenner zu bringen,
etwa an „wissenschaftliche Erfahrungen“
indem dieses Konzept eine deutliche Erklä-
gebunden, sondern sei somit jedem zugäng-
rung für das Umfeld eines Sanatoriums dar-
lich und besitze folglich eine „Allgemeingül-
stellt, das nicht nur auf eine körperliche
tigkeit“. Hinzu komme ihre sofortige Äuße-
Hygiene, sondern auch auf eine nervenberu-
In seinem Aufsatz Jakob
higende Gesundheitspflege achtet und dies
von Ruysdael von 1902 verwendet Riegl
bereits über seine architektonische Verfasst-
mehrfach den Begriff der Stimmung. Zum
heit vermitteln möchte (Abb. 3). Dies wird
einen spricht er von der „Gewitterstim-
intensiv am Beispiel des Sanatoriums Purk-
mung“, die er in den Gemälden Rembrandts
ersdorf von Josef Hoffmann erläutert. Das
erkennt, und zum anderen bildet der hohe
„bewusste Stimmungserleben“ wird als Mög-
Horizont den Ausgleich für das „stimmungs-
lichkeit formuliert, um einen „Affektzustand“
gefährliche Menschenwerk“ im unteren
„zu erkennen und zu bewältigen“.61 Einer-
Drittel der Bilder. Weiterhin beobachtet
seits werden die Stimmungen zu Instanzen,
Riegl für den „modernen Beschauer“ der Bil-
die der Mensch zu beherrschen lernen muss.
der Ruysdaels ein „stimmungsstörendes“
Bollnow spricht zum Beispiel von einer
Moment und formuliert somit verschiedene
„Herrschaft über die Stimmungen“ und
zeitgebundene bzw. generationsgebundene
zeichnet das Bild eines zwischen „Stimmung
Sichtweisen von Stimmungen in Kunstwer-
und Charakter“ im Sinne von „Veränderli-
ken. Stimmungen können in Bildern seiner
chem“ und „Festem“ oszillierenden Ichs.62
Ansicht nach als „gleichsam zum Reißen“
Er hat sich regelrecht in die für ihn ‚gesun-
angespannt sein oder durch ihr „Gleichge-
de‘ Stimmung zu versetzen oder für diese
wicht“ regelrecht „bezaubern“.58 Die Stim-
Arbeit umformuliert: als Architekt die Stim-
mung bei Riegl ist eine – wie Michael
mung des Wahrnehmenden bei der Planung
rung als Gefühl.
57
von Gebäuden mit zu bedenken oder zu föreiner Bergspitze aus. Es ist arg und eigentlich furchtbar, aber es ist so: den Sturm, den Regen läßt man sich in der bösen Stimmung gefallen, aber die Schönheit der Natur nimmt man als einen Hohn, als eine Beleidigung und fängt an, alle sieben Schöpfungstage zu hassen.“ (Wilhelm Rabe zitiert nach Bollnow ⁸1995, S. 56.) 57 Riegl 1928 (1903), S. 150 und S. 164f. Vergleiche dazu Euler-Rolle 2005, S. 27–34. 58 Riegl 1928 (1902), S. 137, S. 140 und S. 142f.
dern.63 Bereits Kant hatte die Stimmung als
59 Falser 2006, S. 8. 60 Bollnow ⁸1995, S. 133. 61 Parkinson 2000, S. 115. 62 Parkinson 2000, S. 141. 63 Hartmut Böhme unterscheidet nicht direkt zwischen Gefühl und Stimmung, setzt beides aber als Grundlagen für ein wahrnehmendes Ich ein: „Daß
2.3. Stimmung und Atmosphäre
Ort umschrieben, an dem „Verstand und Empfindung zum Ausgleich kommen“.
2.3. Stimmung und Atmosphäre
64
Schiller geht noch einen Schritt weiter und
Um sich dem Begriff der Stimmung weiter für
versteht die Stimmung gleichwohl als einen
das Untersuchungsfeld dieser Arbeit zu
„Zustand der Mitte“, das heißt der Harmo-
nähern, ist es notwendig, die Begriffe
nie. Andererseits entsteht nach dem Philo-
Stimmung und Atmosphäre zueinander in
sophen und Psychologen Theodor Lipps um
Beziehung zu setzen und gegebenenfalls von-
1900 das Bild eines ‚Willenlosen‘, der regel-
einander zu unterscheiden. K. Widmer veröf-
recht Gefahr läuft, sich in einem stimmungs-
fentlichte 1905 beziehungsweise 1906 in der
haften Rausch zu verlieren.66
Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration
65
Die Stimmung ist aber gerade auch als
unter dem Titel Farbe und Raum-Stimmung
Instrumentarium eines Architekten zu defi-
einen Artikel, in dem er durch das Medium
nieren. Josef Hoffmann und Adolf Loos
der Farbe eine Erzeugung von „Gefühlen“ sug-
haben die ästhetische Stimmung als etwas
geriert wissen will.67 Weiß führe zum Beispiel
Gestaltbares verstanden, das sich aus der
zum „Eindruck von Helligkeit und Reinlich-
von ihnen geschaffenen Umgebung und dem
keit“ und damit zu einem „Gefühl der Gesund-
sich darin bewegenden Subjekt in wechsel-
heit und Behaglichkeit“.68 Thomas Fuchs
seitiger Beziehung aufbaut. Diese Beziehung
spricht hundert Jahre später sogar von einem
soll im Rahmen der nächsten zwei Unterka-
„Stimmungsraum“69, den er wie folgt darlegt:
pitel daher näher erläutert werden. „Die Grundschicht des leiblichen Raumes wird durchdrungen von den Richtungen der Wahrnehmung und Bewegung. Doch ich hier und jetzt mich fühle und in eben dieser Weise gestimmt bin, macht aus, daß ich mich existierend wahrnehme.“ (Böhme 1997, S. 525.) 64 Vergleiche dazu Gisbertz 2011.1, S. 7 und Frey 2011, S. 78–88. 65 Frey 2011, S. 89f. Vergleiche für die Kontrastierung der psychologischen und philosophischen Definition von Stimmung Welsh 2011, S. 132f. 66 Bollnow ⁸1995, S. 146–149. Seit Platon bestand das Bild des „Seelenwagens“, nachdem die Gefühle vom Menschen gelenkt werden müssten. Die Gefühle wurden in der Seele als innerem Raum lokalisiert und folglich als ein Ich verdichtet. Ein „Drei-Schichten-Modell“ von Leib-Seele-Geist mit einer Trennlinie, die zwischen dem Leib auf der einen Seite und Seele und Geist auf der anderen Seite verlief, verfestigte sich als Vorstellung. Gefühle an sich wurden als etwas verstanden, das es zu zügeln galt. (Böhme 1997, S. 531.) Seit dem 18. Jahrhundert ging mit der Verbürgerlichung eine Verknüpfung von Gefühlen und Sozialordnungen einher. Kant entwickelte sogar den Begriff des „moralischen Gefühls“. (Böhme 1997, S. 535.)
der Umraum ist auch erfüllt von sympathetisch erfahrbaren Phänomenen, die sich den Sinnesqualitäten des Richtungsraums nicht zurechnen lassen, auch wenn sie eng mit ihnen verknüpft sind: von Physiognomien, Anmutungen, Ausstrahlungen, Atmosphären, Stimmungen und Gefühlsschwingungen. In Anlehnung an Binswangers ‚gestimmten Raum‘ (Binswanger 1933) bezeichne ich die anthropologische Räumlichkeit dieser Phänomene als Stimmungsraum.“70
67 Widmer 1905–1906, S. 204–209. 68 Widmer 1905–1906, S. 209. 69 Fuchs 2000, Kapitel 5. 70 Fuchs 2000, S. 194.
29
30
2. Stimmung als Untersuchungsmoment
Fuchs verifiziert in der Folge Stimmungen als
sogar als identisch dar.75 David E. Wellbery
„Anmutungen“, die sich auf den „Umraum“
sieht die Stimmungen zum Beispiel nicht nur
übertragen. Als Vergleich nennt er hierfür die
als „Weisen des psychischen Innenlebens, son-
Atmosphäre und gibt „Wärme, Kälte, Heiter-
dern auch [als; LT] Atmosphären, die uns
keit und Düsternis“ als verdeutlichende Bei-
umgeben“.76 Hubert Lochner unterscheidet
spiele an. Ebenso bezeichnet er aber auch die
zwischen dem Atmosphärischen als einer
Atmosphären als „ganzheitliche räumliche
ästhetischen Kategorie und der Stimmung als
Ausdrucksphänomene“, die „den gesamten
einem ästhetischen Grundbegriff, wobei frag-
Umraum erfassen“.71 Stimmungen und Atmo-
lich bleibt, ob die Stimmung nun dem Atmo-
sphären unterscheidet Fuchs daher nur durch
sphärischen unterzuordnen wäre.77 Christoph
die Gerichtetheit nach innen beziehungswei-
Rodatz setzt den „gestimmten Raum“ mit der
se Subjektzentrierung der Stimmungen. Als
Atmosphäre gleich. Er zieht ebenso wie Fuchs
Beweis für die Gratwanderung zwischen den
– ihm aber inhaltlich diametral entgegen
beiden Bezeichnungen zieht Fuchs sowohl
argumentierend – Sprachwendungen als
die Sprachwendungen „selbst gestimmt sein“
Beweisgrundlage heran. Mithilfe solcher Wen-
und „von der Atmosphäre im Raum zu parti-
dungen, wie „Es herrscht eine angespannte
zipieren“ als auch Heideggers Stimmungsver-
Atmosphäre“ und „Die Stimmung ist heiter“,
ständnis des „In-der-Welt-Seins“ heran.72
betont er wiederum die Gleichwertigkeit der
Ansonsten geht er unter anderem von Innen-
Begriffe. Sowohl für Atmosphären als auch
architekten aus, die Atmosphären „erzeugten“
für Stimmungen gelte das ‚Teilsein‘ des „Rau-
und darüber das Subjekt „in gewisse Stim-
mes“, des „Wahrnehmenden“ sowie des
mungen versetzten“.73 Auch Sabine Schouten
„Wahrnehmungsgegenstandes“.78 Hermann
trennt die Begrifflichkeiten Atmosphäre und
Schmitz und Gernot Böhme folgend, definiert
Stimmung über die Subjektorientierung und
Rodatz die Atmosphäre als das „Zwischen,
spricht vom „Spüren der Stimmung im
zwischen mir als im Raum leiblich Anwesen-
atmosphärischen Raum“.74 Diese klare Trenn-
den und dem Raum meiner leiblichen Anwe-
linie zwischen dem Außen und dem Innen,
senheit“ und als „räumlicher Träger von Stim-
das heißt der Atmosphäre und der Stimmung,
mungen“. Wobei die Atmosphäre sich
wird jedoch nicht immer so konsequent ver-
unabhängig von der eigenen S timmung ent-
folgt. Das Lexikon der Ästhetik verweist unter
wickeln kann, während die Stimmung immer
dem Lemma Atmosphäre auf den Begriff Stim-
als „subjektiver Pol“ zu verstehen sei.79 Der
mung und stellt beide damit als gleichwertig,
Stimmungsraum ist demnach natürlich nicht mit einem architektonischen Raum zu
71 Fuchs 2000, S. 194 und S. 213. 72 Fuchs 2000, S. 215–217. 73 Fuchs 2000, S. 236. Anna-Katharina Gisbertz formuliert für Heideggers Stimmungsverständnis die Frage nach dem „Wie des Daseins“. Jene Rolle der Stimmung als „fundamentale Seinsweise“ führt aber auch zu einer „Sprachlosigkeit“ gegenüber einer Definition. (Gisbertz 2011.1, S. 8.) 74 Hier zitiert nach Rodatz 2010, S. 32.
75
Atmosphäre, in: Lexikon Der Ästhetik ²2004, S. 37. 76 Wellbery, David E.: Stimmung, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001-2010, Bd. 5 (2010), S. 705. 77 Lochner 2010, S. 7. 78 Rodatz 2010, S. 30f. 79 Rodatz 2010, S. 33f. und S. 56.
2.4. Zwischen Evokationsraum und Nervenstimmungen
verwechseln oder einfach gleichzusetzen. Ulaş Aktaş sieht im Stimmungsraum eine „geteilte
2.4. Zwischen Evokationsraum und Nervenstimmungen
Endo-Sphäre“.80 Kerstin Thomas betont ebenso für Heidegger, dass eine „neutrale Welt“
Die Stimmung wird zum einen als vom
gar nicht existieren könne, sondern immer
Objekt ausgehende oder darin enthaltene
über das Subjekt „strukturiert“ sei.
Beschaffenheit wahrgenommen, zum ande-
81
Die Stimmung soll für diese Untersuchung
ren als eine vom Subjekt auf das Objekt über-
in ihrer Subjektbezogenheit verankert blei-
tragene Befindlichkeit gefasst.83 Für beide
ben, jedoch zusätzlich als eine Vermittlerins-
Definitionen der Stimmung werden sich fer-
tanz von Architektur verstanden werden. Da
ner Beispiele finden. In allen Fällen handelt
sie jedoch nicht ähnlich einer Lufthülle zwi-
es sich entweder um subjektiv inszenierte
schen Architektur und Subjekt aufgefasst
oder intendierte oder subjektiv empfundene
werden soll, ist es erforderlich, den Begriff
Stimmungen, die in direkter Verbindung zur
der Atmosphäre weitestgehend zu vermei-
Architektur Hoffmanns und Loos’ zu beob-
den. Die Stimmung ist vielmehr sowohl in
achten sind. Im Mittelpunkt der Untersu-
Anteilen im Subjekt als auch im Objekt ver-
chung stehen sowohl die zeitgenössischen
ankert und stellt eine Brücke zwischen bei-
Theorien, die zu einer Relevanz der Insze-
den dar. Ähnlich dem Topos des ‚Zeitgeistes‘
nierung von Stimmungswerten in der Archi-
erscheint das Atmosphärische fast ätherisch,
tektur für ihre Erbauer und Architekten führ-
während die Stimmung als gezielt eingesetz-
ten, als auch die zeitgenössischen Reaktionen
tes Instrumentarium des Architekten in sei-
auf die Gebäude, die sowohl Stimmungen,
ner Rolle als Lebensreformer und als im
Affekte, aber auch zielgerichtete Gefühle
‚modernen Ich‘ Wahrgenommenes gezeich-
umfassten. Gerade die Verknüpfung der Bau-
net werden soll. Mittels der Stimmung sind
werke mit den zeitgenössischen Stimmungs-
die utopischen Wunschvorstellungen Loos’
und Einfühlungstheorien wurde so explizit
und Hoffmanns an das ‚moderne Ich‘ zu
noch nicht für die Architekturen Hoffmanns
erkunden.82 Daher ist es unerlässlich, die
und Loos’ unternommen.
sich für die ästhetische Stimmung heraus-
In Hinsicht auf den Aspekt der subjekti-
kristallisierenden Komponenten Ich, Wahr-
ven Verknüpfung der Stimmung hilft die Ein-
nehmung und Objektwelt in Hinblick auf
fühlungstheorie insbesondere bei der wissen-
das Untersuchungsfeld Wien um 1900 und
schaftlichen Klärung des vagen und mehrfach
dessen mögliche Einflüsse im nächsten
kodierten Topos.84 Nicht nur, weil sie als
Abschnitt knapp zusammenzufassen.
80 Aktas 2010, S. 356. 81 Thomas 2010.1, S. 15. 82 Alfred Pfabigan beobachtet auch für Adolf Loos „eine für die Jahrhundertwende typische utopische Denkweise“ und zieht Parallelen zu Josef Hoffmann über den utopischen Anspruch beider Architekten. (Pfabigan 1991, S. 62 und S. 68f.)
83 Lochner 2010, S. 15. 84 Bereits Moritz Geiger, ein Schüler Theodor Lipps, ging 1911 mit seiner Publikation Zum Problem der Stimmungseinfühlung jener Verknüpfung von Stimmung und Einfühlung nach. (Geiger 1911, S. 1–42, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ zaak1911/0001, 16.01.2015) Vergleiche dazu David E. Wellbery: Stimmung, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 5 (2010), S. 722f.
31
32
2. Stimmung als Untersuchungsmoment
eine „Projektion des Ichs auf ein äußeres
ist die ästhetische Einfühlung dem Bereich
Objekt“
86
der Kunst vorbehalten, die jedoch auf eine
an sich schon ein ähnliches, zwischen außen
‚geneigte‘ Stimmung des Betrachters ange-
und innen oszillierendes Verhältnis verdeut-
wiesen ist.90 Die Einfühlung wird somit zum
licht, sondern weil sie darüber hinaus einen
Medium der Stimmung. Sie ist die Voraus-
nahezu zeitgleichen Entwicklungshöhe-
setzung für die Wahrnehmung von Stimmun-
punkt87 wie die Bautätigkeit Hoffmanns und
gen. Lipps überträgt die Einfühlung auf die
Loos’ erlebt, ist ihre Berücksichtigung für
Kategorie der Kunstphilosophie und unter-
diese Arbeit unabdingbar.88
zieht sogar anorganische Formen dem Inter-
85
oder als „leihendes Anschauen“
Im Rahmen der Einfühlungstheorie Fried-
pretationsinstrumentarium der Einfühlung.91
rich Theodor Vischers (1807–1887) wird die
Er ist es auch, der das Kompositum der
Stimmung zu einer „unbewussten Projekti-
„Stimmungseinfühlung“ formt.92 Johannes
on“, die sich auf einen Gegenstand richtet.
89
Volkelt (1848–1930) subsumiert die Stim-
Bei Lipps (1851–1914) findet sich die Unter-
mung unter die „ästhetischen Gefühle“,
scheidung zwischen praktischer und ästhe-
wobei die Stimmung für ihn vor allem in
tischer Einfühlung. Während die praktische
jenen Vorgang involviert ist, der Tiere,
Einfühlung die Einordnung und Lesbarkeit
Blumen und Landschaften mittels Übertra-
der Stimmungen der Mitmenschen betrifft,
gung „beseelt“.93 Ebenso wie für die Stimmung strittig ist, ob sie im Menschen durch
85 Fontius, Martin: Einfühlung / Empathie / Identifikation, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001– 2010, Bd. 2 (2010), S. 123. 86 Fontius, Martin: Einfühlung / Empathie / Identifikation, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001– 2010, Bd. 2 (2010), S. 130. 87 Die Publikationen Friedrich Theodor Vischers und seines Sohnes Robert Vischer erstrecken sich über einen Zeitraum von 1866 bis in die 1880er-Jahre. Theodor Lipps publizierte bereits 1900 den Artikel Aesthetische Einfühlung und der erste Band seiner Ästhetik erschien 1903. 1906 veröffentlichte Lipps einen Aufsatz mit dem Titel Einfühlung und ästhetischer Genuß. Wilhelm Worringers Buch Abstraktion und Einfühlung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie wurde 1908 publiziert. Auch wenn Worringer die ‚Einfühlung‘ letztendlich auf ihre Rolle für das Verständnis von Kunst begrenzte, ist seine Dissertation ein Beleg für eine zeitgenössische Auseinandersetzung mit dem methodischen Mehrwert der Einfühlungstheorie. (Vergleiche dazu Friedrich und Gleiter 2007, S. 16f. und Moravánszky 2003, S. 129 und S. 161.) 88 Auch Kerstin Thomas betont die Rolle der Einfühlungstheorie für das Verständnis von Stimmung gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. (Thomas 2010.1, S. 13.) 89 Winter 1988, S. 35 und Welsh 2011, S. 145.
Objekte evoziert wird oder ob Objekte durch sie gefärbt wahrgenommen werden, sieht der Kunsthistoriker Robert Vischer (1847–1933) für die Einfühlung zweierlei Stufen gegeben: Erstens ist die Einfühlung als Umwandlung von äußeren Reizen in ein Inneres zu verstehen. Zweitens führe jene Transformationsleistung dann zu einer „gefühlsmäßigen Selbstversetzung der eigenen Leibform in ein Objekt“.94 Nun stellt sich jedoch die Frage nach der Art und Weise des Weltbezugs der Stimmung, wie er weiter oben formuliert wurde. Die Antwort auf diese Frage lautet: Die Architektur
90 Lipps 1906, S. 32–56 und Winter 1988, S. 40f. 91 Fontius, Martin: Einfühlung / Empathie / Identifikation, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001– 2010, Bd. 2 (2010), S. 131 und S. 134f. 92 Friedrich und Gleiter 2007, S. 16. 93 Winko 2003, S. 196. 94 Friedrich und Gleiter 2007, S. 10.
2.4. Zwischen Evokationsraum und Nervenstimmungen
als gestalteter Umraum des Menschen mit
das Bild der Architektur in Hinsicht auf ihre
all ihren Elementarteilchen wird zum Evo-
psychologischen Bedingungen zu stärken,
kationsraum der Stimmung, die sich wiede-
wobei er nicht Wölfflins Anthropomorphis-
rum im mitgedachten Ich, ob es nun der
mus folgte, sondern vielmehr den sich be
Bewohner, Besucher, Patient oder Kunde ist,
wegenden Körper im Raum in den Mittel-
ausformt. Auch wenn der Philosoph Thomas
punkt
Friedrich und der Architekturtheoretiker Jörg
Während Wölfflin jedoch vor allem die
H. Gleiter mit Lenelis Kruse der Ansicht
Reaktionen des Rezipienten untersucht,98
sind, Stimmungen seien „nicht aus der Sum-
rückt Schmarsow insbesondere den Produ
mierung einzelner Gestaltqualitäten wie Far-
zenten in den Mittelpunkt seiner Ab
be, Form, Temperatur usw.“ zu verstehen,
handlungen und macht den Architekten zum
sondern „aus dem wahrgenommenen Bedeu-
Inhaber eines „Raumgefühls“99, das die
tungsganzen“, soll im Rahmen der Analysen
„Raumgestaltung“ bedingt.100 Auch Ferdin-
mit
der
and Fellner von F eldegg, der über viele Jahre
‚gestimmten‘ Teilbereiche begonnen werden.
die Wiener Architekturzeitschrift Der Archi-
Erst auf der Grundlage eines solchen Kom-
tekt leitete, veröffentlichte ab 1890 einige phi-
pendiums ist es möglich, ein Erklärungsmus-
losophische Abhandlungen, die eine Gefühls-
ter als zusammenführendes ‚Ganzes‘ für ein
theorie konzipierten.101
einer
detaillierten
Erfassung
seiner
Untersuchungen
stellte.97
Bauwerk zu entwickeln. Ansonsten droht
Diese auf ein Subjekt hin orientierten The-
bei einem solch signifikant unscharfen Unter-
orien ergänzen sich zu einem Ganzen,
suchungstopos wie der Stimmung ein Ver-
bedenkt man die um die Wende zum 20. Jahr-
harren im Nebulosen.95
hundert erneute Umdeutung der Weltsicht
Bereits Heinrich Wölfflin vertrat gegen
nach René Descartes: Friedrich Nietzsche,102
Ende des 19. Jahrhunderts die Ansicht, die Architektur sei eine durch den Leib wahrnehmbare Entität. Wölfflin fasst diese Beobachtung unter der Formulierung der „Empfindung des Körpers“ zusammen und interpretiert die Architektur als einen „Ausdruck leiblicher Befindlichkeit“. Er stärkt ähnlich wie Herder zuvor die „anthropomorphe Analogie“ im Speziellen für die Gattung Architektur und führt damit das ästhetische Einfühlungskonzept für die Architektur weiter.96 Ähnlich versuchte August Schmarsow 95
Vergleiche dazu Friedrich und Gleiter 2007, S. 29f. 96 Winter 1988, S. 37, S. 50 und S. 57 und Friedrich und Gleiter 2007, S. 12–19 Siehe auch Wagner 2004, 10.07.2011.
97
Vergleiche dazu Böhme 2006, S. 115f., Friedrich und Gleiter 2007, S. 12f. und Moravánszky 2003, S. 126f. 98 Eine ähnliche Vorgehensweise findet sich auch bei Camillo Sitte. Vergleiche dazu Winter 1988, S. 148–152. 99 Vergleiche zum Raumgefühl bei Lipps Lipps 1906, S. 188–190. Bereits Kerstin Thomas verweist auf jene Textstellen, wenn sie ein „Modell von Stimmung als Übertragunsleistung des Betrachters“ für die Einfühlungsästhetik zusammenfassend formuliert. (Thomas 2010.1, S. 13 und S. 207, Anmerkung 71.) 100 Thomas 2010.1, S. 52 und S. 66f. und Lüdeke 2006, S. 454–457. 101 Reiterer 2005, S. 234, Fußnote 35. 102 Vergleiche dazu Gisbertz 2011.1, S. 7f., Gisbertz 2009, S. 30-36 und David E. Wellbery: Stimmung, Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 5 (2010), S. 716.
33
34
2. Stimmung als Untersuchungsmoment
Wilhelm Dilthey,103 aber auch Ernst Mach
Zugang zur Welt. Das Ich ist für ihn tatsäch-
zweifeln das Konstrukt des vorwiegend von
lich nur ein unzulängliches „Konstrukt […]
Vernunft geleiteten Menschen an und stär-
für die Erkenntnis der Wirklichkeit“. Das so
ken das Gefühlsleben als Zugang des Sub-
von Mach geprägte unrettbare Ich ist ein
jekts zum eigenen Dasein.104 Der „subjektive
instabiles, ständig neu zusammengesetztes
Blick“ wird auch vom deutschen Physiker
Gemenge von Elementen. Mach zeigt das
und Physiologen Hermann von Helmholtz
Ich in seiner Beziehung zur Welt gebrochen.
und dem deutschen Physiker und Psycholo-
Einer solipsistischen Weltsicht wird ein Netz-
gen Gustav Theodor Fechner betont.105 Eric
werk zwischen Welt, Stimmung und Leib ent-
Kandel lässt aus der heutigen Rückschau mit
gegengesetzt. Bei Mach heißt es in der Ana-
der Wiener Moderne sogar das „Zeitalter der
lyse der Empfindungen:
Erkenntnis“ beginnen und konstituiert in diesem Zusammenhang das Zwiegespräch zwi-
„Farben, Töne, Wärmen, Drücke, Räume,
schen Kunst und Medizin für das Wien um
Zeiten u. s. w. sind in mannigfaltiger Wei-
1900 als Initialzündung. Dabei zieht Kandel
se miteinander verknüpft, und an diesel-
unter anderem die Erkenntnis Alois Riegls
ben sind Stimmungen, Gefühle und Wil-
von der „Hineinziehung des betrachtenden
len gebunden. Aus diesem Gewebe tritt
Subjekts“ in die Kunst heran und stärkt folg-
das relativ Festere und Beständigere her-
lich die damals für den Kunst-Rezipienten
vor, es prägt sich dem Gedächtnisse ein,
formulierte Verbindung von Wahrnehmung
und drückt sich in der Sprache aus.“108
und resultierender Emotion.
106
Anna-Katha-
rina Gisbertz erklärt im Nachhinein die
Gisbertz umschreibt Machs Stimmung daher
Skepsis gegenüber der „Vernunft als Grund-
als ein „Integral, das sich aus einer Vielzahl
lage des menschlichen Wesens“ als „Kernthe-
von unterschiedlichen Übergängen konsti-
ma der Wiener Moderne“.
So definierte
tuiert“ und als ein „Aggregat von polykon-
bereits Mach Stimmungen als Empfindungen
textual verlaufenden rekursiven Netzwer-
und organische Prozesse. Sie begründen den
ken“.109 Mach belässt die Stimmung in ihrem
107
„unbestimmten Charakter“, da sie je nach 103
Vergleiche dazu Winko 2003, S. 168–190 und Gisbertz 2009, S. 36–43. 104 Gisbertz 2009, S. 26f. 105 Porfyriou 2005, S. 241. 106 Kandel 2012, S. 12, S. 137–142 und S. 228–231. 107 Gisbertz 2009, S. 29. Des Weiteren sieht sie in diesem Zusammenhang eine Nähe zu Bollnows Stimmungsbegriff. Bollnow entwickelte seine Definition der Stimmung während des Zweiten Weltkrieges. Jener von unmenschlichen Schrecken geprägte Erfahrungshintergrund konnte nur zu einer Skepsis gegenüber der Gewichtung des rationalen Anteils von Entscheidungsgrundlagen führen. Der historische Zeitraum und die dadurch bedingten Weltbilder formten demnach nachhaltig das Stimmungskonzept.
Modifikation ihrer Bestandteile ein variierendes Konstrukt darstellt.110 Selbst das Ich wird zu einer „pragmatischen Fiktion“.111 Wilhelm Dilthey legt die Stimmung als „Grundstimmung“ beziehungsweise „Lebensstimmung“ aus. Sie hat ähnlich wie bei
108 Mach 1987 (1922), S. 1f. 109 Gisbertz 2009, S. 97 und S. 23. 110 Gisbertz 2009, S. 81f. 111 Wellbery, David E.: Stimmung, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 5 (2010), S. 716.
2.4. Zwischen Evokationsraum und Nervenstimmungen
Nietzsche eine „Erschließungsfunktion“
venstrapazierten und der potenzierten Hys-
inne, die durch ihre „zahllosen Nuancen“
terikerin115 verbreiteten Sitte und Freud das
eine schwankende Verfasstheit aufweist.
112
genuin moderne und großstädtische Krank-
Diese Skepsis gegenüber der Vernunft und
heitsbild der Agoraphobie in der Öffentlich-
der an sie geknüpften Weltwahrnehmung
keit des Fin de siècle.116 In der Tat sprach
zeichnet sich deutlich in der Ästhetik und
Hermann Bahr, der von Gotthart Wunberg
Ethik der Wiener Moderne, ob in der Lite-
auch als „Initiator“ der literarischen Wiener
ratur, der Architektur, der bildenden oder
Moderne bezeichnet wird,117 bereits 1891 in
angewandten Künste, ab. Mirko Gemmel
seinem Artikel Vom Stile von „Nervenstim-
bezeichnet Machs unrettbares Ich sogar als
mungen“.118 Caroline Welsh setzt – mithilfe
„Grundlage aller secessionistischen Ästhe-
einer Parallelisierung von Entwicklungen in
tik“113.
der Psychiatrie und Psychologie des 19. Jahr-
Im Zuge dessen ist zunächst der Topos
hunderts mit der Ästhetik der Moderne –
des ‚Nervösen‘ zu betrachten. Er ist im Den-
beispielsweise für den Zeitraum um 1900 die
ken der Allgemeinheit um 1900 omnipräsent.
Stimmungskunst Hugo von Hofmannsthals
Jenes Krankheitsbild, das man über die veränderten Lebensverhältnisse einer bürgerlichen Gesellschaft zu erklären versuchte, wurde vor allem in ihren Auswirkungen sowohl auf den „Empfindungsapparat“ als auch auf den „Gefühlshaushalt“ wahrgenommen und fand infolgedessen auch ihren Eingang in die Literatur, die bildende Kunst bis hin zur Architektur.114 Neben dem einfachen Ner112 Gisbertz 2009, S. 37 und David E. Wellbery: Stimmung, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001– 2010, Bd. 5 (2010), S. 712. 113 Gemmel 2005, S. 46. 114 Winko 2003, S. 158f. Zur Unterscheidung der Begrifflichkeiten von Empfindung und Gefühl um 1900 siehe ebd., S. 161–165. Wie sehr das ‚Nervöse‘ über die Hysterikerin mit einem pejorativen Bild von Weiblichkeit verbunden wurde, zeigt unter anderem die Dissertation Geschlecht und Charakter von Otto Weininger. Hier ist es die männliche Moral, die dem „Weib“ eine Lebensführung aufoktroyiert, die ihrem Wesen entgegensteht. Das „Weib“ besäße angeblich keine Moral. Sie wird nach Weininger nur von ihrem sexuellen Begehren instinktiv angetrieben und nicht etwa von einer Ethik. Dieser Konflikt, der zwischen weiblicher Natur und gesellschaftlicher Moral ausgefochten wird, begründet das Krankheitsbild der Hysterikerin. (Weininger 1980 (1903).)
115
Ein Artikel von 1907 verknüpft sogar das Krankheitsbild der Hysterie erklärend mit der Stimmung: „Da sieht er [der Hysteriker; LT] das ihn so oder so stimmen würde; aber eine fremde aus den Tiefen aufsteigende Stimmung legt sich über die Seele und läßt für die folgerichtige keinen Platz. Es kommt auch bei normalen Menschen zuweilen vor, daß irgendein Eindruck nicht seine, sondern eine seltsame unerklärliche andere Stimmung entbindet. […] Die Hysterischen scheinen heute sehr lebhafter und morgen gar keiner Einfühlung fähig zu sein – daß sie heute schmiegsam und warm, morgen fremd und kalt sind, ist eine alte Erfahrung über ihren Charakter. Die Wege ihrer Stimmung sind eben unberechenbar, und die beginnende Einfühlung wird plötzlich in eine ganz andere Richtung abgebogen. Der Hysterische sieht Tränen, und er schluchzt mit; aber ebensogut kann er plötzlich ins Lachen umkippen. Oder die Tränen wecken in ihm Ärger und Spott, und er stachelt den Weinenden mit verletzenden Mienen und Reden. Alles kommt vor, und wer es aus dem Alltagsleben nicht kennt, der kann solche Exemplare in der schönen Literatur studieren.“ (Hellpach 1907, S. 857.) 116 Vergleiche dazu Porfyriou 2005, S. 255 und Vidler 2005, S. 257–274. 117 Wunberg 2004, S. 41–49. Vergleiche zur Person Hermann Bahr auch Johnston 1974, S. 131 und Schweiger 1982, S. 11f. 118 Bahr 2004 (1890.2), S. 111.
35
36
2. Stimmung als Untersuchungsmoment
sogar mit der „Nervenkunst“ gleich.119
So entsteht in der Rückschau ein Panora-
Michael S. Falser sieht in der um 1900 ver-
ma von „Vieldeutigkeit und Unbestimmtheit“,
breiteten wissenschaftlichen Prüfung und
wie bereits Hugo von Hofmannsthal das
Auseinandersetzung mit Theorien auf der
Wesen seiner Epoche treffend charakterisier-
Basis von „subjektiven Wahrnehmungen und
te.125 Wie breit das Wort Stimmung und die
emotionale[n] Stimmungen“ eine Folge des
Auseinandersetzung mit den Begriffen
Bedeutungsverlustes des Vielvölkerstaates
Gefühl und Emotion disziplinär aufgestellt
Österreich als „ideelle Einheit“ gegeben.
120
war, zeigt zum Beispiel die Publikation Die
Carl E. Schorske hingegen bezieht sich auf
Bedeutung des Wortes des Sprachwissen-
den Assimilationswunsch des Bürgertums an
schaftlers Karl O. Erdmann von 1900. Dort
die Aristokratie und erkennt darin den
benennt Erdmann neben dem „Sinn“ des
Beweggrund für eine Kultivierung des Ichs
Wortes an sich und dessen „Nebensinn“ –
für das österreichische Bürgertum. Auch
mit einhergehenden Assoziationen – auch
wenn Schorske keine gesellschaftliche
den
Anpassung an den Aristokraten für die Bour-
gehalt“.
geoisie feststellen kann, so beobachtet er aus
Reisen durch Europa 1894 dauerhaft in Wien
der Perspektive des Historikers jedoch den
situiert war, sieht die Stimmung als Erken-
Versuch einer kulturellen Angleichung, die
nungszeichen der französischen Décadence.
er wiederum auf die Vorbildrolle eines Aris-
Gerade ihre Vertreter seien einzig und allei-
tokraten eingrenzt und damit vielmehr eine
ne auf die Stimmungen fixiert:
Annäherung meint.
121
„Gefühlswerth 126
oder
Stimmungs
Hermann Bahr, der nach einigen
Tatsächlich griff schon
Adolf Loos das Bild des Aristokraten als Rol-
„Aber sie sind eine Romantik der Nerven.
lenmodell auf.
So spricht er 1898 davon,
Das ist das Neue an ihnen. Das ist ihr ers-
dass „als Gradmesser für die Cultur eines
tes Merkmal. Nicht Gefühle, nur Stim-
Staates der Umstand gelten [kann; LT], wie
mungen suchen sie auf. Sie verschmähen
viele seiner Einwohner von [der; LT] freiheit-
nicht bloss die äussere Welt, sondern am
lichen Errungenschaft Gebrauch machen
inneren Menschen selbst verschmähen sie
[sich wie der König anzuziehen; LT]“.123 Im
allen Rest, der nicht Stimmung ist. Das
selben Jahr ergänzt Loos noch: „Schließlich
Denken, das Fühlen und das Wollen ach-
wäre es auch kein Unglück, wenn Jedermann,
ten sie gering, und nur den Vorrath, wel-
bis in die kleinste Provinzstadt, einen genau
chen sie jeweilig auf ihren Nerven finden,
so vornehmen Hut tragen würde wie der Wie-
wollen sie ausdrücken und mittheilen.“127
122
ner Aristokrat.“
124
Bahr lokalisiert die Stimmung demnach im Inneren des Menschen, das heißt noch 119 Welsh 2011, S. 141–150. 120 Falser 2006, S. 3. 121 Schorske 1962, S. 370f. 122 Vergleiche dazu Topp 2004, S. 144–152. 123 Loos 2010 (1898.1), S. 54. 124 Loos 2010 (1898.3), S. 114.
präziser gefasst in den Nerven, und grenzt 125 Hier zitiert nach Schorske 1962, S. 378. 126 Vergleiche dazu Winko 2003, S. 202f. 127 Bahr 2006 (1894.1), S. 25.
2.4. Zwischen Evokationsraum und Nervenstimmungen
sie deutlich von den Bereichen des Fühlens,
auch in seinem Aufsatz Fidelio im Zusam-
Denkens und Wollens ab. Des Weiteren
menhang der Operndekoration auf. Für
betont Bahr in seinem Aufsatz Symbolisten,
diese gilt:
das Ziel jeder Lyrik sei es, „ein Gefühl, eine Stimmung, ein Zustand des Gemüthes“ zu
„Sie soll also das Wort des Dichters we-
vermitteln.
Auf die Frage „Was kann ein
der realisieren noch illustrieren, sondern
Künstler thun?“ bietet Bahr folgende Mög-
denselben Wert, den es für die Stimmung
lichkeiten an:
hat, in Farben umgesetzt enthalten. […]
128
Die Dekoration hat also keineswegs das „Das nächste ist wohl, es zu verkünden,
Wort des Dichters real auszuführen, son-
sein inneres Schicksal zu erzählen, zu be-
dern seinen Wert für die Stimmung des
schreiben, was und wie er es empfindet,
Zuschauers in ihrer mit den Augen ver-
in recht nahen und ansteckenden Worten.
kehrenden Sprache zu sagen. […] die De-
Das ist die rhetorische Technik. Oder der
koration steht ja schon da, wenn die Sze-
Künstler kann die Ursache, das äussere
ne beginnt, während der Zuschauer doch
Ereigniss seiner Stimmung, seines Ge-
eben durch den Verlauf der Szene erst,
fühls, seines Zustandes suchen, um, in-
eben an der dramatischen Begebenheit
dem er sie mittheilt, auch ihre Folge, sei-
erst, die zunächst nur seinen Verstand
nen Zustand mitzutheilen. Das ist die
trifft und über diesen erst an das Gefühl
realistische Technik. Und endlich, was frü-
dringt, nach und nach der Stimmung fä-
her noch Keiner versucht hat: der Künst-
hig wird, die er in unserer Dekoration so-
ler kann eine ganz andere Ursache, ein
gleich schon erblickt, lange bevor er noch
anderes äusseres Ereigniss finden, welche
innerlich so weit ist, sie zu spüren.“131
seinem Zustande ganz fremd ist, aber welche das nämliche Gefühl, die nämliche
In der Folge bezeichnet Bahr die Stimmung
Stimmung erwecken und den nämlichen
noch als Wille des Schreibens und Redens.
Erfolg im Gemüthe bewirken würden. Das
„Sie [das Schreiben und Reden; LT] wollen
ist die Technik des Symbolisten.“129
eine augenblickliche Verfassung der Seele mitteilen, sei es daß sie in einem Gedanken
Demnach folgt Bahr dem Verständnis, die
oder in einem Gefühle oder in einer Stim-
Stimmung sei in den Nerven zu finden,
mung sich äußert.“132 Dies hat wohl auch
könne aber auch durch ein „äusseres Ereig-
dazu geführt, dass Hofmannsthal Bahr wie
niss“ motiviert sein und habe einen Einfluss
folgt charakterisierte:
auf das Gemüt.
130
Er greift die Stimmung „Er setzt sich in Szene; nicht im großen und ganzen, wie die andern, nein, Tag für
128 Bahr 2006 (1894.2), S. 32. Diese Position vertrat auch noch Robert Musil. Vergleiche dazu Musil 1978, S. 1299. 129 Bahr 2006 (1894.2), S. 32f. 130 Vergleiche dazu Winko 2003, S. 232f.
Tag, Stimmung für Stimmung, jeden Über131 Bahr 2010 (1904.3), S. 21–23. 132 Bahr 2004 (1890.2), S. 110.
37
38
2. Stimmung als Untersuchungsmoment
gang, jede Nuance, jede Erfahrung, jedes
herangezogen werden, sondern führen
Existenzatom.“
zusätzlich zu einer Verdeutlichung des mit-
133
unter rhetorisch motivierten, emotional Der Literat Fritz Mauthner (1849–1923)
gefärbten Tons der damaligen Schriftzeug-
zeichnet die Stimmung als Klammer für den
nisse. So schreibt der Wiener Arzt und
„Zusammenhang“ der Wörter. Sie ist für ihn
Schriftsteller Arthur Schnitzler in Spazier-
zugleich die Verfassung des Dichters, die ihn
gang von 1893:
zum Schreiben führt, als auch das übermittelte Moment für den Leser dieser so entstan-
„,Ich kenne die Straßen, die Gebäude, ich
denen Worte.134 Hugo von Hofmannsthal
kenne die Mundart, die der Wiener
fasst die Stimmung als einen „genau umschrie-
spricht; ich kenne Typen, Gesellschafts-
benen, traumhaft deutlichen, flüchtigen See-
kreise, ich kenne den Corso auf dem Ring,
lenzustand“ auf, der „die Erinnerung an
das Treiben im Prater, die Burgmusik –
Sichtbares und die Erinnerung an Hörbares
aber was den Duft dieser Dinge macht,
mit dem Element der Bewegung verbin-
und wie es eigentlich kommt, dass uns oft
de[t]“.135 Auffällig ist die oxymorongleiche
in einem stillen Praterspaziergange, oder
Wortzusammenstellung von „traumhaft“ und
auf dem alten Platz vor der Minoritenkir-
„deutlich“. Hierin offenbart sich abermals
che, oder aus einem Worte eines süßen
bewusst der diffuse Definitionsraum der Stim-
Mädels die ganze rührende und reiche
mung. So ist die Stimmung für von Hof-
Seele der Stadt entgegenflutet, das, das
mannsthal sowohl ein körperliches als auch
möchte’ ich wissen!‘ ‚Nun ja‘, sagte Hans,
ein psychisches Ereignis.136 Die Stimmung ist
‚das Geheimnis der Stimmung!‘“137
somit für den Zeitraum um 1900 zumindest in der Gattung der Literatur und insbeson-
Schnitzler lässt seinen Protagonisten Max
dere für den Kulturraum Wien ein gesicher-
weiterhin ausführen:
tes Phänomen. Aufgrund der doch merklichen Präsenz der Stimmung sowohl in der
„Unsere Augen müssen wir schärfen, um
künstlerischen als auch journalistischen Lite-
endlich die Fäden zu sehen, welche zwi-
ratur im Wien um 1900 wird es immer wie-
schen den Einzelheiten laufen. Zum Ent-
der nötig sein, längere Textabschnitte zu zitie-
stehen von Stimmungen ist eine gewisse
ren. Sie sollen nicht nur als Beweis für die
Müdigkeit der Sinne und der Gedanken
Verwendung des Wortes Stimmung an sich
notwendig. Wenn wir stets völlig wach wären, oder wenn wir uns gar zu jener
133 Hofmannsthal 1979, S. 100. 134 Vergleiche dazu Winko 2003, S. 206. 135 Hofmannsthal 1896, S. 104–106. (Siehe auch Hofmannsthal 1986, S. 13–19.) Hier zitiert nach Winko 2003, S. 243. Siehe dazu auch Arburg 2010.1, S. 20f. und Gisbertz 2009, S. 102–107. 136 Hofmannsthal 1896. Hier zitiert nach Winko 2003, S. 244.
idealen Wachheit emporringen könnten, in welcher alle Sinne vollkommen aufnahmefähig wären, so gäbe es jene wallenden 137 Schnitzler 2002.1, S. 183f. Bereits Hermann Schmitz zitiert diese Stelle Schmitz 2011, S. 63 und Gisbertz 2011.2, S. 179.
2.4. Zwischen Evokationsraum und Nervenstimmungen
Schleier nicht, welche sich vor die Deut-
folgenden Architekturanalysen für die ästhe-
lichkeit der Dinge legen und uns die Töne
tische Stimmung erweitert werden.
unserer Stimmungen bringen.“138
Jener Topos ‚Gesamtkunstwerk’ bedarf für diese Untersuchung zusammenfassend noch
Gerade im Verständnis der Stimmung als
eine Konkretisierung. Grundsätzlich ist das
einer Klammer oder als ein Ganzes diente
Gesamtkunstwerk bis heute eng mit dem
sie optimal als ein verfestigendes oder zusam-
Namen Richard Wagner verwoben. Auch
menführendes Moment,
dessen man ins-
wenn Wagner selbst den Begriff des Gesamt-
besondere dann bedarf, wenn man sich mit
kunstwerks nur selten verwandte,144 formu-
einer „Erfahrung der Uneinigkeit“ konfron-
lierte er zumindest eine explizite Definition:
139
tiert sieht oder sich in einer Periode des Zusammenbruchs wähnt.140 In dieser Funk-
„Das große Gesamtkunstwerk, das alle Gat-
tion kann man die Stimmung auch als über-
tungen der Kunst zu umfassen hat, um jede
geordnetes Motiv für das Gesamtkunstwerk,
einzelne dieser Gattungen als Mittel gewis-
das heißt für eine Architektur verstehen, die
sermaßen zu verbrauchen, zu vernichten zu
dem Anspruch folgt, ein ‚modernes Ich‘ im
Gunsten der Erreichung des Gesamtzwecks
Wien des Fin de siècle auszuformulieren, um
aller, nämlich der unbedingten, unmittelba-
damit eine gesellschaftliche Relevanz einzu-
ren Darstellung der vollendeten menschli-
nehmen.
Schon Hermann Bahr vertrat die
chen Natur, – dieses große Gesamtkunst-
Ansicht, Zimmer sollten „etwas Seelisches
werk erkennt er nicht als die willkürlich
äußern“ und der Architekt sei ein „Dirigent“,
mögliche That des Einzelnen, sondern als
der Gebäude als „Ganzes“ zu einer „Sym-
das nohtwendig denkbare gemeinsame
phonie“ komponiert.
Werk der Menschen der Zukunft.“145
141
142
Diese Nähe zur
Musik ist bereits durch das Gesamtkunstwerk gegeben. Hartmut Böhme bezeichnet
Richard Wagner betont demnach die Zusam-
diesen von Richard Wagner geprägten Begriff
menführungen aller Künste unter der Prä-
als „totale Gestaltung eines Sinnenraumes
misse einer gegenseitigen Rücksichtnahme,
im Dienst der Fabrikation von Gefühlen“.143
das heißt „Gleichrangigkeit“146 in Hinsicht
Für diese Untersuchung ist es notwendig,
auf eine „utopisch-holistische Dimensionie-
jenes Seelische nach Bahr zu definieren und
rung der Kunstvereinigung“.147 Bazon Brock
aus seinem ominösen Diffusionsraum zu kon-
führt im Ausstellungskatalog Der Hang zum
densieren. Böhmes These von der Möglich-
Gesamtkunstwerk ebenso jene „Ganzheits-
keit der Produktion von Gefühlen im Rah-
vorstellungen“ an und erweitert den Begriff
men des Gesamtkunstwerks soll mittels der
Gesamtkunstwerk um die Vorstellung von einer „Totalkunst“ bis hin zum „Totalitaris-
138 Schnitzler 2002.1, S. 184. 139 Vergleiche dazu Scheible 2002, S. 892. 140 Gisbertz 2009, S. 48f. 141 Gisbertz 2009, S. 48f. 142 Bahr 2007 (1898), S. 37f. 143 Böhme 1997, S. 542.
144 Finger 2006, S. 10–16 und S. 57–61. 145 Wagner 1850, S. 32. 146 Szeemann 1983, S. 19. 147 Fornoff 2004, S. 19.
39
40
2. Stimmung als Untersuchungsmoment
mus“. Eine Affinität des Gesamtkunstwerks
bereiche“ und das Palais Stoclet gilt als das
zum Totalen wird von Brock konstatiert,
„letzte Wiener Gesamtkunstwerk“.153 Der
jedoch ist das Gesamtkunstwerk im Sinne
Alltag wird nach den Intentionen der Seces-
eines Ganzen für ihn eine konstruierte, auf
sionisten zum „Ritual“, ja sogar zum „Irdi-
das Sprachliche begrenzte Fiktion.148 Die
schen Paradies“ und Adolf Loos sei laut Wer-
Totalkunst hingegen stellt die Realisation
ner Hofmann gegen jenes aufoktroyierte
jenes Gesamtkunstwerks dar. Will jene Total-
Vorgehen einer durch die Secessionisten vor-
kunst eine allgemeingültige Relevanz für Vie-
bestimmten Ordnung.154 Jene Gegenhaltung
le beanspruchen, kippt sie nach Ansicht
ist jedoch nur eine vermeintliche Oppositi-
Brocks in den Totalitarismus.149 Der Unter-
on! Diese These soll mithilfe der Definition
titel des Brock’schen Artikels aus dem Aus-
des Loos’schen Ornaments im Rahmen des
stellungskatalog lautet: „Pathosformeln und
Schlusskapitels nachvollziehbar werden.
Energiesymbole zur Einheit von Denken,
Auch wenn mitnichten die Folgerung gezo-
Wollen und Können“.150 Pathos leitet sich
gen werden soll, Loos und Hoffmann verträ-
bekanntermaßen von dem Griechischen
ten das gleiche Verständnis von der Ausrich-
Wort páthos für Leiden ab und ist insbeson-
tung der Aufgabe eines Architekten, sind sich
dere als Gefühlserregung, Ergriffenheit oder
doch beide in ihrem Anspruch als ‚Erzieher‘
Ausdruck von Erhabenheit zu definieren.
oder ‚Kulturwegweiser‘ näher als bisher gese-
Jenes Pathos stellt sich ein mit dem Anspruch
hen wurde und die verwirklichten Werke wei-
des Gesamtkunstwerks auf Wahrheit hin-
sen, wie in den Analysen noch belegt wird,
sichtlich der Darstellung von „Welt als Ein-
erstaunliche Gemeinsamkeiten auf.
heit“.151 Für die Vermittlung dieser Wahrheit
Klaus Herding artikuliert allgemein für den
gilt es, die Wahrnehmung des Rezipienten
Architekten eine höhere Relevanz der Erklä-
emotional anzusprechen, wobei die Idee der
rung gegenüber dem Auftraggeber, als dies
Synästhesie eine zentrale Rolle spielt. Als
ein bildender Künstler nötig hätte. Diesen
Ergebnis entstehen wahrnehmungssensorisch
Aspekt – der sich durch die „Außenwendung“
erzeugte Atmosphären und Stimmungen.
152
der Architektur ergibt – weiterdenkend, wer-
Was heißt dies genau für die Arbeiten Josef
den seiner Ansicht nach „Gemütsbewegun-
Hoffmanns und Adolf Loos’ in dem zeitlich
gen soziabel und damit philosophischen und
begrenzten Rahmen von 1900 bis 1911, der
historischen Diskursen leichter zugäng-
hier untersucht wird? So präsentierte zum
lich“.155 Demnach ist das Gesamtkunstwerk
Beispiel die Kunstschau von 1908, die von
– so wie es hier besprochen wird – nicht nur
der Klimt-Gruppe organisiert und gestaltet
Träger einer zu übermittelnden Stimmung,
wurde, eine „Totalästhetisierung aller Lebens-
sondern auch Verfasstheit eines damaligen Kunstwollens oder Mental Habits.156 Die
148 Brock 1983, S. 22–39. Vergleiche dazu Finger 2006, S. 21 und Fornoff 2004, S. 14f. 149 Merte 1998, S. 11f. 150 Brock 1983, S. 22–39. 151 Brock 1983, S. 22–39. 152 Brock 1983, S. 26.
153 Hofmann 1983, S. 88 und S. 90. 154 Hofmann 1983, S. 89. 155 Herding 2004, S. 15. 156 Vergleiche zum Begriff des Kunstwollens bei Riegl
2.4. Zwischen Evokationsraum und Nervenstimmungen
Architektur ist nicht nur Medium einer inten-
Schmarsows wie auch Camillo Sittes, der eine
dierten Stimmung und Projektionsfläche
„Anleitung der Stadt-Wahrnehmung“ entwi-
einer individuellen Stimmung, sondern ist
ckelt,159 als auch die Kunsttheorien Alois
ebenso lesbares Relikt eines Kunstwollens,
Riegls mit ihrem Harmonieanspruch der
dessen Verständnis auch aus heutiger Sicht
Stimmung heranzuziehen. Hubert Lochner
einen tieferen Einblick in eine vergangene
erkennt des Weiteren, dass dieser wiederum
Zeit ermöglicht.157 Jene Ansicht soll dezidiert
an einen Utopieanspruch anknüpft.160 Jene
über den direkten Vergleich und das Zusam-
Verknüpfung wird insbesondere für diese
menführen von Aspekten der Arbeiten Hoff-
Arbeit deutlich durch das Gesamtkunstwerk,
manns und Loos’ e benso im Rahmen des
das als eine durchgestaltete Welt mit einem
Schlusskapitels untermauert werden.
Anspruch auf Harmonie und dem utopischen
Am Abstraktum der Stimmung ist der Weg
Wunsch einer idealen Verbindung von Archi-
über den Leib und seine Wahrnehmung hin
tektur und Mensch geradezu als Reinform
zu seinem Umfeld – damit soll hier vor allem
der ‚Stimmungsarchitektur‘ zu bezeichnen
seine architektonische Umgebung gemeint
ist. Die Anwendung des Riegl’schen Stim-
sein – deutlich geworden. Das Untersu-
mungsbegriffs auf die Architektur oder Innen-
chungsmoment Stimmung ermöglicht daher,
architektur ist möglich, weil Riegl selbst in
eine Architektur um 1900 zu rekonstruieren,
seinem Aufsatz Möbel und Innendekoration
die sich an Wunschbildern seiner imaginier-
des Empire von 1898 davon sprach, dass
ten Nutzer oder Bewohner orientiert. Dabei
„Alles was das Auge im Innenraume erblickt,
ist es für diese Analyse notwendig, die Œuv-
ihm nur eine Weide sein [solle; LT], um ‚ange-
res Hoffmanns und Loos’ in das Denkumfeld
nehme‘ Empfindungen in der Seele seines
der Einfühlungsästhetik nach Friedrich Theo-
Eigners zu erwecken“.161 Damit ist eine enge
dor Vischer, Robert Vischer und Theodor
Verbindung von Architektur und ihrer emo-
Lipps einzuordnen. Vor allem sind aber auch
tionalen Wahrnehmung für den Einflussbe-
die Einflüsse durch die Architekturtheorie
reich Wiens um 1900 gleich mehrfach belegt.
Heinrich Wölfflins, der bereits 1888 einen „Stimmungskultus“ erkennt,158 und August
157
158
Moravánszky 2003, S. 12, S. 41 und S. 368–370. Vergleiche zum Zusammenhang des Gesamtkunstwerks mit dem Kunstwollen Euler-Rolle 2005, S. 28f. Heinrich Wölfflin zitiert nach Euler-Rolle 2005, S. 28. Bernd Euler-Rolle verweist vermutlich auf folgende Textstellte in Wölfflins Publikation: „Woher kommt diese Abnahme in der Fähigkeit des plastischen Nachfühlens? – Ich verzichte d arauf, dieses Phänomen zu erklären. Es scheint durch verschiedene Factoren bedingt zu sein; ein Hauptfactor möchte in dem zunehmenden Interesse für Stimmung, das Wort im modernen Sinne gebraucht, vorliegen. Der gute Stil war dadurch in doppelter Wei-
se bedroht. Einerseits verdirbt der Stimmungskultus die Feinheit des Körpergefühls, andrerseits drängte das Verlangen nach Stimmung die Architectur in einen unvortheilhaften Wettstreit mit der Malerei, deren Kunstmittel recht eigentlich zum Stimmungsausdruck geschaffen sind. Die Malerei ist eben darum die spezifisch moderne Kunst geworden, sie ist die Kunst, in der die Neuern (sic!) an vollständigsten und unmittelbarsten sich aussprechen können. Und doch war für den Barockgeist die Architektur als Ausdrucksmittel unersetzlich: sie besass etwas ganz Einziges: sie war fähig, den Eindruck des Erhabenen zu geben.“ (Wölfflin 1888, S. 71f.) 159 Vergleiche dazu Reiterer 2005, S. 226. 160 Zum Harmonieauftrag der Stimmungskunst bei Riegl siehe Lochner 2010, S. 12 und S. 35f. 161 Riegl 1928 (1898), S. 14.
41
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur: Villa Karma und Palais Stoclet, Sanatorium Purkersdorf und Haus am Michaelerplatz
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet: Der Ausbau des ‚modernen Ichs‘ zu einer bürgerlichen privaten Lebenswelt
noch finden sich markante Ähnlichkeiten wie der äußere wehrhafte Charakter, die differenzierte Abstufung von Repräsentation und Intimität im Gebäudeinneren und die
Zwei Gebäude und viele daran beteiligte Hände
teilweise Verschränkung dieser Aspekte. Des Weiteren gestaltete Loos selbst Einrichtungselemente und stattete ferner die Innenräume
Eine direkte Gegenüberstellung der Villa
der Villa Karma mit Möbelstücken aus, die
Karma bei Montreux von Adolf Loos und
seinem Verständnis von Kultiviertheit und
des Josef Hofmann’schen Palais Stoclet in
Geschmack entsprachen. Damit kommt die
Brüssel mutet zunächst recht ungewöhnlich
Villa Karma einem Gesamtkunstwerk äußerst
an (Abb. 1 und 2). Die Villa Karma wurde
nahe, auch wenn diese Bezeichnung für ein
von 1903 bis 1906 von Adolf Loos für Theo-
Bauwerk Loos’ in Anbetracht seines schrift-
dor Beer durch den Umbau eines bestehen-
lichen Œuvres recht ungewöhnlich anmutet.
den Bauwerks zur Villa Karma erweitert, und
Man bedenke nur seine das Gesamtkunst-
das Palais Stoclet entstand von 1905 bis 1911
werk mit seinem einzwängenden, absoluten
für das Ehepaar Adolph und Suzanne Stoclet
Charakter anklagende Satire Vom armen rei-
unter der Regie Josef Hoffmanns und unter
chen Mann aus dem Jahr 1900. Im Rahmen
Mitwirkung der Wiener Werkstätte sowie
der Analysen zur Villa Karma und zum Palais
einiger Secessions-Künstler aus dem Nichts
Stoclet wird jedoch deutlich werden, dass
vollkommen neu. Streng genommen kann
beide Architekturen ganzheitlich gestaltete
man demnach noch nicht einmal von einer
Wohnwelten darstellen.
gleichzeitigen Entstehung sprechen, sondern
Beim Palais Stoclet handelt es sich um
nur von einer partiellen Überschneidung der
einen Stadtpalast, während die Villa Karma
Erbauungsjahre. Ebenso ist in beiden Fällen
vielmehr mit dem Typus einer Landvilla zu
die Art der Annäherung an die Bauaufgabe
vergleichen ist. Beide Gebäude werden
– einer Familie ein repräsentatives Zuhause
jedoch in einen weitläufigen Garten positi-
zu kreieren – äußerst unterschiedlich. Den-
oniert und damit rückt das Palais Stoclet
44
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 5: Adolf Loos: Villa Karma, 1903–1906, Clarens bei Montreux, Luftaufnahme, Fotografie von J. M. Schlemmer, Albertina, Wien
zunächst wiederum an die Anforderungen, die man an eine Stadtarchitektur stellt. Deutlich wird, dass es sich in beiden Fällen um Bauwerke handelt, die insbesondere zur Stra-
zumindest näher an den Typus der Landvil-
ße einen abschließenden, das heißt verschlos-
la oder der Villa suburbana heran.1 Ralf
senen Charakter aufzeigen und zum Garten
Bock spricht bei der Villa Karma davon, dass
hin einige beziehungsvolle Öffnungen zur
sie „introvertiert“ ausgeformt sei und Burk-
Umgebung aufweisen. Im Folgenden sollen
hardt Rukschcio und Roland Schachel
die überraschenden Relationen der beiden
bezeichnen die Eingangsfassade als „abwei-
Gebäude erstmalig im Vergleich benannt und
send verschlossen“ (Abb. 5 und 6). Jener
nach ihrem Ursprung befragt werden. Dabei
abschirmende Charakter erinnert jedoch
werden ‚Wahrnehmungswege‘ durch die Häu-
2
ser beschrieben. Dies ist eine methodische Reaktion auf zeitgenössische Entwicklungen 1 Muntoni 1989, S. 101. Siehe auch den Lageplan mit Gartenanlage des Palais Stoclet bei Sekler ²1986, Abb. 95 auf S. 82. 2 Bock 2009, S. 72 und Rukschcio und Schachel 1982, S. 427.
in der Kunst- und Architekturwissenschaft um 1900, die immer mehr den Raum und dessen Wahrnehmung durch ein ‚Ich‘ in den
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
Architektur und Stimmung: „Die Architektur erweckt Stimmungen im Menschen. Die Aufgabe des Architekten ist es daher, diese Stimmungen festzuhalten.“6 Im Folgenden sollen nun jene theoretisch versierten Synthesen praktisch am Objekt nachvollzogen werden. Wie äußern sich im Bauwerk letztendlich ein „Planen von Empfindungen“ und das „Bedenken eines körperlichen Raumgefühls“?7 Auch wenn sich Imorde nur auf Adolf Loos und Abb. 6: Adolf Loos: Villa Karma, Eingangsfassade bzw. Ostfassade mit Torbauten, 1903–1906, Clarens bei Montreux, Fotografie aus dem Nachlass von Hugo Ehrlich
seinen Raumplan bezieht, sollen jene Aspekte in ihrer Spezifik auch für die Architektur Josef Hoffmanns nachvollziehbar werden. Die Villa Karma bei Clarens in der
Mittelpunkt ihrer Untersuchungen stellte.
Gemeinde Montreux ist vorab als ein viel-
Joseph Imorde definiert Loos’ Raumverständ-
schichtiges Gebilde zu definieren, da zum
nis daher auch auf der Basis von Gottfried
einen ein bestehendes Haus von Loos regel-
Sempers Bekleidungstheorie, die nach den
recht ummantelt und aufgestockt wurde und
eigenen Worten Loos’ für die Tätigkeit des
zum anderen die Villa in den Jahren 1909
Architekten bedeute, einen „warmen, wohn-
bis 1912 erst durch Hugo Ehrlich8 fertig
lichen Raum herzustellen“. Diese Theorie 3
weiterentwickelnd, sehe Loos nach Imorde den „Raum als Empfindungszentrum“ und ein „auf die Sinne hin konzipiertes und organisiertes Zentrum“.4 Diese Grunddisposition im Schaffen Loos’ verknüpft Imorde konsequent mit Loos’ Raumplan und bezeichnet diesen weiterhin als ein vor allem auf die „Wirkung der Architektur auf das Gefühlssensorium“ abzielendes Konzept, das zu einer „Wirkungsästhetik“ geführt habe, „in deren Mittelpunkt der menschliche Körper und sein Wahrnehmungsapparat standen“.5 In diesem Zusammenhang zitiert Imorde bezeichnenderweise Loos’ Aussage zum Verhältnis von
3 Imorde 2006, S. 34. Siehe auch Loos 2010 (1898.4), S. 138. 4 Imorde 2006, S. 34. 5 Imorde 2006, S. 34f.
6 Imorde 2006, S. 35. Hier jedoch zitiert nach Loos 2010 (1910.5), S. 403. 7 Imorde 2006, S. 37. 8 Hugo Ehrlich (31. Januar 1879 Zagreb bis 21. September 1936 Zagreb) studierte an der Technischen Hochschule Wien von 1897 bis 1903. Neben seiner Arbeit an der Villa Karma ist überliefert, dass er ab 1909 unter der Leitung von Friedrich Ohmann an der Restaurierung der Burg Kreuzenstein beteiligt war. In Bezug auf die Villa Karma schreibt Paul Tvrtković im Dictionary of Art: „Ehrlich’s most significant undertaking of the period was the completion (1906) of the Villa Karma, Clarens, Switzerland, begun by Loos in 1904 but abandoned after arguments with the client, the psychiatrist Theodor Beer. Ehrlich subtly interpreted Loos’s original concept and created a seminal building of modern architecture. He added pergolas to the four corners of the pure cube of the original design, thereby relating the building to the landscape in a way not originally envisaged by Loos.” (Paul Tvrtković: Hugo Ehrlich, in: Dictionary Of Art, Bd. 10 (1996), S. 102.) Wie gleich aufgezeigt wird, liegt Tvrtković mit seiner Datierung der Arbeiten Ehrlichs an der Villa Karma
45
46
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
gestellt wurde.9 Die abschließenden Arbei-
nach Entwürfen von Loos die Bibliothek
ten unter Ehrlich orientierten sich jedoch zu
mit dem dazugehörigen Kaminzimmer und
guten Anteilen an den Planungen Loos’.10
die Halle mit der Haustreppe zum ersten
Aufgrund dieser komplizierten Baugeschich-
Stock ausgeführt. Seinen Skizzen ent-
te, die auch bedingt war durch den proble-
spricht die Ausstattung der Seeveranda im
matischen Lebensverlauf des Bauherrn,
11
Hochparterre, seinen Zeichnungen die
manifestiert sich in dem Gebäude ein Kong-
Veranden im ersten Stock, die ‚Bilder
lomerat von feinsinnigen Ebenen.
Welche
galerie’ und die Raumlösung des zweiten
architektonischen Bauteile sind von Loos
Stockes. Die Lichtführung, die für die
adaptiert, welche sind original von ihm
Raumwirkung von entscheidender Wich-
erdacht und welche sind in seinem Sinne
tigkeit ist, wurde von Loos gelöst und zeigt
ergänzt worden? Zum Verhältnis der Antei-
noch heute seine Auffassung.“13
12
le von Loos und Ehrlich an der Konzeption der Villa Karma schreibt Vera Behalova:
Ehrlich selbst beschrieb seinen Anteil an der Villa Karma mit folgenden Worten:
„Die Raumgestaltung des gesamten Hauses geht auf Loos zurück; die Ausstattung
„Ich übernahm den Bau von ‚Karma‘ im
der Räume, die Loos entworfen hat, wur-
Jahre 1908. Deren Zustand war damals
de nach seinen Entwürfen ausgeführt. Wo
folgender: der Besitzer, Prof. Theodor
Loos seine Vorstellung nur skizzenhaft an-
Beer, hatte durch Adolf Loos das alte
gedeutet hat, folgte Ehrlich dessen Grund-
Haus, das auf der ‚La Maladaire‘ stand,
gedanken und entwickelte ihn seinem Kön-
ein Stockwerk aufbauen lassen / der jet-
nen und dem Wunsch des Bauherrn
zige Hauskern, der über die letzte Terras-
entsprechend. Im Hochparterre wurde
se emporragt /. Außerdem hatte Loos die 2 Etagen Loggien der Garten- und Seefas-
nicht ganz richtig, ebenso ist zu hinterfragen, ob alleine die aufgesetzten Terrassenpergolen das gesamte Verhältnis des Bauwerks zur landschaftlichen Umgebung verändert haben. Womit Tvrtković sicherlich eine korrekte Einschätzung liefert, ist das subtile Aufgreifen der Loos’schen Planungen. 9 Bock 2009, S. 110. Des Weiteren hat Jacques Gubler rekonstruiert, dass bereits vor dem Gutshaus – La Maladaire genannt –, das als Grundmodul der Loos’schen Planung zur Villa Karma diente, eine benediktinische Kirche auf dem Baugrund gestanden hat. Vergleiche dazu Gubler 1985, S. 215f. 10 Rukschcio und Schachel 1982, S. 428. 11 Vergleiche dazu Rukschcio und Schachel 1982, S. 92–98 und Soukup 2004, S. 94f. 12 Einen kompakten Abriss der Baugeschichte auch über Hugo Ehrlichs Anteil hinaus leistet Jacques Gubler. (Gubler 1985, S. 214–229.)
sade des alten Hauses vorgebaut. Das war, glaube ich, im Jahre 1906 geschehen. Nach dem Bruch zwischen Beer und Loos stand der Bau etwa 2 Jahre still und war, als ich ihn übernahm, ziemlich verfallen. In der Zwischenzeit hatte Prof. Max Fabiani zwar einige Projekte für die Fertigstellung des Hauses ausgearbeitet, doch wurde während seiner Tätigkeit am Baue nicht gerührt. Auch später kamen seine Projekte in keiner Weise zur Ausführung. Meine Tätigkeit verteilte sich in der Hauptsache
13 Behalova 1974, S. 88f.
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
auf die Jahre 1909–1912, in welcher Zeit
aufmerksam machen, daß meine Freund-
ich eine, ich muß sagen, ungeheuere Fül-
schaft – und ich komme selten Fremden
le von Detailprojekten ausgearbeitet habe.
so rasch freundschaftlich entgegen, wie ich
Das Projekt erstreckte sich nicht nur auf
es Ihnen gegenüber tat – in idealer und in
den Besitz ‚La Maladaire‘, sondern auf den
realer Form aber wertvoll sein kann und
ganzen Besitz, den Prof. Beer damals in-
daß Sie sie auf keine andere Art erwerben
nehatte, also auch auf das obere Haus /
können als durch die größte Aufrichtigkeit
‚Sangata‘ / und gleichfalls auf das Gelän-
d. h. Sachlichkeit; ob Ihr Geschmack
de oberhalb der Hauptstraße ‚Karma‘ ge-
meinem entspricht, werde ich erst sehen
genüberliegend. Die Detailprojekte behan-
müssen. Desgleichen ob Sie Ihren schlech-
delten also erschöpfend die Villa ‚Karma‘,
ten Ruf der Unverträglichkeit und des
die Villa ‚Sangata‘ und den ganzen Park,
Nichtfertigwerdens desavourieren werden.
den Bootshafen, ferner Badehaus, Belvede-
Ich gebe wenig darauf, was man mir sagt,
re, Parkanlagen, Wasserwerk etc.“14
aber sehr viel auf eigene Erfahrung. Es steht demnach bei Ihnen, ob Ihnen hier
Ebenso muss noch erwähnt werden, dass,
große u. dankbare Arbeiten erwachsen.
als Loos für die Villa Karma hinzugezogen
Daß Sie sich hier einen Namen machen
wurde, bereits Henri Lavanchy (1836–1914)
können, ist s icher. Wenn Sie mich zufrie-
mit den Planungen zum Umbau und zur
denstellen, werde ich selbst mit allen Kräf-
Erweiterung der bestehenden Villa begonnen
ten – und die sind nicht gering – dafür sor-
hatte. Lavanchy, ein Semper-Schüler aus
gen. A ndererseits kann ich immer allein
Vevey, hatte schon eine Grundkonzeption
sein, kann auf alles verzichten, weiß mir
zum Ummanteln und Aufstocken der Mal-
selbst zu helfen. Zeigen Sie jetzt, was Sie
adaire entwickelt. Auf jene Planung bezog
können, werfen Sie sich mit Eifer u. Lust
sich Loos, jedoch formulierte er die historis-
auf diese Aufgabe, wo man Ihnen mit so
tischen Galerienanbauten Lavanchys in ihrer
viel Verständnis entgegen kommt. Es wird
Formensprache völlig um. Des Weiteren ist
sich lohnen!“
15
eine gewisse Einflussnahme durch den Auftraggeber Theodor Beer zu vermuten. So
Und in einem weiteren Brief am 19. Januar
schreibt Beer im Januar 1904 an Loos:
1904 heißt es:
14
15
„Lieber Herr Loos! Ich hoffe, daß Sie wohl-
„Ich hoffe, daß Sie mit Freude und Liebe
behalten in Wien angelangt sind und daß
an diese ungewöhnlich einheitliche Ar-
Sie intensiv meine Pläne bedenken. Ich
beit gehen und im Verein mit mir etwas
möchte Sie nochmals intensiv darauf
besonders gediegenes leisten werden.“16
Jener Brief, den Ehrlich an Henri-Robert Von der Mühll 1928 von Zagreb aus schrieb, ist hier in Auszügen zitiert nach: Gubler 1985, S. 222–224. Vergleiche dazu Gubler 1985, S. 216–220.
16
Hervorhebungen sind von der Autorin dieser Arbeit. Auszüge aus den Briefen sind zitiert nach Behalova 1974, S. 168f.
47
48
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 7: Josef Hoffmann: Die Einrichtung des Speisezimmers im Palais Stoclet, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren
Beers, der genau wußte, was er wollte.“17 Loos hatte zu diesem Zeitpunkt noch kein Haus gebaut, sondern hatte sich vor allem durch Zeitungsartikel und Wohnungseinrich-
Der Ton des ersten Briefes zeigt eine gewis-
tungen einen Namen gemacht. Behalova
se autoritär gönnerhafte Haltung Beers.
spricht davon, dass Beer Einfluss nahm auf
Bereits Rukschcio und Schachel betonen in
die Arbeit Loos’; Loos aber im Gegenzug
ihrer Monografie die „von gönnerhaftem
sich auch gegen den Geschmack des Bauher-
Selbstbewußtsein geprägte Schreibweise des
ren durchsetzen konnte.18
arrivierten Bauherrn sowie das geschickte
Dieses Phänomen des Gemenges von ver-
Ausspielen von dadurch hervorgerufener
schiedenen Einflüssen auf ein Objekt stellt
Reserviertheit gegenüber dem ihm noch weit-
jedoch gerade eine gewisse Nähe zum Palais
gehend unbekannten, durch üble Nachrede
Stoclet in Brüssel her, das von Beginn an als
herabgesetzten Architekten gegen verlocken-
ein gemeinschaftliches Kunstwerk geplant
de Andeutungen“ und bezeichnen diese Vor-
war. Der Architekt und Architekturhistoriker
gehensweise als „charakteristisch für die eigenwillige und schwierige Persönlichkeit
17 Rukschcio und Schachel 1982, S. 93. 18 Behalova 1974, S. 32–52.
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
Eduard F. Sekler liefert einige Informationen dazu, wie jenes Zusammenwirken gelang und als Ausnahme von der Regel werden nur einige wenige herausragende Werke wie das Fries von Gustav Klimt im Speisezimmer eindeutig einer kreativen Hand zugeschrieben. Jedoch ist das Fazit zu ziehen, dass das Palais Stoclet ein Werk vieler Hände unter der Gesamtregie Hoffmanns darstellt.19 Jenem Bild entspricht auch Sekler, wenn er wiederum eine gegenseitige Beeinflussung von Hoffmann und Klimt beim Speisezimmer- Mosaik-Fries betont (Abb. 7). Sekler redet davon, dass „Hoffmanns Streben nach elementarer A bstraktion damals auch Klimt in den Bann gezogen“20 habe. Rudolf Greiner untermauert jene These Seklers, wenn er eine grundsätzliche Verwandtschaft zwischen der „Formensprache“ des Supraportenreliefs Hoffmanns für die 14. Secessionsausstellung (1901/1902) (Abb. 8) – die sich durch eine Schichtung von hochkantigen, dreidimensionalen Rechtecken auszeichnet – und dem
Abb. 8: Josef Hoffmann: 14. Secessionsausstellung bzw. Beethovenausstellung, rechter Seitensaal, Supraportenrelief, 1901/1902, Verbleib unbekannt, zeitgenössische Fotografie, Wien I., Secessionsgebäude, Friedrichstraße 12
Klimt’schen Fries im Palais Stoclet hinweist.21 Zusammenfassend lässt sich bereits jetzt
blieb Hoffmann bis zuletzt die leitende
sagen, dass es sich um zwei Häuser handelt,
Hand des Palais Stoclet. Sekler spricht bei
die beide unter der Schirmherrschaft eines
Hoffmann von einer „Zielstrebigkeit“, die
Architekten standen, dem aber eine Viel-
den „großartigen Zusammenklang des
zahl von Ideengebern beistand, wobei fest-
Ganzen“ erst ermöglicht habe,23 während
zuhalten ist, dass die Qualität der Einfluss-
er gleichzeitig seinen „künstlerischen
nahme sich unterscheidet. Während Loos sich wohl aufgrund von Unstimmigkeiten mit dem Bauherrn aus dem Auftrag der Villa Karma Anfang 1907 endgültig zurückzog und Max Fabiani als Nachfolger empfahl,22
19 Vergleiche dazu Sekler ²1986, S. 89–96. 20 Sekler ²1986, S. 94. 21 Greiner 2010, S. 10. 22 Rukschcio und Schachel 1982, S. 106. Diese
Förderung Fabianis wird jedoch von Loos bewusst gewählt worden sein. Ihm traute er offenbar eine Weiterführung seiner Arbeit in seinem eigenen Sinne am ehesten zu. Joseph Rosa geht sogar von einem Streit zwischen Beer und Loos aus. Er vermutet, dass der Anlass des Streits „das strenge äußere Erscheinungsbild des Gebäudes“ gewesen sei. Des Weiteren berichtet er, dass die Schweizer Behörden das Haus als mit dem „Ortsbild“ nicht harmonierend verstanden. (Schezen 1996, S. 26.) 23 Sekler ²1986, S. 96.
49
50
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Mitarbeitern volle Freiheit“ bei dem Ermessen
Moment, das sich zum Beispiel am Palais
der für „einen Raum passenden Themen“
Stoclet zu einer Architektursprache aus-
ließ.24
formt. Gegensatzpaare wie Wahrheit und Lüge werden paradigmatisiert und der Kon-
Wien um 1900 – das gemeinsame kulturelle Feld der Villa Karma und des Palais Stoclet
struktionswahrheit wird die historische Stilmaske oder der ornamentale Aufputz entgegengestellt.26 Die Bewegung der Moderne wollte den Eindruck eines absolut erstmali-
Wie geht man im Folgenden mit den beiden
gen Auftretens erwecken. Otto Wagner for-
Gebäuden um? Es soll gerade nicht die Fra-
derte bewusst überzeichnet eine „Naissance“
ge nach der originären Urheberschaft jedes
und nicht etwa eine abermalige Renaissan-
Details gestellt werden. Vielmehr soll der
ce.27 Bei genauerer Betrachtung stellt man
Blick auf die Gesamtkonzeption sowohl der
jedoch fest, dass es sich bei diesem Blick auf
Außen- als auch der Innenräume gebündelt
die Moderne des Fin de siècle um eine nicht
werden. Die Frage nach einer übergeordne-
ganz präzise, vielleicht sogar gelenkte Sicht-
ten Intention zur Erzeugung von Stimmun-
weise handelt. Die Wiener Moderne stellt
gen in und um die Villa Karma und das Palais
mitnichten einen geschichtslosen Stil dar.
Stoclet steht im Fokus; wobei natürlich die
Werner Oechslin bezeichnet diese Auffas-
Autorenschaft von Loos und Hoffmann
sung sogar als die „Lebenslüge der Moder-
soweit es geht abgesteckt werden muss. Dafür
ne“.28 Allein um etwas als neu zu definieren,
ist zunächst ein Bestimmen des kulturellen
benötigt man einen Abgrenzungsspielraum.
Feldes, auf dem beide Architekten agierten
Ohne „die Folie der Geschichte“ wäre „die
und das im Sinne eines gesellschaftlichen
Proklamation des Neuen“ undenkbar.29
Netzes deren Werke prägte, notwendig. Beide Gebäude stehen zwar nicht in Wien, sind jedoch ohne Wien als gedankliche Geburtsstätte nicht vorstellbar. So sollte das Palais Stoclet ursprünglich auf einem Grundstück auf der Hohen Warte in Wien errichtet werden.25 Um sich nun der Villa Karma und dem Palais Stoclet im Sinne ihres kulturellen Standortes zu nähern, muss zuvor eine grobe Einführung in den Positionierungswillen der Wiener Moderne und Secession geleistet werden. Denn gerade das Geschichtsverständnis jener Künstlergruppe oder Künstlergeneration wird zum prägenden 24 Sekler ²1986, S. 89. 25 Vergleiche dazu Sekler ²1986, S. 97.
26 Ocón Fernández 2004, S. 46f. Die Begrifflichkeiten von Wahrheit, Konstruktion und Bekleidung sind in der Publikation Architecture and Truth in Fin-De-Siècle Vienna von Leslie Topp sehr aufschlussreich dargestellt. Topp untersucht vier architektonische Meilensteine der Wiener Moderne (die Secession von Joseph Maria Olbrich, das Sanatorium Purkersdorf von Josef Hoffmann, die Postsparkasse von Otto Wagner und das Geschäftshaus Goldman & Salatsch von Adolf Loos) im Hinblick auf das Paradigma der Wahrheit. Sie hinterfragt jedes Bauwerk einzeln für sich nach seinen manifestierten Wahrheitsdefinitionen und folgt damit der Metapher um 1900 für den Historismus als Architektur der „gebauten Lüge“, gegen die sich Olbrich, Hoffmann, Loos und Wagner abgrenzen wollten. (Topp 2004.) 27 Wagner 2008, S. 54f. 28 Oechslin 1994, S. 24. 29 Oechslin 1994, S. 24.
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
In Wien benutzte man den Topos der
Literatur des Jung-Wiens33 und den erotisch
„abgerissenen Geschichte“30, um auf die
aufgeladenen Bildern Gustav Klimts34 oszil-
Epoche vor dem Historismus zurückzugrei-
lierte und demnach als eine „Gefühlskul-
fen. Man postulierte insbesondere im Falle
tur“35 auftrat, konnte eventuell nur durch
der Wiener Secession keine evolutionäre Kunstschöpfung, bei der sich die neue Kunstauffassung aus der vorigen weiterentwickelt. Vielmehr malte man das Bild der fehlgeleiteten Ringstraßenepoche und wollte keinesfalls an als Irrungen deklarierte Errungenschaften anknüpfen.31 Ein bewusster Wunsch nach einem eigenen, der Zeit entsprechenden Stil, der insbesondere von den Secessionisten propagiert wurde, war hervorgetreten. Die virtuose Reproduktion der vergangenen Formen wurde als Lüge und Surrogat deklassiert. Die Verwendung aller Epochenstile sowie deren symbolische Aufladung für Repräsentationszwecke im Falle der öffentlichen Ringstraßenbauten hatten sich immer mehr von dem ‚Empfinden‘ der Künstlergenerationen Otto Wagners, Joseph Maria Olbrichs und Josef Hoffmanns aber eben auch Adolf Loos’ entfernt. Eine Zeit, die davon geprägt wurde, dass man sie als schnelle und grenzenlose Maschinerie empfand, konnte sich nicht durch ein neogotisches Rathaus verkörpert sehen. Ein Wien, das zwischen Freuds Forschungen,32 der 30 Oechslin 1994, S. 24f. 31 Bei Oechslin ist die Definition der Moderne als Überwindung des Historismus nachzulesen. (Oechslin 1994, S. 36.) 32 Vergleiche dazu den Ansatz der Kunsthistorikerin und Soziologin Lisa Fischer und der Politik- und Geschichtswissenschaftlerin Regina Köpl. Beide Autorinnen gehen vor allem aufgrund einer weiblichen Emanzipationsbewegung von einer „Erfolgsstory der ‚Firma Freud‘“ aus und verknüpfen diese These mit Schauplätzen, die sie als Konzentration von „Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Mentalitäts- und Kulturgeschichte, Biografie und Archi-
tektur“ definieren. In dem Zusammenhang dieser Arbeit erscheint es besonders interessant, wenn beide Autorinnen im Falle des Hauses Wittgenstein von einem „singuläre[n] Bauwerk menschlicher Beziehungen und Aktivitäten“ sprechen und des Weiteren ausführen: „In der Wiener Stadtresidenz manifestierte sich das architektonische Verständnis der Bauherrin [Margaret Stonborough-Wittgenstein; LT] in vielfältiger Weise. Das Haus war großzügig dimensioniert und damit ‚klassisch‘, gleichzeitig einfach gestaltet und in seiner Ausführung präzise. Das Ergebnis entsprach sowohl dem Schöpfer als auch der Auftraggeberin.“ (Fischer und Köpl 2005, S. 12–15, S. 101 und S. 107–109.) 33 Für nähere Informationen zur Literatengruppe Jung Wien siehe Lorenz ²2007 und Wunberg 2004. 34 Um den vorigen Aspekt aufzugreifen und die Verzahnung des Wiener Kulturlebens um 1900 zu verdeutlichen ist festzustellen, dass Margaret Stonborough-Wittgenstein sich von Gustav Klimt porträtieren ließ. Zu jenem Gemälde kann Elfriede Wiltschnigg berichten, dass Margaret Ston borough-Wittgenstein sich mit jenem „hochstilisierten Bildnis nicht identifizieren“ konnte. Des Weiteren erklärt Wiltschnigg jene Ablehnung mit Klimts Darstellungsweise, da er gerade die selbstbewussten Frauen des „neureichen Großbürgertums“ und ihre Individualitätsansprüche seinem Malduktus subsumierte. Jenes Grundkonzept fasst Wiltschnigg treffend zusammen: „Die Frauen der Portraits von Klimt erscheinen wie körperlose Wesen, wobei das Gesicht, wie auch die Hände, der Hals und das Haar, realistisch gezeigt und dabei doch zu makelloser Schönheit hochstilisiert werden. Ihr Körper jedoch, dessen Konturen man nur noch erahnen kann, ist unter kostbaren langen Gewändern verborgen, die ganz mit dem Hintergrund verschmelzen, bis sie ebenfalls zu einem Ornament werden.“ (Wiltschnigg 2001, S. 205– 213.) Die Vergegenständlichung des weiblichen Körpers zur dekorativen Zierde muss einer gebildeten Frau wie Margaret Stonborough-Wittgenstein ein Dorn im Auge gewesen sein. Vergleiche zum gesellschaftlichen und bildungsbürgerlichen Umfeld von Margaret Stonborough-Wittgenstein Fischer und Köpl 2005, S. 101–109. 35 Schorske ²1985, S. 18.
51
52
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
zeitgemäße Mittel seine ihm eigenen Gefüh-
Diese Schilderung ist auf jegliche Architek-
le und Sichtweisen verwirklicht sehen. Wie
tur, die neue Formen und Inhalte umschreibt
sehr die Wahrnehmung unter anderem von
oder deklariert, zu übertragen. Allein das
zweckorientierter Architektur auf emotiona-
Betrachten der Gebäude Hoffmanns aus dem
ler Basis erfolgte, ist beispielhaft bei Hermann
ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ver-
Muthesius nachzulesen, wenn er schreibt:
mittelt jedoch bereits die Erkenntnis, dass es sich bei dem neuen Stil in keinerlei Weise
„Auf der andern Seite aber liegt gewiß
um einen geschichtslosen Stil handeln kann.
auch im Wesen der Ingenieurbauten ein
Inwiefern kommt es also zu dem Proklamie-
Grund dafür, daß die von der Architektur
ren eines Neuanfangs und in welcher Art
als Kunst zu erwartenden Wirkungen auf
und Weise trifft das Bild einer „Naissance“
das Empfinden der Menschen zunächst
– wie sie Wagner formuliert hatte – doch zu?
noch ausblieben. Es ist, wenn von der
Laut der These, in Wien sei die Moderne
Hochburg der gewohnt-architektonischen
erfunden worden oder Wien sei die „Geburts-
(sic!) Betrachtungsweise aus die Ingeni-
stätte der Moderne“37, ist es nun nötig, das
eurbauten kritisiert worden sind, häufig,
Umfeld, in dem die Werke Josef Hoffmanns
ja mit besonderer Vorliebe hervorgeho-
und Adolf Loos’ entstanden sind, kurz zu
ben worden, daß die Linien und Formen
umreißen. Der Ausdruck Wien um 1900 ist
des Ingenieurs reine Rechnungsergebnis-
ein feststehender Topos und nicht etwa nur
se, bar aller Empfindung seien. Und im
eine Orts- und Zeitangabe. Es ist gleichzeitig
besondern ist von Eisenkonstruktionen
ein „vielschichtiges Phänomen“38, das ins-
bis zum Überdruß der Satz verfochten
besondere in Hinsicht auf die Œuvres Hoff-
worden, daß es ihnen an Körperlichkeit
manns und Loos’ definiert werden soll. Wien
mangle, um überhaupt künstlerisch wir-
ist im Fin de siècle Reichs-, Haupt- und Resi-
ken zu können. Beide Einwürfe scheinen
denzstadt eines Vielvölkerstaates und damit
für den ersten Augenblick nicht der Be-
konzentriert sich in der Stadt sowohl das
rechtigung zu entbehren. Aber es ist, wenn
politische als auch das kulturelle Leben der
man sie untersucht, vor allem festzuhal-
Donaumonarchie. Seit 1890 mit der Einge-
ten, daß ihre Begründung fast ganz allein
meindung der Vororte sprach man von
in unserer augenblicklichen Gewöhnung
„Groß-Wien“.39 Die Ära des Liberalismus
ruht. Die Kunst und ganz besonders die
hat ihren Höhepunkt überschritten – bereits
Baukunst rechnet in erster Linie mit Kon-
1873 hatte der Börsenkrach, der mit dem
ventionen. Wir schätzen und lieben das,
Zeitpunkt der Weltausstellung zusammen-
was wir kennen.“
fiel, die fragile Gesellschaftskonstruktion
36
einer Marktwirtschaft vor Augen geführt40
36 Muthesius 1908, S. 28f. Hervorhebungen stammen von der Autorin dieser Arbeit.
37 Brandl 2010, S. 56f. 38 Berner u. a. 1986, S. 11. 39 Düriegl ²1985, S. 213. 40 Siehe dazu Düriegl ²1985, S. 212–217.
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
– und die Generation der nachfolgenden Kin-
– zeichnen ein fantastisch dekadentes Bild
der jener Gründergeneration schlägt meist
einer schnell wachsenden, multikulturellen
einen anderen Weg ein als die großindustri-
Metropole. Zur städtischen Realität gehörte
ellen Väter. Schorske spricht von einer „Kri-
aber auch die Präsenz von Krankheit: Tuber-
se des Liberalismus“ und dass diese wieder-
kulose wurde auch als die Wiener Krankheit
um Grund für den politischen Untergang der
bezeichnet, die Selbstmordrate sowie die
Monarchie, aber auch Movens für den künst-
Wohnungsnot waren allgegenwärtige Lebens-
lerischen Aufbruch war. Gestaltender Kern
wahrheiten.44 Dieser Umstand führte in der
dieses kreativen Milieus ist das Groß- oder
Forschung zu einer Betonung des Oszillie-
Bildungsbürgertum. Die Kindergeneration
rens zwischen Gegensätzen für Wien um
wächst mit dem Verständnis auf, dass Inter-
1900. Diese Interpretationsweise mündete
esse an Kennerschaft und Sammeln von
in die berühmte Ausstellung Traum und
ästhetischer Kultur im weitesten Sinne ein
Wirklichkeit. Wien 1870–1930 von 1985.45
Zeichen für sozialen Rang repräsentiert. Die
Des Weiteren wird für das Phänomen Wien
Kultur wird in ihrer Gänze von der Väterge-
um 1900 von einer Gleichzeitigkeit des
neration des Liberalismus zum Statussymbol
Ungleichzeitigen gesprochen. Die berühmte
degradiert. Gegen ein solches Kulturver-
Metapher der Gleichzeitigkeit des Ungleich-
ständnis lehnt sich die nachfolgende Gene-
zeitigen, die von Ernst Bloch entwickelt und
ration auf. Die ästhetische Kultur wird sogar
sich nicht direkt auf das Wien um 1900 bezog,
zu einem der dominanten Faktoren, der die
aber später auf jenes kulturelle Feld übertra-
Weltsicht einer Generation prägt und somit
gen wurde, umschreibt die Unmöglichkeit,
nicht nur weit über den Charakter eines Sta-
die aus historisch zurückgewandter Sicht
tussymbols hinauswächst, sondern ein gan-
komplexen Entwicklungen zu einseitigen, ulti-
zes Empfindungsleben konstituiert.42
mativen Leitmotiven reduzieren zu können.
41
Zur Zeit der nahezu fertiggestellten Ring
Es wird sogar im Gegenteil dazu der Charak-
straße mit ihren historistischen, öffentlichen
terzug eines uneinheitlichen Kultur-, Politik-
und privaten Prunkbauten steht eine große
und Gesellschaftsbildes für die Metropole
Auswahl an österreichischen, aber auch inter-
Wien um die Wende zum 20. Jahrhundert
nationalen Kulturzeitungen dem breiten Publikum in den Kaffeehäusern zur Verfügung. Makart-Kunst, Salons und die Vielzahl an Möglichkeiten zur Zerstreuung – man denke nur an die Vergnügungsangebote im Prater43
41 Schorske 1982. In Bezug auf die methodische Ein engung einer monokausalen Erklärung wie Schorske sie leistet, vergleiche Brandl 2010, S. 56–61. 42 Siehe dazu Schorske ²1985, S. 12–25. 43 Eine der außerordentlichsten Erscheinungen war der Vergnügungspark Venedig in Wien, der ein touristisch idealisiertes Bild der Lagunenstadt nach
Wien in den Prater transferierte. Mit extra eingekauften Gondolieri und den aus Holz und Stuck täuschend ähnlich nachgebauten Fassaden der Palazzi war Venedig in Wien von 1895 an bis circa 1901 eine beliebte Attraktion. (Leitich 1942, S. 76–78. Siehe dazu auch Rubey und Schoenwald 1996.) Bezeichnenderweise wurde Venedig in Wien 1908 wie folgt umschrieben: „Venedig! … Wasser, Gondeln, Lagunen, Brücken, romantischer Stil … Man machte alles künstlich, zum Teil sogar künstlerisch nach. Stil und Stimmung lag über dem Ganzen.“ (Lederer 1908, S. 641.) 44 Knoll 1986, S. 61. 45 AK Traum Und Wirklichkeit ²1985.
53
54
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
gezeichnet. Die Umschreibung eines spezifi-
tatsächlich als kreatives Milieu in Wien zur
schen Zeitraumes über seine Vielzahl an man-
Zeit des Fin de siècle bestand.49
nigfaltigen Strömungen führt zunächst seine
Jean Améry spricht von Wien als der
Definition im Sinne einer Epoche jedoch ad
„Hauptstadt des Geistes“50. Diese Metapher
absurdum. Ein System der Stil- und Formen-
erklärt sich folgendermaßen: Zunächst wan-
geschichte scheitert eben immer zu Zeiten,
delt sich die Weltsicht im Liberalismus ent-
die einen Umschwung einleiten oder eine Brü-
scheidend hin zum Individualismus. Das
ckenfunktion erfüllen. Das Oszillieren zwi-
Individuum und seine Selbstverwirklichung
schen einer ‚alten‘ und einer ‚neuen‘ Welt und
und Selbstwahrnehmung wie auch Stellung
das Bewusstsein, sich in einer Zeit des
in der Gesellschaft und zu ihr werden zum
Umbruchs zu befinden, lässt Künstler auf sehr
zentralen Motiv der städtischen Kultur.51
verschiedene Art und Weise agieren und
Dies lässt sich insbesondere an der Literatur
reagieren. Die Großstadt Wien zum Fin de
Arthur Schnitzlers, Hugo von Hofmannsthals
siècle ist solch ein Ort des Umbruchs und
und Robert Musils nachvollziehen, aber
stellt eine Brücke zwischen zeitlich noch rück-
ebenso an den Entwicklungen in den Wis-
wärtsgewandtem Historismus und schon vor-
senschaften. Freuds Forschungen zum
wärts gerichteter Moderne dar. Wobei der vor-
Gedanken- und Emotionsleben des Men-
wärts gewandte Blick auch als ein Bewusstsein
schen sowie Ernst Machs Theorie vom
für das eigene Jetzt definiert werden könnte,
unrettbaren Ich führen zu einem kulturellen
wie das Credo der Wiener Secession – „Der
Stadtbild, in dem das innere Emotionsleben
Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit“ –
des Menschen in den Brennpunkt des Blicks
zeigt.46 Hermann Broch formulierte für jene
rückt. Das weltberühmte Bild, des in unter-
Zeit die Metapher der „fröhlichen Apokalyp-
schiedliche Instanzen zerrissenen Menschen
se“.47 Eine gewisse ‚Endzeitstimmung‘ lässt
gibt das Weltbild des damaligen Städters wie-
sich nicht verleugnen.
Dieses Nebeneinan-
der, der sich mit einem schnell wachsenden
der von einer Vielzahl von Faktoren sowie
und immer rasanter entwickelnden Umfeld
die gleichzeitigen Entwicklungen der konträ-
konfrontiert fühlt, in dessen weiten Grenzen
ren Nachweise von Dekadenz und Elend las-
er sich immer wieder gezwungen sieht, sich
sen sich zumindest als eine Ambivalenz defi-
neu zu positionieren. Dieses Gefühlsbild von
nieren, die nicht nur in der Sekundärliteratur
Disparatheit und Ambivalenz schürt den
48
übertrieben nachgezeichnet wurde, sondern Der Begriff der Ambivalenz wurde von dem Schweizer Psychiater Eugen Beuler geprägt. Beuler wurde wiederum von Freud rezipiert. Nach Norbert Leser besteht die Wiener Ambivalenz aus den Gegenpolen „Untergangserwartung“ und „Fortschrittseuphorie“. Siehe dazu Leser 1986, S. 63f. 50 Welan 1986, S. 39. 51 Hierzu steht im Kontrast die Entwicklung der modernen Massenbewegungen, worunter vor allem die sich entwickelnden Massenparteien zu zählen sind. Siehe dazu Leser 1986, S. 64f. 49 46
47 48
Vergleiche zur Entwicklung des Begriffs der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen Bloch 1973, S. 111–126. Als Beispiel für die Anwendung jenes Geschichtsverständnisses auf das Idiom Wien um 1900 vergleiche Wagner 2005, S. 9–20. Siehe dazu Broch 2001, Kapitel 1 und AK Vienne 1986. Siehe zu den Faktoren des kreativen Milieu Wiens um 1900 ausführlicher Janik 1986, S. 45–55. Siehe dazu auch Brix und Werkner 1990, S. 9–12.
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
Wunsch nach einem gestalteten sicheren
von den Zeitgenossen kämpferisch und kon-
Umfeld und erklärt bisweilen die Beweggrün-
fliktbeladen wahrgenommen wird, ist bedeu-
de für die Gesamtkunstwerk- und Reform-
tungsvoll in der Dissertation Geschlecht und
bewegung im Allgemeinen. Als eine der
Charakter von Otto Weininger von 1903
Folgen der vorwiegend industriellen Ent-
nachzulesen. Überhaupt ist eine starke Wahr-
wicklungen lässt sich der Topos des Nervö-
nehmung von Körperlichkeit zu konstatie-
sen darlegen. Der moderne Mensch sieht sich
ren. So sind Ansichten zum wohltuenden
mit seinen durch städtischen Lärm und
Charakter des Sports auf die psychologischen
Geschwindigkeit geschwächten Nerven kon-
Befindlich- und Empfindlichkeiten des Städ-
frontiert und wer es sich leisten konnte, fährt
ters allgemein anerkannt. Das Sonnenbaden
zu den vielfältigen Angeboten der Kur für
und vor allem das Fortbewegungsmittel Fahr-
gestresste Städter aufs Land oder in die Ber-
rad werden zu Symbolen der fortschrittlichen
ge. Man denke nur an den berühmten Roman
Lebensweise.53
Der Zauberberg von Thomas Mann. Das Bild
Dieses Umfeld führt zum Eskapismus in
der schwindsüchtigen höheren Tochter oder
eine Kunstwelt und dem entgegensetzt zu
des blassen, dandyhaften Jünglings sind
einer Position des rationalen Willens. Beide
sicherlich überzeichnete Charaktere, die aber
Haltungen formen eine dominante und akti-
zumindest auf einen wahren oder realen
ve Rolle des Architekten, der sich einem Ori-
Kern rückzuführen sind. Die Erforschung
entierungsgeber gleich gegen eine in Umbrü-
der psychischen Erkrankungen wird immer
chen befindliche Welt stellt. An diesem Punkt
breiter und präsenter in der wissenschaftli-
kann man wieder deutlich an das Schaffen
chen Öffentlichkeit. Theodor Meynert,
Hoffmanns und Loos’ anknüpfen, denn bei-
Richard Freiherr v. Krafft-Ebing und Julius
de Systeme stellen Schlüsselmotive in den
Wagner-Jauregg sind führende Namen der
künstlerischen Auffassungen der Architekten
Wiener psychiatrischen Forschung. Während
dar. Hoffmann und Loos sind in ihrem Wir-
Freud sich bereits 1895 dem Phänomen der
ken deutlich von den Topoi Ästhetizismus,
Hysterie im Rahmen eines sechsmonatigen
Psychologismus und dem Unbehagen gegen-
Aufenthaltes am Hôpital de la Salpêtrière in
über der eigenen Zeit gelenkt.54 In Bezug auf
Paris bei dem Neurologen Jean-Martin Char-
die Villa Karma soll die ummantelnde Struk-
cot widmete, erforschte Krafft-Ebing das
tur des Gebäudes selbst und die maskenhaf-
Sexualverhalten und prägte die Wortneu-
te Schutzschicht von gebauten Stereotypen
schöpfungen Masochismus und Fetischis-
als Loos’sche Strategien herausgearbeitet
mus. Wie sehr sich eine sexuell aufgelade52
ne Weltsicht Bahn bricht, ist in den Werken
53
Gustav Klimts deutlich nachvollziehbar und wie stark die Dichotomie der Geschlechter 52 Thau und Lovrek 1986, S. 74. Vergleiche dazu auch Topp 2004, S. 66, Wiltschnigg 2001, S. 128f. und Kandel 2012, S. 73–105.
54
Wie sehr die Maschine und die mit ihr verbundene Geschwindigkeit als Fortschritt empfunden wurden, wird noch näher am Beispiel des Fahrrads erklärt. Wie ambivalent jedoch die Sichtweisen auf jenen Fortschritt waren, lässt sich wiederum nachlesen bei Sandgruber 1986, S. 285–303. Péter Hanák benennt Ästhetizismus und Psychologismus als allgemeine Aspekte für das Wien um 1900. Vergleiche dazu Hanák 1986, S. 157.
55
56
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
werden. Deutlich wird anhand jener Ausführungen, dass es sich auch um am eigenen Leib empfundene und nachvollziehbare Entwick-
Die Villa Karma –‚Hülle‘ und ‚Kern‘ als raumfassende Kategorien der Stimmung
lungen handelt. Demnach ist die Krise der
Standort – Ortsbild
Jahrhundertwende – oder positiv formuliert:
Um sich dem Stimmungsbegriff im Falle der
der Impuls der Wiener Moderne – eine sub-
Villa Karma zu nähern, ist eine Blickführung
jektiv wahrgenommene Strömung, die vor
von außen nach innen notwendig. Dadurch
allem latent im Individuum präsent war.
55
wird insbesondere der verschlossene Cha-
Dies veranschaulicht auch Robert Waissen-
rakter, das heißt die ummantelnde Struktur
berger, wenn er die Secession als eine „Ver-
des Bauwerks nachvollziehbar. Von der Situ-
einigung extremer Individualisten“
defi-
ierung der Villa in einer Landschaft über ihre
niert. Jene exorbitante, egozentrische oder
unterschiedlichen Fassaden und deren Bezie-
eskapistische Betrachtungsweise der Welt soll
hungen zur Umgebung und zum inneren
mithilfe des Palais Stoclet nachvollzogen wer-
Raumkonzept der Villa, hinein in das Gebäu-
den. Sowohl für die Villa Karma als auch für
de selbst, bis schließlich hin zu den Perso-
das Palais Stoclet wird dabei das Biedermei-
nen, die die Villa bewohnen, soll ein Bogen
er relevant. Im Sinne eines kulturellen und
geschlagen werden.
56
damit emotional motivierten Ankers bezie-
Bournoud beschrieb das Verhältnis der
hungsweise eines genius loci greifen Loos
Villa Karma zu ihrer Umgebung bereits 1944:
und Hoffmann die Strukturen des Biedermeiers in ihren Raumkonzepten und den durch
„Wie die Villa Karma sich uns zeigt, so ist
sie inszenierten sozialen Praxen und Wert-
sie 1904 gerade für diese Stelle am Seeu-
vorstellungen von Wohnen auf. Im nächsten
fer bei Clarens erdacht und errichtet wor-
Schritt soll anschließend die „Arts and
den. Als erstes beeindruckt dieser Bau
Crafts“-Bewegung als mögliche Quelle für
durch seine ungemein harmonische Aus-
Konzepte psychischer und stimmungs-aufgeladener Effekte erörtert werden, um schließlich den Begriff des Gesamtkunstwerks als „Stimmungsbau“ zu interpretieren.57 55 Siehe dazu Hanák 1986, S. 161. 56 Waissenberger ²1985.2, S. 470. 57 Nur wenige Artikel zeichnen bisher ein differenziert vergleichendes Bild von den beiden Kulturträgern. Rainald Franz rekonstruiert die Fakten und den zeitlichen Ablauf der wechselhaften Beziehung zwischen Hoffmann und Loos. (Franz 1992, S. 11–15.) Alfred Pfabigan hingegen betont ein Jahr zuvor, dass die Abweichung der beiden Architekten und ihrer Auffassung von ihrer Aufgabe als Architekten bisher überstrapaziert wurden. (Pfabigan 1991, S. 59f.) Ein Aufsatz von Ursula Prokop beschäftigt sich beispielsweise mit den Trans-
ferprozessen des englischen Kunsthandwerks in den geografischen und kulturellen Raum Wiens. (Prokop 2003.) Ihr Aufsatz ermöglicht, das Schaffen beider Architekten als aus vielen kulturellen Variablen – wie beispielsweise die englische „Arts and Crafts“-Bewegung und dem Wiener Biedermeier – zusammengesetzt wahrzunehmen. So sehen etwa Peter Haiko und Mara Reissberger in der Strategie der Wiener Moderne, wieder die Material- und Handwerksästhetik des Biedermeiers aufzunehmen, eine Gemeinsamkeit Adolf Loos’ und Josef Hoffmanns. (Haiko und Reissberger 1985, S. 113.) Des Weiteren sieht Hans Aurenhammer für die Wiener Moderne eine „Legitimation in der ‚Bürgerkunst‘ der Zeit um 1800“ gegeben und zählt sowohl Josef Hoffmann als auch Adolf Loos namentlich als Belege auf. (Aurenhammer 1997, 37f.)
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
gewogenheit und durch etwas auffallend
terung einer bereits bestehenden Villa als
Vornehmes … Nahe der Villa wird das
teilweise unmöglich zu bezeichnen ist – ver-
Landschaftspanorama durch eine Baum-
deutlicht er die Relevanz des Kontextes der
gruppe in zwei deutlich geschiedene Teile
Umgebung für die Villa Karma. Adolf Loos
getrennt. Von der einen der Fassaden
schrieb selbst in seinem Aufsatz Architektur
schweift der Blick nach Süden, wo als Hin-
von 1910:
tergrund der Gartenperspektive der majestätische Dent du Midi aufragt. Von der
„Darf ich Sie an die Gestade eines
anderen Fassade aus, der dem Westen, dem
Bergsee’s führen? Der Himmel ist blau,
Sonnenuntergang zugekehrten, entdeckt
das Wasser grün und alles liegt in tiefem
man im Glanz der Wasserfläche eine Meer-
Frieden. Die Berge und Wolken spiegeln
landschaft. Von hier ist der Genfer See in
sich in ihm und die Häuser, Höfe und Ka-
seiner größten Ausdehnung zu sehen. Die
pellen tun es auch! Nicht wie von Men-
Landschaft ist in solchem Einteilen und
schenhand stehen sie da. Wie aus Gottes-
Zuteilen nicht sich selbst überantwortet,
werkstatt sind sie hervorgegangen, wie die
sondern im Gegenteil, es gibt sich dabei
Berge und Bäume, die Wolken und der
das Raffinement und Fingerspitzengefühl
blaue Himmel. Und alles atmet Schönheit
des Instrumentierungskünstlers kund.“58
und Ruhe ... Da, was ist das! Ein Mißton in diesem Frieden. Wie ein Gekreisch, das
Auch wenn Bournoud den Eindruck vermit-
nicht notwendig ist. Mitten unter den Häu-
telt, Loos hätte die Villa Karma frei auf dem
sern der Bauern, die nicht von ihnen, son-
Grundstück positionieren können – was allei-
dern von Gott gemacht wurden, steht eine
ne schon durch die Bauaufgabe einer Erwei-
Villa. Das Gebilde eines Architekten. Von einem guten oder schlechten Architekten.
58
Hier handelt es sich um eine Übersetzung Bournouds, zitiert nach Ludwig Münz und Gustav Künstler. (Münz und Künstler 1964, S. 61f.) Übersetzt nach Bournoud 1944, S. 47: “Nous avons sous les yeux la villa Karma conçue et construite en 1904 à Clarens, sur les ríves du lac Léman. Dès le premier abord, il se dégage de cette construction un équilibre, une distinction de plus frappante ... A la Karma le paysage panoramique du lac a été divisé en deux parties distinctes séparées par un bouquet d’arbres. De l’une des façades, la vue s’étend vers le sud où se dressent comme fond de la perspective des jardins, les majestueuses Dents du Midi. De l’autre façade, à l’ouest, celle de coucher de soleil, l’on découvre dans l’éclairage du Léman, un paysage maritime. De ce côté, le lac est vu en enfilade dans sa plus grande langueur. Cette distribution et cet aménagement du paysage n’est pas arbitraire mais, au contraire, démontre l’art raffiné et la subtilité de celui qui l’a orchestré.”
Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß Friede, Ruhe und Schönheit dahin sind. Denn vor Gott gibt es keinen guten und schlechten Architekten. In der Nähe seines Thrones sind alle Architekten gleich. In den Städten, in der Nähe Belials, da gibt es feine Nuancen, wie es eben in der Art des Lasters liegt. Und ich frage daher: Wie kommt es, daß ein jeder Architekt, ob schlecht oder gut, den See schändet? Der Bauer tut das nicht. Auch nicht der Ingenieur, der eine Eisenbahn ans Ufer baut oder mit seinem Schiff tiefe Furchen in den klaren Seespiegel zieht. Die schaffen anders. Der Bauer hat am grünen Rasen
57
58
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
den Fleck, auf dem das neue Haus sich er-
nungsdatum seines Aufsatzes – hatte Loos
heben soll, ausgesteckt und Erde für die
seine Arbeiten an der Villa Karma längst
Grundmauern ausgegraben. Dann er-
beendet, dennoch ist sein Unwillen darüber
scheint der Maurer. Ist Lehmboden in der
bekannt, dass später die Fenster der Südfas-
Nähe, dann gibt es eine Ziegelei, die die
sade mit Vergitterungen versehen wurden.60
Ziegel herbeiführt. Wenn nicht, tut’s der
Daher stellt sich in diesem Zusammenhang
Stein, der die Ufer bildet. Und während
die Frage, welche ökonomischen Beweggrün-
der Maurer Ziegel auf Ziegel, Stein auf
de Loos im Falle der Villa Karma für seine
Stein fügt, hat der Zimmermann seinen
Planungen verantwortlich zeichnete. Adolf
Platz daneben aufgeschlagen: Lustig klin-
Loos schreibt in seinem Aufsatz Mein erstes
gen die Axthiebe. Er macht das Dach. Was
Haus aus dem gleichen Jahr über seine
für ein Dach? Ein schönes oder ein häß-
Erfahrungen mit der „Baupolizei“ von Mon-
liches? Er weiß es nicht. Das Dach. [...]
treux. Hier bezieht er sich jedoch auf ein
Und ich frage wieder: Warum schändet
Portierhäuschen und nicht etwa auf die Vil-
der Architekt, der gute sowohl wie der
la Karma selbst:
schlechte, den See? Der Architekt hat wie fast jeder Stadtbewohner keine Kultur.
„Es lagen viele Steine am Ufer und da die
Ihm fehlt die Sicherheit des Bauern, der
alten Bewohner des Sees alle ihre Häuser
Kultur besitzt. Der Stadtbewohner ist ein
aus diesen Steinen erbaut hatten, so woll-
Entwurzelter. Ich nenne Kultur jene Aus-
te ich es ebenso tun. Denn erstens ist es
geglichenheit des inneren und äußeren
billig, was doch wieder im Architektenho-
Menschen, die allein nur ein vernünftiges
norar zum Ausdruck kommt – man kriegt
Denken und Handeln verbürgt.“
viel weniger und zweitens haben sich die
59
Leute weniger mit der Zufuhr abzumüBezeichnenderweise unterscheidet Loos
hen. Ich bin grundsätzlich gegen das vie-
nicht nur zwischen dem Ingenieur und dem
le Arbeiten, meine Person nicht ausge-
Architekten, sondern verifiziert weiterhin
schlossen. Sonst dachte ich nichts Böses.
zwischen dem Architekten und dem Bauern,
Wer beschreibt daher mein Erstaunen als
der rein aus praktischen und ökonomischen
ich zur Polizei vorgeladen, gefragt wurde,
Beweggründen sein Haus errichtet. Dann
wieso ich, ein Fremdling, ein solches At-
setzt er die Analogie zwischen Architekt und
tentat auf die Schönheit des Genfersees
Stadtbewohner. Dieser rhetorische Griff
verüben könne. Das Haus sei viel zu ein-
überzeugt den Leser unterschwellig von der
fach. Wo bleiben die Ornamente? Mein
Unfähigkeit des Architekten, eine landschaft-
schüchterner Einwand, daß der See ja
liche Bauaufgabe, wie ein Haus am See, zu
selbst bei Windstille glatt und überhaupt
bewältigen, ohne das Land oder die Umge-
ohne Ornamente sei und doch von man-
bung zu verunstalten. 1910 – zum Erschei-
chen Menschen für ganz passabel erklärt
59 Loos 2010 (1910.5), S. 391f.
60
Münz und Künstler 1964, S. 70.
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
werde, konnte die Argumente der Gegen-
Unkünstlerisches, sondern macht sogar
seite nicht aufheben. Ich erhielt eine Be-
einen sehr großen Vorrath der unent-
scheinigung, daß der Bau eines solchen
behrlichen Hilfsmittel, besonders der
Bauwerkes wegen seiner Einfachheit und
jenigen Künste aus, die eben haupt
daher Häßlichkeit verboten sei. Ich ging
sächlich Gefühlssache sind, wie die
beglückt und selig nach Hause.“
Farbenharmonie, wie die ihr wesensähn-
61
liche Musik.“63 Eventuell ist ein entfernter Zusammenhang zwischen dem Aufsatz Architektur von 1910
Man kann sicherlich bei der Villa Karma von
und den Ärgernissen mit den Behörden in
einer Verschränkung der Landschaft bis ins
Montreux möglich. Demnach könnte es
Innere des Hauses – wie sie hier von Sitte
Loos’ Anspruch gewesen sein, mit der Villa
umschrieben wird – sprechen und dies
Karma Theodor Beer eine „Kultur“ der „Aus-
bemerkenswerterweise eben über das schau-
geglichenheit des inneren und äußeren Men-
ende Individuum. An dieser Stelle erklärt
schen“ zu erbauen. Es ergibt sich bei der Vil-
sich am Objekt selbst, was Imorde als „Mate-
la Karma eine Verschränkung aus Standort,
rialwahrheit und -gerechtigkeit“64 bei Loos’
umgebender Landschaft, Aussicht auf diese
Schaffen bezeichnet. Loos habe eben jedem
und den Schauenden als Zentrum dieser Ket-
Material eine „eigene Sprache“ zugeordnet,
te. Irene Nierhaus ist zusätzlich der Ansicht,
die nur in ihrer „spezifischen Bedeutung in
dass Loos mithilfe der Materialien wie bei-
Beziehung auf den Menschen“ spreche. Nicht
spielsweise Holz die Landschaft ins Hausin-
etwa eine Konstruktionswahrheit strebe Loos
nere transferiere.62 Die Idee der emotiona-
mit seiner Verwendung der Materialien an,
len Verknüpfung von Materialien mit
sondern vielmehr stelle das Material eine
wahrnehmbaren Raumstimmungen erwähn-
Mittlerrolle zwischen der Emotion des
te bereits Camillo Sitte in seinem Aufsatz
Bewohners und der Funktion des Raumes
Über Farbenharmonie von 1900:
dar.65 Jedoch ist zunächst noch vertiefend zu erwähnen, dass mithilfe der Folie der alpi-
„Hier spielen offenbar eine Menge von
nen Landschaft bereits Alois Riegl in seinem
Ideenassociationen mit; das Gefühl der
Aufsatz Die Stimmung als Inhalt der moder-
Sicherheit, eine solide Deckenconstruc-
nen Kunst66 jene Stimmung als „Kontem-
tion über sich zu wissen; das Gefühl des
plation“ oder „andächtiges Schauen“ illust-
Behagens einer warmen holzgetäfelten
rierte.67 Riegl formuliert:
Stube, des Geborgenseins vor Wind und Wetter draußen; die Erinnerung an frohe Landaufenthalte; die Verehrung der Werke unserer Väter. Das Mitwirken solcher Ideenassociation ist durchaus nichts 61 Loos 2010 (1910.3), S. 385f. 62 Nierhaus 2010, S. 34f.
63 Sitte 2010 (1900), S. 393. 64 Imorde 2006, S. 35. 65 Imorde 2006, S. 35. 66 Riegl 1928 (1899), S. 28–39. 67 Friedrich 1996, S. 28.
59
60
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
„Indem ich nun das Ganze überschaue –
sowohl den Ausblick auf die Natur vom Haus
überall Zeugen rastlosen Lebens, unend-
aus als auch die Ansicht der Architektur von
licher Kraft und unaufhörlicher Bewe-
außen mit ihrer Umgebung. Deutlich wird
gung,
und
anhand der beschriebenen Umstände, dass
Vergehens, und doch eine vereinigende
tausendfältigen
Werdens
Loos mit der Villa Karma auf ein tradiertes
Ruhe darüber ausgegossen, aus der auch
Villenbild im Zusammenhang mit der Villeg-
nicht eine Regung dissonierend hervor-
giatura zurückgreift.69 Liest man in der Pub-
bricht –, so erwacht in mir ein unaus-
likation Was ist Renaissance? von Hubertus
sprechliches Gefühl der Beseeligung, Be-
Günther, wird einem die Verwandtschaft der
ruhigung, Harmonie. […] Was nun die
Villa Karma mit einer Villa, wie sie in der
Seele des modernen Menschen bewußt
Renaissance als Bautypus auf der Basis der
oder unbewußt ersehnt, das erfüllt sich
Antike formuliert wurde, überdeutlich klar.
dem einsam Schauenden auf jener Ber-
Günther gibt an, dass die humanistische
geshöhe. […] Er ahnt, daß weit über den
Literatur zur Villeggiatura auf der Antike
Gegensätzen, die ihm seine unvollkom-
beruhte. Mittels erhaltener Ruinen und den
menen Sinne in der Nähe vortäuschen,
Beschreibungen Vitruvs war man im Besitz
ein Unfassbares, eine Weltseele aller Din-
des Wissens, dass Villen in den substanziel-
ge durchzieht und sie zu vollkommenen
len Punkten wie dem Vorhandensein von
Einklange vereinigt. Diese Ahnung aber
separaten Räumlichkeiten zum Wohnen,
der Ordnung und Gesetzlichkeit über dem
Repräsentieren sowie einer Bibliothek Stadt-
Chaos, der Harmonie über den Dissonan-
häusern entsprachen. Eine weitere antike
zen, der Ruhe über den Bewegungen nen-
Quelle ist mit dem jüngeren Plinius überlie-
nen wir die Stimmung. Ihre Elemente sind
fert, der in seinen Briefen von zwei seiner
Ruhe und Fernsicht.“68
eigenen Villen berichtet. Er betont ihre räumliche Ausdehnung und erwähnt explizit die
Die Villa Karma hat primär die Aufgabe eines
Bibliothek und einen Platz für das Studium.
Zuhauses. In ihr soll der Mensch – genauer
Im weiteren Fokus stehen für Plinius’
gesagt Theodor Beer und seine Familie – zur
Beschreibung der Villen die Ausblicke, die
Kultur finden. Loos erklärt – wenn man den
die Architektur auf die Landschaft oder das
Aufsatz von 1910 in Rechnung stellen möch-
Meer ermöglicht. So erklärt sich auch Loos’
te auch wenn dieser womöglich nur eine ähn-
Betonung des Architekten als „Stadtbewoh-
liche Bausituation wie die der Villa Karma
ner“. Auch Theodor Beer ist ein Stadtbewoh-
skizziert – die ‚Kultur des Ortes‘ der Villa
ner, der sich mit dem Umbau der Villa Karma
Karma und den Standort oder das Ortsbild
ein stadtfernes Refugium wünscht, damit
der Villa zwischen See und Berg für iden-
jedoch für das Gebäude automatisch einen
tisch. Loos bezieht Haus und Umgebung auf-
städtischen Ausgangspunkt deklariert. Frag-
einander
lich ist nur, wie Loos in diesem Zusammen-
und
inszeniert
68 Riegl 1928 (1899), S. 28f.
offensichtlich
69
Günther 2009, S. 169f.
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
hang seine Rolle definierte. Sah er sich etwa
einen eher eingebundenen oder eigenständi-
als Architekt, der von Beginn an aufgrund
gen Charakter aus. Während die Ecken zur
der Bauaufgabe gar keine andere Chance hat-
Straßenfassade vielmehr wie Eckrisalite
te, als die Natur zu „schänden“? Diese Frage
erscheinen (Abb. 6), das heißt insgesamt
lässt sich nicht gesichert beantworten. Es
einen kompakten Baukörper vermuten las-
bleibt sogar fraglich, ob sich der Text von
sen und ohne die Pergolen gar keinen eige-
1910 tatsächlich auf die Situation Loos’ beim
nen architektonischen Charakter umschrei-
Auftrag der Villa Karma beziehen lässt. Inwie-
ben würden, umreißen die Eckvorsprünge
fern der Bewohner der Villa Karma in seiner
auf der Nordseite eine weit autonomere Form
Umgebung verortet und durch die Einrich-
(Abb. 1). In ihrem Fall könnte man biswei-
tungen in einen kulturellen Kontext gesetzt
len sogar von Eckpavillons sprechen. Abge-
wird, sollen hingegen die weiteren Beobach-
sehen von den Bauvolumina hat Hugo Ehr-
tungen am Objekt selbst verdeutlichen.
lich den Turmcharakter noch verstärkt, indem er die Pergolen auf den vier Ecken
Der Baumantel – Fassadengestaltungen und deren Beziehungsgeflecht zum Grundriss
ergänzte.72 Sie erzeugen gerade im Zusammenspiel mit dem Balkon ein in die Tiefe differenziertes Bauvolumen.73 Daraus lässt sich schließen, dass die Villa Karma unter-
Adolf Loos verleiht der Villa Karma mit sei-
schiedliche Grade von Massivität nach außen
nem ummantelnden Anbau den Eindruck
hin ausbildet. Beim Umlaufen des Gebäudes
einer Burgenarchitektur (Abb. 1, 5 und 6).
stellen sich demnach ungleiche Impressio-
Ein bisher dreigeschossiger Bau wird von
nen ein oder vielmehr ergeben sich mannig-
ihm durch ein viertes Geschoss aufgestockt
fache Blickwinkel von unterschiedlicher Wir-
und auf der Höhe von drei Geschossen wird
kung. Die linke Ecke der Südfassade bildet
der Baukörper an drei Fassadenseiten durch
als einzige einen teilweise runden Turm aus,
ein 3,5 m tiefes Raumband umfasst.70 Auf der Nordseite bildet dieses Band bereits auf der Höhe des Hochparterres eine Loggia aus (Abb. 1). Den Kern der Villa kann man auf der Höhe des zweiten Obergeschosses durch eine Terrasse auf den drei umbauten Fassadenabschnitten umlaufen. Alle vier Ecken des Gebäudes sind wie Türme ausgeformt (Abb. 1, 5 und 6). Ralf Bock bezeichnet sie als „massive Eckrisalite in Form von Türmchen“71. Jene „Türmchen“ bilden, je nachdem, vor welcher Fassade man sich befindet, 70 Bock 2009, S. 110. 71 Bock 2009, S. 110.
72 73
Siehe dazu Behalova 1974, S. 90. Bei der Nordfassade der Villa Karma drängt sich der Vergleich zur Gartenfassade des Hauses Steiner in Wien von 1910 auf. Offensichtlich wird, dass sich Loos mit jener Fassadenlösung im Verlauf seines Schaffens nochmals auseinandergesetzt hat. Die Gartenfassade des Hauses Steiner ist streng genommen die weitergeführte Reduktion der Nordfassade der Villa Karma mit seinen zwei Eckrisaliten und einer sich dazwischen erstreckenden Loggia. Jene Loggia der Villa Karma ist beim Haus Steiner schlicht auf eine Markise, die sich im eingeklappten Zustand fast als Gesims lesen lässt, reduziert. Eine Bleistiftstudie zur Nordfassade der Villa Karma verdeutlicht in ihrem flüchtigen Duktus und ihrer Schlichtheit die gemeinsame Grundstruktur der Lösungen beider Fassaden (Grafische Sammlung Albertina, ALA 779).
61
62
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
der die besondere Konzentration des Bau-
Bauperiode – etwa bis 1910. Die meisten
werks auf den Genfer See, an den das Grund-
ausgeführten Pläne stammen aus den Jah-
stück direkt angrenzt (Abb. 5), verdeutlicht
ren 1908/09. Dies betrifft den Hausporti-
und zugleich aufzeigt, dass es Loos nicht
kus mit der Eingangstür von der Straßen-
etwa um eine Einheitlichkeit des Baukörpers
seite, die oberen Eckpergolen […].“75
ging, sondern vielmehr um eine Ausarbeitung von mannigfaltigen Außenräumen und
Dies beweist jedoch nur, dass die endgültige
Innenräumen. Damit ist gemeint, dass die
Ausführung des Portikus von Hugo Ehrlich
Struktur und Gestaltung der Fassaden auf-
stammt; nicht jedoch, ob Ehrlich sich an Ent-
grund von unterschiedlichen Prioritäten
würfen Loos’ womöglich orientierte. Ver-
bestimmt werden. Die Ostfassade ist vor
ständlicher wird durch die zumindest zeitlich
allem durch die Ansicht von der Straße her
gesehene nach Loos realisierte Ausführung
geprägt. Eine Fotografie aus dem Nachlass
des Portikus die Verzierung der Türen mit
von Hugo Ehrlich (Abb. 6), die direkt von
Yin und Yang-Zeichen, die ansonsten im
der Straße aus aufgenommen worden sein
Werk Loos’ einen Solitär darstellen würden,
muss, zeigt, wie sehr die Fassade im Einklang
aber in dem von Ehrlich gestalteten Schlaf-
mit den Tor- und Zaunbauten eine geschlos-
zimmer der Villa Karma am Bettkopf wieder
sene Form bildet. Die Fassade ist zwar de
zu finden sind. In Bezug auf den Portikus
facto nicht exakt symmetrisch gebildet – die
heißt es bei Benedetto Gravagnuolo:
Schornsteine zeigen Unregelmäßigkeiten auf –, erscheint aber durch die Ergänzung mit-
“Beer did not confine himself to making
tels des Torbaus vordringlich symmetrisch.
clear his desire that the house should take
Die Einheitlichkeit jener zwei voneinander
on the appearance of a kind of protecti-
getrennten Bauteile im Auge eines Betrach-
ve shelter for his and his wife’s private life,
ters wird noch dadurch verstärkt, dass
but also made sketches of certain special
sowohl das Haus als auch das Tor zeitweise
features such as the entrance to the house.
mit Efeu überwachsen waren. Behalova
This was designed with an entrance way
spricht sowohl davon, dass die Hauptein-
closed by a dazzling gate of chromed brass
gangsfassade „symmetrisch und geschlossen
that stood out against the dark backround
wirken“ sollte, als auch davon, dass der Ein-
of a wall concealed behind outward-fa-
gangspavillon von Hugo Ehrlich stamme.
cing pillars of marble. A short double flight
74
In Bezug auf den Eingangspavillon for-
of stairs led up to the door.”76
muliert Behalova jedoch auch sehr vorsichtig: Gravagnuolo zeigt weder Zeichnungen von
74
„Die intensivste Tätigkeit die wichtigsten
Beer, noch benennt er eine Quelle für diese
Verwirklichungen betreffend fällt in die
Aussagen. Vermutlich bezieht sich Gravag-
ersten Jahre seiner [Hugo Ehrlich, LT]
nuolo auf die von Rukschcio und Schachel
Vergleiche dazu Behalova 1974, S. 79–82 und S. 92.
75 Behalova 1974, S. 92. 76 Gravagnuolo 1982, S. 107.
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
veröffentlichte Zeichnung aus dem Adolf
an dachte, eventuell einen Brunnen vor der
Loos Archiv der Albertina. Jene Zeichnung
Treppenanlage zu positionieren. Schließlich
ist mit dem Untertitel Theodor Beer, Ent-
handelt es sich jedoch um eine völlig ande-
wurf zum Portikus der Villa Karma aus
re Lösung g egenüber dem letztendlich ver-
einem Brief an Loos versehen.78 Diese
wirklichten Portikus. Dennoch beweist jene
Zeichnung von Beer zeigt einen von vier
Zeichnung, dass bereits während der Bau-
Säulen umstellten Eingang, zu dem zwei
phase unter Loos die Gestaltung des Porti-
seitliche Freitreppen hinaufführen. Das
kus zur D isposition stand. Vergleicht man
Geländer, das mit der schriftlichen Angabe
nun abschließend den Portikus der Villa
„Marmor“ versehen ist, wird durch Kreuz-
Karma mit dem Eingang zur Wohnung
formen gebildet, die zum einen an die römi-
Goldman des Hauses Leopold Goldman,
schen Fenstereinteilungen und zum anderen
das von 1909 bis 1911 entstand,81 wird über-
an die Geländer der Wiener Stadtbahn von
deutlich klar, dass der Portikus der Villa
Otto Wagner erinnern. Ludwig Hevesi sieht
Karma auf einer Loos’schen Formensprache
in Wagners Ornamentik, die er „Deko
beruht. Ob nun Loos selbst den Entwurf für
rationsweise“ nennt, eine Parallele zu
den Portikus entwickelte oder Ehrlich in
römischen Legionszeichen, da er eine
Perfektion Loos’ Architektursprache nach-
Zusammenfassung aus den einzelnen gegen-
empfunden hat, ist an dieser Stelle endgül-
ständlichen Formen zu abstrakten Streifen
tig nicht zu entscheiden.
77
beobachtet. Hevesi erkennt in dieser Vor-
Völlig konträr zur Straßenfassade geht
gehensweise eine Möglichkeit, Halbsäulen
Loos bei der gegenüberliegenden Gartenfas-
und Pilaster zu vermeiden, die er mit dem
sade im Westen vor (Abb. 9). Der erwähnte
Schimpfwort der „Potemkinschen Stadt“
teilweise rund ausgeformte Turm ist ein
verknüpft.79 Genauer gesagt an den Stadt-
Indiz dafür, dass es Loos an dieser Stelle
bahnstationen des Wiener Gürtels, ein wei-
zunächst primär darum ging, vom Inneren
ter außerhalb des Zentrums liegender zwei-
des Gebäudes aus zu planen. Er vernachläs-
ter Straßenring, ist das Motiv von „diagonal
sigt die Einheitlichkeit des Bauwerks nach
vergitterten Quadraten“ zu finden. Es sind
außen, um im Inneren repräsentative Räum-
geometrisch einfach konzipierte Formen.
lichkeiten zu erhalten. Gerade im Hochpar-
Aber sie sollen auch an römische Ordnun-
terre situiert Loos in jenem Turm eine Sitz
gen erinnern und damit auf die lange Tra-
ecke, die folglich einen verweilenden Blick
dition des kaiserlichen Wiens verweisen.80
auf den See ermöglicht. Beim Lesen der
Eine weitere Beschriftung der Portikus-
Grundrisse entsteht der Eindruck, dass sich
Skizze gibt d arüber Auskunft, dass Beer dar-
in diesem Turm ein Fixpunkt des Gebäudes befindet. W ährend die anderen Türme ent-
77
Es handelt sich um die Zeichnung mit der Inventarnummer 3001/14, Kat.16. 78 Rukschcio und Schachel 1982, S. 93 und Abb. 89. 79 Vergleiche dazu Hevesi 1906, S. 281f. 80 Moravánszky 1988.1, S. 73 und Schorske 1982, S. 75.
weder das Treppenhaus aufnehmen oder regelrecht im Inneren mit ihren Raummas-
81 Rukschcio und Schachel 1982, S. 470f.
63
64
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 9: Adolf Loos: Villa Karma, Gartenfassade bzw. Westfassade, 1903–1906, Clarens bei Montreux
schoss retardierend die Bewegungen der zahlreich möglichen Wege durch das Haus. Dieser Turm umschreibt immer Räum
sen verschleiert werden, indem die Raum-
lichkeiten, in denen ein Verweilen und Ver-
grenzen an ihnen nicht besonders durch
orten in der Umgebung und im Haus inten-
Fenster oder Raumdispositionen betont wer-
diert ist; denn von dieser Position aus kann
den, tritt der West-Süd-Turm immer deutlich
man stets lange Raumfluchten durchblicken.
aus dem Raumgefüge heraus (Abb. 10 und
Loos inszeniert eine deutliche Verlang
11). Dietrich Worbs sieht jenen Runderker
samung der sich im Haus bewegenden Men-
darin begründet, dass Loos eine Betonung
schen an einer spezifischen Stelle, die nicht
einer „Über-Eck-Ansicht“ für den Betrachter
zufälligerweise den Blick auf den Genfer See
herstellen möchte. Dietrich Worbs sieht dem-
inszeniert.
nach für die Villa Karma eine Inszenierung
Zu den Außenbetrachtungen der Villa
von Blicken durch den Architekten gege-
Karma lässt sich abschließend und wieder
ben.82 Im West-Süd-Turm stauen sich vom
überleitend zu den Innenbetrachtungen
Hochparterre bis hin zum zweiten Oberge-
feststellen, dass Loos das rational kubische und abgeschlossene Äußere seines Bau-
82 Worbs 1982, S. 182.
werks zugunsten der Raumwirkungen im
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
Abb. 10: Adolf Loos: Villa Karma, Grundriss Hochparterre, 1903–1906, Clarens bei Montreux, aus: Ralf Bock: Adolf Loos. Leben und Werk 1870–1933, München 2009, S. 112
Abb. 11: Adolf Loos: Villa Karma, Grundriss 1. Obergeschoss, 1903–1906, Clarens bei Montreux aus: Ralf Bock: Adolf Loos. Leben und Werk 1870–1933, München 2009, S. 113
Inneren bricht. Dies ist an der Nordfassade
sade der Villa Karma zumindest ablesbar.84
abzulesen (Abb. 1). Die zunächst symmet-
So heißt es bei Worbs:
risch von zwei Türmen flankierte Fassade lockert ihre mittige Spiegelung durch die
„Loos geht vom Zweck eines Baues und
unregelmäßige Verstreuung von unter-
seiner Räume aus und denkt dann an die
schiedlich großen Fenstern.83 Laut Matthi-
Wirkung, an die Qualität der Raumbil-
as Tripp, der sich auf Dietrich Worbs
dung, die den Zwecken entsprechen soll
bezieht, entwickelte Loos eine „architekto-
und für ihn das Primäre darstellt. Er
nische Umkehrung“, „die das Bauwerk
stimmt auf die Wirkung die Raumbildung
grundsätzlich vom Innenraum her defi-
in Material und Form der Bekleidung der
niert“. Auch wenn die Grundsätzlichkeit in
Räume ab. Der konstruktive Bau, der die-
ihrem Allgemeinanspruch zu begrenzen ist,
se Räume aufnehmen und ihre Beklei-
bleibt dieses Prinzip im Falle der Nordfas-
dung, also ihre raumkonstituierenden Ele-
83 Behalova 1974, S. 126–128.
84 Tripp 1983, S. 40-49 und Worbs 1982, S. 73–88.
65
66
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
ziert die architektonischen Bestandteile eines Portikus auf ein Podest mit fünf Stufen, vier Säulen, einem Architrav und einer Taenia. Den Giebel erzeugt er nur indirekt, indem drei Fenster um den Portikus angeordnet sind und damit eine gedanklich nachvollzogene Dreiecksform um denselben herumgelegt wird. Die beabsichtigte Form bleibt weiterhin jedoch sehr klar verständlich und als Portikus lesbar. Es handelt sich um einen Portikus, wie man ihn in seiner Verwendung Abb. 12: Adolf Loos: Villa Karma, Eingangsfassade bzw. Ostfassade, 1903–1906, Clarens bei Montreux
als von Säulen getragene Vorhalle aus der Architektur der Neuzeit kennt. In der römischen Antike wird die Portikus als eine Adap-
mente, tragen soll, ist das Sekundäre
tion der griechischen Stoa aufgefasst und
– auch wenn er als Baukörper außerdem
umschreibt vielmehr die Form eines Säulen-
auch Bedeutungsträger, Träger von Wir-
ganges. Ole W. Fischer zeigt eine Abbildung
kung ist. Für ihn ist Architektur das Bil-
eines Fassadendetails der Villa Karma mit
den von Räumen, für andere das Bilden
dorischen Säulen, die die Assoziation mit
von Raumkörpern.“85
einer Stoa auslöst. Es handelt sich dabei um die auf der Nordfassade unter dem Balkon
Auf der Westseite geht Loos genau umge-
befindliche Laube, die mithilfe der Säulen
kehrt vor (Abb. 9). Hier zeichnet sich die
vom Außenraum abgegrenzt wird (Abb. 1).86
Mitte der Fassade durch eine gleichmäßige
Diese Laube ist vermutlich identisch mit der
Verteilung der Fenster aus, während die bei-
von Behalova wie folgt beschriebenen Situ-
den Türme sowohl im Umriss als auch in der
ation: „[…] das Verbinden der Eckrisalite mit
Funktion und Gliederung deutliche Brechun-
einer dorischen Kolonnade vor der Nordfas-
gen in jener Regelmäßigkeit verursachen.
sade“. Behalova zählt jene Kolonnade jedoch
Loos unterscheidet demnach zwischen reprä-
zu den Ausbauten unter Ehrlich, wobei sie
sentativen Fassaden mit Außenwirkung und
ebenso wie beim Portikus nicht belegt, ob es
intimeren Fassaden, die vielmehr ihr Geprä-
sich nur um Ausführungen unter Ehrlich oder
ge durch das Leben im Haus erfahren.
auch um genuin von ihm entwickelte Bauele-
Die Schau- beziehungsweise Eingangs
mente handelt.87 Loos sah für sich und seine
fassade zur Straße hin wird in ihrem reprä-
Zeitgenossen die Römer als Quelle ihres
sentativen Sinne noch durch die Würdefor-
„sozialen Empfindens“ und deren „Zucht der
mel eines Portikus mit dorischen Säulen
Seele“.88 Das Ziel eines „Meisters“ sollte es
gesteigert (Abb. 12). Loos oder Ehrlich redu-
85 Worbs 1982, S. 73.
86 Vergleiche dazu Fischer 2008, S. 106, Abb. J. 87 Vergleiche dazu Behalova 1974, S. 92. 88 Loos 2010 (1910.5), S. 404.
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
nach Loos sein, an den „römischen Ursprung“
wären.90 Deutlich wird, dass Loos vom
der Architektur wieder zu erinnern und den
Umgang einer Kultur mit architektonischen
„Faden wieder aufzunehmen“.89 Nichts ande-
Formen auf ihre Empfindungswelt und See-
res unternimmt Loos oder Ehrlich mit dem
lenkonstituierung zurückschließt. Des Wei-
Portikus der Villa Karma (Abb. 6 und 12)
teren behauptet er: „Die Römer haben die
und wie später im Inneren noch zu sehen
soziale Ordnung erfunden und verwalten die
sein wird, wiederholt Ehrlich jenes Anknüp-
Welt.“91 Ins Auge springt die rhetorische
fen an die römische Kultur mithilfe des Atri-
Zusammenführung von kontrastierenden
ums. Behalova zählt das Atrium unter die
Begriffen wie „Empfinden“ und „Seele“ auf
Arbeiten Ehrlichs an der Villa Karma, die
der einen Seite und „soziale Ordnung“,
von ihm in Zusammenarbeit mit dem Haus-
„Zucht“ und „Verwalten der Welt“ auf der
herrn initiiert wurden (Abb. 13). Es ist jedoch
anderen. Loos setzt völlig selbstverständlich
sowohl für den Portikus als auch für das Atri-
oxymorongleiche Wortpaare zusammen und
um zu konstatieren, dass Ehrlich die Schrif-
bietet keinerlei Erklärung für dieses Vorge-
ten Loos’ gekannt haben und sich mit den
hen. Es lässt sich schließen, dass Loos das
durch sie vermittelten Lehren auseinander-
Empfinden und den recht definitionsfreien
gesetzt haben muss. Anders erklärt sich der
Begriff der Seele in einer rationellen Welt
enge Zusammenhang von antikem Formen-
verortet. Alles soll in soziale Raster einsor-
repertoire bei Loos und den Zutaten Ehrlichs
tiert werden. Genau jene gesellschaftlich
im Falle der Villa Karma nicht. Wenn auch
geprägten Systeme erklären, warum Loos
endgültig nicht nachweisbar ist, ob Ehrlich
sich dafür entscheidet, der Fassade, die der
sich bei dem Portikus auf Planungen Loos’
Öffentlichkeit zugewandt ist, ein strengeres
grundlegend bezog, so ist es doch legitim zu
und damit repräsentativeres Auftreten zu ver-
vermuten, dass sich Ehrlich in seinen ergän-
leihen und bei den weiteren Gebäudeansich-
zenden Ausführungen am Schaffen Adolf
ten weniger rigide verfährt. Man könnte von
Loos’ orientierte und versuchte, seine Arbei-
einer Inszenierung und Festlegung der Ange-
ten sensibel in seinem Sinne einzufügen.
messenheit der Einzelsituation bei Loos’ Fas-
So belassen, wäre Loos’ Vorgehen ledig-
sadengestaltungen sprechen.92 Jene sozialen
lich eine formale Wiederaufnahme von antiken Baustrukturen. Loos spricht jedoch vom weitertradierten „sozialen Empfinden“ und der „Zucht der Seele“ der Römer. Er ist der Ansicht, dass die Römer keine weitere Säulenordnung und kein ergänzendes Ornament erschaffen hätten und damit seiner Forderung nach dem Nicht-Weiterentwickeln von bereits vollendeten Formen nachgekommen
89 Loos 2010 (1910.5), S. 404.
90
Loos 2010 (1910.5), S. 404. Es geht nicht um die Korrektheit der Aussagen Loos’ zu den Formentwicklungen im antiken Rom, sondern vielmehr um die Sicht, die er auf jene Kultur stereotypisch geworfen hat. Aufschlussreich erscheint bereits hier eine Parallele zu den Themen der Secession, die bewusst in ihrer Namensgebung als Secession und nicht etwa als Sezession und mit dem Titel ihrer Zeitschrift Ver Sacrum auf die römische Kultur und ein römisches Weiheritual verwies. Vergleiche dazu Schorske 1982, S. 201–205. 91 Loos 2010 (1910.5), S. 404. 92 Der Begriff Angemessenheit ist hier bewusst gesetzt als Parallele zu Vitruvs decor-Verständnis im Sin-
67
68
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
von deren metaphorischen Assoziationen einher. Daher ist es ebenso notwendig, sich abschließend der Namensgebung der Villa und dem Begriff Karma als solchem kritisch zu nähern.
Raumkomposition – Raumgruppen und deren Lichtregie Das Atrium der Villa Karma ist ausgestattet mit einem schwarz-weißen Marmorboden, der die Form eines gerundeten Schachbretts aufgreift, rotweißem Skyrosmarmor und einer Deckenwölbung, die mit Goldmosaiken umfasst ist und einen Durchbruch in die Galerie über dem Atrium schafft (Abb. 13). Die Galerie ist mit einem Holzgeländer versehen und nach oben hin ist eine in Quadrate ausgefachte Holzdecke situiert, die Abb. 13: Adolf Loos bzw. Hugo Ehrlich: Villa Karma, Atrium, Hochparterre, 1903–1906 und 1909–1912, Clarens bei Montreux
direkt oberhalb der Öffnung zum Atrium mit Glas den Lichteinfall von der Dachterrasse bis hinunter ins Atrium ermöglicht. Jene lichtdurchlässigen Quadrate sind zusätzlich
Raster einer verstandesmäßigen Seelenwelt
noch mit goldenen Mosaiken, die gerade ihre
sollen als Nächstes vertiefend anhand der
glanzvolle Wirkung erst durch den Lichtein-
Innengestaltung der Villa Karma überprüft
fall entwickeln, ausgefacht. Nicht nur die
werden. Dabei stehen die inneren Struktu-
Öffnung des Atriums bildet ein Oval, son-
ren der Villa Karma im Fokus der Unter
dern auch der gesamte Raum im Hochpar-
suchung. Damit geht sowohl die Analyse von
terre: Sowohl die Bodenbehandlungen im
architektonischen Gegebenheiten als auch
Hochparterre als auch auf der Ebene der Galerie greifen die Form eines quer gerich-
ne einer „Angemessenheit von Form und Inhalt“. (Kruft 1995, S. 26f.) Vergleicht man die Hauptund Innenhoffassade des Hauses am Michaelerplatz wird jene Gestaltung im Sinne einer Angemessenheit abermals im Œuvre Loos’ deutlich. Des Weiteren wendet Otto Wagner bereits 1884 jenen Spannungsbogen der Fassaden-Differenzierung zwischen repräsentativen Würdeformeln an der Hauptfassade bis hin zu einer reduzierten Formensprache an der Hoffassade bei der Österreichischen Landesbank an.
teten Ovals auf. Das Atrium ist ein Durchgangsraum. Direkt gegenüber der Eingangstür liegt die einzige weitere Tür, die in die Eingangshalle führt. Loos entscheidet sich nicht dafür, das Atrium auch zum Ummantelungsbau hin zu öffnen (Abb. 10).93 93
Behalova fasst die Zuständigkeit für die Innenraumdispositionen wie folgt zusammen: „Die
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
Abb. 14: Adolf Loos: Villa Karma, Halle, rechts Sitznische mit Kamin, Hochparterre, 1903–1906, Clarens bei Montreux, Fotografie von Martin Gerlach Jun., Albertina, Wien
sitznische auch zum Verweilen einlädt, erstreckt (Abb. 14). Über den einen Arm der Halle erschließen sich wiederum einige Räumlichkeiten des Personals – wie Garde-
Dadurch verschleiert sich für den sich im
robe, Treppenabgang zur Küche, Anrichte
Haus Bewegenden, dass es sich um ein
und Raum des Hausmeisters – und der
umbautes Kernhaus handelt und sich ein viel-
Zugang ins erste Obergeschoss. Über den
stufiges Eingangskonzept über einige Räume
zweiten Arm, der eine Erweiterung der
vom Portikus über das Atrium bis hin zu
Eingangsachse darstellt, gelangt man ins Her-
einer zweiteiligen Halle, die mit einer Kamin-
renzimmer, in den Rauchsalon und ins Speisezimmer. Weitere Wanddurchbrüche
Raumgestaltung des gesamten Hauses geht auf Loos zurück; die Ausstattung der Räume, die Loos entworfen hat, wurde nach seinen Entwürfen ausgeführt. Wo Loos seine Vorstellung nur skizzenhaft angedeutet hat, folgte Ehrlich dessen Grundgedanken und entwickelte ihn seinem Können und dem Wunsch des Bauherrn entsprechend.“ (Behalova 1974, S. 88f.)
ermöglichen von jenen Räumlichkeiten aus sowohl den Zugang zur Bibliothek als auch zur Veranda oder Loggia (Abb. 10). Aufgrund der Vielzahl an Öffnungen entsteht eine Fülle von Möglichkeiten, wie man sich durch das Geflecht des Hauses bewegen kann;
69
70
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
wobei einige bestimmt folgerichtiger erschei-
– wie es zum Beispiel Werner Oechslin in
nen und manche dafür in ihrer ungewöhnli-
einer Publikation prominent untersuchte –
chen Positionierung weit mehr Intimität auf-
ist richtunggebend für die Villa Karma.98
weisen.
Aber im Falle der Villa Karma ist die Meta-
Behalova spricht vom Licht als einem
pher von ‚Hülle‘ und ‚Kern‘ nicht im Sinne
„stimmungsbildendem Element“ der Innen-
einer Fassadenverkleidung zu verstehen, son-
gestaltung der Villa.94 Sie ist der Ansicht,
dern vielmehr als Beziehung zwischen ver-
dass durch die Abstufung von Halbdunkel
schiedenen Raumvolumina. So heißt es bei
und künstlich beleuchteten Räumlichkeiten
Oechslin zu Loos:
im Kern des Hauses und „Voll-Licht in den Ummantelungsräumen“95 eine Stimmung im
„Loos steht jener theoretischen Tradition
Sinne einer inszenierten Intensivierung
näher, für die das Bild von Hülle und Kern
entstehe. Dietrich Worbs sieht in der „Licht-
ohnehin als eine unzulässige Reduktion
führung“ ein Kriterium gegeben, das im
und Einschränkung einer viel wesentliche-
Zusammenhang mit der „Wegführung“,
ren, grundsätzlicheren Frage erscheinen
„Raumübergängen“ und „Raumabgrenzun-
musste. Entscheidend ist vermehrt der in-
gen“ die „Raumbildung“, den Raumplan bei
nere notwendige Zusammenhang, die Ein-
Adolf Loos ausmacht. Er spricht sogar von
heit von Inhalt und Form, verbunden mit
einer „dramatische[n] Hell-Dunkel-Inszenie-
dem Anspruch auf ‚Sittlichkeit‘ etwa im
rung des Bewegungsablaufs“.96 Ebenso
Sinne Schinkels. ‚Modern‘ ist nach Loos,
bezeichnet Behalova die verschiedenen
was nicht auffällt. […] Loos spricht denn
Raumhöhen und Fenstergrößen als Abstu-
auch nicht von der Hülle, sondern von der
fungen der Stimmungserzeugung.
‚Bekleidung‘. Dabei hält er sich (1898) bei-
97
Mit der Nennung von Lichtkanalisierung
nahe ostentativ an Semper.“99
und Raumerstreckung verbleibt Behalova mit der Definition der Stimmung jedoch in der
Oechslin betont im weiteren Verlauf seines
Villa Karma recht vage. Was macht aber das
Buches, dass Loos den „letzten Schritt“ unter-
Spezifische der Stimmung in diesem Bau-
nommen habe, um das „historische Gewand“
werk aus? Es ist der Umstand, dass sich jene
als „Maskenkleid“ abzustreifen. Als Beispie-
Raumverschachtelungen zwischen schon
le dienen ihm unter anderem das Haus am
existierendem Hauskern und von Loos
Michaelerplatz, aber vor allem seine späten
ergänztem Baumantel gerade durch die von
Bauwerke, wie zum Beispiel die Villa Müller
Loos gesetzte Wege- und Lichtregie entwe-
in Prag.100 Oechslin klammert jedoch völlig
der verschleiert oder bewusst in Szene gesetzt
das Frühwerk Loos’ aus und damit folglich
werden. Das Motiv von ‚Hülle‘ und ‚Kern‘
auch die Villa Karma. Aber gerade an ihr tritt
94 Behalova 1974, S. 126–128. 95 Behalova 1974, S. 126–128. 96 Worbs 1982, S. 58f. und S. 181. 97 Behalova 1974, S. 126–128.
98 Oechslin 1994. 99 Oechslin 1994, S. 7. Vergleiche zum Bezug Loos’ zu Semper Gemmel 2005, S. 188f. 100 Oechslin 1994, S. 114–120.
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
Abb. 15: Adolf Loos: Villa Karma, Bibliothek mit Schreibtisch, 1903–1906, Clarens bei Montreux, Fotografie von Jean Schlemmer, Albertina, Wien
se zum Mittelpunkt des Gebäudes hin kon-
jene Vorstellung von ‚Hülle‘ und ‚Kern‘ als
bilden sich verschiedene Raumcluster aus.
massive Baustruktur zutage. Die Aussage von
Bibliothek und Herrenzimmer sind durch
einem „inneren notwendigen Zusammen-
zwei Durchgänge miteinander verbunden
hang“ bei „Einheit von Inhalt und Form“
und das Licht der Panoramafenster, die zum
bekommt somit eine zusätzliche Dimension,
Genfer See hin gerichtet sind, fällt in Abstu-
die weit über die Fläche der Fassade als
fungen bis hinein ins Herrenzimmer. Die Bib-
„moderne Bekleidung“ hinausweist.
liothek, die auch Standort des Schreibtisches
statiert. Sie führt metaphorisch gesprochen ins Innere des ‚Labyrinths‘. Um diese Achse
Bei genauerem Betrachten des Hochpar-
des Hausherrn ist, umreißt demnach vor
terregrundrisses (Abb. 10) ergibt sich ein
allem den Bewegungsraum Theodor Beers
kompliziertes Geflecht von verschiedenen
(Abb. 15). „Die Bibliothek und der Kamin-
Raumgruppen, die sich zwischen den beiden
raum mit Mahagoniverkleidung, die Wand-
Ebenen von Kern- und Hüllentrakt erstre-
bibliothek, die runde Bank in der Rundung,
cken. Im Falle des Atriums, das sich de facto
der charakteristische Schreibtisch, der
im Hüllentrakt befindet, wurde ja schon eine
Kamin, all dies existiert noch heute in der
deutliche Konzentrierung auf die Raumach-
von Loos entworfenen Form, obwohl es erst
71
72
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
in der zweiten Bauperiode unter Hugo Ehr-
stand er in Dunkelheit und Geschlossen-
lichs Führung installiert werden konnte“,
heit – durch feste Mauern eingeengt. Er
heißt es bei Behalova.101 Des Weiteren zeigt
hatte einen langen Weg durch Halbdun-
Gubler aber auch auf, dass Ehrlich nicht alle
kel zu gehen, um zum Licht zu finden. Die
Konzeptionen Loos’ im Falle der Bibliothek
Geschlossenheit im Hauskern konnte
verwirklichte. So hatte Loos geplant, die Bib-
andererseits auch wie ‚Geborgenheit in-
liothek mit dem Herrenzimmer nicht nur
mitten des eigenen Wesens‘ empfunden
durch zwei Öffnungen miteinander zu ver-
werden – etwa im Kaminraum bei der
binden, sondern durch drei. Zwei Durchbrü-
Bibliothek.“
103
che sollten alleine das Herrenzimmer im Süden zur Bibliothek öffnen. Loos hätte
Von hier aus öffnen sich dann Speisezimmer
dadurch die verbleibenden Wandreste teil-
und Rauchsalon. Die zwei in Raumgröße wei-
weise zu einem rechteckigen Pfeiler redu-
testgehend gleich dimensionierten Räume
ziert. Zum einen wäre demnach mehr Licht
werden noch lichtdramaturgisch betont,
in das Herrenzimmer eingefallen und zum
indem die Wand auf die man zuläuft, wenn
anderen wäre eine stärkere Verquickung der
man das Atrium im Rücken hat, kein Fens-
beiden Räumlichkeiten gegeben gewesen.
ter besitzt.104
Bezeichnenderweise ist der von Loos unter-
In der Eingangshalle ist es auffällig, dass
zeichnete Plan mit dem Titel Arbeitszimmer
das Fenster an der Schmalseite des Raumes
im Hause Karma des Prof. Dr. Beer verse-
zwar durchsichtig ist, aber durch Profile
hen. Deutlich zeigt der Grundriss nicht nur
kleinteilig den Blick auf die Fensterstruktur
die Bibliothek, sondern auch das Herrenzim-
lenkt und nicht etwa den Durchblick insze-
mer. Erst der kombinierte Raumkomplex von
niert (Abb. 14). An dieser Stelle ist es nicht
Herrenzimmer und Bibliothek ergänzt sich
der Ausblick in die Natur, der entscheidend
in seiner Gänze zu einem Arbeitszimmer.
102
ist, sondern allein der Lichteinfall, der von
Zurückkehrend zur Mittelachse lässt sich
Loos in den Mittelpunkt gestellt wird. Einer
feststellen, dass man sich im Mittelpunkt des
japanischen Trennwand gleich, schafft das
Kerntraktes an dem am wenigsten belichte-
Fenster eine bestimmte Lichtsituation, ohne
ten Ort des Hochparterres befindet. Behalova
auf das Außen des Gebäudes zu verweisen.105
umschreibt die Situation folgendermaßen:
Derjenige, der die Treppe an dieser Stelle hinaufsteigen möchte, wird demnach nicht
„Der Besucher, der von der Straße kam,
zum Stehenbleiben animiert und jener, der
sollte sich vor einer geschlossenen ‚lee-
in der Eingangshalle sich zum Verweilen in
ren‘ Fassade befinden – wie vor einem un-
der Kaminsitznische entschieden hat, wird
beschriebenen Blatt. Ein breiter Eingangs-
immer noch mit genug natürlichem Lichtein-
raum lud ihn hinein. In der Hausmitte
fall versorgt. Ralf Bock bezeichnet jenes
101 Behalova 1974, S. 83f. 102 Gubler 1985, S. 218–220 und insbesondere dort Abb. 6.
103 Behalova 1974, S. 150. 104 Vergleiche dazu Worbs 1982, S. 179f. 105 Gravagnuolo 1982, S. 107.
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
Fenster als „japanisches transluzentes Fens-
das anschließende Eßzimmer und den
ter“ und gibt an, dass es beginnend geplant
Rauchsalon gehen, müssen einem Famili-
war, „durchscheinendes, nicht transparentes
enmitglied, das sich in der Bibliothek be-
Glas zur Erzeugung einer ‚japanischen Wir-
findet und dort ungestört verbleiben will,
kung‘ in der im Erd- und Obergeschoss
überhaupt nicht begegnen. Dienstleute
dahinter gelegenen Veranda“ für die Fenster
können den Office-Raum vom Garten
zu verwenden.106 Beatriz Colomina erwähnt
durch die Küche und eine direkte schma-
des Weiteren eine durch Le Corbusier über-
le Treppe erreichen.“108
lieferte Aussage Loos’ zum Sinn von Fenstern, die nicht dem Ausblick dienen: „Ein
Auch wenn nicht unbedingt – wie Behalova
Kulturmensch sieht nicht mehr zum Fenster
behauptet – davon gesprochen werden
hinaus; sein Fenster besteht aus Mattglas; es
kann, dass alle Räume direkt miteinander
ist da, um Licht zu spenden, nicht um den
verbunden sind, sondern sie vielmehr durch
Blick hinausschweifen zu lassen.“107
einen zumindest möglichen Rundgang, der
Deutlich wird, dass Loos mit der Abstu-
sich in mehreren konzentrischen, aber zum
fung des Lichteinfalls, die sich automatisch
Teil abreißenden Kreisen um den Mittel-
durch den verschiedenen Einsatz von
punkt des Gebäudes legt, zeigt das Zitat
Fenstern und die mannigfaltigen Raumver-
Behalovas deutlich auf, wie unterschiedlich
knüpfungen oder auch gerade durch die feh-
Loos die Bereiche des Gebäudes voneinan-
lenden Raumverbindungen ergibt, ein sich
der anhand der sich im Haus bewegenden
durch die Raumentitäten bewegendes Ich
Personen ausdifferenziert (Abb. 10 und 11).
inszeniert. Die v erschiedenen Bewegungsab-
Dietrich Worbs spricht ferner von einer
läufe von unterschiedlichen Personengrup-
„Introduktion“ bei Loos’ Raumplan, das
pen beschreibt Behalova wie folgt:
heißt einer „geschickten Bewegungsführung“, die sich im Falle der Villa Karma zu
„Eine Tür verbindet Kaminzimmer mit der
einer „ Raumfolge“ mit „einer räumlichen
Halle, sodaß die Runde durch die Räume
Niveaudifferenzierung“ ergibt. Mit jener
des Hochparterres ohne Zurückkehren
Niveaudifferenzierung meint er vor allem
abgeschlossen werden kann. Außerdem
die Fuß bodensprünge im Musiksalon
kann man die Bibliothek erreichen oder
(Abb. 16) und im Badezimmer (Abb. 17).
verlassen, ohne die Gesellschaftsräume
Des Weiteren sieht Worbs regelrechte Bewe-
durchqueren zu müssen. Die Zugänglich-
gungsschleifen in der Villa Karma verwirk-
keit der Räume ist sehr gut gelöst: alle
licht.109 Es kommen beispielsweise das ‚pri-
Räume sind miteinander verbunden,
vate Ich‘ – das Familienmitglied – und das
gleichzeitig jedoch sind die einzelnen Le-
‚repräsentative Ich‘ in Form der Gäste als
benssphären getrennt: Gäste, die vom Gar-
Bewegungstypen vor. Des Weiteren könnte
ten über die Freitreppe in die Veranda und
man im Falle der Wege des Personals von
106 Bock 2009, S. 114 und S. 110. 107 Zitiert nach Colomina 1997.1, S. 201.
108 Behalova 1974, S. 19f. 109 Worbs 1982, S. 157 und S. 180f.
73
74
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 16: Adolf Loos: Villa Karma, Musikzimmer, 1. Obergeschoss, 1903–1906, Clarens bei Montreux, Fotografie von Jean Schlemmer, Albertina, Wien
repräsentative Räumlichkeiten. Es sind die Haupträume des Hausherren, der somit einen Rückzugsort hat, aber permanent
‚versteckten‘ Wegen oder einem ‚verborge-
unterschwellig im Hausgeschehen mitge-
nen Ich‘ sprechen. Das Familienmitglied,
dacht wird. Durch diese subliminale Präsenz
das sich in der Bibliothek zurückzieht,
des Hausherrn, die an einen spezifischen Ort
könnte man sogar fast als ein ‚latentes Ich‘
im Haus geknüpft wird, erklärt sich der
bezeichnen. Theodor Beer ist mit jenem
Begriff des latenten Ichs.
