Stimmung in der Architektur der Wiener Moderne: Josef Hoffmann und Adolf Loos [1 ed.] 9783205207160, 9783205205272


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Stimmung in der Architektur der Wiener Moderne: Josef Hoffmann und Adolf Loos [1 ed.]
 9783205207160, 9783205205272

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Lil Helle Thomas

Stimmung in der Architektur der Wiener Moderne Josef Hoffmann und Adolf Loos

2017 BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Friedrich Strauss: Das Ausstellungsgebäude der Secession Wien vom Gemüsemarkt, 1899, Wien Museum. © 2017 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, 1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Dissertationsschrift zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main, 2017 Siegelziffer D.30 Korrektorat: Jörg Eipper-Kaiser, Graz Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Bettina Waringer, Wien Druck und Bindung: General Druckerei, Szeged Gedruckt auf chlor- und säurefrei gebleichtem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-20527-2



Inhalt

1. Einleitung: Stimmung in der Architektur Josef Hoffmanns und Adolf Loos’ im Zeitraum von 1900 bis 1911 . . . . . . . . . . 9 2. Stimmung als Untersuchungsmoment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.1. Stimmung im schriftlichen Werk Loos’ und Hoffmanns . . . . . . . . . . . 20 2.2. Stimmung, Gefühl und Emotion: Eine definitorische Abgrenzung . . . . . 23 2.3. Stimmung und Atmosphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.4. Zwischen Evokationsraum und Nervenstimmungen . . . . . . . . . . . . . 31

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur: Villa Karma und Palais Stoclet, Sanatorium Purkersdorf und Haus am Michaelerplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.1. Villa Karma und Palais Stoclet: Der Ausbau des ‚modernen Ichs‘ zu einer bürgerlichen privaten Lebenswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Zwei Gebäude und viele daran beteiligte Hände . . . . . . . . . . . . . . . 43 Wien um 1900 – das gemeinsame kulturelle Feld der Villa Karma und des Palais Stoclet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Die Villa Karma –‚Hülle‘ und ‚Kern‘ als raumfassende Kategorien der Stimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Standort – Ortsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Der Baumantel – Fassadengestaltungen und deren Beziehungsgeflecht zum Grundriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Raumkomposition – Raumgruppen und deren Lichtregie . . . . . . . . . . 68 Karma – Namensgebung und Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma: Zwei bürgerliche Ersatzwelten der Wiener Moderne . . . . . . . . . . . . . 89 Villa oder Schloss – Bautypus und Skulpturenprogramm . . . . . . . . . . 89 Das Biedermeier – Der genius loci im Werk Josef Hoffmanns . . . . . . . . 95 Die Biedermeierkultur als Quelle eines Wiener ‚Lebensgefühls‘ – Raum-, Blick- und Bewegungsregie des Palais Stoclet und der Villa Karma . . . .

101

Die „Arts and Crafts“-Bewegung und eine verschränkte Wahrnehmung von Mensch und Ding . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

114

Das Gesamtkunstwerk als „Stimmungsbau“ . . . . . . . . . . . . . . . .

137

3.3.

Das Sanatorium Purkersdorf: Stimmung als Realisierung einer Utopie der Gesundheit . . . . . . . . . . 147

3.3.1. Baubeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

147

Konfusion um Standort und Definition eines ungewöhnlichen Bauwerkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

147

Purkersdorf – Der Standort des Sanatoriums . . . . . . . . . . . . . . .

154

Fläche und Volumen – Der äußere Baukörper und seine Wirkung . . . . . 159 Das Quadrat – Die alle Ebenen durchdringende Maßeinheit und Struktur der Bauteile . . . . . . . . . . . 173 Das Quadrat – Die Umrandung des Sanatoriums und Verinnerlichung der Grundform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

181

Die Vorentwürfe zum Sanatorium Purkersdorf . . . . . . . . . . . . . .

190

3.3.2. Werkanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

196

Das Sanatorium und seine implizierten Konzepte . . . . . . . . . . . .

199

Ornament und Quadrat als A und O der Architektur – Ein Übergang zur Einfühlungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

203

Das nervöse Zeitalter – Institution und Hygiene eines Sanatoriums, Nutzenoptimierung sowie Inszenierung von Architektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

209

„Das unrettbare Ich“ – Paradigma einer Generation zwischen Weltuntergangs- und Aufbruchsstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . .

225

Der Auftraggeber und seine Zielgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . .

236



243

Eine Generation mit „Formgefühl“ und deren ‚Gemütsarchitektur‘ . . . .

3.4. Das Haus am Michaelerplatz: Die stimmungshafte Verortung der Architektur in ein städtisches und persönliches Repräsentations- oder Wunschbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 3.4.1. Baubeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 Der Michaelerplatz – Eine vielschichtige Adresse . . . . . . . . . . . . .

260

Die Entwicklung des Michaelerplatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Beschreibung der Fassaden – Loos bringt sein Haus auf den Markt . . . . 268 Die Hauptfassade zum Michaelerplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Die Fassaden zur Herrengasse und zum Kohlmarkt . . . . . . . . . . . . 275 Die Ornamentik der Fassade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Die Hoffassade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

277

Die Grundrisse und Schnitte – Der Beginn des Raumplanes und die Verwischung der Ebenen . . . . . .

278

Das Parterre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Das Mezzanin und die Mezzaningalerie . . . . . . . . . . . . . . . . . .

279



Die Wohnstockwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Schnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Entwürfe – eine Auswahl und der Ansatz einer Entwicklung . . . . . . . .

284

Die Inneneinrichtung – Ein Teil vom Ganzen . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Verlauf der Umbauten und Restaurierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . 301 3.4.2. Werkanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Ein Gebäude bürgerlicher Präsenz im aristokratischen Umfeld . . . . . . . 302 Ort, Skandal, Ornamentdebatte und Gestaltung – Das Kaiserforum Gottfried Sempers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 Die Wahrnehmung als architektonischer Maßstab – Camillo Sitte . . . . .

307

Eine gestimmte Maske – Der Flaneur und das Bild des „englischen Dandys“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317

4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

349

4.1. Das Gesamtkunstwerk als „geistige Grundstimmung“ . . . . . . . . . . . 4.2. Henry van de Velde und die Emotionalisierung von Linien . . . . . . . . 4.3. Joseph Maria Olbrich: Kontrastierung durch affektreiche Inszenierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Ein Resümee: Das Gesamtkunstwerk nach Josef Hoffmann und Adolf Loos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

349 353 359 370

Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

379

5. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 5.1. Literaturliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Zeitgenössische Primärliteratur, zeitgenössische Zeitschriften und Zeitungsartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

381

Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 Zeitschriften- und Zeitungsartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Ausstellungskataloge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 Nachschlagewerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Webseiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409



1. Einleitung: Stimmung in der Architektur Josef Hoffmanns und Adolf Loos’ im Zeitraum von 1900 bis 1911

Die Architekten Josef Hoffmann und Adolf

einem eskapistischen Dasein gelangte. Loos

Loos sind prominente Protagonisten des

zog es vor, einen aus der bisherigen Kultur

berühmten Mythos Wien um 1900. Josef

gereiften Weltstadt-Europäer zu definieren.

Hoffmann als Mitglied der Künstlervereini-

Sowohl bei Hoffmann als auch bei Loos han-

gung Wiener Secession und Leiter der Wie-

delt es sich um gesellschaftlich prägende Vor-

ner Werkstätte und Adolf Loos als unbeque-

stellungen, die das künstlerische Schaffen

mer Einzelgänger, der sowohl als Architekt

motivierten. Dietrich Worbs bezeichnet Loos

als auch als Kulturkritiker in Erscheinung

sogar als einen „Lebensreformator“ und eines

trat, sind bis heute Teil eines emotional auf-

der Loos’schen Bauaxiome als „Funktiona-

geladenen Bildes der Habsburger-Metropole

lität des Bauens unter Einschluß der psychi-

zur Jahrhundertwende. Das Wien des Fin

schen Bedürfnisse der Nutzer“.1 In beiden

und Commencement de siècle wurde zum

Fällen wird eine avantgardistische Rolle ein-

Geburtsort einer Moderne, die konfliktreich

genommen, die sich kontrastierend zu einer

ausgehandelt wurde. Insbesondere Josef

im Wandel befindlichen Welt positioniert.

Hoffmann und Adolf Loos, die als Antago-

Die Secessionisten sind nach dem Architek-

nisten tradiert wurden, nähren jene Vorstel-

turtheoretiker Fedor Roth aus heutiger Sicht

lung einer umkämpften Phase kulturellen

als Revolutionäre zu definieren, da sie den

Umbruchs.

‚modernen Menschen’ aktiv mitformulieren

Hoffmann und Loos sind in ihrem Wirken

wollten, während Loos der Ansicht war, dass

von den Topoi ‚Ästhetizismus’, ‚Psychologis-

dieser ein evolutionär zwingendes Produkt

mus’ und dem ‚Unbehagen’ gegenüber der

unserer Entwicklung sei. Loos sah sich selbst

eigenen Zeit beeinflusst. Josef Hoffmann ent-

in der Rolle des Vorbilds und Vorreiters.2 Die

wickelte eine Gestaltpsychologie, während

Bauten dieser unterschiedlichen Kunstan-

Adolf Loos den Grundsatz einer ökonomi-

schauungen ähneln sich jedoch auf frappie-

schen beziehungsweise ethischen Kulturäs-

rende Weise. Dieses erstaunlich widersprüch-

thetik ausformte. Hoffmann wollte einen

liche Verhältnis wird in Korrelation mit dem

Menschen erziehen, der in einem von den Künsten geprägten Gesamtkunstwerk zu

1 2

Worbs 1982, S. 23f. und S. 54f. Vergleiche dazu Roth 1995.

10

1. Einleitung

Phänomen der Stimmung in der Wiener

sigkeit des Individuums in der immer schnel-

Moderne in dieser Arbeit untersucht. Dabei

ler funktionierenden modernen Gesellschaft.

werden die Architekturen Hoffmanns und

Die Forschungsliteratur, die sich mit den bei-

Loos’ durch die Analyse ihrer intendierten

den Architekten Hoffmann und Loos und

Wirkungen erklärt. Um diesem wahrneh-

ihrem Œuvre auseinandersetzt, ist umfang-

mungspsychologischen Gehalt der Bauwerke

reich.6 Bis auf wenige gemeinsame Lebens-

näher zu kommen, sind vor allem die geplan-

daten – beide wurden 1870 in Mähren gebo-

ten und mitgedachten Bewohner und Benut-

ren und gingen wenige Jahre sogar gemeinsam

zer der jeweiligen Gebäude zu definieren und

zur Schule – dominiert bis heute zuweilen

deren vom Architekten in die Bauwerke ein-

ein Bild der Dichotomie der Künstler und

geschriebene Wege nachzuverfolgen.

ihrer Werke.7 Gerade jene Nähe der Kind-

Die zwei ‚Wiener Charaktere’ Josef Hoff-

heit wird seit den 1970er-Jahren immer wie-

mann und Adolf Loos werden im Rahmen

der betont, um darauf aufbauend das Bild

eines Kulturnetzes einer Weltstadt behandelt.

der unterschiedlichen Künstler zu zeichnen.8

Sie sind zwei der bekanntesten Protagonis-

Beide werden oft eindimensional unter-

ten der architektonischen Wiener Moderne um 1900, dem sogenannten ‚nervösen‘ Zeitalter.3 Carl E. Schorske deklariert sogar für

6

das gebildete Bürgertum der Jahrhundertwende eine „Empfindsamkeit für psychische

7

Zustände“ und zusätzlich eine „amoralische Gefühlskultur“.4 Diese insbesondere in den 1980er- und 1990er-Jahren formulierte Epochenbezeichnung allein verdeutlicht schon die Dominanz und Präsenz der psychologischen Selbstwahrnehmung um 1900, unter der auch Hoffmann und Loos betrachtet werden müssen. Der Physiker und Philosoph Ernst Mach entwickelte zur Jahrhundertwende im selben Wiener Kulturnetz die Theorie vom unrettbaren Ich, und wenige Jahre später spaltete Sigmund Freud mit seinem Drei-Instanzen-Modell

den

Menschen.5

Ebenso demonstrieren auch heute noch die Romane Robert Musils das damals wahrgenommene Dilemma einer Orientierungslo3 4 5

Vergleiche dazu Radkau 1998. Schorske 1962, S. 369f. Siehe dazu Kandel 2012, S. 98–105.

8

Umfassende Monografien zu Josef Hoffmann oder Adolf Loos sind Sekler ²1986, Rukschcio und Schachel 1982 und Munch 2005. 2007 wurde die Ausstellung „Josef Hoffmann – Adolf Loos. Ornament und Tradition“, kuratiert von Rainald Franz, der Öffentlichkeit präsentiert, die sich alleine jener konfliktreichen Beziehung der beiden Architekten widmete. (Franz Flyer 2007) Die Ausstellung „Wege der Moderne. Josef Hoffmann, Adolf Loos und die Folgen“ des MAK in Wien stellt 2014/2015 beide Architekten nicht nur in ihrem Werk gegenüber, sondern ordnet sie in eine Entwicklung ein, die von der Entstehung einer Geschmacksdifferenzierung im 18. Jahr­ hundert bis zur heutigen Digitalen Moderne gezeichnet wird. Vergleiche dazu AK Wege Der Mo­derne 2015. Vergleiche dazu Rukschcio und Schachel 1982, S. 65 und Kossatz 1970, S. 2, Marilaun 1970, S. 44, Ohne Autor 1970, S. 1, Schachel 1970, S. 2, Augenfeld 1981, S. 1907 und Vorwort von Opel, in: Loos 2010, S. XIV. Im weiteren Verlauf werden fast alle Texte Loos’ nach diesem zuletzt erschienenen Sammelband zitiert. Dieses von Adolf Opel herausgegebene Buch orientiert sich in seiner Schreibweise an den Erstveröffentlichungen vor allem in Zeitschriften und Zeitungen. Die Ausgabe von 1931 und deren Nachdruck wurden unter anderem durch Adolf Loos überarbeitet und durch die durchgehende Kleinschreibung verändert.

1. Einleitung

schiedlichen Kunstinteressen zugeordnet.9

und Vorträge aus den 1920er- und 1930er-Jah-

Noch 1910 nannte Hans Tietze die beiden

ren sind als direkte, überdeutliche Angriffe

Architekten fast selbstverständlich in einem

auf Josef Hoffmann zu verstehen.14 Allgemei-

Artikel und führte für beide das identische

ner Konsens bleibt jedoch, dass Loos’ Artikel

Ziel an, dem „großstädtischen Menschen“

polemischer Natur sind.15

angemessene Charakterarchitekturen zu er­

Erstaunlich ist, dass insbesondere bei Ver-

bauen.10 Eine weitere sehr frühe Ausnahme

gleichen der beiden Architekten oft unter-

zu

der

schiedliche Schaffensphasen zueinander in

1980er-Jahre, die den Vergleich der Werke

der

grundlegenden

Forschung

Bezug gesetzt werden, um daraus den Schluss

Hoffmanns und Loos’ regelrecht einfordert,

zu ziehen, Loos hätte sich – im Gegensatz

ist ein Artikel Fritz Lehmanns von 1931. Er

zu Hoffmann – mit seiner Entwicklung des

sieht in Hoffmann und Loos vor allem Zeit-

Raumplans stetig weiterentwickelt.16 Diese

genossen, die „zu denselben Resultaten kamen“ und „im Grunde um Nebensäch­liches stritten: nämlich das Ornament.“11 Eduard F. Sekler deutet dann in den 1980er-Jahren an, das Verhältnis von Loos und Hoffmann sei bei Weitem „komplexer“, als „eine vergröbernde Lokaltradition“ sich eingestehen wollte.12 Als Quelle für die in ­vielerlei Hinsicht her-

14

aufbeschworene „Feindschaft“ der beiden wurden in der Literatur die Vorträge Loos’ herangezogen.13 Jedoch erst die späten A ­ rtikel

9 Saddy 1981, S. 55–66 und Schütte-Lihotzky 1981, S. 1874. 10 Tietze 1910, Sp. 52–62. 11 Lehmann 1985 (1931), S. 168–172. 12 Sekler ²1986, S. 207. 13 So setzt sich Loos aber zum Beispiel noch 1897 in seinem Artikel Eine Concurrenz der Stadt Wien dezidiert für Hoffmann und mit ihm zusammen auch für Joseph Maria Olbrich ein. Siehe dazu Loos 2010 (1897), S. 6–9. Direkte Angriffe auf Josef Hoffmann, obwohl dessen Namen nicht immer abgedruckt ist, sind laut der Fachliteratur die Loos’schen Schriften Von einem armen, reichen Mann, Der Sattlermeister sowie der Artikel Kulturentartung. Siehe dazu Sekler ²1986, S. 29f., Roth 1995, S. 84f., S. 88–92, S. 109f. und S. 103, Prokop 2003, S. 302–304 und Rukschcio 1985, S. 57–68. Vergleiche dazu weiterführend Sekler 1986, S. 125–135, Rukschcio 1987, S. 118f. und Long 2011, S. 83 und S. 119. Hier gibt Long an, wie Loos seine Vorträge unter anderem mit Wer-

15

16

ken von Joseph Maria Olbrich und Josef Hoffmann illustrierend untermauerte. Im Sinne von beispielhaft ausgewählten schlechten Arbeiten stellte Loos die Werke seiner Kollegen als verbesserungswürdig bloß und richtete über sie. Welche emotional aufgeladenen Konflikte durch jenen Vortragsstil Loos’ entstehen konnten, beweisen Berichte. (Ermers 1985 (1927), S. 89–92.) Siehe dazu Das Wiener Weh (1927), Adolf Loos über die Wiener Werkstätte (1927), Über Josef Hoffmann (1931) und Adolf Loos über Josef Hoffmann (1931), in: Loos 2010. Vergleiche dazu ­Stewart 2000, S. 186. Eduard F. Sekler sieht in jenen Angriffen den Grund für Hoffmanns Depressionen und seine zeitweilige Abgabe der Leitung seines Ateliers an Oswald Haerdtl im Jahr 1927 gegeben. (Sekler ²1986, S. 191.) Eines der wenigen Beispiele einer direkten Antwort Hoffmanns auf Loos ist ein kurzer Zeitungsartikel von 1926 (Hoffmann 1926, S. 6). Hoffmanns Bemühen um ein objektives Auftreten in der Öffentlichkeit auch gegenüber den Werken Adolf Loos’ betont bereits Sekler. Rainald Franz gibt ebenso an, Loos sei weiterhin von den Secessionisten zum Ausstellen seiner Werke und zu den Ausstellungseröffnungen eingeladen worden. (Sekler ²1986, S. 232, Franz 1992, S. 13 und Colomina 2008, S. 46–50.) Siehe dazu Schleichl 2002, S. 168. Beatriz Colomina sieht daher in Hoffmann vielmehr eine öffentliche Figur eines Architekten, die für Loos einen „convenient Prop“ zur Kontrastierung seiner ­Thesen darstellt. Vergleiche dazu Colomina 2008, S. 50 und Colomina 1994, S. 38–41. Siehe dazu Kossatz 1970, S. 2f. und Rukschcio 1987, S. 115–128. Vergleiche dazu die gegensätzliche Position Seklers. (Sekler ²1986, S. 49)

11

12

1. Einleitung

Arbeit möchte sich dieser Vorgehensweise entgegengesetzt nur mit einer Werkperiode beschäftigen, nämlich mit den frühen, aber

Abb. 1: Adolf Loos: Villa Karma, Nordfassade, 1903– 1906, Clarens bei Montreux, Fotografie von Martin Gerlach Jun., Albertina, Wien

nicht frühesten Schaffensjahren. Gerade die Zeit zwischen 1900 und 1911 ist prädestiniert für eine Gegenüberstellung der Bauwerke Hoffmanns und Loos’. Beide Architekten bauten in jenen Jahren sowohl öffentliche Gebäude als auch Villen und das Bild eines Gegensatzes wurde bereits vonseiten Adolf Loos’ in seinen Artikeln oder Vorträgen gezeichnet und von der Öffentlichkeit wahrgenommen.17 Johannes Spalt 17

In der Zeitschrift Das Interieur heißt es: „Dagegen bekämpft er [Adolf Loos; LT] heftig die in Wien als ‚Secession‘ ausgeschriebene Manier, alles und jedes mit ‚Kunst‘ zu versehen.“ (Ohne Autor: Notizen 1900, S. 94.) Letztendlich betont jedoch Sigurd Paul Scheichl, dass wir recht wenig über

den Vortragsstil Adolf Loos’ gesichert wissen. Er unterscheidet aber ganz deutlich den eher „improvisierten“ Charakter der Vorträge von denen der „ausgefeilten Essays“. (Scheichl 2002, S. 165.) Auch im aktuellen Ausstellungskatalog Wege der Moderne. Josef Hoffmann, Adolf Loos und die Folgen von 2015 wird von Matthias Boeckl und Christian Witt-Dörring für den Zeitpunkt um 1910 für die Œuvres Hoffmanns und Loos’ sogar eine sogenannte „Wendethese“ formuliert. Beide Autoren sprechen von „diametral entgegengesetzten Positionen“ Hoffmanns und Loos‘ in der Wiener Moderne. Um dies im Rahmen einer Ausstellung zu visualisieren, präsentieren sie laut eigener Aussage „Gegensatzpaare“ bzw. „Negativbeispiele“. Vergleiche dazu Boeckl und Witt-Dörring 2015, S. 26 und S. 32, Fußnote 7.

1. Einleitung

Abb. 2: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Straßenansicht, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren

chungen zum Sanatorium Purkersdorf (1904) von Josef Hoffmann und dem Haus am Michaelerplatz (1909–1911) von Adolf Loos (Abb. 1–4). Beim Vergleich von Villa Karma

formulierte die Methode des Vergleichs –

und Palais Stoclet geht es primär darum, die

ohne ihn auszuführen – als eine Möglichkeit,

gemeinsamen kulturellen Einflüsse und Kon-

um „die gegensätzlichen und gleichartigen

zepte beider Architekten abzustecken und

Positionen beider Architekten sichtbar

erste ‚Stimmungen‘ an den Bauwerken abzu-

machen“ zu können. Jener Annahme soll

lesen, die als Resultat von damaligen Wahr-

nachgegangen werden.

Um dieser metho-

nehmungs-, Denk- und Handlungsgewohn-

dischen Grundidee des Vergleichs so nahe

heiten zu verstehen sind. Das Sanatorium

wie möglich zu kommen, widmet sich diese

Purkersdorf wird insbesondere mittels der

Arbeit in einem Kapitel der Villa Karma

zeitgenössischen Einfühlungstheorie unter-

(1903–1906) von Loos sowie dem Palais

sucht und dient dazu, den Topos der

Stoclet (1905–1911) Hoffmanns, ergänzt von

‚Gestimmtheit‘ einzuführen. Im Falle des

zwei weiteren Abschnitten durch Untersu-

Hauses am Michaelerplatz gilt es, die Ästhe-

18

tik der Maske in Einklang mit der stimmungs18 Spalt 1983, S. 120.

aufgeladenen Inszenierung von Kaufritualen

13

14

1. Einleitung

Abb. 3: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Ostfassade, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, circa 1905–1910 erschienene Bildpostkarte, bezeichnet adressseitig mit „Verlag L. P., W.“, bei dieser Abkürzung scheint es sich um „L. Wollner, Purkersdorf“ zu handeln

die verschränkte Wahrnehmung von Mensch und Ding für die beiden Architekturen. Abschließend nähert sich das Kapitel noch über den um 1900 in Wien durch den Literaten und Journalisten Ludwig Hevesi geprägten Begriff der „Stimmungsarchitek-

zu bringen, wobei die literarisch gefasste

tur“ dem Verhältnis zum Gesamtkunstwerk

Figur des Dandys und seine wirklichen Ver-

für die Villa Karma und das Palais Stoclet.

treter als Beispiele für einen Idealkunden die-

Die Literaturwissenschaftlerin und Kunst-

nen werden.

historikerin Saskia Haag stellt fest, dass der

Im zweiten Hauptkapitel dieser Arbeit, in

Begriff Stimmung schon in den Wohnratge-

dem der Vergleich zwischen Loos’ Villa Kar-

bern des 19. Jahrhunderts als „Ziel der

ma bei Montreux (1903–1906) und Hoffmanns

modernen Wohnung“ formuliert wurde.

Palais Stoclet in Brüssel (1905–1911) geleistet

Gerade für den Zeitraum von 1850 bis 1900

wird, ist es das Ziel, die gemeinsamen Vorbil-

beobachtet sie eine Verknüpfung des Begriffs

der dieser beiden Bauwerke (Abb. 1 und 2)

Stimmung mit dem Interieur beziehungswei-

exemplarisch abzustecken. Hierbei wird klar

se dem Haus.19 Dies soll nun im Falle der

sichtbar, dass die Biedermeierkultur eine

Werke Hoffmanns und Loos’ für die

­Quelle des Wiener ‚Lebensgefühls‘ ist. Dies

Jahrhundertwende ergänzt werden.

wird deutlich mittels der Untersuchung von

Anhand der zwei Kapitel zum Sanatorium

Raum-, Blick- und Bewegungsregie in der V ­ illa

Purkersdorf (1904) von Josef Hoffmann und

Karma und dem Palais Stoclet. Die zusätzli-

zum Haus am Michaelerplatz (1909–1911) von

che Herstellung von Bezügen zu den Werken der „Arts and Crafts“-Bewegung ermöglicht

19 Haag 2012, S. 116f.

1. Einleitung

Adolf Loos sind die umfassenden Interdependenzen von Architektur und deren Bewohnern oder Nutzern oder die durch jene verkörperten sozialen Rollenbilder, die sich durch die

Abb. 4: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, 1909– 1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Blick zwischen Looshaus und Palais Herberstein (in seiner ursprünglichen Gestalt) in die Herrengasse (ohne Hochhaus), Foto­ grafie von 1910

architektonische Verfasstheit der Gebäude ergeben, tiefergehend zu klären (Abb. 3 und

der Menschen in Form, Farbe und Aus-

4). Sowohl Josef Hoffmann als auch Adolf Loos

stattung den jeweiligen Kunstanschauun-

lösten das Bild der Kongruenz zwischen

gen und Kunstschöpfungen entspricht, ja

‚modernem Ich’ und Architektur, das zum Bei-

absolut nicht anders gedacht werden

spiel bereits 1896 vom Architekten Otto Wag-

kann. […] Ein Mann im modernen Reise-

ner, dem Lehrer Hoffmanns und das Vorbild

anzuge wird beispielsweise sehr gut zur

Loos’, in Hinsicht auf das Verhältnis von Klei-

Bahnhofshalle, zum Schlafwagen, zu all

dung und Architektur angedeutet wurde :

unseren Vehikeln stimmen; was würden

20

wir aber für Augen machen, wenn wir bei„Selbst eine geringe Beobachtungsgabe

spielsweise eine Gestalt in der Kleidung

muß in uns die Überzeugung wachrufen,

der Epoche Ludwigs XV. ein Fahrrad be-

daß die Außenerscheinung, die Kleidung

nützen sehen würden?“21 21

20

Vergleiche dazu Oechslin 1999, S. 44–77.

Hier zitiert nach Wagner 2008, S. 44–77. Vergleiche dazu Wagner 1896, S. 33f.

15

16

1. Einleitung

In der dritten Auflage von 1902 wurde dies

Hoffmanns Fassaden zeigen sich sowohl ano-

noch ergänzt:

nymisierende als auch individualisierende Strukturen. Franz Dröge und Michael Mül-

„Einfach, wie unsere Kleidung, sei der

ler sprechen dabei von einem „System der

Raum, den wir bewohnen. Hiermit ist aber

Differenzierung“ zwischen „Außen/Innen“

nicht gesagt, daß der Raum nicht reich

oder

und vornehm ausgestattet sein könne oder

Abschottung ins Private, wie es das Bieder-

daß nicht Kunstwerke ihn schmücken

meier propagiert hatte, wird von Loos ins

dürften. Reichtum und Vornehmheit sind

20. Jahrhundert transferiert und zwar als ein

aber nicht durch Formen auszudrücken,

Lebensmodell. Beatriz Colomina formuliert

welche mit unseren Anforderungen von

jedoch die Ansicht, dass das „Subjekt der

Komfort und mit unserem heutigen Form-

Loosschen Architektur der Bühnenschau-

und Farbgefühl disharmonieren.“

spieler“ sei.26 Der Bewohner von Loos’schen

22

„Gesellschaft/Individuum“.25

Eine

Villen oder der Kunde eines von Loos einHoffmann und Loos stellten sich beide gegen

gerichteten Geschäfts befindet sich demnach

eine Gesellschaft des Historismus, die in

auf einem Bühnenraum, den es verschiedent-

ihren Fassaden ‚falsche Tatsachen‘ vortäusch-

lich zu bespielen gilt. Daher sollen im wei-

te. Jene versteckten sich nach Ansicht ihrer

teren Verlauf dieser Arbeit sowohl das Bild

Generation, wie es Otto Wagner formulierte,

der Maske als auch verschiedene Subjekt-

hinter der repräsentativen „Maske des Palas-

konstitutionen, die die Architektur Loos’ ver-

tes“. Die Fassaden, die etwas vortäuschen,

körpert, erarbeitet werden. In diesem Sinne

das sich dahinter gar nicht befindet, reflek-

wurden auch die hier zu behandelnden

tieren ihrer Meinung nach eine Gesellschaft,

Architekturen sowohl Hoffmanns als auch

die von Vorspiegelungen lebt und dadurch

Loos’ ausgewählt, da sie verschiedene Grade

langfristig gesehen erkranken muss. Josef

von öffentlicher Repräsentation bis hin zu

Hoffmann reagiert mit beruhigten Formen,

privaten Rückzugsmöglichkeiten veran­

die mithilfe geometrischer Ordnungen eine

schaulichen.

23

klar strukturierte Welt entstehen lässt. Für

Weiterführend für diese Arbeit stellt sich

das Haus am Michaelerplatz wird indessen

die zentrale Frage nach der Ausprägung der

von Loos die Metapher der Maske umgedeu-

im Innenraum inszenierten Stimmungen.

tet. Er sieht die Lösung in der neutralen Fas-

Liegt der Fall wirklich so, wie bisher vermu-

sade als Maske und Schutzschicht zwischen

tet wird, dass die anonymen Stimmungen in

der öffentlichen und privaten Sphäre.

Loos’ Räumen und die persönlichkeitsauf-

24

Bei

geladenen Räumlichkeiten bei dem Secessi22 Wagner ³1902, S. 170. 23 Bahr 2007 (1899.1), S. 97. 24 Im Rahmen des Kapitels zum Haus am Michaelerplatz werden die Quellen dieser Theorie noch detailliert angegeben. An dieser Stelle soll fürs Erste nur eine kleine Auswahl genannt werden: Moravánszky 2008.1, S. 17–22, Colomina 1988,

onisten Hoffmann zu finden sind? Beatriz

S. 65–77, Wigley 1996, S. 148–268 insbesondere S. 207–212 und Shapira 2004. 25 Dröge und Müller 1995, S. 155f. 26 Colomina 1997.1, S. 220.

1. Einleitung

Colomina erkennt etwa für Loos’ Architek-

in die Untersuchung mit einzubeziehen.

tur die Rolle sowohl als schützende Maske

Fassen lassen sich diese vielschichtigen

für das moderne Individuum als auch den

Erscheinungen unter dem Sammelbegriff der

„social character“, der die Einrichtungen

Stimmung, der im weiteren Verlauf der Ein-

Hoffmanns dominierte. Sie spricht im Falle

leitung noch näher erläutert und für diese

der Hoffmann’schen Einrichtungen von einer

Untersuchung spezifiziert wird.

„harmony“, die sich im Einklang mit dem

Den beiden Architekten ist neben dem

sozialen Charakter des Bewohners befinden

gleichen Wirkungskreis – dem politischen

sollte. Diese Harmonie führe jedoch zu

und kulturellen Zentrum des Vielvölkerstaa-

einem ‚eingefrorenen‘ Zuhause, das nicht

tes der k. & k. Monarchie – auch der Wunsch

mehr mit dem Bewohner gemeinsam altere

nach der Realisierung des Ideals vom ‚moder-

– im Sinne eines Wandels – und genau die-

nen Menschen‘ gemein.29 Diese von Hoff-

ser Umstand habe zur Kritik Adolf Loos’ an

mann oder den Secessionisten revolutionär

Hoffmann geführt.27 Während Loos’ Bauten

und von Loos evolutionär motivierte Aus-

von Colomina als „introvertiert“ und

richtung zeichnet sie als die Avantgarde der

„autistisch“ beschrieben werden, zeichnet

Moderne oder als die Initiatoren der Vormo-

sie für die Einrichtung des Palais Stoclet ein

derne aus,30 denn offenkundig beschäftigte

Bild der Anpassung zwischen Raum und

die Suche nach dem ‚modernen Ich‘ und des-

Möbeln. Jedes Möbelstück kreiert seinen

sen Definition durch Künstler in den folgen-

eigenen Raum. Colomina fasst zusammen:

den Jahrzehnten immer wieder ganze Künst-

„Hoffmann tries not to differentiate, but to

lergemeinschaften, wie zum Beispiel den

cancel differences. Space and furniture are

Werkbund oder das Bauhaus. Dieses Hoff-

part of the same whole. They are inhabitants.

mann und Loos gemeinsame Übersteigern

One is one’s mask.“28 Es stellt sich jedoch ebenso die Frage, ob nicht auch Loos’ Ein-

29

richtungen sich sozialer Stereotypen bedienten und jene ebenso in Szene setzten. Deutlich zu beobachten ist eine sowohl in ihrer Konzeption durch den Architekten eingearbeitete Wahrnehmungsstrategie der Bauten als auch eine emotional geäußerte Wahrnehmung der Architekturen durch die Zeitgenossen. Dies gilt ebenso für die Bauwerke Loos’ als auch für die Hoffmanns. Demzufolge besteht die Notwendigkeit, ebenso die Wahrnehmung der Architektur Hoffmanns und Loos’ in der Wiener Öffentlichkeit 27 Colomina 1988, S. 67. 28 Colomina 1988, S. 71.