‚latenten Ich‘ gleichzusetzen, da die Biblio-
Dieses außergewöhnliche Raumkonzept
thek zusammen mit dem Herrenzimmer als
wird im Vergleich mit anderen Villen aus der
sein persönliches Arbeitszimmer geplant
annähernd gleichen Bauzeit nur noch offen-
war (Abb. 15 und 18).
sichtlicher. Die Kombination aus Bibliothek
Obwohl die Bibliothek zusammen mit
und Herrenzimmer in einer Raumfolge, und
dem Herrenzimmer ein intimes Raumkon-
nicht etwa in einem Raum zusammengefasst,
zept verwirklicht, ist es dennoch nicht im
ist an sich schon als eher selten zu bezeich-
Sinne eines Lavierens oder Verschleierns in
nen. Ihre klare räumliche Trennung von den
den Raumkörper gesetzt, wie etwa die ‚ver-
anderen Räumlichkeiten wie zum Beispiel
steckten‘ Wege des Personals. Es handelt sich
Rauchzimmer und Speisezimmer (Abb. 19)
gleichwohl auch durch die Ausstattung um
ist als noch ungewöhnlicher anzuführen.
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
Querverbindungen zwischen den Räumlichkeiten. Jedoch lässt sich kein Beispiel in diesem Buch – das hier herangezogen wird, weil es bereits in zweiter Auflage während der Loos’schen Planungs- und Bauphase der Villa Karma erschien – auffinden, das annähernd eine ähnliche Lösung zum Raumkonzept der Villa Karma aufweisen würde. Auch die Villa Kérylos in Beaulieu-sur-Mer, die im Auftrag von Théodore Reinach von dem Architekten Emmanuel-Elisée Pontremoli in den Jahren 1902 bis 1908 erbaut wurde, lässt zunächst aufgrund ihrer Lage direkt an der Côte d’Azur mit Panoramablick aufs Meer, ihrer Aufnahme von antiken Bauformen, den Aussichtstürmen und den mit ihnen verbundenen, mit Pergolen überbauten Terrassenbereichen einen Vergleich mit der Villa Karma für Abb. 17: Hugo Ehrlich: Villa Karma, Badezimmer, Blick auf die Treppe zu den Badewannen, 1909–1912, Clarens bei Montreux, Fotografie von Jean Schlemmer, Albertina, Wien
logisch erscheinen (Abb. 20). Insbesondere die pergola-ähnlichen Turmaufbauten erzeugen einen Vergleichscharakter für die Villa Kérylos mit der Villa Karma. Jedoch stam-
Überhaupt verdeutlicht das gleichzeitige Vor-
men – laut Behalova – jene Konstruktionen
handensein von Rauchzimmer und Herren-
aus der Planungszeit unter Ehrlich und sind
zimmer eine Trennung von öffentlichen und
daher an dieser Stelle als nicht relevant für
privaten Zonen. Beim Betrachten der Publi-
einen Vergleich zu definieren.111 Spätestens
kation Das moderne Landhaus und seine
beim Grundriss (Abb. 21) wird jedoch über-
innere Ausstattung von Hermann Muthesius
deutlich, dass die Villa Kérylos dem Ideal
aus dem Jahre 1905 – in der eine Vielzahl an
einer antiken griechischen Villa im Sinne
Beispielen von Landhausgrundrissen aus
einer ‚Kopie‘ folgt, während die Villa Karma
Deutschland, Österreich, England und Finn-
eine in ihre eigene Zeit übertragene, selbst-
land zusammengestellt sind – fällt auf, dass
ständige ‚Interpretation‘ des Verständnisses
meistens eine zentrale Halle als Raumer-
von abendländischer Kultur darstellt: So
schließung für jeweils mehrere Räume, die
erschließt sich zum Beispiel bei der Villa
sich folgerichtig um die Halle herum grup-
Kérylos auch die Bibliothek über ein
pieren, fungiert.110 Bisweilen finden sich auch 111 110 Muthesius ²1905.
Vergleiche dazu diese Arbeit auf S. 45f. und Behalova 1974, S. 90.
75
76
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 18: Adolf Loos: Villa Karma, Herrenzimmer, Hochparterre, 1903–1906, Clarens bei Montreux
Abb. 19: Adolf Loos: Villa Karma, Speisezimmer, Hochparterre, 1903–1906, Clarens bei Montreux, Fotografie von circa 1930, Fotografie von Martin Gerlach Jun., Albertina, Wien
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
Abb. 20: Emmanuel Pontremoli: Villa Kérylos, Zeichnung der Südansicht mit Turm
Peristyl112 und nicht etwa über eine L-förmi-
Karma umschreiben demzufolge Räume, die
ge Halle wie im Falle der Villa Karma (Abb.
sich nicht nur in ihrer Funktion für ihre
10 und 14). Das Peristyl verbindet wieder-
Bewohner unterscheiden, sondern auch
um alle umgebenden Räume zu einem leicht
durch ihre Kopplung unterschiedliche Grade
einsehbaren, das heißt überschaubaren
der Privatheit oder Repräsentation bedienen.
Bereich, während Bibliothek und Herren-
Das Musikzimmer im ersten Stock
zimmer der Villa Karma geradezu vor Bli-
(Abb. 16) wurde zwar in der Bauphase unter
cken abgeschirmt werden. Pontremolis Auf-
Hugo Ehrlich ausgeführt; laut Behalova sind
trag bestand darin, die Rekonstruktion eines
aber sowohl die „Raumgestaltung“ als auch
vergangenen Ideals zu errichten. Loos sah
die „Ausstattung“ auf Adolf Loos zurückzu-
seine Rolle als Architekt – bedenkt man sei-
führen.113 Burkhardt Rukschcio und Roland
ne weiter oben bereits erwähnte Definition
Schachel sind der Ansicht, dass Loos nur
vom Architekten als demjenigen, der an den
nicht zur Ausführung des zweiten Oberge-
römischen Ursprung der Architektur wieder
schosses kam. Gleichzeitig heißt es aber
anknüpfen und diesen weiterführen solle –
auch, dass Loos auf Grund von „säumige[n]
hingegen bedeutend eigenständiger.
Zahlungen“ seine „Planungstätigkeit einstell-
Die Beschreibung Behalovas stellt dem-
te“ und Hugo Ehrlich die Arbeiten an der
nach den Menschen und seine Bedürfnisse
Villa Karma beendete. Des Weiteren erken-
in den Mittelpunkt der Loos’schen Raum-
nen sie an, dass „eine genaue Trennung der
konzeption. Loos’ Planungen für die Villa
vorgenommenen Arbeiten“ von Loos und Ehrlich „problematisch“ sei. Ob sich nun die
112
Wie konstituierend die Orientierung am antiken Ideal für die Konzeption und Realisierung der Villa Kérylos gewesen ist, ist nachzulesen bei Arnold 2003.
„Ausführungen“ – wie sie es nennen – auf
113 Behalova 1974, S. 86–89.
77
78
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 21: Emmanuel Pontremoli: Villa Kérylos, Grundriss des Erdgeschosses
zusammenstellen oder bei Platznöten auch
die zeichnerischen Planungen oder auch auf
116 Rukschcio 1987, S. 119f. und Ottillinger 1994, S. 127–121. Ludwig Münz nannte die Einrichtung des Café Museum eines der „frühesten Beispiele für sachliche, klare, ornamentale Innenraumgestaltung“. (Ludwig Münz hier zitiert nach Müller ²1984, S. 88.) Vermutlich bezieht sich Ottillinger hiermit auf eine Stelle im Band von Ludwig Münz und Gustav Künstler, die dort jedoch in Nuancen anders gesetzt ist. Dort lautet jene Stelle wie folgt: „Zusammenfassend läßt sich die Leistung von Adolf Loos im Rückblick kaum treffender einordnen, als es Ludwig Münz anläßlich einer Photo-Ausstellung von Werken des Architekten 1951 in Stuttgart getan hat: das Café Museum, 1899, sei das früheste europäische Beispiel für sachliche, klare, ornamentlose Innenraumgestaltung gewesen.“ (Münz und Künstler 1964, S. 40.) Ludwig Münz schreibt des Weiteren zur Einrichtung des Café Museum: „[…] das Café Museum 1899, das aus der Funktion der Teile, aus der Nutzung von Materialien die echte Form findet mit dem entscheidenden Gegensatz zu jenem bloßen Spiel mit Kurven in Laubsägearbeiten damaliger Jugendstil-Architekten. Bei Loos folgen zum
die letztendlichen Realisierungen beziehen, bleibt missverständlich.114 Ralf Bock akzentuiert für das Musikzimmer die für Loos typische Variante der vielen unterschiedlichen Sitzgelegenheiten, die je nach dem benötigten Zusammenhang frei anzuordnen und zusammenzustellen sind.115 Bock bezieht sich damit vermutlich auch auf die Möblierung des Café Museum. Hier hatte sich Loos für einen selbst entwickelten leichten Bugholzstuhl, der von der Firma Jacob und Sohn Joseph Kohn produziert wurde, entschieden, den man je nach Bedürfnis an den Tischen 114 Rukschcio und Schachel 1982, S. 428. 115 Bock 2009, S. 116.
zur Seite schieben konnte.116 Der Kunsthis-
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
toriker Oscar Bie (1864–1938) sah in Stüh-
nicht zwingenderweise auf ein bestehendes
len grundsätzlich „leichte Vermittler der
Konzept zurückgreifen konnte. In Bezug auf
abwechselnden Gruppierung“, das heißt
das Speisezimmer (Abb. 19) lassen sich mehr
„schnelle Diener der Freizügigkeit“.
Das
offensichtliche formanalytische Bezüge zum
Einpassen der Gemälde in die mit Holz ver-
Werk von Adolf Loos ziehen. Eine Entwurfs
kleideten Wände erinnert wiederum an die
skizze für das Speisezimmer ist überliefert,
Lösung des Porträts Peter Altenbergs, die
die deutlich die starken Konturierungen und
Loos in der Kärntner Bar in Wien 1908/1909
Laibungen der Wände in Richtung der Gla-
realisierte.118 Im Falle des Musikzimmers ist
stüren, die auf die Veranda führen, vor-
es schwer, eine Loos’sche Hauptkonzeption
weist.119 Christopher Long geht in Bezug auf
zu beweisen. Vielmehr scheint es, als ob Ehr-
das Speisezimmer der Villa Karma dezidiert
lich sich zwar an den gegebenen Realisierun-
auf dessen Gestaltung der Türlaibungen ein.
gen in der Villa Karma orientierte, jedoch
Er spricht davon, dass jene Tür-, das heißt
117
Wandlaibungen auf der die Wand gliedernBeispiel die gekurvten Messingstreifen, welche die elektrischen Drähte verdecken, organisch gliedernd der gegebenen gewölbten Decke, sie sind keine vorgeblendeten Attrappen. Für Loos hat von Anfang an alles ‚praktisch’ seinem Zweck zu dienen.“ (Münz 1989, S. 19.) Zur kommunikativen Struktur der Einrichtung des Cafés Museum vergleiche Stewart 2000, S. 33. 117 Bie 1904, S. 103. 118 Es sind verschiedene Fotografien erhalten, die sowohl das Einpassen des Porträts Peter Altenbergs, gemalt von Gustav Jagerspacher, in die holzvertäfelte Wand dokumentieren als auch die Anbringung einer Kopie des Gemäldes Der große Wald von Jacob van Ruisdael nachweisen. Das Original von Jacob van Ruisdael befindet sich im Bestand des Kunsthistorischen Museums Wien. Wie lange die Tradition der Kopisten schon mit der Geschichte des Hauses des Kunsthistorischen Museums Wien verwoben ist, verdeutlichte die 2012/2013 gezeigte Ausstellung DOPPELGÄNGER. Siehe dazu http://www.khm.at/de/besuchen/ausstellungen/doppelgaenger/ und http:// press.khm.at/fileadmin/_migrated/downloads/ PT_Doppelgaenger_dt.pdf, 05.06.2015. Rukschcio und Schachel bilden in ihrem Werkverzeichnis eine Fotografie vom Innenraum der Kärtner Bar von circa 1909 ab. Auf dieser ist das Ölgemälde von Gustav Jagerspacher zu erkennen. Weiterhin erwähnen sie es im Rahmen ihrer Beschreibung (Rukschcio und Schachel 1982, S. 457–459). Ludwig Münz hingegen bildet eine Fotografie ab, die die zumindest temporäre Hängung einer Kopie von Jacob van Ruisdaels Der große Wald im Raum der Kärtner Bar beweist (Münz 1989, S. 41).
den Grundform des Pilasters beruhen und sieht in ihnen eine Formschöpfung Adolf Loos’.120 Jene körperlichen Wandstrukturen erinnern an zwei Wiener Geschäftsportale – an Sigmund Steiners Federngeschäft von 1907121 oder an das KNIŽE-Geschäft, das von 1909 bis 1913 entstand.122 Ebenso ist das fest eingebaute Buffet aus Marmor typisch für Einrichtungen von Adolf Loos (Abb. 19). 1915 verwendet Adolf Loos bei der Einrichtung des Hauses Duschnitz im Speisezimmer sowie 1916 im Speisezimmer der Wohnung Emil Löwenbach fast identische eingebaute Marmorbuffets. Es erscheint relativ unwahrscheinlich, dass Loos sich an den Arbeiten Ehrlichs orientiert haben mag. Da Ehrlichs Anstrengungen an der Villa Karma jedoch 1915 bereits seit circa drei Jahren abgeschlossen waren, ist zu vermuten, dass jene Anordnungen Loos zuzuschreiben sind.
119 Rukschcio und Schachel 1982, S. 427, Abb. 425. 120 Long 2010, S. 138. 121 Rukschcio und Schachel 1982, S. 442, Abb. 450. 122 Rukschcio und Schachel 1982, S. 481, Abb. 531.
79
80
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Dieser kurze Exkurs zum Musik- und
lungstheorie war es aber gerade August
Speisezimmer sollte nicht nur abermals den
Schmarsow, der sich mit der „psychologi-
komplizierten Zuschreibungscharakter der
schen Wirkungsmacht“ der Architektur und
Villa Karma betonen, sondern auch aufzei-
„ihrer
gen, dass jene Grundzüge der Einrichtungen
Stimmungen“ beschäftigte.125 Schmarsows
ebenso von Adolf Loos auf öffentliche Wer-
Architekturwahrnehmungskonzept, wie es
ke übertragen wurden oder bereits übertra-
schon von Jörg Gleiter prägnant zusammen-
gen worden waren. Diese Vergleiche inner-
gefasst wurde, bietet einen Anreiz zum Ver-
halb
ständnis der Loos’schen Raumgestaltung für
des
Loos’schen
Œuvres
führen
letztendlich zu der Beobachtung, dass beide
Fähigkeit
zur
Gestaltung
von
die Villa Karma:
Zimmer – insbesondere jedoch das Speisezimmer – bereits über ihre architektonische
„Aus der körperlichen Bewegung heraus,
Ausformung und nicht etwa allein über ihre
im Umschlag des Tastraumes in den Ge-
Nutzung als dem öffentlich repräsentativen
sichtsraum entstehe der Raum aus einer
Bereich der Villa zuzuordnen sind.
Verkettung von Bildern, von Erinnerungs-
Joseph Imorde spricht bei den Raumen-
bildern. Mit dem Konzept mentaler Bilder
sembles der Loos’schen Villen ebenso von
als Voraussetzung der Raumerfahrung wird
einer „Hierarchie der Privatheit“ und ergän-
die
zend bezeichnet er die Wegführungen als
Schmarsows Architektur- und Raumästhe-
„Itinerarien zur Intimität“.123 In Verbindung
tik sichtbar.“126
anthropologische
Dimension
in
gesetzt mit der schon erwähnten Lichtführung erhellt sich ein vorgegebenes architek-
Während Wölfflin eine Vergleichbarkeit von
tonisches Maß, das nicht nur variierende
architektonischen mit leiblichen Formen des
Benutzungskonzepte der Räume repräsen-
Menschen herleitet,127 geht es Schmarsow
tiert, sondern damit auch verbundene Stimmungsgehalte vermittelt. Im Falle der Villa Karma kann man die These aufstellen, dass es sich um eine Architektur als „Raumgestalterin“ – um eine Schmarsow’sche Begriffsprägung zu verwenden – handelt. Schon bei Heinrich Wölfflin wurde die Frage zentral, die er sich bereits 1886 in seiner Dissertation Prolegomena zu einer Psychologie der Architektur stellte: „Wie ist es möglich, daß architektonische Formen Ausdruck eines Seelischen, einer Stimmung sein können?“124 Unter dem Einfluss der Einfüh123 Imorde 2006, S. 38. 124 Wölfflin 1999, S. 7. Siehe zur Aufnahme der
Einfühlungstheorie bei Wölfflin Braungart 1995, S. 139–148. 125 Vergleiche dazu Gleiter 2008, S. 117. 126 Gleiter 2008, S. 118. 127 So heißt es unter anderem bei Wölfflin: „Das Bild unserer selbst schieben wir allen Erscheinungen unter. […] Der ganze menschliche Gehalt natürlich kann nur durch die menschliche Gestalt ausgedrückt werden, die Architektur wird nicht einzelne Affekte, die sich in bestimmten Organen äußern, zum Ausdruck bringen können. Sie soll es auch nicht versuchen. Ihr Gegenstand bleiben die großen Daseinsgefühle, die Stimmungen, die einen gleichmäßig andauernden Zustand des Körpers voraussetzen. […] Das anthropomorphe Auffassen von räumlichen Gebilden ist nichts Unerhörtes. In der neueren Ästhetik ist dieser Akt bekannt unter dem Namen des Symbolisierens.“ (Wölfflin 1999, S. 10f.)
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
vielmehr um ein Ich, das sich durch einen
sich reduzierte Friesformen als Gesims in
Erfahrungsprozess seine architektonische
der Bibliothek erkennen, die in weiteren Ein-
Umgebung erschließt.128 Vor allem das Bewe-
richtungen von Loos nachweisbar sind.130
gungsmoment129 durch den Raum findet sich
Neben diesen tatsächlichen Bauelementen
in der Loos’schen Raumkomposition wieder.
sind es aber auch traditionelle gesellschaft-
Die „Erinnerungsbilder“ bei Schmarsow sind
liche Bilder und deren mit Räumen verbun-
zunächst einmal als die grundlegenden bzw.
dene Vergegenständlichung. Sowohl die
bereits früh erworbenen Raumerfahrungen
Kaminsitznische in der Eingangshalle als
des Menschen zu verstehen. Im Falle der
auch der Kamin im Herrenzimmer (Abb. 18)
Villa Karma ließen sich jedoch tradierte Sozi-
vermitteln emblematische Vorstellungen von
albilder als Erweiterung dieser über Bewe-
Ruhe und Gemütlichkeit, die entweder die
gung und Wahrnehmung eingeprägten
Funktion des Raumes erweitern oder unter-
Grund erfahrungen benennen. Damit ist
streichen. Ebenso wie das Atrium in Verbin-
gemeint, dass Loos sowohl in den repräsen-
dung mit der Galerie, zusätzlicher Eingangs-
tativen als auch in den privaten Lebenssphä-
halle und axialer Ausdehnung durch den
ren überlieferte architektonische Formen in
gesamten Kerntrakt der Villa eine Großzü-
den Räumen verwendet. So platziert Loos
gigkeit und einen gesellschaftlichen Aufwand
oder Ehrlich die leicht lesbare dorische Säu-
repräsentieren (Abb. 13 und 14). Die Form
le sowohl am öffentlich einsehbaren Portikus
bei Loos’ Villa Karma ist daher bedingt durch
der Eingangsfassade als auch im privaten
deren Inhalt. Nicht nur durch die Funktion,
Badezimmer (Abb. 6, 12 und 17) – das nur
sondern gerade auch durch den Rang der
der Familie zugänglich war – oder es lassen
Raumcharaktere konstituiert sich der Inhalt der vermittelnden Stimmungen der Räum-
128
129
Bei Schmarsow heißt es: „In sich selber trägt ja das Subjekt des Achsensystemes, das Höhenlot vom Scheitel an die Sohlen. Das heißt, solange eine Umschließung des Subjekts gewollt wird, bedarf der Meridian unseres Leibes keiner sinnlich sichtbaren Herstellung: wir selber sind seine Ausgestaltung in Person. Die Architektur als unsere Raumgestalterin schafft als ihr Eigenstes, das keine andre Kunst zu leisten vermag, Umschließungen unserer selbst, in denen die senkrechte Mittelachse nicht körperlich hingestellt wird, sondern leer bleibt, nur idealiter wirkt und bestimmt ist als Ort des Subjektes. […] Das Raumgebilde ist eine Ausstrahlung gleichsam des gegenwärtigen Menschen, eine Projektion aus dem Innern des Subjekts, gleichviel ob es leibhaftig darinnen ist oder sich geistig hineinversetzt, also auch gleichviel ob eine Statue nach dem Ebenbilde des Menschen seine Stelle einnimmt oder der Schatten eines Abgeschiedenen hineingedacht wird.“ (Schmarsow 2006, S. 473.) Vergleiche zum Bewegungsmotiv bei Schmarsow Jöchner 2004.
130
Behalova und Gubler zitieren einen Brief Hugo Ehrlichs, in dem Ehrlich angibt, dass das große Bad der Villa Karma aus seiner Hand stammt. Behalova benennt des Weiteren Pläne für das „schwarze Bad“, die aus den Jahren 1908 und 1909 stammen und von Ehrlich unterschrieben und datiert sind. Sie zählt damit das Bad unter die Gruppe der „Räume, für die Pläne von Ehrlich vorhanden sind und die seiner Auffassung – unter Mitwirkung des Bauherrn – zuzuschreiben sind“. In diese Gruppe ordnet Behalova neben dem Bad auch den Eingangsraum beziehungsweise das Atrium und das Rauchzimmer. (Vergleiche dazu Behalova 1974, S. 93–98.) In Bezug auf den Fries bei Loos und seine Funktion als Zuschreibungsindiz von Einrichtungen an Adolf Loos vergleiche Czech 2008, S. 17–24. Im spezifischen Fall des Frieses im Haus am Michaelerplatz wird die Form zum Beispiel auf ein Detail der Auferstehungskanzel von Donatello in S. Lorenzo in Florenz zurückgeführt. Vergleiche dazu Pogacnik 2011, S. 102.
81
82
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
lichkeiten der Villa. Jene Stimmung ist als
Empfindungen.133 Bei diesem Buch handelt
eine Inszenierung von kulturellen Idealen
es sich um eine Zusammenstellung von Arti-
einer „abendländischen Kultur“ – wie sie
keln, die im Sommer 1902 im Feuilleton der
Adolf Loos schon 1903 mit dem Untertitel
Neuen Freien Presse – in der auch Adolf Loos
seiner Zeitschrift Das Andere etablieren woll-
Aufsätze
te
waren.
131
– zu definieren.
134
veröffentlichte
–
erschienen
Man kann demnach davon ausge-
hen, dass Loos zumindest in Teilen die in
Karma – Namensgebung und Identität
der Neuen Freien Presse erschienenen Artikel rezipiert hat. Des Weiteren ist laut
Auf jene Inszenierung von kulturellen Idea-
Rukschcio und Schachel ein Exemplar des
len einer abendländischen Kultur eingehend,
Buchs in Loos’ Bibliothek nachgewiesen.135
soll im Folgenden durch das ‚Ich‘ der Villa
So findet in diesem Buch auch das ‚Karma‘
Karma – dem Auftraggeber Theodor Beer
Erwähnung:
132
– näher herangeführt werden. Dr. Theodor Beer war Privatdozent für vergleichende Phy-
„Die Annahme von irgend etwas ‚an sich‘
siologie an der Universität Wien und veröf-
muss dem konsequenten Denker, der über-
fentlichte 1903 – dem gleichen Jahr, in dem
all, wohin er blicken mag, nur Zusammen-
die Planungen zur Villa Karma begannen –
hänge, Beziehungen, Funktionen sieht, als
ein Buch zu Ernst Machs Analyse der
die allerverkehrteste, unfruchtbarste und beirrendste erscheinen; sie ist nicht nur unnütz, da sie ja nirgends auch nur um ei-
131
132
Insgesamt erschienen 1903 zwei Ausgaben von Das Andere. Ein Blatt zur Einfuehrung abendlaendischer Kultur in Oesterreich: Geschrieben von Adolf Loos. Siehe dazu Loos 2010 (1903.1), S. 270–321. Theodor Beer, Sohn von Wilhelm Beer und Louise Löwy, wurde in Wien 1866 geboren. Er studierte und promovierte zum Doktor der Medizin an der Universität Wien. Neben seiner Zeit als Hospitant und Aspirant am Allgemeinen Krankenhaus in Wien verbrachte er seine Assistenz am Physiologischen Institut der Universität Bern. In Wien konnte er nur einmal die Vorlesung Physiologie des Gesichtssinnes abhalten und 1903 erhielt er den Titel eines a. o. Professors. Vergleiche dazu Soukup 2004, S. 89–96. Dieses Kapitel wird erstaunlicherweise solchermaßen betitelt: Theodor Beer. 1866–1919. Erforscher der Akkommodation des Auges und der Macht des Karmas. Lina Loos umschrieb Theodor Beer als „Doktor der Medizin, Lebemann, leidenschaftliche[n] Aktphotograph, Vivisekteur und Millionär“. (Loos ²2007, S. 63.) Auf derselben Seite behauptet Lina Loos auch, dass Beer dem Buddhismus angehörte; was jedoch recht unwahrscheinlich erscheint, wie gleich näher erläutert wird.
nen Schritt über die positiv wertvolle, in vielen Gebieten zur übersichtlichen Ordnung und zutreffenden Vorhersage führende, oft bewährt verlässliche Erfahrnis die Wege sperrt, gefährlich als aller Verständigung wahnhaft entrückte, zum Streit wie geschaffene, willkürliche und unbeweisbare Fiktion von etwas Absolutem, mag es nun Wille, Kraft, Geist, Fatum, Gesetz, Brahma, Atman, Inko, Karma, Das, Tao, Weltseele, Stoff, Atom, Aether oder
133 Beer 1903. 134 Beer 1903, S. 116. 135 Rukschcio und Schachel 1982, S. 92. Das Buch findet sich im Archiv des Wien Museums unter der Subnummer 421 der Bibliothek Adolf Loos’ aufgeführt. Die Bestandskarte zum Buch ist mit dem Kommentar „Nur das obere Umschlagblatt erhalten, Text unvollständig: S. 1–94.“ versehen.
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
Materie heissen, während doch, wie im-
geschah und geschehen wird. Das gilt für
mer wir es anpacken mögen, nach jeder
den einzelnen Menschen und für die g anze
Richtung hin unser allerletztes die Emp-
Welt. Alle Sünden müssen gebüßt werden,
findungs-Elemente sind.“
alle guten Taten finden ihren Lohn in sich
136
selbst. Wenn alles konsumiert ist, kommt ‚Karma‘ wird wie viele weitere religiöse oder
das Ende der Welt. Das ist C arma.“137
weltanschauliche Ganzheitsvorstellungen und der damit verbundenen normativen Grö-
Adolf Loos und Elsie Altmann heirateten
ße von Theodor Beer für unlogisch erklärt
erst am 4. Juli 1919.138 Daraus lässt sich
und dem Bereich der Einbildung zugeordnet.
schließen, dass Elsie Altmann-Loos nur aus
Da mutet es fast ironisch an, dass sein von
einigen Jahren Abstand durch Loos von der
Loos umgebautes Zuhause Villa Karma
Villa Karma erfuhr. Inzwischen hatte bereits
getauft wird. Laut Elsie Altmann-Loos, der
Hugo Ehrlich seine ergänzenden Arbeiten,
dritten Ehefrau Adolf Loos’, legte Theodor
die sich von 1909 bis 1912 erstreckten, lan-
Beer selbst den Namen „Carma“ fest und
ge abgeschlossen.139 Aus der zweifachen Erin-
dies noch vor der vorläufigen Fertigstellung
nerung – die von Loos weitergegeben an sei-
des Gebäudes durch Adolf Loos. In dem
ne Frau und deren Erinnerungsarbeit, die sie
Kapitel Carma ihres Buches Adolf Loos der
erst lange nach dem Tod von Adolf Loos ver-
Mensch berichtet Elsie Altmann-Loos in
schriftlicht – ergeben sich einige Unstimmig-
einem erzählenden Duktus aus ihrer Erin-
keiten. So ist es durch Behalova belegt, dass
nerung über die Villa Karma:
Beer Loos gegenüber zunächst eine kritische Haltung einnahm und es sich nicht von
„Der Auftraggeber ist Dr. Beer, ein be-
Beginn an um einen Auftrag unter Freunden
rühmter Wiener Arzt und ein wahrhaft
handelte, wie es der Text von Altmann-Loos
guter Freund von Loos. Obwohl das Haus
suggerieren möchte. Der ironische Schwenk
noch nicht fertig ist, es fehlen viele Ein-
zum Schluss der Erklärung des Begriffs Kar-
zelheiten, hat es schon einen Namen. Dr.
ma auf den Suizid Theodor Beers verringert
Beer nennt es ‚Carma‘. Loos spricht nicht
des Weiteren die Glaubwürdigkeit dieser
gerne von diesem Haus, und so erfahre
Aussagen. Sie schließt nämlich ihre Erläute-
ich nur zufällig, daß es existiert. ‚Was ist
rungen mit den Worten:
Carma?‘ frage ich. ‚Was bedeutet das Wort?‘ Heute, da ich seine Bedeutung ken-
„Merkwürdigerweise verstehe ich sofort
ne, verstehe ich, wie schwierig es ist, die-
die neue Lehre, aber ich bleibe nachdenk-
ses Wort zu erklären. Loos tat sein Bes-
lich, denn ‚Carma‘ scheint mir nicht der
tes. Carma ist das Weltgeschehen. Im
richtige Name für ein Haus zu sein. Die
Carma ist alles enthalten und ausge
Leute, die ich kenne, nennen ihr Haus
glichen, was seit Urzeiten im Universum 136 Beer 1903, S. 31. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.
137 Altmann-Loos 1968, S. 38. 138 Altmann-Loos 1968, S. 77–79. 139 Vergleiche dazu Gubler 1985, S. 214–229.
83
84
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
‚Villa Rosa‘ oder ‚Mein Traum‘. ‚Wo ist Dr.
Aufstockung entstandene und von außen
Beer?‘ frage ich. ‚Wohnt er in seinem
betrachtete zweite Etage als ein „Symbol der
Haus?‘ ‚Er ist tot‘, sagt Loos, ‚er hat sich
Introversion“.143 Jene Idee der Introversion
erschossen.‘“140
erläutert auch Bournoud, wenn er den Weg ins Hausinnere beschreibt:
Durch die wörtliche Rede wird dem Leser eine Unmittelbarkeit suggeriert, die jedoch
„Abgesehen von der bronzenen Türe un-
vielmehr im Hinblick auf den ironischen
ter einem Portikus, ist diese Fassade her-
Effekt dieser Zeilen motiviert scheint, als in
metisch geschlossen. Man stellt sich un-
Hinblick auf die historische Authentizität.
willkürlich vor, wie wenig der Besitzer
Daher bleibt es weiterhin zu bezweifeln, dass
ungelegene Gäste oder Neugierige schätzt.
die Villa Karma ihren Namen bekam, weil
Hat man die schwere Tür durchschritten,
Theodor Beer ein Anhänger dieser Lehre
läßt sich sogleich die Haltung des Archi-
gewesen sei.
tekten überprüfen. Vergeblich würde man
Behalova schließt daraus, dass Loos sich
nach der großen Halle, der großen Ehren-
bei den Umbauten bewusst war, ein Haus
treppe oder der Flucht von Salons Aus-
mit „symbolischem Namen“ zu gestalten und
schau halten. Es gibt sie nicht. Die Villa
er sich über die Definition dieses „Namens“
Karma ist für einen geistigen Menschen,
im Klaren gewesen ist.
Behalova sieht in
einen diesem neuen Adel Zugehörigen
der Villa Karma den Wunsch des Hausherrn,
entworfen und nicht für einen Aristokra-
ein Symbol des „philosophischen Begriffs“
ten aus vergangenen Zeiten. Das Vestibül
Karma zu erhalten, durch Loos verwirk-
und die vernünftig eingerichteten Neben-
licht.
141
Des Weiteren interpretiert Behalova
räume sind klein dimensioniert, um an
die verschiedenen Räumlichkeiten im Sinne
Stelle von repräsentativem Schein mehr
eines Entwicklungsweges. Während die Stra-
Platz einzulösen, welcher den Wohnge-
ßenfassade von ihr als „leere“ Schauseite und
mächern zugute kommt. Diese sind sehr
als „unbeschriebenes Blatt“ gelesen wird,
vorteilhaft ineinander gefügt und in Ni-
erscheint der „Hauskern“ für sie als „Gebor-
veau wie Höhe harmonisch aufeinander
genheit inmitten des eigenen Wesens“, um
bezogen. Zurückhaltend, aber großflächig
als nächsten Schritt die Führung vom „dunk-
mit schönem Material verkleidet, weben
len Hauskern“ zur Veranda im Sinne eines
sie je nach ihrem Zweck eine charakteris-
„Weg[es] durch Dunkelheit zum Licht und
tische, fein gestimmte Atmosphäre. Adolf
zur Freiheit“ zu definieren. Die „Introversi-
Loos verstand es mit künstlerischem Emp-
on in Isolierung vor der Außenwelt“ wird
finden, verschiedene Qualitäten des Lichts
von ihr als zweites Muster des Hauses
wunschgemäß zu erzeugen und auszutei-
benannt, und zuletzt bezeichnet sie die durch
len. Er nutzte dazu verschiedene Mittel:
142
bald beleuchtet er von oben, bald seitlich 140 Altmann-Loos 1968, S. 38. 141 Behalova 1974, S. 149. 142 Behalova 1974, S. 150.
143 Behalova 1974, S. 151.
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
von der Außenwand her, oder indem er
leuchten mögen, stellt sich trotzdem die Fra-
einen Raum von dieser weiter weg ins
ge, inwiefern sie den von Beer gewählten
Hausinnere rückt, und auch indem er das
Namen Villa Karma erläutern sollen. Karma
Tageslicht durch leicht gefärbtes geschlif-
bedeutet auf Sanskrit schlicht Tat oder Werk.
fenes Glas filtert.“144
Karma steht im Buddhismus und Hinduismus in Verbindung zur Lehre der Wiederge-
Demnach ist Bournoud der Ansicht, dass
burt. Das vergangene Handeln bestimmt das
eine undurchdringlich erscheinende Fassade
Schicksal des jetzigen Daseins, so wie das
einem ‚Adel des Geistes‘ Schutz und Platz
aktuelle Handeln die zukünftige Wiederge-
bietet. Der Physiologe Beer formt sich hin-
burt und das damit verbundene Dasein
ein oder wird vielmehr von Loos mit seiner
gestaltet. Das „unbeschriebene Blatt“ ließe
wissenschaftlichen Geistesarbeit und Sicht
sich demnach als Beginn und Position der
auf die Welt in das Haus eingebettet. So sehr
Unschuld definieren. Wie aber sind solche
diese Metaphern vielleicht im Einzelnen ein-
Werte an der Fassade, die gerade doch Formen der antiken Architektursprache auf-
144
Die Übersetzung Bournouds ist nach Ludwig Münz und Gustav Künstler zitiert. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit. (Münz und Künstler 1964, S. 62–64) Übersetzt nach Bournoud 1944, S. 47: “Passons du côté de la route où s’ouvre la grande porte d’entrée ; de lá nous sommes immédiatement fixés sur la destination de l’édifice. La porte pleine, revêtue de bronze, abritée par un portique, mise à part, la façade est hermétiquement fermée. L’on devine que le propriétaire n’aime pas les visiteurs inopportuns, ni les curieux. Le pas de la lourde porte franchi, le génie créateur de Loos se révèle de suite à l’examen. Vous chercheriez vainement dans le plan le ‚Grand Hall’, le ‚Grand Escalier d’Honneur’ et l’enfilade des salons. Non ! la Karma a été conçue pour un homme d’élite, cette noblesse nouvelle, et non pour une aristocratie des temps passés. Le vestibule et les dégagements, aménagés rationnellement, sont de dimensions réduites, ceci pour dégager de la surface plus utile dans les locaux habitables. Les pièces sont très adroitement imbriquées les unes dans les autres avec des niveaux et des hauteurs harmonieusement composés. Ces différentes pièces, revêtues sobrement de beaux matériaux disposés en larges surfaces, ont chacune, selon leur destinations, une ambiance caractéristíque et bien déterminée. Adolphe Loos, en artiste, a su distribuer et créer des qualítés différentes de lumière, suivant son choix. Il s’est servi de moyens différents : tantôt éclairant par le haut, tantôt par la façade, ou en retirant la pièce en arrière de la façade, ou encore, en faisant passer la lumière au travers de gros cabochons de verre légèrement coloré.“
greift, abzulesen? Dies ist zumindest hier nicht möglich. Unschlüssig ist auch die Heranziehung der Introversion für die Erklärung der Villa als Symbol für das ‚Karma‘. Wie kann eine Wendung nach innen oder eine Abgeschlossenheit nach außen sinnbildlich für ‚Karma‘ fungieren? Um auf die zuvor zitierte Stelle aus Beers Buch zu Ernst Machs Arbeit zurückzukehren, scheint es zusätzlich fragwürdig, dass Beer sich ein Gleichnis der Karma-Lehre gestalten lassen wollte. So erscheint Beer der Glaube an ein Schicksal bestimmendes Karma als Illusion. Als Schlüssel kann man nur das unrettbare Ich nach Ernst Mach heranziehen. Jenes umschreibt Theodor Beer mit seinen eigenen Worten, wie folgt: „Auch von dem ‚Ich‘ bleibt nichts übrig, wenn wir es auftrennen, wenn wir alle Empfindungsbestandteile, alle Merkmale entfernen; auch das ‚Ich‘, ein eigenes oder ein fremdes, ist nichts anderes als ein Empfindungskomplex, der für viele Lebensbedürf-
85
86
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
nisse sehr zweckmäßig, in letzter Linie aber
oder Erscheinung und Ding fällt dann weg
nur irrigerweise – infolge der zeitlichen
[…] und es handelt sich lediglich um den
Kontinuität und der fast unmerklich lang-
Zusammenhang der verschiedenen Kom-
samen Aenderung – für absolut beständig
plex-Elemente.“146
gehalten wird, während doch auch ihm nur ein relativer Bestand zukommt. Leben ist
Diese Weltanschauung angewandt auf ein
fortwährendes Streben.“145
Gebäude und Zuhause erklärt, dass die stereotypen Räume wie Atrium, Halle,
Jene Definition des Lebens als ewige Beweg-
Bibliothek, Rauchzimmer, Herrensalon,
lichkeit könnte an die Lehre vom Karma erin-
Musikzimmer etc. nicht nur in ihrem herr-
nern; jedoch muss die Namensgebung Beers
schaftlichen und gesellschaftlich gefestigten
vielmehr als die ironische Brechung einer
Charakter zu verstehen sind, sondern viel-
religiösen Philosophie in ein physiologisches
mehr als Leitbilder des Flickwerks ‚Ich‘ fun-
Konzept gelesen werden. So stellt die Villa
gieren. Sowohl die Außen- als auch die
Karma eher ein gewachsenes und tradiertes
Innenräume der Villa Karma vermitteln
Gerüst von gesellschaftlichen Bildern zur
unterschiedlich konnotierte soziale Rahmen
Verfügung, um ein sich in „Empfindungs-Ele-
– wie bereits zuvor durch die Abstufung von
menten“ auflösendes Ich zu verfestigen. Auch
Repräsentation und Intimität erläutert wur-
wenn Loos, wie Oechslin betonte, das Mas-
de – und legen eine fassende Klammer um
kenkleid des Historismus abgestreift habe,
das ‚Ich‘. Wie weit jene Rahmung oder
verfolgt er weiterhin das Konzept einer
Maskierung des sich stetig auflösenden und
gesellschaftlichen Maskerade als Schutz-
ändernden ‚Ichs‘ getrieben wird, zeigt das
schicht mithilfe seiner Architektur und Ein-
Badezimmer (Abb. 17). Ein Ort höchster
richtung. Wie sehr das ‚Ich‘ in seiner Auflö-
Intimität wird nicht nur mit schwarz-weiß
sung im Denken Beers und vermutlich damit
geädertem Marmor und Mahagonipaneelen
auch Loos’ präsent gewesen sein muss, zeigt
umkleidet, sondern die klaren Formen von
folgendes Zitat Beers:
Tonnengewölbe, dorischer Säule, angedeutetem verkröpften Gebälk, wie die zwischen
„Sobald wir erkannt haben, dass die ver-
den Säulen situierte Treppe – die zu zwei
meintlichen Einheiten ‚Körper‘, ‚Ich‘ nur
gegenüber liegenden, marmornen Badewan-
Notbehelfe zur vorläufigen, temporären
nen führt – und das zwischen den Mahago-
Orientierung und für bestimmte prakti-
nipaneelen in einer Exedra positionierte
sche Zwecke sind […] müssen wir sie bei
Waschbecken benutzen ein Formenvokabu-
vielen weiterreichenden, wissenschaftli-
lar, das vielmehr an ein repräsentatives Trep-
chen Untersuchungen als unzureichend
penhaus erinnert oder überspitzt betrachtet
und unzutreffend aufgeben. Der Gegen-
einen sakralen Charakter vermittelt. Auch
satz zwischen Ich und Welt, Empfindung
wenn das Badezimmer nicht direkt Adolf
145 Beer 1903, S. 33.
146 Beer 1903, S. 35.
3.1. Villa Karma und Palais Stoclet
Loos zugeschrieben werden kann, wird an
wertig als Faktoren der Wahrnehmung den
dieser Stelle deutlich, wie feinfühlig sich
physikalischen Naturgesetzen einer Farbe
zumindest Hugo Ehrlich mit seiner Arbeit
anbei. Auch wenn Beer die Stimmung nicht
in die von Loos angelegten Strukturen der
näher erläutert, zählt er sie offensichtlich zu
Villa Karma einfügte.
einem der wichtigen Aspekte des Wahrneh-
Aufschlussreich ist des Weiteren, in wel-
mungsapparates des Menschen, da er sie
cher Art und Weise Theodor Beer den Begriff
auch als Erstes in jener Aufzählung benennt.
der Stimmung in seiner Publikation zu Mach
Des Weiteren hält Beer fest, dass nicht nur
anwendet:
die Wahrnehmung von Farben an „Empfindungen“ geknüpft ist, sondern ergänzt die
„Der früher hoffnungslos unüberbrück-
„Farben-, Ton- und Geruchsempfindungen“
bare Abgrund zwischen physikalischer
durch das „Raum- und Zeitempfinden“.148
und psychologischer Forschung besteht
Es wurde schon erwähnt, dass die Villa
nur für die althergebrachte, stereotype
Karma deutlich sowohl verschiedene Licht-
Betrachtungsweise und spezialistisch
situationen in Bezug zur Raumentwicklung
enge Fragestellung. […] Eine Farbe ist
bietet als auch beschleunigende und retar-
ein physikalisches Objekt, so lange wir
dierende Raummomente aufweist. Daraus
auf ihre Abhängigkeit von der Licht
lässt sich schließen, dass Loos insbesondere
quelle – anderen Farben, Wärmen, Me-
neben der Strategie, eine stabilisierende Mas-
dien, Räumen – achten, sie wird ein
ke für das unrettbare Ich zu erbauen, für
psycho-physiologisches Objekt, sobald
Theodor Beer eine Villa entwarf, die anhand
wir auf ihre Abhängigkeit von der Netz-
ihrer Physiologie und Physiognomie von
haut – Stimmung, Durchblutung, Seh-
Licht, Raum und Zeit eine Vielzahl von Stim-
zentren, Hirn – achten; nicht der Stoff,
mungen evoziert oder den Bewohner oder
sondern nur die Untersuchungsrichtung
Besucher in seinen ‚Empfindungsreihen‘ auf-
ist in beiden Gebieten verschieden. Un-
fängt. Benedetto Gravagnuolo geht so weit
tersucht man den Zusammenhang eines
zu behaupten, dass „Loos reinterprets the
Elementes im Empfindungsfeld mit an-
psychological and physical needs of the per-
deren Elementen, so kommt man aus der
son who has to live in the house, translating
Physik in die Physiologie oder Psycho-
them into his own language, merging them
logie, wenn eines der Elemente die Haut
into the architecture. And today we can
passiert.“147
reread those needs on the walls of the house and in their forms.”149 Die Villa Karma ver-
Erstaunlich ist die Zusammenführung der
folgt nach all dem eine Strategie der Verfes-
Stimmung mit den physischen Gegebenhei-
tigung des unrettbaren Ichs. Beer war der
ten von Sehsinn und Verarbeitung des Gese-
Ansicht, die Wissenschaft habe seine Annah-
henen durch das Gehirn. Sie stellt er gleich-
me des „Zusammenhang[s] von Komplex-
147 Beer 1903, S. 37. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.
148 Beer 1903, S. 52f. 149 Gravagnuolo 1982, S. 107.
87
88
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Elementen“ „einfach anzuerkennen“150 und
Lichtquellen in Leisten unterhalb der Decke,
formuliert damit das unrettbare Ich zum
der Kamin mit seinem Aufsatz aus drei
schicksalhaften Karma aller und Loos baute
Rundbögen, die auf zwei Säulchen lasten,
ihm die architektonische Klammer seiner
und schließlich die holzverkleidete Kasset-
Weltanschauung.
tendecke lassen auch noch für den heutigen
Deutlich wird für Adolf Loos’ Villa Kar-
Betrachter das Bild eines Gelehrten bzw.
ma eine Position der Aporie. Das diffizile
‚Mann von Welt‘ als Bewohner dieser Räu-
Zusammenspiel von Privatheit und Öffent-
me entstehen. Das Esszimmer (Abb. 19) hin-
lichkeit, das Verschränken von intimem
gegen zeichnet sich über seine glatten Mar-
Inneren und landschaftlichem Äußeren
morflächen und die genietete und metallisch
sowie die Verkettung einer evolutionisti-
glänzende Decke als Raum des Präsentie-
schen Kulturtheorie mit dem Verständnis
rens aus. Sowohl die tiefen Marmorlaibun-
vom ‚impressionistischen Ich‘, das Gefahr
gen der Wände als auch die einzelnen
läuft, sich in Einzelsituationen zu verlieren,
geschliffenen Glasflächen der Glastüren fin-
führen letztendlich auch zur ambivalenten
den sich an Geschäftseinrichtungen Loos’
Stimmung der Villa Karma. Dies zeigt sich
wieder. Jenes Prinzip wird überdeutlich,
an den beschriebenen, unterschiedlichen
wenn man die formal identische Lösung der
Wegeführungen durch die Räume der Villa
Fassade
und deren jeweilige Ausgestaltung. Mal ist
Sigmund Steiner II von 1906 bis 1907 mit
es die Lichtführung, die bestimmte Bewe-
dem Kamin der Wohnung Arthur und Leo-
gungsabläufe im Raum fördert oder gerade
nie Friedmann aus den gleichen Jahren ver-
verhindert. Ein andermal sind es Wandstruk-
gleicht. Der Kamin befindet sich bezeich-
turen, die Offen- oder Abgeschlossenheit
nenderweise in einem öffentlichen Bereich
vermitteln. Weiterhin verleihen ausgewähl-
der Wohnung, präziser gesagt im Saal, der
te Materialien den Räumlichkeiten entwe-
zwischen Speise- und Musikzimmer gelegen
der einen Charakter der Zurückgezogenheit
ist.151 Eine kühlere und folglich öffentliche-
oder des Repräsentierens. Das Arbeitszim-
re Raumwirkung wird im Speisezimmer der
mer mit seiner Bibliothek (Abb. 15) und dem
Villa Karma dem Betretenden offensichtlich
Herrenzimmer (Abb. 18) zeichnet sich durch
konsequent evoziert. Selbst die Namensge-
eine völlige Auskleidung mit dunklen Höl-
bung der Villa Karma demonstriert eine
zern und verschiedenen Marmorarten aus.
gewisse Ratlosigkeit. Letzten Endes verdeut-
Zusätzlich sind die Böden teilweise mit
licht sich in diesem Nebeneinander von
orientalischen Teppichen belegt, die die
Ungleichem gerade das Unbehagen gegen-
Räume strukturieren und sicherlich die
über der eigenen Zeit. Denn genauso wie
Geräuschentwicklung von Schritten in den
Loos meint, von den Bauelementen der
des
Schmuckfederngeschäfts
Räumen dämpfen. Mit Büchern gefüllte Regale, ein massiver Schreibtisch, dezente
150 Beer 1903, S. 35.
151
Nähere Angaben zum Schmuckfederngeschäft Sigmund Steiner II und zur Wohnung von Arthur und Leonie Friedmann finden sich im Werkverzeichnis bei Rukschcio und Schachel 1982, S. 441–446.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
Römer auf ihre Empfindungswelt schließen zu können, fasst er es sicherlich als seine Aufgabe auf, jenes Oszillieren zwischen
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma: Zwei bürgerliche Ersatzwelten der Wiener Moderne
Gegensätzen – wie zuvor am Topos Wien um 1900 erläutert – zumindest in der Villa
Im Folgenden wendet sich die Arbeit dem
Karma architektonisch zu fassen oder
Palais Stoclet (Abb. 2) von Josef Hoffmann
zumindest auf dieses Phänomen der Zeit zu
in Brüssel zu. Es soll jedoch immer wieder
reagieren. Hier deutet sich bereits an, war-
mit Verweisen zur Villa Karma und Exkursen
um auch der Stimmungsbegriff als solcher
zum Theoriewerk Adolf Loos’ aufgezeigt wer-
im Wien um 1900 in seiner vielfältigen Ver-
den, dass sowohl Hoffmann als auch Loos die
wendung eine Ambivalenz aufweist. So for-
gleichen Entwicklungen ihrer Zeit aufgriffen;
dert Adolf Loos, dass der Architekt Stim-
jene jedoch unter verschiedenen Prämissen
mungen im Menschen zu „erwecken“ und
und Intentionen in ihr Werk aufnahmen.
„festzuhalten“ habe mittels seiner Architek-
In Bezug auf das Palais Stoclet sind vor
turen (1910), während er zuvor in seinem
allem drei Aspekte relevant. Sie sind darauf
satirischen Märchen Der Sattlermeister
hin ausgewählt, dass sie eine gewisse Ver-
(1903) fiktive, secessionistische Entwürfe
gleichbarkeit zur Arbeit von Adolf Loos auf-
für Sättel als funktionslos diffamiert mittels
zeigen und beide Werke deutlich in das
der Aussage: „Denn es steckte Stimmung in
Geschehen der Wiener Moderne einordnen,
ihnen“.152 Zugleich verunglimpfte sein Über-
auch wenn beide Gebäude de facto nicht in
zeugungs-Weggefährte Karl Kraus bereits
Wien stehen. Als erstes soll sich dem Formen
1897 die Vertreter des literarischen Jung
einfluss durch das Biedermeier gewidmet
Wien bissig als „Stimmungsmenschen“ in
werden. Danach sind die Bezüge auf die eng-
seiner Satire Die demolirte Literatur.153
lische „Arts and Crafts“-Bewegung zu nen-
Ein permanentes Ausloten von Gegensät-
nen und zuletzt wird der Begriff des Gesamt-
zen zeichnet ebenso das öffentliche Verhält-
kunstwerks in einer auf die zwei Gebäude
nis zwischen Adolf Loos und Josef Hoffmann
eingeschränkten und dadurch spezifischen
aus. Daher erscheint es nur logisch, sich im
Bedeutung ausschnitthaft beleuchtet.
nächsten Schritt dem Palais Stoclet als Referenzstück zur Villa Karma zu widmen.
Villa oder Schloss – Bautypus und Skulpturenprogramm Das Palais Stoclet erweckt bereits beim ersten Betrachten die Impression, dass es jene zeitgemäßen Mittel – deren Erprobung sich die Secession zur Aufgabe stellte154 – 154
152 Vergleiche dazu diese Arbeit auf S. 118–123. 153 Kraus 2004 (1897), S. 647.
Man denke nur an die berühmte Inschrift des Secessionsgebäude in Wien: „Der Zeit ihre Kunst – Der Kunst ihre Freiheit“.
89
90
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 22: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Straßenansicht mit Exedren, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren
Gebäude überhaupt, die einem in den Sinn kommen.“155
repräsentieren möchte. Auch wenn man
Aber was macht diesen neuartigen oder indi-
nicht davon sprechen kann, dass das Palais
viduell ästhetischen Ausdruck des Äußeren
Stoclet nicht auf überlieferte Architekturfor-
des Palais Stoclet aus? Zunächst einmal weckt
men zurückgreifen würde, bietet sich dem
der Name Palais Stoclet assoziativ die Nähe
Betrachter bereits im Falle der Straßenfas-
zu einem Palastbau; zumindest wäre jener als
sade ein ungewöhnliches Bild eines Bau-
ein klassischer urbaner Bau-Typus zu bezeich-
werks. Sekler fasst jenen Vorgang des erst-
nen. Der italienische Renaissancepalazzo wird
maligen Wahrnehmens wie folgt zusammen:
von Wilfried Koch unter anderem dadurch typisiert, dass er ein „geschlossener, breit gela-
„Der erste Eindruck, den das Palais Stoclet
gerter, kubischer, meist 3-geschossiger Bau-
auf viele Besucher macht, kann vielleicht
körper von klar gegliederter Monumentalität“
am besten so beschrieben werden, daß es
ist.156 Diese Definition könnte zumindest auch
nicht nur anders aussieht als alle Nachbargebäude, sondern auch anders als alle
155 Sekler ²1986, S. 76. 156 Koch 2006, S. 308.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
Abb. 23: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Eingangssituation, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren
„imponierenden Wirkung berechnete Raum-
als Beschreibung auf den Längskörper des
Skulptur den Eingangspavillon bewacht, ver-
Palais Stoclet zutreffen, der sich entlang der
stärkt jene distanzierte Haltung. Immerhin
Avenue de Tervueren erstreckt. Exedren –
wird eine klare Weglenkung des Besuchers
sowohl an der Straßenfassade als auch an der
evident: Interessanterweise nähert sich der
Ostfassade – und ein Turm ergänzen den hori-
Fußgänger dem Gebäude in seiner Mittel
zontal lagernden Baukörper und wecken
achse. Konnte er sich bisher entlang der
Verknüpfungen zu Kirchenbauten (Abb. 22).
Straße laufend ein Bild von der gesamten
folge“157 ein räumliches Wegrücken des Palais von der Straße.158 Die Pallas Athene, die als
Während die mit einer Pfeilerhalle überbaute Raumdisposition, die ähnlich einer Brücke eine Verbindung des Eingangs mit der Grundstücksgrenze beziehungsweise der Umgebung herstellt, an das Formenrepertoire einer V illa suburbana erinnert (Abb. 23). Zumindest verdeutlicht diese von Sekler als in ihrer
157 Sekler ²1986, S. 88f. 158 Sekler betont ebenfalls für Josef Hoffmann, dass er sich in der „Grundhaltung des Baues“ – Sekler führt dies am Beispiel des Sanatoriums Purkersdorf aus – am Klassizismus orientiere. Für Adolf Loos sieht er vielmehr eine Situation des „wörtlichen Zitierens“ von „klassischen Formen“ gegeben. (Sekler ²1986, S. 72.)
91
92
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
gestreckten Nordfassade verschaffen, tritt er,
Assoziation zur fortifikatorischen Burgenar-
sobald er in den Eingangskorridor einbiegt,
chitektur hergestellt.160 Friedrich Kurrent
in eine zwar durchfensterte und zum Teil
spielt im Zusammenhang mit der zumindest
auch durch Öffnungen durchbrochene Raum-
überlieferten grenzenlosen Finanzierungssi-
kette, jedoch ist die Sogwirkung hin zum
tuation für das Palais Stoclet auch auf das
Eingang klar definiert. Dies geschieht durch
Bild eines „Märchenschlosses“ an. Demnach
die mehrfache Niveauerhöhung, die durch
wird nicht nur für das reale Bauwerk eine
zwei Treppen geleistet wird.
Verwandtschaft zum Schloss hergestellt, son-
Die separierten, jedoch formensprachlich
dern auch die Auftragssituation und das
von ihrem äußeren Erscheinungsbild klar
Leben des Ehepaares Stoclet – als „Prinz und
zum Haupthaus zugeordneten Wirtschafts
Prinzessin“ – werden idealisierend märchen-
trakte (Abb. 2) – wie zum Beispiel Garage,
haft gezeichnet. Die Assoziation des Palais
Küche und verschiedene Kellerräume –, erin-
mit einer Burg kann aber auch auf eine zeit-
nern ebenfalls an den auch durch seine Funk-
genössische Rezension in der Zeitschrift
tion geprägten Baukörper einer Villa subur-
Hohe Warte zurückgeführt werden. Hier wur-
bana. Ferner teilt das Palais Stoclet noch
de das Bild eines Modells vom Palais Stoclet
weitere Eigenschaften mit diesem Typus.
mit dem Untertitel Modell für ein belgisches
Jener zeichnet sich vor allem durch sein Ver-
Schloß versehen. Des Weiteren heißt es zum
hältnis von „Stadt-Land-Gefüge“ aus und
Schluss des Artikels:
liegt eigentlich außerhalb der Stadttore, kann jedoch an der Stadtgrenze angesiedelt wer-
„Daß Herr Stoclet in Brüssel ein stattli-
Villa suburbana ist vor allem
ches Schloß vom Professor Hoffmann bau-
Privateigentum eines Städters oder Bürgers
en und einrichten läßt, ist ein solcher Fall.
und kann „in Ausnahmefällen“ einen „rei-
Das Modell des Schlosses mit Gartenan-
nen Wohncharakter“ aufweisen.
den. Die
Auch
lage ist in unseren Bildern zu sehen. In
wenn das Palais Stoclet ein dauerhafter
den dortigen Herrensitzen, ja selbst in den
Wohnsitz war und nicht nur der Villeggia-
Meierhöfen und Dörfern, ist aus der Nor-
tura, also dem temporären Aufenthalt in der
mannenzeit her der kastellartige Baucha-
Villa als Ausgleich vom Stadtleben, diente,
rakter als lokale Tradition entwickelt. Es
kann man seine Konzeption und Dispositi-
ist geradezu bewundernswert, wie der
on auch im Sinne eines Ortes für das Otium
Baukünstler sein Werk auf nationaler
– genauso wie die Villa suburbana – lesen.
Grundlage aufgebaut und in eine Form
Deutlich wird bereits an dieser Stelle, dass
gebracht hat, die sich in die Heimat des
das Palais Stoclet eine motivische Verschrän-
Brüsseler Bauherrn organisch einfügt.“161
159
kung von vielen Bau-Typen aufweist und damit eine definitorische Verunsicherung beim Betrachter auslöst. So wird auch die
159
Bödefeld und Hinz 1991, S. 13.
160 Baroni und D’Auria 1984, S. 66. Vergleiche dazu Kurrent 1991, S. 13. 161 Ohne Autor 1905/1906, S. 70.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
Abb. 24: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Gartenseite mit Drahtpflanzengestellen, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren
Ergänzt werden die Verkettung von unterschiedlichen Raumvolumina und die bewusst gestaltete Ausdifferenzierung einer Vielzahl
Bestechenderweise spricht der Autor nicht
von Einzelansichten des Palais durch ein
davon, dass ein genuin Wienerisches
abwechslungsreiches Skulpturenprogramm.162
Bauwerk nach Brüssel versetzt wurde, wie bis heute immer wieder plausibel erklärt wird. Bedenkt man nun noch, dass Josef Hoffmann explizit neben Cornelius Gurlitt, Alfred Lichtwark, Koloman Moser, Hermann Muthesius, Otto Wagner und Paul SchultzeNaumburg als Mitwirkender der Zeitschrift Hohe Warte auf deren Titelblättern aufgeführt ist, zeigt sich, dass die zeitgenössische Sicht klar den fortifikatorischen Charakter des Palais Stoclet hervorhob und zudem eine nationale Anpassung an den Baugrund in Brüssel betonte.
162
Während der Turm auf der Nordseite dominant in Erscheinung tritt (Abb. 2), rückt er im Falle der Garten- beziehungsweise Südfassade in den Hintergrund (Abb. 24). Von Sekler wird zumindest in der frontalen Ansicht der Gartenfassade eine Betonung der symmetrischen Wirkung abgelesen (Sekler ²1986, S. 303.). Diese entsteht jedoch nur so klar durch die Bepflanzung des Gartens, da durch einige höhere, vermutlich mit Efeu bewachsene Gerüste die Unregelmäßigkeiten der Seiten, wie zum Beispiel die Fensterverteilung, verdeckt werden. Ein Akzent auf den symmetrisch gegliederten Mittelrisalit wird demnach durch die Ergänzung des Gebäudes mit dem Gartenmobiliar hergestellt. Ähnlich wird die eigentlich nicht vollständig durchdeklinierte Symmetrie der Südfassade noch durch die Terrassenbalustrade – die die Seitenfluchten
93
94
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 25: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Fassaden detail mit dem Relief von Emilie Schleiss-Simandl, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren
Die über dem Eingang positionierte Pallas Athene von Michael Powolny
Abb. 26: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Fassaden detail mit Ganesha-Skulptur, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren
lichen Stolzes“ und zieht eine Nähe zu Fried-
wurde
rich Nietzsches und Richard Wagners Philo-
bereits erwähnt (Abb. 23). Des Weiteren wird
sophien.165 Hinzu kommt eine Skulptur von
der Turm von vier männlichen Genien
Emilie Schleiss-Simandl, die sich im unteren
umstellt, die von Franz Metzner geschaffen
Bereich des Stiegenhausfensters des Turm-
wurden und über deren Köpfen sich eine
trakts befindet (Abb. 25).166 Jene Reliefgrup-
kupferne Kuppel mit vegetabilen Elementen
pe, die sich in ein quadratisches Feld einfügt,
erstreckt, die die Assoziation mit einem Blu-
beschreibt Sekler als ein „Paneel“, in dem
menstrauß wecken.164 Sekler vermutet in
„zwei weibliche Gestalten in opfernder
jenen Genien „Verkörperungen des mensch-
Haltung einen Blumenkorb tragen“.167 Als
163
letzte Skulptur, zumindest derjenigen, die in der Erker weiterführt und zu einer Treppe in den Garten überleitet – und dem sich vor dem Mittelrisalit erstreckenden Wasserbecken – welches sich wiederum über die Breite der beiden Erker erstreckt – aufgegriffen. 163 Sekler ²1986, S. 85. 164 Baroni und D’Auria 1984, S. 69.
direkter Verbindung zur Außenfassade stehen, ist noch eine Plastik Ganeshas zu nen165 Sekler 1970, S. 36. 166 Sekler ²1986, S. 86. 167 Sekler ²1986, S. 89.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
nen (Abb. 26). Jener elefantenköpfige Gott
weiter anzunähern, widmet sich das folgen-
des Hinduismus befindet sich in einer Nische
de Kapitel dem Wiener Biedermeier im Sin-
an der Ostfassade, die in den Parapeteckpfei-
ne eines genius loci für Josef Hoffmann.
ler einer Seitentreppe eingearbeitet ist. Ein steinsichtiges Gerüst dient als Auflagefläche für die Figur.
Das Biedermeier – Der genius loci im Werk Josef Hoffmanns
Nun stellt sich jedoch die Frage, ob sich hinter dieser Auswahl von Skulpturen tat-
„Möglich wäre die Anknüpfung nur dort,
sächlich ein Programm verbirgt. Bisher lie-
wo bei uns das Selbstschöpferische aufge-
fert die Literatur dafür keine überzeugenden
hört hat.“170
Konzepte, wie man es bei einem Gesamtkunstwerk jener Stringenz vermuten würde.
Dieses Zitat Josef Hoffmanns bezieht sich
Sekler fasst einige formanalytische Verwandt-
erwiesenermaßen auf das Biedermeier. Das
schaftslinien, ikonografische Implikationen
Biedermeier ist nicht als einheitlicher Epo-
und Vermutungen in seiner umfangreichen
chen- oder etwa Stilbegriff zu verstehen.
Monografie zu Josef Hoffmann zusammen.
Bereits der Ausstellungskatalog Biedermeier
Jedoch kann auch er kein einheitliches Bild
in Wien. 1815–1848. Sein und Schein einer
eines Figurenprogramms zeichnen.168 Es
Bürgeridylle betont diesen Umstand und
scheint vielmehr so, dass es sich bewusst um
spricht von einer „biedermeierlichen Lebens-
ein eklektisches Konglomerat von Bildwer-
haltung“, die sich im „Alltag“ sowohl des
ken handelt, die keinen gemeinsamen Nen-
Bürgertums als auch des Adels abzeichnete.
ner aufweisen. Im Sinne einer modernen
Des Weiteren wird der emotionale Zugang
Individualkultur bedient sich der Einzelne
der späteren Generationen zum Biedermeier
an verschiedenen theologischen und heidni-
deklariert und über jenes Verständnis vom
schen Weltentwürfen und formt sie zu deko-
Biedermeier als einem Idealbild von der
rativen Neuaussagen um. Wie zuvor schon
„guten alten Zeit“ zeige sich die Nostalgie
erwähnt, handelt es sich um eine „Gefühls-
eines rückwärtsgerichteten Geschichtsver-
kultur“169, die auch im Falle des Palais Stoclet
ständnisses.171 Berta Zuckerkandl, die Jour-
den angemessenen Rahmen für eine trans-
nalistin und Tochter von Moritz Szeps – dem
national und -religiös angelegte Kunstsamm-
Verleger des Neuen Wiener Tagblattes –,
lung sowie der dazu passenden und zu
übermittelt als Zeitzeugin diesen oben zitier-
vermutenden eklektizistischen und aufge-
ten Ausspruch Hoffmanns und seine nicht
schlossenen Weltanschauung stellt. Diese
ausgesprochenen Implikationen sehr glaub-
Weltanschauung zeichnet sich gerade durch
würdig. Sie überliefert vor allem den Kern
ästhetische Brüche aus. Um sich der mit die-
seiner Aussage. Hoffmann plädierte nämlich
sem Gebäude verknüpften Weltanschauung 170 168 Sekler ²1986, S. 89. 169 Schorske ²1985, S. 18 und diese Arbeit auf S. 50–56.
171
Josef Hoffmann zitiert nach Zuckerkandl 1904, S. 6. Vergleiche dazu Witzmann 1990, S. 23. Siehe auch Geismeier 1979, S. 14.
95
96
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
nicht etwa für das Kopieren eines Wiener
liche Arbeit hat den fabrikmäßigen Be-
Biedermeierstils, sondern für das direkte
trieben Platz machen müssen und hatte
Anknüpfen an ihn oder „Nachempfinden“
keine Lust, für diese Arbeit zu riskieren
und „Fortgestalten im Sinn des 20. Jahrhun-
oder sich umzustellen. Wir waren verzwei-
derts“.172 Diese Vorgehensweise Josef Hoff-
felt, und unsere Stimmung kam bei unse-
manns wurde von Daniele Baroni und Anto-
ren mittäglichen Zusammenkünften stän-
nio D’Auria als „Praxis der variatio“ definiert.
dig zum Ausbruch. Wir wußten, daß es
Für diese Art Hoffmanns, sich in eine Tradi-
unbedingt nötig war, eigene Werkstätten
tion bei Betonung der Unterschiede einzu-
zu gründen, in denen mit gutgeweckten
reihen, nennen die Autoren das Sanatorium
und willigen Kräften langsam Arbeitspro-
Purkersdorf (Abb. 3) als Beleg und im Fol-
zesse und -stile geschaffen werden soll-
genden soll Ähnliches auch für das Palais
ten. In unserem Kreis war seit einiger Zeit
Stoclet erläutert werden.
Des Weiteren
Fritz Wärndorfer aufgetaucht. Er hatte
erwähnt Josef Hoffmann in seiner veröffent-
längere Zeit in London zugebracht und
lichten Autobiografie die zentrale Vorbildrol-
dort die Morrisbewegung miterlebt.
le des Biedermeiers für die Gründung der
Scherzweise fragte er uns, welche Mittel
Wiener Werkstätte. So definiert er die „Bie-
wir für den Beginn einer solchen Werk-
dermeierzeit“ von seinem Standpunkt aus
stättenidee als notwendig erachteten. Mo-
als „letzte echte Kunstäußerung“.
173
Bemer-
ser meinte, daß wohl sechshundert Kro-
kenswert in diesem Zusammenhang ist der
nen zum Beginn ausreichen könnten.
betont emotionale Charakter der Schilderun-
Wärndorfer sagte lachend, daß er diesen
gen Hoffmanns:
Betrag sofort aus seiner Geldtasche zur
174
Verfügung stellen wolle. Wir waren über„Die bewegte Zeit der Gründung der Wie-
rascht, aber sofort bereit zu beginnen. Wir
ner Secession, welche auf ihre Fahne den
suchten umgehend auf der Wieden eine
Spruch ‚Der Zeit ihre Kunst‘ geschrieben
kleine Wohnung, dies war damals keine
hatte und die sich gerne mit allen Prob-
Schwierigkeit, denn in jedem Haus hin-
lemen des sprudelnden Lebens befassen
gen am Tor Wohnungsanzeigen, und be-
wollte, hatte bei Moser und mir den
zogen sofort die zur Verfügung stehenden
Drang nach Neugestaltung aller Dinge
Räume. Es mußte auch dafür gesorgt wer-
des täglichen Lebens mächtig angeregt.
den, einige Tische, Kästen und Stühle an-
Der Versuch, unsere Ideen von den be-
zuschaffen. Da wir noch am selben Tag
stehenden Formen verwirklichen zu las-
mit unseren Vorbereitungen beginnen
sen, mußte am Mangel an mitfühlenden
wollten, mußten wir, da es sich nur um
Arbeitskräften scheitern. Die handwerk-
formgerechte, wenn auch Stücke aus der Biedermeierzeit, die uns als letzte echte
172 Zuckerkandl 1904, S. 8. Vergleiche dazu Sekler ²1986, S. 110. 173 Baroni und D’Auria 1984, S. 83. 174 Hoffmann 1972, S. 110f.
Kunstäußerung vorschwebte, handeln konnte, solche suchen und erwerben. Dies war in einer Stunde geschehen, und wir
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
saßen gegen Abend in unserem frischbe-
diger Instinkt, reine Empfindung standen
zogenen Studio und überlegten, was zu-
gegen Geschäftsgeist und museale Dokt-
erst anzufangen wäre.“175
rinen. Hatte die liberale Zeit das Biedermeier verachtet, so erkannte die Sezessi-
Es ließe sich vermuten, dass Hoffmann hier
on das Bodenständige seiner Kunst an.“176
aufgrund seiner Erinnerungsleistung in einen subjektiven, erzählenden Ton verfällt. Viel-
Bezeichnend erscheint der Umstand, dass
mehr handelt es sich wohl aber um ein rhe-
der Begriff des Biedermeiers erst um circa
torisches Mittel. Einem Spannungsbogen
1900 entstand.177 Der Katalog zur Biedermei-
gleich baut Hoffmann eine ausweglose Situ-
erausstellung der Albertina von 2006, an dem
ation auf, die sich dann all zu heiter und
unter anderem auch der Kunsthistoriker und
problemlos auflöst. Unter dem Mantel des
ehemalige Leiter der Möbelsammlung am
von Affekten geleiteten Unternehmens zeich-
MAK – Österreichisches Museum für ange-
net Hoffmann jedoch klar das Biedermeier
wandte Kunst in Wien Christian Witt-Döring
und die Werkstätten William Morris’ als Vor-
beteiligt war, umreißt die Begriffsgenese des
bilder der Wiener Werkstätte. Jener Mantel
Biedermeiers näher. Hier wird als Quelle der
aus emotionalen Begleitumständen ist jedoch
Namensgebung die karikaturhaft gezeichnete
deutlich in diesem Fall als Movens für die
und erdachte Figur des Weiland Gottlieb
künstlerischen Bemühungen der Secessio-
Biedermaier genannt, die im Münchner
nisten und im Speziellen von Josef Hoffmann
Wochenmagazin Fliegende Blätter von 1855
auszumachen. Hoffmann zeichnet rhetorisch
bis 1857 für Erheiterung beim Leser sorgte.
fein das Bild des Secessionisten als einen
In den 1890er-Jahren wurde gerade jene
von seinen Gefühlen geleiteten, leidenschaft-
Figur dazu verwandt, einen negativen Blick
lichen Künstler. Wie stringent jene Rhetorik
auf das Biedermeier zu werfen.178 Man wur-
funktioniert, zeigt eine Publikation von 1942,
de sich demnach erst mit den Anfangsjahren
die jenes Bild unkritisch weiter trägt:
des Wiener Jugendstils des Biedermeiers als einer Epoche bewusst. Im Biedermeier ver-
„Eines Tages brachen die jungen Künstler
ankerte Hoffmann den Schlusspunkt vorin-
aus und gründeten eine neue Vereinigung,
dustrieller Produktion und sah in ihm einen
die Sezession (sic!). In ihrer Zeitschrift
Ausdruck der „Bedürfnisse des Bürgers“.179
‚Ver Sacrum‘ – Heiliger Frühling – legten
Die Begriffe Zweck, Nutzen und Material
sie ihren Glauben nieder. Der Unaufrich-
treue sah man in den Erzeugnissen des
tigkeit der Fassadenkunst war damit der
Biedermeiers noch erfüllt und wollte sie nun
Krieg erklärt, die dreifache Echtheit auf
zu den neuen Leitmomenten der eigenen Zeit
das grüne Papier geschrieben: Echtheit des Zweckes, des Materials, der Zeit. Wahrheit, Innerlichkeit, gesunder leben175 Hoffmann 1972, S. 110f. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.
176 Leitich 1942, S. 210. 177 Witt-Dörring 1987, S. 31. 178 Vergleiche dazu Winters 2006, S. 34, Stein 2006, S. 78f. und Busch 2006, S. 84–93. 179 Witt-Dörring 1987, S. 31f.
97
98
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
erheben. Man empfand sie als reinen Aus-
EIN
NUTZBARES
HAUSGERÄT
druck des Bürgertums bzw. dessen Weltan-
SCHUF, WÄHREND HEUTE NUR
schauungen und Lebensweisen oder Lebens
SEHR WENIGE DINGE AUCH NUR
praxen. Nach Joseph August Lux – dem
DEN GERINGSTEN ANSPRUCH DA-
Zeitgenossen Hoffmanns – hatte das Bieder-
RAUF HABEN, ALS KUNSTWERKE
meier zu einer „Einheit der Lebensäußerun-
ANGESEHEN ZU WERDEN.“183
gen“ geführt und sei im Sinne eines „Erziehers“ wieder aufzugreifen.180 Laurie Winters
Es scheint an dieser Stelle bemerkenswert,
resümiert, dass Lux dem Biedermeier einen
dass Lux einen Artikel zum nationalen Bie-
„endemischen“ Charakter zuschrieb, der nun
dermeier184 als Moment der Erziehung mit
für das Kunstgewerbe seiner Zeit als „Erzie-
einem Zitat von William Morris enden lässt.
her“ fungieren sollte, um einen ähnlich in
Die bürgerliche Wurzel, an die man im Sinne
allen gesellschaftlichen Klassen akzeptierten
einer Denktradition des eigenen kulturellen
Kanon – wie er ihn im Falle des Biedermei-
Feldes anknüpfen wollte, wurde auf das Epo-
ers erfüllt sah – zu erreichen.
Wie sehr Lux
chenideal des Biedermeiers projiziert. Ein
jenen erzieherischen Charakter des Bieder-
Beleg für diese Sichtweise auf das Biedermei-
meiers national und emotional agnoszierend
er ist ein Artikel von Berta Zuckerkandl von
verstand, zeigt folgende Stelle aus seinem
1905. Sie schreibt über die Kunstgewerbe-
Artikel in der Zeitschrift Hohe Warte:
schule, in der Koloman Moser und Josef Hoff-
181
mann als Lehrer tätig waren. Deren Ziel war „Denn immer ist der Mensch das Maß der
es ihrer Auffassung nach, einen Rückblick
Dinge. Auch die Motive aus alter Kultur
auf die Ideale des Biedermeiers zu ermögli-
wecken in unserem modernen Gefühl ein
chen. Interessant ist an ihrer Formulierung,
Echo. DIE MÖBELFORMEN betreffend,
dass es nicht spezifische Formen des Bieder-
kann Biedermeier als Erzieher volle Gel-
meiers sind, auf die verwiesen werde, sondern
tung beanspruchen und zeigen, daß wir
dessen Ideale. Daraus lässt sich schließen,
es nicht nötig haben, beim Ausland An-
dass die Gedankenwelt und das Konzept des
leihen zu machen.“182
Biedermeiers angestrebt wurden. Der Kern einer Epoche – oder vielmehr was man als
Der Artikel wird abgeschlossen durch ein
dessen Kernaussage im Nachhinein verstand
Zitat von William Morris:
– wurde nun aufgegriffen und nicht etwa primär nur dessen äußeres Erscheinungs-
„ICH MÖCHTE SIE DARAN ERIN-
bild.185 Die Möbel des Biedermeiers, deren
NERN, DASS EINST JEDERMANN, DER EIN DING MACHTE, ES ALS EIN KUNSTWERK UND ZUGLEICH ALS 180 Lux 1905, S. 1 und Lux 1904/1905.1, S. 145–155. 181 Winters 2006, S. 34. 182 Lux 1904/1905.1, S. 148.
183 Lux 1904/1905.1, S. 155. 184 Zum Verständnis des Biedermeiers als genuin „Wiener Stil“ vergleiche Geismeier 1979, S. 17f. Geismeier verweist in diesem Zusammenhang auch auf Lux und dessen Artikel Innen-Kunst von Prof. Joseph Hoffmann – Wien. 185 Zuckerkandl 1908, S. 26–33.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
Anerkennung vor allem auf ihrem funktio-
Mosers, Josef Hoffmanns und dem Wirken
nellen Charakter beruhte, wurden zum Vor-
beider in ihren Klassen in der Kunstgewer-
gänger des modernen Interieurs erklärt.186
beschule von einer „Einheit des Stils“, der
Diese Vorgehensweise erinnert jedoch auf frap-
sich direkt „aus dem Leben für das Leben“
pante Art und Weise an die Loos’sche Annah-
entwickelte.191
me, dass auf Basis der römischen Architekturen
Josef Hoffmann lässt sich aufgrund der
auf die Empfindungswelt und Seelenkonstitu-
Zugehörigkeit seiner Schaffensjahre von cir-
ierung der Römer zu schließen sei.187
ca 1900 bis 1910 zum konstruktiven Jugend-
Das Wiener Biedermeier war für Hoff-
stil zuordnen. Der konstruktive Jugendstil
mann der „genius loci“188, wobei er aber die
nimmt im Wien der Jahrhundertwende eine
mit ihm verbundene „Einfachheit, Zweck-
besondere Position ein. Neben dem kurvigen,
dienlichkeit, die klare Linie und das Postulat
vegetabilen formt sich der konstruktive
der Wohnlichkeit“
um die zeitgemäßen
Jugendstil eher geometrisch geordnet aus.
Erfordernisse und den damaligen Entwick-
Eine Betonung der Symmetrie und der Pro-
lungsstand erweitern musste. Es konnte nicht
portionen rückt in den Mittelpunkt und eine
als Ziel erklärt werden, einen weiteren Stil
Akzentsetzung auf den stereometrisch erre-
der bisherigen Nachahmungstradition ein-
chenbaren Körper ist zu beobachten.192
zureihen. Man wollte sich gerade von der als
Manchmal wird diese mathematisch orien-
Surrogat deklassierten Methode des Histo-
tierte Formfindung auf einen organischen
rismus abwenden. Es mutet fast ironisch an,
Ursprung zurückgeführt, indem man beim
wenn man bedenkt, dass der Begriff des Stils
Entwurf von der auf das Wachstum von Pflan-
vor allem im 19. Jahrhundert durch die Ent-
zen beruhenden kristallinen Form oder von
wicklung der Archäologie geprägt wurde. Als
der Rhythmik des Organischen ausgeht.193
dann bereits um 1800 das strenge Stilmono-
Dass man jene Entwicklungen aber teilweise
pol des Klassizismus aufgeweicht wurde und
auch aufgrund der Orientierung am Bieder-
die Gotik ebenfalls Anerkennung erlangte,
meier erklären kann, soll im Folgenden auf-
könnte man den Historismus als Folge der
gezeigt werden. Wobei der Rückgriff auf das
Initiation des Stilbegriffs verstehen. Demzu-
Biedermeier immer im Kontext einer nostal-
folge versuchte der Jugendstil mithilfe eines
gischen Rückbesinnung auf einen genius loci
Vokabulars, das eng verbunden war mit der
zu verstehen ist. Der Wunsch an die Form-
Denkwelt des Historismus, sich von dessen
prinzipien einer Epoche, die man vor allem
Ursprung abzuwenden.190 Joseph August Lux
als mit dem eigenen Lebensort verwurzelt
sprach 1905 etwa beim Schaffen Koloman
versteht, anzuknüpfen ist demnach als Grund-
189
lage der hier behandelten Architektur Josef 186 Lux 1905, S. 3f. Vergleiche dazu Parenzan 1990, S. 32 und Geismeier 1979, S. 284–286. 187 Vergleiche dazu diese Arbeit auf S. 66–68. 188 Lux 1905, S. 4. 189 Barten 1983, S. 18. 190 Vergleiche zur Entwicklung des Stilbegriffs Roth 2001, S. 21.
191 Lux 1905, S. 16. 192 Sperlich 1959, S. 39. 193 Curjel 1971, S. 141f. Vergleiche dazu die Analysen Regine Pranges in Bezug auf die „Symbolfunktion des Kristalls“ bei Gottfried Semper, Alois Riegl und Wilhelm Worringer. (Prange 1991, S. 21–32.)
99
100
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 27: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Grundriss und Übersichtsplan, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
Hoffmanns zu verstehen. Architektur wird
– bestehen, für das Palais Stoclet maßgebend
auf diese Art und Weise zum kulturellen
ist, zeigt das bereits schon erwähnte Raum-
Anknüpfungspunkt an eine lokale Identitäts-
gefüge aus Eingangspavillon und Pfeilerlog-
konstruktion.
gia (Abb. 27). Sekler umschreibt jenen Prozess des Eintretens oder sich an das Haus
Die Biedermeierkultur als Quelle eines Wiener ‚Lebensgefühls‘ – Raum-, Blick- und Bewegungsregie des Palais Stoclet und der Villa Karma
innere Herantastens wie folgt: „Man betritt das Haus nach Durchschreiten des Eingangspavillons und Empor steigen in der verglasten Pfeilerloggia
Friedrich Kurrent spricht beim Palais Stoclet
durch eine zweiflügelige, schwarze Ein-
von einer „Ausgewogenheit und Maß
gangstür mit Goldrahmung und kleinen
stäblichkeit“ und betont in diesem Zusam-
Ovalfenstern; die Türflügel sind verhält-
menhang das „Quadratraster“.194 Des Weiteren
nismäßig schmal und hoch. Sobald man
definiert er den Baukörper des Palais als ein
sie hinter sich hat, kommt man durch eine
„lockeres Gefüge von Raumgruppen, die in
weiße, aber völlig fensterlose schmale
sich geschlossene Figuren bilden und mit
Zone zu einer zweiten Doppeltür – eine
Achs- und Symmetriebezügen zueinander in
Anordnung, die den Eindruck erweckt,
Beziehung stehen“.
Eduard F. Sekler
man sei durch eine sehr dicke Mauer hin-
benennt ein Quadrat von den Maßen 12 x
durchgeschritten, ehe man das Vestibül
12 m als das bestimmende Gestaltungsmoment
betreten konnte, den ersten bedeutenden
auf dem das „Proportionsschema des Grund-
Raum der Anlage.“197
195
risses“ beruht. Jenes Grundmodul umformt die Abmessungen der Halle und wiederholt
Im Grundriss und Querschnitt jenen Weg
sich mehrfach in den Maßen des Grundrisses.
gedanklich durchlaufend, ergibt sich eine Fol-
Ferner benennt er das Quadrat auch als
ge von in unterschiedlichen Graden geschlos-
„Gestaltungselement“ für die Grund- und Auf-
senen und durchbrochenen quadratischen
rissdispositionen sowie für die F enster und
Räumen. Sekler trifft präzise in seiner
verschiedene Ausformungen der Flächen.
Beschreibung den Eindruck des Überwin-
196
Wie sehr jenes Prinzip der Raumgruppen,
dens einer massiven Mauer. Diese ausge-
die aus einzelnen Räumen – die entweder
dehnt gestaltete Eingangspassage vermittelt
einen quadratischen Grundriss aufweisen,
ein Einschreiten in eine geschützte und inti-
durch eine Aneinanderreihung von Quadra-
me Welt. Eine zwar mit anderen Mitteln
ten zu einem rechteckigen Grundriss vergrö-
erreichte, aber in ihrer Wirkung ähnlich ver-
ßert oder durch Unterteilungen in einen
handelte Zurückgezogenheit ist auch für die
rechteckigen Grundriss verkleinert werden
Villa Karma zu konstatieren. So ist die Villa Karma nach dem Prinzip Haus im Haus
194 Kurrent 1991, S. 9. 195 Kurrent 1991, S. 16. 196 Sekler ²1986, S. 78.
197 Sekler ²1986, S. 306.
101
102
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 28: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Halle, 1905– 1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren
„Beschreibung des Interieurs des 19. Jahrhunderts als das traumartige Einspinnen des Bürgers in das Etui oder die Hohlform“.198
erweitert und umgebaut worden. Jene schon
An dieser Stelle geht es jedoch vielmehr um
besprochene Ummantelung des Hauses
das Motiv der Passage als „Schwellenarchi-
durch Loos lässt nach außen einen wehrhaf-
tektur“ bei Benjamin. Ähnlich den Pariser
ten Charakter bei einer gleichzeitig nach
Passagen fungieren die Eintrittssituationen
innen erhöhten Privatheit entstehen. In
der Villa Karma aber auch die des Palais
Bezug auf die Eingangssituation der Villa
Stoclet vor allem als transitorische Räume.
Karma lässt sich vergleichend sagen, dass
Mithilfe des Durchquerens der Eingangssi-
ebenso ein vielfach gestaffeltes Eintreten und
tuationen schreitet man einer anderen Welt
eine mehrfache Abstufung von Öffentlichkeit
entgegen. Man gelangt wortwörtlich in den
und Privatheit inszeniert werden.
Kern der beiden Häuser.199 In beiden Bau-
Bereits der Soziologe und Kulturwissen-
werken lenkt das Eingangszeremoniell über
schaftler Manfred Russo zieht 2008 für Loos’
Eck in jeweils eine Halle, die sich jedoch
Werk eine Parallele zum Passagenwerk von
völlig unterschiedlich ausformen. Während
Walter Benjamin. Russo parallelisiert Loos’ „Vorstellung von Bekleidung“ mit Benjamins
198 Russo 2008, S. 27. 199 Vergleiche dazu Ekardt 2005, S. 455–457.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
sich bei der Villa Karma die Halle überwie-
„Anstelle der bisherigen großen Haushalts-
gend als ein Erschließungsraum mit einer
familie trat die Kleinfamilie, in der eine be-
angefügten Kaminsitznische zum Verweilen
sondere Innerlichkeit zum Ausdruck kam.
anbietet (Abb. 14), ist die Halle des Palais
Freizeit und Muße betrieb der Bürger auch
Stoclet als Herz und Rückgrat des Gebäudes
innerhalb seines familiären Kreises, der
zu definieren, durch das man sich nicht nur
durch enge Freunde erweitert werden konn-
primär die weiteren Räume erschließt, son-
te. Man traf sich abends zum Gespräch,
dern vielmehr sich immer wieder sammelt
zum gemeinsamen Musizieren und Spiel.“201
und sozial vernetzt (Abb. 28). Bewusst ist in den Baukörpern beider
Während Loos jene „Innerlichkeit“ stark
Gebäude eine Abgeschlossenheit nach außen
betont, indem er für Beer als Hausherrn eige-
geworden, kombiniert mit einer inszenierten
ne Pfade in der Grundrissplanung berück-
Abstufung von repräsentativen und private-
sichtigt – man denke an die Bibliothek mit
ren Nuancen. Dies ergibt sich gerade durch
beigefügtem Herrenzimmer und seine geson-
die Orientierung Hoffmanns als auch Loos’
derten Zugänge zur Veranda bei gleichzeiti-
am Biedermeier oder zumindest an dem Ver-
gem Fehlen eines Zuganges vom repräsen-
ständnis, das sie sich vom Biedermeier ange-
tativen Rauchsalon zur Bibliothek (Abb. 10)
eignet haben. Christopher Long entwickelt
–, entscheidet sich Hoffmann vielmehr dafür,
in seinem Artikel Adolf Loos and the Bie-
die Grade der Intimität über die verschiede-
dermeier ausführlich, wie Adolf Loos auf der
nen Etagen oder Gebäudetrakte zu arrangie-
Basis von Biedermeiermöbeln sein evolutio-
ren. So konzentriert sich das tägliche und
nistisches Gestaltungskonzept weiterentwi-
weniger intime Leben im Palais Stoclet mit
ckelte und in die Praxis umsetzte.
Ein
Musikzimmer202 und Esszimmer (Abb. 7) auf
sensualistisch wahrnehmbares und dadurch
das Erdgeschoss, während sich im ersten
nachempfindbares Verhältnis von Privatheit
Stock ausschließlich Schlafzimmer, Bäder
und Repräsentation beziehungsweise von
(Abb. 29) und Ankleidezimmer befinden. Das
sozialen Praxen und Wertevorstellungen von
verbindende Element stellt die Halle dar, die
Wohnen schreibt sich deutlich in die archi-
sich über die Höhe beider Etagen erstreckt
tektonischen Strukturen ein und wird somit
und somit erst als ausgefeilter Knoten- und
200
zum Stimmungsgeber dieser Räumlichkeiten. Zum einen bauten beide Architekten für ein bürgerliches Klientel, das sich in seiner Lebens- und Wohnform als Kleinfamilie im Biedermeier erst ausgebildet hatte:
200
Vergleiche dazu Long 2010, S. 132–139. Zum Begriff des Evolutionismus bei Adolf Loos sind auch die Erörterungen Fedor Roths heranzuziehen. (Roth 1995, S. 75–108.)
201 Witzmann 1990, S. 28. 202 Adolf Loos positioniert diesem Prinzip nicht folgend das Musikzimmer im ersten Stock der Villa Karma (Abb. 16). Er ermöglicht jedoch über eine Treppe im nord-westlichen Turm einen öffentlichen Zugang über die westliche Veranda in das Musikzimmer. Während zu vermuten ist, dass der Zugang über die Treppe aus der Halle vielmehr der Familie Beer vorbehalten war. (Rukschcio und Schachel 1982, S. 428.) Ralf Bock spricht daher wohl auch beim Musiksaal und seiner Positionierung im Hauskörper vom „Ende der ‚öffentlichen‘ Wegführung“. (Bock 2009, S. 13.)
103
104
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 29: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Badezimmer, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren
Kommunikationspunkt des Palais Stoclet
erscheinen in diesem Zusammenhang die Äußerungen Christian Witt-Dörrings in Bezug auf die Rolle des Adels bei der Entwicklung des Innenraums des Biedermeiers:
dienen kann. Zum anderen sind jene aufgezählten
„Die Möbel und Innenräume der Bieder-
Raumtypen – Speise-, Musik-, Empfangs-,
meierzeit mögen unseren Vorstellungen
Schlaf- und Gesellschaftszimmer oder Salon
bürgerlicher Werte zwar entsprechen, ihre
und Bibliothek – eine Ausdifferenzierung von
Formen und Aufteilung entspringen je-
Räumen nach Funktionen, wie sie der Klas-
doch dem Wertewandel der höfisch-aris-
sizismus forciert hatte und die im Biedermei-
tokratischen Welt, die ab dem Ende des
er im Rahmen von bürgerlichen Wohnungen
18. Jahrhunderts auch bei uns die ur-
aufgrund von Platzmangel mithilfe von
sprüngliche Einheit öffentlicher und pri-
Möbeln zu „Wohninseln“ reduziert weiter-
vater Sphäre aufgegeben hatte und zwei
tradiert wurden.203 Besonders aufschlussreich
unterschiedliche von einander getrennte Lebensweisen entwickelte. Sie resultier-
203 Parenzan 1990, S. 31f. und Geismeier 1979, S. 284f.
ten aus einem gleichzeitigen formalen
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
Nebeneinander des öffentlich repräsenta-
hat – vermuten, dass sich hier vielmehr ein
tiven und dekorierten Empire und dem
aristokratischer Anspruch übertragen auf die
privaten, einfach-praktischen und unde-
bürgerliche Sphäre Bahn bricht. Hier lässt
korierten Biedermeier. […] Allein Ludwig
sich nicht direkt von „Wohninseln“ sprechen,
Hevesi, der positivistisch-humanistische
sondern vielmehr von raumgreifenden Funk-
Chronist des Wiener Kunstfrühlings, an-
tionen, die wiederum aneinandergereiht gan-
erkennt die kulturtragende Rolle der Aris-
ze ‚Sphären‘ oder ‚Wohnketten‘ bilden, die
tokratie für die Kongresszeit in seiner als
erstens einen äußerst herrschaftlichen Raum
nationalistisches Denkmal angelegten ers-
umreißen und zweitens im übertragenen Sin-
ten Geschichte der österreichischen Kunst
ne Herrschaft symbolisieren; auch wenn es
im 19. Jahrhundert, nimmt aber dann doch
sich um eine Form der ‚Herrschaft‘ handelt,
die bürgerliche Wurzel biedermeierlicher
die sich über einen „Stil der Vernunft oder
Kultur auf.“
vernunftbedingter Konvention“206 formuliert.
204
Jene Einteilung in von Vernunft, das heißt Im Falle der Villa Karma könnte man zum
Konvention bestimmte Räume lässt sich
Teil von solchen „Wohninseln“ sprechen. Da
auch auf die Gestaltung des Gartens des
zum Beispiel der Schreibtisch Beers raum-
Palais Stoclet übertragen. Neben dem zent-
greifend in einer Raumecke der Bibliothek
ralen Bassin, das von Pergolen und verschie-
steht, formt er in einem Radius um sich her-
denen Pflanzengerüsten umstellt einen Gar-
um den Charakter eines Arbeitszimmers aus,
ten im Garten um die Terrasse – die tief in
das sich zwar in der Bibliothek befindet
den Körper des Palais einschneidet – ausbil-
jedoch nicht mit ihr gleichzusetzen ist
det, gibt es Rasenflächen und einzelne Gar-
(Abb. 15). Das Entsprechende gilt für die
tenräume, die seinen Benutzern Abwechs-
Sitz- respektive Lesenische im südlichen
lung und Möglichkeit zum Verweilen und
Erker der Bibliothek, der auch als Ausblick
Schlendern bieten (Abb. 24). Hinzu kommt
auf den Genfer See dient (Abb. 10). Bemer-
noch ein Ensemble aus Tennisplatz und Gar-
kenswert ist in diesem Zusammenhang, dass
tenhaus. Auch wenn sich der Gebäudekern
Hans Ottomeyer jene Strategie des Bieder-
mit Halle, Esszimmer, Herrenzimmer und
meiers die Möbel als „Wohninseln“ fungieren
den dazu gehörenden Erkern in einer Art
zu lassen auf eine englische Provenienz
mit Kies bestreuten Hauptallee verlängernd
bezieht und dies in Zusammenhang mit
weiter erstreckt, kann man dennoch nicht
einem „neuen Lebensgefühl“ der „Beschei-
direkt von einer barocken Gartenanlage
denheit“ und „Verinnerlichung“, das heißt
sprechen. Dies ist allein schon durch die
eines „Kult[es] der Schlichtheit oder Einfach-
Größenverhältnisse nicht möglich. Auch
heit“ setzt.205 Beim Palais Stoclet könnte man
wenn Andreas Platthaus der Meinung ist,
– bedenkt man, dass Josef Hoffmann die Ver-
dass das Palais Stoclet an ein „untergegan-
öffentlichungen Hevesis sicherlich gelesen
genes höfisches Ideal anknüpfe“ und dies in
204 Witt-Dörring 2006.3, S. 62f. 205 Ottomeyer 2006, S. 50–54.
206 Ottomeyer 2006, S. 44f.
105
106
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
ses (Abb. 30) erblicken. Sekler spricht daher auch von einer Weiterführung der Gebäudeachsen im „streng formal durchgebildeten Garten“, vom Garten als „integrierende[m] Bestandteil des Gesamtentwurfes“ und von „sorgfältig mit Pflanzenmaterial gerahmten Aussichten auf das Haus“.209 Insgesamt sind alle einzelnen Strukturen, sowohl die großen des Grundrisses und Querschnittes, als eben auch die der architektonischen Details am Palais Stoclet auf eine „geometrische Natur“ – um an dieser Stelle Hendrik Petrus Berlages Worte aufzugreifen – zurückzuführen.210 Dies gilt ebenso für die Pergolen, die aus einem strengen Gerüst aus Pfeilern und einem darauf ruhenden Quadratraster bestehen, wie für die Abb. 30: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Blick aus der Pergola, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren
Profile, die das gesamte Gebäude und seine einzelnen Körper umlaufen und zu Fassadenflächen begrenzen (Abb. 24 und 25). Jene Profile bestehen aus einzelnen Zellen, die
Zusammenhang mit seinem „kompromiss-
wiederum durch Rahmungen wiederholt und
losen Stilwillen“ und der von ihm erklärten
aneinander geknüpft werden. Ähnlich einer
Bewunderung Hoffmanns für das Barock
Gliederkette legen sich die Schmuckbänder
erklärt,
ist vielmehr ein Anknüpfen an die
um die Kanten der äußeren Gebäudeflächen.
biedermeierliche Kultur des Adels als an die
Laurie A. Stein spricht davon, dass die
207
des Adels im Barock festzuhalten.
Hoff-
„komplexe gegenseitige Durchdringung von
mann umschreibt mittels der Pergolen klar
Idealvorstellungen über die Beziehungen
strukturierte Übergangsräume mit Aussicht
zwischen persönlichem Raum, ästhetischer
auf Details des Palais selbst oder mit Ansich-
Entwicklung und kultureller Repräsentati-
ten auf Ausschnitte von weiteren gestalteten
on“211 signifikant für das Biedermeier seien.
Idyllen. So kann man zum Beispiel von der
Des Weiteren konstatiert Stein, dass die „Kul-
westlichen Pergola – einem gerahmten Bild
tur der Häuslichkeit“ im Biedermeier den
208
gleich – einen Teil des Tennisplatzes und des mit zwei Skulpturen umstellten Gartenhau-
207 Platthaus 2011, S. 29. 208 Geismeier 1979, S. 76. Willi Geismeier bezeichnet Wien weiterhin als eines der „Zentren der biedermeierlichen Gartengestaltung“.
209 Sekler ²1986, S. 85 und S. 88. 210 Berlage 1991, S. 24. Berlage erklärt die „geometrische Natur“ von „architektonischen Formen“ als eine von drei „Punkten“ zur „Vorbedingung“ für die Entwicklung eines neuen architektonischen Stils. 211 Stein 2006, S. 72.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
„Wohnraum“ als einen „Ort [bezeichnete;
eine Reduzierung auf geometrische Grund-
LT], der – im räumlichen, ästhetischen, for-
formen, das klare Bedenken von Funktionen
malen und funktionalen Sinne – mit dem
für die Konstruktion von Möbeln oder die
Komfort, der Sicherheit und Ungezwungen-
Hebung der Originalität von Materialien und
heit“ verknüpft wurde.212 Jenes Bild wird von
Handwerk sind; all diese Merkmale des Bie-
Loos und Hoffmann auf die Einrichtung der
dermeiers werden von Loos und Hoffmann
Villa Karma und des Palais Stoclet im wei-
differenziert aufgegriffen.215 Dieses Weiter
testen Sinne übertragen. Stein sieht im Bie-
tradieren und Weiterentwickeln der bieder-
dermeier eine deutliche Trennung der reprä-
meierlichen ästhetischen Ideale liegt vor
sentativen von den privaten Räumlichkeiten
allem darin begründet, dass das Biedermeier
der Familie durch die Einrichtung und den
eine Strategie der Charakterisierung des
Grundriss gegeben – wie auch schon sowohl
Menschen über seine Funktion als Bewoh-
für die Villa Karma und das Palais Stoclet
ner formulierte. Der eigene Ort – das Zuhau-
weiter oben fallweise eruiert wurde – und
se – wurde zum lesbaren Indizienkonglome-
beobachtet, dass die Möbel im Biedermeier
rat für die Konstituierung einer Identität.216
nicht mehr an den Wänden angeordnet wur-
Peter Parenzan sieht eine ähnliche Koexis-
den. Ebenso nennt Stein die Konzeption der
tenz von Bewohner und Einrichtung im
„Wohninseln“ und die umfangreiche Wahl
Biedermeier gegeben:
aus einem mannigfachen Pool an Sitzmöbeln.213 Auch wenn nicht nur Loos, sondern
„Das gepflegte Hauswesen, die Gestaltung
auch Hoffmann stark mit Einbaumöbeln
desselben, war die Lebensform, die es er-
arbeiteten, haben ihre Einrichtungen die Aus-
möglichen sollte, mittels der bürgerlichen
wahl von verschiedenen Sitzmöglichkeiten,
Tugenden wie Sparsamkeit, Fleiß und
die spezifisch auf die Funktion des Raumes
Ordnungsliebe auf den Menschen mora-
variiert sind, gemeinsam. „Die Markenzei-
lisch so positiv zu wirken, daß er genug
chen der Biedermeierkultur“ seien laut Stein
Kräfte entwickelte, um dem Lebenskampf
„die Betonung der Individualität, der Funk-
gegenüber gerüstet zu sein.“217
tionalität, der Häuslichkeit und der familiären Ungezwungenheit“.214 Wenn sich auch
Genau jenes Konzept nutzten sowohl Loos
bei Loos und Hoffmann unterschiedliche
als auch Hoffmann, um mithilfe ihrer
Gewichtungen dieser Topoi beobachten las-
Bauwerke ihren Auftraggebern ein einerseits
sen konnten, ist dennoch abzuleiten, dass
inszeniertes öffentliches Charakterbild zu
sich sowohl die Einrichtungen der Villa
zeichnen, ihnen auf der anderen Seite aber
Karma als auch des Palais Stoclet deutlich
auch Rückzugsorte hinter solchen schützen-
an jenen Axiomen abarbeiteten. Ob es nun
den Maskeraden, das heißt wohlgesetzten
die Hervorhebung der Konturen und Linien,
Images, die den Menschen selbst zu einer
212 Stein 2006, S. 73. 213 Stein 2006, S. 74. 214 Stein 2006, S. 77.
215 Stein 2006, S. 79. 216 Stein 2006, S. 78. 217 Parenzan 1990, S. 31.
107
108
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Marke stilisieren, zu schaffen. Des Weiteren
Sachlichkeit“. Ein intimer Freundeskreis
schreibt Hans Ottomeyer zur Biedermeier-
kann auch auf eine Gruppe von befreunde-
kultur:
ten Künstlern oder Wissenschaftlern beziehungsweise auf kleinere Gruppen von Inte-
„Die Zeit der großen pompösen und ge-
ressengemeinschaften erweitert werden.
schlossenen Garnituren ist vorbei, denn
Bescheidenheit vermittelt das Palais Stoclet
kleine Gruppen oder Inseln oder Inseln
mit Sicherheit nicht, und auch die Villa Kar-
von zueinander passenden Möbeln kom-
ma ist in ihrer grundlegenden Anlage als
men dem neuen Lebensgefühl ungleich
Solitär, ihrer Materialität sowie ihrer Lage
näher. Statt in großen hierarchisch geglie-
am Genfer See nicht mit dem Attribut der
derten Gesellschaften trifft man sich nun
Bescheidenheit zu verbinden, jedoch zeigt
im kleinen, intimen Freundeskreis von
sich in der Aufgabe der beiden Gebäude als
Gleichgesinnten. Was als Stil der Not und
Rückzugsmöglichkeit vor der Schnelligkeit
auferlegter Bescheidenheit begann und
des Alltags eine damit verbundene Abkehr
sich retrospektiv an den letzten Positio-
von einer Zurschaustellung von Status. Hin-
nen des ausgehenden 18. Jahrhunderts ori-
ter dem Terminus „nüchterne Sachlichkeit“
entierte, das wurde durch einen Prozess
ist letztlich vielmehr eine Betonung des
der Verinnerlichung und zunehmenden
Bequemen und Nützlichen zu vermuten. Der
Identifizierung mit den äußeren Umstän-
von Hoffmann mitentwickelte ‚Stil‘, den man
den zu einer bewusst vorgetragenen und
in Bezug zum Biedermeier setzt, ist der soge-
ausformulierten These der gesuchten Be-
nannte „Brettlstil“. Der „Brettlstil“ zeichnet
scheidenheit und nüchternen Sachlich-
sich durch „eine Tendenz zur Vereinfa-
keit, Ideale, die auch als ästhetische und
chung“ aus und lässt sich als „nüchternen,
moralische Tugenden begriffen wurden.“218
kargen Möbelstil“ definieren.219 Vielleicht verweisen Baroni und D’Auria mit der
Auch wenn zunächst eine Parallelisierung
Bezeichnung „Brettlstil“ auf den Umstand,
dieses im Nachhinein beschriebenen bieder-
dass das Brett im Biedermeiermöbel als
meierlichen „Lebensgefühls“ auf die Kon-
Grundmodul zu verstehen ist.220 Jene Vor-
zeption der Villa Karma und noch vielmehr
gehensweise untermauert zum Beispiel Otto-
auf das Palais Stoclet Verwunderung auslöst,
meyer mit einem Zitat von Adalbert Stifter:
kann an diesem Punkt subsumierend festgestellt werden, dass diese Zusammenführung
„Im Gegensatz dazu [zum Empire; LT]
von Idealen auf beide Einrichtungen Loos’
sind die so genannten Biedermeiermöbel
und Hoffmanns Einfluss nahm. Wichtig ist
aus dem vorgegebenen Material, nämlich
in diesem Zusammenhang die Auslegung
dem flachen Brett, heraus entwickelt. Das
der Worte „intimer Freundeskreis“, „Beschei-
Rechteck gibt die Grundform ab: ‚die Ge-
denheit“, „Verinnerlichung“ und „nüchterne
räte sind ja die Verwandten der Baukunst,
218 Ottomeyer 2006, S. 50f. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.
219 Baroni und D’Auria 1984, S. 23. 220 Siehe auch Geismeier 1979, S. 286.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
etwa ihre Enkel oder Urenkel, und sind
zwischen den älteren Häusern des Platzes
aus ihr hervorgegangen. […] Unsere Zim-
zu Prämissen des Historischen ein. Es
mer sind wie hohle Würfel oder wie Kis-
replizierte den Platz, die Häuser, die Stadt
ten, und in solchen stehen die geradlini-
und das klassische Schema, jedoch in neu-
gen und geradflächigen Geräte gut‘.“221
er Form. Modern sind Ernst, Ethos und Strenge, mit denen das Loos-Haus auf die
Jene Beschreibung Adalbert Stifters könnte
ältere Architektur antwortet.“225
man, trotz besseren Wissens seiner Lebensdaten (1805–1868), auch auf die Erzeugnis-
Im Falle der Villa Karma und auch der Schrif-
se der ersten Jahre der Wiener Werkstätte
ten Adolf Loos’ lassen sich jedoch immer
übertragen.
Daniele Baroni und Antonio
wieder Anleihen finden, die eine stärkere
D’Auria sehen im „Brettlstil“ aber auch einen
Verwurzelung im Denken des Historismus
222
Der Begriff des Stils ohne
für Loos vermuten lassen. Es ist bei Loos
Stil erscheint in leicht abgeänderter Weise
gerade die Orientierung am Biedermeier und
bei einer Publikation zu Adolf Loos. Anders
der damit verbundene Blick in ein bereits
Munch betitelt sein Buch Der stillose Stil.
Vergangenes, die zumindest eine ähnliche
Adolf Loos. Darin formuliert er die These,
Orientierungsstrategie darstellen, wie es der
dass die „Moderne im Sinne einer Epoche
Historismus mit seiner Suche nach dem ‚Stil‘
und eines Stils als stillosen Stil“ zu verste-
zuerst entwickelt hatte. Auch Loos’ evolutio
hen sei und dass weiterhin Adolf Loos unter
nistisches Architektur- und Lebenskonzept
anderem mit dem Michaelerhaus „mit dem
beruht zu wichtigen Anteilen auf dem Gedan-
schlechten Gebrauch von Geschichte auf-
kenspiel des Historismus, in dem man von
räumte“.
Stil ohne Stil.
223
Auch wenn Munch betont, dass
vergangenen Leistungen vorheriger Genera-
Adolf Loos sich beim Michaelerhaus auf die
tionen zu lernen versuchte und eine ästheti-
Architekturformen der Umgebung des Micha-
sche Verwurzelung der eigenen Identität
elerplatzes bezog, forciert er trotzdem das
absteckte. Durch diese Namensgebung wird
Bild eines gedanklichen Entfernens von den
die bereits beschriebene „Lebenslüge der
Methoden des Historismus:
Moderne“ weiterhin rezipiert.226 Ein Ver-
224
gleich Günther Feuersteins zwischen der Zeit „Loos machte den radikalen Vorschlag ei-
von 1810 bis 1840 und dem Übergang vom
ner konsequent modernen Formenspra-
19. zum 20. Jahrhundert verdeutlicht am bes-
che, fühlte sich aber in direkter Linie ei-
ten, wo die Charakteristika und Umstände
ner Tradition, die er kritisch rekonstruieren
lagen, die Josef Hoffmann den Stil des
mußte. Das Haus reiht sich in das Spiel
Biedermeiers als Vorbild für seinen „Brettlstil“ wählen ließen. Dem Biedermeier weist
221 Ottomeyer 2006, S. 46. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit. 222 Vergleiche des Weiteren zur Geometrisierung im Biedermeier Ottomeyer 2006, S. 54. 223 Baroni und D’Auria 1984, S. 23. 224 Munch 2005, S. 54 und S. 32–34.
Feuerstein die Eigenschaften „Reduktion der Detailform, die dienende Stellung des 225 Munch 2005, S. 54. 226 Vergleiche dazu diese Arbeit auf S. 50f.
109
110
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Dekors, die handwerkliche Qualität und Ver-
Industrie war, zeigt die Londoner Zeitschrift
feinerung, der Erfindungsreichtum für neue
The Studio. Unter der festen Rubrik Stu-
Typen und die freieren Möbel- und Raum
dio-Talk heißt es:
dispositionen“ zu, die er dann der Absicht des zweiten Zeitabschnitts gleichsetzt. Als
“The Museum [Museum für Kunst und In-
Grundlage für diese im Konzept sich ähneln-
dustrie; LT] contains a rich store of old
den Kulturentwicklungen benennt er zudem
patterns, and its directors are andeavou-
ein „gehobenes, selbstbewusstes und kulti-
ring to restore the contact between the
viertes Bürgertum“.227 An diesem Punkt wie-
past and the present by drawing attenti-
derholt Feuerstein das Verständnis des Bie-
on to the ‘Empire’ and ‘Alt-Wien’ (‘Bie-
dermeiers, das auch schon die Zeitgenossen
dermeier’ style), as kinds of models which
Hoffmanns und Loos’ teilten. Wie bereits
should be further developed, side by side
schon an Lux’ Äußerungen zum Biedermei-
with the much-prized English forms”.231
er als Erzieher angerissen wurde. Hans Ottomeyer definiert das Biedermeier 2006 als
Des Weiteren verkörperten Biedermeiermö-
einen „unspezifischen Epochenbegriff“ und
bel ein Handwerksideal der vorindustriellen
möchte dem „Klischee“ vom Biedermeier als
Zeit, kombiniert mit einer am Gebrauch ori-
„bürgerliche[m] Stil nach den Tugendbegrif-
entierten Formensprache. Elisabeth Schmut-
fen einer erstarkten Klasse“
termeier sieht gerade in der „Funktionalität“
228
widerspre-
chen. Stattdessen deklariert er einen „Stil
und
„Materialgerechtigkeit“
der
Hoff-
der Vernunft oder vernunftbedingter Kon-
mann’schen Arbeiten die Begründung für die
ventionen im Spannungsfeld gegensätzlicher
Parallelen, die von zeitgenössischen Bericht-
Verbindungen: Ideal der Natur und zugleich
erstattern immer wieder zum Biedermeier
Einfachheit der Dinge“229 für das Biedermei-
gezogen wurden, gegeben.232
er und spricht von einer Kunst, die durch
Christian Witt-Dörring fasst am Ende sei-
„Abstraktion der Formen, des Ornaments
nes Aufsatzes Zur Ästhetik des Biedermei-
und der Farbe“ gekennzeichnet ist und „eine
ermöbels zusammen:
Vielzahl an protoabstrakten und -modernen Aspekten“ aufweist.230 1896 wurde im k. k.
„Die Art und Weise, wie die beschriebe-
Österreichischen Museum für Kunst und
nen Möbel Materialität, Funktionalität
Industrie eine Ausstellung zum Wiener Kon-
und Gefühl zu einem harmonischen Gan-
gress präsentiert, die es ermöglichte, Produk-
zen verbinden, lassen sie im Kontext des
te des Empires und Biedermeiers zu studie-
modernen Wohnens eine Vermittlerrolle
ren. Wie übernational die Wahrnehmung
zwischen Individualität und Anonymität
dieser Rolle für das Museum für Kunst und
einnehmen.“233
227 Feuerstein 228 Ottomeyer 229 Ottomeyer 230 Ottomeyer
1964, 2006, 2006, 2006,
S. S. S. S.
177. 44. 45. 45.
231 Ohne Autor Bd. 25 1902, S. 298. 232 Schmuttermeier 2010, S. 124. 233 Witt-Dörring 2006.3, S. 68.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
Genau dieses Prinzip wurde bereits weiter
te.237 Einrichtung und Ausstattung des Palais
oben für die Villa Karma in Bezug auf die
Stoclet, die vollständig von der Wiener Werk-
„Wohninseln“ und die Tradierung von Sozi-
stätte entworfen und ausgeführt wurden,
albildern durch die Einrichtung der Villa
bestätigen diese Ansicht. Im Falle der
durch Adolf Loos’ sowohl in praktischer als
Raumsphären wurde bereits der herrschaft-
auch in emotionaler, das heißt identitätsstif-
liche Charakter des Palais Stoclet erörtert;
tender Weise erarbeitet. Nun sollen diese
das Gleiche gilt aber auch für die einzelnen
Topoi auch an Teilen der Einrichtung des
Formen, das heißt Möbelstücke und Kunst-
Palais Stoclet in ihrer spezifischen Charak-
werke, die diese Räumlichkeiten begleiten
teristik abgesteckt werden.
und detailreich auffüllen. An dieser Stelle ist
1898 verfolgten Adolf Loos und Josef Hoff-
das Prinzip gleicher Formgesetze, angewandt
mann noch offiziell verwandte Ziele. Adolf
sowohl für Architektur als auch für kunst-
Loos publizierte seinen berühmten Aufsatz
handwerkliche Gegenstände, zu bedenken,
Die potemkin’sche Stadt in der Secessi-
das sich in den Arbeiten Josef Hoffmanns in
ons-Monatsschrift Ver Sacrum und sah dem-
Zusammenarbeit mit der Wiener Werkstätte
nach wohl auch eine gemeinsame Feindschaft
vermehrt zeigt und bereits vonseiten der For-
mit dem Historismus gegeben. Auch Mirko
schung betont wurde. So erinnern zum
Gemmel betont jene gemeinsame Feindschaft
Beispiel die Formen eines Skulpturensockels
für die Wiener Secession und die Kritische
im Studierzimmer des Dichters Richard Beer-
Wiener Moderne mit Adolf Loos und Karl
Hofmann in dessen Haus von 1905 bis 1906
Kraus.
Jedoch in der Lösung zur Überwin-
an den Turm des Palais Stoclet (Abb. 2 und
dung des Historismus und seines ästhetischen
31) und Eduard F. Sekler beobachtet Paral-
Konzepts der Kopie drifteten die Anschau-
lelen zwischen einem Wandschrank von 1901
ungen auseinander. Christian Witt-Dörring
und den „keilförmigen Balkonen am Modell-
spricht im Falle der Secession und insbeson-
entwurf für das Palais Stoclet“. Sekler veri-
dere der Wiener Werkstätte von einer „moder-
fiziert weitergehend:
234
ne[n] Formensprache über den Einsatz individuellen künstlerischen Ausdrucks“235, die
„Möbelstücke und Gegenstände aller Art
eine „Erneuerung […] über die Form und
entsprangen bei Hoffmann den gleichen
nicht den Inhalt“236 bezweckte. Damit zielt
Formvorstellungen wie die Architektur,
Witt-Dörring auf den Umstand, dass die Wie-
und es gibt kleine Metallgegenstände, die
ner Werkstätte mit ihren Gesamteinrichtun-
ausgesprochen architektonisch monumen-
gen aber auch bereits mit dem einzelnen
tal wirken. Doch ist es eine unzulässige
Gegenstand, den Bürger in einer von Luxus
vergröbernde Verallgemeinerung, zu be-
geprägten „Tradition aristokratischen Reprä-
haupten, Hoffmann habe ‚Bauten wie Mö-
sentationsbedürfnisses“ weiterhin verorte-
belstücke und Möbelstücke wie Bauten entworfen‘. Dazu war er sich viel zu sehr
234 Gemmel 2005, S. 51. 235 Witt-Dörring 2006.3, S. 59. 236 Witt-Dörring 2006.3, S. 63.
237
Witt-Dörring 2006.3, S. 63.
111
112
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
lung“ einer „künstlerischen Aufgabe“ gestellt hatte. Im Arbeitsprogramm der Wiener Werkstätte heißt es etwa: „Die Surrogate der stilvollen Imitationen können nur dem Parvenü genügen. Der Bürger von heute, ebenso wie der Arbeiter, müssen den Stolz besitzen, ihres Wertes voll bewusst zu sein und dürfen nicht mit anderen Ständen wetteifern wollen, deren Kulturaufgaben erfüllt sind und die mit Recht auf eine herrliche Vergangenheit in künstlerischer Beziehung zurückblicken. Unser Bürgerstand hat seine künstlerische Aufgabe noch nicht erfüllt. An ihn ist jetzt die Reihe, der Entwicklung voll u. ganz geAbb. 31: Josef Hoffmann: Haus Beer-Hofmann, Skulpturensockels im Studierzimmer bzw. der Bibliothek des Dichters Richard Beer-Hofmann, 1905–1906, Wien XVIII., Hasenauerstraße 59 / Ecke Meridianstraße
recht zu werden.“239 Allein schon diese Anspruchshaltung versetzt die minutiös durchgestalteten Einrichtungen in einen Zusammenhang bürgerli-
der Wirkung bewußt, die verschiedene Ma-
chen Arrivierens. Der soziale Wunsch und
terialien und Maßstäbe auf Formen ha-
Drang nach Erfolg und dem Aufsteigen
ben.“
innerhalb der sozialen Leiter erklärt die
238
Gigantomanie des Palais Stoclet und damit Diese omnipräsente Formvorstellung führt
auch dessen Kostbarkeit, die sich de facto
folglich zur Interpretation Witt-Dörrings,
bereits in der bis heute nicht genau überlie-
dass Hoffmann und die Wiener Werkstätte
ferten, aber sicherlich äußerst umfangrei-
weiterhin eine Identifikation des Bürgers
chen Kostenaufstellung des Gesamtkunst-
über die Repräsentation von hermetisch
werkes bemerkbar macht. Ebenso betont
abgegrenzten Luxus-Formwelten verfolgen.
Sekler die Zusammenarbeit von Auftragge-
Sowohl die Einrichtung des Musik- und The-
ber und Architekt am Palais Stoclet als
atersaals als auch die Halle mit ihrem Brunn-
davon gekennzeichnet, dass Hoffmann „kei-
enerker (Abb. 28) und dem Speisezimmer
nerlei Kompromisse“ schließen musste.240
(Abb. 7) sprechen beredtes Zeugnis von
Marianne Hussl-Hörmann schildert die
einem Kulturanspruch, der sich die „Erfül-
238 Sekler ²1986, S. 80.
239 Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905). 240 Sekler ²1986, S. 96.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
Arbeitssituation im Allgemeinen für Klimt
gen Tanz[es]“. Die „Lebensbäume“, die sich
und Hoffmann als durch ein „finanziell
über den gesamten Bildraum erstrecken, sei-
ungemein potente[s] Mäzenatentum“ – das
en wiederum als „Versinnbildlichung der
sich überwiegend aus dem großindustriellen
Welt“ aufzufassen und bilden laut Strobl
Bürgertum mit jüdischen Wurzeln bildete
den weltumfassenden Interpretationshin-
– getragen und konstatiert als Folge davon
tergrund für die Tänzerin und die Umar-
eine „geschlossene und abgehobene Welt“,
mung.242
aus der die Werke der beiden erwachsen.
Diese Interpretation untermauert für das
Sie spricht sogar von einem „marktunab-
Palais Stoclet die Beschaffenheit einer bür-
hängige[n] Umfeld“ und formuliert als
gerlichen Welt mithilfe des Instrumentariums
Movens der Auftraggeber: „gleichzeitig pro-
Luxus und dem Zusammenwirken vieler Ein-
fitierten sie von der besonderen Aura der
zelteile zu einem ‚Lebensgefühl‘, das sich
Künstler und ihrer Werke, was ihnen selbst
durch gesellschaftlichen Stolz – wie er im
eine eigene Identität verlieh.“241 Diese kom-
Arbeitsprogramm der Wiener Werkstätte for-
promissfreie und damit auch realitätsferne
muliert wurde – und Geltungsbedürfnis aus-
Welt, aufgeladen durch die künstlerische
zeichnet. Dieser künstlerische und wohl auch
Ambition von Stil- und Standproklamation,
auftraggeberische Motor begründet die Stim-
ermöglichte erst einen Brunnenerker, einen
mung der Räumlichkeiten im Palais Stoclet.
Musik- und Theatersaal mit den Ausmaßen
Es lässt sich vorerst zusammenfassen, dass
eines Kabaretts, transferiert in ein Privat-
sowohl die Villa Karma als auch das Palais
haus, und ein mithilfe des Frieses von Klimt
Stoclet über ihre spezifische Gestaltung und
symbolisch und emotional aufgeladenes
deren Wahrnehmung den Bewohner und des-
Speisezimmer (Abb. 7). Alice Strobl inter-
sen Besucher beindrucken und lenken wollen.
pretiert aufgrund einer Postkarte von Gustav
Dabei dienen die körperlichen Abläufe und
Klimt die abstrakte Komposition der Sch-
die damit verbundenen Wahrnehmungen und
malseite als Ritter und zieht daher die Par-
Emotionen der Formulierung einer ganzheit-
allele zum Beethovenfries, der als „säkula-
lichen Betrachtungsweise. Joseph Imorde
risierte Erlösungsideologie“ zu verstehen
bezeichnet dieses Verhältnis im Falle der
ist. Des Weiteren verankert Strobl die ande-
Loos’schen Villen als „Weltbild“ und „Weltan-
ren Fries-Elemente Tänzerin und Umarmung
schauung“.243 Diese Weltanschauung in der
– auch Liebespaar genannt – in einen welt-
Architektur Loos’ führt Imorde zusammen
konstituierenden Zusammenhang, wonach
mit Fedor Roth zu dem Schluss, dass seine
der Tanz um 1900 an sich als ein „Ausdruck
Architektur die Bewohner regelrecht „in die
gesteigerten Lebensgefühls“ definiert wurde
Zwangsjacke
und somit als „Lebenssymbol“ verstanden
Geschmacks“ kleide und seine Raumlösungen
werden muss. Ebenso befinde sich das Lie-
allgemein „Kleidungsstücke“ und „kultivierte
bespaar in einem Zustand des „trancearti-
Maskerade[n]“ seien. Diese Räume unterwie-
241 Hussl-Hörmann 2011, S. 21.
242 Strobl 1991, S. 87. 243 Imorde 2006, S. 40.
seines
[Loos’;
LT]
guten
113
114
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
sen folglich die Nutzer der Gebäude in den
sogar „den Vorarbeiter einer neuen Ordnung
idealen Lebensweisen – wie sie Loos muster-
der Dinge“ auch für Österreich gegeben.246
gültig vorschwebten.
Es zeigt sich für Hoff-
Baroni geht sogar davon aus, dass sie zum
mann wie für Loos ein Verständnis vom Archi-
festen Inventar an Zeitschriften gehörte, die
tekten nicht nur als Gestalter des Wohnens,
in den Kaffeehäusern in Wien auslagen.247
sondern mit seinem Schaffen ist ebenso die
Des Weiteren berichtet Kossatz von einer
Aufgabe einer Strukturierung und emotiona-
Rubrik in Ver Sacrum, die aus dem Abdruck
len Lenkung einer Lebenswelt der bürgerli-
besonderer Artikel der verschiedenen Peri-
chen Auftraggeberschicht verbunden.
odika der Zeit bestand. Unter den zitierten
244
Bevor sich dem Begriff des Gesamtkunst-
Zeitschriften nennt er auch The Studio.248
werks gewidmet werden kann, ist zunächst
Bei der Durchsicht der Jahrgänge der Zeit-
noch zu betonen, dass die bisher genannte
schrift The Studio, ob es sich nun um das
Verbindungslinie zum Wiener Biedermeier
Yearbook oder An illustrated Magazine of
als Quelle eines mit der Wohnkultur ver
Fine and Applied Art handelt, lässt sich
bundenen Lebensgefühls und die als nächs-
zusätzlich zu der Quellenlage der „Arts and
tes zu untersuchende Beziehung zur „Arts
Crafts“-Bewegung für Wien auch eine gegen-
and Crafts“-Bewegung die Hinwendung bei
seitige Durchdringung beobachten. So doku-
Loos und Hoffmann zu einer Ästhetik der
mentiert die Zeitschrift ebenso, dass man die
Vereinfachung oder Einfachheit gemeinsam
Arbeiten der Wiener Secession in dem eng-
haben. Die „Arts and Crafts“-Bewegung und
lischen Publikationsorgan präsentierte und
das Gesamtkunstwerk werden im Folgenden
insbesondere die Arbeiten Josef Hoffmanns
als kulturelle Ergänzung des genius loci an
in Einzelartikeln vorstellte.249 Deutlicher
geführt.
Die „Arts and Crafts“-Bewegung und eine verschränkte Wahrnehmung von Mensch und Ding Die Berührungspunkte zwischen England und Wien sieht man neben den Weltausstellungen in der Präsenz der englischen Bewegung in den Fachzeitschriften, vor allem in der Zeitschrift The Studio.245 Die Kunstzeitschrift wurde 1893 gegründet und erfuhr eine große Verbreitung in den Großstädten der Sezessionen. In der Tat sieht bereits A. S. Levetus in der Fachzeitschrift The Studio 244 Imorde 2006, S. 40f. 245 Vergleiche dazu Prokop 2003, S. 296.
246 AK Josef Hoffmann 1981, S. 50f. 247 Baroni und D’Auria 1984, S. 22. 248 Kossatz 1971, S. 12. 249 Vergleiche zur Quellenfunktion der „Arts and Crafts“-Bewegung für Wien nur einige ausgewählte Artikel aus The Studio: Ohne Autor 1897, S. 16–25 und Baillie Scott 1897, S. 167–172 oder Baillie Scott 1900, S. 30–38 oder Cook 1901, S. 77–92 oder Voysey 1901, S. 242–245. Vergleiche zur Dokumentation Wiener Arbeiten für England: Schölermann 1899, S. 30–39 oder Mourey 1901, S. 113–123 oder Khnopff 1901, S. 261–267 oder Ohne Autor Bd. 26 1902, S. 141–143 (zur Beethoven-Ausstellung der Wiener Secession), Levetus 1904, S. 125–132 oder Levetus 1929, S. 383–387 (zur Villa Knips von Josef Hoffmann) und Levetus 1912, S. 181–240 und Levetus 1913, S. 187–224. Wie breit die Zeitschrift auch im deutschsprachigen Raum aufgestellt sein musste, zeigt die auf Deutsch annoncierte Werbeanzeige der Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration zu Beginn des Bandes 36.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
oder unmittelbarer an den Schaffenskreis
ten zumaß.253 Er erhoffte sich von diesem
Wien reichte die Gründung des Museums
Besuch das Zustandekommen einer Ausstel-
für Kunst und Industrie im Jahr 1864 in Wien
lung der Werke der Guild of Handicraft in
heran. Dieses Museum, das den Prototyp des
den Räumen des Secessionsgebäudes.254 Ash-
Museums für angewandte Kunst darstellte,
bee leitete seine Gilde nach den Vorstellun-
beruhte auf dem Konzept des South Ken-
gen John Ruskins und William Morris’. John
sington Museums,250 dessen Entwurf sich
Ruskin entwickelte maßgeblich die „Arts and
durch seinen pädagogischen Charakter aus-
Crafts“-Bewegung mit und ist als Kunstphi-
zeichnete. Nicht etwa eine repräsentative
losoph zu bezeichnen, der mit den kunstthe-
Sammlung durch die verschiedenen Jahrhun-
oretischen Texten Seven lamps of Architec-
derte wurde angestrebt, sondern die Erzie-
ture und Stones of Venice in der Mitte des
hung des Geschmacks der Besucher lag im
19. Jahrhunderts in Erscheinung trat.255 In
Fokus des Museums.
Seven lamps of Architecture formulierte Rus-
251
Der nächste Schritt hin zur didaktisch und
kin drei Regeln der „Rohheit“.256 In diesen
methodisch vermittelten Ästhetik stellte die
drei Punkten kritisierte er das Unechte der
Gründung der Kunstgewerbeschule dar.252
zeitgenössischen Architektur: Dazu gehörte
Bezeichnenderweise unterrichtete Josef Hoff-
für ihn das Fingieren einer Konstruktion,
mann genau an dieser Kunstgewerbeschule
ohne einer inneren Entsprechung, die Vor-
etwa 30 Jahre nach deren Gründung von 1899
täuschung von edleren Materialien durch
bis 1937. Wie sehr die Wiener Kunstgewer-
Oberflächenverkleidung und der Einsatz von
beschule sich mit England verbunden fühlte,
maschinell gefertigtem Ornament.257 John
dokumentiert ein Brief Josef Hoffmanns an
Ruskin machte sehr schnell auf einen ästhe-
den Direktor der Kunstgewerbeschule Feli-
tischen Verfall aufmerksam, der seiner
cian von Myrbach, der im Begriff war, sich
Ansicht nach auf den Parametern einer von
auf eine Studienreise nach England zu bege-
Industrie geprägten Gesellschaft beruhte. Der
ben. Dieser Brief vom 20. April 1900 beweist,
„Perfektionismus der Maschinenproduktion“
dass Hoffmann gute Kenntnisse über Charles
liefe der „Natur des Menschen“ zuwider. Die
Robert Ashbee und seine Londoner Guild of
Qualität der Arbeit war für Ruskin primär
Handicraft besaß. In dem Wunsch, Myrbach sollte doch Ashbee als Station in sein Reiseprogramm aufnehmen, verdeutlicht sich die Wichtigkeit, die Hoffmann dessen Werkstät-
250 Prokop 2003, S. 296f. 251 Adolf Loos beschäftigte sich im Rahmen einiger Artikel in den Zeitungen Die Zeit und Neue Freie Presse schon in den Jahren 1897 bis 1899 mit der Tätigkeit dieses Museums. Vergleiche dazu Loos 2010, S. 11–33 und Loos 2010 (1898.8), S. 223–253. 252 Prokop 2003, S. 296f.
253 Schweiger 1982, S. 15. Vermutlich waren Hoffmann die Arbeiten der Gilde über deren Einrichtungen für den Speise- und Empfangsraum des Großherzogs Ernst Ludwig in Darmstadt bekannt, die von M. H. Baillie Scott und Ashbee zusammen 1898 verwirklicht wurden. Im selben Jahr berichtete auch Hermann Muthesius über die Gilde in der Zeitschrift Dekorative Kunst. (Crawford 1994, S. 148f.) 254 Der gesamt Brief wurde von Werner J. Schweiger abgedruckt. (Schweiger 1982, S. 15f.) 255 Prokop 2003, S. 294. 256 Davey 1994, S. 67. 257 Benevolo 1964, S. 221.
115
116
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
durch die „Freude“, die sie dem Arbeiter
entgegengestellt werden. Die mittelalterliche
schenkt, zu definieren.
Dieses Bild der fal-
Bauhütte und ihr System vom Zusammen-
schen Organisation von Arbeit wurde von
schluss von Spezialisten unter dem Schutz-
William Morris (1834–1896) noch durch eine
mantel eines Meisters dienten als Ideal, auf
verwerfliche Haltung der „Profitgier des
das man sich besann. Dieses System ent-
Industriellen“ ergänzt, die einzig und allein
spricht auch der Struktur der Wiener Werk-
zu „sham work“ führe. Morris zeichnet die
stätte, die aus vielen einzelnen Werkstätten
Dichotomie vom von marktwirtschaftlicher
bestand, die zeitweise überwiegend die
Habgier geleiteten „countin house“ und dem
Entwürfe Josef Hoffmanns und Koloman
„workshop“ als einem dem entgegengesetz-
Mosers ausführten.262 Man strebte eine Ein-
ten, utopischen Gesellschaftsunternehmen.
259
heit des Gegenstandes aus Funktion, Mate-
Im Zentrum seiner Anklage standen der Kapi-
rial und Verarbeitungstechnik an. Diese Har-
talismus und die maschinelle Herstellung von
monie übertrug sich auch auf die durch die
Gebrauchsgegenständen. Seiner Ansicht nach
Industrialisierung schon vorbelastete Vor-
wurde der Arbeiter zum Sklaven degradiert
stellung der Arbeitsteilung. Auch bevorzug-
– er zeichnete das Bild des Arbeiters als „aus-
te man die „Einheit von Entwurf und Aus-
führende Maschine“, das heißt „animated
führung“.263
258
tool“.260 Einem Werkzeug gleich werde er nur
William Morris, ein Schüler John Ruskins,
im Hinblick auf Effizienz für eine monotone
erweiterte die „Arts and Crafts“-Bewegung
Handlung ausgebildet und somit entmensch-
im Sinne seines Lehrers noch um den sozia-
licht. Diese Verkümmerung des Arbeiters zur
len Anspruch. „Eine Kunst von dem Volk für
Maschine wird von Ruskin zur Begründung
das Volk“ wurde zum Programm deklariert.264
und Ursache für Revolutionen und Qualitäts-
Bei Ashbee sollte der Handwerker des Wei-
verlust angegeben.261
teren aus seiner Anonymität befreit werden
Jenem düsteren Bild des Arbeiters und
und in Kontakt mit Entwerfer und Käufer
der deutlich visuell wahrnehmbaren Ver-
treten. Genau dieser Anspruch galt auch für
schmutzung
der
die Wiener Werkstätte.265 William Morris war
Umwelt wollte Ruskin eine neue Ästhetik
in Wien bekannt, da 1898 im Rahmen der
entgegensetzen. Auf diesem Vorhaben beruh-
Jubiläumsausstellung des Musikvereins Arbei-
ten die Gründung und die Ideale der „Arts
ten von ihm gezeigt wurden.266 Wie sehr Hoff-
and Crafts“-Bewegung, die wiederum als Vor-
mann sich den Idealen Ruskins und Morris’
bild für die Wiener Werkstätte anzusehen
verschrieb, zeigt ein Auszug aus dem Arbeits-
ist. Der maschinellen Massenware sollte das
programm der Wiener Werkstätte:
und
Verschandelung
Ideal des vielseitig talentierten Handwerkers
258 Breuer 1998, S. 11. 259 Breuer 1998, S. 22. 260 Breuer 1998, S. 21. 261 Kemp 1983, S.174f. Vergleiche dazu Prokop 2003, S. 294.
262 Ohne Autor 1930, S. 52. 263 Witt-Dörring 1987, S. 29. Vergleiche dazu Hofmann 1983, S. 88f. 264 Prokop 2003, S. 295. 265 Siehe dazu Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905). 266 Kossatz 1971, S. 12.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
„Das grenzenlose Unheil, welches die
Auffällig dabei ist, dass nur der Arbeiter
schlechte Massenproduktion einerseits,
benannt wird, womit wohl vielmehr der
die gedankenlose Nachahmung alter Sti-
Handwerker in den eigenen Produktionsstät-
le anderseits auf kunstgewerblichem Ge-
ten der Wiener Werkstätte gemeint ist. Nicht
biete verursacht hat, durchdringt als Rie-
der gesamten Arbeiterschicht sollte eine
senstrom die ganze Welt. Wir haben den
Kunst geschaffen werden, sondern die
Anschluss an die Kultur unserer Vorfah-
Arbeitsverhältnisse weniger gut ausgebilde-
ren verloren und werden von tausend
ter Handwerker galt es zu verbessern. Das
Wünschen und Erwägungen hin und her
formulierte Ziel war die Findung einer neu-
geworfen. An S telle der Hand ist meist die
en Ästhetik, die man nur unter feinsinnigen
Maschine, an Stelle des Handwerkers der
Umständen glaubte schaffen zu können. Mit
Geschäftsmann g etreten. Diesem Strome
einem sozialen Anspruch, wie Morris ihn
entgegen zu schwimmen wäre Wahnsinn.
proklamierte, hatte dies wenig gemein. So
Dennoch haben wir unsere Werkstätte ge-
stattete die Wiener Werkstätte auch keine
gründet. Sie soll uns auf heimischem Bo-
Arbeiterwohnungen aus, sondern ästhetisch
den, mitten im frohen Lärm des Hand-
durchdeklinierte Villen und Palais.269 Als Ein-
werks einen Ruhepunkt schaffen und dem
schränkung könnte man die Beteiligung Josef
willkommen sein, der sich zu Ruskin und
Hoffmanns in den 30er-Jahren des 20. Jahr-
Morris bekennt.“
hunderts an den Gemeindebauten des Roten
267
Wiens heranziehen, jedoch muss man einseHoffmann und Moser stellten sich solcher-
hen, dass Hoffmann nur in einem begrenz-
maßen mit ihrem Traktat an die Seite der eng-
tem Maße involviert war und nur unter völ-
lischen „Arts and Crafts“-Tradition. Sie ver-
ligem Ausschluss der Wiener Werkstätte.
folgten die gemäßigtere Einstellung Morris’
Eine weitere Aussage des Arbeitsprogramms
zur Maschine und formulierten zumindest
untermauert die Nähe zur gemäßigten Ein-
einen sozialen Wunsch für die Wiener Werk-
stellung zur Maschine:
stätte: „Es sei noch gestattet, darauf aufmerksam „Wir können und wollen nicht mit der Bil-
zu machen, daß auch wir uns bewußt sind,
ligkeit wetteifern; dieselbe geht vor allem
daß unter gewissen Umständen mit Hilfe
auf Kosten des Arbeiters, und diesem wie-
von Maschinen ein erträglicher Massen-
der eine Freude am Schaffen und eine
artikel geschaffen werden kann; derselbe
menschenwürdige zu erringen, halten wir
muß dann aber unbedingt das Gepräge
für unsere vornehmste Pflicht.“
der Fabrikation tragen. Wir halten es nicht
268
für unsere Aufgabe, jetzt schon dieses Gebiet zu betreten. Was wir wollen, ist das, 267
Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905). 268 Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905).
was der Japaner immer getan hat. Wer
269 Magnago Lampugnani 1980, S. 26.
117
118
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
würde sich ein Werk japanischen Kunst-
Beiden gemeinsam blieb aber der demo-
gewerbes maschinell hergestellt vorstel-
kratische Charakter. Die Gilde Ashbees
len können?“270
zeichnete sich durch eine „demokratisch-sozialistische Grundüberzeugung“ aus, die
Genauer gesagt heißt dies, dass der Maschine
durch die Selbstorganisation der Mitglieder
nicht mehr vollkommen ihre Qualitäten aber-
ihre praktische Prägung erfuhr.274 Dieser
kannt werden. Man spricht sich im eigenen
kooperativen Struktur folgend, verstand sich
Arbeiten jedoch gegen ihre Verwendung aus,
die Wiener Werkstätte als eine sich ergän-
schließt eine zukünftige Zusammenarbeit mit
zende Arbeitsgemeinschaft. Ein weiterer
den Worten „jetzt schon“ aber nicht katego-
prägnanter Unterschied zwischen der Guild
risch aus. Ebenso bezweckte Ashbee eine Wer-
of Handicraft und der Wiener Werkstätte ist
terhöhung des künstlerischen Gedankens und
der gewünschte Grad von Urbanisierung.
der handwerklichen Arbeit. Man strebte eine
Während die Guild of Handicraft bewusst
Gleichberechtigung des Kunsthandwerks mit
1902 von London nach Chipping Campden
den Kunstgattungen Malerei und Bildhauerei
in den Cotswolds umzog, um zum „simple
an. Zudem sollte die erzeugte Kunst für jeder-
life“ zurückzufinden,275 wäre es für die Wie-
mann bezahlbar sein.
ner Werkstätte undenkbar gewesen, sich
271
Steht Ashbees Vereinigung zwar als Vor-
räumlich von ihrer städtischen Kundschaft
bild für die von Koloman Moser und Josef
zu trennen. Im Sinne dieser Urbanitätsver-
Hoffmann gegründete Wiener Werkstätte fest,
wurzelung sind auch die Filialen der Wiener
unterscheidet sie sich von dieser aber in
Werkstätte in Marienbad, Karlsbad, Zürich,
einem entscheidenden Punkt: Die Guild of
Berlin und New York zu verstehen.276 Der
Handicraft war zunächst neben der produ-
Entwerfer sollte vom Wissen des Handwer-
zierenden Werkstätte ein Schulbetrieb, in
kers profitieren und der Handwerker wurde
dem es Lehrer und Schüler gab, vor allem
zum angesehenen Kunsthandwerker mit
aber fehlte die Organisation der Arbeitstei-
beratendem Einfluss auf den entwerfenden
lung. Der „Handwerker“ sollte alle Schritte
Künstler.277
des Entstehungsprozesses allein bewältigen.
Für Adolf Loos wiederum ist eine weitere
Die weiter oben beschriebene „Einheit
Adaption der Wertschätzung des Handwer-
von Entwurf und Ausführung“ bezog sich bei
kers zu konstatieren. Sein satirisches Mär-
Ashbee auf die einzelne Person, während die
chen Der Sattlermeister von 1903 schildert
Einheit der Wiener Werkstätte auf die gesam-
seine Einstellung zum Verhältnis von Hand-
te Institution erweitert angewendet wurde.
werker und Künstler. In dieser Satire erzählt
272
273
Loos von einem Sattlermeister, der sich an 270 Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905). 271 Schmuttermeier ²1985, S. 336. 272 Breuer 1994, S. 276f. 273 Vergleiche dazu Breuer 1998, S. 179f. Des Weiteren betont Breuer die Vorbildrolle der Guild of
Handicraft und deren Erzeugnisse für die Wiener Werkstätte. 274 Breuer 1994, S. 276. 275 Cumming und Kaplan 1991, S. 27f. 276 Vergleiche dazu Fahr-Becker 2003, S. 210–220. 277 Schweiger 1982, S. 30–35.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
einen Herrn Professor der Wiener Secession
Erfahrung für Funktion und Materialbehand-
wendet, um zu erfahren, ob seine Sättel
lung darstellt. Im Umkehrschluss lässt sich
„modern seien“. Loos kann an dieser Stelle
für Loos konstatieren, dass er für eine eigen-
eigentlich nur Josef Hoffmann, Koloman
ständige Arbeit des Handwerkers plädierte
Moser, Alfred Roller – allesamt Gründungs-
und wie Massimo Cacciari betont, einen
mitglieder der Wiener Secession – oder alle
„Fetisch der Phantasie des Künstlers“279 zu
zugleich meinen, die als Professoren an der
verhindern suchte.280 Wie Adolf Loos sich die
Wiener Kunstgewerbeschule unterrichteten.
Zusammenarbeit mit dem Handwerker vor-
Im Verlauf der Satire wird dem Sattlermeis-
stellte, lässt sich aber auch an seinem Nachruf
ter offeriert, dass seine Sättel eben nicht
auf den Möbelmacher Josef Veillich von 1929
modern seien und er wird auf den nächsten
ablesen. Er bezeichnet ihn als seinen „Mitar-
Tag vertröstet, an dem ihm Arbeiten der
beiter“ und seine Qualitäten verdeutlicht er
Schüler des Professors als Ideallösungen prä-
mithilfe seines Umganges mit dem Material
sentiert werden sollen. Das Märchen, das
Holz: „Wie war das Holz für jede Form des
mit dem Passus „ES WAR EINMAL“ begann,
Sessels ausgesucht! Die Bretter vom unteren
endet wie folgt:
Teil des Stammes bildeten die Rückfüße und die Jahresringe mußten sich genau der
„Am nächsten Tag kam der Sattlermeister
geschweiften Form anpassen.“281 Loos ver-
wieder. Der Professor konnte ihm 49 Ent-
stand den Handwerker somit im Sinne Ash-
würfe für Sättel vorweisen. Denn er hatte
bees als Entwerfenden und Ausführenden in
zwar nur 44 Schüler, aber 5 Entwürfe hat-
einer Person. Loos’ Leistung bestand darin,
te er selbst angefertigt. Die sollten ins ‚Stu-
jenen Handwerker mit seinem ihm eigenen
dio‘. Denn es steckte Stimmung in ihnen.
tradierten Können ausfindig zu machen und
Lange besah sich der Meister die Zeich-
mit Aufträgen an sich und sein Werk zu bin-
nungen und seine Augen wurden heller
den. Auch wenn Loos’ Verständnis des hand-
und heller. Dann sagte er: Herr Professor!
werklichen Gegenstandes nicht gleichzuset-
Wenn ich so wenig vom Reiten, vom Pfer-
zen ist mit der Benjamin’schen Auffassung
de, vom Leder und von der Arbeit verste-
vom Kunstwerk – gegen diesen Vergleich hät-
hen würde wie Sie, dann hätte ich auch
te sich Loos wohl vehement gewehrt, da er
Ihre Phantasie! Und lebt nun glücklich und
sich gegen das Kunsthandwerk stellte282 –,
zufrieden. Und macht Sättel. Moderne?
ermöglichen jedoch einige Beobachtungen
Er weiß es nicht. – Sättel.“278
zum Begriff der Aura bei Benjamin eine Klärung für die Anwendung von Handwerk bei
Deutlich wird, wie überspitzt Adolf Loos die
Loos. So stehen im Mittelpunkt der Aura-Ge-
Einstellung der Secession zum Handwerk als dem Ausführenden der künstlerischen Planung in seiner Diskrepanz von fehlender 278 Loos 2010 (1903.2), S. 297. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.
279 Cacciari 1995, S. 60. 280 Vergleiche zum Verhältnis von Handwerk und Kunst bei Adolf Loos Rukschcio und Schachel 1982, S. 115 und Russo 2008, S. 27–51. 281 Loos 2010 (1929), S. 701. 282 Dies belegt ein Zitat aus dem Nachruf auf Josef
119
120
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
nerierung eines Kunstwerks für Benjamin die
So betont Loos in seinem Nachruf auf Josef
Topoi „Echtheit“, „Einmaligkeit“ oder „Ein-
Veillich dessen Rolle als der des Handwer-
zigartigkeit“. Wobei damit eben nicht gemeint
kers, der ihm die Tradition des Chippendale-
ist, dass das Kunstwerk nur ein einziges Mal
Speisesessels sicherte.284 Mit dem Sesseltisch-
auf der Welt existieren muss, um eine Aura
ler stirbt für Loos auch das von ihm
im Auge des Betrachters erzeugen zu können,
Hergestellte – oder wie Loos es sachlich
sondern seine „Zeitmetaphorik“ spielt dabei
bezeichnet das „Ding“ – und er muss nach
eine entscheidende Rolle. So fasst Sven Fried-
Alternativen suchen; Loos entscheidet sich
rich treffend zusammen:
für den Thonet-Stuhl als Kompromiss.285 Der Handwerker ist für ihn nicht ersetzbar. Hand-
„Die scheinbar paradoxe Verbindung von
werker und Erzeugnis gehen für ihn eine Sym-
‚Einmaligkeit‘ und ‚Dauer‘ hat demnach
biose ein. So beschreibt Loos sentimentalisch
eine zweifache Bedeutung: einmal, als his-
die Erfahrung eines Besuchs der Werkstatt
torisch-materialistische Erklärung, bedeu-
Josef Veillichs und evoziert beim Leser den
tet sie die Abhängigkeit des Traditionsbe-
Eindruck einer rituellen Weihe der Loos’schen
wusstseins von der Identität der Sache: sie
Kunden durch den Besuch beim Handwerker:
wird in ihrer Existenz durch die geschichtlichen Zeitläufe (Dauer) hindurch verortet.
„Sechsundsiebzig Jahre ist er alt geworden,
Die verbürgte, historisch tradierte Überlie-
sagt die Parte. Bis zum Tage, an dem er sich
ferung deutet zurück auf ein so bestimm-
zu Bett gelegt, hat er allein in der großen
bares Unikat, in dem Einmaligkeit und Dau-
Werkstatt gearbeitet, allein den ganzen Tag
er aufeinander beruhen. Andererseits zeigt
geschuftet und gedacht. die (sic!) besten Ses-
sich im Bereich der ästhetischen Erfahrung
sel zu liefern für Leute, die keine Ahnung da-
das Paradox des erfüllten Augenblicks an:
von haben konnten, welche Schätze sie für
‚Einmaligkeit ist das Ereignis des ästheti-
billiges Geld erhielten. Einen besseren Dienst
schen Erlebens vorab durch die Lokalisie-
dafür, daß sie mir Arbeit gegeben haben, habe
rung im Kontinuum erlebter Zeit, durch die
ich meinen wenigen Kunden nicht erweisen
es in seiner unwiederbringlichen Vergäng-
können, als sie zu Veillich zu führen. Ihre
lichkeit gerade keine Dauer haben kann.
Enkel werden noch einmal dankbar geden-
Doch wird der Augenblick der Erfüllung
ken. Aber die Besteller haben einen unver-
wie ein Stillstand erfahren.‘“
geßlichen Eindruck. Der taube Meister allein
283
in der großen Werkstatt. Die treue Gattin, die jedes Wort vermittelt. Goldene Hochzeiter. Philemon und Baucis. Und mit nassen Veillich: „Es wird erst anders werden, wenn die Menschen rein und klar zwischen Kunst und Handwerk unterscheiden werden, wenn die Hochstapler und Barbaren aus dem Tempel der Kunst vertrieben werden. Mit einem Wort, wenn meine Aufgabe erfüllt sein wird.“ (Loos 2010 (1929), S. 697.) 283 Friedrich 1996, S. 22.
Augen betrat man wieder die Straße.“286
284 Loos 2010 (1929), S. 697–702. 285 Loos 2010 (1929), S. 701f. 286 Loos 2010 (1929), S. 701. Hervorhebungen im
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
Durch diese verschränkende Wahrnehmung
ends falsch verstanden hätten; das heißt sei-
von Person und Gegenstand und dessen Rele-
ner Definition von Stimmung nicht folgten.
vanz für die Verdeutlichung von Dauer oder
Loos selbst sprach davon, dass es die Auf-
gerade deren Verlust wird jene „erlebte Zeit“,
gabe des Architekten sei „Stimmungen fest-
wie sie weiter oben für Benjamins Aurabe-
zuhalten“.289 Demnach kann der Gebrauch
griff definiert wurde, offensichtlich. Der
des Wortes Stimmung an sich nicht als Her-
Besuch des Handwerkers in dessen Werk-
absetzungskriterium der Arbeiten der Seces-
stätte wird zum Initiationsritus der Loos’
sion verstanden werden. Dieses zu beob-
schen Kundschaft; ähnlich wie weiter oben
achtende Phänomen einer Aporie von
bereits für die Eingangssituationen der Villa
identischen Vorbildern und Verehrung der
Karma und des Palais Stoclet schon beob-
gleichen zeitgenössischen Entwicklungen
achtet wurde, dient die Werkstatt mit ihren
kombiniert mit einer unterschiedlich nuan-
Bewohnern als transitorische Passage, die
cierten Interpretation in den Arbeiten
einen symbolischen Zugang zu Loos’ Kultur-
Hoffmanns und Loos’ soll im Folgenden
verständnis ermöglicht.
nochmals am Begriff der simplicity verdeut-
287
Des Weiteren setzt Loos – auf seine Kri-
licht werden.
tik Der Sattlermeister zurückkommend –
„Jeder ist ein Nachahmer, aber jeder hat
jene von ihm gezeichnete secessionistische
seine eigenen Regeln.“290 Diese Beschreibung
Behandlung des handwerklichen Gegen-
Mignots für die Architekten zur Zeit des His-
standes in Zusammenhang mit der Zeit-
torismus könnte man ebenso auf Josef Hoff-
schrift The Studio und dem Stimmungsbe-
mann und Adolf Loos als Repräsentanten der
griff. Es ist nicht zu eruieren, ob sich an
darauf folgenden Architektengeneration bezie-
dieser Stelle die Gereiztheit Adolf Loos’ dar-
hen. Beide Architekten sind noch stark in den
über Bahn bricht, dass über die Unterneh-
Prinzipien des Historismus verhaftet. In bei-
mungen der Secession sehr breit in jener
den Œuvres lassen sich im ersten Jahrzehnt
Zeitschrift berichtet wurde.288 Eines jedoch
des 20. Jahrhunderts deutlich eklektizistische
wird gewiss deutlich: Loos ist der Ansicht,
Architekturzitate entdecken. Die gleichen Vor-
dass die Secessionisten und damit eben auch
bilder führten zum Teil sogar zu ähnlichen
Josef Hoffmann den Stimmungsbegriff voll-
formalen Lösungen, wobei die Motivation beziehungsweise die Haltung, die sich über
287
288
Text stammen von der Autorin dieser Arbeit. Des Weiteren ist festzuhalten, dass Ernst Bloch bereits 1927, also zwei Jahre vor dem Nachruf auf Josef Veillich, von einer „Aura antiker Möbel“ sprach und diese in den Zusammenhang einer „versunkenen Kultur“ stellte. (Friedrich 1996, S. 25.) Als Beispiel soll an dieser Stelle das Spezialheft von 1906 der Zeitschrift The Studio hervorgehoben werden. Es widmete sich unter dem Titel The Art-Revival in Austria vor allem den Arbeiten Josef Hoffmanns und Koloman Mosers. Eine Vielzahl an Fotografien des Sanatoriums Purkersdorf dominiert das Heft. (The Studio 1906)
jene Architekturen und Einrichtungen transportiert, doch unterschiedliche Schwerpunktlegungen verfolgt. Christopher Long beobachtet dieses Phänomen in Anbetracht der Biedermeierbezüge bei Loos und Hoffmann:
289 Loos 2010 (1910.5), S. 403. 290 Mignot 1983, S. 100.
121
122
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
„What set Loos apart from his contempo-
„ETWAS UNPRAKTISCHES KANN
raries was not so much the specific look
NICHT SCHÖN SEIN.“294
of his designs, the formal differences between many of his Biedermeier-influenced works and those of Hoffmann are not as large as one might first assume – but his steadfast commitment to a rigorous process of sorting. Loos’s rejection of the imperatives of artistic invention led him on another course: to retain consciously as
„Bedürfnis, Zweck, Konstruktion und Schönheitssinn sind daher die Urkeime des baukünstlerischen Lebens. In einem Begriffe vereint bilden sie eine Art ‚Notwendigkeit‘ beim Entstehen und Sein jedes Kunstwerkes, dies der Sinn der Worte: ‚ARTIS SOLA DOMINA NECESSITAS‘.“295
much of the knowledge of the old masters
„Wir gehen vom Zweck aus, die Ge-
as possible. He never shed his conviction
brauchsfähigkeit ist unsere erste Bedin-
that design was an evolutionary process
gung, unsere Stärke soll in guten Verhält-
– that the modern designer could only find
nissen und in guter Materialbehandlung
a modern style through the refinement of
bestehen.“296
what had come before. His understanding of the trajectory of the recent culture led
Jenes Idiom der ‚simplicity‘ verwendet Mor-
him to believe that simplicity and practi-
ris jedoch in zweifacher Hinsicht. Zum einen
cality were the dominant trends of the
ist es „Leitziel praktisch-formaler Gestal-
new age, and that the role of the architect
tung“, und zum anderen gestaltet es sich zu
was to sift through and reprocess the
einem lebensanschaulichen Begriff. Als Ide-
forms of the past.”291
al der „Genügsamkeit“ sollte sie zu einer „ethischen Lebensführung“ motivieren, die
Bemerkenswerterweise stand bereits das Red
sich den Idealen von „Beschränkung, Ver-
House, das in Zusammenarbeit von William
zicht und Opferbereitschaft“ verschrieb.297
Morris mit Philipp Webb und Edward
An dieser Stelle kann man auch Bezüge zu
Burne-Jones 1859 entstand, unter Morris’
Loos’ Vortrag Die moderne Siedlung von
Leitspruch und Schaffensmotto der ‚simplic-
1927 herstellen. Hier formuliert Loos eine
ity‘
sozial begründete Gesellschaftsstruktur:
292
: „nothing can be a work of art which
is not useful“.293 Dieses Motto findet sich nun zum einen bei Otto Wagner und zum ande-
„Ich habe daher als Chefarchitekt des
ren im Arbeitsprogramm der Wiener Werk-
Siedlungsamts der Stadt Wien die Forde-
stätte wieder:
rung aufgestellt, daß nur derjenige ein Haus besitzen darf, der Jahre hindurch ge-
291 Long 2010, S. 139. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit. 292 Breuer 1998, S. 29f. 293 Wagemann 1994, S. 112.
294 Wagner 2008, S. 58. 295 Wagner 2008, S. 78. 296 Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905). 297 Breuer 1998, S. 30 und S. 100.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
zeigt hat, daß er imstande ist, einen Gar-
„The bathroom has become increasingly
ten zu bebauen. […] Wer aber freiwillig
important. It is impossible to do without
über den Achtstundentag hinaus sich ver-
it, and for various reasons it is desirable to
pflichtet, Nahrung zu schaffen dem soll
allow it ample space. It is used not only for
die Möglichkeit geboten werden, sich ein
washing and bathing, but for gymnastics
Haus zu errichten.“
and massage and all sorts of exercises.“300
298
Offensichtlich wird, dass Loos nun in kon-
Das Bad der Villa Karma ermöglicht eine
sequenterer Art und Weise jenes Morris’sche
ähnlich gesellige Nutzungssituation, wenn
Ideal der ‚simplicity‘ aufgreift und demnach
man bedenkt, dass zwei Badewannen dem
weiterhin auch in den 1920er-Jahren seinem
Ehepaar Beer die gleichzeitige Körperpflege
englischen Ideal treu bleibt. Dies wird zusätz-
ermöglichten. Auch wenn die beiden Bäder
lich deutlich, wenn man Gerda Breuers
allein schon aufgrund der verwendeten Mate-
Äußerungen zu Morris Grundsätzen in Bezug
rialien eine deutlich luxuriöse Pracht vermit-
auf den Garten liest: „Einfachheit und Aske-
teln, kommt hinzu, dass beide Bäder gerade
se, Arbeit in natürlicher Gemeinschaft
durch ihre Materialität ein steriles Umfeld
Gleichwertiger, Abwechslungsreichtum mit
suggerieren. Glatte und großformatig verklei-
Bescheidung auf das Wesentliche“. Hinzu
dete Flächen geben den Räumen Ruhe und
kommt aber, dass dies für Morris sowohl für
damit indirekt eine ästhetische „Genügsam-
den „Palast“ als auch für die „Hütte“ galt.299
keit“ in Bezug auf die Reduktion der Einzel-
Inwiefern diese Leitsprüche an Gültigkeit
formen im Raum. Wie sehr zum Beispiel Josef
für die Villa Karma und das Palais Stoclet
Hoffmanns Einrichtungen von englischer Sei-
zu verstehen sind, soll nun anhand der
te aus als jene ‚simplicity‘ angemessen erfül-
Bäderausstattungen
lend betrachtet wurden, zeigt ein Zitat aus
der
Villa
Karma
(Abb. 17) und des Palais Stoclet (Abb. 29)
der Zeitschrift The Studio von 1901:
kurz exemplarisch überprüft und somit ihre Tragfähigkeit beziehungsweise Umsetzung
“Also worthy of high praise is the
in die Praxis erläutert werden.
dining-room, by M. Anton Pospischil, of
Beide Bäder gehen weit über einen am
Vienna, from plans by Professor J.