30

Bereits Otto Wagner hatte den Architekten „als die Krone des modernen Menschen“ bezeichnet. Dadurch wird jene formulierte Anspruchshaltung verständlicher. (Wagner 2008, S. 17.) Zu den Aspekten, die das Wien um 1900 zu einem zentralen Ort der Vorformulierung der Moderne charakterisieren, gehören die Bemühungen um Hygiene, die durch Badehäuser und die Assanierung der Stadt einer breiten Schicht vermittelt werden sollte. Daneben zählen auch die Mobilität, die durch das öffentliche Stadtbahnsystem Otto Wagners bis heute besteht, und die Umformulierung der bürgerlichen Ansprüche an die Wohnung oder das Haus. Weiterhin bezeichnet Carl E. Schorske Wien als eine der „fruchtbarsten Brutstätten der ungeschichtlichen Kultur“ des 20. Jahrhunderts. (Schorske 1982, S. X.) In Wien wurde auf vielerlei Wegen die Forderung einer von Geschichte befreiten Kultur laut. Man denke nur an den Wahlspruch der Wiener Secessionisten: „Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“.

17

18

1. Einleitung

der Rolle des Architekten zum selben Zeit-

neu zu positionieren. Die Erfahrung von

punkt und Ort verlangt nach einem Vergleich

Disparatheit und Ambivalenz schürt den

der beiden Baukünstler.

Wunsch nach einem gestalteten, sicheren

Die vorliegende Untersuchung wendet

Umfeld und erklärt die Beweggründe für die

sich auch der Literatur um 1900 in Wien zu,

Gesamtkunstwerk- und Reformbewegung.

da sie die Quelle für die Rekonstruktion eines

Diese aufrüttelnde, spannende, aber auch

kulturellen Netzes darstellt, in dem Hoff-

verstörende Atmosphäre führt zu zwei künst-

mann und Loos sich positionierten. Gerade

lerischen Positionen: Auf der einen Seite ist

die Romane Robert Musils umschreiben ver-

der Eskapismus in eine Kunstwelt zu nen-

störende Ambivalenzen eines Menschen. Ins-

nen, andererseits ist der rationale Wille

besondere der Mann ohne Eigenschaften

erkennbar, das Umfeld im Einklang mit der

wird in der Forschungsliteratur zu Recht

lebensweltlichen Realität zu gestalten. In bei-

immer wieder als Kompendium für die Welt-

den Fällen heißt es sowohl für den Künstler

sicht um 1900 bis circa 1910 herangezogen.

als auch für seinen Auftraggeber, eine domi-

Hier soll diese Weltsicht in ihren einzelnen

nante und aktive Rolle einzunehmen, die

Paradigmen auf zwei bisher als kontrahie-

sich gegen eine, wie Ernst Topitsch sie

rend gezeichnete Architektur-Biografien

bezeichnet, „zutiefst gefährdete Welt“31

angewendet werden, um damit als gemein-

­positioniert. Dies wird im Umkehrschluss

samer Hintergrund zu fungieren. So gibt zum

­überdeutlich, wenn Musil im Falle von Wien

Beispiel das berühmte Bild des in unter-

eine Analogie zwischen Stadt und Mensch

schiedliche Instanzen zerrissenen Menschen

deklariert: „Städte lassen sich an ihrem Gang

– das seine Ausformung auch im Mann ohne

erkennen wie Menschen.“32 Demnach ist

Eigenschaften findet – das Weltbild des

auch für die Werke Loos’ und Hoffmanns

damaligen Städters wieder, der sich mit

um 1900 zu vermuten, dass sich in ihnen

einem schnell wachsenden und immer rasan-

eine individuelle Haltung zur eigenen Zeit

ter entwickelnden Umfeld konfrontiert fühlt,

manifestiert. Dieser Annahme ist nach­

in dessen stetig sich verändernden Grenzen

zugehen.

er sich immer wieder gezwungen sieht, sich

31 Topitsch 1986, S. 17. 32 Musil 2006, S. 9. Vergleiche zur Erwähnung des Architekturskandals um das Haus am Michaelerplatz im Roman Der Mann ohne Eigenschaften Brüggemann 2002, S. 508–523.



2. Stimmung als Untersuchungsmoment

Im Folgenden wird der methodische Über-

Neben dieser Objekt-Subjekt-Korrelation

bau der Untersuchung, der die Arbeit in die

wird aber auch nachzuweisen sein, dass jene

historische Emotionsforschung einordnet,

Wechselwirkung von den Architekten Josef

erläutert. Dabei wird die ‚Stimmung‘ zum

Hoffmann und Adolf Loos bewusst akzep-

zentralen Moment deklariert und in seiner

tiert, sogar geschürt wurde. Eine der zu

Relevanz für den Vergleich zwischen den

beantwortenden Fragen ist, in welcher Art

Œuvres Hoffmanns und Loos’ definiert.

und Weise die Evokation von Stimmungen,

Der Annahme Hartmut Böhmes von einer

als pädagogisch anmutender intentionaler

Beziehung zwischen Architektur und Ich soll

Eingriff des Architekten in das direkte

nachgegangen werden.

Umfeld des Menschen, das Bild der verwirklichten Architekturen bestimmt und gelenkt

1

„Offenbar gibt es zwischen Gefühlen und

hat. Dabei ist eine enge Verflechtung von

atmosphärischen Räumlichkeiten Bezie-

Wahrnehmung und Empfindung oder Ein-

hungen, die ebenfalls weder kulturell

fühlung um 1900 zu beobachten. Dies wird

selbstverständlich noch phänomenolo-

sinnfällig durch die häufige Verwendung des

gisch zwingend sind. Viele Forscher wür-

Begriffs Stimmung als Gemütszustand, aber

den überhaupt die Beziehung zwischen

auch als räumliche oder landschaftliche

Gefühlen und räumlichen Atmosphären

Atmosphäre. Hartmut Böhme bezeichnet

als bloße Projektion abtun, zumindest für

Gefühle sogar als „räumliche, in sich geglie-

nicht analysierbar halten. So bemerken

derte und analysierbare Atmosphären“ und

wir mancherlei Korrelationen zwischen

die „Stimmungen der Dinge“ als „Auslegun-

Nacktheit, Kleidung, Entblößung, Scham,

gen“ von jenen Gefühlen.2 Da die Stimmung

Situationen, Atmosphären, Normen. Doch

an sich ein diffuses und unscharfes Untersu-

hätten wir größte Mühe, diese Beziehun-

chungsfeld buchstäblich bedingt, weil sie

gen in einen theoretischen Zusammen-

ebenso wie Gefühle keine direkte Objekt-

hang zu bringen.“1

qualität besitzt,3 ist zunächst eine Begriffs-

Böhme 1997, S. 527.

2 3

Böhme 1997, S. 535f. Böhme 1997, S. 525.

20

2. Stimmung als Untersuchungsmoment

definition erforderlich, die jedoch nicht chro-

ein Aufgreifen einer Loos’schen Formulierung

nologisch, sondern auf die Methodik dieser

aus seinem Aufsatz Architektur von 1910:

Arbeit zugespitzt vorgenommen wird.4 Diese augenscheinliche definitorische Unschär-

„Die Architektur erweckt Stimmungen im

fe soll gerade als Stärke des Begriffs genutzt

Menschen. Die Aufgabe des Architekten

werden und als Vergleichsmoment zwischen

ist es daher, diese Stimmungen festzuhal-

den Werken Hoffmanns und Loos’ dienen.

ten. Das Zimmer muß gemütlich, das Haus

Daher ist zunächst der Gebrauch des Wortes

wohnlich aussehen. Das Justizgebäude

Stimmung durch Loos und Hoffmann selbst

muß dem heimlichen Laster wie eine be-

abzustecken, bevor des Weiteren eine allge-

drohliche Gebärde erscheinen. Das Bank-

meinere Herleitung geleistet werden kann.

gebäude muß sagen: hier ist dein Geld bei ehrlichen Leuten fest und gut verwahrt.“5

2.1. Stimmung im schriftlichen Werk Loos’ und Hoffmanns

Dietrich Worbs nimmt jene Aussage auf und folgert, dass Loos der Ansicht war, die Auf-

Adolf Loos’ Architektur wurde bisher nur sehr

gabe des Architekten sei es „Stimmungen im

selten mit dem Begriff der Stimmung ver-

Menschen zu erwecken“. Dies fasst Worbs

knüpft. Meistens handelte es sich dabei um

auf als eine Einschreibung von „semiotischen Signalen“ in die Architektur. Jene Signale

4

Die Darstellung der zeitlichen Entwicklung des Stimmungsbegriffs seit Kant lässt sich nachlesen bei: David E. Wellbery: Stimmung, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 5 (2010), S. 703–733. Wellbery zeichnet eine Entwicklung des Stimmungsbegriffs unter der Regie eines „Subjektivierungsprozesses“. Vergleiche dazu Gisbertz 2009, S. 14–21. Im Laufe der letzten Jahre zeigte sich ein gesteigertes Interesse in der Kunst- und Literaturwissenschaft am Topos der Stimmung als äußerst produktiv. Ergebnis dieser Auseinandersetzungen sind unter anderem die beiden Bände aus der Passagen/Passages-Reihe: Thomas 2010.1 und Thomas 2010.2. Anna-Katharina Gisbertz legte für die Literaturwissenschaft und insbesondere für den Handlungsraum Wien um 1900 mit ihrer Dissertation eine elementare Publikation vor (Gisbertz 2009). Siehe auch Gisbertz 2011. Weiterhin gab es ein SNF-Projekt unter der Leitung von Hans-Georg von Arburg mit dem Titel Stimmung. Geschichte und Kritik ästhetischer Empfindung zwischen Literatur, Musik und Kunst in der Moderne an der Université de Lausanne (UNIL). Im Rahmen dieses Projektes wurde im Mai 2010 eine internationale Tagung unter dem Titel Concordia discors – Ästhetiken der Stimmung zwischen Literaturen, Künsten und Wissenschaften abgehalten. (Arburg 2012.)

seien wiederum Medien der Vermittlung von „Bedeutung und Funktion“ von Architektur.6 Des Weiteren präzisiert er: „Für Loos sind Zweckmäßigkeit, Ökonomie und die Anmutungsqualität, die Stimmung, die ein Gebäude und ein Raumgefüge ausstrahlt, Aspekte ein und derselben Sache, nämlich des im Raum entwickelten und gelösten Entwurfs.“7 5 Loos 2010 (1910.5), S. 403. Die gleiche Textstelle lautet im Band Trotzdem: „Die architektur erweckt stimmungen im menschen. Die aufgabe des architekten ist es daher, diese stimmungen zu präzisieren. Das zimmer muß gemütlich, das haus wohnlich aussehen. Das justizgebäude muß dem heimlichen laster wie eine drohende gebärde erscheinen. Das bankhaus muß sagen: hier ist dein geld bei ehrlichen leuten fest und gut verwahrt.“ (Loos 1962 (1910), S. 317f.) 6 Worbs 1982, S. 372f. Siehe auch Worbs 1983, S. 66. 7 Worbs 1983, S. 66. Vergleiche dazu Dittmann 2005, S. 198.

2.1. Stimmung im schriftlichen Werk Loos’ und Hoffmanns

Dieses Stimmungsverständnis grenzt Mat-

Er selbst schreibt 1901 in seinem Aufsatz

thias Tripp noch ein, indem er bei Loos’

Einfache Möbel:

Arbeiten im Vergleich zu den Entwürfen der Revolutionsarchitekten keine „hohen

„Ein großer Übelstand ist die Bedürfnis-

Stimmungen“ erkennt, sondern eine Orien-

losigkeit des Publicums. Dieses trägt über-

tierung über den Innenraum „am individu-

haupt vielfach die Schuld, wenn wenig

ellen Bewußtsein“. Unter dieses zählt Tripp

Gutes geleistet wird. Es ist zu träge, um

„Bedürfnisse, Empfindungen und Stimmun-

den richtigen Weg und den richtigen

gen“.8 Adolf Loos’ Ausführungen nochmals

Künstler zu suchen und sich nicht dessen

exakt gelesen ergeben, dass Architekturen

bewusst, dass es die Aufgabe hat, genau

an sich schon Stimmungen im Subjekt aus-

seine Wünsche zu präcisieren. Hätten wir

lösen und dass als Aufgabe des Architekten

ein gutes geschultes Publicum, dessen

zu verstehen sei, jene Stimmungen zu ver-

Auge klar unterscheiden würde zwischen

ankern, vielleicht zu verstärken oder auch

gut und schlecht, welches nicht auf Arti-

zu verfeinern. Worbs und Tripp ist daher

kel und Hörensagen angewiesen wäre,

zuzustimmen, wenn sie aufgrund jenes

wenn es seine Bestellung macht, welches

Zitats vor allem die Funktion, das heißt die

mit Bewusstsein den Comfort verlangen

Bedürfnisstruktur von Architektur als Stim-

und jeden unnützen Tand verwerfen wür-

mungsträger für Loos definieren. Insbeson-

de, dann hätten wir bald nichts Schlech-

dere Joseph Imorde verbindet explizit Adolf

tes mehr zu sehen, denn es fehlt den meis-

Loos’ Raumplan mit einer bewussten „Wir-

ten Entwurfskünstlern nicht so sehr an

kungsabsicht“ und bezeichnet den Raum

Talent, als an Charakter und an dem

seiner Villen als „Empfindungszentrum“.

­nötigen Halt. Ich verstehe darunter die

Dabei nehme Loos regelrecht eine „subjek-

Nachgiebigkeit gegenüber seinen und

tivistische Position“ ein. Doch ist es nun

­seines Bestellers Launen und falschen

9

unerlässlich,

erstmalig

alle

einzelnen

Begrifflichkeiten hinsichtlich des ästhetischen Stimmungsbegriffs noch einmal zu überprüfen und mithilfe der Architektur detailliert gegenzulesen. Für Josef Hoffmann persönlich findet sich nur eine prägnante Nennung des Stimmungsbegriffs.10 8 Tripp 1983, S. 45–49. 9 Imorde 2006, S. 34f. 10 Für die Secession als Künstlergemeinschaft finden sich schon mehrere zeitgenössischen Nennungen der Stimmung. So schreibt Rudolph Lothar: „Seelenkunst, das ist die Secession, das will sie sein. Sie hat mit dem Angelernten gebrochen, sie hat an Stelle der ‚Stimmung‘, des ‚Schönen‘, des ‚Großen‘, das der Herr Professor lehrte, die Stimmung,

das Schöne und Große gesetzt, das der Künstler, in sich selbst fand. Das ist ihre Jugend, ihre Kraft, ihre Bedeutung! Sie ist wie jede wahre Kunst, persönlich, individuell.“ (Lothar 1898, S. 813.) Bei der 8. Secessionsausstellung, die unter anderem Werke von Charles Rennie und Margaret Mackintosh präsentierte, spricht Otto Stoessl von einer „Märchenstimmung“. (Stoessl 1900, S. 330.) In der Zeitschrift Das Interieur hieß es zu dieser Ausstellung: „Die innere Wahrheit dieser Arbeiten … wirkt überwältigend. Die Strenge, Reinheit, Einfachheit und Inbrunst dieser Konstruktion lassen den Gegensatz zwischen lebendiger Stimmungsgestaltung und jener erkünstelten Plattheit erkennen, welche uns an gewissen angeblich modernen Erzeugnissen jetzt schon seit Jahren langweilt …“. (Hier zitiert nach Sekler ²1986, S. 39.)

21

22

2. Stimmung als Untersuchungsmoment

Empfindungen, das Stimmungmachen in

fehlgeleitetes, nicht ursprüngliches, bloß

Räumen des täglichen Lebens und das fal-

durch die Architekten und Bildmedien

sche Pathos dort, wo wir nach Natürlich-

lanciertes.“12

keit lechzen sollten.“11 Mittels des Artikels Der Sessel vom Oktober Hoffmann verwendet nicht den Begriff an

1899 des Wiener Journalisten und Literaten

sich, sondern das Substantiv „Stimmungma-

Hermann Bahr – der unter anderem im

chen“. Die Stimmung ist demnach für ihn

Umkreis der Wiener Secession einzuordnen

ein Zustand, der aktiv hergestellt werden

ist –, kann man feststellen, dass Bahr hinge-

kann. Jedoch zeichnet er die Stimmung hier

gen die Vorteile des Gebrauchs sowie der

in einem negativen Sinn. Liest man Hoff-

Ästhetik betonte. Am Beispiel des Sessels

manns Äußerungen zum „Comfort“, wird an

stellt Bahr drei Herangehensweisen vor, wobei

dieser Stelle noch der Eindruck einer Schwer-

uns hier nur zwei interessieren: Die Suche

punktlegung auf die Funktion der Möblie-

nach dem „absoluten“ und dem „individuel-

rung verstärkt. Findet sich bei Loos eine

len Sessel“. Beim ersten geht es vornehmlich

funktionalistische Betonung, die vielmehr

darum, die „ideale Haltung eines Sitzenden

an die Definition einer architecture parlante

rein zu empfinden“ und diese „Empfindung

erinnert, ist es Hoffmann, der eine klare Für-

in einem Materiale auszudrücken“. Dann

sprache an die Bequemlichkeit des Möbel-

erlange man einen „unübertrefflichen“ Ses-

stücks formuliert. So hatte jedoch Fedor Roth

sel.13 Das zweite Verfahren umschreibt Bahr

in seiner Publikation von 1995 für Loos fol-

mit der folgenden Einstellung des „Künstlers“:

gende plausible Beobachtung aufgestellt: „Das, stille Freude und anschmiegende Er„Das Konzept der Bequemlichkeit ist also

gebung in das Schicksal, ist die Stimmung,

die umfassende Anforderung, die Loos an

der Grundton meines Lebens. Ihn will ich

die Architektur und den Gebrauchsgegen-

mittheilen. In meinen Bildern habe ich es

stand stellt. Bequemlichkeit schließt die

durch Farben versucht, jetzt will ich es ein-

praktische Handhabe, die passende Stim-

mal durch einen Sessel versuchen. Dieser

mung als auch kulturelle Glaubwürdig-

soll so sehr meinen Stempel, das Gepräge

keit ein. […] Loos unterscheidet zwischen

meines Wesens haben, dass er von Jedem

dem Bedürfnis nach sinnlichem und be-

sofort als mein Sessel erkannt werden

quemen Gebrauch der Dinge und dem

muss. […] Allerdings gäbe es noch etwas,

nach visueller Ästhetik, dem Bild des

was mich eigentlich noch mehr reizen wür-

Ganzen. Er ist überzeugt, daß letzteres

de. Nämlich zu versuchen, ob ich nicht ei-

Bedürfnis schädlich sei, weil es den wirk-

nen Sessel machen könnte, der meine

lichen Gebrauch behindere. Er sieht im

Empfindungen durch eine so suggestive

Bedürfnis nach bildhafter Ästhetik ein

Linie ausdrücken w ­ ürde, dass Jeder, der

11 Hoffmann 1901, S. 202f. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.

12 Roth 1995, S. 149f. und S. 167. 13 Bahr 2007 (1899.2), S. 135.

2.2. Stimmung, Gefühl und Emotion: Eine definitorische Abgrenzung

sich auf ihn setzt, von derselben Empfin-

Der Physiker, Philosoph und Pädagoge Otto

dung ergriffen würde.“

Friedrich Bollnow (1903–1991) sieht in der

14

Stimmung eine „gleichnishafte Übertragung Dieser Exkurs zeigt, wie sehr man in ein defi-

eines musikalischen Begriffs auf die mensch-

nitorisches Schwanken gerät, wenn man nur

liche Seele“ und wendet metapherngleich

ausgehend von der Basis von Architekten-

das Bild des Tons auf das Gemüt des Men-

oder Literaten-Äußerungen ein grundsatz-

schen an, das in einem Grundton gestimmt

gleiches Verständnis der Bauwerke nachzu-

sei.16 Hierin folgt er deutlich dem Verständ-

bilden versuchte. Daher ist es notwendig,

nis der Stimmung wie es bereits gegen Ende

immer wieder einen Abgleich zwischen

des 18. Jahrhunderts bestand.17 So ist es zum

schriftlichen oder programmatischen und

Beispiel Novalis, der die Stimmung aus ihrem

architektonischen Erzeugnissen vorzuneh-

musikalischen System löst und sie in ein

men. Nachdem die Verwendung des Stim-

Indiz für „musikalische Seelenverhältnisse“

mungsbegriffes nun schon für Hoffmann und

transferiert.18 Die Germanistin Anna-Katha-

Loos aufgezeigt wurde, ist es als nächstes

rina Gisbertz definiert die Stimmung im Rah-

nötig, den Stimmungsbegriff als solches

men ihrer Begriffsgenese weiterhin wie folgt:

näher zu umreißen. Wobei lediglich eine für den weiteren Verlauf der Arbeit relevante

„Stimmungen bilden einen Erfahrungs­

Auswahl präsentiert werden kann.

bereich, der die seit Descartes vorherrschende Subjekt-Objekt-Trennung in der

2.2. Stimmung, Gefühl und Emotion: Eine definitorische Abgrenzung

Wahrnehmung von Selbst und Welt aufhebt, da die Stimmungen weder dem einen noch dem anderen Bereich zuzu-

Meyers Konversationslexikon definiert in der

schreiben sind.“19

Ausgabe von 1885 das Wort Stimmung anfangs über seine musikalische Komponen-

Des Weiteren betont Gisbertz den Umstand,

te: im Sinne von „ein Instrument stimmen“,

dass es sich bei der Stimmung um einen

um einen ‚Wohlklang‘ zu erlangen. Erst zum

Begriff handelt, dessen Klärung sich viele

Schluss des Lexikoneintrages heißt es:

­verschiedene wissenschaftliche Disziplinen widmen, u. a. die Psychologie, Physiologie,

„Im geistigen Sinn bezeichnet S. einen be-

Literatur, ­

Ästhetik

und

Philosophie.20

stimmten Gemütszustand, den in aller

Hans-Georg von Arburg sieht gerade in jener

Reinheit zum Ausdruck zu bringen eine der Hauptaufgaben der Musik wie jeder anderen Kunst ist.“15

14 Bahr 2007 (1899.2), S. 136. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit. 15 Stimmung, in: ⁴Meyers Konversationslexikon 1885–1892, Bd. 15, S. 334.

16 Bollnow ⁸1995, S. 38f. Auch Paola-Ludovika Coriando sieht in der Stimmung „ein eher diffuses und vages, wenn auch sehr wohl wirksames, ja tonangebendes Grundgefühl“. (Coriando 2002, S. 7.) 17 Vergleiche dazu Frey 2011, S. 75–91. 18 Reents 2011, S. 114. 19 Gisbertz 2009, S. 11. 20 Gisbertz 2011.1, S. 9f.

23

24

2. Stimmung als Untersuchungsmoment

multidisziplinären Anwendung des Begriffs

Beispiel die Gegensatzpaarungen von Leib

und seine dadurch entstandenen Definitio-

– Seele, Körper – Geist oder Physis – Psy-

nen, die sich von Natur aus durch unter-

che.26 Dass dieses reziproke Denken letzt-

schiedliche Schwerpunkte auszeichnen, eine

endlich zu kurz gedacht ist, zeigen die vielen,

„signifikante Unschärfe ästhetischer Stim-

in Nuancen voneinander abweichenden Defi-

mungen“ gegeben. Vor allem die Psycholo-

nitionsangebote.

21

gie nimmt in den letzten Jahrzehnten eine

Seit einigen Jahren werden Emotionen

leitende Rolle ein und stellt die Frage nach

auch als „soziale oder kulturelle Konstrukte“

der Definition. Dabei steht im Mittelpunkt

verstanden.27 Der Psychologe Matthias Sie-

der Erörterungen das Einwirken von „Stim-

mer zählt explizit drei affektive Zustände auf:

mung als emotionale[m] Zustand auf kogni-

Emotionen, Stimmungen und Gefühle. Zu

tive Prozesse“. In diesem Zusammenhang

den Gefühlen zählt er physiologische Emp-

werden Stimmungen als „Teilbereiche des

findungen wie Hunger oder Schmerz. Er defi-

Gefühlslebens“ definiert. Sie seien der „dif-

niert die Gefühle als „nichtintentionale

fuse Hintergrund“, auf dessen Basis sich

Zustände“, während er hingegen die Emoti-

Gefühle entwickelten und seien daher unter

onen als „intentionale Zustände“ festlegt.28

die Affektforschung zu zählen, wobei sie sich

Stimmungen unterscheidet Siemer von Emo-

durch ihre Dauer voneinander unterscheiden

tionen mittels ihres Merkmals der „Globalität

ließen.

Der Sozialpsychologe Herbert Bless

bzw. Diffusität“. Dabei legt er die Stimmun-

umgrenzt Stimmungen als eine „Teilmenge

gen als „atmosphärisch diffuse, ungegliederte

der emotionalen Zustände“ und bestimmt

Gefühlserlebnisse, in denen sich die Gesamt-

„Emotionen, Kognitionen oder Verhalten“

befindlichkeit des Menschen ausdrückt“ aus.29

22

als Folgen dieser. Auch der Soziologe Ulaş

Christiane Voss geht bei der Beurteilung

Aktaş sieht die Stimmung als verhaltenskon-

von Emotionen und Stimmungen etwas

stituierend.24 Stimmungen, Gefühle und

anders vor. Ihr ist es darum gelegen, die Emo-

Affekte sind jedoch voneinander zu unter-

tionen von ihrem Synonym „Affekt“ oder

scheiden. Üblich sind die Gegenüberstellung

„Leidenschaft“ abzugrenzen. Dabei folgt sie

von Emotionen und Kognitionen sowie die

der etymologischen Wurzel des lateinischen

Kontrastierung von Emotionen, Gefühlen

Wortes affectus, zählt die Stimmung als

und Affekten über die Teilbereiche des

sinnverwandt zum Affekt auf und betont

„Physisch-Leiblichen“ ­

dessen Faktor als „einwirkend“ oder „anre-

23

oder

„Psychisch-­

Seelischen“.25 Hierbei fällt auf, dass Unter-

gend“. Im Gegensatz zu Siemer zählt Voss

scheidungen oft durch die Ziehung von Oppo-

sowohl die Emotionen als auch die Stimmun-

sitionen vorgenommen werden, wie zum

gen unter die Obergruppe der Gefühle. Die

21 Vergleiche dazu Arburg 2010.2, S. 7f. 22 Arburg 2010.2, S. 14f. 23 Bless 1997, S. 1–5. Vergleiche dazu auch ­Parkinson 2000, S. 15–22. 24 Aktas 2010, S. 14. 25 Vergleiche dazu Böhme 1997, S. 534.

26 Winko 2003, S. 166. 27 Winko 2003, S. 66f. Zur weiteren Definition von Emotionen siehe Winko 2003, S. 74. 28 Siemer 1999, S. 11. 29 Siemer 1999, S. 37.

2.2. Stimmung, Gefühl und Emotion: Eine definitorische Abgrenzung

Philosophin Agnes Heller spricht im Falle

stituiert existenzial die Weltoffenheit des

von Stimmungen sogar von genetischen oder

Daseins,‘ ‚Die Stimmung hat je schon das

biografischen „Prädispositionen der Gefüh-

In-der-Welt-sein als Ganzes erschlossen

le“.

Simone Winko hingegen bezeichnet

und macht ein Sichrichten auf … allererst

die Stimmung als eine „Manifestationsform

möglich,‘ [...] Im Gegensatz zu dem wohl

von Emotionen“. Beim näheren Abstecken

definierten Gegenstandsbezug der Affek-

der Stimmung setzen Voss und Winko jedoch

te liegt in dem Weltbezug der Stimmun-

die gleichen Kriterien wie Siemer an: Stim-

gen zwar auch ein Gegenstandsbezug,

mungen zeichnen sich nämlich ihrem Ver-

aber ein offener, unbestimmter.“35

30

31

ständnis nach durch ihre Nicht-Intentionalität aus und seien auf die Welt oder das

Kerstin Thomas entscheidet sich aus kunst-

Leben im Allgemeinen gerichtet. David E.

historischer Perspektive für eine Distinktion

Wellbery fasst Stimmungen im Gegensatz zu

von Stimmung und Affekt. Die Stimmung

Gefühlen ebenfalls als nicht-intentional.32

wird im Zusammenhang mit der Malerei zu

Als Differenzierung zur Laune sei die Stim-

einer „emotionalen Einkleidung“ und büßt

mung wiederum weniger „sprunghaft in

darüber den zeitgebundenen Faktor eines

ihrem Auftreten und Verschwinden“.

Affektes ein. Die Stimmung verliert dadurch

33

Voss bezieht sich des Weiteren aber auch

ebenso ihren individuellen Charakter und

auf Ernst Tugendhat, der die Stimmung wie-

wird zu einem sozial lesbaren Code. Klaus

derum als nicht den Affekten zugehörig ver-

Herding fasst jene Stimmung nach Thomas

steht, dafür jedoch als „affektiven Zustand“

als ein „Gemeinschaftsgefühl“.36 Dieser

umschreibt. Dies weiter ausführend zitiert

­Definitionsansatz rückt die Stimmung in die

sie den Philosophen Ernst Tugendhat, der

Nähe zum Mental Habit nach Erwin Panofs-

selbst wiederum an Heideggers Stimmungs-

ky und weiterhin zu Bourdieus Habitus-­

verständnis anknüpft :

Theorie.37

34

Martin Hartmann zieht aus philosophi„… die Stimmung [ist; LT] ein Zustand

scher und soziologischer Perspektive die

der Person, der ihre affektive Aufgeschlos-

umgangssprachliche Verwendung des Begriffs

senheit bzw. Verschlossenheit mit Bezug

als Erklärungsmuster zur Annäherung an den

auf das ‚im ganzen’ betrifft, und genau so

Begriff der Stimmung heran. So führe die

wird sie von Heidegger charakterisiert:

Gebrauchssprache zur Umzeichnung von

‚Die Gestimmtheit der Befindlichkeit kon-

Stimmungen wie zum Beispiel „Melancholie, Traurigkeit oder Nostalgie“ als Gefühle. Er

30 Hier zitiert nach Voss 2004, S. 11 und S. 38. 31 Winko 2003, S. 78. 32 Wellbery, David E.: Stimmung, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 5 (2010), S. 704. 33 Voss 2004, S. 11f. und Winko 2003, S. 109. 34 Vergleiche zum Stimmungsbegriff bei Heidegger Aktas 2010, S. 353–365 und Thomas 2010.1, S. 14–17.

fordert daher bei „philosophischen Zusam-

35 Hier zitiert nach Voss 2004, S. 84. 36 Thomas 2004, S. 448–466 und Herding 2004, S. 33. 37 Vergleiche dazu Panofsky 1989 und Bourdieu 1970, S. 125–158.

25

26

2. Stimmung als Untersuchungsmoment

menhängen“ eine klarere Trennung von

Und dennoch sieht Bollnow die Entwicklung

Gefühlen und Stimmungen.

Er selbst

von Gefühlen auf der Basis von einem „Stim-

bezeichnet Stimmungen aber als wesensver-

mungsuntergrund“ gegeben.45 Genau jener

wandt zu den „objektlosen Gefühlen“39, da

Hintergrundcharakter der Stimmung ist für

er Stimmungen allgemein als nicht-intentio-

Bollnow das Argument für eine Übertragung

nal definiert.

38

Otto Friedrich Bollnow ver-

des Stimmungsbegriffs auf eine Landschaft

gleicht Stimmungen mit den „Lebensgefüh-

oder sogar auf einen Wohnraum.46 Die Stim-

len“ und beides seien die „ursprünglichsten

mung zeichne sich gerade durch eine Bezo-

Formen“ einer Selbstwahrnehmung.41 Dies

genheit auf Welt an sich aus. Diese Begriffs-

präzisierend, unterscheidet Bollnow die

bestimmung folgt vor allem der Definition

Stimmungen von den leiblichen Gefühlen

Martin Heideggers für Stimmungen als

wie zum Beispiel Hunger, Durst oder Müdig-

„In-der-Welt-sein“ und Stephan Strassers

keit. Stimmungen werden von ihm als

Umschreibung der Stimmung als „Ich- und

„Grundbefindlichkeiten“ umrissen, die allen

Weltgefühl zugleich“.47 Jenes Verständnis

„Regungen“ eine „eigentümliche Färbung“

beruht vermutlich in Teilen auch auf demje-

verabreichen.42 Als Sitz der Stimmungen

nigen der ‚romantischen Psychologie‘,48 die

bezeichnet Bollnow das Gemüt. Da Regung

eine eindeutige Verbindung zwischen Seele

jedoch streng genommen nur ein anderes

und Leib deklarierte und die Stimmungslage

Wort für Gefühl darstellt, ist diese Definiti-

somit zum Faktor für die körperliche Befind-

on abermals eine Vermischung der Begriff-

lichkeit erklärte.49 Bollnow begründet die

lichkeiten von Gefühl und Stimmung. Den-

Stimmung in ihrer Disposition als Unter-

noch grenzt Bollnow diese beiden Wörter

grund auch als essenziell für die Wahr­

voneinander ab, indem er Stimmungen als

nehmung.50

40

43

etwas Gegenstandsloses definiert:

Die Verknüpfung von Landschaft und Stimmung ist an sich aber auch ein Topos

„Sie [Stimmungen; LT] sind Zuständlich-

der Romantik. So wird in jener Epoche das

keiten, Färbungen des gesamten mensch-

„Stimmungsbild“ zu einem vordringlichen

lichen Daseins, in denen das Ich seiner

Auftrag der Landschaftsmalerei51 und die

selbst in einer bestimmten Weise unmit-

Landschaft wird im Sinne einer Naturbesee-

telbar inne wird, die aber nicht auf etwas außer ihnen Liegendes hinausweisen.“44

38 Hartmann ²2010, S. 31f. Vergleiche zum Aspekt der Stimmung in Alltagsgesprächen Parkinson 2000, S. 12. 39 Hartmann ²2010, S. 85. 40 Hartmann ²2010, S. 92. 41 Bollnow ⁸1995, S. 33. 42 Bollnow ⁸1995, S. 33f. 43 Bollnow ⁸1995, S. 34. 44 Bollnow ⁸1995, S. 34f.

45 Bollnow ⁸1995, S. 36 und S. 54. 46 Bollnow ⁸1995, S. 39f. 47 Bollnow ⁸1995, S. 40f und S. 55. Ähnliches erklärt auch Böhme, nur dass er statt der Stimmung den Begriff des Gefühls einsetzt. (Böhme 1997, S. 539.) 48 Hartmut Böhme deklariert eine „Psychologisierung und Moralisierung der Gefühle“ im Laufe des 18. Jahrhunderts. (Böhme 1997, S. 534.) 49 Bollnow ⁸1995, S. 42. Vergleiche dazu Gisbertz 2011.1, S. 9. 50 Bollnow ⁸1995, S. 57. 51 Reents 2011, S. 120 und Thomas 2010.2, S. IX.

2.2. Stimmung, Gefühl und Emotion: Eine definitorische Abgrenzung

lung zum „Resonanzraum für Seelenzustän-

„Weltseele“. Die Stimmung stellt sich über

de“.

Genau an jenem Knotenpunkt setzte

die Ruhe und Fernsicht im modernen Men-

bereits der Wiener Kunsthistoriker Alois

schen ein und wird von Riegl auch als „erlö-

Riegl 1899 mit seinem Aufsatz Die Stimmung

sende Stimmung“ bezeichnet.54 Mit der expli-

als Inhalt der Modernen Kunst an. Er ver-

ziten Nennung des modernen Menschen

setzt den Ich-Erzähler zu Beginn seines

transferiert Riegl den romantischen Stim-

Essays auf einen Alpengipfel und lässt ihn

mungsbegriff in ein Zugangsmodell zur

„das Ganze überschaue[n]“. Dabei entstehe

modernen Weltsicht.55 Er formuliert als Auf-

ein „Gefühl der Beseeligung, Beruhigung,

gabe der modernen Kunst sogar, dem

Harmonie“. Jenes positive Gefühl näher aus-

Betrachter „die tröstliche Gewißheit von der

führend, schreibt Riegl:

Existenz jener Ordnung und Harmonie zu

52

verschaffen, die er in der Enge des Weltge„Was nun die Seele des modernen Men-

triebes

vermißt“.56 Jene

„ganzheitliche

schen bewußt oder unbewußt ersehnt, das erfüllt sich dem einsam Schauenden auf jener Bergeshöhe. Es ist nicht der Friede des Kirchhofs, der ihn umgibt, tausendfältiges Leben sieht er ja sprießen; aber was in der Nähe erbarmungsloser Kampf, erscheint ihm aus der Ferne friedliches Nebeneinander, Eintracht, Harmonie. So fühlt er sich erlöst und erleichtert von dem bangen Drucke, der von ihm keinen Tag seines gemeinen Lebens weicht. Er ahnt, daß weit über den Gegensätzen, die ihm seine unvollkommenen Sinne in der Nähe vortäuschen, ein Unfaßbares, eine Weltseele alle Dinge durchzieht und sie zu vollkommenem Einklange vereinigt. Diese Ahnung aber der Ordnung und Gesetzlichkeit über dem Chaos, der Harmonie über den Dissonanzen, der Ruhe über den Bewegungen nennen wir die Stimmung. Ihre Elemente sind Ruhe und Fernsicht.“53 Riegl definiert die Stimmung zu einem Vorgefühl um das Wissen einer waltenden 52 Thomas 2010.1, S. 12. 53 Riegl 1928 (1899), S. 29.

54 Riegl 1928 (1899), S. 30. Auch Otto Wagner sah die Ruhe als essenziell für das ästhetische Empfinden: „Es ist eine dem menschlichen Empfinden eigentümliche Eigenschaft, daß das Auge bei Betrachtung jedes Kunstwerkes einen Ruhe- oder Konzentrierungspunkt sucht, da sonst peinliche Unsicherheit, ein ästhetisches Unbehagen eintritt.“ Daher fordert er eine „STETE BERÜCKSICHTIGUNG DES HORIZONTALEN UND VERTIKALEN SEHWINKELS DES BESCHAUERS BEI JEDER ART VON DISPOSITION“. (Wagner 2008, S. 73f.) 55 Vergleiche dazu Kerstin Thomas, die weiterhin die grundlegende Rolle der Einfühlungstheorie nach Friedrich Theodor Vischer für Riegl in diesem Zusammenhang betont. (Thomas 2010.1, S. 13f. und David E. Wellbery: Stimmung, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 5 (2010), S. 718–724.) 56 Riegl 1928 (1899), S. 31. Vergleiche dazu Lochner 2010, S. 11 und S. 13. Wie sehr sich wiederum der Mensch gegen eine solche Erfahrung verschließen kann, beschreibt Bollnow mithilfe eines Zitats aus der Erzählung Zum wilden Mann (1885) von Wilhelm Raabe, der ebenfalls die Fernsicht, die sich von einer Bergspitze aus bieten kann, thematisiert: „Es ist ein Irrtum oder gar eine Lüge, wenn man behaupten will, daß einem unglücklichen oder von Not und Sorge bedrängten Menschen eine schöne Gegend und herrlich erhabene Aussicht zum Heil und zur Genesung gereiche. Es ist einfach nicht wahr. Im Gegenteil, nichts ist schlimmer für einen Kummervollen, Schmerzbeladenen, als eine weite sonnenklare, in allen süßen Farben der Erde leuchtende Fernsicht, hoch von

27

28

2. Stimmung als Untersuchungsmoment

­Stimmung“ greift Riegl im „Alterswert“ eines

S. Falser es zusammenfasst – „individuelle

Denkmals 1903 in seinem Aufsatz zum Denk-

Stimmung der Moderne“.59

malkultus wieder auf, denn dieser „Alters-

Bollnow spricht von einer „Hygiene der

wert“ helfe dem Menschen bei einer stim-

Seele“, die darauf abzielt, alle Auslöser einer

mungshaft erfahrbaren Einordnung seiner

„unfruchtbaren Stimmung“ auszugrenzen.60

selbst. Riegl erklärt im selben Artikel von

Diese generell subjektive Struktur der Stim-

1903 die „Stimmungswirkung“ zu einer gene-

mung ist weitestgehend auf einen wissen-

rell „sinnlichen Wahrnehmung“. Sie sei nicht

schaftlich greifbaren Nenner zu bringen,

etwa an „wissenschaftliche Erfahrungen“

indem dieses Konzept eine deutliche Erklä-

gebunden, sondern sei somit jedem zugäng-

rung für das Umfeld eines Sanatoriums dar-

lich und besitze folglich eine „Allgemeingül-

stellt, das nicht nur auf eine körperliche

tigkeit“. Hinzu komme ihre sofortige Äuße-

Hygiene, sondern auch auf eine nervenberu-

In seinem Aufsatz Jakob

higende Gesundheitspflege achtet und dies

von Ruysdael von 1902 verwendet Riegl

bereits über seine architektonische Verfasst-

mehrfach den Begriff der Stimmung. Zum

heit vermitteln möchte (Abb. 3). Dies wird

einen spricht er von der „Gewitterstim-

intensiv am Beispiel des Sanatoriums Purk-

mung“, die er in den Gemälden Rembrandts

ersdorf von Josef Hoffmann erläutert. Das

erkennt, und zum anderen bildet der hohe

„bewusste Stimmungserleben“ wird als Mög-

Horizont den Ausgleich für das „stimmungs-

lichkeit formuliert, um einen „Affektzustand“

gefährliche Menschenwerk“ im unteren

„zu erkennen und zu bewältigen“.61 Einer-

Drittel der Bilder. Weiterhin beobachtet ­

seits werden die Stimmungen zu Instanzen,

Riegl für den „modernen Beschauer“ der Bil-

die der Mensch zu beherrschen lernen muss.

der Ruysdaels ein „stimmungsstörendes“

Bollnow spricht zum Beispiel von einer

Moment und formuliert somit verschiedene

„Herrschaft über die Stimmungen“ und

zeitgebundene bzw. generationsgebundene

zeichnet das Bild eines zwischen „Stimmung

Sichtweisen von Stimmungen in Kunstwer-

und Charakter“ im Sinne von „Veränderli-

ken. Stimmungen können in Bildern seiner

chem“ und „Festem“ oszillierenden Ichs.62

Ansicht nach als „gleichsam zum Reißen“

Er hat sich regelrecht in die für ihn ‚gesun-

angespannt sein oder durch ihr „Gleichge-

de‘ Stimmung zu versetzen oder für diese

wicht“ regelrecht „bezaubern“.58 Die Stim-

Arbeit umformuliert: als Architekt die Stim-

mung bei Riegl ist eine – wie Michael

mung des Wahrnehmenden bei der Planung

rung als Gefühl.

57

von Gebäuden mit zu bedenken oder zu föreiner Bergspitze aus. Es ist arg und eigentlich furchtbar, aber es ist so: den Sturm, den Regen läßt man sich in der bösen Stimmung gefallen, aber die Schönheit der Natur nimmt man als einen Hohn, als eine Beleidigung und fängt an, alle sieben Schöpfungstage zu hassen.“ (Wilhelm Rabe zitiert nach Bollnow ⁸1995, S. 56.) 57 Riegl 1928 (1903), S. 150 und S. 164f. Vergleiche dazu Euler-Rolle 2005, S. 27–34. 58 Riegl 1928 (1902), S. 137, S. 140 und S. 142f.

dern.63 Bereits Kant hatte die Stimmung als

59 Falser 2006, S. 8. 60 Bollnow ⁸1995, S. 133. 61 Parkinson 2000, S. 115. 62 Parkinson 2000, S. 141. 63 Hartmut Böhme unterscheidet nicht direkt zwischen Gefühl und Stimmung, setzt beides aber als Grundlagen für ein wahrnehmendes Ich ein: „Daß

2.3. Stimmung und Atmosphäre

Ort umschrieben, an dem „Verstand und Empfindung zum Ausgleich kommen“.

2.3. Stimmung und Atmosphäre

64

Schiller geht noch einen Schritt weiter und

Um sich dem Begriff der Stimmung weiter für

versteht die Stimmung gleichwohl als einen

das Untersuchungsfeld dieser Arbeit zu

„Zustand der Mitte“, das heißt der Harmo-

nähern, ist es notwendig, die Begriffe

nie. Andererseits entsteht nach dem Philo-

­Stimmung und Atmosphäre zueinander in

sophen und Psychologen Theodor Lipps um

Beziehung zu setzen und gegebenenfalls von-

1900 das Bild eines ‚Willenlosen‘, der regel-

einander zu unterscheiden. K. Widmer veröf-

recht Gefahr läuft, sich in einem stimmungs-

fentlichte 1905 beziehungsweise 1906 in der

haften Rausch zu verlieren.66

Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration

65

Die Stimmung ist aber gerade auch als

unter dem Titel Farbe und Raum-Stimmung

Instrumentarium eines Architekten zu defi-

einen Artikel, in dem er durch das Medium

nieren. Josef Hoffmann und Adolf Loos

der Farbe eine Erzeugung von „Gefühlen“ sug-

haben die ästhetische Stimmung als etwas

geriert wissen will.67 Weiß führe zum Beispiel

Gestaltbares verstanden, das sich aus der

zum „Eindruck von Helligkeit und Reinlich-

von ihnen geschaffenen Umgebung und dem

keit“ und damit zu einem „Gefühl der Gesund-

sich darin bewegenden Subjekt in wechsel-

heit und Behaglichkeit“.68 Thomas Fuchs

seitiger Beziehung aufbaut. Diese Beziehung

spricht hundert Jahre später sogar von einem

soll im Rahmen der nächsten zwei Unterka-

„Stimmungsraum“69, den er wie folgt darlegt:

pitel daher näher erläutert werden. „Die Grundschicht des leiblichen Raumes wird durchdrungen von den Richtungen der Wahrnehmung und Bewegung. Doch ich hier und jetzt mich fühle und in eben dieser Weise gestimmt bin, macht aus, daß ich mich existierend wahrnehme.“ (Böhme 1997, S. 525.) 64 Vergleiche dazu Gisbertz 2011.1, S. 7 und Frey 2011, S. 78–88. 65 Frey 2011, S. 89f. Vergleiche für die Kontrastierung der psychologischen und philosophischen Definition von Stimmung Welsh 2011, S. 132f. 66 Bollnow ⁸1995, S. 146–149. Seit Platon bestand das Bild des „Seelenwagens“, nachdem die Gefühle vom Menschen gelenkt werden müssten. Die Gefühle wurden in der Seele als innerem Raum lokalisiert und folglich als ein Ich verdichtet. Ein „Drei-Schichten-Modell“ von Leib-Seele-Geist mit einer Trennlinie, die zwischen dem Leib auf der einen Seite und Seele und Geist auf der anderen Seite verlief, verfestigte sich als Vorstellung. Gefühle an sich wurden als etwas verstanden, das es zu zügeln galt. (Böhme 1997, S. 531.) Seit dem 18. Jahrhundert ging mit der Verbürgerlichung eine Verknüpfung von Gefühlen und Sozialordnungen einher. Kant entwickelte sogar den Begriff des „moralischen Gefühls“. (Böhme 1997, S. 535.)

der Umraum ist auch erfüllt von sympathetisch erfahrbaren Phänomenen, die sich den Sinnesqualitäten des Richtungsraums nicht zurechnen lassen, auch wenn sie eng mit ihnen verknüpft sind: von Physiognomien, Anmutungen, Ausstrahlungen, Atmosphären, Stimmungen und Gefühlsschwingungen. In Anlehnung an Binswangers ‚gestimmten Raum‘ (Binswanger 1933) bezeichne ich die anthropologische Räumlichkeit dieser Phänomene als Stimmungsraum.“70

67 Widmer 1905–1906, S. 204–209. 68 Widmer 1905–1906, S. 209. 69 Fuchs 2000, Kapitel 5. 70 Fuchs 2000, S. 194.

29

30

2. Stimmung als Untersuchungsmoment

Fuchs verifiziert in der Folge Stimmungen als

sogar als identisch dar.75 David E. Wellbery

„Anmutungen“, die sich auf den „Umraum“

sieht die Stimmungen zum Beispiel nicht nur

übertragen. Als Vergleich nennt er hierfür die

als „Weisen des psychischen Innenlebens, son-

Atmosphäre und gibt „Wärme, Kälte, Heiter-

dern auch [als; LT] Atmosphären, die uns

keit und Düsternis“ als verdeutlichende Bei-

umgeben“.76 Hubert Lochner unterscheidet

spiele an. Ebenso bezeichnet er aber auch die

zwischen dem Atmosphärischen als einer

Atmosphären als „ganzheitliche räumliche

ästhetischen Kategorie und der Stimmung als

Ausdrucksphänomene“, die „den gesamten

einem ästhetischen Grundbegriff, wobei frag-

Umraum erfassen“.71 Stimmungen und Atmo-

lich bleibt, ob die Stimmung nun dem Atmo-

sphären unterscheidet Fuchs daher nur durch

sphärischen unterzuordnen wäre.77 Christoph

die Gerichtetheit nach innen beziehungswei-

Rodatz setzt den „gestimmten Raum“ mit der

se Subjektzentrierung der Stimmungen. Als

Atmosphäre gleich. Er zieht ebenso wie Fuchs

Beweis für die Gratwanderung zwischen den

– ihm aber inhaltlich diametral entgegen

beiden Bezeichnungen zieht Fuchs sowohl

argumentierend – Sprachwendungen als ­

die Sprachwendungen „selbst gestimmt sein“

Beweisgrundlage heran. Mithilfe solcher Wen-

und „von der Atmosphäre im Raum zu parti-

dungen, wie „Es herrscht eine angespannte

zipieren“ als auch Heideggers Stimmungsver-

Atmosphäre“ und „Die Stimmung ist heiter“,

ständnis des „In-der-Welt-Seins“ heran.72

betont er wiederum die Gleichwertigkeit der

Ansonsten geht er unter anderem von Innen-

Begriffe. Sowohl für Atmosphären als auch

architekten aus, die Atmosphären „erzeugten“

für Stimmungen gelte das ‚Teilsein‘ des „Rau-

und darüber das Subjekt „in gewisse Stim-

mes“, des „Wahrnehmenden“ sowie des

mungen versetzten“.73 Auch Sabine Schouten

„Wahrnehmungsgegenstandes“.78 Hermann

trennt die Begrifflichkeiten Atmosphäre und

Schmitz und Gernot Böhme folgend, definiert

Stimmung über die Subjektorientierung und

Rodatz die Atmosphäre als das „Zwischen,

spricht vom „Spüren der Stimmung im

zwischen mir als im Raum leiblich Anwesen-

atmosphärischen Raum“.74 Diese klare Trenn-

den und dem Raum meiner leiblichen Anwe-

linie zwischen dem Außen und dem Innen,

senheit“ und als „räumlicher Träger von Stim-

das heißt der Atmosphäre und der Stimmung,

mungen“. Wobei die Atmosphäre sich

wird jedoch nicht immer so konsequent ver-

unabhängig von der eigenen S ­ timmung ent-

folgt. Das Lexikon der Ästhetik verweist unter

wickeln kann, während die Stimmung immer

dem Lemma Atmosphäre auf den Begriff Stim-

als „subjektiver Pol“ zu verstehen sei.79 Der

mung und stellt beide damit als gleichwertig,

Stimmungsraum ist demnach natürlich nicht mit einem architektonischen Raum zu

71 Fuchs 2000, S. 194 und S. 213. 72 Fuchs 2000, S. 215–217. 73 Fuchs 2000, S. 236. Anna-Katharina Gisbertz formuliert für Heideggers Stimmungsverständnis die Frage nach dem „Wie des Daseins“. Jene Rolle der Stimmung als „fundamentale Seinsweise“ führt aber auch zu einer „Sprachlosigkeit“ gegenüber einer Definition. (Gisbertz 2011.1, S. 8.) 74 Hier zitiert nach Rodatz 2010, S. 32.

75

Atmosphäre, in: Lexikon Der Ästhetik ²2004, S. 37. 76 Wellbery, David E.: Stimmung, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001-2010, Bd. 5 (2010), S. 705. 77 Lochner 2010, S. 7. 78 Rodatz 2010, S. 30f. 79 Rodatz 2010, S. 33f. und S. 56.

2.4. Zwischen Evokationsraum und Nervenstimmungen

­verwechseln oder einfach gleichzusetzen. Ulaş Aktaş sieht im Stimmungsraum eine „geteilte

2.4. Zwischen Evokationsraum und Nervenstimmungen

Endo-Sphäre“.80 Kerstin Thomas betont ebenso für Heidegger, dass eine „neutrale Welt“

Die Stimmung wird zum einen als vom

gar nicht existieren könne, sondern immer

Objekt ausgehende oder darin enthaltene

über das Subjekt „strukturiert“ sei.

Beschaffenheit wahrgenommen, zum ande-

81

Die Stimmung soll für diese Untersuchung

ren als eine vom Subjekt auf das Objekt über-

in ihrer Subjektbezogenheit verankert blei-

tragene Befindlichkeit gefasst.83 Für beide

ben, jedoch zusätzlich als eine Vermittlerins-

Definitionen der Stimmung werden sich fer-

tanz von Architektur verstanden werden. Da

ner Beispiele finden. In allen Fällen handelt

sie jedoch nicht ähnlich einer Lufthülle zwi-

es sich entweder um subjektiv inszenierte

schen Architektur und Subjekt aufgefasst

oder intendierte oder subjektiv empfundene

werden soll, ist es erforderlich, den Begriff

Stimmungen, die in direkter Verbindung zur

der Atmosphäre weitestgehend zu vermei-

Architektur Hoffmanns und Loos’ zu beob-

den. Die Stimmung ist vielmehr sowohl in

achten sind. Im Mittelpunkt der Untersu-

Anteilen im Subjekt als auch im Objekt ver-

chung stehen sowohl die zeitgenössischen

ankert und stellt eine Brücke zwischen bei-

Theorien, die zu einer Relevanz der Insze-

den dar. Ähnlich dem Topos des ‚Zeitgeistes‘

nierung von Stimmungswerten in der Archi-

erscheint das Atmosphärische fast ätherisch,

tektur für ihre Erbauer und Architekten führ-

während die Stimmung als gezielt eingesetz-

ten, als auch die zeitgenössischen Reaktionen

tes Instrumentarium des Architekten in sei-

auf die Gebäude, die sowohl Stimmungen,

ner Rolle als Lebensreformer und als im

Affekte, aber auch zielgerichtete Gefühle

‚modernen Ich‘ Wahrgenommenes gezeich-

umfassten. Gerade die Verknüpfung der Bau-

net werden soll. Mittels der Stimmung sind

werke mit den zeitgenössischen Stimmungs-

die utopischen Wunschvorstellungen Loos’

und Einfühlungstheorien wurde so explizit

und Hoffmanns an das ‚moderne Ich‘ zu

noch nicht für die Architekturen Hoffmanns

erkunden.82 Daher ist es unerlässlich, die

und Loos’ unternommen.

sich für die ästhetische Stimmung heraus-

In Hinsicht auf den Aspekt der subjekti-

kristallisierenden Komponenten Ich, Wahr-

ven Verknüpfung der Stimmung hilft die Ein-

nehmung und Objektwelt in Hinblick auf

fühlungstheorie insbesondere bei der wissen-

das Untersuchungsfeld Wien um 1900 und

schaftlichen Klärung des vagen und mehrfach

dessen mögliche Einflüsse im nächsten

kodierten Topos.84 Nicht nur, weil sie als

Abschnitt knapp zusammenzufassen.

80 Aktas 2010, S. 356. 81 Thomas 2010.1, S. 15. 82 Alfred Pfabigan beobachtet auch für Adolf Loos „eine für die Jahrhundertwende typische utopische Denkweise“ und zieht Parallelen zu Josef Hoffmann über den utopischen Anspruch beider Architekten. (Pfabigan 1991, S. 62 und S. 68f.)

83 Lochner 2010, S. 15. 84 Bereits Moritz Geiger, ein Schüler Theodor Lipps, ging 1911 mit seiner Publikation Zum Problem der Stimmungseinfühlung jener Verknüpfung von Stimmung und Einfühlung nach. (Geiger 1911, S. 1–42, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ zaak1911/0001, 16.01.2015) Vergleiche dazu David E. Wellbery: Stimmung, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 5 (2010), S. 722f.

31

32

2. Stimmung als Untersuchungsmoment

eine „Projektion des Ichs auf ein äußeres

ist die ästhetische Einfühlung dem Bereich

Objekt“

86

der Kunst vorbehalten, die jedoch auf eine

an sich schon ein ähnliches, zwischen außen

‚geneigte‘ Stimmung des Betrachters ange-

und innen oszillierendes Verhältnis verdeut-

wiesen ist.90 Die Einfühlung wird somit zum

licht, sondern weil sie darüber hinaus einen

Medium der Stimmung. Sie ist die Voraus-

nahezu zeitgleichen Entwicklungshöhe-

setzung für die Wahrnehmung von Stimmun-

punkt87 wie die Bautätigkeit Hoffmanns und

gen. Lipps überträgt die Einfühlung auf die

Loos’ erlebt, ist ihre Berücksichtigung für

Kategorie der Kunstphilosophie und unter-

diese Arbeit unabdingbar.88

zieht sogar anorganische Formen dem Inter-

85

oder als „leihendes Anschauen“

Im Rahmen der Einfühlungstheorie Fried-

pretationsinstrumentarium der Einfühlung.91

rich Theodor Vischers (1807–1887) wird die

Er ist es auch, der das Kompositum der

Stimmung zu einer „unbewussten Projekti-

„Stimmungseinfühlung“ formt.92 Johannes

on“, die sich auf einen Gegenstand richtet.

89

Volkelt (1848–1930) subsumiert die Stim-

Bei Lipps (1851–1914) findet sich die Unter-

mung unter die „ästhetischen Gefühle“,

scheidung zwischen praktischer und ästhe-

wobei die Stimmung für ihn vor allem in

tischer Einfühlung. Während die praktische

jenen Vorgang involviert ist, der Tiere,

Einfühlung die Einordnung und Lesbarkeit

­Blumen und Landschaften mittels Übertra-

der Stimmungen der Mitmenschen betrifft,

gung „beseelt“.93 Ebenso wie für die Stimmung strittig ist, ob sie im Menschen durch

85 Fontius, Martin: Einfühlung / Empathie / Identifikation, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001– 2010, Bd. 2 (2010), S. 123. 86 Fontius, Martin: Einfühlung / Empathie / Identifikation, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001– 2010, Bd. 2 (2010), S. 130. 87 Die Publikationen Friedrich Theodor Vischers und seines Sohnes Robert Vischer erstrecken sich über einen Zeitraum von 1866 bis in die 1880er-Jahre. Theodor Lipps publizierte bereits 1900 den Artikel Aesthetische Einfühlung und der erste Band seiner Ästhetik erschien 1903. 1906 veröffentlichte Lipps einen Aufsatz mit dem Titel Einfühlung und ästhetischer Genuß. Wilhelm Worringers Buch Abstraktion und Einfühlung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie wurde 1908 publiziert. Auch wenn Worringer die ‚Einfühlung‘ letztendlich auf ihre Rolle für das Verständnis von Kunst begrenzte, ist seine Dissertation ein Beleg für eine zeitgenössische Auseinandersetzung mit dem methodischen Mehrwert der Einfühlungstheorie. (Vergleiche dazu Friedrich und Gleiter 2007, S. 16f. und Moravánszky 2003, S. 129 und S. 161.) 88 Auch Kerstin Thomas betont die Rolle der Einfühlungstheorie für das Verständnis von Stimmung gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. (Thomas 2010.1, S. 13.) 89 Winter 1988, S. 35 und Welsh 2011, S. 145.

Objekte evoziert wird oder ob Objekte durch sie gefärbt wahrgenommen werden, sieht der Kunsthistoriker Robert Vischer (1847–1933) für die Einfühlung zweierlei Stufen gegeben: Erstens ist die Einfühlung als Umwandlung von äußeren Reizen in ein Inneres zu ­verstehen. Zweitens führe jene Transformationsleistung dann zu einer „gefühlsmäßigen Selbstversetzung der eigenen Leibform in ein Objekt“.94 Nun stellt sich jedoch die Frage nach der Art und Weise des Weltbezugs der Stimmung, wie er weiter oben formuliert wurde. Die Antwort auf diese Frage lautet: Die Architektur

90 Lipps 1906, S. 32–56 und Winter 1988, S. 40f. 91 Fontius, Martin: Einfühlung / Empathie / Identifikation, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001– 2010, Bd. 2 (2010), S. 131 und S. 134f. 92 Friedrich und Gleiter 2007, S. 16. 93 Winko 2003, S. 196. 94 Friedrich und Gleiter 2007, S. 10.

2.4. Zwischen Evokationsraum und Nervenstimmungen

als gestalteter Umraum des Menschen mit

das Bild der Architektur in Hinsicht auf ihre

all ihren Elementarteilchen wird zum Evo-

psychologischen Bedingungen zu stärken,

kationsraum der Stimmung, die sich wiede-

wobei er nicht Wölfflins Anthropomorphis-

rum im mitgedachten Ich, ob es nun der

mus folgte, sondern vielmehr den sich be­­

Bewohner, Besucher, Patient oder Kunde ist,

wegenden Körper im Raum in den Mittel-

ausformt. Auch wenn der Philosoph Thomas

punkt

Friedrich und der Architekturtheoretiker Jörg

Während Wölfflin jedoch vor allem die

H. Gleiter mit Lenelis Kruse der Ansicht

Reaktionen des Rezipienten untersucht,98

sind, Stimmungen seien „nicht aus der Sum-

rückt Schmarsow insbesondere den Pro­du­

mierung einzelner Gestaltqualitäten wie Far-

zenten in den Mittelpunkt seiner Ab­­

be, Form, Temperatur usw.“ zu verstehen,

handlungen und macht den Architekten zum

sondern „aus dem wahrgenommenen Bedeu-

Inhaber eines „Raumgefühls“99, das die

tungsganzen“, soll im Rahmen der Analysen

„Raumgestaltung“ bedingt.100 Auch Ferdin-

mit

der

and Fellner von F ­ eldegg, der über viele Jahre

‚gestimmten‘ Teilbereiche begonnen werden.

die Wiener Architekturzeitschrift Der Archi-

Erst auf der Grundlage eines solchen Kom-

tekt leitete, veröffentlichte ab 1890 einige phi-

pendiums ist es möglich, ein Erklärungsmus-

losophische Abhandlungen, die eine Gefühls-

ter als zusammenführendes ‚Ganzes‘ für ein

theorie ­konzipierten.101

einer

detaillierten

Erfassung

seiner

Untersuchungen

stellte.97

Bauwerk zu entwickeln. Ansonsten droht

Diese auf ein Subjekt hin orientierten The-

bei einem solch signifikant unscharfen Unter-

orien ergänzen sich zu einem Ganzen,

suchungstopos wie der Stimmung ein Ver-

bedenkt man die um die Wende zum 20. Jahr-

harren im Nebulosen.95

hundert erneute Umdeutung der Weltsicht

Bereits Heinrich Wölfflin vertrat gegen

nach René Descartes: Friedrich Nietzsche,102

Ende des 19. Jahrhunderts die Ansicht, die Architektur sei eine durch den Leib ­wahrnehmbare Entität. Wölfflin fasst diese Beobachtung unter der Formulierung der „Empfindung des Körpers“ zusammen und interpretiert die Architektur als einen „Ausdruck leiblicher Befindlichkeit“. Er stärkt ähnlich wie Herder zuvor die „anthropomorphe Analogie“ im Speziellen für die Gattung Architektur und führt damit das ästhetische Einfühlungskonzept für die Architektur weiter.96 Ähnlich versuchte August Schmarsow 95

Vergleiche dazu Friedrich und Gleiter 2007, S. 29f. 96 Winter 1988, S. 37, S. 50 und S. 57 und Friedrich und Gleiter 2007, S. 12–19 Siehe auch Wagner 2004, 10.07.2011.

97

Vergleiche dazu Böhme 2006, S. 115f., Friedrich und Gleiter 2007, S. 12f. und Moravánszky 2003, S. 126f. 98 Eine ähnliche Vorgehensweise findet sich auch bei Camillo Sitte. Vergleiche dazu Winter 1988, S. 148–152. 99 Vergleiche zum Raumgefühl bei Lipps Lipps 1906, S. 188–190. Bereits Kerstin Thomas verweist auf jene Textstellen, wenn sie ein „Modell von Stimmung als Übertragunsleistung des Betrachters“ für die Einfühlungsästhetik zusammenfassend formuliert. (Thomas 2010.1, S. 13 und S. 207, Anmerkung 71.) 100 Thomas 2010.1, S. 52 und S. 66f. und Lüdeke 2006, S. 454–457. 101 Reiterer 2005, S. 234, Fußnote 35. 102 Vergleiche dazu Gisbertz 2011.1, S. 7f., Gisbertz 2009, S. 30-36 und David E. Wellbery: Stimmung, Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 5 (2010), S. 716.

33

34

2. Stimmung als Untersuchungsmoment

Wilhelm Dilthey,103 aber auch Ernst Mach

Zugang zur Welt. Das Ich ist für ihn tatsäch-

zweifeln das Konstrukt des vorwiegend von

lich nur ein unzulängliches „Konstrukt […]

Vernunft geleiteten Menschen an und stär-

für die Erkenntnis der Wirklichkeit“. Das so

ken das Gefühlsleben als Zugang des Sub-

von Mach geprägte unrettbare Ich ist ein

jekts zum eigenen Dasein.104 Der „subjektive

instabiles, ständig neu zusammengesetztes

Blick“ wird auch vom deutschen Physiker

Gemenge von Elementen. Mach zeigt das

und Physiologen Hermann von Helmholtz

Ich in seiner Beziehung zur Welt gebrochen.

und dem deutschen Physiker und Psycholo-

Einer solipsistischen Weltsicht wird ein Netz-

gen Gustav Theodor Fechner betont.105 Eric

werk zwischen Welt, Stimmung und Leib ent-

Kandel lässt aus der heutigen Rückschau mit

gegengesetzt. Bei Mach heißt es in der Ana-

der Wiener Moderne sogar das „Zeitalter der

lyse der Empfindungen:

Erkenntnis“ beginnen und konstituiert in diesem Zusammenhang das Zwiegespräch zwi-

„Farben, Töne, Wärmen, Drücke, Räume,

schen Kunst und Medizin für das Wien um

Zeiten u. s. w. sind in mannigfaltiger Wei-

1900 als Initialzündung. Dabei zieht Kandel

se miteinander verknüpft, und an diesel-

unter anderem die Erkenntnis Alois Riegls

ben sind Stimmungen, Gefühle und Wil-

von der „Hineinziehung des betrachtenden

len gebunden. Aus diesem Gewebe tritt

Subjekts“ in die Kunst heran und stärkt folg-

das relativ Festere und Beständigere her-

lich die damals für den Kunst-Rezipienten

vor, es prägt sich dem Gedächtnisse ein,

formulierte Verbindung von Wahrnehmung

und drückt sich in der Sprache aus.“108

und resultierender Emotion.