Gebrauch orientierten Zweckanspruch hin-
Hoffmann. Here the influence is English,
aus. Es sind großzügige Räume, die zum Ver-
but, that appart, there is abundant eviden-
weilen einladen. Das Bad des Palais Stoclet
ce that this is the work of a decorater
bietet hierzu sogar eine gepolsterte Liege,
strongly inclined towards simplicity and
die im Zusammenhang mit der Badewanne
comfort.”301
eine regelrechte Sitzgruppe bildet. Daher definierte Hoffmann noch 1929 die Rolle des Badezimmers wie folgt: 298 Loos 2010 (1927), S. 637–643. 299 Breuer 1998, S. 31.
300 Hoffmann 1929, S. 487. 301 Mourey 1901, S. 118–120. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit. Das betreffende Speisezimmer der Firma Anton Pospischil, das auf der Pariser Weltausstellung 1900 präsentiert wurde, findet sich in der Monografie
123
124
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Wie grundlegend Adolf Loos für sanitäre Räumlichkeiten wiederum die englische Kultur als führend ansah, beweist sein Artikel Die Plumber von 1898.302 Loos verbindet mit den Installationen des Klempners auch eine englische Lebensart; nämlich jene, die sich nicht davor scheut, Aktivitäten zu unternehmen, bei denen man Gefahr läuft, schmutzig zu werden: „Die Angst vor dem Schmutzigwerden kennt der Engländer nicht. Er geht in den Stall, streichelt sein Pferd, setzt sich darauf und fliegt über die weite Heide. Der Engländer macht Alles selbst, er jagt, steigt auf die Berge und sägt Bäume.“303 Loos malt im Gegenzug zum Österreicher das überzeichnete Bild eines freieren und autarkeren Engländers, der eine weit höhere
Abb. 32: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Vestibül, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren
Beziehung zur Natur vorweist und dies allein durch die ihm zur Verfügung stehenden sani-
Auffällig bleibt jedoch die Deckengestal-
tären Anlagen. Damit ist allein schon die
tung des Badezimmers der Villa Karma
akzentuierte Gestaltung eines Bades im Gefü-
(Abb. 17). Mit seiner Tonnenwölbung erin-
ge eines Gebäudes eine Hinwendung zu einer
nert jene Lösung vielmehr an die Formen-
an ‚simplicity‘ orientierten Lebensauffassung.
sprache Josef Hoffmanns, wie zum Beispiel
Der Zug zur Einfachheit im Werk Loos’ wird
ein Vergleich mit dem Vestibül des Palais
auch als Hang zur Enthaltsamkeit verstan-
Stoclet verdeutlicht (Abb. 32). An dieser Stel-
den – zum Beispiel im Sinne eines Verzichts
le zeigt sich, dass Hugo Ehrlich sich mögli-
auf das Ornament. Daher wird gerne auch
cherweise nicht alleine an den Vorarbeiten
die Parallele zu den Möbeln der Shaker für
Loos’ für die Villa Karma für seine Weiter-
Adolf Loos’ Arbeit gezogen.304
führung orientierte, sondern vermutlich auch die Arbeiten Hoffmanns und der Wiener Werkstätte kannte und rezipierte. Den Einflusskreis der „Arts and Crafts“-Be-
Seklers im Werkverzeichnis unter der Nummer WV 37. (Sekler ²1986, S. 260f.) 302 Loos 2010 (1898.2), S. 104–111. 303 Loos 2010 (1898.2), S. 106. 304 Vergleiche dazu Rukschcio 1985, S. 63 und Opel 2010, S. XVf.
wegung erweiternd, ist sich die Fachliteratur nicht völlig einig über die Wirkung der Werke Mackintoshs auf das Schaffen Hoffmanns. Der Großteil der Literatur geht von einer
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
einseitig konzipierten Vorbildrolle Englands
Entwicklungen auf, indem er die Quelle für
und Schottlands für Wien aus. So heißt es
seine geometrisch begründete Weltordnung
zum Beispiel im Ausstellungskatalog Traum
im englischen Biedermeier verortete.310
und Wirklichkeit, Hoffmann sei von Mackin-
Auch Werner Schweiger sieht in der
tosh zu seinem „Quadratl-Stil“ beeinflusst
Zusammenarbeit von Entwerfer und Ausfüh-
worden.305 Roger Billcliffe spricht sogar
rendem im Rahmen der Wiener Werkstätte
davon, dass Mackintosh, wenn überhaupt,
die Begründung für einen Stil- und Form-
dann in Wien so etwas wie eine Schule grün-
wandel.311 Das englische Vorbild der Institu-
dete. Dem entgegengesetzt behauptet Billclif-
tion Werkstätte an sich bleibt, jedoch gewinnt
fe jedoch auch, dass Mackintosh ebenso von
die Wiener Werkstätte von dieser Warte aus
seinen Wiener Kollegen zu den streng geo-
einen eigenständigeren Charakter. Abermals
metrischen Formen geführt worden sein
lässt sich eine Übernahme von Idealen beob-
könnte.
Elisabeth Schmuttermeier skizziert
achten, aber den Forderungen der Bewegung
die Entwicklung, dass die Forschung in den
entsprechend strebte man einen eigenen
letzten Jahren eher dazu neigt, von einer
Lösungsweg an. Dieser Ansicht folgend
unabhängig voneinander vollzogenen, den-
spricht Kirk Varnedoe zwar von einer unbe-
noch ähnlichen Lösungsfindung Mackintoshs
streitbaren Einflussnahme Ashbees und
und Hoffmanns zu sprechen.307 Fakt bleibt,
Mackintoshs auf die Wiener Werkstätte, sieht
dass beide Künstler in etwa dem identischen
aber in den Arbeiten der gemeinsamen Pha-
Zeitraum mit einem sich stark ähnelnden
se Hoffmanns und Mosers in der Wiener
Formenkanon experimentierten. Günther
Werkstätte eine deutliche Steigerung der
Feuerstein benennt dieses Faktum als Paral-
Klarheit der Kunsterzeugnisse.312 Neben die-
lelen zwischen Mackintosh und den Arbei-
sen ästhetisch formalen Bezügen sind es
ten der Wiener Werkstätte.308 Die Betonung
jedoch gerade die emotionalen Aspekte wie
liegt auf „Parallele“, die eine Gleichzeitigkeit
die Handwerks- und Künstlergemeinschaft
und Verwandtschaft vermittelt, aber keine
sowie die lebensreformerische Vorstellung
deutliche Vorreiterrolle suggeriert. Neben
von ‚simplicity‘, an die die Einrichtungen
Mackintosh war es zum Beispiel auch Ash-
Loos und Hoffmanns anknüpfen können;
bees ausgestelltes Œuvre, das Hevesi dazu
gerade weil über diese Konzepte die Entitä-
bewegte, die Metapher des „viereckigen Pla-
ten ‚Mensch‘ und ‚Ding‘ wahrnehmungspsy-
neten“ zu verwenden.
Ebenso zeigte bereits
chologisch miteinander verschränkt werden.
Hevesi die Parallele Ashbees zu den Wiener
Zu einer direkten Zusammenführung der
306
309
Werke von Mackintosh und Hoffmann kam 305 Schmuttermeier ²1985, S. 337 und Waissenberger ²1985.2, S. 467f. Dieser Einschätzung folgt der schottische Ausstellungskatalog von Peter Vergo. (Vergo ²1984, S. 45.) 306 Billcliffe 1994, S. 195–198. 307 Schmuttermeier 1996, S. 192 und Schmuttermeier 2010, S. 123f. 308 Feuerstein 1964, S. 178. 309 Ludwig Hevesi zitiert nach Schweiger 1982, S. 17.
es 1902, noch vor dem Beginn der Bauten am Palais Stoclet oder am Sanatorium
310 Schweiger 1982, S. 17 und Auer und Klee 2011, S. 160. 311 Schweiger 1982, S. 19f. 312 Varnedoe 1993, S. 83.
125
126
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
P urkersdorf, als Fritz Wärndorfer, der spä-
Oscar Wilde und des Flaneurs nach Charles
tere Mäzen der Wiener Werkstätte, sich sei-
Baudelaire umschrieben haben. Alessandra
ne Wohnung von beiden Künstlern einrich-
Muntoni geht ebenso davon aus, dass beim
ten ließ.
Mackintosh hatte Wärndorfer
Garten des Palais Stoclet die Ästhetik der
seine Skizzen für einen Musiksalon zuge-
Lüge („l’Estetica della Menzogna“) von
sandt. Wärndorfer bat Hoffmann, ihm bei
Oscar Wilde zum Tragen komme. So sieht
der Auslegung der Skizzen und Ausführung
sie in den Äußerungen des Artikels Ansich-
der Möbel zu helfen.
313
Hierfür sprach zum
ten. Naturalismus und Stil von Franz Lebisch
einen die derzeitige Arbeit Hoffmanns am
in der Zeitschrift Hohe Warte, die im selben
Herren- und Speisezimmer Wärndorfers, aber
Jahrgang auch einen Artikel zu Oscar Wilde
vor allem wohl die Ebenbürtigkeit der b eiden
veröffentlichte, ein Indiz für ihre These gege-
Künstler.315 Als Ziel der Unternehmungen
ben.317 Der relevante Abschnitt, auf den Mun-
Wärndorfers stand laut Elana Shapira eine
toni sich bezieht, lautet:
314
Neuerfindung seiner Person im Mittelpunkt: „GARTENKUNST: Sie ist die augenfäl“[…] Waerndorfer wanted to change first
ligste und glücklichste Negation der will-
himself and then his surroundings through
kürlichen Natur. Der naturalistische Gar-
his support of a new artistic design. In
ten, der die willkürliche Natur im kleinen
other words, his enthusiasm as a patron
Rahmen nachahmen will, bleibt stets eine
of art, applied arts and cabaret was moti-
klägliche Karikatur. Die Kunst will auch
vated by the idea of reinventing himself
im Garten einen Gegensatz zur Natur
through a constant and lively dialogue
schaffen. Sie verwendet die Pflanzen nach
with the art scene as well as through pos-
dem architektonischen Prinzip, das den
session of beautiful artifacts.”316
Ausdruck der menschlichen Illusion festigt. Sie gibt Bäumen und Büschen die Ge-
Ebenso spricht Shapira von einer dandyhaf-
stalt von Kugeln, Kegeln und Würfeln als
ten Haltung Wärndorfers, der darauf erpicht
Architekturbestandteilen, bildet aus Pflan-
war, ein „theatrical artistic spectacle“ um
zenwuchs gründämmerige Wände und Ni-
sich herum zu errichten. Als Quelle für ihre
schen, die sie mit dem Lächeln der Fau-
These bezieht sie sich unter anderem auf
ne, der Kühnheit der Heroen und der
Baroni und D’Auria, die den potenziellen
Melodie der Brunnen erfüllt.“318
Kunden Josef Hoffmanns bereits als einen entfernten Verwandten des Dandys nach
Typisch wären für den Hoffmann’schen Kunden daher das eigene Unterwerfen für die
313 Prokop 2003, S. 300. Vergleiche dazu Shapira 2006, S. 52–92. 314 Schweiger 1982, S. 23. 315 Shapira widmet sich in ihrer Dissertation in einem ausführlichen Kapitel dieser Einrichtung. (Shapira 2004, S. 163–205.) 316 Shapira 2004, S. 174.
Kunst und die distanzierte Beobachtung der Realität.319 Jener Aspekt, dass der Kunde sich 317 Muntoni 1989, S. 19 und S. 133. 318 Lebisch 1905/1906, S. 191. 319 Shapira 2004, S. 177.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
mit literarischen Figuren im Sinne von Rol-
de Architektonik. Die Gerade, besonders
lenmodellen identifiziert, ist als eine zentra-
die Senkrechte, ist zum Prinzip erhoben
le These dieser Arbeit zu definieren, die bei
und reckt sich hoch heraus, dass sie fast
der Analyse des Michaelerhauses noch unter-
geisterhaft wirkt.“323
mauert wird. Deutlich wird dadurch insbesondere die emotional aufgeladene Bezie-
Der Charakter der Kunst Josef Hoffmanns
hung von Mensch und Architektur.
lässt sich zumindest um die Zeit der Erbau-
Desgleichen wird überliefert, dass Josef
ung des Palais Stoclet (Abb. 2) und des Sana-
Hoffmann 1902 Mackintosh in Glasgow
toriums Purkersdorf (Abb. 3) einer ähnlichen
besuchte.320 Josef Hoffmann reiste zusammen
Strenge zuordnen, die zum einem in dem
mit Myrbach für zwei Wochen im Dezember
Grundgedanken des Gesamtkunstwerkes
nach England und verbrachte zwei Tage die-
ruht und zum anderen auf sein geometrisches
ser Reise bei Mackintosh in Schottland.
Ornament des Quadrats zurückzuführen ist.
321
Diese persönliche Bekanntschaft fand nach der künstlerischen Zusammenführung in den
Thomas Bremer erörtert in seinem Arti-
Räumlichkeiten der Wohnung Wärndorfers
kel in den Ästhetischen Grundbegriffen,
statt. Hoffmann besuchte auch – seiner schon
dass der Begriff Charakter immer stark als
1900 formulierten Intention folgend – die
Vergegenwärtigung von Individualität auf
Werkstätten Ashbees.
Weitere Ähnlichkei-
der Basis einer „Affektkonstanten“ ver-
ten im Denken Mackintoshs und Hoffmanns
standen wurde. Des Weiteren betont Bre-
werden deutlich, wenn man den Ausführun-
mer die Rolle des Wortes für die Musik-
gen Hermann Muthesius’ zu Mackintosh und
und Architekturästhetik im 18. und 19.
der Schule von Glasgow folgt:
Jahrhundert und konstatiert, dass bis in
322
die 1780er-Jahre die Begriffe Charakter „Unsere dekorative Kunst der letzten Jahr-
und Affekt „weitgehend austauschbare“
zehnte war in ihrer Zersplitterung, in der
waren. Bereits 1785 wurde durch die Ver-
Vielheit und dabei Verschwommenheit ih-
öffentlichung Untersuchungen über den
rer Ziele verworren und karakterlos. Dies
Charakter der Gebäude; über die Verbin-
rief nach den Gesetzen der Wechselwir-
dung der Baukunst mit den schönen
kung das Bestreben wach, eine höchst
Künsten und über die Wirkung, welche
straffe, beschränkt-einheitliche, herb-stren-
durch dieselben hervorgebracht werden
ge Kunst zu entwickeln. Sie tauchte an
sollen ein wirkungsästhetischer Ansatz
verschiedenen Orten gleichzeitig auf. Und
zur Interpretation des Charakters von Ar-
so haben wir auch in dieser Glasgower
chitektur vorgelegt. So findet sich dort die
Formenwelt plötzlich fast ein Übermaß
Definition: „Die Eigenschaft eines Gebäu-
von Karakter, eine fast drückend wirken-
des, wodurch es eine merkliche Wirkung auf unser Herz thut, nenne ich seinen
320 Ohne Autor 2005 Broschüre. 321 Schweiger 1982, S. 22f. 322 Schweiger 1990, S. 5.
323
Hermann Muthesius zitiert nach Fuchs 1902, S. 579.
127
128
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Charakter“.324 Im 20. Jahrhundert erhält
eine „eigene Symbolsprache“ inhärent sei.
sich der Charakterbegriff über seine um-
Als die ihm typische Praxis beschreibt Billclif-
gangssprachliche Dimension hinaus nur
fe, dass Mackintosh Möbel speziell für Räum-
in wenigen Bereichen. Karl Marx prägt
lichkeiten entwarf und sie, daher in einen
zum Beispiel den Begriff der „Charakter-
anderen Kontext versetzt, an Wirkung ver-
maske“. Freud nutzt den Begriff hingegen
lieren oder zumindest Modifikationen ver-
nur noch sehr marginal in der Traumdeu-
langten. Er zeichnet das Bild einer geschlos-
tung aus dem Jahr 1900 und in Charakter
senen Kunstwelt für die Arbeiten Mackintoshs
und Analerotik von 1908.325
und sieht gerade darin den Grund für seinen Erfolg beim Wiener Publikum der 8. Seces-
In Hinblick auf diese Begriffsgenese erscheint
sionsausstellung.327
Muthesius’ wiederholte Nennung von „Karak-
Die Autoren, die sich für eine Vorbildrol-
ter“ und dessen Verquickung mit einem wir-
le Mackintoshs für Wien aussprechen, sehen
kungsästhetischen Eindruck jedoch nicht
in seinem Entwurf Haus eines Kunstfreun-
mehr beliebig, sondern wohl gesetzt. So
des von 1901 einen Vorläufer des Palais
schreibt Sekler beim Palais Stoclet zum Bei-
Stoclet.328 Diese Meinung trifft in Bezug auf
spiel von einem „Gefühl, daß statische Ele-
die Formulierung des Wettbewerbstitels zu.
mente additiv aneinandergefügt worden“
Sie ähnelt dem realen Auftrag Hoffmanns
wären und sieht in der „Hinwendung zu geo-
für das Palais Stoclet: Ideen-Wettbewerb für
metrischen Elementarformen“ – wie dem
ein herrschaftliches Wohnhaus eines Kunst-
Quadrat oder dem sich daraus dreidimensi-
freundes.329 Weitere Parallelen sind die Beto-
onal entwickelnden Würfel – eine „Richtungs-
nung der Fläche, der Blockcharakter und
losigkeit“ und daher eine „nicht dynamisch“
die Erschließung der Innenräume über eine
wirkende Expression gegeben, die ihrerseits
hohe Halle, die im ersten Stock von einer
wiederum zu einer „Negierung des tektoni-
Empore umschlossen ist.330 Der entschei-
schen Ausdrucks“ am Palais Stoclet führe.326
dende Unterschied zwischen dem Entwurf
Mackintoshs „Kunstcharakter“ wird von
Mackintoshs und dem ausgeführten Bau
Roger Billcliffe umschrieben als eine „Vor-
Hoffmanns ist das Verhältnis von Fläche
stellungswelt“, die auf „emotionalen und
und Rahmung und der damit verbundenen
ästhetischen Reizen“ basiere, und Mackin-
Metapher eines Schmuckkästchens für das
tosh schuf auf der Basis jenes Charakters
Palais Stoclet. Mackintoshs Skizze ver
Möbelformen, die nicht etwa an überlieferte
anschaulicht einen abwechslungsreichen
Formensprachen erinnerten, sondern denen
Hauskörper, der von der Wandfläche bestimmt wird, präsentiert aber auf gar
324
Hier zitiert nach Thomas Bremer: Charakter / charakteristisch, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 1 (2010), S. 790. 325 Bremer, Thomas: Charakter / charakteristisch, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 1 (2010), S. 772–794. 326 Sekler ²1986, S. 83f.
327 Billcliffe 1994, S. 178–198. 328 Baroni und D’Auria 1984, S. 67 und Kurrent 1991, S. 14f. 329 Kurrent 1991, S. 14f. Vergleiche dazu Schorske 1985, S. 52f. 330 Sperlich 1959, S. 52f.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
keinen Fall eine Vorlage für die atektonisch
Wohnhaus eines Kunstfreundes von 1900
anmutende Fassade Hoffmanns (Abb. 2 und
mit dem Palais Stoclet von Hoffmann ein:
22).331 In der umfangreichen Monografie Seklers zu Hoffmanns Werk schreibt er zum
„Es [das Palais Stoclet; LT] setzt Hoff-
Vergleich von Mackintoshs Entwurf mit dem
manns und Mackintosh Thema der klein-
Palais Stoclet:
teiligen, in glatte weiße Wände eingesetzten Fenster fort. Doch die Wandflächen
„Wo der Schotte seine Oberflächen als mo-
bestehen aus hellgrauen gesägten norwe-
dellierte Begrenzungen von skulptierten
gischen Marmorplatten und nicht aus ein-
Baukörpern behandelt, in die Öffnungen
fachem schottischem Rauhputz, und die
eingeschnitten sind, gestaltet Hoffmann
Bauteile sind durch vergoldete Metallpro-
die seinen als klar definierte, eingerahm-
file zusammengehalten, die jede Kante der
te Flächen, die jeweils ein Eigendasein
Gebäudesilhouette umlaufen. Die regel-
führen und die Plastizität der Volumina
mäßigen vertikalen Fenster des Haupt-
überhaupt nicht betonen. Was sein Leh-
blocks vermitteln den Eindruck, daß das
rer Otto Wagner als eines der Leitmotive
Palais Stoclet im Grunde ein klassizisti-
einer neuen Architektur postuliert hatte,
sches Gebäude ist, eher unfreiwillig zu-
‚die tafelförmige Durchbildung der Flä-
sammengefügt und ausgeschnitten und
che‘, wird hier erfüllt. Ein zweiter wesent-
nicht aus dem Zusammentreffen der in-
licher Unterschied, den der Vergleich auf-
neren Funktionen entstanden, wie es Ma-
zeigt, betrifft die Kompositionsweise; wo
ckintosh bei seinem Haus eines Kunst-
Mackintosh die lose Gruppierung pracht-
freundes so schön zum Ausdruck brachte.
voll modellierter Baukörper vorzieht, die
Der Grundriß hat einige Ähnlichkeiten
eine Erbschaft der Arts and Crafts-Bewe-
mit dem Mackintoshs. […] Raffinement
gung und des Interesses an mittelalterli-
und feingliedrige Formen herrschen vor,
chen Bauten ist, behält der Wiener die
ähnlich wie bei Mackintosh, doch ohne
ordnende Axialität der klassischen Ent-
seine Kurven, Verjüngungen und witzigen
wurfsmethodik bei.“332
Einfälle. Möbel und Wandflächen sind von Hoffmanns Vorliebe für die Rechtwinklig-
Auf Sekler verweisend spricht auch Kenneth
keit geprägt, mit Ausnahme des Speise-
Frampton beim Palais Stoclet von einer
zimmers, das durch die komplexe Geome-
grundlegend atektonischen Anlegung.333 Peter
trie und die starken Farben zweier
Davey, der deutlich von einer Vorbildrolle
Mosaike von Gustav Klimt, ebenfalls
Mackintoshs für die Wiener Werkstätte aus-
Secessionist, belebt wird.“334
geht, schränkt jedoch den Vergleich von Mackintoshs Entwurf für Ein herrschaftliches
Auch wenn Daveys Darstellung teilweise einseitig orientiert ausfällt, ist es doch bemer-
331 Sekler 1970, S. 41f. 332 Sekler ²1986, S. 85. 333 Vergleiche dazu Frampton 2010, S. 77f.
334 Davey 1996, S. 235f.
129
130
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
kenswert, dass er gerade in der Hoff-
nen Profile, die sich wie Nähte um die Kan-
mann’schen „Vorliebe für Rechtwinkligkeit“
ten der Wände legen und die dahinter
eine Unterscheidung zu Mackintoshs Arbei-
befindliche Massivbauweise verschleiern
ten erkennt.
(Abb. 2 und 22). Die Assoziation mit Näh-
Friedrich Kurrent spricht vom Palais
ten entsteht vor allem dadurch, dass Hoff-
Stoclet auch als dem „Schrein von Brüs-
mann die Kantenbereiche, an denen sich
sel“.335 So heißt es weiterhin bei Kurrent:
zwei Flächen treffen und zum Teil auch überschneiden, durch lineare Ornamentmotive
„In sich ruhend, nobel und vornehm ist
überlagert. Ähnlich wie Bordüren legen sich
seine Erscheinung und unwillkürlich denkt
die Profile als Besatz auf die Wandränder
man an den Entwerfer des Hauses, Josef
und führen damit den massiven Charakter
Hoffmann, der nach meiner Erinnerung im
eines Gebäudes ad absurdum.338 Sekler for-
hohen Alter eine ähnliche Ausstrahlung
muliert beim Turm den Eindruck, dass „die-
vornehmer Zurückhaltung hinterließ.“336
se Randprofile wie Kaskaden herabzuströmen“ scheinen und dies entstehe vor allem
Jene Metapher eines breitgelagerten, daher
dadurch, dass die Profile die einzelnen „Fas-
ruhenden Kastens oder Schreins, der zur
sadenflächen“ regelrecht räumlich plastisch
Aufbewahrung von Kostbarkeiten dient und
umfangen.339 Jenes Konzentrieren auf Lini-
damit im übertragenen Sinn zum Schmuck-
en, die wiederum die dazwischen liegenden
kästchen wird, ist natürlich sprechend für
Wände zu Flächen reduzieren, könnte man
das Palais Stoclet, das auch die umfangrei-
in Bezug auf die Arbeiten Mackintoshs set-
che Kunstsammlung des Ehepaares Stoclet
zen. Rainald Franz sieht zumindest in der
beherbergte. Der Eindruck eines Schreins
Entwicklung Hoffmanns zum „Linienkünst-
entsteht aber nicht nur – wie schon öfters
ler“ eine starke Beeinflussung durch Ashbee
in der Forschung erörtert wurde – durch die
und Mackintosh gegeben. Jenes dadurch
Aufstellung von Kunstwerken im Gebäude
motivierte „flächengeometrische Entwurfs-
und dessen Umfeld, sondern auch durch die
system“, bei dem Hoffmann mithilfe von
Verschalung des Palais Stoclet und demnach
„Leisten“ und „Rahmen“ „betonte Flächen“
bereits durch die Gestaltung des Gebäudes
schuf, ist seiner Ansicht nach auf den For-
an sich. Der Rohbau aus Ziegelmauerwerk
menkanon der englischen und schottischen
und Massivdecken wurde regelrecht von
Künstler zu beziehen.340 Dieser Annahme
außen wie von innen „bekleidet“337. Am
ist sicherlich zu folgen, auch wenn jene
Äußeren macht sich dieses Bekleiden beson-
Künstler bestimmt nicht als die einzige Quel-
ders deutlich durch die bereits beschriebe-
le für Hoffmanns Zusammenwirken von
335 Kurrent 1991, S. 9. 336 Kurrent 1991, S. 9. 337 Den Begriff des Bekleidens verwendet Friedrich Kurrent in diesem Zusammenhang. Kurrent 1991, S. 18.
338
Vergleiche dazu Baroni und D’Auria, die sich in diesem Zusammenhang auf Bruno Zevi beziehen. (Baroni und D’Auria 1984, S. 72.) 339 Sekler ²1986, S. 82. 340 Franz 2010, S. 13f.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
Fläche und Umrandung an den Fassaden
es sich anders: der Architekt wollte für
seiner Bauten dienten.
diese Zimmer nichts sonst als Himmels-
Baroni und D’Auria sehen auch in der
landschaft haben, eine Welt in sich. Das
Behandlung der Übergänge von Außenwän-
Seepanorama erscheint sogleich wieder,
den und Dach bei Hoffmann eine Orientie-
sobald man die paar Stufen zu den zwei
rung an Mackintoshs Entwurf für das Haus
Blumenpergolen an den Ecken der Ter-
eines Kunstfreundes und an der Fensterlö-
rasse hinaufgestiegen ist.“343
sung eines Country Houses von Ashbee. Der Umstand, dass Hoffmann an der Straßenfas-
Das Endergebnis ist jedoch genauso wie am
sade die Fenster über das Hauptgesims hin-
Palais Stoclet ein Verwischen der Tiefenebene
auszieht, verdeckt deutlich den Ansatz des
an den Fassaden und damit ein Verdecken
Daches und maskiert dadurch regelrecht des-
von tektonischen Elementen: Das von Loos
sen lastende Grundstruktur (Abb. 2). Die
aufgesetzte Attikageschoss wird aufgrund der
ähnliche Fensterbehandlung an der zum Gar-
massiven, weißen Balustradenfläche und dem
ten hin orientierten Fassade führt zwar nicht
damit verbundenen vorwiegenden Verdecken
mehr so konsequent zu einer Verschleierung
der Fensterflächen zu einer Verlängerung der
des Dachansatzes, täuscht dafür jedoch über
darunter befindlichen Fassade des Hochpar-
die Tiefe der Dachterrassen optisch hinweg
terres und der ersten Etage. Die Balustrade
und bindet die Fensterflächen als Erweite-
tritt in ihrer Funktion von außen betrachtet
rung an die Gesamtfassade (Abb. 24).341 Baro-
gar nicht mehr in Erscheinung, sondern mutet
ni und D’Auria schränken ihre Beobachtun-
vielmehr als abschließende Wandfläche der
gen aber ein und betonen, dass es sich nur
darunter befindlichen, ersten Etage an
um eine Detailübernahme handelt und Hoff-
(Abb. 9). Auch wenn Hoffmann von der
mann jenes Teilstück in ein „völlig anderes
Außenwirkung her denkend die Fenster über
Kompositionsschema“ einsetze.
Adolf
die Dachtraufe hinauszieht und Loos viel-
Loos geht im zweiten Stock der Villa Karma
mehr – wie Bournoud vermitteln möchte –
vermeintlich gegensätzlich vor. Nur Bour-
von der Innensicht her sein Fassade konzi-
342
noud schildert jene Situation: „Die Räume oben sind Schlafzimmer, die Zugang zu einer mit roten Ziegeln belegten großen Dachterrasse haben […]. Dem Besucher wird auffallen, daß die efeubewachsene Brüstung der Dachterrasse den Ausblick in die Landschaft abschirmt. Vielleicht staunt er, schließlich doch noch ein Versehen zu entdecken. Doch verhält 341 Baroni und D’Auria 1984, S. 67–74. 342 Baroni und D’Auria 1984, S. 70.
343
Hierbei handelt es sich um eine Übersetzung Bournouds zitiert nach Ludwig Münz und Gustav Künstler. (Münz und Künstler 1964, S. 64–66. Übersetzt nach Bournoud 1944, S. 47: “Les pièces du haut sont des chambres à coucher ayant accès à une grande terrasse-toiture dallée de briques rouges. [...] Le visiteur remarque que le mur parapet de la terrasse recouvert de lierre forme écran devant le paysage ; il s’en étonne et croit enfin découvrir une erreur. Détrompez-vous, Loos a voulu créer de ces chambres un paysage de ciel, comme un petit univers isolé. Le panorama du lac vous le retrouverez en gravissant les quelques marches des deux pergolas fleuries situées aux angles de la villa.”)
131
132
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
piert, lässt sich deutlich feststellen, dass
Baroni und D’Auria benennen die Halle des
beide Architekten auf die korrekte Wieder-
Palais Stoclet als „Atrium“346 und schaffen
gabe der Konstruktion des Gebäudes auf der
so allein schon durch die Betitelung des
Fläche der Fassade verzichten.
Raums eine Nähe zum italienischen Palazzo
Die Halle übernimmt sowohl ein wichti-
– ohne sie explizit auszuführen. In Bezug auf
ges Moment für die Konzeption des Palais
die Funktion der Halle als Schaltzentrale des
Stoclet als auch der Villa Karma bei der Erör-
Hauses ziehen sie aber auch Verwandtschaf-
terung des englischen oder schottischen
ten zum Entwurf Mackintoshs für das Haus
Vorbilds für die beiden Wiener Architekten.
eines Kunstfreundes.347 Auch wenn sie, von
Eduard F. Sekler betont sogar schon die Vor-
jenem Entwurf abweichend, eine dominante
bildrolle Sir John Soanes für den Eingangs-
Orthogonale, bestehend aus Erker, Atrium
pavillon des Palais Stoclet.344 Mit dieser Aus-
und überdachter Terrasse, für die sonst zum
sage bezieht sich Sekler nach eigenen
Mittelpunkt der Halle zulaufende Anlage
Angaben auf Emil Kaufmann, der bereits
erkennen.348 Betrachtet man die Halle der
1955 eine Verwandtschaft zwischen Soanes
Villa Karma (Abb. 14) oder die von Josef
Werken und dem Palais Stoclet formulierte:
Hoffmann zuvor verwirklichten Wohnhallen auf der Hohen Warte – wie beispielsweise
„There is a somewhat striking resemblan-
die Wohnhallen des Hauses Koloman Moser
ce between the playful and capricious in-
mit seinem Treppenaufgang (Abb. 33) oder
ventions of Art Nouveau and Soane’s ‚in-
jene des Hauses Spitzer (Abb. 34) – mit ihren
cised wall surface treatment’, his tendril
holzverkleideten Wänden, gediegenen Licht-
or stalklike moldings on the outside of the
verhältnissen sowie ihren dezent am Rand
Museum, the walls of several rooms of the
des Raumes positionierten Treppen, lassen
Bank, and on the Dulwich Gallery. The-
sich viel deutlichere Formbezüge zu engli-
se decorations of Soane are of a morbid
schen Vorbildern beobachten. Liest man
grace – fin de siècle, one would have said
einen Artikel C. F. A. Voyseys über die
fifty years ago. The spirit which created
Remarks on domestic entrance halls, lassen
the Dulwich Gallery (1811–1814), was re-
sich gerade für die genannten Wohnhallen
vived in buildings like Josef Hoffmann’s
viel mehr Parallelen herstellen als für die des
Palais Stoclet, at Brussels, about a cen-
Palais Stoclet.349 Laut Voysey ist bei der Halle
tury later. There is a great similarity be
vor allem zu beachten, dass auf keinen Fall
tween them though each beats the mark
die in die Höhe führende Wirkung empfeh-
of ist own era, the former belonging to a
lenswert ist. Es gelte vielmehr die Horizon-
period of intensified classical studies, the
tale350 zu betonen, um alles auszuschließen,
latter extremely eager to get away from the past. Both are but slightly touched by the new structural aspiration.“ 344 Sekler ²1986, S. 88. 345 Kaufmann 1955, S. 59f.
345
346 Baroni und D’Auria 1984, S. 67. 347 Baroni und D’Auria 1984, S. 67. 348 Baroni und D’Auria 1984, S. 67. 349 Voysey 1901, S. 242–246. 350 Zur Horizontalen und ihren Konnotationen schreibt Voysey des Weiteren: „Die Horizontale
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
Abb. 33: Josef Hoffmann: Haus Koloman Moser, Wohnhalle, Hohe Warte, Wien
es ihm bei der Auswahl der Einzelformen
was dazu tendiert, den Eindruck von „repo-
kendes Ensemble, daher schreibt er:
um ein auf den ankommenden Besucher wir-
se“351 (Ruhe) zu zerstören. Des Weiteren geht “You must choose your hall furniture and
351
dominiert, wenn die Sonne untergeht … Um also entscheidend dazu beizutragen, daß unsere Häuser als Ort der Ruhe und des Rückzugs dienen können, (muß man) Winkligkeit und verwirrende Vielfalt in Farbgebung, Gestaltung oder Oberflächenstruktur vermeiden und eher die horizontalen denn die vertikalen Linien betonen.“ Hier zitiert nach Breuer 1998, S. 35. Vergleiche dazu Davey 1996, S. 92. Die Übersetzung geht zurück auf Voysey 1915, S. 111. Ruhe wird von Voysey als eines der wichtigen Merkmale unter anderen für das bürgerliche Heim definiert: „Ruhe, Heiterkeit, Einfachheit, Breite, Wärme, Stille im Sturm, Wirtschaftlichkeit im
ornaments as carefully as you choose the first words to a stranger on his arrival, if you would produce on him an effect of peaceful friendship and homely bliss.”352
Wohnen, der Charakter des Schützenden, harmonische Einbindung in die Umgebung, keine dunklen Gänge oder Winkel, eine ausgeglichene Temperatur, und … für die, die darin leben, ein angemessener Rahmen.“ Voysey 1998 (1906), S. 32. 352 Voysey 1901, S. 244.
133
134
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 34: Josef Hoffmann: Haus Spitzer, Wohnhalle, Hohe Warte, Wien
tes Gefüge darstellt und weder allein der Formenwelt eines italienischen Palazzo-Innenhofes noch einer englischen Hall oder eines
Bei der Halle des Palais Stoclet (Abb. 28)
Biedermeier-Wohnzimmers zugeordnet wer-
sind es vor allem die Pfeiler, die über die
den kann. Hoffmann kombiniert freizügig
Galeriebalustraden bis zur Decke weiterge-
vielerlei Quellen miteinander und verzichtet
führt werden und somit eine in die Höhe füh-
damit auch auf eine formenanalytische Strin-
rende Vertikale umschreiben und demnach
genz. Ähnlich dem Skulpturenprogramm der
dezidiert nicht den Formulierungen Voyseys
Außenfassaden, bedient sich Hoffmann
entsprechen. Mit der angeschlossenen Sitz-
eklektizistischer Übernahmen und ordnet sie
nische und ihrem äußerst repräsentativen
zu einem neuen Gesamtbild. Voysey hätte
Erscheinungsbild – auch im Sinne eines guten
diese Vorgehensweise wohl verurteilt. So
Eindrucks zu verstehen – nähert sich die Hal-
schreibt er zum Beispiel in Vernunft als
le jedoch wieder den Bemerkungen Voyseys.
Grundlage der Kunst:
Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass die Halle des Palais Stoclet ein komplizier-
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
„Einfachheit, Ehrlichkeit, Ruhe, Unmit-
Felder, die einfach die Balustraden des ers-
telbarkeit und Offenheit sind Eigenschaf-
ten Stockwerks darstellen, wie Aufzüge zwi-
ten, die für gute Architektur ebenso we-
schen den schmalen Pfeilern hinauf und her-
sentlich
guten
ab gleiten könnten.354 Hingegen spricht
Menschen. Anstatt zu versuchen, poeti-
Sekler auch davon, dass die Innenräume all-
sche Ideen und moralische Gefühle aus-
gemein als eine „sorgfältige abgestimmte Fol-
zudrücken, geben wir uns mit Sensatio-
ge von Eindrücken“ entworfen und sie nach
nen zufrieden: Sensationen der Form, der
ihrem Einsatz jeweils „stimmungsmäßig und
Farbe, der Textur, von Licht und Schat-
ikonographisch“ gekennzeichnet wurden.355
ten. […] Es ist ganz logisch zu sagen: ‚Ich
Für die Hoffmann’sche und auch Mackin-
sind
wie
für
einen
will keine Erbauung in meinem Hause ha-
tosh’sche Bevorzugung des Schwarz-Weiß-
ben. Was ich will, ist ein Kitzel für mein
Kontrastes lässt sich als Quelle ebenfalls ein
Gefühl durch Form, Farbe und Textur. Ich
Engländer ausmachen. Es handelt sich um
habe für Ruhe, Einfachheit und Offenheit
Aubrey Beardsley, der die Schwarz-Weiß-Farb-
nichts übrig. Ich lebe gern in einem Mu-
gebung in der Illustration anwandte.356
seum und versammle alle Stämme der
Neben Beardsleys Farbgebung war es auch
Erde um mich, mit ihren Sitten und Ge-
seine Auflösung des perspektivischen Rau-
bräuchen.’ Sollte man dann nicht lieber
mes in ein Geflecht von Flächen, die Mackin-
in einem Hotel leben? Mißbraucht dafür
tosh beeinflusste.357 Eines der bekanntesten
nicht den heiligen Namen Heim!“353
Beispiele für diese Kontrasttechnik ist die Illustrationsreihe von 1894 zum Stück
Durch dieses Zitat wird deutlich, dass Hoff-
Salome von Oscar Wilde. Die Bilder können
mann mit dem Palais Stoclet kein Heim im
Josef Hoffmann über die Zeitschrift The Stu-
Sinne Voyseys verwirklichte, sondern viel-
dio bekannt gewesen sein, da Aubrey Beards-
mehr ein auf Repräsentation hin ausgerich-
ley einer ihrer Illustratoren war.358 Außerdem
tetes Spektakel. Auch wenn sich intimere
befand sich eine größere Anzahl von Beards-
Räumlichkeiten finden, verbleibt das Palais
ley-Grafiken in Fritz Wärndorfers Besitz, die
Stoclet ein Gebäude, das in seiner Gänze
er wiederum 1899 in der 5. Secessionsaus-
eine kontrastreiche Folge von Affekten aus-
stellung präsentierte und von wo sie Josef
zulösen weiß und dementsprechend in seiner
Hoffmann sicherlich kannte.359 Elana Shapi-
Grunddisposition nicht unbedingt konse-
ra betont für Wärndorfers Interesse an den
quent mit der ‚simplicity‘ – wie sie Morris
Arbeiten Beardsleys die Faszination an „the
formuliert hatte – zu vereinbaren ist. Als mögliche ‚Affektkette‘ könnte man zum Beispiel die visuell vermittelte Illusion der Felder zwischen den Pfeilern der Halle bezeichnen. Es entsteht der Eindruck, als ob jene 353 Voysey 1998 (1906), S. 145. Die Übersetzung stammt aus Posener 1964.
354
Josef Hoffmann verwendete ein ähnliches Hallenmotiv auch beim kleinen Landhaus für die Firma J. & J. Kohn auf der Kunstschau von 1908. (Sekler ²1986, WV 123, S. 325f.) 355 Sekler ²1986, S. 89. 356 Ankwicz Von Kleehoven 1960, S. 6. 357 Curjel 1971, S. 130f. 358 Waissenberger 1971, S.13. 359 Vergo ²1984, S. 38.
135
136
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
artist’s dandyism, his tendency to sexualize
Ebenen auch in Brüssel entstehen ließ (Abb.
all objects, and further, due to his critical
24 und 30). Das Freilichtzimmer der „Arts
health condition, to flirt with death fanta-
and Crafts“-Bewegung zeigte die ordnende
sies“. Ebenso nennt Shapira auch Wärndor-
Hand des Menschen und sollte die Erweite-
fers Wunsch, sich selbst als Dandy zu insze-
rung des Hauses nach außen veranschauli-
Des Weiteren erschien 1903 in Ver
chen. Im Falle des Red House wurde die
Sacrum ein Artikel zu Aubrey Beardsley.361
Form des Quadrates als Grundriss der Frei-
Wie richtunggebend der Schwarz-Weiß-Kon-
lichträume verwendet.363 Hoffmann hätte
trast im Werk von Josef Hoffmann für das
aber, wie schon am Biedermeier demonst-
Sanatorium Purkersdorf war, zeigt sich im
riert, niemals einfach einen Stil übernom-
weiteren Verlauf dieser Arbeit. Ebenso ist
men. Klarheit verschafft an dieser Stelle eine
Beardsleys Bezug zur Kultur der Dekadenz
Aussage Hoffmanns:
nieren.
360
ein weiteres Puzzleteil zur Verständlichkeit des eskapistischen Luxusideals am Palais
„England geht uns hierin [im Kunstgewer-
Stoclet, das nicht unbedingt mit den Ent-
be; LT] weit voran, doch sollte sein zu-
wicklungen der „Arts and Crafts“-Bewegung
meist an mittelalterliche Formen sich an-
zu vereinbaren ist. So zeigte zum Beispiel
lehnender Geschmack nicht auch für uns
das Modell des Palais Stoclet noch eine Fas-
der maßgebende sein, sondern wir sollten
sade mit schwarzen Linien statt goldenen
Englands Interesse für Kunstgewerbe und
Profilen. Jene schwarzen Gitterraster waren
also Kunst im allgemeinen erkennen und
in schwarzem schwedischem Granit gedacht
auch bei uns wachzurufen suchen, aber
und sollten weiße Wandflächen rahmen.362
unsere Kunstformen immer und immer
Für Josef Hoffmann ergaben sich demnach
wieder in unserem eigenen Wesen zu su-
viele Möglichkeiten, bei denen er mit den
chen trachten und endlich die hindern-
Vorstellungen der „Arts and Crafts“-Bewe-
den Schranken veralteter Stilduselei kräf-
gung in Berührung kam, und vor allem
tig von uns stoßen.“364
beweist sein eigenes Schaffen dieses Abarbeiten an deren Konzepten abermals. In die-
Hoffmanns eigenen Worten zufolge, strebte
sem Zusammenhang könnte man auch seine
er den gleichen Zielen der Engländer, das
Lösung der Gartenarchitektur im Rahmen
heißt der „Arts and Crafts“-Bewegung nach,
des Palais Stoclet benennen, die auch vom
bestand aber deutlich auf seine nicht engli-
englischen Verständnis her geprägt sein
schen Wurzeln und proklamierte für sich die
könnte. „Arts and Crafts“-Gartenarchitektur
Findung einer eigenständigen Lösung, fern-
formte nämlich „Freilichtzimmer“, die Hoff-
ab von jeder ‚Romantisierung‘ der vergange-
mann durch Hecken und verschiedene
nen Stilformen insbesondere der Gotik, die er bei Ruskin und Morris noch nicht
360 Shapira 2004, S. 179. 361 Symons 1903, S. 117–138. Der Artikel ist illus triert mit Zeichnungen von Josef Hoffmann. 362 Sekler 1970, S. 32.
363 Davey 1994, S. 71 und S. 75 sowie Wagemann 1994, S. 105. 364 Hoffmann 1897, S. 12.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
überwunden sieht.365 Gerda Breuer spricht
Das Gesamtkunstwerk als „Stimmungsbau“
von einem „Verfahren des 19. Jahrhunderts, Gegenwart aus der Vergangenheit zu revita-
Dem Gesamtkunstwerk wird, nach dem Ver-
lisieren“ und nennt die Gotikrezeption als
ständnis des Komponisten Richard Wag-
ein Schlüsselmoment jenes Phänomens im
ners,369 die Rolle der „Regeneration der
Zusammenhang mit der „Arts and Crafts“-Be-
Gesellschaft mit Hilfe der Kunst“ zugeschrie-
wegung. Breuer konstatiert für John Ruskin
ben.370 Dieser Definition folgend, stellt das
(1819–1900) eine „idealisierte und farben-
Gesamtkunstwerk eine Zusammenfassung
prächtige“ Fantasie des Mittelalters, die er
der verschiedenen Kunstgattungen zu einer
dem „trüben und finsteren Industriezeitalter“
Inszenierung dar. Oberstes Ziel dabei ist die
kontrastierend entgegenstellte.
‚Romanti-
„Metamorphose der Gesellschaft“.371 Die Ver-
sierung‘ ist daher der richtige Ausdruck für
sammlung aller Künste wird durch diese
das Aufgreifen der Handwerkskultur des Mit-
Intention Mittel zum Zweck. Das Ziel ist die
telalters durch die „Arts and Crafts“-Bewe-
„Transformation als Übergabe an den
gung, weil diese „Erneuerer“ niemals die Kor-
Betrachter / Zuhörer / Zuschauer“.372 Dabei
rektheit ihrer Annahmen einer Untersuchung
spielen
unterzogen.
exorbitante Rolle. Der Sinn des Gesamt-
366
367
Innovation
und
Reform
eine
Hoffmann stellte sich in die Tradition der
kunstwerks wird auch als eine „Erhebung
Formen- und Konzeptwelten von Biedermei-
des Menschen über sich selbst“ beschrie-
er und „Arts and Crafts“-Bewegung, da er
ben.373 Die Begriffe Einheit und Gemein-
sich gerade mit ihren Gestaltungs- und
schaft werden dem Gesamtkunstwerk essen-
Lebensidealen identifizieren konnte. Von der
ziell zugrunde gelegt. Richard Wagners Idee
Rückorientierung zum Handwerk und der
des Gesamtkunstwerks entwickelte sich aus
damit einhergehenden Abkehr von der
den Idealen der Revolution von 1848 und
maschinellen Industrie bei Ruskin, der For-
stellte sich gegen die Eroberung der Künste
derung nach Nützlichkeit und Angemessen-
durch die Industrie.374 Richard Wagner legt
heit in der Konstruktion
368
, bis hin zur Fin-
dung eines genuinen Zeitstils bei seinem Zeitgenossen Mackintosh weist Hoffmanns frühes Œuvre deutliche Anleihen auf. Wie
369 370
man aber gleich knapp zum secessionistischen Gesamtkunstwerk sehen wird, beru-
371
hen seine Formschöpfungen auch auf Einflüssen aus dem direkten Wiener Kunstkreis.
372
373 365 Hoffmann 2002 (1929), S. 14. 366 Breuer 1998, S. 77. 367 Breuer 1998, S. 26. 368 Davey 1994, S. 64.
374
Vergleiche dazu AK Der Hang Zum Gesamtkunstwerk 1983, S. 165–178. Storch, Wolfgang: Gesamtkunstwerk, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 2 (2010), S. 731. Storch, Wolfgang: Gesamtkunstwerk, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 2 (2010), S. 731. Storch, Wolfgang: Gesamtkunstwerk, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 2 (2010), S. 731. Storch, Wolfgang: Gesamtkunstwerk, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 2 (2010), S. 744. Storch, Wolfgang: Gesamtkunstwerk, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 2 (2010), S. 751.
137
138
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
die tradierte Kausalkette von Natur, Mensch
Secessionisten. Allein schon die Teilung der
und Kunst an. Demnach fokussiert die Kunst
Secession in zwei Lager (Stilisten und Natu-
sich im Menschen selbst, so wie der Mensch
ralisten)379 veranschaulicht, wie diffizil es
seinen Ursprung in der Natur vorfindet. Die
sich gestaltete, sich auf ein einziges Konzept
Industrialisierung fasst Wagner als widerna-
zur Schaffung des Gesamtkunstwerkes zu
türliche Mode auf, die man durch das
einigen. Mithilfe eines verortenden Stils woll-
Gesamtkunstwerk zu überwinden habe. In
ten die Secessionisten zunächst vereint alle
ihrer Überwindung wird die Utopie der
Kunstgattungen zu einem Ganzen verbinden.
zukünftigen Vereinigung aller Menschen
Diesen Anspruch versuchten sie, durch ihre
gezeichnet, die dann die „vollendete mensch-
Einrichtungsprojekte sowie zunächst als Vor-
liche Natur“ versinnbildlicht. Das Bild eines
bildinstanz in Form der Ausstellungen im
„Kunstwerks der Zukunft“ wird erträumt.375
Secessionsgebäude zu verwirklichen. Neben
Demzufolge fände das Gesamtkunstwerk sei-
dem Schwerpunkt auf den bildenden Küns-
ne Erfüllung im Leben, wenn das gesamte
ten zeigten zum Beispiel der Auftritt der Tän-
„Volk“ sein Gestalter sein wird.
Das heißt,
zerin Isadora Duncan von 1902 und die lyri-
es hat den Anspruch, den Rahmen der Kunst
schen Veröffentlichungen in Ver Sacrum, dass
zu sprengen und ein Teil des Lebens aller zu
sich die Secession dem Anspruch der Zusam-
werden, ob nur für den Moment oder die
menführung aller Künste verschrieb.380 Von
Dauer einer Aufführung oder für längerfris-
allen Ausstellungen mit dem Anspruch des
tig. Das Gesamtkunstwerk wird zur ästhe-
Gesamtkunstwerks ist die 14. Secessionsaus-
tisch aufgeladenen Lebensphilosophie.
stellung hervorzuheben, die sich der Beetho-
376
Durch Olbrichs Entscheidung für die
venstatue Max Klingers widmete und die der
Lorbeerlaubkrone des Secessionsgebäudes
künstlerischen Oberleitung Josef Hoffmanns
stellt sich die Wiener Secession in die Tradi-
unterstand.381 In dieser Ausstellung zeichne-
tion einer alle Künste zusammenschließen-
ten sich bereits die auf Ästhetizismus und
den Vereinigung, da der Lorbeerbaum Apoll
Eskapismus
– dem Anführer der neun Musen – gewidmet
Gesamtkunstwerks wie sie auch für das
ist.377 Die drei gegensätzlichen Begriffspaare
Palais Stoclet relevant werden sollten ab.
beruhenden
Aspekte
des
„Fühlen und Erkenntnis, Körper und Ge
Im Rahmen der 14. Ausstellung wurde der
danke sowie Wirklichkeit und Kunst“378
synästhetisch konzipierte Beethovenfries von
beherrschten das Schaffen der Wiener
Gustav Klimt, dessen Rahmung Josef Hoffmann entwarf, ausgestellt. Teil dieser Einfas-
375
Storch, Wolfgang: Gesamtkunstwerk, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 2 (2010), S. 752. 376 Storch, Wolfgang: Gesamtkunstwerk, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 2 (2010), S. 753. 377 Waissenberger 1971, S. 52. Vergleiche dazu Krauss und Uthemann 1998, S. 19, Lemma: Apoll und Daphne. 378 Munch 2005, S. 86.
sungen und Untermalungen aller Werke in der Ausstellung waren zwei Supraporten Josef Hoffmanns (Abb. 8). Die Reliefs bestan-
379
Zur Definition dieser beiden Gruppen vergleiche Kristan 2002, S. 9. 380 Waissenberger ²1985.2, S. 470. 381 Vergleiche dazu Lehner 2011, S. 52–115.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
den bemerkenswerterweise aus übereinander
Ausprägung des geometrischen Jugendstils.385
gelegten Rechtecken. In Nischen von etwa
Nur eines der beiden Reliefs ist durch ein
80 und 100 cm Seitenlänge und 15 cm Tiefe
Foto überliefert und dieses entwickelt sich
platziert, entwickelte sich ein Geflecht aus
aus einer symmetrischen Grundform, die mit
den überlagerten geometrischen Grundfor-
kleineren Formen asymmetrisch umspielt
men.
Eduard F. Sekler ordnet Hoffmanns
wird.386 Allein dieser Aufbau macht nach
Tätigkeit als künstlerischer Gesamtleiter und
Bogner einen Vergleich zu den abstrakten
Zuständiger für die Raumgestaltung im Rah-
Kunstwerken der kommenden Jahre unmög-
men dieser Ausstellung den „Höhepunkt sei-
lich.387 Bogner vergleicht Hoffmanns Arbeits-
ner puristischen Phase“383 zu. Des Weiteren
weise der Reliefs auch mit der Architektur
sieht Sekler in den Supraporten den Ort, der
des Palais Stoclet. Er formt die Interpretati-
das Wesen der Gesamtarchitektur zusam-
on einer der Zukunft vorauseilenden Kom-
menfasst und spannt Parallelen von den
position um zu einer allgemeinen Konstruk-
Hoffmannreliefs zu den späteren, kristalli-
tionslösung Hoffmanns.388 Damit ist gemeint,
382
nen Arbeiten Behrens’, Obrists oder Le
dass Hoffmann seine Bauwerke meistens auf
Corbusiers.384 Geht man diesen Vergleichs-
eine Mittelachse bezog, die er mithilfe von
beispielen näher nach, fällt aber die Proble-
variierenden Baukörpern bewegt umspielte.
matik auf, dass sie zum Teil später zu datie-
Im Falle des von Bogner als Beispiel aufge-
ren sind als die Supra portenreliefs Josef
führten Palais Stoclet (Abb. 2, 22 und 24) ist
Hoffmanns. Nicht alle Beispiele können als
diese Vorgehensweise deutlich zu erkennen.
Inspirationsquelle für Hoffmann gedeutet
Ludwig Hevesi preist Josef Hoffmanns Aus-
werden, aber sie veranschaulichen zumindest
stellungsarchitektur im Fall der 14. Secessi-
eine Strömung, der Hoffmann und sein der-
onsausstellung sogar als „Stimmungsbau“ und
zeitiges Schaffen zuzurechnen sind. Die
vor allem als „modernen Tempelbau“.389 Einem
gegenseitige Kenntnis von und Inspiration füreinander ist nur schwerlich genau zu benennen. Viel relevanter ist das allgemeine Interesse an der geometrisch konstruierten Form, das Hoffmann in einer Bewegung verortet und ihn nicht zum allein stehenden Pionier stilisiert. Kritischer sind die Interpretationen der Supraporten zu sehen, die in den geometrischen Schichtungen einen Vorläufer der de Stijl-Bewegung oder des „Neoplastizismus“ erkennen. Dieter Bogner sieht mit Recht in Hoffmanns Plastiken eine typische 382 Bogner 1982, S. 27. 383 Sekler ²1986, S. 58. 384 Sekler ²1986, S. 60.
385 Bogner 1982, S. 24. 386 Vergleiche zur gleichen Kompositionsweise Kamm-Kyburz 1985, S. 117f. 387 Bogner 1982, S. 27. 388 Bogner 1982, S. 28. 389 Die Textstelle lautet bei Hevesi: „Die Ausstellung von Max Klingers Beethoven ist der Glanzpunkt in der bisherigen Geschichte der Wiener Kunstausstellungen. Aber nicht nur das Was, auch das Wie dieser Ausstellung ist denkwürdig. Es wurde ein vollkommener Stimmungsbau aufgeführt, vergänglich und doch echt vom ersten bis zum letzten. Ein Raum der Weihe, der Tempelstimmung für einen Gottgewordenen. […] Aber Hoffmanns Tempelbau ist an sich so geistvoll und stimmungsvoll, daß man ihn dazu beglückwünschen darf. Er hat in Ziegelbau und Rauhputz einen modernen dreischiffigen Tempel aufgeführt. […] ‚Kristallisierter Putz‘ scherzt Hoffmann. In den Füllungen über einigen Türen tritt dieser Putzkristall in besonders
139
140
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Zitat Josef Hoffmanns zufolge, ist von
fassenden Harmonie aller Teile dar, und Lux
„Kristallisiertem Putz“
zu sprechen. Mate-
spricht sogar von einem „Hymnus der Schön-
rial und Form gehen eine Symbiose ein. Joseph
heit“, der den gemeinsamen Ursprung von
August Lux sieht in der Aufgabe der Ausstel-
Kunst und Ethik veranschaulicht.394 Der
lung vorwiegend „die würdige Umrahmung“
391
Gesamtkunstwerks-Anspruch wurde noch
des Beethovendenkmals und stellt diese Schau
dadurch verstärkt, dass am Eröffnungstag der
außerhalb der bisherigen Intentionen:
Ausstellung Gustav Mahler mit einem Bläser
390
arrangement die neunte Symphonie Beet „Bei allen früheren Veranstaltungen der
hovens aufführte.395 Ein weiteres Beispiel für
Sezession (sic!) hat es sich darum gehan-
die Zusammenarbeit Mahlers mit den Seces-
delt, Kunstwerke, die unabhängig von
sionisten im Wunsche nach Schaffung eines
einander entstanden sind, harmonisch zu-
Gesamtkunstwerks ist die Arbeit Alfred Rol-
sammenzufassen, mit verständnisvollem
lers als Bühnen- und Kostümbildner für die
Bedacht auf ihre Einzelwirkung zu einem
Wiener Staatsoper unter der Leitung Mah-
Ganzen zu verbinden, und dergestalt das
lers.396 Ebenso scheint es nur zunächst neben-
Ausstellungswesen künstlerisch neu zu be-
sächlich, dass Hoffmann in einem seiner weni-
leben. Eine Vielheit war gegeben; die
gen Vorträge erwähnt, Olbrich sei von
Raum-Gestaltung formte sie zur Einheit.
Wagnermusik „besessen“.397 Das Musikzimmer
Diesmal sollte es umgekehrt sein: die Ein-
gehörte fest zur Wiener Wohnungsausstat-
heit war gegeben, die Raum-Idee und der
tung,398 wie schon weiter oben am Beispiel der
malerische und plastische Schmuck tra-
Familie Wärndorfer demonstriert. Josef Hoff-
ten in ihren Dienst. Es galt dabei sichtbar
mann richtete 1903 auch Sonja Knips ein
zu machen, wie sich die Aesthetik der Ma-
Musikzimmer ein, das sich durch seine auf
lerei und der Plastik in Bezug auf den ar-
den Nutzen hin ausgerichtete Gesamtwirkung
chitektonischen Gedanken ändert […].“
und das geometrische Gliederungssystem aus-
392
zeichnete.399 Im Palais Stoclet befindet sich Der von Lux betonte Raumentwurf stellte sei-
konsequenterweise auch ein Musik- und The-
ner Ansicht nach richtig folgernd keinen his-
atersaal, dessen Bühne sowohl mit einem Flü-
torischen Zusammenhang her, sondern einen
gel als auch mit einer Orgel ausgestattet ist.
teleologischen.393 Der Zweck begründete
An dieser Stelle angelangt, muss man die
schon an diesem Punkt den tonangebenden
Villen auf der Hohen Warte in Wien erwäh-
Charakter in Hoffmanns Schaffen. Der Zweck
nen, die als Hoffmanns erste Aufträge im
der Ausstellung stellte sich in der zusammen-
launiger Zusammenstellung auf, Bildungen von irgendeinem ungeahnten Kalkspat vergleichbar.“ (Hevesi 1906, S. 390.) 390 Josef Hoffmann zitiert nach Hevesi 1906, S. 390. 391 Lux 1902.1, S. 475. 392 Lux 1902.1, S. 475. 393 Lux 1902.1, S. 481.
394 Lux 1902.1, S. 481. 395 Hollein ²1985, S. 560 und Hofmann 1983, S. 86. 396 Vergo ²1984, S. 71–76. Für weitere Informationen zu Alfred Roller siehe AK Alfred Roller 1991, S. 5. 397 Hoffmann ²1986 (1911), S. 487. 398 Lux 1905, S. 112–120. 399 Miller 2004, S. 62–65.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
Sinne eines Baukünstlers zu sehen sind. Da
tizierte in dieser „Schmuckschatulle“ ein
er an ihnen seine Fähigkeiten vom Architek-
Leben mit einem ständigen Bezug zur
ten bis hin zum Kunsthandwerker verwirk-
Kunst.403 Das Palais Stoclet widmete sich dem
lichen konnte und dem Idealbild einer Künst-
Leben mit gesammelten Kunstwerken und
lergemeinschaft ein Heim gab. Beiden mit
einem künstlerischen und repräsentativen
einem Gesamtanspruch konzipierten Werken
Lebensstil. Für das Großprojekt war eines
– der 14. Secessionsausstellung und den Vil-
entscheidend: die ganzheitlich waltende Hand
len der Hohen Warte – ist die Weltanschau-
Hoffmanns.404 Jene ganzheitlich waltende
ung gemein, dass der Künstler eine ordnen-
Hand ist es dann wohl auch, die zu der Inter-
de Kraft in sich vereint. Die Ansiedelung auf
pretation führte, dass Hoffmann dem Ideal
der Hohen Warte, die dem Konzept einer
folgte, dass das Innere des Gebäudes bereits
Künstlergemeinschaft im Sinne Ruskins ent-
durch das Äußere vermittelt werden sollte.405
spricht,
und die Ausstellung, die das kon-
So ist folgende Aussage des damaligen Brüs-
sequente und allumfassende Walten eines
seler Bürgermeisters Charles Buls überliefert:
400
Talentes verkörpert, vereinten in Hoffmann die Ansprüche der „Arts and Crafts“-Bewe-
„Architektur und Urbanismus müssen in
gung als Vorbild gerecht zu werden und den
der Landschaft/Heimat verwurzelt sein.
Gedanken des Gesamtkunstwerks zumindest
Meiner bescheidenen Meinung nach nüt-
zeitweise von der Theorie in die Realität zu
zen die ultramodernen Ästheten diese Axi-
überführen.401 Deutlich wird an dieser Stelle
ome, die sie für irreversibel halten, aus.
eine Vermischung des Gesamtkunstwerkbe-
Einer unter ihnen widersprach mir, als ich
griffs, wie er zum einen von Richard Wagner
erklärte, die Architektur des Palais Stoclet
als das Leben übersteigerndes Gemein-
nicht zu bewundern, er wies mich zurecht
schaftswerk und zum anderen von der „Arts
und machte darauf aufmerksam, dass die
and Crafts“-Bewegung als sozialreformeri-
Außenhülle des Hauses genau dem Inne-
sche Lebenswelt formuliert wurde.
ren entspräche, dass man die Architektur
Neben den Villen auf der Hohen Warte ist
gar nicht verstehen könne, ohne das In-
im Zusammenhang des Gesamtkunstwerks
terieur zu kennen. Darauf antwortete ich
natürlich auch das Palais Stoclet, das
ihm, er wäre gezwungen alle Umzugskis-
ursprünglich ja gerade auch auf einem Grund-
ten zu bewundern, wenn die Form genau
stück der Hohen Warte geplant war, einzu-
ihrem Inhalt entspricht.“406
ordnen. Es stellt die Kulmination des Wunsches Hoffmanns nach Überhöhung des
Hierbei kann also nicht etwa die von außen
Lebens dar. Leopold Kleiner, ein Schüler
betrachtete direkte Lesbarkeit der Innenar-
Hoffmanns, nannte es „ein Gefäß erhöhter Lebensführung“.402 Die Familie Stoclet prak400 Kassal-Mikula 1984, S. 194. 401 Varnedoe 1993, S. 43. 402 Kleiner 1927, S. XXVI.
403 Sekler 1970, S. 41. 404 Pirhofer 1986, S. 313. 405 Noever 2010, S. 7. 406 Hier ist die Übersetzung zitiert nach Hoyos 2011, S. 195.
141
142
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
chitektur im Sinne der Nachvollziehbarkeit
Dass der Bühnenvorhang bereits Bestandteil
seiner Konstruktion gemeint sein. Vielmehr
der Theaterinszenierung ist und nicht nur im
ist es vermutlich die gestalterische Haltung
Sinne eines Abschirmens metaphorisch ein-
einer Wohnwelt unter den Topoi der Reprä-
gesetzt werden muss, wäre hier möglicher-
sentanz, Selbstinszenierung und mithilfe der
weise einzuwenden. Das Äußere des Palais
Kunst eine Selbsterhöhung der Bewohner
Stoclet wirkt mit seinen atektonischen Anmu-
und Besucher, die sich bereits am Äußeren
tungen, seinen goldenen Profilgirlanden und
manifestiert. Baroni und D’Auria stellen sich
den zahlreichen begleitenden, aber in ihrer
jener These entgegen, wenn sie schreiben:
Symbolik nicht unbedingt evident sprechenden Skulpturen zumindest nicht wirklich ver-
„Was haben wohl die jungen Architekten
nunftgeleitet. Allein schon im Künstler oder
der zwanziger Jahre vom Palais Stoclet
der Künstlergemeinschaft v ereinigte sich
konkret lernen können? Sicherlich nicht
zunächst die Instanz des zu schaffenden
die erklärte Theatralisierung, die in jedem
Gesamtkunstwerks und der zukünftigen
Raum herrscht und Inneres in Äußeres
Lebensart. Daher soll an dieser Stelle kurz
verwandelt. Ebenso ist der geschlossene
darauf eingegangen werden, inwiefern die
Raum der Bühne in Wirklichkeit nur vor-
Wiener Werkstätte vom Beginn der Secessi-
getäuscht, da eine Wand zum Publikum
on an eine wesentliche Rolle für die Konsti-
hin offen ist; genau zu jenem Publikum,
tuierung des Gesamtkunstwerks spielte.
für das das luxuriöse, mondäne Leben der
In Berta Zuckerkandls Memoiren sind
Bewohner des Palais als reine Vorstellung
einige Abschnitte zu finden, die der gängigen
gedacht schien. Den Besuchern wird von
Überlieferung von der Gründung der Wiener
den Zimmerfluchten, wie man sich vor-
Werkstätte widersprechen. Ihre sehr ausführ-
stellen kann, ein Schock nach dem ande-
lichen Schilderungen besagen, dass schon
ren eingeflößt, verstärkt noch durch eine
zum Zeitpunkt der Gründung der Wiener
Apotheose ‚echter‘ Materialien – vom
Secession im Jahr 1896 sich die Wunschvor-
Onyx an der Decke der Vorhalle bis hin
stellung einer Werkstätte ausformuliert hat-
zum feinsten Gold des echten Schmuck-
te. Neben den drei Persönlichkeiten Josef
stücks, das von der entsprechenden Werk-
Hoffmann, Koloman Moser und Fritz
stätte der Wiener Werkstätte angefertigt
Waerndorfer erscheinen bei Berta Zucker-
und in das Mosaik des großen Speisesaals
kandls reportageartigen Geschichten jedoch
eingefügt worden war. Dazu fungiert die
noch zusätzlich zum ‚Mythos der Fachlite-
frührationalistische Fassade in ihrer
ratur‘ Otto Wagner und Gustav Klimt als
Klarheit und Strenge als Kontrapunkt und
Ideeninitiatoren. Der relevante Grund für
besitzt als solche die rätselhafte, liebens-
die um wenige Jahre verschobene Gründung
würdige Unverbindlichkeit eines Bühnen-
der Wiener Secession wird ebenso angege-
vorhangs.“407
ben. So ist es Klimt, der zur Raison mahnt:
407 Baroni und D’Auria 1984, S. 73.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
„Wir dürfen das Haus nicht beim Dach
österreichischen Kunsthandwerks, die
anfangen. Vor allem muß die Secession
schließlich zu der Gründung der einzig-
ihr Heim haben, erst wird gebaut, dann
artigen ‚Wiener Werkstätte‘ führte. Ihr Be-
eingerichtet.“
gründer war Josef Hoffmann. Ebenso wie
408
man von einer ‚Morris-Periode‘ gesproDie bisher überwiegend überlieferte und wei-
chen hat, spricht man heute schon von ei-
tertradierte Vorstellung, dass die Idee einer
ner ‚Hoffmann-Periode‘.“411
Wiener Werkstätte sehr spontan erfolgte und deren Umsetzung genauso schnell, nämlich
Dieses Zitat zeigt deutlich, dass sich die Zeit-
fast über Nacht, muss demnach hinterfragt
genossen der europäischen Parallelen und
werden.
Die Version der Gründung nach
Vorbilder bewusst waren und die Einreihung
Berta Zuckerkandl scheint realistischer. Sie
der Wiener Werkstätte wie auch der Wiener
zitiert Anwesende und erzählt mithilfe von
Secession in einen europäisch internationa-
informativen Details.410 Vor allem aber scheint
len Kontext erwünscht war. Dagobert Peche,
es nicht ganz abwegig, dass die Institution
der Nachfolger Koloman Mosers in der Wie-
einer Werkstätte, im Sinne einer Ergänzung
ner Werkstätte, beschreibt Josef Hoffmanns
des angestrebten und beabsichtigten Konzepts
Intention zur Gründung der Werkstätte mit
des Gesamtkunstwerks, von Beginn an in den
den Worten:
409
Köpfen der Secessionskünstler mitgedacht war, jedoch aufgrund von organisatorischen
„Als vor Jahren [verfasst 1922; LT] das
Umständen 1896 noch nicht an erster Stelle
Kunsthandwerk vollkommen steril wur-
der in Angriff zu nehmenden Aufgaben stand.
de und jede Formen- und Materialsprache
Diese breite Perspektive der Gründungs-
und Ausdruck in seichteste Nachahmung
mitglieder der Wiener Secession wird durch
von Formen, die ganz anderen lebenden
den Umstand untermauert, dass das Vorbild
Epochen angehörten, geriet, gründete
der Wiener Werkstätte in der „Arts and
Josef Hoffmann in der Erkenntnis dessen
Crafts“-Bewegung zu sehen ist. Als ein
die Wiener Werkstätte. Denn er sah so-
Beweis hierfür könnte ein Auszug aus Berta
fort ein, daß es ihm gar nichts nütze, even-
Zuckerkandls Autobiografie Ich erlebte fünf-
tuell ein gutes Haus zu bauen, wenn alles
zig Jahre Weltgeschichte gelten:
das, was in dieses Haus gehört, nicht oder ganz schlecht vorhanden ist. Er gründet
„England und dessen prärafaelitische Be-
also die Wiener Werkstätte als Vereini-
wegung beeinflusste die Entwicklung des
gung von Kunsthandwerkern, die an einem Ort versammelt, die Ideen, welche
408 409
410
Gustav Klimt zitiert nach Zuckerkandl 1970, S. 36. Die in der Literatur weitergegebene Anekdote der Gründung der Wiener Werkstätte lässt sich nachlesen bei Schweiger 1982, S. 26f. Vergleiche dazu Zuckerkandl 1970, S. 31–37 und Meysels ²1984, S. 77f.
von einem Kopf kamen, ausführen sollten.“412
411 Szeps-Zuckerkandl 1939, S. 177. 412 Dagobert Peche zitiert nach Thurm 2003, S. 280.
143
144
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Die Wiener Werkstätte machte Vorhaben wie
ellen Inszenierung des Palais Stoclet als
das Palais Stoclet oder auch das Sanatorium
Gesamtkunstwerk zu bezeichnen: nämlich
Purkersdorf (Abb. 3) überhaupt erst möglich,
dann, wenn eine Festlichkeit mit Essen,
da funktional gesehen womöglich ohne sie
Musik und Theater in den extra dafür aus-
die Kosten in noch unermesslichere Höhen
gestatteten Räumlichkeiten gegeben wurde.
gestiegen wären und ästhetisch betrachtet
Sekler sieht in Speisesaal und Musikzimmer
solche Großprojekte nur mithilfe des Talents
Räume für die „Umstilisierung vom Dasein
Vieler entstehen können. Das Gesamtkunst-
zum ästhetischen Erlebnis“ und führt des
werk, oder wie Dagobert Peche es mit der
Weiteren aus: „auf dem Weg zu geistiger und
„geschlossenen Kultur“413 umschreibt, wurde
sinnlicher Selbsterfüllung bedeuteten Musik
erst durch die umfassende Tätigkeit der Wie-
und Theater als ‚Feste des Lebens‘ (Peter
ner Werkstätten ein reales Unterfangen.
Behrens) ebenso Höhepunkte wie das
Dies an dieser Stelle soweit zum Gesamt-
gemeinsame Mahl in einem mit hieratischer
kunstwerkbegriff als Gemeinschaftswerk im
Pracht für die Zelebrierung der Sinnenfreu-
Moment seiner Herstellung auf Basis einer
de bereiteten Gemach.“415 Demnach wird erst
sozialreformerischen Lebenswelt für den
durch die Nutzung oder vielmehr Bespielung
Handwerker und Künstler. Nach Vollendung
der Räumlichkeiten das Palais Stoclet
des Palais Stoclet durch die Künstler der Wie-
schließlich zum Gesamtkunstwerk. Vor allem
ner Secession und der Wiener Werkstätte
ist es möglich, zumindest eines abschließend
stellt sich jedoch die Frage, ob das Gesamt-
festzuhalten: Erst durch die Wahrnehmung
kunstwerk allein darin bestand, gemeinsam
des Gebäudes in seinen Einzelaspekten war
eine Kunstwelt zu erschaffen oder ob das
es möglich, so etwas Unkonkretes wie ein
Ergebnis jener Bemühungen auch als
Gesamtkunstwerk anschaulich zu machen.
Gesamtkunstwerk zu bezeichnen ist. A. S.
So sind es gerade die zeitgenössischen
Levetus publizierte 1914 in einem reich bebil-
Berichte, die anschauliche Impressionen für
derten Artikel zum Palais Stoclet in einem
jene stimmungshaft aufgeladenen Architek-
Sonderdruck der Zeitschrift Moderne Baufor-
turwahrnehmungen transportieren:
men die Aussage, dass „das Äußere und das Innere, die Dekoration, die Möbel und die
„Gestern spät abends beleuchtete Herr
gesamte Einrichtung des Hauses und seiner
Stoclet noch den Garten. Sternenklare
vierzig Zimmer ein organisches Ganzes von
Nacht, das weiße, weiße Haus im Bassin-
so vollkommener Harmonie [bilden; LT], wie
wasser widergespiegelt, die dunklen He-
sie nur noch bei antiken Architekturen oder
cken, darüber eine unvergleichliche Ruhe
bei
… wir blieben lange, lange davor.“416
vollkommenen
werden.“
414
Körpern
gefunden
Levetus argumentiert demnach
ergebnisorientiert. Ebenso besteht die Möglichkeit, den Moment der höchsten artifizi413 Thurm 2003, S. 280. 414 Levetus 1991 (1914), S. 26.
415 Sekler ²1986, S. 92. 416 Eduard Wimmer: Brief vom 12. April 1912, Handschriftensammlung der Stadtbibliothek Wien I. Nr. 162.133, hier zitiert nach Sekler ²1986, S. 88.
3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichsobjekt zur Villa Karma
Interessanterweise geht Joseph Maria Olbrich
der Ruhe als Emotionswert des Gartens for-
in seinem Artikel Der Farbengarten auch auf
muliert wird. Die Reduktion und Vereinfa-
den Begriff der Ruhe ein:
chung der Formen im Garten des Palais Stoclet (Abb. 24 und 30) könnten daher ein
„Das leuchtende Wunder, das aus den Blu-
ähnliches „Bedürfnis“ wie es Olbrich bezeich-
men strahlt, es drängt nach neuen Wegen;
net befriedigen wollen und taten es wohl
zu neuen Wegen findet sich neuer Rhyth-
auch, bedenkt man Wimmers Beschreibung
mus. Neue Werte erscheinen dann in dem
seiner Erinnerung an einen Abend im Gar-
großen Gebiete der Gartenkunst und mit
ten des Palais Stoclet. Ein Momentbild der
ihnen umwälzende starke Kräfte. Eine
Ergriffenheit wird von ihm für die Nachwelt
mächtige Bewegung im Volke geht nach
festgehalten und für das Palais Stoclet wird
gesunder Verinnerlichung. Nach Jahrzehn-
die Aufgabe der Fassung eines allein emoti-
ten grober Äußerlichkeiten und oberfläch-
onal greifbaren Kultes offensichtlich.
lichen Leichtsinnes – die breite Basis des
Dieses Kapitel abschließend zusammen-
gedankenlosen Schemas – besinnt sich der
fassend, sind sowohl die ‚schützende Maske‘
Mensch endlich auf sich selbst. Rückkehr
als auch der ‚Sozialcharakter‘ als moderne
zur Natur hieß es zuerst, daraus sich dann
Strategien eines Großstadtmenschen zu
ein Recht entwickelte, selbst denken und
bezeichnen. Jenes Bedürfnis nach Schutz und
selbst empfinden zu dürfen – den unge-
die Dominanz und Präsenz der psychologi-
sunden symbolistischen Eigenheiten einer
schen Selbstwahrnehmung werden überdeut-
nervenschwächenden Decadence in Kunst
lich durch die Verbreitung folgender zeitge-
und Literatur folgte ein wachsendes Be-
nössischer Theorien: Der Physiker Ernst
dürfnis nach Ruhe und Einfachheit. Nicht
Mach entwickelte um 1900 im gleichen Wie-
unbegründet gliedert sich die zeitgemäße
ner Kulturnetz die Theorie vom unrettbaren
Architektur in große ruhige Flächen, nicht
Ich und wenige Jahre später spaltete Sigmund
umsonst vollzieht sich eine Wanderung
Freud mit seinem Apparat von Subsystemen
hinaus aus der Städte Unkultur nach dem
den Menschen psychoanalytisch in die drei
gesunden frischen Land.“417
Instanzen triebhaftes Es, moralisches ÜberIch und das dazwischen oszillierende Ich
Auch wenn sich Olbrich letztendlich mit
auf. Ebenso demonstrieren auch heute noch
jenen Äußerungen auf die Gartenstadtbewe-
die Romane Robert Musils das damals emp-
gung und nicht etwa auf den Villengarten
fundene Dilemma einer Orientierungslosig-
bezieht, lässt sich feststellen, dass der Topos
keit des Individuums in der immer schneller funktionierenden modernen Gesellschaft und
417 Olbrich 1905/1906, S. 188. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit. Auch Alessandra Muntoni geht auf den Artikel von Olbrich mit einer anderen Schwerpunktlegung ein und stellt ihn in Bezug zum Garten des Palais Stoclet. Vergleiche dazu Muntoni 1989, S. 133– 138.
der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung formulierte mit der persona einen Sammelbegriff für eine nach außen gerichtete Hülle des Individuums im Sinne einer sozial erlernten Schutz-Maske. Deutlich wird ein von
145
146
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Ambivalenz und Nervosität getriebenes
lich
Suchen nach einer Identitätskonstruktion
emotionalen Botschaften, die sie mittels
bei einer gleichzeitigen Feststellung von Auf-
ihrer Architektur und Innenausstattung
lösungstendenzen. Jenes Bild einer Aporie
transportierten, zu untersuchen. Sowohl
findet sich im zeitgenössischen Begriff Stim-
Josef Hoffmann als auch Adolf Loos lösten
mung kondensiert und wurde bereits von
das Bild der Kongruenz zwischen ‚moder-
Hermann Broch in seinem Epochenbegriff
nem Ich‘ und Architektur. Hoffmann reagiert
der fröhlichen Apokalypse versinnbildlicht.
mit beruhigten Formen, die mithilfe geome-
So sprach Loos zum einen davon, dass der
trischer Ordnungen wie zum Beispiel dem
Architekt zur Aufgabe habe „Stimmungen in
Motiv der Rahmung eine klar strukturierte
der Architektur festzuhalten“, während Karl
Welt entstehen lässt. Diese Rahmung wurde
Kraus zugleich die zu Gegnern Loos’ Stili-
bisher vorwiegend als Gestaltungsmotiv und
sierten als Menschen verspottete, die sich in
als formales Erkennungsmerkmal im Œuvre
Stimmungen wohlfühlten. Anna-Katharina
Hoffmanns benannt, soll nun aber darüber
Gisbertz fasst jene Qualität der Stimmung
hinausgehend auch als Wirkungskonzept sei-
in ihrer Publikation Stimmung – Leib – Spra-
ner Architekturen und Einrichtungen ver-
che. Eine Konfiguration in der Wiener
standen werden. Loos sieht hingegen die
Moderne sogar als „doppelte Funktion“. Die
Lösung in der neutralen Fassade als Maske
Stimmung erzeuge zum einen „die Erfahrung
und Schutzschicht zwischen der öffentlichen
des Zusammenhangs von Ich und Welt“, die
und privaten Sphäre gegeben. Eine Abschot-
sich als Kompensation einer „Auflösung von
tung ins Private wird von Loos mittels sei-
tradierten Orientierungsleistungen“ versteht,
ner Architektur als ein Lebensmodell for-
und zum anderen vermittle die Stimmung
muliert. 1924 schreibt Adolf Loos seine
jedoch ebenso eine „Welterfahrung“, die vor
vorherige Arbeit synthetisierend in seinem
allem durch ein „pluralistisches Geschehen“
Aufsatz Von der Sparsamkeit: „Der moder-
wahrgenommen wurde.418
ne intelligente Mensch muß für die Men-
Hoffmann und Loos konzipieren Ersatz-
der
sozialen
Strukturen
und
schen eine Maske haben.“
welten als festes Gerüst für ein sich ständig
Im weiteren Verlauf sollen das Bild der
neu definierendes Bürgertum. Jedoch unter-
Maske und die Figur des Dandys für seine
scheiden sich die Botschaften in ihrer Rhe-
Architektur tiefergehend vorgestellt werden.
torik. Um jene Rhetorik noch greifbarer zu
Die Architekturen sowohl Hoffmanns als
machen, soll sich im Folgenden intensiv der
auch Loos’ sind dazu prädestiniert verschie-
Analyse zweier Hauptwerke jener Schaffens-
dene Grade der Intimität vom Öffentlichen
jahre von 1900 bis 1911 gewidmet werden.
bis hin zum Privaten zu veranschaulichen.
Das Sanatorium Purkersdorf von Josef Hoff-
Deutlich zu beobachten ist eine sowohl in
mann (Abb. 3) und das Haus am Michaeler-
ihrer Konzeption durch den Architekten prä-
platz von Adolf Loos (Abb. 4) sind hinsicht-
disponierte Wahrnehmungsstrategie der Bauten als auch eine emotional geäußerte
418 Gisbertz 2009, S. 12.
Wahrnehmung der Architekturen durch die
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Zeitgenossen. Dies gilt ebenso für die Bau-
Zeit und schafft dazu ein Stück Architektur,
werke Loos’ als auch für die Hoffmanns.
das wohl weder nur dem Jugendstil noch
Fassen lassen sich diese vielschichtigen
bereits dem Neuen Bauen zuzuordnen ist.
Erscheinungen unter dem Sammelbegriff der
So ist es auch Ludwig Hevesi, der bereits
Stimmung.
1909 das Sanatorium Purkersdorf in einem Aufsatz als eine „vernünftige Zweckkunst“421
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf: Stimmung als Realisierung einer Utopie der Gesundheit
inszeniert und ihm damit neben der Suche nach dem „Schönen“ eine über die Ästhetik des Jugendstils hinausragende Aufgabenstellung gibt. Dem „Schönen“ und der damit
3.3.1. Baubeschreibung
verbundenen Suche nach einem neuen Stil im Sinne eines zeitgemäßen eigenen Aus-
Konfusion um Standort und Definition eines ungewöhnlichen Bauwerkes
drucks stark verbunden, rückt Hoffmann den
Das Sanatorium Purkersdorf (Abb. 3), auch
licher in den Mittelpunkt seines Sanatoriums
Hoffmann-Pavillon genannt, ein Gebäude
Purkersdorf.
Topos des Nutzens, der von seinem Lehrer Otto Wagner geprägt wurde,422 immer deut-
aus Ziegelmauerwerk unter der Verwendung
In zwei wichtigen zeitgenössischen Berich-
von Stahlbetondecken und Stahlbetonstüt-
ten zum Sanatorium Purkersdorf wird
zen,419 lässt sich nicht elementar nur einer
sowohl von Ludwig Hevesi als auch von
Richtung zuordnen. Spricht man in diesem
Joseph A. Lux, dem Herausgeber der Zeit-
spezifischen Fall von einem Bauwerk des
schrift Hohe Warte, eine deutlich bejahende
geometrischen Jugendstils oder reicht die Architektur des Sanatoriums Purkersdorf schon über diese Definition hinaus und begründet eine neue Ausdrucksweise in der Architekturgeschichte oder stellt es die Vorstufe eines neuen Stils im Sinne eines Brückenbaus zwischen Historismus, Jugendstil und Moderne dar? Peter Gorsen spricht von „Manierismen und Stilzwittern“ als Charakteristika der Bauten Josef Hoffmanns.420 Genau jene zwei Begriffe treffen den Definitionsstandort des Sanatoriums Purkersdorf. Josef Hoffmann unterläuft mit seinem Sanatorium die bisher gängigen Normen seiner 419 Breckner 1982, Punkt 1.4 und Breckner 1985, S. 2. 420 Gorsen 1985, S. 75.
421 Hevesi 1909, S. 214. 422 Otto Wagners Biografie ist zunächst aufschlussreich für solch eine Verkettung der Architekturauffassungen der beiden Persönlichkeiten. Wagner wurde 1841 noch im Vormärz und Spätbiedermeier geboren. Er erlebte den Wettbewerb um die Ringstraße als Student des Polytechnikums und studierte bei Siccardsburg und van der Nüll, den beiden Architekten der Wiener Oper an der Ring straße. Sein Werdegang ist stark vom Unternehmen der Wiener Ringstraße geprägt. (Achleitner 1996, S. 31.) Wie eng wiederum Hoffmann an Otto Wagner gebunden war, veranschaulichen einige seiner Lebensstationen. Otto Wagner war Hoffmanns Lehrer an der Kunstakademie in Wien. Hoffmann arbeitete circa ein Jahr im Architektenbüro Wagners und beide waren Mitglieder der Wiener Secession. Eine starke Mischung der Architekturauffassungen beider Architekten wird mit diesen Randdaten wahrscheinlich, auch wenn ihre Arbeiten nicht miteinander gleichgesetzt werden dürfen. (Baroni und D’Auria 1984, S. 21 und S. 29.)
147
148
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Stellung zum Hoffmann-Pavillon bezogen.
sie erst am eigenen Leibe das fördersame
Beide stammen selbst aus dem Kreis um die
Behagen dieser vernünftigen Zweckkunst
Wiener Secession und schreiben wohl daher
erfahren und sich in diese praktische,
in Hinblick auf Kritiker im Sinne einer Vor-
logische, auf eigene Art elegante Aus-
wärtsverteidigung für ihre Auffassung von
drucksweise eines modernen Bautalents
zeitgemäßer Kunst. Sich einer stetigen Geg-
hineingewöhnt haben, werden sie sich
nerschaft in Wien bewusst, vor allem begrün-
nicht leicht wieder zum Aufenthalt in
det durch die Frontstellung von Secession
unzurechnungsfähigeren
und Künstlerhaus – aus dem die Secessionis-
bequemen.“423
Heimstätten
ten wegen fehlender Ausstellungsmöglichkeiten ihrer Exponate ausgetreten waren –,
Ludwig Hevesi argumentiert äußerst versiert.
ufern die Texte in Lobpreisungen und Ankla-
In diesen wenigen Zeilen steckt bei Weitem
gen gegenüber den Unverständigen aus. So
mehr Rhetorik als sich beim ersten Durch-
schreibt Ludwig Hevesi 1905 in seinem Arti-
lesen des anekdotischen Berichts vermuten
kel Neubauten von Josef Hoffmann. Purk-
lässt. Allein die ad absurdum geführten Jah-
ersdorf. Hohe Warte. Brüssel zum Beispiel:
reszeiten haben nicht nur die Bedeutung, dass es sich damals im Jahr 1905 um einen
„In den sonnigen Frühlingstagen, die uns
recht sonnigen Herbst handelte, sondern die
dieser Herbst beschert, habe ich einige
Nennung des Frühlings weckt deutliche Asso-
Gänge durch das äußere und äußerste
ziationen zum Ver Sacrum-Siegel der Wiener
Wien getan. Die Natur lohnte reichlich,
Secession. Einem Wahlspruch gleich betitel-
aber auch die Kunst war freigebig. Sie
te die Künstlergruppe ihre eigene Zeitschrift
stellte sich da und dort mit willkomme-
mit dem heiligen Frühling. In diesem Zusam-
nen Überraschungen ein, in Form von neu-
menhang muss man auch das Credo Der Zeit
en Gebäuden, wie sie nur unsere Wiener
ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit stellen,
Neukünstler schaffen. Die originalen na-
das von Ludwig Hevesi kreiert wurde.424 Bei-
türlich, nicht die leidigen Kopisten, von
de Devisen schmücken die Fassade des
deren Abklatschkunst die Gassen der in-
Secessionsgebäudes von Joseph Maria
neren Bezirke wimmeln. In Bauherren-
Olbrich in Wien an der Friedrichstraße. Bei-
kreisen rumort noch immer die alte Angst
de formulieren auch ein bestimmtes Kunst-
vor den Erfindern, die wirkliche Einfälle
verständnis und eine Lebenseinstellung, zu
haben. Erst wenn diese durch das weiche-
deren Begründern und Befürwortern Gustav
re Hirn eines beliebigen Nachahmers ge-
Klimt, Koloman Moser, Carl Moll, Otto Wag-
gangen, werden sie für den Geschmack
ner, Joseph Maria Olbrich und eben auch
des bauen lassenden Publikums verdau-
Josef Hoffmann zählen.
lich. Doch das ist nun einmal nicht an-
Des Weiteren spricht Hevesi in diesem
ders. Möglich, daß eine Kur im neuen
Abschnitt von „originalen Wiener Neukünst-
Sanatorium Purkersdorf diesen Herrschaften auch ästhetisch gut tun wird. Wenn
423 Hevesi 1909, S. 214. 424 Hevesi 1906, S. VII. und S. 70.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
lern“ und von Kopisten. In dieser Gegen-
Eigenbildes als Bauherren verstand und das
überstellung formuliert sich vielleicht die
gebaute Bild von Wien mitprägte, sollte
Trennung der Secession in zwei Lager. 1905
durch das Sanatorium Purkersdorf angezo-
hatte sich die sogenannte Klimtgruppe, der
gen und zu einem ästhetisch formulierten
auch Josef Hoffmann angehörte, von der
Ideal erzogen werden. Jene Erziehung defi-
Secession abgenabelt.
Es war die pejorati-
niert Hevesi als am Leib erfahrbar und
ve Beurteilung der alles überwuchernden und
bezeichnet im Umkehrschluss das Sanatori-
angeblich inhaltslosen „Secessionsmode“
um als eine zurechnungsfähige Architektur.
entstanden, von der sich die Künstler um
Die Architektur wird demnach von Hevesi
Gustav Klimt deutlich distanzierten.426 Die
mit einem Geisteszustand des Menschen
Diskussion um das Ornament und seine Ver-
umschrieben. Daher muss im Verlauf dieses
wendung spaltete Künstlergruppen in klei-
Kapitels auf die zu erwartenden Patienten
nere Gruppierungen, die sich aufgrund ihrer
oder vielmehr auf den großstädtischen Kur-
Positionierung zu unterscheiden wussten.
gast noch näher eingegangen werden und
Ludwig Hevesi, anhand dieses Zitates deut-
die erzieherische Haltung, die ihm vonseiten
lich als Anhänger der Bestrebungen von
der Architektur entgegengebracht wird, ist
Kunst identifizierbar, die der Klimtgruppe
zu definieren. Zumindest deutet sich bereits
zu eigen war, geht so weit, dass er im Sana-
in diesem zeitgenössischen Bericht eine
torium Purkersdorf eine Art von ‚Geschmacks
Koexistenz von Kurgast und Gebäude an.
425
erziehungsheim‘ der Auftraggeberschicht
Ludwig Hevesi ordnet dem Sanatorium
sieht. Mit dieser Äußerung wird offensicht-
Purkersdorf eine Vorreiterrolle zu, indem er
lich, wie gut Hevesi die Zielgruppe des Sana-
Josef Hoffmann als ein „modernes Bautalent“
toriums erkannt hat. Eine wohlhabende Kli-
charakterisiert. Die Suche nach einer eige-
entel, die sich im Sinne eines selbstbewussten
nen Kunstform, die sich den Stilnachahmungen der Wiener Ringbautenzeit versagte und der sich Josef Hoffmann zumindest in seiner
425 426
Vergleiche zur Definition der Klimtgruppe Zuckerkandl 1991, S. 92f. Neben diesen ideellen Kriterien waren es aber wohl überwiegend Streitigkeiten zweier Untergruppen in der Bewegung, die sich an der Gründung der Wiener Werkstätte als Konkurrenzunternehmen und der leitenden Tätigkeit des Malers Carl Moll für die Galerie Miethke entzündeten. Es war zuvor schon ein deutliches Ungleichgewicht durch die Besetzung Hoffmanns und Mosers mit Professorenstellen an der Kunstgewerbeschule entstanden. Beide gehörten der Klimtgruppe an. Es entwickelte sich ein Ringen um die Präsentationsräume und Erweiterungsbestrebungen. Der Klimtgruppe wurde von den anderen Secessionisten eine einseitige Vermarktung vorgeworfen, die zuvor schon zur Trennung vom Künstlerhaus geführt hatte. (Kossatz 1975, S. 23. Zum Begriff der „Secessionsmode“ vergleiche Bahr 2007, S. 41.)
frühen Schaffenszeit offiziell verschrieben hatte, bekommt hier ihr außergewöhnliches Zeugnis ausgestellt. Ein Zeitungsartikel von 1911 untermauert diese Sichtweise der Zeitgenossen auf das Sanatorium Purkersdorf, indem er das Gebäude als ein „Mittelglied zwischen dem modernen Hotel und der modernen Heilstätte“ definiert, welches das Ergebnis einer „Suche nach der Ruhe der Geradlinigkeit“ darstelle.427 Die Implikation der technischen Innovation als Teil der
427 Zuckerkandl 1911, S. 3.
149
150
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Moderne wird augenscheinlich, wenn man
der Mittel zu, flehe aber um Einheitlich-
einen weiteren Artikel aus der Fachzeitschrift
keit der Räume untereinander.“429
Der Architekt betrachtet. Er behandelt den ökonomischen Nutzen von Motorlastwagen
Was bedeutet „aus einem Guss“? Meint Josef
im Gegenzug zu Pferdegespannen. Dieser
Hoffmann damit nur die Planung oder auch
sich auf das Baugewerbe beziehende Aufsatz
die Ausführung durch einen Künstler? Lie-
stellt keinerlei direkten Bezug zu Josef Hoff-
gen die Begriffe „Äußeres“ und „Inneres“
mann oder seiner Arbeit her, wird aber voll-
nur im architektonischen Teilaspekt des
kommen von seinen Entwürfen und Foto-
Gesamtkunstwerks oder umschreiben sie
grafien von seinen Villen bebildert. Unter
weitere Ebenen des Ganzen? Genauso rudi-
die Skizzen Hoffmanns mischen sich eben
mentär ist der Ausdruck der „Einheitlichkeit
auch einige vom Sanatorium Purkersdorf.428
der Räume“. Worin sind diese einheitlich?
Ein weiterer Begriff, der in der Literatur
Etwa im Design, in der Funktion, in der Her-
zum Jugendstil und insbesondere zum Werk
stellung oder in allem zusammen genom-
Josef Hoffmanns immer wieder genannt wird,
men? Peter Behrens schreibt in einem Text
ist der des Gesamtkunstwerks. Dieser Ter-
zu Josef Hoffmann von der Verwandtschaft
minus hat mittlerweile schon einen Epochen
seiner Häuser und insbesondere des Palais
umschreibenden Charakter erlangt, wird
Stoclet zum Grundbegriff Vitruvs der distri-
jedoch selten genauer in Bezug auf die Archi-
butio.430 Die distributio ist der einzige Ter-
tektur Hoffmanns definiert. Das Bild, das
minus, der von Vitruv zwei der drei Archi-
mit dem Wort Gesamtkunstwerk einhergeht,
tekturkategorien
ist die Zusammenführung aller Künste unter
gegeben sein müssen, damit man von einer
dem Dach der Architektur. Die dadurch ent-
„ästhetisch gelungenen Architektur“ spre-
stehenden
zwischen
chen kann. In diesem Fall handelt es sich
Handwerk, Kunsthandwerk und Kunstwerk
um die beiden Kategorien utilitas und
werden nur gelegentlich differenziert erklärt,
venustas. Diese Aufteilung des Begriffes
manchmal auch nur grob umrissen. Man
ergibt sich aus den zweckmäßigen Proporti-
nimmt den Begriff oft als gegeben hin. D ieses
onen von Material, Umgebung und Vertei-
Problem ist aber auch im Phänomen selbst
lung der Finanzen auf der einen Seite und
angelegt. Josef Hoffmann zum Beispiel unter-
der Beziehung zwischen dem Haus und sei-
stützt diese ungenaue Definition des Begrif-
nen Bewohnern auf der anderen Seite.431 Die
fes Gesamtkunstwerk, wenn er formuliert:
distributio verhandelt demnach unter ande-
Interdependenzen
zugeordnet
wird,
die
rem die „Relation von Haus und Bewoh„Ich glaube, dass ein Haus wie aus einem
ner“.432 Vitruv umschreibt den Begriff der
Guss dastehen sollte und dass uns sein
distributio wie folgt:
Äußeres auch schon sein Inneres verraten müsste. Wohl gebe ich eine Steigerung
428 Wolff-Friedenau 1912, S. 9–16.
429 Hoffmann 1901, S. 203. 430 Ohne Autor 1930, S. 9. 431 Kruft 1995, S. 20–30. 432 Kruft 1995, S. 28.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
„Distributio aber ist die angemessene Ver-
und wissenschaftlichen Idiome und Errun-
teilung der Materialien und des Bauge-
genschaften des Fin de siècle verweisend und
ländes und eine mit Überlegung auf Ein-
untermauernd zu schauen, soll vor allem der
sparungen ausgerichtete zweckmäßige
Blick auf das verwirklichte Gesamtkunst-
Einteilung der Baukosten … Eine zweite
werk nicht nur eine Überprüfungsmöglich-
Stufe der Distributio wird es sein, wenn
keit, sondern eben ein Erschließungsmoment
Gebäude zum Gebrauch von (einfachen)
darstellen. Daher ergibt sich eine Aufteilung
Familienvätern und im Hinblick auf (ge-
der
ringes) Vermögen oder im Hinblick auf
Purkersdorf in eine zunächst detaillierte, bis-
die würdevolle Stellung eines Redners pas-
her noch nicht umfassend geleistete Werk-
send gebaut werden. Denn offenbar müs-
beschreibung und eine Analyse der daraus
sen Gebäude in der Stadt anders einge-
resultierenden Wahrnehmung einer solchen
richtet werden, als die, in die die
speziellen Erscheinung von Gebäude.
Untersuchungen
zum
Sanatorium
Erzeugnisse aus ländlichen Besitzungen
Ein weiterer Aspekt, der das Gesamt
fließen; nicht ebenso die für Geldverlei-
kunstwerk Josef Hoffmanns beeinflusste,
her, anders für reiche und üppige Leute
wird von Peter Behrens aufgezeigt: „Das
mit feinem Geschmack. Für mächtige
Musikalische und das Poetische.“434 In sei-
Männer aber, durch deren Gedanken der
nem Brief zu Hoffmanns sechzigstem
Staat gelenkt wird, werden sie entspre-
Geburtstag k ennzeichnet der Gratulant das
chend dem Bedürfnis gebaut werden. Und
Werk Hoffmanns als eines mit „österreichi-
im ganzen müssen die Einrichtungen der
schem Wesen“ ausgestattet:
Gebäude immer den Bewohnern angemessen ausgeführt werden.“433
„Das Musikalische dieser Stadt schwingt auch in allen Werken Hoffmanns. […]
Genau jener kurze Exkurs in die Antike defi-
Sieht man irgend ein Haus von ihm und
niert bereits die Hauptfrage für das Sanato-
wird hineingeführt, so ist es nicht das Ge-
rium Purkersdorf als Gesamtkunstwerk:
waltige, das Staunen erweckt, sondern es
Inwiefern lässt sich das Sanatorium Purkers-
sind die feinen Verhältnisse der Formen
dorf mithilfe der äußeren und inneren Gestal-
und Räume, die Einfachheit, die behag-
tung, dessen Positionierung vor der Stadt
lich wirkt, die zum Verweilen einlädt, be-
Wien und seinem Anspruch auf die Konsti-
schauliche Ruhe und Glück verspricht.“435
tuierung einer Beziehung von Architektur und dem darin agierenden Menschen im Sin-
Behrens erläutert – ohne die Vokabel des
ne einer visuellen Evidenz untersuchen?
Gesamtkunstwerks heranzuziehen – dessen
Auch wenn es im Laufe dieser Analyse immer
eigene Ausprägung im Werk Hoffmanns.
wieder nötig sein wird, auf die theoretischen
Nicht die demonstrative Luxussucht bis hin zum letzten Detail, sondern die Abstimmung
433
Hier zitiert nach Kruft 1995, S. 27. Er zitiert nach Vitruvii/Vitruv 1996, S. 42f. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.
434 Peter Behrens zitiert nach Ohne Autor 1930, S. 9. 435 Ohne Autor 1930, S. 9.
151
152
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
aller Bestandteile aufeinander entwickelt
Dagobert Peche umschreibt hier die Ansicht,
einen Tenor und einen Rhythmus in seinem
dass die statisch und technisch korrekt gelös-
Kunsthandwerk, das demnach eine kleine
ten Bauten des Ingenieurs nicht der Defini-
eigene Welt entstehen lässt, die einem Vaku-
tion von Kunst genügen. Der damalige Archi-
um gleich in der restlichen Realität existiert.
tekt definiert sich nicht allein über seine
Die Beschreibung „einer Welt für sich“ wird
konstruktiven Fähigkeiten, sondern noch viel
von Hevesi auch auf das Secessionsgebäude
mehr über eine ‚Mystik‘ der Proportionen
von Olbrich an der Friedrichstrasse in Wien
und Verhältnisse und wird vom Handwerker
angewendet und ist ebenso auf Josef Hoff-
zum Künstler. Das Erahnen „der mystischen
manns Gesamtkunstwerkaspekt der Villen
Grundidee“ könnte man im Fall des Hoff-
auf der Hohen Warte und des Sanatoriums
mann-Pavillons mit dem Quadrat gleichset-
Purkersdorf zu übertragen.436 Gunter Breck-
zen. Aber keiner der Autoren, die sich dem
ner ordnet zum Beispiel dem wiederholen-
Sanatorium Purkersdorf widmeten, erklärt
den Rhythmus beim Sanatorium Purkersdorf
das gesamte Gerüst des Sanatoriums. Die
einen „meditativen Charakter“ zu und sieht
fast schon programmatische Ausklammerung
in den Fensteröffnungen eine Art von Takt-
des Sanatoriums aus der zeitgenössischen
angeber gegeben.
Fachliteratur und das noch bis in die Gegen-
437
Dagobert Peche, der Nachfolger Koloman
wart knappe Abhandeln des hochkomplexen
Mosers und enger Mitarbeiter Josef Hoff-
Bauwerks Josef Hoffmanns scheint ein
manns in der Wiener Werkstätte, entwickelt
Beweis für diese von Peche beschriebene
ebenso eine Kunstauffassung, die erklären
‚Mystik‘ zu sein, die auch als diffuser Defi-
könnte, warum um das Sanatorium Purkers-
nitionsstandort zu bezeichnen ist.
dorf solch ein Kult betrieben wurde und teilweise heute noch fortgeführt wird:
Neben den verschiedenen Kunstdefinitionen um 1900, die inflationäre Verwendung der Begrifflichkeiten von Zweck, Nutzen und
„Wenn ein Ingenieur zwei Säulen setzt
Funktion sowie dem Moment des Gesamt-
und darüber einen Träger legt, so ist das
kunstwerks, steht beim Sanatorium Purkers-
gut konstruiert, mit Kunst hat dies nichts
dorf auch die besondere Behandlung des
zu tun, denn von dieser verlangt man, daß
Ornaments zur Debatte. Die Suche nach dem
sie die mystische Grundidee, die wir nicht
Wortursprung des Ornaments führt zum latei-
kennen, aber verschieden ahnen, zum Aus-
nischen Wörterbuch. Ornamentum ist zum
druck bringt. Dies wird der Künstler in
einen als Ausrüstung, im Sinne einer militä-
dem instinktiven Erfassen, in der Weite,
rischen Ausstattung, und zum anderen als
der Höhe und Breite, der Stärke etc. zu-
Schmuck und Kleinod definiert.439 Das Wort
einander zum Ausdruck bringen, damit
Ornament umschreibt somit für sich selbst
gehört dieses Werk zum Kosmos.“
eine Ambivalenz. Burghart Schmidt, wissen-
438
436 Vergleiche dazu Hevesi 1906, S. 68–74. 437 Breckner 1988, S. 64. 438 Peche 2003 (1922), S. 282. Hervorhebungen im
439
Text stammen von der Autorin dieser Arbeit. Ornamentum, in: Thesaurus Linguae Latinae ²2003, CD-ROM, 1008/46-1016/39.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
schaftlicher Mitarbeiter von Ernst Bloch,
wird, dass das Papier nicht als Konstrukti-
sieht demzufolge im Ornament etwas Aske-
onsgerüst fungierte, ist eine gleichzeitige
tisches enthalten.440 Aus dieser Doppelrolle
Reduzierung auf Proportionen wie zum Bei-
von schmückendem Beiwerk und militäri-
spiel 1:1, 1:10 oder 1:100 zu beobachten.
schem Rüstzeug ergibt sich ein spannungs-
Das Quadrat bot Hoffmanns Freihandzeich-
reiches Bild für den konstruktiven Jugendstil,
nungen einen deutlichen Halt gegenüber sei-
der das Ornament auf geometrische Grund-
ner sonstigen Praxis, keine Verbesserung vor-
formen reduzierte. Das Ornament des Sana-
zunehmen, sondern gleich ganz von Neuem
toriums Purkersdorf besteht primär aus der
zu beginnen.442 So ist das Quadrat vielmehr
Grundform des Quadrats. Die verschiedenen
ein Hauptcharakteristikum der Wiener
Ebenen der Durchdringung des Bauwerks
Secessions-Bewegung nach 1900 und bezieht
durch das Quadrat werden im Rahmen der
sich nicht allein auf das Schaffen oder die
Werkbeschreibung untersucht werden, doch
Initiative nur eines einzelnen Mitgliedes.443
lässt sich schon jetzt festlegen, dass Begriffe
Gerade in der Zeitschrift Ver Sacrum, in der
wie Askese, Reduzierung und Hygiene stark
Hoffmann mit Koloman Moser und Hermann
verkettet sind mit der Einheit des Quadrats
Bahr schon vor 1905 wirkte,444 ist eine Häu-
des Sanatoriums Purkersdorf. Die Leistung
fung des Quadrats zu beobachten, aber
des Jugendstils ist nach Burghardt Schmidt
erstaunlicherweise gingen die Impulse wohl
die „klassische Bestimmung [die Zeige
nicht von Hoffmann, sondern von Koloman
funktion; LT] des Ornaments unterwandert
Moser aus. So ist es laut Marian Bisanz-Prak-
zu haben“.
Diese Unterwanderung und
ken auch dieser, der im September 1901 das
mehrfache Belegung des Ornaments ist
Quadrat endgültig in die Wiener Flächen-
ebenso für das Quadrat des Hoffmann-Pavil-
kunst einführt.445 Ebenso sieht man in Kolo-
lons gültig.
man Moser den Initiator für die Verwendung
441
Um das Quadrat bei Hoffmann selbst herrscht in der Literatur ebenso eine Konfu-
des Schachbrettmusters im konstruktiven Jugendstil.446
sion wie um das Sanatorium in seinem voll-
Von der 8. Secessionsausstellung im Jahr
ständigen Erscheinungsbild. Häufig wird in
1900, die der Mackintosh-Gruppe gewidmet
der Literatur eine Art Vorrangstellung des
war, bis hin zu zahlreichen Veröffentlichun-
Quadrats bei Hoffmann zu einem Quadratpatent des Architekten hochstilisiert. Diesen Umstand untermauert der recht einseitig durchdachte Spitzname Quadratl-Hoffmann. Josef Hoffmann entwarf ab 1898 auf kariertem Papier. Eine mit dem Material einhergehende Veränderung war die größere Vereinfachung des Entwurfs. Auch wenn behauptet 440 Schmidt 1987, S. 22. 441 Schmidt 1987, S. 22f.
442
Ohne Autor 2005, Broschüre und Kleiner 1927, S. XX. Siehe zum Begriff des Quadratl-Hoffmann auch Baroni und D’Auria 1984, S. 14. 443 Bisanz-Prakken 1982, S. 40. 444 Während Hoffmann und Moser sich für den illustrativen Teil verantwortlich zeigten, waren es vor allem Beiträge Rainer Maria Rilkes, Ferdinand von Saars, Hugo von Hofmannsthals, Peter Altenbergs und eben Hermann Bahrs, die den literarischen Part der Zeitschrift begründeten. (Ankwicz Von Kleehoven 1960, S. 9.) 445 Bisanz-Prakken 1982, S. 46. 446 AK Vienna 1981, S. 3.
153
154
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
gen dieser schottischen Künstlergruppe in
mehr bezugslos im Werk Hoffmanns, sondern
Zeitschriften, die in Wien zugänglich waren,
zeigt zumindest gewisse Anleihen zu seinem
lässt sich eine Quelle für das Quadrat bei
direkten und indirekten Umfeld. V ermutlich
Moser, Hoffmann und auch Klimt finden.
447
meinte Hoffmann mit seiner Aussage über die
Es scheint viel wahrscheinlicher, dass Hoff-
Abwesenheit des Quadrates auch eher seine
mann über die „Arts and Crafts“-Bewegung
deutliche Abkehr von der Praxis des Histo-
und die Wiener Secessionsbestrebungen zum
rismus, in vergangenen Epochen nach mög-
Quadrat gelangte und nicht, wie er selbst
lichen Formzitaten zu suchen und stilisierte
behauptete, über dessen bisherige Nichtan-
so rhetorisch seine Suche nach dem Neuen.
wendung in der Architektur. Günther Feuer-
Gebautes Architekturtraktat einer Zeit-
stein zitiert Hoffmann ohne Angaben von
strömung, das konsequente Folgen von Ide-
Quellen. Das Zitat lautet: „Das reine Quadrat
alvorstellungen und die Verknüpfung von
und der Gebrauch von Schwarz-Weiß als
Kunst und Leben waren die relevanten
dominierende Farben interessieren mich des-
Aspekte, die das Sanatorium Purkersdorf ent-
halb so besonders, weil diese klaren Elemen-
stehen ließen und prägten. Natürlich form-
te nie in früheren Stilen erschienen waren“.448
ten auch die wirtschaftliche Effektivität und
In Bezug auf das Sanatorium Purkersdorf
die Wünsche des Auftraggebers ein Gebäude
wäre es auch möglich, dass Arthur Heygate
wie das Sanatorium Purkersdorf. Inwiefern
Mackmurdo (1851–1942), der 1874 mit Rus-
diese verschiedenen Ebenen das endgültige
kin durch Italien reiste und ein Mitbegründer
Ergebnis und eventuell vorgenommene Ver-
der Century Guild of Artists war, als Ideen-
änderungen beeinflussten, soll im weiteren
geber für Hoffmann fungierte. So hatten zum
Verlauf der Arbeit mit der bereits formulier-
Beispiel seine quadratischen Deckplatten auf
ten Suche nach den evidenten Wahrneh-
den Säulen des Standes der Century Guild
mungsstrategien, die durch die Architektur
auf der Liverpooler Ausstellung von 1886 Ein-
verhandelt sind, betrachtet werden.
fluss auf Voysey und Mackintosh. Besonders eindrucksvoll ist Mackmurdos Haus in Enfield, Private Road 8, von 1883, das laut
Purkersdorf – Der Standort des Sanatoriums
Peter Davey in einem „abstrahierten klassizistischen Stil gehalten ist“. Mit seiner star-
Bezeichnenderweise ist die heutige Halte-
ken Betonung des Horizontalen, seinem
stelle Purkersdorf Sanatorium die letzte, die
Flachdach, den Fenstern, die in ein quadrati-
tariflich noch zur Stadtzone Wiens gezählt
sches Unterraster unterteilt sind und zuletzt
wird, obwohl man sich bereits innerhalb der
seinem weißen Anstrich könnte es für Josef
Grenzen des Bundeslandes Niederösterreich
Hoffmann ebenso als Formenquelle gedient
befindet.450 Das Sanatorium erlebte in seiner
haben.449 Das Quadrat verbleibt somit nicht
Vorortlage ab dem Zweiten Weltkrieg eine
447 Bisanz-Prakken 1982, S. 42. 448 Feuerstein 1964, S. 181. 449 Vergleiche dazu Davey 1996, S. 56–59.
450
Die Station gehörte ursprünglich zur Kaiserin-Elisabeth-Westbahn, die 1858 eröffnet wurde. (Seemann und Lunzer 2002, S. 1.)
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
wechselhafte Nutzung. Vom Lazarett über
torium wie ein Fremdkörper, der auf dem
ein evangelisches Krankenhaus bis hin zur
Land gestrandet ist. Dieser kontrastreiche
Verwendung als Raum für die Aufführung
Gegensatz zu seiner Umgebung vermittelt
eines Dramas über Alma Mahler
durchleb-
den Eindruck, dass es sich bei diesem Gebäu-
te das Sanatorium Purkersdorf verschiedene
de um eine Ausnahme handelt und durch
Formen des Gebrauchs. Es erfuhr von seiner
sein für diesen Ort extravagantes Erschei-
anfänglichen Berühmtheit über das Verges-
nungsbild wird die Verquickung mit der
sen bis hin zur Wiederbelebung durch die
Großstadt offensichtlich. Das Sanatorium
Restaurierungsarbeiten am Ende des 20. Jahr-
Purkersdorf ist selbst ein Stück Urbanität
hunderts und am Beginn des 21. Jahrhun-
inmitten der Natur (Abb. 3). Jenen Eindruck
derts alle Stadien der Wert- und Geringschät-
eines Stücks verpflanzter Metropole muss
zung. Zu Beginn eine Erholungsstätte für
das Sanatorium zu seiner Entstehungszeit
wohlhabende Wiener, später während des
noch verstärkt herausgefordert haben.453
451
Zweiten Weltkriegs ein Lazarett, standen
Gerade jene Abgeschlossenheit und Ferne
dem Sanatorium nach seiner Revitalisierung
zum geschäftigen Treiben der Großstadt
in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts verschiedene Nutzungsmöglichkeiten offen. Doch es wurde überwiegend im Sinne seiner ursprünglich funktionalen Konzipierung zur Versorgung von ‚Kranken‘ genutzt. Das Sanatorium dient heute als Altersheim.452 Zu seiner Glanzzeit war es einem engen Personenkreis verschrieben, sowie es gegenwärtig nur einer kunsthistorisch interessierten Klientel ein Begriff geblieben ist. Purkersdorf wirkt heute noch entrückt von der nahen Großstadt Wien. Nichts direkt Urbanes erinnerte an die Nachbarschaft zur Hauptstadt Österreichs, wäre da nicht die ausgebaute Hauptstraße, die Purkersdorf in direkter Linie mit Wien verbindet und folgerichtig den Namen Wienerstraße trägt. Neben den standardisierten Einfamilienhäusern der unmittelbaren Nachbarschaft wirkt das Sana451 Nextroom Architektur Datenbank: http://www. nextroom.at/building.php?id=2356&inc=artikel, 10.07.2015. 452 Vergleiche dazu Topp 2004, S. 94f. und AK 10 Jahre 1996, S. 48f. Des Weiteren vergleiche in Bezug auf die Restaurierungsarbeiten Ohne Autor 1996.
453
Zur Verdeutlichung der Situation Purkersdorfs vor Erbauung des Sanatoriums und auch zur weiteren Erklärung, warum das Sanatorium gerade in jenem Wiener Vorort erbaut wurde, kann man ein Zitat Josef Schweickhardts von 1832 heranziehen: „Die Lage ist meist gebirgig und enthält viele Berge mit großen Strecken Waldungen. Die Luft ist rein und gesund, jedoch das Klima gegen die angrenzenden, mehr flach liegenden Herrschaften etwas rauer; Wasser ist in Fülle vorhanden, welches vortrefflich ist und größtenteils aus Bergquellen stammt. Die Einwohner aller Orte in der Herrschaft [Purkersdorf; LT] sind durchaus Waldbauern, die sich besonders in Sprache (die waldbauerische Sprache ist ein ganz ein eigener Dialect mit dem Gebrauche, die Worte zu dehnen und oft ganze Silben gleichsam singend zu sprechen, wodurch sie selbst für den Österreicher unverständlich werden), Sitten, Kleidern und Gebräuchen als solche kennbar machen. Sie besitzen nur einen äußerst geringen Ackerstand, jedoch mehr Wiesen, die gut und zu ihrer Viehzucht nutzbar sind. Der Schlag ihres Hornviehs ist zwar nicht groß, aber stark und schön; sie treiben mit Liebe und Fleiß die Molkereiwirtschaft. Obst haben sie überall und wir fanden hie und da sogar schönes. Die Jagdarbeit, als ein landesfürstliches Regale, ist in dem ganzen Waldbezirk nur höchst mittelmäßig. Woran wohl das stete Holzfällen in den kaiserlichen Wäldern schuld sein mag, wodurch das Wild verscheucht wird. Fabriken bestehen keine, und Handel wird von den Einwohnern meist mit Holz und ihren
155
156
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
sowie das gleichzeitige Vorhandensein einer
den politischen und kulturellen Liberalismus
Verknüpfung durch eine gute Verkehrsver-
geprägt war, auf den menschlichen Organis-
bindung macht einen Großteil der Konzep-
mus negativ einwirken und somatische wie
tion des Sanatoriums aus. An diesem ent-
seelische Erkrankungen verursachen wür-
rückten Ort – direkt am Wienerwald und
de.455 Als logische Konsequenz sah man in
unweit des Lainzer Tiergartens gelegen454 –
einer positiven äußeren Einflussnahme auf
sollten sich die Patienten von ihren Neuro-
den Körper die Möglichkeit zur Genesung
sen erholen, die das Großstadtleben bei
des stressgeplagten Patienten.
ihnen verursachte. Man war davon über-
Medizinisch strebte man eine Ästhetik des
zeugt, dass eine Behandlung mit Licht, Luft,
gesunden, in der Natur verankerten Lebens
verschiedenen Diäten und Badekuren das
an. Das Sanatorium wurde zur Insel in einer
strapazierte Nervenkostüm eines Städters
von marktwirtschaftlicher Konkurrenz domi-
wieder in seiner ‚eigenen Natur‘ verorten
nierten Hektik des Alltags. Im Sanatorium
würde. Im Gegensatz zur Theorie des Psy-
Purkersdorf wurde kein ländliches Leben
chologen Sigmund Freud wurde in dieser
imitiert, sondern man nahm im Rahmen
Institution die Annahme vertreten, dass das
eines zeitgemäßen und anspruchsvollen urba-
urbane Milieu einer Stadt, die zum Zeitpunkt
nen Umfelds die Vorteile der Natur wahr.
der Erbauung des Sanatoriums noch durch
Die Idee einer Anpassung an das Landleben lag dem Sanatorium Purkersdorf fern. Lud-
454
geringen Erzeugnissen der Viehzucht etc. getrieben. Außer diesen finden sie auch einen Verdienst durch Fuhrwerke für die k. k. waldamtlichen Hölzer, und viele der Einwohner arbeiten als Holzhacker. Wir fanden in diesem Bezirke viele herrliche Gegenden, die voll Anmut und Reiz sind. Mehrere Teile dieser waldämtlichen Gegenden werden von den Naturschönheiten liebenden Wiener häufig besucht.“ (Seemann und Lunzer 2002, S. 1.) Dort heißt es auch: „Die Bahn beförderte natürlich in erster Linie den Besucherstrom aus der Hauptstadt, sodaß um 1900, wie der Herr Bezirkshauptmann schreibt, die Bevölkerung auf den Aufenthalt von Sommerparteien geradezu angewiesen und der Ort einer der beliebtesten und besuchtesten Sommerfrischen der Wiener war. Hotels und Cafés entstanden, ‚mit guten Gasthäusern ist Purkersdorf wohl versorgt‘, weiß ein Führer 1898, Ausflugsrestaurants wie Paunzen und Deutschwald waren jedem Wiener wohlbekannt, Sommervillen wurden gebaut, sodaß, schreibt derselbe Führer, der alte Ort dabei fast zu verschwinden schien.“ (Seemann und Lunzer 2002, S. 1.) Gert Demarle hat Waldwanderwege, die direkt vom Sanatorium Purkersdorf zum Lainzer Tiergarten führen, ermittelt. (Demarle 1985, S. 22 und S. 100. Vergleiche dazu Seemann und Lunzer 2002, S. 2.)
wig Hevesi, der Hauschronist der Wiener Secession, schreibt von „Damen in großer Toilette“456 und solchen Einbauten wie Billardzimmer, Pingpongzimmer,457 Musikzimmer, Lese-, das heißt Gesellschafts- und Schreibzimmer, die auf dem ersten Stock verteilt lagen. Derartige Angebote waren nicht mit einem ländlichen Lebensstandard der damaligen Zeit zu verbinden, sondern zeigen die Annehmlichkeiten eines städtischen
455
Vergleiche dazu Topp 1997, S. 414–437 sowie Topp 2004, S. 65 und S. 87–89. 456 Hevesi 1909, S. 216. 457 Zum Erhaltungszustand des Pingpongzimmers sind keinerlei Fotografien erhalten, die einen Originalzustand bis heute dokumentieren könnten. Als original ist nur die Schwingtür zwischen Pingpongzimmer und Damensalon überliefert. (Breckner 1982, Punkt 2.1.) In einem Artikel von 1906 aus der Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration findet sich jedoch eine Fotografie des Pingpongzimmers. (Bredt 1906, S. 436.)
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Abb. 35: Josef Hoffmann/Koloman Moser: Sanatorium Purkersdorf, Badetherapieraum, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien
ist die heilende Intention, und Topp stellt von Beginn an das Sanatorium in einen klassisch modernen Kontext. Wobei sie klar betont, dass das Sanatorium einer utopischen
Schauplatzes. Eduard F. Sekler spricht von
Vorstellung Hoffmanns folge und sich ähn-
einer „Kuranstalt für Badekuren, physikali-
lichen Idealen wie den medizinischen The-
sche Therapien, Nervenkrankheiten und
orien Krafft-Ebings verschreibe:
Rekonvaleszenzfällen aus einem zahlungskräftigen Patientenkreis“.458 Leslie Topp
„Like Krafft-Ebing, he [Josef Hoffmann;
beschreibt und erklärt anhand einer spezifi-
LT] was a passionate opponent of the mo-
schen Apparatur, die an einen elektrischen
dern metropolis, and he had a vision of a
Stuhl erinnert, die hydro-elektro-Therapie,
utopian future that would take root out
die im Sanatorium Purkersdorf praktiziert
side the metropolis. Also like Krafft-Ebing,
wurde (Abb. 35). Des Weiteren schließt Topp
he believed that a simply and totally
aufgrund der Fotografie dieses Stuhls auf eine
planned environment would be the star-
Maschinenmetapher des Sanatoriums im All-
ting point for a happy and healthy socie-
gemeinen und zieht Parallelen zu Le Corbu-
ty. […] But it is interesting that at Purk-
siers Maschinenästhetik. Beiden gemeinsam
ersdorf, Hoffmann’s architecture became more simple, more formally consistent,
458 Sekler ²1986, S. 67. Vergleiche dazu Topp 2004, S. 63f.
more rationally ordered and more imbued
157
158
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
with technological imagery than it had
menfassend, könnte man zumindest im Fal-
been before Hoffmann received the com-
le des Sanatoriums Purkersdorf behaupten,
mission to design a sanatorium for ner-
dass aus der Villegiatura der Renaissance
vous ailments. It is also the case that a sa-
mit ihren Villen sich um 1900 eine Kurkul-
natorium building had never looked so
tur mit der dafür nötigen Rekonvaleszenz-
radically modern or so appropriate to its
architektur ableitete. So hatte Josef Hoff-
purpose.“459
mann zum Beispiel sein erstes öffentliches Gebäude im Sinne eines Gesamtkunstwerks
Auch wenn man nicht so weit gehen sollte,
in eine Parkanlage gebettet, von der heute
Hoffmann als einen Gegner der Großstadt
wieder einige Details zu erkennen sind. Gert
zu formulieren, da er zum einen die Wahl
Demarle spricht davon, dass eine „alte Kas-
getroffen hatte in Wien zu leben und zum
tanienallee, die vom Haupteingang aus in
anderen seine Arbeit als auch seine Auftrag-
Nord-Südrichtung verläuft“, 1985 noch
geberschicht deutlich großstädtisch geprägt
erhalten war. Heute befindet sich dort viel-
waren, ist Topp zuzustimmen, dass das Sana-
mehr eine Mischpflanzung aus zum Teil
torium Purkersdorf einen utopischen Gehalt
auch recht hoch gewachsenen Tannen. Des
beinhaltete, der auch durch eine kritische
Weiteren gibt Demarle aber mit der Erkran-
Sicht auf das Großstadtleben durch Hoff-
kung einiger Bäume auch einen triftigen
mann begründet war. Des Weiteren ist Topps
Grund für die Veränderungen an der Park-
These, die Formfindungen des Sanatoriums
anlage an.461 Lore Toman weiß zu berichten,
Purkersdorf allein auf seine Auftragsposition
dass der Besitzer Viktor Zuckerkandl einen
als Sanatorium zu beziehen, zumindest ein-
Kneippkanal im Wald anlegte, exotische
zugrenzen. Topp lässt sowohl die Vorbilder
Bäume im Park pflanzen ließ und den Park
des Biedermeiers, der „Arts and Crafts“-Be-
um das Angebot von Turn- und Tennisplät-
wegung als auch die Entwicklungen der 14.
zen erweiterte.462 Eine originäre Hoff-
Secessionsausstellung außer Acht und zeich-
mann’sche Planung für den Park lässt sich
net einen scharfen Schnitt zwischen dem
jedoch aufgrund der Dokumentenlage end-
Apollo Seifen- und Kerzengeschäft460 von
gültig nicht beweisen. Obwohl damit zu
1899 mit seinen eher geschwungenen For-
rechnen ist, dass Hoffmann auch in Bezug
men und dem sich davon deutlich absetzen-
auf die Aufstellung von Bänken und Blu-
den Sanatorium Purkersdorf. Diese verkürz-
menkästen gestalterischen Einfluss nahm.
te Darstellung führt jedoch leider zu einigen
So zeigt zum Beispiel eine zeitgenössische
Auslassungen.
Fotografie der Ostfassade die Bepflanzung
Das Sanatorium Purkersdorf stellt eine
mit geometrisch geformten Buchsbäumen
städtische Enklave im Umfeld der Natur dar
(Abb. 3), die ebenso ihre V erwendung im
und auf keinen Fall eine realistische Imita-
Garten des Palais Stoclet fanden (Abb. 24
tion vom ‚gesunden Landleben‘. Dies zusam461
459 Topp 2004, S. 69–71. 460 Sekler ²1986, S. 258, WV 31.
Demarle 1985, S. 21. Vergleiche dazu Kretschmer 2010, S. 268f. 462 Toman 1996, S. 11.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
und 30). Jene Buchsbaumbepflanzung ist in
definierte über die Architektur Josef Hoff-
Teilen heute wieder vorzufinden.
manns seine Zielgruppe für das Sanatorium
Steht man am Eingang zum Areal des
näher. Die Lage der Gebäude in einem Park
Sanatoriums Purkersdorf – der heutigen Seni-
vervollständigt die Forderung nach Frischluft
orenanlage – fällt zunächst auf, dass der Bau
und dem Bezug zur Natur. Die Ausrichtung
von Josef Hoffmann sich mit seiner Haupt-
der Hauptfassaden (Ost- und Westseite) mit
fassade nicht zur Straße hin ausrichtet. Josef
den meisten Fenstern des Hoffmann-Kom-
Hoffmann fand sich 1904, als ihm der Auf-
plexes hin zum Park und nicht auf die Stra-
trag erteilt wurde, mit einem Grundstück
ße ist demnach nur logisch und konsequent
konfrontiert, auf dem schon einige Gebäude
(Abb. 3 und 38).
standen, die von dem vorigen Sanatorium Westend noch erhalten waren, das Viktor Zuckerkandl 1903 erworben hatte (Abb. 36
Fläche und Volumen – Der äußere Baukörper und seine Wirkung
und 37).463 Auf diese villenartigen Gebäude reagierend, konzipierte Josef Hoffmann sei-
Die West- (Abb. 3) und Ostfassade des Sana-
nen Bau. Durch einen Gang im Süden schuf
toriums (Abb. 38) zeigen zunächst eine starke
er sogar eine direkte Verbindung zwischen
Konzentrierung auf die Horizontale. Einem
seiner Sanatoriumsarchitektur und den
großen, rechteckigen Kubus gleich liegt das
schon vorhandenen Gebäuden. Das Ent-
Sanatorium stabil und schwer auf dem Boden.
scheidende an diesem Umstand ist darin zu
Durch das Vor- und Zurückspringen der zwei
sehen, dass dieser Ort schon zuvor in der
Längsfassaden in verschiedene Baukörper ent-
gleichen Funktion genutzt wurde. Das 1890
steht jedoch nicht der Eindruck von mehre-
von Anton Löw gegründete Sanatorium dien-
ren, unterschiedlich zusammen geschobenen
te zur Behandlung von nervösen Erkrankun-
Kuben, sondern vielmehr der eines ganzen
gen
und die medizinischen Verfahren von
Körpers, aus dem sich eine Form herausschält.
Dr. Krafft-Ebing wurden zumindest noch
Die Seitenrisalite beider Fassaden scheinen
1911 praktiziert.
aus einem massigen Korpus heraus geschnit-
464
465
Das Sanatorium Purkersdorf stand dem-
ten. Dieser Wirkung ähnlich funktionieren die
nach nicht nur in der Tradition der medizi-
Fensteröffnungen. Sie kleben nicht wie aufge-
nischen Praktiken des Sanatoriums Westend,
setzt an der Fassade, sondern vermitteln dem
sondern nutzte dessen räumliche Kapazitä-
Betrachter den Eindruck, sie seien nachträg-
ten weiterhin. Viktor Zuckerkandl erweiter-
lich aus der glatten Wandfläche ausgeschnit-
te dieses bestehende Unternehmen um eine
ten. Das Gebäude gliedert sich horizontal von
nicht zu unterschätzende Attraktion und
unten nach oben in eine Sockelzone und drei darüber folgende, eine Einheit bildende Etagen. Diese Zweiteilung der Fassade wird durch
463 Lipp 2002, S. 8 und Ohne Autor 2003.2, S. 18. 464 Topp 1997, S. 416f. und Kortz 1906, S. 253–255. Hier spricht Paul Kortz von einem „Sanatorium und einer Wasseranstalt Purkersdorf“. 465 Topp 1997, S. 416 und Dr. Stein 1911.
ihre Haptik unterstützt. Eine graue und glatte Sockelzone steht in Kontrast zum weißen Rauputz der restlichen drei Etagen. Die graue
159
160
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 36: Postkarte von den Gebäuden des Sanatoriums Westend, die vor 1904 errichtet wurden, hinten rechts ist der Hoffmann-Pavillon zu erkennen, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien
abgegrenzt werden soll und sich wie auf einem Podest liegend dem Boden entzieht. Das Flachdach ragt um circa einen halben
Zone wird darüber hinaus durch einen Kachel-
Meter über die Außenmauern hinweg. Wie
fries von dem weißen Gebäudeabschnitt abge-
eine Bordüre umrandet es alle vier Seiten
trennt. Der Fries besteht aus kleinen vierecki-
des Sanatoriums und wird durch den Kachel-
gen blauen und weißen Kacheln, die jede für
fries von der Fassade abgetrennt. Einem nied-
sich 4 x 4 cm misst.
Dieses Kachelband
rigen Deckel gleich oder wie ein schmaler
umrahmt alle Fenster und Kanten der oberen
Architrav ruht es auf dem Kubus des Gebäu-
drei Etagen. In der Sockelzone fehlt dieses
des und bildet den Abschluss nach oben. Nur
ornamentale Strukturband. Dadurch entsteht
vereinzelte Schornsteine brechen ab und zu
der Eindruck eines Abstandhalters für die
die klare Kante des Flachdaches. Das Dach
makellos weiße Fassade der oberen ‚Schmu-
ist auf seinen Unterträger reduziert und bil-
cketagen‘. Der Gedanke kommt auf, dass ein
det somit keinen weiteren eigenen Etagen-
hygienisches Areal nach unten hin visuell
charakter aus. Auch dadurch wird die Zwei-
466
teilung des Gebäudes in Sockelzone und drei darauf aufbauende Stockwerke verstärkt. 466 Breckner 1982, Punkt 2. Jener Kachelfries wurde im Rahmen der Restaurierungen der 1990er-Jahre erst wieder hergestellt. Zuvor war er 1952 im Rahmen einer Fassadenrenovierung abgeschlagen worden. (Toman 1996, S. 14.)
Nach unten ist durch eine farblich unterschiedliche Behandlung und das Fehlen des Kachelfrieses an der Fassade eine Abgren-
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Abb. 37: Postkarte von den Gebäuden des Sanatoriums Westend, die vor 1904 errichtet wurden, davor ist Josef Hoffmanns Verbindungsgang zu sehen, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien
später im Rahmen der Grundrissbeschreibungen noch einmal eingegangen. Oberhalb des Eingangs befindet sich ein senkrechtes Fensterband, das die Treppenhausanlage mit
zung zu beobachten, diese prägt sich nach
Licht versorgt. Dieses Fensterband wird
oben hin nicht so deutlich aus. Das Dach
optisch durch die verglaste Eingangstür bis
stellt nicht einer Barriere gleich den
auf den Boden weitergeführt. Es scheint, als
Abschluss zum Himmel dar, sondern fungiert
ob sich die ganze Fassade einer Treppe gleich
für das äußere Gesamtbild als Klammer oder
zum Boden hin abstuft. Die beiden Seitenri-
Gurt für die vier Seiten des Rechteckes. Es
salite reichen wie zwei schwerfällige Winkel
scheint, als könne man von oben in das
bis an den Eingangsbereich heran. Das
Objekt hineingreifen.
dadurch zwischen den Winkeln entstandene
Auf der Westseite des Gebäudes (Abb. 38)
vertiefte Feld in der Mitte zieht sich über das
befindet sich einer der beiden Eingänge. Er
eben erwähnte senkrechte Fensterfeld bis
wird überfangen von einem Dach, das auf
herunter zum Dach des Eingangs. Die Fens-
zwei viereckigen, frei stehenden Pfeilern
ter unterstützen noch das Bild einer Treppe,
ruht. Die links und rechts ansteigenden Ram-
indem sie die Symmetrie und Abstufung der
pen heben den Eingangsbereich hervor. Die
Fassade wiederholen. Durch das zweiteilige,
gleiche Wirkung erzeugt das Sockelgeschoss,
senkrechte Fensterband, das erst durch sei-
das nach innen keinen so eindeutigen Eta-
ne ornamentale Umrandung und Zusammen-
gencharakter wie nach außen ausbildet. Auf
fassung sowie seine Weiterführung über die
die Verschiebung der Etageneindrücke wird
Eingangstür eine fast die ganze Höhe des
161
162
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 38: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Westfassade, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Fotografie von 1906.
verfestigen. In der Literatur wird zum Teil erklärt, dass Josef Hoffmann zunächst geplant hatte, nicht einzelne Fenster, sondern ganze waagrechte Etagen umfassende
Gebäudes umfassende Wirkung erlangt, ver-
Fensterbänder einzubauen.467 Damit hätte er
binden sich schließlich alle Abstufungen der
zwar ein charakteristisches architektonisches
Fassade miteinander.
Element präsentiert, das in späterer Zeit als
Die Anzahl und Anordnung der Fenster
bahnbrechend und epochemachend angese-
an der Fassade entwickeln sich zu beiden
hen wurde, gleichzeitig hätte er damit aber
Seiten des Eingangs hin gleichmäßig und
deutlich den Effekt der Treppenform der Fas-
spiegeln die Symmetrie ebenfalls wider. Die
sade unterlaufen. Die Fenster betonen die
Fenster unterstützen so die Lesbarkeit der
Unterscheidungs- und Unterteilungsmöglich-
Fassade und ermöglichen Rückschlüsse auf
keiten der Fassadenabschnitte aufgrund ihrer
die innere Konstruktion des Sanatoriums.
Zuordnung und ihre zentrierte Lage in den
Vor allem aber untermauern sie die univer-
verschiedenen Teilstrecken.
selle Einteilung der Architektur in Quadrate.
Auf der Ostseite wird das große Umriss-
Man kann deutlich vertikale und horizonta-
rechteck der Fassade um einen mittig ange-
le Fensterbänder zusammenfassen. Aber
fügten Anbau (Abb. 3 und 39) erweitert. Die-
ebenso ordnen sich die Fenster zu Gruppen,
ser Anbau erstreckt sich über das Erdgeschoss
die wiederum ein größeres Viereck oder
und den ersten Stock. Im Erdgeschoss dient
Rechteck bilden, beziehungsweise die zuvor beschriebene Stufenunterteilung der Fassade
467 Sekler ²1986, S. 70–72.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
dach über der Tür. Diese Überdachung besteht aus einem weißen Gitter, das mit drei Reihen à
zehn
rechteckigen
Milchglasfenstern
bestückt ist. Diese so entstehende Platte wird durch zwei sich nach oben hin verjüngende Bügel an der Mauer befestigt, die in einer kegelförmigen, scharnierartigen Verdickung enden. Die Verankerungspunkte der Bügel und die Berührungsfläche des Daches mit der Fassade werden durch das schon beschriebene Fliesenband umrandet und hervorgehoben. Die Arme selbst bestehen aus zwei Stangen, die durch einzelne Streben untereinander verstärkt werden. Diese Streben ergeben folgerichtig ein Muster von auf der Ecke stehenden Quadraten. Jene zwei Stangen evozieren den Eindruck, man könnte das Glasdach nach Abb. 39: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Detail der Ostfassade mit Eingang, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Fotografie von 1906
oben hin einklappen. Die Konstruktion erin-
er als Haupteingang und im ersten Stock
der ersten Etage bestehen an der Ostfassade
wandelt er sich zu einem Wintergarten ähn-
(Abb. 3) aus dem identischen Modul: ein
lichen Anbau, der an den Speiseraum
schmales, hochkant stehendes rechteckiges
anschließt. Das deutliche Heraustreten die-
Fensterglas, das in seiner oberen Hälfte durch
ses Baukörpers wird durch die Fassadenge-
weiße Sprossen in sechs Quadrate unterteilt
staltung in seiner Wirkung unterlaufen. Die
ist und in der unteren Hälfte aus einem Recht-
dunklere und ebene Gestaltung der Sockel-
eck besteht, das auf seiner Schmalseite steht.
zone sowie der weiße und raue Putz der dar-
Diese Module werden unterschiedlich oft
auf folgenden Stockwerke überziehen auch
aneinander gereiht, doch die häufigsten Kom-
die Wände des Portalkörpers. Die Fensteran-
binationen sind die Reihung von zwei oder
ordnung nimmt die Höhen der restlichen
drei Modulen nebeneinander. Die Fenster im
Fassadengliederung wieder auf und das
zweiten Obergeschoss sind nur durch den
dezente Dach, das nur aus wenigen Traufen
oberen Abschnitt der Fenster variiert. Dort
besteht, gliedert den Anbau zurückhaltend
sind es vier Quadrate, die aufgrund einer
in das Gesamt der Fassade wieder ein.
Unterteilung durch weiße Sprossen entste-
nert – wie Leslie Topp betont – an die Momentaufnahme einer Zugbrücke.468 Fast alle Fenster des Erdgeschosses und
Nur aus einem seitlichen Blickwinkel tritt
hen. Nur wenige Fenster bestehen aus zwei
der Anbau merklich hervor (Abb. 3 und 39). Dies geschieht aber vor allem durch das Glas-
468 Topp 1997, S. 430 und Topp 2004, S. 90f.
163
164
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
übereinander gestapelten Quadraten, wobei
West- gegenüber der Ostfassade wider. Im
sich das obere aus neun kleinen Quadraten,
Sockelgeschoss gleichen die Fenster denen
die durch Sprossen eingeteilt sind, formiert.
auf der Ostseite, nur um eine Vertikalreihe
Die Kellerfenster an der Ostfassade besit-
von Rechtecken erweitert. Schon im Erdge-
zen eine gesonderte Ordnung. Die Füllung der
schoss aber befinden sich quadratische Fens-
Fenster besteht aus drei Reihen von jeweils
ter. Eine Verkürzung der unteren Hälfte des
fünf kleinen Rechtecken, die ebenfalls auf ihrer
Moduls zu einem Quadrat und die Reduzie-
Schmalseite stehen. Die Umrisse der Fenster
rung der oberen Hälfte auf vier anstelle von
unterstützen den ruhenden Charakter der
sechs Vierecken ergeben bei den Fenstern
Sockelzone, da durch Beibehaltung der ande-
des Erdgeschosses einen quadratischen Fens-
ren Fenstermodule auch in der Sockelzone
terumriss. Im ersten Stock sind vier Module
wohl eine deutlichere Absicht in die Höhe
der Ostfassade aneinander gereiht, wobei die
abzulesen gewesen und somit die Wirkung des
zwei mittleren Module zu einer Tür zusam-
Unterbaues unterminiert worden wäre.
mengefasst werden. Im zweiten Stock wird
Fasst man die Beobachtungen zu den Fens-
der Umriss der Fenster des Erdgeschosses
terarrangements der Ostseite zusammen, kann
annähernd wiederholt, während die innere
festgestellt werden, dass im Sockelgeschoss
Einteilung abermals abgewandelt ist. Durch
die Fenster kompakte Rechtecke darstellen.
die Halbierung der östlichen Module und die
Dagegen sind die Fenster in den oberen Eta-
Umrahmung zweier halber um zwei vollstän-
gen feingliedriger und weniger einförmig auf-
dige Module ergibt sich nun der eben genann-
gebaut, vor allem aber liegen kleine Fenster-
te quadratische Umriss.
quadrate in einem größeren Rechteck
Reihung und Unterteilung in vielteiligen
eingefasst. Man könnte noch genereller for-
Variationen definieren das Erscheinungsbild
mulieren, dass in der Fensterbearbeitung eine
der Fenster des Sanatoriums Purkersdorf.469
weitere Kontraststellung zwischen Sockel und
Josef Hoffmann beweist dadurch mit dem
Obergeschossen demonstriert wird, abermals
ersten Blick auf das Gebäude, dass er die
nur durch die Anwendung der Grundformen
Grundformen Quadrat und Rechteck belie-
des Quadrats und des Rechtecks realisiert.
big oft und abwechslungsreich anordnen
Ein etwas anders geordnetes Fenstersys-
kann. Das System von Über- und Unterform,
tem untergliedert die westliche Fassade
Rand und Füllung sowie die Durchdringung
(Abb. 38 und 40): Es zeigt sich eine varian-
und Reihung von Grundformen wird schon
tenreichere Gestaltung der einzelnen Bau-
an den Fenstern augenscheinlich.
teile durch die Fenster. Die verschiedenen Abwandlungen, die durch die zwei geometrischen Grundformen Rechteck und Quadrat entstehen, ordnen auf der Westseite Etagen und Baukörper oder vielmehr die verschiedenen ‚Fassadenstufen’ einander zu. Die Fenster spiegeln die größere Zerklüftung der
469
Breckner hält in seiner Diplomarbeit, die sich mit dem Zustand des Sanatoriums Purkersdorf vor seiner Restaurierung beschäftigt, fest, dass die Fenster größtenteils Originale sind und zumeist zum damaligen Zeitpunkt noch „funktionsfähig oder leicht sanierbar“ waren. Eine Instandsetzung sei jedoch dringend notwendig gewesen. (Breckner 1982, Punkt 1.4.)
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Neben den zahlreichen Zergliederungen der zwei Hauptfassaden fällt konträrerweise die starke Geschlossenheit und Tendenz zur Fläche des Gebäudes auf. Die weißen Wände werden nur körperlich vernehmbar an ihren Schnittstellen. Genau an jenen Ecken verläuft der schon erwähnte Kachelfries (Abb. 3, 39 und 40). Einer Schnur ähnlich zieht sich das Band um jedes Fenster und um jede Kante, an der zwei Wände aufeinander treffen. Es scheint, als ob die weißen und blauen Fliesen an ihren äußersten Kanten die Verbindung vom weißen Gebäude mit dem blauen Himmel vorantreiben. Auf der einen Seite wird der Bau auf diese Weise eingerahmt, aber auf der anderen Seite entsteht eine Verzahnung zwischen Gebäude und Natur. Im Sinne der Rahmung wird der Eindruck evoziert, dass die weißen Wände – Leinwänden nicht unähnlich – nur durch das schmale Kachelband zusammenhalten.
Abb. 40: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Detail der Westfassade, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Fotografie von 1906
Einer Verschnürung gleichend verbindet und unterteilt es die Stufen und die Gliederungs-
Die Flächigkeit der Fassade wird ebenfalls
elemente der Fassade zugleich. In diesem
dadurch untermauert, dass die durch die
Zusammenhang scheint es so, als ob das
Abstufungen der Gebäudeteile entstehenden
Ornament eine Funktion verliehen bekom-
Balkone zunächst nicht ersichtlich sind.471
men hat. Es wirkt nicht aufgesetzt oder nach-
Im Westen wie im Osten entsteht keine
träglich angeklebt, sondern so, als sei es in
Unterteilung zwischen Außenwand und
die Konstruktion des Gebäudes integriert.
Geländerbereich der Balkone. Die Außen-
Diesen Umstand von verbundenen Leinwän-
mauer wird einfach weiter hochgezogen und
den beschreibt Johannes Spalt, Architekt und
so erübrigt sich eine Balkoneinfassung
Professor an der Hochschule für angewand-
(Abb. 40). Die Balkone sind von außen nur
te Kunst in Wien, als Kartonwände, die Hoff-
zu erschließen, da die untere Umrandung
mann nur rahmt, um ihre Flächigkeit noch
der Fenster und Türen, die auf den Balkon
augenscheinlicher zu verdeutlichen.470 471
470 Spalt 1987, S. 40.
Im Rahmen der Restaurierungsarbeiten wurden die bisher nach innen geneigten Balkone im Sinne einer besseren Entwässerung mit einem leichten Gefälle nach außen versehen. Gleiches gilt auch für das Flachdach. (Toman 1996, S. 9.)
165
166
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 41: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Ansicht der Westfassade, Entwurfsperspektive, ohne Datierung, Feder auf Karton, Tusche mit Grafitspuren, 11,2 x 23,8 cm, über dem Eingangsbereich sind die zwei blau-weißen Fayencefiguren von Richard Luksch zu erkennen, Nachlass Josef Hoffmann, in Privatbesitz
Luksch zusammengearbeitet.475 Luksch war auch beteiligt an der Postsparkasse Otto Wagners, bei der er die marmorne Büste Kaiser Franz Josephs für das Vestibül formte,476 und der Kirche am Steinhof, für die er die Engel über dem Hauptportal entwarf. Vergrößert man zeitgenössische Fotos, ist
hinaus führen, in diesen Bereichen von der
es möglich, die Reliefs und ihre Befestigung
vorgelegten Mauer überdeckt werden. Der
deutlich zu identifizieren (Abb. 39). Über
daraus resultierende Eindruck von einer feh-
ihren Verbleib liegen jedoch keine Informa-
lenden Tektonik am Sanatorium Purkersdorf
tionen vor. Die Reliefs, die sich rechts und
wird später nochmals aufgegriffen.
links des Ostausgangs befanden, zeigen einen
Eduard F. Sekler schreibt in seiner Mono-
Mann und eine Frau (Abb. 42). Beide sind
grafie zu Josef Hoffmann von „Auflockerun-
in fast durchsichtige Kleider gehüllt und evo-
gen der strengen Geometrie“472 durch Reliefs
zieren dadurch die ikonografische Deutung
an der Ostseite (Abb. 39) und durch zwei
als Darstellung des ersten Menschenpaars
blau-weiße Fayencefiguren, die zwei Meter
Adam und Eva. Jede Gestalt ist in ihrem
Höhe messen,
über der Zufahrt auf der
Relief auf vielerlei Art geometrisch eingefasst.
Westseite (Abb. 41). Alle vier Plastiken stam-
Die äußeren Rahmungen der Reliefs entste-
men von Richard Luksch.
Josef Hoffmann
hen durch den Schachbrettfries, der alle
hatte schon im Rahmen der Secessionsaus-
anderen Flächen der Fassade ebenso beglei-
stellung, die 1902 um Max Klingers Beetho-
tet. In der inneren Relieffläche werden die
venskulptur geplant wurde, mit Richard
Körper durch stilisierte Blättergirlanden,
473
474
Blumencapes und Blätterkränze umformt, 472 Sekler ²1986, S. 288. 473 Hevesi 1909, S. 215. 474 Sekler ²1986, S. 288.
475 Hevesi 1906, S. 391. 476 Hevesi 1909, S. 246.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
unterlegt und umrankt. Die Blumencapes zeigen in Kreisen gehaltene Blüten, deren Blätter aus Rechtecken geformt sind. Hinter den Köpfen der Figuren befinden sich kassettenähnliche Vertiefungen, die nach unten keine Ergänzung erfahren. An den Füßen erkennt man Blumen, die auf Striche und Punkte abstrahierend reduziert sind. Die Körperformen des Paares sind auf deutlich geometrische Konturen verringert. Die Haare der Frau umschreiben einen Kreis und die einzelnen Strähnen wiederholen die Kreissegmente. Dieser Haarkreis wird von einem Blätterband umrissen, das seinen Verlauf wie ein Ohrring an ihrem rechten Ohrläppchen beginnt. Ihre Haarpracht überschneidet teilweise überdeckend links und rechts von ihr zwei kleinere, aus Punkten geformte Kränze. Ihre Arme liegen eng an ihrem Oberkörper an und bilden ein nach unten geöffnetes Dreieck. Ihre Hände spreizt sie im rechten Winkel nach außen hin ab. Ihre ganze Statur
Abb. 42: Richard Luksch: Majolika-Flachreliefs, 1904– 1906, Verbleib unbekannt, Fotografie von 1906
scheint gestreckt und unter Spannung. Sie ruht nicht auf ihren Füßen, sondern hat sie
genau in der Mitte seiner Brust ruht. Seine
einer Ballerina gleich zum Spitzentanz
Finger umgreifen den Stängel der Blume.
geformt. Würde man von ihren Zehenspitzen
Einem Tänzer ähnlich steht er stolz, wie in
Linien zu ihren Fingerkuppen und von denen
einer Pose eingefroren, in seinem Bildraum.
wiederum zum Kopf ziehen, entstünde eine
Die Urwurzel der Menschheit, repräsentiert
ihren Körper umschreibende Raute.
durch ein Menschenpaar, das die Assoziati-
Die ‚Adamsfigur‘ nimmt in den engen
on an Adam und Eva evoziert, wird in ein
Umrissen des Reliefs mehr Raum ein. ‚Adam‘
geometrisches Formengerüst übersetzt. Ein
hat seinen linken Arm über seinen Kopf
modernes Paar im Sinne von Körpern, die
gestreckt und seinen rechten Arm beugt er
in einer geometrisch geordneten Welt exis-
im rechten Winkel nach links. Er legt seinen
tieren, präsentiert sich dem Betrachter.
linken Arm zwischen den großen Blätter-
Die Positionierung der Fayencefiguren an
kranz, der seinen Kopf umrahmt und einen
der Westfassade wurde wohl nur kurzfristig
der kleineren Kränze, die sich links und
realisiert (Abb. 41). Es war ursprünglich
rechts vom großen Kreis erstrecken. In sei-
geplant, sie an den Kanten der Balkone des
ner rechten Hand hält er eine Blume, die
Piano nobile aufzustellen. Zumindest werden
167
168
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
die Fayencefiguren von Hevesi in seinem Arti-
Sanatoriums“ und ordnet sie weiterhin ein in
kel Neubauten von Josef Hoffmann vom
die „Ikonographie des nervösen weiblichen
November 1905 tatsächlich erwähnt: „Nur
Körpers“ wie sie von der Gruppe der Wiener
an den Haupteingängen, am Treppenaufgang
Secession und insbesondere von Gustav Klimt
vorn und über der Unterfahrt rückwärts, ist
definiert wurde.479 Vielleicht gab gerade diese
etwas Plastik (von Luksch) angebracht. […]
deutliche Kontrastwirkung jedoch auch den
rückwärts aber zwei blauweiße Fayencefigu-
Ausschlag, sie eher im Park des Palais Stoclet
ren, zwei Meter hoch, alles mit Beziehung auf
aufzustellen und nicht in direktem Kontakt
den Zweck des Gebäudes.“477 An diesen
zum
Ecken wurden jedoch letztendlich Lampen-
konzipierten Baukörper des Sanatoriums Pur-
konstruktionen angebracht (Abb. 40). Die
kersdorf.480 Bedenkt man dann noch das
Fayencen wurden stattdessen von Adolphe
Frauenbild in der Medizin um 1900, erscheint
Stoclet angekauft und im Park des Palais
es nur konsequent, jene Skulpturen nicht an
konsequent
mathematisch
durch
Stoclet platziert (Abb. 30).478 Die zwei weiblichen Ganzkörperakte strahlen in Weiß (Abb. 43). Beide Skulpturen fußen auf einem weißen Sockel, der sich jeweils bis zum Gesäß als Stütze heraufzieht. Im Kontrapost stehend, haben beide Frauengestalten den Fuß des Spielbeins nach oben gezogen. In beiden Fällen schmiegen sich die Fußsohlen auf halber Höhe des Unterschenkels an. Die Arme umspielen die üppigen Haarschöpfe, die die zierlichen Köpfe wie ein Helm umschirmen. Beide Frauen verfügen über kurvige Körperumrisse und präsentieren ein selbstbewusstes und ‚gesundes‘ Frauenbild. Mit ihren Haaren kokettierend, sollten sie lasziv und aufreizend an einer klar und nüchtern wirkenden Fassade stehen und dadurch das spielerischste Ornament der äußeren Hülle des Sanatoriums Purkersdorf verkörpern. Sabine Wieber versteht diese weiblichen Idealbilder daher auch als ein „Element der ‚Vermarktung‘ des 477 Hevesi 1909, S. 215. 478 Schweiger 1982, S. 152–161 und vergleiche dazu Schweiger 1990, S. 7. Eine Abbildung zeigt die erste Ausstellung der Wiener Werkstätte in der Galerie Miethke von 1905 mit den Fayencen von Luksch, die ein Modell des Palais Stoclet flankie-
ren. Über dieselbe Ausstellung wird auch in der englischen Zeitschrift The Studio berichtet. Der Kurzbericht ist mit einer Fotografie der beiden Frauenakte versehen. Der Text hebt insbesondere den gemeinschaftlichen Herstellungscharakter der Wiener Werkstätte hervor und erklärt dadurch auch die Präsenz der Arbeiten der Wiener Werkstätte in der englischen Zeitschrift. Deutlich wird, dass die kulturelle Nähe zueinander von „Arts and Crafts“-Bewegung und Wiener Werkstätte auch vonseiten der Engländer gesehen wurde. So heißt es in dem Artikel wortwörtlich: „VIENNA – The first exhibition of objects made in the Wiener Werkstätte, of which Professor Hoffman (sic!) and Moser are the artistic directors, was recently held at Miethke’s New Gallery on the Graben. Though we may be sure the two professors were mainly responsible for the arrangement of the exhibition, they, with their customary modesty, prefer that the credit for it should be given to the Werkstätte as a whole, for their ideals are carried out, and they are realising what they have always had before them – the inseparability of the designer and the workman.” (Ohne Autor 1906, S. 169.) 479 Wieber 2009, S. 141. 480 Letztendlich fanden genau diese Skulpturen ihre Aufstellung tatsächlich im Garten des Palais Stoclet, wie zeitgenössische Fotos beweisen. Bedauerlicherweise gibt es keine Fotografien, die das Platzieren dieser Frauenfiguren in Purkersdorf nachweisen würden. Dieser Umstand lässt den Schluss zu, dass die Figuren zwar ursprünglich für das Sanatorium konzipiert waren, aber erst im Rahmen der Arbeiten für die Familie Stoclet ihre Bestimmung fanden. Die Möglichkeit einer dop-
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
der Fassade angebracht zu haben. So war mit dem Bild der Neurasthenie481 – manchmal auch Hysterie genannt – fast folgerichtig die Hysterikerin verbunden. Der Berliner Gynäkologe Amann p ublizierte 1874 eine Untersuchung mit dem Titel Über den Einfluß der weiblichen Geschlechtskrankheiten auf das Nervensystem mit besonderer Berücksichtigung des Wesens und der Erscheinung der Hysterie. Des Weiteren ging Krafft-Ebing bei seiner Wortschöpfung des Masochismus von einer spezifisch weiblichen Perversion aus und Otto Weininger
ist
mit
seiner
Dissertation
Geschlecht und Charakter nur ein weiteres Beispiel von vielen für den fast feindlichen, vorurteilsbefrachteten Blick auf das Weibliche.482 Somit wären Frauenfiguren, die an die Sexualität von Klimt’schen Darstellungen erinnern,483 aus der Sicht einer Institution der nervlichen Beruhigung deplaziert gewesen. Abb. 43: Richard Luksch: Fayencefiguren für die Westfassade des Sanatorium Purkersdorf, 1904–1906, Fayence, blau-weiß glasiert, später aufgestellt im Garten des Palais Stoclet, Fotografie von 1906
pelten Verwendung in Purkersdorf und Brüssel scheint eher unwahrscheinlich. Dass die Figuren jedoch sicherlich zunächst für das Sanatorium geplant waren, zeigt ein Artikel der Zeitschrift Hohe Warte zur Ausstellung von 1905 in der Galerie Miethke: „Sogar große Plastiken enthält der Saal, weibliche Akte vom Bildhauer LUKSCH für das vom Professor Hoffmann erbaute Purkersdorfer Sanatorium. Durchaus im Material empfunden, sind sie dennoch bewegt und von Leben erfüllt, und bei aller Strenge sozusagen von femininer Grazie umschlossen. Es ist nichts Unedles in den Linien. Kontrastwirkungen sind in diesen Werken mit großem künstlerischem Feingefühl verdichtet; es ist ganz überraschend, welchen beschleunigten Entwicklungsgang der Künstler einschlägt.“ (Ohne Autor 1905/1906, S. 69.) Karin Thun-Hohenstein geht davon aus, dass es sich bei den Fayencefiguren um dieselben handelt, die ursprünglich am Sanatorium Purkersdorf aufgestellt waren und bereits 1905 durch die Galerie Miethke ausgestellt
und weiterverkauft wurden. (Thun-Hohenstein 2015, S. 88f. und Fußnote 17.) Thun-Hohenstein gibt außerdem an, dass die Figuren auf Wunsch des Auftraggebers durch Holzlaternen ersetzt wurden. Als Begründung vermutet sie finanzielle Beweggründe. Dabei verweist sie auf Angaben, die in Bezug auf die Außensanierung des Sanatoriums während der 1990er-Jahre von Renate Fischl publiziert wurden. Beide geben jedoch hierfür keinerlei Quellenmaterial an. (Thun-Hohenstein 2015, S. 88f. und Fußnote 18. Siehe auch Fischl 1996, S. 20.) 481 Die Neurasthenie ist eine Krankheitsdefinition des amerikanischen Nervenarztes George M. Beard. Laut Joachim Radkau charakterisierte Beard in seinem Buch Neurasthenie von 1880 jenes „Krankheitskonstrukt“ als eine „Verbindung von Überarbeitung und Überreiztheit, berufliche und sexuelle Verunsicherung, Hektik und Unentschlossenheit“. (Radkau 2001, S. 66.) 482 Wiltschnigg 2001, S. 124–138. Vergleiche dazu Thau und Lovrek 1986, S. 74. 483 Vergleiche dazu Wiltschnigg 2001, S. 205–213.