106

Anna-Katha-

rina Gisbertz erklärt im Nachhinein die

Gisbertz umschreibt Machs Stimmung daher

Skepsis gegenüber der „Vernunft als Grund-

als ein „Integral, das sich aus einer Vielzahl

lage des menschlichen Wesens“ als „Kernthe-

von unterschiedlichen Übergängen konsti-

ma der Wiener Moderne“.

So definierte

tuiert“ und als ein „Aggregat von polykon-

bereits Mach Stimmungen als Empfindungen

textual verlaufenden rekursiven Netzwer-

und organische Prozesse. Sie begründen den

ken“.109 Mach belässt die Stimmung in ihrem

107

„unbestimmten Charakter“, da sie je nach 103

Vergleiche dazu Winko 2003, S. 168–190 und Gisbertz 2009, S. 36–43. 104 Gisbertz 2009, S. 26f. 105 Porfyriou 2005, S. 241. 106 Kandel 2012, S. 12, S. 137–142 und S. 228–231. 107 Gisbertz 2009, S. 29. Des Weiteren sieht sie in diesem Zusammenhang eine Nähe zu Bollnows Stimmungsbegriff. Bollnow entwickelte seine Definition der Stimmung während des Zweiten Weltkrieges. Jener von unmenschlichen Schrecken geprägte Erfahrungshintergrund konnte nur zu einer Skepsis gegenüber der Gewichtung des rationalen Anteils von Entscheidungsgrundlagen führen. Der historische Zeitraum und die dadurch bedingten Weltbilder formten demnach nachhaltig das Stimmungskonzept.

Modifikation ihrer Bestandteile ein variierendes Konstrukt darstellt.110 Selbst das Ich wird zu einer „pragmatischen Fiktion“.111 Wilhelm Dilthey legt die Stimmung als „Grundstimmung“ beziehungsweise „Lebensstimmung“ aus. Sie hat ähnlich wie bei

108 Mach 1987 (1922), S. 1f. 109 Gisbertz 2009, S. 97 und S. 23. 110 Gisbertz 2009, S. 81f. 111 Wellbery, David E.: Stimmung, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 5 (2010), S. 716.

2.4. Zwischen Evokationsraum und Nervenstimmungen

Nietzsche eine „Erschließungsfunktion“ ­

venstrapazierten und der potenzierten Hys-

inne, die durch ihre „zahllosen Nuancen“

terikerin115 verbreiteten Sitte und Freud das

eine schwankende Verfasstheit aufweist.

112

genuin moderne und großstädtische Krank-

Diese Skepsis gegenüber der Vernunft und

heitsbild der Agoraphobie in der Öffentlich-

der an sie geknüpften Weltwahrnehmung

keit des Fin de siècle.116 In der Tat sprach

zeichnet sich deutlich in der Ästhetik und

Hermann Bahr, der von Gotthart Wunberg

Ethik der Wiener Moderne, ob in der Lite-

auch als „Initiator“ der literarischen Wiener

ratur, der Architektur, der bildenden oder

Moderne bezeichnet wird,117 bereits 1891 in

angewandten Künste, ab. Mirko Gemmel

seinem Artikel Vom Stile von „Nervenstim-

bezeichnet Machs unrettbares Ich sogar als

mungen“.118 Caroline Welsh setzt – mithilfe

„Grundlage aller secessionistischen Ästhe-

einer Parallelisierung von Entwicklungen in

tik“113.

der Psychiatrie und Psychologie des 19. Jahr-

Im Zuge dessen ist zunächst der Topos

hunderts mit der Ästhetik der Moderne –

des ‚Nervösen‘ zu betrachten. Er ist im Den-

beispielsweise für den Zeitraum um 1900 die

ken der Allgemeinheit um 1900 omnipräsent.

Stimmungskunst Hugo von Hofmannsthals

Jenes Krankheitsbild, das man über die veränderten Lebensverhältnisse einer bürgerlichen Gesellschaft zu erklären versuchte, wurde vor allem in ihren Auswirkungen sowohl auf den „Empfindungsapparat“ als auch auf den „Gefühlshaushalt“ wahrgenommen und fand infolgedessen auch ihren Eingang in die Literatur, die bildende Kunst bis hin zur Architektur.114 Neben dem einfachen Ner112 Gisbertz 2009, S. 37 und David E. Wellbery: Stimmung, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001– 2010, Bd. 5 (2010), S. 712. 113 Gemmel 2005, S. 46. 114 Winko 2003, S. 158f. Zur Unterscheidung der Begrifflichkeiten von Empfindung und Gefühl um 1900 siehe ebd., S. 161–165. Wie sehr das ‚Nervöse‘ über die Hysterikerin mit einem pejorativen Bild von Weiblichkeit verbunden wurde, zeigt unter anderem die Dissertation Geschlecht und Charakter von Otto Weininger. Hier ist es die männliche Moral, die dem „Weib“ eine Lebensführung aufoktroyiert, die ihrem Wesen entgegensteht. Das „Weib“ besäße angeblich keine Moral. Sie wird nach Weininger nur von ihrem sexuellen Begehren instinktiv angetrieben und nicht etwa von einer Ethik. Dieser Konflikt, der zwischen weiblicher Natur und gesellschaftlicher Moral ausgefochten wird, begründet das Krankheitsbild der Hysterikerin. (Weininger 1980 (1903).)

115

Ein Artikel von 1907 verknüpft sogar das Krankheitsbild der Hysterie erklärend mit der Stimmung: „Da sieht er [der Hysteriker; LT] das ihn so oder so stimmen würde; aber eine fremde aus den Tiefen aufsteigende Stimmung legt sich über die Seele und läßt für die folgerichtige keinen Platz. Es kommt auch bei normalen Menschen zuweilen vor, daß irgendein Eindruck nicht seine, sondern eine seltsame unerklärliche andere Stimmung entbindet. […] Die Hysterischen scheinen heute sehr lebhafter und morgen gar keiner Einfühlung fähig zu sein – daß sie heute schmiegsam und warm, morgen fremd und kalt sind, ist eine alte Erfahrung über ihren Charakter. Die Wege ihrer Stimmung sind eben unberechenbar, und die beginnende Einfühlung wird plötzlich in eine ganz andere Richtung abgebogen. Der Hysterische sieht Tränen, und er schluchzt mit; aber ebensogut kann er plötzlich ins Lachen umkippen. Oder die Tränen wecken in ihm Ärger und Spott, und er stachelt den Weinenden mit verletzenden Mienen und Reden. Alles kommt vor, und wer es aus dem Alltagsleben nicht kennt, der kann solche Exemplare in der schönen Literatur studieren.“ (Hellpach 1907, S. 857.) 116 Vergleiche dazu Porfyriou 2005, S. 255 und ­Vidler 2005, S. 257–274. 117 Wunberg 2004, S. 41–49. Vergleiche zur Person Hermann Bahr auch Johnston 1974, S. 131 und Schweiger 1982, S. 11f. 118 Bahr 2004 (1890.2), S. 111.

35

36

2. Stimmung als Untersuchungsmoment

sogar mit der „Nervenkunst“ gleich.119

So entsteht in der Rückschau ein Panora-

­Michael S. Falser sieht in der um 1900 ver-

ma von „Vieldeutigkeit und Unbestimmtheit“,

breiteten wissenschaftlichen Prüfung und

wie bereits Hugo von Hofmannsthal das

Auseinandersetzung mit Theorien auf der

Wesen seiner Epoche treffend charakterisier-

Basis von „subjektiven Wahrnehmungen und

te.125 Wie breit das Wort Stimmung und die

emotionale[n] Stimmungen“ eine Folge des

Auseinandersetzung mit den Begriffen

Bedeutungsverlustes des Vielvölkerstaates

Gefühl und Emotion disziplinär aufgestellt

Österreich als „ideelle Einheit“ gegeben.

120

war, zeigt zum Beispiel die Publikation Die

Carl E. Schorske hingegen bezieht sich auf

Bedeutung des Wortes des Sprachwissen-

den Assimilationswunsch des Bürgertums an

schaftlers Karl O. Erdmann von 1900. Dort

die Aristokratie und erkennt darin den

benennt Erdmann neben dem „Sinn“ des

Beweggrund für eine Kultivierung des Ichs

Wortes an sich und dessen „Nebensinn“ –

für das österreichische Bürgertum. Auch

mit einhergehenden Assoziationen – auch

wenn Schorske keine gesellschaftliche

den

Anpassung an den Aristokraten für die Bour-

gehalt“.

geoisie feststellen kann, so beobachtet er aus

Reisen durch Europa 1894 dauerhaft in Wien

der Perspektive des Historikers jedoch den

situiert war, sieht die Stimmung als Erken-

Versuch einer kulturellen Angleichung, die

nungszeichen der französischen Décadence.

er wiederum auf die Vorbildrolle eines Aris-

Gerade ihre Vertreter seien einzig und allei-

tokraten eingrenzt und damit vielmehr eine

ne auf die Stimmungen fixiert:

Annäherung meint.

121

„Gefühlswerth 126

oder

Stimmungs­

Hermann Bahr, der nach einigen

Tatsächlich griff schon

Adolf Loos das Bild des Aristokraten als Rol-

„Aber sie sind eine Romantik der Nerven.

lenmodell auf.

So spricht er 1898 davon,

Das ist das Neue an ihnen. Das ist ihr ers-

dass „als Gradmesser für die Cultur eines

tes Merkmal. Nicht Gefühle, nur Stim-

Staates der Umstand gelten [kann; LT], wie

mungen suchen sie auf. Sie verschmähen

viele seiner Einwohner von [der; LT] freiheit-

nicht bloss die äussere Welt, sondern am

lichen Errungenschaft Gebrauch machen

inneren Menschen selbst verschmähen sie

[sich wie der König anzuziehen; LT]“.123 Im

allen Rest, der nicht Stimmung ist. Das

selben Jahr ergänzt Loos noch: „Schließlich

Denken, das Fühlen und das Wollen ach-

wäre es auch kein Unglück, wenn Jedermann,

ten sie gering, und nur den Vorrath, wel-

bis in die kleinste Provinzstadt, einen genau

chen sie jeweilig auf ihren Nerven finden,

so vornehmen Hut tragen würde wie der Wie-

wollen sie ausdrücken und mittheilen.“127

122

ner Aristokrat.“

124

Bahr lokalisiert die Stimmung demnach im Inneren des Menschen, das heißt noch 119 Welsh 2011, S. 141–150. 120 Falser 2006, S. 3. 121 Schorske 1962, S. 370f. 122 Vergleiche dazu Topp 2004, S. 144–152. 123 Loos 2010 (1898.1), S. 54. 124 Loos 2010 (1898.3), S. 114.

­präziser gefasst in den Nerven, und grenzt 125 Hier zitiert nach Schorske 1962, S. 378. 126 Vergleiche dazu Winko 2003, S. 202f. 127 Bahr 2006 (1894.1), S. 25.

2.4. Zwischen Evokationsraum und Nervenstimmungen

sie deutlich von den Bereichen des Fühlens,

auch in seinem Aufsatz Fidelio im Zusam-

Denkens und Wollens ab. Des Weiteren

menhang der Operndekoration auf. Für

betont Bahr in seinem Aufsatz Symbolisten,

­diese gilt:

das Ziel jeder Lyrik sei es, „ein Gefühl, eine Stimmung, ein Zustand des Gemüthes“ zu

„Sie soll also das Wort des Dichters we-

ver­mitteln.

Auf die Frage „Was kann ein

der realisieren noch illustrieren, sondern

Künstler thun?“ bietet Bahr folgende Mög-

denselben Wert, den es für die Stimmung

lichkeiten an:

hat, in Farben umgesetzt enthalten. […]

128

Die Dekoration hat also keineswegs das „Das nächste ist wohl, es zu verkünden,

Wort des Dichters real auszuführen, son-

sein inneres Schicksal zu erzählen, zu be-

dern seinen Wert für die Stimmung des

schreiben, was und wie er es empfindet,

Zuschauers in ihrer mit den Augen ver-

in recht nahen und ansteckenden Worten.

kehrenden Sprache zu sagen. […] die De-

Das ist die rhetorische Technik. Oder der

koration steht ja schon da, wenn die Sze-

Künstler kann die Ursache, das äussere

ne beginnt, während der Zuschauer doch

Ereigniss seiner Stimmung, seines Ge-

eben durch den Verlauf der Szene erst,

fühls, seines Zustandes suchen, um, in-

eben an der dramatischen Begebenheit

dem er sie mittheilt, auch ihre Folge, sei-

erst, die zunächst nur seinen Verstand

nen Zustand mitzutheilen. Das ist die

trifft und über diesen erst an das Gefühl

realistische Technik. Und endlich, was frü-

dringt, nach und nach der Stimmung fä-

her noch Keiner versucht hat: der Künst-

hig wird, die er in unserer Dekoration so-

ler kann eine ganz andere Ursache, ein

gleich schon erblickt, lange bevor er noch

anderes äusseres Ereigniss finden, welche

innerlich so weit ist, sie zu spüren.“131

seinem Zustande ganz fremd ist, aber welche das nämliche Gefühl, die nämliche

In der Folge bezeichnet Bahr die Stimmung

Stimmung erwecken und den nämlichen

noch als Wille des Schreibens und Redens.

Erfolg im Gemüthe bewirken würden. Das

„Sie [das Schreiben und Reden; LT] wollen

ist die Technik des Symbolisten.“129

eine augenblickliche Verfassung der Seele mitteilen, sei es daß sie in einem Gedanken

Demnach folgt Bahr dem Verständnis, die

oder in einem Gefühle oder in einer Stim-

Stimmung sei in den Nerven zu finden,

mung sich äußert.“132 Dies hat wohl auch

­könne aber auch durch ein „äusseres Ereig-

dazu geführt, dass Hofmannsthal Bahr wie

niss“ motiviert sein und habe einen Einfluss

folgt charakterisierte:

auf das Gemüt.

130

Er greift die Stimmung „Er setzt sich in Szene; nicht im großen und ganzen, wie die andern, nein, Tag für

128 Bahr 2006 (1894.2), S. 32. Diese Position vertrat auch noch Robert Musil. Vergleiche dazu Musil 1978, S. 1299. 129 Bahr 2006 (1894.2), S. 32f. 130 Vergleiche dazu Winko 2003, S. 232f.

Tag, Stimmung für Stimmung, jeden Über131 Bahr 2010 (1904.3), S. 21–23. 132 Bahr 2004 (1890.2), S. 110.

37

38

2. Stimmung als Untersuchungsmoment

gang, jede Nuance, jede Erfahrung, jedes

herangezogen werden, sondern führen

Existenzatom.“

zusätzlich zu einer Verdeutlichung des mit-

133

unter rhetorisch motivierten, emotional Der Literat Fritz Mauthner (1849–1923)

gefärbten Tons der damaligen Schriftzeug-

zeichnet die Stimmung als Klammer für den

nisse. So schreibt der Wiener Arzt und

„Zusammenhang“ der Wörter. Sie ist für ihn

Schriftsteller Arthur Schnitzler in Spazier-

zugleich die Verfassung des Dichters, die ihn

gang von 1893:

zum Schreiben führt, als auch das übermittelte Moment für den Leser dieser so entstan-

„,Ich kenne die Straßen, die Gebäude, ich

denen Worte.134 Hugo von Hofmannsthal

kenne die Mundart, die der Wiener

fasst die Stimmung als einen „genau umschrie-

spricht; ich kenne Typen, Gesellschafts-

benen, traumhaft deutlichen, flüchtigen See-

kreise, ich kenne den Corso auf dem Ring,

lenzustand“ auf, der „die Erinnerung an

das Treiben im Prater, die Burgmusik –

Sichtbares und die Erinnerung an Hörbares

aber was den Duft dieser Dinge macht,

mit dem Element der Bewegung verbin-

und wie es eigentlich kommt, dass uns oft

de[t]“.135 Auffällig ist die oxymorongleiche

in einem stillen Praterspaziergange, oder

Wortzusammenstellung von „traumhaft“ und

auf dem alten Platz vor der Minoritenkir-

„deutlich“. Hierin offenbart sich abermals

che, oder aus einem Worte eines süßen

bewusst der diffuse Definitionsraum der Stim-

Mädels die ganze rührende und reiche

mung. So ist die Stimmung für von Hof-

Seele der Stadt entgegenflutet, das, das

mannsthal sowohl ein körperliches als auch

möchte’ ich wissen!‘ ‚Nun ja‘, sagte Hans,

ein psychisches Ereignis.136 Die Stimmung ist

‚das Geheimnis der Stimmung!‘“137

somit für den Zeitraum um 1900 zumindest in der Gattung der Literatur und insbeson-

Schnitzler lässt seinen Protagonisten Max

dere für den Kulturraum Wien ein gesicher-

weiterhin ausführen:

tes Phänomen. Aufgrund der doch merklichen Präsenz der Stimmung sowohl in der

„Unsere Augen müssen wir schärfen, um

künstlerischen als auch journalistischen Lite-

endlich die Fäden zu sehen, welche zwi-

ratur im Wien um 1900 wird es immer wie-

schen den Einzelheiten laufen. Zum Ent-

der nötig sein, längere Textabschnitte zu zitie-

stehen von Stimmungen ist eine gewisse

ren. Sie sollen nicht nur als Beweis für die

Müdigkeit der Sinne und der Gedanken

Verwendung des Wortes Stimmung an sich

notwendig. Wenn wir stets völlig wach wären, oder wenn wir uns gar zu jener

133 Hofmannsthal 1979, S. 100. 134 Vergleiche dazu Winko 2003, S. 206. 135 Hofmannsthal 1896, S. 104–106. (Siehe auch Hofmannsthal 1986, S. 13–19.) Hier zitiert nach Winko 2003, S. 243. Siehe dazu auch Arburg 2010.1, S. 20f. und Gisbertz 2009, S. 102–107. 136 Hofmannsthal 1896. Hier zitiert nach Winko 2003, S. 244.

idealen Wachheit emporringen könnten, in welcher alle Sinne vollkommen aufnahmefähig wären, so gäbe es jene wallenden 137 Schnitzler 2002.1, S. 183f. Bereits Hermann Schmitz zitiert diese Stelle Schmitz 2011, S. 63 und Gisbertz 2011.2, S. 179.

2.4. Zwischen Evokationsraum und Nervenstimmungen

Schleier nicht, welche sich vor die Deut-

folgenden Architekturanalysen für die ästhe-

lichkeit der Dinge legen und uns die Töne

tische Stimmung erweitert werden.

unserer Stimmungen bringen.“138

Jener Topos ‚Gesamtkunstwerk’ bedarf für diese Untersuchung zusammenfassend noch

Gerade im Verständnis der Stimmung als

eine Konkretisierung. Grundsätzlich ist das

einer Klammer oder als ein Ganzes diente

Gesamtkunstwerk bis heute eng mit dem

sie optimal als ein verfestigendes oder zusam-

Namen Richard Wagner verwoben. Auch

menführendes Moment,

dessen man ins-

wenn Wagner selbst den Begriff des Gesamt-

besondere dann bedarf, wenn man sich mit

kunstwerks nur selten verwandte,144 formu-

einer „Erfahrung der Uneinigkeit“ konfron-

lierte er zumindest eine explizite Definition:

139

tiert sieht oder sich in einer Periode des Zusammenbruchs wähnt.140 In dieser Funk-

„Das große Gesamtkunstwerk, das alle Gat-

tion kann man die Stimmung auch als über-

tungen der Kunst zu umfassen hat, um jede

geordnetes Motiv für das Gesamtkunstwerk,

einzelne dieser Gattungen als Mittel gewis-

das heißt für eine Architektur verstehen, die

sermaßen zu verbrauchen, zu vernichten zu

dem Anspruch folgt, ein ‚modernes Ich‘ im

Gunsten der Erreichung des Gesamtzwecks

Wien des Fin de siècle auszuformulieren, um

aller, nämlich der unbedingten, unmittelba-

damit eine gesellschaftliche Relevanz einzu-

ren Darstellung der vollendeten menschli-

nehmen.

Schon Hermann Bahr vertrat die

chen Natur, – dieses große Gesamtkunst-

Ansicht, Zimmer sollten „etwas Seelisches

werk erkennt er nicht als die willkürlich

äußern“ und der Architekt sei ein „Dirigent“,

mögliche That des Einzelnen, sondern als

der Gebäude als „Ganzes“ zu einer „Sym-

das nohtwendig denkbare gemeinsame

phonie“ komponiert.

Werk der Menschen der Zukunft.“145

141

142

Diese Nähe zur

Musik ist bereits durch das Gesamtkunstwerk gegeben. Hartmut Böhme bezeichnet

Richard Wagner betont demnach die Zusam-

diesen von Richard Wagner geprägten Begriff

menführungen aller Künste unter der Prä-

als „totale Gestaltung eines Sinnenraumes

misse einer gegenseitigen Rücksichtnahme,

im Dienst der Fabrikation von Gefühlen“.143

das heißt „Gleichrangigkeit“146 in Hinsicht

Für diese Untersuchung ist es notwendig,

auf eine „utopisch-holistische Dimensionie-

jenes Seelische nach Bahr zu definieren und

rung der Kunstvereinigung“.147 Bazon Brock

aus seinem ominösen Diffusionsraum zu kon-

führt im Ausstellungskatalog Der Hang zum

densieren. Böhmes These von der Möglich-

Gesamtkunstwerk ebenso jene „Ganzheits-

keit der Produktion von Gefühlen im Rah-

vorstellungen“ an und erweitert den Begriff

men des Gesamtkunstwerks soll mittels der

Gesamtkunstwerk um die Vorstellung von einer „Totalkunst“ bis hin zum „Totalitaris-

138 Schnitzler 2002.1, S. 184. 139 Vergleiche dazu Scheible 2002, S. 892. 140 Gisbertz 2009, S. 48f. 141 Gisbertz 2009, S. 48f. 142 Bahr 2007 (1898), S. 37f. 143 Böhme 1997, S. 542.

144 Finger 2006, S. 10–16 und S. 57–61. 145 Wagner 1850, S. 32. 146 Szeemann 1983, S. 19. 147 Fornoff 2004, S. 19.

39

40

2. Stimmung als Untersuchungsmoment

mus“. Eine Affinität des Gesamtkunstwerks

bereiche“ und das Palais Stoclet gilt als das

zum Totalen wird von Brock konstatiert,

„letzte Wiener Gesamtkunstwerk“.153 Der

jedoch ist das Gesamtkunstwerk im Sinne

Alltag wird nach den Intentionen der Seces-

eines Ganzen für ihn eine konstruierte, auf

sionisten zum „Ritual“, ja sogar zum „Irdi-

das Sprachliche begrenzte Fiktion.148 Die

schen Paradies“ und Adolf Loos sei laut Wer-

Totalkunst hingegen stellt die Realisation

ner Hofmann gegen jenes aufoktroyierte

jenes Gesamtkunstwerks dar. Will jene Total-

Vorgehen einer durch die Secessionisten vor-

kunst eine allgemeingültige Relevanz für Vie-

bestimmten Ordnung.154 Jene Gegenhaltung

le beanspruchen, kippt sie nach Ansicht

ist jedoch nur eine vermeintliche Oppositi-

Brocks in den Totalitarismus.149 Der Unter-

on! Diese These soll mithilfe der Definition

titel des Brock’schen Artikels aus dem Aus-

des Loos’schen Ornaments im Rahmen des

stellungskatalog lautet: „Pathosformeln und

Schlusskapitels nachvollziehbar werden.

Energiesymbole zur Einheit von Denken,

Auch wenn mitnichten die Folgerung gezo-

Wollen und Können“.150 Pathos leitet sich

gen werden soll, Loos und Hoffmann verträ-

bekanntermaßen von dem Griechischen

ten das gleiche Verständnis von der Ausrich-

Wort páthos für Leiden ab und ist insbeson-

tung der Aufgabe eines Architekten, sind sich

dere als Gefühlserregung, Ergriffenheit oder

doch beide in ihrem Anspruch als ‚Erzieher‘

Ausdruck von Erhabenheit zu definieren.

oder ‚Kulturwegweiser‘ näher als bisher gese-

Jenes Pathos stellt sich ein mit dem Anspruch

hen wurde und die verwirklichten Werke wei-

des Gesamtkunstwerks auf Wahrheit hin-

sen, wie in den Analysen noch belegt wird,

sichtlich der Darstellung von „Welt als Ein-

erstaunliche Gemeinsamkeiten auf.

heit“.151 Für die Vermittlung dieser Wahrheit

Klaus Herding artikuliert allgemein für den

gilt es, die Wahrnehmung des Rezipienten

Architekten eine höhere Relevanz der Erklä-

emotional anzusprechen, wobei die Idee der

rung gegenüber dem Auftraggeber, als dies

Synästhesie eine zentrale Rolle spielt. Als

ein bildender Künstler nötig hätte. Diesen

Ergebnis entstehen wahrnehmungssensorisch

Aspekt – der sich durch die „Außenwendung“

erzeugte Atmosphären und Stimmungen.

152

der Architektur ergibt – weiterdenkend, wer-

Was heißt dies genau für die Arbeiten Josef

den seiner Ansicht nach „Gemütsbewegun-

Hoffmanns und Adolf Loos’ in dem zeitlich

gen soziabel und damit philosophischen und

begrenzten Rahmen von 1900 bis 1911, der

historischen Diskursen leichter zugäng-

hier untersucht wird? So präsentierte zum

lich“.155 Demnach ist das Gesamtkunstwerk

Beispiel die Kunstschau von 1908, die von

– so wie es hier besprochen wird – nicht nur

der Klimt-Gruppe organisiert und gestaltet

Träger einer zu übermittelnden Stimmung,

wurde, eine „Totalästhetisierung aller Lebens-

sondern auch Verfasstheit eines damaligen Kunstwollens oder Mental Habits.156 Die

148 Brock 1983, S. 22–39. Vergleiche dazu Finger 2006, S. 21 und Fornoff 2004, S. 14f. 149 Merte 1998, S. 11f. 150 Brock 1983, S. 22–39. 151 Brock 1983, S. 22–39. 152 Brock 1983, S. 26.

153 Hofmann 1983, S. 88 und S. 90. 154 Hofmann 1983, S. 89. 155 Herding 2004, S. 15. 156 Vergleiche zum Begriff des Kunstwollens bei Riegl

2.4. Zwischen Evokationsraum und Nervenstimmungen

Architektur ist nicht nur Medium einer inten-

Schmarsows wie auch Camillo Sittes, der eine

dierten Stimmung und Projektionsfläche

„Anleitung der Stadt-Wahrnehmung“ entwi-

einer individuellen Stimmung, sondern ist

ckelt,159 als auch die Kunsttheorien Alois

ebenso lesbares Relikt eines Kunstwollens,

Riegls mit ihrem Harmonieanspruch der

dessen Verständnis auch aus heutiger Sicht

Stimmung heranzuziehen. Hubert Lochner

einen tieferen Einblick in eine vergangene

erkennt des Weiteren, dass dieser wiederum

Zeit ermöglicht.157 Jene Ansicht soll dezidiert

an einen Utopieanspruch anknüpft.160 Jene

über den direkten Vergleich und das Zusam-

Verknüpfung wird insbesondere für diese

menführen von Aspekten der Arbeiten Hoff-

Arbeit deutlich durch das Gesamtkunstwerk,

manns und Loos’ e ­ benso im Rahmen des

das als eine durchgestaltete Welt mit einem

Schlusskapitels untermauert werden.

Anspruch auf Harmonie und dem utopischen

Am Abstraktum der Stimmung ist der Weg

Wunsch einer idealen Verbindung von Archi-

über den Leib und seine Wahrnehmung hin

tektur und Mensch geradezu als Reinform

zu seinem Umfeld – damit soll hier vor allem

der ‚Stimmungsarchitektur‘ zu bezeichnen

seine architektonische Umgebung gemeint

ist. Die Anwendung des Riegl’schen Stim-

sein – deutlich geworden. Das Untersu-

mungsbegriffs auf die Architektur oder Innen-

chungsmoment Stimmung ermöglicht daher,

architektur ist möglich, weil Riegl selbst in

eine Architektur um 1900 zu rekonstruieren,

seinem Aufsatz Möbel und Innendekoration

die sich an Wunschbildern seiner imaginier-

des Empire von 1898 davon sprach, dass

ten Nutzer oder Bewohner orientiert. Dabei

„Alles was das Auge im Innenraume erblickt,

ist es für diese Analyse notwendig, die Œuv-

ihm nur eine Weide sein [solle; LT], um ‚ange-

res Hoffmanns und Loos’ in das Denkumfeld

nehme‘ Empfindungen in der Seele seines

der Einfühlungsästhetik nach Friedrich Theo-

Eigners zu erwecken“.161 Damit ist eine enge

dor Vischer, Robert Vischer und Theodor

Verbindung von Architektur und ihrer emo-

Lipps einzuordnen. Vor allem sind aber auch

tionalen Wahrnehmung für den Einflussbe-

die Einflüsse durch die Architekturtheorie

reich Wiens um 1900 gleich mehrfach belegt.

Heinrich Wölfflins, der bereits 1888 einen „Stimmungskultus“ erkennt,158 und August

157

158

Moravánszky 2003, S. 12, S. 41 und S. 368–370. Vergleiche zum Zusammenhang des Gesamtkunstwerks mit dem Kunstwollen Euler-Rolle 2005, S. 28f. Heinrich Wölfflin zitiert nach Euler-Rolle 2005, S. 28. Bernd Euler-Rolle verweist vermutlich auf folgende Textstellte in Wölfflins Publikation: „Woher kommt diese Abnahme in der Fähigkeit des plastischen Nachfühlens? – Ich verzichte d ­ arauf, dieses Phänomen zu erklären. Es scheint durch verschiedene Factoren bedingt zu sein; ein Hauptfactor möchte in dem zunehmenden Interesse für Stimmung, das Wort im modernen Sinne gebraucht, vorliegen. Der gute Stil war dadurch in doppelter Wei-

se bedroht. Einerseits verdirbt der Stimmungskultus die Feinheit des Körpergefühls, andrerseits drängte das Verlangen nach Stimmung die Architectur in einen unvortheilhaften Wettstreit mit der Malerei, deren Kunstmittel recht eigentlich zum Stimmungsausdruck geschaffen sind. Die Malerei ist eben darum die spezifisch moderne Kunst geworden, sie ist die Kunst, in der die Neuern (sic!) an vollständigsten und unmittelbarsten sich aussprechen können. Und doch war für den Barockgeist die Architektur als Ausdrucksmittel unersetzlich: sie besass etwas ganz Einziges: sie war fähig, den Eindruck des Erhabenen zu geben.“ (Wölfflin 1888, S. 71f.) 159 Vergleiche dazu Reiterer 2005, S. 226. 160 Zum Harmonieauftrag der Stimmungskunst bei Riegl siehe Lochner 2010, S. 12 und S. 35f. 161 Riegl 1928 (1898), S. 14.

41

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur: Villa Karma und Palais Stoclet, Sanatorium Purkersdorf und Haus am Michaelerplatz

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet: Der Ausbau des ‚modernen Ichs‘ zu einer bürgerlichen privaten Lebenswelt

noch finden sich markante Ähnlichkeiten wie der äußere wehrhafte Charakter, die differenzierte Abstufung von Repräsentation und Intimität im Gebäudeinneren und die

Zwei Gebäude und viele daran beteiligte Hände

teilweise Verschränkung dieser Aspekte. Des Weiteren gestaltete Loos selbst Einrichtungselemente und stattete ferner die Innenräume

Eine direkte Gegenüberstellung der Villa

der Villa Karma mit Möbelstücken aus, die

Karma bei Montreux von Adolf Loos und

seinem Verständnis von Kultiviertheit und

des Josef Hofmann’schen Palais Stoclet in

Geschmack entsprachen. Damit kommt die

Brüssel mutet zunächst recht ungewöhnlich

Villa Karma einem Gesamtkunstwerk äußerst

an (Abb. 1 und 2). Die Villa Karma wurde

nahe, auch wenn diese Bezeichnung für ein

von 1903 bis 1906 von Adolf Loos für Theo-

Bauwerk Loos’ in Anbetracht seines schrift-

dor Beer durch den Umbau eines bestehen-

lichen Œuvres recht ungewöhnlich anmutet.

den Bauwerks zur Villa Karma erweitert, und

Man bedenke nur seine das Gesamtkunst-

das Palais Stoclet entstand von 1905 bis 1911

werk mit seinem einzwängenden, absoluten

für das Ehepaar Adolph und Suzanne Stoclet

Charakter anklagende Satire Vom armen rei-

unter der Regie Josef Hoffmanns und unter

chen Mann aus dem Jahr 1900. Im Rahmen

Mitwirkung der Wiener Werkstätte sowie

der Analysen zur Villa Karma und zum Palais

einiger Secessions-Künstler aus dem Nichts

Stoclet wird jedoch deutlich werden, dass

vollkommen neu. Streng genommen kann

beide Architekturen ganzheitlich gestaltete

man demnach noch nicht einmal von einer

Wohnwelten darstellen.

gleichzeitigen Entstehung sprechen, sondern

Beim Palais Stoclet handelt es sich um

nur von einer partiellen Überschneidung der

einen Stadtpalast, während die Villa Karma

Erbauungsjahre. Ebenso ist in beiden Fällen

vielmehr mit dem Typus einer Landvilla zu

die Art der Annäherung an die Bauaufgabe

vergleichen ist. Beide Gebäude werden

– einer Familie ein repräsentatives Zuhause

jedoch in einen weitläufigen Garten positi-

zu kreieren – äußerst unterschiedlich. Den-

oniert und damit rückt das Palais Stoclet

44

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 5: Adolf Loos: Villa Karma, 1903–1906, Clarens bei Montreux, Luftaufnahme, Fotografie von J. M. Schlemmer, Albertina, Wien

zunächst wiederum an die Anforderungen, die man an eine Stadtarchitektur stellt. Deutlich wird, dass es sich in beiden Fällen um Bauwerke handelt, die insbesondere zur Stra-

zumindest näher an den Typus der Landvil-

ße einen abschließenden, das heißt verschlos-

la oder der Villa suburbana heran.1 Ralf

senen Charakter aufzeigen und zum Garten

Bock spricht bei der Villa Karma davon, dass

hin einige beziehungsvolle Öffnungen zur

sie „introvertiert“ ausgeformt sei und Burk-

Umgebung aufweisen. Im Folgenden sollen

hardt Rukschcio und Roland Schachel

die überraschenden Relationen der beiden

bezeichnen die Eingangsfassade als „abwei-

Gebäude erstmalig im Vergleich benannt und

send verschlossen“ (Abb. 5 und 6). Jener

nach ihrem Ursprung befragt werden. Dabei

abschirmende Charakter erinnert jedoch

werden ‚Wahrnehmungswege‘ durch die Häu-

2

ser beschrieben. Dies ist eine methodische Reaktion auf zeitgenössische Entwicklungen 1 Muntoni 1989, S. 101. Siehe auch den Lageplan mit Gartenanlage des Palais Stoclet bei Sekler ²1986, Abb. 95 auf S. 82. 2 Bock 2009, S. 72 und Rukschcio und Schachel 1982, S. 427.

in der Kunst- und Architekturwissenschaft um 1900, die immer mehr den Raum und dessen Wahrnehmung durch ein ‚Ich‘ in den

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

Architektur und Stimmung: „Die Architektur erweckt Stimmungen im Menschen. Die Aufgabe des Architekten ist es daher, diese Stimmungen festzuhalten.“6 Im Folgenden sollen nun jene theoretisch versierten Synthesen praktisch am Objekt nachvollzogen werden. Wie äußern sich im Bauwerk letztendlich ein „Planen von Empfindungen“ und das „Bedenken eines körperlichen Raumgefühls“?7 Auch wenn sich Imorde nur auf Adolf Loos und Abb. 6: Adolf Loos: Villa Karma, Eingangsfassade bzw. Ostfassade mit Torbauten, 1903–1906, Clarens bei Montreux, Fotografie aus dem Nachlass von Hugo Ehrlich

seinen Raumplan bezieht, sollen jene Aspekte in ihrer Spezifik auch für die Architektur Josef Hoffmanns nachvollziehbar werden. Die Villa Karma bei Clarens in der

Mittelpunkt ihrer Untersuchungen stellte.