169
170
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 44: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Nordfassade, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Rekonstruktion von Gunter Breckner, 1982
ganzen Längsseiten der Etagen verlaufen. Im Norden sind jeweils drei Fenster pro Etage mittig in der Fassade angeordnet. Im Süden schließen sich im Erdgeschoss ein
Die Stirnseiten des Sanatoriums im Nor-
kubischer Anbau sowie der Verbindungsgang
den und Süden sind sehr unterschiedlich
an, der zu den anderen Gebäuden aus der
gestaltet (Abb. 44 und 45). Im Norden bietet
Zeit des Sanatoriums Westend führte. In der
die Fassade einen recht geschlossenen Ein-
ersten und zweiten Etage wechseln sich
druck. Jene Geschlossenheit wird noch ver-
rechteckige mit quadratischen Fenstern ab.
stärkt durch die angebaute Pergola, die
Der Anbau und der Gang im Süden erstre-
hauptsächlich den nützlichen, direkten
cken sich gemeinsam nicht über die ganze
Zugang zur Küche im Keller, der über eine
Breite des Baus. Der Anbau umfasst in etwa
Rampe geleistet wird, samt Wirtschaftshof
die Höhe des Erdgeschosses. Der Raum des
verdeckt. Jene Rampe ist heute wieder her-
Nebenbaus wird durch vier Fenster mit Licht
gestellt, nachdem sie 1952 entfernt worden
versorgt. Davon befinden sich drei im Westen
war.
Wie später noch am Grundriss ersicht-
und eines im Süden. Das Innere des Raumes
lich wird, erfolgt die Ausleuchtung des Bau-
wird nicht vom Flur aus betreten, denn die-
werkes überwiegend über die West- und Ost-
ser funktioniert als Verlängerung des Männer
seite, was durch die Anordnung der Räume
bades. Die Kellerfenster in der Sockelzone
bedingt ist. So müssen die Fenster der Stirn-
zeigen, dass der Anbau ebenfalls unterkellert
seiten überwiegend nur die Flure des Gebäu-
ist. Die Fassade dieses Teils ist einheitlich
des erhellen, die jeweils fast mittig über die
zum Hauptbaukörper gestaltet. Genau wie
484
beim Eingangsvorbau auf der Ostseite 484 Toman 1996, S. 10 und S. 14.
(Abb. 39) wird mit diesem Mittel der Anpas-
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Abb. 45: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Südfassade, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Rekonstruktion von Gunter Breckner, 1982
Sanatoriums Westend. Fotografien von 1939 zeigen, dass jener Wandelgang recht weitläufig ausgeprägt war und Gert Demarle erklärt, dass sowohl Pavillon I, II als auch III an den
sung eine Integration der eigentlich angefüg-
gläsernen
ten außen stehenden Form geschaffen.
(Abb. 37).
Gang 485
angeschlossen
waren
Christian Brandstätter spricht
Der Verbindungsgang liegt niedriger
im Fall des Wandelganges sogar von einer
neben dem Anbau und besteht aus einer ver-
„Wandel-Bahn“.486 Heute befindet sich an der
glasten Pergola (Abb. 46). Er schwingt sich
Stelle dieser Villen ein neuer Zweckbau des
in einzelnen Modulen in einem Viertelkreis-
Altenheimes. Aufgrund der entstandenen
bogen von Süden nach Osten. Das Dach des
Vernetzungssituation hat sich auch der
Ganges ruht auf basen- und kapitellfreien
ursprüngliche Eindruck erhalten, den der
Pfeilern, die oben zu circa vier Fünftel Weiß
Gang wohl vermitteln sollte. Beim Durch-
und unten zu einem Fünftel Grau gestrichen
schreiten dieses geschlossenen Wandelgangs
sind. Selbst die Pfeiler wiederholen damit
wird durch den Ausblick auf das Sanatorium
das Ordnungsverhältnis von Sockel und obe-
oder die anderen Bauten deutlich, dass man
ren Etagen. Die ersten beiden Segmente glei-
den Bau von Josef Hoffmann betritt oder ver-
chen sich. Bei ihnen sind keine Pfeiler her-
lässt. Eine Art Spannungsaufbau oder Span-
ausgebildet und sie scheinen noch mehr dem
nungsabbau entwickelt sich so bei dem durch
Gebäude zugeordnet als dem Laubengang.
den Wandelgang Schlendernden, je nachdem
Josef Hoffmann schuf mit diesem Ensem-
aus welcher Richtung er kommt. Josef
ble eine leichte Abstufung des neu ent
Hoffmann lenkt demnach mithilfe seiner
standenen Hauptgebäudes hin zu den schon früher
vorhandenen
Villenbauten
des
485 Demarle 1985, S. 22. 486 Brandstätter 2003, S. 118.
171
172
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
zwei rechteckigen Fensterscheiben umrandet werden. Das obere mittlere Quadrat ist wiederum in neun Quadrate unterteilt, die in Dreierreihen angeordnet sind. Dadurch entsteht zum einen die senkrechte Teilung in Haupt- und Seitenfenster und zum anderen eine zweiteilige waagrechte Gruppierung. Jeweils die mittleren Quadratfensterabschnitte kann man öffnen. Das untere quadratische Fenster öffnet sich zur Seite, während sich das obere Segment unten nach außen gerichtet kippen lässt. Genau dieser Typus wird dann an der Südfassade abwechselnd mit dem oberen mittleren Quadrat, das selbst aus neun Quadraten besteht, kombiniert. Diese Details der Öffnungsrichtungen der Abb. 46: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Verbindungs- und Wandelgang, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Aufnahme um 1939, Fotografie von 1906
Fenster sind daher so bemerkenswert, weil dadurch veranschaulicht wird, wie umfangreich die Überlegungen zur Frischluftzufuhr in den Gebäudekorpus gewesen sein müssen.
Architektur den Passierenden und seinen
Wiederholungen und Abwechslungen in
Blick. Der Flaneur, der an sich zwar schon
der Fensterordnung erschaffen eine Fassade,
als eine Schwellenfigur zu verstehen ist, ist
die zunächst einheitlich wirkt, letztendlich
dennoch in diesem Fall nicht als Bewegungs-
aber durch eine starke Variation besticht.
figur von Hoffmann intendiert. Vielmehr
Die Neutralität des weißen Putzes verstärkt
wird der Wandelnde durch die Architektur
über diese Unterschiede hinaus den Eindruck
in seiner Bewegung gelenkt und nicht etwa
der Zusammengehörigkeit der Einzelteile des
als richtungslos agierender Mensch in der
Gebäudes. Gunter Breckner spricht in die-
Masse inszeniert. Damit übernimmt die
sem Zusammenhang von einer daraus resul-
Architektur die Rolle der Orientierung für
tierenden „Spannung und Dynamik der Fas-
das Individuum, das sich aufgrund seiner ner-
sadenteile“ für das Sanatorium Purkersdorf.
vösen Krankheiten in die Obhut von Ärzten
Ebenso sieht er aber auch für den Gesamt
begibt. Die Architektur legt eine dominante
eindruck des Sanatoriums ein „Erscheinungs-
Klammer um den ‚Patienten‘ oder ‚Kurgast‘.
bild, in sich ruhend, schlicht und doch unge-
An der Südfassade des Hauptgebäudes
mein repräsentativ“ gegeben.487 Deutlich wird
(Abb. 45) ist zu beobachten, dass die größe-
die zuvor genannte Abstimmung aller
ren Fenster der Stirnseiten aus in der Mitte
Bestandteile aufeinander und der sich dar-
zwei übereinander liegenden Quadraten bestehen, die jeweils links und rechts von
487 Breckner 1985, S. 12.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
aus ergebende Rhythmus des Gebäudes, der vermutlich auch dazu geführt hat, dass Behrens vom „Musikalischen“ in „allen Werken
Das Quadrat – Die alle Ebenen durchdringende Maßeinheit und Struktur der Bauteile
Hoffmanns“ sprach.488 Immer mehr konkretisiert sich das Paradigma der Widersprüche.
Schon bei der Beschreibung der Hülle des
Einerseits findet man eine Verschleierung der
Sanatoriums Purkersdorf fiel immer wieder
Tektonik an den Balkonen,489 im Gegensatz
das Quadrat als Modul oder Gestaltungsmo-
dazu ist aber eine Betonung der Last- und
ment auf. Mit der Forderung nach innerer
Trageverhältnisse an den Eingangsbereichen
Entsprechung zum Äußeren einer Architek-
der Ost- und Westseite des Sanatoriums zu
tur, die sich bei den zeitgenössischen Archi-
erkennen (Abb. 38 und 39). Trotzdem muss
tekten in Opposition zu den Ringstraßen-
man differenzierend feststellen, dass die mas-
bauten entwickelte, ist zu erwarten, dass das
sigen Pfeiler des Westeingangs nicht im Ver-
Quadrat auch im Inneren in Erscheinung
hältnis zu dem schmalen Dach stehen. Eben-
tritt. Dieser Erwartungshaltung entspre-
falls ist in diesem Zusammenhang noch
chend, baut sich der Grundriss und Quer-
einmal die Wirkung des gesamten Baukör-
schnitt in geraden geometrischen Baueinhei-
pers wie aus einem Stück gefertigt zu nen-
ten auf (Abb. 47 und 48). Wahrscheinlich
nen, aus dem Bereiche – so scheint es – aus-
beruht dieser Umstand nicht nur auf der Tat-
gehöhlt wurden, während das Kachelband
sache, dass Josef Hoffmann im Quadrat eine
die Wände wie aneinander geheftete Papier-
bisher nicht verwendete Ornamentform
seiten erscheinen lässt. Massigkeit und
sah,490 sondern dass er seine Architektur
Filigranes stehen gleichzeitig in einem Werk
ebenso auf Quadratlpapier491 entwarf.
nebeneinander und dies in ein und demsel-
Den Ringstraßenbauten liegt eine Rhetorik
ben Teilstück, an der Fassade. Im Ganzen
zugrunde, die von der arrangierten Außen-
bleibt das Sanatorium Purkersdorf aber ein
wirkung ausgeht. Die Fassade als Ort der
massiger Kubus, der den Eindruck vermittelt,
eklektizistischen Methode, Architekturvoka-
man könnte ihn einfach um 90 oder 180
beln vergangener Epochen zu kopieren und
Grad drehen. Bezeichnend ist, dass keine
zu einer neuen sinnbildlich aufgeladenen
Seite die gegenüberliegende Fassade kopiert.
Sprache umzuformulieren, wurde relevanter
Keine Fläche gleicht der anderen. Jede Seite besitzt ihre eigene Lösung. In der Analyse des Grundrisses und Querschnittes soll nun
490
untersucht werden, ob diese Konstellation im Inneren des Gebäudes begründet liegt oder ob die Fassaden auf ihre Umgebung reagieren.
488 Vergleiche dazu diese Arbeit auf S. 151f. 489 Sekler ²1986, S. 288.
491
Zitat Hoffmanns: „Das reine Quadrat und der Gebrauch von Schwarz-Weiß als dominierende Farben interessieren mich deshalb so besonders, weil diese klaren Elemente nie in früheren Stilen erschienen waren.“ (Vergleiche dazu Feuerstein 1964, S. 181.) Dabei handelt es sich um eine bis heute in Österreich geläufige Bezeichnung für kariertes Papier. Da dieser Begriff jedoch immer in Anführungszeichen gesetzt wird, könnte es sich auch um eine Anspielung auf den Spitznamen Quadratl-Hoffmann für Josef Hoffmann handeln.
173
174
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
als das Funktionieren und die Ö konomie
möglicher Nichtübernahme der Bautypen
eines Gebäudes. Die Ringstraßenfassade, so
aus der Vergangenheit führte Hoffmann wohl
deren Gegner, reduziere sich zum Träger für
zu der Verwendung des zumindest für ihn so
das aufgesetzte Ornament als Repräsentati-
ersichtlichen neutralen Motivs des Quadra-
onsfigur oder eben auch zum Vortäuschen
tes. Das bis dahin nicht so zahlreich verwen-
von Würde, die sich nicht unbedingt im Inne-
dete Dekor ist daher schon als bewusstes
ren des Gebäudes weiter fortsetzten musste.
Markenzeichen oder als Signatur Josef Hoff-
Die Gründer der Wiener Secession und Adolf
manns zu bezeichnen. Josef Hoffmann stili-
Loos als Einzelkämpfer stellten sich deutlich
sierte das Quadrat zu seinem Identität her-
gegen diese ‚Unwahrheiten‘ und propagier-
stellenden Pseudonym, auch wenn er nicht
ten eine Rückkehr zum ‚ehrlichen Bauen‘,
der Einzige war, der es verwendete.
das ein Gebäude aus dem Kern und seinem
Daher ist das Quadrat auch Element des
Zweck heraus entwickeln sollte. Josef Hoff-
Grundrisses des Sanatoriums Purkersdorf.
mann kritisiert den Historismus in seinem
Das Erdgeschoss teilt sich in zwei Hauptach-
Artikel Einfache Möbel in der Zeitschrift Das
sen (Abb. 47). Der in der Mitte der Fläche
Interieur deutlich:
quer liegende Saal erstreckt sich über die gesamte Breite des Grundrisses und bildet
„Die alten Stile wurden wieder heraufbe-
so einen Gang zwischen den zwei Ein- und
schworen. Nicht etwa einer. Alle, alle! Und
Ausgängen im Westen und Osten des Sana-
wieder soll uns der Maskentaumel ergrei-
toriums. Neben dieser ersten Hauptachse
fen, mit seinem unechten, falschen Tand,
erstreckt sich jeweils rechts und links eine
mit seiner Stillosigkeit trotz sämmtlicher
quadratische Raumübereinheit, die abermals
Stile aller Zeiten und Länder.“
unterteilt werden kann. Dieser Verbindungs-
492
gang zwischen West- und Ostseite lässt sich Soweit die Rhetorik. Die Secessionskünstler
in vier Abschnitte gliedern. Von Westen nach
und Adolf Loos definierten die Lösung die-
Osten gehend befindet sich der Eingangsbe-
ser Forderung in der Praxis jedoch unter-
reich, der direkt hinter dem heutigen Haupt
schiedlich; so wurde ja bereits zuvor schon
eingang liegt. Über eine Stufe und einen kur-
erwähnt, dass Hoffmann und Loos sich ähn-
zen Gang gelangt man in die Eingangshalle.
lichen Themenkomplexen bei unterschiedli-
Neben diesem Gang befindet sich das Trep-
cher Schwerpunktlegung widmeten. In die-
penhaus, das etwas höher im Westen bis an
sem Kontext ist zumindest deutlich die
die Außenmauer reicht. Der dritte Abschnitt
Entscheidung Hoffmanns für das Quadrat in
ist die Eingangshalle, die abermals in drei
Purkersdorf zu verorten. Der Wunsch nach
Bereiche eingeteilt werden kann: dem ersten
einem eigenständigen, genuin geschichtslo-
Joch, das man auch der zweiten Hauptachse
sen Stil im Kontrast zum einzelmotivischen
des Gebäudes, dem Längsflur, zuordnen
Aufnehmen von Formen bei gleichzeitiger
könnte, folgt der Hauptbereich des Saales und hieran anschließend ein dem ersten Joch
492 Hoffmann 1901, S. 194.
in der Form entsprechender Raumabschnitt.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Abb. 47: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Grundriss des Erdgeschosses, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Rekonstruktion von Gunter Breckner, 1982
Abb. 48: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Querschnitt, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Rekonstruktion von Gunter Breckner, 1982
175
176
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Die letzte Raumstrecke der Querachse ist
werden. Zeichnen sich die genannten Türen
der um einige Stufen niedriger liegende Vor-
doch überwiegend durch Glaseinsätze aus
raum des Ein- und Ausganges der Gartenfas-
und bieten damit nur eine minimale optische
sade, der im Bereich des Anbaus im Osten
Barriere. Steht man etwa auf der Höhe der
liegt und von einem Portier- und Büroraum,
Längsflure in der Halle und wendet seinen
die jeweils vom Vorraum betretbar sind, flan-
Blick nach Süden oder Norden, eröffnet sich
kiert wird.493
dem Betrachter der vollständige Blick durch
Die Dreiteilung des Empfangssaales wird
die Ausdehnung des Gebäudes. Insbesonde-
durch den Bodenbelag unterstrichen. Im
re im Erdgeschoss fungieren die Längsflure
Westen und Osten des Raumes begrenzen
als Aufschließungskorridore, die von der zen-
jeweils drei Rechtecke neun mittlere Qua
tralen Halle zu den verschiedenen Gebäu-
drate. In jedem Rechteck und Quadrat befin-
deabschnitten führen. Leslie Topp betont an
det sich ein weiterer, kleinerer Form-Zwil-
dieser Stelle den dadurch entstehenden Über-
ling. Alle Blöcke werden durch ein Gitter
blick über die gesamte Korridorlänge und
zusammengefasst. Dem Weiß und Blau der
die daraus wiederum resultierende mögliche
Kacheln der Fassade entspricht hier das Kon-
ständige Beobachtung der Patienten bzw.
trastpaar Schwarz und Weiß der Bodenflie-
Gäste durch den Arzt.495 Um dieses durch
sen.494 Die zweite Hauptachse des Grundris-
die Quer- und Längsflure entstandene Kreuz
ses ist der in der Mitte der Länge des Baues
gruppieren sich vier gleichgroße Rechtecke,
verlaufende Flur, der zu beiden Seiten zu
in denen sich die Behandlungsräume des
den jeweiligen Zimmern führt. Er reicht über
Sanatoriums befanden: zum Beispiel das
die gesamte Länge des Erdgeschosses und
Turnzimmer für die Bewegungstherapien
endet im Norden in einem Fenster, während
sowie Umkleide- und Einzelbäderräume. Die
er im Süden im zuvor beschriebenen Verbin-
großen rechteckigen Zimmer sind dann dis-
dungsgang aufgeht. Gunter Breckner sieht
gruent durch dünnere eingezogene Wände
in der Längsachse eine untergeordnete Koor-
organisiert.
dinate und er begründet diese Annahme
Im ersten Obergeschoss (Abb. 49) ist im
durch die Flügeltüren, die zwischen Halle
Westen zunächst das Quadrat des Treppen-
und südlichen wie nördlichen Fluren liegen.
hauses zu benennen. Von ihm aus erstreckt
Diese Aussage muss jedoch eingeschränkt
sich der Flur, der ebenfalls wie im Erdgeschoss über die gesamte Länge des Gebäudes
493
494
An dieser Stelle weicht die heutige Situation von der Rekonstruktion Breckners ab. Portier- und Büroraum sind im gegenwärtigen Zustand räumlich zwar vorhanden, aber nicht mehr über den Vorraum zugänglich. Hierbei handelt es sich vermutlich um die originalen Fliesen. Breckner schreibt zum Innenausbau: „ORIGINALTÜREN UND WANDVERTÄFELUNGEN SOWIE BODENFLIESEN IN GUTEM ZUSTAND UND FUNKTIONSFÄHIG“. (Breckner 1982, Punkt 1.4.)
führt. Zwei rechteckige Riegel flankieren diesen Gang an beiden Längsseiten. Der im Westen gelegene Riegel wird geteilt durch das vorher beschriebene Abstufen der Fassade. Jede dieser zwei Flächen unterteilt sich in zwei kleine und ein großes Quadrat und
495 Topp 2004, S. 79.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Abb. 49: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Grundriss des 1. Obergeschosses, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Rekonstruktion von Gunter Breckner, 1982
wobei versucht wurde, fast alle Zimmer mit einem Balkon auszustatten. Außer in den Zimmern, die sich in den seitlich hervorspringenden Gebäudeteilen befinden, liegen
einen rechteckigen Balkon, der sich über die
die Fenster direkt gegenüber der Tür. Würde
Breite der zwei kleinen Quadrate erstreckt.
man von der Mitte der Fenster im Westen
Im Osten bleibt der Riegel überwiegend
Linien hin zu den Mitten der Fenster im
erhalten. Ein großer Speisesaal wird seitlich
Osten ziehen, entstünden achsenartige Glie-
von einem Musiksaal und einer Anrichte
derungselemente.
begleitet. An den Speisesaal folgt im Osten die geschlossene Veranda.
Alle Etagen verband eine Sekundärtreppenanlage im nordöstlichen Segment des
Das zweite Obergeschoss (Abb. 50) ist in
Sanatoriums (Abb. 47, 49 und 50). Diese
der Quer- wie Längsachse fast symmetrisch
bestand zum einen aus einer Treppe vom
aufgebaut. Neben der gleichen Behandlung
Keller zum 2. Obergeschoss sowie einer
von Treppenhaus und Flur ist nun auch die
zusätzlichen Anrichte mit Speisenaufzügen
Ostseite nach innen versetzt, um Platz für
im ersten Obergeschoss.496 So konnte man
Balkone zu schaffen. Man kann von zehn
bequem und schnell die Speisen von der im
gegenüberliegenden Quadraten sprechen, die
Keller gelegenen Küche zum Speisesaal im
im Norden und Süden von zwei größeren
ersten Stock transportieren. In Gunter Breck-
Quadraten umrahmt werden. Alle Räumlich-
ners Diplomarbeit ist eine Fotografie abge-
keiten werden in der Mitte durch einen Gang
bildet, die die Speisenlifte und ihre Öffnun-
miteinander verbunden. Im zweiten Obergeschoss waren die Patientenzimmer situiert,
496 Hubmann 2003, S. 47.
177
178
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 50: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Grundriss des 2. Obergeschosses, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Rekonstruktion von Gunter Breckner, 1982
dung von Fahrstühlen hatten das Erdgeschoss und die Nobelétage aufgrund ihrer Erreichbarkeit über nur wenige Stufen den Vorzug genossen.500 1908 wurde dann doch
gen zumindest im ersten Stock nachweisen.
im Laufe der Über- und Verarbeitungen
Heute ist diese zweite Treppenanlage nicht
durch den Architekt Leopold Bauer ein Auf-
mehr originalgetreu rekonstruiert. Ein Per-
zug eingebaut.501 Dieser wurde neben dem
sonenaufzug war, wie es eine Einzeichnung
südlichen Turnsaal im Erdgeschoss in der
im dritten Vorprojekt vermuten lässt, von
Wäschekammer eingebaut.
Josef Hoffmann eingeplant, wurde aber nicht
Insgesamt ist für den Grundriss des Sana-
ausgeführt.497 Dieser ‚eventuelle‘ Lift sollte
toriums Purkersdorf die Verwendung von
direkt von der Halle südlich neben der Trep-
Symmetrie und klaren Proportionen charak-
penanlage erreichbar sein.498 Otto Wagner
teristisch. Josef Hoffmann reiht die geome
hatte schon in seinen Wohnhäusern an der
trischen Grundformen aneinander und fügt
Linken Wienzeile mit Aufzügen gearbeitet.
sie zu größeren Elementen zusammen. Aus
Aufzüge hatten dazu geführt, dass alle Woh-
der einen entsteht die nächste, insgesamt
nungen in einem Haus gleich leicht oder
geht so eine äußerst klare und prägnante
beschwerdefrei fast demokratisch zu errei-
Komposition hervor, die jede Verschleierung
chen waren und damit die oberen Stockwer-
oder versteckte Ecke von Grund auf aus-
ke aufgrund ihrer Aussicht immer mehr an
schließt. Das Ergebnis ist eine Architektur
Attraktivität gewannen.
499
Bis zur VerwenVergleiche zum Begriff der Nobelétage in Wien Schorske 1982, S. 47. 501 Breckner 1982, Punkt 2 und Breckner 1985, S. 163. 500
497 Sekler ²1986, Abb. 74 und 75 auf S. 68. 498 Breckner 1982, Punkt 4. 499 Achleitner 1996, S. 32.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
mit kurzen Wegen und einer logischen
Treppen das Niveau nach oben. Durch diese
Erschließung der Räumlichkeiten. Von unten
in Etappen geleistete Erhöhung der Halle
nach oben steigert sich der intime Charakter
wird es möglich, den Keller relativ niedrig
der Räumlichkeiten. So befindet sich der
zu halten und doch eine ausreichende Höhe
hauswirtschaftliche Raum mit der Küche im
für die Räumlichkeit der Küche zu gewähr-
Keller. Im Erdgeschoss konnten im Laufe
leisten.502 Nicht zu vernachlässigen ist aber
des Tages die verschiedenen Therapien wahr-
der Überblickscharakter der Halle, der durch
genommen werden, während sich in der ers-
die Anhebung noch verstärkt wird. Das An-
ten Etage das Abendleben abspielte. Im zwei-
und Abschwellen der Wege, die der Patient
ten Obergeschoss befand sich schließlich mit
durchläuft, muss einen begleitenden Ein-
den Patientenzimmern eine private Rück-
druck hinterlassen haben. Das unterschied-
zugsmöglichkeit.
liche Decken- und Bodenhöhen anwendende
Josef Hoffmanns ordnendes Prinzip wird
Prinzip, das damit den einheitlichen Charak-
endgültig im Querschnitt des Sanatoriums
ter eines Stockwerks minimiert, wurde ins-
Purkersdorf evident (Abb. 48). Ein Geflecht
besondere von Adolf Loos über seinen
aus vertikalen Streben und horizontalen
Raumplan vertreten. Jener Begriff ist keine
Quadern ergibt ein zunächst kompliziert
genuin von Loos geprägte Wortschöpfung,
erscheinendes
genauerer
sondern wurde von seinem Schüler Heinrich
Betrachtung entwickelt sich ein in sieben
Kulka etabliert. Was genau unter dem Raum-
Spalten senkrecht unterteilter Verbund: ganz
plan zu verstehen ist, wird im weiteren Ver-
außen die beiden Anbauten der Eingangsbe-
lauf am Haus am Michaelerplatz noch ein-
reiche, von diesen umrahmt der eigentliche
mal aufgegriffen, wobei jener Raumplan erst
Leib des Gebildes. Dieser Körper umschreibt
im Spätwerk Loos’ – so zum Beispiel bei der
für sich ein großes Karree, das in drei schma-
Villa Müller – seine konsequenteste Ausprä-
le und zwei breite Spalten unterteilt werden
gung finden sollte.503 Dietrich Worbs betont
kann. Angefangen mit einem schmalen Ele-
bezeichnenderweise bereits 1980, dass Loos’
ment wechseln sich breitere und schmalere
Raumkonzept keine „singuläre Erscheinung“
Flächen ab. Die Spalten selbst werden zum
gewesen sei. Durch das gemeinsame engli-
einen durch Mauern und Deckenbalken
sche Vorbild sieht Worbs ähnliche Raum
begrenzt, aber auch durch die Positionierung
lösungen bei den Architekten der Wiener
von Türen und Fenstern untermauert Josef
Secession gegeben.504 Loos war ein Verfech-
Hoffmann Gebäudeachsen. Diagonalen sind
ter der Ordnung eines Bauwerks von seinem
System.
Bei
nur im Bereich des großen Treppenhauses in Form der Treppenläufe und im Erdgeschoss durch die Verschiebungen der Ebenen zu entdecken. Das Bodenniveau der beiden Ausgänge in Westen und Osten liegt zwar auf gleicher Höhe, jedoch im Inneren des Hauses verschiebt sich über mehrere kurze
502
Das Ausgraben eines Kellers ist bis heute eine aufwendige und kostspielige Position bei der Berechnung von Baukosten und diese bauliche Lösung wird schon damals zu Einsparungen verholfen haben, die man dann wiederum für andere Bereiche im Budget umschichten konnte. 503 Vergleiche dazu Worbs 1983, S. 64–77 und Worbs 1982. 504 Worbs 1982, S. 58.
179
180
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
schen den Kaminkuben gezogenen Linien abermals ein Raster, das den Auf- und Grundriss des Sanatoriums nachvollziehen lässt. Letzten Endes ist eine Neigung Josef Hoffmanns beim Bau des Sanatoriums Purkersdorf zur Konzentrierung auf wesentliche Schemata festzustellen. Simultan dazu werden diese Pläne durch die Variierung in der Anordnung und Kopplung der geometrischen Unterformen durchbrochen. In Einklang mit der Außenwirkung handelt es sich beim Querschnitt um einen Körper, in dem die Schnitte mannigfach angesetzt werden. Einem ausgefeilten System entsprechend, hat jede Linie eine alle drei Dimensionen erschöpfende Aufgabe inne, ob es nun die Grenzen oder Verbindungen schaffenden Wände oder die Bildung eines Ornamentcharakters durch die Abb. 51: Josef Hoffmann/Koloman Moser: Sanatorium Purkersdorf, Halle gegen Osten, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Fotografie von 1906
Stahlbetondeckenbalken (Abb. 51) sind. Alle Bestandteile des Hauses werden gleichbedeutend in ihrer gesamten Raumausstreckung behandelt. Die Konstruktion wird zum Orna-
Kern aus – wie bereits im Falle der Villa
ment und das Ornament wird zur Konstruk-
Karma näher erläutert wurde. Beim Sanato-
tion, wie schon anhand des Kachelfrieses oder
rium Purkersdorf kann man davon ausgehen,
den Bodenkacheln der Eingangshalle beschrie-
dass die Halle den Kern der Architektur dar-
ben wurde. Damit ist eine Antwort auf die
stellte. Als die Schachtel in der Schachtel
Frage gefunden, ob sich die Fassadengestal-
formiert sie sowohl durch ihre Positionierung
tung von innen oder außen her konstruiert.
(Abb. 48), ihre Funktion als auch durch ihre
Es sind deutlich die inneren komplexen Bezie-
formale Gestaltung die Schaltzentrale der
hungen, die das äußere Erscheinungsbild des
Maschinerie Sanatorium.
Sanatoriums prägen und nicht etwa ein beson-
Der Querschnitt (Abb. 48) verdeutlicht
derer Lichteinfall oder allein die Beschaffen-
ebenso die Impression, dass das Dach wie
heit der das Gebäude umgebenden Natur. Das
ein planer Deckel auf dem Rumpf des Gebäu-
Sanatorium Purkersdorf erklärt sich, abgese-
des ruht. Die Position der Kamine wieder-
hen von dem Verbindungsgang, aus sich selbst
holt zum einen die Eckpunkte des großen
heraus und nicht nur über sein Umfeld.
Karrees und zum anderen die Grenzen des Längsflurs. Der Blick aus der Luft auf das Dach des Spitals erzeugt mithilfe von zwi-
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Das Quadrat – Die Umrandung des Sanatoriums und Verinnerlichung der Grundform
heiten vom Gesamtumriss des Gebäudes bis hin zu den Fenstern dar (Abb. 39 und 40). Demzufolge bildet das Ornament an diesem
Josef Hoffmann wird, als ein führendes Mit-
Bauwerk keinen Mantel, der sich über die
glied der Wiener Secession und in seiner
eigentliche Architektur legt, sondern beglei-
Position als einer der Gründer der Wiener
tet vielmehr den Korpus des Hauses und tritt
Werkstätte, üblicherweise dem Jugendstil
als visuelle Unterstützung der Fassadenstruk-
zugerechnet. Doch fällt es gerade am Beispiel
tur auf. Es wirkt daher nicht aufgesetzt, son-
des Sanatoriums Purkersdorf sehr schwer, ihn
dern in die Fassade integriert.
und sein Schaffen dogmatisch nur einer
Einer Einfassung gleich betont die Verzie-
bestimmten Kunstrichtung zuzuordnen. Die-
rung nicht nur die Kanten und Brüche, son-
se Verunsicherung in der Definition der For-
dern auch die Flächen. Die weiße Mauer tritt
mensprache Josef Hoffmanns am Sanatorium
gerade durch ihre Rahmung hervor. Einer
ist durch mehrere Faktoren verursacht. In
Leinwand gleich, die von einem Bilderrah-
diesem Abschnitt der Werkbeschreibung soll
men umfasst wird, definieren sich die Fläche
deshalb insbesondere auf die Verwendung des
der Wände und Fenster über das Ornament-
Ornaments am Sanatorium Purkersdorf ein-
band. Joseph A. Lux sieht bereits 1904 gera-
gegangen werden. Das Ornament des Gebäu-
de in dieser Fläche das Herausragende am
des wird, wie schon mehrfach beschrieben,
Bau des Sanatoriums Purkersdorf:
durch die Grundform des Quadrates bestimmt. Allein durch die Wahl des Quadrates bewegt
„Ich höre fast die in Entrüstung ausbre-
sich Josef Hoffmann weg vom floral Verspiel-
chenden Stimmen: ‚Was, das sind ja gar
ten vieler seiner Zeitgenossen. Das Vegetati-
keine Fassaden, das sind ja nur einfache
ve oder die Suche nach naturverwandten For-
glatte Mauern!‘ Ihr Lieben! Es sind wirk-
men liegt nicht in seinem Interesse. Er wählt
lich nur einfache, glatte Mauern. Darum
eine mathematisch-geometrische Motivspra-
erscheint mir das Bauwerk so bedeutsam
che. Um zu zeigen, dass Josef Hoffmann trotz-
und musterhaft, von anderen Vorzügen
dem nicht allein dem geometrischen Jugend-
abgesehen. Und darum zeige ich euch mei-
stil zuzuordnen ist, soll in diesem Kapitel
ne schlechten Kodakaufnahmen, die das
noch einmal intensiv auf die Verwendung des
große Verdienst haben, die Schönheit der
Quadrats an der Fassade des Sanatoriums Pur-
einfachen glatten Mauern mitzuteilen. Es
kersdorf eingegangen werden.
sind wirklich keine ‚Fassaden‘ in eurem
Bisher konnte im Rahmen dieser Arbeit
Sinne, glücklicherweise. Ihr wollt ein
das Quadrat an der Fassade als Trennlinie
Haus mit ‚Fassaden‘. Ich will ein schönes
zwischen Sockelzone und oberen Etagen auf-
Haus. Eure Entrüstung beweist mir, daß
gezeigt werden (Abb. 39). Neben dieser Funk-
ihr gar nicht wißt, was ein schönes Haus
tion umrahmt es alle Schnittstellen vom Erd-
ist.“505
geschoss bis zur zweiten Etage. Es stellt eine Umrandung für die verschiedenen Bauein-
505 Lux 1904/1905.2, S. 407.
181
182
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Das Zitat von Joseph A. Lux zeigt, wie neu
kes auszumachen und nicht etwa der Schach-
und ungewohnt der Anblick des Sanatoriums
brettfries. Das Muster wird zur begleitenden
für die Zeitgenossen gewesen sein muss,
Metapher reduziert. Die Idee des Geometri-
wenn man bedenkt, dass Lux im Vorfeld von
schen wird so über die eigentliche Form hin-
einer Ablehnung ausgeht und schon vorweg-
ausgeführt. Die Geometrie als eine Teildiszi-
nehmend eine Verteidigungsschrift für das
plin der Mathematik befasst sich mit den
Sanatorium Purkersdorf formuliert. Aber Lux
Gebilden der Ebene und des Raumes. Genau
rechtfertigt das Bauwerk nicht nur, sondern
in diesem Sinne verfolgt der Schachbrettfries
er postuliert es zum „Schönen“ und greift
durch seine Präsenz die Betonung der zwi-
damit einen Schlüsselbegriff sowie ein Ele-
schen ihm liegenden Fläche. Ebenfalls ver-
mentarziel seiner Zeit auf, nämlich die Defi-
stärkt er aber die Kanten und Ecken des
nition einer neuen Ästhetik unter zeitgenös-
Gebäudes und definiert so den Raum, den das
sischen Anforderungen. Auch wenn die
Gebäude für sich einnimmt. Das Quadratmus-
zentrale Frage des Historismus „In welchem
ter übersteigert und erweitert die eigentliche
Stil sollen wir bauen?“ im Sinne eines indi-
Funktion des Ornaments. Nicht mehr allein
vidual-proklamierenden Anspruchs weiter-
die Zierde steht hier im Mittelpunkt, sondern
hin begründend bleibt.
die Suche nach einer eigenen Formensprache
506
Bei Josef Hoffmanns späteren Messepavil-
wird ersichtlich. Diese gesuchte Form des
lons spricht die Fachliteratur von „begehbaren
gereihten Quadrates wird vor allem davon
Kunstgegenständen“. Dementsprechend wird
geprägt, dass sie mit der Wandstruktur ver-
von gebauten Schatullen gesprochen und sei-
schmilzt und nicht mehr als autonome Schöp-
ne Architektur wird oft mit Stücken der Wie-
fung für sich allein stehen kann.
ner Werkstätte verglichen. Beide Gattungen
Diese Verschmelzung wird auch im
werden als visuelles Argument nebeneinander
Grundriss und Querschnitt augenscheinlich
gestellt, um die frappierenden Ä hnlichkeiten
(Abb. 47 bis 48). Das Quadrat und das Recht-
hervorzuheben.507 Dieser Interpretationsthe-
eck bilden den begehbaren Raum. Das gesam-
se jedoch nur partiell folgend, könnte man
te Gebäude wirkt wie eine Ausdehnung der
behaupten, dass das Ornament am Sanatori-
Grundform des Quadrates. Durch die Rei-
um Purkersdorf eine Transferrolle erfüllt. Das
hung, Verkettung und Stapelung der Körper
Dekor wird zum weniger relevanten Rahmen,
entsteht ein zusammenhängender Verband,
während die Mauer zum eigentlichen Sujet
der auf den ersten Blick an ein Baukasten-
avanciert. Die Fläche ist Inhalt und Füllung
prinzip erinnert. Doch bedenkt man die vie-
und scheint daher die Aussage des Bauwer-
len Anforderungen, die der Betrieb eines Sanatoriums an einen Architekten stellt,
506
507
Diese Frage formulierte den Titel für Heinrich Hübschs Publikation von 1828. Dieses Buch stellte sich den durch den Stilpluralismus und die mannigfaltigen, durch gesellschaftliche Veränderungen geprägten Bauaufgaben entstehenden neuen Fragen. (Nicolai 2005, S. 4.) Vergleiche dazu Witt-Dörring 2006.1, S. 44f.
erkennt man in der starken Klarheit und Verständlichkeit der Struktur des Gebäudes die eigentliche Leistung Josef Hoffmanns. In seiner Wiederholung und Konsequenz durchdringt das Quadrat alle Bereiche des
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Baus und formt eine beruhigende Wirkung
de eine ausschlaggebende Rolle gespielt
aus. Josef Hoffmann schafft eine Einheit von
haben, entstand doch ein Werk, das in Klar-
innen nach außen, von unten nach oben und
heit der Disposition, Folgerichtigkeit der
vom Großen zum Kleinen indem er einer
formalen Durcharbeitung und vor allem in
stringenten Lösung folgt. Wie ein Raster oder
der äußeren Einfachheit seiner kubischen
vielmehr wie ein Muster muten selbst Grund-
Formen für 1904 ebenso war wie Frank
riss und Querschnitt an, die an die Untertei-
Lloyd Wrights Larkin Building in Buffalo,
lungen der Fenster erinnern oder umgekehrt.
N. Y., die Scotland Street School in Glas-
Die geraden aber individuell festgelegten Pro-
gow von Mackintosh, und Otto Wagners
portionen der Räume unterstützen diesen
Postsparkassenamt in Wien, wenn auch
Eindruck.
der Wrightbau origineller in Raumfassung
508
Josef Hoffmann operiert am
Sanatorium Purkersdorf, verallgemeinernd
und Grundrißorganisation war.“509
gesagt, nur mit geraden Zahlen und genormten Formen.
Sekler stellt das Sanatorium Purkersdorf
Mit genau dieser hier beobachteten Leis-
damit in einen internationalen Kontext,
tung Hoffmanns erklärt sich auch die Wahl
doch leider verbleibt er bei stichwortartigen
des
anderen
Nennungen der künstlerischen Motive und
Dachtypus hätte er die Gesamtwirkung des
Flachdaches.
Mit
jedem
führt jene nicht direkt am Bauwerk bewei-
Kubus unterlaufen und damit auch sein Kon-
send aus. Das bis heute erhaltene Bild vom
zept des Quadrates, das alle Ebenen des Hau-
‚Genie Josef Hoffmanns‘ und die fehlende
ses durchorganisiert. Stellt man sich das
Erklärung für die frühe Anwendung eines
Walmdach, das auf dem zweiten Vorprojekt
Flachdaches wird so aufrechterhalten;
(Abb. 52) zu sehen ist, auf dem ausgeführten
vielleicht wird beidem sogar Vorschub
Bau des Sanatoriums Purkersdorf vor, ent-
geleistet.
steht eine deutliche Diskrepanz. Nur ein
Die Ordnung durch das Quadrat endet,
Flachdach konnte nicht den Eindruck eines
wie schon vermutet, nicht bei der Ausgestal-
Fremdkörpers vermitteln. Eduard F. Sekler
tung der Räume. Die Unterzüge der Stahl
ist vollkommen beizupflichten, wenn er
betonplattendecken in der Eingangshalle
behauptet, dass die wirtschaftliche Effizienz
(Abb. 51) sind nicht verkleidet. Einer
nicht das einzige Entscheidungskriterium für
Kassettierung gleich, wie es Eduard F. Sekler
ein Flachdach darstellte:
umschreibt,510 wird der Raum nach oben unterschiedlich hoch abgegrenzt. Sekler sieht
„Doch müssen bei der endgültigen Gestal-
in diesem Zusammenhang das Fliesenmuster
tung auch rein künstlerische Beweggrün-
des Bodens als eine Wiederholung der Deckenordnung an.511 Damit hat die Bodengestaltung schon zwei Aufgaben übernommen:
508
Die Verhältnisse der Räume lauten wie folgt: „die Halle 2:3, das Stiegenhaus 1:1, der Speisesaal annähernd 1:3, die neben dem Stiegenhaus liegenden kleinen Gesellschaftsräume beinahe 1:1.“ (Sekler ²1986, S. 72.)
509 Sekler ²1986, S. 70. 510 Sekler ²1986, S. 288. 511 Sekler ²1986, S. 288.
183
184
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 52: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, 2. Vorprojekt, Entwurfsskizze der Hauptfassade, ohne Datierung, Tusche, Bleistift, Buntstift, auf Quadrat papier, Maßstab 1:200
„Die Unterzüge der Stahlbetonplattenbalkendecke sind in den großen Räumen sichtbar belassen und als architektonische Gestaltungselemente verwendet, wodurch
auf der einen Seite die schon erwähnte opti-
vor allem in der Erdgeschoßhalle eine Be-
sche Weiterführung der Decke und auf der
tonung des Körperlichen, Tektonischen
anderen Seite die visuelle Verknüpfung der
erreicht wird, die im Gegensatz zur Fas-
beiden Längsflure im Erdgeschoss über die
sadenbehandlung steht.“513
Halle hinaus. Dieses ist zum einen eine Aufgabe, die den Querschnitt des Gebäudes (Abb.
Sicher ist es richtig, wenn Sekler von „Bau-
48) betrifft und zum anderen eine Aufgabe,
teilen, die in einem oberen Geschoß als Risa-
die die Wirkung des Grundrisses (Abb. 47)
lite aus der Fassade hervortreten, in ihrem
untermalt und veranschaulicht.
unteren Bereich überhaupt nicht gegen den
Neben den offen einsehbaren Deckenträ-
Rest der Fassade abgesetzt sind“ spricht.514
gern wird die tektonische Wirkung der Ein-
Ebenso untermauert er seine Ansicht durch
gangshalle noch durch Pfeiler, die vollstän-
die fehlende Unterscheidung von Außenmau-
dig auf Basen und Kapitelle verzichten,
er und Wänden, die nur als „Parapet eines
verstärkt (Abb. 51 und 53). Leslie Topp
Balkons“ fungieren (Abb. 38 und 40).515 Edu-
betont in Zusammenhang mit den sichtbar
ard F. Sekler lässt dabei aber die körperliche
belassenen Deckenträgern eine technolo-
Gesamtwirkung, die durch die Angleichung
gisch ehrliche Inszenierung von Architek-
der Bauteile entsteht unerwähnt. Die oben
tur.
Das Zusammenfügen von Bauteilen
beschriebene Treppenwirkung der Westfas-
nach dem Prinzip von Last und Träger wird
sade oder das Gesamtbild eines abgestuften
insbesondere an dieser Stelle des Gebäudes
Quaderblocks, der in sich ruht, ignoriert er.
offensichtlich. Eduard F. Sekler sieht hier
Einen Quader kann man zwar theoretisch
512
einen Kontrast zur Fassadengestaltung:
512 Topp 2004, S. 91f.
513 Sekler ²1986, S. 72. 514 Sekler ²1986, S. 288. 515 Sekler ²1986, S. 288.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Abb. 53: Josef Hoffmann/Koloman Moser: Sanatorium Purkersdorf, Halle, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Fotografie von 1906
ße und schwarze Quadrate, die dem blau-weißen Fliesenfries an der Fassade in kleinerem Format entsprechen (Abb. 51 und 53). Die Eingangshalle wird im Westen (Abb. 53) wie
um seine Achse im Raum drehen und auf
im Osten (Abb. 51) durch zwei große Pfeiler
eine andere Fläche zu stehen bringen, aber
in der Höhe in jeweils drei Segmente unter-
gerade die plastische Gestaltung der Ein-
teilt, an denen sich auch das Bodenmuster
gangsbereiche (Abb. 38 und 39) lässt es zu,
orientiert. Im Westen teilen diese Pfeiler die
dass man sich im Kubus orientieren kann.
Halle vom Treppenhaus und im Osten ent-
Man findet bei genauer Betrachtung ein logi-
steht eine Trennung zum Anbau, der um eine
sches Oben und Unten des ‚Würfels‘.
Ebene tiefer liegt und über eine Treppe mit
Eine weitere Verwendung des Schachbrett-
der Halle verbunden bleibt. Auf beiden Sei-
frieses ist in der Eingangshalle zu finden. In
ten liegen diese Treppen, die die beiden Ein-
ihr ist eine Begleitung aller primären Formen
gänge mit der Halle verbinden, zwischen den
durch ein Band oder eine Bordüre von
beiden Pfeilern. Im Westen der Eingangshal-
schwarzen Quadraten zu beobachten. Durch
le schließt im südlichen Segment der Trep-
die Aufmalung von schwarzen Quadraten auf
penlauf an, während im nördlichen Drittel
die weiße Wand entstehen abwechselnd wei-
dieser Seite die Eingangshalle um die Tiefe
185
186
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
der Treppe nach Westen weitergeführt wird.
Osten, wenn die Oberlichter nicht mitgezählt
Insgesamt handelt es sich um eine dreiarmi-
werden. Um diese Wandhöhe weiter zu beto-
ge, geradläufige Treppenanlage.516 Im Osten
nen, wird eine Art Leiste um den ganzen
werden die äußeren Drittel mal durch Tür-
Raum geführt, in deren Höhe Lampen und
und mal durch Fensterelemente in der unte-
viereckige Bilderrahmen montiert wurden.
ren Hälfte geschlossen.
Durch das Fehlen
Auf diese Etappe folgt ein schmalerer und
von Basen und Kapitellen entsteht kein eigen-
hellerer Wandteil. Dieser Bereich beinhaltet
ständiger Charakter der Pfeiler, vielmehr
die Oberlichter und reicht bis zur Decke, die
rücken die zwischen ihnen liegenden Aus-
selbst noch einmal einen weiteren Abschnitt
schnitte ins Blickfeld. Die Zwischenräume
konturiert. Sie ist – wie in der Eingangshal-
erinnern ebenso wie die Fenster der Fassade
le – durch offen gelassene Stahlbetondecken-
an Ausschnitte und sind demnach ein abhän-
balken in verschiedene Vertiefungen unter-
giger Bestandteil der Wände. Abstrahierend
teilt. Ein dreireihiges Raster erstreckt sich
könnte man von einem Triumphbogenmotiv
über die Decke und wird an seinen inneren,
sprechen, durch das der Patient, sich selbst
unteren Kanten durch ein gemaltes Schmuck-
nobilitierend, entweder in die Halle oder ins
band betont. Dieses Band verläuft auch auf
Äußere oder in die Natur schreitet.
der Ost- und Westwand des Speisesaales und
517
Die Decke der Eingangshalle (Abb. 51 und
integriert damit die Wände des Raumes in
53) wird, wie bereits erwähnt, durch die nicht
das Balkengitter. Erst der Fries lässt optisch
verkleideten Stahlbetonbalken untergliedert.
drei Reihen von tiefen Kassetten entstehen,
In der West-Ost-Achse ziehen sich zwei Bal-
die sich über die Decke erstrecken. Ludwig
ken über die gesamte Länge des quadrati-
Hevesi sieht in dieser Deckenlösung eine
schen Kerngebietes der Halle. Sie werden
„große, aufrichtige, lügenlose Saaldecke“, die
von vier in regelmäßigen Abständen folgen-
auf alles „vorgemogelt Kunstgeschichtliche“
den Balken durchquert. Dadurch entsteht
verzichtet.518 Eduard F. Sekler spricht zum
ein quadratisches Raster, das in Höhe und
Beispiel auch bei Loos von einer „Raumglie-
Tiefe variiert. Die Querdeckenbalken sind
derung in verschieden hohen Abschnitten
in ihrer Mitte leicht vertieft. In diesen Ein-
und sichtbaren Deckenbalken“.519 Als Inspi-
schnitten sind die Deckenleuchten verankert.
rationsquelle sieht Sekler die englischen Vor-
Der Speisesaal (Abb. 54) formt einen läng-
bilder, die vor allem Verbreitung durch die
lichen Raum, der in seiner Höhe in drei
Zeitschrift The Studio erfuhren und auf vie-
Abschnitte zu unterteilen ist. Die Sockelzone
lerlei Weise Einzug in die Arbeit Hoffmanns
zieht sich bis zum oberen Ende der Türen,
fanden. Diese Quellenlage gilt ebenso für die
die sich im Westen befinden. Dieser Höhe
Lösung am Sanatorium Purkersdorf. Auch
entsprechend enden die Fenstertüren im
516 Hubmann 2003, S. 47. 517 Es gibt Fotografien, die diese Einschübe zeigen, während ebenfalls Fotografien existieren, die eine Situation ohne diese Einbauten abbilden. Als ori-
ginal ist der Zustand ohne Einbauten zwischen den östlichen Pfeilern zu verstehen. Diese Version entspricht auch dem heutigen Zustand nach der Restaurierung. 518 Hevesi 1909, S. 216. 519 Sekler 1986, S. 128.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Abb. 54: Josef Hoffmann/Koloman Moser: Sanatorium Purkersdorf, Speisezimmer im 1. Obergeschoss gegen Süden, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Fotografie von 1906
Die Türen, die vom Flur in den Speisesaal führen, sind wie die Fenster auf wiederholende Module reduziert. Über dem Haupteingang des Speisesaals verläuft das
wenn Josef Hoffmann nicht durch die Vor-
schon erwähnte Schmuckband der Decke
blendung von eigentlich nicht tragenden
kurz nach unten in den zweiten Wand-
Holzbalken wie Adolf Loos eine deutliche
abschnitt hinunter. Um die Breite eines
Nähe zu den englischen Vorbildern herstell-
Stahlbetondeckenbalkens zieht es sich bis
te, gleicht die Decke – obwohl sie die Kons-
auf die Vertäfelung der ersten Wandetappe
truktion offen zur Schau trägt – in ihrer Moti-
hinunter und wieder hinauf. Oberhalb der
vik der englischen Hallendecke.
Vertäfelung und kurz bevor der Deckenbe-
520
reich ansetzt sind kleine Quadrate zu erken520
Vergleiche dazu beispielhaft die Deckengestaltung in der Kaminecke in der Galerie des Gebäudes Blackwell von Baillie Scott von 1898/99 bei Bowness. Zum einen ist die Vorbildwirkung für Adolf Loos’ Gestaltung von Kaminnischen unübersehbar, und zum anderen ist deutlich eine plastische Strukturierung von Quadraten zu erkennen, die
nen, an denen Schnüre nach unten hängen
so auch für Hoffmann in ihrer Grunddisposition als Ideen gebend gewirkt haben kann. (Worbs 1983, S. 67 und Posener 1983, S. 52–63 und nochmals Davey 1996, S. 235 und S. 242.)
187
188
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 55: Josef Hoffmann/Koloman Moser: Sanatorium Purkersdorf, Detail des Speisezimmers gegen Westen, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Fotografie von 1906
ßung der Räume. Ebenso verstärkt diese
(Abb. 55). Vermutlich handelt es sich dabei
den Raum der Veranda (Abb. 49 und 56).
um kippbare Öffnungen, die der Luftzufuhr
Durch drei Wanddurchbrüche, die ebenfalls
dienten. Der Speisesaal wird im Norden
mit Glastüren versehen sind, gelangt man in
und Süden durch kleine Wandeinziehungen
die Veranda. Die Wände sind bis zur Decke
und weitere Glastüren nur teilweise optisch
mit Holz verkleidet. Die Raumhöhe der Ver-
begrenzt (Abb. 49 und 54). Dadurch, dass
anda entspricht in etwa der ersten Wand
die Glastüren keine Barriere für die Sicht
etappe des Speisesaals, die ebenso mit Holz
darstellen und mittig in der Wand angeord-
verkleidet ist. Die Außenwände der Veranda
net sind, bleibt der Blick auf die Fenster
bestehen überwiegend aus Fenstern, die nur
der Seitenräume frei. Durch diese Weiter-
von einem Wandsockel und pfeilerartigen
führung des Raumes entsteht eine größere
Wandbereichen begleitet werden. Diese ‚Pfei-
Durchlässigkeit und Freiheit in der Erschlie-
ler‘ sind durch ihre Holzverkleidung an jeder
Achsenbildung eine starke Betonung der Querlinie des Raumes. Im Osten erweitert sich der Speisesaal um
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Abb. 56: Josef Hoffmann/Koloman Moser: Sanatorium Purkersdorf, Veranda gegen Norden, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Fotografie von 1906
Fries entspricht dem im Speisesaal. Diese
einsichtigen Seite in ein weiteres Rechteck,
durch einen weißen Strich in der Mitte hal-
das tiefer in die Fläche eingelegt ist, unter-
biert und grüne ‚Stängel‘ sowie rote Punkte
gliedert. Die Fenster bilden zwei Bänder um
umgeben das entstandene Geflecht von blat-
die Veranda. Das untere auf Blickhöhe des
tartigen Formen. Ein anderes Muster ist auf
Sitzenden ist der Durchsicht förderlich weni-
zeitgenössischen Fotografien an den Pfeilern
ger unterteilt, während das obere einem Ober-
an der äußeren Ostwand der Veranda zu ent-
licht ähnlich durch viele kleine Quadrate aus-
decken. Die schon beschriebenen Vertiefun-
geformt wird. Die Fenster liegen etwas tiefer
gen sind ornamental akzentuiert umrandet.521
streifenförmige Fläche greift zur Abwechslung runde Formen auf. Grüne Ovale werden
in den Wänden. Durch diese einfache Lösung entstehen Fensternischen. Die Decke gliedert sich in mehrere Rechtecke. Schmale Balken zerteilen die Decke und wiederholen das Prinzip der Decke des Hauptspeisesaals. Der
521
Da die zeitgenössischen Fotos leider nicht die beste Auflösung besitzen, konnten die Formen vonseiten der Autorin nicht ganz sicher identifiziert werden. Vermutlich handelt es sich dabei um ein Band aus zwei Reihen von Rauten. Jeweils eine helle Raute wechselt sich mit einer dunklen ab.
189
190
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Aufgrund der grünen Farbgebung des Frieses
bisher etwa vier Projekte im Rahmen der
wird vermutet, dass es sich dabei um Entwür-
Diplomarbeit von Gunter Breckner zusam-
fe von Koloman Moser handelt. Eine
mengetragen worden. Allen Entwürfen und
endgültige Zuordnung der kreativen Verant-
der Realisierung des Hauses sind die Beto-
wortlichkeiten an Hoffmann oder Moser fällt
nung der Länge und der Etagenumfang von
in jenen Jahren der Zusammenarbeit jedoch
Keller, Erdgeschoss und zwei Oberetagen
sehr schwer, da beide sich gegenseitig inspi-
gemeinsam. Ebenso ist ein Anbau an die Süd-
rierten und kritisierten. Die Erzeugnisse der
fassade des Sanatoriums von Anfang an zu
Wiener Werkstätte wurden zwar nicht nur
erkennen. Ob es sich dabei um den angebau-
mit der Punze des doppelten W gekennzeich-
ten Raum oder um den Verbindungsgang
net, sondern auch mit den Initialen des
handelt ist nicht endgültig von der Fassaden-
Künstlers und des ausführenden Handwer-
zeichnung her zu erklären. Der Grundriss
kers, aber über die gedankliche Beeinflussung
des ersten Vorprojektes524 bringt Licht in die
der Künstler untereinander sagen diese Zei-
Vermutungen, denn in dieser Grundrisszeich-
chen nichts aus.
Neben Josef Hoffmann
nung des Erdgeschosses wird dieser Abschnitt
gehört Koloman Moser zu den Begründern
durch das Wort „Verbindung“ beschriftet. Im
der Wiener Werkstätte, beide haben die Inne-
Grundriss des zweiten Vorprojektes wird der
neinrichtung des Sanatoriums Purkersdorf
Gang nur noch durch die Abkürzung
gemeinsam gestaltet.
„VERB“525 angedeutet, während er im Laufe
522
des dritten Projektes526 verschwindet, um im
Die Vorentwürfe zum Sanatorium Purkersdorf
vierten Projekt527 durch Striche wieder angedeutet zu werden. Letzter Beweis für den von Beginn an geplanten Verbindungsgang
Das Sanatorium Purkersdorf und seine end-
und nicht etwa für einen angebauten Raum
gültige Form entwickelten sich erst durch
im Süden ist das Fehlen eines weiteren Rau-
mehrere verschiedene Vorprojekte, die alle
mes, der am westlichen Ende der Südfassade
im Original auf kariertem Papier ausgeführt
in allen Grundrissen des Erdgeschosses der
wurden und die Josef Hoffmann alle im Maß-
Vorprojekte ansetzen müsste. Dieser weitere
stab 1:200 zeichnete.
Raum ist aber erst ab dem Grundriss des vier-
523
Zumindest sind
ten Projektes zu erkennen. Der Gebäudeteil, Ebenso sind in jenen Innenflächen der Pfeiler, die in den Innenraum der Veranda zeigen, wohl Spiegel positioniert. 522 Vergleiche zur vielfältigen Beziehung Hoffmanns und Mosers Schweiger 1982, S. 32. Die verschiedenen Punzen und Marken der Wiener Werkstätte sind aufgeführt bei Rainer 2003, S. 56f. Dass die Kennzeichnung der Werke der Wiener Werkstätte nicht immer ganz gewissenhaft mit der Marke des Entwerfers versehen wurde und dadurch Konfusionen entstanden, ist nachzulesen bei Barten 1983, S. 18f. 523 Breckner 1982, Punkt 1.3.
der im ersten Vorprojekt noch mit dem Wort „Verbindung“ versehen ist, setzt jedoch mittig an die Fassade an und umreißt eine Breite, die für einen weiteren Raum ungewöhnlich schmal ausfallen würde.
524 Sekler ²1986, Abb. 73 auf S. 68. 525 Breckner 1982, Abb. 84. 526 Sekler ²1986, Abb. 74 auf S. 68. 527 Breckner 1982, Abb. 92.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Das zweite Vorprojekt, das eine Fassa-
Architektur widerspiegelt. Am linken und
denskizze (Abb. 52) beinhaltet, zeigt noch
rechten Ende der Fassade wird jeweils eine
deutliche Abweichungen zum ausgeführten
Kolossalordnung angedeutet. Vermutlich je
Bau von Josef Hoffmann. Die augenschein-
zwei Säulen betonen die äußeren Enden des
lichste Abweichung ist die Verwendung eines
Gebäudes. Die beiden Säulen umschließen
Walmdaches anstelle eines Flachdaches, das
einem Joch gleich ein Fenster des Erd
die Räumlichkeiten des zweiten Stockwerks
geschosses und des ersten Stockwerkes. An
beherbergt. Nur drei Fenster sind zu erken-
diesem Punkt deuten sich die Seitenrisalite
nen, die das Dachgeschoss von Osten her
bereits an.
mit Licht versorgt hätten, was den Schluss
Der Garteneingang weicht von den ande-
zulässt, dass man die Etage aufgrund von zu
ren ‚Jocheinheiten‘ ab. Von unten nach
geringer Ausleuchtung nur als Lagerort hät-
oben betrachtet liegt zunächst ein Balken
te nutzen können. In diesem Zusammenhang
quer auf dem Boden, hinter dem sich die
ist es nötig, noch einmal an die Therapiewir-
seitlich geführten Stufen zur Eingangstür
kung des Lichtes zu erinnern, an die im Sana-
verbergen.529 Vor dem Balken ziehen sich
torium Purkersdorf ostentativ geglaubt wur-
zwei Säulen oder Pfeiler in die Höhe, die
de.
Unter dem Dach erstreckt sich eine
bis zum Fenster der ersten Etage reichen.
Ostfassade, die sich kleinteiliger gegliedert
Die Säulen oder Pfeiler stehen zentriert auf
präsentiert als der verwirklichte Bau. Der
dem Balken und umschließen die Tür, wäh-
Garteneingang liegt nicht mittig, sondern
rend sie nach oben über die Breite des Fens-
leicht nach links versetzt. Der Etagencharak-
ters hinausragen. Das dadurch entstandene
ter wird durch die regelmäßig aufeinander
Feld zwischen dem Fenster des ersten
folgenden Fenster herausgebildet. Die Fens-
Stockwerks und dem zuvor beschriebenen
ter des ersten Stockes sind in ihrem Umfang
Mäanderfries wird durch einen weiteren
größer als diejenigen im Erdgeschoss. Zu
dicken, mehrfach übereinander gezogenen
sätzlich umzieht sie ein überdimensionaler
Strich unterteilt. Dieses Fassadenelement
Mäanderfries. Es entstehen zwischen den
wiederholt sich vier Joche weiter rechts
Fenstern der ersten Etage geschlossene recht-
noch einmal, ohne dass eine weitere Tür
eckige Flächen und der Fries verbindet sich
vorhanden wäre. Auf der Symmetrie beste-
mit der Wandfläche des Erdgeschosses. Fast
hend, wäre Josef Hoffmann an dieser Stel-
rechteckigen Zinnen gleich zieht sich dieses
le einer ‚Fassadenlüge‘ gefolgt, denn dem
Strukturelement über die Fassade der zwei
äußeren Bild hätte keine innere Konstruk-
Hauptetagen des Sanatoriums. Zwischen den
tion entsprochen. Durch die verschiedenen,
Fenstern deutet Josef Hoffmann jeweils noch
in die Höhe gerichteten Bauelemente (die
einen Kreis an, den man als zusätzliches
zwei Kolossalordnungen und die zwei ‚Ein-
funktionsfreies Ornament benennen könnte,
gangsjoche‘) entsteht eine Drei- beziehungs-
528
da es nicht etwa die Konstruktion der 529 528
Vergleiche dazu Topp 1997, S. 419f.
Vergleiche dazu den Grundriss des Erdgeschosses des Vorprojekts 1, der diese Beschreibung untermauert.
191
192
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
weise Fünfteilung der Fassade. Als letzte
das Flachdach auf, sowie die Fassadenglie-
Beobachtung zum zweiten Vorprojekt sind
derung in zwei Seitenrisalite mit Mittelteil.
die zwei Balkone zu nennen, die an der
Zum ausgeführten Bau ähnlich verhält sich
Nordfassade des Sanatoriums auszumachen
auch der mittlere Bereich der Fassade. Zwar
sind.
ist noch kein Anbau zu erkennen, aber durch
Die Grundrisse des ersten und zweiten
das große quer liegende Fenster auf der Höhe
Vorprojektes530 verlaufen noch nicht in einer
der ersten Etage wird der zukünftige Ver-
derart stringent gelösten Form, wie die des
andabereich schon vorstellbar. Die seitlich
realisierten Bauwerks. Die Eingangshalle
an dem Fenster angebrachten ‚Fahnenstan-
befindet sich nicht in der Mitte des Baukör-
gen‘ deuten endgültig die beibehaltenen
pers, sondern durch die Verschiebung des
Umrisse des zukünftigen Anbaues an.
Garteneingangs nach Süden fast am linken
Der Garteneingang ist nun mittig einge-
äußeren Drittel des Grundrissrechtecks. Der
zeichnet und die tektonischen Verschleie-
Halle liegt nicht etwa das Treppenhaus
rungen an den Balkonen des zweiten Stock-
gegenüber, sondern der Turnsaal oder das
werkes sind schon im dritten Vorprojekt zu
Herrenbad. Das Treppenhaus ist separat an
erkennen. Eine deutliche Abweichung zur
das südliche Ende des Gebäudes gerückt und
Ausführung des Sanatoriums ist das ange-
damit auch der Westeingang, dem durch die
deutete Fensterband des Erdgeschosses. Zu
Zuordnung von Portierzimmer und Telefon-
vermuten ist, dass Sekler das dritte Vorpro-
kabine demnach die Aufgabe des Hauptein-
jekt als Quelle für das Fenster ansieht, das
ganges zufällt. Die eben geschilderten Räum-
von ihm als „weitgehend durchlaufendes
lichkeiten umschreiben im Grundriss ein
Fensterband“531 bezeichnet wird. Es ist
Quadrat, auf dieses folgt ein Rechteck, das
jedoch sehr schwer, aufgrund dieser Zeich-
in drei Teile unterteilt werden kann: dem
nung zu belegen, dass es sich um ein Band
länglich mittigen Flur und den westlich und
von Fenstern im Erdgeschoss handelt, da die
östlich von ihm verlaufenden Raumbändern.
eindeutigen Fensterflächen schwarz ausge-
Im Süden lässt sich dieser Flur über den Ver-
malt sind, während die dazwischen liegen-
bindungsgang erweitern, während im Nor-
den Rechtecke im Inneren weiß belassen sind
den der Flur in einer apsidenförmigen Aus-
und dadurch auch als Fliesen definiert wer-
buchtung endet, die man aufgrund der
den könnten. Eine endgültige Verunsiche-
Fassadenskizze (Abb. 52) als Balkon identi-
rung erzeugen in diesem Zusammenhang die
fizieren kann.
Fenster der ersten und zweiten Etage, die
Insgesamt ist am zweiten Vorprojekt eine
wiederum nur schwarz umrandet werden und
Betonung der Vertikalen zu erkennen. Die-
ein Indiz dafür darstellen könnten, dass es
ser Akzent verschiebt sich deutlich ab dem
sich bei den ‚Kacheln‘ doch um Fensterschei-
dritten Vorprojekt (Abb. 57) hin zur Hori-
ben handelte. Aufklärung in diese Ungereimt-
zontalen. Das dritte Vorprojekt weist schon
heiten bringt der Grundriss.532 Hier sind nur
530
531 Sekler ²1986, S. 72. 532 Breckner 1982, Abb. 87.
Sekler ²1986, Abb. 73 auf S. 68 und Breckner 1982, Abb. 84.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Abb. 57: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, 3. Vorprojekt, Entwurfsskizze der Hauptfassade, ohne Datierung, Tusche, Bleistift, Buntstift auf Quadrat papier, Maßstab 1:200
befindet. Denn in diesem Fall kann man aufgrund der Fassadenzeichnung (Abb. 57) sowie dem Grundriss der ersten Etage (Abb. 58) auf eine fast die ganze Breite der
fünf Fensteröffnungen auszumachen und
Veranda einnehmende Fensterfläche schließen.
demnach handelt es sich wahrscheinlich um
Diese Zuordnung der Aussagen von Sekler
Kacheln oder durch Bemalung ausformulier-
und Hubmann würde die Kennzeichnung des
tes Ornament. Zu vermuten ist, dass Axel
Verandafensters als Fensterband durch Gun-
Hubmann mit seiner Aussage:
ter Breckner untermauern.535 Versucht man aber die Grundrissskizzen
„Entwurfsskizzen belegen, dass Hoffmann
des dritten Vorprojektes (Abb. 58) der Fas-
die Möglichkeiten dieses neuen Baustof-
sadenzeichnung desselben Vorprojektes
fes [Stahlbeton; LT] viel radikaler und um-
(Abb. 57536) zuzuordnen, fallen Diskrepan-
fassender nutzen wollte (Vorgriff auf
zen ins Auge, die eine eindeutige Kombina-
Skelettbauweise), als es in der Ausführung
tion der beiden Entwürfe erschweren. In den
geschah“533,
Grundrisszeichnungen ist zum Beispiel eine unrealistische Lösung zu beobachten. Wäh-
der gleichen Überinterpretation zum Opfer
rend der Grundriss des Erdgeschosses nur
gefallen ist.
Möglich ist aber auch, dass
die Sockelgrundrisse der ‚Fahnenstangen‘,
beide Autoren das Fenster der Veranda
die sich als kurze Mauervorsprünge erwei-
meinten, das sich auf der gleichen Höhe mit
sen, andeutet, lässt der Grundriss der ersten
den restlichen Fenstern des ersten Stockwerks
Etage eine Veranda erkennen. Weder durch
534
die Fassadenzeichnung noch durch den Grundriss des Erdgeschosses lässt sich erklä533 Hubmann 2003, S. 47. 534 Leider wird an dieser Stelle in der Literatur die Aussage nicht mit den entsprechenden Entwurfs skizzen untermauert, daher fällt es schwer, diese Aussage endgültig nachvollziehen zu können.
ren, worauf das Gewicht dieser Veranda 535 Breckner 1982, Punkt 3. 536 Vgl. auch dazu Breckner 1982, Abb. 87.
193
194
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 58: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, 3. Vorprojekt, Entwurfsskizze für den Grundriss und Möblierungsplan des 1. Obergeschosses, 1904, Tusche, Bleistift, Buntstift auf Quadratpapier, Maßstab 1:200, 21 x 34 cm, Privatbesitz
Vorprojekt anzurechnen, während der Grundriss der ersten Etage (Abb. 58) einen weiteren Zwischenschritt vor der ausgeführten vierten Lösung (Abb. 49) visualisiert. Der einzige gravierende Unterschied zur verwirklichten ersten Oberetage wären die quadra-
ruhen sollte. Die Kacheln, die hinter den
tischen Damen- und Herrentoiletten am
zwei Mauern angedeutet sind, erhärten den
Ende des Flures und die dadurch bedingte
Eindruck, dass diese Ummauerungen des
Führung des Flures um die Ecke zum Zweck
Eingangs sehr schmal konzipiert sind.
der Schaffung von Türen zu den Räumlich-
Aufgrund dieser Ungereimtheiten lässt
keiten im Westen. Diese Lenkung des Flures
sich die Hypothese aufstellen, dass es sich
umschreibt ein weiteres Quadrat, das die
bei den behandelten Grundrissen um ver-
Maße der Toilettenräume, die direkt ansto-
schiedene Teiletappen handelt, die vermut-
ßen, wiederholt. In der Ausführung des Sana-
lich zwischen dem dritten Vorprojekt und
toriums Purkersdorf integriert Josef Hoff-
der vierten und endgültigen Ausführung des
mann letztendlich die Toiletten in die
Sanatoriums
einzuordnen
Quadrate der westlichen Eckräume und
wären. Diese These würde die Lösung hin-
schafft eine Untergruppe. Der Zugang der
sichtlich der Eingangshalle unterstützen, die
Toiletten wird durch den nun die gesamte
schon fast die realisierte Version darstellt,
Länge des Hauses umfassenden Flur ermög-
abgesehen von den im Osten noch nach
licht. Eine klarere Einteilung wurde vom
innen gezogenen Bürozimmern und dem im
Architekten demnach mit sehr einfachen Mit-
Westen fehlenden Eingang. Der Grundriss
teln erreicht.
Purkersdorf
des Erdgeschosses wäre damit dem dritten
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Abb. 59: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Fassadenstudie, lässt sich keinem der Grundrisse der Vorprojekte zuordnen, ohne Datierung, Bleistift und Quadratpapier, Maßstab 1:200
Möglichkeit, diese als eine Vorstufe zum dritten Entwurf zu werten. Zum Abschluss der Betrachtungen der Vorprojekte ist zu beobachten, dass sich eine Entwicklung des Bauwerkes ablesen lässt.
Neben diesen ungefähr chronologisch ein-
Neben einigen Konstanten, wie zum Beispiel
zuordnenden Vorprojekten existiert eine wei-
der Anzahl der Stockwerke, dem Vorhan-
tere Fassadenstudie (Abb. 59), die sich mit
densein eines Verbindungsganges und der
keinem der Grundrisse verknüpfen lässt. Sie
Behandlung der Fenster in eine große unte-
zeigt einen Flachdachbau, in dem der Ver-
re Hälfte mit kleiner unterteilter oberer Hälf-
bindungsgang vermutlich vor die Ostfassade
te, lässt sich ein deutlicher Wandel erkennen.
verlagert ist. Der Eingang befindet sich zwar
Der Schritt vom Walmdach des ersten Vor-
schon mittig und die Lösung des Fenster
projektes zum Flachdach des zweiten Vor-
bandes an der Veranda erinnert stark an die
projektes ist gewaltig. Der Abstand vom zwei-
dritte Vorprojektlösung, aber die restliche
ten Vorprojekt zum fertigen Bau ist
Fensteranordnung und das fast an einen
wiederum nicht derart weitreichend und die
Dreiecksgiebel erinnernde Feld über dem
Entwicklung verläuft eher sukzessiv, an ein-
Eingangsbereich wirkt im Vergleich zum Fas-
zelnen Details feilend.
sadenentwurf des dritten Projekts (Abb. 57)
Josef Hoffmann hat von Anfang an sein
fast schon rückläufig. Es gibt zwei Wege die-
Gebäude nur aus Quadraten und Rechtecken
se Skizze einzuordnen. Zum einen könnte
zusammengesetzt, wenn man einmal von den
es sich dabei um eine Zeichnung der West-
halbrunden Balkonen des zweiten Vor
fassade handeln, die man zu dem dritten Pro-
projektes und dessen Dachform absieht
jekt zählen könnte, zum anderen besteht die
(Abb. 52). Der zentrale Flur, der fast immer
195
196
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
der gesamten Länge des Hauses folgt,
All diese Fragen sollen näher gefasst wer-
umschreibt seine Skizzen durch die gesamte
den. Auf der Grundlage der genauen Beob-
Entwicklungsphase hindurch. Josef Hoff-
achtungen sollen sodann Schlüsse über das
mann muss sich immer über den Gebrauch
und Vergleiche zum Bauwerk von 1905 gezo-
seines Gebäudes im Klaren gewesen sein.
gen werden, die die gesammelten Beobach-
Hier stellt sich automatisch die Frage, inwie-
tungen in einen größeren Kontext setzen.
weit Bauherr Viktor Zuckerkandl auf die Konzipierung des Prachtgebäudes des Sana-
3.3.2. Werkanalyse
toriums Purkersdorf Einfluss genommen hat, indem er zum Beispiel bestimmte Vorgaben
„Das Sanatorium Purkersdorf war damals
stellte. Man könnte sich fragen, inwiefern
wohl das erste Gebäude, welches ohne
die Aufgabe, eine Kuranstalt zu entwerfen,
jegliche stilistische und sonstige dekora-
von den Aufträgen abweicht, die Josef Hoff-
tive Details lediglich aus der Notwendig-
mann bis dahin bewältigt hatte, nämlich die
keit, dem Bedürfnis und der hygienischen
Schaffung eines privaten Reiches in Form
Wichtigkeit entstanden ist.“537
von Villen für ganz spezifische und von Beginn an feststehende und nicht variieren-
Mit diesen Worten umschreibt Josef Hoff-
de Bewohner.
mann in seiner kurzen Autobiografie, die er
Die Frage nach der Funktion und Auftrag-
auf knappen 14 Seiten abhandelt, seinen ers-
geberschicht des Sanatoriums lässt sich wie-
ten öffentlichen Nutzbau. Die Stichwörter
derum auf die Formenwahl übertragen. War-
„Notwendigkeit“, „Bedürfnis“ und „hygieni-
um wählt Josef Hoffmann das Quadrat und
sche Wichtigkeit“ verkörpern für Hoffmann
warum wendet er es in dieser Konsequenz
seine Prinzipien des Bauens, die er am Sana-
an? Woher kommt dieser Wunsch nach
torium Purkersdorf verwirklicht sah. Sie wer-
Durchformulierung eines Konzeptes durch
den hier einer Strategie ähnlich bis ins kleins-
alle Ebenen eines Bauwerks? Worin liegen
te Detail hinein weitergeführt. Diese allen
die Parallelen zu den Erscheinungen der Zeit
Einzelteilen zugrunde liegenden Axiome ver-
und welcher Art sind die Erneuerungen, die
binden den Hoffmann-Pavillon erst zum
sich am Sanatorium Purkersdorf manifestie-
Gesamtkunstwerk. Sie stellen Hoffmanns
ren? Besteht das Sanatorium nur aus einer
Sanatorium aber auch auf eine Außenseiter-
quadratisch nüchternen Form oder artiku-
position in seinem Œuvre, da ihm nicht bei
liert das Quadrat eine eigenständige Aus
jedem Auftrag die nötigen finanziellen Mittel
sage? Bleibt das Sanatorium Purkersdorf von
zur Verfügung standen ein solch konsequent
Josef Hoffmann nur eine künstlerisch
durchgestaltetes Gebilde zu verwirklichen.
geschickte Anhäufung von geometrischen
Gunter Breckner ergänzt für das Sanatorium
Formen oder vermittelt das Gebäude eine
Purkersdorf eine durch seine klare Formge-
Aussage oder konzentriert es eine Einstel-
bung geförderte emotionale Ordnung:
lung, die das Kunst- und Lebensverständnis der Zeitgenossen ausformulierte?
537 Hoffmann 1972, S. 116.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
„GEOMETRIE Primäre Formen sind klar
sen –, während die nächste Schaffensphase
zu lesen und werden als ‚schön‘ empfun-
von einem starken Abstraktionsgrad domi-
den. Ihre Anwendung ist mit dem Prinzip
niert wird. In dieser Umorientierung sieht
der Sparsamkeit vereinbar. Der Einsatz
man zum einen den Einfluss seines Lehrers
geometrischer Formen (Kugel, Würfel, Zy-
Otto Wagner und zum anderen die Bekannt-
linder, Waagrechte, Senkrechte, Schräge
schaft mit den Werken der englischen „Arts
usw.), primär oder verfeinert, voll Gefühl
and Crafts“-Bewegung. Im späteren Schaffen
oder voll Kraft, erinnert an die antike Bau-
Hoffmanns entdeckt man dagegen eine star-
kunst und wirkt physiologisch auf die Sin-
ke Rückwendung zum Klassizismus, während
ne. Monumentalität, Ursprünglichkeit, un-
ihn wohl die Orientierung am Biedermeier
mittelbare Energie entsteht. In Purkersdorf
seine gesamte Schaffenszeit begleitete.
wirkt die starke Horizontalbetonung des
In dieser Konfusion von Stilen stellt das
Bauwerkes avantgardistisch, das Quadrat
Sanatorium Purkersdorf eine Randrolle dar.
ist wie immer bei Hoffmann eine wesent-
Josef Hoffmann hatte sich zu Beginn seiner
liche Grundkonfiguration.“
Karriere durch die Einrichtungen der Seces-
538
sionsausstellungen einen Namen gemacht Diese beiden Pole von rational errechenba-
und in diesem Sinne bleibt es eines seiner
ren Formen und dadurch bedingten emotio-
typischen Auftragsprofile, eine Privatvilla zu
nalen Ausdruckswerten von Architektur gilt
errichten, inklusive deren Interieur. Das
es zu klären.
Sanatorium unterstand zunächst einer ande-
Der Versuch, Josef Hoffmanns Œuvre
ren Gattung von Architektur, nämlich dem
zusammenfassend zu charakterisieren, stellt
öffentlichen Bau und nicht der privaten Vil-
eine nahezu unlösbare Aufgabe dar. Dies ist
la. Für Hoffmann formulierte sich damit
allein schon durch das Buch Eduard F. Sek-
nicht die Aufgabe, einer bestimmten Person
lers über Josef Hoffmann dokumentiert. Die
ein gesamtes Zuhause anzupassen, sondern
Monografie beanspruchte Sekler fast über
er musste ein Gebäude entwickeln, das sich
einen Zeitraum von dreißig Jahren und ihr
in seiner signifikanten Funktion sowohl einer
Umfang ist beträchtlich. Sekler teilt Josef
spezifischen als auch wechselnden Personen-
Hoffmanns Werk vor allem in verschiedene
gruppe anglich. Die speziellen Formen und
Zeitabschnitte, die teilweise in ihrem forma-
Lösungen, die der Betrieb eines Sanatoriums
len Charakter nicht unterschiedlicher aus-
einfordert, werden in der Werkanalyse noch
fallen könnten. So sind es zunächst die zeich-
besprochen.
nerischen Arbeiten der Ausbildungszeit – die
Die nächsten Unterkapitel der Werkanaly-
an die Maximen der École des Beaux-Arts
se verfolgen vielmehr das Ziel, die Verortung
erinnern – und die ganz frühen Werke – die
des Sanatoriums innerhalb des gesellschaftli-
eine starke Verwandtschaft zum vegetabilen
chen, soziologischen und wissenschaftlichen
Jugendstil Frankreichs oder Belgiens aufwei-
Einflusskreises zu leisten. Neben den Begriffen der Nutzung und Funktion soll gerade
538 Breckner 1988, S. 42. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.
eine Vernetzung des Gebäudes und seiner
197
198
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Formensprache hinsichtlich der emotionalen
Josef Hoffmann und Koloman Moser hatten
beziehungsweise affektiven Lenkung seiner
es 1905, das Jahr der Fertigstellung des Sana-
Bewohner definiert werden. Josef Hoffmann
toriums Purkersdorf, gemeinsam formuliert.
behauptete immerhin, das Ornament am
Da nur sehr wenige Texte von Hoffmann aus
Sanatorium entbehre jeglichen Vorbilds und
dem Jahr 1905 existieren, muss das Arbeits-
weise keine Beziehung zu früheren Zeiten
programm als wichtigste Quelle für die dama-
auf.539
lige Gedankenwelt Hoffmanns angesehen
Wie bereits im Verlauf der Analysen zum
werden. Hinzu kommt noch die Betonung
Palais Stoclet aufgezeigt wurde, kann man
des „Gefühls“ durch Oberhuber, die ein deut-
dennoch Verwandtschaften und Ursprünge
liches Indiz auf die affektdominante Wahr-
im Werk Hoffmanns ausmachen, die auch
nehmung der eigenen Zeit darstellt. Dieser
den Weg hin zur Formensprache des Sana-
Aspekt muss deutlich in den Bezug zum
toriums Purkersdorf erklären. So geht
Begriff Stimmung verstanden werden. Die
Oswald Oberhuber, ehemaliger Professor an
Analyse des Sanatoriums Purkersdorf – jene
der Hochschule für angewandte Kunst in
vorherige zum Palais Stoclet ergänzend und
Wien, sogar so weit, bei Hoffmann von einem
erweiternd – soll mit einer Untersuchung der
Vertreter einer Bewegung zu sprechen, die
affektiven Inhalte, die deutlich im Gebäude
„das Gedankengut aus der Vergangenheit
aufgenommen wurden und abzulesen sind,
aufgreift und es auf ein Gefühl des jetzigen
vervollständigt werden. Auch Gunter Breck-
[damals aktuellen; LT] Denkens überträgt“.540
ner verbindet den Stimmungsbegriff mit dem
Diesem Zitat folgend wurden zwei Haupt-
Sanatorium Purkersdorf:
vorbilder bereits hervorgehoben und sollen daher hier nur noch mal benannt werden:
„STIMMIGKEIT Ein Spiel mit Licht und
Vorangegangenes, vertreten durch das Wie-
reflektierenden Flächen, das heißt Fens-
ner Biedermeier und die englische „Arts and
tern, aufgelichteten Wänden und Böden,
Crafts“-Bewegung, sowie Zeitgleiches am
spricht Sinnlichkeit und Gemüt an. Klei-
Beispiel der Glasgow Four
und des bis
ne Vorräume und Niveauänderungen in-
dahin entstanden Werks Josef Hoffmanns.
szenieren die nachfolgenden Haupträu-
Als Beleg für die Ausführungen wurde neben
me, Gegenlicht erzeugt Atmosphäre,
der Architektur auch das Traktat der Wiener
Bleiglasfenster brechen das Licht, Stoffe,
Werkstätte als Quelle für das Vorbild der
Raum- und Möbelbemalung reflektieren
„Arts and Crafts“-Bewegung herangezogen.
es und erzeugen Gefühlsassoziationen –
541
ein bißchen ‚Zauberberg‘. Ausblicke be539
Josef Hoffmann wird zitiert in Feuerstein 1964, S. 181. Vergleiche dazu Kamm-Kyburz 1985, S. 120 und Hubmann 2003, S. 52. 540 Oberhuber 1987, S. 16. 541 Die Gruppe der Glasgow Four wurde von Charles Rennie Mackintosh, Herbert McNair und Frances und Margaret Macdonald gebildet. (Vergo ²1984, S. 42.)
ziehen die Landschaft mit ein, Blumenarrangements werden zu dramatischen Inszenierungen.“542
542 Breckner 1985, S. 100.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Sowohl Zeitgenossen als auch heutige
dunklem schwedischem Granit zu fertigen,
Autoren verwenden in ihren Publikationen
entschied sich am Ende jedoch für vergolde-
im Zusammenhang mit Hoffmanns Arbeiten
te Metallprofile.545 Schenkt man der Aussage
wiederholt den Stimmungsbegriff oder Vari-
Glauben, dass die Flächen der Fassade dann
ationen davon. Unklar bleibt jedoch dabei
auch noch mit Milchglas hätten verkleidet
die konzeptuelle Verbindung von Architek-
werden sollen,546 wäre ein für Hoffmann cha-
tur und emotionaler Wahrnehmung. Diese
rakteristischer Schwarz-Weiß-Kontrast ent-
Beziehung soll im Folgenden ausgelotet
standen, der sehr an die Farbgebung der
werden.
Halle des Sanatoriums Purkersdorf erinnert hätte.
Das Sanatorium und seine implizierten Konzepte
Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Sanatorium und Palais ist das Quadrat als Konstruktionseinheit des Grundrisses. So
An der Hohen Warte entwickelte sich
umschreibt die Halle des Palais Stoclet im
allmählich die geometrisch reduzierte Grund-
ersten Obergeschoss genau ein Quadrat von
sprache, die wenige Jahre später im Sana
12m mal 12m. Vervielfältigt man dieses Qua-
torium Purkersdorf seine reinste und konse-
drat wiederum dreimal, erhält man die voll-
quenteste Ausführung erfahren sollte.543
ständigen Maße des Obergeschosses.547 Das
Möchte man Hoffmanns Sanatorium mit sei-
Quadrat kommt aber ebenso wie im Falle
ner Villenarchitektur in Korrelation setzen,
des Sanatoriums nicht nur bei den Propor-
muss man neben den Villen der Hohen
tionen zur Anwendung, sondern wiederholt
Warte, die vor 1905 erbaut wurden, unbe-
sich in vielfacher Ausführung an den Fens-
dingt das Palais Stoclet berücksichtigen, das
tern, am Turm des Palais Stoclet und kommt
direkt im Anschluss an das Sanatorium in
ebenfalls beim Interieur zum Einsatz.
Brüssel für die Bankiersfamilie Stoclet ent-
Das Sanatorium Purkersdorf scheint einer
stand. Die frühesten Pläne für die Villa mit
klaren Symmetrie verhaftet. Bei genauer
palastartigen Ausmaßen sind von Ludwig
Betrachtung der Fassaden deuten die abge-
Hevesi für das Jahr 1905 überliefert.544 Bei
stufte Treppenform der Westfassade (Abb. 38)
manchen Vorentwürfen lässt sich eine
und der aus dem Gesamtkubus herausgezo-
Begrenzung der Fassadenflächen mithilfe
gene Körper des Wintergartens an der Ost-
von schwarzen Linien beobachten. Man
fassade (Abb. 39) aber auch schon eine
beabsichtigte, diese Umrandungen aus
beweglichere Grundlösung an. In Anbetracht des Baukörpers des Sanatoriums Purkersdorf
543
Vergleiche dazu das Wohnzimmer und die Halle des Wohnhauses Koloman Moser, das Vestibül sowie das Sekundärstiegenhauses des Wohnhauses Hugo Henneberg – bei dem die Putzstruktur stark an den Verputz der Räumlichkeiten für die 14. Secessionsausstellung erinnert – und das Office im Wohnhaus Dr. Friedrich V. Spitzer. 544 Hevesi 1909, S. 220f.
stellt sich gerade Josef Hoffmanns Aufenthalt in Italien als inspirierend heraus, den er seiner Abschlussarbeit Forum Orbis, Insula 545 Sekler 1970, S. 33. 546 Sekler ²1986, S. 76. 547 Sekler 1970, S. 33.
199
200
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 60: Joseph Maria Olbrich: Haus Habich, 1901, Darmstadt, Mathildenhöhe
Pacis von 1895 an der Wiener Akademie unter seinem Lehrer Otto Wagner verdankte.548 Mit dieser Arbeit hatte er ein Stipendium für einen einjährigen Aufenthalt in Italien erworben. Doch Hoffmann verhielt sich atypisch zu den meisten bisherigen Preisträgern. Stand eigentlich die Studie der klassisch römischen Architektur im Vordergrund, wendete sich Hoffmann konträrerweise der
Abb. 61: Josef Hoffmann: Wohnhaus Dr. Hugo Henneberg, 1900-1901, Wien XIX., Hohe Warte, Wollergasse 8
einfachen Landarchitektur zu.549 Diese von Improvisation und Bedürfnissen des Alltags
„Der große Reiz der dicht neben-, an- und
seiner Bewohner geprägte, kubisch reduzier-
übereinander gebauten Häuser liegt in der
te Bauweise weckte beim jungen Hoffmann
großen Mannigfaltigkeit der Motive […]
Interesse. Hoffmann beschreibt in einem
Bemerkenswert ist auch, daß durch die
Artikel zur Architektur der österreichischen
Benützung jeglicher Zufälligkeit und je-
Riviera die Aspekte, die ihn faszinierten:
der aus der Nothwendigkeit entspringenden Form die Schablone vollständig ausgeschlossen ist.“550
548 Franz 2010, 12f. Vergleiche zu den Bezügen der Wagnerschule zur École des Beaux Arts Moravánszky 1988.1, S. 83. 549 AK Vienna 1981, S. 3. Diese Vorgehensweise orientierte sich an Joseph Maria Olbrichs Gestaltung seiner Italienbildungsreise. Auch Olbrich ging nicht konsequent auf den traditionellen Pfaden und verfolgte den ein oder anderen individuellen Wegabschnitt. (Vergleiche dazu Imorde 2010, S. 63–69. Zum Einfluss von Olbrich auf Hoffmann bezüglich seiner Reiseroutenplanung vergleiche Sekler ²1986, S. 21f.)
Die Häuser boten flache Dächer, geputzte Mauerflächen ohne jegliches Dekor, Fenster mit glatten Steinumrahmungen und das fast vollständige Fehlen von Architekturformen wie zum Beispiel dem Gesims oder dem
550 Hoffmann 1970, S. 28.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Abb. 62: Josef Hoffmann: „Sommerhaus d. Familie Knips“, Landhaus der Familie Knips, Entwurfszeichnung der Gartenfassade, um 1903, Maßstab 1:100
tur auf die Naturumstände des Nordens zu übertragen.554 Diese Übertragung der Mittelmeerarchitektur Italiens, die sich am Wetter und dem
Pilaster.551 Als weitere Eigenschaften beob-
Umfeld orientierte, versuchte Hoffmann
achtet Hoffmann die simple Bauweise, die
wahrscheinlich am Sanatorium Purkersdorf
Befreiung von „schlechter Decoration“, die
zu realisieren. Die vielfachen Bezüge zwi-
weißen Wände, und er redet von einer „offe-
schen Umfeld und Sanatorium wurden schon
nen, verständigen Sprache“ der Architek-
in der Werkbeschreibung erörtert, ebenso
tur.
Hoffmann erkennt damals schon die
wie die Relevanz von Licht und Luft für den
Fensterlösung der volkstümlichen Architek-
Kurbetrieb. Doch an dieser Stelle kann man
tur. So erfasst er, dass die Fenster klein und
die Fenster des Hoffmann-Pavillons nicht
tief im Mauerwerk liegen. Den Zweck der
nur im Sinne einer medizinischen Notwen-
Fenster sieht er darin, das Licht und die
digkeit für einen damaligen Kurbetrieb cha-
Hitze des Südens vom Inneren der Gebäu-
rakterisieren, sondern sie sind auch als eine
de fernzuhalten.
552
Im Rahmen dieser Stu-
Umsetzung der italienischen ‚Volksarchitek-
dien lassen sich Hoffmanns spätere Schwer-
tur‘ zu denken. Die Fenster reagieren aber
punktlegungen auf Zweck, Funktion und
auch auf das kühlere Klima Österreichs. In
Form schon vorausahnen. Er sprach auch
Österreich möchte man nicht das Licht und
die Forderung aus, dass es erstrebenswert
die Wärme vom Inneren des Hauses fern hal-
wäre, solch eine zweckorientierte Architek-
ten, um etwa eine kühle Oase zu schaffen,
553
sondern man wünscht sich das exakte 551 Hoffmann 1970, S. 28. 552 Hoffmann 2002 (1929), S. 11. 553 Hoffmann 2002 (1929), S. 11.
554 Hoffmann 2002 (1929), S. 11 und Hoffmann 1970, S. 28.
201
202
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Gegenteil. Diesem Auffangen von Licht und
rer, Otto Schönthal, Wunibald Deininger und
Wärme entsprechen die großformatigen Fens-
Oscar Felgel zu dieser Inspirationsquelle
ter des Sanatoriums. Nun könnte man sagen,
zählen.556
dass das Sanatorium Purkersdorf eine nörd-
Wie sehr Hoffmann durch seine Italien-
liche Version der italienischen, einfachen
reise geprägt wurde, zeigt das folgende Zitat:
‚Volksarchitektur‘ darstellt. Diese Lösung wäre aber zu absolut, da die italienische
„Ich sah den dorischen Tempel und plötz-
‚Volksarchitektur‘– wie sie Hoffmann auf sei-
lich fiel es mir wie Schuppen von den Au-
ner Italienreise studierte – nicht die einzige
gen, warum ich das gelernte Zeug aus der
Quelle für die Formenwelt des Sanatoriums
Schule nicht mochte. Dort lernten wir nur
Purkersdorf darstellt.
die Verhältnisse des Durchschnittes von
Ein weiteres Inspirationsmoment für das
fünfzig Tempeln und ihrer Säulen und ih-
Flachdach könnte die körperliche Struktur
res Gebälks. Hier sah ich Säulen, deren
der Architektur Olbrichs sein. Neben der
Kapitäle fast so breit waren, wie die Säu-
Schauseite des Secessionsgebäudes kann man
lenhöhe und war einfach starr vor Bewun-
dafür auch das Haus Habich auf der Mathil-
derung. Ich wußte nun, daß es vorallem
denhöhe in Darmstadt (Abb. 60) in Betracht
auf das Verhältnis ankomme und daß die
ziehen. Olbrich arbeitet in beiden Fällen mit
noch so genaue Anwendung der einzel-
geometrischen Formen, die er asymmetrisch
nen Bauformen gar nichts bedeute.“557
verschränkt oder einschneidet. Ákos Moravánszky konstatiert jedoch für das Haus
Dieses Verinnerlichen des Verhältnisses ist
Habich ebenfalls eine Beeinflussung durch
in Hoffmanns Œuvre wiederholt zu beob-
„das mediterrane Haus“.
Da das Haus
achten. Das Sanatorium Purkersdorf war
Habich bereits 1901 fertig gestellt war, kann
nicht der einzige Hauskubus, den er erbauen
es dennoch als direkte Inspirationsquelle für
wollte. So beweist die Skizze von circa 1903
Hoffmann angesehen werden. Weiterhin
für ein Landhaus der Familie Knips (Abb. 62),
kann das Haus Henneberg von Josef Hoff-
wie sehr Hoffmann von seiner Formfindung
mann (Abb. 61) – entstanden zwischen 1900
überzeugt war. Auch nach Äußerung der
und 1901 in Wien auf der Hohen Warte – mit
Bedenken der Bauherrin gegen ein Flach-
seiner teilweisen kubischen Massigkeit als
dach veränderte Hoffmann nur das Dach.
werkimmanentes Argument herangezogen
Der Körper des Hauses verblieb. Hoffmann
werden. Allgemein gesehen steht Hoffmann
setzte ihm lediglich ein Satteldach mit höl-
nicht allein mit der Eingebung seiner Bau-
zerner Giebelverkleidung auf (Abb. 63).558
körper durch das mediterrane ‚Volkshaus‘.
Ein weiterer Beweis für die Beibehaltung des
Neben Hoffmann und Olbrich kann man
Konzepts des Sanatoriums sind die Details
auch Entwürfe aus der Zeitspanne von 1900
der Fassade und die Einrichtung des Land-
555
bis 1904 von Emil Hoppe, Marcel Kamme-
555 Moravánszky 1988.2, S. 118.
556 Moravánszky 1988.1, S. 85. 557 Josef Hoffmann zitiert nach Sekler ²1986, S. 17. 558 Miller 2004, S. 76.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Treppe und Speisesaal (Abb. 53 und 54) eine Einheit, die den Kubus vertikal durchläuft. Beim Palais Stoclet ist es die Halle (Abb. 28), die fast alle Räumlichkeiten und deren Zugänge in sich konzentriert. Durch Sitz möbel ergänzt, bildet sie mitunter den kommunikativsten Ort des Hauses.562 Die Verschränkung der Halle über zwei Stockwerke wird noch durch die schlanken Pfeiler und ihre Marmorverkleidung hervorgehoben. Dazu sind die Felder zwischen den Pfeilern Abb. 63: Josef Hoffmann: Landhaus der Familie Knips, 1903, Kärnten, Seeboden, Wirlsdorf 39, Zustand aus den 1960er Jahren
nicht nach allen Seiten durch Profilstäbe eingegrenzt. Nach unten hin, wo sie nicht auf eine Mauer treffen, bleiben die Flächen offen und verbinden sich mit dem sich unter
hauses Knips. Beides lässt sich dem „Quadratlstil“ zuordnen.
ihnen entwickelnden Raum.563
Auch in diesem Bau
Es lässt sich zusammenfassend sagen, dass
durchdrang das Quadrat alle Ebenen des
Hoffmann versuchte, eine eigene Sprache
Hauses: den Hauskörper, seinen Grundriss
seiner Architektur zu entwickeln, die sich
und Querschnitt, seine verzierende Gestal-
zunächst an der Fassade äußerte. Der These,
tung und die Möbel, die im Baukastenprin-
dass „die Topographie einer Architektur aus
zip entwickelt wurden.560
den Äußerungen der Fassade“ herzuleiten
559
Als letzte Parallele, die sich durch viele
sei, hat sich im Falle Wiens Ákos Moraváns-
Bauwerke Hoffmanns zieht, ist die Halle zu
zky gewidmet.564 Diese Fassadensprache trifft
nennen. Schon an den Villen der Hohen War-
für das Sanatorium Purkersdorf zu, das
te praktiziert, taucht sie unter anderem auch
neben dem modernen Zeitanspruch aber
beim Hoffmann-Pavillon und im Palais
auch die lokalen Witterungsverhältnisse
Stoclet wieder auf. Die Halle ist eine Zwi-
widerspiegelt.
schenform von Rückzug und Zentrierung. Sie zeigt einen Ausgleich, der zwischen dem zurückgezogenen Leben der liberal-bürgerlichen Schicht aus der Öffentlichkeit und
Ornament und Quadrat als A und O der Architektur – Ein Übergang zur Einfühlungstheorie
dem Öffnen des privaten Raums für Gäste oszilliert.561 Die Treppe erweitert bei Hoff-
Das Ornament ist ein elementarer Bestand-
mann die Halle und steigert sie zu einer
teil beim Sanatorium Purkersdorf und muss
Raumabfolge. In Purkersdorf bilden Halle,
daher neben seiner Ausprägung auch auf
559 Miller 2004, S. 79. 560 Miller 2004, S. 78–84. 561 Pirhofer 1986, S. 312.
562 Sekler 1970, S. 37–39. 563 Witt-Dörring 2006.1, S. 46. 564 Becker 1995, S. 18.
203
204
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
seine Bezüge und mögliche Herkunft unter-
räumliche Erscheinung. Das Ornament
sucht werden. Um die Jahrhundertwende
näherte sich bei Hoffmann der Fläche der
dominierten drei Auslegungen des Begriffs
Fassade an und aus einer früheren dreidi-
Ornament: das Ornament der Klassik, das
mensionalen Fassadengestaltung ergab sich
historische Ornament und das moderne
die Betonung der Zweidimensionalität.569
Ornament. Das klassische Ornament wurde
Hoffmann erkannte die Qualität der Flä-
idealisiert, während das historische als Nega-
che.570 Das Quadrat ruht statisch in sich und
tivbeispiel deklariert wurde. Das moderne
kann beliebig angeordnet, wiederholt und
Ornament musste erst definiert werden.565
aneinandergereiht werden. Diese Charakte-
Die Klärung des Modernen am Ornament
ristik des Quadrats, oder auch des sich dar-
umfasste zwei Ebenen: zum einen die zeitli-
aus entwickelnden Würfels, negierte zum Bei-
che Abgrenzung zum Historismus, den man
spiel die Wirkung der Tektonik an den
als ‚Verirrung‘ überwinden wollte, und zum
Baukuben des Sanatoriums Purkersdorf
anderen die Findung der neuen äußeren
(Abb. 3) und des Palais Stoclet (Abb. 2), da
Form.
Die z eitliche Abgrenzung definierte
bei einem richtungslosen Körper auch keine
sich über Dualismen und gegensätzliche Paa-
Lastenverhältnisse hervorgehoben werden
rungen, die ein negatives vergangenes mit
können.571 Damit korreliert der Effekt, dass
einem positiven momentanen Bild verknüpf-
Hoffmanns Bauten mit seinen kunsthand-
ten.
Eine weitere Zweiteilung vollzieht sich
werklichen Werken verglichen werden.572 Die
im modernen Ornament selber. Das anfäng-
schwarz-weiße und blau-weiße Farbgebung
lich d ekorative Ornament entwickelt sich
unterstreicht noch die klare Aussage des
insbesondere in Wien zu einem konstruktiv
Quadrats. Schwarz oder Blau und Weiß sind
bestimmten O rnament. So umriss zum
zwei divergierende Farben, sie bilden f olglich
Beispiel schon allein die äußere Form der
einen starken Kontrast. Aus der Kombinati-
Zeitschrift Ver Sacrum ein Quadrat.
on
567
566
568
Josef
von
Quadrat
und
Schwarz-Weiß
Hoffmann zählt zu den Vertretern des kon-
beziehungsweise Blau-Weiß ergibt sich fol-
struktiven oder geometrischen Ornaments
gerichtig das Schachbrettmuster. Koloman
in Wien. Das Ornament seiner Schaffenspha-
Moser war ebenso von diesem spezifischen
se von 1900 bis circa 1910 lässt sich als auf
Ornament vereinnahmt wie Josef Hoff-
das Quadrat und den Schwarz-Weiß-Kontrast
mann.573 Als Vorbilder für H offmanns Farb-
konzentriert beschreiben. Hoffmann formu-
und Formbeschränkungen werden unter
lierte ein Ornament, das keine stellvertreten-
anderem die japanischen Schablonenschnit-
de Sprache besaß und keine Richtung angab.
te,574 die Fotografie oder Mikroskopie und
Es negierte sogar jede plastische oder
das Mappenwerk Owen Jones’ von 1856, in
565 Ocón Fernández 2004, S. 191. 566 Ocón Fernández 2004, S. 192. 567 Ocón Fernández 2004, S. 192. 568 Ocón Fernández 2004, S. 205 und Bisanz-Prakken 1982, S. 40.
569 Kamm-Kyburz 1985, S. 120f. 570 Schmuttermeier 1996, S. 193. 571 Sekler 1970, S. 42. 572 Barten 1983, S. 20 und Gorsen 1985, S. 80. 573 Bisanz-Prakken 1982, S. 42. 574 Insbesondere für die Vorbildwirkung der japani-
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
dem das Schachbrettmuster verschiedentlich
„Wo es angeht, werden wir zu schmücken
abgebildet ist, aufgeführt.
suchen, doch ohne Zwang und nicht um
575
Für die Zeit ab 1908 spricht María Ocón
jeden Preis.“579
Fernández von einer „Herrschaft der Linie“, von einer „Gemütslinie“ und von einer „mit-
Dieser Satz knüpft direkt an die Erklärung
teilenden Linie“, die bis dahin nur in der
für „Gebrauchsfähigkeit“ und „gute Materi-
Malerei vorkam, nun aber möglicherweise
albehandlung“ an.580 Die Ornamentierung
durch den Anspruch des Gesamtkunstwerks
eines Gegenstandes hing demnach für Hoff-
im Kunsthandwerk und in der Architektur
mann und Moser direkt von den beiden
ihren Platz beanspruchte. Die Folge für das
zuvor formulierten Zielsetzungen ab. An das
Verhältnis von Ornament zum Träger war
Verständnis des Gebrauchs wurde der Begriff
ein Verwischen der klaren Grenzen.576 Die-
des Rationalen gekoppelt. Am Sanatorium
ses Phänomen lässt sich schon deutlich an
Purkersdorf verbindet sich dieser ‚Rationa-
der Fassade des Hoffmann-Pavillons beob-
lismus‘ mit der Bedingung der Hygiene für
achten, der bereits 1905 vollendet wurde.
eine Kuranstalt. Ein weiteres Beispiel für
Das moderne und neue Ornament war
Hoffmanns fast schon als ‚Purismus‘ zu
aber auch stark mit dem Begriff des Zwecks
bezeichnende Methode ist die Einrichtung
verknüpft. Dem Gedankengang einer tech-
einer Wohnung der Familie Knips. Bei die-
nisch aufgeklärten Zeit folgend, suchte man
ser Wohnung zielte der ‚Rationalismus‘ aber
nach der idealen Form für den Gebrauch.577
darauf, eine lebenspraktische Ästhetik zu ent-
Berlage folgte diesem Verständnis, wenn er
werfen.581 Hoffmann errichtete für die
an die korrekte Verwendung von Materia-
Familie Knips auch ein Landhaus. Die weiter
lien die Bedingungen knüpfte, dass den
oben bereits aufgeführte Skizze für dieses
Eigenschaften und der Zweckerfüllung des
Haus von 1905 weist eine Wiederholung der
Materials entsprochen werden müsse.
578
Formen des Sanatoriums Purkersdorf auf
Ähnlich definierte auch die Wiener Werk-
(Abb. 62 und 63). Hoffmann hatte demnach
stätte ihr Verhältnis zur Verwendung des
keine Scheu, die Formenwelt eines halb
Ornaments:
öffentlichen Kurgebäudes auf eine private Landvilla zu übertragen. Seine Form muss demnach für ihn einen universellen Charakter besessen haben. Falsch ist es jedoch, den
schen Schablonenschnitte ist zu bedenken, dass Hoffmanns Auftraggeber Viktor Zuckerkandl ein Sammler japanischer Kunst war und sich bereits 1907 von Leopold Bauer auf dem Gelände des Sanatoriums ein „japanisches Museum“ für seine Sammlung, die sich heute im Breslauer Museum befindet, erbauen ließ. (Demarle 1985, S. 10.) 575 Frottier 1990, S. 24 und Bisanz-Prakken 1982, S. 44. 576 Ocón Fernández 2004, S. 224f. 577 Ocón Fernández 2004, S. 196. 578 Berlage 1991, S. 96.
„Purismus“ Hoffmanns am Sanatorium Purkersdorf wie Renata Kassal-Mikula als einen „Verzicht auf Repräsentation“ zu definie-
579 Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905). 580 Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905). 581 Vergleiche dazu Miller 2004, S. 58–72.
205
206
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
ren.582 Die Form des Quadrats stand zwar
Einer der Hauptentwickler dieses „Konzep-
zunächst für einen gewissen Verzicht und
tes“586 war der deutsche Philosoph und Psy-
eine zumindest ästhetisch motivierte Reduk-
chologe Theodor Lipps (1851–1914).587 Sei-
tion, aber die letztendliche Ausführung des
ne Ausführungen über die „Ästhetik der
Sanatoriums Purkersdorf steht für Luxus im
Einfühlung“ in seinem zweibändigen Werk
Sinne einer Nobilitierung derjenigen, die die-
Ästhetik. Psychologie des Schönen und der
ses Gebäude frequentierten. Das Sanatorium
Kunst führten zu einer Emotionalisierung
blieb in allen seinen Bestandteilen aufwen-
der Grundformen.588 Im Laufe der Jahre 1903
dig gefertigt und besaß eine Vielzahl orna-
bis circa 1906 erschienen Lipps’ Bücher.
mentaler Verzierungen.
Hoffmann baute genau während dieser Zeit-
Josef Hoffmanns Ornament am Sanatori-
spanne das Sanatorium Purkersdorf. Lipps’
um Purkersdorf ist über seine eigene schlich-
Verbindung von Form und Emotion des
te Form hinaus mit der Konstruktion, also
Betrachters führte wohl dazu, dass neben
dem Grundriss und Querschnitt (Abb. 47 bis
der lebendig geschwungenen Linie auch die
50), verbunden. Das Ornament bleibt nicht in der Fläche verhaftet, sondern wird zum raumbildenden Teil der Architektur.583 Diese mehrfache Durchdringung des Ornaments im Fall der Architektur Hoffmanns verdeutlicht auch die horizontale Linie. So verwendet er sie zum Beispiel einmal als dominante Formgebung für die Ostfassade des Sanatoriums Purkersdorf und ein andermal an etwas völlig von Statik Befreitem, wie einer Streifentapete aus dem Jahr 1911.584 Wie erklärt sich diese ungleiche Verwendung von Formen sowohl bei der Konstruktion als auch in der Fläche? Es ist vor allem der Begriff der Einfühlung, der zentrale Bedeutung für das Verständnis dieses Bauwerks erlangt. Unter dem Begriff der Einfühlung formt sich eine Vorstellung aus, die starke Verbindungen zwischen der philosophischen Ästhetik und der Psychologie herstellt.585 582 Kassal-Mikula 1984, S. 198. 583 Vergleiche zu den Eigenschaften des abstrakten Ornaments Ocón Fernández 2004, S. 202. 584 Vergleiche zur Vertikalen und Horizontalen bei Josef Hoffmann Kleiner 1927, S. XXIX. 585 Curtis 2009, S. 11.
586
Robin Curtis bezeichnet die Einfühlung nicht etwa als Theorie, sondern spricht von einem Konzept. Dadurch betont Curtis den entwurfhaften Eindruck der Einfühlung, die den Status einer Theorie im Sinne einer gesetzmäßigen Ordnung wohl nicht erreichen kann. (Curtis 2009, S. 11–29.) Im Rahmen dieser Arbeit ist nicht etwa das Konzept der Einfühlung als Faktum zu beweisen, sondern es geht vielmehr darum zu verdeutlichen, dass jenes Konzept die Architektursprache Josef Hoffmanns deutlich beeinflusste. 587 Karl Bühler ordnet bereits 1927 in seiner Publikation Die Krise der Psychologie Theodor Lipps als einen Hauptvertreter der Psychologie ein. Der deutsche Psychologe Karl Bühler, der seit 1922 an der Universität Wien ansässig war, bezieht sich dabei schon auf den Stand um 1890. (Siehe dazu Bühler ³1965 (1927), S. 1f. Vergleiche dazu Benetka 1995, S. 76–91.) Weiterhin ist Ernst Bloch beispielhaft für die Verknüpfungen der Forscher um 1900 aufzuführen. Er studierte nämlich Philosophie bei Lipps in München und hielt einen Briefverkehr mit Ernst Mach aufrecht. (Carl Heinz Ratschow: Bloch, Ernst, in: Theologische Real enzyklopädie (1976–2004), Bd. 6 (1980) S. 715– 719.) Ebenso ist der Aufsatz Über die psychologischen Grundlagen des Bewegungsbegriffs des deutschen Kunsthistorikers Richard Hamann, der bei Wölfflin habilitierte, ein Beleg für das Aufgreifen der Theorien Lipps’ und Machs im Rahmen weiterer wissenschaftlicher Disziplinen. Siehe dazu Hermand 2009, S. 32, S. 39 und S. 50f. 588 Lampugnani 1980, S. 25.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Ruhe einer waagrechten Linie und die mit
Identifikation mit dem Objekt.593 Lipps
Energie aufgeladene senkrechte Linie von
spricht in diesem Fall von einem „idiopathi-
den Künstlern des geometrischen Jugendstils
schen Selbstgefühl“ und das Objekt der Ein-
entdeckt wurden.
Die Linien wurden in
fühlung wird regelrecht beseelt.594 Doch ohne
ihrer Gänze eine variierende Metapher für
Objekt gibt es kein auslösendes Moment der
Affekte.
589
Am Sanatorium Purkersdorf ist
Einfühlung. Diesem logischen Rückschluss
insbesondere eine Dominanz der horizonta-
folgend, ist anzunehmen, dass eine Architek-
len Linie zu beobachten. Demnach strahlt
tur sich als Objekt der Einfühlung geradezu
das Kurhaus eine deutliche Tendenz zur
darbieten kann. Zumindest heißt es bei Lipps
Ruhe aus. War Ruhe doch das vordringlichs-
im Rahmen des Kapitels Formen der Raum-
te Mittel zur Therapie von nervösen Lei-
künste in Bezug auf die Wirkung von hori-
den.591 Die Wahl des Flachdaches und des
zontalen und vertikalen Linien: „Alle diese
richtungslosen Quadrates im Falle des Hoff-
Möglichkeiten nun haben vor allem Bedeu-
mann-Pavillons erbringt im Hinblick auf
tung für die Baukunst.“595
590
Lipps’ Einfühlungsästhetik einen Beweis
Ebenso der pantheistischen Vorstellung
dafür, dass sich Hoffmann ganz bewusst für
der Romantik widersprechend,596 die Natur
die Linienführung seines Gebäudes entschie-
wecke Gefühle im Betrachter, ist Friedrich
den hat. Nicht etwa allein ökonomische
Theodor Vischer der Ansicht, dass die Ein-
Wünsche des Bauherrn, sondern wirkungs-
fühlung eine „Übertragung unser[er] Emoti-
ästhetische Beweggründe müssen zu der
onen in [eine; LT] Form“597 darstelle. Parallel
Lösung des Flachdachs geführt haben. Lipps
zu Vischer arbeitet auch Rudolf Hermann
war der Auffassung, es gehöre zum Leben,
Lotze an einer Erläuterung des Einfühlungs-
sich sowohl in andere Lebewesen als eben
entwurfs. Lotze nimmt die Wahrnehmung
auch in Gegenstände einzufühlen. Für die-
ins Zentrum seiner Untersuchungen und
sen Vorgang verwendete er den vor allem
erklärt mit ihrer Hilfe das menschliche
aus der Biologie bekannten Begriff der Mimi-
Bedürfnis der „Projektion“. Nur durch die
kry.
Eine deutliche Richtung vom schau-
Eigenwahrnehmung und die Suche nach
enden, das heißt erlebenden Subjekt hin zum
einer Hinausverlegung des Selbst in die
Objekt wird offensichtlich. Nach Lipps kann
Umwelt erkläre sich der „Genuss, den die
zwar auch ein Objekt etwas ausdrücken, aber
Betrachtung der Umwelt bietet“.598 Robert
dann ermöglicht es im Subjekt nur ein Urteil.
Vischer, der Sohn von Friedrich Theodor
592
Erst durch das Einfühlen des Subjekts in ein Objekt entstände ein emotionaler Selbstgenuss im Subjekt; nur so entwickle sich eine
589 Vergleiche dazu Lipps 1906, S. 441–464. 590 Moravánszky 1988.1, S. 90. 591 Radkau 2001, S. 68. 592 Curtis 2009, S. 12f.
593 Curtis 2009, S. 16f. 594 Voss 2009, S. 40. 595 Lipps 1906, S. 444. 596 Allgemein sind die Bemühungen der Einfühlungsästhetik um das Verständnis von physiologischen Prozessen als Bemühung einer Loslösung vom ursprünglich romantischen Einfühlungsbegriff zu verstehen. (Braungart 1995, S. 192f.) 597 Curtis 2009, S. 20. 598 Curtis 2009, S. 21f.
207
208
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Vischer, verankert das Wahrnehmen oder
nesfalls randständige Einzelfälle darstellten602
Empfinden von Formen sehr stark am realen
– mussten sich Architekten bewusst gewesen
physischen Körper des Menschen. Dies
sein, dass ihre Werke ebenso wie die bilden-
erklärt seine Interpretation der Wirkung von
den Künste emotional aufgenommen wurden.
horizontalen und vertikalen Linien. Seiner
Im Folgenden soll aufgezeigt werden, inwie-
Ansicht nach ist die Horizontale in ihrer Wir-
fern diese wissenschaftlich theoretischen
kung für das Auge, das ebenso waagerecht
Modelle praktischen Einfluss auf den Bau des
im Gesicht positioniert ist, zu bevorzugen.
Sanatoriums Purkersdorf hatten und ein neu-
599
Dieses Ähnlichkeitspostulat entwickle sich
es Verständnis des Gebäudes ermöglichen.
jedoch erst zur Einfühlung, wenn das Objekt
Christiane Voss schreibt zum Zusammen-
nicht nur als behaglich wahrgenommen wird,
spiel von Subjekt und Objekt und deren
sondern als Projektion diene.600 Wie aber ist
Verbindung bei Lipps, dass „das ästhetische
diese Projektion zu verstehen? Und was
Subjekt während seiner betrachtenden, genie-
bedeutet sie für die Praxis eines Architekten?
ßenden und hingabevollen Versenkung in ein
August Schmarsow befasste sich mit der
ästhetisches Objekt vom eigenen realen Selbst
Verbindung zwischen dem philosophischen
und seiner realen Wirklichkeit abgeschirmt“603
Konzept der Einfühlung und der künstleri-
wird. Des Weiteren heißt es bei Voss:
schen Praxis. So setzte er die Prämissen der Raumgestaltung auf die Basis der Körperge-
„Ästhetischer Genuss ist Lipps zufolge des-
fühle. Der Mensch und seine Sinne werden
halb im Letzten immer auch Selbstgenuss,
von Schmarsow zum Orientierungsgerüst der
weil sich ein Ich unter Abstreifung sämt-
Gestaltung von Räumlichkeiten bzw. Raum-
licher Welt- und Zeitbezüge in die Dinge
hüllen erklärt. Daher definiert er die Archi-
hineinentleert. Durch diese Entgrenzung
tektur auch als „Raumgestalterin“. Ein Raum
und Entleerung erfährt das Subjekt zu-
will erlaufen und erlebt werden und entstehe
gleich sein projizierend tätig seiendes Ich
erst in der Bewegung über seine kinästheti-
als inneres Leben des Kunstwerks.“604
sche Wahrnehmung. Robin Curtis spricht im Falle von Schmarsows wahrnehmendem Ich
Inwiefern diese Lipps’schen Theoreme auf
von einer „emphatischen Involvierung in die
das Sanatorium Purkersdorf und seine Kon-
Umgebung“ und erklärt durch diese das Entstehen von Stimmungen im Individuum.601 Augenscheinlich wird nun eine Trennung von Produktions- und Rezeptionsästhetik. Vor dem Horizont dieser Entwicklungen – die kei-
599 Curtis 2009, S. 23. 600 Siehe dazu Braungart 1995, S. 139–141 und zum Begriff der „Projektion“ Arnheim 1991, S. 80–82 und Arnheim 1978, S. 451. 601 Curtis 2009, S. 25f.
602
Theodor Lipps erhielt 1894 den Ruf an die Münchner Universität, wo er das Psychologische Institut gründete. Robert Vischer legte 1872 seine Dissertation Über das optische Formgefühl in Tübingen ab und habilitierte 1879 wiederum in München, wo er bis 1882 als Privatdozent unterrichtete. Darauf folgten Anstellungen an den Universitäten von Breslau und Aachen. Ab 1892 bis zu seiner Emeritierung bekleidete er einen Lehrstuhl in Göttingen. (Büttner 2003, S. 82–90.) 603 Voss 2009, S. 44. 604 Voss 2009, S. 45.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
zeption anzuwenden sind, soll im Folgenden
Zusammenhang einer gewissen Höflichkeit
über den Umweg der beiden Paradigmen ner-
seinen Mitmenschen gegenüber.606 Erst im
vöses Zeitalter und unrettbares Ich für das
Laufe des 18. Jahrhunderts entstand der
Bauwerk selbst hergeleitet werden.
eigentliche Begriff der Hygiene, der sich
Das nervöse Zeitalter – Institution und Hygiene eines Sanatoriums, Nutzenoptimierung sowie Inszenierung von Architektur
jedoch von unserem heutigen Verständnis deutlich unterschied. Der Begriff der „medizinischen Polizei“ wurde geprägt, der eine Synthese von Gesundheitsgesetzen und Verhaltensreformen darstellte. Man erhoffte sich dadurch eine Verbesserung der Luftverhält-
Das Sanatorium Purkersdorf reiht sich in
nisse im Inneren der Städte zur Steigerung
eine Tradition von Kurbetrieben ein, die vor
der Gesundheit seiner Einwohner.607
allem im 19. Jahrhundert und am Anfang des
Erst im 19. Jahrhundert entwickelte sich
20. Jahrhundert ihre Glanzzeit erlebten. In
der Begriff der medizinisch definierten Hygi-
fast allen Fällen steht der Begriff der Hygie-
ene zu einem allgemeinen Interesse der Sozi-
ne und damit verbunden die Trias von Was-
alpolitik.608 Dieser Umstand beruhte vor
ser, Luft und Licht im Mittelpunkt einer sol-
allem auf der Bedrohung durch die Cholera,
chen Institution.605 Die Entwicklung des
die gerade in den Ballungsräumen der Städ-
Sanatoriums steht in enger Kausalität zur
te eine rasante Verbreitung erfuhr.609 Die
Geschichte und den Theorien der Medizin
meisten Städte waren aufgrund der Indust-
und diese bedingen wiederum ein bestimm-
rialisierung innerhalb weniger Jahre zu Groß-
tes Bild von Körperhygiene.
städten angewachsen, aber weder die Bereit-
Das Waschen des Körpers beschränkte
stellung von Wohnraum noch die Ver- und
sich bis zum 18. Jahrhundert überwiegend
Entsorgung der menschlichen Bedürfnisse
auf die sichtbaren Körperteile, wie zum Bei-
konnten mit diesem Anschwellen der Städte
spiel Gesicht und Hände, und stand im
Schritt halten. Die Epidemien rückten das Unternehmen einer ‚Hygienestadt‘ in den
605
Jene Trias wird auch bewusst von den Betreibern des Sanatoriums Purkersdorf proklamiert: „Von nicht zu verkennendem Einflusse auf die Heilresultate des heurigen Jahres kommt, abgesehen von den ausgezeichneten klimatischen Verhältnissen, die heuer sowohl im Sommer als besonders im Winter im ganzen Wienerwalde herrschten, die unvergleichlich schöne und hygienische Anlage des Sanatoriums Purkersdorf in Betracht, deren Leitmotiv, abgesehen von der hygienischen und komfortablen Unterbringung der Kranken, reichliche Genußmöglichkeiten von Licht und Luft ist. Dieser Devise wird durch acht voneinander geschiedene Gebäude gerecht, die in dem an Größe und Schönheit nicht leicht übertroffenen Parke von 100.000 m² Größe samt angrenzendem Walde untergebracht sind.“ (Dr. Stein 1911, S. 4.)
Mittelpunkt der politischen Interessen. Das Ziel war, neben der Verbesserung der Luftverhältnisse, die Stadt an eine ständig sich säubernde Wasserzirkulation anzubinden. Der Zufluss von frischem Wasser und die Ableitung des Schmutzwassers wurden zu den zentralen Aufgaben der Großstädte des 19. Jahrhunderts. London machte den ersten
606 Lachmayer 607 Lachmayer 608 Lachmayer 609 Lachmayer
und und und und
Mattl-Wurm Mattl-Wurm Mattl-Wurm Mattl-Wurm
1991, 1991, 1991, 1991,
S. S. S. S.
99f. 136-150. 95. 139f.
209
210
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Schritt, und Wien folgte neben vielen anderen Ballungsräumen diesem Vorbild.
Neben dem Versuch, alle Bevölkerungs-
Wien
schichten von einer hygienischen Eigenver-
wurde insgesamt viermal im 19. Jahrhundert
antwortung zu überzeugen und der damit
von der Cholera heimgesucht und man
einhergehenden Einrichtung von „Wasserbe-
benannte den zum Wienfluss parallel verlau-
dürfnisstätten“, entwickelte sich ebenso eine
fenden Wasserweg, der als Notmaßnahme
Industrie des luxuriösen Bades. Darunter ist
gegen die Seuche erbaut wurde, „Choleraka-
das Badezimmer in der eigenen Wohnung
nal“.
610
Diesem Kanalbau folgten in den
zu zählen, das sich nur wenige Haushalte
nächsten Jahren umfangreiche Bauten von
leisten konnten. Das im Wien des 19. Jahr-
Hochquellwasserleitungen, Hauptsammel-
hundert weit verbreitete Zinshaus war derart
kanälen und die Regulierung des Wien
konzipiert, dass die Wohnungen eines Flures
flusses.612
sich einen gemeinsamen Abort und eine Was-
611
Die hier skizzierten Entwicklungen bele-
serleitung teilen mussten, die sich auf dem
gen ein gesteigertes Interesse an der Hygiene
Gang befanden. Die Wohnung inklusive eige-
des Menschen und seiner Umgebung. Man
nem Bad und separater Toilette war erst im
erhoffte sich nicht nur eine Verbesserung der
Ringstraßenbereich zu finden und stellte eine
Lebensqualität, sondern man verknüpfte von
luxuriöse Ausnahme dar.614 Vor allem aber
nun an die körperliche und städtische ‚Rein-
sind es die Sanatorien und Kuranlagen des
lichkeit‘ mit einer Investition in die Gesund-
19. und 20. Jahrhunderts, die nur aufgrund
heit. Die Assanierung Wiens wurde zum ers-
der medizinisch begründeten Hygienetheo-
ten Schritt einer medizinisch begründeten
rien eine zahlungskräftige Kundschaft fan-
Hygienepolitik. Ihr folgten der Bau von
den. Auf der einen Seite wurde eine Natur-
Schwimmbädern, die zunächst nur einer
heilkunde vertreten, die davon ausging, dass
bemittelten Schicht zur Verfügung standen
dem Körper von außen schlechte Impulse
und mit den heutigen Thermen zu ver
zusetzten, die wiederum durch die Selbsthei-
gleichen sind, sowie die Entwicklung von
lungskräfte des Körpers und durch die Unter-
öffentlichen Bädern, die einer breiten Bevöl-
stützung durch Wasser-, Licht- und Luftthe-
kerungsschicht eine regelmäßige Körperrei-
rapien, im Sinne von positiv einwirkenden
nigung ermöglichen sollten. Diese öffentli-
Reizen, aufgehoben werden konnten.615
chen Bäder wurden in Wien ironisierend
Dieser Typus ist der humoralpathologischen
„Tröpferlbäder“ genannt, da bei starker Fre-
Medizin zuzuordnen, die, wie Albert Wirz
quentierung der Wasserdruck nicht mehr aus-
sie definiert, eine Gleichsetzung von Körper
reichte und dann nur noch ein in Tropfen
und Gesellschaft voraussetzt und die
verrinnender Wasserstrom verblieb.
K rankheitserreger außerhalb des Körpers
613
verortet.616 Das Antonym zu dieser Anschauung ist die Biomedizin, die den Kern der 610 Lachmayer und Mattl-Wurm 1991, S. 140f. 611 Lachmayer und Mattl-Wurm 1991, S. 142. Vergleiche dazu Waissenberger ²1985.1, S. 29f. 612 Lachmayer und Mattl-Wurm 1991, S. 143–150. 613 Lachmayer und Mattl-Wurm 1991, S. 167f.
614 Ginhart 1948, S. 180f. 615 Lachmayer und Mattl-Wurm 1991, S. 188. 616 Wirz 2001, S. 119f.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
K rankheit im Menschen selbst sucht.617 Das
Extreme Beispiele für dieses allumfassen-
Sanatorium Purkersdorf ist dem erstgenann-
de Weltbild bilden die Sanatorien der Ärzte
ten Typus zuzuordnen.
Maximilian Bircher-Benner (Lebendige Kraft
Die Körperheilanstalten entwickelten neben
in Zürich) und John Harvey Kellogg (Sani-
den verschiedenen Therapieangeboten aber
tarium in Battle Creek) oder die experimen-
auch ein reges Eigenleben. Die Institutionen
telle Künstlergemeinschaft des Monte Verità.
Sanatorium und Kurbad verwandelten sich zu
Die erste Gruppe zeichnete sich als „eine
umfangreichen Erholungsstätten. Neben den
Institution zur Disziplinierung des Kör-
verschiedenen Sehenswürdigkeiten und Mög-
pers“619 aus. Beide Kliniken verordneten den
lichkeiten der Zerstreuung entstand ebenso
Patienten einen strikten Diätplan. Neben der
ein gewisses Gemeinschaftsbewusstsein. In die-
Ernährung verfolgte man einen minutiös
sem Zusammenhang fallen die veröffentlichten
durchgeplanten Tagesablauf, der gespickt war
Gästelisten der Kurstädte Karlsbad und Fran-
mit Bewegung in der Natur und verschiede-
zensbad besonders auf. In ihnen konnte man
nen Therapien, wie zum Beispiel Sonnenbä-
sich täglich hierarchisch geordnet vergewis-
dern, Gymnastik oder Dauerduschen.620 Man
sern, mit welchen hohen Herrschaften man
verfolgte ein strenges Regiment gegen die
seinen Gesundheitsurlaub teilte. An dieser Stel-
„Ausschweifungen des Alltags“ und sah sich
le ist auch die überregionale Kurzeitung mit
als eine Schulungsstätte für „das wahre
dem bezeichnenden Titel Hygiea zu nennen,
gesunde Dasein“. Albert Wirz findet für die-
die das gesellschaftliche Treiben der Kurenden
se Institutionen das Bild einer „Lebensschu-
dokumentierte und überwiegend als Werbe-
le als Modell einer besseren Welt“.621 Er deckt
organ der Kurbetriebe zu interpretieren ist.618
damit die vorwiegend didaktischen Absich-
Diese Geselligkeit aufgreifend, erweiterte die
ten dieser Anstalten auf und findet über die-
Jugendstilbewegung das Sanatorium zu einem
se Definition Parallelen zum Monte Verità.
Ort der Überzeugung. Der menschliche Kör-
Die Künstlergruppe des Monte Verità stellt
per wurde zum Kultobjekt stilisiert. Seine Pfle-
eine besondere Ausprägung der Jugendbe-
ge und die Definition einer gesunden Lebens-
wegung nach einem übersteigerten Men-
weise wurden zu utopischen Weltanschauungen
schenbild dar. Der Berg der Wahrheit beher-
erhöht. Man unterlag einer Verantwortung für
bergte zum einen Künstler und Aussteiger
sich und einer Erziehung der kommenden
und zum anderen reguläre Kurgäste, die sich
Generationen. Das Gesamtkunstwerk zog am
den Therapien eines Naturheilsanatoriums
Menschen keine Grenze, sondern integrierte
unterziehen wollten. Beide Naturheilsana-
dessen Körper in eine idealistische, bisweilen
torien, Monte Verità und das Sanatorium Pur-
skurril überzeichnete Vorstellungswelt.
kersdorf, glichen sich in vielen Teilaspekten. Zunächst einmal siedelten sich beide außerhalb der Stadt an. Ebenso wurden beide über-
617 Wirz 2001, S. 119f. 618 Vergleiche dazu Lachmayer und Mattl-Wurm 1991, S. 220–236.
619 Wirz 2001, S. 119. 620 Wirz 2001, S. 124–133. 621 Wirz 2001, S. 137.
211
212
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
wiegend von Künstlern, das heißt einem an
tecture for Modern Nerves: Josef Hoffmann’s
den Künsten interessierten Publikum fre-
Sanatorium Purkersdorf dar. In beiden Pub-
quentiert. In einem elementaren Punkt unter-
likationen entwickelt Topp die These, das
schieden sich die beiden jedoch grundlegend
Sanatorium sei weder nur als Symbol für
voneinander. Der Monte Verità verstand sich
Gesundheit an sich zu lesen noch lediglich
als Protest gegen und autarke Ersatzlösung
als ein „tool in the scientific treatment of
für das bürgerliche Leben, während das Sana-
nervous ailments“623 zu verstehen. Zuzüglich
torium Purkersdorf, das gerade von der wohl-
verleihe das ganzheitliche Design dem
habenden bürgerlichen Schicht Wiens
Gebäude nämlich eine berechtigte, gar wahr-
besucht wurde, den Inbegriff einer bürgerli-
haftige Relevanz, die letztendlich „new uto-
chen Institution darstellte.
pian truths“ schaffe.624
Es ist die Frage nach dem ungewöhnlichen
Zunächst soll eine kurze Darstellung des
äußeren Bild des Sanatoriums Purkersdorf,
zentralen Nutzenanspruchs einer modernen
die den ausführlichen Exkurs über die Hygi-
Architektur à la Otto Wagner für das
ene- und Sanatorienentwicklung des 18. und
Sanatorium Purkersdorf als Rekonvaleszenz
19. Jahrhunderts für diese Arbeit begründet.
architektur, die hier am Vergleich des Sana-
Ein Zitat Ludwig Steins, der 1911 Chefarzt
toriums Purkersdorf mit der Postsparkasse
am Sanatorium Purkersdorf war, beweist im
(1903–1906 und 1910–1912) und der Kirche
direkten Bezug die Relevanz des Hygiene-
St. Leopold am Steinhof (1902–1904) von
begriffs für das Sanatorium Purkersdorf:
Otto Wagner geleistet wird, vollzogen werden. Darauf folgend soll eben auch erörtert
„[…] die unvergleichlich schöne und hygi-
werden, ob nicht auch der utopische
enische Anlage des Sanatoriums Purkers-
Körperkult ein ebenso zukunftsweisendes
dorf, … deren Leitmotiv, abgesehen von
Äußeres verlangte und dieses Äußere gera-
der hygienischen und komfortablen Unter-
de in Beziehung zur Einfühlungstheorie zu
bringung der Kranken, reichliche Genuß-
setzen ist.
möglichkeiten von Licht und Luft ist.“
622
Ein weiteres Gebäude, dem man sich im Rahmen des Vergleiches von Josef Hoffmann
In nur wenigen Analysen wurde sich darü-
mit Otto Wagner widmen muss, ist die Lupus-
ber geäußert, dass die Architektur des Sana-
heilanstalt eines städtischen Krankenhauses
toriums Purkersdorf mit seiner medizini-
von Otto Wagner aus den Jahren 1910–1913
schen Aufgabe in Verbindung zu setzen ist,
(Abb. 64), die auf einen Entwurf von 1908
und wenn dies geschah, dann meistens im
zurückgeht. Ein zeitgenössischer Artikel der
Zusammenhang mit der funktionellen Kon-
Zeitschrift Der Architekt sieht in der Ables-
zeption. Deutliche Ausnahmen stellen Leslie
barkeit der Raumdisposition anhand der Fas-
Topps Buch Architecture and Truth in Fin-
sade den bemerkenswerten Charakter des
De-Siècle Vienna sowie ihr Aufsatz An Archi-
Bauwerks Otto Wagners. Wie bei der Kirche
622 Dr. Stein 1911. Hier zitiert nach Topp 2004, S. 194.
623 Topp 1997, S. 414. 624 Topp 2004, S. 84–86.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
am Steinhof ist eine deutliche Schwerpunktlegung auf die ökonomischen und praktischen Aspekte des Gebäudes abzulesen. Die südliche Ausrichtung der Krankenzimmer, keine allzu tiefen Räumlichkeiten, die Übereinstimmung von Fensterachsen und der Distanz der aufgestellten Betten sowie die Trennung der Ambulanz vom restlichen Krankenhausbetrieb gehen der Beschreibung der Fassade voraus. Dazu passend bildet der einseitige Kurzreport einen Grundriss und keinerlei Skizze oder Entwurf der zukünftigen äußeren Erscheinung der Lupusheilanstalt ab. Die einzige Information, die man zur Fassade erhält, betrifft die blauen Glasplatten, die im Sinne eines langlebigen und pflegeleichten Dekors zu verstehen sind. Nicht die Form steht im Blickpunkt des Interesses, sondern die Vertrauen evozierende Funktion des Ornaments wird betont.625 Dieser einseitig zweckorientierte Artikel ist ein Beweis unter vielen, dass Otto Wagner eine Affinität zu Sempers Ausspruch Artis sola domina necessitas besaß.626 Bereits Hevesi sieht in der bei Wagner angewandten Necessitas, das Leben und seine Praxis fortschrittlich und lebenstüchtig zu gestalten.627 Otto Wagner erweitert Sempers Motto in seinem Traktat Moderne Architektur, in dem er seine auf Erfahrung beruhenden Lehren für seine Schüler schriftlich festhielt,628 zu einer Forderung nach einer Naissance im Gegen-
625 Ohne Autor 1909, S. 13. 626 Moravánszky 1988.2, S. 68 und Sekler 1970, S. 41. Vergleiche ebenso Kolb 1989, S. 408f. und Wagner 2008, S. 78. Zum Verhältnis von Wagner zu Semper vergleiche Oechslin 1994, S. 94–109. 627 Hevesi 1906, S. 274. 628 Hevesi 1906, S. 280f. Vergleiche dazu auch Schorske 1985, S. 50.
Abb. 64: Otto Wagner: Lupusheilstätte (heute Teil des Wilhelminenspitals der Stadt Wien, Wien XVI.), Ansicht des Eingangs, 1908/1909
zug zu einer bisher praktizierten Renaissance.629 Das Lehrbuch, schriftlich von Wagner formuliert und mehrfach aufgelegt, wird
629 Wagner 2008, S. 54f.
213
214
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 65: Otto Wagner: Wohnhaus Köstlergasse 3 (Linke Wienzeile), Stadtwohnung Otto Wagners, Glasbadewanne in der Wohnung von Otto Wagner, 1898/99, Wien VI., Fotografie von 1898/99
Licht- und Luftzufuhr630 in einem Gebäude und der alles beherrschende und formende Zweck bilden die Hauptaussagen Wagners und werden einem „Katechismus“ ähnlich als Essenz an seinen Schüler Josef Hoffmann
durch seine Bauwerke weiterhin untermau-
weitergegeben.631 Joseph August Lux betitelt
ert. Echtheit des Materials, Verwendung neuster Techniken, das Zusammenspiel von
630 Hevesi 1909, S. 253. 631 Siehe dazu Hevesi 1909, S. 253f.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Otto Wagners Lehrbuch als „Das Buch des
Einrichtung durch die Wiener Werkstätte
neuen Grundrisses“.
proklamieren kann.
632
Forderungen nach
einem Nutzstil, einer Entsprechung von Inne-
Martina Pippal spricht von „Fläche und
rem und Äußerem und einer Harmonie der
Raum“ als den beiden „Leitthemen“ der
Verhältnisgrößen gehören zu den Grundzü-
Postsparkasse638 und zugleich als den Paral-
gen Wagners Bauten von 1900 bis 1913.633
lelen zum Bau Josef Hoffmanns.639 Bei den
So ist aber auch die Einrichtung eines
Fassaden der Postsparkasse und des Sana-
Badezimmers von 1898 ein aussagekräftiges
toriums kann man in beiden Fällen von einer
Bild für den Hygienebegriff bei Otto Wagner
vorgetäuschten Verkleidung sprechen. Otto
(Abb. 65). Dieses Bad wurde zunächst auf
Wagner erzeugt diese Illusion durch stilisier-
der Jubiläumsausstellung vorgeführt und spä-
te Nieten, die in regelmäßigen Abständen
ter in seine eigene Wohnung eingebaut. Otto
über die Fassade verteilt sind. Es stellt sich
Wagner geht über das Sauberkeitsbedürfnis
aber heraus, dass es sich dem gängigen Ver-
am Ende des 19. Jahrhunderts hinaus. Nicht
ständnis nach nur um funktionslose Attrap-
mehr allein die hygienische und gesundheit-
pen handelt, die allein dem visuellen Ein-
liche Notwendigkeit eines Bades wird prä-
druck dienen. Joseph August Lux umschreibt
sentiert. Von ihr als Grundlage ausgehend,
die Postsparkasse zum Beispiel als ein „Bau-
überhöht er das Bad zu einem Ort des
werk, das einer riesigen Geldkiste gleicht,
„Genusses und des persönlichen Luxus“.
634
die über und über mit Nagelköpfen bedeckt
Diese Erhöhung der Körperpflege wird durch
ist“640. Ähnlich wie die Nieten der Postspar-
die gläserne Badewanne verdeutlicht. Sie bie-
kasse arbeiten die Kachelbänder am Sana-
tet keinen größeren Komfort als die handels-
torium Purkersdorf (Abb. 39 und 40). Sie
üblichen Wannen aus Porzellan oder Blech.
umrahmen und binden die Fassade ohne
Der in ihr badende, nackte Mensch wird zum
dabei eine tatsächlich haltende Aufgabe zu
Anschauungsobjekt und so regelrecht insze-
erfüllen. Die einzelnen Platten bei Otto Wag-
niert. Der Zweck wird um die Kunstform
ner vergrößern sich bei Josef Hoffmann zu
ergänzt.
Diese kurze Betrachtung gibt
einer gesamten Wandfläche. Josef Hoffmann
einen neuen Blick auf den Zweckbegriff bei
führt somit die Fassadengestaltung seines
635
Wagner frei. So war es sein erklärtes Ziel,
Lehrers Otto Wagner um einen Schritt
das Praktische mit dem Schönen zu verbin-
weiter.
den.636 Herbert Lachmayer sieht bei Otto
Als aufschlussreich stellt sich aber auch
Wagner einen „ästhetisierenden Funktiona-
der Ausdruck der „Symbolik der Konstruk-
lismus“637 erfüllt, den man wiederum auch
tion“ für die Fassade der Postsparkasse und
für das Sanatorium Purkersdorf und dessen
auch für die der Kirche am Steinhof heraus.641 Die ökonomisch orientierte Wahl der
632 Lux 1914, S. 61. 633 Lux 1914, S. 69. 634 Ohne Autor 1984, 635 Ohne Autor 1984, 636 Ohne Autor 1984, 637 Ohne Autor 1984,
S. S. S. S.
30. 30f. 31f. 68.
638 Pippal 2000, S. 193. 639 Pippal 2000, S. 191–194. 640 Lux 1914, S. 71. 641 Moravánszky 1988.2, S. 71.
215
216
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Konstruktion des Gebäudes zugunsten einer
Peter Haiko sieht in der Plattenverklei-
Verkleidung durch dünne Marmorplatten
dung bei Wagners Postsparkasse und auch
sollte durch die Metallbolzen mit Alumini-
an der Kirche am Steinhof die neue Intenti-
umköpfen vor Augen geführt werden. Nicht
on eines Monumentalbaus, „ewige Dauer“645
der massiven und teuren Bauweise folgte
zu visualisieren und nicht etwa die Zurschau-
Wagner, sondern er betonte mit der äußeren
stellung einer Technik:
Ornamentierung die Lösung, die kleinere Fläche der Verkleidung zu veredeln und den
„Nicht die Form als pures Ergebnis der
Kern unrepräsentativ kosten- und zeitspa-
Funktion und Konstruktion – das wäre
rend zu gestalten. Die Verkleidungsplatten
das Postulat der Funktionalisten – son-
waren in einem Mörtelbett verlegt und hät-
dern die Umwandlung der Zweckform zur
ten einer Befestigung durch Bolzen nicht
metapher- und symbolhaften Kunstform
bedurft. Sie bilden eine „symbolische Aufna-
interessiert ihn.“646
gelung“.642 Die allein illustrativ wirkenden Nägel erweitern die Fassadenverkleidung zu
Inwiefern kann man diese Beobachtung auf
einer angetäuschten Ummantelung. Die
das Sanatorium Purkersdorf übertragen?
Nägel werden zum Flechtwerk, das die Fas-
Durch die überwiegende Verschleierung tek-
sade wie ein Netz überzieht. Sie suggerieren
tonischer Verhältnisse an der Fassade des
einen funktionellen Charakter, der wieder-
Sanatoriums lässt sich ein Bild der Fassade
um durch die wirkliche Konstruktion des
als Verkleidung durch die Quadratbänder
Gebäudes negiert wird. Ein konstruktives
nicht zeichnen. Die Bänder umrahmen viel-
Detail wird zum Ornament. Das Ornament
mehr die Flächen und sind folglich als Unter-
formt sich an dieser Stelle aus einer Zwi-
stützung der Kartenhaus-Metapher zu verste-
schenform von ‚Hülle‘ und ‚Kern‘ und bleibt
hen (Abb. 39 und 40).647 Während Otto
nicht mehr auf den Bereich der Hülle eines
Wagner ein Bild von Monumentalität und
Gebäudes beschränkt.643 Die absolute Über-
Kosteneffektivität mithilfe seiner Plattenver-
spitzung dieses Prinzips vollzieht Wagner an
kleidung transportieren wollte, wird die Fas-
der Fassade des Mietshauses Neustiftgasse.
sade bei Josef Hoffmanns Sanatorium zu einer
An dieser Fassade sind die Aluminiumnägel
einzigen Fläche. Nicht mehr Bestand und
zu schwarzen Kreisen reduziert, die lediglich
Dauerhaftigkeit, sondern Luft und Leichtig-
als Echo und Zitat seiner Fassaden der Post-
keit vermittelt Hoffmanns Ausformung der
sparkasse und der Kirche am Steinhof zu
Fassade. Die großflächige Gestaltung der Fas-
verstehen sind und nun durch ihre Aufma-
sade des Hoffmann-Pavillons nimmt Josef
lung schon allein jegliche Interpretation als
Hoffmann aber an der Fassade des Palais
konstruktiven Körper verhindern.644
Stoclet wieder zurück. In Brüssel sind es dünne weiße Marmorplatten, die wie durch ein
642 Moravánszky 1988.2, S. 71. Vergleiche dazu Haiko ²1985, S. 97. 643 Haiko ²1985, S. 98 und Ohne Autor 1984, S. 38f. 644 Moravánszky 1988.2, S. 104.
645 Haiko 1986, S. 120. 646 Haiko 1986, S. 120. 647 Varnedoe 1993, S. 46.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Netz von Eisenstangen an der Konstruktion
ziert, die nur einen Innenraum von einem
gehalten werden (Abb. 2 und 24). Die tekto-
Außenraum abtrennt. Die Last hat sich
nisch neutralen Profile des Palais Stoclet – sie
scheinbar auf das Gerüst der Konstruktion
betonen weder eine horizontale noch eine
zurückgezogen.652 Wagner wehrt an den
vertikale Richtung am Gebäude – scheinen
Ecken der Postsparkasse ein direktes Aufei-
ihren Ausgang von der Krone des Turms zu
nandertreffen der Fassaden ab, sowie Hoff-
nehmen und dehnen sich von ihm ausgehend
mann dies 1924 an der Villa Knips wieder-
über den gesamten Baukörper aus.
Der
holt oder mithilfe der Profile am Palais
Kleinteiligkeit von Wagners Fassade der Post-
Stoclet zu verhindern weiß. Während Wag-
sparkasse und der Kirche am Steinhof eher
ners Bauten noch durch die Tafelflächen und
folgend als der des Hoffmann-Pavillons, evo-
ihre vorgetäuschte Befestigung durch Nägel
ziert Hoffmann aber eine andere Wirkung als
auf eine innere Konstruktion verweisen, hebt
Wagner. Das Palais Stoclet wirkt wie aus
Hoffmann seine Fassadenkörper visuell von
einem Steckkastenprinzip heraus entworfen.
einer inneren Verstärkung ab. Das Palais
Man kann sich vorstellen, dass man es in
Stoclet intensiviert im Vergleich zum Sana-
wenigen Arbeitsschritten in seine einzelnen
torium Purkersdorf diesen Eindruck noch
„Tafelflächen“
648
demontieren und an einem
und ist als die Weiterführung des gleichen
andern Ort wieder aufbauen könnte. Es
Prinzips zu verstehen. Der Rahmen des
besitzt trotz seiner immensen Ausmaße und
Palais Stoclet ist dominanter ausgeformt als
dem Turm nicht die Monumentalität der zwei
am Sanatorium Purkersdorf. Wurde der rah-
genannten Wagnerbauten.
649
Diesen Zusam-
mende Fliesenfries des Sanatoriums Purk-
menhang betreffend kann man Eduard F. Sek-
ersdorf noch um die Ecken des Gebäudeku-
ler vollkommen zustimmen, wenn er sagt:
bus – wie verschränkende Nähte – ergänzend
650
geführt (Abb. 40), verdoppeln sich die Ein„Was sein [Josef Hoffmann; LT] Lehrer
fassungen der hellen Marmorplatten des
Otto Wagner postuliert hatte, wurde in
Palais Stoclet (Abb. 24), wenn zwei Flächen
Hoffmanns Architektur erfüllt; ‚die ta-
aufeinander treffen. Der Vergleich zu Bor-
felförmige Ausbildung der Fläche‘ wird
düren liegt nah.653 Dadurch wirkt jede Fläche
zum Leitmotiv einer neuen Architektur.“
der Fassade für sich isoliert. Der Flächen-
651
charakter der Fassade des Sanatoriums PurAllen genannten Werken bleibt eine ihnen
kersdorf, das aber noch zu einem gesamten
spezifische Wirkung gemein: Die Wand wird
Kubus zusammengefügt werden kann, ver-
zur Verkleidung und verliert in der Wahr-
flüchtigt sich beim Palais Stoclet zu einer
nehmung ihres Betrachters ihre tragende
vielteiligen Ansammlung von Unterflächen.
Funktion. Sie wird zur leichten Fläche redu-
Der Fliesenfries des Sanatoriums Purkersdorf zeigt über Eck eine korrespondierende
648 Sekler 1970, S. 34. 649 Kossatz 1971, S. 18 und Pirhofer 1986, S. 307f. 650 Echigojima 1996, S. 214. 651 Sekler 1970, S. 42.
Anordnung der farbigen Quadrate, was dazu 652 Baroni und D’Auria 1984, S. 70–74. 653 Echigojima 1996, S. 214.
217
218
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
führt, dass die Kartenhaus-Metapher für das
(Abb. 2 und 22).658 Das Unterlaufen der tek-
Hoffmann’sche
Sanatorium654
kritisch
tonischen Wirkung durch die rahmenden
betrachtet und eingeschränkt werden muss.
Metallprofile führte auch zu der bereits
Durch die einfache Aneinanderreihung der
erwähnten und oft verwendeten Metapher
Grundform des Quadrats entsteht eine deut-
des „Schmuckkästchens“ für das Palais
liche Naht zwischen den einzelnen Fassa-
Stoclet. Neben dem Fakt, dass es viele Kunst-
denflächen. Die gemusterten Metallprofile
werke beherbergte, war es vor allem die Fas-
des Palais Stoclet hingegen bilden in sich
sadenlösung, die zu dieser Metapher führte.
nach außen hin abgeschlossene Formen, die
Gottfried Sempers Flächenbekleidungsprin-
den Eindruck vermitteln, dass man sie neben-
zip folgend, mutet das Palais Stoclet wie eine
einander aufreihen könnte.
riesige Schachtel an, die aus einzelnen Flä-
655
An dieser Stelle verdeutlicht sich die Nähe
chen zusammengefügt wurde.659 So spricht
Otto Wagners und Josef Hoffmanns zu Sem-
Friedrich Kurrent zum Beispiel auch davon,
pers Theorie „der vier Elemente“, nach der
dass das Grundgerüst des Palais Stoclet von
die Wände eines Hauses zunächst eine Evo-
innen und außen „ver- oder besser bekleidet“
lution des Hauses umreißend nicht massiv
wurde.660 Die Wirkung einer massiven Wand
gebaut waren, sondern in Form von verschie-
wird am Palais Stoclet des Weiteren durch
denen Textilien abgegrenzt wurden.656 Die
die Fenster unterlaufen (Abb. 2). Die Fenster
Naht diente Semper dabei zur notwendigen
der obersten Etage durchstoßen die Wand-
Verbindung der Wände zu einem Ganzen.657
grenze und setzen sich in den Dachbereich
Dieser Saum wird im Falle der Ecken der
fort.661 Die Wirkung ist eine „Negation des
Postsparkasse und insbesondere des Sana-
Daches als lastender Abschluß“.662 Es ent-
toriums Purkersdorf stark betont. Die Hülle
steht der Rückschluss, dass die Wand, auf
bekommt somit einen dünnen Membrancha-
der kein Dach lastet, auch nicht massiver
rakter, die sich zwischen den Kanten spannt.
Natur sein muss. Das Charakteristikum der
Zusammenfassend ist die Aussage mög-
Tafelfläche und seiner Rahmung beschlie-
lich, dass Josef Hoffmann mit der kleineren
ßend, lässt sich noch feststellen, dass all dies
Unterteilung der Fassade des Palais Stoclet
nicht ohne die Grundlage des „modernen
der Postsparkassenfassade Wagners folgt,
Materials“ des Eisens und Eisenbetons denk-
aber die Wirkung der beiden Gebäude eine
bar gewesen wäre.663
gänzlich andere ist. Wagners Postsparkasse
Die Betonung des Zweidimensionalen an
verkörpert eine Monumentalität und Dauer,
der Fassade des Sanatoriums Purkersdorf
während das Palais Stoclet durch seine
(Abb. 3) hat in Wien noch eine Vielzahl von
Fassade fragil und zerbrechlich erscheint
weiteren Vorbildern. Da sind die Fassaden des
654 Varnedoe 1993, S. 46. 655 Witt-Dörring 2006.1, S. 45f. 656 Ohne Autor 2003.1, S. 628. 657 Vergleiche dazu Berlage 1905, S. 28.
658 Vergleiche dazu Echigojima 1996, S. 214f. 659 Kurrent 1991, S. 22f. 660 Kurrent 1991, S. 18. 661 Vergleiche dazu Baroni und D’Auria 1984, S. 70. 662 Pirhofer 1986, S. 307. 663 Vergleiche dazu Berlage 1991, S. 92f.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Abb. 66: Otto Wagner: Majolikahaus bzw. Wohnhaus Linke Wienzeile 38/40, Aufnahme über Eck mit Front Köstlergasse 1/3, 1898, Wien VI., Fotografie um 1935
che.664 Einem Teppich gleich setzt sie sich gegen die Straße ab.665 Das Wohn- und Geschäftshaus Portois & Fix (Abb. 67) ist mit einer braungrünen Pyrogranitkeramik-
Majolikahauses von Otto Wagner (Abb. 66)
verkleidung ummantelt.666 Die Fassade der
an der linken Wienzeile, das von 1898 bis 1900
Möbelfirma gilt mit seiner dreiteiligen Fas-
erbaut wurde, des Zacherl-Hauses von Josef
sade, die der inneren Nutzung und Auftei-
Plecnik aus den Jahren 1903 bis 1905 und die
lung des Gebäudes entspricht, auch als Vor-
äußere Gestaltung des Hauses Portois & Fix
bild für das Goldman & Salatsch Haus von
von Max Fabiani aus den Jahren 1899 bis 1900
Adolf Loos (Abb. 4).667 In diesem Zusam-
(Abb. 67). Allen Fassaden gemeinsam ist der
menhang sind aber auch die Planungen der
Überzug der Außenwände mit einem
Miethäuser an der linken Wienzeile und der
abwaschbaren Material. Bei Otto Wagners
Neustiftgasse von Otto Wagner zu nennen.
Majolikahaus erstreckt sich über die Fassa-
Alle Beispiele zeigen eine deutliche äußere
de noch ein abstrahiertes Blumengeflecht,
Gestaltung, die vom Inneren der Gebäude
während die beiden anderen genannten Häu-
her organisiert ist. Eine Zweiteilung in der
serfassaden durch geometrische Muster unterteilt werden. Otto Wagner schuf mit der Fassade des Majolikahauses eine weitest gehend von Fassadenplastik befreite Flä-
664 Vergleiche dazu Wagner 2008, S. 131. 665 Moravánszky 1988.1, S. 75. 666 Moravánszky 1988.1, S. 105. 667 Kassal-Mikula 1984, S. 188.
219
220
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
se.670 Allen drei Lösungen, ob mit Fliesen oder poliertem Stein verkleidet, ist der Wunsch nach Hygiene in der Großstadt gemein.671 Einer hygienisch organisierten Welt folgend, bekleiden sich die Häuser mit einer Schutzschicht, an der das Regenwasser ohne Hindernis herunter fließen kann. Am Sanatorium Purkersdorf (Abb. 3) reduziert sich diese abwaschbare Fläche auf die Randfliesenbänder der Fassaden, die wiederum den zweidimensionalen Flächencharakter der sich zwischen ihnen erstreckenden weißen Wände verstärkt.672 Neben den Teilaspekten der Behandlung der Fassade sind dem Sanatorium Purkersdorf mit der Postsparkasse und der Kirche am Steinhof die Aspekte Zweckmäßigkeit und Hygiene gemeinsam. Diese drei Architekturen sind deutlich von ihrem Gebrauch Abb. 67: Max Fabiani: Wohn- und Geschäftshaus Portois & Fix, 1899–1900, Wien III., Ungargasse 59-61
her geprägt. Sie sollen Raum für eine spezifische Nutzung bieten und dabei verschreiben sich beide Architekten den Mitteln der ‚neuen secessionistischen‘ Architektur. Beide
Höhe von Geschäfts- und Wohnbereich ist
Künstler legen Wert auf die Verwendung von
zu beobachten, während der Wohnbereich
damals innovativen Materialien, wie zum
meistens nicht weiter unterteilt wird, um eine
Beispiel Eisenbeton und großflächigem Glas.
Gleichberechtigung und Anonymität der
Beide folgen hier der Semper’schen Vorstel-
modernen Stadtwohnung zu demonstrie-
lung, dass der Kunststil auch durch das zur
ren.
Zu dieser Ebenbürtigkeit der Mietpar-
Verfügung stehende Material und die vor-
teien konnte es nach Otto Wagners Ansicht
handene Technik der jeweiligen Zeit beein-
nur durch den Einbau eines Aufzugs kom-
flusst werde.673 Eduard F. Sekler spricht in
men, dem er deshalb besonders viel Aufmerk-
einem Interview von den Parallelen zwischen
samkeit bei der Gestaltung schenkte.
Die-
der Kirche am Steinhof von Otto Wagner
se ironisch als „Käsefassade“ bezeichnete
und dem Sanatorium Hoffmanns. Als Begrün-
668
669
demokratische Fassadenlösung wiederholte Wagner an seinem Mietshaus Neustiftgas668 Ginhart 1948, S. 208 und Moravánszky 1988.1, S. 75. 669 Vergleiche dazu Ohne Autor 1984, S. 32f.
670 Moravánszky 1988.1, S. 75 und S. 82. 671 Moravánszky 1988.2, S. 101. 672 Moravánszky 1988.2, S. 103. Vergleiche dazu auch Moravánszky 1988.1, S. 105. 673 Moravánszky 1988.1, S. 132 und Munch 2005, S. 71.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
dung für den Vergleich nennt er das „vor-
Ausführung der Kirche. Die verschiedenen
herrschende Weiß“.
Kirk Varnedoe spricht
Pavillons der Baumgärtner Höhe wurden
sogar von einem Hygienefetischismus bei
zwar nach den Plänen Wagners, aber durch
Otto Wagner im Falle der Kirche am Stein-
die Hand eines anderen Architekten reali-
hof und zieht denselben Vergleich wie Sek-
siert.677 Der Eindruck einer weißen Stadt
ler.675 Er formuliert eine deutlich voneinan-
konnte aber trotzdem erreicht werden. Lud-
der abhängige Verknüpfung von ästhetischer
wig Hevesi benutzt dieses Sinnbild zumin-
Architektur und den „vitalistischen Gesund-
dest in einer anekdotenhaften Erzählung:
674
heitsidealen“ bei Josef Hoffmanns Sanatorium Purkersdorf.676
„Vor einigen Wochen kehrte ich mit der
Eduard F. Sekler ist zuzustimmen, wenn
Westbahn nach Wien zurück. Ein Pariser
er von der überwiegend weißen Farbhaltung,
Bildhauer war mein Coupégenosse. Als
den Fußböden und den Wandlösungen als
wir in das Weichbild einfuhren, deutete
Parallelen zwischen den Werken Wagners
er plötzlich links zum Fenster hinaus, mit
und Hoffmanns spricht. Ebenso wie in der
einem Schrei der Überraschung. ‚Was ist
Eingangshalle (Abb. 51 und 53) und in den
das?!‘ Auf dem langen Hügelrücken über
Fluren in Purkersdorf sind in der Kirche am
dem Örtchen Baumgarten […] schimmer-
Steinhof die Wände bis zu einer gewissen
te in der hellen Sommersonne eine weiße
Höhe verkleidet. Diese Höhe entspricht im
Stadt. Überragt von der goldenen Kuppel
Sanatorium in etwa der Körperlänge eines
einer weißmarmornen Kirche. Weithin
Erwachsenen. In Purkersdorf verwendet
über das grüne Hügelgelände, über das
Hoffmann weiße Fliesen, während Wagner
reizvolle Gemisch von Stadt und Land
im Inneren der Kirche am Steinhof die Wän-
hinweg, flammte der helle Goldblink ei-
de auf eine Höhe von drei Metern mit
nes ‚Bauobjekts‘ von ungewohnter Anmut
Marmor verkleidet. In der Kirche Wagners
des Umrisses.“678
hatte diese Methode noch eine sinnfälligere Begründung als im Sanatorium. Die Kirche
Postsparkasse, Kirche am Steinhof und Sana-
war vor allem für die Patienten der Nerven-
torium Purkersdorf haben die architektoni-
heilanstalt auf der Baumgärtner Höhe
sche Handhabung von Luft- und Lichtver-
gedacht. Sie war ein Bestandteil der ‚Klein-
hältnissen sowie die Orientierung der
stadt in der Großstadt‘. Dieser Anstalts
Räumlichkeiten am reibungslosen Gebrauch
bereich
Mikrokosmos
gemeinsam. Insbesondere an der Kirche am
erstreckt sich über einen ganzen Berg am
Steinhof und am Sanatorium Purkersdorf
westlichen Rand Wiens und war zu Beginn
werden die Vorstellungen der Zeit, wie man
insgesamt von Otto Wagner als eine „weiße
‚Erkrankte‘ zu versorgen habe, zur Grund-
Stadt“ geplant. Leider blieb es bei Wagners
lage der Architektur. Otto Wagner geht in
beziehungsweise
diesem 674 Sekler 2003, S. 21. 675 Varnedoe 1993, S. 34 und S. 46. 676 Varnedoe 1993, S. 46.
Zusammenhang
677 Kassal-Mikula 1984, S. 180. 678 Hevesi 1909, S. 249.
aufgrund
der
221
222
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
erkrankten ‚Nutzer‘ noch viel konsequenter
sprach in Hinblick auf die Architektur Wag-
vor. Dafür sprechen die „Weihwasserbecken
ners ab etwa 1900 erstaunlicherweise von
mit Tropfhahn“679. Über den Becken ist ein
einer architecture parlante und meinte damit
Wasserhahn angebracht, aus dem in regel-
wohl vor allem ihre visuell erschließbare
mäßigen Abständen Wassertropfen in die
Selbsterklärung.683 Jedem Betrachter sollte
Einsenkung herabfallen. Das Becken unter-
einer Berechtigung gleich das Eingehen des
liegt einem ständigen Abfluss. Der Sinn und
Architekten auf praktische Erfordernisse auf-
Zweck bestand darin, das Bespritzen oder
fallen – was wiederum eine gedankliche
Spielen mit dem geweihten Wasser durch die
Nähe zum Historismus und seiner Rhetorik
Patienten zu verhindern und die Übertra-
weiterhin herstellt. Man denke nur an die
gungsgefahr von Krankheiten zu minimieren.
Ringstraßenbauten, die mithilfe ihrer For-
Mit der gleichen Intention ist die Kirche
menzitate sich selbst zu institutionell veran-
nicht geostet, sondern richtet sich von
kerten Metaphern stilisierten. So wählt das
Norden nach Süden aus. Man wollte die ‚ner-
Parlament griechische Formeln, um auf Grie-
vösen Nerven‘ der Patienten nicht durch das
chenland als das Herkunftsland der Demo-
Licht eines Fensters hinter dem Altar reizen
kratie zu verweisen. Unter dieser Maxime
und entschied sich deshalb für einen Altar,
müssen auch die Stühle der Postsparkasse
der nicht von hinten beleuchtet werden
betrachtet werden. Otto Wagner stattete sie
sollte. Da aber die effektive Ausleuchtung
an den wichtigen Stellen gegen Abnutzung
eines Kirchenraumes von einer West-Ost-
mit Fußmanschetten oder Armlehnschonern
Achse bestimmt wird, wanderten der Altar
aus. Die minimalistische Variante stellte die
in den Norden und der Haupteingang in den
schwarze Bemalung der stärker beanspruch-
Süden.
ten Stellen gegenüber einer sonstigen weißen
680
Das Mittel zum Ziel, eine Einheit von
Farbgebung dar.684
Praktischem und Schönem, bei Wagner und
Am Beispiel der Postsparkasse kann man
auch bei Hoffmann ist „die Trias von Zweck,
auch eine Ästhetik des Materials beobachten,
Material und Techniken“.681 Immer wieder
deren Verwendung den beiden Architekten
stilisiert Otto Wagner den Zweck zur for-
wiederum gemeinsam ist. Otto Wagner ver-
menden Instanz. Nicht etwa das Formen-
arbeitete an der Kassenhalle das Material Alu-
repertoire eines institutionalisierten Ver-
minium. Ob an den Pfeilern, an den Austritts-
ständnisses einer vergangenen Epoche,
rohren der Warmluft oder an den Nieten der
sondern allein der Zweck und das Material
Fassaden und der Möbel, überall springt dem
sollten seine Formwahlen erklären.
Betrachter das neue Material allgegenwärtig
682
Man
ins Auge. Dieser technische Zug der Postspar679
Diese Namensgebung stammt aus dem zeitgenössischen Artikel Schönthal 1908, S. 2. 680 Schönthal 1908, S. 2 und S. 4. Vergleiche dazu Graf 1985, S. 403. 681 Ocón Fernández 2004, S. 12. Vergleiche dazu Curtis ³2002, S. 53 und S. 66f. 682 Munch 2005, S. 75.
kasse verleitete viele dazu, sie mit einem
683 Haiko ²1985, S. 101. Vergleiche dazu Ohne Autor 1984, S. 44f. 684 Haiko ²1985, S. 101.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
riesigen Tresor zu vergleichen.685 Diese Meta-
Geldes“ spöttelte. Neben der Anwendung
pher für die Postsparkasse spricht aber auch
der funktionslosen Nieten oder Bolzen
ein Ziel Wagners aus: „die Notwendigkeit,
ähneln sich auch die Eingangsbereiche bei-
das Symbolische und Ästhetische der Funk-
der, in der Funktion jedoch unterschiedlicher
tion aufzuzeigen“.686 Somit bleibt die Niete
Bauwerke.688 Ebenso benutzt Wagner beim
und das neue Material nicht nur allein eine
Kassensaal der Postsparkasse die kirchlich
Zündung für eine neue Formenwelt, die auf
geprägte Form des Hauptschiffes, das von
jeden Typ von Gebäude zu übertragen ist, son-
zwei Seitenschiffen flankiert wird. Otto
dern wird auch zum Ausdrucksmittel der Auf-
Wagner wandte somit die durch den Zweck
gabe eines Bauwerks. Daher sind die Funkti-
bestimmten
onen, die sich im Inneren der Postsparkasse
Funktionsbereiche von Architektur an und
entwickeln, schon an der Fassade abzule-
formulierte damit eine universelle Zweckäs-
sen.
Formen
auf
verschiedene
Diese technische Überhöhung einer
thetik. Das heißt, er hat alle Typen von Archi-
Architektur und ihres Interieurs ist auch am
tektur auf ähnliche Zwecke hin reduziert.
Sanatorium Purkersdorf zu beobachten. In
Im Falle der Postsparkasse und der Kirche
diesem Bauwerk sind es die Details, wie zum
am Steinhof sind dies wohl die Hygiene, die
Beispiel die Lampen und Blumenständer aus
übersichtliche Struktur zur leichten Orien-
Eisenblechgittern sowie die Möbel, die eine
tierung des Besuchers und insbesondere das
Gesamtwirkung des Fortschritts und der Hygi-
Evozieren des Eindrucks der Notwendigkeit
ene verbreiten. Allen Beispielen haftet neben
dieser Gebäude im Betrachter.
687
dem ästhetischen Anspruch die Aussage der
Beatriz Colomina beschreibt in ihrem Auf-
Zweckmäßigkeit an. Josef Hoffmann formu-
satz Krankheit als Metapher in der moder-
liert am Sanatorium Purkersdorf ebenso wie
nen Architektur, dass die Architekten in
Otto Wagner an der Postsparkasse und der
ihren Bauwerken einen „gesunden Körper“
Kirche am Steinhof eine mit technischen Mit-
erblickten. Diesem Bild folgt Colomina,
teln erzeugte Rechtfertigung für das Dasein
wenn sie die Architektur der Krankenhäuser
ihrer neuartigen, allumfassenden Formenwelt.
und Sanatorien am Anfang des 20. Jahrhun-
Dadurch aber, dass Wagner bei den Fas-
derts als eine „Art von medizinischer Appa-
saden der Kirche am Steinhof und der Post-
ratur“ oder einen „Mechanismus zum Schutz
sparkasse den gleichen Gestaltungstypus ver-
und zur Pflege des Körpers“ umreißt.689 Die
wendet, verwischen die Grenzen von der
Vermutung einer Kohärenz von neuem Men-
ablesbaren Funktion eines Bauwerks. So ver-
schen und neuer Architektur wird deutlich.
wundert es nicht, wenn man im Falle der
Sollte das Sanatorium Purkersdorf eine
Kirche am Steinhof den Vorwurf des „Nihi-
Metapher für den erstrebenswerten gesun-
lismus“ aussprach und bei der Postsparkasse
den Körper versinnbildlichen?
dagegen von einer „Sakralisierung des
Dass diese Sicht auf die neue Architektur nicht unwahrscheinlich und übersteigert
685 Moravánszky 1988.1, S. 78. 686 Moravánszky 1988.1, S. 81. 687 Vergleiche dazu Sekler ²1986, S. 485f.
688 Achleitner 1996, S. 35. 689 Colomina 1997.2, S. 61.
223
224
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
ist, beweist ein Text von Hermann Bahr.
Herrschaft einzieht in die ausgeräumten
Der Aufsatz, um den es sich handelt, heißt
Hallen.“690
Die Moderne und stellt einen metaphernreichen Essay über die damaligen Weltan-
In diesem Text von 1890 spricht Hermann
schauungen dar:
Bahr von einer dreifachen Wahrheit des Körpers, der Gefühle und der Gedanken.691 Die-
„Die Moderne ist nur in unserem Wun-
se dreifache humane Wahrheit wiederholt
sche und sie ist draußen überall, außer
sich in der dreiteiligen architektonischen
uns. Sie ist nicht in unserem Geiste. Son-
Wahrheit der Form, des Materials und der
dern das ist die Qual und die Krankheit
Funktion. Das Zitat ist natürlich vor allem
des Jahrhunderts, die fieberische und
im Rahmen der Ornament- und Stildebatte
schnaubende, daß das Leben dem Geis-
zu verorten und als Kritik am Historismus
te entronnen ist. Das Leben hat sich ge-
zu lesen. An dieser Stelle ist es aber für die-
wandelt, bis in den letzten Grund, und
se Untersuchung erstaunlich, wie Bahrs Mög-
wandelt sich immer noch aufs neue, alle
lichkeit eines Weges in die Moderne ausfällt.
Tage, rastlos und unstät. Aber der Geist
So spricht er davon, dass die Moderne außer-
blieb alt und starr und regte sich nicht
halb des Menschen schon längst in der Welt
und bewegte sich nicht / und nun leidet
angelangt wäre, nur der Geist, das heißt die
er hilflos, weil er einsam ist und verlas-
innerliche Wahrnehmung sei bisher der Ent-
sen vom Leben. Darum haben wir die
wicklung hinterhergehinkt. Als Lösung plä-
Einheit verloren und sind in die Lüge ge-
diert er für eine Öffnung (der Sinne und Ner-
raten. In uns wuchert die Vergangenheit
ven) und spricht vom Licht, das sprechender
noch immer und um uns wächst die Zu-
Weise in die „ausgeräumten Hallen einzie-
kunft. Da kann kein Frieden sein, son-
hen“ solle. Jene Hallen sind zu allererst
dern nur Haß und Zwietracht, feindselig
natürlich mit den Körpern und der Gedan-
und voll Gewaltthat […] Wir wollen wahr
kenwelt der Menschen gleichzusetzen. Durch
werden. Wir wollen gehorchen dem äu-
eine Hingabe vor allem aller Wahrnehmungs-
ßeren Gebote und der inneren Sehnsucht.
organe konstituiere sich eine moderne Welt
Wir wollen werden, was unsere Umwelt
und folglich sind die Hallen auch als tatsäch-
geworden. Wir wollen die faule Vergan-
liche Architekturen zu verstehen, für deren
genheit von uns abschütteln, die, lange
weltoffene Rezeption Bahr plädiert. Genau
verblüht, unsere Seelen in fahlem Laube
solch eine von ‚Geschichte‘ befreite Archi-
erstickt. Gegenwart wollen wir sein. […]
tektur präsentiert sich im Sanatorium
Wir wollen die Fenster öffnen, daß die
P urkersdorf.
Sonne zu uns komme, die blühende Son-
Dieses Zitat Hermann Bahrs, der engen
ne des Mai. Wir wollen alle Sinne und
Kontakt zu den Wiener Secessionisten pfleg-
Nerven aufthun, gierig, und lauschen und
te, zeigt, wie sehr eine Verquickung von Ich,
lauschen. Und mit Jubel und Ehrfurcht wollen wir das Licht grüßen, das zur
690 Bahr 2004 (1890.1), S. 12f. 691 Bahr 2004 (1890.1), S. 14.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
dessen Wahrnehmung und den Formen der
Jahren aber plötzlich drei neue Auflagen
Außenwelt Moderne konstituierend verstan-
erfahren hat, ist wohl das Buch, das un-
den wurde. Es lässt sich vermuten, dass dem
ser Gefühl der Welt, die Lebensstimmung
Sanatorium Purkersdorf demzufolge eine
der neuen Generation auf das größte
Bau-Ikonografie eigen ist, die ihre Inhalte
ausspricht.“694
über den menschlichen Körper und seine Apperzeptionen erörtert. Um jene Annahme
Aber auch die direkte Rezeption der
jedoch überprüfen zu können, soll zunächst
Mach’schen Theorien stand den Wienern
das ‚Ich‘ des Sanatoriums Purkersdorf näher
damals im Rahmen der Mach’schen Vorlesun-
definiert werden.
gen an der Universität Wien offen.695 Ernst Mach696 vereint in seiner Publikation nach
„Das unrettbare Ich“ – Paradigma einer Generation zwischen Weltuntergangs- und Aufbruchsstimmung
Gereon Wolters sinnesphysiologische mit psychologischen und philosophischen Aspekten.697 Die Suche nach einer neu orientierenden Sicht für das schaffende Ich durchzog
Die ursprüngliche Begriffsprägung des unrett-
damals ebenso alle Zweige der Kunst und
baren Ichs von Ernst Mach, formuliert in
formte immer neue Gruppen oder Gemein-
seiner Publikation Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen692, verbreitet Hermann Bahr im Kreis der Secessionisten und der Autoren des Jung-Wien insbesondere mittels eines Textes aus dem Jahr 1904, den er, Ernst Machs Theorie referierend, mit dem Titel Das unrettbare Ich versieht.693 Die Bahr’schen Aufsätze Das unrettbare Ich und Impressionismus sind wiederum neben anderen Texten unter dem Titel Dialog vom Tragischen zusammengefasst. Bahr erklärt ferner in dem Abschnitt zum Impressionismus: „Seine [Machs; LT] ‚Analyse der Empfindungen‘, die erst fünfzehn Jahre lang unbemerkt gelegen ist, in den letzten zwei
692 Mach 1987 (1922), S. 20. 693 Bahr 2010 (1904.1), S. 36–46. Laut Jutta Müller-Tamm rezipierte Hermann Bahr die vierte Auflage der Analyse der Empfindungen von 1903. (Müller-Tamm 2005, S. 53, Fußnote 86.)
694 Bahr 2010 (1904.2), S. 53. Siehe dazu Müller-Tamm 2005, S. 56 und Munz 2008, S. 110f. 695 Brandl 2010, S. 84f. 696 Ernst Mach wurde am 18. Februar 1838 bei Brünn geboren und nahm 1855 sein Studium der Mathematik und Physik an der Universität Wien auf. 1860 schloss er dieses mit der Promotion in Physik ab und bereits 1861 folgte die Habilitation. Es schlossen sich Professuren in Graz und Prag an und ab 1895 unterrichtete er auf dem Lehrstuhl für Philosophie, insbesondere Geschichte und Theorie der induktiven Wissenschaften an der Universität Wien. 1886 erschien die erste Auflage von Die Analyse der Empfindungen, damals noch unter dem Titel Beiträge zur Analyse der Empfindungen. Ab der zweiten Auflage im Jahre 1900 wurde das Buch ökonomisch betrachtet zu einem Erfolg, daher folgten 1902, 1903, 1906, 1911, 1918, 1919 und 1922 weitere Auflagen. Ab der zweiten Auflage lautete der Titel zum Teil gekürzt und ebenso in seiner Aussage präzisiert Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen. Auch der Umfang der Arbeit war von der ersten zur zweiten Auflage fast auf das Doppelte angestiegen. Machs Analyse wurde ins Englische, Italienische, Japanische, Russische, Spanische und Ungarische übersetzt. (Vergleiche dazu Wolters 1987, S. IX und XXIIf.) 697 Wolters 1987, S. XII. Vergleiche zur Position Machs auch Brandl 2010, S. 85f.
225
226
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
schaften von Gesinnungsgenossen. Sowohl
„Eines scheidet die Moderne von aller Ver-
die Künstler der Secession als auch die Auto-
gangenheit und gibt ihr den besonderen
ren des Jung-Wien strebten ein Kunstverständ-
Charakter: die Erkenntnis von dem ewi-
nis an, das selbst als Ornament zu bezeichnen
gen Werden und Vergehen aller Dinge, in
ist. Kunst wurde zum Religionsersatz und dien-
unaufhaltsamer Flucht und die Einsicht
te zur Idealisierung der eigenen Realität.
698
in den Zusammenhang aller Dinge, in die
Hermann Bahr vertrat nach Johann Dvorák
Abhängigkeit des einen vom anderen in
die These, dass die Kunst keine langsame Ent-
der unendlichen Kette des Bestehenden.
wicklung vollziehe, sondern nur aufgrund von
Das ist die köstlichste Errungenschaft der
konsequenter Abwendung vom bis dahin Gül-
Zeit und ihr stolzester Erwerb aus so viel
tigen und durch eine Radikalität des Fort-
rastloser Arbeit. Das ist die erste große
schritts regelrecht voran springe.699 Bahr
Annäherung an die Wahrheit gewesen,
spricht sich gegen ein allgemeines Kunstge-
daß sich die Erde bewege; und daß es
schichtsbild aus, das sich aufgrund von Kau-
überhaupt nichts gibt, als überall nur
salitäten von Ökonomie und Soziologie line-
Bewegung ohne Unterlaß, ein ewiger Fluß,
ar weiterentwickelt. Dieser Position stand
eine unendliche Entwicklung, in der
Adolf Loos diametral entgegen. Wie bereits in
nichts stillsteht und keine Vergangenheit
dieser Arbeit erläutert wurde, verfolgte Loos
jemals Gegenwart wird, das ist die
vielmehr ein evolutionistisches Kunstideal. In
zweite.“703
diesen Kontext setzt Bahr auch die Künstler, die er als „selbst tätige Individuen“700 typisiert.
Bahr beschreibt an dieser Stelle verklausu-
Bei Bahr sind es die Künstler, die eine Ent-
liert die nötige Abkehr vom Historismus, da
sprechung ihrer Kunst in den ökonomischen
seiner Ansicht nach Vergangenes niemals
Prozessen einer Gesellschaft finden, und nicht
der zeitgemäße Ausdruck der Gegenwart
umgekehrt.
In diesem Bild des durch das
sein kann. Bedenkt man jedoch das stetige
Individuum fortschreitenden Kunsttreibens –
Fließen, das Bahr schon allein durch die Erd-
es lässt sich vermuten, dass Bahr sich an Alo-
rotation begründet sieht, wird offensichtlich,
is Riegls Theorie des Kunstwollens orientier-
dass nur dann etwas als „modern“ zu
te
bezeichnen ist, wenn es sich in Bewegung
702
701
– sieht er die Moderne abgebildet:
und Entwicklung befindet. Sobald etwas 698 Dvorák 2003, S. 197. 699 Dvorák 2003, S. 201. 700 Dvorák 2003, S. 201. 701 Dvorák 2003, S. 201. 702 Das Kunstwollen nach Alois Riegl stärkt vielmehr die Vorstellung einer durch die künstlerische Gestaltung entstehenden Kunst. Sich gegen Gottfried Sempers Theorie stellend, dass äußere Umstände – wie zum Beispiel das Material – formgebend für die Entwicklung einer Epoche seien, betont Riegl die Relevanz der „Sicht eines Subjekts“ für die Entstehung von Kunst. (Vergleiche dazu C. M.: Kunstwollen, in: Lexikon Der Ästhe-
abgeschlossen wird, scheint es auch schon durch die „unaufhaltsame Flucht“ wieder überwunden. Natürlich hat sich nicht nur
703
tik, ²2004, S. 220. und W. H.: Kunstwollen, in: Metzler Lexikon Ästhetik 2006, S. 228f. Wie dadurch wiederum Semper von Riegl zu Unrecht auf einen „Kunstmaterialisten“ reduziert wird, betont Kruft 1995, S. 361.) Bahrs Aufsatz Zur Kritik der Moderne zitiert nach Dvorák 2003, S. 202f.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Hermann Bahr damals an den Zusammen-
Bahr – ähnlich wie Riegl im Falle seines Auf-
hängen vom Entstehen und Werden von
satzes Die Stimmung als Inhalt der moder-
Kunst abgearbeitet. Auch Franz Wickhoff,
nen Kunst – in der Natur beginnen. Auf den
Professor an der Universität Wien und Kus-
täglichen Spaziergängen mit seinem Vater,
tos des Österreichischen Museums für Kunst
die sie als landschaftlichem Höhepunkt auch
und Industrie, beschäftigte sich im Rahmen
auf den Freinberg unternehmen,707 gerät er
seiner kunstgeschichtlichen Forschungen
eines Tages in einen Konflikt. Über den Son-
zum Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Ver-
nenuntergang und die Frage wohin die Son-
hältnis von Kunst und Zeit. Er sah in der
ne denn falle, kann der ‚kleine‘ Hermann
Veränderung das Hauptuntersuchungssujet
Bahr seinem Vater und seinen Erklärungen
eines Kunsthistorikers und untermauerte
darüber, dass die Erde sich um die Sonne
damit eine historisch-kritische Kunstge-
drehe, nicht mehr folgen. Seine eigene Wahr-
schichte. Der Grund für diese Betrachtun-
nehmung708 oder Anschauung verbietet es
gen wird im Allgemeinen den Diskussionen
ihm, den Erläuterungen seines Vaters Glau-
und Entwicklungen der Zeit Wickhoffs zuge-
ben zu schenken.
rechnet. So sieht man in der modernen Male-
Im Zusammenhang mit der Wahrnehmung
rei – Wickhoff war ein Verteidiger Klimts im
ist es bezeichnend, dass Sabina Becker und
Falle der Gemälde für den Festsaal der Uni-
Barbara Korte vom 19. Jahrhundert als dem
versität und sprach in diesem Zusammen-
„Jahrhundert des Auges“ sprechen und eine
hang von einem eigenen „Empfindungsle-
Entwicklungslinie von John Ruskin – der den
ben“ der Moderne
– ein inspirierendes
Sehsinn über den Hörsinn klassierte – über
Element für seine Thesen.705 Ein weiteres
das Biedermeier – das dazu geführt habe,
mögliches Indiz für jene Mutmaßung ist die
dass man glaubte „über das Erfassen des
Mitarbeit seines Schülers H. Dollmayr an
äußeren Erscheinungsbildes das Wesen der
der Secessionszeitschrift Ver Sacrum, die er
Dinge benennen [zu] könne[n]“ – bis hin zu
deutlich zu begrüßen schien. Das Motto der
Ernst Mach – der das Phänomen auf folgen-
Secessionisten Der Zeit ihre Kunst, der
den Satz zusammenspitzte: „Verändern Sie
Kunst ihre Freiheit bekommt damit ein
das Auge des Menschen, und Sie verändern
weitaus solideres Standbein im Wien des
seine Weltanschauung“ – zeichnen.709
704
Fin de siècle.706 An diesem Punkt auf Hermann Bahrs Aufsatz zum unrettbaren Ich zurückkehrend,
Jener Konflikt des jungen Hermann Bahrs führt weiterhin zu einer grundlegenden Verunsicherung auch als Gymnasiast:
gelangt man unweigerlich auf seine darin beschriebene mehrjährige Suche nach einer Erklärung für einen Konflikt zwischen ihm und seinem Vater. Seine Geschichte lässt 704 Siehe dazu Kandel 2012, S. 133–136 und S. 449f. 705 Kalavrezou-Maxeiner 1984, S. 19f. 706 Kalavrezou-Maxeiner 1984, S. 20.
707 Bahr 2010 (1904.1), S. 36. 708 Der Begriff der Wahrnehmung ist auch ein zen traler Topos bei Ernst Machs Analyse der Empfindungen. Vergleiche dazu Mach 1987 (1922), S. 14–16. Vergleiche zum Wahrnehmungsbegriff bei Ernst Mach Brandl 2010, S. 87–90. 709 Vergleiche dazu Becker und Korte 2011, S. 5–8.
227
228
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
„Ich konnte alles beweisen und glaubte ei-
eine neue konkrete Suche nach Antworten.
gentlich gar nichts: denn in mir hatte sich
Dieses Zitat des antiken Autors beherrschte
festgesetzt, daß in den Anfängen der Din-
Hermann Bahrs Denken und führte ihn
ge alles unsicher und voll Lüge, daß es
schließlich zu den Untersuchungen Machs.
aber bequemer, um mit den Lehrern fertig
Bei einer gleichzeitigen Verschreibung an
zu werden, und schicklicher war, so zu
das Gefühl als Beweisgrundlage und einer
tun, als glaube man daran. Dies wurde mir
damit gleichzusetzenden Absage an die Ver-
so geläufig, daß ich spielend alles in mich
nunft, geriet Bahr in Erklärungsnot; bisher
aufnehmen konnte, ohne davon im Inne-
war ja die eigene Anschauung, demnach auch
ren behelligt oder auch nur berührt zu wer-
das eigene Ich, sein einziger Zugang zum
den, weshalb ich denn von allen Lehrern
„wahren Weltverständnis“ gewesen und nun
als ein vorzüglicher Schüler gepriesen wur-
wurde ihm vermittelt, das Ich sei nichts
de, die nicht ahnten, wie ihre ganze Weis-
Beständiges mehr.712 Die Entdeckung der
heit an mir abrann. […] Nur hatte ich mir
Analyse der Empfindungen wird für Bahr zu
allmählich angewöhnt, überall zwei Wahr-
einem erlösenden Moment:
heiten anzunehmen: eine mir evidente, die sich gar nicht erst zu rechtfertigen hatte,
„Hier [in den Analysen der Empfindun-
die mit mir auf die Welt gekommen war,
gen; LT] habe ich ausgesprochen gefun-
mit der und von der ich lebte, und eine
den, was mich die ganzen drei Jahre [seit
zweite für die Schule, die sich wunder-
dem Lesen des Ausdrucks beim Herakles
schön beweisen ließ, die mir das größte
des Euripides; LT] her gequält. ‚Das Ich
Vergnügen machte, der ich jedoch sozusa-
ist unrettbar.‘ Es ist nur ein Name. Es ist
gen nicht über die Gasse traute.“
nur eine Illusion. Es ist ein Behelf, den
710
wir praktisch brauchen, um unsere VorAuf diese Zeit der zweifachen Wahrheit –
stellungen zu ordnen. Es gibt nichts als
einer individuellen und einer gesellschaftlich
Verbindungen von Farben, Tönen, Wär-
konformen – folgend, beschreibt Bahr eine
men, Drücken, Räumen, Zeiten, und an
Art von Befreiungsmoment oder vielleicht
diese Verknüpfungen sind Stimmungen,
sogar Ritus. Nach einer Phase des sich „vom
Gefühle und Willen gebunden. Alles ist
Gewühl durch die glänzenden Gassen trei-
in ewiger Veränderung. Wenn wir von
ben, wie von einem Strome getragen“
,
Kontinuität oder Beständigkeit sprechen,
beginnt mit dem Lesen des Ausspruchs im
so ist es nur, weil manche Änderung lang-
Herakles des Euripides „Er war nicht mehr
samer geschieht. Die Welt wird unabläs-
derselbe!“ einer Initiationszündung gleich
sig und indem sie wird, vernichtet sie sich
711
unablässig. Es gibt aber nichts als dieses 710 Bahr 2010 (1904.1), S. 39f. 711 Bahr 2010 (1904.1), S. 42. Des Weiteren heißt es an jener Stelle: „So bummelte ich mich durch, bis ich in einer tiefen süßen Müdigkeit kaum mehr nach Hause fand.“ Bahr bezieht sich hier vermutlich auf die literarische Figur des Flaneurs.
Werden. Es gibt kein Ding, das zurückbleiben würde, wenn man die Farben,
712 Bahr 2010 (1904.1), S. 42f.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Töne, Wärmen von ihm abzieht. Das Ding
der modernen Kunst, denn nicht nur die
ist nichts außer dem Zusammenhange der
moderne Kunst und deren Entwicklung im
Farben, Töne, Wärmen. Nur um uns vor-
Rahmen der Zeit unterzieht sich einem stän-
läufig zu orientieren, sprechen wir von
digen Wandel, sondern auch der individuel-
‚Körpern‘ und sprechen vom ‚Ich‘, von Er-
le Künstler oder vielmehr jeder Einzelne ver-
scheinung und von Empfindung, die sich
körpert eine andauernde Unruhe. Die
doch niemals trennen lassen, sondern so-
Grenzen des Ichs werden von Bahr ange-
gleich zusammenrinnen.“
zweifelt und ein Individuum wird nur über
713
andere definierbar. Bahr sieht in seiner AnaDas Originalzitat Machs, auf das sich Bahr
lyse aber kein negativ gezeichnetes Bild, son-
hier definitiv bezieht, lautet wie folgt:
dern erhofft sich aus der Metapher des unrettbaren Ichs eine Möglichkeit für größe-
„Farben, Töne, Wärmen, Drücke, Räume,
re Toleranz unter den Individuen.716 Auch in
Zeiten u.s.w. sind in mannigfaltiger Wei-
diesem Punkt folgt Bahr Ernst Mach, der
se miteinander verknüpft, und an diesel-
laut Brandl aus seiner Analyse der Empfin-
ben sind Stimmungen, Gefühle und Wil-
dungen die Moral zieht, dass es genauso gilt
len gebunden. Aus diesem Gewebe tritt
„das Fremde Ich nicht zu missachten und
das relativ Festere und Beständigere her-
das eigene weniger zu überschätzen“.717
vor, es prägt sich dem Gedächtnisse ein,
Neben dieser Rücksicht entsteht aber auch
und drückt sich in der Sprache aus. Als
ein Bild von ständig vergehenden Welten.
relativ beständiger zeigen sich zunächst
Ein Bewusstsein für Neues aber auch Altes
räumlich und zeitlich (funktional) ver-
tritt in diesem Denken klar an die Oberflä-
knüpfte Komplexe von Farben, Tönen,
che. Neben der Gewissheit, am Ende eines
Drücken u.s.w., die deshalb besondere Na-
Jahrhunderts zu stehen, tritt die Freude über
men erhalten, und als Körper bezeichnet
den Neuanfang des nächsten, des 20. Jahr-
werden. Absolut beständig sind solche
hunderts. Das Fin de siècle wird immer in
Komplexe keineswegs.“
Bezug auf das Commencement de siècle
714
gefasst und so erklären sich auch tiefergeFarben, Töne etc. sind als Elemente zu defi-
hend die diversen Nennungen der zukunfts-
nieren, die man auch als Körper bezeichnen
weisenden Vorbildrolle des Sanatoriums
könnte, während Stimmungen, Gefühle und
Purkersdorf.
Willen als psychische Elemente von Mach aufgefasst werden.
715
Es ergibt sich daraus für die Thematik der Architekturauffassung Josef Hoffmanns und
Daher geht Bahr in diesem Essay auch
insbesondere für das Sanatorium Purkers-
noch einen Schritt weiter als in seiner Kritik
dorf das Faktum, dass Hoffmann nicht für persönliche Charakterzüge eines Auftragge-
713 Bahr 2010 (1904.1), S. 45f. 714 Mach 1987 (1922), S. 1f. 715 Vergleiche dazu Czaja 1993, S. 142–147 und Müller-Tamm 2005, S. 54–65.
bers das Sanatorium Purkersdorf schuf, 716 Bahr 2010 (1904.1), S. 45–47. 717 Brandl 2010, S. 90.
229
230
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
sondern im Sinne einer übergeordneten
einer Rahmung für das unrettbare Ich ver-
Ästhetik ein Gesamtkunstwerk erarbeitete.
wirklichte. Man beauftragte Josef Hoffmann
Diesen Umstand umschreibt indirekt gerade
im Falle des Sanatoriums Purkersdorf nicht,
eine Polemik Adolf Loos’. Auf wen genau
um sich auf die eigenen Bedürfnisse eine
sich die Satire bezieht ist sich die Forschung
Wohnung oder ein Haus schneidern zu las-
nicht einig. Es werden ebenso Henry van de
sen. Vielmehr reihte man sich in eine Mode
Velde, Joseph Maria Olbrich als auch Josef
oder aktuelle Bewegung ein, die von Künst-
Hoffmann als Angegriffene identifiziert.
718
lern und ihren individuellen Brüchen oder
Die Fabel Von einem armen reichen Manne
Anschauungen bestimmt wurde. Dolf Stern-
von 1900 karikiert die Planung aller Details
berger typisiert einige der Stilkünstler des
einer Villa durch den Architekten. Loos
Fin de siècle und des Commencement de
überspitzt seinen Angriff, indem er die Pla-
siècle, darunter auch Otto Wagner und Josef
nung des Architekten zum menschenfeind-
Hoffmann, als „Wollende und Handelnde“
lichen Umfeld stilisiert, das alle Freiheiten
und nicht im Gegensatz dazu als „Handlan-
einschränke. So werde ein Verbot für wei-
ger ihrer Auftraggeber“.720 Adolf Loos stell-
tere Geburtstagsgeschenke ausgesprochen,
te sich zunächst oberflächlich betrachtet
da diese ja nicht in das geschaffene Interieur
gegen diese Symbiose von Architektur und
passen könnten. Des Weiteren bemerkt der
Angewandter Kunst. Es soll zum Ende die-
Architekt die von ihm entworfenen Haus-
ser Arbeit daher die zusammenfassende Fra-
schuhe, die der Hausherr seiner Ansicht
ge nach dem Gesamtkunstwerk und seinen
nach jedoch im falschen Raum des Hauses
Graden der Totalität bei Hoffmann als auch
trägt. So legt Loos dem Architekten folgen-
bei Loos nachgegangen werden. Der Sinn
de Worte in den Mund: „Sie [der arme rei-
des Gesamtkunstwerkes ist es, im Moment
che Mann; LT] aber zerreißen mit diesen
seiner Fertigstellung eine Einheit zu bilden,
zwei unmöglichen Farbflecken die ganze
die durch Änderungen und Zutaten nur ver-
Stimmung. Sehen Sie denn das gar nicht
fälscht würde. Der erzieherische Charakter,
ein.“ Die Konsequenz und das Ende sei die
der von solchen Gedankenkonstrukten und
Vertreibung des Hausherrn aus seinem eige-
Gebäuden ausgehen sollte, wird deutlich,
nen Heim.
wenn man die Bitterkeit heraushört, mit der
719
Übersieht man zunächst ein-
mal den rhetorisch fein gesetzten sarkasti-
Hoffmann auf Amerika blickt:
schen Ton Adolf Loos’, wird selbst anhand dieser Geschichte offensichtlich, wenn man
„In Amerika gibt es heute schon einige
sie als auf die Arbeit Hoffmanns anspielend
Schulen, die sich die Aufgabe stellen, die
versteht, dass Hoffmann nicht für einzelne
Jugend für ein behagliches Zusammenle-
Persönlichkeiten das räumliche und soziale
ben und Wohnen zu unterrichten und auf
Umfeld eines Sanatoriums schuf, sondern
alle Dinge, die dies ermöglichen, hinzu-
vielmehr eine Idealvorstellung im Sinne
weisen. Sie haben durchaus einen unge-
718 719
Vergleiche dazu Hodonyi 2010, S. 127 und S. 140. Adolf Loos zitiert nach Prokop 2003, S. 302–307.
720 Sternberger 1977, S. 14.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
ahnten Einfluß auf die Charakterbildung
Ein Auftrag wie das Sanatorium Purkersdorf
des Schülers gewonnen. Korrektheit, Rein-
eignete sich in idealer Weise zur Verwirkli-
lichkeit, Aufrichtigkeit, Pflichtbewusst-
chung solch einer Auffassung von zeitgemä-
sein, Schönheitssinn sind dort neben den
ßer Kunst, da es sich in diesem Fall um eine
gewohnten Lehrtätigkeiten die wichtigs-
ständig wechselnde Bewohnerschaft des
ten Gegenstände des Unterrichts. […] Der
Gebäudes handelte. Erst in diesem Zusam-
Lehrer mehr ein Innenarchitekt als Päd-
menhang offenbart sich die strenge Begriff-
agoge ist dort ein Kulturträger ersten Ran-
lichkeit von Zweck und Funktion, die immer
ges, wie er es vor hundert Jahren auch im-
wieder von Otto Wagner und seinen Schü-
mer war und der nicht nach Vorschriften
lern postuliert wurde. Nicht die Wünsche
sondern mit seinen eigenen Fähigkeiten
eines Auftraggebers oder einer Kundschaft
in eigenartiger Weise sich auszuwirken in
formten den konstruierten Kosmos des Sana-
der Lage ist. Er besitzt daher auf seine
toriums, denn diese schufen nur die groben
Schüler lebenslangen Einfluß im besten
Parameter mit denen Hoffmann umgehen
Sinne des Wortes.“
musste. Die Funktion und der Betrieb einer
721
Kuranstalt durchströmten vielmehr alle Dieses Bild einer Utopie, das, wie Sekler
Bestandteile des Sanatoriums und entindivi-
schon betonte, nicht allzu sehr mit der Rea-
dualisierten es zugleich, indem dem nervö-
lität verbunden war,
veranschaulicht, wie
sen, modernen und unrettbaren Ich die ihm
viel Hoffmann an seiner Idee des Gesamt-
notwendige verfestigende und Emotionen
kunstwerkes gelegen war und welche Impli-
regulierende architektonische Rahmung ver-
kationen er damit verband. Ein vollkommen
liehen wurde. Diese These untermauert ein
kontrastierendes Bild zeichnet er dagegen
Zitat Josef Hoffmanns:
722
von seinem eigenen Kulturbereich: „[…] es fehlt den meisten Entwurfskünst„Seht euch eure erbärmlichen Schulräu-
lern nicht so sehr an Talent, als an Cha-
me an, eure Schulbänke und überhaupt
rakter und dem nötigen Halt. Ich verste-
alles, womit euch die Vorschrift umgibt.
he darunter die Nachgiebigkeit gegenüber
Sprecht mit euren Eltern, die in der fal-
seinen und seines Bestellers Launen und
schen Tradition aufgewachsen sind, und
falschen Empfindungen, das Stimmung-
hört ihre Ansichten. Man muß staunen,
machen in Räumen des täglichen Lebens
wie lieblos sie denken, und wie sie alles
und das falsche Pathos dort, wo wir nach
zu ersticken trachten, was euch zu einem
Natürlichkeit lechzen sollten“724.
besseren Menschen machen könnte.“723 Das Bild des Künstlers als eines Kultur- und Gesellschaftserziehers, der sich aber immer 721 Josef Hoffmann zitiert nach Sekler 1986, S. 133f. 722 Sekler 1986, S. 134. 723 Josef Hoffmann zitiert nach Zuckerkandl 1904, S. 2.
wieder selbst zu disziplinieren hat, wird abso724 Hoffmann 1901, S. 202f. Vergleiche zu diesem Zitat diese Arbeit auf S. 21f.
231
232
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
lut gezeichnet. Deutlich wird, dass das unrett-
Das Sanatorium Purkersdorf verkörpert in
bare Ich auch als Verunsicherung wahrge-
all seinen Bestandteilen das Konzept der
nommen und eine strenge Orientierungsfigur
Gesundheit und Genesung von nervösen
im Architekten gezeichnet wurde. So heißt
Erkrankungen und ihm war jede Zuschnei-
es bei Bahr als Möglichkeit für den Umgang
dung auf ein einzelnes Individuum fremd.
mit dieser unheimlichen Vorstellung:
Wie wichtig damals jeder einzelne wahrgenommene Gegenstand durch den Kurenden
„Das Ich ist unrettbar. Die Vernunft hat
für die Konstituierung einer Rekonvaleszenz
die alten Götter umgestürzt und unsere
günstigen, lenkenden Stimmung war, zeigt
Erde entthront. Nun droht sie, auch uns
die Theorie Ernst Machs, die die Literatur-
zu vernichten. Da werden wir erkennen,
wissenschaftlerin Brandl treffend zusammen-
daß das Element unseres Lebens nicht die
gefasst hat: „Wenn Dinge der Welt ‚da drau-
Wahrheit ist, sondern die Illusion. Für
ßen‘ die eigenen Empfindungen sind, so hört
mich gilt, nicht was wahr ist, sondern was
das Recht, diese Dinge zum eigenen Ich zu
ich brauche, und so geht die Sonne
zählen, nirgends auf.“727 Diese Interpretati-
dennoch auf, die Erde ist wirklich und
on wird noch untermauert durch die Auss age
Ich bin Ich.“
Dagobert Peches, einem engen Mitarbeiter
725
Josef Hoffmanns in der Wiener Werkstätte: Der Zweck beziehungsweise die architektonische Klammer für den so auf ein ästhetisch
„Alle Gegenstände und natürlich auch
durchdekliniertes Umfeld reduzierten Pati-
der Raum, jede Form, jedes Ornament re-
enten wurde ausschlaggebend. Oskar Strnad
deten, wenn man so sagen kann, eine her-
teilt die Eigenschaften des Zwecks in einem
rische Sprache. Die Menschen, welche
Text von 1932 in zwei Komponenten: in
sich mit ihnen umgaben, waren diesem
einen durch Vernunft geprägten Part und in
allem untertänig, sie mußten sie anerken-
einen seelischen Teil. Der zweite Teil
nen, wenn sie dieselben auch gar nicht
bestimmt seiner Ansicht nach das Bauen, da
verstehen konnten […]. Josef Hoffmann
sich nur Seelisches in Harmonie verwandeln
hat es verschmäht, sein Werk zu erklä-
lässt.
Weiterhin stellt er Vernunft und Har-
ren, er hat es beabsichtigt oder bevorzugt,
monie als Gegensatzpaar auf und gibt der
sein Werk als Tatsache hinzustellen, ohne
Vernunft die Funktion des Werkzeugs.
auf die Wünsche der einzelnen Individu-
726
en einzugehen. Sein Werk ist absolutisDas Sanatorium Purkersdorf reiht sich in die
tisch in seinen Grundzügen, in seinem
Erkenntniswelt der Moderne eines Hermann
Wesen.“728
Bahrs ein und erklärt die Begeisterung, die Joseph August Lux oder Ludwig Hevesi bei
Stimmung an sich wurde von Ernst Mach inso-
einem Besuch dieser Institution empfanden.
fern definiert, als dass sie eine Verbindung aus
725 Bahr 2010 (1904.1), S. 47. 726 Strnad 2003 (1932), S. 286.
727 Brandl 2010, S. 88f. 728 Peche 2003 (1922), S. 280.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
„Empfindungen“ und „organischen Prozessen“,
in eine stückweise Wahrnehmung der Welt
die jeweils an Bewusstseinsinhalte geknüpft
auf. Gisbertz fasst dies sehr treffend zusam-
sind, darstellt.729 So heißt es bei Mach:
men, wenn sie feststellt: „Die Welt [nach Mach; LT] stellt kein Faktum dar, das von
„Sinnliche Reize können durch Erinne-
außen zu betrachten ist, sondern erscheint
rungsbilder teilweise oder ganz vertreten
nur in Gestalt stets verschiedener Blickrich-
werden. Alle im Nervensystem zurückblei-
tungen auf sie.“ Sie ist eine „Welt der offenen
benden Gedächtnisspuren wirken mit den
Horizonte“, die nur durch die Stimmung par-
Sinnesempfindungen
reflexauslösend,
tizipierbar ist.733 So bettet Mach – ähnlich
fördernd, hemmend, modifizierend, zusam-
methodologisch vorgehend wie Riegl und
men. So entsteht die willkürliche Be
Bahr – seine zentrale Theorie von der „Welt
wegung, welche wir als eine durch Erin-
samt [dem; LT] Ich als eine zusammenhän-
nerungen modifizierte Reflexbewegung,
gende Masse von Empfindungen“ anekdo-
wenigstens im Prinzip, begreifen können,
tisch in eine persönliche Erfahrungssequenz
soviel auch an dem Verständnis im Ein-
an einem „heitern Sommertage“ ein.734 Deut-
zelnen noch fehlen mag.“730
lich wird abermals, dass eine Verortung der theoretischen Erkenntnisse der Anschaulich-
Des Weiteren benennt Anna-Katharina Gis-
keit halber in ein wirklichkeitsnahes Umfeld
bertz die Stimmung nach Ernst Mach als eine
wie einem Sommertag vorgenommen wird.
„Mittlerfunktion“.731 Jene Stimmung als Ver-
Jenes Mach’sche Phänomen – nämlich das
mittler ergibt sich automatisch aus einem
Verbinden von Ich und Welt zu einer Masse
Ich, das sich nach Mach regelrecht demon-
– findet im Sanatorium Purkersdorf eine
tiert. Mach stellt sich deutlich gegen die car-
künstlerisch konsequente Interpretation in
tesianische Weltsicht des Cogito ergo sum
Form des rigiden Gesamtkunstwerks als ein
und zeichnet mit seiner Definition von
verfestigender Rahmen für das unrettbare
Bewusstem und Unterbewussten als Psyche
Ich. Dieses Gesamtkunstwerk ist nicht nur
und Physis – hier deutlich der Theorie Freuds
im Sinne einer konzeptionellen Gegenwehr
vom Unterbewusstem als Ort des Verdräng-
gegen das Schreckensbild eines sich auflö-
ten widersprechend – eine Weltsicht, die von
senden nervösen Ichs zu verstehen. Es ent-
„Empfindungsprozessen“ – die in den Ner-
wickelt sich aus der Wahrnehmungstheorie
venbahnen abgewickelt werden – und folg-
Machs und bedient sich der Mach’schen
lich auch durch Wahrnehmungsprozesse kon-
Stimmung, die zwischen Welt und Ich, das
stituiert wird.
heißt hier: zwischen Architektur und Patient
732
Auf diese Weise zerfällt
jedoch nicht nur das eigene Ich in einzelne Entitäten, sondern die gesamte Welt teilt sich
vermittelt. Es lässt sich nicht dogmatisch beweisen, dass Josef Hoffmann Hermann Bahrs oder
729 Gisbertz 2009, S. 54f. 730 Mach 1987 (1922), S. 141. 731 Gisbertz 2009, S. 55 und S. 70f. 732 Gisbertz 2009, S. 57–70 und S. 63.
Ernst Machs unrettbares Ich als Grund 733 Gisbertz 2009, S. 77. 734 Mach zitiert nach Gisbertz 2009, S. 78.
233
234
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
konzept für sein Sanatorium Purkersdorf ver-
wie schnell die Secessionisten sich fest im
anschlagte, aber durch die bekannte Zusam-
Wiener Kulturleben durch ihre Ausstellungs-
menarbeit Hoffmanns mit Bahr bei der
tätigkeit etablierten, und das sowohl Kolo-
Zeitschrift Ver Sacrum muss man davon aus-
man Moser als auch Josef Hoffmann bereits
gehen, dass beide die Arbeiten des Anderen
1899 Professuren an der Kunstgewerbeschu-
bewusst wahrnahmen und rezipierten. Ein
le in Wien erhielten. In einem Zusammen-
Austausch der Wiener Künstlergruppierun-
stehen gegen eine Vorverurteilung fand man
gen war durch ein reges Salonleben und vie-
zu Gemeinsamkeiten und Verwandtschaf-
le Kaffeehausbesuche gegeben und durch die
ten.737 So finden sich zahlreiche Beziehungen
zahllosen Treffen rund um die Secessions
vom unrettbaren Ich Machs auch zu Hugo
tätigkeit muss eine gewisse gegenseitige
von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler.738
Vermischung
vorgeherrscht
So werden Machs Vorlesungen an der Uni-
der
Ideen
Keine hermetische Abriegelung,
versität Wien in den 1890er-Jahren auch von
sondern ein reges Kreisen um die verschie-
Brandl als „Treffpunkt des liberalen Bürger-
denen Kulturbereiche und Künstlergemein-
tums“ bezeichnet.739 Für Hofmannsthal galt
schaften ist für das Wien des beginnenden
wohl zum einen eine Wahrnehmung der
20. Jahrhun derts charakteristisch.
Theorien
haben.
735
736
Für
Machs
als
eine
destruktive,
diesen freien Austausch zwischen den diversen Kunstkreisen spricht ebenso die schon zuvor beschriebene Frontstellung gegenüber den Etablierten, die viele wichtige Ämter in Wien besetzten. Ein hitziger Streit, wie er um die Universitätsbilder von Gustav Klimt entbrannte, beweist, in welcher Lage sich die Secessionisten und das Jung Wien befanden. Wobei man nicht vergessen darf, 735
Die zahlreichen Anekdoten, die um die Wiener Kaffeehäuser kreisen, wirken zunächst charmant fantastisch, jedoch besitzen sie einen wahren Kern. Sie stellten einen Kulturbetrieb dar und fast jedes Haus besaß seinen eigenen Künstlerkreis. So trafen sich der Siebenerclub und der Hagenerbund im Café Sperl an der Gumpendorferstraße. Reviere wurden regelrecht abgesteckt und für jeden ersichtlich demonstriert. So sprach Karl Kraus sehr bewusst zynisch von der „demolirten Literatur“ bei dem Abriss des Cafés Griensteidl, in dem sich die Gruppierung des Jungen Wien etabliert hatte, der Karl Kraus diametral mit seinen Auffassungen entgegenstand. (Vergleiche dazu Johnston 1974, S. 130–135 und AK Traum Und Wirklichkeit ²1985, S. 303.) 736 Schulte 2006, S. 81–83.
737 Schulte 2006, S. 81–83. 738 So lässt Schnitzler seine Hauptfigur Anatol, die vor allem davon geprägt ist sich in impressionistischen Einzelszenen zu verlieren, in dem gleichnamigen Stück mit seinem Freund Max folgendes Gespräch führen: „ANATOL Mir ist nämlich soeben noch etwas eingefallen. MAX Und zwar…? ANATOL Das Unbewußte! MAX Das Unbewußte? ANATOL Ich glaube nämlich an unbewußte Zustände. MAX So. ANATOL Solche Zustände können aus sich selbst heraus entstehen, sie können aber auch erzeugt werden, künstlich … durch betäubende, durch berauschende Mittel. MAX Willst du dich nicht näher erklären …? ANATOL Vergegenwärtige dir ein dämmeriges, stimmungsvolles Zimmer. MAX Dämmerig … stimmungsvoll … ich vergegenwärtige mir.“ (Schnitzler 2002.2, S. 18.) Im weiteren Verlauf schildert Anatol die Szene einer Verführung. Schnitzler komprimiert in diesem kurzen Abschnitt sowohl Machs Definition vom Unterbewussten als eine physische Reaktion auf Wahrgenommenes und stellt in deren Zusammenhang die Stimmung eines Raumes als Beispiel für jene „künstlichen Mittel“, die einen gewissen „Zustand“ herausprovozieren. (Vergleiche dazu Scheible 2002, S. 957–963.) 739 Brandl 2010, S. 84. Vergleiche dazu zum hohen und weit gefächerten Bildungsgrad der Literaten als Beweis für die enorme Vernetzung im Wiener Kulturkreis um 1900 Urmann 2008, S. 254–261.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
beunruhigende Weltsicht740, zum anderen
derndes Individuum auf.741 Gisbertz spricht
greift er jenes Bild des unrettbaren Ichs als
ebenso davon, dass Hofmannsthals Prosa
ein sich in der Umgebung verlierendes, mäan-
zumindest eine ähnliche „Subjektauflösung“ wie die des unrettbaren Ichs nach Ernst Mach aufweist.742 In diesem Sinne kann man das
740
Als Beispiel hierfür kann man ein Zitat Neuhoffs aus Hofmannsthals Prosa-Lustspiel Der Schwierige, an dem Hofmannsthal von 1909 bis 1920 arbeitete, heranziehen: „Geist und diese Menschen! Das Leben – und diese Menschen! Alle diese Menschen, die Ihnen hier begegnen, existieren ja in Wirklichkeit gar nicht mehr. Das sind ja alles nur mehr Schatten. Niemand, der sich in diesen Salons bewegt, gehört zu der wirklichen Welt, in der die geistigen Krisen des Jahrhunderts sich entscheiden.“ (Hofmannsthal 2004 (1921), S. 708.) Fast schon ironisierend und die Beschimpfungen Neuhoffs bestätigend, lässt Hofmannsthal Hans Karl (Karl Brühl) und Cresence wenige Seiten später jenen Dialog führen: „HANS KARL […] Ich bin ganz in der Stimmung. Weißt du, das ist ja meine Schwäche, daß ich so selten das Definitive vor mir sehe: aber diesmal seh’ ich’s. CRESENCE Siehst du, das ist das Gute, wenn man ein Programm hat. Da kommt ein Zusammenhang in die ganze Geschichte.“ (Hofmannsthal 2004 (1921), S. 727.) So ist das Problem des Protagonisten, Karl Brühl bzw. der Schwierige, dass er „Denken, Reden und Handeln“ nicht mehr miteinander in Einklang bringen kann. Die eigenen Ansichten, Empfindungen und Gedanken Karl Brühls werden aufgrund der Präsenz derselbigen bei den anderen Akteuren im Stück neutralisiert. Er wird handlungsunfähig und scheint hierin Parallelen zum Mann ohne Eigenschaften Robert Musils aufzuweisen. (Hofmannsthal 2004 (1921), S. 882.) Dieses Bild überspitzend, lässt Hofmannsthal Karl Brühl folgendes Telefonat mit Verständigungsproblemen führen: „HANS KARL geht ans Telephon und spricht hinein Ja, ich bin es selbst. Hier. Ja, ich bin am Apparat. Ich bleibe. Graf Brühl. Ja, selbst. […] Es entspricht doch auch meiner Empfindung. Es entspricht meiner Empfindung! Wie? Gestört? Ich habe gesagt: Es entspricht meiner Empfindung. Empfindung! Eine ganz gleichgültige Phrase! Keine Frage, eine Phrase! Ich habe eine gleichgültige Phrase gesagt! Welche? Es entspricht meiner Empfindung. Nein, ich nenne es nur eine gleichgültige Phrase, weil du es so lange nicht verstanden hast. Ja. Ja. Ja! Adieu. Schluß! […] Es gibt Menschen, mit denen sich alles kompliziert, und dabei ist das so ein exzellenter Kerl!“ (Hofmannsthal 2004 (1921), S. 683.)
Sanatorium Purkersdorf als ein Objekt seiner Zeit definieren. Josef Hoffmanns mögliche Nähe zu den Gedankenkonstrukten Hermann Bahrs wird durch eine von ihm überlieferte Aussage noch untermauert: „Die Zeit der Grenzen, Reiche und Absperrungen muss ein Ende haben. Der Mensch als Individuum zu allen Zeiten und in allen Welttheilen immer dasselbe Wesen, daher vollkommene Gleichberechtigung als Ziel.“743 Dieses Zitat, das von Sekler aus einem bis dahin unveröffentlichten Fundus des kunstgeschichtlichen Archivs des Getty Center for the History of Art and the Humanities in Los Angeles entnommen wurde, demonstriert den Mach’schen utopischen Grundgedanken. Wie sehr das Gesamtkunstwerk auch mit einem utopischen Anspruch verknüpft ist, erklärt Roger Fornoff, wenn er in seinem Buch Die Sehnsucht nach dem Gesamtkunstwerk die vier Bestandteile eines Gesamtkunstwerks wie folgt definiert: das niemals ganzheitlich umgesetzte Konzept 741 Brandl 2010, S. 85. 742 Gisbertz 2009, S. 69f. In Bezug auf Hoffmanns thal und seine Auseinandersetzung mit dem Konzept der Zeit und dessen Beeinflussung durch Ernst Mach, vergleiche Gisbertz 2009, S. 155f. Vergleiche abschließend zum Verhältnis von Stimmungen in der Literatur Hofmannsthals und Schnitzlers Urmann 2008, S. 261–272. 743 Josef Hoffmann hier zitiert nach Sekler 1991, S. 7.
235
236
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
eines „synästhetisch-multimedialen Kunst-
Westend, das von Dr. Anton Löw um 1890
werks“, eine eigene Ansicht von der best-
gegründet und später von Dr. Krafft-Ebing
möglichen Zusammenführung der Künste,
mitgeleitet wurde.749 Leslie Topp spricht
eine „Weltanschauung“ und eine „Ästheti-
davon, dass Löw zusammen mit Krafft-Ebing
sche Utopie oder Erlösungsvorstellung“.744
das Sanatorium Purkersdorf 1890 gründete.
Die Patientenkartei oder vielmehr Gäste-
Des Weiteren gibt sie mehrere Quellen an,
liste bekannter und reicher Wiener Persön-
die sich gegenseitig widersprechen. 1911
lichkeiten lässt jedoch auch vermuten, dass
schreibt Ludwig Stein, der damalige Chefarzt
das Sanatorium Purkersdorf weit davon ent-
des Sanatoriums Purkersdorf, dass vor 25
fernt war, allein einer sozialen Utopie zu fol-
Jahren das Sanatorium von Löw und Krafft-
gen. Die nach Bahr vorgestellte Verwischung
Ebing gegründet worden sei. Dies würde aber
der Individuen und die dadurch erreichbare
das Gründungsdatum auf 1886 vorverlegen.
höhere Toleranz unter diesen vollzogen sich
Eine Publikation des Österreichischen Inge-
bei Josef Hoffmanns Werk wohl nur im
nieur- und Architektenvereins von 1906 geht
Moment des Gebäudes und seiner auf die
ebenso von einer Gründung Löws und Krafft-
Funktion hin geplanten Realisierung.745 Das
Ebings aus, nennt aber 1890 als Initiations-
nächste Kapitel wird die Zielgruppe der
zündung des Unternehmens. Zuletzt spricht
Kuranstalt näher umreißen.
Topp noch von fragmentarischen Unterlagen der Vorbesitzer, die das Datum 1890 bestä-
Der Auftraggeber und seine Zielgruppe
tigen würden.750 Man vermutet, dass Viktor Zuckerkandls Schwägerin Berta Zucker-
Im selben Jahr, in dem Josef Hoffmann und
kandl ihn mit Josef Hoffmann als möglichen
Koloman Moser die Wiener Werkstätte grün
Architekten bekannt machte und eine
deten, erstand Viktor Zuckerkandl, General-
Zusammenarbeit forcierte.751 Berta Zucker-
direktor der schlesischen Eisenwerke Glei-
kandl war selbst eine Berühmtheit im Kul-
witz, 1903 die Anlage des Sanatoriums
turleben Wiens.752 Ihr Salon wurde im Wien
Westend,
das westlich vor Wien bei Purk-
des Fin de siècle zum gesellschaftlichen
ersdorf aufgrund einer besonderen Quelle
Ereignis und ihre Tätigkeit als Kulturjourna-
angesiedelt wurde.
Es handelte sich dabei
listin und Kunstkritikerin hatte ihr einen
um eine Thermalwasserquelle, die Lau-
regen Kontakt zum Kreis der Secessionisten
746
747
ra-Bründl genannt wurde.
748
Sie bildete die
Existenzgrundlage für das vorige Sanatorium
744 Fornoff 2004, S. 265f. 745 Vergleiche zum Umstand, dass das Bild des unrettbaren Ichs auch bei Ernst Mach bereits mit einem utopischen Gesellschaftsbild verbunden ist, Gisbertz 2009, S. 69. 746 Lipp 2002, S. 8. 747 Hubmann 2003, S. 46. 748 Hubmann 2003, S. 18 und Toman 1996, S. 11.
749 Topp 1997, S. 416. 750 Topp 2004, S. 66 und S. 192. 751 Sekler 2003, S. 22 und Topp 2004, S. 69. 752 Berta Zuckerkandl wurde als Bertha geboren, nannte sich später wegen des zeitgemäßen Anspruchs Berta. Daher folgt die Arbeit der von Berta Zuckerkandl gewünschten Schreibweise ohne „h“. (Siehe dazu Meysels ²1984, S. 9.) Nach ihrer Heirat lautete ihr vollständiger Name Berta Szeps-Zuckerkandl; im Folgenden wird sie aber nur Berta Zuckerkandl genannt.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
eröffnet. Zu den Habitués ihres Salons gehör-
Zuckerkandls nachträglich rekonstruierte
ten Persönlichkeiten wie Arthur Schnitzler,
Memoiren des Öfteren Schwächen in den
Maurice Ravel, Hugo von Hofmannsthal,
Datierungen aufweisen. Ebenso belegt das
Hermann Bahr, Gustav Mahler, Johann
zuvor genannte Gründungsdatum des Sana-
Strauß und viele andere Wiener Berühmt-
toriums Westend ab 1890 eher die Datierung
heiten. In ihrer Autobiografie und in weite-
Johnstons als realistisch.756 Berta Zucker-
ren Biografien über Berta Zuckerkandl wird
kandl beschreibt im ersten Fall eine etwas
das Bild einer Frau gezeichnet, die regen
bizarr anmutende Szene einer von Dr. Krafft-
Anteil an der Gründung der Secession
Ebing durchgeführten Séance in ihrem
nahm.753 Auch Adolf Loos wird unter die
Salon.757 Aber der eigentlich wichtige Punkt
Gäste ihres Salons gezählt.
an dieser Szenerie ist der Umstand, dass Ber-
754
Neben der Annahme, dass Berta Zucker-
ta Zuckerkandl bereits 1888/89 Kontakt zu
kandl sich als Vermittlerin zwischen ihrem
dem Arzt des zukünftigen Sanatoriums Wes-
Schwager Viktor Zuckerkandl und Josef Hoff-
tend pflegte. Im zweiten Fall berichtet Berta
mann verantwortlich zeigt, lässt sich weiter-
Zuckerkandl von der Bitte Dr. Krafft-Ebings,
hin auch vermuten, dass Viktor Zuckerkandl
ihm bei der Suche nach einem geeigneten
durch die weitreichenden Beziehungen seiner
Sanatorium für seine Arbeiten behilflich zu
Schwägerin von der Existenz des Sanatori-
sein. Sie behauptet des Weiteren, dass sie ihm
ums Westend bei Purkersdorf erfuhr. Einen
eine etwas veraltete Anstalt im Wienerwald
Beleg dafür scheinen zwei Auszüge aus ihren
vermitteln könne,758 womit eigentlich nur das
Autobiografien Ich erlebte fünfzig Jahre Welt-
Sanatorium Westend gemeint sein kann, da
geschichte und Österreich intim zu geben.
dies das einzige bekannte Sanatorium ist, in
Die Protagonisten dieser Episoden sind
dem Dr. Krafft-Ebing während seiner Wiener
jeweils Berta Zuckerkandl und Dr. Krafft-
Zeit praktizierte. Berta Zuckerkandls Über-
Ebing, der laut Berta gemeinsam mit ihrem
lieferungen sind aus verschiedenen Gründen
Ehemann Emil Zuckerkandl 1888 nach Wien
stets kritisch zu hinterfragen. Der Umstand,
berufen wurde. Emil Zuckerkandl hatte end-
dass sie ihre Lebensgeschichte in Form von
lich eine Anstellung als Anatomieprofessor
Tagebüchern veröffentlichte, die sie nachträg-
an der Wiener Universität erhalten
und Dr.
lich aus ihren Erinnerungen rekonstruierte,
Krafft-Ebing war zur Behandlung des labilen
verursachte einige Verschiebungen in den
Kronprinzen Rudolf von Graz nach Wien
Datierungen. Demnach lässt sich schließen,
beordert worden. William Johnston gibt das
dass die angegebenen Daten ungenau oder
Jahr 1889 für die Ankunft Dr. Krafft-Ebings
nicht ganz korrekt gesetzt sind, jedoch kann
in Wien an. Johnstons Ausführungen muss
man den groben Abläufen vermutlich
755
mehr Glauben geschenkt werden, da Berta
753 Meysels ²1984, S. 77-83 und Zuckerkandl 1970, S. 31–37. 754 Schiferer 1985, S. 86. 755 Lipp 2002, S. 6.
756 Johnston 1974, S. 239f. 757 Szeps-Zuckerkandl 1939, S. 165f. Eric Kandel gibt Dr. Krafft-Ebing zumindest als Gast von Berta Zuckerkandls Salon an. (Kandel 2012, S. 53.) 758 Zuckerkandl 1970, S. 52–55.
237
238
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Vertrauen schenken; auch wenn es sich dabei
ihren implizierten Anforderungen an eine
stets um eine subjektive Schilderung der
ökonomische Nutzung erprobten Josef Hoff-
Geschehnisse handeln muss. Der Familie
mann.
Zuckerkandl war somit vermutlich das
Die Zielgruppe wird auch von Axel Hub-
Grundstück des Sanatoriums Westend schon
mann indirekt umschrieben, wenn er von
circa zehn Jahre vor seiner Erwerbung durch
einer „Kuranstalt höchster Ansprüche in
Viktor Zuckerkandl bekannt.
Bezug auf Komfort und Luxus“ spricht.760
Die Auftragsvergabe muss sehr schnell
Zunächst fällt die Deklarierung als Kuran-
erfolgt sein, da Axel Hubmann, der ehema-
stalt auf. Ein Erholungsheim wurde ange-
lige Landeskonservator von Niederöster-
strebt und nicht etwa eine Heilanstalt, die
reich, in seinem Aufsatz über die Bau- und
sich der Gesundung einer spezifischen
Restaurierungsgeschichte des Sanatoriums
Krankheit verschrieben hatte. Das Sanatori-
davon spricht, dass bereits bei der Gründung
um sollte vielmehr Abwechslung zum Stadt-
der Wiener Werkstätte Josef Hoffmann an
leben bieten und mit dem gewohnten Kom-
der Planung des Sanatoriums arbeitete.
759
fort der Großstadt den Genuss von Luft und
Mit der Wahl Josef Hoffmanns hatten Viktor
Licht und die Labsal an der Ruhe der Natur
beziehungsweise Berta Zuckerkandl für das
und des Landes ermöglichen. Leslie Topp
Sanatorium eine Zielsetzung formuliert.
benennt exakt, dass Neurasthenien, Depres-
Hoffmann war bis dahin überwiegend durch
sionen und Hypochondrien zum Behand-
seine gestalterische Tätigkeit bei den Aus-
lungskreis des Sanatoriums Purkersdorf
stellungen der Secession aufgefallen und
gehörten. Gleichzeitig wurde jegliche Art von
ebenfalls durch seine kostspieligen Wohn-
schwerer geistiger Krankheit – von Topp als
welten der Villen auf der Hohen Warte in
„mental illness“ bezeichnet – ausgeschlossen,
Wien-Döbling, die er für Künstlerkollegen
da dadurch meistens auch keine freiwillige
wie Carl Moll und bürgerliche Mäzene wie
Einstellung des Patienten mehr gegeben
die Familie Henneberg erbaute und bis ins
war.761 Der Besuch des Sanatoriums Purkers
kleinste Detail plante.
dorf und die damit zu vermutenden erhebli-
Diese Art von ‚Vorbelastung‘ lässt vermu-
chen finanziellen Aufwendungen werden
ten, dass Viktor Zuckerkandl sich bewusst
jedoch auch dazu geführt haben, dass es sich
für Josef Hoffmann als Architekten ent-
vielmehr um eine exklusive Erholungsstätte
schied. Wahrscheinlich nicht nur aufgrund
mit gesellschaftlichem Anschluss handelte
der Empfehlungen seiner kunstversierten
als um eine essenziell medizinische Einrich-
Schwägerin, sondern aus rein wirtschaftli-
tung, die dazu gedient hätte, Menschen erst
chen Erwägungen, eine bestimmte Klientel
wieder gesellschaftsfähig zu machen. Gott-
anzusprechen, die bereits zum Kundenkreis
fried Mayer sieht im Sanatorium vorrangig
Hoffmanns zählte, entschied er sich für den
einen „Treffpunkt von toute Vienne“.762 Des
bis dahin nicht durch öffentliche Bauten mit
759 Hubmann 2003, S. 46.
760 Hubmann 2003, S. 46. 761 Topp 2004, S. 66. 762 Mayer 2003, S. 36.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Weiteren wird ein Gästepanorama aus wich-
sung der speziellen Behandlung an die Be-
tigen Persönlichkeiten Wiens beschrieben,
sonderheiten des Falles. Zarte, jedoch
das Repräsentanten der Kunst, Wissenschaft
konsequente psychische Beeinflussung,
und Politik umspannte. Mayer nennt Gustav
genaue, wenn auch nicht allzu pedanti-
Mahler, Arthur Schnitzler, Arnold Schön-
sche Beaufsichtigung des Anstaltlebens
berg, Hugo von Hofmannsthal und Joseph
haben uns die Möglichkeit geschaffen, den
Roth, um nur einige der berühmten Gäste
überlieferten Ruf unserer Anstalt als Ner-
aufzuzählen, die zumindest zum Teil ebenso
ven-Heilstätte zu erhalten und man darf
als Habitués des Salons von Berta Zucker-
wohl sagen auch zu kräftigen. Durch be-
kandl überliefert sind.763 Im Jahresbericht
sondere Auswahl des Krankenmaterials
des Sanatoriums Purkersdorf von 1911 defi-
ist es uns auch gelungen, uns von dem
niert Dr. Ludwig Stein den Patientenstamm
Verdachte frei zu halten, daß auch Geis-
aus medizinischer Sicht wie folgt:
teskranke die Anstalt bevölkern.“764
„Das gesamte krankenmaterial kann man
Des Weiteren heißt es dort zur Behandlung
in drei große Gruppen teilen:
von Nervenerkrankten oder Depressiven:
1. Nervenkranke, die ungefähr die Hälfte des Gesamten ausmachen. Geisteskranke
„Die Behandlung der Depressionszustän-
sind absolut ausgeschlossen.
de richtet sich im allgemeinen nach der
2. Magen-, Darm- und Stoffwechselkranke
besonderen Art derselben. Wir müssen
sowie Anämien und Unterernährungen.
auch in therapeutischer Hinsicht zwei
3. Herzkranke.
Hauptformen auseinanderhalten. Zu ei-
Was die Behandlung von Nervenkrank-
ner Gruppe gehören jene Formen von
heiten betrifft, so gilt, seitdem der Geni-
Depression, deren Wesen sich durch in-
us unseres Altmeister von Krafft-Ebing
nere Unruhe kennzeichnet. Letztere setzt
über Purkersdorf zu walten begann, der
sich aus verschiedenen Stimmungsnuan-
gemeinsam mit weiland Dr. Löw vor 25
cen zusammen. Bald sind es Grübeleien
Jahren unsere Anstalt ins Leben rief, der
schwarzseherischer Natur, bald wieder
Grundsatz des Individualisierens: Anpas-
Selbstvorwürfe und Selbstanklagen, die das Gemüt solcher Patienten bewegen. Energielosigkeit, Mutlosigkeit und Lebens
763 Mayer 2003, S. 36. Gunter Breckner gibt des Weiteren an: „Aus den Recherchen von Irene Etzersdorfer und der von ihr zitierten Historikerin Brigitte Hamann wissen wir auch einiges über die Vorgeschichte, unter anderem, daß sich das ‚intellektuelle und künstlerische Wien‘ im Sanatorium Purkersdorf getroffen hat. Arthur Schnitzler und Egon Friedell spielten Tennis und diskutierten über Psychoanalyse, Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Hugo von Hoffmannsthal und Kolo Moser erschienen häufig als Gäste des Hauses.“ (Breckner 1996, S. 16.)
überdruß vervollständigen das Bild, das nicht selten auch noch von Hypochondrien schwerster und unkorrigierbarster Art beherrscht wird.“765
764 Dr. Stein 1911, S. 4f. 765 Dr. Stein 1911, S. 13. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.
239
240
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass
stand somit im direkten Kontext zu den Prak-
dadurch eine zweifache Funktion des Gelän-
tiken, die am Sanatorium Purkersdorf prä-
des bei Purkersdorf entsteht. Zum einen stell-
feriert wurden. Das Fahrrad lässt sich des
te das Sanatorium Purkersdorf eine rentable
Weiteren in vielerlei Zusammenhänge zum
Investition für Viktor Zuckerkandl dar und
Sanatorium setzen. Es vermittelte ein neues
zum anderen entwickelte es sich zum idea-
Körpergefühl. Man hielt sich bei körperlicher
len Treffpunkt aller Bekannten der Familie
Betätigung unter der Sonne auf und strebte
Zuckerkandl. Die zuletzt genannte Nutzung
ein Jugendgefühl an, das ebenso mit der
benennt auch Gunter Breckner in seiner
Geschwindigkeit des Fahrrads assoziiert wur-
Diplomarbeit von 1982.766 Dafür spricht auch
de, aber auch negativ ausgelegt werden konn-
die Tatsache, dass die Familie Zuckerkandl
te, indem man es mit der Nervosität der
sich bereits 1908 auf dem Gelände des Sana-
Stadtkultur verband, die ja erst einer Insti-
toriums Purkersdorf vom Architekten Leo-
tution wie der des Sanatoriums zur Seelen-
pold Bauer Villen erbauen ließ, die sowohl
beruhigung
Wohnraum für die Familie als auch ausrei-
benennt ferner die damalige Erwartungshal-
chend Platz für die umfangreiche Sammlung
tung ans Fahrrad als Mittel zur Nervenstär-
von japanischen Holzschnitten boten.
kung.769 Interessanterweise gehörte das Pub-
767
bedurfte.
Joachim
Radkau
Neben dem medizinischen Konzept der
likum des Sanatoriums Purkersdorf auch zu
Gesundung durch Licht und Luft, das zum
den Radfahrern. Berta Zuckerkandl und
einen durch die Architektur und zum ande-
Arthur Schnitzler traten zum Beispiel der
ren durch den dazugehörigen Park verwirk-
Radfahrer-Union Vorwärts bei.770
licht wurde, stockte man das Angebot des
Hervorgehoben wird, dass der Gästestamm
Sanatoriums Purkersdorf um Tennisplätze
des Sanatoriums sich überwiegend aus der
und dem allseits beliebten, damals jedoch
zweiten und dritten Generation des aufstre-
noch elitären Radsport auf. Zu dieser Zeit
benden liberalen Bürgertums rekrutierte.771
entstanden bycicle-Vereine und es wurde in
Stefan Zweig als einer der bekanntesten Wie-
Wien Mode, am Sonntag über die Hauptal-
ner dieser Generation beschreibt in seinem
lee des Praters mit dem bycicle zu flanieren
autobiografischen Roman Die Welt von Ges-
und nicht mehr – wie vorher – im Fiaker zu
tern die Denkwelt dieser Generation:
fahren.768 Das Fahrrad repräsentierte um 1900 noch ein Luxusgut und war nur für
„In diesem rührenden Vertrauen, sein
wohlhabende Kreise erschwinglich. Neben
Leben bis auf die letzte Lücke verpalisa-
dem Statussymbolcharakter des Fahrrads
dieren zu können gegen jeden Einbruch
und seiner fortschrittlichen Maschinengesin-
des Schicksals, lag trotz aller Solidität und
nung konnte man es auch gut mit der
Bescheidenheit der Lebensauffassung eine
‚Frischluftphilosophie‘ verknüpfen und es
große und gefährliche Hoffart. Das neun-
766 Breckner 1982, Punkt 3. 767 Demarle 1985, S. 10. 768 Mayer 2003, S. 38.
769 Radkau 2001, S. 69. 770 Sandgruber 1986, S. 285–303. 771 Mayer 2003, S. 38.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
zehnte Jahrhundert war in seinem libera-
Vater Moritz Szeps gründete das Neue Wie-
listischen Idealismus ehrlich überzeugt,
ner Tageblatt, in dem Berta Zuckerkandl als
auf dem geraden und unfehlbaren Weg
Kunstkritikerin die Möglichkeit bekam Tex-
zur ‚besten aller Welten‘ zu sein. Mit Ver-
te zu veröffentlichen.774 In jenen Salons, oder
achtung blickte man auf die früheren Epo-
in kleinen Oasen wie dem Sanatorium Pur-
chen mit ihren Kriegen, Hungersnöten
kersdorf, erbaute man sich ein Stück der ‚bes-
und Revolten herab als auf eine Zeit, da
seren Welt‘, die sich, wie Stefan Zweig beton-
die Menschheit eben noch unmündig und
te, über den Fortschritt definierte. Der
nicht genug aufgeklärt gewesen. Jetzt aber
Sanatoriumsbau von Josef Hoffmann aus den
war es doch nur eine Angelegenheit von
Jahren 1903 bis 1905 wollte exakt dieser
Jahrzehnten, bis das letzte Böse und
‚Religion des Fortschritts‘ einen Raum schaf-
Gewalttätige endgültig überwunden sein
fen. Hier versammelten sich die Anhänger
würde, und dieser Glaube an den ununter
des Glaubens an ‚Wissenschaftskunde‘ und
brochenen, unaufhaltsamen ‚Fortschritt’
‚Progress‘. Das Bauwerk selbst sowie seine
hatte für jenes Zeitalter wahrhaftig die
Bewohner verkörperten ein gesellschaftliches
Kraft einer Religion; man glaubte an den
Konzept, das die Zeit des Fin de siècle oder
‚Fortschritt‘ schon mehr als an die Bibel,
Commencement de siècle in Wien prägte und
und sein Evangelium schien unumstöß-
das als seine treibende Kraft anzusehen war.
lich bewiesen durch die täglichen neuen Wunder Technik.“
der
Wissenschaft
und
der
Ganz frei von Pragmatismus lässt sich das Unternehmen
Sanatorium
Purkersdorf
jedoch nicht in seiner Gänze erfassen. Ver-
772
schiedene Unstimmigkeiten, die bei der endStefan Zweig zeigt an dieser Stelle seiner
gültigen Abnahme durch den Betreiber
Lebenserinnerungen sehr klar das Selbstbe-
Viktor Zuckerkandl wohl aufgrund der
wusstsein dieser Wiener Schicht auf, die man
immensen Kosten entstanden waren, führten
wohl mit der Klientel, die das Sanatorium
zu mehreren Prozessen. Josef Hoffmann
Purkersdorf frequentierte, gleichsetzen kann.
berichtet etwas überzeichnend von Antipa-
Die Generation der Väter hatte sich einen
thien zwischen Zuckerkandl und Wärndor-
gewissen Standard erarbeitet, den jetzt deren
fer, dem Finanzier der Wiener Werkstätte,
Kinder genossen. In diesem Zusammenhang
und dass diese persönlichen Abneigungen
wäre auch die Tätigkeit Berta Zuckerkandl
zu einer völligen Einstellung der Zahlungen
zu interpretieren, die durch ihren Salon und
vonseiten Zuckerkandls geführt haben sol-
als Gastgeberin im Sanatorium Purkersdorf
len. Als Begründung war die mangelhafte
in Erscheinung trat,
nachdem sie sich über
Solidität des Gebäudes herangezogen wor-
das Schreiben von Artikeln einen Namen
den, die sich spätestens bei der Aufstockung
gemacht hatte und Einlass in den von ihr
des Sanatoriums durch Leopold Bauer, die
erwählten secessionistischen Kreis fand. Ihr
im Rahmen der Restaurierungen in den
772 Zweig 2005 (1942), S. 17. 773 Mayer 2003, S. 37f.
774 Mayer 2003, S. 37. Vergleiche dazu Schweiger 1982, S. 9.
773
241
242
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
1990er-Jahren wieder abgetragen wurde,775
Gebieten ringen heftig mit den Problemen
als vollkommen inhaltslos erwies. Zucker-
der Zeit, und dieser Kampf läßt ihnen we-
kandl verlor alle Zahlungsaufforderungskla-
nig Muße, sich irgendwelcher Sentimen-
gen. Er musste nach Josef Hoffmanns Aus-
talität hinzugeben. Unbeengt durch die
sagen allen Firmen das eingeklagte Honorar
Überlieferung dringen sie vorwärts, sie
auszahlen.
Es ist jedoch unwahrscheinlich,
schließen keine Kompromisse mit unsach-
dass ein Unternehmer aufgrund von persön-
lichen Gesichtspunkten, sie stellen ihre
lichen Ab- oder Zuneigungen sein Zahlungs-
ganze Tatkraft und Intelligenz in den
verhalten ausrichtet. Eine für Hoffmann typi-
Dienst ihrer fortschrittlichen Ideen. Und
sche Überziehung des gesetzten Budgets
in diesem Sinne sind sie so modern und
scheint als Ursache für die Unstimmigkeiten
populär.“778
776
zwischen Auftraggeber und ausführenden Firmen viel wahrscheinlicher.777 Das Bild des
Dieses Zitat lässt sich primär auf Josef Hoff-
Künstlers als eines Kultur- und Gesellschafts-
mann als Secessionskünstler und Schüler
erziehers bedingt geradezu eine rigide Tren-
Otto Wagners übertragen. Ebenso aber könn-
nung des Auftraggebers von seiner Entschei-
te man diese Beschreibung eines ‚modernen
dungsgewalt und provoziert regelrecht eine
Gestalters‘ auch auf den Auftraggeber Viktor
damit einhergehende Entmündigung Hoff-
Zuckerkandl projizieren, der sich mit seinen
mann’scher Kunden. Dadurch ist ein gewis-
geschäftlichen Investitionen in Eisen779 und
ses Konfliktpotenzial vorprogrammiert.
in ein innovatives Sanatorium den Grund-
Dieser Aspekt soll mit einem Zitat von Hermann Muthesius enden, das den Kern
sätzen von Funktion, Material und ‚Ehrlichkeit‘ verschrieb.780
des Unternehmens Sanatorium Purkersdorf umschreibt, aber sich eigentlich der Definition eines dem Fortschritt huldigenden und dem Modernsein sich verschreibenden Personenkreises widmet: „Verkehrsmittel und Maschinen, Eisenbahnen, Brücken, Dampfschiffe, elektrische Anlagen, wissenschaftliche Instrumente sind das Neue, das unsere Zeit geboren hat. Die Gestalter auf diesen
775 776 777
AK 10 Jahre 1996, S. 48f. Hoffmann 1972, S. 116f. Leider befand sich zu dieser Problematik kein Briefverkehr im Josef Hoffmann-Nachlass der Universität für angewandte Kunst in Wien. Demnach sind die Aussagen Hoffmanns nur schwer nachzuvollziehen, geschweige denn zu beweisen.
778 Muthesius 1976, S. 42. 779 Die Verwendung von Eisen hatte sich bisher den Wienern überwiegend in Gebäuden präsentiert, denen man einen gewissen Ingenieur- und Technikcharakter zuschreiben könnte, nämlich zum einen durch den bei der Stadtbahn verwendeten Eisenbeton und zum anderen durch das eiserne Riesenrad im Prater von 1897. (Ginhart 1948, S. 182f.) Zu dieser Aufzählung lässt sich auch der eiserne Dachstuhl des 1820 in Wien errichteten Dianabads zählen. (Platz ²2000, S. 17.) 780 Vergleiche in diesem Zusammenhang Leslie Topps Äußerungen zur ihrer Meinung nach „designed truth“ für das Sanatorium Purkersdorf. Sie geht von einer Wahrheit aus, die nicht alleine im Sinne einer faktischen, wissenschaftlich beweisbaren Wahrheit für das Gebäude zu fassen sei, sondern vielmehr eine Schaffung von „utopian truths“ durch das Design des Gebäudes darstelle. Nicht etwa die empirische Belegbarkeit der kurierenden Wirkung des Sanatoriums Purkersdorf zähle, sondern bereits seine von Beginn an mitgedachte Gestaltung im Sinne einer utopischen Wahrheit
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Eine Generation mit „Formgefühl“ und deren ‚Gemütsarchitektur‘
teten. Josef Hoffmann und Koloman Moser als Designer, Anton Ziprosch und Franz Gloser als Tischler und zum Teil die Firma Kohn
Nachdem nun klar geworden ist, um welchen
bedachten alles: angefangen bei den einfachen
Typus von ‚Ich‘ es sich beim Patienten oder
Wegen und dem leichten Orientieren im
temporären Bewohner des Sanatoriums Pur-
Gebäude bis hin zu kleinen Details.783
kersdorf sowie des Baukünstlers als auch des
Geht man davon aus, dass Hoffmann die
Auftraggebers handelte, soll nun zugespitzt
berühmten Theorien kannte, die voraussetzen,
werden auf die ‚Bau-Ikonografie’ des Hoff-
dass die menschlichen Sinneswerkzeuge mit
mann-Pavillons. Bei Lipps heißt es:
ihren Nervenbahnen nicht nur als intervenierende Medien dienen, sondern auch aktiv
„Im ästhetischen Objekt ist das Sinnliche
Empfindungen durch ihre Beschaffenheit der
jederzeit ‚Symbol‘ eines seelischen Inhal-
Wahrnehmung produzieren,784 ergeben sich
tes; es ist belebt und beseelt. Dadurch erst
aufschlussreiche Beobachtungen für das Sana-
wird es zum ästhetischen Objekt und zum
torium Purkersdorf als Bauwerk und dessen
Träger eines ästhetischen Wertes.“
Ausstattung durch die Wiener Werkstätte.
781
Ebenso wie Robert Vischer eine UnterscheiIn diesem Sinne soll im Folgenden jene ein-
dung zwischen „einfachem Sehen“ und
gefühlte oder beseelte Symbolik des Sanato-
„Schauen“ aufstellte,785 soll das einfache Sehen
riums Purkersdorf hermeneutisch gelesen wer-
im Mittelpunkt der Beobachtungen zum Mas-
den. Ein Sanatorium stellt aufgrund seiner
sivbau stehen und das Schauen, als eine Kom-
Funktion besondere Bauaufgaben an einen
bination aus einem Rhythmus von Auge und
Architekten. Josef Hoffmann hat in Bezug auf
Hand, als Grundlage zur Erfassung des Mobi-
Möbel davon gesprochen, dass man „den
liars dienen. Einige Beobachtungen formen
jeweiligen Zweck und das Material berück-
sich jedoch auch als eine Verschränkung bei-
sichtigen sollte“.782 Diese Aussage lässt sich
der Wahrnehmungstypen aus. Bei Lipps heißt
ebenso auf die Architektur des Hoffmann-Pa-
es in seiner Grundlegung der Ästhetik:
villons übertragen. Das Sanatorium Purkersdorf wurde offensichtlich für seine therapeu-
„Die Höhe der Lust unterliegt zwei Be-
tische Funktion konstruiert. Hoffmann
dingungen. Einmal: Es müssen in der Na-
erbaute und möblierte Räumlichkeiten, die
tur der Seele günstige Bedingungen für
den Bedürfnissen der Klientel des Sanatori-
die Apperzeption eines Vorganges liegen.
ums entsprachen und zusätzlich eine effekti-
Und zum anderen: Es muss diesen Bedin-
ve Nutzung durch den Kurbetrieb gewährleis-
gungen Gelegenheit gegeben sein, sich wirksam zu erweisen. Dies letztere aber ist der Fall in dem Maße, als in der Seele
und seine faktische Nutzung als Sanatorium legitimiere es als Teil der Behandlung von nervösen Krankheiten. (Topp 2004, S. 83-86.) 781 Lipps 1903, S. 96. 782 Hoffmann 1901, S. 201.
783 Schweiger 1990, S. 37 und Takyo 1996, S. 198. 784 Vergleiche dazu Wagner 2009, S. 52. 785 Wagner 2009, S. 61 und Braungart 1995, S. 198.
243
244
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
etwas geschieht, das auf das Apperzipiert-
Das Friesband aus Keramik-Quadraten
werden Anspruch erhebt. Oder kurz, die
erlangt demnach auch in Bezug auf die Ein-
zweite Bedingung für die Höhe des Ge-
fühlungstheorie eine Erweiterung seiner ver-
fühles der Lust ist die psychische Quanti-
meintlich rein dekorativen, stilistischen Posi-
tät oder Größe der seelischen Gescheh-
tion.788 Das Band bündelt in sich die Blicke
nisse, Erregungen, Vorgänge.“786
und rahmt dadurch erst die Flächen. Der Hoffmann-Pavillon weist somit eine Formen-
Dieses Zitat beweist, dass Lipps sich der Sub-
sprache auf, die sich auf subtile Art und Wei-
jektivitätsanteile seiner Theorie bewusst war
se mit dem „Formgefühl“789 des Besuchers
und nun gilt es im Folgenden en détail zu
oder Patienten verbindet. Über den einfüh-
klären, inwiefern das Sanatorium Purkers-
lenden Blick des ‚Patienten‘ vermittelt der
dorf genau jene „Bedingungen der Seele“ zur
architektonischen Rahmen eine „psychische
Wahrnehmung günstig beeinflusste.
Stauung“ im unrettbaren Ich. Schon am
Von außen betrachtet umschreiben die
Äußeren lässt sich demnach eine klar struk-
Quadratbänder am Sanatorium vor allem
turierte und Orientierung gebende Welt im
Ränder (Abb. 39 bis 40). Im Sinne einer Fas-
Inneren des Bauwerks vermuten.790
sung der weißen Wandflächen und Negativ
Dieser festigende Effekt wird kombiniert
flächen der Fenster bilden sie eine Verfesti-
mit der Leichtigkeit des Materials Glas und
gung für das Betrachterauge. Zur Rolle des
der Flächen, die zum einen durch die weiße
Randes schreibt Lipps:
Farbwahl und zum anderen durch die Verschleierung der Tektonik im Bereich der Bal-
„Dieser Gegensatz oder Kontrast [von der
kone (Abb. 38 und 40) erzeugt und verein-
Fläche und ihrem Rand; LT] nun macht,
heitlicht oder vergrößert werden. Neben
daß der Rand nicht so in der Umgebung
dieser gegensätzlichen Verknüpfung von
‚sich verlieren‘ kann, wie die inneren Tei-
Wirkungen soll auch noch mal die Bezie-
le der Fläche in ihrer Umgebung ‚sich ver-
hung von quadratischen und rechteckigen
lieren‘ können. Der Rand, so können wir
Formen in Bezug auf Lipps Auslegung dieser
dies auch ausdrücken, ist im Vergleich zu
Geometrien aufgegriffen werden. Zunächst
seiner Umgebung etwas ‚Neues‘. […] Die psychische Bewegung, die Aufmerksamkeit, die apperzeptive Tätigkeit, macht an dem Rande Halt. […] Es entsteht also am Rande eine ‚psychische Stauung‘. […] Der Rand ist in gewisser Weise das Ganze. Das Ganze hat in ihm einen ‚apperzeptiven Schwerpunkt‘.“787
786 Lipps 1903, S. 30. 787 Lipps 1903, S. 61.
788
Die zeitgenössische Sicht auf die Secession als eine ausnahmslos ästhetische Bewegung ist präzise dargestellt bei Schorske 1985, S. 47–56. Eine rückblickende und relativierende Perspektive zu dieser Position ist nachzulesen bei Gorsen 1985, S. 69–92. 789 Lipps 1903, S. 29. 790 Gunter Breckner stellt in diesem Zusammenhang fest: „Kontrast erzeugt sinnliche Reize. […] Blaue Umrandungslinien und Kachelreihen grenzen die Flächen an den Kanten scharf ab. […] Das Schachbrett ist die extremste Form eines Zusammenspiels zwischen Kontrast und Rhythmus.“ (Breckner 1985, S. 84.)
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
handelt es sich beim Korpus des Hauses um
rendes Moment in Sicht gestellt und die
ein „liegendes“ Rechteck,
Grundlage für eine Rekonvaleszenz fördern-
791
während die
Fenster sich als „liegende“ mit Untereinhei-
de Stimmung geschaffen.
ten von „stehenden“ Rechtecken ausformen,
Im speziellen Fall der Fenster lässt sich
die teilweise wiederum aus Quadraten – rich-
eine weitere Quelle neben Lipps Theorien
tungslose Gebilde – bestehen. Zunächst fällt
für Hoffmanns Formenkanon feststellen.
auf, dass auch Lipps in seiner Ästhetik mit
August Endell veröffentlichte 1898 in einem
den Adjektiven „liegend“ und „stehend“
Artikel der Zeitschrift Dekorative Kunst eine
Positionen umschreibt, die vor allem durch
Untersuchung zu verschiedenen Fensterfor-
die Körperhaltung für den Menschen klar
men und deren Einfluss auf die Wahrneh-
nachvollziehbar sind. Das Quadrat oder der
mung der Fassade durch ein Subjekt.795
Quader steht bei Theodor Lipps für eine
Zeynep Celik Alexander fasst die Absicht
Metapher des Steins. Er sieht zunächst eine
des Artikels zusammen:
nach allen Seiten hin gleichwertige Wirkung gegeben, die durch die Reihung in der Höhe
„Jede Form, beharrte Endell, übe einen un-
oder Breite negiert werden kann.792 Die
mittelbaren emotiven Effekt, eine Gefühls-
Wahrnehmung des Gebäudekörpers wird
wirkung auf das wahrnehmende Subjekt
dominant liegend oder ruhend ausgeformt,
aus, und es sei die Aufgabe des Architek-
was sich vor allem durch die Präferenz der
ten, die Variationen dieser Wirkungen so-
horizontalen Linie vermittelt. Lipps spricht
wohl zu verstehen als auch angemessen
bei jener Linie von einer „Linie des Gleich-
anzuwenden.“796
gewichts“, die sich durch die Bewegungslinie zwischen den Richtungen Links und
Erstens wird demnach von Endell eine deut-
Rechts ausgeglichen erstreckt.793 Der gesam-
lich expressive Autorität der Objekte auf das
te Hauskörper umschreibt die Form eines
Gemüt eines Subjektes formuliert und zwei-
Quaders, der ebenso nach Lipps einen
tens deklariert er den Architekten als einen
„lagernden“ Charakter besitzt und folglich
Anwender und Regisseur dieser Eindrücke
eine
Rastens
oder Impressionen. Des Weiteren spricht
Metapher
umschreibt.
des
sicheren
Eine Dominanz der Ent-
Alexander von „magnetischen Kräften“ und
schleunigung der Formen des Objektes und
„strahlenden Kraftlinien“ und „vor Energie
demgemäß auch der „Formgefühle“ im Sub-
vibrierenden Gestaltungen“ bei Endells Wer-
jekt wird am Außenbau des Sanatoriums
ken.797 Vergleicht man die Abbildung des
Purkersdorf dominant ersichtlich. Dem sich
Artikels von 1898 zu den Fensterformen
von der Stadt nähernden ‚nervösen Ich‘ wird
(Abb. 68) mit den Fenstervarianten des Sana-
insofern schon aus der Ferne ein retardie-
toriums Purkersdorf (Abb. 3, 38 und 40), wird
794
die Verwandtschaft der Ansätze überdeut791 Lipps 792 Lipps 793 Lipps 794 Lipps
1903, 1906, 1903, 1906,
S. S. S. S.
66. 528f. 240. 528f.
795 Endell 1898.2, S. 119–125. 796 Alexander 2009, S. 222. 797 Alexander 2009, S. 224.
245
246
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 68: August Endell: Fensterformen, vermutlich 1898
Entwurf eines Idealen Tuberkulose-Sanatoriums von Karl Turban von 1902. Die Fensterentwürfe zeichnen sich vor allem durch
lich. Bedenkt man nun den Satz Endells:
eine Vielzahl der Öffnungsmöglichkeiten aus
„Die Form weckt unmittelbar das Gefühl,
und ermöglichen eine hohe Abstufung der
wir wissen von keinem dazwischenliegenden,
Frischluftzufuhr; ebenso wie es auch bei den
psychischen Ereignis“798, wird der Aufsatz
Fenstern am Sanatorium Purkersdorf mög-
Endells zur evidenten Quelle für die Verbrei-
lich ist.800 In Bezug auf jene Fensterbehand-
tung der emotiven Orientierung von Archi-
lung sieht Kenneth Frampton eine Vorbild
tektur zur Jahrhundertwende.
Leslie Topp
rolle Hoffmanns für Loos gegeben. So sieht
nennt als weitere Quelle für die Fensterkon-
er in der kleinteiligen quadratischen Fens-
struktionen des Sanatoriums Purkersdorf den
terrasterung der bay windows des Hauses
799
am Michaelerplatz (Abb. 4) eine Einfluss798 Endell 1898.1, S. 76. 799 Leslie Topp nennt weitere Quellen für die Fensterkonstruktionen. (Topp 2004, S. 76–78 und Topp 1997, S. 421f.) Auch Karin Thun-Hohenstein zieht Parallelen zwischen dem Entwurf Endells und dem Sanatorium Purkersdorf. (Thun-Hohenstein 2015, S. 93f.)
nahme durch Josef Hoffmann gegeben.801 Loos selbst betonte für die Fenster am Haus am Michaelerplatz, dass sie dazu dienten, 800 Topp 2004, S. 76f. 801 Frampton 1996, S. 19f.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Abb. 69: Adolf Loos: Haus Scheu, Gartenfassade, 1912–1913, Wien XIII., Larochegasse 3, Fotografie von Martin Gerlach Jun., Albertina, Wien
Zum Innenbau schrittweise überleitend, geht es aber vor allem darum, den Begriff
mehr „Licht und Luft“ ins Innere des Gebäu-
der Gestimmtheit näher zu umreißen. Es
des zu lenken.802 Fast noch konsequenter fin-
gelten genau die Beziehungen von Raum und
det sich diese Parallelisierung an den Fens-
Ich, das in diesen gestellt wird und sich in
tern des Hauses Scheu in Wien (Abb. 69),
ihm bewegt, für das Sanatorium Purkersdorf
das von 1912 bis 1913 deutlich nach dem
zu erörtern. So heißt es bei Lipps:
Sanatorium Purkersdorf entstand. Sowohl die Aufteilung in unten größere und oben
„So ist überhaupt die willkürliche, sei es tat-
kleinteiliger Glasflächen, die separaten Öff-
sächliche, sei es lediglich gedankliche Her-
nungsmöglichkeiten und das Variieren von
beiführung einer körperlichen Verfassung,
gleichen Modulen, um eine Vielzahl von
der willkürliche, sei es äussere, sei es nur
Fenster- bis zu Türversionen zu erlangen,
gedankliche Vollzug von Bewegungen, Stel-
erinnert stark an die Fensterkonzeptionen
lungen, Haltungen, welche eine bestimmte
Hoffmanns.
innere Zuständlichkeit oder Verfassung des Gemüts charakterisieren, ein Mittel, mich
802 Loos 2010 (1910.4), S. 388.
in diese innere Verfassung hinein zu verset-
247
248
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
zen. Dies heisst jedes Mal – nicht dass ich
zip der Ehrlichkeit hat ja dem neuen
die innere Verfassung vorstelle, sondern
Kunstgewerbe jenes überzeugende Geprä-
dass ich sie in gewisser Weise oder in ge-
ge aufgedrückt, das in unserem Maschi-
wissem Grade tatsächlich erlebe. […] nun
nenzeitalter, bei europäisch-amerikani-
handelte es sich nicht um den willkürlichen,
scher Massenproduktion […] Jahrzehnte
sondern um den unwillkürlichen, durch die
lang fast nur noch in Japan zu finden war.
optische Wahrnehmung mir aufgenötigten
Die Sehnsucht nach kunstgewerblicher
Vollzug körperlicher Bewegungen. Es han-
Ehrlichkeit hat schließlich auch bei uns
delt sich um einen zwangsweisen, obzwar
den Umschwung zuwege gebracht. Die
nur gedanklichen, Vollzug derselben. Und
Wiener Werkstätte ist heute vielleicht –
es handelt sich um das volle Erfülltsein von
wir möchten sagen: hoffentlich – nur erst
diesem ‚inneren Tun‘.“803
ein schöner Anfang. Jedenfalls enthält sie die Keime einer Schule der Gesundheit
Genau in diesem Zitat lässt sich die Metho-
für Arbeit und Arbeiter, somit auch für
de des Hoffmann-Pavillons ablesen. Das
das konsumierende Publikum.“805
Gesamtkunstwerk Sanatorium Purkersdorf dient in allen seinen Aspekten der Genesung
Das Bemerkenswerteste an dieser Aussage
seiner Kunden, wobei vor allem der Topos
von Ludwig Hevesi ist die Betonung der
des ‚Nervösen‘ als Behandlungsgrund nach
Arbeit der Wiener Werkstätte als gesund-
damaliger Auffassung eine sowohl physiolo-
heitsfördernd für Hersteller und Nutzer. In
gische als auch psychologische oder senso-
Hinblick auf diese Deutung ist es nur selbst-
rische Beeinflussung benötigte.804 Das Zitat
verständlich, dass die Einrichtung des
Lipps belegt in diesem Zusammenhang die
Sanatoriums Purkersdorf von der Wiener
zeitgenössische Ansicht, Bewegungsabläufe
Werkstätte ausgeführt wurde.806 Einem ganz-
ja sogar gedachte Bewegungsabläufe besäßen
heitlichen Bild, das sich schon bei der Her-
direkten Einfluss auf das Gemüt. Die Nähe
stellung den Paradigmen Ehrlichkeit und
des Sanatoriums Purkersdorf zu dieser
Gesundheit verschreibt, sollte ein äquivalen-
Annahme belegt das folgende Zitat Hevesis
tes Umfeld geschaffen werden. Des Weiteren
über die Ideale der Wiener Werkstätte:
untermauert der Umstand, dass zwei weitere Filialen der Wiener Werkstätte in den Kur
„Ganz im Stillen, ohne das angeblich zum
orten Karlsbad und Marienbad eröffnet
Handwerk gehörige Klappern, ist hier ein
wurden, die Verbindung des Hygiene- oder
kunstgewerblicher Brennpunkt für vernünftiges und geschmackvolles, vor allem aber ehrliches Arbeiten in den verschiedenen Materialien geschaffen. Das Prin-
803 Lipps 1903, S. 134. 804 Siehe grundlegend zum Verhältnis von Medizin und Kunst im Wien um 1900 Kandel 2012.
805 Hevesi 1906, S. 483. 806 Bis auf Möbel, die in großen Stückzahlen benötigt wurden, ist die Wiener Werkstätte als Design- und Produktionsstätte der Inneneinrichtung anzusehen. Im Falle der Möbel mit hohen Stückzahlen – wie zum Beispiel der Schachbrettsessel von Koloman Moser – halfen J. Et J. Kohn, Thonet und Prag-Rudniker mit ihren Produktionsstätten aus. (Brandstätter 2003, S. 118 und S. 120.)
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Gesundheitsideals mit dem Schönheitsideal
angelegt, daß sie nach den Tageszeiten gut
der Wiener Werkstätte.
liegen und in einer Anordnung, die den
Bereits im oben erwähnten Zitat von Her-
menschlichen Funktionen und ihre Tages-
mann Bahr wurde die Metapher des Lichts
einteilung am besten entspricht und mit
bemüht:
dem Leben, das sich im Hause abspielt, gleichsam eine richtige organische Bezie-
„Wir wollen die Fenster öffnen, daß die
hung unterhält.“808
Sonne zu uns komme, die blühende Sonne des Mai. Wir wollen alle Sinne und
Joseph A. Lux nennt mit Recht die Fenster
Nerven aufthun, gierig, und lauschen und
als den essenziellen Part jener Verwirkli-
lauschen. Und mit Jubel und Ehrfurcht
chung von Heilung durch die Beschaffenheit
wollen wir das Licht grüßen, das zur Herr-
von Architektur. Denn bereits Hoffmann
schaft einzieht in die ausgeräumten
definiert das Licht als erste Instanz für einen
Hallen.“807
hygienischen Innenraum, da sich dadurch seiner Meinung nach weniger Krankheitser-
Trotz der symbolischen Überladung des Tex-
reger im Haus festsetzen.809 Der Sanatori-
tes, kann man ihn im Falle des Sanatoriums
umsbau Josef Hoffmanns ist aufgrund seiner
auch ganz praktisch lesen. Da die Lichtver-
Fensterformen und Fensterausrichtungen
hältnisse, wie sie Joseph A. Lux beschreibt,
und die darauf reagierende Raumanordnung
wohl zu den Grundlagen eines Sanatori-
als gebaute Medizin zu definieren. Schon die
umskomplexes zu zählen sind:
Architektur verschreibt sich der übergeordneten Funktion eines Sanatoriums: der Hei-
„Fenster, die wohl gesetzt sind, breit und
lung. Die modernen Materialien Eisen und
bequem, um so viel Licht und Sonne ins
Eisenbeton hatten die monolithische Bau-
Haus zu fassen, als immerhin möglich ist.
weise durchlöchert. Das Glas konnte wieder
Denn, ich bitte, das Haus ist ein Sanato-
als großer Bestandteil der Wand in Erschei-
rium, ein Haus der Gesundheit und, der
nung treten und wurde zu einer wichtigen
verlorenen und wiedergefundenen, und
Komponente der Fassadengliederung.810 Aus
da spielen nicht nur Badeeinrichtungen
dem Zweck heraus, die Helligkeit im Inne-
und sinnreiche Muskelstärkeapparate,
ren eines Gebäudes zu erhöhen, fällt die
sondern auch Luft, Licht und Sonne und
Wahl auf neue Materialien.
die schöne waldgrüne Berglandschaft, die
Dieses Zitat veranschaulicht aber auch,
zu den Fenstern ins Haus und in die See-
dass die Theorie von Dr. Krafft-Ebing sich
len einströmen sollen, eine wichtige Rol-
weiter der Akzeptanz erfreute: Dr. Krafft-
le. Denn dieses ist notwendig – alles Schö-
Ebing vertrat die Meinung, dass man sich in
ne und Gute dient der Gesundheit. Und hinter diesen Fenstern lichte Räume, so
807 Bahr 2004 (1890.1), S. 12f.
808 Lux 1904/1905.2, S. 407. 809 Hoffmann 2002 (1929), S. 15 und Hoffmann 2002 (1934.1), S. 18. 810 Platz ²2000, S. 62 und S. 192–195.
249
250
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
einem nervösen Zeitalter befand, dass den
und Materialwahl zufrieden gestellt wurde,
‚modernen Kulturmenschen‘ über die Kon-
beanspruchte Hoffmann eine Formenwelt
junkturen in den Wissenschaften, Künsten,
am Sanatorium Purkersdorf, die sich aus
im Gewerbe und Handel definierte. Doch
Rhythmik und Proportionierung entwickel-
für diesen Fortschritt bezahle der moderne
te. „Das Ebenmaß der Glieder, die Reihung
Mensch mit seinem gesunden Nervenkleid.
gleicher Teile und die Einheit in Form und
Die Folgen wären Depressionen, Pessimis-
Farbe“817 verband die Architektur mit der
mus, Selbstmord und Geisteskrankheit.811
Einrichtung. So sind es August Thierschs
Krafft-Ebing malt ein Szenario, in dem gan-
Ausführungen zur „architektonischen Com-
ze Bevölkerungsschichten von Existenzfurcht
position“ von 1883, die in manchen Punkten
gezeichnet sind. Aufgrund dieser weit ver-
wie eine Quelle für Josef Hoffmann anmu-
breiteten Erkrankung spricht er von einem
ten. So heißt es in seinem Kapitel über die
„nervösen Zeitalter“.
Proportionen der Architektur:
812
Die Abwendung von
diesem schlechten Lebensbild sieht KrafftEbing in der Rückkehr zur Natur und ent-
„Wir finden durch Betrachtung der gelun-
wickelt ein „Ernährungsprogramm für das
gensten Werke aller Zeiten, dass in jedem
Nervensystem“.
Die Medikamente dieses
Bauwerk eine Grundform sich wiederholt,
Programms sind neben der Nahrung vor
dass die einzelnen Theile durch ihre An-
allem die Qualität von Luft und Wasser sowie
ordnung und Form stets einander ähn
elektrische Kuren.814 Das Sanatorium soll
liche Figuren bilden. Es gibt unendlich
diese Art von Medizin bieten. Eine „Hygiene
viele verschiedene Figuren, die an und für
des Geistes“815 soll auf das Umfeld übertra-
sich weder schön, noch hässlich genannt
gen werden. Das Nervenkleid einer Person
werden
könne nur in einem ‚hygienischen Umfeld‘
entsteht erst durch Wiederholung der
zur Ruhe kommen, und das beschreibt Krafft-
Hauptfigur des Werkes in seinen Unter-
Ebing als fernab von der Großstadt.816
abtheilungen.“818
813
können.
Das
Harmonische
Josef Hoffmann dehnt das für den Menschen hygienisch gesunde Umfeld der Natur
Diese „Wiederholung der Formen des Großen
auf seine Architektur und Inneneinrichtung
im Kleinen“819 praktizierte Hoffmann anhand
aus. Neben dem Zweck, der durch Hygiene
des Sanatoriums Purkersdorf mithilfe der Form des Quadrats. Schon im Rahmen der
811 Krafft-Ebing 1903, S. 1–15. 812 Krafft-Ebing 1903, S. 7. Vergleiche zur modernen Nervosität auch Sandgruber 1985, S. 30–46. 813 Krafft-Ebing 1903, S. 18–21. 814 Krafft-Ebing 1903, S. 161–170. 815 Krafft-Ebing 1903, S. 81. Wie übergriffig und dominant sich jene Therapieform gegenüber dem zu Behandelnden gebärdete, wird von Leslie Topp betont. (Topp 2004, S. 90.) 816 Vergleiche zum Inhalt von Krafft-Ebings Theorien und deren Vorbilder Topp 2004, S. 66–69.
Werkbeschreibung wurden die vielseitigen Durchdringungen des Quadrats am und im Gebäude beschrieben; und wenn es auch keine direkten Beweise für Parallelen zwischen
817 Muthesius 1908, S. 48f. 818 Thiersch 1883, S. 39. 819 Vergleiche dazu Thiersch 1883, S. 59, S. 63 und S. 76f.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Hoffmanns Architektur und Thierschs Theo-
rapie konzipiert wurde und bezeichnet es
rie gibt, einreihen lässt sich Hoffmanns Vor-
weiterhin als „psychological propaganda“.823
gehensweise in Thierschs Beobachtungen ein-
Eine Verbindung von Architektur und Ein-
deutig. Des Weiteren sieht Thiersch in der
richtung wird im Detail durch die Quadrat
Proportion die Grundlage für den Gleichklang
umrandungen und jegliche Ornamentbänder
der Architekturbestandteile und dieser verur-
im Inneren hergestellt. Ebenso wie außen
sacht wiederum die Form der Symmetrie. Das
bilden die Schmuckfriese ein festigendes
heißt, dass sich die Symmetrie aus einer
Gerüst an den Deckenunterzügen des Spei-
Grundform, bei ihm das Maß oder Modul,
sesaals (Abb. 54 und 55). Diese verlaufen
zusammensetzt.820 Hoffmann machte das Qua-
zum Teil sogar vom Deckenbereich hinab bis
drat in Purkersdorf zu seinem Modul und die-
zu den Türrahmen, die wiederum die Trenn-
se Entscheidung führte, Thierschs Ausführun-
linie zwischen vertäfelter und gestrichener
gen belegend, zu einer Symmetrie der
Wand bezeichnen. Sie stellen demnach für
Fassade (Abb. 38), des Grundrisses (Abb. 47,
das Auge nachvollziehbar, fast visuell abtast
49 und 50) und des Querschnittes (Abb. 48).
821
bar, eine Verquickung der Raumebenen dar.
Des Weiteren lässt sich behaupten, dass
Des Weiteren befinden sich auch Qua
ein Gebäude, das seine Behandlungsmetho-
dratbänder in den Zimmern der Kurgäste
den allein durch seine Beschaffenheit schon
(Abb. 70). Diese umranden die oberen Wand-
zur Anwendung brachte, einen wirtschaftli-
bereiche und grenzen einen oberen ‚Luftraum‘
chen Erfolg für seinen Auftraggeber und
vom unteren ‚Bewegungsraum‘ des Zimmers,
Besitzer versprach. Leslie Topp fasst jene
der zumindest in keinem reinen Weiß gestri-
rhetorische Formel des Gebäudes auf fol-
chen wurde. Um welche Farbe es sich konkret
gende konzentrierte Aussage zusammen:
gehandelt hat, ist nur schwer zu bestimmen,
„Hoffmann’s building, then, becomes not just
da es nur Schwarz-Weiß-Fotos gibt, aber auf-
a tool in the physical cure but a device meant
grund der sehr hellgrauen Farbgebung auf
to convince the patient that the cure
dem Foto lässt sich ein abgetöntes Weiß ver-
worked.“
Leslie Topp vertritt sogar die
muten oder ein helles Grau, wie es im Sockel-
Ansicht, dass das Sanatorium Purkersdorf
bereich des Außenbaus zu finden ist. Josef
als ein Instrument oder Werkzeug der The-
Hoffmann sprach 1929 sogar explizit in einem
822
Lexikonartikel Interior Decoration. Modern 820 Thiersch 1883, S. 63. 821 Ein weiterer Verfechter der Symmetrie war Otto Wagner: „Eine einfache klare Grundrißdisposition bedingt meist die Symmetrie des Werkes. Es liegt etwas Abgeschlossenes, Vollendetes, Abgewogenes, nicht Vergrößerungsfähiges, ja Selbstbewußtes in einer symmetrischen Anlage; auch Ernst und Würde, die stetigen Begleiterinnen der Baukunst, verlangen sie. Erst dort, wo Platzform, Zweck, Mittel, Utilitätsgründe etc. die Einhaltung der Symmetrie unmöglich machen, ist eine unsymmetrische Lösung gerechtfertigt.“ (Wagner 2008, S. 69.) 822 Topp 2004, S. 66.
in The Encyclopaedia Britannica von einem „tranquillizing effect“ der Farbe Grau.824 Der ‚Luftraum‘ erfährt ferner durch die Ornamentierung eine deutliche Aufwertung und tritt hierdurch auch erst ins Wahrnehmungsfeld des Kurgastes. Die Höhe des Raumes wird somit erst augenscheinlich und der Luxus der 823 Topp 2004, S. 74, S. 78, S. 84 und S. 95. 824 Hoffmann 1929, S. 487.
251
252
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
durch diesen wähnt sich das Subjekt nicht nur in einem hygienisch, klinisch gesunden Umfeld, sondern fühlt sich gesund oder zumindest gesundend. Betrachtet man den Aspekt der Hygiene näher, rückt insbesondere die Beschreibung der Eingangshalle durch Ludwig Hevesi in den Mittelpunkt. Er spricht in ihrem Falle von einer „weiß lackierten oder verkachelten, waschbaren Welt“.825 Damit meint er vermutlich gerade die bis auf Schulterhöhe mit Porzellanfliesen verkleideten Wände der Eingangshalle (Abb. 53) und Korridore und den ebenso leicht zu reinigenden Fliesenboden. Zugleich untermauern die weiß gestrichenen Wände noch den sterilen Charakter der Räumlichkeiten von innen sowie von außen. Die Farbe Weiß wird auch von Joseph August Lux als die hygienischste Abb. 70: Josef Hoffmann/Koloman Moser: Sanatorium Purkersdorf, Patientenzimmer im 2. Obergeschoss, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien
deklariert, da man mit ihr als Wandfarbe kei-
Raumentfaltung von Licht, Luft und eventu-
Neustreichen der Wände gezwungen sei.826
ell sogar ‚Denkraum‘ wird damit offenkundig.
Wie sehr die Wiener Werkstätte mit dem Ide-
Alle Wandfelder, die in den gemeinschaft-
al der Hygiene verbunden war, verdeutlichen
lich genutzten Räumen und in Berührungs-
auch die Produktionsstätten. Neben den
höhe liegen, sind regelrecht hygienisch ver-
ästhetisch durchorganisierten Arbeitsplätzen
kleidet. Entweder sind sie durch hell
gehörten auch die Einrichtungen englischer
gestrichene Holzvertäfelungen ummantelt
Toiletten und Waschräume zu deren Räum-
oder mit einem Fliesenspiegel versehen. Bei
lichkeiten. Nicht nur im Rahmen der Ver-
beiden Materialien handelt es sich um glatte
kaufsräume war die neue Lebensauffassung
Oberflächen, die auf den Fotografien fast
präsent, sondern auch in den von der Öffent-
leuchtend erscheinen, da sie den Lichteinfall
lichkeit nicht zugänglichen Produktionsstät-
reflektieren. Im Sinne einer abwaschbaren
ten wurde das Prinzip der „Hygiene als
Welt könnte man auch von einer haptischen
Grundlage für die Schönheit“ angewandt.827
ne Verunreinigung der Wände verheimlichen könne und zum regelmäßigen Reinigen oder
Hygiene sprechen, wobei nach Lipps bereits der Anblick für eine einfühlende Tätigkeit des Subjekts in das Objekt genügt. Damit ist gemeint: allein der Anblick der Materialität vermittelt den Eindruck von Hygiene und
825 Hevesi 1909, S. 216. 826 Lux 1905, S. 29. 827 Schweiger 1990, S. 6. Über die Wichtigkeit der Hygiene für die Kultur äußerte sich auch Adolf
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Betrachtet man die Aussage von Dr.
tables Wohnen zu konstatieren.831 Die Auf-
Richard Ernst, dem ehemaligen Vizedirektor
gabe der Hygiene blieb aber nicht allein auf
des Österreichischen Museums für Kunst
den Bereich der Sanatoriumsarchitektur
und Industrie:
beschränkt, sondern breitete sich in Form von allgemeinen Hygienevorschriften in der
„Von Grund aus erneuerte sich die Bau-
gesamten Architektur des 20. Jahrhunderts
kunst am Ende des 19. Jahrhunderts. In-
aus.832 So war es vor dem Hoffmann-Pavillon
nerlich und äußerlich wurde sie anders,
schon die weiß verputzte Fassade des Seces-
sie kam aus einer menschlichen Besinnung
sionsgebäudes von Olbrich, die durch ihre
auf die Notwendigkeit und den Segen von
„Reinheit und Erhabenheit“ im Vorbeigehen-
Licht und Luft, aus der Freude an der hy-
den eine würdevolle oder fast weihevolle
gienischen Vollkommenheit, am bequemen
‚Gestimmtheit‘ erzeugen sollte.833
(nicht lässigen) Wohnen; die Bauten er-
Ein Sanatorium muss, um seriös zu wir-
hielten ein heiteres, jugendfrohes Geprä-
ken, einen hygienisch peniblen Krankenhaus
ge. […] Josef Hoffmann hat die reinsten
charakter besitzen; dabei darf es aber in kei-
und harmonischesten Lösungen für Raum
nem Fall dem Besucher den Eindruck
und Gehäuse gefunden“
vermitteln, er sei krank. Im Zentrum des Kur-
828
,
betriebs steht die Erholung und Genesung, ergibt sich eine Bewegung oder zumindest
nicht etwa die Erkrankung. Dieser Umstand
eine zeitlich zusammenfallende künstlerische
führt so weit, dass Joseph August Lux von
Zielrichtung, in die man den Bau des Sana-
„Passagierzimmern“834 statt von Kranken-
toriums Purkersdorf verorten kann. Die Uto-
zimmern spricht. Der Gast wird abgefertigt,
pie von einem unter ärztlicher Leitung ste-
einem Zug- oder Dampferpassagier gleich,
henden Naturasyl für den nervenkranken
und tritt in das Sanatorium ein und unter-
Stadtmenschen, die Dr. Krafft-Ebing 1903
nimmt dort eine Reise, die ihn, wenn nicht
zeichnete,829 führte, wie das oben stehende
an ferne Orte, so doch in die gesunde Natur
Zitat zeigt, zu einer Veränderung der allge-
zurücktransferieren soll. Josef Hoffmanns
meinen Wohnqualität. Hermann Muthesius
Architektur vollzieht zum einen durch ihre
spricht von der Aufgabe der Architektur als
neue Erscheinung die Abkehr von der All-
eine „Dienende der Zeitideen“.830 Eine der
tagswelt, kreiert zum anderen aber auch eine
„Zeitideen“ war es nach Muthesius, die Hygi-
Umgebung, die Vertrauen in die medizini-
ene als Grund für ein gesundes und komfor-
schen Fähigkeiten des Sanatoriumspersonals oder der Mannschaft weckt. Roland Schachel sieht daher auch Otto Wagners Forderung,
Loos in seinem Artikel Die Plumber, der 1898 in der Neuen Freien Presse erschien. Vergleiche dazu Loos 2010 (1898.2), S. 104–111. 828 Dr. Richard Ernst zitiert nach Ohne Autor 1930, S. 51. 829 Krafft-Ebing 1903, S. 173. 830 Muthesius 1908, S. 8.
„eine Heilstätte habe bei ihrem Anblick die
831 Muthesius 1908, S. 41f. 832 Berlage 1991, S. 87–92. 833 Kapfinger 2003, S. 47. 834 Lux 1904/1905.2, S. 407.
253
254
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Gewißheit hervorzurufen, darin zu gesun-
auf allzu großen Stauraum oder persönliche
den“, bereits am Sanatorium Purkersdorf
Vorlieben legen, da sie kein Zuhause einrich-
erfüllt.835 Essenziell für dieses Vertrauen
teten, sondern eine Art von Hotelbetrieb. Da
schaffende Umfeld ist der Zweckcharakter
man aber wiederum im Sanatorium längere
des Interieurs, wie es Hoffmann beschreibt:
Aufenthalte pflegte als im Hotel und dazu noch die Intention der Erholung verfolgte,
„Unsere Möbel müssen vollkommen dem
musste für ein wohnliches und bequemes
Zweck und der Erzeugungsmöglichkeit
Umfeld gesorgt werden. Neben diesen prak-
entsprechen, müssen für alle modernen
tisch funktionalen Anforderungen umschreibt
Techniken gedacht sein und alle über
das Mobiliar in den Zimmern der Kurgäste
flüssigen und wertlosen Zutaten vermei-
aber ebenso eine weiße und glatte Ästhetik.
den. Die Wahl des Materials, die guten
Jene Ästhetik ist jedoch, wie weiter oben im
Verhältnisse und die durch den Zweck be-
Fall der Wandornamente schon beobachtet
dingten neuen Formen, gute Beschläge
wurde, nicht allein im Sinne von Schönheit
und Scharniere werden das neue Möbel
zu lesen. Alle Möbel der Gästezimmer sind
charakterisieren.“836
weiß und geometrisch streng gestaltet; meistens korrespondieren ihre Höhen- und Brei-
Die Schlafzimmereinrichtung des Sanatori-
tenmaße. Die Abstellflächen sind plan aus-
ums Purkersdorf (Abb. 70) kommt der Idee
geformt und wenn sich Einfachungen zeigen,
Joseph August Lux’ sehr nahe, dass ein
sind sie entweder für die Positionierung von
Schlafzimmer auch ein Krankenzimmer sein
Spiegeln gedacht oder formen wiederholt
kann.837 In der privaten Wohnung passiert
Quadrate und Rechtecke aus. In der Wieder-
dies nur gelegentlich, aber im Sanatorium ist
holung der Formen und in der makellosen
diese Transformation des Raumes der Regel-
Oberfläche der Möbel zeichnet sich eine
fall. Die Merkmale jener Umformung vom
Neutralisierung
Schlafzimmer zu einem an der Gesundung
Umgebung ab. Eine Absicht der Beruhigung
mitwirkenden Raumgefüge sind dieselben
der Nerven durch Verminderung der Reize
wie im restlichen Raumangebot des Sanato-
auf das fahrige Stadtindividuum bekommt
riums: Luft, Licht, helle Farben und die Nähe
hier ihr realisiertes Äquivalent. Im Sinne
zum Wasser durch die Räumlichkeiten des
einer Beseelung nach Lipps, die nur vollkom-
Bades.
der
wahrgenommenen
Neben diesen Parametern eines
men ist, wenn sich das Individuum eins fühlt
gesunden Anspruchs der Sanatoriumsarchi-
mit dem Objekt, wird hier eine beseelte
tektur bestehen aber auch gewisse Freiheiten
Gesundheit gestaltet.
838
in der Wahl des Interieurs. Josef Hoffmann
Neben den glatten Oberflächen der Möbel
und Koloman Moser mussten keinen Wert
der Kurgästezimmer bietet das geschlossene Treppengeländer (Abb. 53), das verhindern
835 Schachel 1970, S. 4. 836 Hoffmann 2002 (1934.2), S. 20. 837 Lux 1905, S. 129. 838 Lux 1905, S. 130–135.
sollte, dass die Damen sich mit ihrer aufwendigen Garderobe in der Balustrade verfingen,
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
einen direkten ‚Berührungspunkt‘.839 Der
Stelle zu kommen“.842 Dieses Fahrrad veran-
glatte, breite Handlauf stellt nun aber de
schaulicht zum einen die enorme Exklusivi-
facto einen unmittelbaren haptischen Berüh-
tät und Modernität der Gerätschaften, zum
rungspunkt dieser hygienisch durchkompo-
anderen transferiert es die in der Natur ver-
nierten Welt dar. Jene Treppe hinauf- oder
ortete Tätigkeit des Radfahrens in die Räum-
hinabschlendernd, hatte der Kurgast die
lichkeiten des Sanatoriums. Bedenkt man
Möglichkeit, sich sowohl tastend als auch
nun die zentrale Rolle der Luft- und Licht-
visuell in diesem ‚gesunden‘ Umfeld ‚einzu-
zufuhr durch die flexiblen und zahlreichen
fühlen‘. Zum einen boten die geschlossenen
Fenster des Hoffmann-Pavillons in Kombi-
und mit quadratischen, mehrfach ausgeform-
nation mit dem Fahrrad, das auf der Stelle
ten Ausfachungen versehenen Geländerflä-
verharrt, entwickelt sich die Aussage, dass
chen einen fest-umrissenen Raum und zum
das Angebot des Innerraums auch dem der
anderen gaben die glatten Handläufe eine
außen gelegenen Natur entspricht. Weiter
über die Hand vermittelte Sicherheit des sich
folgernd könnte man davon sprechen, dass
bewegenden Subjekts, das sich keiner direk-
die Natur nach innen weitergeführt wird und
ten Barriere stellen muss und das fast darüber
das ganze Gebäude durchströmt. Die Gren-
hinweg gleitend sicher in die nächste E tage
zen von Innen und Außen verwischen sich.
gelangt. Somit vereinigt das Treppenhaus bei-
Neben der maschinellen Verfassung, in
de zuvor beschriebenen ästhetischen Momen-
der der genesende, moderne Mensch sich
te und verstärkt sie durch die faktisch hap-
aktiv entwirft, lässt sich für den Turnsaal aber
tische Komponente, die man auch als eine
noch ein weiterer Raumcharakter konstitu-
Möglichkeit zur Wahrnehmung von „Bewe-
ieren. Es ist zum einen die eigene Bewegung,
gungsempfindungen“ definieren könnte.
840
die dem Kurgast seinen Körper spüren lässt.
Hinter einigen der zahlreichen Fenster
Zum anderen kann er aber auch durch gleich-
befand sich der Turnsaal (Abb. 71), der Raum
zeitige Beobachtung der anderen Sporttrei-
für die „Mechanotherapie“ bot.
benden diesen Genesungsverlauf potenzie-
Ludwig Hevesi beschreibt in dem Artikel Neubauten
von
Josef
rend eventuell beschleunigen. So heißt es bei
Hoffmann vom
Lipps: „Der ‚Andere‘ ist die vorgestellte und
8. November 1905, wie er die diversen Gerät-
je nach der äusseren Erscheinung und den
schaften ausprobierte. Er spricht von einem
wahrnehmbaren Lebensäusserungen modi-
„schönen weißen Saal voll künstlicher Appa-
fizierte eigene Persönlichkeit, ein modifizier-
rate“.841 Neben einem elektrischen Mas-
tes eigenes Ich.“843 Und weiter:
sierapparat fällt ihm aber vor allem ein „Bicycle“ auf, das „arbeitet, ohne von der
„Es besteht, so müssen wir sagen, ein ursprünglicher und nicht weiter erklärbarer
839 Hevesi 1909, S. 216 und Topp 2004, S. 82f. und S. 195f. 840 Zur Definition des Begriffs „Bewegungsempfindung“ vergleiche Lipps 1903, S. 130. 841 Hevesi 1909, S. 217. Vergleiche dazu Topp 2004, S. 92–94.
psychischer oder ‚zentraler’ Zusammenhang zwischen optischen Wahrnehmungen 842 Hevesi 1909, S. 217. 843 Lipps 1903, S. 106.
255
256
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 71: Josef Hoffmann/Koloman Moser: Sanatorium Purkersdorf, Turnsaal bzw. Bewegungstherapieraum, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien
Körper als auch die emotionale Verfasstheit des Kurgastes wird beim Sport demnach angesprochen. Ein weiteres nachgewiesenes Möbelstück
fremder Bewegungen, und Impulsen zu ent-
des Sanatoriums war der Armlehnstuhl von
sprechenden eigenen Bewegungen, der
1903 (Abb. 51 und 53), der von Koloman
macht, dass diese Bewegungen zu stande
Moser entworfen wurde. Das Holzgestell des
kommen, oder zu stande kommen können,
Stuhls besteht aus einzelnen weißen Holz-
wenn jene optische Wahrnehmung uns zu
latten, die zu zwei Seitengitterflächen und
teil werden.“844
einer Lehne zusammengefasst werden. Jeweils abwechselnd korrespondieren Holz-
Neben der tatsächlichen Nachahmung der
strebe und Leerraum zu einer Aneinander-
Bewegung gesellt sich wie Lipps es formu-
reihung von Streifen. Die Sitzfläche formiert
lieren würde „die Innenseite der Nachah-
sich aus schwarzen und weißen Gurten zu
mung“ oder die Einfühlung.845 Sowohl der
einem Schachbrettmuster. Die Rückenlehne wird durch ein lose eingelegtes Kissen, das
844 Lipps 1903, S. 117. 845 Lipps erklärte diese Art der Phänomene an seinem berühmten Beispiel des Akrobaten. Vergleiche dazu Lipps 1903, S. 120–122 und S. 126–129.
mit Stoffen der Wiener Werkstätte bezogen ist, ergänzt. Der Stuhl verfügt über die Maße
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
61/61/70cm.846 Demnach steht der Kubus
dem Quadrat oder auch Rechteck abarbeitet.
des Stuhls auf einem Quadrat. Das Quadrat
Im Falle der Halle ist es vor allem die Form
ist nun auch neben der Fassade, dem Grund-
des Quadrats, die Lipps als eine „immanen-
riss und Querschnitt auch ein Grundbestand-
te Differenzierung“ beschreibt. Im Quadrat
teil des Interieurs. Als zusätzliche Beispiele
verwirklichen sich die beiden Grundrichtun-
zur Untermauerung dieser beobachteten
gen der Horizontalen und Vertikalen und
Wiederholung des übersteigerten Ornaments
dies zu gleichen Anteilen.849 Überall wo der
lassen sich die Formen weiterer Sitzmöbel,
Kurgast hinsieht oder -fasst eröffnet sich ihm
Lampen, Blumenkörbe und sogar der ver-
eine Welt der ausgeglichenen Richtungen
wendeten Stoffe aufzählen. Aus diesem for-
und damit eine Ruhe und gewisse Stockung
malen Zusammenhang entsteht der Ein-
oder Stagnation. Jenes Prinzip der vielfachen
druck, der kleine Blumenständer auf einer
Ausformung der gleichen Ordnung beschreibt
Fotografie, die ihn ohne seine Funktion –
Lipps auch als „Ästhetische Einheit in der
demnach ohne Blumen – zeigt, erlangte eine
Mannigfaltigkeit“.850
während das
Neben dem soeben behandelten Stuhl Pur-
Sanatorium Purkersdorf auf einer Fotografie
kersdorf von Moser, der eigentlich für eine
ebenso klein wie eine Box anmuten kann.848
Klimt-Ausstellung entworfen worden war,
In Bezug auf den Stuhl von Moser und
befand sich im Hoffmann-Pavillon noch eine
seine Positionierung in der Halle des Sana-
sogenannte Sitzmaschine. Ihr geometrischer
toriums lässt sich aber auch eine weitere
Charakter und die fünfstufig verstellbare
Beobachtung notieren. Dieser Moser’sche
Rückenlehne ergaben die Bezeichnung einer
Stuhl schreibt sich geradezu in das Boden-
Maschine, durch die wohl der moderne
mosaik der Halle ein. Stellt man sich den
Anspruch gefestigt werden sollte.851 Daniele
Kurgast vor, wie er sich in diesem Raum auf
Baroni spricht bei diesem Möbel von einer
einem der Stühle niederlässt, wird deutlich,
vorgetäuschten Funktionalität durch Verzicht
wie sehr die Form des Quadrats in diesem
auf eine Ästhetik, während in Wahrheit gera-
Raumgebilde eine orientierende Aufgabe
de die Ästhetik bei diesem Stuhl im Mittel-
übernimmt. Man befindet sich nämlich nicht
punkt stand.852 Als eine Mittelform, die auf-
in einer rein weißen und von Licht erleuch-
grund funktional und ästhetisch motivierter
teten fast blendenden Welt. Das Sanatorium
Lösungen entstand, stellen sich die Kugeln
ist eben kein White Cube, der sich beliebig
heraus. Sie bilden am Stuhl des Speisesaals
bespielen ließe und damit sich zunächst über
(Abb. 54 und 55) eine Verbindung zwischen
seine Leere und Flexibilität auszeichnet. Viel-
tragender Konstruktion und Sitzfläche.853
mehr handelt es sich um eine vom Fußboden
Neben den Möbeln entstand um 1903 eine
monumentale Erscheinung,
847
bis zur Decke vielfach unterteilte Welt, die sich immer wieder an seiner Grundeinheit 846 Ohne Autor 2005, Stuhl Purkersdorf. 847 Varnedoe 1993, S. 82f. 848 Baroni und D’Auria 1984, S. 78.
849 Lipps 1903, S. 50f. 850 Lipps 1903, S. 34–36. 851 Takyo 1996, S. 198. 852 Baroni und D’Auria 1984, S. 62. 853 Baroni und D’Auria 1984, S. 98.
257
258
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Broschüre mit dem Titel Einfache Möbel für
präsentes“ Motiv. Neben der Rahmung der
ein Sanatorium, die auf der ersten Seite mit
Fassade, auf die bereits eingegangen wurde,
dem Wiener Werkstätten-Muster der quadra-
zählt er verschiedene Interieurs auf und
tischen Rose geschmückt war. Offensichtlich
spricht von Bilderrahmen, die Hoffmann für
wollte man auch mithilfe von Werbung über
Klimts Gemälde entwarf.857 Als ein weiteres
die Wiener Werkstätte auf das Sanatorium
Beispiel der Rahmung der Möbel am Sanato-
Purkersdorf aufmerksam machen.854
rium Purkersdorf ist die Behandlung eines
Die Nähe von Architektur und Möbeln und
Schreibtischs (Abb. 72) zu nennen. Der
ihre gemeinsame Konstruktionsformel wer-
Schreibtisch ist mit seiner gesamten Breite an
den dadurch verstärkt, dass die Möbel teil-
die Wand gerückt. Oberhalb seines Abschlus-
weise mit der Wand in Kontakt treten. Neben
ses verläuft auf der ganzen Länge des Schreib-
der gemeinsamen Farbgebung, der gleichen
tischs eine horizontale dunkle Leiste. Die
Konstruktions- und Dekorationsform des
Wandlücke, die rechts zwischen Schreibtisch
Quadrats wird auch das kollektive Ziel des
und Glastür klafft, wird durch eine vertikale
Zwecks und der Bequemlichkeit formuliert.
Leiste geschlossen. Der Schreibtisch wirkt
Betrachtet man jedoch die Sitzmöbel des Spei-
dadurch fest in der Wand verankert.858 Hinzu
sesaals genauer, muss man zum Schluss kom-
kommt die häufige Verwendung von dunkle-
men, dass die Form der Konstruktion der
rer Rahmung und hellerer Fläche. Der Ein-
Stühle sich zunächst eher aus dem Durchhal-
druck des Blockhaften der Formen wird somit
ten der geometrischen Formenwelt des Sana-
noch verstärkt. Die Begrenzung des Raums
toriums Purkersdorf ergibt, als durch das „Uti-
wird selbst am Zweidimensionalen offensicht-
litätsprinzip“ einer bequemen Sitzhaltung.855
lich. Nun aber zurückkehrend zum Speise-
Gottfried Pirhofer spricht von Kontrasten zwi-
zimmerstuhl (Abb. 54 und 55) ist festzuhalten,
schen den Raumformen und den Einrichtungs-
dass der bequeme Sitzkomfort nicht im Mit-
formen. Dabei ordnet er den Möbeln gegen-
telpunkt des Entwurfs stand. Abermals fun-
über den Raumformen einen zierlicheren
giert das Möbelstück dazu, den Kurgast kör-
Körper zu.
Er übersieht dabei aber die den
perlich spürbar in ein retardierendes und
beiden zugrunde liegende geometrische Form
gefestigt klares Umfeld zu verorten. Jener
auffassung und vor allem die Verbindungen
Stuhl formt den Körper des darauf Sitzenden
zwischen den beiden Gebäudeinstanzen: die
in ein Raster, indem er eine bestimmte
Rahmung. Christian Witt-Dörring sieht in die-
Körperhaltung erzwingt. Einer Korsage gleich
ser bei Josef Hoffmann sogar ein „omni
forciert der Stuhl eine mit Absicht auf die
856
Genesung bevormundende Haltung, die aber 854
Leider war es nicht möglich, in Wien eine Ausgabe dieser Broschüre ausfindig zu machen. Im Archiv der Hochschule für angewandte Kunst befand sich lediglich der schon veröffentlichte Entwurf des Titelblattes von Koloman Moser. (Fahr-Becker 2003, S. 24.) 855 Feuerstein 1964, S. 180f. und S. 184. 856 Pirhofer 1986, S. 307.
auch als Sicherheitsgerüst wahrgenommen werden könnte.
857 Witt-Dörring 2006.1, S. 37. 858 Witt-Dörring 2006.1, S. 61–64.
3.3. Das Sanatorium Purkersdorf
Verzicht auf großformatige Gemälde verdeutlicht dazu noch die Gleichwertigkeit, die man dem Kunsthandwerk anrechnete und welche Wirkungskraft man ihm zutraute.860 Diese Zielsetzung äußert sich auch im Arbeitsprogramm der Wiener Werkstätte: „Der Wert der künstlerischen Arbeit und die Idee sollen wieder erkannt und geschätzt werden. Es soll die Arbeit des Kunsthandwerkers mit demselben Maß gemessen werden wie die des Malers und Bildhauers.“861 Das Gesamtkunstwerk ist im Sanatorium Purkersdorf über die Möbel und das Inventar im Inneren des Gebäudes weitergeführt. Durch diese Konzeption ist der Hoffmann-Pavillon mit den Auffassungen des Siebener Abb. 72: Josef Hoffmann/Koloman Moser: Sanatorium Purkersdorf, Schreibzimmer, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Fotografie von 1906
Clubs862 und den Bestrebungen der Wiener Secession verbunden.863 Dem Ziel, dass das Bürgertum nun nach dem Adel seinen
Die schon in der Werkbeschreibung auf-
Kunstauftrag erfüllen müsse, wurde intensiv
geführte minimierte Wirkung der Tektonik
nachgegangen. Die Wiener Werkstätte hatte
an der Fassade wird nach Ansicht Pirhofers
sich mittels seiner Auftraggeber und Ziel-
im Inneren durch die Möbel kontrastierend
gruppe zum Instrument dieses zu schaffen-
widerlegt. Ebenfalls wurde aber auch eine
den ‚Kunststils‘ des Bürgertums deklariert.864
starke Verkettung von Wand und Möbel fest-
Vor allem aber verdeutlichen die hier geleis-
gestellt. Es ist zwar möglich, die einzelnen Elemente aus denen sich das Sanatorium Purkersdorf zusammensetzt, zu erörtern, aber dies verfälscht den Wert der Stücke, die nur im Gesamten ihre volle Wirkung entfalten. Baroni sieht in den einzelnen Möbelstücken kleine abgeschlossene Werke für sich, erkennt aber ihre effizientere, gemeinsame Wirkung im Verbund miteinander an.859 Ein
859 Baroni und D’Auria 1984, S. 63.
860 Witt-Dörring 2006.2, S. 154 und S. 190. 861 Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905). 862 Der Siebener Club war eine recht kurz bestehende Künstlergruppe, die sich Samstagabends in einem Wiener Kaffeehaus zur Diskussion traf. Ihr gehörten unter anderem Joseph Maria Olbrich, Josef Hoffmann, Max Fabiani, Friedrich Pilz, Friedrich Kick, Jan Kotěra, Josef Urban, Max Kurzweil und Koloman Moser an. (Vergleiche dazu Sekler ²1986, S. 15–17.) 863 Kapfinger 2003, S. 58f. 864 Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905).
259
260
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
teten Beobachtungen, dass sich das Sana torium Purkersdorf in seiner Gänze als Gemütsarchitektur dem Drei-Ebenen-Modell des „realen Tuns“ nach Theodor Lipps
3.4. Das Haus am Michaelerplatz: Die stimmungshafte Verortung der Architektur in ein städtisches und persönliches Repräsentations- oder Wunschbild
verschrieb:
3.4.1. Baubeschreibung „Es gibt in Wahrheit drei Arten des realen Tuns. Einmal das Tun in der Sphäre der Phantasie, das sich Richten des Wil-
Der Michaelerplatz – Eine vielschichtige Adresse
lens auf bloße Gegenstände der Phantasie, das lediglich ‚gedankliche‘ Arbeiten,
Das Haus am Michaelerplatz (Abb. 73) von
sich Bemühen, Standhalten, Überwinden,
Adolf Loos entstand in den Jahren zwischen
Entscheiden, strebende Fortgehen von ei-
1909 und 1911 und stellt das größte, umfang-
nem zum andern, Anlangen bei einem
reichste und wohl auch meist beachtete Werk
Punkte, in welchem das Streben sich be-
seines Œuvres dar.866 Marco Pogacnik zeigt
friedigt. Es gibt daneben das intellektuel-
auf, inwiefern Architekt Ernst Epstein von
le Tun oder das Tun des Verstandes, das
Adolf Loos, Leopold Goldman und Emanu-
Nachdenken, Sichbesinnen, das Urteilen,
el Aufricht als Verantwortlicher für die Bau-
Schließen u. s. w. Und es gibt endlich das
genehmigungen hinzugezogen wurde. Des
Tun, das erst sich befriedigt in realem Da-
Weiteren engagierte man Baumeister Eduard
sein, d. h. in Empfindungen, und dem Be-
Frauenfeld und sein Bauunternehmen. Eben-
wusstsein, dass etwas wirklich sei. In wel-
so erklärt Pogacnik, dass der Entwurf des
cher dieser drei Phasen auch sich das Tun
gesamten Gebäudes jedoch allein auf Adolf
vollzieht, immer ist es dasselbe reale Tun,
Loos zurückzuführen ist. Die Undurchsich-
oder kann es sein.“
tigkeit der Planungslage und die Vielzahl der
865
Unterschriften, die in ihrer Kombination der Demzufolge steht das gedankliche Abarbei-
drei Personen variieren, ergaben sich laut
ten des Kurgastes am Gebäude und seinen
Pogacnik nur aus taktischen Überlegungen
beherbergenden Gegenständen auf ebenbür-
vonseiten der Auftraggeber.867 Die beiden
tiger Stufe mit dem tatsächlichen Sporttrei-
Autoren Burkard Rukschcio und Roland
ben oder Kuren. Beides soll die Gesundheit
Schachel, die die umfassendste Monografie
oder die gesundheitlich fördernde Gestimmt-
zu Adolf Loos veröffentlicht haben, sprechen
heit des Kurgastes gleichwertig vorantreiben.
beim Haus am Michaelerplatz von seinem
Der Wahrnehmungsraum des Sanatoriums hat ebenso eine therapeutische Relevanz wie die Kur selbst.
865 Lipps 1903, S. 129.
866
Die komplizierte Baugeschichte ist äußerst detailliert in zwei Publikationen nachzulesen und soll daher lediglich Auszugsweise nach Relevanz für die Untersuchung erwähnt werden. (Long 2011 und Pogacnik 2011.) 867 Pogacnik 2011, S. 61f.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Hauptwerk.868 Des Weiteren ordnen sie es
wird.874 Adolf Loos selbst äußerte sich zu
folgendermaßen in sein Gesamtwerk ein: „Es
den Anteilen Goldmans am Grundriss des
ist sein bedeutendster und größter ausgeführ-
Hauses am Michaelerplatz wie folgt:
ter Bau mit städtebaulichen Anforderungen. Zudem ist es sein erster Neubau und das
„Und hier muß ich des großen Anteils ge-
Werk, das seine Umwelt am stärksten her-
denken, den der eine Bauherr, Herr Leo-
ausgefordert hat.“869 Das Haus am Michae-
pold Goldman, an der Grundrißlösung
lerplatz mit der Adresse Michaelerplatz 3 ist
hat. Durch seine Mitarbeiterschaft, durch
ein Auftragsbau der Schneiderfirma Gold-
seine glänzenden Einfälle, durch seine Ge-
man & Salatsch, deren Besitzer Leopold
schäftskenntnisse, die sich immer wieder
Goldman
zu wahren Erfindungen umkristallisier-
870
und Emanuel Aufricht
871
waren.
Es ist sowohl ein Geschäfts- als auch ein
ten, ist der Grundriß entstanden.“875
Wohnhaus. Christopher Long bezeichnet das Haus am Michaelerplatz für Adolf Loos als
Adolf Loos’ Auftraggeber Goldman &
seinen Durchbruch; „breakthrough“.
Dies
Salatsch war einer der exklusivsten Herren-
ist in Bezug auf seine öffentliche Wahrneh-
modegeschäfte Wiens. Wie jedoch im Rah-
mung als Architekt bestimmt korrekt, wobei
men dieser Untersuchung zu zeigen sein
insbesondere seine vorhergehenden Woh-
wird, handelt es sich im Falle des Hauses am
nungseinrichtungen und die Villa Karma
Michaelerplatz auf keinen Fall um den Typus
nicht als unbedeutend deklassiert werden
eines Warenhauses, sondern vielmehr um
dürfen; so wie es in Bezug auf die Ausbil-
ein „vornehmes Geschäft“.876 Des Weiteren
dung von räumlichen Strukturen bei Loos
formuliert Leslie Topp die These, dass Gold-
von Long unternommen wird.
872
Adolf Loos
man und Aufricht jenen Typus des Waren-
war ebenso für den Außenbau wie für die
hauses verhindern wollten und bewusst Loos
Gestaltung des Innenbaus beauftragt. Wobei
beauftragten, ein „vornehmes Geschäft“ zu
eine größere Beeinflussung des Innenbaus
entwerfen, da sie antisemitische Anfeindun-
durch die Auftraggeber bei einer gleichzeiti-
gen befürchteten.877 Demnach könne man
gen weitest gehenden Freiheit für Loos im
fast von einer Assimilations-Maske für das
Falle der Fassadengestaltung angenommen
Loos-Haus sprechen. Jener These geht ins-
873
besondere Elana Shapira nach.878 Adolf Loos beobachtete selbst bereits 1898: 868 Rukschcio und Schachel 1982, S. 460. 869 Rukschcio und Schachel 1982, S. 460. 870 „Leopold Goldman Wien, 27.09.1875 – KZ Maly Trostinec, 15.06.1942, Herrenschneider, Modedesigner; Kaufmann“. (Bock 2009, S. 126.) 871 „Emanuel Aufricht verheiratet mit Leopold Goldmans Schwester Berta Wien, 14.12.1871 – KZ, Dezember 1941 Partner der Firma Goldman & Salatsch“. (Bock 2009, S. 126.) 872 Long 2011, S. 72. 873 Long 2011, S. 72.
„Die großen Firmen [von Schneidern in Wien; LT] und ihre nächsten Nachkom874 Pogacnik 2011, S. 48. 875 Loos 2010 (1911), S. 418. 876 Vergleiche dazu Topp 2004, S. 152–162 und Long 2011, S. 57, S. 59f. und S. 72–78. 877 Topp 2004, S. 165 und S. 168. 878 Shapira 2004, S. 316–341.
261
262
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Zunächst ist aber das Umfeld des Bauwerkes, auch Loos-Haus genannt, genauer zu betrachten. Es befindet sich im 1. Bezirk im konzentrischen Kreis der Monarchie, da es genau gegenüber der Hofburg880 am Michaelerplatz positioniert ist und damit in der Sichtachse des Monarchen liegt. In der Forschungsliteratur wird genau diese Lage herkömmlich als Ursache für die provokative Wirkung des Gebäudes herangezogen.881 Christopher Long erwähnt ergänzend den „Überraschungseffekt“ der Architektur des Hauses am Michaelerplatz als Begründung für die Echauffierung der meisten Wiener. Sie seien einfach unvorbereitet gewesen, da die Werke Loos’ sonst nicht allzu öffentlich präsent gewesen waren.882 Bereits 1910 berichtet Hans Tietze in Hinsicht auf den Denkmalschutz von Alt-Wien den KonAbb. 73: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Hauptansicht, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie von Bruno Reiffenstein, um 1920 mit nachträglich angebrachten Blumenkörben
men haben alle ein gemeinsames Merkmal: die Furcht vor der Öffentlichkeit. Man beschränkt sich womöglich auf einen kleinen Kundenkreis. Wol sind sie nicht so exclusiv wie manche Londoner Häuser, die sich Einem nur auf die Empfehlung Albert Edward’s, des Prinzen von Wales, öffnen. Aber jeder Prunk nach außen ist ihnen fremd.“879 Mit welchen Strategien Loos ein vornehmes, gediegenes Geschäftslokal gestaltete, soll im Folgenden geklärt werden.
879 Loos 2010 (1898.1), S. 58.
fliktcharakter des „Streithauses am Michaelerplatz“.883 Nicht nur, dass Loos ein ‚nacktes‘ Gebäude ganz ohne Fassadenornamentik erbaut;884 nein, er situiert diese ungewöhn
880
Genauer gesagt handelt es sich um den Michaelertrakt der Hofburg. Bis 1888 befand sich an dieser Stelle das Hofburgtheater. In den folgenden fünf Jahren nach dem Abriss des Hofburgtheaters wurde auf Grundlage von alten Plänen Joseph Emanuel Fischer von Erlachs mit dem Michaelertrakt eine Verbindung zwischen Reichskanzleitrakt und Winterreitschule geschaffen. (Baedecker 2005, S. 188–190.) 881 Siehe dazu Czech und Mistelbauer ²1977. 882 Long 2011, S. 194. 883 Tietze 1910, Sp. 33f. und Sp. 50–62. Vergleiche dazu auch Aurenhammer 1997, S. 38f. 884 Paul Engelmann widmete 1911 in Die Fackel jenem Nacktsein eine ganze Strophe in seinem Gedicht zum Haus am Michaelerplatz: „Es glänzt an ihr die Keuschheut aller Firne, ‒ auf glattem Mauerwerk zum Küssen! – Und Marmor, daß sie nicht die Pracht vermissen: ‒ naiv und lüstern, fast wie eine Dirne.“ (Engelmann 1985 (1911), S. 46.) Engelmann stilisiert das Äußere des Loos-Hauses regelrecht zum Fetisch.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
liche Erscheinung auch noch in den inners-
schen Ecke, wo Handel und Wandel mäch-
ten Kern der Kultur der Donaumonarchie,
tig vorüberströmen und das Leben der
die Loos schon zuvor als „Potemkin’sche
Wienerstadt am lebendigsten pulsiert, hier,
Stadt“ diffamiert hatte.
Bezeichnend ist es,
wo die heimatlichen Erinnerungen wie
dass der Blick des Monarchen als Anstoß zur
das Licht im Brennglase sich sammeln,
Debatte um das Haus aufgegriffen wurde.
wo Vergangenheit und Gegenwart beina-
Max Ermers fasst jenes schon fast klischee-
he sichtbarlich zusammenfließen, hier auf
hafte Bild bereits 1930 zusammen:
diesem Platze, wo der Geist des alten
885
Burgtheaters noch umgeht, hier in unmit„Was weiß der Wiener vom derzeit größten
telbarer Nähe der Burg, wo Oesterreichs
Baukünstler seiner Stadt? Daß er die Or-
Geschichte gemacht wurde, die große Ma-
namente für Verbrechen halte … oder daß
ria Theresia täglich vorüberfuhr, Kaiser
der Kaiser Franz Josef gesagt habe, er kön-
Josef und Kaiser Franz hundertmal zu Fuß
ne nun aus seinen Hofburgfenstern nicht
über die Straße gingen, hier im Herzen
mehr auf den Michaelerplatz hinausschau-
der Stadt, am Sitze ihres Gedächtnisses,
en, weil der Herr Loos ihm das Goldman
hier wirkt dieses neue Bauwerk geradezu
& Salatsch-Haus hingestellt habe …“
wie eine Kränkung und Beleidigung der
886
alten Vindobona, wie ein Stoß ins Herz, Entscheidend ist, dass es sich bei der Aussa-
wie eine Kriegserklärung gegen alles, was
ge des Monarchen nur um ein Hörensagen
bisher als wienerisch und als Wiener
handelt und dass es dennoch bis 1930 deut-
Kunst gegolten.“887
lich als Klischee weiterhin überliefert ist. Der Blick eines Menschen und dessen Sichtfeld
Im Wiener Montags-Journal heißt es sogar,
werden zum Maß der durch ihn wahrgenom-
dass das Haus am Michaelerplatz „zeitle-
menen Architektur. Deutlich wird, wie emo-
bens eine Ohrfeige der Umgebung“ sein wird
tional aufgeladen durch die Bevölkerung
und ein „Monstrum“ sei.888 Der reale Ort
oder Journalisten das architektonische
des Hauses am Michaelerplatz wird durch
Umfeld des Monarchen begründet wurde.
den ihn umgebenden sozial kodierten Raum
Hugo Wittmann schreibt 1910:
affektiv aufgeladen.889 Das Haus am Michaelerplatz steht an der Ecke zwischen Kohl-
„Wenn dieses Haus [das Haus am Micha-
markt, der bis heute die exklusivste Ein-
elerplatz von Adolf Loos; LT] in einer an-
kaufsstraße Wiens ist, und Herrengasse. Es
deren Gegend der Stadt, an einem weni-
handelt sich hierbei um das Grundstück,
ger verkehrsreichen, geschichtlich weniger
auf dem sich bis Mitte 1909 das Dreilaufer-
bedeutsamen Orte stände, würde sich, so auffallend es schiene, niemand darüber aufhalten. Aber hier an dieser urwieneri885 Vergleiche dazu Loos 2010 (1898.6), S. 187–190. 886 Ermers 1985 (1930), S. 158.
887 Wittmann 1985 (1910), S. 37. 888 Ohne Autor 1985 (1911), S. 51. 889 Zur Unterscheidung zwischen den Begriffen Ort und Raum vergleiche Baumgärtner u. a. 2009, S. 9–25.
263
264
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
haus890 befunden hatte. Steht man gegen-
Deutlich wird, wie stark in diesem Fall der
über vom Loos-Haus mit der Hofburg im
Ort oder Treffpunkt mehrere Literatengrup-
Rücken, befindet sich rechts des Loos-Hau-
pierungen formte und ihre Identitäten prägen
ses die Michaelerkirche und links davon das
sollte. Mit der Modifikation des Platzes ver-
Café Griensteidl im Palais Herberstein.
ändert sich folglich auch seine soziale Struk-
Zuvor hatte dort das Palais Dietrichstein
tur. Auf dieses Phänomen bezieht sich Karl
gestanden, in dem von 1847 bis 1897 Hein-
Kraus, wenn er in seiner Streitschrift das
rich Griensteidl das berühmte Literatenkaf-
abgerissene Palais im Sinne einer demolierten
feehaus betrieb.891 Vor allem wurde es für
Architektur der Demontierung einer Litera-
die Nachwelt berühmt durch die Schmäh-
turbewegung gleichsetzt. Kraus c harakterisiert
schrift Die demolirte Literatur von Karl
das Kaffeehaus als „literarische[s] Ver-
Kraus, die ironisch den Abriss des Stamm-
kehrszentrum“893. Des Weiteren beschreibt
kaffeehauses der Literaturbewegung Jung
Kraus das Treiben in bissigen Bildern:
Wien und deren damit resultierende ‚Heimatlosigkeit‘ aufgriff. Die Rolle des Cafés
„Die Stimmungsmenschen, die jetzt wie
Griensteidl für die Literaturbewegung um
die Pilze aus dem Erdboden schossen,
Hermann Bahr wird von Dagmar Lorenz
wünschten seltsame Farbenkompositio-
dergestalt umrissen:
nen für Gefrorenes und Melange, es machte sich das Verlangen nach inneren Erleb-
„Das ‚Kaffeehaus als Hauptstapel- und Um-
nissen geltend, so daß die Einführung des
schlagplatz von Zeitideen‘ [...] bedeutete
Absynths als eines auf die Nerven wirken-
also weitaus mehr, als ein zufälliger Ort
den Getränkes notwendig wurde.“894
des Zusammentreffens von Künstlern und Literaten. Geradezu als Synonym-Begriff
Die „Stimmungsmenschen“ sind für Kraus
für die literarischen Bestrebungen der jun-
eine solch dominante Modeerscheinung,
gen Schriftstellerrunde um Hermann Bahr
dass er sie satirisch überzeichnet darstellt.
avancierte das am Michaelerplatz gelege-
Deutlich wird aber selbst in der negativen
ne Café Griensteidl. 1847 eröffnet, wurde
Konnotation des Begriffs, dass eine ganz-
es bald zum Treffpunkt von Schauspielern
heitliche Lebensart mit ihm verbunden wur-
und Literaten. […] Als das Café Griensteidl
de. Eine von den Zeitgenossen deutlich
am 21. Januar 1897 aus Anlass der Umge-
wahrgenommene gedankliche Verknüpfung
staltung des Michaelerplatzes geschlossen
des Stimmungsbegriffs mit dem physiologi-
wurde, bedeutete dies auch eine Zer
schen Prinzip der Nerven wird auch in sei-
splitterung der Jung-Wiener Literatur
ner satirischen Abwertung noch offensicht-
gesellschaft.“892
lich. Zum Ende seines Essays – nachdem er
890
Siehe dazu Bösel 1992, Katalognummer 20 und 21, S. 53–56. 891 Baedecker 2005, S. 244. 892 Lorenz ²2007, S. 33.
893 Kraus 2004 (1897), S. 644. 894 Kraus 2004 (1897), S. 647. Die Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
die verschiedenen Literaturbewegungen in
dende, regierende Form. Der Bürger aber
ihrer Wankelmütigkeit beschrieben hat – for-
spiele nicht den kleinen Gernegroß.“897
muliert Kraus noch die beiden Fragen: „Wohin steuert nun unsere junge Literatur?
Daher wird sowohl im Rahmen der Werkbe-
Und welches ist ihr künftiges Griensteid-
schreibung als auch in der Werkanalyse
l?“
Zumindest wird bis heute klar ein Bild
immer wieder auf den Aspekt der Bedeutung
davon vermittelt, wie eklatant bewusst man
der Lokalisierung eingegangen werden. In
sich war, in welchem Kreis und an welchem
der Werkbeschreibung sollen die mannigfal-
Ort man seinen Kaffee konsumierte. Allein
tigen Verflechtungen und Beziehungen des
dadurch legte man schon ein Zeugnis über
Gebäudes mit seiner Umgebung aufgezeigt
sich ab.
werden, während in der Werkanalyse vor
895
Bezeichnend ist die Benennung Haus am
allem der Standort als vermeintlicher Provo-
Michaelerplatz. Diese ist bei Weitem geläu-
kationsgrund wahrgenommen wird. Die Fra-
figer als Loos-Haus oder etwa Goldman &
ge, ob sich diese Erklärung für das Skandal
Salatsch-Gebäude. Der Standort bekommt
auslösende Bauwerk noch halten lässt oder
somit eine sehr präsente Rolle für das Gebäu-
sich vielmehr weitere Aspekte finden lassen,
de. Sowie die Kritik am Loos-Haus seine
die nur durch ihre Verortung in der Nähe
Situierung am Michaelerplatz aufgriff, recht-
der Monarchie besondere Brisanz erfuhren,
fertigte Adolf Loos jene Positionierung. Hugo
wird im Mittelpunkt der Werkanalyse stehen.