Gemeinde Montreux ist vorab als ein viel-

Joseph Imorde ­definiert Loos’ Raumverständ-

schichtiges Gebilde zu definieren, da zum

nis daher auch auf der Basis von Gottfried

einen ein bestehendes Haus von Loos regel-

Sempers Bekleidungstheorie, die nach den

recht ummantelt und aufgestockt wurde und

eigenen Worten Loos’ für die Tätigkeit des

zum anderen die Villa in den Jahren 1909

Architekten bedeute, einen „warmen, wohn-

bis 1912 erst durch Hugo Ehrlich8 fertig

lichen Raum herzustellen“. Diese Theorie 3

weiterentwickelnd, sehe Loos nach Imorde den „Raum als Empfindungszentrum“ und ein „auf die Sinne hin konzipiertes und organisiertes Zentrum“.4 Diese Grunddisposition im Schaffen Loos’ verknüpft Imorde konsequent mit Loos’ Raumplan und bezeichnet diesen weiterhin als ein vor allem auf die „Wirkung der Architektur auf das Gefühlssensorium“ abzielendes Konzept, das zu einer „Wirkungsästhetik“ geführt habe, „in deren Mittelpunkt der menschliche Körper und sein Wahrnehmungsapparat standen“.5 In diesem Zusammenhang zitiert Imorde bezeichnenderweise Loos’ Aussage zum Verhältnis von

3 Imorde 2006, S. 34. Siehe auch Loos 2010 (1898.4), S. 138. 4 Imorde 2006, S. 34. 5 Imorde 2006, S. 34f.

6 Imorde 2006, S. 35. Hier jedoch zitiert nach Loos 2010 (1910.5), S. 403. 7 Imorde 2006, S. 37. 8 Hugo Ehrlich (31. Januar 1879 Zagreb bis 21. September 1936 Zagreb) studierte an der Technischen Hochschule Wien von 1897 bis 1903. Neben seiner Arbeit an der Villa Karma ist überliefert, dass er ab 1909 unter der Leitung von Friedrich Ohmann an der Restaurierung der Burg Kreuzenstein beteiligt war. In Bezug auf die Villa Karma schreibt Paul Tvrtković im Dictionary of Art: „Ehrlich’s most significant undertaking of the period was the completion (1906) of the Villa Karma, Clarens, Switzerland, begun by Loos in 1904 but abandoned after arguments with the client, the psychiatrist Theodor Beer. Ehrlich subtly interpreted Loos’s original concept and created a seminal building of modern architecture. He added pergolas to the four corners of the pure cube of the original design, thereby relating the building to the landscape in a way not originally envisaged by Loos.” (Paul Tvrtković: Hugo Ehrlich, in: Dictionary Of Art, Bd. 10 (1996), S. 102.) Wie gleich aufgezeigt wird, liegt Tvrtković mit seiner Datierung der Arbeiten Ehrlichs an der Villa Karma

45

46

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

gestellt wurde.9 Die abschließenden Arbei-

nach Entwürfen von Loos die Bibliothek

ten unter Ehrlich orientierten sich jedoch zu

mit dem dazugehörigen Kaminzimmer und

guten Anteilen an den Planungen Loos’.10

die Halle mit der Haustreppe zum ersten

Aufgrund dieser komplizierten Baugeschich-

Stock ausgeführt. Seinen Skizzen ent-

te, die auch bedingt war durch den proble-

spricht die Ausstattung der Seeveranda im

matischen Lebensverlauf des Bauherrn,

11

Hochparterre, seinen Zeichnungen die

manifestiert sich in dem Gebäude ein Kong-

Veranden im ersten Stock, die ‚Bilder­

lomerat von feinsinnigen Ebenen.

Welche

galerie’ und die Raumlösung des zweiten

architektonischen Bauteile sind von Loos

Stockes. Die Lichtführung, die für die

adaptiert, welche sind original von ihm

Raumwirkung von entscheidender Wich-

erdacht und welche sind in seinem Sinne

tigkeit ist, wurde von Loos gelöst und zeigt

ergänzt worden? Zum Verhältnis der Antei-

noch heute seine Auffassung.“13

12

le von Loos und Ehrlich an der Konzeption der Villa Karma schreibt Vera Behalova:

Ehrlich selbst beschrieb seinen Anteil an der Villa Karma mit folgenden Worten:

„Die Raumgestaltung des gesamten Hauses geht auf Loos zurück; die Ausstattung

„Ich übernahm den Bau von ‚Karma‘ im

der Räume, die Loos entworfen hat, wur-

Jahre 1908. Deren Zustand war damals

de nach seinen Entwürfen ausgeführt. Wo

folgender: der Besitzer, Prof. Theodor

Loos seine Vorstellung nur skizzenhaft an-

Beer, hatte durch Adolf Loos das alte

gedeutet hat, folgte Ehrlich dessen Grund-

Haus, das auf der ‚La Maladaire‘ stand,

gedanken und entwickelte ihn seinem Kön-

ein Stockwerk aufbauen lassen / der jet-

nen und dem Wunsch des Bauherrn

zige Hauskern, der über die letzte Terras-

entsprechend. Im Hochparterre wurde

se emporragt /. Außerdem hatte Loos die 2 Etagen Loggien der Garten- und Seefas-

nicht ganz richtig, ebenso ist zu hinterfragen, ob alleine die aufgesetzten Terrassenpergolen das gesamte Verhältnis des Bauwerks zur landschaftlichen Umgebung verändert haben. Womit ­Tvrtković sicherlich eine korrekte Einschätzung liefert, ist das subtile Aufgreifen der Loos’schen Planungen. 9 Bock 2009, S. 110. Des Weiteren hat Jacques Gubler rekonstruiert, dass bereits vor dem Gutshaus – La Maladaire genannt –, das als Grundmodul der Loos’schen Planung zur Villa Karma diente, eine benediktinische Kirche auf dem Baugrund gestanden hat. Vergleiche dazu Gubler 1985, S. 215f. 10 Rukschcio und Schachel 1982, S. 428. 11 Vergleiche dazu Rukschcio und Schachel 1982, S. 92–98 und Soukup 2004, S. 94f. 12 Einen kompakten Abriss der Baugeschichte auch über Hugo Ehrlichs Anteil hinaus leistet Jacques Gubler. (Gubler 1985, S. 214–229.)

sade des alten Hauses vorgebaut. Das war, glaube ich, im Jahre 1906 geschehen. Nach dem Bruch zwischen Beer und Loos stand der Bau etwa 2 Jahre still und war, als ich ihn übernahm, ziemlich verfallen. In der Zwischenzeit hatte Prof. Max Fabiani zwar einige Projekte für die Fertigstellung des Hauses ausgearbeitet, doch wurde während seiner Tätigkeit am Baue nicht gerührt. Auch später kamen seine Projekte in keiner Weise zur Ausführung. Meine Tätigkeit verteilte sich in der Hauptsache

13 Behalova 1974, S. 88f.

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

auf die Jahre 1909–1912, in welcher Zeit

­aufmerksam machen, daß meine Freund-

ich eine, ich muß sagen, ungeheuere Fül-

schaft – und ich komme selten Fremden

le von Detailprojekten ausgearbeitet habe.

so rasch freundschaftlich entgegen, wie ich

Das Projekt erstreckte sich nicht nur auf

es ­Ihnen gegenüber tat – in idealer und in

den Besitz ‚La Maladaire‘, sondern auf den

realer Form aber wertvoll sein kann und

ganzen Besitz, den Prof. Beer damals in-

daß Sie sie auf keine andere Art erwerben

nehatte, also auch auf das obere Haus /

können als durch die größte Aufrichtigkeit

‚Sangata‘ / und gleichfalls auf das Gelän-

d.  h. Sachlichkeit; ob Ihr Geschmack

de oberhalb der Hauptstraße ‚Karma‘ ge-

­meinem entspricht, werde ich erst sehen

genüberliegend. Die Detailprojekte behan-

müssen. Desgleichen ob Sie Ihren schlech-

delten also erschöpfend die Villa ‚Karma‘,

ten Ruf der Unverträglichkeit und des

die Villa ‚Sangata‘ und den ganzen Park,

Nichtfertigwerdens desavourieren werden.

den Bootshafen, ferner Badehaus, Belvede-

Ich gebe wenig darauf, was man mir sagt,

re, Parkanlagen, Wasserwerk etc.“14

aber sehr viel auf eigene Erfahrung. Es steht demnach bei Ihnen, ob Ihnen hier

Ebenso muss noch erwähnt werden, dass,

große u. dankbare Arbeiten erwachsen.

als Loos für die Villa Karma hinzugezogen

Daß Sie sich hier einen Namen machen

wurde, bereits Henri Lavanchy (1836–1914)

können, ist s­ icher. Wenn Sie mich zufrie-

mit den Planungen zum Umbau und zur

denstellen, werde ich selbst mit allen Kräf-

Erweiterung der bestehenden Villa begonnen

ten – und die sind nicht gering – dafür sor-

hatte. Lavanchy, ein Semper-Schüler aus

gen. A ­ ndererseits kann ich immer allein

Vevey, hatte schon eine Grundkonzeption

sein, kann auf alles verzichten, weiß mir

zum Ummanteln und Aufstocken der Mal-

selbst zu ­helfen. Zeigen Sie jetzt, was Sie

adaire entwickelt. Auf jene Planung bezog

können, werfen Sie sich mit Eifer u. Lust

sich Loos, jedoch formulierte er die historis-

auf diese Aufgabe, wo man Ihnen mit so

tischen Galerienanbauten Lavanchys in ihrer

viel Verständnis entgegen kommt. Es wird

Formensprache völlig um. Des Weiteren ist

sich lohnen!“

15

eine gewisse Einflussnahme durch den Auftraggeber Theodor Beer zu vermuten. So

Und in einem weiteren Brief am 19. Januar

schreibt Beer im Januar 1904 an Loos:

1904 heißt es:

14

15

„Lieber Herr Loos! Ich hoffe, daß Sie wohl-

„Ich hoffe, daß Sie mit Freude und Liebe

behalten in Wien angelangt sind und daß

an diese ungewöhnlich einheitliche Ar-

Sie intensiv meine Pläne bedenken. Ich

beit gehen und im Verein mit mir etwas

möchte Sie nochmals intensiv darauf

besonders gediegenes leisten werden.“16

Jener Brief, den Ehrlich an Henri-Robert Von der Mühll 1928 von Zagreb aus schrieb, ist hier in Auszügen zitiert nach: Gubler 1985, S. 222–224. Vergleiche dazu Gubler 1985, S. 216–220.

16

Hervorhebungen sind von der Autorin dieser Arbeit. Auszüge aus den Briefen sind zitiert nach Behalova 1974, S. 168f.

47

48

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 7: Josef Hoffmann: Die Einrichtung des Speisezimmers im Palais Stoclet, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren

Beers, der genau wußte, was er wollte.“17 Loos hatte zu diesem Zeitpunkt noch kein Haus gebaut, sondern hatte sich vor allem durch Zeitungsartikel und Wohnungseinrich-

Der Ton des ersten Briefes zeigt eine gewis-

tungen einen Namen gemacht. Behalova

se autoritär gönnerhafte Haltung Beers.

spricht davon, dass Beer Einfluss nahm auf

Bereits Rukschcio und Schachel betonen in

die Arbeit Loos’; Loos aber im Gegenzug

ihrer Monografie die „von gönnerhaftem

sich auch gegen den Geschmack des Bauher-

Selbstbewußtsein geprägte Schreibweise des

ren durchsetzen konnte.18

arrivierten Bauherrn sowie das geschickte

Dieses Phänomen des Gemenges von ver-

Ausspielen von dadurch hervorgerufener

schiedenen Einflüssen auf ein Objekt stellt

Reserviertheit gegenüber dem ihm noch weit-

jedoch gerade eine gewisse Nähe zum Palais

gehend unbekannten, durch üble Nachrede

Stoclet in Brüssel her, das von Beginn an als

herabgesetzten Architekten gegen verlocken-

ein gemeinschaftliches Kunstwerk geplant

de Andeutungen“ und bezeichnen diese Vor-

war. Der Architekt und Architektur­historiker

gehensweise als „charakteristisch für die eigenwillige und schwierige Persönlichkeit

17 Rukschcio und Schachel 1982, S. 93. 18 Behalova 1974, S. 32–52.

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

Eduard F. Sekler liefert einige Informationen dazu, wie jenes Zusammenwirken gelang und als Ausnahme von der Regel werden nur einige wenige herausragende Werke wie das Fries von Gustav Klimt im Speisezimmer eindeutig einer kreativen Hand zugeschrieben. Jedoch ist das Fazit zu ziehen, dass das Palais Stoclet ein Werk vieler Hände unter der Gesamtregie Hoffmanns darstellt.19 Jenem Bild entspricht auch Sekler, wenn er wiederum eine gegenseitige Beeinflussung von Hoffmann und Klimt beim Speisezimmer-­ Mosaik-Fries betont (Abb. 7). Sekler redet davon, dass „Hoffmanns Streben nach elementarer A ­ bstraktion damals auch Klimt in den Bann gezogen“20 habe. Rudolf Greiner unter­mauert jene These Seklers, wenn er eine grundsätzliche Verwandtschaft zwischen der „Formensprache“ des Supraportenreliefs Hoffmanns für die 14. Secessionsausstellung (1901/1902) (Abb. 8) – die sich durch eine Schichtung von hochkantigen, dreidimensionalen Rechtecken auszeichnet – und dem

Abb. 8: Josef Hoffmann: 14. Secessionsausstellung bzw. Beethovenausstellung, rechter Seitensaal, Supraportenrelief, 1901/1902, Verbleib unbekannt, zeitgenössische Fotografie, Wien I., Secessionsgebäude, Friedrichstraße 12

Klimt’schen Fries im Palais Stoclet hinweist.21 Zusammenfassend lässt sich bereits jetzt

blieb Hoffmann bis zuletzt die leitende

sagen, dass es sich um zwei Häuser handelt,

Hand des Palais Stoclet. Sekler spricht bei

die beide unter der Schirmherrschaft eines

Hoffmann von einer „Zielstrebigkeit“, die

Architekten standen, dem aber eine Viel-

den „großartigen Zusammenklang des

zahl von Ideengebern beistand, wobei fest-

­Ganzen“ erst ermöglicht habe,23 während

zuhalten ist, dass die Qualität der Einfluss-

er gleichzeitig seinen „künstlerischen

nahme sich unterscheidet. Während Loos sich wohl aufgrund von Unstimmigkeiten mit dem Bauherrn aus dem Auftrag der ­Villa Karma Anfang 1907 endgültig zurückzog und Max Fabiani als Nachfolger empfahl,22

19 Vergleiche dazu Sekler ²1986, S. 89–96. 20 Sekler ²1986, S. 94. 21 Greiner 2010, S. 10. 22 Rukschcio und Schachel 1982, S. 106. Diese

Förderung Fabianis wird jedoch von Loos bewusst gewählt worden sein. Ihm traute er offenbar eine Weiterführung seiner Arbeit in seinem eigenen Sinne am ehesten zu. Joseph Rosa geht sogar von einem Streit zwischen Beer und Loos aus. Er vermutet, dass der Anlass des Streits „das strenge äußere Erscheinungsbild des Gebäudes“ gewesen sei. Des Weiteren berichtet er, dass die Schweizer Behörden das Haus als mit dem „Ortsbild“ nicht harmonierend verstanden. (Schezen 1996, S. 26.) 23 Sekler ²1986, S. 96.

49

50

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Mitarbeitern volle Freiheit“ bei dem Er­messen

Moment, das sich zum Beispiel am Palais

der für „einen Raum passenden Themen“

Stoclet zu einer Architektursprache aus-

ließ.24

formt. Gegensatzpaare wie Wahrheit und Lüge werden paradigmatisiert und der Kon-

Wien um 1900 – das gemeinsame kulturelle Feld der Villa Karma und des Palais Stoclet

struktionswahrheit wird die historische Stilmaske oder der ornamentale Aufputz entgegengestellt.26 Die Bewegung der Moderne wollte den Eindruck eines absolut erstmali-

Wie geht man im Folgenden mit den beiden

gen Auftretens erwecken. Otto Wagner for-

Gebäuden um? Es soll gerade nicht die Fra-

derte bewusst überzeichnet eine „Naissance“

ge nach der originären Urheberschaft jedes

und nicht etwa eine abermalige Renaissan-

Details gestellt werden. Vielmehr soll der

ce.27 Bei genauerer Betrachtung stellt man

Blick auf die Gesamtkonzeption sowohl der

jedoch fest, dass es sich bei diesem Blick auf

Außen- als auch der Innenräume gebündelt

die Moderne des Fin de siècle um eine nicht

werden. Die Frage nach einer übergeordne-

ganz präzise, vielleicht sogar gelenkte Sicht-

ten Intention zur Erzeugung von Stimmun-

weise handelt. Die Wiener Moderne stellt

gen in und um die Villa Karma und das Palais

mitnichten einen geschichtslosen Stil dar.

Stoclet steht im Fokus; wobei natürlich die

Werner Oechslin bezeichnet diese Auffas-

Autorenschaft von Loos und Hoffmann

sung sogar als die „Lebenslüge der Moder-

soweit es geht abgesteckt werden muss. Dafür

ne“.28 Allein um etwas als neu zu definieren,

ist zunächst ein Bestimmen des kulturellen

benötigt man einen Abgrenzungsspielraum.

Feldes, auf dem beide Architekten agierten

Ohne „die Folie der Geschichte“ wäre „die

und das im Sinne eines gesellschaftlichen

Proklamation des Neuen“ undenkbar.29

Netzes deren Werke prägte, notwendig. Beide Gebäude stehen zwar nicht in Wien, sind jedoch ohne Wien als gedankliche Geburtsstätte nicht vorstellbar. So sollte das Palais Stoclet ursprünglich auf einem Grundstück auf der Hohen Warte in Wien errichtet werden.25 Um sich nun der Villa Karma und dem Palais Stoclet im Sinne ihres kulturellen Standortes zu nähern, muss zuvor eine grobe Einführung in den Positionierungswillen der Wiener Moderne und Secession geleistet werden. Denn gerade das Geschichtsverständnis jener Künstlergruppe oder Künstlergeneration wird zum prägenden 24 Sekler ²1986, S. 89. 25 Vergleiche dazu Sekler ²1986, S. 97.

26 Ocón Fernández 2004, S. 46f. Die Begrifflichkeiten von Wahrheit, Konstruktion und Bekleidung sind in der Publikation Architecture and Truth in Fin-De-Siècle Vienna von Leslie Topp sehr aufschlussreich dargestellt. Topp untersucht vier architektonische Meilensteine der Wiener Moderne (die Secession von Joseph Maria Olbrich, das Sanatorium Purkersdorf von Josef Hoffmann, die Postsparkasse von Otto Wagner und das Geschäftshaus Goldman & Salatsch von Adolf Loos) im Hinblick auf das Paradigma der Wahrheit. Sie hinterfragt jedes Bauwerk einzeln für sich nach seinen manifestierten Wahrheitsdefinitionen und folgt damit der Metapher um 1900 für den Historismus als Architektur der „gebauten Lüge“, gegen die sich Olbrich, Hoffmann, Loos und Wagner abgrenzen wollten. (Topp 2004.) 27 Wagner 2008, S. 54f. 28 Oechslin 1994, S. 24. 29 Oechslin 1994, S. 24.

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

In Wien benutzte man den Topos der

Literatur des Jung-Wiens33 und den erotisch

„abgerissenen Geschichte“30, um auf die

aufgeladenen Bildern Gustav Klimts34 oszil-

Epoche vor dem Historismus zurückzugrei-

lierte und demnach als eine „Gefühlskul-

fen. Man postulierte insbesondere im Falle

tur“35 auftrat, konnte eventuell nur durch

der Wiener Secession keine evolutionäre Kunstschöpfung, bei der sich die neue Kunstauffassung aus der vorigen weiterentwickelt. Vielmehr malte man das Bild der fehlgeleiteten Ringstraßenepoche und wollte keinesfalls an als Irrungen deklarierte Errungenschaften anknüpfen.31 Ein bewusster Wunsch nach einem eigenen, der Zeit entsprechenden Stil, der insbesondere von den Secessionisten propagiert wurde, war hervorgetreten. Die virtuose Reproduktion der vergangenen Formen wurde als Lüge und Surrogat deklassiert. Die Verwendung aller Epochenstile sowie deren symbolische Aufladung für Repräsentationszwecke im Falle der öffentlichen Ringstraßenbauten hatten sich immer mehr von dem ‚Empfinden‘ der Künstlergenerationen Otto Wagners, Joseph Maria Olbrichs und Josef Hoffmanns aber eben auch Adolf Loos’ entfernt. Eine Zeit, die davon geprägt wurde, dass man sie als schnelle und grenzenlose Maschinerie empfand, konnte sich nicht durch ein neogotisches Rathaus verkörpert sehen. Ein Wien, das zwischen Freuds Forschungen,32 der 30 Oechslin 1994, S. 24f. 31 Bei Oechslin ist die Definition der Moderne als Überwindung des Historismus nachzulesen. (Oechslin 1994, S. 36.) 32 Vergleiche dazu den Ansatz der Kunsthistorikerin und Soziologin Lisa Fischer und der Politik- und Geschichtswissenschaftlerin Regina Köpl. Beide Autorinnen gehen vor allem aufgrund einer weiblichen Emanzipationsbewegung von einer „Erfolgsstory der ‚Firma Freud‘“ aus und verknüpfen diese These mit Schauplätzen, die sie als Konzentration von „Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Mentalitäts- und Kulturgeschichte, Biografie und Archi-

tektur“ definieren. In dem Zusammenhang dieser Arbeit erscheint es besonders interessant, wenn beide Autorinnen im Falle des Hauses Wittgenstein von einem „singuläre[n] Bauwerk menschlicher Beziehungen und Aktivitäten“ sprechen und des Weiteren ausführen: „In der Wiener Stadtresidenz manifestierte sich das architektonische Verständnis der Bauherrin [Margaret Stonborough-Wittgenstein; LT] in vielfältiger Weise. Das Haus war großzügig dimensioniert und damit ‚klassisch‘, gleichzeitig einfach gestaltet und in seiner Ausführung präzise. Das Ergebnis entsprach sowohl dem Schöpfer als auch der Auftraggeberin.“ (Fischer und Köpl 2005, S. 12–15, S. 101 und S. 107–109.) 33 Für nähere Informationen zur Literatengruppe Jung Wien siehe Lorenz ²2007 und Wunberg 2004. 34 Um den vorigen Aspekt aufzugreifen und die Verzahnung des Wiener Kulturlebens um 1900 zu verdeutlichen ist festzustellen, dass Margaret Stonborough-Wittgenstein sich von Gustav Klimt ­porträtieren ließ. Zu jenem Gemälde kann Elfriede Wiltschnigg berichten, dass Margaret Ston­ borough-Wittgenstein sich mit jenem „hochstilisierten Bildnis nicht identifizieren“ konnte. Des Weiteren erklärt Wiltschnigg jene Ablehnung mit Klimts Darstellungsweise, da er gerade die selbstbewussten Frauen des „neureichen Großbürgertums“ und ihre Individualitätsansprüche seinem Malduktus subsumierte. Jenes Grundkonzept fasst Wiltschnigg treffend zusammen: „Die Frauen der Portraits von Klimt erscheinen wie körperlose Wesen, wobei das Gesicht, wie auch die Hände, der Hals und das Haar, realistisch gezeigt und dabei doch zu makelloser Schönheit hochstilisiert werden. Ihr Körper jedoch, dessen Konturen man nur noch erahnen kann, ist unter kostbaren langen Gewändern verborgen, die ganz mit dem Hintergrund verschmelzen, bis sie ebenfalls zu einem Ornament werden.“ (Wiltschnigg 2001, S. 205– 213.) Die Vergegenständlichung des weiblichen Körpers zur dekorativen Zierde muss einer gebildeten Frau wie Margaret Stonborough-Wittgenstein ein Dorn im Auge gewesen sein. Vergleiche zum gesellschaftlichen und bildungsbürgerlichen Umfeld von Margaret Stonborough-Wittgenstein Fischer und Köpl 2005, S. 101–109. 35 Schorske ²1985, S. 18.

51

52

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

zeitgemäße Mittel seine ihm eigenen Gefüh-

Diese Schilderung ist auf jegliche Architek-

le und Sichtweisen verwirklicht sehen. Wie

tur, die neue Formen und Inhalte umschreibt

sehr die Wahrnehmung unter anderem von

oder deklariert, zu übertragen. Allein das

zweckorientierter Architektur auf emotiona-

Betrachten der Gebäude Hoffmanns aus dem

ler Basis erfolgte, ist beispielhaft bei ­Hermann

ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ver-

Muthesius nachzulesen, wenn er schreibt:

mittelt jedoch bereits die Erkenntnis, dass es sich bei dem neuen Stil in keinerlei Weise

„Auf der andern Seite aber liegt gewiß

um einen geschichtslosen Stil handeln kann.

auch im Wesen der Ingenieurbauten ein

Inwiefern kommt es also zu dem Proklamie-

Grund dafür, daß die von der Architektur

ren eines Neuanfangs und in welcher Art

als Kunst zu erwartenden Wirkungen auf

und Weise trifft das Bild einer „Naissance“

das Empfinden der Menschen zunächst

– wie sie Wagner formuliert hatte – doch zu?

noch ausblieben. Es ist, wenn von der

Laut der These, in Wien sei die Moderne

Hochburg der gewohnt-architektonischen

erfunden worden oder Wien sei die „Geburts-

(sic!) Betrachtungsweise aus die Ingeni-

stätte der Moderne“37, ist es nun nötig, das

eurbauten kritisiert worden sind, häufig,

Umfeld, in dem die Werke Josef Hoffmanns

ja mit besonderer Vorliebe hervorgeho-

und Adolf Loos’ entstanden sind, kurz zu

ben worden, daß die Linien und Formen

umreißen. Der Ausdruck Wien um 1900 ist

des Ingenieurs reine Rechnungsergebnis-

ein feststehender Topos und nicht etwa nur

se, bar aller Empfindung seien. Und im

eine Orts- und Zeitangabe. Es ist gleichzeitig

besondern ist von Eisenkonstruktionen

ein „vielschichtiges Phänomen“38, das ins-

bis zum Überdruß der Satz verfochten

besondere in Hinsicht auf die Œuvres Hoff-

worden, daß es ihnen an Körperlichkeit

manns und Loos’ definiert werden soll. Wien

mangle, um überhaupt künstlerisch wir-

ist im Fin de siècle Reichs-, Haupt- und Resi-

ken zu können. Beide Einwürfe scheinen

denzstadt eines Vielvölkerstaates und damit

für den ersten Augenblick nicht der Be-

konzentriert sich in der Stadt sowohl das

rechtigung zu entbehren. Aber es ist, wenn

politische als auch das kulturelle Leben der

man sie untersucht, vor allem festzuhal-

Donaumonarchie. Seit 1890 mit der Einge-

ten, daß ihre Begründung fast ganz allein

meindung der Vororte sprach man von

in unserer augenblicklichen Gewöhnung

„Groß-Wien“.39 Die Ära des Liberalismus

ruht. Die Kunst und ganz besonders die

hat ihren Höhepunkt überschritten – bereits

Baukunst rechnet in erster Linie mit Kon-

1873 hatte der Börsenkrach, der mit dem

ventionen. Wir schätzen und lieben das,

Zeitpunkt der Weltausstellung zusammen-

was wir kennen.“

fiel, die fragile Gesellschaftskonstruktion

36

einer Marktwirtschaft vor Augen geführt40

36 Muthesius 1908, S. 28f. Hervorhebungen stammen von der Autorin dieser Arbeit.

37 Brandl 2010, S. 56f. 38 Berner u. a. 1986, S. 11. 39 Düriegl ²1985, S. 213. 40 Siehe dazu Düriegl ²1985, S. 212–217.

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

– und die Generation der nachfolgenden Kin-

– zeichnen ein fantastisch dekadentes Bild

der jener Gründergeneration schlägt meist

einer schnell wachsenden, multikulturellen

einen anderen Weg ein als die großindustri-

Metropole. Zur städtischen Realität gehörte

ellen Väter. Schorske spricht von einer „Kri-

aber auch die Präsenz von Krankheit: Tuber-

se des Liberalismus“ und dass diese wieder-

kulose wurde auch als die Wiener Krankheit

um Grund für den politischen Untergang der

bezeichnet, die Selbstmordrate sowie die

Monarchie, aber auch Movens für den künst-

Wohnungsnot waren allgegenwärtige Lebens-

lerischen Aufbruch war. Gestaltender Kern

wahrheiten.44 Dieser Umstand führte in der

dieses kreativen Milieus ist das Groß- oder

Forschung zu einer Betonung des Oszillie-

Bildungsbürgertum. Die Kindergeneration

rens zwischen Gegensätzen für Wien um

wächst mit dem Verständnis auf, dass Inter-

1900. Diese Interpretationsweise mündete

esse an Kennerschaft und Sammeln von

in die berühmte Ausstellung Traum und

ästhetischer Kultur im weitesten Sinne ein

Wirklichkeit. Wien 1870–1930 von 1985.45

Zeichen für sozialen Rang repräsentiert. Die

Des Weiteren wird für das Phänomen Wien

Kultur wird in ihrer Gänze von der Väterge-

um 1900 von einer Gleichzeitigkeit des

neration des Liberalismus zum Statussymbol

Ungleichzeitigen gesprochen. Die berühmte

degradiert. Gegen ein solches Kulturver-

Metapher der Gleichzeitigkeit des Ungleich-

ständnis lehnt sich die nachfolgende Gene-

zeitigen, die von Ernst Bloch entwickelt und

ration auf. Die ästhetische Kultur wird sogar

sich nicht direkt auf das Wien um 1900 bezog,

zu einem der dominanten Faktoren, der die

aber später auf jenes kulturelle Feld übertra-

Weltsicht einer Generation prägt und somit

gen wurde, umschreibt die Unmöglichkeit,

nicht nur weit über den Charakter eines Sta-

die aus historisch zurückgewandter Sicht

tussymbols hinauswächst, sondern ein gan-

komplexen Entwicklungen zu einseitigen, ulti-

zes Empfindungsleben konstituiert.42

mativen Leitmotiven reduzieren zu können.

41

Zur Zeit der nahezu fertiggestellten Ring­

Es wird sogar im Gegenteil dazu der Charak-

straße mit ihren historistischen, öffentlichen

terzug eines uneinheitlichen Kultur-, Politik-

und privaten Prunkbauten steht eine große

und Gesellschaftsbildes für die Metropole

Auswahl an österreichischen, aber auch inter-

Wien um die Wende zum 20. Jahrhundert

nationalen Kulturzeitungen dem breiten Publikum in den Kaffeehäusern zur Verfügung. Makart-Kunst, Salons und die Vielzahl an Möglichkeiten zur Zerstreuung – man denke nur an die Vergnügungsangebote im Prater43

41 Schorske 1982. In Bezug auf die methodische Ein­ engung einer monokausalen Erklärung wie Schorske sie leistet, vergleiche Brandl 2010, S. 56–61. 42 Siehe dazu Schorske ²1985, S. 12–25. 43 Eine der außerordentlichsten Erscheinungen war der Vergnügungspark Venedig in Wien, der ein touristisch idealisiertes Bild der Lagunenstadt nach

Wien in den Prater transferierte. Mit extra eingekauften Gondolieri und den aus Holz und Stuck täuschend ähnlich nachgebauten Fassaden der Palazzi war Venedig in Wien von 1895 an bis circa 1901 eine beliebte Attraktion. (Leitich 1942, S. 76–78. Siehe dazu auch Rubey und Schoenwald 1996.) Bezeichnenderweise wurde Venedig in Wien 1908 wie folgt umschrieben: „Venedig! … Wasser, Gondeln, Lagunen, Brücken, romantischer Stil … Man machte alles künstlich, zum Teil sogar künstlerisch nach. Stil und Stimmung lag über dem Ganzen.“ (Lederer 1908, S. 641.) 44 Knoll 1986, S. 61. 45 AK Traum Und Wirklichkeit ²1985.

53

54

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

gezeichnet. Die Umschreibung eines spezifi-

tatsächlich als kreatives Milieu in Wien zur

schen Zeitraumes über seine Vielzahl an man-

Zeit des Fin de siècle bestand.49

nigfaltigen Strömungen führt zunächst seine

Jean Améry spricht von Wien als der

Definition im Sinne einer Epoche jedoch ad

„Hauptstadt des Geistes“50. Diese Metapher

absurdum. Ein System der Stil- und Formen-

erklärt sich folgendermaßen: Zunächst wan-

geschichte scheitert eben immer zu Zeiten,

delt sich die Weltsicht im Liberalismus ent-

die einen Umschwung einleiten oder eine Brü-

scheidend hin zum Individualismus. Das

ckenfunktion erfüllen. Das Oszillieren zwi-

Individuum und seine Selbstverwirklichung

schen einer ‚alten‘ und einer ‚neuen‘ Welt und

und Selbstwahrnehmung wie auch Stellung

das Bewusstsein, sich in einer Zeit des

in der Gesellschaft und zu ihr werden zum

Umbruchs zu befinden, lässt Künstler auf sehr

zentralen Motiv der städtischen Kultur.51

verschiedene Art und Weise agieren und

Dies lässt sich insbesondere an der Literatur

reagieren. Die Großstadt Wien zum Fin de

Arthur Schnitzlers, Hugo von Hofmanns­thals

siècle ist solch ein Ort des Umbruchs und

und Robert Musils nachvollziehen, aber

stellt eine Brücke zwischen zeitlich noch rück-

ebenso an den Entwicklungen in den Wis-

wärtsgewandtem Historismus und schon vor-

senschaften. Freuds Forschungen zum

wärts gerichteter Moderne dar. Wobei der vor-

Gedanken- und Emotionsleben des Men-

wärts gewandte Blick auch als ein Bewusstsein

schen sowie Ernst Machs Theorie vom

für das eigene Jetzt definiert werden könnte,

unrettbaren Ich führen zu einem kulturellen

wie das Credo der Wiener Secession – „Der

Stadtbild, in dem das innere Emotionsleben

Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit“ –

des Menschen in den Brennpunkt des Blicks

zeigt.46 Hermann Broch formulierte für jene

rückt. Das weltberühmte Bild, des in unter-

Zeit die Metapher der „fröhlichen Apokalyp-

schiedliche Instanzen zerrissenen Menschen

se“.47 Eine gewisse ‚Endzeitstimmung‘ lässt

gibt das Weltbild des damaligen Städters wie-

sich nicht verleugnen.

Dieses Nebeneinan-

der, der sich mit einem schnell wachsenden

der von einer Vielzahl von Faktoren sowie

und immer rasanter entwickelnden Umfeld

die gleichzeitigen Entwicklungen der konträ-

konfrontiert fühlt, in dessen weiten Grenzen

ren Nachweise von Dekadenz und Elend las-

er sich immer wieder gezwungen sieht, sich

sen sich zumindest als eine Ambivalenz defi-

neu zu positionieren. Dieses Gefühlsbild von

nieren, die nicht nur in der Sekundärliteratur

Disparatheit und Ambivalenz schürt den

48

übertrieben nachgezeichnet wurde, sondern Der Begriff der Ambivalenz wurde von dem Schweizer Psychiater Eugen Beuler geprägt. Beuler wurde wiederum von Freud rezipiert. Nach Norbert Leser besteht die Wiener Ambivalenz aus den Gegenpolen „Untergangserwartung“ und „Fortschrittseuphorie“. Siehe dazu Leser 1986, S. 63f. 50 Welan 1986, S. 39. 51 Hierzu steht im Kontrast die Entwicklung der modernen Massenbewegungen, worunter vor allem die sich entwickelnden Massenparteien zu zählen sind. Siehe dazu Leser 1986, S. 64f. 49 46

47 48

Vergleiche zur Entwicklung des Begriffs der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen Bloch 1973, S. 111–126. Als Beispiel für die Anwendung jenes Geschichtsverständnisses auf das Idiom Wien um 1900 vergleiche Wagner 2005, S. 9–20. Siehe dazu Broch 2001, Kapitel 1 und AK Vienne 1986. Siehe zu den Faktoren des kreativen Milieu Wiens um 1900 ausführlicher Janik 1986, S. 45–55. Siehe dazu auch Brix und Werkner 1990, S. 9–12.

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

Wunsch nach einem gestalteten sicheren

von den Zeitgenossen kämpferisch und kon-

Umfeld und erklärt bisweilen die Beweggrün-

fliktbeladen wahrgenommen wird, ist bedeu-

de für die Gesamtkunstwerk- und Reform-

tungsvoll in der Dissertation Geschlecht und

bewegung im Allgemeinen. Als eine der

Charakter von Otto Weininger von 1903

­Folgen der vorwiegend industriellen Ent-

nachzulesen. Überhaupt ist eine starke Wahr-

wicklungen lässt sich der Topos des Nervö-

nehmung von Körperlichkeit zu konstatie-

sen darlegen. Der moderne Mensch sieht sich

ren. So sind Ansichten zum wohltuenden

mit seinen durch städtischen Lärm und

Charakter des Sports auf die psychologischen

Geschwindigkeit geschwächten Nerven kon-

Befindlich- und Empfindlichkeiten des Städ-

frontiert und wer es sich leisten konnte, fährt

ters allgemein anerkannt. Das Sonnenbaden

zu den vielfältigen Angeboten der Kur für

und vor allem das Fortbewegungsmittel Fahr-

gestresste Städter aufs Land oder in die Ber-

rad werden zu Symbolen der fortschrittlichen

ge. Man denke nur an den berühmten Roman

Lebensweise.53

Der Zauberberg von Thomas Mann. Das Bild

Dieses Umfeld führt zum Eskapismus in

der schwindsüchtigen höheren Tochter oder

eine Kunstwelt und dem entgegensetzt zu

des blassen, dandyhaften Jünglings sind

einer Position des rationalen Willens. Beide

sicherlich überzeichnete Charaktere, die aber

Haltungen formen eine dominante und akti-

zumindest auf einen wahren oder realen

ve Rolle des Architekten, der sich einem Ori-

Kern rückzuführen sind. Die Erforschung

entierungsgeber gleich gegen eine in Umbrü-

der psychischen Erkrankungen wird immer

chen befindliche Welt stellt. An diesem Punkt

breiter und präsenter in der wissenschaftli-

kann man wieder deutlich an das Schaffen

chen Öffentlichkeit. Theodor Meynert,

Hoffmanns und Loos’ anknüpfen, denn bei-

Richard Freiherr v. Krafft-Ebing und Julius

de Systeme stellen Schlüsselmotive in den

Wagner-Jauregg sind führende Namen der

künstlerischen Auffassungen der Architekten

Wiener psychiatrischen Forschung. Während

dar. Hoffmann und Loos sind in ihrem Wir-

Freud sich bereits 1895 dem Phänomen der

ken deutlich von den Topoi Ästhetizismus,

Hysterie im Rahmen eines sechsmonatigen

Psychologismus und dem Unbehagen gegen-

Aufenthaltes am Hôpital de la Salpêtrière in

über der eigenen Zeit gelenkt.54 In Bezug auf

Paris bei dem Neurologen Jean-Martin Char-

die Villa Karma soll die ummantelnde Struk-

cot widmete, erforschte Krafft-Ebing das

tur des Gebäudes selbst und die maskenhaf-

Sexualverhalten und prägte die Wortneu-

te Schutzschicht von gebauten Stereotypen

schöpfungen Masochismus und Fetischis-

als Loos’sche Strategien herausgearbeitet

mus. Wie sehr sich eine sexuell aufgelade52

ne Weltsicht Bahn bricht, ist in den Werken

53

Gustav Klimts deutlich nachvollziehbar und wie stark die Dichotomie der Geschlechter 52 Thau und Lovrek 1986, S. 74. Vergleiche dazu auch Topp 2004, S. 66, Wiltschnigg 2001, S. 128f. und Kandel 2012, S. 73–105.

54

Wie sehr die Maschine und die mit ihr verbundene Geschwindigkeit als Fortschritt empfunden wurden, wird noch näher am Beispiel des Fahrrads erklärt. Wie ambivalent jedoch die Sichtweisen auf jenen Fortschritt waren, lässt sich wiederum nachlesen bei Sandgruber 1986, S. 285–303. Péter Hanák benennt Ästhetizismus und Psychologismus als allgemeine Aspekte für das Wien um 1900. Vergleiche dazu Hanák 1986, S. 157.

55

56

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

­werden. Deutlich wird anhand jener Ausführungen, dass es sich auch um am eigenen Leib empfundene und nachvollziehbare Entwick-

Die Villa Karma –‚Hülle‘ und ‚Kern‘ als raumfassende Kategorien der Stimmung

lungen handelt. Demnach ist die Krise der

Standort – Ortsbild

Jahrhundertwende – oder positiv formuliert:

Um sich dem Stimmungsbegriff im Falle der

der Impuls der Wiener Moderne – eine sub-

Villa Karma zu nähern, ist eine Blickführung

jektiv wahrgenommene Strömung, die vor

von außen nach innen notwendig. Dadurch

allem latent im Individuum präsent war.

55

wird insbesondere der verschlossene Cha-

Dies veranschaulicht auch Robert Waissen-

rakter, das heißt die ummantelnde Struktur

berger, wenn er die Secession als eine „Ver-

des Bauwerks nachvollziehbar. Von der Situ-

einigung extremer Individualisten“

defi-

ierung der Villa in einer Landschaft über ihre

niert. Jene exorbitante, egozentrische oder

unterschiedlichen Fassaden und deren Bezie-

eskapistische Betrachtungsweise der Welt soll

hungen zur Umgebung und zum inneren

mithilfe des Palais Stoclet nachvollzogen wer-

Raumkonzept der Villa, hinein in das Gebäu-

den. Sowohl für die Villa Karma als auch für

de selbst, bis schließlich hin zu den Perso-

das Palais Stoclet wird dabei das Biedermei-

nen, die die Villa bewohnen, soll ein Bogen

er relevant. Im Sinne eines kulturellen und

geschlagen werden.

56

damit emotional motivierten Ankers bezie-

Bournoud beschrieb das Verhältnis der

hungsweise eines genius loci greifen Loos

Villa Karma zu ihrer Umgebung bereits 1944:

und Hoffmann die Strukturen des Biedermeiers in ihren Raumkonzepten und den durch

„Wie die Villa Karma sich uns zeigt, so ist

sie inszenierten sozialen Praxen und Wert-

sie 1904 gerade für diese Stelle am Seeu-

vorstellungen von Wohnen auf. Im nächsten

fer bei Clarens erdacht und errichtet wor-

Schritt soll anschließend die „Arts and

den. Als erstes beeindruckt dieser Bau

Crafts“-Bewegung als mögliche Quelle für

durch seine ungemein harmonische Aus-

Konzepte psychischer und stimmungs-aufgeladener Effekte erörtert werden, um schließlich den Begriff des Gesamtkunstwerks als „Stimmungsbau“ zu interpretieren.57 55 Siehe dazu Hanák 1986, S. 161. 56 Waissenberger ²1985.2, S. 470. 57 Nur wenige Artikel zeichnen bisher ein differenziert vergleichendes Bild von den beiden Kulturträgern. Rainald Franz rekonstruiert die Fakten und den zeitlichen Ablauf der wechselhaften Beziehung zwischen Hoffmann und Loos. (Franz 1992, S. 11–15.) Alfred Pfabigan hingegen betont ein Jahr zuvor, dass die Abweichung der beiden Architekten und ihrer Auffassung von ihrer Aufgabe als Architekten bisher überstrapaziert wurden. (Pfabigan 1991, S. 59f.) Ein Aufsatz von Ursula Prokop beschäftigt sich beispielsweise mit den Trans-

ferprozessen des englischen Kunsthandwerks in den geografischen und kulturellen Raum Wiens. (Prokop 2003.) Ihr Aufsatz ermöglicht, das Schaffen beider Architekten als aus vielen kulturellen Variablen – wie beispielsweise die englische „Arts and Crafts“-Bewegung und dem Wiener Biedermeier – zusammengesetzt wahrzunehmen. So sehen etwa Peter Haiko und Mara Reissberger in der Strategie der Wiener Moderne, wieder die Material- und Handwerksästhetik des Biedermeiers aufzunehmen, eine Gemeinsamkeit Adolf Loos’ und Josef Hoffmanns. (Haiko und Reissberger 1985, S. 113.) Des Weiteren sieht Hans Aurenhammer für die Wiener Moderne eine „Legitimation in der ‚Bürgerkunst‘ der Zeit um 1800“ gegeben und zählt sowohl Josef Hoffmann als auch Adolf Loos namentlich als Belege auf. (Aurenhammer 1997, 37f.)

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

gewogenheit und durch etwas auffallend

terung einer bereits bestehenden Villa als

Vornehmes … Nahe der Villa wird das

teilweise unmöglich zu bezeichnen ist – ver-

Landschaftspanorama durch eine Baum-

deutlicht er die Relevanz des Kontextes der

gruppe in zwei deutlich geschiedene Teile

Umgebung für die Villa Karma. Adolf Loos

getrennt. Von der einen der Fassaden

schrieb selbst in seinem Aufsatz Architektur

schweift der Blick nach Süden, wo als Hin-

von 1910:

tergrund der Gartenperspektive der majestätische Dent du Midi aufragt. Von der

„Darf ich Sie an die Gestade eines

anderen Fassade aus, der dem Westen, dem

Bergsee’s führen? Der Himmel ist blau,

Sonnenuntergang zugekehrten, entdeckt

das Wasser grün und alles liegt in tiefem

man im Glanz der Wasserfläche eine Meer-

Frieden. Die Berge und Wolken spiegeln

landschaft. Von hier ist der Genfer See in

sich in ihm und die Häuser, Höfe und Ka-

seiner größten Ausdehnung zu sehen. Die

pellen tun es auch! Nicht wie von Men-

Landschaft ist in solchem Einteilen und

schenhand stehen sie da. Wie aus Gottes-

Zuteilen nicht sich selbst überantwortet,

werkstatt sind sie hervorgegangen, wie die

sondern im Gegenteil, es gibt sich dabei

Berge und Bäume, die Wolken und der

das Raffinement und Fingerspitzengefühl

blaue Himmel. Und alles atmet Schönheit

des Instrumentierungskünstlers kund.“58

und Ruhe ... Da, was ist das! Ein Mißton in diesem Frieden. Wie ein Gekreisch, das

Auch wenn Bournoud den Eindruck vermit-

nicht notwendig ist. Mitten unter den Häu-

telt, Loos hätte die Villa Karma frei auf dem

sern der Bauern, die nicht von ihnen, son-

Grundstück positionieren können – was allei-

dern von Gott gemacht wurden, steht eine

ne schon durch die Bauaufgabe einer Erwei-

Villa. Das Gebilde eines Architekten. Von einem guten oder schlechten Architekten.

58

Hier handelt es sich um eine Übersetzung Bournouds, zitiert nach Ludwig Münz und Gustav Künstler. (Münz und Künstler 1964, S. 61f.) Übersetzt nach Bournoud 1944, S. 47: “Nous avons sous les yeux la villa Karma conçue et construite en 1904 à Clarens, sur les ríves du lac Léman. Dès le premier abord, il se dégage de cette construction un équilibre, une distinction de plus frappante ... A la Karma le paysage panoramique du lac a été divisé en deux parties distinctes séparées par un bouquet d’arbres. De l’une des façades, la vue s’étend vers le sud où se dressent comme fond de la perspective des jardins, les majestueuses Dents du Midi. De l’autre façade, à l’ouest, celle de coucher de soleil, l’on découvre dans l’éclairage du Léman, un paysage maritime. De ce côté, le lac est vu en enfilade dans sa plus grande langueur. Cette distribution et cet aménagement du paysage n’est pas arbitraire mais, au contraire, démontre l’art raffiné et la subtilité de celui qui l’a orchestré.”

Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß Friede, Ruhe und Schönheit dahin sind. Denn vor Gott gibt es keinen guten und schlechten Architekten. In der Nähe seines Thrones sind alle Architekten gleich. In den Städten, in der Nähe Belials, da gibt es feine Nuancen, wie es eben in der Art des Lasters liegt. Und ich frage daher: Wie kommt es, daß ein jeder Architekt, ob schlecht oder gut, den See schändet? Der Bauer tut das nicht. Auch nicht der Ingenieur, der eine Eisenbahn ans Ufer baut oder mit seinem Schiff tiefe Furchen in den klaren Seespiegel zieht. Die schaffen anders. Der Bauer hat am grünen Rasen

57

58

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

den Fleck, auf dem das neue Haus sich er-

nungsdatum seines Aufsatzes – hatte Loos

heben soll, ausgesteckt und Erde für die

seine Arbeiten an der Villa Karma längst

Grundmauern ausgegraben. Dann er-

beendet, dennoch ist sein Unwillen darüber

scheint der Maurer. Ist Lehmboden in der

bekannt, dass später die Fenster der Südfas-

Nähe, dann gibt es eine Ziegelei, die die

sade mit Vergitterungen versehen wurden.60

Ziegel herbeiführt. Wenn nicht, tut’s der

Daher stellt sich in diesem Zusammenhang

Stein, der die Ufer bildet. Und während

die Frage, welche ökonomischen Beweggrün-

der Maurer Ziegel auf Ziegel, Stein auf

de Loos im Falle der Villa Karma für seine

Stein fügt, hat der Zimmermann seinen

Planungen verantwortlich zeichnete. Adolf

Platz daneben aufgeschlagen: Lustig klin-

Loos schreibt in seinem Aufsatz Mein erstes

gen die Axthiebe. Er macht das Dach. Was

Haus aus dem gleichen Jahr über seine

für ein Dach? Ein schönes oder ein häß-

Erfahrungen mit der „Baupolizei“ von Mon-

liches? Er weiß es nicht. Das Dach. [...]

treux. Hier bezieht er sich jedoch auf ein

Und ich frage wieder: Warum schändet

Portierhäuschen und nicht etwa auf die Vil-

der Architekt, der gute sowohl wie der

la Karma selbst:

schlechte, den See? Der Architekt hat wie fast jeder Stadtbewohner keine Kultur.

„Es lagen viele Steine am Ufer und da die

Ihm fehlt die Sicherheit des Bauern, der

alten Bewohner des Sees alle ihre Häuser

Kultur besitzt. Der Stadtbewohner ist ein

aus diesen Steinen erbaut hatten, so woll-

Entwurzelter. Ich nenne Kultur jene Aus-

te ich es ebenso tun. Denn erstens ist es

geglichenheit des inneren und äußeren

billig, was doch wieder im Architektenho-

Menschen, die allein nur ein vernünftiges

norar zum Ausdruck kommt – man kriegt

Denken und Handeln verbürgt.“

viel weniger und zweitens haben sich die

59

Leute weniger mit der Zufuhr abzumüBezeichnenderweise unterscheidet Loos

hen. Ich bin grundsätzlich gegen das vie-

nicht nur zwischen dem Ingenieur und dem

le Arbeiten, meine Person nicht ausge-

Architekten, sondern verifiziert weiterhin

schlossen. Sonst dachte ich nichts Böses.

zwischen dem Architekten und dem Bauern,

Wer beschreibt daher mein Erstaunen als

der rein aus praktischen und ökonomischen

ich zur Polizei vorgeladen, gefragt wurde,

Beweggründen sein Haus errichtet. Dann

wieso ich, ein Fremdling, ein solches At-

setzt er die Analogie zwischen Architekt und

tentat auf die Schönheit des Genfersees

Stadtbewohner. Dieser rhetorische Griff

verüben könne. Das Haus sei viel zu ein-

überzeugt den Leser unterschwellig von der

fach. Wo bleiben die Ornamente? Mein

Unfähigkeit des Architekten, eine landschaft-

schüchterner Einwand, daß der See ja

liche Bauaufgabe, wie ein Haus am See, zu

selbst bei Windstille glatt und überhaupt

bewältigen, ohne das Land oder die Umge-

ohne Ornamente sei und doch von man-

bung zu verunstalten. 1910 – zum Erschei-

chen Menschen für ganz passabel erklärt

59 Loos 2010 (1910.5), S. 391f.

60

Münz und Künstler 1964, S. 70.

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

werde, konnte die Argumente der Gegen-

Unkünstlerisches, sondern macht sogar

seite nicht aufheben. Ich erhielt eine Be-

einen sehr großen Vorrath der unent-

scheinigung, daß der Bau eines solchen

behrlichen Hilfsmittel, besonders der­

Bauwerkes wegen seiner Einfachheit und

jenigen Künste aus, die eben haupt­

daher Häßlichkeit verboten sei. Ich ging

sächlich Gefühlssache sind, wie die

beglückt und selig nach Hause.“

Farbenharmonie, wie die ihr wesensähn-

61

liche Musik.“63 Eventuell ist ein entfernter Zusammenhang zwischen dem Aufsatz Architektur von 1910

Man kann sicherlich bei der Villa Karma von

und den Ärgernissen mit den Behörden in

einer Verschränkung der Landschaft bis ins

Montreux möglich. Demnach könnte es

Innere des Hauses – wie sie hier von Sitte

Loos’ Anspruch gewesen sein, mit der Villa

umschrieben wird – sprechen und dies

Karma Theodor Beer eine „Kultur“ der „Aus-

bemerkenswerterweise eben über das schau-

geglichenheit des inneren und äußeren Men-

ende Individuum. An dieser Stelle erklärt

schen“ zu erbauen. Es ergibt sich bei der Vil-

sich am Objekt selbst, was Imorde als „Mate-

la Karma eine Verschränkung aus Standort,

rialwahrheit und -gerechtigkeit“64 bei Loos’

umgebender Landschaft, Aussicht auf diese

Schaffen bezeichnet. Loos habe eben jedem

und den Schauenden als Zentrum dieser Ket-

Material eine „eigene Sprache“ zugeordnet,

te. Irene Nierhaus ist zusätzlich der Ansicht,

die nur in ihrer „spezifischen Bedeutung in

dass Loos mithilfe der Materialien wie bei-

Beziehung auf den Menschen“ spreche. Nicht

spielsweise Holz die Landschaft ins Hausin-

etwa eine Konstruktionswahrheit strebe Loos

nere transferiere.62 Die Idee der emotiona-

mit seiner Verwendung der Materialien an,

len Verknüpfung von Materialien mit

sondern vielmehr stelle das Material eine

wahrnehmbaren Raumstimmungen erwähn-

Mittlerrolle zwischen der Emotion des

te bereits Camillo Sitte in seinem Aufsatz

Bewohners und der Funktion des Raumes

Über Farbenharmonie von 1900:

dar.65 Jedoch ist zunächst noch vertiefend zu erwähnen, dass mithilfe der Folie der alpi-

„Hier spielen offenbar eine Menge von

nen Landschaft bereits Alois Riegl in seinem

Ideenassociationen mit; das Gefühl der

Aufsatz Die Stimmung als Inhalt der moder-

Sicherheit, eine solide Deckenconstruc-

nen Kunst66 jene Stimmung als „Kontem-

tion über sich zu wissen; das Gefühl des

plation“ oder „andächtiges Schauen“ illust-

Behagens einer warmen holzgetäfelten

rierte.67 Riegl formuliert:

Stube, des Geborgenseins vor Wind und Wetter draußen; die Erinnerung an frohe Landaufenthalte; die Verehrung der Werke unserer Väter. Das Mitwirken solcher Ideenassociation ist durchaus nichts 61 Loos 2010 (1910.3), S. 385f. 62 Nierhaus 2010, S. 34f.

63 Sitte 2010 (1900), S. 393. 64 Imorde 2006, S. 35. 65 Imorde 2006, S. 35. 66 Riegl 1928 (1899), S. 28–39. 67 Friedrich 1996, S. 28.

59

60

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

„Indem ich nun das Ganze überschaue –

sowohl den Ausblick auf die Natur vom Haus

überall Zeugen rastlosen Lebens, unend-

aus als auch die Ansicht der Architektur von

licher Kraft und unaufhörlicher Bewe-

außen mit ihrer Umgebung. Deutlich wird

gung,

und

anhand der beschriebenen Umstände, dass

Vergehens, und doch eine vereinigende

tausendfältigen

Werdens

Loos mit der Villa Karma auf ein tradiertes

Ruhe darüber ausgegossen, aus der auch

Villenbild im Zusammenhang mit der Villeg-

nicht eine Regung dissonierend hervor-

giatura zurückgreift.69 Liest man in der Pub-

bricht –, so erwacht in mir ein unaus-

likation Was ist Renaissance? von Hubertus

sprechliches Gefühl der Beseeligung, Be-

Günther, wird einem die Verwandtschaft der

ruhigung, Harmonie. […] Was nun die

Villa Karma mit einer Villa, wie sie in der

Seele des modernen Menschen bewußt

Renaissance als Bautypus auf der Basis der

oder unbewußt ersehnt, das erfüllt sich

Antike formuliert wurde, überdeutlich klar.

dem einsam Schauenden auf jener Ber-

Günther gibt an, dass die humanistische

geshöhe. […] Er ahnt, daß weit über den

­Literatur zur Villeggiatura auf der Antike

Gegensätzen, die ihm seine unvollkom-

beruhte. Mittels erhaltener Ruinen und den

menen Sinne in der Nähe vortäuschen,

Beschreibungen Vitruvs war man im Besitz

ein Unfassbares, eine Weltseele aller Din-

des Wissens, dass Villen in den substanziel-

ge durchzieht und sie zu vollkommenen

len Punkten wie dem Vorhandensein von

Einklange vereinigt. Diese Ahnung aber

separaten Räumlichkeiten zum Wohnen,

der Ordnung und Gesetzlichkeit über dem

Repräsentieren sowie einer Bibliothek Stadt-

Chaos, der Harmonie über den Dissonan-

häusern entsprachen. Eine weitere antike

zen, der Ruhe über den Bewegungen nen-

Quelle ist mit dem jüngeren Plinius überlie-

nen wir die Stimmung. Ihre Elemente sind

fert, der in seinen Briefen von zwei seiner

Ruhe und Fernsicht.“68

eigenen Villen berichtet. Er betont ihre räumliche Ausdehnung und erwähnt explizit die

Die Villa Karma hat primär die Aufgabe eines

Bibliothek und einen Platz für das Studium.

Zuhauses. In ihr soll der Mensch – genauer

Im weiteren Fokus stehen für Plinius’

gesagt Theodor Beer und seine Familie – zur

Beschreibung der Villen die Ausblicke, die

Kultur finden. Loos erklärt – wenn man den

die Architektur auf die Landschaft oder das

Aufsatz von 1910 in Rechnung stellen möch-

Meer ermöglicht. So erklärt sich auch Loos’

te auch wenn dieser womöglich nur eine ähn-

Betonung des Architekten als „Stadtbewoh-

liche Bausituation wie die der Villa Karma

ner“. Auch Theodor Beer ist ein Stadtbewoh-

skizziert – die ‚Kultur des Ortes‘ der Villa

ner, der sich mit dem Umbau der Villa Karma

Karma und den Standort oder das Ortsbild

ein stadtfernes Refugium wünscht, damit

der Villa zwischen See und Berg für iden-

jedoch für das Gebäude automatisch einen

tisch. Loos bezieht Haus und Umgebung auf-

städtischen Ausgangspunkt deklariert. Frag-

einander

lich ist nur, wie Loos in diesem Zusammen-

und

inszeniert

68 Riegl 1928 (1899), S. 28f.

offensichtlich

69

Günther 2009, S. 169f.

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

hang seine Rolle definierte. Sah er sich etwa

einen eher eingebundenen oder eigenständi-

als Architekt, der von Beginn an aufgrund

gen Charakter aus. Während die Ecken zur

der Bauaufgabe gar keine andere Chance hat-

Straßenfassade vielmehr wie Eckrisalite

te, als die Natur zu „schänden“? Diese Frage

erscheinen (Abb. 6), das heißt insgesamt

lässt sich nicht gesichert beantworten. Es

einen kompakten Baukörper vermuten las-

bleibt sogar fraglich, ob sich der Text von

sen und ohne die Pergolen gar keinen eige-

1910 tatsächlich auf die Situation Loos’ beim

nen architektonischen Charakter umschrei-

Auftrag der Villa Karma beziehen lässt. Inwie-

ben würden, umreißen die Eckvorsprünge

fern der Bewohner der Villa Karma in seiner

auf der Nordseite eine weit autonomere Form

Umgebung verortet und durch die Einrich-

(Abb. 1). In ihrem Fall könnte man biswei-

tungen in einen kulturellen Kontext gesetzt

len sogar von Eckpavillons sprechen. Abge-

wird, sollen hingegen die weiteren Beobach-

sehen von den Bauvolumina hat Hugo Ehr-

tungen am Objekt selbst verdeutlichen.

lich den Turmcharakter noch verstärkt, indem er die Pergolen auf den vier Ecken

Der Baumantel – Fassadengestaltungen und deren Beziehungsgeflecht zum Grundriss

ergänzte.72 Sie erzeugen gerade im Zusammenspiel mit dem Balkon ein in die Tiefe differenziertes Bauvolumen.73 Daraus lässt sich schließen, dass die Villa Karma unter-

Adolf Loos verleiht der Villa Karma mit sei-

schiedliche Grade von Massivität nach außen

nem ummantelnden Anbau den Eindruck

hin ausbildet. Beim Umlaufen des Gebäudes

einer Burgenarchitektur (Abb. 1, 5 und 6).

stellen sich demnach ungleiche Impressio-

Ein bisher dreigeschossiger Bau wird von

nen ein oder vielmehr ergeben sich mannig-

ihm durch ein viertes Geschoss aufgestockt

fache Blickwinkel von unterschiedlicher Wir-

und auf der Höhe von drei Geschossen wird

kung. Die linke Ecke der Südfassade bildet

der Baukörper an drei Fassadenseiten durch

als einzige einen teilweise runden Turm aus,

ein 3,5 m tiefes Raumband umfasst.70 Auf der Nordseite bildet dieses Band bereits auf der Höhe des Hochparterres eine Loggia aus (Abb. 1). Den Kern der Villa kann man auf der Höhe des zweiten Obergeschosses durch eine Terrasse auf den drei umbauten Fassadenabschnitten umlaufen. Alle vier Ecken des Gebäudes sind wie Türme ausgeformt (Abb. 1, 5 und 6). Ralf Bock bezeichnet sie als „massive Eckrisalite in Form von Türmchen“71. Jene „Türmchen“ bilden, je nachdem, vor welcher Fassade man sich befindet, 70 Bock 2009, S. 110. 71 Bock 2009, S. 110.

72 73

Siehe dazu Behalova 1974, S. 90. Bei der Nordfassade der Villa Karma drängt sich der Vergleich zur Gartenfassade des Hauses Steiner in Wien von 1910 auf. Offensichtlich wird, dass sich Loos mit jener Fassadenlösung im Verlauf seines Schaffens nochmals auseinandergesetzt hat. Die Gartenfassade des Hauses Steiner ist streng genommen die weitergeführte Reduktion der Nordfassade der Villa Karma mit seinen zwei Eckrisaliten und einer sich dazwischen erstreckenden Loggia. Jene Loggia der Villa Karma ist beim Haus Steiner schlicht auf eine Markise, die sich im eingeklappten Zustand fast als Gesims lesen lässt, reduziert. Eine Bleistiftstudie zur Nordfassade der Villa Karma verdeutlicht in ihrem flüchtigen Duktus und ihrer Schlichtheit die gemeinsame Grundstruktur der Lösungen beider Fassaden (Grafische Sammlung Albertina, ALA 779).