Wittmann spricht von einer „heimatlosen
So versichert Adolf Loos in einer Zuschrift
Kunst“
, während Loos seine Architektur
an die Neue Freie Presse, die am 06. Dezem-
nicht als Provokation, sondern als Respekt
ber 1910 abgedruckt wurde, dass er „doch
gegenüber der Wahrung von Standesgrenzen
das Haus so entworfen [habe; LT], daß es
definiert. So heißt es im Bericht Otto Zoffs
sich möglichst in den Platz einfügen sollte.
über einen Vortrag Loos’:
Der Stil der Kirche, welche das Pendant zu
896
diesem Bau bildet, war für [ihn; LT] richtungs„Loos weist auf den Vorwurf hin, der ihm
gebend.“898 Besonders die Publikation von
gemacht wurde, daß er sich nicht der Er-
Marco Pogacnik beweist jene Aussage von
lachschen Hofburg angepaßt. Und ent-
Adolf Loos. Pogacnik rekonstruiert die mög-
gegenet: dort wohnt der Kaiser, hier der
lichen architektonischen Wiener Vorbilder
Bürger. Dem Kaiser gebühren die Kup-
für Loos’ Haus am Michaelerplatz und
pel, die hallenden Gewölbe, die ausla-
bezeichnet Loos im Sinne seines Berufsethos als einen „Gentleman-Architekten“, der höf-
895 Kraus 2004 (1897), S. 650. 896 Wittmann 1985 (1910), S. 37. Auch Hans Tietze betont ebenso 1910 jene Vorgehensweise Loos’ und sieht darin eine bei Weitem glücklichere Lösung gegeben als bei dem Herberstein’schen Palais, das seiner Ansicht nach „die Formen […] skrupellos auf ein Wohnhaus übertrug, was eine Kaiserburg zieren durfte“. (Tietze 1910, Sp. 52.)
lich auf Traditionen achtet.899 Auch Christopher Long nennt weitere Wiener Vorbilder für das Haus am Michaelerplatz und identi897 Zoff 1985 (1912), S. 56. 898 Loos 2010 (1910.4), S. 388. 899 Pogacnik 2011, S. 16, S. 27f., S. 32 und S. 40.
265
266
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 74: August Stauda: Franziskanerplatz 1/3, Wien I., Blick aus der Diagonale des Platzes etwa bei Einmündung der Ballgasse in die Weihburggasse, Glasplatte, 1900
„Der Volksmund nennt es das Haus ohne Augenbrauen. Ihr lieben alten Wiener Häuser, die ihr keine Augenbrauen habt, macht euch nichts draus, wenn euch der Volks-
fiziert für die Wahl von „Spolien“ oder archi-
mund schmäht. Der Wiener Volksmund
tektonischen Zitaten die Aufgabe, ein Gebäu-
hat an euch, ihr lieben alten Bauhäuser, an
de für einen „Gentlemen’s tailor shop“ zu
euch, ihr Häuser am Franziskanerplatz, ei-
bauen.900 Auch Leslie Topp betont Loos’ Ori-
nen Schönheitsfehler entdeckt. Aber es gibt
entierung für die Fenster des oberen Blocks
Leute, die im Gegensatz zum Volksmund
des Hauses am Michaelerplatz an den fast
gerade den Franziskanerplatz für ein Stadt-
unverzierten Fenstern eines Gebäudes am
juwel halten.“902
Franziskanerplatz.901 Jenes Indiz hat sie von Loos selbst, der 1911 schreibt:
Bereits 1910 hatte Hans Tietze in seinem Artikel Der Kampf um Alt-Wien die Nähe der Fensterbehandlungen vom Michaeler-
900 Long 2011, S. 60–66, S. 68–78 und S. 192. 901 Topp 2004, S. 166.
902 Loos 2010 (1911), S. 431.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
haus (Abb. 73) zu den Häusern am Franzis-
Präsenz der kaiserlichen Stadtresidenz.
kanerplatz (Abb. 74) betont.
Jene Gegen-
Aufgrund der leicht peripheren Lage des
sätzlichkeit aus emotional aufgeladenem
Michaelerplatzes wurde er zu einem Kno-
Wahrnehmen oder auch Nicht-Wahrnehmen
tenpunkt der verschiedenen Wege. In ihm
durch die damaligen Wiener und der zitat-
kreuzten sich die Verbindungslinien Herren-
haften Konzeption des Loos-Hauses durch
gasse–Augustinerstraße und Kohlmarkt–
seinen Architekten betont bereits in den
Burgdurchfahrt, die beide bis auf die Römer-
1980er-Jahren Friedrich Achleitner.
zeit zurückreichen.908
903
904
Diese
gegensätzlichen Wahrnehmungen des Gebäu-
Am Kohlmarkt hatte sich bereits im 17.
des und deren Entstehen, sollen im Rahmen
Jahrhundert eine Vielzahl von bürgerlichen
der Werkanalyse verhandelt werden.
Stadthäusern angesiedelt.909 So kam es, dass im Rahmen der Um- und Neubaumaßnah-
Die Entwicklung des Michaelerplatzes
men zu Beginn des 18. Jahrhunderts der Wunsch nach einer Akzentuierung der Stadt-
Der Michaelerplatz ist ein „Architektur-
front in einem Projekt von Johann Lucas von
platz“905. Seine Planungsgeschichte reicht
Hildebrandt in den Mittelpunkt der Überle-
gerade mal bis in die zweite Hälfte des 17.
gungen gerückt wurde. Die Burgeinfahrt soll-
Jahrhunderts zurück und im Gegensatz zu
te betont werden. Joseph Emanuel Fischer
den anderen Plätzen im ersten Bezirk – wie
von Erlach, der Hildebrandt als leitenden
Graben, Hoher Markt, Judenplatz, Neuer
Architekten ablöste, entwickelte die Lösung
Markt und Platz am Hof – diente er zunächst
einer zurückgeschwungenen Fassade.910 Die-
auch keiner bestimmten Funktion für das
ses stark ins Innere des Hofburgareals Wei-
Leben in der Stadt. Weder wurde am Micha-
chende der Architektur ermöglichte erst
elerplatz ein Markt abgehalten, noch waren
einen vergrößerten Stadtraum vor der Hof-
es verkehrstechnische Erwägungen, die zu
burg und ließ so den Kreuzungspunkt zwei-
seiner Ausprägung führten.906 Die Heraus-
er Straßenachsen zu einem Platz anschwel-
formung zu einem Platz begann Mitte des
len. Eine Verwirklichung dieses barocken
17. Jahrhunderts mit einer „Freiraum-Erwei-
Platzes verblieb jedoch zunächst Zukunfts-
terung“
vor der Michaelerkirche, um in
musik. Das auf diesem dazu benötigten A real
den 20er-Jahren des 18. Jahrhunderts eine
befindliche Alte Burgtheater – zuvor Ball-
Verlagerung zur Hofburg zu erfahren. Damals
haus – wurde erst 1888 abgerissen und erst
plante man die Entfaltung einer stadtseitigen
danach konnte die Umgestaltung dieses städ-
Hofburgfassade und damit eine deutliche
tischen Areals beginnen. Nun galt es, die
Verschiebung der Platzsituation hin zur
Schauseite zum inneren Stadtkern hin, die
907
Michaelerfront, und den sie umgebenden Raum als „erste[n], glanzvolle[n] Empfangs903 Tietze 1910, Sp. 54. 904 Achleitner 1983, S. 100. 905 Bösel 1992, S. 9. 906 Bösel 1992, S. 9. 907 Bösel 1992, S. 9.
908 909 910
Bösel 1992, S. 11. Bösel 1992, S. 11. Bösel 1992, S. 14.
267
268
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
raum“911 des Kaiserhofes zu inszenieren. Die
Verbauung ermöglichen, die eine Paralleli-
Konzeption Gottfried Sempers für das Kais-
sierung zur gegenüberliegenden Fassade der
erforum baute die Relevanz der Achse zwi-
Michaelerkirche mit angrenzender Bebauung
schen Kohlmarkt und den Vorstädten noch
darstellte. So hätte eine trichterförmige
weiter aus und damit wäre der Michaeler-
Erweiterung des Kohlmarktes, wie sie bereits
platz laut Richard Bösel endgültig zum „Auf-
auf dem hochbarocken Regulierungsplan im
takt des Kaiserforums“ geworden.912 Streng
Albrecht-Kodex zu erkennen ist, hin zur
genommen wäre der Michaelerplatz zum
Michaelerfront und ihrem konvex geschwun-
Auftakt der Rückseite des Kaiserforums
genen Platz entstehen können.917 Stattdessen
geworden, da Semper seine Planung von den
plante man zunächst eine Parzelle, deren
Vorstädten aus gesehen inszenierte, und
Bebauung weiter zurückweichen sollte als
nicht von der Innenstadt aus.913 Näheres zum
das heute verwirklichte Loos-Haus. Zu der
Kaiserforum nach Gottfried Semper und Carl
Änderung der Parzellenbebauung wird im
Hasenauer und in welcher Art und Weise
Rahmen der Entwürfe später noch näher
Loos sein bürgerliches Michaelerhaus der
eingegangen. Entscheidend ist, dass durch
Konsumwelt in dieses royale, städtebauliche
die Änderung der Parzellenführung der
Vorhaben einordnete, wird später noch
Michaelerplatz nicht mehr im Sinne eines
untersucht.914
„trapezförmig auf die Hofburgfront ausge-
Die weitestgehend bis heute wirksame,
richteten Freiraumes“ aufgefasst wurde, son-
endgültige Platzregulierung erfuhr der Micha-
dern sich zu einer „Drehscheibe“ formte, um
elerplatz in dem Zeitraum zwischen 1897
die sich die Gebäudekomplexe anordneten.918
bis 1910. Neben dem Stöckl915 und dem
Inwiefern Adolf Loos auf die Form der
Palais Dietrichstein, das man als Palais Her-
„Drehscheibe“, die sich als Endpunkt aus
berstein neu errichtete, wurde auch das Drei-
dem Stadtkörper herausgeschält hatte, ein-
lauferhaus (Abb. 75) abgerissen. Der Abriss
ging, wird im Folgenden zu beobachten sein.
des Dreilauferhauses von 1909916 sollte eine 911 912 913 914
915
916
Bösel 1992, S. 16. Bösel 1992, S. 19f. Siehe dazu Podbrecky 2007, S. 113–129 und Kurdiovsky 2012, S. 161f. Zum Verhältnis der Arbeiten Sempers und Hasenauers am Kaiserforum siehe Kurdiovsky 2012, S. 156–183. Das Stöckl war eine bürgerliche Gebäudegruppe, die sich bis zu ihrem Abriss in den 1890er-Jahren quer über dem Gelände des heutigen Michaelerplatzes erstreckte und einem Riegel gleich die nördliche Häuserfront des Kohlmarkts visuell zur Hofburg weiterführte. Nach ihrem Abriss wurde das Griensteidl-Haus bzw. das Palais Dietrichstein zum nordwestlichen Abschluss des Platzes. (Czech und Mistelbauer ²1977, S. 14–17.) Bösel 1992, S. 27.
Beschreibung der Fassaden – Loos bringt sein Haus auf den Markt Das Haus am Michaelerplatz ist ein Skelettbau, der durch Ziegel ausgefacht und dem eine Kalkputzfassade vorgeschaltet ist.919 Die Innenraumaufteilung konnte demnach durch nichttragende Zwischenwände auf die Bedürfnisse der unterschiedlichen Nutzungskonzepte angepasst werden. Das Gebäude lässt sich 917 Siehe dazu Bösel 1992, S. 26. 918 Bösel 1992, S. 27. 919 Czech und Mistelbauer ²1977, S. 49.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Abb. 75: Michaelerplatz, spätes 19. Jahrhundert, links: das Dreilauferhaus, rechts: die Michaelerkirche, Wien I., Fotografie vom 03.06.1909
wird noch auf die Hoffassade eingegangen, die jedoch für den Besucher des Gebäudes oder den Spaziergänger nicht ersichtlich ist. Aber gerade diese Latenz führt zu einem ungewöhnlichen Charakter dieser Gebäude-
deutlich in eine Hauptfassade zum Michae-
ansicht.
lerplatz und zwei Nebenfassaden zur Herrengasse und zum Kohlmarkt hin unterteilen
Die Hauptfassade zum Michaelerplatz
(Abb. 4 und 73). Alle drei Fassaden unterscheiden sich deutlich in ihrer Bezugnahme
Zunächst ist eine deutliche Dreiteilung der
zu ihrer Umgebung. Im Rahmen der Beschrei-
14,13 m langen Fassade zu konstatieren. Der
bung der Fassaden soll vor allem deren Situ-
mit Cipollinomarmor umkleidete Sockelbe-
ierung im Raum der umgebenden Stadt im
reich,920 der den etwa 3-stöckigen Geschäfts-
Mittelpunkt stehen, um zu verdeutlichen, wie
trakt des Gebäudes umreißt, wird um einen
sehr Adolf Loos sein Haus nicht als geplan-
vierstöckigen, gleichmäßig kalkverputzten
ten Skandal inszenierte, sondern im Gegen-
Wohnblock aufgestockt und zuletzt wird der
teil ein Stück Wiener Kultur verwirklichen wollte. Zum Ende der Außenbeschreibung
920
Bis heute sind einige Platten erneuert worden. Siehe dazu Czech und Mistelbauer ²1977, S. 49.
269
270
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
gesamte Gebäudekörper von einem Kupfer-
Charakterträger des Hauses. Ludwig Münz
dach gefasst. Getrennt voneinander werden
und Gustav Künstler sprechen von einer
die verschiedenen Abschnitte nicht nur durch
„vornehmen Haltung“ des Gebäudes, um des-
ihre Materialität, sondern auch durch Gesim-
sen Funktion als Hauptsitz eines Herrenmo-
se zwischen Sockel und Wohnblock und wie-
degeschäftes plastisch zu verkörpern.924 Die-
derum zwischen Letzterem und dem Dach.
ser Eindruck soll nun en détail untersucht
Die Gesimse werden korrespondierend zum
werden.
Fassadenverlauf nur an den Ecken und Fas-
Die gesamte Fassade springt leicht zurück.
sadensprüngen (Fassade hin zur Herrengas-
Anders Munch beobachtet darin Loos’ ein-
se) vertikal unterteil. Sie bilden eine Art von
sichtsvolle Reaktion auf den Baugrund, da
Einfassung oder Rahmung um den verputz-
er damit die „zufälligen Winkel der Straßen
ten Wohnblock. Dieses fast bänder- oder strei-
ausgleich[t]“925 und das Loos-Haus in seinen
fenartige Grundprinzip zieht sich über alle
Ecken rechte Winkel bewahren kann. Des
drei straßenseitigen Fassaden.
Weiteren heißt es dazu bei Munch:
Die Fassade zum Michaelerplatz, stellt in vielerlei Hinsicht das Gesicht des Gebäudes
„Dieses elegante Zurücknehmen sieht
dar. Jene Assoziation der Michaelerplatz-Fas-
man andernorts in Wien und es wurde
sade mit einem Gesicht wurde bereits 1912
beispielsweise an Otto Wagners Postspar-
aufgenommen. In einem Artikel von Otto
kassenamt wiederholt. Normalerweise
Zoff wird die durch Loos übermittelte Aus-
war es nur wie eine schmale, abgeschnit-
sage eines Herrn Auernheimer übermittelt,
tene Ecke mit einem Fensterfach zwischen
der gesagt haben soll: „Dieses Haus hat eine
den Ecken, Loos aber interpretierte es für
ernste, traurige Visage.“ Des Weiteren heißt
sich als breite, zurückgezogene Fassade.
es in dem Artikel: „Aber gerade darauf, nein,
Den eleganten Knick ließ er sogar bis ins
nur darauf kommt es an: auf die ernste Visa-
Dach weiterlaufen.“926
ge. Das zwanzigste Jahrhundert wird auch für Wien nicht mehr das Zeitalter der ‚Hetz‘
Als weiteren plausiblen Grund für die
sein.“921 Hugo Wittmann spricht von einem
Zurücknahme der Hauptfassade nennt
„exotischen“ und damit fremden Gesicht des
Munch Loos’ Eingehen auf die Rundung des
Loos-Hauses und berichtet davon, dass „Vor-
Michaelerplatzes, die vom direkt gegenüber
übergehende“ dem Haus „Flüche ins Gesicht“
gelegenen Michaelertrakt der Hofburg defi-
sagten.922 Adolf Loos sprach 1911 selbst in
niert wird.927 Diese Wirkung wird noch
seinem Aufsatz Mein Haus am Michaeler-
dadurch unterstützt, dass die Abstände der
platz von einer „glatten Visage“.
äußeren Fenster zu den Gebäudeecken der
923
Zunächst
ist es natürlich die Hauptansicht des Bauwerks und damit fungiert sie bereits als 921 Zoff 1985 (1912), S. 55f. 922 Wittmann 1985 (1910), S. 36f. 923 Loos 2010 (1911), S. 424.
924 Münz und Künstler 1964, S. 93. 925 Munch 2005, S. 42. 926 Munch 2005, S. 42–50. Hervorhebungen im Text stammen von Anders Munch. Vergleiche dazu Pogacnik 2011, S. 66–72. 927 Munch 2005, S. 38.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Michaelerfassade weniger als einen Fenster-
Gestaltung des Stadtraumes mittels der
abstand der inneren Reihen beträgt. So ent-
Richtlinien von Wahrnehmungs- und Emp-
steht der Eindruck einer nach außen hin
findungstheorien.930
geführten Stauchung der Formen. Zusammen
Der Marmorsockel des Gebäudes zieht
mit den weit auskragenden Gesimsen ver-
sich von außen betrachtet über drei Stock-
bindet sich dies zu einer eindringlichen Wir-
werke. Die vier Säulen des Eingangsberei-
kung, gleich einer konkav aufgespannten
ches erscheinen als Kolossalordnung und
Leinwand.
sind aus demselben Cipollinomarmor von
eine
928
Zu beobachten ist also deutlich
körperliche
des
der griechischen Insel Euböa gefertigt wie
Loos-Hauses von seiner Umgebung. Es
der Rest der Verkleidung der unteren
schwingt regelrecht zurück vor der Präsenz
Geschäftsetagen. Eingerahmt werden die
der kaiserlichen Hofburg und nicht etwa die-
monolithischen Marmorsäulenschafte durch
ser drängend entgegen. Dieses sich „elegan-
Basen und Kapitelle aus Tombak oder Zink-
te Zurücknehmen“ ist aber auch ein sich
guss mit Messing.931 Die erste Säulenbasis
Positionieren am Platz. Die fast bescheiden
von links steht noch direkt auf dem Boden,
anmutende Demut der Loos’schen Fassade
während sich sukzessive bis zur vierten Säu-
ist letztendlich aber eher ein selbstbewusstes
le der Baugrund nach unten verschiebt. Loos
aufgreifen der Formen der Umgebung, stam-
löst diese Unebenheit durch zwei eingescho-
men sie nun von der Michaelerkirche neben-
bene Stufen, die sich von links (Herreng asse)
an929 oder der Hofburg gegenüber. Loos ver-
nach rechts (Kohlmarkt) gesehen erst all-
ortet
der
mählich aufbauen. Ebenso verhält es sich
exklusivsten Umgebung der Metropole Wien,
mit dem unteren Gebäudeabschluss aus Gra-
und dies so präzise, dass es nur für diese eine
nit.932 Wenn man so will, könnte man vom
Stelle geformt wurde. In Bezug auf das Ein-
Sockel des Sockelgeschosses sprechen. Er
gehen Loos’ auf die Platzparameter und des-
reicht auf der linken Seite hin zur Herren-
sen Bezug zu Camillo Sittes Werk Der
gasse nur bis circa zur Wade eines Passanten
Städte-Bau nach seinen künstlerischen
und erstreckt sich bereits auf der Seite hin
Grundsätzen wird später noch näher einge-
zum Kohlmarkt bis ungefähr zu dessen Hüf-
gangen. Bereits an dieser Stelle ist jedoch zu
te und wird sogar über den Ansatz der Schau-
erwähnen, dass Sitte der Ansicht war, man
fenster gezogen um eine gewisse visuelle
solle Plätzen eine konkave Gesamtform
Vereinheitlichung oder Anbindung zur
geben, da so eine optimale Ausnutzung des
Hauptfassade zu erzeugen. Auf die Säulen-
Sehwinkels des Auges des Betrachters reali-
kapitelle folgt eine Art Variation eines Archit-
siert würde. Sitte plädiert folglich für eine
ravs, der die gesamte Breite der darunter
928 929
sein
Wahrnehmung
Gebäude
im
Kontext
Vergleiche dazu Münz und Künstler 1964, S. 97f. Munch erkennt in der „glattverputzten Fassade mit klaren Gesimsbändern […] und dem Mittelfeld mit vier Säulen“ der Michaelerkirche ebenfalls Merkmale des Platzes, die Loos in seiner Hauptfassade aufgreife. (Munch 2005, S. 38.)
930 Vergleiche dazu und zu Sittes Rezeption von Gustav Theodor Fechners Schriften Wilhelm 2006, S. 37, S. 40 und Reiterer 2005, S. 231f. 931 Czech und Mistelbauer ²1977, S. 49. 932 Czech und Mistelbauer ²1977, S. 49.
271
272
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
konkav geschwungenen Vorhalle und zwei-
ger kleinteiliges, rechteckiges Fensterfeld ein-
er links und rechts befindlicher Schaufens-
gefügt. Dieses ist jeweils auf der idealen
ter, die schmaler ausfallen als die Interko-
Ausblickshöhe für eine sich im Gebäude
lumnien, umfasst und zuletzt in die beiden
befindliche Person positioniert.
Umgebungsmauern eingreift. Dieses beidsei-
Will man die Analogie zur Säulenordnung
tige Einlassen in die Mauern erzeugt eine
beibehalten, könnte man beim soeben
Wirkung von Last, wobei dieser ‚Architrav‘
beschriebenen Fensterabschnitt vom Trigly-
in den Seitenfassaden in den bay windows
phon sprechen. Das so entstandene Gebälk
auf gleicher Höhe wieder aufgegriffen wird
wird letztendlich noch um ein recht breit
und fast einem Band gleich, vor und hinter
verlaufendes Geison ergänzt, bevor das
der Mauer sich entlang webt. Loos gestaltet
schon beschriebene zusätzliche Gesims den
ein klassisches Element nach dem Prinzip
Sockelbereich des Loos-Hauses abschließt.
‚Lasten und Tragen‘ aus der Hauptfassade in
Der hier behelfsmäßig als ‚Geison‘ bezeich-
Verbindung mit den Seitenfassaden fast zum
nete Mauerabschnitt ist in vier schmalere,
beweglichen Körper um. Ein und dasselbe
waagrecht verlaufende Gesimse unterteilt,
Material kann demnach unterschiedliche Wir-
gefolgt von einem breiten flachen Wand-
kungen vermitteln. Ein weiterer Aspekt in
abschnitt, um wiederum getoppt zu werden
dem ‚Spiel von Lasten und Tragen‘ am Loos-
von einem vierteiligen Gesimsband, das dann
Haus stellen die vier Hauptsäulen dar. Über
räumlich zu dem auskragenden Gesims über-
die Breite der Hauptfassade (14,13 m) zieht
leitet. Diese sanfte, in Etappen abgetreppte,
sich ein fünfstöckiger Stahlbetonrahmen, in
über die Wandflucht geführte Struktur ver-
den die vier Monolithen nur eingestellt sind,
mittelt zwischen Wohnblock und Dach. Der
aber keine tragende Funktion innehaben.
933
gesamte dazwischen sich erstreckende Wohn-
Sie werden ihrer eigentlichen Definition nach
bau ist zu diesen Gesimskomplexen zurück-
ad absurdum geführt.
drängend verwirklicht, und zwar nicht nur
Oberhalb des ‚Architravs‘ befinden sich
an der Hauptfassade, denn die gesamten
mittig ausgerichtet drei bay windows, die
Straßenfassaden funktionieren auf die glei-
umrahmt werden von zwei vielfach unter-
che Art und Weise. Hierdurch wird die zuvor
teilten Fenstern. Alle fünf Fenster nehmen
beschriebene Klammerwirkung der Gesimse
die Maße der Säulenzwischenräume von
noch verstärkt.
unten auf, wobei die zwei äußeren, die
Der Wohnblock unterteilt sich durch ein
schmaleren Maße der schon erwähnten
Gitternetz von gleichmäßig verteilten Fens-
Schaufenster aufgreifen. Die bay windows
tern, die aus jeweils drei senkrecht angeord-
sind ebenso wie die äußeren beiden Fenster
neten rechteckigen Fensterflächen bestehen,
durch Messingprofile934 vielfach in kleine
die wiederum von einer waagrecht gelegten
Quadrate unterteilt. Nur im jeweiligen mitt-
ebenfalls rechteckigen Fensterfläche abge-
leren Fenster der bay windows wird ein weni-
schlossen werden (Abb. 4 und 73). Die dadurch annähernd quadratisch wirkenden
933 Czech und Mistelbauer ²1977, S. 55. 934 Czech und Mistelbauer ²1977, S. 49.
Fenster reihen sich regelmäßig in vier Eta-
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
gen à fünf Achsen auf. Einige der Fenster
das Grün der heutigen Dachkonstruktion
sind mit bronzenen Blumenkästen
verse-
mit dem Grün des Marmors der Sockelzone
hen, deren Anbringung Loos bekannterma-
korrespondiert, wird einem erst klar, wenn
ßen im Rahmen der Debatten um sein Haus
man sich stattdessen einen schwarz gefärb-
als ‚Kompromisslösung‘ vorschlug.936 Marco
ten Bereich vorstellt. Allein die grünliche
Pogacnik betont hingegen, dass für Loos die
Farbe nobilitiert die Rolle des Daches in
Blumenkästen ein Ergebnis des Entwick-
einer Art und Weise, wie es Loos vermutlich
lungsprozesses waren. Pogacnik sieht im Fal-
nicht beabsichtigt hat. Auf Schwarz-Weiß-Fo-
le des Loos-Hauses eine langwierige Entwick-
tografien erkennt man, dass die Höhenent-
lung der Fassadengestaltung durch Loos
wicklung des Gebäudes in ihrer Wirkung
selbst gegeben und diese sei in seiner pro-
viel geringer ist und der Sockelbereich mit
zessualen Arbeitsweise an sich begründet
dem Wohnblock zusammengenommen viel
und nicht etwa allein durch die Probleme
dominanter erscheinen. Ein weiteres Phä-
mit der Öffentlichkeit und vor allem mit der
nomen, das einem Höhendrang des Gebäu-
Gemeinde.
935
Zunächst ist deren Verteilung
des zuwider läuft, ist die Achsenverschie-
zu benennen. Die untere Reihe der Wohn-
bung der Fenster zwischen Geschäfts- und
blockfenster besitzt keine Blumenkästen, da
Wohnhaus. Ludwig Münz und Gustav Künst-
sie regelrecht auf das Sockelgeschoss aufsitzt.
ler führen dies auf Loos’ Äußerung, „Mir
Die zweite Reihe ist durchgehend mit
war es darum zu tun, Geschäftshaus und
Blumenkästen ausgestattet, während in der
Wohnhaus streng zu trennen“939, zurück. Sie
dritten Reihe nur die äußeren und das mitt-
sprechen von einer Differenzierung, die
lere Fenster von Blumenkästen begleitet wer-
sozusagen „musikalisch birhythmisch“940
den. Um dann schließlich in der vierten und
vorginge. An der Fassade ist somit eine deut-
obersten Fensterreihe nur noch die äußeren
liche Zweiteilung zu beobachten, die sich
mit Kästen zu versehen.
nicht nur in der Materialität auszeichnet,
937
Das Kupferdach, das, wie von Loos eingeplant, schwarz anlaufen sollte, wird von ihm nicht mehr als „architektonische Ausgestaltung“ wahrgenommen.
sondern sich auch in ihrer Struktur und deren Rhythmik verdeutlicht. Will man die Fassade in seiner Gänze ver-
Im heutigen
stehen, muss man auch deren Tiefenentwick-
Zustand sehen wir uns mit einem grünlichen
lung bedenken. Diesbezüglich muss man sich
Dach konfrontiert, dass nur in der Mitte-
noch näher mit der Vorhalle, dem Raum zwi-
lachse der Hauptfassade auf der Breite der
schen Säulen und Haupteingang, beschäfti-
mittleren Fensterachse des Wohnblockes
gen. Hinter den unkannelierten Säulen
einen schwarzen Streifen aufweist. Wie stark
erstreckt sich ein konkav geschwungener
938
Raum, dem sich die Schaukästen im gleichen Schwung von der anderen Seite aus anschmie935 Bösel 1992, S. 154. 936 Vergleiche dazu Long 2011, S. 132 und S. 146f. 937 Pogacnik 2011, S. 93f. 938 Loos 2010 (1910.2), S. 383. Siehe auch Rukschcio und Schachel 1982, S. 151.
gen. Oberhalb der großflächigen Schaufens939 Loos 2010 (1910.4), S. 388. 940 Münz und Künstler 1964, S. 94.
273
274
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
ter befindet sich eine Reihe von Sprossen-
befinden, da sie durch ihr Gittergerüst zum
fenstern und die Platten der Überdachung
einen eine distanzierte Haltung repräsentie-
dieses Außenraumes bestehen vermutlich aus
ren und zum anderen nachts durch die ein-
dem gleichen Material wie die Basen und
gefassten Glühbirnen im Eingangsbereich
Kapitelle der Säulen: Tombak oder Zinkguss
den „Eindruck eines Feuerwerks“ entstehen
mit Messing. In sie eingelassen sind Fassun-
lassen.943 An dieser Beschreibung von Munch
gen für Glühbirnen.
Es entsteht ein Raum,
ist einiges bemerkenswert. Es geht ihm vor
der weder zum Straßenleben noch zum Inne-
allem darum, Wirkungen und Wahrnehmung
ren des Gebäudes gehört (Abb. 73). Man
der Architektur zu beschreiben. Die Wieder-
kann ihn auch nicht als eine übliche Waren-
gabe des Platzes für den Eintretenden stili-
haus-Eingangssituation definieren, da diese
siert den Säulenraum für ihn zu einem Ruhe-
ja eher ein barrierefreies Einströmen der
punkt. Auch Münz und Künstler sprechen
Kundschaft ermöglichen möchte. Vielmehr
von einem vor dem „hastenden Passanten-
handelt es sich um eine abgesonderte Pforte,
verkehr abgesonderte[n] Refugium“, in dem
durch die man schreitet, und bevor ein Besu-
man schon vor Betreten des Geschäftes sich
cher das Gebäude betritt, wird ihm in den
anhand der Auslagen in den Schaufenstern
Schaufenstern noch einmal der Michaeler-
ein Bild vom Angebot machen konnte.944
platz insbesondere mit der Hofburgfassade
Eine Art von Verlangsamung geschieht, bevor
gespiegelt. Ludwig Münz und Gustav Künst-
man das Innere der gediegenen Luxuskon-
ler sehen die Kolonnade als „elastischen“
sumwelt betritt. In diesem Punkt ist Munch
Abschluss der Hauptfassade an.
941
Anders
deutlich zuzustimmen. Es sollte aber auch
Munch betont in seiner Beschreibung der
ergänzt werden, dass zu einem Großteil eben
Eingangssituation die „monolithische Schwe-
der Michaelertrakt der Hofburg und der Platz
re der Säulen“ und spricht von „respektein-
zwischen diesen beiden Gebäuden in den
flößenden Bekleidungen“. Die Fensterschei-
Schaufenstern gespiegelt wird und man mei-
ben des Hochparterres seien als ein Merkmal
nen könnte, der vornehme Kunde von Gold-
von „Exklusivität“ zu interpretieren, da sie
man & Salatsch betrete nicht nur das Schnei-
den sich dort aufhaltenden Kunden vor Pas-
dergeschäft, sondern ebenso die Hofburg. So
santenblicken schützen. Beim Raum zwi-
heißt es treffend bei Richard Bösel:
942
schen Säulen und Eingangstür betont er die Spiegelung des Platzes in den Glasscheiben.
„Das tiefe Einschwingen der Spiegelschei-
Jenes gespiegelte Abbild hat seiner Ansicht
ben im Inneren der Säulenvorhalle erzeugt
nach eine Reaktion des „Innehaltens und
hier nicht nur den für den Platzorganis-
der Besinnung“ zur Folge. Des Weiteren
mus nötigen zusätzlichen Außenraum, in
betont Munch eine kontrastierende Wirkung
gewissem Sinne antwortet es auch auf die
für die konvex verlaufenden Sprossenfenster
Exedra der Michaelerfront. Ganz offen-
des Mezzanins, die sich zwischen den Säulen
sichtlich wird dieser Sachverhalt beim
941 Czech und Mistelbauer ²1977, S. 49. 942 Münz und Künstler 1964, S. 97.
943 Munch 2005, S. 50. 944 Münz und Künstler 1964, S. 98.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Blick aus dem Inneren des Geschäftslokals, da sich dann die Rundung der Vitri-
Die Fassaden zur Herrengasse und zum Kohlmarkt
nen mit dem Fassadenschwung der gegenüberliegenden Hofburg zu einer einzigen
Die Nebenfassaden zur Herrengasse und zum
ovalen Konfiguration zusammenfügt.“945
Kohlmarkt folgen den bereits an der Hauptfassade erläuterten Grundsätzen, zeichnen
Durch diese Erläuterung wird klar, dass das
sich untereinander jedoch durch enorme
hier erarbeitete Szenario einer visuellen
Unterschiede in der Längenausdehnung aus
Untermauerung der Nähe und Zugehörigkeit
(Abb. 4). Während sich die Fassade in die Her-
zur Hofburg auch in der diametralen Rich-
rengasse über 28,35 m erstreckt, beträgt die
tung beim Verlassen des Schneiderhauses
Fassade zum Kohlmarkt hin gerade mal
funktioniert. Eine visuell dezente Untermau-
10,5 m.948 Durch die leichten Unterschiede in
erung des Titels K. und K. Hoflieferant und
der Fassadenausdehnung zur Herrengasse, die
die Nobilitierung ihrer Kundschaft wird so
bis hin zum Dachgesims gezogen werden,
geschaffen, und jeder soll sich schon vor dem
erscheint der Gebäudeabschnitt, der sich zwi-
Betreten des Geschäftes dessen gewärtig wer-
schen Kohlmarkt, Michaelerplatz und dem
den.
Diese Art von Inszenierung des Bli-
ersten Drittel der Herrengasse erstreckt, wie
ckes wird auch noch einmal überdeutlich
ein Mittelrisalit, der gleichzeitig auch einen
durch die Lampen an der Decke der Vorhal-
Eckrisalit darstellt. Kurt Lustenberger beob-
le. Münz und Künstler sehen sie vor allem
achtet in diesem Zusammenhang den Effekt,
im funktionalen Licht begründet, um auch
dass sich „die Frontwirkung zum Michaeler-
in Abendstunden gute Sicht auf die Waren-
platz“ durch den Umstand, dass sie von „zwei
welt der Schaufenster zu ermöglichen. Sie
gleichgewichtigen Fassadenteilen gerahmt“949
sprechen aber auch von einer Betonung der
wird, intensiviert.950 Aber auch die Fassade
„Selbstständigkeit“ der Halle durch ein „Netz
zur Herrengasse für sich genommen wird in
von Glühlämpchen“.947 Anhand der Formu-
ihrer Länge vertikal durch die „Rückstaffelung
lierungen der beiden Autoren wird offen-
des Fassadenmittelteils“951 untergliedert und
sichtlich, dass es sich darum handelt, eine
bekommt so eine eigenständige, abwechslungs-
Lichtstimmung zu umschreiben, die zunächst
reiche Wirkung, die einer einfachen Reihung
nur gebrauchsorientiert begründet scheint.
entgegenläuft.
946
Über die schlichte Beleuchtung von Waren
In der Gestaltung des Daches und des
geht die Wirkung der Lampen aber hinaus.
Wohnblockes unterscheiden sich die Neben-
Sie spannen einen Lichtraum auf.
fassaden nicht wesentlich von der Hauptfassade. Nur die Anbringung der Blumenkästen, 948
945 946
947
Bösel 1992, S. 28. Detaillierte Angaben zum Kundenkreis, und in wie viele Länder das Unternehmen seine Ware exportierte, finden sich bei Topp 2004, S. 135f. Münz und Künstler 1964, S. 98.
Jene Maße sind dem Buch von Ralf Bock entnommen. Da dieses die am exaktesten ermittelten Baudaten aufführt. (Bock 2009, S. 126.) 949 Lustenberger 1994, S. 68. 950 Lustenberger 1994, S. 68. 951 Lustenberger 1994, S. 68.
275
276
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
die sich nun nur noch auf der zweiten Fens-
sing. Sie ist annähernd geformt wie ein Kreis,
terreihe von unten befinden, variiert. Sie bil-
der sich in regelmäßigen Wellen nach oben
den somit einen durchgehenden, über alle
stülpt. Belegt ist er mit blattförmigen Gebil-
drei Straßenfassaden reichenden Kranz.
den, die zu einer Stange zusammenwachsen,
Deutlichere Abweichungen finden sich
an der die kugelförmige Lampe mit einer Art
jedoch im Sockelbereich. Im Erdgeschoss
Öse eingehängt ist. Die Schilder sind vor
befinden sich weitere Schaufenster, während
allem Wiederholungen von zwei Typen: habs-
sich über das in zwei Höhenebenen geteilte
burgischer Doppeladler, der ergänzt wird
Mezzaningeschoss (Mezzanin und Mezzanin
durch den Schriftzusatz K. und K. Hofliefe-
galerie) weitere bay windows ziehen. Sie sind
ranten, und bekrönte Wappen. An der Fas-
nun aber größer in ihrer Länge und sind
sade zum Michaelerplatz befinden sich ober-
jeweils links und rechts von zwei einge
halb der zwei mittigen Säulen noch zwei
stellten Cipollinomarmor-Säulen begleitet
weitere Wappensorten. Bei der linken der
(Abb. 73). Dieses so entstehende Motiv erin-
beiden handelt es sich um einen bekrönten
nert laut Marco Pogacnik unter anderem an
Anker, während das rechte Emblem Flügel
den Konservatorenpalast in Rom.952 Die
aufweist. Elana Shapira weist in ihrer Dis-
Fenster werden durch das bereits erwähnte
sertation darauf hin, dass Goldman &
‚Architrav‘-Band geteilt und lassen nur so
Salatsch Uniformenlieferant des kaiserlichen
die inneren Raumhöhen erahnen. Die Basen
Yachtclubs war und der Import und Export
der Säulen stehen auf niedrigen Plinthen.
der Firma auf Seehandel beruhte. Diese Fakten spiegeln sich nun auch – neben der
Die Ornamentik der Fassade
Nähe zum Hof – an der Fassade durch die Anbringung der Symbole des kaiserlichen
Die Blumenkästen wurden bereits erwähnt.
Yachtclubs, der drei königlichen Höfe
Auf die Materialästhetik als Ornament soll
Österreich-Ungarns, Ungarns und Bayerns,
gesondert erst im Rahmen des Abschlusska-
sowie des Emblems des Österreichischen
pitels dieser Arbeit eingegangen werden.
Automobilklubs wider.953 Durch diese Anga-
Daher bleibt an dieser Stelle nur noch, die
ben ist gesichert, dass die Wappen mit Anker
an der Fassade befindlichen Lampen und
der k. u. k. Marine und dem Yachtgeschwa-
Schilder als ‚Ornamentik‘ zu erwähnen
der bzw. dem kaiserlichen Yachtclub sowie
(Abb. 73). Bei den Lampen handelt es sich
das Emblem mit geflügelten Rädern, aus
um zwei an der Hauptfassade angebrachte
denen Blitze entfahren, dem Österreichischen
Hängekonstruktionen. Jeweils links und
Automobilklub beizuordnen sind.954 Zuletzt
rechts auf der Höhe des Mezzaningeschos-
ist noch der Firmenschriftzug Goldman &
ses auf der mittleren Höhe der bay windows
Salatsch in Großbuchstaben zu nennen, der
befindet sich eine Lampe. Die Halterung
sich einer Inschrift gleich mittig über den
besteht wohl aus schwarz angelaufenem Mes-
‚Architrav‘ zieht. Elana Shapira erklärt über-
952 Pogacnik 2011, S. 108–112.
953 Shapira 2004, S. 324. 954 Pogacnik 2011, S. 47 und S. 60.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
zeugend die Änderung des eingedeutschten
öffnenden Segmente variiert, als auch der
„Goldmann“ zum Anglizismus „Goldman“
Umstand, ob sie gekippt oder nach außen
für den Firmennamen durch die mögliche
aufschwingend geöffnet werden können. Der
Vertiefung der Geschäftsbeziehungen zur
Liftschacht besteht überwiegend aus Glas.
englischen Modebranche. Diese Namensän-
Einem gläsernen Turm gleich schmiegt er
derung, und damit deren visuell unterstri-
sich an die Fassade. Bedenkt man, dass der
chener Kulturbezug zu England, vollzog
Boden des Hofes mit Glasbausteinen ausge-
Michael Goldmann, der Vater von Leopold
legt ist,957 entsteht der Eindruck einer Kor-
Goldmann und der Mitbegründer der Firma
respondenz der Materialien. Neben dem Glas
Goldmann & Salatsch, bereits 1886 und leg-
ist es vor allem der an dieser Stelle nun sicht-
te damit eine klare Linie des Herrenausstat-
bare Klinker und der Beton der Stützen.
ters fest.955
Glas, Beton und Ziegelstein vermitteln fast die nüchterne Materialästhetik einer Fabrik.
Die Hoffassade
Die Fenster, die teilweise wie nur kurz unterbrochene Bänder über die oberen Stockwer-
Die Hoffassade (Abb. 76) unterscheidet sich
ke der Fassade gleiten, schaffen jedoch keine
von den straßeneinsichtigen Schauseiten
Breitenwirkung für die Fassade. Alles strebt
eklatant. An dieser Fassade sind im Gegen-
nach oben. Das sichtbare Stützensystem gibt
satz zu den repräsentativen Fronten die Stüt-
den vorherrschenden Ton an und die Fens-
zensysteme nachvollziehbar. Hinzu kommt
ter scheinen eingepasst in die Mauersegmen-
der Liftschacht, der deutlich aus der Fassa-
te zwischen den Stützen. Die Fassade wirkt
denflucht hervortritt. Die Fensterflächen
wie eine Aneinanderreihung von einzelnen
variieren in ihrer Form von quer liegenden
Turmteilstücken. In seiner schlichten und
Sprossenfensterbändern, die nur durch die
funktionalen Ästhetik scheint dieser Innen-
Stützen unterteilt werden, über großflächige
hof einen Vorgänger in dem Hinterhof der
hochrechteckige Sprossenfenster, die für sich
Österreichischen Länderbank zu haben. Die
allein stehen und hohe Räumlichkeiten hin-
Österreichische Länderbank von Otto Wag-
ter sich vermuten lassen, bis hin zu Fenster-
ner wurde bereits von 1882 bis 1884 in der
anlagen aus drei nebeneinander gestellten
Inneren Stadt, dem 1. Gemeindebezirk von
hochrechteckigen Fensterscheiben. Auf Foto-
Wien, erbaut. Beiden Gebäuden ist weiter-
grafien ist zu erkennen, dass die Fenster sehr
hin die Kontrastwirkung von einer repräsen-
individuell in ihren Öffnungsmöglichkeiten
tativen
gestaltet sind.
955
956
956
Hauptfassade
mit
klassischen
Sowohl die Maße der zu
Siehe dazu Shapira 2004, S. 233–276. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird die Schreibweise „Goldman“ verwendet. Im Rahmen einer durch Dr. Reinhard Pühringer ermöglichten Besichtigung des Hauses am Michaelerplatz im März 2012, war es der Autorin glücklicherweise auch möglich den Innenhof des Gebäu-
des zu besichtigen und jene Beobachtung auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Dabei wurde auch offensichtlich, wie essenziell wichtig es für das Verständnis der Architektur Adolf Loos’ ist, seine Gebäude über Pläne und Fotografien hinaus selbst zu erkunden. Daher nochmals vielen herzlichen Dank für die Unterstützung an Dr. Reinhard Pühringer und die Raiffeisenbank Wien. 957 Bock 2009, S. 128.
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278
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
eck mit unregelmäßigen Breiten. Dadurch entsteht die L-Form, die vor allem durch den Baugrund vorgegeben ist.
Das Parterre Am Grundriss (Abb. 79) ist deutlich zu erkennen, dass der konkave Schwung der Vorhalle nicht ins Innere weitergeführt wird. Die Schauvitrinen gleichen diese Rundung aus und lassen durch ihren geraden Abschluss nach innen einen quadratischen Geschäftsraum entstehen. Dieser Raum wird umrissen von einem Netz von vier Reihen à vier Pfeilern; davon sind die vier mittleren freistehend. Genau gegenüber dem Eingang befindet sich die Treppe, die zunächst einläufig und gerade bis zu ihrem ersten Podest verläuft. Rechts der Treppe schließt an den quadratischen Raum eine Treppe in das Souterrain an. In der Achse von EinAbb. 76: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Hinterhof, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie von Kurt Gerlach, Albertina, Wien
gang und Treppe ist im Einreichungsplan vom 04. Juli 1910 (Abb. 79) an der Mauer, die gegenüber dem Eingang liegt, eine Fensteröffnung zu erkennen. Letztendlich wurde an die-
Architekturwürdeformeln wie Säulen und Pilastern zu einer weniger formellen Hinter-
ser Stelle ein Spiegel montiert. Links
und
rechts
dieses
zentralen
hoffassade, die in ihrer schlichten Erschei-
Geschäftsraumes befinden sich kleinere
nung revolutionär für ihre Zeit erscheinen,
Geschäftslokale, die von Anfang an vermie-
gemein.
tet werden sollten.958 Im Seitentrakt zur Herrengasse sind weiterhin das Vestibül und die
Die Grundrisse und Schnitte – Der Beginn des Raumplanes und die Verwischung der Ebenen
Treppe für die Wohnungen in den vier oberen Stockwerken, weitere Geschäftslokale und der Hofraum mit dem ans Treppenhaus angrenzenden Lift auszumachen.
Der Grundriss umschreibt in allen Etagen
Insgesamt ist eine starke Dominanz des
zwei Überformen (Abb. 77 bis 79). Ein Fünf
quadratischen Hauptraumes und dessen
eck bildet der zuvor beschriebene Bereich,
Anbindung zur Vorhalle und einer eigenen
der mit einem Mittel- oder Eckrisalit assoziiert werden kann. Auf diesen folgt ein Recht-
958 Bock 2009, S. 128.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Treppenanlage zu vermerken. Alle weiteren
stehen als eine Ökonomisierung von Bau-
Räumlichkeiten des Parterregrundrisses neh-
kosten durch Raumverschiebungen. So führt
men die so vorgegebenen Formen auf und
Münz – seinen Begriff der Raumökonomie
schmiegen sich in das Raumensemble ein.
selbst relativierend oder erläuternd – aus,
Nutzräume jeglicher Art, die diese zusam-
dass Loos des Öfteren das Kaminzimmer
menhängende Raumkette stören könnten,
vom Wohnraum durch eine abgetrennte
werden in andere Bereiche des Gebäudes
Decke räumlich absetzte. Er habe dadurch
verlagert. Deutlich wird schon am Grundriss,
in Kauf genommen, de facto Raum zu ver-
dass der selbstbewusste Präsentationskanon
lieren, um im Gegenzug dafür eine „beson-
der Fassade auch ins Innere des Loos-Hau-
dere Raumwirkung“, die durch „Intimität“
ses übertragen wird.
geprägt ist, zu gewinnen. Dadurch sieht Münz eine Zweckorientierung bei Loos gege-
Das Mezzanin und die Mezzaningalerie
ben, die den Begriff der Raumökonomie begründe. Auch wenn Münz den Tatsachen
An dieser Stelle ist eine systematische
nach Recht zu geben ist, verwundert seine
Beschreibung äußerst kompliziert, da Adolf
Wortwahl. Eine Planung – die vor allem
Loos bereits am Michaelerhaus eine starke
darauf ausgerichtet ist, Wechselwirkungen
Überlappung von Etagenebenen prakti-
zwischen Funktion und Wahrnehmung des
ziert,
was er später zu einem Bauprinzip
Raumes herzustellen – als ökonomisch zu
seiner Villen weiterentwickeln wird und von
bezeichnen, scheint erzwungen. Vielmehr
seinem Schüler Heinrich Kulka in seiner
ist zu betonen, dass Loos die Räumlichkeiten
Stringenz als „Raumplan“ bezeichnet wur-
in Hinblick auf den Bewohner und seinen
de.
959
Adolf Loos sprach selbst vom „Raum
Komfort sowie sein Wohlgefühl konzipierte.
entwerfen“ und diese „Raum-Konzeption“
Auf der Höhe des ersten Podestes teilt sich
verbinde „Niveaustufen“ mit „Raumüber-
die Treppe in zwei Treppenläufe, die breit
gängen“.961 Ludwig Münz spricht vom
ausschwingen (Abb. 77 und 78). Durch sie
„Raumplan“ als einer Raumökonomie.
962
gelangt man auf die Ebene des Mezzanins
Wie bereits im Rahmen der Untersuchungen
(Niveau: + 5,00 m).963 Der mit dem quadra-
zur Villa Karma gezeigt wurde, und Ähnli-
tischen Hauptraum des Parterres identische
ches gilt auch für das Haus am Michaeler-
Bereich ist nun kleinteiliger gestaltet. Direkt
platz, ist der Raumplan nach Loos aber eng
an die Stiegenanlage schließt ein von vier
verknüpft mit Lichtstrategien und Weglen-
Freistützen umrissener Bereich an, der der
kung in seinen Architekturen, die vielmehr
Buchhaltung vorbehalten ist. Hinter diesem
im Mittelpunkt der Loos’schen Planungen
befindet sich eine kleinere Treppenführung
960
hoch zum Empfangssalon, der sich oberhalb der Vorhalle befindet. Zwischen Treppe und 959 Pogacnik 2011, S. 74. 960 Vergleiche dazu Roth 1995, S. 169–188 und Worbs 1982. 961 Worbs 1982, S. 23 und S. 26. 962 Münz 1989, S. 14–16.
Empfangssalon und auf dessen Ebene verläuft
963 Rukschcio und Schachel 1982, S. 468.
279
280
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 77: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Grundriss vom unteren Mezzanin, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, aus: Ralf Bock: Adolf Loos. Leben und Werk 1870–1933, München 2009, S. 129
beiden Zwischengeschossen; auch verketten weitere kurze Treppenläufe die verschiedenen Mezzaninebenen miteinander. Toiletten wurden in die Winkel links und rechts der Haupttreppenläufe eingepasst. Ihre Eingänge
964
die Mezzaningalerie (Niveau: + 6,32 m).
sind diskret über die Seitenräume zugänglich
Salon und Galerie werden nur durch niedri-
und nicht etwa über die in der Mittelachse
ge Brüstungen voneinander abgetrennt. Links
befindlichen Räumlichkeiten. Im Seitentrakt
des Empfangs- oder Wartesalons befinden
der Herrengasse – auf der Ebene der Mezza-
sich drei Garderoben, deren Erschließung
ningalerie – sind Kleiderdepot und Zuschnei-
über die Galerie erfolgt. Rechts des Salons
deateliers verortet, während im Mezzanin
kann man auf Höhe der Mezzaningalerie
weitere Stofflager, die Hemdenwerkstätte und
einen Raum mit Stoffregalen umlaufen, der
die Schneiderei liegen (abgesenktes Mezza-
sich aber in seiner Höhenerstreckung teilwei-
nin Niveau: + 4,10 m).965 Der Bügelsaal oder
se sowohl über Mezzanin als auch über die
Luftraum befindet sich am äußeren Ende des
eingeschobene Mezzaningalerie erstreckt.
Herrengassentraktes und nimmt die Höhe
Von hier aus ermöglicht eine weitere Treppe
beider Ebenen ein, damit eine bessere Luft-
eine abermalige Verbindung zwischen den
zirkulation im Raum gewährleistet ist.
964 Rukschcio und Schachel 1982, S. 468.
965 Rukschcio und Schachel 1982, S. 468.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Abb. 78: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Grundriss vom oberen Mezzanin bzw. Mezzaningalerie, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, aus: Ralf Bock: Adolf Loos. Leben und Werk 1870–1933, München 2009, S. 129
Die Wohnstockwerke
seite eine über 7 m breite stützenfreie Zone ergibt.“966 Hinzu kommt aber, dass die Wohnstockwerke in Richtung Innenhof weniger ausgreifend ausfallen. Der Raumbereich, der im Rahmen der Geschäftsgeschosse die Haupttreppe auf-
Zu den Grundrissen der oberen vier Wohn-
nimmt, fällt bei den oberen Geschossen weg.
geschosse werden bei Rukschcio und Scha-
Die Fassade springt hier deutlich zurück. Nur
chel nur folgende Informationen genannt:
so erklärt sich auch die Lichtquelle für das Oberlicht dieses Treppenschachts. Des Wei-
„Die Struktur des Unterteils (Keller, Sou-
teren ist am Grundriss zu erkennen, dass die
terrain, Parterre, Mezzanin, Mezzanin-
Zimmer, die an die straßenseitigen Fassaden
Zwischengeschoß) ist mit der des Ober-
anschließen, fast durchgehend als Enfilade
teils (erster bis vierter Stock) fast
ausgebaut sind. Nur die Tatsache, dass pro
identisch; im Oberteil ist – um freiere
Etage zwei Wohnungen konzipiert wurden,
Wohnungs- und Bürogrundrisse zu ermög-
lässt die Zimmerflucht einmal unterbrechen.
lichen – im Mittelteil eine Stützenreihe weggelassen, so daß sich an der Straßen-
966 Rukschcio und Schachel 1982, S. 465.
281
282
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 79: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Grundriss Erdgeschoss, Einreichplan vom 04. Juli 1910
Badezimmer sind mit Badewannen ausgestattet.
Schnitte Die jeweils herrschaftlichere Wohnung jeder Etage umschreibt den bereits von Kohlmarkt
Dank der Veröffentlichung von Ralf Bock
über die Hauptfassade und Teile der Herren-
aus dem Jahr 2009 stehen nun auch detail-
gasse umschriebenen Raum des ‚Haupt‘- oder
lierte Schnitte durch das Michaelerhaus in
‚Eckrisalits‘. Zur Hofseite orientieren sich
Buchform leicht zugänglich zur Verfügung.967
zum einen das zum Geschäftstrakt gehören-
Es handelt sich um drei Schnitte, die von
de eigenständige Treppenhaus mit Lift und
Bock folgendermaßen gekennzeichnet sind:
Entree und zum anderen die Versorgungs-
AA, BB und CC.968 Schnitt AA schneidet
räume wie Bad, Toilette, Küche und Zimmer
durch den Herrengassentrakt, während BB
für Bedienstete. Anhand des Grundrisses
den Michaelertrakt parallel zum Michaeler-
lässt sich deutlich erkennen, dass Loos ver-
platz durchfährt, und CC durchkreuzt den
winkelte Bereiche seines Grundrisses nutzte,
Michaelertrakt mittig vom Eingang bis zur
um Wandschränke und Speisekammern unterzubringen. Jede Wohnung ist mit mindestens zwei Toiletten versehen und die
967 Bock 2009, S. 130f. 968 Siehe dazu Bock 2009, Schnitt AA auf S. 130f. sowie Schnitt BB und CC auf S. 131.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
gegenüberliegenden Haupttreppe und dem
traktes das Treppenhaus zu den Wohngeschos-
dahinter befindlichen Hinterhof. Anhand der
sen und dem Dach zugänglich war. Nicht nur
Schnitte wird deutlich, dass die Ebenenver-
auf jeder Etage, sondern auch auf jedem Podest
schiebungen zahlreich sind. So kann man
war es möglich, in das Treppenhaus einzutre-
insbesondere an Schnitt BB erkennen, dass
ten. Im Parterre konnte man entweder von der
nicht nur das Mezzaningeschoss sich in zwei
Herrengasse über einen separaten Eingang zur
unterschiedliche Höhenebenen teilt, die, wie
Treppenanlage gelangen oder durch einen
in Schnitt AA zu erkennen, beim Bügelsaal
Zugang vom Hauptgeschäft Goldman &
wieder zusammengenommen werden, son-
Salatsch. Zum ersten Podest gelangte man über
dern zu beiden Seiten der Halle im Parterre
eine Treppe in einem der abgesonderten
schiebt sich das Mezzanin oberhalb der zu
Geschäftslokale. Vom Mezzanin des Geschäfts-
vermietenden Geschäfte weiter in die Eta-
lokals von Goldman & Salatsch führte eine
genhöhe des Parterres nach unten durch. So
kurze Treppe zur nächsten Eingangstür der
gewinnt Loos an dieser Stelle weiteren Stau-
Treppenanlage und zuletzt gelangte man noch
raum für das Stofflager und Raumhöhe für
über drei Stufen abwärts vom Zuschneideraum
die Büros der Firma Goldman & Salatsch
in das besagte Treppenhaus.
im Mezzanin unterhalb der Mezzaningalerie,
Schnitt CC verdeutlicht, wie das Spros-
während die verpachteten Geschäftslokale
senfensterband der Säulenhalle oberhalb der
weiterhin eine angenehme Raumhöhe besit-
Schaufenster die Ebenenverschiebungen im
zen. Dadurch ist eine deutliche Prioritä-
Haus überspielt. Es umreißt nämlich in sei-
tensetzung der Auftraggeber und des Archi-
ner Höhe das obere Ende des Erdgeschosses,
tekten zu erkennen. Die Präsenz und
die Etagenzwischenwand und die knappe
Funktion der Räumlichkeiten für die Firma
Höhe zwischen Mezzaninebene und Boden
Goldmans und Aufrichts stand im Mittel-
der Mezzaningalerie, die durch eine achtstu-
punkt, die beigefügten Räumlichkeiten dien-
fige Treppe überbrückt werden kann. So
ten demnach wohl der Einnahme von Mie-
dient das Fensterband aber auch zwei Eta-
ten als Nebeneinkünften, jedoch nicht etwa
gen zur Ausleuchtung. Klarer wird in CC
für die Schaffung von direkter Konkurrenz.
auch die Beleuchtung der Haupttreppe. Von
Eine Staffelung in der Ausgestaltung der
innen ist deren gerader Abschluss nach oben
Räumlichkeiten wird so subtil lesbar. Eine
mit Glasbausteinen zu erkennen. Im Schnitt
weitere Beobachtung lässt sich mithilfe des
ist ein abgeschrägtes Pultdach auszumachen,
Schnittes BB machen. In dieser Schnittach-
das vermutlich auch aus Glas bestand. Ein
se funktioniert das Gebäude so gut wie sym-
Pfeil deutet den Einfall von Licht an. Eben-
metrisch. Zieht man eine senkrechte Mittel-
so schließt ein zweites Pultdach weiter nach
linie, erweisen sich Treppen, Geländer,
außen gesetzt auf der Höhe des Mezzanins-
Pfeiler und Ausmaße der Räume als in dieser
bodens an. Es besteht wohl aus dem gleichen
Linie gespiegelt.
lichtdurchlässigen Material wie das erste und
Am Schnitt AA lässt sich sehr gut ablesen, dass von fast allen Etagenebenen des Geschäfts-
dient wohl der Beleuchtung der Treppe zum Souterrain oder des Souterrains selbst.
283
284
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Entwürfe – eine Auswahl und der Ansatz einer Entwicklung
Kolonnade.971 Diese Ansicht wird durch den genannten Entwurf gestützt. In ihr findet sich nämlich eine gänzlich anders geartete Ein-
Als aufschlussreich erweisen sich eine frühe
gangssituation. Sechs Pfeiler sind regelmäßig
Entwurfsversion von Adolf Loos für den
über die Länge der Frontfassade verteilt und
Grundriss des Parterres – vermutlich vom
zwischen ihnen erstrecken sich Glasfronten
Sommer 1909 (Abb. 80) – und eine Vorstu-
mit Vitrinen. Beiderseitig des mittig gelege-
die zur Ausführungsversion des Grundrisses
nen Eingangs befinden sich abgerundete
des Mezzanins mit Detailzeichnungen zum
Vitrinen, die eine ähnliche Ausführung wie
Außenbau vom 11. August 1909 (Abb. 81).
bei dem Geschäftslokal der Firma KNIŽE
Bei dem frühen Entwurf des Erdgeschoss-
im Graben vermuten lassen. Ebenso sind die
grundrisses stimmt die zu bebauende Parzel-
Eingänge zu den Geschäftslokalen zur Her-
le in ihren Ausmaßen noch mit denen des
rengasse hin geplant.972 Ein weiterer erheb-
zuvor von Goldman und Aufricht veranstal-
licher Unterschied zum verwirklichten Bau-
teten Wettbewerbes, an dem Loos nicht teil-
werk ist die fehlende Verkröpfung der
nehmen wollte oder sollte,969 überein. Wie
Kanten. Zu diesem Zeitpunkt plante Loos
bereits bei dem Entwicklungsverlauf des
offensichtlich noch keine zurück schwingen-
Michaelerplatzes erwähnt, wurde eine Ver-
de Korrespondenz mit dem konkaven Micha-
änderung der Parzellierung vorgenommen.
elertrakt der Hofburg. Als weitere Abwei-
Die Fassade zum Michaelerplatz sollte wei-
chung ist zuletzt noch das Treppenhaus zu
ter nach vorn in den Platz greifen, da sich
den oberen Stockwerken des Wohnblockes
die Stadt somit eine finanzielle Ersparnis
zu erwähnen. Loos beabsichtigte zunächst
erhoffte. Auf diese Weise wurde nämlich die
auch, die Treppenanlage in den Hof auskra-
Ablösesumme für das benötige Grundstück
gen zu lassen und den Lift vielmehr in den
zur Schaffung des Platzraumes verringert.
970
von den annähernd halbrunden Treppenläu-
Dadurch dezimierte sich aber auch die Fas-
fen und Vestibül beziehungsweise Podesten
sadenbreite von circa 20 m auf 16,15 m. Die-
umschriebenen mittig freigelassenen Raum
se Versetzung der Baulinie ist im besagten
einzufügen (Abb. 80).
Entwurf (Abb. 80) bereits durch eine gestri-
Bei der Vorstudie vom 11. August 1909
chelte Linie angedeutet. Durch die Vergrö-
(Abb. 81) zeichnet sich ein deutlicher Wan-
ßerung des Baugrundes entstand nach Münz
del ab. Mittlerweile ist der Lift auskragend
und Künstler überhaupt erst die Idee einer
in den Hof gewandert und wird nicht mehr von der Treppenanlage umrahmt. Vor allem
969
970
Vergleiche zu den Beweggründen Loos’, an diesem Wettbewerb nicht teilzunehmen Rukschcio und Schachel 1982, S. 460–464 und Pogacnik 2011, S. 48. Leslie Topp vermutet, dass Goldman und Salatsch sich gegen die Wettbewerbsbeiträge entschieden, da sie zu sehr an den Typus des Warenhauses erinnerten. (Topp 2004, S. 164.) Bösel 1992, S. 28 und Fußnote 49 auf S. 32.
aber ist die Planung der Einbettung des Gebäudes in den Michaelerplatz nun deutlich zu erkennen. Die Fassadensprünge an den Kanten der Front zum Michaelerplatz 971 972
Münz und Künstler 1964, S. 94–97. Bösel 1992, S. 146.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Abb. 80: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Vorstudie für den Grundriss des Erdgeschosses bzw. Parterres, vermutlich Sommer 2009, Bleistift und Buntstift, 29,2 x 50,1 cm, Albertina, Wien
ner Öffnung zum Michaelerplatz skizziert.973 Wenn auch einige Details noch von der Ausführung abweichen, sind die zwei dominanten Grundcharaktere des Hauses nun bereits
sind sowohl am Grundriss des Mezzanins
festgelegt: zum einen deuten sich durch eini-
als auch anhand einer Zeichnung im linken
ge Treppenanlagen bereits die Ebenenver-
oberen Blattbereich zu erkennen. Die Skiz-
schiebungen im Mezzanin an und zum ande-
ze ist um 90 Grad nach links gedreht und zu
ren ist es die Raumwirkung des Äußeren und
erkennen ist ein Eckvorsprung. Die verwirk-
seine Verbindung zum Michaelerplatz, die
lichte Portalversion (Abb. 73) mit dem Säu-
hier schon deutlich abzulesen sind.
lenportal zeichnet sich im Mezzaninplan
Adolf Loos plante von Beginn an, die Fas-
durch die zwei mittleren Stützen der Micha-
saden in einen Geschäfts- und einen Wohn-
elerfassade ab, die durch schwungvoll gezo-
bereich visuell voneinander zu unterteilen.
gene Kreise umrissen werden. Ebenso wird
Dass der Geschäftsblock mit Marmor ver-
die Fassadenentwicklung mit einer Skizze
kleidet werden sollte, stand für ihn auch
des Portals, die an die Umrisslinien des
schon im Anfangsstadium der Planung des
Grundrisses unmittelbar anschließt, ange-
Bauwerkes fest. Nur welche Art von Marmor
deutet (Abb. 81). Zudem ist an der rechten
er verwenden würde, war nicht sicher. Hier-
äußeren Kante des Blattes die gegenüberlie-
zu reiste er 1910 im März nach Algerien und
gende Straßenseite des Kohlmarktes mit sei973
Bösel 1992, S. 146f.
285
286
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 81: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Detailzeichnung des Grundrisses des Mezzanins, vom 11. August 1909, Bleistift, 191 x 270 mm, Albertina, Wien
der oberen Wohnstockwerke mit einem in gleichmäßigen Abständen verlaufenden Streifenmuster überziehen.976 Die einzelnen Streifen sind aber nicht flächenfüllend ausgemalt,
Marokko und im April weiter nach Griechen-
sondern werden von locker hingeworfenen
land, wo er die sechs Jahre zuvor entdeckten
Wellenlinien durchzeichnet. Rukschcio und
Steinbrüche von Euböa besuchte und sich
Schachel lesen darin die Andeutung eines
für deren Cipollinomarmor entschied.
Des
Mäanders.977 Des Weiteren vermuten die bei-
Weiteren geben Rukschcio und Schachel an,
den Autoren aufgrund der Beschaffenheit
dass die Fassadengestaltung der Wohnzone
der Pläne, dass es sich hierbei nur um eine
auf die Maserung und Farbe des Marmors
Version oder einen Vorschlag gehandelt
abgestimmt werden sollte. Dies wäre anhand
haben muss.978
974
des Modells von Ende 1909 oder Januar
Wie sehr dieser Fassadenentwurf zumin-
1910, das nicht mehr erhalten ist, abzulesen
dest nur als ein Vorschlag wahrgenommen
möglich gewesen.975 Im Juli 1910 wurden Fassadenpläne eingereicht, die nun die Fassaden 974 Rukschcio und Schachel 1982, S. 148. 975 Rukschcio und Schachel 1982, S. 147.
976 Rukschcio und Schachel 1982, Abb. 147 und Abb. 148 auf S. 150f. 977 Rukschcio und Schachel 1982, S. 149. 978 Rukschcio und Schachel 1982, S. 149.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
wurde, beweisen die eingezeichneten ‚Ver-
selbst über die Materialität und Farbgebung
besserungen‘ des Stadtrates Hans Schneider.
der Streifen am Haus am Michaelerplatz
Das Streifenmotiv ist im Loos’schen Werk
nicht sicher. Es standen sowohl Porzellan,
nicht singulär. Rukschcio und Schachel
Terrakotta, Zement und künstlicher Stein als
erwähnen den Entwurf für das Kriegsminis-
auch die Frage nach einem Aufsetzen auf
terium, das Hotelprojekt in der Friedrich-
oder der Zurücknahme in die Fassade zur
straße – beide von 1908 – und den Entwurf
Debatte.982
für das Haus für Josephine Baker von 1927.979 Deutlich wird aber hier schon, dass es sich
Die Inneneinrichtung – Ein Teil vom Ganzen
jeweils nicht um verwirklichte Konzeptionen handelt. Man könnte von Unglück sprechen,
Bei der Inneneinrichtung handelt es sich um
dass diese Gebäude nicht realisiert wurden.
einen klar umgrenzten Teilbereich des
Jedoch entschied sich Loos bei seinem ver-
Gebäudes. Dabei ist vor allem die Möblie-
wirklichten Haus am Michaelerplatz letzt-
rung des Goldman & Salatsch-Geschäftes
endlich auch für eine andere Fassadenlösung.
gemeint und das Treppenhaus zu den Woh-
Das Motiv der Streifen und seine Konnota-
nungen
tionen sind aufgrund ihrer konträren Ver-
Geschäftsmobiliar umschreibt Räumlichkei-
wendung bei Loos schwer greifbar. So dient
ten, die man nach einem gewissen Konzept
es als nüchternes, regelmäßiges Motiv am
durchschreitet. Daher sollen diese Räume
Fassadenentwurf des Kriegsministeriums –
auch beschrieben werden, als ob man ein
die schwarz-gelb gestreifte Fassade hätte auf
Kunde oder Mitarbeiter wäre, der sich auf
die damaligen Farben der österreichischen
bestimmten vorgegebenen Wegen bewegt.
in
den
Obergeschossen.
Das
Reichshälfte der supranationalen Monarchie
Hat man den Michaelerplatz und die Vor-
Österreich-Ungarn symbolisch verweisen sol-
halle hinter sich gelassen, gelangt man in
len –,980 während es bei der Villa für Josephi-
eine Sogwirkung. Schon die Säulenhalle
ne Baker vielmehr einen erotischen Charak-
(Abb. 73) mit ihrer konkaven Bewegung führt
ter angenommen hätte.
den Besucher auf den mittig gelegenen Ein-
981
Loos war sich
gang, der aus zwei Schwenktüren besteht. 979 Rukschcio und Schachel 1982, S. 149. 980 Münz 1989, S. 21. 981 Zur sinnlichen Verbindung des Streifenmotivs der Fassade mit einem im Gebäude liegenden Swimmingpool vergleiche diese Arbeit auf S. 343f. Des Weiteren ist das Fassadenornament der Streifen auch am Städtischen Vierordtbad von Josef Durm in Karlsruhe zu finden. Das von 1871 bis 1873 erbaute Stadtbad weist eine abwechselnde Streifung aus rotem und weißem Murgtaler Sandstein auf. (AK Gründerzeit – Adolf Loos 1887, S. 256–259.) Neben der Verknüpfung von Streifen an der Außenfassade und Schwimmbad im Inneren haben die beiden Gebäude jedoch nicht viel gemeinsam. Dieser Vergleich ermöglicht jedoch die Einordnung des Streifenmotivs in Loos’ Werk
Säulenhalle und Eintritt sind mit weißem Carraramarmor mit Einlegearbeiten aus Cipollinomarmor ausgearbeitet.983 Unmittelbar hinter diesem befindet sich der quadratische Verkaufsraum (Abb. 82) für konfektionierte Herrenmode und Accessoires.984 Die als kein singuläres für seine Zeit. Es handelt sich demnach – wie er es auch propagiert hatte – um keine genuine Formschöpfung Loos’. 982 Long 2011, S. 92–94. 983 Czech und Mistelbauer ²1977, S. 54. 984 Bock 2009, S. 128.
287
288
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Weite des Raumes wird jedoch bereits direkt hinter der Tür durch gläserne Vitrinen aufgefangen und gemildert. Rechts und links des Eingangs befinden sich zwei längliche Glasschränke, die eine Art Flur bilden. Das Bild einer Schwelle manifestiert sich sinnbildlich in den durch Glaswände und Glasvitrinen verlängerten Eingang. So ist es möglich, jeweils von den Seitenbereichen des großen Parterreraumes in den durch Glasflächen umstellten Gang zwischen Eingang und Haupttreppe hineinzublicken und den eventuell gerade Passierenden in seinem Bewegungsablauf zu beobachten.985 Jenes Tor, das mithilfe des transluzenten Materials Glas freigestellt wurde, ermöglicht die visuelle Wahrnehmung einer fast rituell anmutenden Passage in eine bereits durch die Architektur vermittelte Welt der Tradition und des dezenten Luxus der Maßschneiderei. Über diesen Gang, durch den man aber die Szenerie weiterhin überblicken kann, wird man in den Mittelpunkt des Raumes
Abb. 82: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Verkaufsraum im Erdgeschoss, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie von Martin Gerlach Jun., Albertina, Wien
geführt. Direkt gegenüber dem Gang befindet sich die Treppe aus Mahagoni, die das
sen Bereich umschreiben, platziert Loos
gleiche Tiefenmaß einnimmt wie der durch
ebenso Glaskästen, die in drei Ebenen kas-
Vitrinen umschriebene Gang. Zwischen die-
kadenartig verlaufen. In diesen wurden aller-
sen beiden gebildeten Quadraten befindet
lei Kleinigkeiten präsentiert. Die Positionie-
sich der Ruhe- und Orientierungspunkt der
rung jener Vitrinen und ihr ansprechender
eintretenden Kundschaft. An vermutlich
Inhalt sollten im Sinne einer Ermutigung den
genau dieser Stelle wurden die Kunden nach
Kunden auf subtile Art und Weise zunächst
ihrem Einkaufswunsch986 gefragt, um sie
auf die Treppe und schließlich nach oben ins
dann ihren Wünschen gemäß im Haus zu
Mezzanin locken.987 An diese anschließend
lenken. Um die vier mittigen Pfeiler, die die-
und in sie eingreifend schließen sich in Richtung Treppe die Kassen an; auf jeder
985
Vergleiche dazu die Fotografien auf folgender Website zum 100. Jubiläum des Loos-Hauses: http://213.90.74.226/Looshaus/main. php/v/09_09_27_100_Jahre_Looshaus/, 21.07.2012. 986 Elana Shapira spricht vom „special interest“ des Kunden. (Shapira 2004, S. 326.)
Treppenseite eine. Durch ihre nach außen geschwungene Form ergänzen sie den
987 Shapira 2004, S. 323.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Abb. 83: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Verkaufsraum im Erdgeschoss von der Haupttreppe aus aufgenommen, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie aus einem Werbeheft der Firma Goldman & Salatsch, Albertina, Wien
Prinzip nach auch an jenes der Decken der Halle und des Speisezimmers des Sanatoriums Purkersdorf (Abb. 51 und 54). Dem in den jeweiligen Raum Eintretenden wird stets ein visuell eingängiges und orientierungs-
Treppenverlauf und ergeben sich aus ihm:
spendendes Element präsentiert.
Die Ladentischfläche geht über in den Hand-
Seitlich dieser Achse befinden sich weite-
lauf der Treppe und der Kassentresen selbst
re hüfthohe Vitrinen mit Produkten der Jagd-
entwickelt sich fortlaufend zum geschlosse-
und Reitbekleidung 988 oder Sportbekleidung
nen Treppengeländer. Treppe, Kassen und
oder Wäsche und Modewaren, die jeweils in
Glasvitrinen konzentrieren sich zu einem
drei Gruppen längs der Seitenwände in mini-
Gebilde (Abb. 83). Die mit Mahagoniholz
mal unterschiedlichen Abständen aufgestellt
stämmig verkleideten Pfeiler, die fast wirken,
sind (Abb. 83).989 Sie passen sich ungefähr
als ob sie aus den Vitrinen wachsen würden,
dem Koordinatennetz der Decke an, das von
verbinden sich mit einem ebenso aus Mahagoni bestehenden Netz aus Deckenunterzügen. Eine klar im Raum gerasterte Örtlichkeit entsteht. Diese Art der geometrischen Strukturierung von Räumen erinnert dem
988
Einer Fotounterschrift ist zu entnehmen, dass das Erdgeschoss die Abteilung für Jagd- und Reitbekleidung beherbergte. (Rukschcio und Schachel 1982, Abb. 500 auf S. 465, A.L.A. 1526, Kat. 67.) 989 Rukschcio und Schachel 1982, S. 465.
289
290
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
den vier mittleren Pfeilern des Raumes aus-
der sich am Graben 20 befand.990 Bemerkens-
geht. Hinter ihnen fanden sich Wandschrän-
wert ist die Decke, die ihre tiefen Unterzüge
ke mit Glasfronten und Schubladen. Ober-
nicht verkleidet, sondern ihre Konstruktion
halb der Schränke ist ein Fries angebracht,
offen zur Schau trägt und damit an die
der sich aus abwechselnd horizontal und ver-
Deckenlösungen in der Halle und im
tikal angeordneten Profilen entwickelt. Das
Speisezimmer des Sanatoriums Purkersdorf
gleiche Holzprofilband zieht sich auf dersel-
(Abb. 51 und 54) erinnert.
ben Höhe auch über die vier mittleren Pfei-
Wünschte man aber die Anfertigung eines
ler. An der Wand oberhalb dieses Frieses
Maßanzuges, stieg man über die Haupttrep-
befanden sich bis zur Decke reichende Spie-
pe hinauf ins Mezzanin (Abb. 82). Man lief
gel. Dies untermauert eine Fotografie
direkt auf eine ovale Glasvitrine zu, die sich
(Abb. 83), die neben anderen Abbildungen
auf dem Podest991 der Treppe befand und
in einer Reklamebroschüre der Firma Gold-
extra aus England eingeführt worden war.992
man & Salatsch 1911 publiziert wurde. Zwi-
Auf dem Zwischenpodest angelangt, kann
schen diesen Wandschränken und der unter
man sich nach links oder rechts wenden. Die
der Decke angebrachten Verspiegelung befin-
Wände, die die Form der jeweils nach beiden
den sich Holzflächen, die die dahinter befind-
Seiten aufsteigenden Treppenläufe und deren
lichen Stützen visuell deutlich nachvollzie-
Treppenwangen nachzeichnen, sind mit Holz
hen lassen. In jedem der neun Joche, die
und Spiegeln verkleidet, die zusammenge-
zwischen diesen Stützen entstehen, ist mittig
nommen an die Konstruktionslinien eines
eine Lampe angebracht. Nur in dem Joch
Triptychons erinnern (Abb. 85). Am Lambris
über der Treppe befindet sich eine kugelför-
entlang verlaufen schlichte Handläufe, die
mige Uhr (Abb. 79 und 82), die von allen
aus Glanzmessing gefertigt wurden.993 Die
vier Seiten ein Ziffernblatt anzeigt.
Spiegelflächen bestehen aus quadratischen
Wollte man eine Sportausrüstung erwer-
Spiegelkacheln. Den oberen Abschluss des
ben, wurde man entweder nach rechts zur
Treppenhauses bildet ein Oberlicht aus Glas-
Treppe in das Souterrain oder nach links zu
bausteinen.994 Ralf Bock beschreibt die Wir-
dem im Nebenraum befindlichen Lift gebe-
kung aus Licht, das durch das Oberlicht ein-
ten. Eine Fotoaufnahme von 1911 zeigt die
fällt, Wandspiegeln und dem glänzend
Aufstellung der Wintersportabteilung im
polierten Mahagoni des Lambris als „illusi-
Souterrain (Abb. 84). Entlang der vier mitt-
onistische Raumweite“.995 Deutlich wird der
leren Stützen sind die Skier aufgereiht. Längs der Wände sind Kommoden mit Schubladen und Glasvitrinen zu erkennen. Bei den Möbeln handelt es sich um die Ausstattung des ersten von Loos eingerichteten Herrenmodesalons der Firma Goldman & Salatsch,
990 Ohne Autor 1989, S. 53. 991 Münz und Künstler definieren dieses Podest als Höhengrenze für das Parterre zwischen unten in den Regalen und Vitrinen sortierten „handlagernden Waren“ und darüber sortierter „Stapelware“. (Münz und Künstler 1964, S. 102.) 992 Rukschcio und Schachel 1982, S. 468. 993 Münz und Künstler 1964, S. 102. 994 Bock 2009, S. 132. 995 Bock 2009, S. 132.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Abb. 84: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Sport abteilung im Souterrain, 1909-1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie aus einem Werbeheft der Firma Goldman & Salatsch, Albertina, Wien
ation wird natürlich noch in seiner Gefälligkeit gesteigert, wenn sich der Kunde zuvor in einer Situation befand, in der er sich über seinen abtastenden Blick versucht hatte zu orientieren. Der Raum des Treppenhauses
Mensch in seinen Maßen weitestgehend noch
funktioniert demnach nicht wie eine optisch
von Mahagoni umfangen, während sein Blick
erweiterte Scheinarchitektur, sondern viel-
in der Höhe mehrfach durch Spiegel gebro-
mehr wie ein Zerrspiegel oder ein Spiegel-
chen wird. Vor allem die Decke aus Glasbau-
kabinett.
steinen reflektiert sich in mannigfaltiger Bre-
Vorbeigelenkt
an
der
Buchhaltung
chung und lässt eine Räumlichkeit entstehen,
(Abb. 85), gelangt man zum Zwischenstopp
die vor allem nach Orientierung verlangt.
im Empfangssalon (Abb. 86). Die Abtren-
Man hat fast den Eindruck, Loos beabsich-
nung der Buchhaltung wurde durch zur einen
tigte eine gewisse Desorientierung des Kun-
Hälfte aus Holz und zur anderen Hälfte aus
den. Kam man als Kunde oben im Mezzanin
Messinggittern bestehenden Begrenzungen
an, wurde man vom Besitzer oder seinem
geleistet, die zusammen etwa die Hälfte der
Manager empfangen.996 Diese Empfangssitu-
Raumhöhe ausmachen. Dieser Arbeitsbereich war demnach kein privater Rückzugs-
996 Shapira 2004, S. 326.
ort, sondern man befand sich inmitten des
291
292
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 85: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Buchhaltung im Mezzanin, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie aus einem Werbeheft der Firma Goldman & Salatsch, Albertina, Wien
kamen, diskret zu überwachen“997. Des Weiteren spricht Bock von einem „Kontrollstandort des Geschäftsführers, der mittels der Wandspiegel den Raum im Auge behalten konnte“998. Das Wort „überwachen“ in die-
Tagesgeschäftes und genau genommen im
sem Kontext scheint jedoch etwas zu stark
edelsten Segment der Firma, der Maßanfer-
gewählt. So könnte man meinen, dass der
tigung von Herrenanzügen. Diese Insel –
Geschäftsführer geradewegs zum Hausde-
durch die auf der einen Seite die Präsenz
tektiv stilisiert wird. Es handelt sich ja viel-
und Verfügbarkeit der Geschäftsleitung für
mehr darum, ein zurückhaltendes Hilfsmittel
den Kunden ersichtlich war und auf der ande-
zu erlangen, um zu erkennen, wann die
ren Seite die Geschäftsleitung die Übersicht
anspruchsvolle Kundschaft sich nähert, um
behielt – war von drei Seiten zu umrunden
dieser dann höflich und aufmerksam entge-
(Abb. 77 und 85). An der vierten Seite ver-
genzukommen. Eher wohl ein höflicher Kom-
läuft die bereits beschriebene Treppenanlage
munikationsablauf lässt sich als Ziel dieser
mit ihren Spiegeln. Ralf Bock definiert den
Konstruktion vermuten, und nicht etwa eine
Sinn der Wandspiegel als Handhabe dafür
Form der Sicherheitsüberwachung.
„Kunden, die aus dem Erdgeschoss herauf997 Bock 2009, S. 129. 998 Bock 2009, S. 132.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Abb. 86: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Empfangssalon, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie aus einem Werbeheft der Firma Goldman & Salatsch, Albertina, Wien
um die Pfeiler als auch entlang der Wände mit einer metallenen Fußleiste geschützt wird.999 An der Außenmauer, die zum Michaelerplatz hinführt, erkennt man die bay windows. Jeder Erker ist mit einem Marmor-
Hatte man diesen Mittelblock im Mezza-
podest versehen. Diese Podeste ergeben in
nin hinter sich gelassen, konnte man über
ihrer Gänze die Trennungslinie zwischen
wenige Stufen auf die Mezzaningalerie gelan-
dem Bodenrechteck des Empfangszimmers
gen, über die man als nächstes den Emp-
und den auskragenden Räumen der Fenster-
fangssalon (Abb. 86) erschließen konnte, der
erker. Auf einem Foto von 1911 ist zu erken-
heute wieder annähernd hergestellt ist. Der
nen, dass lederne Sessel links und rechts der
Empfangssalon öffnet sich mittig zwischen
Erker positioniert und in die Erker kleine
zwei Pfeilern, die ebenso wie im Parterre mit Holz verkleidet sind, in seiner Längsseite zur Galerie. Rechts und links von den Pfeilern wird der Salon nur durch Balustraden aus Holz von der Galerie abgetrennt. An dieser Stelle ist auf Fotografien deutlich zu erkennen, dass das Holz sowohl nach unten rund
999
Bereits Otto Wagner hatte in Wien diesbezüglich auf hygienische Aspekte und die Erhöhung der Lebensdauer von Gebrauchsgegenständen und Architektur schon einige ähnliche Lösungen aufzuweisen. An dieser Stelle sind besonders seine Aluminium- bzw. Messingverkleidungen der Stuhlund Tischbeine sowie der unteren Abschlüsse der Einbauschränke im Sitzungssaal, im Büro des Präsidenten und in der Schalterhalle des Gebäudes
293
294
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Tische gestellt waren. Der Kunde wurde also
Die Lampen des Empfangssalons sind die
nicht etwa dazu animiert, sich in die Erker
gleichen wie im Treppenhaus. Es handelt
hineinzubegeben. Die bereits bei der Fassa-
sich im Einzelnen um eine ovale Platte, die
denbeschreibung erwähnten größeren einge-
nach oben hin eine kleine rechteckige Aus-
lassenen Fensterbereiche in den bay windows
buchtung aufweist. Von dieser leiten drei
waren also für den Ausblick mit gewissem
Stromkabel zu einem halbkreisförmigen
Abstand zur Fensterscheibe gedacht. So war
Bogen über, der am Rand des Ovals befes-
der im Gebäude befindliche Kunde für die
tigt ist. An diesem Steg sind drei Fassungen
draußen Vorbeiziehenden nicht zu erkennen.
mit Glühbirnen montiert. Die Glühbirnen
Jede quadratische Fenstereinheit der bay
sind nicht etwa von einem Schirm verdeckt,
windows ist an ihren Rändern geschliffen.
sondern werden den Blicken unvermittelt
Neben der ‚Guckfläche‘ ergibt sich so ein
präsentiert. Eine ähnliche Lösung kannte
vielfach gebrochener Blick auf den Michaeler
man schon von Adolf Loos für die Lampen
platz und den Michaelertrakt der Hofburg.
des Café Museum und vom Eingangsbereich
An der Fensterfront war eine umlaufende
des Loos-Hauses; aber selbst den Luxusar-
Gardinenstange befestigt, die es ermöglichte,
tikel Lüster gestaltete Loos nach diesem ein-
die bay windows ihrer Form entsprechend
fachen Prinzip. Auf heutigen Fotografien ist
nachlaufend durch bis zum Podest reichen-
ein Parkettboden zu identifizieren, während
de Stoffschals abzudunkeln. Auf der Quer-
sich auf Fotografien von 1911 überwiegend
seite in Richtung der Kabinen befindet sich
Teppichboden ausmachen lässt. Rukschcio
ein Kamin, über dem die Kopie eines Gemäl-
und Schachel sprechen von mit „Spannfilz
des von Giovanni Battista Moroni hängt. Es
belegten Gehzonen“1002. Dies scheint auch
handelt sich um ein Porträt eines Schnei-
aufgrund der erhaltenen Ausstattung des
ders.1000 Über die Decke spannt sich ebenso
Schneidersalons KNIŽE in Wien mit der
wie im Parterre und im Mezzanin ein geo-
Adresse Graben 13 sehr wahrscheinlich, der
metrisch rechtwinklig angeordnetes Geflecht
im Zeitraum von 1910 bis 1913 entstand
aus Holzbalken, die in diesem Raum jedoch
und einen grünen Spannfilz aufweist, der
plastischer hervortreten als in anderen Berei-
mit Perserteppichen teilweise überlegt wur-
chen des Mezzanins.
de.1003 Insgesamt fasst Christopher Long die
1001
der k. k. Postsparkasse, das von 1903 bis 1912 in Wien errichtet wurde, zu erwähnen. (Siehe dazu Gleiter 2002, S. 93–95.) 1000 Das Original des Gemäldes Der Schneider von Giovanni Battista Moroni befindet sich in der National Gallery in London und wird um 1570 datiert. 1001 Im Rahmen der Untersuchungen zum Sanatorium Purkersdorf wurde bereits auf das englische Vorbild für die Deckenlösungen Loos’ eingegangen. Vergleiche dazu in dieser Arbeit die Fußnote 520 auf S. 187.
1002 Rukschcio und Schachel 1982, S. 469. 1003 Rukschcio und Schachel 1982, S. 483. Bereits Otto Wagner betonte die Wirkung eines Teppichs für Räumlichkeiten, die Loos vermutlich bekannt gewesen ist: „Der Teppich als Bodenbelag hat in erster Linie als Annehmlichkeit und zur Sicherheit von Personen beim Gehen zu dienen. Die Unhörbarkeit der Tritte, die Wärme und Wohnlichkeit, die er dem Raume verleiht, und das Verhindern des Ausgleitens sind die Hauptgründe seiner Anwendung. Künstlerisch ermöglicht der moderne Teppich eine vollkommene Farbstimmung des Raumes. Völlig verwerflich ist jede unruhige und der-
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Abb. 87: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Eingänge zu den Umkleidekabinen und Trennwand zu den Werkstätten, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie aus einem Werbeheft der Firma Goldman & Salatsch, Albertina, Wien
Vom Empfangssalon gelangt man über die Mezzaningalerie zu drei Ankleidekabinen (Abb. 87). Dabei handelt es sich um Luxuskabinen, die als kleinere Räume zu definieren sind. Jede Kabine hat eine eigene Tür.
Wirkung der Gestaltung und Einrichtung
Die linke und rechte Ankleide korrespondie-
des Salons als die eines englischen Gentle-
ren mit je einem bay window der Herrengas-
men’s Club.1004
senfassade (Abb. 78), die jeweils von zwei Säulen umstellt sind. Die mittlere Kabine
be Linienführung oder gar eine, welche Formen bringt, die dem Auge plastisch erscheinen und dadurch Unsicherheit und Unbehagen bei Benützung desselben erzeugen, also auch reichere Ornamente und Bilder.“ (Wagner 2008, S. 143f.) Auch wenn hier die Textstelle nach der vierten Auflage von 1914 zitiert ist, bestand das Kapitel Die Kunstpraxis ab der ersten Auflage von 1896 und die zitierten Sätze waren seit der zweiten Auflage von 1898 enthalten. Die ersten beiden Auflagen wurde noch unter dem Titel Moderne Architektur publiziert sowie eine dritte Ausgabe von 1902. Siehe auch Graf 1985, S. 263 und S. 284f. 1004 Long 2011, S. 166. Siehe auch Topp 2004, S. 148f.
umschreibt die Strecke der Außenwand zwischen den beiden bay windows und je einer Säule eines Fensters. Damit die Kabinen nicht alles Licht schluckten – das über die Fassadenfenster einfällt –, sind oberhalb der Türen mit Sprossen unterteile Fensterbänder – die indirekt Licht in die Mezzaningalerie übermitteln – an den Trennwänden angebracht (Abb. 87). Deutlich wird allein schon über die geringe Anzahl von drei Kabinen,
295
296
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
wie distinguiert dieser Herrenmodeanbieter
tigt.1006 Der Weg des Kunden durch das Ver-
sich präsentierte. Nicht die Masse sollte
kaufsareal war also schon vom Architekten
durch diese Räumlichkeiten geschleust wer-
streng durchkomponiert. Eine deutliche
den, sondern vielmehr eine handverlesene
Absprache mit den Auftraggebern ist unter
Kundschaft gediegen und zuvorkommend in
diesen Umständen vorauszusetzen.1007
aller Ruhe hergerichtet werden. Leslie Topp
So wie zuvor die funktionale Zweiteilung
untermauert den Aspekt der „small group of
zwischen Geschäfts- und Wohnblock anhand
initiates“ für das Geschäft Goldman &
der Fassadengestaltung ablesbar beschrieben
Salatsch, indem sie die Undurchsichtigkeit
wurde, fasst Loos auch im Inneren die Tren-
und das Vermeiden von eindeutigen Sichtach-
nung von Bereichen visuell auf. Abteilungen
sen im Geschäft hervorhebt. Sie betont den
und Räume, die nur für die Angestellten ein-
Umstand, dass man das Geschäft nicht mit
sichtig waren, wurden einer anderen Ästhe-
einem Blick überschauen konnte und folg-
tik unterworfen. Rukschcio und Schachel
lich automatisch Intimität entstehe.1005 Elana
sprechen von einem „absoluten Vorrang“ von
Shapira beschreibt den Verlauf der Kaufze-
„Zweckmäßigkeit“.1008 Materialien, die die
remonie im Mezzaningeschoss in folgenden
Ästhetik zu einer herstellenden und nicht
Etappen: Auf den kurzen Aufenthalt im
mehr repräsentierenden oder verkaufenden
Salon folgte das Aussuchen des Stoffes für
Nutzung hin verschoben, sind unter ande-
das gewünschte Kleidungsstück. In der Fol-
rem Sichtbeton und schlichte eiserne Gelän-
ge begab sich der Kunde in eine der Anpro-
der.1009 Die Grenze zwischen Kundenlokal
bekabinen, um vom Schneider vermessen zu
und Arbeitsräumlichkeiten wird meistens
werden. Nach Abschluss dieser Prozedur ver-
über Wandschirme erzeugt, die in ihrer Aus-
einbarte er, noch auf seinem Weg zur
führung an Japanische Trennwände erin-
Haupttreppe am Büro vorbeigehend, einen
nern.1010 Große Glasflächen nehmen ihnen
Termin für die Anprobe. Wenn diese Anpro-
den Eindruck von Begrenzungen. Sie beste-
be später ideal verlief, verließ der Kunde
hen überwiegend aus Türen und Fenstern.
danach mit seinem Anzug das Mezzanin über
Zur ‚öffentlichen‘ Seite hin sind die Trenn-
die Haupttreppe und bezahlte an deren Ende
wände und Türen gediegen mit dunklem
im Erdgeschoss seine Rechnung. Abschlie-
Holz verkleidet, was sie in den Rest der
ßend betont S hapira Loos’ aktive Einfluss-
Raumbehandlung eingliedert (Abb. 87). Von
nahme auf das Verfahren mittels seiner
der Schneiderwerkstätte aus gesehen, die
Architektur und Inneneinrichtung und sieht
sich über zwei Ebenen erstreckt, sind die
darin eine Vergewisserung für den Kunden
Türen auf der Höhe des Mezzanins und der
im Sinne eines „man of taste“ als beabsich-
Mezzaningalerie heller gestrichen und inte-
1005 Topp 2004, S. 162. Siehe auch Colomina 1994, S. 28–31. Bereits Otto Wagner hatte betont, dass die „Worte intim und Intimität in der Baukunst, durch die Großstadtverhältnisse bedingt, nur noch im inneren Ausbau zum Ausdruck kommen könne[n]“. (Wagner 2008, S. 68f.)
1006 Shapira 2004, S. 326. 1007 Pogacnik 2011, S. 48. 1008 Rukschcio und Schachel 1982, S. 469. 1009 Rukschcio und Schachel 1982, S. 469. 1010 Rukschcio und Schachel 1982, S. 469.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
grieren sich somit auch dort in die nun vor-
aufgehängt werden konnte. Das große bay
herrschende nüchterne, hygienisch korrekte
window, das sich nun über die gesamte Höhe
Umgebung (Abb. 88). Die untere Ebene misst
des Raumes erstreckt, konnte zusätzlich
nur eine Höhe von 2,07 m, während die
geöffnet werden. Die Fensterscheiben ließen
Deckenhöhe auf der zweiten Ebene 3 m
sich einfach um ihre Mittelachse drehen,
beträgt.
Dies erklärt sich aus der Erwä-
sodass sie wie ein Riegel mittig im Fenster-
gung, dass sich auf der unteren Ebene die
rahmen zu stehen kamen und eine schnelle
sitzenden Näher einrichten sollten (Abb. 88)
und reichliche Luftzirkulation im Raum
und somit sich für die stehenden Zuschnei-
ermöglichten. Auffällig ist die Anbringung
der oben eine angenehmere Raumhöhe ergab
einer Uhr in Höhe des Architravbandes des
(Abb. 89). Beide Räumlichkeiten waren durch
bay window. Zu vermuten ist, da dies wohl
einen mittig freigelassenen Luftraum mitein-
die letzte Station war, bevor ein Anzug sei-
ander verbunden (Abb. 88 und 89). Dieser
nem neuen Besitzer übergeben wurde, dass
durch Geländer gesicherte Luftraum ermög-
man besonders darauf achten musste, Zeit-
lichte eine reibungslose Kommunikation zwi-
pläne einzuhalten, und dies untermauert die
schen den beiden Abteilungen und wie auf
Installierung einer Uhr, die zumindest nicht
einer Fotografie von vermutlich 1911 (Abb. 89)
so präsent in den anderen Räumen der Ange-
zu erkennen ist, wurde das Geländer genutzt,
stellten auf Fotografien inszeniert wurde.
um Anzüge aufzuhängen und zwischenzula-
Ebenso zeigen die Fotografien der Reklame-
gern. Ebenfalls ist auf diesem Foto zu erken-
broschüre von 1911 eine Hemdenwerk-
nen, dass weiße Schnittformen oberhalb der
statt.1012 Diese Fotografie zeigt zur Abwechs-
in die Erker der bay windows weitergeführten
lung nur Frauen bei der Arbeit. Aufgrund der
Arbeitstische hängen. Diese scheinen an Fäden
Außenfenster, der Innenwände mit den ver-
befestigt zu sein, die wiederum nur an einer
hängten Tür- und Fensterscheiben und der
Schiene eingehakt sein können, die entlang
Raumhöhe ist zu vermuten, dass es sich um
der Außenkante der bay window-Erker verlief.
einen Raum im Mezzanin unterhalb der
1011
Der Bügelsaal (Abb. 90) zeichnet sich
Mezzaningalerie handelt. Hier saßen die
durch seine Höhenentwicklung aus, da so
Frauen an Tischen und entlang der Außen-
die beim Bügeln entstehenden Wasserdämp-
wand ist deren vor- und zurückspringende
fe nach oben entweichen konnten und damit
Form durch geschwungene Heizungsrohre
die Arbeit der im Stehen tätigen Männer
nachempfunden.
erleichtert wurde. Der Raum war mit einfa-
Des Weiteren nutzte Loos den Ausbau des
chen Tischen, die jeweils mit einer Lampe
Dachgeschosses für die Einrichtung eines
beleuchtet wurden, versehen und entlang der
Lehrzimmers für die theoretische Ausbildung
Wand, die das Bauwerk zum nächsten
der Lehrlinge der privaten Fachschule und
Gebäude in der Herrengasse abschloss,
eines Ateliers, das auch als Lehrwerkstätte
befand sich eine Schiene, an der Kleidung
für
1011 Rukschcio und Schachel 1982, S. 469.
1012 Long 2011, Abb. 110 auf S. 167. 1013 Rukschcio und Schachel 1982, S. 468.
die
private
Fachschule
diente.1013
297
298
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 88: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, unteres Mezzanin, Werkstatt, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie aus einem Werbeheft der Firma Goldman & Salatsch, Albertina, Wien
(Abb. 90). Der Raum staffelte sich in zwei Raumhöhen und sowohl die tragenden Pfeiler als auch die Deckenunterzüge sind freigelassen und geben dem Raum ein deutlich produktionsorientiertes Gepräge. Erreicht
Dachflächenfenster, die sich zur Hofseite hin
werden
diese
Zimmer
über
dasselbe
neigen, ermöglichen den Einfall von genü-
Treppenhaus und denselben Lift, die zusam-
gend Licht in das spitzwinklig zulaufende
mengenommen auch die Wohngeschosse
hohe Lehrzimmer. Möbliert war dieses mit
erschließen.
Tischen, Stühlen und Tafeln und erinnert in
Zugang findet man zu diesem Treppen-
seiner Ausstattung folglich an ein Schulklas-
haus zum einen über die Geschäftsräume
senzimmer. Das Atelier war ebenso mit zur
von Goldman & Salatsch, aber auch durch
Hofseite hin geneigten Dachfenstern verse-
einen separaten Eingang über die Herren-
hen; besaß aber zusätzlich noch waagrechte
gasse (Abb. 79). So war ein getrennter Wege-
Deckenfenster, die den Lichteinfall für die
fluss für die Bewohner des Hauses geschaf-
an Tischen arbeitenden Personen erhöhten.
fen.1014 Dieser gesonderte Durchgang zum
Über jedem Tisch hing zusätzlich noch eine Lampe. Sowohl Tische als auch Lampen waren identisch mit denen im Bügelsaal
1014 Zu den ersten Mietern gehörten eine Filiale der Ungarischen Bank und Handels Aktien Gesellschaft, ein Zahnarzt Dr. Frank und ein Transport-
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Abb. 89: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, oberes Mezzanin, Werkstatt, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie aus einem Werbeheft der Firma Goldman & Salatsch, Albertina, Wien
auch direkt den Innenhof. Die Treppe ist eine mehrfachläufige U-Treppe mit Halbpodesten. Der Treppenaufgang selbst ist mit CarraraMarmor1016 ausgekleidet (Abb. 91). Bis zum 1. Stock zieht sich der Marmor über die
Treppenhaus ist mit Skyros-Marmor verklei-
gesamte Wandfläche. Dann erstreckt er sich
det. Einander gegenüber angeordnete große
über den Boden und die gesamte Fensterflä-
Spiegelflächen reflektieren sich in mannig-
che zum Innenhof. Die Türen werden eben-
facher Weise und erwecken die Illusion einer
so von Marmor umrandet und die Innensei-
endlos gespiegelten Enfilade.1015 Über eine
te des Treppenhauses wird bis auf Hüfthöhe
Glaswand mit eingelassener Glastür gelangt
verkleidet. Um die Türrahmungen und ober-
man in einen weiteren Flurabschnitt, über
halb der Innenwandverkleidung sind die Flä-
den man endlich, sich gerade aus bewegend,
chen verputzt.1017 Die Stufen bestehen dabei
in den Innenhof gelangt oder sich nach links
aus Kunststein. Alle Metallteile, vom Trep-
wendend, das Treppenhaus mit dem Lift
pengeländer über die Spiegelleisten bis hin
erschließen kann. Über den Lift erreicht man
zum Klingelbord, sind aus Messing. Die
unternehmen. (Topp 2004, Fußnote 91 auf S. 211f.) 1015 Bock 2009, S. 135.
1016 Bock 2009, S. 135. 1017 Angaben nach Czech und Mistelbauer bei Rukschcio und Schachel 1982, S. 465.
299
300
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 90: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Bügelsaal, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie aus einem Werbeheft der Firma Goldman & Salatsch, Albertina, Wien
lauf verteilen sich ebenfalls in regelmäßigen Abständen
Kugeln,
die
dadurch
als
Haltepunkte dienen und einen deutlich haptisch unterbrechenden Wert verkörpern. Vergleicht man jene Kugeln des Geländers mit
Türen sind wiederum aus Eiche, die rötlich
den verwendeten Kugeln an Hoffmann’schen
gebeizt und auf Hochglanz lackiert wur-
Möbeln, lassen sich erstaunlicherweise
den.1018 Auf der Höhe des ersten Treppenpo-
miteinander verwandte Konstruktionsweisen
destes beginnt das Treppengeländer in einem
oder Wirkungsstrategien entdecken. So die-
mastartigen Podium, auf dem eine kugelför-
nen die Kugeln an der Lehne der Sitz
mige Lampe ruht. Pro Treppenlauf wird das
maschine von 1905 von Josef Hoffmann als
Geländer durch drei senkrecht verlaufende
Halterungsstufen für die Rückenlehne des
Stangen in Segmente unterteilt. Die an die-
Sessels. Die Kugeln am Handlauf des Gelän-
sen Senkrechten zusammenstoßenden, in
ders von Adolf Loos dienen ebenso als
einem Winkel von 45 Grad positionierten
Moment des Festhaltens und Stabilisierens.
Gestänge laufen in kugelförmigen Verbin-
Des Weiteren nutzt Hoffmann die Kugeln an
dungsstücken zusammen. Über den Hand-
der Sitzmaschine, um die Einzelstreben zu verstärken. So befinden sich gerade auch am
1018 Rukschcio und Schachel 1982, S. 465.
vorderen Ende der Armlehnen unten
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Verlauf der Umbauten und Restaurierungsmaßnahmen Die Geschäftsräume der Firma waren bis zur Konkursanmeldung von Goldman & Salatsch in den Jahren 1925/1926 unverändert im Einsatz. Daraufhin folgten vielerlei Umnutzungen der Räumlichkeiten und in deren Zuge auch Veränderungen am Inventar des Parterres und Mezzanins. 1938 wurde das Haus am Michaelerplatz von den Nationalsozialisten besetzt. Die Säulen des Eingangsbereiches wurden mit Hakenkreuzfahnen umhüllt und die Fenster der Wohnetagen mit Hakenkreuzen versehen. Des Weiteren heißt es in einem Band der Raiffeisenbank Wien, dem heutigen Besitzer, zur Restaurierung: „In den Märztagen des Jahres 1938 schrie eine Inschrift in unübersehbaren Lettern Abb. 91: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Treppenhaus, 1909-1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie von Martin Gerlach Jun., Albertina, Wien
vom Portal über den Michaelerplatz: ‚Gleiches Blut gehört in ein gemeinsames Reich‘, die Marmorsäulen waren mit Laub-
angesetzte Kugeln. Genau an diesem Punkt
girlanden umwickelt, seitlich baumelten
stützt sich der Hinsetzende oder drückt sich
Hakenkreuze herab, und in der Mitte saß
der Aufstehende ab und bekommt somit
unter einem riesigen Reichsadler die Büs-
vielleicht auch nur optisch unterstützt durch
te Hitlers auf einem Postament. Zwei
die Kugeln ein erweitertes Sicherheitsgefühl.
SS-Männer standen Posten davor […].“1019
Ähnliches
bewirken
die
Kugeln
des
Loos’schen Geländers, die nur die Verbin-
Bei Bezug des Hauses durch die Automobil
dungspunkte markieren und optisch zusam-
firma Opel wurden umfassende Umbauten
menfassen, aber im funktionalen Sinne nicht
vorgenommen. Die Vitrinen und die Vertä-
unbedingt nötig wären. Sie stellen eine opti-
felung des Parterres wurden herausgerissen.
sche Verfestigung dar und fördern im
Ebenso trug man die Treppe zum Mezzanin
Treppengeher ein Vertrauen, das auf einem
ab und das Portal wurde grundlegend in
suggerierten stabilen Eindruck der Gelän-
seiner Anlage verändert. Man zog die Schau-
derkonstruktion fußt.
fenster bis knapp vor die Säulen und ver
1019 Ohne Autor 1989, S. 20.
301
302
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
baute so den Raum der Vorhalle.1020 All diese
te für 1910 eine enorme technologische Neu-
Änderungen sind als verheerende Eingriffe
heit dar. Die Technik hatte sich erst in den
in die Wirkung des ursprünglichen Raum-
1880er-Jahren entwickelt.1025 Man fand die
komplexes zu bezeichnen. 1944 schlug im
Lösung, die Fläche mit zwei Scheiben zu
Nachbarhaus eine Bombe ein und beschädig-
überbrücken. Dafür konnte man die origina-
te Teile des Michaelerhauses.
1947 stellte
le Uhr des Parterres retten und an ihrem
man das Haus unter Denkmalschutz und
angestammten Platz wieder aufhängen.
genehmigte einen abermaligen Neubau des
Außergewöhnlich war auch die Wiederher-
Portals. Diesmal verwirklichte man eine Lini-
stellung des Mahagonifurniers, da man auf-
enführung, die zwischen der originalen von
fällig lange Stücke benötigte, die in der Art
1910 und der von 1938 verlief, aber weiterhin
seinerzeit nicht mehr hergestellt wurden,
gerade blieb. 1959 erneuerte man teilweise
aber noch als Rarität aus Lagern aufzufinden
die Marmorverkleidung.
1021
1966 entstand
waren. Ebenso war es möglich, letzte groß-
nochmals ein neues Geschäftsportal, das lei-
formatige Reste des Cipollinomarmors aus
der abermals nur ungefähr der ursprünglichen
Euböa aufzukaufen, die dazu verwendet wur-
Loos’schen Lösung entsprach.1023 1987 gelang-
den, die Fassade wieder neu zu verkleiden.
te das Michaelerhaus in den Besitz der
Als Grundlage der Restaurierung zog Ruksch-
Raiffeisenbank Wien und erst die umfassende
cio alte Fotografien1026, noch vorhandene
Restaurierung von 1987 bis 1989 unter der
Reste und Vergleiche mit anderen Loos’schen
Leitung von Burkhardt Rukschcio stellte die
Arbeiten zu rate.1027
1022
ursprüngliche R aumanlage wieder her und erhielt die bis dahin original erhaltenen Fragmente des Mezzanins.
3.4.2. Werkanalyse
1024
Abstriche musste man jedoch bei den geschwungenen Schaufenstern der Vorhalle
Ein Gebäude bürgerlicher Präsenz im aristokratischen Umfeld
machen, da derartige Maße in Glas laut der Broschüre zur Restaurierung im Auftrag der
Das Haus am Michaelerplatz ist vor allem
Raiffeisenbank Wien nicht mehr hergestellt
für seinen damaligen ‚Skandalcharakter‘
werden konnten. Die originale Verwendung
berühmt geworden. Nicht nur die Streitig-
solcher großen, gebogenen Glasflächen stell-
keiten mit den Behörden selbst machten den Architekturskandal um das Haus am Micha-
1020 Ohne Autor 1989, S. 20. 1021 Ohne Autor 1989, S. 20. Christopher Long spricht hingegen davon, dass das Hochhaus in der Herrengasse getroffen wurde und durch den Einschlag die obere Ecke des Loos-Hauses, die an das Hochhaus angrenzt, beschädigt wurde. (Long 2011, S. 202.) 1022 Ohne Autor 1989, S. 20. 1023 Rukschcio und Schachel 1982, S. 469. 1024 Kristan 2001, S. 83. Siehe auch Ohne Autor 1989, S. 20 und S. 51.
elerplatz berühmt. Vor allem die Reaktionen der künstlerischen Avantgarden auf die
1025 Long 2011, S. 157–159. 1026 Vor allem die bereits erwähnten Fotografien aus einer Reklamebroschüre der Firma Goldman & Salatsch von 1911 sind wohl als Quellengrundlage herangezogen worden. (Kristan 2001, S. 54–61 und S. 83.) 1027 Ohne Autor 1989, S. 52f.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
behördlichen Sanktionen ließen den Kon-
Auffällig dabei ist, dass der emotionale Bezug
flikt unvergesslich werden. So sind es unter
zu diesem Haus durch seine Bewohner, Besu-
anderem die Texte von Karl Kraus und Her-
cher, Spaziergänger – die daran vorbeischlen-
warth Walden, die auch für das Gebäude
dern – bis hin zum allgemeinen Wiener
selbst eine bis heute gültige, breite Präsenz
immer wieder in den Mittelpunkt von Unter-
herstellen. Ebenso muss der Fakt, dass Loos
suchungen gestellt wurde. Von der Doku-
neben seiner Vortragstätigkeit in Berlin eini-
mentation der Debatten um die Gestaltung
ge seiner Essays in der Zeitschrift Sturm von
der Fassade auf behördlicher Ebene, über
Herwarth Walden publizieren konnte, zu
die Nennung der zeitgenössischen Karikatu-
einer Ausbreitung der Architekturdebatte
ren in den Tageszeitungen und die Wieder-
geführt haben.
Stark verwoben ist die
gabe der Loos’schen Vorträge – in denen der
Geschichte seiner Rezeption mit dem Phä-
Architekt sein Werk zu verteidigen und zu
nomen seiner Wahrnehmung durch die städ-
erklären für nötig erachtet – bis hin zu sol-
tischen Zeitgenossen. Von der „Mistkiste“
chen Untersuchungen, wie der Dissertation
über das „Haus ohne Augenbrauen“, „Fab-
von Elana Shapira, die unter anderem den
rikgebäude“ und „Gefangenenhaus“ bis zum
gelenkten emotionalen Wert des Gebäudes
„Feuerzeug“ und der „gehobelten Kiste“
für seine Auftraggeber erforscht, sind die
sowie schließlich zum „Schubladenkasten-
emotionalen Sichtweisen auf das Loos-Haus
bau“ findet sich eine Vielzahl von verun
zahlreich und variantenreich. Gerade der
glimpfenden Spitznamen für und Karikatu-
Vergleich der Fassade des Hauses am Michae
ren über das Haus am Michaelerplatz.
lerplatz mit dem nackten Körper einer Frau
1028
So
1029
heißt es zum Beispiel 1911:
zeigt, wie schwer vom Architekten beabsichtigte Strategien und ästhetische Konzepte
„Ihr Haus macht den Eindruck, als sei
ihrer Werke für Zweite zu decodieren sind.1032
dem Bauherrn beim ersten Stock die Lust
So wurde das Anonymisierungsvorhaben
zum Geldausgeben ausgegangen, als hät-
Loos’, das er im Sinne einer Fassade als vor-
ten Sie beim ersten Stock die Einfälle ver-
geschaltete Barriere der Kommunikation zwi-
mißt ... Stecken Sie in einen schweren
schen Innen und Außen gestaltete, aufgrund
Bronzebehälter eine gewöhnliche schwe-
des Wegfalls einer bedeckenden Ornament-
dische Zündhölzelschachtel und das gan-
schicht als Entkleidung oder als anstößiges
ze wird recht häßlich ausschauen.“
Herausschälen der Wand missverstanden.
1030
Neben der Bedeutung des Verortens im Ebenso übermittelt Egon Friedell die Betite-
Stadtraum soll das Verhältnis von Ornament,
lung als ein „Scheusal von einem Haus“.
Material und Ökonomie am und im Baukör-
1031
per des Hauses am Michaelerplatz angeris1028 Vergleiche dazu Kraus 1910, S. 4–6 und Walden 1988 (1911), S. 77–80 und Hodonyi 2010, Fußnote 7 auf S. 121, S. 136 und S. 146–167. 1029 Vergleiche dazu Long 2011, S. 106–109. 1030 Ohne Autor 1985, S. 49f. 1031 Friedell 1985 (1920/21), S. 77.
sen werden. Neben diesen für das Loos-Haus klassischen
stofflichen
Untersuchungs
1032 Vergleiche dazu Haiko 1994, S. 89–100 und Dröge und Müller 1995, S. 157–159.
303
304
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
aspekten sollen aber vor allem die Bezüge
und begann seine zukünftigen Möbel
zum Körperlichen im übertragenen Sinne
eigenhändig zu entwerfen.“1033
aufgedeckt werden. Darunter zu zählen ist zum einen das Verhältnis von Mensch und
Zum anderen sind aber auch das Motiv der
Architektur im Allgemeinen. Robert Musil
Maske in der Architektur des Loos-Hauses
griff zum Beispiel ironisierend das Bild der
und in deren Zusammenhang auch das Ver-
Entsprechung von Körper und Architektur
hältnis von Sexualität zu deren Sublimierung
in seinem Roman Der Mann ohne Eigen-
hervorzuheben. Überhaupt ist der Aspekt
schaften auf:
der Bekleidung im architekturhistorischen Sinne à la Semper, aber auch im wörtlichen
„Der moderne Mensch wird in der Klinik
Sinne eines ‚Kaufhauses‘ für den ‚englischen
geboren stirbt in der Klinik: also soll er
Dandy‘ und dessen gesellschaftliche Konno-
auch wie in einer Klinik wohnen! – Die-
tationen zu durchleuchten.
se Forderung hatte soeben ein führender
Überdeutlich ist, dass sich im Falle des
Baukünstler aufgestellt, und ein anderer
Michaelerhauses im Rahmen der Fachlitera-
Reformer der Inneneinrichtung verlangte
tur eine deutliche Vernetzung von architek-
verschiebbare Wände der Wohnungen, mit
turhistorischen, kulturhistorischen und sozio-
der Begründung, daß der Mensch dem
logischen Aspekten präsentiert und dass ohne
Menschen zusammenlebend, vertrauen
diese Verknüpfungen ein Verständnis dieses
lernen müsse und nicht sich separatistisch
Gebäudes in seiner Gänze nicht möglich
abschließen dürfe. Es hatte damals gera-
wäre. Es gilt zu beweisen, dass das Michae-
de eine neue Zeit begonnen (denn das tut
lerhaus als Stimmungsarchitektur erbaut wur-
sie in jedem Augenblick), und eine neue
de, indem es emotional auf sein Umfeld ein-
Zeit braucht einen neuen Stil. Zu Ulrichs
wirken und es erziehen sollte.
Glück besaß das Schloßhäuschen, so wie er es vorfand, bereits drei Stile übereinander, so daß man wirklich nicht alles da-
Ort, Skandal, Ornamentdebatte und Gestaltung – Das Kaiserforum Gottfried Sempers
mit vornehmen konnte, was verlangt wurde; dennoch fühlte er sich von der
Bereits im Rahmen der Baubeschreibung
Verantwortung, sich ein Haus einrichten
wurde kurz auf die Konzeption des Kaiser-
zu dürfen, gewaltig aufgerüttelt, und die
forums durch Gottfried Semper und dessen
Drohung ‚Sage mir, wie du wohnst, und
Bezug zum Michaelerplatz eingegangen.
ich sage dir, wer du bist’, die er wiederholt
Dieser Aspekt soll nun vertieft werden, da
in
hatte,
das Motiv des Kaiserforums Adolf Loos
schwebte über seinem Haupt. Nach ein-
bekannt gewesen sein muss und eine Etappe
Kunstzeitschriften
gelesen
gehender Beschäftigung mit diesen Zeit-
zu seiner Beeinflussung durch Camillo Sitte
schriften kam er zu der Entscheidung, daß
darstellt.
er den Ausbau seiner Persönlichkeit doch lieber selbst in die Hand nehmen wolle,
1033 Musil 2006, S. 19f. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Inge Podbrecky erläutert in ihrem Aufsatz
haus erwähnt weiterhin, dass die Bezeich-
Körper und Bekleidung. Gottfried Sempers
nung Kaiserforum nicht etwa von Semper
Wiener Kaiserforum sehr eindrucksvoll die
und Hasenauer stammt, sondern vom Kunst-
Beziehungen zwischen dem Semper’schen
philosophen Joseph Bayer. Er ist es, der den
Entwurf für das Kaiserforum in Wien und
Erweiterungsplan der Hofburg 1879 erstma-
dessen Korrespondenzen mit anthropomor-
lig in Verbindung zur römischen Kaiserfora
phen Übertragungen symbolischen Charak-
setzt und die Namensgebung Kaiserforum
ters. Sie spricht im Falle Sempers sogar vom
prägt.1037 Diese Bezeichnung greift Camillo
„Topos der anthropomorphen Analogie“
Sitte in seinem Städtebau wieder auf:
1034
.
Der Gebäudekomplex, der das Kaiserforum umschreibt, wird von Podbrecky als Körper
„Dieser Platz wird ein Kaiser-Forum wer-
gefasst, der seinen „Kopf“ im Thronsaal situ-
den im wahrsten Sinne des Wortes und
iert und durch seine Gebäudekomplexe den
von gewaltigsten Dimensionen, denn rund
Charakter von „Umfassendem, Umgreifen-
240 Meter lang und 130 Meter breit, sind
dem, Beschützendem, aber auch Umschrei-
die Spannweiten desselben beinahe eben-
bendem und Ausgrenzendem“ konstitu-
so gross, wie die des Petersplatzes in
iert.
Rom.“1038
1035
Die geplante Bebauung eines Hofbezirks, die durch die Schleifung der Glacis möglich
Das heißt zusammengefasst, dass es Semper
wurde, zeichnet sich dadurch aus, dass die
vorrangig darum ging, durch Architektur
Umschreibung eines Raumes im Zentrum
einen symbolisch aufgeladenen Stadt- oder
der Planung stand. Richard Kurdiovsky
Staatsraum zu schaffen, dessen Einwirkung
belegt, dass Semper „den Blickpunkt auf die
auf den Besucher dieses Ortes – der diesen
Gesamtanlage“ legte. Semper habe vielmehr
Raum durchwandelt – im Sinne einer ‚Ein-
die „Gesamtanlage als städteplanerische Auf-
stimmung‘ auf ein Gemeinschaftsgefühl
gabe“ verstanden (Abb. 92). In diesen Zusam-
wirkt.1039 Selbst wenn das Kaiserforum nicht
menhang stellt Kurdiovsky auch die darauf
vollendet wurde, lässt sich noch heute diese
folgenden Darstellungsformen der Pläne zum
architektonische Strategie sehend wahrneh-
Kaiserforum. Nicht mehr der stadtauswärts
men, wenn man von den Hofmuseen hinü-
weisende Blick, sondern die Ansicht von den
ber in den ersten Bezirk spaziert. Erst beim
Stallungen auf die Hofburg in Richtung
Durchlaufen des teilweise umbauten Raumes
Innenstadt sei ab da die gängige Dar
erklärt sich die Affekt evozierende ‚Gestimmt-
stellungskonvention. Des Weiteren bezeich-
heit‘. Nicht einer Festung gleich, die man nur
net Kurdiovsky daher auch die Hofstallun-
selten und unter Überwindung erheblicher
gen als „Basis“ und den Michaelerplatz als
Sicherheitsstufen erklimmen kann, bewegt
„Bekrönung des Planes“.
1036
1034 Podbrecky 2007, S. 113. 1035 Podbrecky 2007, S. 113. 1036 Kurdiovsky 2012, S. 161f.
Andreas Nier1037 Nierhaus 2012, S. 184. 1038 Sitte ³1901, S. 128. Siehe auch Nierhaus 2012, S. 184. 1039 Vergleiche dazu Podbrecky 2007, S. 126f.
305
306
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 92: Gottfried Semper und Carl Hasenauer: Kaiserforum, Lageplan mit Grundriss, 20. Dezember 1869, Wien
1670 the Fiaker, drawn by two horses, had
man sich durch die Anlage, sondern vielmehr
luxury, and those who needed to drive out
einer Selbstverständlichkeit im Stadtgefüge
of the city could hire a covered vehicle, a
erläuft man sich die damalige staatstragende
Landauer. By 1689 the sedan chair, alrea-
Institution, der man sich so nahe glaubt und
dy commonplace in western cities, had
mit der man sich eventuell sogar identifizie-
appeared in Vienna. Licensed chair
ren konnte.
bearers were allowed to wait for custo-
made its appearance as a public conveyance for hire by those who could afford the
mers on the Michaeler Platz, the main “The inner city was small and compact
entrance from the city into the Hofburg
enough that the inhabitants could and did
precint.”1040
walk from one quarter to another as their affairs took them. The imposing carriages
Diese Situationsbeschreibung bezieht sich
of the court nobility were generally reser-
zwar auf das 16. oder 17. Jahrhundert,
ved for state occasions or long-distance
jedoch sind jene Verkehrsverhältnisse noch
travel. Ministers or ambassadors night ar-
aus heutiger Sicht nachvollziehbar und es
rive at the Hofburg in coaches, but virtually everyone else came on foot. […] By
1040 Spielman 1993, S. 32f. Siehe auch Kurdiovsky 2012, S. 176.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
ist zu vermuten, dass Ähnliches für den
niert auch die Scheidelinie zwischen adliger
Beginn des 20. Jahrhundert galt. Auch wenn
und bürgerlicher Welt. Durch die zurückge-
man die Fortbewegungsmöglichkeiten von
schwungene Fassade des Michaelertraktes
Fahrrad und Auto noch ergänzen könnte,
und die bereits beschriebene selbstbewusste
verbleibt der Fußgänger der wohl häufigste
Haltung des Hauses am Michaelerplatz sowie
Verkehrsteilnehmer für die Durchquerung
den zwischen diesen Gebäuden aufgelade-
der Hofburg. Man könnte vermuten, dass
nen Freiraum des Platzes wird diese sozial
eine respektvolle Verlangsamung innerhalb
klar umrissene Grenze abgemildert. Genau
der Hofburgmauern ebenso intendiert war.
dieses Verschwimmen der im Gesellschafts-
Adolf Loos muss sich bewusst gewesen
leben der Wiener klar umrissenen Hierarchi-
sein, dass der Michaelerplatz sprichwörtlich
en führte zum Skandal um das Haus am
im Schatten dieser zwar nicht vollständig
Michaelerhaus. Eben nicht nur nüchtern
verwirklichten Konzeption, die Richard Kur-
gesehen seine Adresse, sondern auch seine
diovsky sogar in ihrem „idealen Aspekt“ als
durch die Wiener Bevölkerung emotional
eine „Idee in crudo“ bezeichnet,
stand
registrierte Verbindung zur Hofburg schürte
und ihr stadtplanerisch gesehen folgte. Auch
den Widerstand in den Gemütern der amt-
wenn große Teile der Semper’schen Dispo-
lich Offiziellen.
1041
sition nicht verwirklicht wurden, muss die Herangehensweise und Methodik Sempers Eindruck auf die nachfolgenden Generationen von Architekten gemacht haben. Zudem
Die Wahrnehmung als architektonischer Maßstab – Camillo Sitte
ist Loos’ Credo, auf Tradition zu bauen, allbekannt und im Rahmen dieser Arbeit schon
Ein weiterer Anknüpfungspunkt, der das Ver-
mehrfach angesprochen worden. In seinen
hältnis von Raum bei Adolf Loos im Falle
Schriften finden sich genug Beweise dafür,
des Hauses am Michaelerplatz weiter
dass Loos keinen ‚Neuen Stil‘ erschaffen
erleuchten kann, sind Camillo Sittes1042
wollte, sondern vielmehr evolutionär und
Schriften. Interessanterweise arbeitet Loos
nicht revolutionär dachte. In diesem Sinne ist anzunehmen, dass Loos sich nicht nur – wie bisher umfangreich in der Wissenschaft erarbeitet – auf die einzelnen Charakterzüge des Michaelerplatzes und seiner damals bereits bestehenden Gebäude bezog, sondern den Michaelerplatz auch als einen städtischen Raum wahrnahm, der regelrecht an den monarchischen Staatskörper anschloss. Die Grenze zwischen diesen beiden Stadträumen defi1041 Kurdiovsky 2010, S. 112.
1042 Camillo Sitte ist zunächst als Bürger und als Anhänger der Beamtenelite des liberalen Wiens der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu verstehen. Er gehörte deutlich zur „Ringstraßengesellschaft“, die sich vor allem beim Bürger durch ein neu gewonnenes Selbstbewusstsein auszeichnete. Mithilfe von finanziellen Möglichkeiten und der Aneignung von umfangreicher Bildung versuchte man sich im Rahmen der Realunion Österreich-Ungarn unter der Leitung des habsburgischen Monarchen der Hocharistokratie anzunähern. Sitte siedelte sich als Gewerbeschuldirektor in diesen komplexen Strukturen der mittleren Gruppe der Beamtenschicht an. (Vergleiche dazu Wilhelm 2006, S. 34.)
307
308
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
thematisch gesehen als Autor ähnlich wie
uns nur entweder dieser Motive ganz enthal-
Camillo Sitte. Sitte schreibt neben den
ten, oder ganz japanesisch werden [können;
bekannten Büchern auch Ausstellungskriti-
LT], eine Vereinigung ist hier nicht denk-
ken für das Neue Wiener Tagblatt. Erstaun-
bar“1046. Camillo Sitte umschreibt die Ent-
lich sind aber die Inhalte über die Sitte
wicklung der Form und Ornamentik einer
berichtet. So widmet er sich unter anderem
japanischen Vase nur in ihrer eigenen Kultur
der Geschichte des Möbelbaus, aber auch
verwurzelt, und eine Übertragung in einen
spezielleren Kleinthemen, wie der Gmund-
anderen Kulturkreis hieße die Verneinung
ner Keramik oder dem Salzburger Silber
der eigenen Kultur. Dies bewertet er aber
filigran.1043 Besonderes Augenmerk legt er
nicht als negativ; nur die Vermischung sieht
auf das Kunstgewerbe, was natürlich in
er als unvorteilhaft an. Ähnlich argumentiert
Beziehung zu seiner Lehrtätigkeit zu setzten
Adolf Loos, wenn er fordert, dass Formen,
ist. Ruth Hanisch und Wolfgang Sonne fas-
die schon über Jahrhunderte entwickelt,
sen die Methode Sittes als ein induktives Ver-
erprobt und letztendlich sich als praktisch
fahren, das zumeist auf der Basis der Empi-
erwiesen haben, nicht verändert werden soll-
rie ein Allgemeines herleitet.1044 Ähnlich ist
ten. So verwendete er immer wieder für sei-
auch das Ziel des um eine Generation jün-
ne Wohnungseinrichtungen den dreibeinigen
geren Adolf Loos zu definieren. Wie bei der
ägyptischen Hocker (Abb. 14). Er ließ den
Analyse der Schriften Adolf Loos’ zu sehen
ursprünglich ins Neue Reich datierten ägyp-
ist, besitzt dieser ebenso ein Talent darin,
tischen Hocker nach einer originalgetreuen
mithilfe von alltäglichen Thematiken oder
Kopie der englischen Firma Liberty & Co.
Gegenständen praktische Lebenswege und
(Thebes Stool, Patent Nummer 16.673) von
Dogmen extrahierend zu vermitteln. Susan-
Josef Veillich mit minimalen Änderungen
ne Eckel spricht sogar von einem „Erzie-
nachbauen.1047 Mit dieser Übernahme ist
hungsprogramm“.
Loos jedoch konsequenter als Sitte. Sitte for-
1045
Eine weitere Bezugnahme Loos’ auf Sitte
derte vielmehr eine Anerkennung der Erfah-
könnte in der von Sitte formulierten Mate-
rungswerte früherer Generationen und eine
rialgerechtigkeit gesehen werden. So spricht
Anpassung der Gegenstände an zeitgemäße
Sitte davon, dass die japanische Ornamentik
Nutzungen. Loos sieht vielmehr in gewissen
in keinem Fall auf europäischen Gefäßen
Möbeln, Bauweisen etc. ein Maximum
platziert werden sollte, sondern sich gemein-
erreicht, an das man nicht mehr rühren soll-
sam mit ihren spezifischen Gefäßformen ent-
te. Ist dieses Maximum jedoch noch nicht
wickelt habe und somit nicht autark existie-
erlangt, ist es auch nach Loos vollkommen
ren sollte. Seine Ausführungen stringent
legitim, Verbesserungen vorzunehmen.1048
bekräftigend, äußert sich Sitte, dass „wir […]
1043 Hanisch und Sonne 2008, S. 106. 1044 Hanisch und Sonne 2008, S. 106. 1045 Eckel 1996, S. 35–38. Siehe auch Amanshauser 1985, S. 12f.
1046 Zitiert nach Hanisch und Sonne 2008, S. 112. 1047 Vergleiche dazu Ottillinger 1994, S. 80–90 und S. 124–126. 1048 Vergleiche zur Position Sittes in diesem Zusammenhang Hanisch und Sonne 2008, S.122–131.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Sitte legt sein Buch Grundformen im
Folgenden soll nachgewiesen werden, dass
Möbelbaue und deren Entwickelung von 1888
Adolf Loos’ Vorgehensweise beim Haus am
als eine Evolutionsgeschichte des Möbels
Michaelerplatz in vielen Aspekten auf den
an.
Er bedient sich eines von Charles Dar-
in Camillo Sittes’ Schrift Der Städte-Bau
wins Theorie geprägten biologischen Voka-
nach seinen künstlerischen Grundsätzen1053
bulars, wenn er folgende Begriffe verwendet:
formulierten Prinzipien beruht. Es ist davon
„Abstammung“, „Genese“, „Nachkommen-
auszugehen, dass Adolf Loos die Schrift Sit-
schaft“, „verwandt“, „fruchtbar“ und „erzeu-
tes kannte. Zumindest heißt es im Nachruf
gen“.1050 Des Weiteren entwirft er „Abstam-
des Otto-Wagner-Schülers Leopold Bauer auf
mungstabellen“ und spricht von einer
Camillo Sitte zur Tragweite und zum Wir-
„stammbaumartigen Verästelung einer Art
kungskreis seines Buches Der Städtebau
natürlichen Züchtung“ bei Möbelformen.
nach seinen künstlerischen Grundsätzen:
1049
Gerade solche Verknüpfungen ermöglichen es, dass Adolf Loos in seiner berühmten Ver-
„Es wirkte wie eine Initialladung auf eine
teidigungsschrift Ornament und Verbrechen
vorbereitete Mine; der Erfolg war ein un-
die Verbindung herstellen konnte zwischen
geheurer – überall wurde das Thema auf-
den Entwicklungsstadien des Menschen und
gegriffen und die Fachleute ließen seit die-
seiner von ihm gestalteten näheren und
sem Moment nicht mehr davon ab“.1054
unmittelbaren Umgebung.
1051
Auch das große
Vorbild Englands für Loos kann man in die-
Das Umfeld, in das Loos sein Haus am
sen Zusammenhang setzen. Loos erhofft sich
Michaelerplatz einzuschreiben hatte, ist
eine Annäherung an die seiner Ansicht nach
jedoch nicht allein in der Achse zur Hofburg
weiterentwickelte Kultur Englands unter
zu verstehen. Vordringlich ist bis heute der
Ablösung „unvorteilhafter“ Entwicklungen in
Eindruck von Enge, der sich aus der Stra-
seiner Heimat.
ßensituation von Herrengasse, Kohlmarkt
1052
All das bisher Genannte soll verdeutli-
und Reitschulgasse erklärt. Alle drei Straßen
chen, dass in Loos’ Werk leicht Bezüge zu
führen auf den Michaelerplatz. Der von
Camillo Sittes Œuvre auszumachen sind. Im
ihnen auf den Michaelerplatz Zulaufende erlangt einen gänzlich anderen Eindruck
1049 Hanisch und Sonne 2008, S. 121f. 1050 Hanisch und Sonne 2008, S. 121. 1051 Dieser Entwicklungslinie entgegen stand Alois Riegl. Riegl führte das Künstlerindividuum als wichtigen Motor in der Entwicklung unserer Formen- und Kunstwelt mit ein. (Hanisch und Sonne 2008, S. 121f. und S. 130f.) Ebenso wurden bereits Bezüge Loos’ zu den Schriften des italienischen Arztes und Professors der Gerichtsmedizin Cesare Lombroso gezogen. Vergleiche dazu Long 2011, S. 83f. 1052 Wie sehr Adolf Loos in seinen Schriften ein idealisiertes Bild Englands und der USA entwarf ist detailliert nachzulesen bei Stewart 2000, S. 44–55.
vom Loos-Haus. Sowohl von der Herrengasse als auch vom Kohlmarkt kommend, läuft der Fußgänger an einer über die Breite vieler Gebäude hinwegführenden Phalanx von Fassaden entlang. Die von beiden Seiten mit mehrgeschossigen Gebäuden umschlossenen
1053 Sitte ³1901. 1054 Der Nachruf stammt aus der Neuen Freien Presse (Wien 15. April 1923) und ist hier zitiert nach Reiterer 2005, S. 225.
309
310
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Straßenzüge lassen einen Blick nach oben
der Stadtplanung, die vor allem von der
nur bedingt zu. Möchte man die Fassaden
durch visuelle Eindrücke geprägten Gefühls-
genauer betrachten, ist es notwendig, den
welt des Städters ausgeht. Die Verortung des
Kopf tief in den Nacken zu legen. Der Blick
Menschen im Stadtraum auf Basis der emo-
richtet sich zumeist daher nach vorne auf
tionalen Verbindung zu seinem Umfeld ist
den Michaelerplatz. Dort angekommen ist
dominanter Gestaltungsaspekt bei Sitte. Wie
es vielmehr die imposante und dominante
hoch Camillo Sitte die Relevanz der Wirkung
Erscheinung der Hofburg, die den Passanten
der Architektur auf den Menschen bewerte-
gefangen nimmt. Er müsste sich schon
te, wird schon in der Einleitung seines
umdrehen,
Buches deutlich. Bereits auf der ersten Seite
um
die
Hauptfassade
des
Loos-Hauses betrachten zu können. Ledig-
heißt es:
lich aus Richtung der Reitschulgasse ist bereits von weitem das Loos-Haus in Aus-
„Zweifellos ist die unverwüstliche Heiter-
schnitten sichtbar. Umso spannender ist es
keit des Südländers an den hellenischen
aber, Adolf Loos’ Annäherung und Verqui-
Küsten, in Unteritalien und anderen ge-
ckung des Loos-Hauses mit dem Michaeler-
segneten Himmelsstrichen zunächst ein
platz zu beobachten. Stellt der Platz an sich
Geschenk der Natur, aber die alten Städ-
schon eine Erweiterung des Raumes dar, so
te waren hier dieser schönen Natur nach-
zieht Adolf Loos den öffentlichen Raum bis
gebildete, und auch sie wirkten auf das
fast ins Gebäude hinein.
Gemüth der Menschen mit sanfter, unwi-
Aufgrund dieser stark suggestiv wahrge-
derstehlicher Gewalt in demselben Sinne.
nommenen Raumwirkung, die Loos regel-
Schwerlich wird Jemand dieser Annahme
recht inszeniert hat, soll nun ein Vergleich
einer so starken Einwirkung der äusseren
angestellt werden zwischen den Grundsätzen
Umgebung auf das menschliche Gemüth
des Städtebaus nach Sitte – wie sie in seiner
widersprechen, der selbst einmal die
Schrift Der Städtebau nach seinen künstle-
Schönheit einer antiken Stadt sich lebhaft
rischen Grundsätzen formuliert wurden –
versinnlicht hat.“1055
und dem verwirklichten Bau des Hauses am Michaelerplatz und dessen räumlicher Dis-
Camillo Sitte definiert die Stadt als äußeres
position. Das Hauptthema des genannten
Umfeld des Menschen und damit als Träger
Buches bildet im weitesten Sinne die Wahr-
von Gemütszuständen seiner Bewohner. In
nehmung von städtischem Raum und dabei
diesem Sinne muss ein Architekt sich sei-
noch zentraler des städtischen Platzes mit
ner Rolle als Gestalter dieser Umgebung
allen seinen Bestandteilen. Betonung liegt
bewusst sein.
aber auf der Wahrnehmung, da es Sitte vor allem darum geht, das Äußere und die Struktur dieses urbanen Raums mit der Empfindungswelt seiner Bewohner zu verbinden. Sitte fordert sogar eine Vorgehensweise bei
1055 Sitte ³1901, S. 1. Die Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Hinzu kommt aber auch der Aspekt, den
ten sieht Reiterer auch im Städtebau-Buch
Gabriele Reiterer als „Anleitung zur Stadt-
gegeben und umschreibt Sittes Methode als
Wahrnehmung“1056 bezeichnet. Camillo Sitte
interdisziplinär.1059
formuliert einen Leitfaden mit anschaulichen
Was sind aber nun die Grundsätze, die
Beispielen darüber, wie ein Platz von seinen
Sitte im Rahmen seiner Arbeit zum Städte-
Betrachtern, Nutzern und Besuchern im ide-
bau formuliert? Heleni Porfyriou sieht drei
alsten Falle emotional entdeckt wird. Sitte
Prinzipien gegeben. Zum einen müsse man
zeichnet natürlich auch die Konsequenzen
bei der Architektur immer von den gegebe-
aus einer völligen Verneinung solcher Rezep-
nen Umständen vor Ort ausgehen. Ein Pla-
tionstheorien, wenn er den damals recht neu-
nen auf dem „Reissbrett“ wäre inakzeptabel,
en Begriff der Agoraphobie aufgreift. Des Wei-
da nur eine Stadt, die in natura entstehe,
teren ordnet Reiterer die Schrift Sittes in den
dem Wahrnehmungsprozess Rechnung tra-
zeitgenössischen wissenschaftlichen Kontext
gen könne.1060 Daher heißt es bei Sitte:
ein. Als Bezugspunkte zieht sie vor allem naturwissenschaftliche Untersuchungen des
„So stehen wir vor einem Räthsel – dem
Körpers und der Psyche und die Erfindung
Räthsel des natürlichen unbewussten
der Psychoanalyse durch Freud heran.
Rei-
Kunstgefühles, das bei den alten Meistern
terer interpretiert Sittes Publikation auf der
sichtbar Wunder wirkte ohne Aesthe-
Grundlage seiner Studienzeit, die vor allem
tik-Paragraphen und Regelkram; während
von den Naturwissenschaften geprägt war.
wir mit Reissschiene und Zirkel hinterher
So befasste er sich hauptsächlich mit der Phy-
gelaufen kommen und so feine Fragen der
siologie und insbesondere mit dem „mensch-
Empfindung mit plumper Geometrie zu
lichen Sehvermögen“, der Wahrnehmungs-
lösen vermeinen.“1061
physiologie
und
der
Medizin.
1057
Dieses
Phänomen der methodischen Wissenschafts-
Sitte stellt dem Bild des planenden, nach
orientierung an den Naturwissenschaften
Gesetzen ordnenden Architekten-Techniker
erklärt, dass der Begriff der „Exaktheit“ im
das Ideal eines Kunstgenies entgegen, das
Allgemeinen ab der Mitte des 19. Jahrhun-
intuitiv von seinen Gefühlen und Empfin-
derts zum „zentralen Begriff der Ästhetik“
dungen geleitet wird. Ähnlich hatte bereits
wurde.1058 Eine deutliche Vermischung fand
Immanuel Kant das Genie als „angeborene
statt zwischen der traditionellen Philosophie,
Gemütsanlage“ umschrieben und Friedrich
die man grob als die Neugierde nach Erkennt-
Wilhelm Joseph Schelling die Ansicht ver-
nis auf der Basis einer Denkwissenschaft defi-
fasst, dass im Genie das „inwohnende Gött-
nieren könnte, und der Wissenschaft der
liche im Menschen“ zu verstehen sei.1062 Zum
naturwissenschaftlichen Erkenntnistheorien. Diese Zusammenführung von Wissenschaf1056 Reiterer 2005, S. 226. 1057 Vergleiche dazu Reiterer 2005, S. 225–237. 1058 Reiterer 2005, S. 227.
1059 Reiterer 2005, S. 228. 1060 Porfyriou 2005, S. 250f. 1061 Sitte ³1901, S. 22. 1062 Vergleiche dazu Eberhard Ortland: Genie, in Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 2 (2001), S. 692–695.
311
312
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
anderen betont Sitte die Rolle des „leeren
des 19. Jahrhunderts arrangiert. Sitte nennt
Raumes“
innerhalb des Stadtkomplexes.
Positivbeispiele und wendet die über solche
Porfyriou fasst diese Maxime folgenderma-
extrahierten Charakteristika auf einige Wie-
ßen zusammen:
ner Plätze der Ringstraßenumgebung an und
1063
schafft damit einen praxisbezogenen Leitfa„Abschließung (Einschließung) und Kon-
den für Architekten und Stadtplaner.
tinuität sind die unabdingbaren Qualitä-
Nachdem nun deutlich wurde, welche
ten des urbanen Raums, eines optisch kon-
bedeutungsvolle Rolle der Platz im urbanen
struierten Raums. Plätze und Straßen sind
Raum unter der Kontextsetzung der Episte-
die wichtigsten Elemente, als Leere bzw.
mologie für Camillo Sittes Untersuchung hat-
Leerraum qualifiziert.“
te, ist es nur verständlich, dass Sitte das psy-
1064
chologische Phänomen der Agoraphobie1066 An dieser Stelle wird überdeutlich, warum
in seiner Schrift aufgreift. Der Begriff der
gerade der Platz so wichtig ist für die Wahr-
Agoraphobie wurde von Freud in seiner
nehmung von städtischem Umfeld. Es wird
Schrift Über die Berechtigung, von der Neu-
von einem „leeren Raum“ gesprochen, der
rasthenie einen bestimmten Symptomkom-
sich wiederum über Abschließung bezie-
plex als ‚Angstneurose‘ abzutrennen von
hungsweise Einschließung und Kontinuität
1894 oder 1895 unter dem Unterkapitel Kli-
definiert und damit vielmehr als Verbindungs-
nische Symtomatologie der Angstneurose
glied fungiert. Ebenso kann auch die Wahr-
erwähnt. Freud ordnet die Agoraphobie den
nehmung zumindest von Raum nur durch
Phobien zu, die sich aufgrund ihrer Referenz
eine gewisse Distanz entstehen. Distanz ist
zur Lokomotion entwickeln.1067 Die Fortbe-
an dieser Stelle gleichzusetzen mit dem
wegung selbst gelangt in den Fokus der Wis-
Abstand, den der Betrachter zu einem Gemäl-
senschaft. Der sich bewegende Mensch und
de einnimmt, um es in seiner Gesamtwirkung
seine emotionale ‚Gestimmtheit‘ durch die
erfassen zu können. Als dritte Regel definiert
Bewegung werden zentral. Sitte umschreibt
Sitte die Aspekte der Qualität des „leeren
diese „nervöse Krankheit“ aufgrund von
Raumes“. Zu den Qualität schaffenden Cha-
Reizlagen, die durch Orte evoziert werden.
rakteristika eines sinnlich über Reize emp-
So spricht er von der „Eintönigkeit im Effect“
fundenen Umfelds zählt er „Dreidimensiona-
einer geraden Allee oder des Orientierungs-
lität, Kontinuität und Umschließung“, die
verlustes durch den Wiederholungscharakter
wiederum zu einer „malerischen Kompositi-
der modernen Stadtplanung.1068 Sitte nennt
on“ zusammenzuführen sind.
Im Sinne
konkrete Anzeichen des Stadtraumes, die
einer Einrichtung und ihrer Möbelstücke wer-
tatsächliche ‚Gestimmtheiten‘ erzeugen,
den der Stadtraum und seine Bestandteile
denn er verknüpft überdeutlich äußere Bege-
auf der Grundlage der Erkenntnistheorien
benheiten des städtischen Umfelds mit
1063 Sitte ³1901, S. 93. 1064 Porfyriou 2005, S. 251. 1065 Porfyriou 2005, S. 251.
1066 Sitte ³1901, S. 53. 1067 Freud 1997, S. 28–35. 1068 Vergleiche dazu Porfyriou 2005, S. 255.
1065
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
inneren Emotionslagen des Städters. Sitte verbindet soziologische, ästhetische und psy-
Es heißt zum Beispiel zur Rolle des Platzes bei Camillo Sitte:
chologische Untersuchungserkenntnisse miteinander und erfindet auf diese Weise eine
„So ist die Bedeutung der freien Plätze in-
„Stadtmorphologie“1069, die wegweisend für
mitten der Stadt (eines Forums oder eines
Adolf Loos’ Architektur und den Stimmungs-
Marktplatzes) eine wesentlich andere ge-
begriff um 1900 wurde. Diesen Aspekt wei-
worden. Heute höchst selten zu grossen
terdenkend, wird der Stadtraum in Verbin-
öffentlichen Festen verwendet und immer
dung mit seinem Betrachter oder Bewohner
weniger zu täglichem Gebrauch, dienen
– der dieses Umfeld durchläuft, belebt und
sie häufig keinem anderen Zweck, als
gestaltet – zum Organismus, der seine Iden-
mehr Luft und Licht zu gewähren, eine
tität und die seiner Bewohner gegenseitig
gewisse Unterbrechung des monotonen
konstituiert. In diesen Zusammenhang muss
Häusermeeres zu bewerkstelligen und al-
auch Karin Wilhelms Beobachtung gestellt
lenfalls noch auf irgend ein grösseres Ge-
werden, dass Sitte eine „Konstruktion einer
bäude einen freieren Ausblick zu gewäh-
formal-funktionalen Analogie von Stadt- und
ren und dieses in seiner architektonischen
Bühnenraum“ anwendete. Wilhelm schreibt
Wirkung besser zur Geltung zu bringen.
des Weiteren, dass Sitte diese Analogie nicht
Ganz anders im Alterthume. Da waren
neu erarbeiten musste, sondern direkt von
die Hauptplätze jeder Stadt ein Lebens-
der Inszenierung öffentlichen Raumes durch
bedürfniss ersten Ranges, indem auf ih-
klerikale und oder aristokratische Präsenta-
nen ein grosser Theil des öffentlichen Le-
tionsansprüche übertragen konnte.1070 Genau
bens sich abspielte, wozu heute nicht
hier kann man im Falle Wiens auf die zuvor
offene Plätze, sondern geschlossene Räu-
schon erwähnte Konzeption des Kaiserfo-
me verwendet werden.“1072
rums von Gottfried Semper (Abb. 92) zurückgreifen. Es lässt sich nicht bestreiten, dass
Natürlich muss man sagen, dass die Beob-
Semper sein Kaiserforum nach den Prinzipi-
achtungen Sittes sich nicht direkt auf einen
en eines „künstlerischen Städtebaus“ plante.
bestimmten Typus von Platz – wie hier dem
Bedenkt man nun, dass Adolf Loos sowohl
Michaelerplatz – beziehen, sondern viel-
Sittes Schrift als auch das Kaiserforum
mehr ihren Definitionsstandort in den Plät-
Semper’scher
haben
zen der Ringstraße finden; jedoch wird
muss,1071 erklärt sich Einiges für das Haus
Prägung
gekannt
anhand dieses Zitates offensichtlich, wie
am Michaelerplatz.
sehr Loos das Ziel verfolgt hatte, mit seinem Haus dem Michaelerplatz nicht zu
1069 Der Begriff ist übernommen von Porfyriou 2005, S. 255. 1070 Wilhelm 2006, S. 28. 1071 Vergleiche dazu Kurrent 1983, S. 92–98. Auch Burkhardt Rukschcio geht davon aus, dass Loos die Schrift Sempers geläufig war. Siehe dazu Rukschcio 1989, S. 217–250.
solch einer Wirkung, wie sie Sitte beschreibt, zu verhelfen. Was Sitte unter „geschlossenen Räumen“ in diesem Zusammenhang
1072 Sitte ³1901, S. 4.
313
314
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
versteht, erklärt sich weiter hinten in selbi-
sondern auch seine soziale Relevanz unter-
gem Buch:
mauert. In diesem Fall eines Herrenausstatters war sicherlich nicht das Ziel angelegt,
„Wir können es nicht ändern, dass das ge-
eine gewisse Anzahl von Kunden schlicht
sammte öffentliche Leben heute in den
abzufertigen. Diese Ausrichtung auf Exklusi-
Tagesblättern besprochen wird, statt wie
vität ist schon anhand des Eingangsbereiches
einst im alten Rom oder in Griechenland
verdeutlicht worden. Derjenige, der das
von öffentlichen Vorlesern und Ausrufern
Gebäude betrat, wurde in seiner Bewegung
in den Thermen und Säulenhallen auf of-
durch die Säulenhalle verlangsamt und mit
fenem Platz erörtert zu werden. Wir kön-
dem Spiegelbild der Hofburg in den Schau-
nen es nicht ändern, dass der öffentliche
fenstern noch einmal seines Standpunktes
Marktverkehr sich immer mehr von den
vergewissert. Ebenso kann man diese Veror-
Plätzen zurückzieht, theils in unkünstle-
tung des Städters auch auf den gesamten
rische Nutzbauten sich einschliessend,
Platz erweitern. Dramaturgisch inszeniert,
theils ganz auflösend durch Zuträgerei di-
schreitet der wohlhabende und geschmack-
rect in’s Haus.“1073
voll gekleidete Städter aus dem Michaelertor der Hofburg,1074 um auf seinen ‚Tempel der
Adolf Loos verändert das Verhältnis von
Mode‘ zuzulaufen. Elana Shapira erarbeitet
draußen und drinnen am Michaelerplatz mit
in ihrer Dissertation sehr ausführlich, in wel-
seinem Gebäude erheblich. Zunächst schafft
cher Art und Weise Goldman & Salatsch die
er durch die starke Achsenbeziehung zur Hof-
bürgerlichen Wünsche nährte, sich der Aris-
burg eine neue Blicklenkung für den Platz,
tokratie über äußerliche Merkmale anzunä-
der zuvor die Prägung einer Kreuzung auf-
hern.1075 Nichts anderes vermitteln der Stand-
zeigte. Im Sinne einer Erweiterung findet der
ort und seine Gestaltung durch Loos.
Blick desjenigen, der gerade aus der Hofburg
Weiterhin wird der Platz auch von innen
tritt, einen Zielpunkt im Haus am Michae-
inszeniert. Es handelt sich sicher um einen
lerplatz. Nachdem der Städter den Baukör-
arrangierten Blick von innen nach außen.
per der monarchischen Instanz durchlaufen
Im Salon hat der wartende Kunde die Mög-
hat, gelangt er somit auf einen den Bewe-
lichkeit, sich visuell seines Standortes zu
gungsfluss verlangsamenden Platz, der eine deutliche Ausrichtung zum Loos-Haus hin aufweist. An diesem Punkt könnte man meinen, Sittes Negativ-Bild eines modernen Platzes, wie oben beschrieben, wäre damit erfüllt. Dem ist aber nicht so, da der Platz und seine Beschaffenheit nicht nur essenziell für die äußere Wirkung des Michaelerhauses ist,
1073 Sitte ³1901, S. 112.
1074 Alle weiteren möglichen Bewegungsrichtungen zum Haus am Michaelerplatz vereinen sich stets in einem Standpunkt vor den Säulen der Eingangshalle. Nur die drei mittleren der fünf Interkolumnien ermöglichen mittels niedriger Stufen ein bequemes Eintreten in das Gebäude. Da sich alle Bewegungsmodelle hin zum Gebäude in jenem Standort treffen und nur die ausgehend von der Hofburg skandalisiert wurde, soll an dieser Stelle lediglich die Achse von Hofburg und Loos-Haus nähergehend untersucht werden. 1075 Shapira 2004.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
vergewissern. Dieser Standort kann aber
Gebäude der Tadel der Nacktheit vorgewor-
auch soziologisch aufgefasst werden. Der
fen wurde. Dem Bauwerk wird demnach ein
Blick führt über die bay windows direkt auf
unsittliches Gebaren vorgeworfen und erst
den Michaelerplatz und die Fassade der Hof-
seine Nähe zur Hofburg scheint seine Brisanz
burg. Die Fenster sind durch ihre Untertei-
zu schüren. Die Architektur mutet an, nicht
lungen so unterfächert, dass es von außen
korrekt für ihr Umfeld gekleidet zu sein und
nicht sonderlich auffällt, ob ein Mensch
dies an einem Ort, an dem man sich doch
dahinter steht (Abb. 86). Ein unentdecktes
gesellschaftlich mustergültig beraten anklei-
Bestaunen der Platzszenerie wird so ermög-
den sollte.
licht und Anonymität für den ‚Voyeur‘
Des Weiteren schreibt der Soziologe
gewahrt. Dem T reiben auf dem Platz wird
Georg Simmel 1903 von dem „Schutzbedürf-
somit aber auch eine deutliche Aufwertung
nis einzelner Gruppen“, die es vorziehen,
zuteil. Das öffentliche Leben einer wohl situ-
einen „wüsten Landstrich“ zwischen sich zu
ierten Bürgerschicht wird im Loos-Haus am
platzieren als in direkter Nachbarschaft zuei-
Michaelerplatz inszeniert und zwar im Sinne
nander zu leben. Ein ähnliches Phänomen
von Sehen und Gesehen werden. Leslie Topp
lässt sich eben auch beim Michaelerplatz
stellt ebenso fest, dass der Hinausblickende
konstatieren. Simmel widmete sich dem The-
von außen nicht gesehen werden konnte und
ma der „Einwirkung, die die räumlichen
spricht von einem „impressionistic [view; LT]
Bestimmtheiten einer Gruppe durch ihre
of e lectric light reflecting on brass and maha-
sozialen Gestaltungen und Energien erfah-
gony“ für den Außenstehenden auf dem
ren“ und sprach davon, dass sich in jenem
Michaelerplatz.1076
speziellen Fall das Sprichwort „tu’ mir nichts,
In Hinblick auf diese Beobachtungen lässt
ich tu’ dir auch nichts!“ versinnbildlichte. Im
sich der Eklat um das Michaelerhaus besser
weiteren Verlauf seiner Ausführungen unter-
verstehen. Die selbstbewusste Annäherung
scheidet Simmel zwischen Gruppen, die sich
und Erweiterung sowohl in physischer als
darauf einigen, ob die „Grenzwüste“ keinem
auch psychisch-emotionaler Hinsicht an die
der beiden gehören soll oder beider gemein-
barock-theatrale Körpermetapher des Staats-
samer Besitz darstellt.1077 Adolf Loos sieht
körpers durch das Kaiserforum muss eine
den Michaelerplatz selbstbewusst als beider
Gesellschaft, die sich politisch deutlich im
gemeinsamer Besitz an. Der Platz gehört
Umbruch befand, als Provokation gelesen
sowohl der höfisch angrenzenden Welt an
haben. Die bürgerliche, selbstbewusst posi-
als auch dem anschließenden bürgerlichen,
tionierte Präsenz des Schneidergeschäftes
warenhändlerischen Kosmos. Demnach
direkt gegenüber dem ‚Körper‘ des ‚politi-
könnte man den Michaelerplatz – so wie er
schen‘ und ‚natürlichen‘ Souveräns musste
letztendlich von Adolf Loos abschließend
schlicht für Erstaunen sorgen. Eindrucksvoll
gestaltet wurde – ebenso als „leeren Raum“
ist in diesem Zusammenhang, dass dem
zwischen höfischer und bürgerlicher Stadt-
1076 Topp 2004, S. 155.
1077 Vergleiche dazu Simmel 2006 (1903), S. 304–315.
315
316
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abb. 93: Adolf Loos: Stadtregulierungsplan, gezeichnet von Paul Engelmann, um 1912–1913, 588 x 675 mm, Albertina, Wien
gesamten Ringstraßenbebauung auch sein
welt bezeichnen, in welchem sich der Städ-
konzeptionen verwirklichte. Sein ganzheit-
ter selbst definierend bewegt.
licher Plan beruhte auf den Stadtstrukturen
Haus am Michaelerplatz, das er erstaunlicherweise parallel zu diesen fiktiven Stadt-
Wie sehr Adolf Loos auf diesen „leeren
von 1859. Rukschcio und Schachel sprechen
Raum“ mit seinem Haus am Michaelerplatz
daher auch von einer möglichen „Alternati-
reagiert, zeigt der Vergleich mit einem Pro-
ve zur Ringstraße“.1078 Rukschcio ordnet den
jekt aus seinem Œuvre. Seit 1909 widmete
Plan ebenso als ein „pädagogisches Hilfsmit-
er
Stadtregulierungsplan
tel für seine Bauschule“ ein.1079 Marco Pog-
(Abb. 93) den er ab 1912 von seinem Schü-
acnik sieht in ihm lediglich eine Synthese
sich
einem,
ler Paul Engelmann ausführen ließ. Bezeichnenderweise fehlt in diesem Plan neben der
1078 Rukschcio und Schachel 1982, S. 175f. 1079 Rukschcio 1987, S. 122.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
von „konzeptuellen Überlegungen“.1080 Loos ginge demnach wohl dem Gedankenspiel
Eine gestimmte Maske – Der Flaneur und das Bild des „englischen Dandys“
nach wie Wien ohne die massiven Veränderungen des 19. Jahrhunderts und insbeson-
Dem Themenkreis um Physiologie, Psycho-
dere ohne die Ringstraßenbebauung städte-
physik,1085 Wahrnehmungstheorie und Epis-
baulich zu gestalten gewesen wäre. Demnach
temologie und seine Verankerung und Rele-
ist das Haus am Michaelerplatz für Loos
vanz sowohl im Werk Sittes als auch Adolf
jedoch eine deutliche Reaktion auf die Situ-
Loos’ soll sich im Folgenden gewidmet wer-
ation der Wiener Innenstadt von 1909, wäh-
den. Besonderes Augenmerk liegt in diesem
rend jener Plan wohl vielmehr eine verpass-
Zusammenhang auf der Analogie von ‚Hül-
te Möglichkeit vor Augen führen sollte. Loos’
le‘ und ‚Kern‘ bei der Architektur und dem
geäußerte Betroffenheit über den an ihn
menschlichen Organismus. Freud hatte
gerichteten Vorwurf, er habe sich mit seinem
bereits 1895 verschiedene Entwürfe der Kon-
Haus am Michaelerplatz „eines Verbrechens
stituierung vom ‚Ich‘ angerissen und herge-
an
schuldig
leitet. Zum einen entwarf er das Bild von
gemacht“,1081 wird nun tiefergehend verständ-
diesem
alten
Stadtbild
einem „Apparat als System von Subsyste-
lich. Seine Leistung definierte er daher 1910
men“, und zum anderen entwickelte sich
auch wie folgt: „Hatte ich doch das Haus so entworfen, daß es sich möglichst in den Platz einfügen sollte.“1082 Ähnlich wie Camillo Sitte dafür plädierte mithilfe von Umbauten die disproportionierten Stadträume der Ring straßenplätze zu Gunsten ihrer Wirkung auf den Passanten umzugestalten,1083 konzipierte Loos sein „Haus gegenüber der Hof burg“1084 als einfühlsame Reaktion auf dessen Standort.