61

62

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

der die besondere Konzentration des Bau-

Bauperiode – etwa bis 1910. Die meisten

werks auf den Genfer See, an den das Grund-

ausgeführten Pläne stammen aus den Jah-

stück direkt angrenzt (Abb. 5), verdeutlicht

ren 1908/09. Dies betrifft den Hausporti-

und zugleich aufzeigt, dass es Loos nicht

kus mit der Eingangstür von der Straßen-

etwa um eine Einheitlichkeit des Baukörpers

seite, die oberen Eckpergolen […].“75

ging, sondern vielmehr um eine Ausarbeitung von mannigfaltigen Außenräumen und

Dies beweist jedoch nur, dass die endgültige

Innenräumen. Damit ist gemeint, dass die

Ausführung des Portikus von Hugo Ehrlich

Struktur und Gestaltung der Fassaden auf-

stammt; nicht jedoch, ob Ehrlich sich an Ent-

grund von unterschiedlichen Prioritäten

würfen Loos’ womöglich orientierte. Ver-

bestimmt werden. Die Ostfassade ist vor

ständlicher wird durch die zumindest zeitlich

allem durch die Ansicht von der Straße her

gesehene nach Loos realisierte Ausführung

geprägt. Eine Fotografie aus dem Nachlass

des Portikus die Verzierung der Türen mit

von Hugo Ehrlich (Abb. 6), die direkt von

Yin und Yang-Zeichen, die ansonsten im

der Straße aus aufgenommen worden sein

Werk Loos’ einen Solitär darstellen würden,

muss, zeigt, wie sehr die Fassade im Einklang

aber in dem von Ehrlich gestalteten Schlaf-

mit den Tor- und Zaunbauten eine geschlos-

zimmer der Villa Karma am Bettkopf wieder

sene Form bildet. Die Fassade ist zwar de

zu finden sind. In Bezug auf den Portikus

facto nicht exakt symmetrisch gebildet – die

heißt es bei Benedetto Gravagnuolo:

Schornsteine zeigen Unregelmäßigkeiten auf –, erscheint aber durch die Ergänzung mit-

“Beer did not confine himself to making

tels des Torbaus vordringlich symmetrisch.

clear his desire that the house should take

Die Einheitlichkeit jener zwei voneinander

on the appearance of a kind of protecti-

getrennten Bauteile im Auge eines Betrach-

ve shelter for his and his wife’s private life,

ters wird noch dadurch verstärkt, dass

but also made sketches of certain special

sowohl das Haus als auch das Tor zeitweise

features such as the entrance to the house.

mit Efeu überwachsen waren. Behalova

This was designed with an entrance way

spricht sowohl davon, dass die Hauptein-

closed by a dazzling gate of chromed brass

gangsfassade „symmetrisch und geschlossen

that stood out against the dark backround

wirken“ sollte, als auch davon, dass der Ein-

of a wall concealed behind outward-fa-

gangspavillon von Hugo Ehrlich stamme.

cing pillars of marble. A short double flight

74

In Bezug auf den Eingangspavillon for-

of stairs led up to the door.”76

muliert Behalova jedoch auch sehr vor­sichtig: Gravagnuolo zeigt weder Zeichnungen von

74

„Die intensivste Tätigkeit die wichtigsten

Beer, noch benennt er eine Quelle für diese

Verwirklichungen betreffend fällt in die

Aussagen. Vermutlich bezieht sich Gravag-

ersten Jahre seiner [Hugo Ehrlich, LT]

nuolo auf die von Rukschcio und Schachel

Vergleiche dazu Behalova 1974, S. 79–82 und S. 92.

75 Behalova 1974, S. 92. 76 Gravagnuolo 1982, S. 107.

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

veröffentlichte Zeichnung aus dem Adolf

an dachte, ­eventuell einen Brunnen vor der

Loos Archiv der Albertina. Jene Zeichnung

Treppenanlage zu positionieren. Schließlich

ist mit dem Untertitel Theodor Beer, Ent-

handelt es sich jedoch um eine völlig ande-

wurf zum Portikus der Villa Karma aus

re Lösung g ­ egenüber dem letztendlich ver-

einem Brief an Loos versehen.78 Diese

wirklichten ­Portikus. Dennoch beweist jene

Zeichnung von Beer zeigt einen von vier

Zeichnung, dass bereits während der Bau-

Säulen umstellten Eingang, zu dem zwei

phase unter Loos die Gestaltung des Porti-

seitliche Freitreppen hinaufführen. Das

kus zur D ­ isposition stand. Vergleicht man

Geländer, das mit der schriftlichen Angabe

nun abschließend den Portikus der Villa

„Marmor“ versehen ist, wird durch Kreuz-

Karma mit dem Eingang zur Wohnung

formen gebildet, die zum einen an die römi-

Goldman des Hauses Leopold Goldman,

schen Fenstereinteilungen und zum anderen

das von 1909 bis 1911 entstand,81 wird über-

an die Geländer der Wiener Stadtbahn von

deutlich klar, dass der Portikus der Villa

Otto Wagner erinnern. Ludwig Hevesi sieht

Karma auf einer Loos’schen Formensprache

in Wagners Ornamentik, die er „Deko­

beruht. Ob nun Loos selbst den Entwurf für

rationsweise“ nennt, eine Parallele zu

den Portikus entwickelte oder Ehrlich in

römischen Legionszeichen, da er eine ­

Perfektion Loos’ Architektursprache nach-

Zusammenfassung aus den einzelnen gegen-

empfunden hat, ist an dieser Stelle endgül-

ständlichen Formen zu abstrakten Streifen

tig nicht zu ­ent­scheiden.

77

beobachtet. Hevesi erkennt in dieser Vor-

Völlig konträr zur Straßenfassade geht

gehensweise eine Möglichkeit, Halbsäulen

Loos bei der gegenüberliegenden Gartenfas-

und Pilaster zu vermeiden, die er mit dem

sade im Westen vor (Abb. 9). Der erwähnte

Schimpfwort der „Potemkinschen Stadt“

teilweise rund ausgeformte Turm ist ein

verknüpft.79 Genauer gesagt an den Stadt-

Indiz dafür, dass es Loos an dieser Stelle

bahnstationen des Wiener Gürtels, ein wei-

zunächst primär darum ging, vom Inneren

ter außerhalb des Zentrums liegender zwei-

des Gebäudes aus zu planen. Er vernachläs-

ter Straßenring, ist das Motiv von „diagonal

sigt die Einheitlichkeit des Bauwerks nach

vergitterten Quadraten“ zu finden. Es sind

außen, um im Inneren repräsentative Räum-

geometrisch einfach konzipierte Formen.

lichkeiten zu erhalten. Gerade im Hochpar-

Aber sie sollen auch an römische Ordnun-

terre situiert Loos in jenem Turm eine Sitz­

gen erinnern und damit auf die lange Tra-

ecke, die f­­­olglich einen verweilenden Blick

dition des kaiser­lichen Wiens verweisen.80

auf den See ermöglicht. Beim Lesen der

Eine weitere Beschriftung der Portikus-­

Grundrisse entsteht der Eindruck, dass sich

Skizze gibt d ­ arüber Auskunft, dass Beer dar-

in diesem Turm ein ­Fixpunkt des Gebäudes befindet. W ­ ährend die anderen Türme ent-

77

Es handelt sich um die Zeichnung mit der Inventarnummer 3001/14, Kat.16. 78 Rukschcio und Schachel 1982, S. 93 und Abb. 89. 79 Vergleiche dazu Hevesi 1906, S. 281f. 80 Moravánszky 1988.1, S. 73 und Schorske 1982, S. 75.

weder das Treppenhaus aufnehmen oder regelrecht im Inneren mit ihren Raummas-

81 Rukschcio und Schachel 1982, S. 470f.

63

64

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 9: Adolf Loos: Villa Karma, Gartenfassade bzw. Westfassade, 1903–1906, Clarens bei Montreux

schoss retardierend die Bewegungen der zahlreich möglichen Wege durch das Haus. Dieser Turm umschreibt immer Räum­

sen verschleiert werden, indem die Raum-

lichkeiten, in denen ein Verweilen und Ver-

grenzen an ihnen nicht besonders durch

orten in der Umgebung und im Haus inten-

Fenster oder Raum­dispo­sitionen betont wer-

diert ist; denn von dieser Position aus kann

den, tritt der West-Süd-Turm immer deutlich

man stets lange Raumfluchten durchblicken.

aus dem Raumgefüge heraus (Abb. 10 und

Loos inszeniert eine deutliche Verlang­

11). Dietrich Worbs sieht jenen Runderker

samung der sich im Haus bewegenden Men-

darin begründet, dass Loos eine Betonung

schen an einer spezifischen Stelle, die nicht

einer „Über-Eck-Ansicht“ für den Betrachter

zufälligerweise den Blick auf den Genfer See

herstellen möchte. Dietrich Worbs sieht dem-

inszeniert.

nach für die Villa Karma eine Inszenierung

Zu den Außenbetrachtungen der Villa

von Blicken durch den Architekten gege-

Karma lässt sich abschließend und wieder

ben.82 Im West-Süd-Turm stauen sich vom

überleitend zu den Innenbetrachtungen

Hochparterre bis hin zum zweiten Oberge-

feststellen, dass Loos das rational kubische und abgeschlossene Äußere seines Bau-

82 Worbs 1982, S. 182.

werks zugunsten der Raumwirkungen im

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

Abb. 10: Adolf Loos: Villa Karma, Grundriss Hochparterre, 1903–1906, Clarens bei Montreux, aus: Ralf Bock: Adolf Loos. Leben und Werk 1870–1933, München 2009, S. 112

Abb. 11: Adolf Loos: Villa Karma, Grundriss 1. Obergeschoss, 1903–1906, Clarens bei Montreux aus: Ralf Bock: Adolf Loos. Leben und Werk 1870–1933, München 2009, S. 113

Inneren bricht. Dies ist an der Nordfassade

sade der Villa Karma zumindest ablesbar.84

abzulesen (Abb. 1). Die zunächst symmet-

So heißt es bei Worbs:

risch von zwei Türmen flankierte Fassade lockert ihre mittige Spiegelung durch die

„Loos geht vom Zweck eines Baues und

unregelmäßige Verstreuung von unter-

seiner Räume aus und denkt dann an die

schiedlich großen Fenstern.83 Laut Matthi-

Wirkung, an die Qualität der Raumbil-

as Tripp, der sich auf Dietrich Worbs

dung, die den Zwecken entsprechen soll

bezieht, entwickelte Loos eine „architekto-

und für ihn das Primäre darstellt. Er

nische Umkehrung“, „die das Bauwerk

stimmt auf die Wirkung die Raumbildung

grundsätzlich vom Innenraum her defi-

in Material und Form der Bekleidung der

niert“. Auch wenn die Grundsätzlichkeit in

Räume ab. Der konstruktive Bau, der die-

ihrem Allgemeinanspruch zu begrenzen ist,

se Räume aufnehmen und ihre Beklei-

bleibt dieses Prinzip im Falle der Nordfas-

dung, also ihre raumkonstituierenden Ele-

83 Behalova 1974, S. 126–128.

84 Tripp 1983, S. 40-49 und Worbs 1982, S. 73–88.

65

66

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

ziert die architektonischen Bestandteile eines Portikus auf ein Podest mit fünf Stufen, vier Säulen, einem Architrav und einer Taenia. Den Giebel erzeugt er nur indirekt, indem drei Fenster um den Portikus angeordnet sind und damit eine gedanklich nachvollzogene Dreiecksform um denselben herumgelegt wird. Die beabsichtigte Form bleibt weiterhin jedoch sehr klar verständlich und als Portikus lesbar. Es handelt sich um einen Portikus, wie man ihn in seiner Verwendung Abb. 12: Adolf Loos: Villa Karma, Eingangsfassade bzw. Ostfassade, 1903–1906, Clarens bei Montreux

als von Säulen getragene Vorhalle aus der Architektur der Neuzeit kennt. In der römischen Antike wird die Portikus als eine Adap-

mente, tragen soll, ist das Sekundäre

tion der griechischen Stoa aufgefasst und

– auch wenn er als Baukörper außerdem

umschreibt vielmehr die Form eines Säulen-

auch Bedeutungsträger, Träger von Wir-

ganges. Ole W. Fischer zeigt eine Abbildung

kung ist. Für ihn ist Architektur das Bil-

eines Fassadendetails der Villa Karma mit

den von Räumen, für andere das Bilden

dorischen Säulen, die die Assoziation mit

von Raumkörpern.“85

einer Stoa auslöst. Es handelt sich dabei um die auf der Nordfassade unter dem Balkon

Auf der Westseite geht Loos genau umge-

befindliche Laube, die mithilfe der Säulen

kehrt vor (Abb. 9). Hier zeichnet sich die

vom Außenraum abgegrenzt wird (Abb. 1).86

Mitte der Fassade durch eine gleichmäßige

Diese Laube ist vermutlich identisch mit der

Verteilung der Fenster aus, während die bei-

von Behalova wie folgt beschriebenen Situ-

den Türme sowohl im Umriss als auch in der

ation: „[…] das Verbinden der Eckrisalite mit

Funktion und Gliederung deutliche Brechun-

einer dorischen Kolonnade vor der Nordfas-

gen in jener Regelmäßigkeit verursachen.

sade“. Behalova zählt jene Kolonnade jedoch

Loos unterscheidet demnach zwischen reprä-

zu den Ausbauten unter Ehrlich, wobei sie

sentativen Fassaden mit Außenwirkung und

ebenso wie beim Portikus nicht belegt, ob es

intimeren Fassaden, die vielmehr ihr Geprä-

sich nur um Ausführungen unter Ehrlich oder

ge durch das Leben im Haus erfahren.

auch um genuin von ihm entwickelte Bauele-

Die Schau- beziehungsweise Eingangs­

mente handelt.87 Loos sah für sich und seine

fassade zur Straße hin wird in ihrem reprä-

Zeitgenossen die Römer als Quelle ihres

sentativen Sinne noch durch die Würdefor-

„sozialen Empfindens“ und deren „Zucht der

mel eines Portikus mit dorischen Säulen

Seele“.88 Das Ziel eines „Meisters“ sollte es

gesteigert (Abb. 12). Loos oder Ehrlich redu-

85 Worbs 1982, S. 73.

86 Vergleiche dazu Fischer 2008, S. 106, Abb. J. 87 Vergleiche dazu Behalova 1974, S. 92. 88 Loos 2010 (1910.5), S. 404.

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

nach Loos sein, an den „römischen Ursprung“

wären.90 Deutlich wird, dass Loos vom

der Architektur wieder zu erinnern und den

Umgang einer Kultur mit architektonischen

„Faden wieder aufzunehmen“.89 Nichts ande-

Formen auf ihre Empfindungswelt und See-

res unternimmt Loos oder Ehrlich mit dem

lenkonstituierung zurückschließt. Des Wei-

Portikus der Villa Karma (Abb. 6 und 12)

teren behauptet er: „Die Römer haben die

und wie später im Inneren noch zu sehen

soziale Ordnung erfunden und verwalten die

sein wird, wiederholt Ehrlich jenes Anknüp-

Welt.“91 Ins Auge springt die rhetorische

fen an die römische Kultur mithilfe des Atri-

Zusammenführung von kontrastierenden

ums. Behalova zählt das Atrium unter die

Begriffen wie „Empfinden“ und „Seele“ auf

Arbeiten Ehrlichs an der Villa Karma, die

der einen Seite und „soziale Ordnung“,

von ihm in Zusammenarbeit mit dem Haus-

„Zucht“ und „Verwalten der Welt“ auf der

herrn initiiert wurden (Abb. 13). Es ist jedoch

anderen. Loos setzt völlig selbstverständlich

sowohl für den Portikus als auch für das Atri-

oxymorongleiche Wortpaare zusammen und

um zu konstatieren, dass Ehrlich die Schrif-

bietet keinerlei Erklärung für dieses Vorge-

ten Loos’ gekannt haben und sich mit den

hen. Es lässt sich schließen, dass Loos das

durch sie vermittelten Lehren auseinander-

Empfinden und den recht definitionsfreien

gesetzt haben muss. Anders erklärt sich der

Begriff der Seele in einer rationellen Welt

enge Zusammenhang von antikem Formen-

verortet. Alles soll in soziale Raster einsor-

repertoire bei Loos und den Zutaten Ehrlichs

tiert werden. Genau jene gesellschaftlich

im Falle der Villa Karma nicht. Wenn auch

geprägten Systeme erklären, warum Loos

endgültig nicht nachweisbar ist, ob Ehrlich

sich dafür entscheidet, der Fassade, die der

sich bei dem Portikus auf Planungen Loos’

Öffentlichkeit zugewandt ist, ein strengeres

grundlegend bezog, so ist es doch legitim zu

und damit repräsentativeres Auftreten zu ver-

vermuten, dass sich Ehrlich in seinen ergän-

leihen und bei den weiteren Gebäudeansich-

zenden Ausführungen am Schaffen Adolf

ten weniger rigide verfährt. Man könnte von

Loos’ orientierte und versuchte, seine Arbei-

einer Inszenierung und Festlegung der Ange-

ten sensibel in seinem Sinne einzufügen.

messenheit der Einzelsituation bei Loos’ Fas-

So belassen, wäre Loos’ Vorgehen ledig-

sadengestaltungen sprechen.92 Jene sozialen

lich eine formale Wiederaufnahme von antiken Baustrukturen. Loos spricht jedoch vom weitertradierten „sozialen Empfinden“ und der „Zucht der Seele“ der Römer. Er ist der Ansicht, dass die Römer keine weitere Säulenordnung und kein ergänzendes Ornament erschaffen hätten und damit seiner Forderung nach dem Nicht-Weiterentwickeln von bereits vollendeten Formen nachgekommen

89 Loos 2010 (1910.5), S. 404.

90

Loos 2010 (1910.5), S. 404. Es geht nicht um die Korrektheit der Aussagen Loos’ zu den Formentwicklungen im antiken Rom, sondern vielmehr um die Sicht, die er auf jene Kultur stereotypisch geworfen hat. Aufschlussreich erscheint bereits hier eine Parallele zu den Themen der Secession, die bewusst in ihrer Namensgebung als Secession und nicht etwa als Sezession und mit dem Titel ihrer Zeitschrift Ver Sacrum auf die römische Kultur und ein römisches Weiheritual verwies. Vergleiche dazu Schorske 1982, S. 201–205. 91 Loos 2010 (1910.5), S. 404. 92 Der Begriff Angemessenheit ist hier bewusst gesetzt als Parallele zu Vitruvs decor-Verständnis im Sin-

67

68

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

von deren metaphorischen Assoziationen einher. Daher ist es ebenso notwendig, sich abschließend der Namensgebung der Villa und dem Begriff Karma als solchem kritisch zu nähern.

Raumkomposition – Raumgruppen und deren Lichtregie Das Atrium der Villa Karma ist ausgestattet mit einem schwarz-weißen Marmorboden, der die Form eines gerundeten Schachbretts aufgreift, rotweißem Skyrosmarmor und einer Deckenwölbung, die mit Goldmosaiken umfasst ist und einen Durchbruch in die Galerie über dem Atrium schafft (Abb. 13). Die Galerie ist mit einem Holzgeländer versehen und nach oben hin ist eine in Quadrate ausgefachte Holzdecke situiert, die Abb. 13: Adolf Loos bzw. Hugo Ehrlich: Villa Karma, Atrium, Hochparterre, 1903–1906 und 1909–1912, Clarens bei Montreux

direkt oberhalb der Öffnung zum Atrium mit Glas den Lichteinfall von der Dachterrasse bis hinunter ins Atrium ermöglicht. Jene lichtdurchlässigen Quadrate sind zusätzlich

Raster einer verstandesmäßigen Seelenwelt

noch mit goldenen Mosaiken, die gerade ihre

sollen als Nächstes vertiefend anhand der

glanzvolle Wirkung erst durch den Lichtein-

Innengestaltung der Villa Karma überprüft

fall entwickeln, ausgefacht. Nicht nur die

werden. Dabei stehen die inneren Struktu-

Öffnung des Atriums bildet ein Oval, son-

ren der Villa Karma im Fokus der Unter­

dern auch der gesamte Raum im Hochpar-

suchung. Damit geht sowohl die Analyse von

terre: Sowohl die Bodenbehandlungen im

architektonischen Gegebenheiten als auch

Hochparterre als auch auf der Ebene der Galerie greifen die Form eines quer gerich-

ne einer „Angemessenheit von Form und Inhalt“. (Kruft 1995, S. 26f.) Vergleicht man die Hauptund Innenhoffassade des Hauses am Michaelerplatz wird jene Gestaltung im Sinne einer Angemessenheit abermals im Œuvre Loos’ deutlich. Des Weiteren wendet Otto Wagner bereits 1884 jenen Spannungsbogen der Fassaden-Differenzierung zwischen repräsentativen Würdeformeln an der Hauptfassade bis hin zu einer reduzierten Formensprache an der Hoffassade bei der Österreichischen Landesbank an.

teten Ovals auf. Das Atrium ist ein Durchgangsraum. Direkt gegenüber der Eingangstür liegt die einzige weitere Tür, die in die Eingangshalle führt. Loos entscheidet sich nicht dafür, das Atrium auch zum Ummantelungsbau hin zu öffnen (Abb. 10).93 93

Behalova fasst die Zuständigkeit für die Innenraumdispositionen wie folgt zusammen: „Die

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

Abb. 14: Adolf Loos: Villa Karma, Halle, rechts Sitznische mit Kamin, Hochparterre, 1903–1906, Clarens bei Montreux, Fotografie von Martin Gerlach Jun., Albertina, Wien

sitznische auch zum Verweilen einlädt, erstreckt (Abb. 14). Über den einen Arm der Halle erschließen sich wiederum einige Räumlichkeiten des Personals – wie Garde-

Dadurch verschleiert sich für den sich im

robe, Treppenabgang zur Küche, Anrichte

Haus Bewegenden, dass es sich um ein

und Raum des Hausmeisters – und der

umbautes Kernhaus handelt und sich ein viel-

Zugang ins erste Obergeschoss. Über den

stufiges Eingangskonzept über einige Räume

zweiten Arm, der eine Erweiterung der

vom Portikus über das Atrium bis hin zu

­Eingangsachse darstellt, gelangt man ins Her-

einer zweiteiligen Halle, die mit einer Kamin-

renzimmer, in den Rauchsalon und ins ­Speisezimmer. Weitere Wanddurchbrüche

Raumgestaltung des gesamten Hauses geht auf Loos zurück; die Ausstattung der Räume, die Loos entworfen hat, wurde nach seinen Entwürfen ausgeführt. Wo Loos seine Vorstellung nur skizzenhaft angedeutet hat, folgte Ehrlich dessen Grundgedanken und entwickelte ihn seinem Können und dem Wunsch des Bauherrn entsprechend.“ (Behalova 1974, S. 88f.)

ermöglichen von jenen Räumlichkeiten aus sowohl den Zugang zur Bibliothek als auch zur Veranda oder Loggia (Abb. 10). Aufgrund der Vielzahl an Öffnungen entsteht eine Fülle von Möglichkeiten, wie man sich durch das Geflecht des Hauses bewegen kann;

69

70

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

wobei einige bestimmt folgerichtiger erschei-

– wie es zum Beispiel Werner Oechslin in

nen und manche dafür in ihrer ungewöhnli-

einer Publikation prominent untersuchte –

chen Positionierung weit mehr Intimität auf-

ist richtunggebend für die Villa Karma.98

weisen.

Aber im Falle der Villa Karma ist die Meta-

Behalova spricht vom Licht als einem

pher von ‚Hülle‘ und ‚Kern‘ nicht im Sinne

„stimmungsbildendem Element“ der Innen-

einer Fassadenverkleidung zu verstehen, son-

gestaltung der Villa.94 Sie ist der Ansicht,

dern vielmehr als Beziehung zwischen ver-

dass durch die Abstufung von Halbdunkel

schiedenen Raumvolumina. So heißt es bei

und künstlich beleuchteten Räumlichkeiten

Oechslin zu Loos:

im Kern des Hauses und „Voll-Licht in den Ummantelungsräumen“95 eine Stimmung im

„Loos steht jener theoretischen Tradition

Sinne einer inszenierten Intensivierung

näher, für die das Bild von Hülle und Kern

­entstehe. Dietrich Worbs sieht in der „Licht-

ohnehin als eine unzulässige Reduktion

führung“ ein Kriterium gegeben, das im

und Einschränkung einer viel wesentliche-

Zusammenhang mit der „Wegführung“,

ren, grundsätzlicheren Frage erscheinen

„Raum­übergängen“ und „Raumabgrenzun-

musste. Entscheidend ist vermehrt der in-

gen“ die „Raumbildung“, den Raumplan bei

nere notwendige Zusammenhang, die Ein-

Adolf Loos ausmacht. Er spricht sogar von

heit von Inhalt und Form, verbunden mit

einer „dramatische[n] Hell-Dunkel-Inszenie-

dem Anspruch auf ‚Sittlichkeit‘ etwa im

rung des Bewegungsablaufs“.96 Ebenso

Sinne Schinkels. ‚Modern‘ ist nach Loos,

bezeichnet Behalova die verschiedenen

was nicht auffällt. […] Loos spricht denn

Raumhöhen und Fenstergrößen als Abstu-

auch nicht von der Hülle, sondern von der

fungen der Stimmungserzeugung.

‚Bekleidung‘. Dabei hält er sich (1898) bei-

97

Mit der Nennung von Lichtkanalisierung

nahe ostentativ an Semper.“99

und Raumerstreckung verbleibt Behalova mit der Definition der Stimmung jedoch in der

Oechslin betont im weiteren Verlauf seines

Villa Karma recht vage. Was macht aber das

Buches, dass Loos den „letzten Schritt“ unter-

Spezifische der Stimmung in diesem Bau-

nommen habe, um das „historische Gewand“

werk aus? Es ist der Umstand, dass sich jene

als „Maskenkleid“ abzustreifen. Als Beispie-

Raumverschachtelungen zwischen schon

le dienen ihm unter anderem das Haus am

existierendem Hauskern und von Loos

Michaelerplatz, aber vor allem seine späten

ergänztem Baumantel gerade durch die von

Bauwerke, wie zum Beispiel die Villa Müller

Loos gesetzte Wege- und Lichtregie entwe-

in Prag.100 Oechslin klammert jedoch völlig

der verschleiert oder bewusst in Szene gesetzt

das Frühwerk Loos’ aus und damit folglich

werden. Das Motiv von ‚Hülle‘ und ‚Kern‘

auch die Villa Karma. Aber gerade an ihr tritt

94 Behalova 1974, S. 126–128. 95 Behalova 1974, S. 126–128. 96 Worbs 1982, S. 58f. und S. 181. 97 Behalova 1974, S. 126–128.

98 Oechslin 1994. 99 Oechslin 1994, S. 7. Vergleiche zum Bezug Loos’ zu Semper Gemmel 2005, S. 188f. 100 Oechslin 1994, S. 114–120.

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

Abb. 15: Adolf Loos: Villa Karma, Bibliothek mit Schreibtisch, 1903–1906, Clarens bei Montreux, Fotografie von Jean Schlemmer, Albertina, Wien

se zum Mittelpunkt des Gebäudes hin kon-

jene Vorstellung von ‚Hülle‘ und ‚Kern‘ als

bilden sich verschiedene Raumcluster aus.

massive Baustruktur zutage. Die Aussage von

Bibliothek und Herrenzimmer sind durch

einem „inneren notwendigen Zusammen-

zwei Durchgänge miteinander verbunden

hang“ bei „Einheit von Inhalt und Form“

und das Licht der Panoramafenster, die zum

bekommt somit eine zusätzliche Dimension,

Genfer See hin gerichtet sind, fällt in Abstu-

die weit über die Fläche der Fassade als

fungen bis hinein ins Herrenzimmer. Die Bib-

„moderne Bekleidung“ hinausweist.

liothek, die auch Standort des Schreibtisches

statiert. Sie führt metaphorisch gesprochen ins Innere des ‚Labyrinths‘. Um diese Achse

Bei genauerem Betrachten des Hochpar-

des Hausherrn ist, umreißt demnach vor

terregrundrisses (Abb. 10) ergibt sich ein

allem den Bewegungsraum Theodor Beers

kompliziertes Geflecht von verschiedenen

(Abb. 15). „Die Bibliothek und der Kamin-

Raumgruppen, die sich zwischen den beiden

raum mit Mahagoniverkleidung, die Wand-

Ebenen von Kern- und Hüllentrakt erstre-

bibliothek, die runde Bank in der Rundung,

cken. Im Falle des Atriums, das sich de ­facto

der charakteristische Schreibtisch, der

im Hüllentrakt befindet, wurde ja schon eine

Kamin, all dies existiert noch heute in der

deutliche Konzentrierung auf die Raumach-

von Loos entworfenen Form, obwohl es erst

71

72

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

in der zweiten Bauperiode unter Hugo Ehr-

stand er in Dunkelheit und Geschlossen-

lichs Führung installiert werden konnte“,

heit – durch feste Mauern eingeengt. Er

heißt es bei Behalova.101 Des Weiteren zeigt

hatte einen langen Weg durch Halbdun-

Gubler aber auch auf, dass Ehrlich nicht alle

kel zu gehen, um zum Licht zu finden. Die

Konzeptionen Loos’ im Falle der Bibliothek

Geschlossenheit im Hauskern konnte

verwirklichte. So hatte Loos geplant, die Bib-

­andererseits auch wie ‚Geborgenheit in-

liothek mit dem Herrenzimmer nicht nur

mitten des eigenen Wesens‘ empfunden

durch zwei Öffnungen miteinander zu ver-

werden – etwa im Kaminraum bei der

binden, sondern durch drei. Zwei Durchbrü-

­Bibliothek.“

103

che sollten alleine das Herrenzimmer im Süden zur Bibliothek öffnen. Loos hätte

Von hier aus öffnen sich dann Speisezimmer

dadurch die verbleibenden Wandreste teil-

und Rauchsalon. Die zwei in Raumgröße wei-

weise zu einem rechteckigen Pfeiler redu-

testgehend gleich dimensionierten Räume

ziert. Zum einen wäre demnach mehr Licht

werden noch lichtdramaturgisch betont,

in das Herrenzimmer eingefallen und zum

indem die Wand auf die man zuläuft, wenn

anderen wäre eine stärkere Verquickung der

man das Atrium im Rücken hat, kein Fens-

beiden Räumlichkeiten gegeben gewesen.

ter besitzt.104

Bezeichnenderweise ist der von Loos unter-

In der Eingangshalle ist es auffällig, dass

zeichnete Plan mit dem Titel Arbeitszimmer

das Fenster an der Schmalseite des Raumes

im Hause Karma des Prof. Dr. Beer verse-

zwar durchsichtig ist, aber durch Profile

hen. Deutlich zeigt der Grundriss nicht nur

kleinteilig den Blick auf die Fensterstruktur

die Bibliothek, sondern auch das Herrenzim-

lenkt und nicht etwa den Durchblick insze-

mer. Erst der kombinierte Raumkomplex von

niert (Abb. 14). An dieser Stelle ist es nicht

Herrenzimmer und Bibliothek ergänzt sich

der Ausblick in die Natur, der entscheidend

in seiner Gänze zu einem Arbeitszimmer.

102

ist, sondern allein der Lichteinfall, der von

Zurückkehrend zur Mittelachse lässt sich

Loos in den Mittelpunkt gestellt wird. Einer

feststellen, dass man sich im Mittelpunkt des

japanischen Trennwand gleich, schafft das

Kerntraktes an dem am wenigsten belichte-

Fenster eine bestimmte Lichtsituation, ohne

ten Ort des Hochparterres befindet. ­Be­halova

auf das Außen des Gebäudes zu verweisen.105

umschreibt die Situation folgendermaßen:

Derjenige, der die Treppe an dieser Stelle hinaufsteigen möchte, wird demnach nicht

„Der Besucher, der von der Straße kam,

zum Stehenbleiben animiert und jener, der

sollte sich vor einer geschlossenen ‚lee-

in der Eingangshalle sich zum Verweilen in

ren‘ Fassade befinden – wie vor einem un-

der Kaminsitznische entschieden hat, wird

beschriebenen Blatt. Ein breiter Eingangs-

immer noch mit genug natürlichem Lichtein-

raum lud ihn hinein. In der Hausmitte

fall versorgt. Ralf Bock bezeichnet jenes

101 Behalova 1974, S. 83f. 102 Gubler 1985, S. 218–220 und insbesondere dort Abb. 6.

103 Behalova 1974, S. 150. 104 Vergleiche dazu Worbs 1982, S. 179f. 105 Gravagnuolo 1982, S. 107.

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

Fenster als „japanisches transluzentes Fens-

das anschließende Eßzimmer und den

ter“ und gibt an, dass es beginnend geplant

Rauchsalon gehen, müssen einem Famili-

war, „durchscheinendes, nicht transparentes

enmitglied, das sich in der Bibliothek be-

Glas zur Erzeugung einer ‚japanischen Wir-

findet und dort ungestört verbleiben will,

kung‘ in der im Erd- und Obergeschoss

überhaupt nicht begegnen. Dienstleute

dahinter gelegenen Veranda“ für die Fenster

können den Office-Raum vom Garten

zu verwenden.106 Beatriz Colomina erwähnt

durch die Küche und eine direkte schma-

des Weiteren eine durch Le Corbusier über-

le Treppe erreichen.“108

lieferte Aussage Loos’ zum Sinn von Fenstern, die nicht dem Ausblick dienen: „Ein

Auch wenn nicht unbedingt – wie Behalova

Kulturmensch sieht nicht mehr zum Fenster

behauptet – davon gesprochen werden

hinaus; sein Fenster besteht aus Mattglas; es

kann, dass alle Räume direkt miteinander

ist da, um Licht zu spenden, nicht um den

verbunden sind, sondern sie vielmehr durch

Blick hinausschweifen zu lassen.“107

einen zumindest möglichen Rundgang, der

Deutlich wird, dass Loos mit der Abstu-

sich in mehreren konzentrischen, aber zum

fung des Lichteinfalls, die sich automatisch

Teil abreißenden Kreisen um den Mittel-

durch den verschiedenen Einsatz von

punkt des Gebäudes legt, zeigt das Zitat

­Fenstern und die mannigfaltigen Raumver-

Behalovas deutlich auf, wie unterschiedlich

knüpfungen oder auch gerade durch die feh-

Loos die Bereiche des Gebäudes voneinan-

lenden Raum­ver­bindungen ergibt, ein sich

der anhand der sich im Haus bewegenden

durch die Raum­entitäten bewegendes Ich

Personen ­ausdifferenziert (Abb. 10 und 11).

inszeniert. Die v ­ erschiedenen Bewegungsab-

Dietrich Worbs spricht ferner von einer

läufe von unterschiedlichen Personengrup-

„Introduktion“ bei Loos’ Raumplan, das

pen beschreibt Behalova wie folgt:

heißt einer „geschickten Bewegungsführung“, die sich im Falle der Villa Karma zu

„Eine Tür verbindet Kaminzimmer mit der

einer „­ Raum­folge“ mit „einer räumlichen

Halle, sodaß die Runde durch die Räume

Niveau­differenzierung“ ergibt. Mit jener

des Hochparterres ohne Zurückkehren

Niveau­differenzierung meint er vor allem

abgeschlossen werden kann. Außerdem

die Fuß­ bodensprünge im Musiksalon

kann man die Bibliothek erreichen oder

(Abb.  16) und im Badezimmer (Abb. 17).

verlassen, ohne die Gesellschaftsräume

Des Weiteren sieht Worbs regelrechte Bewe-

durchqueren zu müssen. Die Zugänglich-

gungsschleifen in der Villa Karma verwirk-

keit der Räume ist sehr gut gelöst: alle

licht.109 Es kommen beispielsweise das ‚pri-

Räume sind miteinander verbunden,

vate Ich‘ – das Familienmitglied – und das

gleichzeitig jedoch sind die einzelnen Le-

‚repräsentative Ich‘ in Form der Gäste als

benssphären getrennt: Gäste, die vom Gar-

Bewegungstypen vor. Des Weiteren könnte

ten über die Freitreppe in die Veranda und

man im Falle der Wege des Personals von

106 Bock 2009, S. 114 und S. 110. 107 Zitiert nach Colomina 1997.1, S. 201.

108 Behalova 1974, S. 19f. 109 Worbs 1982, S. 157 und S. 180f.

73

74

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 16: Adolf Loos: Villa Karma, Musikzimmer, 1. Obergeschoss, 1903–1906, Clarens bei Montreux, Fotografie von Jean Schlemmer, Albertina, Wien

repräsentative Räumlichkeiten. Es sind die Haupträume des Hausherren, der somit einen Rückzugsort hat, aber permanent

‚versteckten‘ Wegen oder einem ‚verborge-

unterschwellig im Hausgeschehen mitge-

nen Ich‘ sprechen. Das Familienmitglied,

dacht wird. Durch diese subliminale Präsenz

das sich in der Bibliothek zurückzieht,

des Hausherrn, die an einen spezifischen Ort

könnte man sogar fast als ein ‚latentes Ich‘

im Haus geknüpft wird, erklärt sich der

bezeichnen. Theodor Beer ist mit jenem

Begriff des latenten Ichs.