1080 Pogacnik 2011, S. 26. 1081 Loos 2010 (1910.4), S. 388. 1082 Loos 2010 (1910.4), S. 388. 1083 Sitte ³1901, S. 154–174. 1084 Dies ist der Wortlaut des Titels einer kurzen Verteidigungsschrift Loos’ für sein Haus am Michaelerplatz. Loos 2010 (1910.4), S. 388f.
1085 Die Psychophysik ist eine „synthetisierende Wissenschaft“. Gustav Theodor Fechner begründete sie mit seiner 1860 erschienenen Schrift Elemente der Psychophysik. Diese Theorie ist, wie ihr Name schon verspricht, eine Verbindung des Physischen mit dem Psychischen und beabsichtigte eine Fassbarkeit der Relation von Leib und Seele. Beide Aspekte werden zunächst als unterschiedliche Erscheinungsformen, die jedoch parallelisierend und nicht etwa unabhängig voneinander zu verstehen sind, definiert, die mithilfe seines „psychophysischen Grundgesetztes“ – auch „Fundamentalformel“ genannt – in Äquivalenz gesetzt werden können. Als empirisches Mittel zum Beweis seiner Formel dient ihm die Beobachtung von „äußeren Reizen“ und den daraus resultierenden psychischen Reaktionen, die er wiederum als „Empfindungen“ definiert. Wobei jene Empfindungen nicht im Sinne von Emotionen zu verstehen sind, sondern im psychophysischen Zusammenhang vielmehr als „Sinnesempfindungen“ zu fassen sind. (Lennig 1994, S. 65–67 und Gundlach 1993, S. 1–9.) Dass die Theorie der Psychophysik in Wien Aufnahme in die Literatur und Forschung fand, beweist Johannes Czaja. Er sieht bei Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften eine deutliche Abarbeitung am „Ding-Seele-Begriff“ nach Fechner und eine deutliche Konzentrierung auf die innere Psychophysik gegeben. (Czaja 1993, S. 154–177.)
317
318
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
durch ihn das Bild eines „Behälterprinzips“,
dem Aufbau der Epidermis. Beide bestünden
das sich nach innen immer weiter verfeiner-
aus „festverfugten Zellen“ oder „Steinen“.1090
Das Wort Apparat besitzt zwei Bedeu-
Diese Definition lässt sich auch auf die Funk-
tungsebenen. Die erste gehört dem techni-
tion der Fassade bei den Gebäuden von Adolf
schen Verständnis an. Nach ihr ist ein
Loos übertragen. Zum einen ist sie auch für
Apparat eine Vorrichtung aus mehreren Ele-
Loos eine Schutzvorrichtung; nicht umsonst
menten, die zusammen ein Gerät oder ein
soll sie seinen Gebäuden als neutrale Maske
Ganzes bilden. Die zweite Bedeutungsebene
zur Verhinderung der Demaskierung seiner
betrifft die Zusammenstellung aller Hilfsmit-
Bewohner und deren Leben im Inneren des
tel, die man benötigt, um eine Arbeit zu
Gebäudekomplexes dienen. Zum anderen
bewältigen; so zum Beispiel eine wissen-
unterstützt die Fassade aber auch die Reprä-
schaftliche Abhandlung. In beiden Fällen
sentation und die Kommunikation mit der
geht es darum, dass eine Vielzahl von Unter-
Außenwelt (Abb. 4, 6 und 73). Sie präsentiert
einheiten ein Ganzes formt. Freud gestaltet
ein nach außen hin inszeniertes Wunschbild
seinen psychischen Apparat als Ganzes der
seiner Besitzer. Das „Haut-Ich“ wird des Wei-
drei „Instanzen“ Bewusstes, Vorbewusstes
teren von Anzieu als „phantasmatische Wirk-
und Unbewusstes. Zwischen diesen Syste-
lichkeit“ und als „vermittelnde Struktur“ defi-
men existiert eine Vielzahl von Wechselbe-
niert, in der die Wurzel für „Phantasien,
ziehungen.
te.
1086
Diese Interaktionen evozieren
Träume, Gedanken und Psychopathologien“
aber auch die Wahrnehmung von Grenzen.
liegen.1091 Ein Haus ist nichts anderes als die
So stellt Didier Anzieu fest, dass „der Mensch
Erweiterung dieser interventiven Form. Ein
[…] das unbewußte Gefühl einer Grenze zwi-
Gebäude spiegelt in vielerlei Weise die Gren-
schen dem psychischen Ich und dem Kör-
zen und Überlappungen zwischen „psychi-
per-Ich [hat; LT]“1088. Anzieu beschreibt die
schem Ich“ und „Körper-Ich“ sowie zwischen
Haut des Menschen, die man auch als Gren-
„Real-Ich“ und erwünschtem „Ideal-Ich“. Es
ze definieren kann, als:
stellt aber ebenso eine Schnittstelle zwischen
1087
„Selbst- und Fremdbestimmung“ dar.1092 Wie „[…] gleichzeitig eine organische und eine
sehr dieser Zusammenhang lange vor Anzi-
imaginäre originäre Gegebenheit, sie ist
eus Publikation von Adolf Loos erkannt wur-
Schutzvorrichtung unserer Individualität
de, fällt zunächst vor allem in seinem schrift-
sowie erstes Instrument und Ort des Aus-
stellerischen Werk auf. Seine Satire Die
tausches mit dem Anderen.“1089
Potemkin’sche Stadt von 1898 erscheint in der Juli-Nummer der Secessionszeitschrift
Fortführend heißt es im Buch Das Haut-Ich, die Wand ähnle auch durch ihre Struktur
1086 Anzieu 1087 Anzieu 1088 Anzieu 1089 Anzieu
²1998, ²1998, ²1998, ²1998,
S. S. S. S.
15. 97–117. 124. 13.
1090 Anzieu ²1998, S. 29. 1091 Anzieu ²1998, S. 14f. 1092 Die in Anführungszeichen gesetzten Begriffe sind von Anzieu übernommen und sind auf die vor gut zehn Jahren aktuellen psychoanalytischen Problematiken bezogen. Siehe dazu Anzieu ²1998, S. 18.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Ver Sacrum.1093 In diesem kurzen kultur
Wohngebäude von aussen betrachtete.
kritischen Essay setzt sich Loos mit den
Liebäugelt nicht auch der Besitzer eines
architektonischen Entwicklungen der Ring
falschen Brillanten mit dem glitzernden
straßenarchitektur in Wien auseinander und
Glase? O, über den betrogenen Betrü-
enthüllt sie in seinen Augen als Ansammlung
ger!“1095
von Trugbildern. Mirko Gemmel spricht aus Sicht von Adolf Loos sogar von einer
Bezeichnenderweise nimmt Loos, oder viel-
„sozialen Hochstapelei“ im Falle der Ring
mehr der Ich-Erzähler, zu Beginn des Zitates
straßenarchitektur.1094 So heißt es in dem
die Position eines Spaziergängers ein, der
Loos’schen Artikel:
sich über das Verb „schlendern“ vor den Augen des Lesers ausformt. Loos greift
„Wenn ich den Ring entlang schlendere,
dadurch die damalige Lage auf, dass die
so ist es mir immer, als hätte ein moder-
Ringstraße mit ihren breiten und begrünten
ner Potemkin die Aufgabe erfüllen wol-
Fußwegen auch dazu diente, sich auf einem
len, jemandem den Glauben beizubrin-
Spaziergang im Umkreis der höfischen und
gen, als würde er in eine Stadt von lauter
bürgerlichen Gesellschaft zu verorten. Mar-
Nobili versetzt. Was immer auch das
tina Pippal gibt präzise an, dass der Ring
renaissierte Italien an Herren-Palästen
straßenabschnitt zwischen Opernring („Sir
hervorgebracht hat, wurde geplündert, um
ecke“) und Schwarzenbergplatz sich zu
Ihre Majestät der Plebs ein Neu-Wien vor-
einem Korso entwickelte.1096
zuzaubern, das nur von Leuten bewohnt
Weiterhin heißt es, ein Architekt vom
werden könnte, die imstande wären, ei-
Schlag des russischen Fürsten Potemkin woll-
nen ganzen Palast vom Sockel bis zum
te eine Außenwirkung im Sinne einer
Hauptgesims allein innezuhaben. Im Par-
Ansammlung von Palazzi von adligen
terre die Stallungen, im niedrigen, unter-
Geschlechtern der einstigen italienischen
geordneten Mezzanin die Dienerschaft,
Freistaaten vorspiegeln. Um zu betonen, wie
im hohen, architektonisch reich durchge-
sehr diese Konstruktion auf der Vorspiege-
bildeten ersten Stockwerke die Festräu-
lung von falschen Tatsachen beruht, wählt
me und darüber die Wohn- und Schlafräu-
Loos nicht nur den Titel Potemkin’sche Stadt,
me. Einen solchen Palast zu besitzen,
sondern spricht auch davon, den Betrachtern
gefiel den Wiener Hausherren gar wohl,
den „Glauben beizubringen“. Glaube mani-
in einem solchen Palast zu wohnen, ge-
festiert sich eben ohne die Erkenntnis, ob
fiel auch dem Mieter. Dem einfachen
die Gewissheit, die man gefühlsmäßig gewon-
Mann, der auch nur das Zimmer und
nen hat, auch in Wirklichkeit existiert.
C abinet im letzten Stockwerke gemietet hatte, überkam auch etwas von feudaler Pracht und Herrengrösse, wenn er sein 1093 Loos 2010, S. 764. 1094 Gemmel 2005, S. 221.
1095 Loos 2010 (1898.6), S. 188. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit. 1096 Pippal 2000, S. 151. Vergleiche dazu als zeitgenössische Quellen das Gemälde Ringstraßenkorso in Wien von Theodor Zasche; datiert auf um 1900. Auch wenn das Gemälde von Zasche genau
319
320
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Im weiteren Verlauf des oben angeführten
baut eine Trinkstube. Die Menschen sol-
Zitats widmet sich Adolf Loos den verschiede-
len sich drinnen gemüthlich fühlen. Wie
nen emotionalen Zugängen zur Potemkin’schen
macht man das? Man sieht nach, welche
Stadt. Vom Besitzer zum Mieter und sogar bis
Bauwerke schon früher im Stande waren,
hin zum „einfachen Mann“ beschreibt Loos die
diese Gefühle zu erzeugen. An die muss
verschiedenen Stufen der Eitelkeit und gesell-
man anknüpfen. Denn der Mensch hat
schaftlicher Relevanz oder Zugehörigkeit, die
sein Lebenlang in gewissen Räumen ge-
diese Gebäude zufrieden stellen. Ein erträum-
betet, in gewissen Räumen getrunken. Das
tes „Ideal-Ich“ präsentiert sich nach außen
Gefühl ist ihm anerzogen, nicht angebo-
durch die architektonische Fassade, ohne eine
ren. Folgerichtig hat der Architekt, wenn
inhaltliche Übereinstimmung mit dem „Real-
es ihm überhaupt mit seiner Kunst ernst
Ich“ des Bewohners aufzuweisen. Wie sehr die-
ist, auf diese anerzogenen Gefühle Rück-
se ‚Lüge‘ zur reflexiven ‚Selbstlüge‘ wird, zeich-
sicht zu nehmen.“1097
net wiederum das Bild des „Betrügers“, der seinen Modeschmuck für hochkarätig hält. Die
Adolf Loos macht demnach das „Gefühl“
Grenzen werden ungewiss. Die Selbstdarstel-
zum zentralen Movens des Architekten. Aber
lung, aber auch die Selbstwahrnehmung wird
nicht etwa das seine, sondern das aller Men-
zum vorgeblendeten ‚Wunsch-Ich‘, das durch
schen, die dieselben anerzogenen Gefühle
eine Architektur repräsentiert wird, die zum
besitzen. Er formuliert es zumindest so, als
Accessoire der Selbstdefinition wird.
sei es ganz simpel, die anerzogenen Gefühle
Was aber zieht Loos für sich aus dieser
herausfiltern zu können. Demnach ist anzu-
Beobachtung. Deutlich wird, dass er seine
nehmen, dass er die Gefühle eines begrenz-
Arbeit als Architekt nicht der ‚Lüge‘ widmen
ten Kulturkreises oder sozialen Umfeldes
möchte. Seine Architektur soll eine ‚Wahrheit‘
meint. Daher handelt es sich bei Loos’
verkörpern. Aber als was ist ‚Wahrheit‘ in die-
Gefühlsbegriff um eine sozial kodierte Norm
sem Zusammenhang zu definieren? So
– ähnlich dem Begriff des Habitus nach dem
schreibt Loos zur Motivation des Architekten:
französischen Soziologen Pierre Bourdieu. Nach dieser Norm, die wiederum durch das
„Was will denn der Architekt eigentlich?
Lernen an älterer Architektur geschult wer-
Er will mit Hilfe der Materialien Gefüh-
den kann, muss sich der Architekt richten.
le im Menschen erzeugen, die eigentlich
Adolf Loos war sich demnach der emotiona-
diesen Materialien noch nicht innewoh-
len Qualität von Architektur bewusst und
nen. Er baut eine Kirche. Die Menschen
war sogar der Ansicht, dass sie den Willen
sollen zur Andacht gestimmt werden. Er
des Architekten leiten müsse. Das Gefühl ist für ihn aber keine durch Affekte aufgeladene spontane Qualität, sondern vielmehr eine
genommen keine tatsächlichen Flaneure zeigt, sondern vielmehr eine Gesellschaft des Sehens und Gesehen-Werdens portraitiert wird, ist es dennoch als ein Beweis für das Phänomen des Ringstraßenkorsos heranzuziehen. (Stewart 2000, S. 98f.)
tradierte und erlernte Eigenschaft. 1097 Loos 2010 (1898.7), S. 196. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Adolf Loos war sich in seiner Aufgabe als
war ich krank gewesen, jetzt ging es wie-
und des-
der aufwärts, und ich befand mich im Ge-
sen Bewegungsbildes bewusst, wie sein Arti-
fühl wiederkehrender Kräfte in jener
kel Die Potemkin’sche Stadt beweist.
Architekt des städtischen Flaneurs
1098
Loos
glücklichen Stimmung, da man alles an-
bezog unter anderem bei der Planung der Wir-
dere eher empfindet als Langeweile. Die
kung des Loos-Hauses im Platzgefüge sowie
Sinne sind wacher als sonst, die Schleier
dessen Fassadenwirkung auch die Figur des
lüften sich von den inneren Visionen, und
Flaneurs mit ein. Cees Nooteboom definiert
die Gedanken sind geradezu elektrisch ge-
die nicht irrelevante Rolle der Flaneure: „[…]
laden […] Diese Straße ist eine der Haupta-
sie gehören zur Stadt, die ohne sie undenk-
dern der City; sie war den ganzen Tag über
bar ist, sie sind das Auge, das Protokoll, die
sehr belebt gewesen. Doch mit zunehmen-
Erinnerung, das Urteil und das Archiv, im
der Dunkelheit wuchs das Gedränge zu-
Flaneur wird sich die Stadt ihrer selbst
sehends, und im aufflammenden Licht der
bewußt.“1100 Der Flaneur wertet die Rolle des
Laternen sah man draußen die Menschen-
Architekten auf, der so durch ihn die Rolle
menge in zwei dichten, endlosen Zügen
eines „Philosophen der Gesellschaft“ erlangt,
an der Tür vorbeifluten.“1103
1099
wenn er seine Ansichten von Stadt, Wohnen und Leben realisiert und den Ein- und Bewohnern nicht nur präsentiert, sondern auch buchstäblich vor sie hinstellt.1101 Indirekt präsentiert findet sich dieses Verhältnis auch in der Erzählung Der Mann der Menge von Edgar Allan Poe aus dem Jahre 1840.1102 In dieser berichtet der Ich-Erzähler: „Kürzlich, an einem dämmernden Herbstabend, saß ich an dem Bogenfenster des Cafés D. in London. Die letzten Monate
1098 Stefanie Proske umreißt die Figur des Flaneurs mit dem Begriff des „Genussmenschen“. Er bewegt sich in den Straßen und Kaffeehäusern der Weltstädte und ist interessiert an den vielseitigen Impressionen der Metropole. (Proske 2010, S. 7–9.) 1099 Pogacnik 2011, S. 14, S. 27 und Stewart 2000, S. 35 und S. 38. 1100 Nooteboom 1995. 1101 Vergleiche dazu Nooteboom 1995, S. 2–5. 1102 Die Datierung ist übernommen aus Gelfert 2008, S. 99f. Die Geschichte The Man of the Crowd erschien erstmals in Graham’s Magazin im Dezember 1840. (Gelfert 2008, S. 225.)
1103 Poe 2010, S. 13–15. Vergleiche dazu die ältere Übersetzung in Poe 1921, S. 11f. Auch dort wird aus dem Englischen in das Wort Stimmung übersetzt. Der entscheidende Satz lautet: „Ich war einige Monate krank gewesen, nun aber auf dem Wege der Besserung, und je mehr meine Kräfte zurückkehrten, desto glücklicher wurde meine Stimmung, die man als das Gegenteil von Langeweile bezeichnen konnte; es war ein Zustand voll inneren Aufmerkens, voll heftiger Begier nach Neuem, es war mir gewissermaßen, als blicke mein geistiges Auge zum erstenmal frei und unverschleiert […].“ Im englischen Original heißt es: „Not long ago, about the closing in of an evening in autumn, I sat at the large bow window of the D --- Coffee-House in London. For some months I had been ill in health, but was now convalescent, and with returning strength, found myself in one of those moods which are so precisely the converse of ennui – moods of the keenest appetency, when the film from the mental vision departs […] This latter is one of the principal thoroughfares of the city, and had been very much crowded during the whole day. But, as the darkness came on, the throng momently increased; and by the time the lamps were well lighted, two dense and continuous tides of population were rushing past the door.“ (Poe 1979, S. 507.) Das englische Wort mood kann im Deutschen als Laune, aber vor allem als Stimmung übersetzt werden. Dies belegt unter anderem die
321
322
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Abzulesen ist an diesem Zitat, dass die Stadt
Adolf Loos wendet demnach eine Ästhe-
für den Flaneur zur Basis seiner Beobach-
tik an, der deutlich ethisch und gesellschaft-
tungen wird. Die Räumlichkeiten des Cafés
lich kodierte Bereiche immanent sind. Es
kann man als Zuschauerraum definieren, aus
handelt sich um eine durch Wahrnehmung
dem heraus der Flaneur seinen Beobachtun-
und Empfindung abgegrenzte Ästhetik; dem-
gen auf der Straßenbühne nachgeht. Im wei-
nach um eine Aisthesis. Wolfgang Welsch
teren Verlauf der Erzählung begibt sich der
umschreibt den Begriff der Aisthesis solcher-
Flaneur auch in die Menschenmenge hinein
maßen:
und verlässt den distanzierten Observierposten des Cafés, um direkt in der Masse aufzu-
„Die Wahrnehmungskomponenten der ais-
gehen, ohne seine Betrachtungshaltung abzu-
thesis richten sich auf genuine Sinnesqua-
legen.1104 Deutlich wird, wie präsent das sich
litäten wie Farben, Töne, Geschmäcke,
Bewegen in der Stadt und das Wahrnehmen
Gerüche. Die Wahrnehmung dient deren
von urbanem Raum auch in der Literatur
Erkenntnis. Die Empfindungskomponen-
war. Man kann schlussfolgern, dass diese
te der aisthetis hingegen ist gefühlshaft
Weltsicht ebenso Eindruck auf einen Archi-
ausgerichtet. Die Empfindung bewertet
tekten gemacht haben muss, der sich zumin-
das Sinnenhafte im Horizont von Lust und
dest das Ziel gesetzt hatte, die „abendländi-
Unlust.“1106
sche Kultur in Österreich“ einzuführen. Dies verkündete zumindest der selbstbewusste
Jenes Zitat erinnert stark an die Äußerungen
Untertitel seiner Zeitschrift Das Andere. Ein
Ernst Machs zur Stimmung und dessen Adap-
Blatt zur Einfuehrung abendlaendischer Kul-
tierung durch Hermann Bahr. Mit dieser Auf-
tur in Oesterreich: Geschrieben von Adolf
fassung von Ästhetik bewegt sich Loos nicht
Loos, die in zwei Ausgaben 1903 erschien.1105
im luftleeren Raum. Bereits im 19. Jahrhundert entwickeln sich eine Fülle von Theorien – wie unter anderem die Physiologie, Psy-
Publikation Arburg 2010.2, S. 8. Siehe auch Siemer 1999, S. 35. 1104 Cees Nooteboom spricht in diesem Zusammenhang von einem „Verschwinden in der Menschenmenge“, die eine Anonymität herstelle, die wiederum erst den voyeuristischen Blick des Flaneurs ermögliche. (Nooteboom 1995.) Der Charakterzug des Blicks und seine Konnotationen werden im weiteren Verlauf dieses Kapitels im Zusammenhang mit der Figur des Dandys noch näher beleuchtet. 1105 Die erste Ausgabe war als separat beziehbare Beilage in der Zeitschrift Kunst. Halbmonatsschrift für Kunst und alles andere unter dem Literaten und Redakteur Peter Altenberg erschienen. Die zweite Ausgabe publizierte Loos dann am 15.10.1903 als selbstständige Veröffentlichung (Opel 1997, S. 9f.)
chophysik und die Einfühlungsästhetik –, die für dieses Architekturverständnis maßgeblich als Vorbilder bezeichnet werden müssen. In den nächsten Abschnitten soll ein Spektrum dieser Strömungen zumindest angerissen werden und als Grundlage dazu dienen, in den Stimmungsbegriff bei Adolf Loos’ Werk überzuleiten. Die enge Verflechtung von Wahrnehmung und Empfindung wird um 1900 insbesondere sinnfällig durch die inflationäre Verwendung des Wortes Stimmung
1106 Welsh 1994, S. 5.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
als Gemütszustand aber auch als Atmosphä-
wecken“ als Ziel seiner Arbeit ansah.1110 Er
re.1107 So definiert Loos die Rolle des Archi-
bezeichnet den Innenraum bei Loos sogar
tekten und der Architektur auch derart:
als „innere Landschaft“.1111 Jene Bezeichnung als „innere Landschaft“ versucht das Folgen-
„Die Architektur erweckt Stimmungen im
de unter Klärung der Begriffe Physiologie,
Menschen. Die Aufgabe des Architekten
Psychophysik und der weiteren Differenzie-
ist daher, diese Stimmungen festzuhalten.
rung des Bildes des Dandys zusammen
Das Zimmer muß gemütlich, das Haus
fassend und anschaulich am Beispiel des
wohnlich aussehen. Das Justizgebäude
Hauses am Michaelerplatz zu vertiefen.
muß dem heimlichen Laster wie eine be-
Christopher Long betont im Zusammenhang
drohliche Gebärde erscheinen. Das Bank-
mit dem gleichen Zitat von Adolf Loos, dass
gebäude muß sagen: hier ist dein Geld bei
das Haus am Michaelerplatz insbesondere
ehrlichen Leuten fest und gut verwahrt.
im Inneren „verfeinert und intim“ wirke. Des
Der Architekt kann das nur erreichen,
Weiteren unterstreicht die „Konstruktion“
wenn er bei jenen Gebäuden anknüpft,
der Räume – womit Long vermutlich die Ebe-
die bisher im Menschen diese Stimmung
nenverschiebungen im Mezzanin (Abb. 77
erzeugt haben.“
und 78) meint – „Privatheit und persönlichen
1108
Service“, und damit sei wiederum der AufAufgrund dieses Zitates und dessen Nähe
gabe solch eines Herrenausstatters gedient.1112
zur architecture parlante zieht Susanne Eckel
Diese diskrete Wirkung indirekt bestätigend,
an dieser Stelle für Adolf Loos Bezüge zu
siedelten sich gerade auch Arztpraxen und
den französischen Revolutionsklassizisten.
Banken oberhalb des Geschäftes Goldman
Des Weiteren räumt sie jedoch ein, dass die
& Salatsch an. Diesen Wirkungen soll nun
Forschung einstimmig der Meinung ist, dass
noch tiefergehend nachgegangen werden.
Loos Boullée, Ledoux und Lequeu nicht
Physiologie leitet sich von dem griechi-
kannte oder deren Œuvre erst sehr spät rezi-
schen Wort für Naturlehre ab und besitzt
piert haben kann.1109 Wie ist dieses Zitat also
verschiedene
zu verstehen? Das Wort „Stimmungen“
sprach bei den Vorsokratikern von Physio-
nimmt hier zentrale Bedeutung ein. Ralf
logen im Sinne von Philosophen, die sich
Bock vertritt die Ansicht, dass Loos „Raum-
ihm zufolge mit dem Sein in seiner Gänze
stimmungen zu schaffen und Emotionen zu
als Natur beschäftigten. Des Weiteren kann
Bedeutungen.
Aristoteles
die Physiologie – wie bei Epikur – aber auch 1107 Im Rahmen der Analyse zum Sanatorium Purkersdorf wurde sich bereits dem Begriff der Einfühlungsästhetik mit besonderem Fokus auf die Theorien von Theodor Lipps gewidmet. Vergleiche dazu folgende Kapitel: Ornament und Quadrat als A und O der Architektur – Ein Übergang zur Einfühlungstheorie und Eine Generation mit „Formgefühl“ und deren ‚Gemütsarchitektur‘. 1108 Loos 2010 (1910.5), S. 403. 1109 Eckel 1996, S. 29.
als Theologie oder Metaphysik verstanden werden. Ab dem 2. Jahrhundert nach Christus findet der Begriff Eingang in die Medizin. Innerhalb dieser Disziplin erfährt er aber 1110 Bock 2009, S. 10. 1111 Bock 2009, S. 57f. 1112 Long 2011, S. 195.
323
324
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
ebenfalls vielerlei Deutungen. Zum einen galt
handelt sich dabei vorwiegend um ein Text-
die Physiologie in der Medizin als „Wissen-
fragment, das er als Kapitel zu seinem Haupt-
schaft von der Natur des Menschen“ und
werk Der Wille zur Macht plante.1116 Der
zum anderen war sie die „Theorie der
Begriff wird in eine andere Wissensdisziplin
menschlichen Gesundheit“. Später hatte die
transferiert und entwickelt dort eine „leibli-
Physiologie aber auch die Anatomie des Men-
che Symbolik“.1117 Zunächst nutzt Nietzsche
schen zum Inhalt. Seit dem 18. Jahrhundert
diese Begriffserfindung dazu, die bis dato
entwickelt sich eine Konzentrierung der
gültige Schopenhauer‘sche Rangfolge der
Begriffsdefinition im medizinischen Sinne
Künste umzusortieren, indem er die an der
auf eine „Funktionslehre des Organismus
Spitze positionierte Musik durch die Archi-
unter Zurücktretung der Anatomie“.
Die
tektur ersetzt. Sie stand nach den Kriterien
naturphilosophischen Ärzte unter dem Phi-
einer Physiologie dem Leib am nächsten,
losophen Friedrich Wilhelm Schelling, der
während die Musik etwas Immaterielles dar-
einer der Hauptvertreter des deutschen Ide-
stellte.1118 Fritz Neumeyer fasst die Architek-
alismus war und der den Ausdruck der Iden-
tur aus Nietzsches Position überdies als „psy-
titätsphilosophie prägte, sahen die Physiolo-
chische und physiologische Konsequenz und
gie als eine Sammelvorstellung einer Idee
Notwendigkeit“.1119 Daher sei die Architektur
der „Ordnung der Lebensleistungen“. Dieser
auch „etwas, das in uns selbst wohnt und
abstrakten Definition stellte die Naturwis-
dort beginnt“.1120 Wie sehr es die Musik sogar
senschaft des 19. Jahrhunderts wieder eine
zur Darstellung der Lüge und der Krankheit
Auslegung als Lehre entgegen, die dazu dien-
nach Nietzsche ereilte, erklärt er am Beispiel
te die physikalisch-chemischen Lebensvor-
der Musik Richard Wagners. So heißt es in
gänge zu erklären.
seinem Turiner Brief vom Mai 1888 mit dem
1114
1113
Dieses zuletzt genann-
te Verständnis – im Sinne einer Betrachtung
Titel Der Fall Wagner:
der Ursachen und Determiniertheiten des Lebewesens nach biotechnischen Kriterien
„Genug! Genug! Man wird, fürchte ich,
– besteht bis heute als Hauptaspekt.
zu deutlich nur unter meinen heitern Stri-
1115
Neben dieser naturwissenschaftlichen
chen die sinistre Wirklichkeit wiederer-
Ausprägung des Begriffs lässt sich Ende der
kannt haben – das Bild eines Verfalls der
80er-Jahre des 19. Jahrhunderts bei Friedrich
Kunst, eines Verfalls auch der Künstler.
Nietzsche eine „Physiologie der Ästhetik“
Das letztere, ein Charakter-Verfall, käme
oder „Physiologie der Kunst“ ausmachen. Es
vielleicht mit dieser Formel zu einem vorläufigen Ausdruck: der Musiker wird jetzt
1113 K. E. Rothschuh: Physiologie, in: Historisches Wörterbuch Der Philosophie 1979–2007, Bd. 7 (1989), S. 964f. 1114 K. E. Rothschuh: Physiologie, in: Historisches Wörterbuch Der Philosophie 1979–2007, Bd. 7 (1989), S. 965f. 1115 K. E. Rothschuh: Physiologie, in: Historisches Wörterbuch Der Philosophie 1979–2007, Bd. 7 (1989), S. 966f.
zum Schauspieler, seine Kunst entwickelt 1116 Gleiter 2009, S.138f. und Neumeyer 2001, S. 234f. 1117 Vergleiche dazu Gleiter 2008, S. 93–112. 1118 Vergleiche dazu Gleiter 2008, S. 93f. und Neumeyer 2001, S. 9. 1119 Neumeyer 2001, S. 205. 1120 Neumeyer 2001, S. 205.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
sich immer mehr als ein Talent zu lügen.
man bedenkt, dass die Physiologie zur Mitte
Ich werde eine Gelegenheit haben (in ei-
des 19. Jahrhunderts bereits eine breite Prä-
nem Kapitel meines Hauptwerks, das den
senz in Literatur, Feuilletons und Tageszei-
Titel führt ,Zur Physiologie der Kunst‘),
tungen zeigte.1123 Nietzsche stärkt die kör-
des näheren zu zeigen, wie diese Gesamt-
perliche Wahrnehmung gegenüber der von
verwandlung der Kunst ins Schauspiele-
Vernunft – nach Immanuel Kant das höchs-
rische ebenso bestimmt ein Ausdruck phy-
te Erkenntnisvermögen – geleiteten Welt-
siologischer Degenereszenz (genauer, eine
sicht. So wird die Physiologie nach Nietzsche
Form des Hysterismus) ist, wie jede ein-
zur „wissenschaftlich nicht weiter erschließ-
zelne Verderbnis und Gebrechlichkeit der
bare[n] und quantifizierbare[n] Instanz des
durch Wagner inaugurierten Kunst: zum
Lebens. […] Nach Nietzsche artikuliert sich
Beispiel die Unruhe ihrer Optik, die dazu
in der Physiologie der nicht auflösbare
nötigt, in jedem Augenblick die Stellung
Widerspruch, dass einerseits der Leib das
vor ihr zu wechseln. Man versteht nichts
Unmittelbarste, das heißt das dem Menschen
von Wagner, solange man in ihm nur ein
am nächsten Stehendste ist, andererseits in
Naturspiel, eine Willkür und Laune, eine
seiner Unergründlichkeit gleichsam immer
Zufälligkeit sieht. Er war kein ‚lückenhaf-
auch das Fremdeste bleibt.“1124 Nietzsche
tes‘, kein ‚verunglücktes‘, kein ‚kontradik-
selbst schreibt: „Unser Zustand: der Wohl-
torisches‘ Genie, wie man wohl gesagt hat.
stand macht die Sensibilität wachsen; man
Wagner war etwas Vollkommenes, ein ty-
leidet an den kleinsten Leiden; unser Körper
pischer décadent, bei dem jeder ‚freie Wil-
ist besser geschützt, unsere Seele krän-
le‘ fehlt, jeder Zug Notwendigkeit hat.
ker.“1125 Nietzsches Hierarchie der Kunst
Wenn irgend etwas interessant ist an Wag-
nach ihrer Eindringlichkeit auf den Leib lässt
ner, so ist es die Logik, mit der ein phy-
die Architektur an die erste Stelle der Küns-
siologischer Mißstand als Praktik und Pro-
te rücken. Dieser Kategorisierung der Archi-
zedur, als Neuerung in den Prinzipien, als
tektur als Kunst wäre Adolf Loos, wenn man
Krisis des Geschmacks Schluß für Schluß,
seine späten schriftlichen Werke als Maßstab
Schritt für Schritt macht.“1121
ansetzt, zwar nicht in allen Punkten gefolgt,1126 es ist aber sehr aufschlussreich zu
Letztendlich überträgt Nietzsche eine naturwissenschaftliche Lehre auf eine ästhetische Kulturgeschichte. Hierfür findet er laut Jörg Gleiter Vorbilder in der Neurophysiologie und Psychophysik.1122 Diese Übertragung der physiologischen Methode auf eine andere Lehre scheint nicht ungewöhnlich, wenn 1121 Nietzsche 1983 (1888), S. 107f. 1122 Gleiter 2008, S. 97f. Siehe auch Gleiter 2009, S. 136–140.
1123 Gleiter 2008, S. 98. 1124 Gleiter 2008, S. 100. Siehe auch Gleiter 2009, S. 136f. Nach Fechner liegt im Leib-Seele-Ver hältnis ein psychophysischer Parallelismus vor. (Czaja 1993, S. 6f. und S. 40–51.) 1125 Nietzsche KSA 1999, S. 286. 1126 Während Adolf Loos zu Beginn seiner Schriften noch die Wahrnehmungsstrategien von Architektur auf ihren Betrachter als vom Architekten zu bedenken hervorhob, betont er im Laufe der Jahre zumindest in seinen Schriften immer mehr die Notwendigkeit einer handwerklichen Grundlage für den Architekten. Man denke nur an seine
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326
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
beobachten, wie Nietzsche seine Spaziergän-
treten und die Eigeninszenierung seiner Per-
ge durch Turin im Jahr 1888 beschreibt. Glei-
son durch Fotos; zumal er auch schon vor
ter spricht in diesem Zusammenhang bei
dem Bau des Hauses am Michaelerplatz ein
Nietzsche von einer Auslegung der Stadt als
guter Kunde der Firma Goldman & Salatsch
„leibphänomenologischem Erlebnisraum“1127
war und sich damit wohl auch als Prototyp
und deklariert ihn als „Philosophen der
des Kunden – den es emotional zu ‚stimmen‘
Großstadt, der als Flaneur den Baudelai-
galt – verstanden hat. Elana Shapira zählt in
re’schen Dandy um eine erkenntnistheoreti-
ihrer Dissertation folgende Kunden, hinsicht-
sche, gleichsam leibphänomenologische Ebe-
lich derer Loos sein Haus am Michaelerplatz
ne erweitert“1128. Somit kann man Nietzsche
als „architectural ‚outfit‘“ gestaltet hat, auf:
neben Sitte als Quelle für eine somatische
Zunächst einmal nennt sie Leopold Gold-
Stadtwahrnehmung heranführen. Diese über-
man als Auftraggeber und dann die Kunden,
steigt die Kategorisierung von Architektur
die Adolf Loos inkludieren. Des Weiteren
nach Stilen, wie sie im Historismus üblich
nennt sie: “’Men of Taste,’ new members of
war, und leitet weiter zu einem Stadtbild der
the nobility, self-made business men, clerks
Moderne über.
and even artists“.1130
Anders Munch definiert Adolf Loos’ Ziel
Meistens schwingt bei dem Wort Dandy
als darauf gerichtet, „einen Stil zu entwi-
ein Konvolut von Vorstellungen mit, die den
ckeln, der ein adäquater Ausdruck seiner Zeit
ungenauen Definitionsraum des Wortge-
sein sollte, der eine Übereinstimmung zwi-
brauchs aufzeigen. Sowohl Flaneur, Snob,
schen innerer Notwendigkeit und der äuße-
Gentleman als auch Dandy sind als Konglo-
ren Form herstellte“.1129 An dieser Stelle wäre
merat gebräuchlich. Günter Erbe grenzt den
eine intensive Beschäftigung mit der Orna-
Dandy folgendermaßen ab:
mentdebatte um 1900 nötig, die in diesem Rahmen aber nicht in seiner Gänze, sondern
„Der Dandy ist ein Mann von einfacher,
nur punktuell mit besonderer Schwerpunkt-
erlesener Eleganz, einer Eleganz, die Aus-
legung auf den Begriff der Maske geleistet
druck einer bestimmten Geistes- und Le-
werden kann, wobei immer wieder auf die
benshaltung ist. Er ist eine extravagante
Figur des Dandys zurückgegriffen wird.
Spielart des Gentleman, ausgezeichnet
Zunächst ist es notwendig, die Rolle des
durch überlegenen Geschmack, perfekte
Dandys bei Loos zu spezifizieren. Als Quel-
Manieren, zynisch-frivolen Konversations-
lenmaterial dienen hierfür sein eigenes Auf-
ton, Kaltblütigkeit und Unerschütterlichkeit in allen Lebenslagen und einen auf
berühmte, aber auch recht späte Aussage von 1924: „Der Architekt ist ein Maurer, der Latein gelernt hat.“ (Loos 2010 (1924.1), S. 602. Vergleiche dazu Amanshauser 1985, S. 64–71 und Achleitner 1996, S. 41–43.) 1127 Gleiter 2008, S. 105. 1128 Gleiter 2008, S. 107. 1129 Munch 2005, S. 23–27.
die Spitze getriebenen Selbstkult. […] Er ist Solitär und Gesellschaftsmensch.“1131
1130 Shapira 2004, S. 4f. Janet Stewart geht dafür auf die Inszenierung als Kunde von Goldman & Salatsch bei Loos ein. (Stewart 2000, S. 100.) 1131 Erbe 2004, S. 1.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Erbe betont ebenso, dass sich verschiedene
spiel Oscar Wilde gegenüber seinen Kunden,
„Spielarten und Mischformen“
des D andys
um seine Fenstergestaltung zu verteidigen
ausgebildet haben. Im Falle von Adolf Loos
oder zu erklären. Kurt Unger überliefert
sind zwei Typen zu betrachten. Zum einen
einen Dialog aus dem Jahre 1930 zwischen
ist der Typ des englischen Aristo kraten-
Loos und einem seiner Kunden, dem Onkel
Dandys, der am Fall von George Bryan Brum-
Ungers, als dessen Fenster mit „undurchsich-
mell – genannt Beau Brummell – erläutert
tigem Kathedralglas“ versehen werden soll-
wird,
1132
zu betrachten und zum anderen ist
ten: „,Aber ich habe doch eine Aussicht auf
es der „literarisch-künstlerische D andy“1134,
die schönen städtischen Gartenanlagen!‘
der für die Inszenierung Loos’ und des Hau-
‚Oscar Wilde sagte, daß ein Gentleman nicht
ses am Michaelerplatz Relevanz besitzt.
aus dem Fenster schaut‘, war die Antwort.“1136
1133
Ein wichtiger Charakterzug des Dandys
Vergleicht man die Bilder, die von Adolf Loos
ist die Kleidung. Bisweilen wird er als Mode-
durch Fotografen angefertigt wurden, zeigen
geck verspottet. Für Loos, der dieses falsch
sie deutlich eine Bildstrategie (Abb. 94 und
verstandene Dandytum Josef Hoffmann und
95). Sie präsentieren stets einen elegant
den Secessionisten vorwirft, gilt jedoch
gekleideten Mann in dreiteiligem Anzug mit
vielmehr das Verhältnis zur Kleidung, das
Krawatte und pomadisiertem Haar. Er sitzt
sich deutlich am Vorbild von Beau Brummell
fast immer mit streng geradem Rücken in
orientiert. Klaus-Dieter Herlemann stellt in
einem Stuhl und fixiert sachlich die Kamera
seiner Dissertation zum Witz Oscar Wildes
oder den von ihm mitgedachten Betrachter
diesen Kult um die Kleidung in direkten
des Fotos. Eine gewisse Unnahbarkeit drückt
Zusammenhang mit einem künstlerischen
sich über die Kleidung und Haltung des Por-
Eskapismus vor der realen Welt der
trätierten aus. Diese Reserviertheit oder emo-
Industrialisierung:
tionale Unberührtheit entspricht dem Schema des Dandys. Wie essenziell dieser
„In einer Zeit, in der alle bisherigen Wer-
Charakterzug für den Dandy angesehen wur-
te der Gesellschaft ins Wanken geraten,
de, zeigen Anekdoten, wie die von Beau
findet er im Kult der Oberfläche seinen
Brummell überlieferte, nach der er den Ver-
Halt; der allgemeinen Veränderung stellt
lust hoher Geldbeträge beim Spiel ohne jeg-
er die stets gleiche Perfektion seiner äu-
liche emotionale Involvierung über sich erge-
ßeren Erscheinung gegenüber.“
hen ließ.1137 Ebenso dienen diese Fotografien
1135
dazu, Loos in seiner Funktion als Vorbild zu Nichts anderes verfolgt Loos als Person der
bestätigen. Seine Tätigkeit als „Schiedsrich-
Öffentlichkeit. Adolf Loos zitiert zum Bei-
ter in Sachen Kleidung und Geschmack“1138
1132 Erbe 2004, S. 2. 1133 Vergleiche dazu McLeod 1996, S. 59f. und Ottillinger 1994, S. 19–23. 1134 Erbe 2004, S. 2. 1135 Herlemann 1972, S. 20.
1136 Unger 1981, S. 1882. 1137 Herlemann 1972, S. 80. 1138 Diese Worte werden von Hans-Joachim Schickedanz verwendet, um Brummells Rolle als arbiter elegantiarum zu umschreiben. (Schickedanz 2000, S. 49f.)
327
328
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung formulierte beispielsweise mit der persona einen Sammelbegriff für eine nach außen gerichtete Hülle des Individuums im Sinne einer sozial erlernten Schutz-Maske. Als vorgeschaltete Rolle verbirgt die Maske menschliche Unzulänglichkeiten oder Geheimnisse unter dem Mantel der versagten Kommunikation und kreiert eine anonymisierte persona. Die Figur des Dandys stellt selbst eine Maske dar, die sich der Mensch überstülpt oder sogar verinnerlicht. Das Ideal des Dandys ist automatisch mit einem Oszillieren zwischen Leben und Kunst verbunden. Einem Gesamtkunstwerk gleich, greift die Kunst in die der Öffentlichkeit präsentierte Seite eines Menschen ein, die als persona greifbar wird.1140 Die Diskussion um das Loos-Haus entfacht sich anhand des fehlenden Fassadendekors. Bis heute bemühen sich gerade deshalb einige Autoren, diesen Blick auf das Gebäude zu Abb. 94: Wenzel Weis: Adolf Loos, Bildnis (Heliogravure nach Foto W. Weis, Wien. Faksimilie des Namenszugs), ohne Datierung
relativieren, indem sie versuchen, versteckte Ornamente nachzuweisen: vom Kreuz, das sich zwischen den Fensterachsen ergibt, dem Material als Ornament bis hin zur funktions-
wird so indirekt visuell bestätigt und er
losen Säule, sind diese Beobachtungen sehr
gewinnt an Glaubwürdigkeit sowie medial
aufschlussreich.1141 Dennoch verbleibt aus
inszenierter Authentizität.
dem zeitgenössischen Kontext heraus gese-
Jenen „Kult der Oberfläche“ erkennt man
hen der aufreizende Charakter des weißen
aber auch im schriftstellerischen Werk Loos’.
oberen Baublockes, der auf dem mit Marmor
Bekanntermaßen beschäftigt er sich in sei-
verkleideten Sockel darbietend thront.
nen Artikeln auch mit den Kleinigkeiten des
Richard Schaukal umschrieb 1910 seinen Ein-
Alltags. Selbst solche scheinbaren Banalitä-
druck vom Haus am Michaelerplatz, den er
ten wie die Tischmanieren und die Sprache
aufgrund einer von Loos gewünschten Besich-
werden thematisiert.
Alles ergibt ein Bild
tigung des Modells vom Haus am Michaeler-
des nach außen gerichteten Perfektionismus.
platz gewonnen hatte: „Seine Idee ist merk-
1139 Vergleiche dazu Herlemann 1972, S. 26, Scheichl 2008, S. 107–117 und Kristan 2008, S. 245–254.
1140 Herlemann 1972, S. 31. 1141 Opel und Valdez 1990, S. 89f.
1139
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
würdig: Aus dem reichen (vielleicht zu reichen) Gewand, das gleichsam ihm von den Hüften herabgeglitten ist, erhebt sich der nackte Leib des Hauses.“1142 Karl Kraus verwendete als Erster die Metapher der Tabula Rasa für die Architektur Adolf Loos’.1143 Tabula Rasa ist bekanntermaßen in der Antike eine Bezeichnung für eine wachsüberzogene Schreibtafel, deren Schrift vollständig gelöscht werden konnte und so einen Neuanfang gestattete und wird übertragen im Sinne von ‚Tabula rasa machen‘ verwendet. In diesem Fall ist die Metapher auf die Fassade bezogen, die von Loos als Fläche aufgefasst wird und als glatt gefegte Barriere – einer anonymen Maske gleich – dem Innen vor dem Außen vorgeschaltet ist. Hermann Bahr verband sogar das Motiv der Maske mit der Stimmung. In seinem bereits erwähnten Aufsatz Fidelio nennt er den Vorhang und die Orientierung an realen Räumlichkeiten als zwei mögliche Mittel im Theater, um den Moment der räumlichen Stimmung gezielt zu maskieren und wenn gewollt freizusetzen:
Abb. 95: Otto Mayer: Adolf Loos, Bildnis (Kniestück sitzend, en face, Hände gefaltet), um 1904
„Farben und Linien können uns traurig oder froh, gefasst oder zornig machen und indem der Künstler sie dosiert, kann er
Veränderung in unseren Blutgefässen ge-
uns zu seiner Empfindung zwingen. Für
schieht, eine Spannung oder Lösung von
diese Wirkung auf unser Gemüt ist es na-
eben jener Art, die uns als die Stimmung,
türlich gleich, was sie sonst, auf die Wirk-
die der Künstler von uns verlangt, bewusst
lichkeit bezogen, etwa noch bedeuten mö-
wird. In jenem Darmstädter Gespräch
gen, wenn sie nur unsere Sinne und durch
[hier wurde die Idee diskutiert, ob man
diese unsere Nerven so reizen, dass eine
Hamlet mit einer Dekoration allein aus Vorhängen inszenieren könnte; LT] nah-
1142 Schaukal 1988 (1910), S. 46. 1143 Vergleiche dazu Moravánszky 2008.1, S. 18–22, Moravánszky 2008.2, S. 82 und Cacciari 1995, S. 70–76.
men wir Vorhänge, um sogleich im Zuschauer jede Beziehung auf die Wirklichkeit auszuschliessen, während sich Roller
329
330
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
eben dieser Beziehung auf die Wirklich-
Colomina entwickelte insbesondere in einem
keit wissentlich bedient, um die Identität
Artikel, in dem sie das Schaffen Adolf Loos’
des Raumes so lange zu maskieren, bis
mit dem Josef Hoffmanns in Beziehung setzt,
der Zuschauer durch den Verlauf der dra-
die These von der Maske für die Fassaden
matischen Handlung fähig wird, ihren
Loos’. Wobei sie sich vermutlich eher auf die
sinnlichen Reiz und emotiven Wert ein-
Fassaden der privaten Villen bezieht als auf
zulassen. Ich sage dem Künstler: Male mir
die Fassade eines vorwiegend öffentlichen
mein Zimmer so, dass es mich festlich
Gebäudes wie das Haus am Michaelerplatz:
oder zur Sammlung oder wehmütig stimmt, ein Zimmer der Pracht oder der
“When Loos said: ‚The House does not
inneren Einkehr oder der Erinnerung.
have to tell anything to the exterior; in
Dann wird er Farben und Linien so zu
stead, all its richness must be manifest in
messen und zu mischen haben, dass jene
the interior’, not only had he recognized
Stimmung in mir ausgelöst wird.“1144
a limit to architecture until then unknown, not only has he recognized a difference
Erstaunlich ist die Verbindung einer maskier-
between dwelling in the interior and deal-
ten Räumlichkeit, die erst beim Lüften ihrer
ing with the exterior, but at the same time
Schutzschicht im Inneren ihre Stimmung an
he had formulated the very need for this
den Betrachter vermittelt. Dieses Bild der
limit, which has implicit in itself the need
Maske findet sich bei Adolf Loos als äußere
for a mask. The interior does not have to
Schicht vor dem Gebäudeinneren wieder –
tell anything to the exterior. This mask is
wie bereits öfters in der Forschung betont
not, naturally, the same as the one which
wurde
– und bedient sich vor allem der
he had identified as being fake in the fa-
Metapher der Kleidung als anonymen Schutz.
cades of the Ringstrasse; [...] The silence
Ákos Moravánszky fasst zusammen, dass
that he prescribed is no more than the rec-
Loos der Ansicht war, der Großstadtmensch
ognition of our schezophrenia; the inside
bräuchte wohltuende, gleiche, also wieder-
has nothing to tell to the outside because
kehrende Masken, die Neutralität im schnel-
our intimate being has split from our so-
len Leben und damit Sicherheit schaffen wür-
cial being. We are divided between what
den.1146 Hinter diesen Masken könne sich
we think and what we do.”1147
1145
der mit seiner Individualität kämpfende moderne Mensch verbergen. So wird die
Colomina spricht jedoch auch von einer Über-
Maske zu einer Instanz, die ein zivilisiertes
tragung der Maske auf das Innere des Hauses
Zusammenleben erst ermöglicht. Beatriz
am Michaelerplatz.1148 Shapira führt jene Aussage Colominas weiter, indem sie Adolf Loos’ Einrichtungen generell als kulturelle Masken
1144 Bahr 2010 (1904.3), S. 24. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit. 1145 Vergleiche dazu die Fußnote 24 auf S. 16 in der Einleitung dieser Arbeit. 1146 Moravánszky 2008.2, S. 61.
versteht. Kulturelle Diskurse, die sich über 1147 Colomina 1988, S. 66f. 1148 Colomina 1994, S. 276f.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
eine Dualität von englischen und Wiener Posi-
zuvor schon am Beispiel des Dandys erar-
tionen auszeichneten, würden sich vor allem
beitet wurde. Für die Vorgehensweise Loos’,
in den Interieurs manifestieren. Ferner seien
jene Idee der Maske als Grundlage für seine
sie für den „modern Jewish man“ als häufigs-
Gestaltung des Hauses am Michaelerplatz
ter Loos-Kunde konzipiert. Für ihn werden
zu machen, stellt ebenso der Aufsatz Das
laut Shapira die Einrichtungen sogar zu einer
Princip der Bekleidung eine erläuternde
„assimilation-mask“.1149 Bedenkt man nun
Quellenlage dar:
neben der Tatsache, dass das Loos-Haus auch im Inneren ein teilweiser öffentlicher Ort ist
„Der Künstler aber, der große Architekt
und bereits im Falle der Villa Karma gewisse
fühlt zuerst die Wirkung, die er hervorzu-
Abstufungen von Öffentlichkeit und Intimität
bringen gedenkt, und sieht dann mit sei-
analysiert wurden, ist Shapira zuzustimmen.
nem geistigen Auge die Räume, die er
In diesem Kontext ist es bezeichnend, dass
schaffen will. Die Wirkung, die er auf den
bereits Loos ähnliche Definitionen und Funk-
Besucher ausüben will, sei es nun Angst
tionen für die Kleidung des Mannes aufstellt.
oder Schrecken, wie beim Kerker; Gottes-
Moravánszky zitiert daher Loos’ direkt am
furcht, wie bei der Kirche; Ehrfurcht vor
Anfang seiner Untersuchung zur „Ästhetik
der Staatsgewalt, wie beim Regierungspa-
der Maskierung“.1150 Besagte Textstelle
last; Pietät, wie beim Grabmal; Heimat-
stammt aus dem Aufsatz Von der Sparsam-
gefühl, wie beim Wohnhause; Fröhlich-
keit von 1924 und lautet:
keit, wie in der Trinkstube; diese Wirkung wird hervorgerufen durch das Material
„Der moderne intelligente Mensch muß
und durch die Form.“1153
für die Menschen eine Maske haben. Diese Maske ist die bestimmte, allen Men-
Demnach lässt sich schließen, dass der
schen gemeinsame Form der Kleider.
Gedanke einer dandyhaften Maske für das
Individuelle Kleider haben nur geistig Be-
Haus am Michaelerplatz auf der Grundlage
schränkte. Diese haben das Bedürfnis, in
der Semper’schen Bekleidungstheorie für
alle Welt hinauszuschreien, was sie sind
Loos mit zum grundlegenden Entscheidungs-
und wie sie eigentlich sind.“
träger für das äußere und innere Erschei-
1151
nungsbild des Hauses wurde. Hierdurch Mark Wigley spricht sogar in diesem Zusam-
erklärt sich letztendlich auch, warum Loos
menhang vom Anzug als einer „disciplined
die Säulen ohne wirklich tragende Funktion
surface“.
Die Analogie von Hülle und
an der Hauptfassade des Hauses am Michae
Haut oder Schmuck- und Bekleidungstheo-
lerplatz tolerierte (Abb. 73). Es ging ihm
rie trifft bei Loos’ Schaffen besonders zu, wie
mehr um die Wirkung, die sie im Sinne eines
1152
Details eines repräsentativen Gewandes 1149 Shapira 2004, S. 275f. 1150 Moravánszky 2008.2, S. 61. 1151 Loos 2010 (1924.2), S. 606. 1152 Wigley 1996, S. 228f.
erzeugten, als darum ein „constructives
1153 Loos 2010 (1898.4), S. 139.
331
332
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Gerüst“ zu präsentieren. Insofern ist auch
und vier Teppiche aufzuhängen, welche
die Aussage Hermann Czechs und Wolfgang
die vier Wände bilden sollen. Aber aus
Mistelbauers zu verstehen, wenn sie davon
Teppichen kann man kein Haus bauen.
sprechen, dass das Loos-Haus „weniger aus
Sowohl der Fußteppich als auch die Wand-
Funktion und Konstruktion als aus einem
teppiche erfordern ein constructives
geistigen Wollen […] zu verstehen“ ist.
1154
Gerüst, das sie in der richtigen Lage er-
Eduard Führ bezeichnet Adolf Loos sogar
hält. Dieses Gerüst zu finden ist erst die
als „Bekleidungstheoretiker“.
Führ zieht
zweite Aufgabe des Architekten. Das ist
ebenso eine Assoziation zu den Theorien
der richtige, logische Weg, der in der Bau-
Sempers. So heißt es 1860 bei Semper:
kunst eingeschlagen werden soll. Denn
1155
auch die Menschheit hat in dieser Reihen„Ich meine das Bekleiden und Maskiren
folge b auen gelernt. Im Anfang war die
sei so alt wie die menschliche Civilisati-
Bekleidung.“1157
on und die Freude an beidem sei mit der Freude an demjenigen Thun, was die Men-
Wie stark die sprachliche Verknüpfung von
schen zu Bildnern, Malern, Architekten,
Architektur mit körperlichen Attributen um
Dichtern, Musikern, Dramatikern, kurz
1900 betont wurde, zeigt auch die Kontras-
zu Künstlern machte identisch.“1156
tierung von Seele und Kleid als Metapher für die Konstruktion und Dekoration von Archi-
Dietrich Worbs konstatiert Sempers Beklei-
tektur.1158 Die Maske beziehungsweise Fas-
dungstheorie als Grundlage für Adolf Loos’
sade wurde den gleichen Gegebenheiten
Raumplan und nennt als Quelle für jene The-
unterworfen wie ein streng kulturell determi-
se den bereits 1898 von Loos veröffentlich-
niertes Kleidungsstück des Mannes. Um 1900
ten Aufsatz Das Princip der Bekleidung, in
war die Normierung der männlichen Klei-
dem Loos das Motiv des Teppichs nach Sem-
dung schon sehr vorangeschritten. Die Seces-
per aufgreift:
sionisten wehrten sich gegen diese Entwicklung mit extravaganten Anzugentwürfen, die
„Die Festigkeit und die Herstellbarkeit
Loos dazu motivierten, ihre Träger im Sinne
verlangen Materialien, die mit dem eigent-
seiner Definition eines „Gigerl“ zu verung-
lichen Zwecke des Gebäudes nicht im Ein-
limpfen: „Ein Gigerl ist ein Mensch, dem die
klang stehen. Hier hat der Architekt die
Kleidung nur dazu dient, sich von seiner
Aufgabe, einen warmen, wohnlichen
Umgebung abzuheben.“1159 Weiterhin sind
Raum herzustellen. Warm und wohnlich
zwei zusätzliche Äußerungen von Loos zu
sind Teppiche. Er beschließt daher, einen
bedenken.1160 Die erste Aussage dokumentiert
solchen auf den Fußboden auszubreiten
1154 Czech und Mistelbauer ²1977, S. 115. 1155 Führ 2001, S. 315. 1156 Semper 2008 (1860), Anm. 2 auf S. 231. Vergleiche dazu Moravánszky 2008.2, S. 63f.
1157 Loos 2010 (1898.4), S. 138. Vergleiche dazu Worbs 1982, S. 72f. und Eckel 1996, S. 28–31. 1158 Vergleiche dazu Ocón Fernández 2004, S. 299. 1159 Loos 2010 (1898.1), S. 56f. 1160 Loos 2010 (1930.1), S. 718f. und Loos 2010 (1931.2), S. 731f.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
eine Kontroverse bezüglich Krawatten zwi-
das taten [kunstvoll geschlungene Krawatten
schen Adolf Loos und Josef Hoffmann, die
trugen; LT], waren drei: Olbrich, Kolo Moser
zweite berichtet von der Einflussnahme Loos’
und Hoffmann. Sie trugen dazu auch selbst-
auf Hoffmanns Kleidungsstil, indem dieser
entworfene Anzüge, großkarierte Gehröcke
nur durch Loos’ Vermittlung zum Kunden
à la Biedermeier mit Samtaufschlägen. Das
von Goldman & Salatsch wurde. Beide haben
imponierte so, daß man sie für Künstler hielt.
einen stark anekdotenhaften Charakter. Sie
In Wahrheit waren diese Krawatten, die mit
beruhen sicherlich auf tatsächlichen Bege-
Hilfe von (mit schwarzem Atlas überzogener)
benheiten, wirken jedoch etwas überzeichnet,
Pappe den Eindruck eines Selbstbinders
wenn man sie auf ihre faktische Basis redu-
erweckten, nicht kunstvoll. Das verwarf ich,
ziert. Neben den wahren Begebenheiten, die
so wie ich alle Imitation verwarf.“1163 Anhand
heute nur noch schwer nachgewiesen werden
dieser Beispiele wird aber auch augenschein-
können, geht es vielmehr um einen Streit um
lich, wie sehr Loos die Wahl der Kleidung
die Originalität und Eigenständigkeit des
mit dem Schaffen als Künstler oder als
jeweiligen künstlerischen Schaffens. So ist es
Architekt verbindet. Das heißt die äußere
nicht etwa das Erwähnen der Schneiderfirma,
Hülle, in die man sich kleidet, steht für das
sondern die Besichtigung einer Loos’schen
kreative Arbeiten. Form und Inhalt bedingen
Wohnungseinrichtung, die Hoffmann dazu
einander. Dies ist weiterhin ein deutlicher
bewegt haben soll, sich bei Goldman &
Charakterzug des Dandys.1164 Für Loos sind
Salatsch neu einzukleiden. Dies noch über-
der Anzug wie auch die Fassade Grenzen,
spitzend zieht Loos folgenden weiteren
die
Schluss aus der Neueinkleidung Hoffmanns:
separieren.1165 Loos vertritt bereits 1898 in
„Seitdem, das Datum kann durch die Firma
seinem Artikel Die Herrenmode, der in der
Goldman und Salatsch wohl eruiert werden,
Neuen Freien Presse erschien, die Meinung,
ist Josef Hoffmann europäisch angezogen.
dass ein Mann mit Verstand einen guten
Und die gerade Linie wurde das Merkmal der
Anzug besitzen muss. Loos verurteilt den
Sezession (sic!)!“
das
Individuelle
vom
Kollektiven
Somit stilisiert sich Loos
Wunsch nach schöner Kleidung. Sie habe
zum eigentlichen Ideengeber des geometri-
nicht schön zu sein! Gute Kleidung ist für
schen Jugendstils der Secession. Dass Loos
Loos vor allem korrekte Kleidung: „Es han-
Hoffmann und mit ihm die Secessionisten
delt sich darum, so angezogen zu sein, daß
als „Gigerln“ angesehen hat, beweisen so des-
man am wenigsten auffällt.“ Loos erweitert
pektierliche Äußerungen wie: „Ich war für
seinen Grundsatz aber noch um einen wei-
die alte Wiener Tischlerarbeit, Tradition und
teren Aspekt: „Um correct gekleidet zu sein,
Qualität – ihre Arbeit sah aus wie ihre Klei-
darf man im Mittelpunkte der Cultur nicht
dung. Aus ihrem Kreise war ich ausgeschlos-
auffallen.“ Als Mittelpunkt der abendländi-
1161
sen. Ich war, wie schon meine Kleidung bewies, kein Künstler“1162 und „Die Leute die 1161 Loos 2010 (1931.2), S. 732. 1162 Loos 2010 (1931.2), S. 731.
1163 Loos 2010 (1930.1), S. 718f. 1164 Vergleiche dazu Herlemann 1972, S. 87–115. 1165 Vergleiche dazu Moravánszky 2008.2, S. 61–82 und Rukschcio und Schachel 1982, S. 9.
333
334
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
schen Kultur erklärt Loos London. Der End-
heißt nicht auffallen!“1169 Es lässt sich kaum
punkt seiner Formulierung zur korrekten
bestreiten, dass Loos Brummells Äußerung
Kleidung heißt: „Ein Kleidungsstück ist
gekannt haben muss, wenn man bedenkt,
modern, wenn man in demselben im Cultur-
dass die englische Kultur in vielerlei Hinsicht
zentrum bei einer bestimmten Gelegenheit
für ihn Vorbildcharakter besaß.1170 Gerade
in der besten Gesellschaft möglichst wenig
aber in dieser Proklamation des Geschmacks
auffällt.“ Loos nennt weiterhin einige positi-
im Sinne des Understatements wird Loos’
ve Beispiele von Schneidern. Darunter zählt
Gegenhaltung zum Kleidungsstil der Seces-
er eben auch Goldman & Salatsch und deren
sionisten ersichtlich. So ist der Dandy Brum-
Spezialität der Uniformen des Yachtgeschwa-
mell’scher Prägung eben kein „fetischisieren-
ders.
Aufschlussreich ist die Korrelation
der Modenarr“1171. Auch wenn Brummell
von Begriffen wie „modern“ und „correct“
Sohn eines Konditors war, entwickelte sich
bei Adolf Loos. Manfred Russo erläutert in
das Dandytum aus dem Privileg des Adels,
seinem Artikel Hätte Loos adidas getragen?,
keiner Erwerbstätigkeit nachgehen zu müs-
dass Loos unter „modern sein“ eben nicht
sen. Ergänzt durch die krisenhaft wahrge-
„modisch sein“ versteht, sondern vielmehr
nommenen gesellschaftlichen Veränderun-
den Bezug zu „zeitlos elegant sein“ heraus-
gen, die mit der Reform Bill von 1832 in
stellt.1167 Hinzu kommt, dass die Standards
England Anzeichen eines Machtverlustes der
in „korrekter“ Männerbekleidung vor allem
Aristokratie vorauszeichneten, wurde der
in den Augen von Loos durch den Aristokra-
Kult um das Individuum zum Fluchtpunkt
ten präsentiert werden. Darin folgt Loos einer
und zugleich ein Symbol für Rebellion.1172
gängigen Ansicht der Zeit. Diese Bekleidung
Hans-Joachim Schickedanz bezeichnet den
zeichnete sich jedoch vor allem dadurch aus,
Dandy als „schillernden Panzer“ gegen ein
gerade nicht die Persönlichkeit ihres Trägers
„bürgerliches Nützlichkeitsdenken“ und
auszudrücken, sondern vielmehr anonymi-
„Kommerzialisierung“ und „Gleichmacher-
sierend oder maskierend zu fungieren.1168 An
ei“.1173 Diese Haltung zur Realität und zum
dieser Stelle lässt sich eben auch in Hinsicht
angestrebten Ideal eines Herrenausstatters
auf die Korrespondenz von Kleidung und
ähnelt auffallend der von Adolf Loos, wenn
Architektur der Auftrag für das Haus am
er schreibt:
1166
Michaelerplatz für Loos als ein Schlüsselmoment deklarieren und das Gebäude selbst zu
„Die großen Firmen [damit sind Wiener
einem seiner Hauptwerke.
Schneider mit Beziehungen nach London
Des Weiteren erstaunt aber auch die Ana-
gemeint; LT] und ihre nächsten Nachkom-
logie dieser Äußerung Loos’ zu einem Zitat von Beau Brummell: „Gut gekleidet sein,
1166 Loos 2010 (1898.1), S. 55–58. 1167 Russo 2008, S. 27–51. 1168 Vergleiche dazu Topp 2004, S. 144–146.
1169 Vergleiche dazu Sprenger ²2010, S. 20 und Schickedanz 2000, S. 10. 1170 Shapira 2004, S. 15 und Rukschcio und Schachel 1982, S. 61. 1171 Schickedanz 2000, S. 40. 1172 Schickedanz 2000, S. 44. 1173 Schickedanz 2000, S. 46f.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
men haben alle ein gemeinsames Merk-
tauschs aufgelöst werden soll. Das Miß-
mal: die Furcht vor der Öffentlichkeit.
trauen gegen das Affektieren von Gefüh-
Man beschränkt sich womöglich auf ei-
len war nicht nur eine Spitze gegen den
nen kleinen Kundenkreis. Wol (sic!) sind
Adel, der gerade das distinguierte Spiel
sie nicht so exclusiv wie manche Londo-
mit Emotionen für kultiviert hielt, son-
ner Häuser, die sich Einem nur auf eine
dern entsprang auch der prinzipiellen Un-
Empfehlung Albert Edward’s, des Prinzen
sicherheit, daß es keine zweifelsfreien
von Wales, öffnen. Aber jeder Prunk nach
Schlüsse von der erscheinenden Oberflä-
außen ist ihnen fremd.“1174
che auf den Kern des Gefühls im Inneren des Gegenübers gibt – während doch die-
Loos summiert diese eskapistische Elitenbil-
ses Innere, zur Erscheinung und in gesel-
dung als eine „Furcht vor der Öffentlichkeit“
liger Form (der Freundschaft, der Liebe)
und baut der zweiten Generation des Libe-
gebracht, der Hort von Humanität sein
ralismus, die sich in den Entwicklungen Eng-
sollte.“1177
lands zu Zeiten Brummells wieder erkannt haben mag, einen idealen Ort zur Ankleidung
Während Loos bestimmt nicht die affektier-
des nach Form – die zum Inhalt erhoben
te, theatralische Maske des Adels in eine bür-
wird – verlangenden Mannes.1175 Dies sich
gerliche Gesellschaftsarchitektur übertragen
bewusst vor Augen führend, wende man sich
wollte, so nahm er sich doch das Ideal der
wieder der Fassade des Hauses am Michae-
Maske zum Vorbild, sowie er den Aristokra-
lerplatz (Abb. 4 und 73) zu. Bezeichnender-
ten als Vorbild deklarierte. Die bürgerliche
weise zeigt die Maske bei Oscar Wilde in
Maske war jedoch für ihn eine rationale und
The decay of Lying eine Doppelrolle auf. So
schweigsame.
dient sie zum einen dazu, Gefühle vor den
Dieses Changieren in der Symbolik der
Blicken der Außenwelt zu verhüllen und zum
Maske wird im Falle der Fassade des Hauses
anderen ermöglicht sie erst aus der Anony-
am Michaelerplatz noch mal detaillierter auf-
mität heraus eine freiheitlichere Offenheit.
1176
gegriffen. Nun eröffnet sich nämlich gerade
Hartmut Böhme betont die Maske als zent-
dem genauen Betrachter eine Diskrepanz.
ral für eine bürgerliche Lebenskultur:
Auf der einen Seite erleichtert Loos die Fassade von der Schicht der Dekoration und
„Die bürgerliche Gefühlskultur lebt von
offenbart sie unbedeckt den Blicken der Pas-
dem Widerspruch zwischen ‚natürlichem
santen. Auf der anderen Seite spricht er aber
Wesen‘ der Gefühle und ihrer ‚Larve‘ und
davon, dass die Fassade im Sinne einer neu-
‚Maske‘, der zugunsten unverstellten Aus-
tralen Maske dem Bewohner oder Besucher der Gebäude als Schutzschicht dient. Jenen Widerspruch
1174 Loos 2010 (1898.1), S. 58. 1175 Vergleiche zum Verhältnis von Form und Inhalt am Beispiel Beau Brummells Schickedanz 2000, S. 17 und S. 39–54. 1176 Herlemann 1972, S. 68–77.
beobachtet
bereits
Ákos
1177 Böhme 1997, S. 538. Vergleiche dazu Böhme 1997, S. 539.
335
336
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Moravánszky.1178 Das heißt, dass die Fassade
organischem Überzug ist für die Villa Müller
bei Loos von der Funktion her ein Deckman-
sogar in den Originalentwürfen der Garten-
tel bleibt, jedoch eine neue ethisch geprägte
architekten nachzuweisen.1180 Demzufolge
Ästhetik präsentiert. Elana Shapira führt auf,
ist der Weinbewuchs als bewusstes gestalte-
woher Adolf Loos jene „Figur“ der schützen-
risches Mittel anzusehen.
den Maske zumindest in Bezug auf die „kor-
Wurde weiter oben bereits der Dandy an
rekte“ Kleidung hergeleitet haben könnte.
sich als eine Maske beschrieben und die Rol-
Die Inszenierung der Figur des maskierten
le der Maske als eine ambivalente, so ist die-
Mannes aus Frank Wedekinds Frühlings
ses Charakteristikum der Maske auch an der
Erwachen (1891) bei einer Aufführung in
Fassade des Loos’schen Gebäudes selber
Wien im Jahre 1908 sei ein konkretes Bei-
abzulesen. In Lexika finden sich für den
spiel für eine maskierende Bekleidung gewe-
Begriff der Maske vor allem Erklärungen um
sen. Shapira führt weiterhin an, dass Loos
den Kreis der Verkleidung oder der Charak-
das Stück in seiner Zeitschrift Das Andere
terdarstellung, die dann nicht nur den Gegen-
vorstellte. Ebenso erwähnt sie eine Fotogra-
stand, sondern auch den Träger der Maske
fie von 1908, die Wedekind in der Rolle des
und sein Agieren mit einbeziehen. Ebenso
maskierten Mannes zeigt. Er ist gekleidet in
ist aber auch im Deutschen Wörterbuch von
einem Abendanzug und mit einer Gesichts-
Jacob und Wilhelm Grimm die Umschrei-
maske. Shapira schließt mit der Schluss
bung der Maske als Zeichen für Verstellung,
folgerung:
List und Heuchelei zu finden.1181 Dieser Auslegtradition folgend wurde die Maske auch
“The message of this last scene in the play
als Begriff benutzt, um das Ornament des
is that a man’s fine dress would secure
Historismus als maskenhaftes, „falsches“
him a place in the civilized world and
oder „lügnerisches“ Ornament zu entwer-
shield him from painful exposure.”
ten.1182 Im Falle von Adolf Loos wurde schon
1179
an seinem Artikel Potemkin’sche Stadt seine Es ist das Material, der Cipollinomarmor und
Definition von Lüge in der Architektur erar-
der glatte Verputz, das Reichtum und Ele-
beitet.1183 In jenem Artikel folgt Loos der gän-
ganz auf direkte Weise ausdrückt. Vielsagend
gigen Kritik seiner Generation am Historis-
ist der Umstand, dass sich der Marmor wie
mus und dessen Ornament. Maria Ocón
ein Oberkleid um das Sockelgeschoss des
Fernández spricht im Verlauf ihres Buches
Hauses legt (Abb. 73). Konsequenter und
von einer „ethisch-moralischen Charakteri-
weniger repräsentativ oder auch neutraler
sierung des Ornaments“ als „Täuschung,
geht Loos bei seinen Villenbauten vor, die fast nur weiße Putzfassaden aufweisen; dann aber häufig eine Bepflanzung mit wildem Wein besitzen (Abb. 1 und 6). Diese Art von 1178 Moravánszky 2008.2, S. 61f. 1179 Shapira 2004, S. 275.
1180 Bock 2009, S. 73. 1181 Grimm, Jacob und Wilhelm Grimm: Maske, in: Deutsches Wörterbuch 1854–1961, Bd. 12, Sp. 1705. 1182 Vergleiche dazu Ocón Fernández 2004, S. 9f. und Bahr 2007 (1899.1), S. 97. 1183 Vergleiche dazu dieses Kapitel auf S. 318–321.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Fälschung,
Lüge,
Bescheidenheit“.
Maske,
Einfachheit,
„Es giebt vielleicht keine seelische Er-
Loos wendet den Begriff
scheinung, die so unbedingt der Groß-
der Maske aber ins Positive, indem er eine
stadt vorbehalten wäre, wie die Blasiert-
vorspiegelnde Maske abschafft und eine neu-
heit. Sie ist zunächst die Folge jener
trale einführt. Fernández spricht des Weite-
rasch wechselnden und in ihren Gegen-
ren von einer „Entkleidung der Form“, die
sätzen eng zusammengedrängten Ner-
im Falle des Materialstils im Einklang mit
venreize, aus denen uns auch die Steige-
den Forderungen nach „Materialgerechtig-
rung der großstädtischen Intellektualität
keit, Konstruktionswahrheit und Zweckmä-
hervorzugehen schien; weshalb denn
ßigkeit“ steht.1185 Diesen Fall von „Entklei-
auch dumme und von vornherein geistig
dung der Form“ strebte Loos jedoch nicht
unlebendige Menschen nicht gerade bla-
an der Fassade des Michaelerhauses (Abb. 4
siert zu sein pflegen. Wie ein maßloses
und 73) an. Offensichtlich wird eine Ver-
Genußleben blasiert macht, weil es die
knüpfung der Maske zur Theatralität.1186 Im
Nerven so lange zu ihren stärksten Re-
Sinne einer vorgeschalteten Rolle verbirgt
aktionen aufregt, bis sie schließlich über-
die Maske menschliche Unzulänglichkeiten
haupt keine Reaktion mehr hergeben –
– die Ákos Moravánszky sogar als „Kampf
so
der Identitäten“1187 charakterisiert und damit
Eindrücke durch die Raschheit und Ge-
automatisch die Assoziation zum unrettba-
gensätzlichkeit ihres Wechsels so gewalt-
ren Ich nach Ernst Mach weckt – unter dem
same Antworten ab, reißen sie so brutal
Mantel der versagten Kommunikation und
hin und her, daß sie ihre letzte Kraftre-
kreiert eine anonymisierte persona.1188 Die
serve hergeben und, in dem gleichen Mi-
Sprachlosigkeit der Fassade und deren
lieu verbleibend, keine Zeit haben, eine
Analogiesetzung bei Loos mit der Kleidung
neue zu sammeln. Die so entstehende
gehen zurück auf Simmels Aufsatz Philoso-
Unfähigkeit, auf neue Reize mit der ih-
phie der Mode von 1904.1189 Ebenso als Quel-
nen angemessenen Energie zu reagieren,
le für Loos’ Maskenverständnis ist Simmels
ist eben jene Blasiertheit […]. Das We-
Aufsatz Die Großstadt und das Geistesleben
sen der Blasiertheit ist die Abstumpfung
von 1903 heranzuziehen und der darin for-
gegen die Unterschiede der Dinge, nicht
mulierte Topos der „Blasiertheit“:
in dem Sinne, daß sie nicht wahrgenom-
1184
zwingen
ihn
auch
harmlosere
men würden, wie von dem Stumpfsinnigen, sondern so, daß die Bedeutung und 1184 Ocón Fernández 2004, S. 197. 1185 Ocón Fernández 2004, S. 197. 1186 Vergleiche zum Verhältnis von Theatralität und Authentizität bei Oscar Wilde Bach 2006. 1187 Moravánszky 2008.2, S. 61. 1188 Simmel 2011 (1903), S. 64. 1189 Vergleiche dazu Colomina 1988, S. 67. Vergleiche des Weiteren in Bezug auf den Einfluss Simmels auf die ‚Masken-Methode‘ Loos’ Moravánszky 2008.2, S. 74–82.
der Wert der Unterschiede der Dinge und damit der Dinge selbst als nichtig empfunden wird. Sie erscheinen dem Blasierten in einer gleichmäßig matten und grauen Tönung, keines wert, dem anderen vorgezogen zu werden. Diese Seelenstimmung ist der getreue subjektive
337
338
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
Reflex der völlig durchgedrungenen
wenige Jahre später zu einer Verneinung –
Geldwirtschaft […].“
zumindest für den oberen Wohnblock des
1190
Hauses am Michaelerplatz – von KommuniLoos’ ‚Masken-Methode‘ kann somit als
kation gesteigert.1192
Hilfsmittel zur Vermeidung jener nervlich
Deutlich wird der Umstand, dass Loos ein
bedingten Blasiertheit verstanden werden.
äußeres Umfeld des Verzichts auf individu-
Die Blasiertheit wird für Loos als Schutz vor
ellen Ausdruck proklamiert und somit theo-
einer Überreizung über die Architektur und
retisch ebenso in die Nähe von Freuds The-
Kleidung hergestellt. Jene Sprachlosigkeit
orien gestellt werden kann. Im Sinne eines
oder „silence“ – wie es Beatriz Colomina
Triebverzichts stellt sich das Äußere bei Loos
bezeichnet – erinnert wiederum an Hugo von
im idealsten Falle neutral, aber eben auch
Hofmannsthals 1902 erschienene Publika
ungeschlechtlich dar. Loos bietet demnach
tion Der Brief des Lord Chandos. Die darin
eine neue Konnotation der Maske. Leslie
formulierte Sprachskepsis – die nicht zufäl-
Topp bezeichnet die Maske des Hauses am
lig in Verbindung mit lästerndem Gerede im
Michaelerplatz als eine „honest mask“ und
Ich-Erzähler ausbricht1191 – ist von Loos’ nur
fasst dadurch die Doppeldeutigkeit des Gebäudes. Zum einen verneint die glatt ver-
1190 Simmel 2011 (1903), S. 150. 1191 „Es wurden mir auch im familiären und hausbackenen Gespräch alle die Urteile, die leichthin und mit schlafwandelnder Sicherheit abgegeben zu werden pflegen, so bedenklich, daß ich aufhören mußte, an solchen Gesprächen irgend teilzunehmen. Mit einem unerklärlichen Zorn, den ich nur mit Mühe notdürftig verbarg, erfüllte es mich, dergleichen zu hören, wie: diese Sache ist für den oder jenen gut oder schlecht ausgegangen; Sheriff N. ist ein böser, Prediger T. ein guter Mensch; Pächter M. ist zu bedauern, seine Söhne sind Verschwender; ein anderer ist zu beneiden, weil seine Töchter haushälterisch sind; eine Familie kommt in die Höhe, eine andere ist im Hinabsinken. Dies alles erschien mir so unbeweisbar, so lügenhaft, so löcherig wie nur möglich. Mein Geist zwang mich, alle Dinge, die in einem solchen Gespräch vorkamen, in einer unheimlichen Nähe zu sehen: so wie ich einmal in einem Vergrößerungsglas ein Stück von der Haut meines kleinen Fingers gesehen hatte, das einem Blachfeld mit Furchen und Höhlen glich, so ging es mir nun mit den Menschen und ihren Handlungen. Es gelang mir nicht mehr, sie mit dem vereinfachenden Blick der Gewohnheit zu erfassen. Es zerfiel mir alles in Teile, die Teile wieder in Teile, und nichts mehr ließ sich mit einem Begriff umspannen. Die einzelnen Worte schwammen um mich; sie gerannen zu Augen, die mich anstarrten und in die ich wieder hineinstarren muß: Wirbel sind sie, in die hin-
putzte Fassade des oberen Wohnblocks des Hauses eine vorgetäuschte Noblesse, wie sie im Historismus üblich war, zum anderen verrät sie aber auch nichts über die Mieter und kann demnach trotzdem als eine eben nicht trügerische, sondern ehrliche oder uniformierte Maske fungieren.1193 María Ocón Fernández spricht bei Loos von einer „ rigiden Beschränkung auf die Zweckform“ und beobachtet eine Parallelisierung vom Ornament mit „Weiblichkeit, Sinnlichkeit und Triebhaftigkeit“.1194 Ebenso wie Michael Müller stellt Ocón Fernández damit Loos’ geäußerte Dogmen aus Ornament und Verbrechen in Beziehung zu Freuds Sublimierungstheorie.
abzusehen mich schwindelt, die sich unaufhaltsam drehen und durch die hindurch man ins Leere kommt.“ (Hofmannsthal 2002 (1902), S. 25f.) 1192 Siehe auch Colomina 1988, S. 66. 1193 Topp 2004, S. 134 und S. 149–152. 1194 Ocón Fernández 2004, S. 99.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Der Vortrag oder Artikel Ornament und
schen Verband für Literatur und Musik in
Verbrechen hat vielerlei Auslegungen erlebt
Wien.1199 Eine deutliche Wendung hin zur
und bereits seine Datierung stellte sich als
Wiener Öffentlichkeit wird offensichtlich.
strittig heraus.
Wann genau Loos den Arti-
Ein sehr selbstbewusstes Auftreten lässt den
kel de facto verfasst hat, lässt sich nicht end-
Eindruck entstehen, Loos ginge von Beginn
gültig beantworten. Meistens wird er jedoch
an in eine Haltung der Vorwärtsverteidigung.
mit der Jahreszahl 1908 datiert. Ferner ana-
Bereits weiter oben wurde Loos’ Nähe zu
lysiert Christopher Long die Version von
evolutionistischen Sichtweisen in Bezug auf
Ornament und Verbrechen von 1910 argu-
das Vorbild von Camillo Sitte erwähnt. Die-
mentativ konsequent als ein Ergebnis einer
ser Denkweise in Loos’ Theoriewerk soll nun
über ein Jahrzehnt dauernden gedanklichen
näher gefolgt werden und welche Auswir-
Auseinandersetzung.1196 Ocón Fernández
kungen sie auf das Haus am Michaelerplatz
folgt hingegen Rukschcios und Schachels
und dessen Wahrnehmung hatte. Dabei zen-
Datierung für das Jahr 1910. Damals soll
tral sind die Inhalte von Ornament und Ver-
Adolf Loos zum ersten Mal den Aufsatz vor
brechen. An ihnen leitet sich nämlich ab
Publikum vorgetragen haben.1197 Zuvor hat-
inwiefern Loos „das Entfernen des Orna-
te man den Aufsatz für das Jahr 1908 datiert
ments aus dem Gebrauchsgegenstande“1200
und damit einen Zusammenhang zur Grün-
in die Nähe der Sublimierung, wie sie Freud
dung des Deutschen Werkbundes herge-
verstand, stellt.
1195
stellt.1198 Diese Arbeit folgt weitestgehend
Wie schon vielfach in der Fachliteratur
der Ansicht Rukschcios, Schachels und Ocón
besprochen, stellte Loos die Stadien der kul-
Fernández’, da sie über Quellen ihre Aussa-
turellen Entwicklung der Menschheit mit den
gen plausibel untermauern. Somit trägt Loos
Entwicklungsstufen des Menschen gleich. So
genau in jenem Jahr der Entstehung des Hau-
erklärt er die Phase der Kindheit als gleich-
ses am Michaelerplatz zum ersten Mal sei-
bedeutend mit dem Status eines Wilden oder
nen berühmten Text vor. Nachdem Loos im
eines Kriminellen. Die Verknüpfung stellt er
Sommer 1909 mit seinen Planungen für das
über die Lust am Ornamentieren oder Täto-
Haus am Michaelerplatz begonnen und er
wieren her.1201 Während die Freude am Mus-
circa Ende 1909 oder Januar 1910 ein Modell
ter für den Wilden und das Kind ihrer Ent-
des Haues angefertigt hatte und Interessen-
wicklungsstufe entsprechend korrekt ist,
ten präsentiert haben muss, hielt er bereits
stellt sie im Falle des Verbrechers eine „Dege-
Ende Januar seinen Vortrag im Akademi-
nerationserscheinung“1202 dar – beziehungsweise lässt jene „Degenerationserscheinung“
1195 Vergleiche dazu folgende Zusammenfassungen der Datierungsgeschichte Ocón Fernández 2004, S. 363–370, Topp 2004, Fußnote 33 auf S. 207f. und Moravánszky 2003, S. 59. 1196 Long 2009, S. 204. 1197 Ocón Fernández 2004, S. 363 und Rukschcio und Schachel 1982, S. 147. 1198 Ocón Fernández 2004, S. 363.
den modernen Menschen zum Verbrecher 1199 Rukschcio und Schachel 1982, S. 147. 1200 Loos 2010 (1908.2), S. 364. 1201 Ursula Prokop sieht in jener Verknüpfung des Wilden mit dem Tätowieren eine Anleihe Loos’ an die Theorien Riegls. (Prokop 2003, S. 305.) 1202 Loos 2010 (1908.2), S. 364.
339
340
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
werden – und wird zum kulturell geprägten
tat, die der erste künstler, um seine über-
Vergehen.
Loos nimmt damit eine
schüssigkeiten los zu werden, an die wand
Umwandlung des Ornaments als „Zivilisati-
schmierte. Ein horizontaler strich: das lie-
onsindikator“ hin zum „Degenerations
gende weib. Ein vertikaler strich: der sie
indikator“ vor.1204 Diese Erklärungslinie wei-
durchdringende mann.“1207
1203
terführend sieht Ocón Fernández in Loos’ Forderung nach „Ornamentlosigkeit“ eine
Michael Müller zieht bereits 1974 in seinem
„sublimierte Sinnlichkeit, die als asketische
Buch Verdrängung des Ornaments durch die
Schönheit sowohl auf die Gegenstände des
funktionale Architektur Parallelen zwischen
Alltags als auch auf die Architektur projiziert
Loos’ und Freuds Kulturbegriff.1208 So heißt
wird“.
es dort:
1205
Somit ist Loos’ Forderung nach
Verzicht auf eine neue Ornamentik und zum Teil auch seine Verwirklichung von Orna-
„Wie Freud sieht auch er [Loos; LT] den
mentlosigkeit als eine ‚Erhebung‘ des
Aufbau der Kultur und der Zivilisation
Geschlechtstriebes in eine kulturelle Leis-
nur auf der Grundlage der Unterdrückung
tung zu verstehen. Jörg Gleiter spricht sogar
der menschlichen Triebe und deren Um-
im Falle der Fassade des Hauses am Michae
wandlung in gesellschaftlich nutzbringen-
lerplatz von einem „Fetischobjekt für die im
de Tätigkeiten gewährleistet. Wie Freud
Kulturalisierungsprozess der bürgerlichen
glaubt er nicht, daß eine Gesellschaft sinn-
Kultur verdrängten Triebe“. Die Fassade zeigt somit nicht nur eine Freuds Theorien folgende Sublimierungsstrategie auf, sondern offenbart in dieser Vorgehensweise wiederum eine sexuell erregende Dimension.1206 Dadurch wird auch Loos’ Beispiel des Kreuzes als ein sexuell motiviertes Ornament rhetorisch verständlich. Das Kreuz wird als Sexualakt gelesen, in dem der männliche Strich den weiblichen durchdringt: „Das erste ornament, das geboren wurde, das kreuz, war erotischen ursprungs. Das erste kunstwerk, die erste künstlerische
1203 Ocón Fernández 2004, S. 365f. 1204 Ocón Fernández 2004, S. 367. Wobei Theodor W. Adorno laut Jörg Gleiter die Definition des Ornaments als „Form kultureller Artikulation“ bereits wieder aufgreift. (Gleiter 2002, S. 28–31.) 1205 Ocón Fernández 2004, S. 369. 1206 Gleiter 2002, S. 32f.
1207 Loos 1962 (1908), S. 277f. Jener Abschnitt fehlt in Loos 2010. In beiden Fällen ist der Text fälschlicherweise als von 1908 aufgeführt. Adolf Opel gibt als Herausgeber der Version von 2010 an, dass die originale Erstveröffentlichung unbekannt sei und die deutsche Erstveröffentlichung aus der Frankfurter Zeitung vom 24.10.1929 stamme. (Loos 2010, S. 756.) Da bei Loos 1962 der Part zum Kreuz enthalten ist und in Loos 2010 nicht, handelt es sich vermutlich um eine frühere Textstelle aus einem der vorherigen Vortragsmanuskripte von Ornament und Verbrechen, die im Falle der Ausgabe von 2010 nicht erscheint, da sich Opel dort nach eigenen Aussagen an den veröffentlichten „Originaltexten“ – damit ist vermutlich die recht späte deutsche Erstveröffentlichung in der Frankfurt Zeitung von 1929 gemeint – orientierte. Als Mittlerfigur für jene asketisch-ethische bzw. asketisch-sexuelle Haltung ist Otto Weininger mit seiner Dissertation Geschlecht und Charakter von 1903 anzusehen. Adolf Loos muss die Arbeit Otto Weiningers durch Karl Kraus gekannt haben. (Vergleiche dazu Lorenz ²2007, S. 182f., Moravánszky 2008.2, S. 61, Rukschcio und Schachel 1982, S. 78f. und S. 118f., Leser 1986, S. 64. Methlagl 1986, S. 113 und Le Rider 1985, S. 251f.) 1208 Müller 1974, S. 123–126.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
voll neu geregelt werden könnte, indem
„Der aggressive Dandy als charismatischer
sie ‚auf den Zwang und die Triebunterdrü-
Außenseiter der Gesellschaft ist latent
ckung verzichtet‘.“1209
konservativ und neigt zur gegenrevolutionären Revolte. […] Er provoziert, er leis-
Diese Parallelisierung von Freuds Sublimie-
tet sich Verstöße gegen die Regeln, was
rungstheorien und Loos’ Anfeindungen
voraussetzt, dass es Regeln gibt, die res-
gegen das Ornament gelten jedoch nicht im
pektiert
Sinne eines funktionalistisch geprägten Ver-
herrscht, wo es keine Etikette gibt, wo al-
ständnisses von Kultur oder Architektur.
les erlaubt ist, gehen die Provokationen
Auch wenn der Fassade als Maske die Funk-
des Dandys ins Leere.“1211
werden.
Wo
Regellosigkeit
tion des Schutzes zugerechnet werden kann, motiviert sich nicht jede Form der Loos‘schen
Die Definition dieser Dandy-Art, die ohne
Architektur – ob außen oder innen – einer
Bezug auf Adolf Loos formuliert ist, trifft auf
funktional ausgerichteten Intention. Wie
frappierende Art und Weise dessen kulturel-
zuvor beobachtet, arbeitete Loos zum Bei-
len Standpunkt im Wiener Gesellschaftsleben
spiel mit Friesbändern aus Profilen, die an
um 1900; insbesondere wenn man den Skan-
sich keine andere Funktion aufweisen, als
dal um das Haus am Michaelerplatz und die
zu schmücken und die Wand zu gliedern
Ornamentdebatte mit in Betracht zieht. Wie
(Abb. 83). In diesem Zusammenhang sind
emotional die Reaktion auf Loos’ Gebäude
Jörg Gleiters Ausführungen zu stellen, wenn
war, untermauert die Wortwahl des folgen-
er von der letzten oder höchsten Stufe der
den Zitats aus den 60er-Jahren des 20. Jahr-
Kultur bei Loos spricht, die das Ornament
hunderts:
an sich zum „Objekt der Verdrängung“ mache, zugleich aber die Innenräume Loos’
„Dem Laiengeschmack schien die beab-
als „Rückzugsort des Ornaments und mit ihm
sichtigte Schmucklosigkeit, im besonde-
der Triebe und privaten Sozialisierung“
ren das völlige Weglassen irgendwelcher
erklärt.
Michael Müller deklariert des Wei-
Rahmungen der Fensteröffnungen unleid-
teren als Folge jenes Kulturbegriffs eine
lich, armselig zu sein […]; dem vorgeblich
Beschränkung des Einzelnen sowohl bei
künstlerischen Empfinden aber – und in
Freud als auch bei Loos. Nun zeigt sich aber
dieses Urteil hat sich zweifellos böser Kon-
der bereits erwähnte literarisch-künstlerische
kurrenzneid eingemischt – galten die Or-
Dandy als relevant für eine Gegenhaltung
namentlosigkeit der noch dazu ungeglie-
zu Michael Müllers Ausführungen. Dieser
derten glatten Wände und das geradlinig
Dandytypus zeichnet sich insbesondere nach
abschließende Dach als ein brutaler, je-
Günter Erbe durch sein „Element der Revol-
den Stilempfindens entbehrender Ein-
te“ aus, das deutlich einem Anspruch auf
bruch in die architektonische Stimmung
individualistischer Haltung entspricht:
des Platzes, der von der Fassade der Hof-
1210
1209 Müller 1974, S. 123. 1210 Gleiter 2002, S. 31f.
1211 Erbe 2004, S. 2f.
341
342
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
burg beherrscht wird, und man forderte
fer einer Idee schematisiert, hat er sich durch
vom Stadtbauamt dagegen Maßnahmen
eine Vielzahl von Texten der Nachwelt als
von drakonischer Strenge.“1212
Avantgardist vermittelt. Jene Art von Selbst inszenierung erkennt Robert Hodonyi auch
Es handelt sich bei diesem Zitat weder um
für Loos’ Auftreten in Berlin. Er spricht
einen Zeitzeugenbericht noch um eine neu-
sogar von einer „Selbstvermarktung“ von-
trale Berichterstattung. Ablesbar wird jedoch
seiten Adolf Loos’.1216 Janet Stewart erkennt
die emotional aufgeladene Wahrnehmung
im Titel der Loos’schen Zeitschrift Das
dieses Architekturkonfliktes, die sich selbst
Andere ebenso eine Verwirklichung des
Jahrzehnte nach dem Geschehen noch auf
„concept[s] of ‚otherness‘“.1217 Diese Strate-
die Auseinandersetzung mit dem Gebäude
gie hatte er mit Karl Kraus gemeinsam, der
überträgt. Nicht unwesentlich für dieses Phä-
dies selbst betonte:
nomen ist die Person Adolf Loos’ selbst. Seine Selbstinszenierung als Dandy, als Nicht-
„Adolf Loos und ich, er wörtlich, ich
gehörter – wenn er die Sammelbände seiner
sprachlich, haben nichts weiter getan als
Artikel und Vorträge als Ins Leere gespro-
gezeigt, dass zwischen einer Urne und ei-
chen und Trotzdem betitelt
– und dem-
nem Nachttopf ein Unterschied ist und
nach als Angegriffener und falsch verstan-
dass in diesem Unterschied erst die Kul-
dener Außenseiter schürt ein bewusst findig
tur Spielraum hat. Die anderen aber, die
gelenktes Bild sowohl in der Gegenwart als
Positiven, teilen sich in solche, die die
auch in der Nachwelt. Hans Liebstoeckl
Urne als Nachttopf, und die den Nachtopf
betont und kritisiert jene rhetorische Vorge-
als Urne gebrauchen.“1218
1213
hensweise Adolf Loos’, sich als „verfolgtes Genie“ zu inszenieren, bereits 1927.1214 Loos
Dieses Zitat hat in vielerlei Art und Weise
ist es, der diese Frontstellung gegen die
zu einer Auslegung von Loos’ Arbeit im Sin-
Gesellschaft, die Secessionisten etc. absicht-
ne des Funktionalismus geführt,1219 soll an
lich in seinen Schriften immer wieder betont.
dieser Stelle jedoch nur die Separierungs-
Das Plakat für den Vortrag Mein Haus am
strategie der beiden Wiener Rhetoriker auf-
Michaelerplatz, den Loos am 11. Dezember
zeigen, die beide das Bild des rebellischen
1911 in Wien hielt, beinhaltet ebenso den
Dandys par excellence verkörpern.
Skandal anheizend und regelrecht verinner-
In Anbetracht der zuvor genannten Sub-
lichend die Zeile „MOTTO: EIN SCHEU-
limierung von Sexualität im Falle der Fassa-
SAL VON EINEM HAUS“.1215 Durch diese
de des Hauses am Michaelerplatz ist eine
provokante Haltung, die ihn zum Vorkämp-
Aussage Theodor W. Adornos recht unterhaltsam. In einem Brief an Walter Benjamin
1212 Münz und Künstler 1964, S. 93. 1213 Siehe zu den gewollten Bezügen der Titel zu Nietzsches Schriften Loos 2010 (1930.2), S. 722. 1214 Liebstoeckl 1985 (1927), S. 110–113. 1215 Moravánszky 2008.2, S. 80.
1216 Hodonyi 2010, S. 146–156. 1217 Stewart 2000, S. 36f. 1218 Kraus 1918, S. 37. 1219 Vergleiche dazu Roth 1995 und Müller 1974.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
befindet sich folgende Definition Adornos
horizontalen Streifen der Außenfassade
vom Jugendstil:
muten plötzlich als voyeuristische Guck schlitze an. Benedetto Gravagnuolo spricht
„Wenn ich mit Ihnen darüber einstimme,
beim einsehbaren Swimmingpool von einer
daß er [der Jugendstil; LT] eine entschei-
„voyeuristic pleasure“, ist jedoch in Hinblick
dende Erschütterung des Interieurs bedeu-
auf die Außengestaltung der Ansicht, es wer-
tet, so schließt das für mich aus, daß er
de vielmehr eine „architectural introversion“
‚alle Kräfte der Innerlichkeit mobilisiert‘.
betont. Jene Introversion bezieht er aber viel-
Vielmehr versucht er durch ‚Veräußerli-
mehr darauf, dass sich die innere Struktur
chung‘ zu retten und zu verwirklichen.
des Hauses nicht an der Fassade ablesen lässt
(…) Anstelle von Innerlichkeit steht im
und nicht etwa auf die schwarz-weiße Strei-
Jugendstil Sexus. Auf ihn rekurriert, gera-
fung der Fassade.1221 Beatriz Colomina inter-
de weil einzig in ihm das private Indivi-
pretiert die Fassade vielmehr als „tattooed
duum sich nicht als innerlich, sondern
surface“.1222 Christina Threuter und Christian
leibhaft begegnet.“
Kravagna setzen daher jenen Entwurf eben-
1220
so in den Kontext von kolonialen Diskursen Möchte man Loos’ Vorgehen am Haus am
und Vorstellungswelten in Loos’ Schriften.
Michaelerplatz in Zusammenhang mit Ador-
Ferner appelliert Kravagna jedoch um
nos Jugendstildefinition setzen, ist Adorno
Umsicht bei solchen Vergleichen.1223 Deutlich
zuzustimmen, wenn es darum geht, dass sich
soll an diesem Beispiel werden, dass Loos’
das Individuum leibhaft begegnet, aber eher
frühe Werke nicht nur als erste Vorboten des
sexuell verneinend. Auch das Innere dient ja
Funktionalismus verstanden werden können
dem Erwerb von Kleidung, die wiederum eine
– so wie es Michael Müller unternommen hat
neutrale Überstülpung der eigenen Leiblich-
–, sondern dass sie auch als in ihrer Zeit ver-
keit darstellt. Jedoch für den Entwurf Adolf
ankert wahrgenommen werden können, auch
Loos’ für eine Villa für Josephine Baker wird
wenn sie nicht unbedingt gleichzusetzen sind
Adornos Definition des Jugendstils auch für
mit dem geometrischen Jugendstil der Wie-
Loos’ Arbeit paradigmatisch. In diesem Fall
ner Secession. Marco Pogacnik geht sogar so
platziert Loos in den Mittelpunkt des Corpus
weit, für die Fassade des Loos-Hauses die
des Gebäudes einen Swimmingpool, der vom
These zu formulieren, sie sei „unabhängig
darunter gelegenen Stockwerk einsichtig ist.
von jeglicher Überlegung funktioneller Art“
Die darin schwimmende exotische Tänzerin
zu verstehen.1224 Christopher Long hingegen
wird zum sexuell inszenierten Objekt und
stärkt für die Fassade ihre Bedingtheit durch
das, überspitzt verortet, im Innersten ihres eigenen Heimes. Der durch Ralf Bock formulierte Begriff der „inneren Landschaft“ bekommt eine ganz neue Dimension und die
1220 Zitiert nach Forsthuber 1991, S. 175.
1221 Gravagnuolo 1982, S. 191f. 1222 Colomina 1994, S. 281. Siehe auch Threuter 1999, S. 106–117. 1223 Threuter 1999, S. 106117 und Kravagna 2010, S. 258f. 1224 Pogacnik 2011, S. 97.
343
344
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
die Konzeption des Inneren.1225 Ebenso wie
positioniert sich der homo clausus, den Vere-
zuvor beim Haus am Michaelerplatz, wo der
na Riegler wie folgt umschreibt:
Blick des Monarchen zum Stein des Anstoßes emotional von den Kritikern gelenkt wur-
„Die Bezeichnung des homo clausus in
de, ist es nun bei dem Entwurf für die Villa
seiner Verkörperung als wirloses Ich geht
für Josephine Baker der von Loos bewusst
auf Norbert Elias zurück und kann ver-
inszenierte ästhetisierende und sexualisie-
einfachend als ein Produkt der fortschrei-
rende Blick. Susanne Bach beschreibt eine
tenden Zivilisation aufgefaßt werden, in-
Veränderung der Blickkultur vom „freien,
folge welcher die psychischen Strukturen
wilden und naiven“ Blick der frühen Neu-
der einzelnen Menschen derart modelliert
zeit zum „flüchtigen“ Blick im 18. und 19.
werden, daß sich zwischen ihm und der
Jahrhundert.1226 Sie definiert den Blick als
menschlichen Umwelt eine triebregulie-
Kompensationsinstrument für die politisch
rende Scheidewand bildet.“1229
unsichere Identität. Der Blick dient vielmehr als „Identifikationsfaktor“ und findet gerade
Dieses Menschenbild untersucht die Ger-
sein Beobachtungsobjekt in der Kleidung.
manistin unter anderem anhand der Werke
In diesem Fall handelt es sich jedoch um
von Hugo von Hofmannsthal und Arthur
einen ästhetisierten Blick, der nach Bach
Schnitzler. Aufschlussreich sind die Beob-
verknüpft ist mit einer Sexualisierung.
1227
achtungen Rieglers zur Erzählung Sterben
Loos arrangiert den schwelgerischen Blick
von Arthur Schnitzler von 1892. In dieser
auf die Tänzerin. Genauso wie die Position
Erzählung wird das Fenster zur „homo-
der Tänzerin wird der Betrachter verortet
clausus-Metapher“, so eine Kapitelüber-
und beide über den Blick miteinander ver-
schrift Rieglers.1230 Auch wenn in diesem
bunden. Das Haus umfasst somit hauptsäch-
Zusammenhang eine deutliche Vereinsa-
lich – wie Beatriz Colomina betont – die
mung der Protagonisten mithilfe des kont-
Idee eines narzisstischen und voyeuristi-
rastierenden Blickes in die Außenwelt
schen Aquariums.
durch das Fenster inszeniert wird und sich
1228
Dieses Oszillieren zwischen Bedecken,
als zuspitzendes Motiv im Laufe der Erzäh-
Schauen-Wollen und emotionalem Unbe-
lung beklemmend manifestiert, handelt es
rührtsein wird am Loos-Haus am augen-
sich
scheinlichsten an den Fenstern des Salons.
risch-künstlerische Quelle, die beweist, wie
Sie sind nicht nur wörtlich, sondern auch im
sehr architektonische Formen mit dem inne-
übertragenen Sinn die Schnittstellen zwi-
ren Leben der Menschen verknüpft wurden.
schen innen und außen, die sich an der
Diese „triebregulierende Scheidewand“
maskierten Fassade manifestieren. An ihnen
lässt sich aber im Falle von Loos nicht auf
um
eine
zeitgenössische
litera-
Norbert Elias beziehen, sondern muss viel1225 Long 2011, S. 195. 1226 Bach 2006, S. 46f. 1227 Bach 2006, S. 46f. 1228 Colomina 1994, S. 264 und S. 281 sowie Colomina 1997.1, S. 208–210.
mehr auf zeitgenössische Quellen wie zum 1229 Riegler 2003, S. 11. 1230 Riegler 2003, S. 51–54.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
Beispiel Freuds Theorie der Sublimierung
Clubs White’s kannte. Dieses war der Ort,
zurückgeführt werden.
an dem Brummell thronte und mit seinen
1231
Loos verortet den Kunden des Schneidersalons in einer Vielzahl von Blicken, die
Engsten als council of taste über das Londoner Leben richtete.1234
exakt inszeniert sind. So steht der Kunde
In Zusammenhang mit der Lenkung von
auch nicht direkt an den Fenstern, sondern
Blicken muss auch die Verwendung von Spie-
wird durch die Podeste der Erker, die sich
geln im Geschäft von Goldman & Salatsch
durch die bay windows natürlich ergeben,
thematisiert werden. Marie Theres Stauffer
von ihnen entrückt und kann demnach nicht
bezeichnet die Spiegel technisch treffend als
an der Fassade hinabschauen (Abb. 86). Ihm
Reflexionsflächen.1235 Sie prägt für den spe-
verbleibt
eines
zifischen Umgang mit Spiegeln bei Loos den
Zuschauers auf die Kulisse der umliegenden
der
distanzierte
Blick
Begriff des „Spiegelkabinetts“.1236 Mithilfe
Seiten des Michaelerplatzes. Damit offenbart
dieser Benennung zieht sie die Nähe zu ver-
sich eine Szenerie dandyhafter Haltung, die
spiegelten Kabinetten des 17. und 18. Jahr-
sich aufgrund des architektonischen Rah-
hunderts, die vor allem im Umfeld von Fürs-
mens von selbst – vom Architekten wohl aber
ten und Fürstinnen der Unterhaltung und
bewusst gelenkt – einstellt. Auch wenn das
Zerstreuung dienten. Im Falle des Loos-Hau-
bay window als ein Zitat des bereits von 1900
ses, das im Treppenbereich zwischen Erdge-
bis 1902 erbauten Hauses Ataria als eine ört-
schoss und Mezzanin solch ein Spiegelkabi-
liche Einbettung des Gebäudes zu verstehen
nett aufweist (Abb. 85), stellt sich demnach
ist,
da das Gebäude von Max Fabiani sich
für Stauffer eine Reminiszenz an die Hofburg
fast gegenüber des Loos-Hauses am Kohl-
ein und damit eine Standortstärkung.1237 Des
markt 9 befindet,
ist es ebenso denkbar,
Weiteren betont Stauffer die ökonomischen
dass Loos das bow window des Londoner
und praktischen Funktionen dieses Spiegel-
1232
1233
kabinetts. Zum einen steigerten seine Reflek1231 Für die Werke Hugo von Hofmannsthals ist ebenso eine Nähe zu Freuds Theorien belegt. Dies ist nachzulesen bei Braungart 1995, S. 219–230. 1232 Pogacnik 2011, S. 32. 1233 Ebenso wird das nicht weit entfernte Haus Zacherl (1903–1905) von Josef Plečnik als Vorbild aufgeführt. Weiterhin wird das Studebaker Building (1884) – auch Fine Arts Building genannt – von Solon Spencer Beman in Chicago als Inspirationsquelle für Loos aufgezählt. (Czech und Mistelbauer ²1977, S. 108) Bemerkenswerterweise wurde zeitgleich zum Loos-Haus 1910 im 7. Wiener Gemeindebezirk Neubau nahe der Mariahilfer Straße ein weiteres Gebäude mit bay windows erbaut. Das Wohn- und Geschäftshaus von Leopold Fuchs, das auf dem Grundstück Kirchengasse 3 errichtet wurde, wird ansonsten jedoch vielmehr der secessionistischen Formensprache zugeordnet. (http://www.architektenlexikon.at/ de/155.htm, 27.07.2015)
tionen durch die Zersplitterung des Blickes etwa die Kauflust der Kunden und zum anderen ermöglichen die Spiegel bis heute eine Verteilung des von oben einfallenden Lichtes in die Räumlichkeiten, die so nicht nur über die Fenster der Seite zum Michaelerplatz erhellt werden.1238 Besonders aufschlussreich ist aber die Assoziation des Toilettenspiegels, die Stauf-
1234 Erbe 2002, S. 56. 1235 Stauffer 2008, S. 1236 Stauffer 2008, S. 1237 Stauffer 2008, S. 1238 Stauffer 2008, S.
169–187. 175. 177f. 176–178.
345
346
3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur
fer für die drei je im stumpfen Winkel anei-
und Schachel davon, dass Loos auf der
nander drängenden, mit Spiegel verkleideten
Columbus-Weltausstellung in Chicago den
Treppenhauswände entwickelt.1239 Mithilfe
japanischen Pavillon gesehen haben muss
dieser Verknüpfung wird nämlich das gesam-
und formulieren klar eine Beeinflussung sei-
te Geschäft zum Ankleidezimmer. Die Pro-
ner späten Interieurs durch die japanische
zedur des Dandys, der mehrere Stunden fürs
Architektur.1243 Die Geisha, eine Gesellschaf-
Ankleiden benötigt, wird auf den Einkauf
terin, die vor allem durch Tanz, Gesang und
der dazu benötigten Waren zelebrierend
Konversation im Teehaus unterhalten sollte,
übertragen. Im Falle von Beau Brummell sind
zeichnete sich eben auch durch ein masken-
die Überlieferungen berühmt, in denen sogar
artiges Äußeres aus. Das Schminken, Frisie-
Georg IV., der Prinz von Wales, diesem Ent-
ren und Ankleiden folgte einem strengen
stehungsprozess der Perfektion beiwohn-
Regelwerk. Die Frauen erreichten erst nach
te.
Fast einem religiösen Ritus folgend,
einer langjährigen Ausbildung, die bereits im
wird das tägliche Ankleiden zum festen
Kindesalter begann, den Status einer Geisha.
Bestandteil eines Individualkults. An dieser
Das spezielle Make-up der Geisha, aber auch
Stelle erklärt sich auch die zuvor in dieser
das generelle Make-up ist das „Symptom einer
Arbeit formulierte Gedankenverbindung mit
Selbstverdinglichung“.1244 Jene „Selbstver-
einem Triptychon. Der Kult um die eigene
dinglichung“ überträgt Loos auf seine Archi-
Person wird zum Religionsersatz, dem eine
tektur. Er verkörpert in seiner Architektur
zumindest exklusive Gemeinde beiwohnt.
ein idealisiertes Menschenbild, das er im Rah-
Bereits Freud hatte den Spiegel als Reprä-
men seiner Schriften predigte. Loos ist daher
sentation der Psyche gefasst, durch den das
nicht als ökonomisch sozial denkender Archi-
Selbstporträt eines Subjekts zurückgeworfen
tekt per se zu definieren, sondern als ein
werde.1241 In diesem Zusammenhang lässt
‚Dinghersteller‘, der sich die ethische Erzie-
sich die Fassade des Hauses am Michaeler-
hung seiner Mitmenschen zum Lebensziel
platz (Abb. 4 und 73) nicht nur als Maske
gesetzt hat. Dabei macht er die Dinge zu
interpretieren, sondern auch überspitzt mit
„Delegierten seiner Moral“.1245 Robert Hod-
der Erscheinung einer Geisha vergleichen.
onyi sieht bei Loos’ Architektur sogar eine
Bereits bei der Villa Karma von Adolf Loos
„messianische Rolle“ intendiert.1246 Das Haus
finden sich des Öfteren Bezüge zur japani-
wird im Werk Loos’ zum gebauten Gedan-
schen Kultur,
ken, sowie es bereits Karl Kraus im Falle des
1240
1242
daher scheint dieser zunächst
kühn anmutende Vergleich nicht unwahr-
Hauses am Michaelerplatz betonte:
scheinlich. Des Weiteren sprechen Rukschcio
1239 Stauffer 2008, S. 176f. 1240 Vergleiche dazu Schickedanz 2000, S. 43–49. Schickedanz geht sogar so weit, im Falle von Brummells Toilette von einem Lever zu sprechen. 1241 Vergleiche dazu Colomina 1997.1, S. 206f. 1242 Vergleiche dazu die Beobachtungen in dieser Arbeit auf S. 72.
1243 Rukschcio und Schachel 1982, S. 24. Vergleiche dort auch S. 322, S. 368f. und S. 416f. Vergleiche ebenso zum Einfluss japanischer Kultur auf Adolf Loos Stewart 2000, S. 67f. 1244 Ullrich ²2009, S. 84f. 1245 Ullrich ²2009, S. 74. 1246 Hodonyi 2010, S. 138f. Vergleiche dazu Pfabigan 1991, S. 64.
3.4. Das Haus am Michaelerplatz
„Er hat ihnen dort einen Gedanken hin-
Emotion. Adolf Loos baut den Wienern
gebaut. Sie aber fühlen sich nur vor den
daher nicht nur einen Gedanken, sondern
architektonischen Stimmungen wohl und
bietet ihnen mit seinem Gebäude regelrecht
haben darum beschlossen, ihm die unent-
ein über den Leib und die Wahrnehmung
behrlichen Hindernisse in den Weg zu le-
erkennbares Probierfeld für einen zeitgemä-
gen, von denen er sie befreien wollte. Die
ßen Lebensstil. Dieses Zusammenspiel aus
Mittelmäßigkeit revoltiert gegen die
architektonischen und soziologischen Aspek-
Zweckmäßigkeit. Die selbstlosen Hüter
ten gestaltet das Haus am Michaelerplatz zu
der Vergangenheit, die sich lieber unter
einer Stimmungsarchitektur, die ähnlich
dem Schutt baufälliger Häuser begraben
einem Gesamtkunstwerk im Sinne einer Bil-
sehen als in neuen leben möchten, sind
dung eines gesellschaftlichen Ideals auf den
nicht weniger empört, als die Kunstmau-
Körper des Einzelnen übergreift.
rer, die eine Gelegenheit schnackiger Ein-
Am Endpunkt dieses Kapitels und der Ein-
fälle versäumt sehen und zum erstenmal
zeluntersuchungen angekommen offenbart
fühlen, wie sie das Leben als tabula rasa
sich, wie sehr auch die Loos’sche Architek-
anstarrt.“1247
tur in einer Konsumwelt zu verorten ist. Es stellt sich nun die Frage nach der Haltung
Das Wort „Stimmung“ wie es hier von Karl
des Architekten zum Warenkult. Diese ist
Kraus verwendet wird, ist jedoch nicht
ebenso relevant für das Schaffen Loos’ wie
deckungsgleich mit dem Begriff der Stim-
auch für dasjenige Hoffmanns. Daher soll
mung, wie er im Rahmen dieser Arbeit ent-
sich im Schlusskapitel mittels des Vergleichs
wickelt wurde. Stimmung setzt Karl Kraus
dem Begriff des Gesamtkunstwerks gewid-
in diesem Zitat mit falscher Sentimentalität
met werden. Denn auch wenn sich beide
und überreizter Formfindung gleich, wäh-
Architekten über die Konsumwelt an ihre
rend die Stimmung aus heutiger Sicht auch
Kundschaft empfahlen, bleibt die Frage nach
als Vehikel zur Vermittlung eines ‚Gedan-
der dahinter stehenden Intention. Wie liegt
kens‘ fungieren kann. Wie ja auch Loos die
die Gewichtung zwischen Ästhetik und
Schaffung von Stimmungen als die Aufgabe
Ethik? Diese ist stark verknüpft mit den
des Architekten erachtet.
Topoi des Gesamtkunstwerks sowie des
Das Haus am Michaelerplatz ist demnach
Ornaments und nicht zuletzt auch mit dem
auf vielfältige Art und Weise in sein Umfeld
Topos der Stimmung.
eingeschrieben. Sowohl seine sensible Verortung im Stadtraum als auch seine mannigfaltigen Verknüpfungen mit dem Ideal des Großstadtmenschen machen es zu einem Zeugnis einer Ästhetik, die geprägt ist von einem Oszillieren zwischen Leiblichkeit und
1247 Kraus 1910, S. 5.
347
4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung
4.1. Das Gesamtkunstwerk als „geistige Grundstimmung“
zeitgenössischen Begriffs der Stimmung verständlich, wie dominant emotional sowohl die Rolle des Architekten als auch das Erscheinungsbild seiner Architekturen wahr-
Alle behandelten Bauwerke – Villa Karma,
genommen wurde. Wie konsequent der
Palais Stoclet, Sanatorium Purkersdorf und
Begriff der Stimmung als Kondensat eines
Haus am Michaelerplatz – sind in ihrer spe-
Zeitphänomens um 1900 für den deutschen
zifischen Prägung im weiteren Sinne ein
Sprachraum erklärt werden kann, zeigt seine
Gesamtkunstwerk, da es sich um ganzheit-
Verbreitung. Da wäre einerseits Alois Riegls
lich gestaltete Welten handelt. Sie sind kei-
Aufsatz Die Stimmung als Inhalt der moder-
nesfalls beliebig bespielbare Räumlichkeiten.
nen Kunst von 1899.1 Andererseits deklariert
Ob Villa Karma, Palais Stoclet, Sanatorium
Martin Heidegger die Gestimmtheit zu einem
Purkersdorf oder das Haus am Michaeler-
„anthropologischen Grundbegriff“,2 wenn er
platz: Jedes dieser Gebäude verortet auf sei-
formuliert: „Gestimmtsein ist die Grundwei-
ne spezifische Art und Weise den modernen
se, wie das Dasein als Dasein ist“.3 Ebenso
Großstadtmenschen in einem kulturellen
ist der Begriff der Stimmung wiederholt für
Geflecht und bietet ihm über seine Anlage
das Frühwerk Hugo von Hofmannsthals
und Gestaltung gewisse Bewegungs-, Verhal-
nachgewiesen. Der Literaturwissenschaftler
tens- oder Lebensmodelle an. Josef Hoffmann
Hans-Georg von Arburg führt dies auf die
und Adolf Loos fertigten Arbeiten, die den
„notorische Krise des Subjekts“ um 1900
Benutzern dieser Gebäude Orientierungskon-
zurück. Weiterhin weist von Arburg eine
zepte und -strategien bieten sollten. Diese
Differenzierung zwischen dem umgangs
vom Architekten intendierten Rollenbilder
sprachlichen Sprachgebrauch des Wortes und
oder Lebensstile drücken sich auch durch
dem Begriff der „Stimmungskunst“ für von
eine Emotionalisierung von Architektur in den öffentlichen Debatten der Metropole Wien um 1900 aus. Dabei wurde mithilfe des
1 Riegl 1928 (1899), S. 28–39. 2 Recki 2010, S. 2. 3 Zitiert nach Recki 2010, S. 2.
350
4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung
Hofmannsthal nach.4 Der Philosoph und
Auch spezifisch für das kulturelle Feld der
Schriftsteller Fritz Mauthner (1849-1923)
Architektur ist der Begriff der Stimmung um
unterschied überdies in seiner Publikation
1900 wiederholt nachzuweisen. Nicht nur
Beiträge zu einer Kritik der Sprache
Heinrich Wölfflin griff in seiner Dissertation
(1901/1902) den „Begriffsinhalt“ vom „Stim-
Prolegomena zu einer Psychologie der Archi-
mungsgehalt“ eines Wortes, und zuvor hatte
tektur (1886) den Stimmungsbegriff auf,
bereits 1893 Arthur Schnitzler in seinem Pro-
wenn er fragt: „Wie ist es möglich, dass archi-
satext Spaziergang ein „Geheimnis der Stim-
tektonische Formen Ausdruck eines Seeli-
mung“6 formuliert. In den vier Protagonisten
schen, einer Stimmung sein können?“10 Auch
des Stücks Hans, Max, Stefan und Fritz sind
der deutsche Architekt und Architekturthe-
Hermann Bahr, Richard Beer-Hofmann, von
oretiker Gustav Ebe (1838–1916) geht in sei-
Hofmannsthal und Schnitzler porträtiert. Der
nem Buch Architektonische Raumlehre von
gesamte Spaziergang verhandelt nach der
1900 davon aus, dass „die Übertragung der
Literaturwissenschaftlerin Anna-Katharina
vom Künstler gewollten Stimmung auf den
Gisbertz ein Gespräch über Stimmung, wobei
Beschauer, […] doch vorzugsweise in den
der Begriff Stimmung ihrer Ansicht nach
Bauwerken zum eindringlichsten Ausdruck
sowohl an „Orte“ als auch an „Erlebnisse“
[kommt; LT]“.11 Ferner fordert 1918 der deut-
geknüpft sowie als ein „ganzheitliches Erle-
sche Architekt Herman Sörgel (1885–1952)
ben“ beschrieben wird. Thomas W. Gaeht-
in seiner Theorie der Baukunst im Rahmen
gens weist ferner Stimmung als Begriff der
der Architektur-Ästhetik: „Die Architektur
deutschen Böcklin-Rezeption um 1900 nach.
hat in ihrem Stimmungswert dem Charakter
Wobei der Stimmungsbegriff bei Böcklin in
der Zeit Rechnung zu tragen.“12 Ebenso
Beziehung zu der Verwurzelung des Malers
sprach Rudolf Steiner (1861–1925), der
in der Romantik gesetzt wurde. Man sprach
Begründer der Anthroposophie, in seinem
in der deutschen Kunstkritik von einer „Farb-
Vortrag über die Gestaltung des Versamm-
stimmung“, „Abendstimmung“ und „Natur-
lungssaals des Theosophischen Kongresses
stimmung“ in Böcklins Gemälden – womit
in München von 1907 von „Grundstimmun-
auf eine emotionale Rezeption beziehungs-
gen“, die sich etwa mittels der Farbwahl und
weise Beteiligung des Betrachters angespielt
des „Stimmungsgrundton[s]“ der jeweiligen
wurde.8 Außerdem erschien 1905/1906 in
Farbe ausdrückten. Wobei beispielsweise Rot
der Deutschen Kunst und Dekoration ein
eine gewisse „Festlichkeit“ für ihn evoziere.13
Artikel Karl Widmers mit dem bezeichnen-
Wie eng wiederum für Steiner die Verbin-
den Titel Farbe und Raumstimmung.
dungen zum Wiener Kulturkreis sind, belegt
5
7
9
ein überliefertes Wortgefecht zwischen ihm 4 Arburg 2010.1, S. 20–27. 5 Siehe dazu Gisbertz 2009, S. 91–97 und Gisbertz 2011.2, S. 177–179. 6 Zitiert nach Gisbertz 2011.2, S. 179. 7 Gisbertz 2011.2, S. 179. 8 Gaehtgens 2010, S. 197–211. 9 Widmer 1905–1906, S. 204–209.
und Hermann Bahr zum unrettbaren Ich im
10 Wölfflin 1999, S. 7. 11 Ebe 1900, S. 2. 12 Sörgel 1998 (³1921), S. 276. 13 Steiner 1977 (1907), S. 35–42.
4.1. Das Gesamtkunstwerk als „geistige Grundstimmung“
Wiener Caféhaus Griensteidl; wobei Steiner
chen.18 Es wäre zu kurz gedacht, wenn man
jedoch eine deutliche Gegenposition zum
das übliche Bild von Kern und Hülle bezie-
Bild des sich in Entitäten auflösenden Ichs
hungsweise Ornament als die ‚Wahrheit‘ oder
einnimmt.
Konstruktion verhüllende ‚Lüge‘ bei Hoff-
14
Grundlegend für den Vergleich zwischen
mann zeichnen und Loos einfach als Vernei-
Hoffmanns und Loos’ Gesamtkunstwerken
ner eines solchen Konzeptes definieren wür-
sind neben dem der Stimmung die Begriffe
de. Insbesondere im Falle der Villa Karma
Ornament und Maske, die beide in engem
und des Hauses am Michaelerplatz finden
Bezug zueinander stehen und zusätzlich in
sich maskierende, anonymisierende Struk-
den Debatten um 1900 ein Beleg für die Emo-
turen in der weißen, ‚nackten‘ Wand und das
tionalisierung von Architektur sind. Zumeist
Ornament am Sanatorium Purkersdorf – das
versteht man nämlich das Ornament als Mus-
Quadrat – wurde sowohl zur dekorativen als
ter, das auf einen Grund aufgetragen wird
auch strukturellen Grundeinheit der Archi-
und damit als eine Maske des architektoni-
tektur.19 Die weiße Wand ist bei den Bauwer-
schen Trägers zu definieren ist. Gerade die-
ken Loos’ weder Struktur noch Ornament.20
ses eingängige Bild von Ornament als Deko-
Während das Ornament des Sanatoriums
ration funktioniert jedoch nicht mehr in den
Purkersdorf nicht nur Schmuckform, sondern
Werken Hoffmanns und Loos’. Bereits durch
– wie bei Semper auch benannt – „Symbol
Gottfried Sempers Bekleidungstheorie ist das
der Zweckform“ ist.21 So erklärt sich zumin-
Ornament nicht mehr allein im Sinne einer
dest teilweise, warum Loos sich gegen die
nach außen vermittelnden Funktion zu ver-
Verwendung des Quadrats bei den Secessi-
stehen, sondern gehört zur Struktur eines
onisten stellte und ähnliche Formfindungen
Bauwerks. Auch Friedrich Theodor Vischer
seiner Fenster am Haus am Michaelerplatz
lehnt jene strikte Trennung der Architektur
anders verstanden wissen wollte. So schreibt
in Kern und Hülle ab. Er plädiert vielmehr
er 1911 in seinem Artikel Mein Haus am
für eine gesamteinheitliche Betrachtungswei-
Michaelerplatz zu den annähernd quadrati-
se und nicht etwa für das Sezieren eines Wer-
schen Fenstern an der Fassade seines H auses:
15
kes.16 Der ‚ornamentale‘ Teppich oder die Textilkunst ist für Semper nicht Verkleidung
„Man hatte unterdessen auf die nahezu
der Wand, sondern aus ihm entwickelt sich
quadratischen Fenster geschimpft und al-
oder besteht ursprünglich die Wand.
Die
len Ernstes in der Presse die für mich si-
Fassade wurde weiterhin bereits von Jac-
cher schmeichelhafte Behauptung aufge-
ques-François Blondel mit der „Physiogno-
stellt, die dreiteiligen Fenster erfunden zu
mie [des; LT] menschlichen Leib[es]“ vergli-
haben. Jemand tadelte auch die vierecki-
17
gen Fenster und fand es unerhört, was 14 Vergleiche dazu Zumdick 2007, S. 65f. 15 Vergleiche dazu Ocón Fernández 2004, S. 387. 16 Vergleiche dazu Kroll 1987, S. 28f. 17 Ocón Fernández 2004, S. 387f. Vergleiche dazu Kroll 1987, S. 47–49.
18 19 20 21
Wolfgang Pehnt zitiert nach Harather 1995, S. 10. Vergleiche dazu Auer und Klee 2011, S. 153. Vergleiche dazu Ocón Fernández 2004, S. 388f. Vergleiche dazu Kroll 1987, S. 49–51.
351
352
4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung
außerhalb Wiens große Verwunderung er-
ein Ausleben des Fantasietriebes des Men-
regte, da doch Häuser mit dreieckigen
schen versteht – miteinander verknüpft wer-
Fenstern nur bisher in Schilda gebaut wur-
den. Isabelle Frank bezeichnet Riegls „Dar-
den. Dreigeteilte Fenster sind immer na-
stellungsstrategie“ in seiner Publikation
hezu quadratisch, und kein Mensch konn-
Stilfragen gar als eine Methode, um das Orna-
te bisher einen Schönheitsfehler bei diesen
ment frei von materiellen, technischen oder
erblicken. Ich klage die Dekorationswei-
funktionalen Bedingungen – demnach deut-
se der sogenannten modernen Wiener
lich Sempers Herleitung widersprechend – zu
Richtung an, daß sie durch den Mißbrauch
verdeutlichen. Riegl wählt nämlich eine in
des Quadrates selbst eine so herrliche Flä-
Form und Farbe reduzierte Darstellungsform
che, wie sie das Quadrat darstellt, in Miß-
der Ornamente und löst sie auf diese Art und
kredit gebracht hat. Daß gerade ich, der
Weise aus ihrem handwerklichen Kontext.
Hauptgegner dieser falschen, kulturlosen
Diese regelrecht schematische Darstellungs-
Richtung, zu leiden habe, ist unangenehm.
weise befördert Riegls Interpretation des
Sie haben das Quadrat, da es nicht mehr
Ornaments im Sinne einer Stilentwicklung.23
seine Schuldigkeit tun will, zum alten Ei-
Dabei meint Riegl nicht etwa das individua-
sen geworfen und versuchen jetzt, ande-
listische Kunstwollen eines einzelnen Künst-
re Formen zu entwerten. Ich kann mich
lers, sondern vielmehr den „ästhetischen
aber durch derlei nicht irre machen las-
Drang einer Epoche“.24 Genau jenes Kunst-
sen. Für sie ist oder war das Quadrat das
wollen lässt sich bei unterschiedlicher Aus-
Primäre, also eine Spielerei. Ich mache
prägung in den Bauwerken Hoffmanns und
Fenster und teile Scheiben. Entsteht da-
Loos’ um 1900 beobachten und findet im
durch etwas Quadratähnliches, so ist es
Begriff der Stimmung seine Konkretisierung.
geworden gegen meinen Willen. Wie die
Dies würde Loos’ eben zitierte, merkwürdig
Pflanze wird, ob sie will oder nicht.“
anmutende Analogie seines Arbeitens mit der
22
natürlichen Konsequenz des PflanzenwachsIn Anlehnung an die Freud’sche Sublimie-
tums zumindest teilweise erklären und wei-
rungstheorie ist es aber auch möglich zu argu-
terhin die zuweilen erstaunlichen Formpar-
mentieren, Loos und Hoffmann hätten beide
allelen in den Werken Hoffmanns und Loos’.
aus einem Kunstwollen heraus intellektuell
Das Kunstwollen nach Riegl wurde grund-
konzipierte und emotional nachvollziehbare
legend für die berühmte Dissertation Abs-
Bauwerke geschaffen. Nun ist es zunächst
traktion und Einfühlung Wilhelm Worringers
verwunderlich, dass an dieser Stelle Sempers
von 1907.25 Indem man die „Stilprinzipien
Bekleidungstheorie – die eine „technisch-ma-
des Ornaments“ gleichsetzte mit dem „abso-
terielle Entstehungstheorie des Ornaments“
luten Kunstwollen“, war man der Ansicht,
entwickelt – und Alois Riegls Kunstwollen – das vielmehr im Entstehen des Ornaments
22 Loos 2010 (1911), S. 425.
23 Frank 2001, S. 92. 24 Vergleiche dazu Kroll 1987, S. 59–62. 25 Vergleiche dazu Kroll 1987, S. 69–77 und Prange 1991, S. 29–32.
4.2. Henry van de Velde und die Emotionalisierung von Linien
man gewinne ebenso die „geistige Grund-
Die Vermittlung von Ganzheit, Ruhe und der
stimmung“ – um es mit den Worten Franz-Lo-
Möglichkeit für die Wahrnehmung des Men-
thar Krolls zu fassen – eines Kulturkreises zu
schen zum Verweilen findet für diese Unter-
einer bestimmten Zeit. Diese Methode nach
suchung im Sanatorium Purkersdorf ihre
Riegl weiterentwickelnd, folgert Worringer
dominanteste und prägnanteste Ausgestal-
aus dem ornamentalen Abstraktionsdrang im
tung. Aber Loos schafft ebenso mit seinen
Rückschluss auf eine Irritation des Menschen.
klaren Fassaden der Villa Karma und des
Das geometrisch geordnete Ornament wird
Hauses am Michaelerplatz ruhige Fassaden.
von Worringer zum „Haltepunkt“ und
Ruhig daher, weil die Fassade dem Betrach-
Moment des „Ausruhens“ gezeichnet.27 Auch
ter gegenüber regelrecht verstummt und eine
wenn er sich in diesem Fall auf den frühzeit-
Art von autistischer Haltung einnimmt.32
lichen Menschen bezieht, wird deutlich, wie
Deutlich wird eine in der Kunsttheorie um
präsent um 1900 das Bild einer für den Men-
1900 mit emotional gesetzten Schlüsselbe-
schen gestalteten, beruhigenden, abstrahie-
griffen aufgeladene Debatte, die als Entste-
renden Umgebung war.
hungshorizont für die hier behandelten
26
28
Demnach handelt
es sich um eine „stilpsychologische Metho-
Architekturen wesentlich ist.
de“, da man vom Empfinden einer Epoche auf deren Kunstschaffen schließt.29 Neben dieser produktionsorientierten Sichtweise
4.2. Henry van de Velde und die Emotionalisierung von Linien
existierte aber um 1900 bereits die rezeptionsästhetische Theorie der Einfühlung, die
Neben diesen kunsttheoretischen Erörterun-
ebenso von Worringer ins Zentrum seiner
gen des Stimmungsbegriffs soll die Idee einer
Dissertation gestellt wurde. So heißt es dort:
„geistigen Grundstimmung“ für die Zeit um
30
1900 noch durch einen punktuellen Ver„Vielmehr sind wir mit Lipps der Ansicht,
gleich mit dem theoretischen Werk Henry
‚daß die geometrisch regelmäßigen Gebil-
van de Veldes und dem Œuvre Joseph Maria
de ein Gegenstand der Lust sind, weil ihre
Olbrichs vertieft werden. Zentral sind der
Auffassung, als eines Ganzen, der Seele
Begriff der Linie und sein emotionstheoreti-
natürlich ist, oder weil sie im besonderen
scher Horizont sowie dessen Bezug zum
Maße einem Zug in der Natur oder im
Gesamtkunstwerk. Dabei ist besonders rele-
Wesen der Seele gemäß ist.’“
vant, dass nicht nur Loos sich als Antagonist
31
Henry van de Veldes verstand, sondern ebenso Hoffmann sich von den Arbeiten des Bel26 Kroll 1987, S. 74. 27 Vergleiche dazu Kury 2000, S. 340. 28 Kroll 1987, S. 72f. Vergleiche dazu Worringer 1987 (1908), S. 53f. und Kroll 2001, S. 168f. 29 Kroll 1987, S. 82 und S. 135. 30 Worringer 1987 (1908), S. 36–40. Vergleiche dazu Kury 2000, S. 331–333. 31 Worringer 1987 (1908), S. 102.
giers distanzierte. Loos überhäuft sowohl van de Velde als auch die Secessionisten mit einer über Jahre andauernden Schimpftirade. Dabei kreidet
32 Dröge und Müller 1995, S. 156.
353
354
4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung
er ihnen unter anderem ihr gleichzeitiges
wir es an der Übereinstimmung mit dem
Arbeiten als Architekten und Entwerfer für
Charakter des Träger erkennen müss-
Frauenkleidung an oder ihr zeitweiliges
ten.“37
Dasein als „Modegecken“.33 Er degradiert die Erzeugnisse der Wiener Werkstätte aus
Hoffmann formuliert im weiteren Verlauf
seinem Verständnis von Design heraus als
seines Artikels, durch die Stärkung des Indi-
„Damenschneider“-Arbeiten und empfiehlt
viduellen in der Kleidung eine Befreiung von
ihnen, sich doch auf diese Form des Entwer-
der „Tyrannei der Mode“ zu ermöglichen.38
fens zu konzentrieren. Das Realisieren von
Während Loos in der Maske eine Schutz-
Gesamtkunstwerken durch die Secessionis-
schicht für das zu bedeckende, intime Indi-
ten und Henry van de Velde reduziert Loos
viduelle sieht, versteht Hoffmann das Bild
in seiner Satire Von einem armen reichen
der Maske ihrem klassischen Verständnis
Mann auf die Oberfläche der durchgestalte-
nach als eine Vorblendung, die nicht im Ein-
ten Wohnwelt. Für ihn wird jener Ästhetizis-
klang mit dem folglich Überspielten steht.39
mus von den Secessionisten über die Bedürf-
So heißt es in Hoffmanns Aufsatz Einfache
nisse des Bewohners und dessen persönlichen
Möbel von 1901:
34
Geschmack
gestellt,
35
während
die
Secessionisten sich und ihre Arbeit diametral
„Und dennoch, wenn es in uns tagt, nicht
entgegengesetzt definierten. Elana Shapira
hier und dort, sondern weit und breit, so
sieht in dem Artikel Das individuelle Kleid
weit unsere Blicke reichen, wenn wir wie-
von Hoffmann aus dem Jahr 1898 bezeich-
der beginnen uns mit Schönheit allenthal-
nenderweise eine direkte Antwort auf Loos’
ben zu umgeben – mit selbstbewusster
Kleidungsverständnis gegeben. Dort unter-
Schönheit, nicht mit erborgter erlogener
streicht Josef Hoffmann:
Maske – muss uns da nicht wieder Hoff-
36
nung beseelen?“40 „So wie wir auf große Distanz jeden Bekannten schon an seiner Art des Gehens,
Hoffmann zieht jedoch des Weiteren den
der Bewegung an und für sich erkennen,
Schluss, nicht jeder verfüge über das nötige
so wie seine Stimme schon so eigenthüm-
Selbstbewusstsein, um sich sein „individuelles
lich ist, daß uns der erste Ton sagt, wem
Kleid“ gekonnt auszuwählen. Daher formu-
sie angehört, das Auge, daß hinter einer
liert er für die Secession einen Bildungsauf-
Maske hervorblitzt, erkannt wird, so
trag der zumindest anfänglich einen vormund-
möchte man sagen, daß der Zipfel eines
schaftlichen Erziehungston anschlägt:
Kleides, die Art, wie es getragen wird, uns ebenso bekannt erscheinen müßte, daß
33 Vergleiche dazu Wigley 1996, S. 190–202. 34 Wigley 1996, S. 209 und Loos 2010 (1929), S. 698. 35 Vergleiche dazu Wigley 1996, S. 193f. 36 Shapira 2004, S. 184.
37 Hoffmann 1898, S. 252. 38 Hoffmann 1898, S. 252. Vergleiche dazu Wigley 1996, S. 202f. 39 Siehe auch Wigley 1996, S. 205. 40 Hoffmann 1901, S. 199.
4.2. Henry van de Velde und die Emotionalisierung von Linien
„Ein großer Übelstand ist die Bedürfnis-
jeweils geschaute Werk“42 – wie es der His-
losigkeit des Publicums. Dieses trägt über-
toriker Frank-Lothar Kroll 1987 formulierte
haupt vielfach die Schuld, wenn wenig
–, konnte sich auch eine Theorie wie die Hen-
Gutes geleistet wird. Es ist zu träge, um
ry van de Veldes entwickeln, nach der der
den richtigen Weg und den richtigen
Künstler „seine seelischen Empfindungen,
Künstler zu suchen und sich nicht dessen
Stimmungen und Gefühle in ornamentale
bewusst, dass es die Aufgabe hat, genau
Linien“43 projiziere. So heißt es in Henry van
seine Wünsche zu präcisieren. Hätten wir
de Veldes Essay Die Linie:
ein gut geschultes Publicum, dessen Auge klar unterscheiden würde zwischen gut
„Linien – übertragene Gebärden – offen-
und schlecht, welches nicht auf Artikel
kundige psychische Äußerungen, deren
und Hörensagen angewiesen wäre, wenn
Primitivität die Nuancen beschränkte. So
es seine Bestellungen macht, welches mit
erkennen wir in der ersten Linie aus-
Bewusstsein den Comfort verlangen und
schließlich Äußerungen von Lebenskraft
jeden unnützen Tand verwerfen würde,
und Erregung, kindlicher Freude, rück-
dann hätten wir bald nichts Schlechtes
haltloser Lust. […] Die Linie ist etwas Ab-
mehr zu sehen, denn es fehlt den meisten
straktes, das sich aus dem Vergleich mit
Entwurfskünstlern nicht so sehr an Ta-
den gesamten Dokumenten, die Nationen
lent, als an Charakter und an dem nötigen
und Epochen hinterlassen haben, heraus-
Halt. Ich verstehe darunter die Nachgie-
bilden wird, und diese Linie, die wir dann
bigkeit gegenüber seinen und seines Be-
nach jener Nation und jener Epoche der
stellers Launen und falschen Empfindun-
Geschichte benennen, wird uns ebenso
gen, das Stimmungmachen in Räumen des
zuverlässige Auskunft über die Gefühle
täglichen Lebens und das falsche Pathos
und Charaktere, über die ganze Psycho-
dort, wo wir nach Natürlichkeit lechzen
logie dieser Rassen und Zivilisationen ge-
sollten. […] Ich glaube, dass ein Haus wie
ben als die Geschichte selbst, die doch
aus einem Guss dastehen sollte und dass
über tausend Forschungsmittel verfügt.“44
uns sein Äußeres auch schon sein I nneres verraten müsste. Wohl gebe ich eine Steigerung der Mittel zu, flehe aber um Einheitlichkeit der Räume untereinander.“41 Ein Geflecht aus Charakter, Empfindung und Wirkung von Architektur wird für das Fin de siècle überdeutlich. Nur aus der Überzeugung heraus, der Betrachter lege „seine Empfindungen, Stimmungen und Gefühle in das
41 Hoffmann 1901, S. 202f.
42 Kroll 1987, S. 83. 43 Kroll 1987, S. 116. 44 Velde 1955 (1910), S. 181 und S. 186. Diese Textabschnitte sind in seinem Artikel Die Linie von 1908 nur teilweise enthalten. Der erste Abschnitt zur Linie als „übertragene Gebärde“ findet sich jedoch leicht abgeändert bereits im Artikel von 1908: „Linien – übertragene Gebärden – offenbare psychische Äußerungen, deren Primitivität die Nuancen beschränkte. So erkennen wir in der ersten Linie Freude, rückhaltloser Lust.“ (Velde 1908, S. 1035f.)
355
356
4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung
Henry van de Velde selbst studierte ebenso
keit zu dem Titel des erst 1911 erschienenen
wie Hoffmann und Loos sowohl die Schrif-
Essays Vom Stehen, Gehen, Sitzen, Schlafen,
ten Alois Riegls, Theodor Lipps’ als auch Wil-
Essen und Trinken von Adolf Loos. Loos
helm Worringers.
Sowohl Hoffmann als
wandte sich dessen ungeachtet öffentlich
auch Loos bezogen eine konträre Stellung
gegen Henry van de Velde. Er schreibt 1908
zu Henry van de Veldes Arbeit, obwohl sich
in seinem Artikel Die Überflüssigen „Eine
eine bemerkenswerte Parallele zwischen dem
gemeinsame Kultur und es gibt eine solche
schriftstellerischen Werk van de Veldes und
– schafft gemeinsame Formen. Und die For-
Loos’ beobachten lässt. So heißt es bei Hen-
men der Möbel von Van de Velde weichen
ry van de Velde in seiner Publikation Vom
ganz erheblich von den Möbeln Joseph Hoff-
neuen Stil von 1907: „Der moderne Mensch
manns ab. Für welche Kultur sollte sich nun
wäscht, badet, kleidet und wärmt sich anders
der Deutsche entscheiden? Für die Kultur
als der prämoderne Mensch; er liest, arbei-
Hoffmanns oder Van de Veldes?“ oder in
tet, geht und reist anders und sucht sich auf
seiner Erwiderung An den Ulk von 1910 im
andere Art zu zerstreuen.“ Diese Äußerung
Zusammenhang von Ornament und Verbre-
zeigt zumindest eine verblüffende Ähnlich-
chen: „Lieber Ulk! Und ich sage dir, es wird
45
46
die Zeit kommen, in der die Einrichtung 45
46
Vergleiche dazu Frampton 2010, S. 90–93, Fischer 2008, S. 106f., Winter 1988, S. 103 und S. 118f. Leider gibt keiner der Autoren direkte Verweise auf überlieferte Äußerungen van de Veldes. Ein endgültiger Beweis einer direkten Beeinflussung van de Veldes durch die Einfühlungstheorie Lipps ist damit zwar nicht erbracht, weiterhin lässt jedoch das relativ späte Erscheinungsdatum von 1908 beziehungsweise 1910 seines Essays Die Linie eine Beeinflussung van de Veldes durch die Theorien Lipps äußerst wahrscheinlich erscheinen. Van de Velde äußerte sich in seiner Biografie zu Lipps wie folgt: „C’est aux ouvrages de Boetticher, de Schopenhauer et de Fechner, aux écrits sur l’esthétique de Theodor Lipps en Allemagne et de Paul Souriau en France, que devait puiser celui qui voulait écrire sur l’esthétique de notre temps, délaissant, comme je le fis, les innombrables écrivains dont les ratiocinations stériles ont contribué à augmenter la confusion.“ Und „Des années durant, je poursuivis les études et les recherches sur tout ce qui n’avait pas encore été révélé de la ligne et de ‚ornement linéaire et organique. Ce domaine, l’éminent esthéticien Thédore Lipps et moi, nous l’explorions parallèlement sans qu’aucun contact personnel ne se soit établi entre nous deux.“ (Velde 1995, S. 280 und S. 446.) Vergleiche zur Entwicklungsgeschichte des Essays oder Vortrags Die Linie von Henry van de Velde Hodonyi 2010, S. 79f. Zitiert nach Hodonyi 2010, S. 81.
einer Zelle vom Hoftapezierer Schulze oder Professor Van de Velde als Strafverschärfung gelten wird.“47 Wie sehr jene Aussagen von Rhetorik geprägt sind, wird offensichtlich, wenn man Loos’ Inszenierung als Außenseiter mit in Betracht zieht. Demnach will er sich ja von der ‚Kultur‘ Hoffmanns und van de Veldes absetzen. Daher definiert er seine ‚Kultur‘ auch als eine traditionsgebundene. Trotz seiner evolutionistischen Methode kopiert er nicht etwa vorherige Bauten. Loos erlaubt sich seiner Zeit angepasste Modifikationen und entwickelt, seinen eigenen rhetorischen Anfeindungen entsprechend, eine dritte ‚Kultur‘. Zwischen dieser und der seiner Ansicht nach als von ihm abgekupferten ‚Kultur‘ Hoffmanns, van de Veldes und Olbrichs sollten sich seine Zeitgenossen entscheiden.
47 Loos 2010 (1908.1), S. 349 und Loos 2010 (1910.1), S. 374 und Loos 2010 (1907), S. 343f.
4.2. Henry van de Velde und die Emotionalisierung von Linien
Zu Hoffmanns Reaktion auf einen Entwurf
tektur wirken konnte, zeigt das bekannte Bei-
van de Veldes hat sich hingegen ein Brief im
spiel des Entwurfs einer Villa für Josephine
Archiv der Wiener Secession erhalten. Hoff-
Baker. Von der Assoziation der Streifen mit
mann bewertet die Zeichnung mit ihren
den ethnischen Wurzeln der exotischen Tän-
„unerhört festlichen Linien“ letztendlich als
zerin, die Ludwig Münz und Gustav Künstler
„verfehlt“ und der Entwerfer habe „keine
formulierten, bis hin zur Charakterisierung
Ahnung von Construction“. Schließlich ist
der Fassade durch Benedetto Gravagnuolo
Hoffmann der Ansicht, diese Skizze sei ein
als „gay“ beziehungsweise „refined and seduc-
Beispiel für die bereits überwundene „Zeit
tive“, entsprechen die Interpretationen fast
der falschen Curven“.48 Man kann jedoch
immer einer sexuellen Lesart.51 Mary McLe-
davon ausgehen, dass Hoffmann und Loos
od erklärt jene Wirkung überwiegend darü-
sich über den Theoriehintergrund van de
ber, dass für Adolf Loos die weibliche Beklei-
Veldes im Klaren waren und jene Gegen
dung nicht mit der männlichen gleichzusetzen
haltung der beiden zu Henry van de Velde
war.52 Aber dies hieße, dass die Fassade
vielleicht auch daraus resultierte, dass sie
bereits etwas über die Bewohnerin des Hau-
andere Schlüsse aus dem gleichen Hinter-
ses offenbaren oder sie zumindest als Frau
grund zogen.
identifizieren würde und die Idee einer neu-
Laut Astrid Kury war die „psychologische
tralisierenden Maske an diesem Gebäude
Deutung des Ornaments als ‚unmittelbarer
nicht greifen könne. Beatriz Colomina fasst
Ausdruck psychischer Stimmungswerte“ zum
daher die Fassade der Villa als „tattooed sur-
Ende des 19. Jahrhunderts „allgemein ver-
face“.53 Jene würde weder das Innere verber-
breitet“.49 Dies gilt auch für den Wiener Kul-
gen noch es kaschieren. Weiter heißt es dazu
turkreis: Von „Empfindungslinien“ hatte
bei Colomina:
1904 auch Ludwig Hevesi im Rahmen einer Kritik zur Munch-Ausstellung der Wiener
This fetishization of the surface is repea-
Secession gesprochen. Hevesi stärkte hier
ted in the ‚interior‘. In the passages, the
für Munchs Gemälde die Interpretation von
visitors consume Baker’s Body as a surfa-
Farben und Linien als Indikatoren für Emp-
ce adhering to the windows. Like the
findungen. Munch propagierte sogar eine
body, the house is all surface; it does not
vom Künstler intendierte Übertragung von
simply have an interior.“54
Weltsicht oder eine Evozierung von „Gedanken und Stimmungen“ im Betrachter, die der Wahrnehmung des Künstlers entspreche.50 Wie emotional aufgeladen die horizontal verlaufende Linie auch bei Adolf Loos’ Archi-
48
Zitiert nach Sekler ²1986, S. 37. Siehe dazu auch Forsthuber 1991, S. 52. 49 Kury 2000, S. 336. 50 Kury 2000, S. 262 und S. 333–340.
51
Vergleiche dazu McLeod 1996, S. 67-69. Charlotte Kreuzmayer formuliert sogar die etwas befremdend vereinfachte Spekulation: „Ein lustiges Haus, mit vielen schwarzen waagrechten Balken auf weißem Grund. Vielleicht wollte Loos damit die Beliebtheit der schwarzen Tänzerin bei den ,Weißen‘ ausdrücken.” (Kreuzmayer 1985, S. 4.) 52 McLeod 1996, S. 60–64. 53 Colomina 1994, S. 281. 54 Colomina 1994, S. 281.
357
358
4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung
Mark Wigley schreibt weiterhin zum Verhält-
innen, wie es programmatisch für die
nis des weiblichen Ornaments bei Loos:
Loos’schen Villen proklamiert wird, wäre in diesem Fall ebenso wie beim Haus am
„For Loos, ornament is the mark of servi-
Michaelerplatz nicht mehr gegeben gewesen.
tude. The woman uses ornament to make
Loos greift demnach die öffentliche Maske
the man a slave. After all, when ornament
der Josephine Baker in seinem Fassadenent-
is identified with crime in the notorious
wurf mittels der Form der schwarz-weißen
essay. The crime is explicitly sexual, or,
Streifen beziehungsweise Linien auf.
rather is sexuality itself.”55
Warum aber findet sich dann das sexuell konnotierte Streifen-Motiv bei einem Entwurf
Demnach darf die Fassade einer Villa für eine
für das Haus am Michaelerplatz und bei Loos’
Frau, deren Bild in der Öffentlichkeit von
Wettbewerbsbeitrag für das Kriegsministeri-
Verführung und Exotik geprägt ist, ein dem-
um wieder? Bei genauerem Betrachten
entsprechendes Image verkörpern.56 Hier ist
erkennt man, dass es sich eben nicht um exakt
bewusst das Wort Image verwandt, da es gera-
das gleiche Streifen-Motiv handelt. Wie
de nicht mit einem offen gelegten Persönlich-
gezeigt wurde, handelt es sich bei den Strei-
keitsbild in Verbindung zu setzten ist, son-
fen am Loos-Haus um Mäander-Ornament-
dern vielmehr als die Inszenierung einer
bänder, die im Sinne einer aus der Antike
öffentlichen Person und nicht eines privaten
überlieferten Form zu verstehen sind, die Loos
Menschen zu verstehen ist. Laut einer Aus-
nicht mehr zu verbessern erachtete und damit
sage von Loos plante Josephine Baker Shows
auf ihrer höchsten Entwicklungsstufe akzep-
um den Swimmingpool als zentralen Ort der
tierte. Für das Haus am Michaelerplatz erklärt
Inszenierung. Dieses Vorhaben erklärt, wie
sich demnach die angedachte Verwendung
sehr sich in den Räumlichkeiten ihrer Pariser
des Mäanders ebenso wie die realisierte Plat-
Villa Öffentliches und Privates vermischt hät-
zierung von Säulen an der Fassade: nämlich
ten. Eine klare Trennung von außen nach
als Demonstration seines evolutionären Archi-
57
58
tekturverständnisses. Im Falle der Streifen 55 Wigley 1996, S. 189. Vergleiche dazu in Bezug auf das In-Beziehung-Setzen von Ornament und Sexualität bei Adolf Loos Erdheim 1985, S. 230– 240. 56 Dem entgegengesetzt inszenierte Loos seine erste Frau in seiner Wohnung, die er 1903 einrichtete, im Schlafzimmer durch eine „offene Sinnlichkeit“, die sich durch die weißen Verhänge und den weißen Bettüberwurf aus Kaninchenfell sensorisch vermittelte. Jene Sinnlichkeit wurde jedoch auf das Schlafzimmer begrenzt und ihr räumlich vorgeschaltet lag das Wohnzimmer, das sich durch seinen ‚Konservatismus‘ auszeichnete. (Vergleiche dazu Schorske 1985, S. 55f.) 57 Gernot Böhme bezeichnet das Image einer Person als „Inszenierungswert“. (Böhme 2001, S. 121) 58 Roth 1973, S. 201.
am Kriegsministerium handelt es sich um eine Farbgebung, die mit einer National-Symbolik verbunden ist.59 Sie überziehen das Kriegsministerium mit einer sinnbildlichen Schicht seiner staatsamtlichen Funktion. Hier findet sich die Gemeinsamkeit zur Villa für Josephine Baker. In beiden Fällen umkleidet Loos die Fassade mit einem öffentlichen Image der Staats- oder Vergnügungs-‚Institution‘, die in dem Gebäude ansässig werden sollte. 59
Münz 1989, S. 21. Siehe auch diese Arbeit auf S. 286f. und 343f.
4.3. Joseph Maria Olbrich: Kontrastierung durch affektreiche Inszenierungen
Dies zeigt bereits, wie vielschichtig die
te zur Assoziation mit einem Tempel.62
Positionen der Architekten um 1900 waren.
Olbrich verwendet im Sinne einer klar les-
Die sowohl theoretischen als auch werkim-
baren Ikonografie Symbole wie den Lorbeer-
manent verhandelten Positionen der Künst-
baum, die Lorbeerkuppel, Eulen, Gorgo-
ler lassen sich letztendlich nicht in ein
nen-Masken und die goldenen Inschriften
schwarz-weißes Raster von gegensätzlichen
(Der Zeit ihre Kunst; Der Kunst ihre Freiheit
Lagern aufteilen. Das Ideal einer vorbild
und Ver Sacrum) an den Fassaden. Genau
lichen Verbindung von Auftraggeber, Archi-
auf diese Form der Ornamentik bei Olbrich
tekt und dabei entstehender Baukunst soll
ist Astrid Kurys Aussage zurückzuführen,
deshalb als nächstes unter Einbeziehung
dass die „Wiener Secessionskünstler […] die
des Schaffens eines weiteren Wiener Seces-
Ornamentik der symbolischen Überhöhung
sionisten konkretisiert werden. Joseph
dienstbar [machten; LT] und […] deshalb viel
Maria Olbrich ist als Architekt des Wiener
mehr auf assoziative Stimmungswerte als auf
Secessionsgebäudes, künstlerischer Leiter
eine ‚innerlich notwendige’ Einfühlung [bau-
der Künstlerkolonie Mathildenhöhe in
ten; LT]“.63 Dies gilt jedoch eindeutig nicht
Darmstadt und als ein weiterer ‚Gegner‘
für die Stimmungsgenerierung des Sanatori-
Adolf
ums Purkersdorf, die auf der Theorie der Ein-
Loos’
prädestiniert
für
dieses
Vorhaben.
fühlung basiert. Jene Formen des Ornaments sind weder bei den Bauwerken Loos’, aber
4.3. Joseph Maria Olbrich: Kontrastierung durch affektreiche Inszenierungen
eben auch nicht beim Sanatorium Purkersdorf Hoffmanns aufzufinden. Auch Peter Gorsen betont das unterschiedliche Formen-
Hermann Bahr, der für sein Wohnhaus
verständnis bei Hoffmann und Olbrich, wenn
Joseph Maria Olbrich als Architekt beauf-
er zusammenfasst, dass „für Hoffmann,
tragte, betonte die enge Verbindung von
anders noch als beim frühen ornamental ver-
Besitzer und Haus und die nötige Vermitt-
spielten Olbrich und den selbstherrlichen
lung der eigenen Persönlichkeit an den Archi-
Stilkünstlern um 1900, die Befragung eines
tekten. Er spricht davon, dass der Architekt
Grundrisses und selbst einer Ornament- und
„die Gebärde seines Wesens zu finden“ habe
Schmuckform nach ihrer Gebrauchsfunkti-
und erträumte sich ein Haus, in dem sich in
on für den Auftraggeber oder Benutzer selbst-
jeder „Linie“ und in jedem „Gegenstand“
verständlich“64 war. Ebenso betont er, dass
seine „Seele“ spiegele.60 Der steingewordene
Loos zumindest partiell mit Unrecht bei sei-
Erziehungston wiederum ist das Secessions-
nen Vorwürfen gegen das „secessionistische
gebäude von Joseph Maria Olbrich. Es wird
Ornament“ Hoffmann ohne Differenzierung
auch gerne als Tempel der Kunst bezeichnet.61 Schon seine äußere Erscheinung führ62 60 Schorske 1985, S. 52. 61 Vergleiche dazu Le Rider 1985, S. 248–250.
Vergleiche dazu Achleitner 2003, S. 10 und Kapfinger 2003, S. 35–60. 63 Kury 2000, S. 337. 64 Gorsen 1985, S. 77.
359
360
4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung
mit einschloss.65 Nur beim Palais Stoclet fin-
“If the Secession building was ‘true’ in (in
det sich das ein oder andere skulpturale Ele-
part) a Romantic sense, volubly proclai-
ment an der Außengestaltung des Gebäudes,
ming symbolic values and deliberately
das eine symbolische Aufladung vermuten
working on the emotions, the Purkersdorf
lässt. Wobei jene Skulpturen vielmehr auf
Sanatorium was presented as a neutral,
die Sammlungstätigkeit der Hausbewohner
rational machine. But the ‘scientific’ ba-
verweisen, als dass sie ein klares, symboli-
sis of the building was also an image, per-
sches Programm artikulierten.
haps used as psychological propaganda
Olbrich betont die Erbauung des Secessi-
to convince patients of the empirical va-
ons-Gebäudes als eine für ihn künstlerische
lidity of a type of psychiatry whose status
„Geburt“. Er nennt das Secessionsgebäude
as science was coming into doubt. The
sogar „mein Haus“, in das er seine eigenen
Purkersdorf Sanatorium shows the cont-
„Empfindungen“ einfließen lassen wollte.
66
radictions of an architecture meant not
Olbrich stellt sich und sein Künstlertum in
only to serve science in specific ways but
den Mittelpunkt einer intuitiven Findung des
also to look scientific and fact-based.”68
Secessionsgebäudes und formuliert sein subjektives Empfinden damit zum Movens der
Weder Loos noch Hoffmann identifizieren
resultierenden Architektur.67 Des Weiteren
ihre Gebäude wie Olbrich direkt mit ihrem
spitzt Olbrich jene Subjektivierung von
eigenen, innersten Künstlertum. Sie setzen
Architektur zu Kunst noch weiter zu, wenn
sich vielmehr das Ziel, eine für die jeweilige
er über dem Eingang des Ernst Ludwig-Hau-
Bauaufgabe geeignete und überzeugende
ses auf der Darmstädter Künstlerkolonie
Form zu finden. Auch wenn sich jeweils eine
Mathildenhöhe die Inschrift platziert: „SEI-
spezifische Kulturauffassung in ihren Archi-
NE WELT ZEIGE DER KÜNSTLER – DIE
tekturen mitteilt, so kann man doch nicht
NIEMALS WAR NOCH NIEMALS SEIN
davon sprechen, es blicke einem die emotio
WIRD“. Und genau in jener Art der Insze-
nale Künstlerverfasstheit Loos’ und Hoff-
nierung des Künstlergenies mittels der eige-
manns von den Fassaden ihrer Gebäude aus
nen Architektur folgen ihm weder Loos noch
entgegen. Während das Secessionsgebäude
Hoffmann in ihren jeweiligen intendierten
seinen Besucher über einen Lorbeerhain in
Images. So sieht auch Leslie Topp in ihrer
das Gebäudeinnere hineinleitet und ihn im
Untersuchung zu den verschiedenen Wahr-
Bereich des Eingangs sogar sprichwörtlich
heits-Manifestationen der Wiener Moderne
verschluckt, gehen die Bauten Hoffmanns
einen deutlichen Unterschied zwischen
und Loos’ rationaler vor. Shapira bezeichnet
Secessionsgebäude und Sanatorium Purkers-
demnach sowohl die Fassade des Sanatori-
dorf gegeben:
ums Purkersdorf als auch die des Loos-Hauses als „unisex outfit[s]“.69 Beide Bauwerke bieten dem ‚Ich‘ in Form von verschiedenen
65 Gorsen 1985, S. 87f. 66 Vergleiche dazu Shapira 2004, S. 132–160. 67 Vergleiche dazu Topp 2004, S. 50–56 und S. 62.
68 Topp 2004, S. 95. 69 Shapira 2004, S. 340.
4.3. Joseph Maria Olbrich: Kontrastierung durch affektreiche Inszenierungen
Strategien einen festen oder neutralen Halt,
Secessionsgebäude vermittelt vielmehr einen
indem sie dem Subjekt differenzierte Wahr-
massiven und ruhenden Eindruck, der noch
nehmungs- und Orientierungsmöglichkeiten
durch die tiefe Einkerbung des Eingangs und
anbieten, während sich das Olbrich’sche
die Pylonen der Kuppel verstärkt wird.72 Für
Gebäude seine Besucher – seinen Bildungs-
die planimetrischen Ausformungen des
auftrag veranschaulichend – regelrecht
Secessionsgebäudes
einverleibt.
Kapfinger keine Interpretation hin zur
unterstützt
Otto
Das äußere Bekleiden des Secessionsge-
„sachlichen Nüchternheit“, sondern versteht
bäudes funktioniert aber auf eine abweichen-
sie als einen „Ausdruck von Reinheit und
de Art und Weise zu den hier zuvor bespro-
Erhabenheit“.73
chenen Architekturen. An der Hauptfront
teilweise auch eingekerbten weißen Schich-
legt sich zum Beispiel über die Schicht, auf
ten stellen demnach eine Pathosformel dar
der die Lorbeerbäume appliziert sind, eine
und sprechen damit eine vollkommen ande-
weitere weiße Wandschicht, die über einzel-
re Architektursprache als das Sanatorium
ne, waagrecht verlaufende Kanneluren von
Purkersdorf oder das Haus am Michaeler-
der darunter liegenden Schicht abgesetzt
platz. Während Olbrichs Fassaden am Seces-
wird. Diese aufgesetzte Struktur, die an eine
sionsgebäude eine intuitiv zu erschließende,
Leinwand erinnert, bildet links vom Eingang
eindeutige und fast schwelgerische Emotio-
den Grund der Inschrift Ver Sacrum, wäh-
nalität vermitteln, erklären sich die Fassaden
rend sie rechts leer verbleibt. Dieses Bild der
Hoffmanns und Loos’ in ihrer Tiefe erst mit-
Schichtung stärkend vergleicht Elana Shapira
tels eines Horizonts von soziologischen,
die Dekorationen der Secession mit Spitze,
psychologischen und wahrnehmungs-psycho-
die ein fester Bestandteil der weiblichen
logischen Theorien.
Die
aufgesetzten
und
Garderobe um 1900 war.70 Das Aufstocken
Festzuhalten ist für das Sanatorium Purk-
oder Staffeln von einzelnen Wandschichten
ersdorf und für das Haus am Michaelerplatz,
oder Membranen ist aber nicht mit der Redu-
dass beide auch im Inneren keine Privatheit
zierung einer Tektonik – wie sie Hoffmann
inszenieren. Es handelt sich eben um einge-
am Sanatorium Purkersdorf und am Palais
schränkt öffentliche Räumlichkeiten. Auch
Stoclet verwirklicht – zu vergleichen.
wenn Loos im Haus am Michaelerplatz durch
71
Das
Über-Eck-Führungen und Vermeidung von Blickachsen versucht, Intimität zu schaffen, 70 Shapira 2004, S. 154. 71 Es befindet sich ein Entwurf eines Terrassenhauses in Hanglage von Adolf Loos im Archiv der Albertina. Die jeweiligen Frontalansichten erinnern auf frappierende Weise an das Sanatorium Purkersdorf und seinen atektonischen Wandaufbau. Das Blatt ist leider nicht mit einem Datum versehen, doch gilt das Haus Scheu von 1912/1913 als das erste Terrassenhaus Loos’ und lässt sich vermutlich daher frühestens auf diesen Zeitraum datieren. Das Blatt ist unter der Inventarnummer A.L.A.141v gelistet.
bricht er diese wieder mit Spiegeln zugunsten der Überschaubarkeit für die Angestellten und Geschäftsführer der Firma Goldman & Salatsch. Beide Gebäude staffeln die Räumlichkeiten in verschiedene Ebenen der Zugänglichkeit: von der Empfangshalle über 72 Vergleiche dazu Szeless 2003, S. 21–23. 73 Kapfinger 2003, S. 47.
361
362
4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung
Beratungs- oder Behandlungsräume bis hin
betont Bie die behagliche Funktion von an
zur Umkleidekabine oder dem Patientenzim-
die Wand gerückten Sofas und englischen
mer. Das Verhältnis der privaten Inneninsze-
Kaminsitzen. Sie seien „Ruhestätten“, die
nierung wurde bereits weiter oben expliziter
sich mit ihrer am Rand platzierten Position
an den Beispielen Villa Karma und Palais
als beständig erwiesen und dem entgegenge-
Stoclet erarbeitet. Im Artikel Die Wand und
setzt verliere alles zur Raummitte hin Posi-
ihre künstlerische Behandlung des Publizis-
tionierte an Beständigkeit. Jene Beständig-
ten Oscar Bie aus dem Jahr 1904 heißt es zur
keit verknüpft Bie mit der Erinnerung des
Wandbehandlung74 im Innenraum bei Hoff-
Bewohners an gesellige Momente und sieht
mann:
dadurch eine emotionale Bindung an die „wandlastigen“ Gegenstände als Resultat.77
„Bald missverständlich verzerrt, bald
Ähnlich argumentiert später Werner Hof-
schlicht und natürlich bauen sich die Hin-
mann bei der Wandbehandlung der Einrich-
tergründe der Wände auf: Mackintosh, der
tungen Adolf Loos’, wenn er seine These
Schotte bildet sie als traumhaft farbige Ly-
untermauert, Loos verkette die drei „Kate-
rik in weissem Holz, Email, Silber und
gorien – Rahmen, Füllen und Verknüpfen“78
launischen Schlinglinien; Josef Hoffmann,
– miteinander:
der Wiener, als letzte und feinste Kultur europäischen Wohnens, rationalistisch in
„Das Füllen einer Wand mit fest installier-
der Regie der Paneelein- und ausbauten
tem Mobiliar integriert die mobilen Ele-
und dennoch von damenhaft eleganten
mente in die immobile Struktur des Bau-
Reizen. Das ist die moderne einheitliche
werks, dessen Bestandteil sie werden. Die
Anschauung der Wand, die auf der gan-
Wände verlieren dadurch ihre schachte-
zen Linie von den festen Bauten über die
lähnliche Nacktheit; sie werden mit Ener-
improvisierten Möbelsilhouetten bis zur
gien aufgeladen, die in den Raum hinein-
vollen Neutralität nur das eine Gesetz dar-
reichen und Verbindungen und Trennungen
stellt: die Wand ist der Hintergrund für
schaffen. Auf diese Weise verliert die Wand
den Ausdruck persönlicher Charakteris-
ihre passive, statische Flachheit und wird
tik des Bewohners.“
ein Zusammenhang stiftender Mittler. Ein
75
so gestalteter Raum ist keine isolierte Der Artikel wird von Bie unter anderem mit
Ganzheit mehr, sondern eine Reihe von
einer Fotografie des Herrenzimmers der
untereinander in Wechselwirkung stehen-
Hoffmann’schen Villa Spitzer auf der Hohen
den Räumen. Die Mobilität infiltriert die
Warte in Wien illustriert.
Immobilität und lockert deren Festgefügt-
76
Des Weiteren
heit, gleichzeitig jedoch sorgen diese ÜberDas Wort Wand entwickelt sich etymologisch aus dem gleichen Wortstamm wie der Ausdruck Gewand. Dies betont gerade Gottfried Semper. (Vergleiche dazu Harather 1995, S. 11.) 75 Bie 1904, S. 108f. 76 Bie 1904, S. 103 und S. 116. 74
gänge dafür, daß die Anatomie des Ganzen eine Einheit bildet – das beste Beispiel 77 Bie 1904, S. 103f. 78 Hofmann 2001, S. 285.
4.3. Joseph Maria Olbrich: Kontrastierung durch affektreiche Inszenierungen
dafür sind die subtilen Wechselwirkungen
„Loos hat nämlich ein Geheimnis, das er
und wechselseitigen Durchdringungen, die
in seinen Theorien nicht ausspricht, weil
zwischen den von Loos entworfenen Räu-
es sich nicht aussprechen läßt. Vielleicht
men und Treppen, Treppenhäusern und
ist es – die Komposition. Beim Zusam-
Eingangshallen bestehen. Diese Wechsel-
menstoß der Materialien, die sich einem
beziehungen erinnern an das Kreuz und
Zweckgedanken unterordnen müssen,
die körperliche Beziehung, die es enthält.
sind Logik und Ökonomie doch nur die-
Man könnte sagen, ohne damit gleich in
nende Kräfte, aber die Bewältigung des
die Psychoanalyse abschweifen zu wollen,
Problems erfordert eine neue, höhere Sou-
daß Loos seine Gebäude als Variationen
veränität, mit einem Wort: Künstlerschaft.
und Sublimierungen der Paarung von
Und Loos ist ein produktiver Künstler.“82
Mann und Frau begriff.“79 Wenn überhaupt, ist Loos vielleicht ein VerEduard Führ betont für die Interpretation
fechter von ästhetischer Anti-Obsoleszenz.
des Ornamentbegriffs bei Loos deutlich, dass
Jörg H. Gleiter erkennt bemerkenswerter-
die Ansätze der 1960er-Jahre mit ihrer Ein-
weise in Loos’ Ornamenttheorie nicht nur
ordnung in den Funktionalismus und die
eine Anknüpfung an Owen Jones Assoziati-
angebliche Beflissenheit Loos’ nach Ökono-
on des Ornaments mit dem Tätowieren als
mie zu einseitig gedacht waren. Auch wenn
kulturelle Schmuckform,83 sondern sieht wei-
Loos der Ansicht war, Gegenstände dürften
terhin eine Erweiterung um die Theorien der
nicht durch ihre modische Gestaltung früher
Triebsublimierung Freuds gegeben.84 Daher
in ihrem Wert verfallen als sie de facto mate-
lässt sich hier sowohl für die Fassaden der
riell hielten, kann man Loos dennoch nicht
Villa Karma als auch für die des Hauses am
als einen Gegner der ökonomischen, funkti-
Michaelerplatz übertragend schließen, dass
onellen Obsoleszenz und einen Befürworter
die Methode der Maske eine angewandte
der Nachhaltigkeit definieren. Offensichtlich
Triebsublimierung ist. So wird die Maske
wird, dass Loos nicht etwa direkt ein Gegner
aber gerade von den Secessionisten um 1900
künstlicher Reduzierung der Lebensdauer
mit ihren sexuellen Konnotationen in Szene
von Gegenständen im Allgemeinen war, son-
gesetzt. Man denke an die Gorgonen-Mas-
dern es ihm primär darum ging, eine Ästhe-
ken am Portal des Secessionsgebäudes von
tik zu schaffen, die zumindest nicht auch
Joseph Maria Olbrich oder an die kontras-
noch die Lebensdauer eines Gegenstandes
tierende Darstellung der Nuda Veritas von
verringert. Robert Scheu fasst zusammen:
Gustav Klimt von 1899, die als nackte Wahr-
80
81
heit dem Betrachter einen Spiegel vorhält.85
79 Hofmann 2001, S. 290f. 80 Führ 2001, S. 314f. 81 „Die Form eines Gegenstandes halte so lange, das heißt, sie sei uns so lange erträglich, so lange der Gegenstand hält.“ (Loos 2010 (1908.2), S. 369.)
82 Scheu 1985 (1909), S. 32. 83 Vergleiche dazu Peplow 1996, S. 179f. 84 Gleiter 2002, S. 54f. Vergleiche dazu Haiko und Reissberger 1985, S. 110–118 und Pfabigan 1991, S. 63. 85 Moravánszky 2008.2, S. 62f.
363
364
4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung
Vielmehr durch jene Seherfahrungen geprägt,
„Vornehmheit“ gilt.93 Janet Stewart hebt
betonten die Zeitgenossen daher wohl gera-
Loos’ Verständnis von Kleidung als Maske
de die ‚Nacktheit‘ der Fassade des Hauses
als beeinflusst von Simmel hervor. In diesem
am Michaelerplatz. Peter Haiko und Mara
Zusammenhang definiert sie auch die Maske
Reissberger verfolgen jene zeitgenössische
– sowohl bei Loos als auch bei Simmel – als
Sichtweise weiter, wenn sie die Fassade des
„integral feature of the ideal of Vornehm-
Loos-Hauses als „Fleischwerdung, der noch
heit“.94 Beau Brummell vertritt auch ein „Ele-
unschuldigen, vor-adoleszenten Nacktheit“
gantia-Ideal“, das sich durch die „individu-
erklären.87 Die Zeitgenossen nahmen die Fas-
elle Note“ im „bedeckten Anzug“ auszeichnet
sade „metonymisch“ wahr und Gleiter zieht
und nicht etwa durch Prachtentfaltung.95 Der
sogar das Fazit einer „missglückten Verdrän-
Dandy verkörpert eine „Geistes- und Lebens-
gung“.88 Die weiße, glatte Fläche sollte eben
haltung, die sich gegen die Herrschaft bour-
nicht primär „Nacktheit“ vermitteln, sondern
geoiser Gesellschaftsstrukturen richtet, sich
eher eine „Blasiertheit“, an der man als
stolz einem Leben im Zeichen von Utilita-
Betrachter des Hauses mit seiner Wahrneh-
rismus und Zweckrationalität widersetzt“,
mung abprallt.89 Die weiße obere Fassade
und gleichzeitig unterscheidet sich der Dan-
des Hauses ist in ihrer Einfachheit demnach
dy von der vorherigen aristokratischen Ober-
schweigsam. Sie ist eine von Wörtern leer-
schicht durch seine „unauffällige Eleganz“.96
gefegte asketische Tafel – eine Tabula rasa.
90
Janet Stewart betont in diesem Zusammen-
Jenes Abprallen oder Wortlose der Fassade
hang nicht nur Loos’ Orientierung an der
vermittelt dem modernen Menschen die Rol-
englischen Kultur:
86
le des Dandys. Eine Figur, die par excellence für den anonymen Stadtbewohner steht, da
“The implications of his critique are spel-
der Dandy sich auch durch eine „permanen-
led out in ‚In praise of the present’, in
te Affektregulierung“ auszeichnet. Der Dan-
which Loos delineates the essential diffe-
dy ist vor allem aber auch eine Gestalt aus
rence between the Germans and the Eng-
der Aristokratie oder Aristokratie des Geis-
lish; English culture may appear to be ho-
tes92, die Loos als Vorbild und Modell an
mogeneous but it masks a nation of
91
individuals, while the apparent heteroge86 Gleiter 2002, S. 59. 87 Haiko und Reissberger 1985, S. 117f. 88 Gleiter 2002, S. 61f. 89 Gleiter 2002, S. 51f. 90 Vergleiche zum Begriff der „Einfachheit“ und dessen Beeinflussung auf die asketisch sprachliche Haltung bei Loos und Kraus Hodonyi 2010, S. 236– 242. In Bezug auf die asketische Haltung der Loos’schen Fassaden siehe Schorske 1985, S. 56. 91 Gleiter 2002, S. 62 und Hiltrud Gnüg: Dandy, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 1 (2001), S. 821f. 92 Gnüg, Hiltrud: Dandy, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 1 (2001), S. 818.
neity of German culture hides their lack of individuality.”97
93 Vergleiche dazu Stewart 2000, S. 78–89. 94 Stewart 2000, S. 128. 95 Gnüg, Hiltrud: Dandy, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 1 (2001), S. 816f. 96 Gnüg, Hiltrud: Dandy, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 1 (2001), S. 818f. 97 Stewart 2000, S. 60. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.
4.3. Joseph Maria Olbrich: Kontrastierung durch affektreiche Inszenierungen
Liest man weiterhin folgende Beschreibun-
seiner Bauwerke, sondern auch eine von Loos
gen der Figur des Dandys, meint man Adolf
erzählte Anekdote über den Kleidungsstil von
Loos selbst und die Art und Weise wie er
Josef Hoffmann. In seinem Artikel Über Josef
sich der Öffentlichkeit präsentierte, vermit-
Hoffmann von 1931 heißt es:
telt zu bekommen: „Als ich Hoffmann meine erste Wohnung „Der Dandy in seiner Lust, Erstaunen,
zeigte, hat er sich erst europäisch angezo-
Verblüffung, Irritation zu produzieren, be-
gen. Er eilte aus dieser Wohnung sofort
darf der Distanz, der Aura der Undurch-
zu meinem Schneider, warf sein Jackett
schaubarkeit, um aus dem Dunkel seiner
dorthin, wohin seine Kunden seine aus-
undurchdringlichen Psyche seine Überra-
geführten Entwürfe werfen. Das ist unan-
schungsblitze abzuschießen, er entblößt
genehm.“99
sich nicht, genießt es aber, die Blößen anderer mit brillanter Impertinenz, geistvol-
Loos zeichnet seine Einrichtung über 20 Jah-
len Sarkasmen zu entlarven. Der Dandy
re später als Initialzündung für Hoffmanns
erweckt nicht ein homogenes Gefühl, sei
Kleidungsstil und intendiert dadurch, ohne
es reine Sympathie, Abneigung oder
es direkt aussprechen zu müssen, eine
Angst, er löst gemischte Empfindungen
Neuorientierung im Werk Hoffmanns.100 Klei-
aus; und dieser Heterogenität seiner emo-
dung, über die sich ein Mensch nach außen
tionalen Wirkung korrespondiert im lite-
hin eine Rolle verleiht, wird auch zum Image-
rarischen Bereich eine Ästhetik des Inte-
träger einer Architektur. Sie stellt eine
ressanten, die Choc und Faszination
g anzheitliche Auffassung von Leben als
verbindet. […] Der Dandy ist zwar ein ‚so-
Gesamtkunstwerk dar.101 Hoffmann, schreibt
litaire‘, er ist einsam, einzigartig, empfin-
Marianne Hussl-Hörmann, „war stets bestens
det sein Anderssein, aber er unterschei-
gekleidet. Er legte besonderen Wert auf ein
det sich vom Sonderling oder Exzentriker
gepflegtes und elegantes Erscheinen, bevor-
gerade dadurch, daß seine Andersartig-
zugte die Farben Grau, Schwarz und Weiß,
keit der Gesellschaft nicht ins Auge sticht.
alles Bunte hielt er bei Männern für unan-
Der Dandy – so könnte man formulieren
gebracht. Für seine Umgebung war er der
– ist ein Außenseiter, der incognito reist.
Inbegriff eines Gentlemans, immer höflich
Die Gesellschaft betrachtet ihn als einen
und beherrscht. Seine Nervenstärke war
der ihren, während er sich seiner Anders
geradezu berühmt, er wurde nie laut, aber er
artigkeit bewußt ist.“
wusste mit eisernem Willen seine Vorstellun-
98
gen durchzusetzen oder statt einen KomproWie sehr wiederum jene Form der Selbstinszenierung als Dandy auch auf seine Architektur zu übertragen ist, zeigt nicht nur die Analyse 98
Gnüg, Hiltrud: Dandy, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 1 (2001), S. 820f.
99 Loos 2010 (1931), S. 725f. 100 Vergleiche dazu Rukschcio und Schachel 1982, S. 62f. 101 Zum Zusammenhang des Baudelaire’schen Dandys mit dem Wagner’schen Gesamtkunstwerk vergleiche Merte 1998, S. 45–53.
365
366
4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung
miss anzunehmen einen Auftrag abzuleh-
Jean Floressas des Esseintes dar. Diese lite-
nen.“
Jenes äußere Bild Hoffmanns wird
rarische Figur gilt als ein Beispiel par excel-
ebenso Loos bekannt gewesen sein. Es lässt
lence für eine eskapistische Elitenbildung,
sich vermuten, dass Loos sich gegen einen
die mittels der Flucht des Protagonisten aus
drohenden Vergleich mit Hoffmann bewusst
der Öffentlichkeit vermittelt wird. Des
dafür entschied, ihn als Kopisten rhetorisch
Esseintes gestaltet und zelebriert in einer
zu entlarven. In Loos’ Vorstellung ist die
abgelegenen Villa bei Paris sein eigenes
Kleidung – wie Janet Stewart es formuliert
gewähltes,
– eine „signification which articulates the
einsames Abarbeiten und gleichzeitiges Auf-
modern structure of feeling“103. Für Loos ist
gehen in der Sortierung und Akkumulation
die männliche Kleidung evident verbunden
von Gegenständen fließt in umfassende
mit der sozialen Rolle ihres Trägers.104 Sie
Raumgestaltungen. Sein Haus nähert sich
ist etwas Zeitloses und weitestgehend unab-
damit dem Konzept des Gesamtkunstwerkes,
hängig von der Mode – sie ist nur einem
wie es für die Architektur der Jahrhundert-
langsamen, evolutionären Prozess unter
wende prägend werden sollte. So beschreibt
legen.105 Verunglimpft Loos Hoffmann
der Erzähler auch folgende Ansicht seiner
zunächst noch als Modegigerl, wird er nun
Hauptfigur:
102
ästhetizistisches
Exil.
Sein
zum Kopisten herabgesetzt. Loos degradiert seinen Kollegen aus dem Verständnis seiner
„Von allen [Farben; LT] zog er Orange vor,
eigenen Kunsttheorie heraus damit in jeg
solchermaßen durch sein eigenes Beispiel
licher Hinsicht.
die Richtigkeit einer Theorie bestätigend
Bei dem Begriff Dandy schwingt jedoch
[…]: daß nämlich zwischen der sinnlichen
auch eine Vielzahl von Vorstellungen und
Natur eines wahrhaft künstlerischen In-
Imaginationen mit, die den ungenauen Defi-
dividuums und der Farbe, die seine Au-
nitionsraum des Wortgebrauchs aufzeigen.
gen deutlicher und lebhafter sehen, eine
Sowohl Flaneur, Snob, Gentleman als auch
Übereinstimmung besteht.“106
Dandy sind mit je unterschiedlicher Schwerpunktlegung gebräuchlich. In Bezug auf
Die Farbe bietet den Brückenschlag zum
Joseph Maria Olbrich ist interessanterweise
Haus Olbrich auf der Mathildenhöhe (1899–
eine spezifisch französische Erscheinungs-
1901) von Joseph Maria Olbrich. Olbrich
form des Dandys relevant, die sich jedoch
selbst äußerte sich in einem Artikel zur
eklatant vom Dandy Loos’scher Prägung
Künstlerkolonie Mathildenhöhe wie folgt:
unterscheidet. Den Inbegriff dieses Dandy-Typus stellt der Protagonist des Romans
„Zusammen in einer baulichen Einheit,
À rebours von Joris-Karl Huysmans namens
die eigentlich dem Menschen als Umgebung entspräche, mag sich dann Raum an
102 Hussl-Hörmann 2011, S. 30–34. 103 Stewart 2000, S. 104. 104 Stewart 2000, S. 105f. 105 Stewart 2000, S. 107.
Raum reihen, wie Sang an Sang. Da wird
106 Huysmans 2006 (Frz. 1884), S. 50.
4.3. Joseph Maria Olbrich: Kontrastierung durch affektreiche Inszenierungen
es schön, da wird es heiter und ernst
dem, was die Betrachter wahrnahmen. Bei-
zugleich, da bietet Freude am Schönen
des – sowohl die entsexualisierte, partiell
die Farbe und Form. […] Bis unter das
nicht kommunizierende Maske als auch die
Dach,
sexuell aufgeladene Nacktheit – steht im
das
Ganze
eine
Reihe
von
Stimmungen.“107
Zusammenhang einer Sublimierungsmethode. Die Ornamentlosigkeit ist demnach bei
Es ist davon auszugehen, dass Olbrich durch
Loos also nicht ökonomisch begründet, son-
die journalistische Berichterstattung Her-
dern als eine Verneinung des Gegenstands
mann Bahrs zu den Werken Huysmans’
als Fetisch zu verstehen. Ebenso verneint der
Kenntnis von der dekadenten Übersteigerung
englische Gentleman die Kleidung als Mode,
der Farbe als Stimmungskonstituente bzw.
da sie sonst zum Fetisch wird. Sie ist ihm
als Ausdruck gehabt hat.108 Diese Kontextu-
eben eine Maske und nicht die nach außen
alisierung der Architektur als Dandy-Archi-
getragene Persönlichkeit.111 Daraus resultiert
tektur, die vor allem über eine Verbindung
für Gleiter bei Loos eine „Maskenhaftigkeit
von Farbe und Raum zu verstehen ist, erklärt
der ornamentlosen Fassade“.112 Dem entge-
auch die Illuminationsfeste der Mathilden-
gen bezeichnet er die vielfach materiell aus-
höhe. Damals stellte das Licht das „Haupt-De-
gekleideten Innenräume bei Loos’ Bauten als
korations-Element“109 in Form von 14.000
„Ausdruck bürgerlicher Individualität und
roten Lampions dar und der vom Verleger
Häuslichkeit“.113 Elana Shapira sieht hinge-
Alexander Koch 1901 herausgegebene Band
gen im Falle des Hauses am Michaelerplatz
Ein Dokument Deutscher Kunst berichtete
eine Übertragung der Maske auch auf das
mit bezeichnenden Worten:
Innere des Hauses gegeben. Diese Beobachtung lässt sich aufgrund der Untersuchungs-
„Wer in den Bann des feurig-roten
erkenntnisse dieser Arbeit ebenso auf einzel-
Licht-Meeres geriet, dem wallten die Sin-
ne Bereiche der Villa Karma erweitern. Loos
ne, und in ‚wunderbarer‘ Stimmung zog
verfolgt zwar eine Trennung von Öffentli-
er dahin durch die roten Licht-Wellen, die
chem und Privatem, diese lässt sich aber nicht
ihn umfluteten.“110
paradigmatisch, wie Gleiter behauptet, auf das Gegensatzpaar von außen und innen
Zu beobachten ist auf Loos’ ‚ornamentbefrei-
reduzieren.114 Ákos Moravánszky sieht in den
ten‘ Fassaden zurückkommend demnach aber
Räumen der Loos’schen Häuser sogar einen
deutlich ein Auseinanderklaffen zwischen
„öffentlichen Charakter als Bühnen für
dem, was Loos zu vermitteln intendierte, und
Auftritte, für Rollenspiele, als Räume des Erscheinens“ verwirklicht und greift damit
107 Olbrich 1900, S. 368f. 108 Hermann Bahr berichtet beispielsweise in seinem Artikel Die Décadence von Huysmans. Siehe dazu Bahr 2006 (1894.1). 109 Koch 1989 (1901), S. 231. 110 Koch 1989 (1901), S. 235. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.
die dramatische Maske der persona aus dem
111 Siehe dazu Stewart 2000, S. 125. 112 Gleiter 2002, S. 67–70. 113 Gleiter 2002, S. 99. 114 Vergleiche dazu Gleiter 2002, S. 362.
367
368
4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung
griechischen Theater auf.115 Es stellt sich
Hier ist es die Kombination aus patschokier-
jedoch die Frage, ob die Maske nicht ebenso
tem Putz und glatten Fliesen. Auch in der
zu einem fetischisierenden Ideal im Werk von
Ausstellung zu Klingers Beethoven-Skulptur
Adolf Loos wird? Loos schreibt bereits 1898:
in der Secession versah Hoffmann den Raum,
„Was will denn der Architekt eigentlich? Er
in dem der Beethovenfries von Klimt, der
will mit Hilfe der Materialien Gefühle im
sich auch durch seine Vereinigung von aske-
Menschen erzeugen, die eigentlich diesen
tischen oder bescheidenen und edlen Mate-
Materialien noch nicht innewohnen.“
1910
rialien auszeichnete, positioniert war, mit
führt er jene Aussage in seinem Artikel Wie-
einem Rauputz. Jenes Spiel aus rau und glatt,
ner Architekturfragen weiter aus: „Der Kalk-
preisgünstig und kostbar oder leicht verfüg-
verputz ist eine Haut.“
116
Die Materialästhe-
bar und selten erzeugt Spannungen und Stim-
tik des schlichten Putzes wird damit an sich
mungen. Daher erklärt sich auch, warum Die-
schon zu einem Fetisch. Dies ergänzend
trich Worbs im Materialmix zusammen mit
schreibt Loos auch zur Kleidung:
den Architekturzitaten des Hauses am
117
Michaelerplatz eine „Stimmungshaftigkeit“ „Der gesunde Mensch empfindet jede Klei-
und einen „Manierismus“ gegeben sieht.119
dung als Erotikon. […] Jeder Körper kann
Ebenso wird aber auch verständlich, warum
mit einem anderen bekleidet werden. Der
Johannes Spalt die Wertschätzung Loos’ für
neue bekleidete Körper kann seine Natur-
das Material Marmor über den „Werkplatz
farbe behalten. Wird er aber gefärbt oder
des Vaters“ herleitet.120 Das Material wird
ornamentiert, so kann er jede Farbe und
als emotional verstandenes und wahrgenom-
jedes Ornament erhalten, nur die Farbe
menes Element gezeichnet.121 Diese Feststel-
des bekleideten Körpers oder einen An-
lung untermauernd, berichtet schon Hevesi
klang an dessen Ornament nicht. Beispie-
vom Besuch der Einrichtung Josef Hoff-
le: Holz kann mit Holz bekleidet (four-
manns für Fritz Waerndorfer:
niert)
werden.
Eine
Mauer
kann
gestrichen, tapeziert oder mit Stoff ver-
„Ich glaube, es war letzten Sonntag. Oder
kleidet werden. Aber die Mauerfarbe oder
an einem anderen Wochentag. Es hing
ein Ziegelmuster sind ausgeschlossen.“
nämlich kein Wandkalender in der Stube.
118
Er hätte nicht recht hineingepaßt in dieHinzu kommt die Kombination von rauem
ses weiße Gemach, das rings mit geschlif-
Putz mit glattem Marmor. Das sich gegenseitige Aufladen der kontrastierenden Elemente findet sich interessanterweise ebenso an der Fassade des Sanatoriums Purkersdorf.
115 Moravánszky 2008.2, S. 78. 116 Loos 2010 (1898.7), S. 196. 117 Loos 2010 (1910.2), S. 382. 118 Loos 2010 (1923), S. 592.
119 Worbs 1982, S. 94. 120 Spalt 1983, S. 112. Hier zeichnet Spalt das generelle Bild der väterlichen Prägung, da er ebenso für Josef Hoffmann die „traditionelle Umgebung, die Bauernhäuser und die Handwerkskunst“ im Vaterhaus betont und für Olbrich den Zuckerbäckerreibetrieb des Vaters in Troppau hervorhebt. 121 Fedor Roth erklärt über eine ähnlich emotionale Kette Loos’ Traditionsverwurzelung. (Roth 1995, S. 56.)
4.3. Joseph Maria Olbrich: Kontrastierung durch affektreiche Inszenierungen
fenen weißen Marmorbrettern vertäfelt
gesprochen. Durchwegs weiße Rauh-
ist. Und was oben an Fläche übrig, und
putzwände mit dunkel gebeizten oder
die Decke auch, durchaus weißer Putz.
auch weiß lackierten Holzteilen, in der
Rauhputz, über und über versilbert; licht-
Form mit feinstem Takt behandelt, erge-
fangend, lichtzerstäubend. Ein weißes
ben sehr vornehme, ruhige und zugleich
Viereck aus weißen Vierecken; nur im
ländlich freundliche Stimmungen.“123
Estrich wechselten damit schwarz ab. Schwarz ist ja auch weiß; es ist eben das
Deutlich wird, wie sehr Farben, Materialien
dunkelste Weiß, wie Weiß das hellste
und Wahrnehmung miteinander verknüpft
Schwarz. Da, dort, ein kleiner Spiegel an
werden. Alles zusammen ergibt die Stim-
der Wand; zu hoch, um hineinzusehen,
mung eines Raumes oder Ortes.
aber raumspiegelnd wie ein Fenster ins
Die zu Beginn gestellte Frage, ob man die
Freie. Da, dort, auch vor jedem Spiegel,
anonymen Stimmungen bei Loos’ Räumen
ein weißes Figürchen, natürlich von
findet und die persönlichkeitsaufgeladenen
George Minne. Eine Abstraktion in Mar-
Räumlichkeiten bei dem Secessionisten Hoff-
mor, eine eckige, spitzige Gebärde von
mann, wurde mittels des zeitgenössischen
himmelstrebender Jugend, von einem jun-
Begriffs der Stimmung im Rahmen dieser
gen Schmerz, der seinen Namen nicht
Arbeit vielfach ausgelotet. Dies ermöglichte,
findet.“
die zumeist utopischen Wunschvorstellun-
122
gen Loos’ und Hoffmanns an das ‚moderne Eine direkte Verknüpfung der Materialität
Ich‘ zu fassen. Dabei stellte sich ein Geflecht
von Rauputz mit dem Begriff der Stimmung
aus verschiedenen Ich-Konstruktionen vom
findet sich in dem Artikel Villenkolonie Hohe
unrettbaren Ich und seiner nötigen Rahmung
Warte. Erbaut von Prof. Joseph Hoffmann.
am Sanatorium Purkersdorf über die perso-
Dort heißt es:
na als soziale Maske für ein großstädtisches Individuum beim Haus am Michaelerplatz
„Eine sehr wienerische Stimmung ist über
bis hin zum grundsätzlichen Wunsch der bei-
der ganzen Örtlichkeit verbreitet. […] Der
den Architekten nach einem ‚Ideal-Ich‘ her-
größte Fortschritt der Moderne besteht
aus. Während Olbrich affektreiche, synäs-
eben in dem einheitlichen Zusammenkom-
thetische Inszenierungen schuf, sind es
ponieren von Bauwerk und Wohnungs-
gerade Hoffmann und Loos, die regulierende
einrichtung und die hier abgebildeten Vil-
architektonische Raumkonzepte entwickel-
len [Doppelhaus Moser und Moll, Haus
ten, um eine soziale Verortung des Ichs über
Henneberg und Haus Spitzer; LT] sind als
die Topoi Ästhetizismus, Psychologismus und
ein Muster heutiger Raumkunst hinzustel-
Eskapismus zu leisten.
len. Dieselbe kompositionelle Einheit ist im Material und in den Möbelformen aus-
122 Hevesi 2009, S. 39.
123 Lux 1903, S. 121–184.
369
370
4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung
4.4. Ein Resümee: Das Gesamtkunstwerk nach Josef Hoffmann und Adolf Loos
Dieser Art von strikter Dichotomie von Kunst und Gewerbe oder Architektur stand Josef Hoffmann mit seinem angestrebten Ziel
Auf den Aspekt des Gesamtkunstwerks
des Gesamtkunstwerks unter Mithilfe der
zurückkommend, ist abschließend die Rele-
Wiener Werkstätte konträr entgegen. Seine
vanz des Kunstbegriffes – Handwerker vs.
starke Verquickung von Handwerk und
Künstler – im Œuvre von Loos und Hoff-
Architektur zeigt sich unter anderem in dem
mann zu beleuchten. Loos förderte immer
Phänomen des „Austauschs von Größen und
eine dominant konfrontative Konkurrenz
Qualitäten“ bei „kunstgewerblichen und
zwischen sich und seinem angeblichen Riva-
architektonischen
len Josef Hoffmann. In vielerlei Hinsicht
haben beide Architekten eine andere Bezie-
waren die Auffassungen der beiden Archi-
hung zu ihrer Berufsaufgabe. Während Hoff-
tekten auch nicht miteinander vereinbar.
mann fast in Form einer „ästhetischen Kon-
Loos plädierte für die Trennung von Kunst
trolle“ die Lebenswelt der Aufraggeber
und Gewerbe,
künstlerisch durchgestaltete, sprach sich
124
wobei er die Architektur
nicht der Kunst zurechnete:
Formen“.126
Ebenso
Loos zumindest in seinen Schriften für die individuelle Einrichtung eines Hauses aus.127
„Das Haus hat allen zu gefallen. Zum Un-
Man rufe sich nur abermals die Persiflage
terschiede vom Kunstwerk, das nieman-
des „armen reichen Mannes“ von Loos in
den zu gefallen hat. Das Kunstwerk ist
Erinnerung, die deutlich die Praktiken, die
eine Privatangelegenheit des Künstlers.
auch Josef Hoffmann vertrat, angriff.128 Doch
Das Haus ist es nicht. Das Kunstwerk wird
lässt sich auch feststellen, dass Loos gewisse
in die Welt gesetzt, ohne daß ein Bedürf-
Facetten der Architektur Hoffmanns in sei-
nis dafür vorhanden wäre. Das Haus deckt
nen Anfeindungen ausklammerte.129 So spöt-
ein Bedürfnis. Das Kunstwerk ist nieman-
telte oder schrieb er niemals über das Sana-
dem verantwortlich, das Haus einem je-
torium Purkersdorf.130 Aber ebenso ist zu
den. Das Kunstwerk will die Menschen
bekräftigen, dass Loos’ Inneneinrichtungen
aus ihrer Bequemlichkeit reissen. Das
untereinander eine starke Ähnlichkeit auf-
Haus hat der Bequemlichkeit zu dienen.
weisen und somit nicht nur eine gewisse All-
Das Kunstwerk ist revolutionär, das Haus
gemeingültigkeit und Anonymität, sondern
konservativ. Das Kunstwerk weist der
auch eine starke Handschrift Loos’ gegen-
Menschheit neue Wege und denkt an die
über seinen Auftraggebern verraten.131
Zukunft. Das Haus denkt an die Gegen-
Joseph Peter Stern stellt daher bereits 1985
wart.“
die strikte Trennung von Gebrauchsgegen-
124
125
Vergleiche dazu Ocón Fernández 2004, S. 44f. und S. 99f. 125 Loos 2010 (1910.5), S. 401.
126 Gorsen 1985, S. 80. 127 Vergleiche dazu Dittmann 2005, S. 200f. 128 Vergleiche dazu Eckel 1996, S. 140–147. 129 Gorsen 1985, S. 88. 130 Rukschcio 1985, S. 65. 131 Bock 2009, S. 67.
4.4. Ein Resümee: Das Gesamtkunstwerk nach Josef Hoffmann und Adolf Loos
stand und Kunstwerk bei Adolf Loos in Fra-
ein Wunschbild des modernen Menschen feti-
ge.
Fedor Roths Argument, Loos’ „Engage-
schisierend umkreisen. Loos schrieb zwar
ment oder seine Eingriffe [in die Gestaltung
„Das Haus hat allen zu gefallen“, aber was
der Wohnung; LT] begründen sich eher dar-
jedem zu gefallen hatte, entschied Loos
in, die ‚falschen Propheten‘ zu vertreiben,
immer noch selbst, und in dieser Haltung
die den Leuten eine bestimmte (secessionis-
unterscheidet er sich gar nicht so eklatant
tische oder Stil-) Ästhetik suggerieren“ woll-
von Josef Hoffmann. Während Loos seine
ten,
132
scheint überdehnt. Dies hieße, Loos’
Schriften als öffentlichkeitswirksames Medi-
gesamtes Schaffen erkläre sich nur aus der
um nutzte, um zukünftige Auftraggeber von
Gegenposition zur Secession und insbeson-
sich zu überzeugen, wählte Hoffmann als
dere zu Josef Hoffmann. Jener Darstellungs-
Werbemittel die Fotografie. Loos erkannte
weise widersprechen jedoch die Beobach-
selbst, dass seine Inneneinrichtungen nicht
tungen dieser Arbeit. Sein über die Schriften
im zweidimensionalen Medium der Fotogra-
deutlich pädagogisch und auch bevormun-
fie ohne Wirkungsverluste zu übertragen
dend fast diktierender Pfad des Geschmackes
waren.137 Gerne wird der Umstand, dass
lässt nun auch nicht allzu viele Freiheiten
Hoffmanns Einrichtungen hingegen auf Foto-
zu. Franz Rainald spricht sogar im Falle von
grafien sehr wohl funktionieren, als Anbie-
Loos von einem „pedagogical viewpoint“.134
derung an die Warenästhetik verstanden.138
Loos lässt demnach den Bewohner seiner
Letztendlich handelt es sich um eine andere
Bauwerke den „Ausbau seiner Persönlich-
Form der Werbung und Selbstvermarktung.139
133
keit“
135
auch nicht eigenhändig realisieren.
Robert Musil verwendet diese Metapher für den Entschluss seines Mannes ohne Eigenschaften, die Möbel seines neuen Heimes selbst zu entwerfen. So weit wie Musil lässt es Loos dann jedoch nicht kommen. Werner Hofmann spricht dementsprechend von einem „janusgesichtigen Loos“. Loos nehme als Theoretiker eine strikte Trennung von „hoher Kunst und funktionalem Gegenstand“ vor, während er sich in der Praxis „unbewußt für die Mehrdeutigkeit“ entschließe.136 Sowohl Hoffmann als auch Loos verwirklichten gänzlich gestaltete Architekturen, die
132 Stern 1985, S. 175f. 133 Roth 1995, S. 164f. 134 Franz 1992, S. 14. 135 Musil 2006, S. 19f. 136 Hofmann 2001, S. 285.
137
Dabei ist jedoch fraglich, ab wann Loos dieses Faktum für seine Einrichtungen erkannte. Die Einrichtung des ersten Herrenmodesalons für die Firma Goldman & Salatsch von 1898 im Graben findet sich zumindest in einem Extraartikel in der Zeitschrift Das Interieur wieder. (Die Redaktion 1901, S. 145–151.) Des Weiteren finden sich in einem anderen Artikel der gleichen Zeitschrift sogar Abbildungen von Loos’ Einrichtungen zusammen mit Fotografien von Hoffmann’schen Interieurs. Als Absicht dieser Zusammenstellung heißt es dort: „Man würde uns wenig Dank wissen, wenn wir nicht von dem Bestreben ausgingen, die Elite vorzustellen, und solcherart Dokumente des heimischen modernen Kunstgewerbes zu sammeln. Wir eröffnen daher unseren neuen Jahrgang mit der Publikation von Werken, in welchen die modernen Anschauungen am reinsten zum Ausdruck kommen; es sind Arbeiten von Professor Kolo Moser, Professor Josef Hoffmann, Adolf Loos und Josef Plecnik […]“ (Die Redaktion 1903, S. 5.) 138 Dröge und Müller 1995, S. 163. 139 Vergleiche dazu Colomina 1994, S. 50–63, S. 64–67 und S. 101f.
371
372
4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung
Fraglich ist jedoch, ob jene primär beim
diese Taktik Loos’ wiederum mit Walter Ben-
Schaffensprozess für Hoffmann im Vorder-
jamins Figur des Flaneurs und Sammlers, der
grund stand und zu einer Vernachlässigung
„the city as interior“ verstehe.143 Diese Dicho-
des Nutzens seiner Einrichtungen führte.
tomie ist in Loos’ Werk tief verwurzelt und
Dies ist zumindest in einer apodiktischen
ist auch als ein Leben in oder Oszillieren
Auslegung aufgrund der hier behandelten
zwischen zwei Welten zu bezeichnen.144
Fälle zu bezweifeln. Sowohl das Palais
Sowohl Josef Hoffmann als auch Adolf
Stoclet als auch das Sanatorium Purkersdorf
Loos regulieren die Stimmung ihrer Archi-
wurden tatsächlich genutzt und bewohnt.
tekturen zu einer kontrollierten Emotiona-
Janet Stewart proklamiert bei Adolf Loos
lität. Hoffmann formuliert eine ethische
die Rolle eines „Über-Architekten“, den sie
Ästhetik, während Loos eine ästhetische
in Beziehung zu Nietzsches „Über-Men-
Ethik umsetzt. Für Hoffmann ist in diesem
schen“ setzt. Die Aufgabe des „Über-Archi-
Zusammenhang der Begriff des Eskapismus
tekten“ sei es, den Weg in die Zukunft über
und für Loos jener der Konvention prägend.
die „Entfernung des Ornaments aus dem
Loos kritisiert am Vorgehen der Wiener
Gebrauchsgegenstande“140 aufzuzeigen. Um
Werkstätte gerade das Reduzieren des demo-
seine Aufgabe zu erfüllen, müsse er gleich-
kratischen Ideals der „Arts and Crafts“-Be-
zeitig Teil der zu ändernden Kultur sein und
wegung auf einen elitären „Lifestyle“.145
an deren Rand stehen. Stewart erkennt hier-
Lifestyle zum Beispiel, weil sich das Palais
in nicht nur die Ähnlichkeit zum Aristokra-
Stoclet in seiner Gesamterscheinung als ein
ten, der sowohl zur Gesellschaft gehört als
„Symbol für das schöne Leben“146 präsen-
auch außerhalb ihrer Majorität steht, son-
tiert. Peter Noever spricht bei Hoffmann
dern auch zur Figur des Flaneurs und Dan-
sogar von einer „l’art pour l’art ideology“
dys.141 Loos wird zu einem ästhetischen Ethi-
und einer „analogy of the ‚aesthetically beau-
ker, der mithilfe seines Verständnisses von
tiful’ as the ‚morally good‘“.147 Dabei wider-
der Gegenwart einen Weg in die Zukunft
sprach Loos selber jenem Ideal, allen die Kul-
zeichnen will.
Demnach kann man Loos’
tur zugänglich zu machen, als er den
Aufgreifen der Wiener ‚Zitate‘ am Haus am
Aristokraten und seinen Charakterzug der
Michaelerplatz nicht nur als das Ergebnis
Vornehmheit zum Vorbild postulierte.148 Jene
einer flanierenden Wahrnehmung von Stadt
Vornehmheit, kurz vereinfachend dargestellt
interpretieren, sondern auch als einer
mit einem englischen Maßanzug gleichge-
evolutionären Entwicklung von seiner
setzt, war nur über eine gewisse Summe Gel-
Architektur. Jene architektonischen Vergan-
des zu erstehen und damit ein kostbares und
genheits-Zitate sind zusammenfassend im
nicht für jeden erschwingliches Gut. Im
142
Sinne einer zukunftsorientierten Sammeltechnik zu verstehen. Janet Stewart vergleicht 140 Loos 2010 (1908.2), S. 364. 141 Stewart 2000, S. 84f. und S. 128. 142 Stewart 2000, S. 85.
143 Stewart 2000, S. 132–136. 144 Stewart 2000, S. 170. 145 Stewart 2000, S. 96. 146 Schorske 1985, S. 52. 147 Noever 1992, S. 7. 148 Stewart 2000, S. 97.
4.4. Ein Resümee: Das Gesamtkunstwerk nach Josef Hoffmann und Adolf Loos
Rahmen der Analyse zum Haus am Michae
metrische Ornament nach Worringer zur
lerplatz wurde hervorgehoben, dass es sich
festigenden, beruhigenden Klammer und bie-
nicht etwa um den Typus eines Warenhauses
tet dem Subjekt die Möglichkeit einer Ori-
handele, sondern um einen exklusiven Her-
entierung. In jener Orientierung findet sich
renausstatter, der es mitnichten darauf anleg-
dann auch die Abstufung, die den Unter-
te, die breite Masse einzukleiden. Demnach
schied zwischen den Arbeiten Hoffmanns
verwirklichte Loos weder über seine Schrif-
und Loos’ ausmacht. Während Loos seine
ten noch über seine Architektur ein demo-
Kunden in maskierende Konventionen schüt-
kratisches Ideal, das er aber der Wiener
zend einkleidet, erschafft Hoffmann ein eska-
Werkstätte zu vernachlässigen vorwarf. In
pistisches Idealbild des Menschen durch sei-
anderer Hinsicht waren die meisten Arbei-
ne Einrichtungen. Dass beide dabei vor allem
ten der Wiener Werkstätte zumindest von
die Figur des Dandys oder des Aristokraten
ihrer Codierung her für die Massen leichter
– übertragen auf das Bürgertum – vor Augen
verständlich und zugänglich, während Loos’
hatten, erklärt einige Gemeinsamkeiten im
Ästhetik erst hinter ihrer ethischen Maske
Schaffen beider Architekten.
entschlüsselt werden musste und demnach nur einer kleinen Elite verständlich war.
149
Die eskapistischen Idealbilder entstehen bei Hoffmann insbesondere durch die das
Elana Shapira betont in Hinsicht auf das
Gesamtkunstwerk begleitende Harmonie.
Gesamtkunstwerk in Wien eine Fülle an
Alle ästhetischen Einzelelemente greifen inei-
Kodierungen von ‚Wahrheit‘. In der Tat
nander. Eine „präzise Abstimmung“153 ist
erkannte bereits Hevesi jene Möglichkeit
sowohl dem Sanatorium Purkersdorf als auch
einer vielfachen Wahrheit für Wien.150 Genau
dem Palais Stoclet zu eigen. Die Harmonie
jene von Toleranz geprägte Idee einer nicht
des Gesamtkunstwerks der Wiener Werkstät-
allgemeingültigen Wahrheit der Secessionis-
te ist aber nur durch eine waltende Hand zu
ten führte wohl dazu, dass Josef Hoffmann
verstehen und denkbar, der Loos vorwirft,
sich nicht allzu explizit und häufig zu den
nicht immer dem Nutzen dienlich zu sein.154
Loos’schen Angriffen äußerte. Elana Shapira
Harmonisch greifen alle Einzelteile aber nur
sieht in den durchgestalteten Einrichtungen
zusammen, da sie sich alle dem Ziel einer
Josef Hoffmanns und der Wiener Werkstätte
Geschmackserziehung oder Lebensführungs-
– zum Beispiel dem Speisesaal des Sanato-
erziehung unterordnen. Wie Richard Wagner
riums Purkersdorf – eine Reaktion auf das
für das Gesamtkunstwerk betont hatte, steht
Gefühl der „Entfremdung“ gegeben.151 Das
auch hier das „gemeinsame Werk“ im
Gesamtkunstwerk in seiner umfassenden Präsenz152 wird demnach ebenso wie das geo149 Vergleiche dazu Colomina 1988, S. 74f. 150 Shapira 2004, S. 116. 151 Shapira 2004, S. 279. 152 Mit umfassender Präsenz ist nicht nur die Gestaltung der Architektur und Inneneinrichtung gemeint, sondern vor allem die zusätzliche Inszenierung von
geselligen, spielerischen und zerstreuenden Zusammenkünften. Vom Besteck für die Zelebrierung des Essens bis hin zum gestalteten Musikzimmer wird in Hoffmanns Arbeiten das Erleben von „intermediären Erfahrungsräumen“ ermöglicht. (Vergleiche dazu Merte 1998, S. 99–102.) 153 Fornoff 2004, S. 595. 154 Le Rider 1985, S. 249f.
373
374
4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung
Mittelpunkt, und nicht etwa „die Tat des Ein-
Sowohl Hoffmann als auch Loos – ob mehr
zelnen“.
Ästhetiker oder Ethiker – bieten dem in der
Hoffmanns Gesamtkunstwerk zeichnet sich
modernen Welt Lebenden letztendlich durch
durch eine im Jetzt verankerte Ästhetik aus,
ihre Arbeiten ein Gefühl der Harmonie und
die sich einem Bild der Vollkommenheit ver-
Beruhigung an. Dieses gemeinsame Ziel ist
schreibt. Loos jedoch sieht genau in diesem
als Stimmung – um den zeitgenössischen
dominanten Ästhetizismus eine Reduzierung
Begriff zu verwenden – nuanciert in ihre
des Architekten auf einen ‚Lifestyle-Berater‘.
Gebäude eingearbeitet. Diese Stimmung
Sein Vorwurf lautet: Der Mensch selbst wird
erklärt das Schaffen Hoffmanns und Loos’
in seinen eigenen vier Wänden zu einer kon-
zu zwei Ansichten einer Wiener Moderne.
ventionellen Schablone. Ähnlich wie die
Der zeitgenössische Begriff der Stimmung
Figur des Schwierigen bei Hugo von Hof-
ermöglichte sicherlich nicht, eine regelrech-
mannsthal, zeichnet Loos damit das kritische
te Verwandtschaft für die Œuvre der beiden
Bild eines verlorenen, handlungsunfähigen
Architekten zu deklarieren, jedoch wurde
Individuums, das sich nicht nur mit einer
eine Perspektive der Annäherung für die
schützenden, konventionellen Hülle umgibt,
Arbeiten Josef Hoffmanns und Adolf Loos’
sondern auf diese reduziert wird.
Loos
für den Untersuchungszeitraum von 1900
selbst betont daher in seinen Schriften den
bis 1911 möglich. Dabei wurde offensichtlich,
zukunftsorientierten Aspekt seiner Erzie-
dass sowohl Hoffmann als auch Loos von
hung. Er bietet zwar eine Orientierung,
geistesverwandten Vorstellungen über die
jedoch ist sie auf ein zukünftiges Ideal gerich-
Aufgaben und Möglichkeiten von Architektur
tet, das sich erst im Laufe einer ethischen
angeleitet wurden.
155
Evolution entwickeln soll. Loos stilisiert sich zum avantgardistischen Prediger, während Hoffmann auf das Hier und Jetzt gerichtet eine ästhetische Patentlösung anbietet.
155
Vergleiche zur Handlungsunfähigkeit des Protagonisten Hans Karl in dem Stück Der Schwierige Lamping und Zipfel 2004, S. 882.
Bildnachweis
Abb. 1: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA3156). Abb. 2: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann, Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 3. Abb. 3: NÖ Landesbibliothek, Topograph. Sammlung (Inv.-Nr. PK 1.093/009). Abb. 4: ÖNB/Wien (Inv.-Nr. 3.528B). Abb. 5: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA2259). Abb. 6: Denti, Giovanni und Silvia Peirone: Adolf Loos. Opera completa, Rom 1997, S. 59. Abb. 7: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann, Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 19. Abb. 8: ÖNB/Wien (Inv.-Nr. 213.369 - B). Abb. 9: Denti, Giovanni und Silvia Peirone: Adolf Loos. Opera completa, Rom 1997, S. 58. Abb. 10: Bock, Ralf: Adolf Loos. Leben und Werk 1870 - 1933, München 2009, S. 112. Abb. 11: Bock, Ralf: Adolf Loos. Leben und Werk 1870–1933, München 2009, S. 113. Abb. 12: Gravagnuolo, Benedetto: Adolf Loos. Theory and Works, (Fotos Robert Schezen), New York 1982, S. 106. Abb. 13: Denti, Giovanni und Silvia Peirone: Adolf Loos. Opera completa, Rom 1997, S. 60. Abb. 14: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA3154). Abb. 15: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA2249).
Schaffens nach Werkgruppen / Chronologisches Werkverzeichnis, Wien und München 1964, S. 73, Abb. 59. Abb. 19: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA3157). Abb. 20: Leclant, Jean (Hrsg.): Kerylos. La Villa Grecque. Beaulieu à la Belle Epoque (Editions Jeanne Laffitte), Paris 1996 (1934), PL II. Abb. 21: Leclant, Jean (Hrsg.): Kerylos. La Villa Grecque. Beaulieu à la Belle Epoque (Editions Jeanne Laffitte), Paris 1996 (1934), PL I. Abb. 22: ÖNB/Wien (Inv.-Nr. 51.521 – B). Abb. 23: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann, Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 1. Abb. 24: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann, Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 5. Abb. 25: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann, Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 9. Abb. 26: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann, Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 9. Abb. 27: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann,
Abb. 16: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA2244). Abb. 17: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA2240). Abb. 18: Münz, Ludwig und Gustav Künstler: Der Architekt Adolf Loos. Darstellung seines
Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 6. Abb. 28: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann,
376
Bildnachweis
Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 15. Abb. 29: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann, Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 26. Abb. 30: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann, Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. T.6. Abb. 31: Foto: © MAK; MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst. Abb. 32: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann, Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 12. Abb. 33: Illustrierte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration bzw. Innendekoration, Jg. 13 (1902), S. 31, Abb. Professor Josef Hoffmann – Wien. Große Stube (Halle) in Haus Moser. Abb. 34: Lux, Joseph Aug.: Villenkolonie Hohe Warte erbaut von Prof. Joseph Hoffmann, in: Das Interieur. Wiener Monatshefte für Angewandte Kunst, Jg. 4 (1903), S. 134, Abb. Haus Dr. Hugo Henneberg. Die Halle. Blick gegen die Treppe und gegen den Bücherkasten. Abb. 35: Illustrierte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration bzw. Innendekoration, Jg. 17 (1906), S. 319, Abb. Professor Josef Hoffmann – Wien. Baderaum im Sanatorium Purkersdorf bei Wien. Abb. 36: Topp, Leslie: Architecture and Truth in Fin-De-Siècle Vienna, Cambridge 2004, S. 72. Abb. 37: Topp, Leslie: Architecture and Truth in Fin-De-Siècle Vienna, Cambridge 2004, S. 75. Abb. 38: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 442. Abb. 39: © MAK; MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst. Abb. 40: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 426. Abb. 41: Sekler, Eduard F.: Josef Hoffmann. Das architektonische Werk. Monographie und
Werkverzeichnis, Salzburg und Wien ²1986, S. 67, Abb. 72. Abb. 42: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 441. Abb. 43: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 423. Abb. 44: Breckner, Gunter: Josef Hoffmann. Sanatorium Purkersdorf, hrsg. v. Galerie Metropol und D. Christian Meyer, Wien 1988, S. 4. Abb. 45: Breckner, Gunter: Josef Hoffmann. Sanatorium Purkersdorf, hrsg. v. Galerie Metropol und D. Christian Meyer, Wien 1988, S. 4. Abb. 46: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 425. Abb. 47: Breckner, Gunter: Josef Hoffmann. Sanatorium Purkersdorf, hrsg. v. Galerie Metropol und D. Christian Meyer, Wien 1988, S. 10. Abb. 48: Breckner, Gunter: Josef Hoffmann. Sanatorium Purkersdorf, hrsg. v. Galerie Metropol und D. Christian Meyer, Wien 1988, S. 5. Abb. 49: Breckner, Gunter: Josef Hoffmann. Sanatorium Purkersdorf, hrsg. v. Galerie Metropol und D. Christian Meyer, Wien 1988, S. 11. Abb. 50: Breckner, Gunter: Josef Hoffmann. Sanatorium Purkersdorf, hrsg. v. Galerie Metropol und D. Christian Meyer, Wien 1988, S. 11. Abb. 51: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 427. Abb. 52: Sekler, Eduard F.: Josef Hoffmann. Das architektonische Werk. Monographie und Werkverzeichnis, Salzburg und Wien ²1986, S. 288, Abb. WV 84/III, Vorprojekt. Abb. 53: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 428. Abb. 54: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 433. Abb. 55: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 432. Abb. 56: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künst-
Bildnachweis
ler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 434. Abb. 57: Breckner, Gunter: Josef Hoffmann. Sanatorium Purkersdorf, hrsg. v. Galerie Metropol und D. Christian Meyer, Wien 1988, S. 25. Abb. 58: Breckner, Gunter: Josef Hoffmann. Sanatorium Purkersdorf, hrsg. v. Galerie Metropol und D. Christian Meyer, Wien 1988, S. 26. Abb. 59: Breckner, Gunter: Josef Hoffmann. Sanatorium Purkersdorf, hrsg. v. Galerie Metropol und D. Christian Meyer, Wien 1988, S. 66. Abb. 60: © Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 61: © Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 62: Sekler, Eduard F.: Josef Hoffmann. Das architektonische Werk. Monographie und Werkverzeichnis, Salzburg und Wien ²1986, S. 56, Abb. 57. Abb. 63: Sekler, Eduard F.: Josef Hoffmann. Das architektonische Werk. Monographie und Werkverzeichnis, Salzburg und Wien ²1986, S. 283, Abb. WV 78/II. Abb. 64: Der Architekt. Wiener Monatshefte für Bauwesen und Dekorative Kunst, Wien, 1909, Bd. XV., Tafel 10, Abb. Otto Wagner: Stiftung „Heilstätte und Heim für Lupuskranke“. Architekt Otto Wagner k. k. Oberbaurat. Abb. 65: ÖNB/Wien (Inv.-Nr. 197319-B). Abb. 66: ÖNB/Wien (Inv.-Nr. L 73.629D). Abb. 67: © Bildarchiv Foto Marburg Abb. 68: Endell, August: Formenschönheit und dekorative Kunst: II. Die gerade Linie. III. Geradlinige Gebilde, in: Dekorative Kunst, Bd. 2 (1898), S. 122, Abb. A. Endell Fensterformen. Abb. 69: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA3230). Abb. 70: Foto: © MAK; MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst. Abb. 71: Breckner, Gunter: Josef Hoffmann. Sanatorium Purkersdorf, hrsg. v. Galerie Metropol und D. Christian Meyer, Wien 1988, S. 149. Abb. 72: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 439. Abb. 73: ÖNB/Wien (Inv.-Nr. R 8528 – D). Abb. 74: ÖNB/Wien (Inv.-Nr. ST 442F). Abb. 75: ÖNB/Wien (Inv.-Nr. L 27.350B).
Abb. 76: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA2419). Abb. 77: Bock, Ralf: Adolf Loos. Leben und Werk 1870–1933, München 2009, S. 129. Abb. 78: Bock, Ralf: Adolf Loos. Leben und Werk 1870–1933, München 2009, S. 129. Abb. 79: Rukschcio, Burkhardt und Roland Schachel: Adolf Loos. Leben und Werk (Veröffentlichung der Albertina, Bd. 17), Salzburg und Wien 1982, S. 464, Abb. 499, Kat. 67. Abb. 80: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA227). Abb. 81: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA519). Abb. 82: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA3290). Abb. 83: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA1526/3). Abb. 84: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA1526/6). Abb. 85: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA1526/7). Abb. 86: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA1526/8). Abb. 87: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA1526/10). Abb. 88: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA1526/13). Abb. 89: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA1526/12). Abb. 90: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA1526/14). Abb. 91: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA2421 = Papierabzug; ALA3294). Abb. 92: HHStA PAB D-4 Semper und Kaiserforum. Das Blatt ist undatiert. Abb. 93: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA403). Abb. 94: ÖNB/Wien (Inv.-Nr. NB 509090-B). Abb. 95: ÖNB/Wien (Inv.-Nr. Pf 830 : D (1)).
377
Danksagung
Während ihrer Entstehung erfuhr diese
besonnen verhinderte, Helga Demetz, die
Arbeit wertvolle Unterstützung von Lehrern,
mit ihrem Pragmatismus die Welt wieder auf
Kollegen, Familie und Freunden, die mit Rat
die Füße stellte, sowie Michaela Gugeler, die
bzw. Tat einen unschätzbaren Beitrag
in richtungweisenden Diskussionen zur his-
leisteten.
torischen Emotionsforschung meinen Blick
Danken möchte ich Christian Freigang,
schärfte, gilt ebenso mein Dank.
der mir sowohl bei der Themenfindung als
Gefördert wurde die Arbeit durch ein Sti-
ideenreicher Anstoßgeber beistand, als auch
pendium der Richard Stury Stiftung, das mir
den gesamten Entstehungsprozess mit seinen
einen Forschungsaufenthalt in Wien ermög-
erhellenden Anregungen bereicherte; und
lichte, in dessen Rahmen ich nicht nur die
Hans Aurenhammer, der mit seiner Bereit-
Bestände der Bibliotheken und Archive sich-
schaft zu konstruktiven Gesprächen half, die
ten, sondern ebenso eine Vielzahl an Bauten
Dinge auf den Punkt zu bringen.
der Wiener Moderne leibhaftig erleben und
Friederike Wille, die mit ihrem Optimis-
entdecken konnte. In diesem Zusammen-
mus und ihrem besonnenen Zuspruch das
hang möchte ich mich auch bei Reinhard
wertvolle Talent besitzt, auf so viele Art und
Pühringer von der Raiffeisenlandesbank
Weisen dunkle Geister zu vertreiben, Chris-
NÖ-Wien AG für die Besichtigung des
tina Kuhli, Zsófia Török, Barbara Duttenhö-
Loos-Hauses am Michaelerplatz bedanken.
fer und Sigrund Wodke, die zuverlässig mit
Diese Arbeit widme ich Merle und Thommy,
ihren Korrekturen und Hinweisen die Arbeit
die mir so vieles mit auf den Weg gaben, mein
stilistisch und inhaltlich vorantrieben, Lars
Interesse an Wien weckten und über Jahre
Thomas, der so einige technische Pannen
eine liebevolle Arbeitsstimmung schufen.
5. Anhang
5.1. Literaturliste Zeitgenössische Primärliteratur, zeitgenössische Zeitschriften- und Zeitungsartikel Altmann-Loos 1968 – Altmann-Loos, Elsie: Adolf Loos der Mensch, Wien 1968. Bahr 2004 (1890.1) – Bahr, Hermann: Die Moderne. 1890, in: Ders.: Die Überwindung des Naturalismus (Kritische Schriften in Einzelausgaben, hrsg. v. Claus Pias), Weimar 2004, S. 11–15. Bahr 2004 (1890.2) – Bahr, Hermann: Vom Stile, in: Ders.: Die Überwindung des Naturalismus (Kritische Schriften in Einzelausgaben, hrsg. v. Claus Pias), Weimar 2004, S. 110–119. Bahr 2006 (1894.1) – Bahr, Hermann: Die Décadence, in: Ders.: Studien zur Kritik der Moderne (Kritische Schriften in Einzelausgaben, hrsg. v. Claus Pias), Nachdruck der Auflage von 1894, Weimar 2006, S. 24–30. Bahr 2006 (1894.2) – Bahr, Hermann: Die Symbolisten, in: Ders.: Studien zur Kritik der Moderne (Kritische Schriften in Einzelausgaben, hrsg. v. Claus Pias), Nachdruck der Auflage von 1894, Weimar 2006, S. 31–36. Bahr 2007 (1898) – Bahr, Hermann: Kunstgewerbe. März April 1898, in: Ders.: Secession (Kritische Schriften in Einzelausgaben, hrsg. v. Claus Pias), Weimar 2007, S. 37–40. Bahr 2007 (1899.1) – Bahr, Hermann: Otto Wagner. April 1899, in: Ders.: Secession (Kritische Schriften in Einzelausgaben, hrsg. v. Claus Pias), Weimar 2007, S. 93–98.
Bahr 2007 (1899.2) – Bahr, Hermann: Der Sessel. Oktober 1899, in: Ders.: Secession (Kritische Schriften in Einzelausgaben, hrsg. v. Claus Pias), Weimar 2007, S. 133–138. Bahr 2010 (1904.1) – Bahr, Hermann: Das unrettbare Ich. 1904, in: Ders.: Dialog vom Tragischen. Dialog vom Marsyay. Josef Kainz (Kritische Schriften in Einzelausgaben, hrsg. v. Claus Pias), Weimar 2010, S. 36–46. Bahr 2010 (1904.2) – Bahr, Hermann: Impressionismus, in: Ders.: Dialog vom Tragischen. Dialog vom Marsyay. Josef Kainz (Kritische Schriften in Einzelausgaben, hrsg. v. Claus Pias), Weimar 2010, S. 47–53. Bahr 2010 (1904.3) – Bahr, Hermann: Fidelio. Dezember 1904, in: Ders.: Buch der Jugend (Kritische Schriften in Einzelausgaben, hrsg. v. Claus Pias), hrsg. v. Gottfried Schnödl, Weimar 2010, S. 19–27. Baillie Scott 1897 – Baillie Scott, M. H.: A small country house, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 12 (1897), H. 55, S. 167–172. Baillie Scott 1900 – Baillie Scott, M. H.: A country house, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 19 (1900), S. 30–38. Beer 1903 – Beer, Theodor: Die Weltanschauung eines modernen Naturforschers. Ein nicht-kritisches Referat über Mach’s „Analyse der Empfindungen“, Dresden und Leipzig 1903. Berlage 1905 – Berlage, Hendrik Petrus: Gedanken über Stil in der Baukunst, Leipzig 1905.
382
5. Anhang
Berlage 1991 – Berlage, Hendrik Petrus: Über Architektur und Stil. Aufsätze und Vorträge 1894–1928, Basel 1991. Bie 1904 – Bie, Oscar: Die Wand und ihre künstlerische Behandlung. Die moderne Wand, in: Die Kunst, 1904, S. 82–116. Bühler ³1965 (1927) – Bühler, Karl: Die Krise der Psychologie, Stuttgart ³1965 (1927). Bredt 1906 – Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 421–444. Cook 1901 – Cook, E. T.: Ruskin as artist and art critic, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 19 (1901), S. 77–92. Die Redaktion 1901 – Die Redaktion: Ein Wiener Herrenmodesalon, in: Das Interieur, Jg. 2 (1901), S. 145–151. Die Redaktion 1903 – Die Redaktion: Vorwort zum vierten Jahrgang, in: Das Interieur, Jg. 4 (1903), S. 1–15. Dr. Stein 1911 – kais. Rat Dr. Stein, Ludwig (Hrsg.): Jahresbericht des Sanatoriums Purkersdorf bei Wien für das Jahr 1911 nebst literarischem Anhange herausgegeben von Chefarzt d. Sanatoriums Purkersdorf b. Wien, Wien 1911. Ebe 1900 – Ebe, Gustav: Architektonische Raumlehre. Entwicklung der Typen des Innenbaus, Bd. 1 (Von den ältesten Zeiten bis zum Abschluss der gothischen Periode), Dresden 1900 (1900–1901). Endell 1898.1 – Endell, August: Formenschönheit und dekorative Kunst: I. Die Freude an der Form, in: Dekorative Kunst, Bd. 1 (1898), S. 75–77. Endell 1898.2 – Endell, August: Formenschönheit und dekorative Kunst: II. Die gerade Linie. III. Geradlinige Gebilde, in: Dekorative Kunst, Bd. 2 (1898), S. 119–125. Engelmann 1985 (1911) – Engelmann, Paul: Sonett „Das Haus am Michaelerplatz“ (1911). Die Fackel, 28.02.1911, in: Adolf Opel (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985, S. 46. Ermers 1985 (1927) – Ermers, Max: Eine „kunst-
gewerbliche“ Massenversammlung. Architekt Adolf Loos spricht über das Wiener Weh, die Wiener Werkstätte, das Wiener Kunstgewerbe. Der Tag, 21. April 1927, in: Adolf Opel (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985, S. 89–92. Ermers 1985 (1930) – Ermers, Max: Generationsführer Adolf Loos. Zum 60. Geburtstag des Architekten und Lebensreformers. Der Wiener Tag, 10. Dezember 1930, in: Adolf Opel (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985, S. 158–162. Freud 1997 – Freud, Sigmund: Studienausgabe. Hysterie und Angst, Bd. VI, hrsg. v. Alexander Mitscherlich, Angela Richards und James Srachey, Deutschland 1997. Friedell 1985 (1920/21) – Friedell, Egon: Adolf Loos. Zu seinem fünfzigsten Geburtstag. Freie deutsche Bühne, 1920/21, in: Adolf Opel (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985, S. 77–82. Fuchs 1902 – Fuchs, Georg: Mackintosh und die Schule von Glasgow in Turin, in: Deutsche Kunst und Dekoration. Illustrierte Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerische Frauen-Arbeiten, Bd. 10 (1902), S. 575–583. Geiger 1911 – Geiger, Moritz: Zum Problem der Stimmungseinfühlung, in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, hrsg. v. Max Dessoir, Jg. 6 (1911), H. 1, S. 1–42 (http:// digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ zaak1911/0001). Hellpach 1907 – Hellpach, Willy: Hysterie, in: Die Wage, Jg. 10 (1907), Bd. 2, S. 857–860. Hevesi 1906 – Hevesi, Ludwig: Acht Jahre Sezession (März 1897 – Juni 1905). Kritik, Polemik, Chronik, Wien 1906. Hevesi 1909 – Hevesi, Ludwig: Altkunst-Neukunst. Wien 1894–1908, Wien 1909. Hevesi 2009 – Hevesi, Ludwig: Ein moderner Nachmittag, in: Ders.: Flagranti und andere Heiterkeiten, Wien 2009, S. 39–48. Hoffmann 1897 – Hoffmann, Josef: Architektonisches von der Insel Capri. Ein Beitrag für malerisches Architekturempfinden, in: Der
5.1. Literaturliste
Architekt. Wiener Monatshefte für Bauwesen und dekorative Kunst, Jg. 3 (1897), S. 13f. Hoffmann 1898 – Hoffmann, Josef: Das individuelle Kleid, in: Die Wage. Eine Wiener Wochenschrift, Jg. 1 (1898), H. 15, S. 251f. Hoffmann 1901 – Hoffmann, Josef: Einfache Möbel. Entwürfe und begleitende Worte von Professor Josef Hoffmann, in: Das Interieur, Jg. 2 (1901), S. 193–205. Hoffmann 1926 – Hoffmann, Josef: Mein Gegner und ich, in: Die Stunde, 10.01.1926, S. 6. Hoffmann 1929 – Hoffmann, Josef: Interior Decoration. Modern, in: The Encyclopaedia Britannica, 14. Auflage, Bd. 12, London und New York 1929, S. 486–490. Hoffmann 1970 – Hoffmann, Josef: Architektonisches aus der österreichischen Riviera, in: Alte und moderne Kunst, Jg. 15 (1970), H. 113, S. 28. Hoffmann 1972 – Hoffmann, Josef: Selbstbiographie, in: Hilde Spiel, Otto Breicha und Georg Eisler (Hgg.): Ver Sacrum. Neue Hefte für Kunst und Literatur, Wien 1972, H. 4 Ausgabe B, S. 105–123. Hoffmann ²1986 (1911) – Hoffmann, Josef: Meine Arbeit. Vortrag gehalten am 22. Februar 1911; auszugsweise Transkribierung des Vortragsmanuskripts, in: Eduard F. Sekler: Josef Hoffmann. Das architektonische Werk. Monographie und Werkverzeichnis, Salzburg und Wien ²1986, S. 487–491. Hoffmann 2002 (1929) – Hoffmann, Josef: Moderne Innendekoration (1929), in: Markus Kristan (Hrsg.): Josef Hoffmann Bauten & Interieurs. In zeitgenössischen Photographien, Wien 2002, S. 13–17. Hoffmann 2002 (1934.1) – Hoffmann, Josef: Die gute, praktische, dabei schöne Wohnung und deren Möbel, in: Markus Kristan (Hrsg.): Josef Hoffmann. Bauten & Interieurs, Wien 2002, S. 18f. Hoffmann 2002 (1934.2) – Hoffmann, Josef: Kunstgewerbe und Kunstmöbel in der Wohnung, in: Markus Kristan (Hrsg.): Josef Hoffmann. Bauten & Interieurs, Wien 2002, S. 20. Hofmannsthal 1979 – Hofmannsthal, Hugo
von: Die Mutter, in: Ders.: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Reden und Aufsätze I. 1891–1913, hrsg. v. Bernd Schoeller, Frankfurt am Main 1979, S. 100–105. Hofmannsthal 2002 (1902) – Hofmannsthal, Hugo von: Ein Brief, in: Ders.: Der Brief des Lord Chandos. Erfundene Gespräche und Briefe, Frankfurt am Main 2002 (1902), S. 21–32. Hofmannsthal 2004 (1921) – Hofmannsthal, Hugo von: Der Schwierige, in: Ders.: Gesammelte Werke. Dramen und Opernlibretti, Bd. 2, hrsg. v. Dieter Lamping und Frank Zipfel, Düsseldorf und Zürich 2004 (1921), S. 631–784. Hofmannsthal 1986 – Hofmannsthal, Hugo von: Gesammelte Werke. Reden und Aufsätze. 1891–1913, Bd. 8, hrsg. v. Bernd Schoeller, Frankfurt am Main 1986. Huysmans 2006 (Frz. 1884) – Huysmans, Karl– Joris: Gegen den Strich, Frankfurt am Main und Leipzig 2006 (Frz. 1884). Khnopff 1901 – Khnopff, Fernand: Josef Hoffmann. Architect and Decorator, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 22 (1901), S. 261–267. Kleiner 1927 – Kleiner, Leopold: Neue Werkkunst Josef Hoffmann, Leipzig 1927. Koch 1989 (1901) – Koch, Alexander (Hrsg.): Ein Dokument Deutscher Kunst, Stuttgart 1889 (1901). Kortz 1906 – Kortz, Paul: Wien am Anfang des XX. Jahrhunderts. Ein Führer in technischer und künstlerischer Richtung. Hochbauten, Architektur und Plastik, hrsg. v. österreichischen Ingenieur- und Architektenverein, Bd. 2, Wien 1906. Krafft-Ebing 1903 – Krafft-Ebing, Richard: Über gesunde und kranke Nerven, Tübingen 1903. Kraus 1910 – Kraus, Karl: Das Haus auf dem Michaelerplatz, in: Die Fackel, Jg. 12 (1910), H. 313/314, S. 4–6 (Quelle: http://corpus1.aac. ac.at/fackel/, 20.07.2015). Kraus 1913 – Kraus, Karl: Nachts, 1918, in: Die Fackel, Jg. 15 (1913), H. 389–390, S. 28–43 (Quelle: http://corpus1.aac.ac.at/fackel/, 20.07.2015). Kraus 2004 (1897) – Kraus, Karl: Die demolirte Literatur, in: Gotthart Wunberg: Die Wiener
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Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910 (Universalbibliothek, Bd. 7742), Stuttgart 2004, S. 644–650. Lebisch 1905/1906 – Lebisch, Franz: Ansichten. Naturalismus und Stil, in: Hohe Warte. Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, Wien und Leipzig, Jg. 2 (1905/1906), S. 189–193. Lederer 1908. – Lederer, Viktor: Venedig in Wien, in: Die Wage, Jg. 11 (1908), Bd. 2, H. 27, S. 640–642. Lehmann 1985 (1931) – Lehmann, Fritz: Loos und Hoffmann. „Prager Tagblatt“, 7. Jänner 1931, in: Adolf Opel (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985, S. 168–172. Levetus 1904 – Levetus, A. S.: Professor Hoffmann’s Artist Colony, Vienna, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 32 (1904), S. 125–132. Levetus 1912 – Levetus, A. S.: Austrian Architecture and Decoration, in: The Studio. Yearbook of decorative Art, 1912, S. 181–240. Levetus 1913 – Levetus, A. S.: Austrian Architecture and Decoration, in: The Studio. Year Book of decorative Art, 1913, S. 187–224. Levetus 1929 – Levetus, A. S.: The house of a viennese architect, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 97 (1929), S. 383–387. Levetus 1991 (1914) – Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann, Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 2, in: Friedrich Kurrent und Alice Strobl: Das Palais Stoclet in Brüssel, Salzburg 1991, S. 24–59. Liebstoeckl 1985 (1927) – Liebstoeckl, Hans: Los von Loos. Die Bühne, 5. Mai 1927, in: Adolf Opel (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985, S. 110–113. Lipps 1903 – Lipps, Theodor: Ästhetik. Psychologie des Schönen und der Kunst. Erster Teil. Grundlegung der Ästhetik, Hamburg und Leipzig 1903. Lipps 1906 – Lipps, Theodor: Ästhetik. Psycholo-
gie des Schönen und der Kunst. Zweiter Teil. Die ästhetische Betrachtung und die bildende Kunst, Hamburg und Leipzig 1906. Loos 1962 – Loos, Adolf: Trotzdem. 1900–1930, hrsg. v. Adolf Opel, unveränderter Neudruck der Erstausgabe von 1931, Wien 1962. • Loos 1962 (1908) – Loos, Adolf: Ornament und Verbrechen (1908), in: Ders.: Trotzdem 1900–1930, hrsg. v. Adolf Opel, unveränderter Neudruck der Erstausgabe von 1931, Wien 1997, S. 276–288. • Loos 1962 (1910) – Loos, Adolf: Architektur (1910), in: Ders.: Trotzdem. 1900–1930, hrsg. v. Adolf Opel, unveränderter Neudruck der Erstausgabe von 1931, Wien 1997, S. 302–318. Loos 2010 – Loos, Adolf: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010. • Loos 2010 (1897) – Loos, Adolf: Eine Concurrenz der Stadt Wien. 1897, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 6–10. • Loos 2010 (1898.1) – Loos, Adolf: Die Herrenmode. 1898, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 54–60. • Loos 2010 (1898.2) – Loos, Adolf: Die Plumber. Bäder. Herde in der Jubiläumsausstellung. 1898, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 104–111. • Loos 2010 (1898.3) – Loos, Adolf: Die Herrenhüte. 1898, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 112–119. • Loos 2010 (1898.4) – Loos, Adolf: Das Princip der Bekleidung. 1898, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 138–144. • Loos 2010 (1898.6) – Loos, Adolf: Die Potemkinsche Stadt. 1898, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 187–190. • Loos 2010 (1898.7) – Loos, Adolf: Die Alte und die Neue Richtung in der Baukunst. Eine Parallele mit besonderer Rücksicht auf die Wiener Kunstverhältnisse. 1898, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 194–200. • Loos 2010 (1898.8) – Loos, Adolf: Die Win-
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terausstellung des Oesterreichischen Museums. 1898, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 223–229. Loos 2010 (1903.1) – Loos, Adolf: Das Andere. Ein Blatt zur Einfuehrung abendlaendischer Kultur in Oesterreich: Geschrieben von Adolf Loos, 1903, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 270–321. Loos 2010 (1903.2) – Loos, Adolf: Der Sattlermeister, aus: Das Andere. Ein Blatt zur Einfuehrung abendlaendischer Kultur in Oesterreich, Bd. 1 (1903), H. 2, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 296f. Loos 2010 (1907) – Loos, Adolf: Wohnungswanderungen. 1907, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 339–348. Loos 2010 (1908.1) – Loos, Adolf: Die Überflüssigen (Deutscher Werkbund). 1908, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 349–351. Loos 2010 (1908.2) – Loos, Adolf: Ornament und Verbrechen. 1908, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 363–373. Loos 2010 (1910.1 ) – Loos, Adolf: An den Ulk. 1910, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 374. Loos 2010 (1910.2) – Loos, Adolf: Wiener Architekturfragen 1910, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 380–384. Loos 2010 (1910.3) – Loos, Adolf: Mein erstes Haus. 1910, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 385–387. Loos 2010 (1910.4) – Loos, Adolf: Das Haus gegenüber der Hofburg. 1910, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 388f. Loos 2010 (1910.5) – Loos, Adolf: Architektur. 1910, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 391–404. Loos 2010 (1911) – Loos, Adolf: Mein Haus am Michaelerplatz. 1911, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 416–432.
• Loos 2010 (1923) – Loos, Adolf: Nacktheit. 1923, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 592. • Loos 2010 (1924.1) – Loos, Adolf: Ornament und Erziehung. 1924, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 597–603. • Loos 2010 (1924.2) – Loos, Adolf: Von der Sparsamkeit. 1924, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 604–616. • Loos 2010 (1927) – Loos, Adolf: Die Moderne Siedlung. 1927, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 637–660. • Loos 2010 (1929) – Loos, Adolf: Josef Veillich. 1929, in: Ders. Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 697–702. • Loos 2010 (1930.1) – Loos, Adolf: Kontroversen im Querschnitt. 1930, in: Ders. Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 718–721. • Loos 2010 (1930.2) – Loos, Adolf: Vorwort zur Erstausgabe von „Trotzdem“. 1930, in: Ders. Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 722. • Loos 2010 (1931) – Loos, Adolf: Über Josef Hoffmann. 1931, in: Ders. Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 725–730. • Loos 2010 (1931.2) – Loos, Adolf: Adolf Loos über Josef Hoffmann. 1931, in: Ders. Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 731f. Loos ²2007 – Loos, Lina: Oder wenn die Muse sich selbst küsst, Wien u.a. ²2007. Lothar 1898 – Lothar, Rudolph: Von der Secession, in: Die Wage, Jg. 1 (1898), Bd. 1, H. 49, S. 813f. Lux 1902.1 – Lux, Joseph August: XIV. Kunst-Ausstellung der Vereinigung Bildender Künstler Österreich’s Secession 1902. Klinger’s Beethoven und die moderne Raum-Kunst, in: Deutsche Kunst und Dekoration. Illustrierte Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerische Frauen-Arbeiten, Bd. 10 (1902), S. 475–483. Lux 1902.2 – Lux, Joseph August: Innen-Kunst
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5. Anhang
von Prof. Joseph Hoffmann – Wien, in: Illustrierte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration, Jg. 13 (1902), S. 129–132. Lux 1903 – Lux, Joseph August: Villenkolonie Hohe Warte. Erbaut von Prof. Joseph Hoffmann, in: Das Interieur, Jg. 4 (1903), S. 121–184. Lux 1904/1905.1 – Lux, Joseph August: Biedermeier als Erzieher, in: Hohe Warte, hrsg. vom Bund Deutscher Architekten, Jg. 1 (1904/1905), S. 145–155. Lux 1904/1905.2 – Lux, Joseph August: Sanatorium, in: Hohe Warte, hrsg. vom Bund Deutscher Architekten, Jg. 1 (1904/1905), S. 406f. Lux 1905 – Lux, Joseph August: Die Moderne Wohnung und ihre Ausstattung, Wien 1905. Lux 1914 – Lux, Joseph August: Otto Wagner. Eine Monographie von Joseph August Lux, München 1914. Mach 1987 (1922) – Mach, Ernst: Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen, Nachdruck der 9. Auflage, Jena 1922, Darmstadt 1987. Mourey 1901 – Mourey, Gabriel: Round the Exhibition IV Austrian Decorative Art, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 21 (1901), S. 113–123. Musil 1978 – Musil, Robert: Form und Inhalt. Ohne Titel – um 1910, in: Ders.: Gesammelte Werke. Prosa und Stücke. Kleine Prosa. Aphorismen. Autobiographisches. Essays und Reden. Kritik, Bd. 2, Hamburg 1978, S. 1299–1303. Musil 2006 – Musil, Robert: Der Mann ohne Eigenschaften. Roman/I. Erstes und zweites Buch, hrsg. v. Adolf Frisé, 21. Auflage, Hamburg 2006. Muthesius ²1905 – Muthesius, Hermann: Das moderne Landhaus und seine innere Ausstattung. 320 Abbildungen moderner Landhäuser aus Deutschland, Österreich, England und Finnland mit Grundrissen und Innenräumen, München ²1905. Muthesius 1976 (1907) – Muthesius, Hermann: Kunstgewerbe und Architektur, Nachdruck der Auflage von 1907, Liechtenstein 1976. Muthesius 1908 – Muthesius, Hermann: Die Einheit der Architektur. Betrachtungen über Bau-
kunst, Ingenieurbau und Kunstgewerbe, Berlin 1908. Nietzsche 1983 (1888) – Nietzsche, Friedrich: Der Fall Wagner. Schriften – Aufzeichnungen – Briefe (insel taschenbuch, Bd. 686), hrsg. v. Dieter Borchmeyer, Frankfurt am Main 1983. Nietzsche KSA 1999 – Nietzsche, Friedrich: Nachlaß 1885–1887. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, hrsg. v. Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Bd. 12, München u.a. 1999. Ohne Autor 1897 – Ohne Autor: The Revival of english domestic Architecture. VI. The Work of Mr. C. F. A. Voysey, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 11 (1897), H. 51, S. 16–25. Ohne Autor Notizen 1900 – Ohne Autor: Notizen, in: Das Interieur, Jg. 1 (1900), S. 94–96. Ohne Autor Bd. 25 1902 – Ohne Autor: Studio-Talk. Vienna, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 25 (1902), S. 298. Ohne Autor Bd.26 1902 – Ohne Autor: Studio-Talk. Vienna, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 26 (1902), S. 141–143. Ohne Autor 1905/1906 – Ohne Autor: Moderne Kunst, in: Hohe Warte. Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, Wien und Leipzig, Jg. 2 (1905/1906), S. 68–70. Ohne Autor 1906 – Ohne Autor: Studio-Talk. Vienna, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 37 (1906), S. 169. Ohne Autor 1909 – Ohne Autor: Projekt für die Stiftung „Heilstätte und Heim für Lupuskranke“. Nach dem Entwurf von Professor Otto Wagner k. k. Oberbaurat, in: Der Architekt. Monatshefte für Bau- und Raumkunst, Jg. 15 (1909), S. 13–16. Ohne Autor 1985 (1911) – Ohne Autor: Das Haus am Michaelerplatz (Eine Polemik mit Herrn Loos). Wiener Montags-Journal, 10. April 1911, in: Adolf Opel (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985, S. 48–51.
5.1. Literaturliste
Olbrich 1900 – Olbrich, Joseph Maria: Unsere nächste Arbeit, in: Deutsche Kunst und Dekoration. Illustrierte Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerische Frauen-Arbeiten, Sonderheft der Künstlerkolonie Darmstadt, Bd. 6 (1900), Heft 8 (Mai), S. 366–369. Olbrich 1905/1906 – Olbrich, Joseph Maria: Der Farbengarten, in: Hohe Warte. Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, Wien und Leipzig, Jg. 2 (1905/1906), S. 184–189. Platz ²2000 – Platz, Gustav Adolf: Die Baukunst der neuesten Zeit, Berlin ²2000. Poe 1921 – Poe, Edgar Allan: Verbrecher Geschichten, hrsg. v. Theodor Etzel, Berlin und Leipzig ca. 1921. Poe 1979 – Poe, Edgar Allan: Collected Works of Edgar Allan Poe. Volume II Tales and Sketches 1831 – 1842, hrsg. v. Thomas Ollive Mabbott, u.a. Cambridge 1979. Poe 2010 – Poe, Edgar Allan: Der Mann der Menge, in: Flaneure. Begegnungen auf dem Trottoir, Frankfurt am Main u.a 2010, S. 13–32. Riegl 1928 (1898) – Riegl, Alois: Möbel und Innendekoration des Empire (1898), in: Ders.: Gesammelte Aufsätze, Augsburg und Wien 1928, S. 10–27. Riegl 1928 (1899) – Riegl, Alois: Die Stimmung als Inhalt der modernen Kunst. (1899), in: Ders.: Gesammelte Aufsätze, Augsburg und Wien 1928, S. 28–39. Riegl 1928 (1902) – Riegl, Alois: Jacob van Ruysdael, in: Ders.: Gesammelte Aufsätze, Augsburg und Wien 1928, S.133–143. Riegl 1928 (1903) – Riegl, Alois: Der moderne Denkmalkultus, sein Wesen, seine Entstehung, in: Ders.: Gesammelte Aufsätze, Augsburg und Wien 1928, S. 144–193. Roller 1902 – Roller, Alfred: „Eure Exzellenz! Überreicht im Dezember 1901“, in: Ver Sacrum, Jg. 5 (1902), S. 49–56. Schaukal 1988 (1910) – Schaukal, Richard: Ein Haus und seine Zeit, aus: Der Merker, 10.12.1910., in: Adolf Opel (Hrsg.): Konfrontationen. Schriften von und über Adolf Loos, Wien 1988, S. 45f.
Scheu 1985 (1909) – Scheu, Robert: Adolf Loos. „Die Fackel“, 26. Juni 1909, in: Adolf Opel (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985, S. 25–33. Schmarsow 2006 – Schmarsow, August: Das Wesen der architektonischen Schöpfung, in: Jörg Dünne und Stephan Günzel (Hgg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2006, S. 470–484. Schnitzler 2002.1 – Schnitzler, Arthur: Spaziergang, in: Ders.: Gesammelte Werke in drei Bänden. Erzählungen, Bd. 1, hrsg. v. Hartmut Scheible, Düsseldorf und Zürich 2002, S. 181–186. Schnitzler 2002.2 – Schnitzler, Arthur: Anatol, in: Ders.: Gesammelte Schriften in drei Bänden. Dramen, Bd. 2, hrsg. v. Hartmut Scheible, Düsseldorf und Zürich 2002, S. 5–92. Schölermann 1899 – Schölermann, Wilhelm: Modern fine and applied Art in Vienna, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 16 (1899), S. 30–39. Schönthal 1908 – Schönthal, Otto: Die Kirche Otto Wagners, in: Der Architekt. Monatshefte für Bau- und Raumkunst, Jg. 14 (1908), S. 1–5. Schütte-Lihotzky 1981 – Schütte-Lihotzky, Margarete: Gedanken über Adolf Loos, in: Bauwelt, Jg. 72 (1981), S. 1872–1876. Semper 2008 (1860) – Semper, Gottfried: Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder praktische Ästhetik. Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde, Bd. 1, Frankfurt am Main 1860, in: Gottfried Semper: Gesammelte Werke (Historia Scientiarum, hrsg. v. Bernhard Fabian u.a.), hrsg. v. Henrik Karge, Bd. 2, Nachdruck der Auflage von 1860, Hildesheim u.a. 2008. Simmel 2006 (1903) – Simmel, Georg: Über räumliche Projektionen sozialer Formen. 1903, in: Jörg Dünne und Stephan Günzel (Hgg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2006, S. 304–315. Simmel 2011 (1903) – Simmel, Georg: Die Großstädte und das Geistesleben (1903), in: Susanne Hauser, Christa Kamleithner und Roland Meyer
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5. Anhang
(Hgg.): Architekturwissen. Grundlagentexte aus den Kulturwissenschaften. Bd. 1: Zur Ästhetik des sozialen Raumes, Bielefeld 2011, S. 147–157. Sitte ³1901 – Sitte, Camillo: Der Städte-Bau nach seinen künstlerischen Grundsätzen. Ein Beitrag zur Lösung moderner Fragen der Architektur und monumentalen Plastik unter besonderer Beziehung auf Wien, Wien ³1901. Sitte 2010 (1900) – Sitte, Camillo: Über Farbenharmonie (1900), in: Schriften zu Kunsttheorie und Kunstgeschichte (Camillo Sitte Gesamtausgabe, Bd. 5), hrsg. v. Klaus Semsroth u.a., Wien 2010, S. 370–421. Sörgel, Hermann: Architektur-Ästhetik. Theorie der Baukunst, Berlin 1998 (Nachdruck der dritten Auflage, München 1921. Steiner 1977 (1907) – Steiner, Rudolf: Der Theosophische Kongress von 1907. Bericht in der Zeitschrift Luzifers-Gnosis, Nr. 34, in: Ders.: Bilder Okkulter Siegel und Säulen. Der Münchner Kongress Pfingsten 1907 und seine Auswirkungen, Dornach ²1977, S. 35–42. Stoessl 1900 – Stoessl, Otto: Secession, in: Die Wage, Jg. 3 (1900), Bd. 1, H. 47, S. 330f. Symons 1903 – Symons, Arthur: Aubrey Beardsley, in: Ver Sacrum, Jg. 6 (1903), H. 6, S. 117–138. Szeps-Zuckerkandl 1939 – Szeps-Zuckerkandl, Berta: Ich erlebte fünfzig Jahre Weltgeschichte, Niederlande 1939. The Studio 1906 – The Studio. The Art-Revival in Austria, 1906. Thiersch 1883 – Thiersch, August: Die Proportionen der Architektur, in: Handbuch der Architektur, Bd. 4, Darmstadt 1883. Tietze 1910 – Tietze, Hans: Der Kampf um Alt-Wien. III. Wiener Neubauten, in: Kunstgeschichtliches Jahrbuch der k. k. Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale, Beiblatt zum Bd. IV (1910), Sp. 33–62. Unger 1981 – Unger, Y. Kurt: Meine Lehre bei Adolf Loos, in: Bauwelt, Jg. 72 (1981), H. 42, S. 1882–1892. Velde 1908 – Velde, Henry van de: Die Linie, in: Die neue Rundschau, 19. Jg. 1908, Bd. 3, S. 1035–1050.
Velde 1955 (1910) – Velde, Henry van de: Die Linie, in: Ders.: Zum neuen Stil, hrsg. v. Hans Curjel, München 1955 (1910), S. 181–195. Velde 1995 – Velde, Henry van de: Récit de ma vie. Berlin – Paris – Weimar. Bd. 2 1900–1913, Brüssel 1995. Vitruvii/Vitruv 1996 – Vitruvii/Vitruv: De architectura libri decem/Zehn Bücher über Architektur. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von D. Curt Fensterbusch, 5. Auflage, Darmstadt 1996. Voysey 1901 – Voysey, C. F. A.: Remarks on domestic entrance halls, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 21 (1901), S. 242–245. Voysey 1998 (1906) – Voysey, C. F. A.: Vernunft als Grundlage der Kunst. 1906, in: Gerda Breuer: Ästhetik der schönen Genügsamkeit oder Arts and Crafts als Lebensform. Programmatische Texte, erläutert von Gerda Breuer (Bauwelt Fundamente Bd. 112), hrsg. v. Ulrich Conrads und Peter Neitzke, Braunschweig und Wiesbaden 1998, S. 145–146. Voysey 1915 – Voysey, C. F. A.: Individuality, London 1915, S. 111. Walden 1988 (1911) – Walden, Herwarth: Schönheit! Schönheit! Der Fall Adolf Loos, aus: Der Sturm, Jg. 2 (1911), H. 70, in: Adolf Opel (Hrsg.): Konfrontationen. Schriften von und über Adolf Loos, Wien 1988, S. 77–80. Wagner 1896 – Wagner, Otto: Moderne Architektur. Seinen Schülern ein Führer auf diesem Kunstgebiete, Wien 1896. Wagner ³1902 – Wagner, Otto: Moderne Architektur. Seinen Schülern ein Führer auf diesem Kunstgebiet, Wien ³1902. Wagner 2008 – Wagner, Otto: Die Baukunst unserer Zeit, hrsg. v. Eva Winkler, Österreich 2008. Wagner 1850 – Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft, Leipzig 1850. Weininger 1980 (1903) – Weininger, Otto: Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung, Nachdruck der 1. Auflage, Wien 1903, München 1980. Widmer 1905–1906 – Widmer, K.: Farbe und
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Raum-Stimmung, in: Deutsche Kunst und Dekoration. Illustrierte Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerische Frauen-Arbeiten, Bd. 17 (1905–1906), S. 204–209. Wittmann 1985 (1910) – Wittmann, Hugo: Das Haus gegenüber der Burg. Neue Freie Presse, 4. Dezember 1910, in: Adolf Opel (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985, S. 36–40. Wölfflin 1888 – Wölfflin, Heinrich: Renaissance und Barock. Eine Untersuchung über Wesen und Entstehung des Barockstils in Italien, München 1888. Wölfflin 1999 – Wölfflin, Heinrich: Prolegomena zu einer Psychologie der Architektur. Mit einem Nachwort zur Neuausgabe von Jasper Cepl (Edition Ars et Architectura), hrsg. v. Helmut Geisert und Fritz Neumeyer, Berlin 1999. Wolff-Friedenau 1912 – Wolff-Friedenau, Th.: Verwendung von Motorlastwagen im Baugewerbe, in: Der Architekt. Monatshefte für Bauund Raumkunst, Jg. 18 (1912), S. 9–16. Worringer 1987 (1908) – Worringer, Wilhelm: Abstraktion und Einfühlung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie, Neuausgabe der Ausgabe von 1908, München und Zürich 1987. Zoff 1985 (1912) – Zoff, Otto: Adolf Loos über sein Haus (Im akademischen Verband für Literatur und Musik). Der Merker, Februar 1912, in: Adolf Opel (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985, S. 55f. Zuckerkandl 1904 – Zuckerkandl, B.: Josef Hoffmann, in: Dekorative Kunst. Illustrierte Zeitschrift für Angewandte Kunst, Jg. 12 (1904), S. 1–15. Zuckerkandl 1908 – Zuckerkandl, Berta: Zeitkunst. Wien 1901–1907, Wien 1908, S. 26–33. Zuckerkandl 1911 – Zuckerkandl, Berta: Josef Hoffmann. Meine Arbeit, in: Wiener Allgemeine Zeitung, 22. Februar 1911, S. 3. Zuckerkandl 1970 – Zuckerkandl, Berta: Österreich intim. Erinnerungen 1892–1942, hrsg. v. Reinhard Federmann, Frankfurt am Main 1970. Zuckerkandl 1991 – Zuckerkandl, Berta: Kunst
und Kultur. Der Klimt-Fries, in: Friedrich Kurrent und Alice Strobl (Hgg.): Das Palais Stoclet in Brüssel von Josef Hoffmann mit dem berühmten Fries von Gustav Klimt, Salzburg 1991, S. 91–93. Zweig 2005 (1942) – Zweig, Stefan: Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers, 35. Auflage, Frankfurt am Main 2005 (1942).
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5. Anhang
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Fahr-Becker 2003 – Fahr-Becker, Gabriele: Wiener Werkstätte. 1903–1932, Köln u.a. 2003. Finger 2006 – Finger, Anke: Das Gesamtkunstwerk der Moderne, Göttingen 2006. Fischl 1996 – Fischl, Regine: Kurzer Abriss über die Aussensanierung des Sanatorium Purkersdorf, in: Hoffmann-Bau. Purkersdorf bei Wien, hrsg. v. Klaus KG, Purkersdorf 1996, S. 19–21. Fischer und Köpl 2005 – Fischer, Lisa und Regina Köpl: Sigmund Freud. Wiener Schauplätze der Psychoanalyse, Wien u.a. 2005. Fischer 2008 – Fischer, Ole W.: Ins Leere widersprochen. Über die Polemik von Adolf Loos gegen Henry van de Velde: eine kulturpsychologische Betrachtung, in: Ákos Moravánszky, Bernhard Langer und Elli Mosayebi (Hgg.): Adolf Loos. Die Kultivierung der Architektur, Zürich 2008, S. 83–116. Fornoff 2004 – Fornoff, Roger: Die Sehnsucht nach dem Gesamtkunstwerk. Studien zu einer ästhetischen Konzeption der Moderne (Literaturwissenschaft im interdisziplinären Dialog, hrsg. v. Angelika Corbineau-Hoffmann, Bd. 6), Hildesheim u.a. 2004. Forsthuber 1991 – Forsthuber, Sabine: Moderne Raumkunst. Wiener Ausstellungsbauten von 1898 bis 1914, Wien 1991. Frampton 1996 – Frampton, Kenneth: Adolf Loos – der Architekt als Baumeister, in: Roberto Schezen: Adolf Loos. Architektur, Wien und Salzburg 1996, S. 14–21. Frampton 2010 – Frampton, Kenneth: Die Architektur der Moderne. Eine kritische Baugeschichte, überarbeitete und erweiterte Neuausgabe der 8. Auflage, München 2010. Frank 2001 – Frank, Isabelle: Das körperlose Ornament im Werk Owen Jones und Alois Riegl, in: Isabelle Frank und Freia Hartung (Hgg.): Die Rhetorik des Ornaments, München 2001, S. 77–99. Frey 2011 – Frey, Christiane: Kants proportionierte Stimmung, in: Anna-Katharina Gisbertz (Hrsg.): Stimmung. Zur Wiederkehr einer ästhetischen Kategorie, München 2011, S. 75–94. Friedrich 1996 – Friedrich, Sven: Das auratische Kunstwerk. Zur Ästhetik von Richard
5.1. Literaturliste
Wagners Musiktheater-Utopie (Theatron, Bd. 19), Tübingen 1996. Friedrich und Gleiter 2007 – Friedrich, Thomas und Jörg G. Gleiter (Hgg.): Einfühlung und phänomenologische Reduktion. Grundlagentexte zu Architektur, Design und Kunst (Ästhetik und Kulturphilosophie, hrsg. v. Thomas Friedrich und Gerhard Schweppenhäuser, Bd. 5), Berlin 2007. Frottier 1990 – Frottier, Elisabeth: SchwarzWeiss. Die Entdeckung des Kontrastes, Wien 1990. Fuchs 2000 – Fuchs, Thomas: Leib, Raum, Person. Entwurf einer phänomenologischen Anthropologie, Stuttgart 2000. Führ 2001 – Führ, Eduard: „ich esse Roastbeef!“ Ornament und Praxis in der Modernen Architektur, in: Isabelle Frank und Freia Hartung (Hgg.): Die Rhetorik des Ornaments, München 2001, S. 301–324. Gaehtgens 2010 – Gaehtgens, Thomas W.: „Cet ordre de sentiments confus […] par les mots de Gemuth et de Stimmung“. Böcklin aus französischer Sicht, in: Kerstin Thomas (Hrsg.): Stimmung. Ästhetische Kategorie und künstlerische Praxis (Passagen / Passages, Bd. 33), Berlin und München 2010, S. 197–211. Geismeier 1979 – Geismeier, Willi: Biedermeier. Das Bild vom Biedermeier. Zeit und Kultur des Biedermeier. Kunst und Kunstleben des Biedermeier, Leipzig 1979. Gelfert 2008 – Gelfert, Hans-Dieter: Edgar Allan Poe. Am Rande des Malstroms, München 2008. Gemmel 2005 – Gemmel, Mirko: Die Kritische Wiener Moderne. Ethik und Ästhetik. Karl Kraus. Adolf Loos. Ludwig Wittgenstein, Berlin 2005. Ginhart 1948 – Ginhart, Karl: Wiener Kunstgeschichte, Wien 1948. Gisbertz 2009 – Gisbertz, Anna-Katharina: Stimmung – Leib – Sprache. Eine Konfiguration in der Wiener Moderne, München 2009. Gisbertz 2011 – Gisbertz, Anna-Katharina (Hrsg.): Stimmung. Zur Wiederkehr einer ästhetischen Kategorie, München 2011.
• Gisbertz 2011.1 – Gisbertz, Anna-Katharina: Wiederkehr der Stimmung? In: Dies. (Hrsg.): Stimmung. Zur Wiederkehr einer ästhetischen Kategorie, München 2011, S. 7–13. • Gisbertz 2011.2 – Gisbertz, Anna-Katharina: Ver-/Stimmungen in der Wiener Moderne, in: Dies. (Hrsg.): Stimmung. Zur Wiederkehr einer ästhetischen Kategorie, München 2011, S. 177–195. Gleiter 2002 – Gleiter, Jörg H.: Rückkehr des Verdrängten. Zur kritischen Theorie des Ornaments in der architektonischen Moderne, Weimar 2002. Gleiter 2008 – Gleiter, Jörg H.: Architekturtheorie heute (ArchitekturDenken. Architekturtheorie und Ästhetik), Bielefeld 2008. Gleiter 2009 – Gleiter, Jörg H.: Der philosophische Flaneur. Nietzsche und die Architektur, Würzburg 2009. Gorsen 1985 – Gorsen, Peter: Josef Hoffmann. Zur Modernität eines konservativen Baumeisters, in: Alfred Pfabigan (Hrsg.): Ornament und Askese. Im Zeitgeist des Wien der Jahrhundertwende, Wien 1985, S. 69–92. Graf 1985 – Graf, Otto Antonia: Otto Wagner. Teil 1 Das Werk des Architekten 1860–1902 (Schriften des Instituts für Kunstgeschichte, Akademie der Bildenden Künste, Wien, Bd. 2), Wien 1985. Gravagnuolo 1982 – Gravagnuolo, Benedetto: Adolf Loos. Theory and works, Florenz und Mailand 1982. Gubler 1985 – Gubler, Jacques: „Sur l’album photographique de la villa Karma“, lettre à A. M. Vogt, in: Katharina Medici-Mall (Hrsg.): Fünf Punkte in der Architekturgeschichte. Festschrift für Adolf Max Vogt, Basel 1985, S. 214–229. Günther 2009 – Günther, Hubertus: Was ist Renaissance? Eine Charakteristik der Architektur zu Beginn der Neuzeit, Darmstadt 2009 Günther: Was ist Renaissance? Eine Charakteristik der Architektur zu Beginn der Neuzeit, Darmstadt 2009. Gundlach 1993 – Gundlach, Horst: Entstehung und Gegenstand der Psychophysik (Lehr- und Forschungstexte, hrsg. v. D. Albert u.a., Bd. 45), Berlin u.a. 1993.
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5. Anhang
Haag 2012 – Haag, Saskia: ‚Stimmung‘ machen. Die Produktion des Interieurs im 19. Jahrhundert, in: Hans Georg von Arburg und Sergej Rickenbacher (Hgg.): Concordia discors. Ästhetiken der Stimmung zwischen Literaturen, Künsten und Wissenschaften (Philologie der Kultur, Bd. 5), Würzburg 2012, S. 115–125. Haiko und Reissberger 1985 – Haiko, Peter und Mara Reissberger: Ornamentlosigkeit als neuer Zwang, in: Alfred Pfabigan (Hrsg.): Ornament und Askese. Im Zeitgeist des Wien der Jahrhundertwende, Wien 1985, S. 110–119. Haiko 1986 – Haiko, Peter: Otto Wagner: „Von der Renaissance zur Naissance der Kunst“, in: Hermann Fillitz und Martina Pippal (Hgg.): Akten des XXV. Internationalen Kongresses für Kunstgeschichte. Wien und die Architektur des 20. Jahrhunderts, Bd. 8, Wien 1986, S. 117–123. Haiko 1994 – Haiko, Peter: The „Obscene“ in Viennese Architecture of the Early Twentieth Century, in: Patrick Werkner (Hrsg.): Egon Schiele. Art, Sexuality, and Viennese Modernism, Washington 1994, S. 89–100. Hanák 1986 –Hanák, Péter: Lebensgefühl oder Weltanschauung, in: Peter Berner und Emil Brix und Wolfgang Mantl (Hgg.): Wien um 1900. Aufbruch in die Moderne, München 1986, S. 157–163. Hanisch und Sonne 2008 – Hanisch, Ruth und Wolfgang Sonne: Die Welt der kleinen Dinge. Camillo Sittes Schriften zum Kunstgewerbe, in: Klaus Semsroth u.a (Hrsg.): Camillo Sitte. Schriften zu Kunstkritik und Kunstgewerbe (Camillo Sitte Gesamtausgabe, Bd. 1), Wien u.a. 2008, S. 103–131. Harather 1995 – Harather, Katrin: Haus-Kleider. Zum Phänomen der Bekleidung in der Architektur, Wien u.a. 1995. Hartmann ²2010 – Hartmann, Martin: Gefühle. Wie die Wissenschaften sie erklären (Campus Studium), Frankfurt am Main ²2010. Herding 2004 – Herding, Klaus: Emotionsforschung heute – eine produktive Paradoxie, in: Ders. und Bernhard Stumpfhaus (Hgg.): Pathos, Affekt, Gefühl. Die Emotionen in den Künsten, Berlin und New York 2004, S. 3–46.
Herlemann 1972 – Herlemann, Klaus-Dieter: Oscar Wildes ironischer Witz als Ausdrucksform seines Dandysmus. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität zu Freiburg im Breisgau, Freiburg 1972. Hermand 2009 – Hermand, Jost: Der Kunsthistoriker Richard Hamann. Eine politische Biographie (1879–1961), Köln u.a. 2009. Hodonyi 2010 – Hodonyi, Robert: Herwarth Waldens Sturm und die Architektur. Eine Analyse zur Konvergenz der Künste in der Berliner Moderne (Moderne-Studien, hrsg. v. Walter Delabar, Walter Fähnders und Dieter Heimböckel, Bd. 6), Bielefeld 2010. Hofmann 2001 – Hofmann, Werner: Das kaschierte Ornament (Loos und Wien), in: Isabelle Frank und Freia Hartung (Hgg.): Die Rhetorik des Ornaments, München 2001, S. 277–300. Hubmann 2003 – Hubmann, Alexander: Bau- und Restaurierungsgeschichte des – Sanatorium Purkersdorf, in: Elisabeth Gehrer (Hrsg.): Josef Hoffmanns Sanatorium Purkersdorf bei Wien, Wien 2003, S. 46–55. Imorde 2006 – Imorde, Joseph: Adolf Loos. Der Raumplan und das Private, in: Kritische Berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaft, Jg. 34 (2006), H. 2, S. 33–48. Janik 1986 – Janik, Allan: Kreative Milieus. Der Fall Wien, in: Peter Berner und Emil Brix und Wolfgang Mantl (Hgg.): Wien um 1900. Aufbruch in die Moderne, München 1986, S. 45–55. Kemp 1983 – Kemp, Wolfgang: John Ruskin, München 1983. Johnston 1974 – Johnston, William: Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte. Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848 bis 1938, Wien 1974. Kalavrezou-Maxeiner 1984 – Kalavrezou-Maxeiner, Ioli: Franz Wickhoff. Kunstgeschichte als Wissenschaft, in: Hermann Fillitz und Martina Pippal (Hgg.): Akten des XXV. Internationalen Kongresses für Kunstgeschichte. Wien und die Entwicklung der Kunsthistorischen Methode, Bd. 1, Wien 1984, S. 17–22.
5.1. Literaturliste
Kamm-Kyburz 1985 – Kamm-Kyburz, Christine: Tendenzen im Ornament Josef Hoffmanns, in: Thomas Bolt (Hrsg.): Grenzbereiche der Architektur, Stuttgart 1985, S. 115–123. Kandel 2012 – Kandel, Eric: Das Zeitalter der Erkenntnis. Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute, München 2012. Kapfinger 2003 – Kapfinger, Otto: Des Kunsttempels Traumlandsherkunft, in: Ohne Autor: Secession. Die Architektur, hrsg. v. der Secession, Wien 2003, S. 35–60. Kassal-Mikula 1984 – Kassal-Mikula, Renata: Architektur, in: Robert Waissenberger (Hrsg.): Wien 1890–1920, Wien 1984, S. 173–210. Kaufmann 1955 – Kaufmann, Emil: Architecture in the Age of Reason. Baroque and PostBaroque in England, Italy, and France, Cambridge 1955. Knoll 1986 – Knoll, Reinhold: Soziologie des Fin de siècle, in: Peter Berner und Emil Brix und Wolfgang Mantl (Hgg.): Wien um 1900. Aufbruch in die Moderne, München 1986, S. 56–62. Koch 2006 – Koch, Wilfried: Baustilkunde. Das Standardwerk zur europäischen Baukunst von der Antike bis zur Gegenwart, 27. grundlegend bearbeitete und ergänzte Auflage, Gütersloh und München 2006. Kolb 1989 – Kolb, Günter: Otto Wagner und die Wiener Stadtbahn (Beiträge zur Kunstwissenschaft, Bd. 29), München 1989. Krauss und Uthemann 1998 – Krauss, Heinrich und Eva Uthemann: Was Bilder erzählen. Die klassischen Geschichten aus Antike und Christentum, 4. Auflage, München 1998. Kravagna 2010 – Kravagna, Christian: Adolf Loos and the Colonial Imaginary, in: AK Colonial Modern. Aesthetics of the Past – Rebellions fort he Future (In the Desert of Modernity – Colonial Planning and After, Haus der Kulturen der Welt, Berlin), hrsg. v. Tom Avermaete u.a., London 2010, S. 245–261. Kretschmer 2010 – Kretschmer, Hildegard: Wien. Reclams Städteführer Architektur und Kunst (Reclams Universal-Bibliothek, Bd. 186969), Stuttgart 2010.
Kristan 2001 – Kristan, Markus: Adolf Loos. Läden & Lokale. Mit einer Einführung, einer Zeittafel und einem Werkregister von Markus Kristan, Wien 2001. Kristan 2002 – Kristan, Markus (Hrsg.): Josef Hoffmann. Bauten & Interieurs. In zeitgenössischen Photographien, Wien 2002. Kristan 2008 – Kristan, Markus: Adolf Loos bittet zu Tisch, in: Inge Podbrecky und Rainald Franz (Hgg.): Leben mit Loos, Wien u.a. 2008, S. 245–254. Kroll 1987 – Kroll, Frank-Lothar: Das Ornament in der Kunsttheorie des 19. Jahrhunderts. Mit einem Geleitwort von Heinrich Lützeler, Hildesheim u.a. 1987. Kroll 2001 – Kroll, Frank-Lothar: Ornamenttheorien im Zeitalter des Historismus, in: Isabelle Frank und Freia Hartung (Hgg.): Die Rhetorik des Ornaments, München 2001, S. 163–175. Kruft 1995 – Kruft, Hanno–Walter: Geschichte der Architekturtheorie. Von der Antike bis zur Gegenwart, 4. Auflage, München 1995. Kurdiovsky 2010 – Kurdiovsky, Richard: Der lange Weg zum Kaiserforum. Gottfried Sempers und Carl Hasenauers Idealplanungen zum Ausbau der Wiener Hofburg von 1867 bis 1871, in: Werner Telesko u.a. (Hrsg.): Die Wiener Hofburg und der Residenzbau in Mitteleuropa im 19. Jahrhundert. Monarchische Repräsentation zwischen Ideal und Wirklichkeit, Wien u.a. 2010, S. 87–113. Kurdiovsky 2012 – Kurdiovsky, Richard: Wettbewerbs- und Planungsgeschichte, in: Werner Telesko (Hrsg.): Die Wiener Hofburg 1835– 1918. Der Ausbau der Residenz vom Vormärz bis zum Ende des „Kaiserforums“, Wien 2012, S. 156–183. Kurrent 1991 – Kurrent, Friedrich: Das Palais Stoclet – Der Schrein von Brüssel. Ein architektonisches Meisterwerk von Josef Hoffmann, in: Ders. und Alice Strobl (Hgg.): Das Palais Stoclet in Brüssel von Josef Hoffmann mit dem berühmten Fries von Gustav Klimt, Salzburg 1991, S. 9–23. Kury 2000 – Kury, Astrid: „Heiligenscheine eines
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5. Anhang
elektrischen Jahrhundertendes sehen anders aus …“. Okkultismus und die Kunst der Wiener Moderne (Studien zur Moderne, hrsg. v. Karl Acham u.a., Bd. 9), Wien 2000. Lachmayer und Mattl-Wurm 1991 – Lachmayer, Herbert und Sylvia Mattl-Wurm (Hgg.): Das Bad. Eine Geschichte der Badekultur im 19. und 20. Jahrhundert, Salzburg und Wien 1991. Lamping und Zipfel 2004 – Lamping, Dieter und Frank Zipfel: Nachwort, in: Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke. Dramen und Opernlibretti, Bd. 2, hrsg. v. Dieter Lamping und Frank Zipfel, Düsseldorf und Zürich 2004, S. 860–885. Leitich 1942 – Leitich, Ann Tizia: Verklungenes Wien. Vom Biedermeier zur Jahrhundertwende, Wien 1942. Lennig 1994 – Lennig, Petra: Von der Metaphysik zur Psychophysik Gustav Theodor Fechner (1801–1887). Eine ergobiographische Studie (Beiträge zur Geschichte der Psychologie, hrsg. v. Helmut E. Lück, Bd. 8), Frankfurt am Main u.a. 1994. Le Rider 1985 – Le Rider, Jacques: Modernismus / Feminismus – Modernität / Virilität. Otto Weininger und die asketische Moderne, in: Alfred Pfabigan (Hrsg.): Ornament und Askese. Im Zeitgeist des Wien der Jahrhundertwende, Wien 1985, S. 242–260. Leser 1986 – Leser, Norbert: Geistige und politische Strömungen in Wien um 1900, in: Peter Berner, Emil Brix und Wolfgang Mantl (Hgg.): Wien um 1900. Aufbruch in die Moderne, München 1986, S. 63–68. Lipp 2002 – Lipp, Gerhard: Viktor Zuckerkandl. Das musikanthropologische Denken von Viktor Zuckerkandl (Musikethnologische Sammelbände, Bd. 18), hrsg. v. Wolfgang Suppan, Tutzing 2002. Long 2011 – Long, Christopher: The Looshaus, Austin Texas 2011. Lorenz ²2007 – Lorenz, Dagmar: Wiener Moderne (Sammlung Metzler, Bd. 290), Stuttgart ²2007. Lüdeke 2006 – Lüdeke, Rodger: Einleitung, in: Jörg Dünne und Stephan Günzel (Hgg.): Raum-
theorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2006, S. 449–467. Lustenberger 1994 – Lustenberger, Kurt: Adolf Loos, Zürich u.a. 1994. Magnago Lampugnani 1980 – Magnago Lampugnani, Vittorio: Architektur und Städtebau des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1980. Mayer 2003 – Mayer, Gottfried: Das Sanatorium Westend im Fin de Siècle – Bewohner und Gäste, in: Elisabeth Gehrer: Josef Hoffmanns Sanatorium Purkersdorf bei Wien, Wien 2003, S. 36–39. McLeod 1996 – McLeod, Mary: Undressing Architecture. Fashion, Gender, and Modernity, in: D. Fausch u. a. (Hrsg.): Architecture in Fashion, New York 1996, S. 38–123. Meder 2008 – Meder, Iris: „In der Kärntnerbar, in Cabarets und Nachtlokalen“. Loos, Strnad, Frank, Hoffmann und ihre Schüler, in: Inge Podbrecky und Rainald Franz (Hgg.): Leben mit Loos (Schriften des Verbands österreichischer Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker, Bd. 3), Wien u.a. 2008, S. 213–243. Merte 1998 – Merte, Angela: Totalkunst. Intermediale Entwürfe für eine Ästhetisierung der Lebenswelt, Bielefeld 1998. Methlagl 1986 – Methlagl, Walter: Zeitschriften als Spiegel des literarischen Aufbruchs. Der Ruf (Wien) und Der Brenner (Innsbruck), in: Peter Berner, Emil Brix und Wolfgang Mantl (Hgg.): Wien um 1900. Aufbruch in die Moderne, München 1986, S. 112–118. Meysels ²1984 – Meysels, Lucian: In meinem Salon ist Österreich. Berta Zuckerkandl und ihre Zeit, München ²1984. Miller 2004 – Miller, Manu: Sonja Knips und die Wiener Moderne. Gustav Klimt, Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte gestalteten eine Lebenswelt, Wien 2004. Mignot 1983 – Mignot, Claude: Architektur des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1983. Moravánszky 1988.1 – Moravánszky, Ákos: Die Architektur der Donaumonarchie, Berlin 1988. Moravánszky 1988.2 – Moravánszky, Ákos: Die Erneuerung der Baukunst. Wege zur Moderne
5.1. Literaturliste
in Mitteleuropa 1900–1940, hrsg. v. der Hochschule für Angewandte Kunst Wien und dem Museum moderner Kunst Wien, Salzburg 1988. Moravánszky 2003 – Moravánszky, Ákos (Hrsg.): Architekturtheorie im 20. Jahrhundert. Eine kritische Anthologie, Wien 2003. Moravánszky 2008.1 – Moravánszky, Ákos: Adolf Loos. Die Kultivierung der Architektur. Einführung, in: Ákos Moravánszky, Bernhard Langer und Elli Mosayebi (Hgg.): Adolf Loos. Die Kultivierung der Architektur, Zürich 2008, S. 17–22. Moravánszky 2008.2 – Moravánszky, Ákos: Verheimlichte Räume. Adolf Loos und die Ästhetik der Maskierung, in: Ákos Moravánszky, Bernhard Langer und Elli Mosayebi (Hgg.): Adolf Loos. Die Kultivierung der Architektur, Zürich 2008, S. 60–82. Müller ²1984 – Müller, Dorothee: Klassiker des modernen Möbeldesigns. Otto Wagner – Adolf Loos – Josef Hoffmann – Koloman Moser (Keysers Sammlerbibliothek), München ²1984. Müller 1974 – Müller, Michael: Die Verdrängung des Ornaments durch die funktionale Architektur. Ein kunsttheoretischer Beitrag zum Problem des Verlusts eines Teilbereichs ästhetischer Praxis (edition suhrkamp), Frankfurt am Main 1974. Müller-Tamm 2005 – Müller-Tamm, Jutta: Abstraktion als Einfühlung. Zur Denkfigur der Projektion in Psychophysiologie, Kulturtheorie, Ästhetik und Literatur der frühen Moderne (Rombach Wissenschaften. Reihe Litterae, Bd. 124), Freiburg 2005. Münz und Künstler 1964 – Münz, Ludwig und Gustav Künstler: Der Architekt Adolf Loos. Darstellung seines Schaffens nach Werkgruppen / Chronologisches Werkverzeichnis, Wien und München 1964. Münz 1989 – Münz, Ludwig: Adolf Loos. Mit Verzeichnis der Werke und Schriften, Wien 1989. Munch 2005 – Munch, Anders V.: Der stillose Stil. Adolf Loos, München 2005. Muntoni 1989 – Muntoni, Alessandra: Il Palazzo Stoclet di Josef Hoffmann. 1905 – 1911, Rom 1989.
Munz 2008 – Munz, Volker A.: Stabilitätsverluste und die Unrettbarkeit des Ichs, in: Károli Csúri u.a. (Hrsg.): Kulturtransfer und kulturelle Identität. Budapest und Wien zwischen Historismus und Avantgarde (Österreich-Studien Szeged, Bd. 3), Wien 2008, S. 101–111. Nierhaus 2010 – Nierhaus, Irene: Landschaftlichkeiten. Grundierungen von Beziehungsräumen, in: Dies. u.a. (Hrsg.): Landschaftlichkeit zwischen Kunst, Architektur und Theorie, Berlin 2010, S. 21–38. Nierhaus 2012 – Nierhaus, Andreas: Das Kaiserforum als Entwurf einer idealen Residenz, in: Werner Telesko (Hrsg.): Die Wiener Hofburg 1835–1918. Der Ausbau der Residenz vom Vormärz bis zum Ende des „Kaiserforums“, Wien 2012, S. 184–193. Ocón Fernández 2004 – Ocón Fernández, Maria: Ornament und Moderne. Theoriebildung und Ornamentdebatte im deutschen Architekturdiskurs (1850–1930), Berlin 2004. Oechslin 1994 – Oechslin, Werner: Stilhülse und Kern. Otto Wagner, Adolf Loos und der evolutionäre Weg zur modernen Architektur (Studien und Texte zur Geschichte der Architektur), Zürich und Berlin 1994. Oechslin 1999 – Oechslin, Werner: Der evolutionäre Weg zur modernen Architektur. Otto Wagner und das Paradigma von „Stilhülse und Kern“, in: Ders.: Moderne entwerfen. Architektur und Kulturgeschichte, Köln 1999, S. 44–77. Ohne Autor 1930 – Ohne Autor: Josef Hoffmann zum sechzigsten Geburtstag. 15. Dezember 1930, hrsg. v. Österreichischen Werkbund und der Zeitschrift „Almanach der Dame“, Wien 1930. Ohne Autor 1984 – Ohne Autor: Otto Wagner. Möbel und Innenräume, hrsg. v. Museum Moderner Kunst Wien, Salzburg 1984. Ohne Autor 1989 – Ohne Autor: Das Looshaus. Eine Chronik 1909 – 1989, hrsg. v. der Raiffeisenbank Wien, Wien 1989. Ohne Autor 1996 – Ohne Autor: Hoffmann-Bau. Purkersdorf bei Wien, hrsg. v. Klaus KG, Purkersdorf 1996. Ohne Autor 2003.1 – Ohne Autor: Architektur
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5. Anhang
Theorie von der Renaissance bis zur Gegenwart. 89 Beiträge zu 117 Traktaten, Köln 2003. Ohne Autor 2003.2 – Ohne Autor: Sanatorium Purkersdorf – Chronik, in: Elisabeth Gehrer (Hrsg.): Josef Hoffmanns Sanatorium Purkersdorf bei Wien, Wien 2003, S. 18f. Ohne Autor 2003.3 – Ohne Autor: Secession. Die Architektur, hrsg. v. der Secession, Wien 2003. Ohne Autor 2005 – Ohne Autor: Recreation. Josef Hoffmann, Etsdorf am Kamp 2005. Opel 1985 – Opel, Adolf (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985. Opel und Valdez 1990 – Opel, Adolf und Marino Valdez (Hgg.): Alle Architekten sind Verbrecher. Adolf Loos und die Folgen einer Spurensuche, Wien und Linz 1990. Opel 1997 – Opel, Adolf: Vorwort des Herausgebers, in: Adolf Loos: Trotzdem. 1900–1930, hrsg. v. Adolf Opel, unveränderter Neudruck der Erstausgabe von 1931, Wien 1997, S. 7–17. Opel 2010 – Opel, Adolf: Vorwort des Herausgebers, in: Adolf Loos: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. IX–XXXIII. Ottillinger 1994 – Ottillinger, Eva B.: Adolf Loos. Wohnkonzepte und Möbelentwürfe, Salzburg und Wien 1994. Panofsky 1989 – Panofsky, Erwin: Gotische Architektur und Scholastik. Zur Analogie von Kunst, Philosophie und Theologie im Mittelalter, hrsg. v. Thomas Frangenberg, Köln 1989. Parkinson 2000 – Parkinson, Brian u.a.: Stimmungen. Struktur, Dynamik und Beeinflussungsmöglichkeiten eines psychologischen Phänomens, Stuttgart 2000. Peche 2003 (1922) – Peche, Dagobert: Der brennende Dornbusch (1922), in: Volker Thurm (Hrsg.): Wien und der Wiener Kreis. Orte einer unvollendeten Moderne. Ein Begleitbuch, Wien 2003, S. 280–282. Peplow 1996 – Peplow, Ronnie M.: Adolf Loos. Die Verwerfung des wilden Ornaments, in: Ursula Franke (Hrsg.): Ornament und Geschichte. Studien zum Strukturwandel des Ornaments in der Moderne, Bonn 1996, S. 173–189.
Pfabigan 1991 – Pfabigan, Alfred: Geistesgegenwart. Essays zu Joseph Roth, Karl Kraus, Adolf Loos, Jura Soyfer (Edition Falter im ÖBV, hrsg. v. Franz Schuh), Wien 1991. Pippal 2000 – Pippal, Martina: Kleine Kunstgeschichte Wiens, München 2000. Pirhofer 1986 – Pirhofer, Gottfried: Das neue Wiener Interieur der Jahrhundertwende am Beispiel der „Hohen Warte“, in: Hubert Ch. Ehalt und Helmut Konrad (Hgg.): Glücklich ist, wer vergißt…? Das andere Wien um 1900 (Kulturstudien Bd. 6), Wien 1986, S. 305–314. Podbrecky 2007 – Podbrecky, Inge: Körper und Bekleidung. Gottfried Sempers Wiener Kaiserforum, in: Rainald Franz und Andreas Nierhaus (Hgg.): Gottfried Semper und Wien. Die Wirkung des Architekten auf „Wissenschaft, Industrie und Kunst“ (Schriften des Verbands österreichischer Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker, Bd. 1), Wien u.a. 2007, S. 113–129. Pogacnik 2011 – Pogacnik, Marco: Adolf Loos und Wien (Architektur im Ringturm, Bd. XXVI), hrsg. v. Adolph Stiller, Wien 2011. Porfyriou 2005 – Porfyriou, Heleni: Camillo Sitte und das Primat des Sichtbaren in der Moderne, in: Klaus Semsroth, Kari Jormakka und Bernhard Langer (Hgg.): Kunst des Städtebaus. Neue Perspektiven auf Camillo Sitte, Wien u.a. 2005, S. 239–256. Posener 1964 – Posener, Julius: Anfänge des Funktionalismus. Von Art and Crafts zum Deutschen Werkbund, Berlin u.a. 1964. Prange 1991 – Prange, Regine: Das Kristalline als Kunstsymbol. Bruno Taut und Paul Klee. Zur Reflexion des Abstrakten in Kunst und Kunsttheorie der Moderne, Hildesheim u.a. 1991. Prokop 2003 – Prokop, Ursula: Das britische Paradigma im Konflikt der Wiener Moderne zwischen Dekorativismus und Purismus. Zur unterschiedlichen Rezeption der Arts and Crafts Bewegung bei Josef Hoffmann und Adolf Loos, in: Johann Dvořák (Hrsg.): Radikalismus, demokratische Störungen und die Moderne in der österreichischen Literatur (Bremer Beiträge zur Literatur- und Ideengeschichte, Bd. 43, hrsg. v.
5.1. Literaturliste
Thomas Metscher und Wolfgang Beutin), Frankfurt 2003, S. 293–307. Proske 2010 – Proske, Stefanie: Vorwort. Von Flaneuren, Literaten und Lebenskünstlern, in: Flaneure. Begegnungen auf dem Trottoir, Frankfurt am Main u.a 2010, S. 7–9. Radkau 1998 – Radkau, Joachim: Das Zeitalter der Nervosität. Deutschland zwischen Bismarck und Hitler, München 1998. Radkau 2001 – Radkau, Joachim: Amerikanisierung als deutsches Nervenproblem. Von der nervösen zur coolen Modernität, in: AK Urbane Paradiese. zur Kulturgeschichte modernen Vergnügens (Stiftung Bauhaus Dessau), hrsg. v. Regina Bittner, Frankfurt am Main u.a. 2001, S. 63–79. Recki 2010 – Recki, Birgit: Stimmung und Lebensgefühl bei Imanuel Kant, Ernst Cassirer und Walter Benjamin, in: Kerstin Thomas (Hrsg.): Stimmung. Ästhetische Kategorie und künstlerische Praxis (Passagen / Passages, Bd. 33), Berlin und München 2010, S. 1–12. Reents 2011 – Reents, Friederike: Über-Stimmungen. Zu Friedrich Schlegels Kritikästhetik, in: Anna-Katharina Gisbertz (Hrsg.): Stimmung. Zur Wiederkehr einer ästhetischen Kategorie, München 2011, S. 113–129. Reiterer 2005 – Reiterer, Gabriele: Wahrnehmung – Raum – Empfindung. Anmerkungen zu Camillo Sittes Städtebau, in: Klaus Semsroth, Kari Jormakka und Bernhard Langer (Hgg.): Kunst des Städtebaus. Neue Perspektiven auf Camillo Sitte, Wien u.a. 2005, S. 225–237. Riegler 2003 – Riegler, Verena: Der homo clausus und die femina clausa in der Wiener Moderne. Diplomarbeit zur Erlangung des Magistergrades an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Paris-Lodron-Universität Salzburg, Salzburg 2003. Rodatz 2010 – Rodatz, Christoph: Der Schnitt durch den Raum. Atmosphärische Wahrnehmung in und außerhalb von Theaterräumen, Bielefeld 2010. Roth 1973 – Roth, Alfred: Begegnungen mit Pionieren. Le Corbusier – Piet Mondrian – Adolf Loos – Josef Hoffmann – August Perret – Henry van de Velde, Basel 1973.
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Ausstellungskataloge Achleitner 1983 – Achleitner, Friedrich: Sprachliche Aspekte in der Architektur von Adolf Loos, in: AK Adolf Loos. 1870–1933. Raumplan – Wohnungsbau (Akademie Katalog, Bd. 140), (Akademie der Künste, Berlin, 04.12.1983 – 15.01.1984), Berlin 1983, S. 99–101. AK Alfred Roller 1991 – AK Alfred Roller und seine Zeit (Cortina, Bd. 19), Wien u.a. 1991. AK Der Hang Zum Gesamtkunstwerk 1983 – AK Der Hang Zum Gesamtkunstwerk. Europäische Utopien seit 1800 (Kunsthaus Zürich, 11.02.–30.04.1983 u.a.), Aarau und Frankfurt am Main 1983. AK Gründerzeit – Adolf Loos 1987 – AK Gründerzeit – Adolf Loos. Jahrhundertwende: Rückblick und Ausblick der Wiener Architektur unter Einbeziehung der Gründerzeitarchi-
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tektur Josef Durms (Städtische Galerie im Prinz-Max-Palais Karlsruhe, 11.04.–21.06.1987), Karlsruhe 1987. AK Josef Hoffmann 1981 – AK Josef Hoffmann. Architect and Designer 1870–1956 (Wien, Galerie Metropol, 1981), Wien 1981. AK Traum Und Wirklichkeit ²1985 – AK Traum Und Wirklichkeit. Wien 1870–1930 (Historisches Museum der Stadt Wien und Künstlerhaus, Wien, 28.03.–06.10.1985), ²1985. AK Vienna 1981 – AK Vienna. A Birthplace of 20th Century Design. Bd. 1: 1900–1905. Purism and Functionalism „Konstruktiver Jugendstil (Fischer Fine Art Limited, London, 1981), London 1981. AK Vienne 1986 – AK Vienne. 1880–1938. L’Apocalypse Joyeuse sous la direction de Jean Clair (Editions du Centre Pompidou), hrsg. v. Jean Clair, Paris u.a. 1986. AK Wege Der Moderne 2015 – AK Wege Der Moderne. Josef Hoffmann, Adolf Loos und die Folgen (MAK Wien, 17.12.2014–19.04.2015), Wien und Basel 2015. AK 10 Jahre 1996 – AK 10 Jahre – Beispiele aus der Denkmalpflege von 1986 bis 1996, hrsg. v. Amt der NÖ Landesregierung, Wien 1996. Auer und Klee 2011 – Auer, Stephanie und Alexander Klee: Von der inneren Notwenigkeit der Konstruktion oder der Beginn der Wiener Formkunst, in: Agnes Husslein-Arco und Alfred Weidinger (Hrsg.): AK Gustav Klimt. Josef Hoffmann. Pioniere der Moderne (Wien, Belvedere), München u.a. 2011, S. 150–167. Barten 1983 – Barten, Sigrid: Einleitung, in: AK Josef Hoffmann Wien. Jugendstil und Zwanziger Jahre (Zürich, Museum Bellerive), 1983 S. 17–21. Billcliffe 1994 – Billcliffe, Roger: Charles Rennie Mackintosh. Das Arts and Crafts Movement und der Glasgower-Stil, in: Gerda Breuer (Hrsg.): AK Arts and Crafts. Von Morris bis Mackintosh – Reformbewegung zwischen Kunstgewerbe und Sozialutopie (Mathildenhöhe Darmstadt, 11.12.1994–17.04.1995), Darmstadt 1994, S. 178–198. Boeckl und Witt-Dörring 2015 – Boeckl, Mat-
thias und Christian Witt-Dörring: Wege der Moderne. Vorgeschichte, Höhepunkte und Folgen zweier Denkweisen, in: AK Wege Der Moderne. Josef Hoffmann, Adolf Loos und die Folgen (MAK Wien, 17.12.2014–19.04.2015), Wien und Basel 2015, S. 16–33. Bösel 1992 – Bösel, Richard: AK Der Michaelerplatz in Wien. Seine städtebauliche und architektonische Entwicklung. Eine Ausstellung des Kulturkreises Looshaus und der Graphischen Sammlung Albertina (Wien 13.12.1991 – 15.02.1992), Wien 1992, Katalognummer 20 und 21. Breuer 1994 – Breuer, Gerda (Hrsg.): AK Arts and Crafts. Von Morris bis Mackintosh – Reformbewegung zwischen Kunstgewerbe und Sozialutopie (Mathildenhöhe Darmstadt, 11.12.1994 – 17.04.1995), Darmstadt 1994. Brock 1983 – Brock, Bazon: Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Pathosformeln und Energiesymbole zur Einheit von Denken, Wollen und Können, in: AK Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Europäische Utopien seit 1800 (Kunsthaus Zürich, 11.02.–30.04.1983 u.a.), Aarau und Frankfurt am Main 1983, S. 22–39. Busch 2006 – Busch, Werner: Einfachheit als Programm – Das Biederschöne, in: Hans Ottomeyer (Hrsg.): AK Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit (Milwaukee Art Museum, Albertina Wien, Deutsches Historisches Museum Berlin und Musée du Louvre Paris), Ostfildern 2006, S. 83–96. Colomina 2008 – Colomina, Beatriz: Sex, Lies and Decoration. Adolf Loos und Gustav Klimt, in: Tobias G. Natter und Christoph Grunenberg (Hgg.): AK Gustav Klimt. Painting, Design and Modern Life (Tate Liverpool, 30.05. – 31.08.2008), Liverpool 2008, S. 43–51. Crawford 1994 – Crawford, Alan: C. R. Ashbee und die Guild of Handicraft, in: Gerda Breuer (Hrsg.): AK Arts and Crafts. Von Morris bis Mackintosh – Reformbewegung zwischen Kunstgewerbe und Sozialutopie (Mathildenhöhe Darmstadt, 11.12.1994–17.04.1995), Darmstadt 1994, S. 142–152. Davey 1994 – Davey, Peter: Zur Architektur der
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Arts and Crafts-Bewegung, in: Gerda Breuer (Hrsg.): AK Arts and Crafts. Von Morris bis Mackintosh – Reformbewegung zwischen Kunstgewerbe und Sozialutopie (Mathildenhöhe Darmstadt, 11.12.1994 – 17.04.1995), Darmstadt 1994, S. 63–76. Düriegl ²1985 – Düriegl, Günter: Wien zur Jahrhundertwende, in: AK Traum und Wirklichkeit. Wien 1870–1930, (Historisches Museum der Stadt Wien und Künstlerhaus, Wien, 28.03.– 06.10.1985), ²1985, S. 212–217. Echigojima 1996 – Echigojima, Kenichi: Josef Hoffmann und der moderne Stil. Das Sanatorium Purkersdorf und das Palais Stoclet, in: Shiho Takyo und Elisabeth Schmuttermeier (Hgg.): AK Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte (Toyota Municipal Museum, Toyota City, 1996), Toyota City 1996, S. 213–217. Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905) – Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte, 1905, hergestellt anlässlich der Ausstellung: Der Preis der Schönheit. Zum 100. Geburtstag der Wiener Werkstätte (MAK Wien), Wien 2003. Franz 1992 – Franz, Rainald: Josef Hoffmann and Adolf Loos: The Ornament Controversy in Vienna, in: Peter Noever (Hrsg.): AK Josef Hoffmann Designs (MAK, Wien), München 1992, S. 11–15. Franz Flyer 2007 – Franz, Rainald: Flyer zur Ausstellung Josef Hoffmann – Adolf Loos. Ornament und Tradition (Museum in Geburtshaus Josef Hoffmanns, Brtnice, Tschechische Republik), 2007. Franz 2010 – Franz, Rainald: Intuition und Entwurf. Die Bedeutung der Zeichnung für das Werk Josef Hoffmanns, in: Peter Noever (Hrsg.): AK Josef Hoffmann. Ein unaufhörlicher Prozess. Entwürfe vom Jugendstil zur Moderne (MAK Wien, 10.07. – 26.09.2010), München 2010, S. 12–17. Greiner 2010 – Greiner, Rudolf: Josef Hoffmann – Die Inszenierung des Gesamtkunstwerks als Weg zur Moderne, in: Peter Noever (Hrsg.): AK Josef Hoffmann. Ein unaufhörlicher Pro-
zess. Entwürfe für den Jugendstil zur Moderne (MAK Wien, 10.07. – 26.09.2010), München 2010, S. 9–11. Haiko ²1985 – Haiko, Peter: Otto Wagner: 1904 – 1907: Die Kirche am Steinhof. 1904 – 1906: Das Österreichische Postsparkassenamt, in: AK Traum und Wirklichkeit. Wien 1870–1930, (Historisches Museum der Stadt Wien und Künstlerhaus, Wien, 28.03.–06.10.1985), ²1985, S. 88–105. Hofmann 1983 – Hofmann, Werner: Gesamtkunstwerk Wien, in: AK Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Europäische Utopien seit 1800 (Kunsthaus Zürich, 11.02.–30.04.1983 u.a.), Aarau und Frankfurt am Main 1983, S. 84–92. Hollein ²1985 – Hollein, Hans: Die Rekonstruktion des Raumes von Josef Hoffmann für Klimts Beethovenfries, in: AK Traum und Wirklichkeit. Wien 1870–1930, (Historisches Museum der Stadt Wien und Künstlerhaus, Wien, 28.03.–06.10.1985), ²1985, S. 558–566. Hussl-Hörmann 2011 – Hussl-Hörmann, Marianne: Gustav Klimt und Josef Hoffmann. Wegkreuzungen, in: Agnes Husslein-Arco und Alfred Weidinger (Hgg.): AK Gustav Klimt. Josef Hoffmann. Pioniere der Moderne (Wien, Belvedere), München u.a. 2011, S. 16–35. Hoyos 2011 – Hoyos, Nathalie: Palais Stoclet. Kulturdenkmal im Privateigentum, Kraft- und Spannungsfeld, in: Agnes Husslein-Arco und Alfred Weidinger (Hrsg.): AK Gustav Klimt. Josef Hoffmann. Pioniere der Moderne (Wien, Belvedere), München u.a. 2011, S. 192–201. Imorde 2010 – Imorde, Joseph: Lebendige Sakralität. Joseph Maria Olbrichs italienische Reisestudien, in: Ralf Beil und Regina Stephan (Hgg.): AK Joseph Maria Olbrich 1867–1908. Architekt und Gestalter der frühen Moderne (Mathildenhöhe Darmstadt, 07.02.–24.05.2010), Ostfildern 2010, S. 63–69. Kurrent 1983 – Kurrent, Friedrich: Gottfried Semper, Otto Wagner, Adolf Loos, in: AK Adolf Loos. 1870–1933. Raumplan – Wohnungsbau (Akademie-Katalog, Bd. 140), (Akademie der Künste, Berlin, 04.12.1983 – 15.01.1984), Berlin 1983, S. 92–98.
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Lehner 2011 – Lehner, Stefan: Die Beethoven-Ausstellung 1902. Eine Dokumentation, in: Agnes Husslein-Arco und Alfred Weidinger (Hrsg.): Gustav Klimt. Josef Hoffmann. Pioniere der Moderne (Wien, Belvedere), München u.a. 2011, S. 50–69. Noever 1992 – Noever, Peter: Mythos Hoffmann, in: Peter Noever (Hrsg.): AK Josef Hoffmann Designs (MAK, Wien), München 1992, S. 7. Noever 2010 – Noever, Peter: Der gesamtheitliche Anspruch des Architekten, in: Peter Noever (Hrsg.): AK Josef Hoffmann. Ein unaufhörlicher Prozess. Entwürfe für den Jugendstil zur Moderne (MAK Wien, 10.07. – 26.09.2010), München 2010, S. 6–8. Oberhuber 1987 – Oberhuber, Oswald: Das Umfeld Hoffmanns, in: Josef Hoffmann-Gespräch. 8. Mai 1987 anläßlich der Ausstellung Josef Hoffmann – Ornament zwischen Hoffnung und Verbrechen im Österreichischen Museum für angewandte Kunst, hrsg. v. der Gesellschaft für Österreichische Kunst, Wien 1987, S. 11–16. Ohne Autor 2005, Broschüre – Ohne Autor: Josef Hoffmann. Ein unaufhörlicher Prozess. Bedingungen des Entwurfs bei Josef Hoffmann (MAK, Wien und Brtnice), 2005, Broschüre. (Im Bestand der Bibliothek des MAK Wien; 5969/a) Ottomeyer 2006 – Ottomeyer, Hans: Die Erfindung der Einfachheit, in: Ders. (Hrsg.): AK Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit (Milwaukee Art Museum, Albertina Wien, Deutsches Historisches Museum Berlin und Musée du Louvre Paris), Ostfildern 2006, S. 43–55. Parenzan 1990 – Parenzan, Peter: Schöner Wohnen im Biedermeier und Vormärz, in: AK Biedermeier in Wien. 1815 – 1848. Sein und Schein einer Bürgeridylle. Internationale Tagung Ingelheim (Museum-Altes-Rathaus Ingelheim am Rhein, 29.04. – 24.06.1990), Mainz 1990, S. 31–40. Pogacnik 2015 – Pogacnik, Marco: Hoffmann und Loos – zwei urbanistische Thesen, in: AK Wege Der Moderne. Josef Hoffmann, Adolf
Loos und die Folgen (MAK Wien, 17.12.2014– 19.04.2015), Wien und Basel 2015, S. 174–179. Posener 1983 – Posener, Julius: Der Raumplan. Vorläufer und Zeitgenossen von Adolf Loos, in: AK Adolf Loos. 1870–1933. Raumplan – Wohnungsbau (Akademie-Katalog, Bd. 140), (Akademie der Künste, Berlin, 04.12. 1983 – 15.01.1984), Berlin 1983, S. 52–63. Rainer 2003 – Rainer, Paulus: Eine Chronologie der Wiener Werkstätte, in: Peter Noever (Hrsg.): AK Der Preis der Schönheit. Zum 100. Geburtstag der Wiener Werkstätte (MAK Wien), Wien 2003, S. 23–400. Rukschcio 1987 – Rukschcio, Burkhardt: Adolf Loos und sein Wirken im Werden der modernen Wiener Architektur, in: AK Gründerzeit – Adolf Loos. Jahrhundertwende: Rückblick und Ausblick der Wiener Architektur unter Einbeziehung der Gründerzeitarchitektur Josef Durms (Städtische Galerie im Prinz-Max-Palais Karlsruhe, 11.04.–21.06.1987), Karlsruhe 1987, S. 111–129. Schmidt 1987 – Schmidt, Burghart: Die Klassizität des Jugendstils, in: Josef Hoffmann-Gespräch. 8. Mai 1987 anläßlich der Ausstellung Josef Hoffmann – Ornament zwischen Hoffnung und Verbrechen im Österreichischen Museum für angewandte Kunst, hrsg. v. der Gesellschaft für Österreichische Kunst, Wien 1987, S. 17–25. Schmuttermeier ²1985 – Schmuttermeier, Elisabeth: Die Wiener Werkstätte, in: AK Traum und Wirklichkeit. Wien 1870–1930, (Historisches Museum der Stadt Wien und Künstlerhaus, Wien, 28.03.–06.10.1985), ²1985, S. 336–341. Schmuttermeier 1996 – Schmuttermeier, Elisabeth: Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte, in: Shiho Takyo und Elisabeth Schmuttermeier (Hgg.): AK Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte (Toyota Municipal Museum, Toyota City, 1996), Toyota City 1996, S. 192– 195. Schmuttermeier 2010 – Schmuttermeier, Elisabeth: Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte, in: Peter Noever (Hrsg.): AK Josef Hoffmann.
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Ein unaufhörlicher Prozess. Entwürfe für den Jugendstil zur Moderne (MAK Wien, 10.07. – 26.09.2010), München 2010, S. 123–126. Schorske ²1985 – Schorske, Carl E.: Österreichs ästhetische Kultur, 1870–1914. Betrachtungen eines Historikers, in: AK Traum und Wirklichkeit. Wien 1870–1930, (Historisches Museum der Stadt Wien und Künstlerhaus, Wien, 28.03.–06.10.1985), ²1985, S. 12–25. Sekler 1991 – Sekler, Eduard F.: Introduction, in: Elsa Longhauser: AK Josef Hoffmann. Drawings and Objects from Conception to Design (Goldie Paley Gallery, Philadelphia, 1991), Philadelphia 1991, S. 5–7. Spalt 1983 – Spalt, Johannes: Die frühe österreichische Moderne: Wagner, Olbrich, Hoffmann, Frank, Loos, in: AK Adolf Loos 1870–1933. Raumplan – Wohnungsbau (Akademie-Katalog, Bd. 140), (Berlin, Akademie der Künste, 04.12.1983–15.01.1984), Berlin 1983, S. 111–122. Spalt 1987 – Spalt, Johannes: Zu Josef Hoffmann, in: Josef Hoffmann-Gespräch. 8. Mai 1987 anläßlich der Ausstellung Josef Hoffmann – Ornament zwischen Hoffnung und Verbrechen im Österreichischen Museum für angewandte Kunst, hrsg. v. der Gesellschaft für Österreichische Kunst, Wien 1987, S. 35–46. Stein 2006 – Stein, Laurie A.: Eine Kultur der Harmonie und Erinnerung. Die Transformation des Wohnraums im Biedermeier, in: Hans Ottomeyer (Hrsg.): AK Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit (Milwaukee Art Museum, Albertina Wien, Deutsches Historisches Museum Berlin und Musée du Louvre Paris), Ostfildern 2006, S. 71–80. Szeemann 1983 – Szeemann, Harald: „Vorbereitungen“, in: AK Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Europäische Utopien seit 1800 (Kunsthaus Zürich, 11.02.–30.04.1983 u.a.), Aarau und Frankfurt am Main 1983, S. 16–19. Takyo 1996 – Takyo, Shiho: Das Sanatorium Purkersdorf. Wiederbelebung nach neunzig Jahren, in: Dies. und Elisabeth Schmuttermeier (Hgg.): AK Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte (Toyota Municipal Museum, Toyota City, 1996), Toyota City 1996, S. 196–199.
Rukschcio 1989 – Rukschcio, Burkhardt: „Der Plan von Wien“. Städtebauliche Arbeiten von Adolf Loos in Reflexion der Theorie Camillo Sittes, in: AK Adolf Loos (Graphische Sammlung Albertina, Wien, 02.12.1989 – 25.02.1990), Wien 1989, S. 217–250. Tripp 1983 – Tripp, Matthias: Raumvorstellung, Weltanschauung und Bewußtsein. Zum Verhältnis von Philosophie, Wissenschaft und Architektur im Erkenntnisprozeß der Neuzeit, in: AK Adolf Loos. 1870–1933. Raumplan – Wohnungsbau (Akademie-Katalog, Bd. 140), (Akademie der Künste, Berlin, 04.12. 1983 – 15.01.1984), Berlin 1983, S. 40–49. Wagemann 1994 – Wagemann, Ines: The Red House – „a small palace of art“, in: Gerda Breuer (Hrsg.): AK Arts and Crafts. Von Morris bis Mackintosh – Reformbewegung zwischen Kunstgewerbe und Sozialutopie (Mathildenhöhe Darmstadt, 11.12.1994 – 17.04.1995), Darmstadt 1994, S. 105–112. Waissenberger ²1985.1 – Waissenberger, Robert: Zwischen Traum und Wirklichkeit, in: AK Traum und Wirklichkeit. Wien 1870–1930, (Historisches Museum der Stadt Wien und Künstlerhaus, Wien, 28.03.–06.10.1985), ²1985, S. 26–35. Waissenberger ²1985.2 – Waissenberger, Robert: Die „heroischen Jahre“ der Secession, in: AK Traum und Wirklichkeit. Wien 1870– 1930, (Historisches Museum der Stadt Wien und Künstlerhaus, Wien, 28.03.–06.10.1985), ²1985, S. 464–471. Wieber 2009 – Wieber, Sabine: Richard Luksch. Zwei Fayence-Figuren für das Sanatorium Purkersdorf, 1905, in: Gemma Blackshaw und Leslie Topp (Hgg.): AK Madness & Modernity. Kunst und Wahn in Wien um 1900 (Wien Museum Karlsplatz, 21.01.–02.05.2010), Wien 2009, S. 136–143. Winters 2006 – Winters, Laurie: Die Wiederentdeckung des Biedermeiers, in: Hans Ottomeyer (Hrsg.): AK Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit (Milwaukee Art Museum, Albertina Wien, Deutsches Historisches Museum Berlin und Musée du Louvre Paris), Ostfildern 2006, S. 31–41.
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Witt-Dörring 1987 – Witt-Dörring, Christian: Der hoffnungsvolle Anfang, in: Josef Hoffmann-Gespräch. 8. Mai 1987 anläßlich der Ausstellung Josef Hoffmann – Ornament zwischen Hoffnung und Verbrechen im Österreichischen Museum für angewandte Kunst, hrsg. v. der Gesellschaft für Österreichische Kunst, Wien 1987, S. 27–34. Witt-Dörring 2006.3 – Witt-Dörring, Christian: Zur Ästhetik des Biedermeiermöbels, in: Hans Ottomeyer (Hrsg.): AK Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit (Milwaukee Art Museum, Albertina Wien, Deutsches Historisches Museum Berlin und Musée du Louvre Paris), Ostfildern 2006, S. 57–69. Witzmann 1990 – Witzmann, Reingard: Bürgerlicher Alltag im Wiener Biedermeier, in: AK Biedermeier in Wien. 1815 – 1848. Sein und Schein einer Bürgeridylle. Internationale Tagung Ingelheim (Museum-Altes-Rathaus Ingelheim am Rhein, 29.04. – 24.06.1990), Mainz 1990, S. 23–30. Worbs 1983 – Worbs, Dietrich: Der Raumplan im Wohnungsbau von Adolf Loos, in: AK Adolf Loos. 1870–1933. Raumplan – Wohnungsbau (Akademie-Katalog, Bd. 140), (Akademie der Künste, Berlin, 04.12. 1983 – 15.01.1984), 1983, S. 64-77. Vergo ²1984 – Vergo, Peter: AK Vienna 1900. Vienna, Scotland and the european AvantGarde (Edinburgh, National Museum of Antiquities of Scotland, 1983), Schottland ²1984.
Nachschlagewerke Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010 – Ästhetische Grundbegriffe. Studienausgabe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, hrsg. v. Karlheinz Barck u.a., Stuttgart und Weimar 2001–2010. Baedecker 2005 – Baedecker Wien, 13. Auflage, 2005. Deutsches Wörterbuch 1854–1961 – Deutsches Wörterbuch, hrsg. v. Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, 16 Bd., Leipzig 1854–1961. (Ein Projekt des Kompetenzzentrums für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren
in den Geisteswissenschaften an der Universität Trier in Verbindung mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Berlin, gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft: http://woerterbuchnetz.de/DWB/, 10.07.2015). Dictionary Of Art 1996 – Dictionary Of Art. In Thirty-Four Volumes, hrsg. v. Jane Turner, New York 1996. Historisches Wörterbuch Der Philosophie (1979–2007) – Historisches Wörterbuch Der Philosophie, hrsg. v. Joachim Ritter und Karlfried Gründer und Rudolf Eisler, Darmstadt 1979–2007. Lexikon Der Ästhetik ²2004 – Lexikon der Ästhetik, hrsg. v. Wolfhart Henckmann und Konrad Lotter, München ²2004. Metzler Lexikon Ästhetik 2006 – Metzler Lexikon Ästhetik. Kunst, Medien, Design und Alltag, hrsg. v. Achim Trebeß, Stuttgart und Weimar 2006. Meyers Konversationslexikon ⁴1885-1892 – Meyers Konversationslexikon, 19. Bd., Leipzig und Wien ⁴1885–1892 (http://www.retrobibliothek.de/retrobib/seite.html?id=115339, 10.07.2010). Theologische Realenzyklopädie 1976–2004 – Theologische Realenzyklopädie, hrsg. v. Gerhard Krause und Gerhard Müller, 36. Bd., Berlin u.a. 1976–2004. Thesaurus Linguae Latinae ²2003 – Thesaurus Linguae Latinae, München ²2003, CD-ROM.
Webseiten KHM – Doppelgänger: http://www.khm.at/de/besuchen/ausstellungen/ doppelgaenger/, 21.07.2015 und http://press.khm.at/fileadmin/_migrated/downloads/PT_Doppelgaenger_dt.pdf, 21.07.2015 Nextroom Architektur Datenbank: http://www.nextroom.at/building. php?id=2356&inc=artikel, 10.07.2015. Architektenlexikon Az W: http://www.architektenlexikon.at/de/idx_A.htm, 27.07.2015.
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MARTINA BAUER
LEOPOLD FORSTNER (1878–1936) EIN MATERIALKÜNSTLER IM UMKREIS DER WIENER SECESSION
Grafi ker, Designer, Mosaik- und Glaskünstler, Entwerfer für Denkmäler, Grabkunst, Innenarchitektur. Leopold Forstner (1878–1936) war ein Meister seiner Disziplin. Er interpretierte die Mosaik- und Glaskunst neu und führte sie einer Renaissance zu. Forstner war ein Universalkünstler, der die Kreativität eines Künstlers und die Perfektion eines Kunsthandwerkers in einer Person vereinte. Als Maler und Grafi ker wäre er einer unter vielen gewesen, als Mosaik-, Glas- und Materialkünstler war er ein Visionär. Sein Talent, Entwurf und Umsetzung zu verschmelzen und im Material zu denken, brachte ihm viele Aufträge namhafter Kunstgrößen und Architekten ein, wie etwa Gustav Klimt, Kolo Moser, Otto Wagner und Josef Hoffmann. Das Buch blickt auf die Stationen seines Lebens, auf die Projekte und Meilensteine im Schaffen dieses Künstlers, der nicht müde wurde, sich immer wieder neu zu erfinden. 2016. 247 S. 215 S/W- UND FARB. ABB. FRANZ. BR. 210 X 240 MM. ISBN 978-3-205-20087-1
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MARLENE OTT-WODNI
JOSEF FRANK 1885–1967 RAUMGESTALTUNG UND MÖBELDESIGN (EINE PUBLIKATIONSREIHE M MD DER MUSEEN DES MOBILIENDEPOTS, BAND 33)
Der österreichische Architekt Josef Frank war in der Zwischenkriegszeit als Mitglied des Werkbundes und als teilnehmender Architekt der Stuttgarter Weißenhofsiedlung aktiv in das internationale Architekturgeschehen eingebunden. Auf bauend auf seine frühen Entwürfe der 1910er Jahre bildet seine Tätigkeit für die Einrichtungsfirma Haus & Garten den Schwerpunkt des Buches. Das Unternehmen fungierte mit seinen flexiblen Einzelmöbeln, seinen farbenfrohen Textilien sowie seiner antidoktrinären Wohnauffassung als Gegenpol zur Wiener Werkstätte. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft emigrierte Josef Frank in den 1930er Jahren nach Stockholm. Als Designer der Firma Svenskt Tenn knüpfte er nahtlos an sein Wiener Schaffen an. Josef Frank gilt heute gemeinhin als Begründer des modernen schwedischen Einrichtungsstils. 2015. 393 S. 722 S/W- UND 66 FARB. ABB. GB. MIT SU. 210 X 281 MM. ISBN 978-3-205-79647-3
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