‚latenten Ich‘ gleichzusetzen, da die Biblio-

Dieses außergewöhnliche Raumkonzept

thek zusammen mit dem Herrenzimmer als

wird im Vergleich mit anderen Villen aus der

sein persönliches Arbeitszimmer geplant

annähernd gleichen Bauzeit nur noch offen-

war (Abb. 15 und 18).

sichtlicher. Die Kombination aus Bibliothek

Obwohl die Bibliothek zusammen mit

und Herrenzimmer in einer Raumfolge, und

dem Herrenzimmer ein intimes Raumkon-

nicht etwa in einem Raum zusammengefasst,

zept verwirklicht, ist es dennoch nicht im

ist an sich schon als eher selten zu bezeich-

Sinne eines Lavierens oder Verschleierns in

nen. Ihre klare räumliche Trennung von den

den Raumkörper gesetzt, wie etwa die ‚ver-

anderen Räumlichkeiten wie zum Beispiel

steckten‘ Wege des Personals. Es handelt sich

Rauchzimmer und Speisezimmer (Abb. 19)

gleichwohl auch durch die Ausstattung um

ist als noch ungewöhnlicher anzuführen.

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

Querverbindungen zwischen den Räumlichkeiten. Jedoch lässt sich kein Beispiel in diesem Buch – das hier herangezogen wird, weil es bereits in zweiter Auflage während der Loos’schen Planungs- und Bauphase der Villa Karma erschien – auffinden, das annähernd eine ähnliche Lösung zum Raumkonzept der Villa Karma aufweisen würde. Auch die Villa Kérylos in Beaulieu-sur-Mer, die im Auftrag von Théodore Reinach von dem Architekten Emmanuel-Elisée Pontremoli in den Jahren 1902 bis 1908 erbaut wurde, lässt zunächst aufgrund ihrer Lage direkt an der Côte d’Azur mit Panoramablick aufs Meer, ihrer Aufnahme von antiken Bauformen, den Aussichtstürmen und den mit ihnen verbundenen, mit Pergolen überbauten Terrassenbereichen einen Vergleich mit der Villa Karma für Abb. 17: Hugo Ehrlich: Villa Karma, Badezimmer, Blick auf die Treppe zu den Badewannen, 1909–1912, Clarens bei Montreux, Fotografie von Jean Schlemmer, Albertina, Wien

logisch erscheinen (Abb. 20). Insbesondere die pergola-ähnlichen Turmaufbauten erzeugen einen Vergleichscharakter für die Villa Kérylos mit der Villa Karma. Jedoch stam-

Überhaupt verdeutlicht das gleichzeitige Vor-

men – laut Behalova – jene Konstruktionen

handensein von Rauchzimmer und Herren-

aus der Planungszeit unter Ehrlich und sind

zimmer eine Trennung von öffentlichen und

daher an dieser Stelle als nicht relevant für

privaten Zonen. Beim Betrachten der Publi-

einen Vergleich zu definieren.111 Spätestens

kation Das moderne Landhaus und seine

beim Grundriss (Abb. 21) wird jedoch über-

innere Ausstattung von Hermann Muthesius

deutlich, dass die Villa Kérylos dem Ideal

aus dem Jahre 1905 – in der eine Vielzahl an

einer antiken griechischen Villa im Sinne

Beispielen von Landhausgrundrissen aus

einer ‚Kopie‘ folgt, während die Villa Karma

Deutschland, Österreich, England und Finn-

eine in ihre eigene Zeit übertragene, selbst-

land zusammengestellt sind – fällt auf, dass

ständige ‚Interpretation‘ des Verständnisses

meistens eine zentrale Halle als Raumer-

von abendländischer Kultur darstellt: So

schließung für jeweils mehrere Räume, die

erschließt sich zum Beispiel bei der Villa

sich folgerichtig um die Halle herum grup-

Kérylos auch die Bibliothek über ein

pieren, fungiert.110 Bisweilen finden sich auch 111 110 Muthesius ²1905.

Vergleiche dazu diese Arbeit auf S. 45f. und Behalova 1974, S. 90.

75

76

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 18: Adolf Loos: Villa Karma, Herrenzimmer, Hochparterre, 1903–1906, Clarens bei Montreux

Abb. 19: Adolf Loos: Villa Karma, Speisezimmer, Hochparterre, 1903–1906, Clarens bei Montreux, Fotografie von circa 1930, Fotografie von Martin Gerlach Jun., Albertina, Wien

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

Abb. 20: Emmanuel Pontremoli: Villa Kérylos, Zeichnung der Südansicht mit Turm

­Peristyl112 und nicht etwa über eine L-förmi-

Karma umschreiben demzufolge Räume, die

ge Halle wie im Falle der Villa Karma (Abb.

sich nicht nur in ihrer Funktion für ihre

10 und 14). Das Peristyl verbindet wieder-

Bewohner unterscheiden, sondern auch

um alle umgebenden Räume zu einem leicht

durch ihre Kopplung unterschiedliche ­Grade

einsehbaren, das heißt überschaubaren

der Privatheit oder Repräsentation bedienen.

Bereich, während Bibliothek und Herren-

Das Musikzimmer im ersten Stock

zimmer der Villa Karma geradezu vor Bli-

(Abb. 16) wurde zwar in der Bauphase unter

cken abgeschirmt werden. Pontremolis Auf-

Hugo Ehrlich ausgeführt; laut Behalova sind

trag bestand darin, die Rekonstruktion eines

aber sowohl die „Raumgestaltung“ als auch

vergangenen Ideals zu errichten. Loos sah

die „Ausstattung“ auf Adolf Loos zurückzu-

seine Rolle als Architekt – bedenkt man sei-

führen.113 Burkhardt Rukschcio und Roland

ne weiter oben bereits erwähnte Definition

Schachel sind der Ansicht, dass Loos nur

vom Architekten als demjenigen, der an den

nicht zur Ausführung des zweiten Oberge-

römischen Ursprung der Architektur wieder

schosses kam. Gleichzeitig heißt es aber

anknüpfen und diesen weiterführen solle –

auch, dass Loos auf Grund von „säumige[n]

hingegen bedeutend eigenständiger.

Zahlungen“ seine „Planungstätigkeit einstell-

Die Beschreibung Behalovas stellt dem-

te“ und Hugo Ehrlich die Arbeiten an der

nach den Menschen und seine Bedürfnisse

Villa Karma beendete. Des Weiteren erken-

in den Mittelpunkt der Loos’schen Raum-

nen sie an, dass „eine genaue Trennung der

konzeption. Loos’ Planungen für die Villa

vorgenommenen Arbeiten“ von Loos und Ehrlich „problematisch“ sei. Ob sich nun die

112

Wie konstituierend die Orientierung am antiken Ideal für die Konzeption und Realisierung der Villa Kérylos gewesen ist, ist nachzulesen bei Arnold 2003.

„Ausführungen“ – wie sie es nennen – auf

113 Behalova 1974, S. 86–89.

77

78

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 21: Emmanuel Pontremoli: Villa Kérylos, Grundriss des Erdgeschosses

zusammenstellen oder bei Platznöten auch

die zeichnerischen Planungen oder auch auf

116 Rukschcio 1987, S. 119f. und Ottillinger 1994, S. 127–121. Ludwig Münz nannte die Einrichtung des Café Museum eines der „frühesten Beispiele für sachliche, klare, ornamentale Innenraumgestaltung“. (Ludwig Münz hier zitiert nach Müller ²1984, S. 88.) Vermutlich bezieht sich Ottillinger hiermit auf eine Stelle im Band von Ludwig Münz und Gustav Künstler, die dort jedoch in Nuancen anders gesetzt ist. Dort lautet jene Stelle wie folgt: „Zusammenfassend läßt sich die Leistung von Adolf Loos im Rückblick kaum treffender einordnen, als es Ludwig Münz anläßlich einer Photo-Ausstellung von Werken des Architekten 1951 in Stuttgart getan hat: das Café Museum, 1899, sei das früheste europäische Beispiel für sachliche, klare, ornamentlose Innenraumgestaltung gewesen.“ (Münz und Künstler 1964, S. 40.) Ludwig Münz schreibt des Weiteren zur Einrichtung des Café Museum: „[…] das Café Museum 1899, das aus der Funktion der Teile, aus der Nutzung von Materialien die echte Form findet mit dem entscheidenden Gegensatz zu jenem bloßen Spiel mit Kurven in Laubsägearbeiten damaliger Jugendstil-Architekten. Bei Loos folgen zum

die letztendlichen Realisierungen beziehen, bleibt missverständlich.114 Ralf Bock akzentuiert für das Musikzimmer die für Loos typische Variante der vielen unterschiedlichen Sitzgelegenheiten, die je nach dem benötigten Zusammenhang frei anzuordnen und zusammenzustellen sind.115 Bock bezieht sich damit vermutlich auch auf die Möblierung des Café Museum. Hier hatte sich Loos für einen selbst entwickelten leichten Bugholzstuhl, der von der Firma Jacob und Sohn Joseph Kohn produziert wurde, entschieden, den man je nach Bedürfnis an den Tischen 114 Rukschcio und Schachel 1982, S. 428. 115 Bock 2009, S. 116.

zur Seite schieben konnte.116 Der Kunsthis-

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

toriker Oscar Bie (1864–1938) sah in Stüh-

nicht zwingenderweise auf ein bestehendes

len grundsätzlich „leichte Vermittler der

Konzept zurückgreifen konnte. In Bezug auf

abwechselnden Gruppierung“, das heißt

das Speisezimmer (Abb. 19) lassen sich mehr

„schnelle Diener der Freizügigkeit“.

Das

offensichtliche formanalytische Bezüge zum

Einpassen der Gemälde in die mit Holz ver-

Werk von Adolf Loos ziehen. Eine Entwurfs­

kleideten Wände erinnert wiederum an die

skizze für das Speisezimmer ist überliefert,

Lösung des Porträts Peter Altenbergs, die

die deutlich die starken Konturierungen und

Loos in der Kärntner Bar in Wien 1908/1909

Laibungen der Wände in Richtung der Gla-

realisierte.118 Im Falle des Musikzimmers ist

stüren, die auf die Veranda führen, vor-

es schwer, eine Loos’sche Hauptkonzeption

weist.119 Christopher Long geht in Bezug auf

zu beweisen. Vielmehr scheint es, als ob Ehr-

das Speisezimmer der Villa Karma dezidiert

lich sich zwar an den gegebenen Realisierun-

auf dessen Gestaltung der Türlaibungen ein.

gen in der Villa Karma orientierte, jedoch

Er spricht davon, dass jene Tür-, das heißt

117

Wandlaibungen auf der die Wand gliedernBeispiel die gekurvten Messingstreifen, welche die elektrischen Drähte verdecken, organisch gliedernd der gegebenen gewölbten Decke, sie sind keine vorgeblendeten Attrappen. Für Loos hat von Anfang an alles ‚praktisch’ seinem Zweck zu dienen.“ (Münz 1989, S. 19.) Zur kommunikativen Struktur der Einrichtung des Cafés Museum vergleiche Stewart 2000, S. 33. 117 Bie 1904, S. 103. 118 Es sind verschiedene Fotografien erhalten, die sowohl das Einpassen des Porträts Peter Altenbergs, gemalt von Gustav Jagerspacher, in die holzvertäfelte Wand dokumentieren als auch die Anbringung einer Kopie des Gemäldes Der große Wald von Jacob van Ruisdael nachweisen. Das Original von Jacob van Ruisdael befindet sich im Bestand des Kunsthistorischen Museums Wien. Wie lange die Tradition der Kopisten schon mit der Geschichte des Hauses des Kunsthistorischen Museums Wien verwoben ist, verdeutlichte die 2012/2013 gezeigte Ausstellung DOPPELGÄNGER. Siehe dazu http://www.khm.at/de/besuchen/ausstellungen/doppelgaenger/ und http:// press.khm.at/fileadmin/_migrated/downloads/ PT_Doppelgaenger_dt.pdf, 05.06.2015. Rukschcio und Schachel bilden in ihrem Werkverzeichnis eine Fotografie vom Innenraum der Kärtner Bar von circa 1909 ab. Auf dieser ist das Ölgemälde von Gustav Jagerspacher zu erkennen. Weiterhin erwähnen sie es im Rahmen ihrer Beschreibung (Rukschcio und Schachel 1982, S. 457–459). Ludwig Münz hingegen bildet eine Fotografie ab, die die zumindest temporäre Hängung einer Kopie von Jacob van Ruisdaels Der große Wald im Raum der Kärtner Bar beweist (Münz 1989, S. 41).

den Grundform des Pilasters beruhen und sieht in ihnen eine Formschöpfung Adolf Loos’.120 Jene körperlichen Wandstrukturen erinnern an zwei Wiener Geschäftsportale – an Sigmund Steiners Federngeschäft von 1907121 oder an das KNIŽE-Geschäft, das von 1909 bis 1913 entstand.122 Ebenso ist das fest eingebaute Buffet aus Marmor typisch für Einrichtungen von Adolf Loos (Abb. 19). 1915 verwendet Adolf Loos bei der Einrichtung des Hauses Duschnitz im Speisezimmer sowie 1916 im Speisezimmer der Wohnung Emil Löwenbach fast identische eingebaute Marmorbuffets. Es erscheint relativ unwahrscheinlich, dass Loos sich an den Arbeiten Ehrlichs orientiert haben mag. Da Ehrlichs Anstrengungen an der Villa ­Karma jedoch 1915 bereits seit circa drei Jahren abgeschlossen waren, ist zu vermuten, dass jene Anordnungen Loos zuzuschreiben sind.

119 Rukschcio und Schachel 1982, S. 427, Abb. 425. 120 Long 2010, S. 138. 121 Rukschcio und Schachel 1982, S. 442, Abb. 450. 122 Rukschcio und Schachel 1982, S. 481, Abb. 531.

79

80

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Dieser kurze Exkurs zum Musik- und

lungstheorie war es aber gerade August

­Speisezimmer sollte nicht nur abermals den

Schmarsow, der sich mit der „psychologi-

komplizierten Zuschreibungscharakter der

schen Wirkungsmacht“ der Architektur und

Villa Karma betonen, sondern auch aufzei-

„ihrer

gen, dass jene Grundzüge der Einrichtungen

­Stimmungen“ beschäftigte.125 Schmarsows

ebenso von Adolf Loos auf öffentliche Wer-

­Architekturwahrnehmungskonzept, wie es

ke übertragen wurden oder bereits übertra-

schon von Jörg Gleiter prägnant zusammen-

gen worden waren. Diese Vergleiche inner-

gefasst wurde, bietet einen Anreiz zum Ver-

halb

ständnis der Loos’schen Raumgestaltung für

des

Loos’schen

Œuvres

führen

letztendlich zu der Beobachtung, dass beide

Fähigkeit

zur

Gestaltung

von

die ­Villa Karma:

Zimmer – insbesondere jedoch das Speisezimmer – bereits über ihre architektonische

„Aus der körperlichen Bewegung heraus,

Ausformung und nicht etwa allein über ihre

im Umschlag des Tastraumes in den Ge-

Nutzung als dem öffentlich repräsentativen

sichtsraum entstehe der Raum aus einer

Bereich der Villa zuzuordnen sind.

Verkettung von Bildern, von Erinnerungs-

Joseph Imorde spricht bei den Raumen-

bildern. Mit dem Konzept mentaler Bilder

sembles der Loos’schen Villen ebenso von

als Voraussetzung der Raumerfahrung wird

einer „Hierarchie der Privatheit“ und ergän-

die

zend bezeichnet er die Wegführungen als

Schmarsows Architektur- und Raumästhe-

„Itinerarien zur Intimität“.123 In Verbindung

tik sichtbar.“126

anthropologische

Dimension

in

gesetzt mit der schon erwähnten Lichtführung erhellt sich ein vorgegebenes architek-

Während Wölfflin eine Vergleichbarkeit von

tonisches Maß, das nicht nur variierende

architektonischen mit leiblichen Formen des

Benutzungskonzepte der Räume repräsen-

Menschen herleitet,127 geht es Schmarsow

tiert, sondern damit auch verbundene Stimmungsgehalte vermittelt. Im Falle der Villa Karma kann man die These aufstellen, dass es sich um eine Architektur als „Raumgestalterin“ – um eine Schmarsow’sche Begriffsprägung zu verwenden – handelt. Schon bei Heinrich Wölfflin wurde die ­Frage zentral, die er sich bereits 1886 in seiner Dissertation Prolegomena zu einer Psychologie der Architektur stellte: „Wie ist es ­möglich, daß architektonische Formen Ausdruck eines Seelischen, einer Stimmung sein können?“124 Unter dem Einfluss der Einfüh123 Imorde 2006, S. 38. 124 Wölfflin 1999, S. 7. Siehe zur Aufnahme der

Einfühlungstheorie bei Wölfflin Braungart 1995, S. 139–148. 125 Vergleiche dazu Gleiter 2008, S. 117. 126 Gleiter 2008, S. 118. 127 So heißt es unter anderem bei Wölfflin: „Das Bild unserer selbst schieben wir allen Erscheinungen unter. […] Der ganze menschliche Gehalt natürlich kann nur durch die menschliche Gestalt ausgedrückt werden, die Architektur wird nicht einzelne Affekte, die sich in bestimmten Organen äußern, zum Ausdruck bringen können. Sie soll es auch nicht versuchen. Ihr Gegenstand bleiben die großen Daseinsgefühle, die Stimmungen, die einen gleichmäßig andauernden Zustand des Körpers voraussetzen. […] Das anthropomorphe Auffassen von räumlichen Gebilden ist nichts Unerhörtes. In der neueren Ästhetik ist dieser Akt bekannt unter dem Namen des Symbolisierens.“ (Wölfflin 1999, S. 10f.)

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

vielmehr um ein Ich, das sich durch einen

sich reduzierte Friesformen als Gesims in

Erfahrungsprozess seine architektonische

der Bibliothek erkennen, die in weiteren Ein-

Umgebung erschließt.128 Vor allem das Bewe-

richtungen von Loos nachweisbar sind.130

gungsmoment129 durch den Raum findet sich

Neben diesen tatsächlichen Bauelementen

in der Loos’schen Raumkomposition wieder.

sind es aber auch traditionelle gesellschaft-

Die „Erinnerungsbilder“ bei Schmarsow sind

liche Bilder und deren mit Räumen verbun-

zunächst einmal als die grundlegenden bzw.

dene Vergegenständlichung. Sowohl die

bereits früh erworbenen Raumerfahrungen

Kaminsitznische in der Eingangshalle als

des Menschen zu verstehen. Im Falle der

auch der Kamin im Herrenzimmer (Abb. 18)

Villa Karma ließen sich jedoch tradierte Sozi-

vermitteln emblematische Vorstellungen von

albilder als Erweiterung dieser über Bewe-

Ruhe und Gemütlichkeit, die entweder die

gung und Wahrnehmung eingeprägten

Funktion des Raumes erweitern oder unter-

Grund­ erfahrungen benennen. Damit ist

streichen. Ebenso wie das Atrium in Verbin-

gemeint, dass Loos sowohl in den repräsen-

dung mit der Galerie, zusätzlicher Eingangs-

tativen als auch in den privaten Lebenssphä-

halle und axialer Ausdehnung durch den

ren überlieferte architektonische Formen in

gesamten Kerntrakt der Villa eine Großzü-

den Räumen verwendet. So platziert Loos

gigkeit und einen gesellschaftlichen Aufwand

oder Ehrlich die leicht lesbare dorische Säu-

repräsentieren (Abb. 13 und 14). Die Form

le sowohl am öffentlich einsehbaren Portikus

bei Loos’ Villa Karma ist daher bedingt durch

der Eingangsfassade als auch im privaten

deren Inhalt. Nicht nur durch die Funktion,

Badezimmer (Abb. 6, 12 und 17) – das nur

sondern gerade auch durch den Rang der

der Familie zugänglich war – oder es lassen

Raumcharaktere konstituiert sich der Inhalt der vermittelnden Stimmungen der Räum-

128

129

Bei Schmarsow heißt es: „In sich selber trägt ja das Subjekt des Achsensystemes, das Höhenlot vom Scheitel an die Sohlen. Das heißt, solange eine Umschließung des Subjekts gewollt wird, bedarf der Meridian unseres Leibes keiner sinnlich sichtbaren Herstellung: wir selber sind seine Ausgestaltung in Person. Die Architektur als unsere Raumgestalterin schafft als ihr Eigenstes, das keine andre Kunst zu leisten vermag, Umschließungen unserer selbst, in denen die senkrechte Mittelachse nicht körperlich hingestellt wird, sondern leer bleibt, nur idealiter wirkt und bestimmt ist als Ort des Subjektes. […] Das Raumgebilde ist eine Ausstrahlung gleichsam des gegenwärtigen Menschen, eine Projektion aus dem Innern des Subjekts, gleichviel ob es leibhaftig darinnen ist oder sich geistig hineinversetzt, also auch gleichviel ob eine Statue nach dem Ebenbilde des Menschen seine Stelle einnimmt oder der Schatten eines Abgeschiedenen hineingedacht wird.“ (Schmarsow 2006, S. 473.) Vergleiche zum Bewegungsmotiv bei Schmarsow Jöchner 2004.

130

Behalova und Gubler zitieren einen Brief Hugo Ehrlichs, in dem Ehrlich angibt, dass das große Bad der Villa Karma aus seiner Hand stammt. Behalova benennt des Weiteren Pläne für das „schwarze Bad“, die aus den Jahren 1908 und 1909 stammen und von Ehrlich unterschrieben und datiert sind. Sie zählt damit das Bad unter die Gruppe der „Räume, für die Pläne von Ehrlich vorhanden sind und die seiner Auffassung – unter Mitwirkung des Bauherrn – zuzuschreiben sind“. In diese Gruppe ordnet Behalova neben dem Bad auch den Eingangsraum beziehungsweise das Atrium und das Rauchzimmer. (Vergleiche dazu Behalova 1974, S. 93–98.) In Bezug auf den Fries bei Loos und seine Funktion als Zuschreibungsindiz von Einrichtungen an Adolf Loos vergleiche Czech 2008, S. 17–24. Im spezifischen Fall des Frieses im Haus am Michaelerplatz wird die Form zum Beispiel auf ein Detail der Auferstehungskanzel von Donatello in S. Lorenzo in Florenz zurückgeführt. Vergleiche dazu Pogacnik 2011, S. 102.

81

82

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

lichkeiten der Villa. Jene Stimmung ist als

­Empfindungen.133 Bei diesem Buch handelt

eine Inszenierung von kulturellen Idealen

es sich um eine Zusammenstellung von Arti-

einer „abendländischen Kultur“ – wie sie

keln, die im Sommer 1902 im Feuilleton der

Adolf Loos schon 1903 mit dem Untertitel

Neuen Freien Presse – in der auch Adolf Loos

seiner Zeitschrift Das Andere etablieren woll-

Aufsätze

te

waren.

131

– zu definieren.

134

veröffentlichte



erschienen

Man kann demnach davon ausge-

hen, dass Loos zumindest in Teilen die in

Karma – Namensgebung und Identität

der Neuen Freien Presse erschienenen Artikel rezipiert hat. Des Weiteren ist laut

Auf jene Inszenierung von kulturellen Idea-

Rukschcio und Schachel ein Exemplar des

len einer abendländischen Kultur eingehend,

Buchs in Loos’ Bibliothek nachgewiesen.135

soll im Folgenden durch das ‚Ich‘ der Villa

So findet in diesem Buch auch das ‚Karma‘

Karma – dem Auftraggeber Theodor Beer

Erwähnung:

132

– näher herangeführt werden. Dr. Theodor Beer war Privatdozent für vergleichende Phy-

„Die Annahme von irgend etwas ‚an sich‘

siologie an der Universität Wien und veröf-

muss dem konsequenten Denker, der über-

fentlichte 1903 – dem gleichen Jahr, in dem

all, wohin er blicken mag, nur Zusammen-

die Planungen zur Villa Karma begannen –

hänge, Beziehungen, Funktionen sieht, als

ein Buch zu Ernst Machs Analyse der

die allerverkehrteste, unfruchtbarste und beirrendste erscheinen; sie ist nicht nur unnütz, da sie ja nirgends auch nur um ei-

131

132

Insgesamt erschienen 1903 zwei Ausgaben von Das Andere. Ein Blatt zur Einfuehrung abendlaendischer Kultur in Oesterreich: Geschrieben von Adolf Loos. Siehe dazu Loos 2010 (1903.1), S. 270–321. Theodor Beer, Sohn von Wilhelm Beer und Louise Löwy, wurde in Wien 1866 geboren. Er studierte und promovierte zum Doktor der Medizin an der Universität Wien. Neben seiner Zeit als Hospitant und Aspirant am Allgemeinen Krankenhaus in Wien verbrachte er seine Assistenz am Physiologischen Institut der Universität Bern. In Wien konnte er nur einmal die Vorlesung Physiologie des Gesichtssinnes abhalten und 1903 erhielt er den Titel eines a. o. Professors. Vergleiche dazu Soukup 2004, S. 89–96. Dieses Kapitel wird erstaunlicherweise solchermaßen betitelt: Theodor Beer. 1866–1919. Erforscher der Akkommodation des Auges und der Macht des Karmas. Lina Loos umschrieb Theodor Beer als „Doktor der Medizin, Lebemann, leidenschaftliche[n] Aktphotograph, Vivisekteur und Millionär“. (Loos ²2007, S. 63.) Auf derselben Seite behauptet Lina Loos auch, dass Beer dem Buddhismus angehörte; was jedoch recht unwahrscheinlich erscheint, wie gleich näher erläutert wird.

nen Schritt über die positiv wertvolle, in vielen Gebieten zur übersichtlichen Ordnung und zutreffenden Vorhersage führende, oft bewährt verlässliche Erfahrnis die Wege sperrt, gefährlich als aller Verständigung wahnhaft entrückte, zum Streit wie geschaffene, willkürliche und unbeweisbare Fiktion von etwas Absolutem, mag es nun Wille, Kraft, Geist, Fatum, Gesetz, Brahma, Atman, Inko, Karma, Das, Tao, Weltseele, Stoff, Atom, Aether oder

133 Beer 1903. 134 Beer 1903, S. 116. 135 Rukschcio und Schachel 1982, S. 92. Das Buch findet sich im Archiv des Wien Museums unter der Subnummer 421 der Bibliothek Adolf Loos’ aufgeführt. Die Bestandskarte zum Buch ist mit dem Kommentar „Nur das obere Umschlagblatt erhalten, Text unvollständig: S. 1–94.“ versehen.

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

Materie heissen, während doch, wie im-

geschah und geschehen wird. Das gilt für

mer wir es anpacken mögen, nach jeder

den einzelnen Menschen und für die g­ anze

Richtung hin unser allerletztes die Emp-

Welt. Alle Sünden müssen gebüßt werden,

findungs-Elemente sind.“

alle guten Taten finden ihren Lohn in sich

136

selbst. Wenn alles konsumiert ist, kommt ‚Karma‘ wird wie viele weitere religiöse oder

das Ende der Welt. Das ist C ­ arma.“137

weltanschauliche Ganzheitsvorstellungen und der damit verbundenen normativen Grö-

Adolf Loos und Elsie Altmann heirateten

ße von Theodor Beer für unlogisch erklärt

erst am 4. Juli 1919.138 Daraus lässt sich

und dem Bereich der Einbildung zugeordnet.

schließen, dass Elsie Altmann-Loos nur aus

Da mutet es fast ironisch an, dass sein von

einigen Jahren Abstand durch Loos von der

Loos umgebautes Zuhause Villa Karma

Villa Karma erfuhr. Inzwischen hatte bereits

getauft wird. Laut Elsie Altmann-Loos, der

Hugo Ehrlich seine ergänzenden Arbeiten,

dritten Ehefrau Adolf Loos’, legte Theodor

die sich von 1909 bis 1912 erstreckten, lan-

Beer selbst den Namen „Carma“ fest und

ge abgeschlossen.139 Aus der zweifachen Erin-

dies noch vor der vorläufigen Fertigstellung

nerung – die von Loos weitergegeben an sei-

des Gebäudes durch Adolf Loos. In dem

ne Frau und deren Erinnerungsarbeit, die sie

Kapitel Carma ihres Buches Adolf Loos der

erst lange nach dem Tod von Adolf Loos ver-

Mensch berichtet Elsie Altmann-Loos in

schriftlicht – ergeben sich einige Unstimmig-

einem erzählenden Duktus aus ihrer Erin-

keiten. So ist es durch Behalova belegt, dass

nerung über die Villa Karma:

Beer Loos gegenüber zunächst eine kritische Haltung einnahm und es sich nicht von

„Der Auftraggeber ist Dr. Beer, ein be-

Beginn an um einen Auftrag unter Freunden

rühmter Wiener Arzt und ein wahrhaft

handelte, wie es der Text von Altmann-Loos

guter Freund von Loos. Obwohl das Haus

suggerieren möchte. Der ironische Schwenk

noch nicht fertig ist, es fehlen viele Ein-

zum Schluss der Erklärung des Begriffs Kar-

zelheiten, hat es schon einen Namen. Dr.

ma auf den Suizid Theodor Beers verringert

Beer nennt es ‚Carma‘. Loos spricht nicht

des Weiteren die Glaubwürdigkeit dieser

gerne von diesem Haus, und so erfahre

Aussagen. Sie schließt nämlich ihre Erläute-

ich nur zufällig, daß es existiert. ‚Was ist

rungen mit den Worten:

Carma?‘ frage ich. ‚Was bedeutet das Wort?‘ Heute, da ich seine Bedeutung ken-

„Merkwürdigerweise verstehe ich sofort

ne, verstehe ich, wie schwierig es ist, die-

die neue Lehre, aber ich bleibe nachdenk-

ses Wort zu erklären. Loos tat sein Bes-

lich, denn ‚Carma‘ scheint mir nicht der

tes. Carma ist das Weltgeschehen. Im

richtige Name für ein Haus zu sein. Die

Carma ist alles enthalten und ausge­

Leute, die ich kenne, nennen ihr Haus

glichen, was seit Urzeiten im Universum 136 Beer 1903, S. 31. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.

137 Altmann-Loos 1968, S. 38. 138 Altmann-Loos 1968, S. 77–79. 139 Vergleiche dazu Gubler 1985, S. 214–229.

83

84

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

‚Villa Rosa‘ oder ‚Mein Traum‘. ‚Wo ist Dr.

Aufstockung entstandene und von außen

Beer?‘ frage ich. ‚Wohnt er in seinem

betrachtete zweite Etage als ein „Symbol der

Haus?‘ ‚Er ist tot‘, sagt Loos, ‚er hat sich

Introversion“.143 Jene Idee der Introversion

erschossen.‘“140

erläutert auch Bournoud, wenn er den Weg ins Hausinnere beschreibt:

Durch die wörtliche Rede wird dem Leser eine Unmittelbarkeit suggeriert, die jedoch

„Abgesehen von der bronzenen Türe un-

vielmehr im Hinblick auf den ironischen

ter einem Portikus, ist diese Fassade her-

Effekt dieser Zeilen motiviert scheint, als in

metisch geschlossen. Man stellt sich un-

Hinblick auf die historische Authentizität.

willkürlich vor, wie wenig der Besitzer

Daher bleibt es weiterhin zu bezweifeln, dass

ungelegene Gäste oder Neugierige schätzt.

die Villa Karma ihren Namen bekam, weil

Hat man die schwere Tür durchschritten,

Theodor Beer ein Anhänger dieser Lehre

läßt sich sogleich die Haltung des Archi-

gewesen sei.

tekten überprüfen. Vergeblich würde man

Behalova schließt daraus, dass Loos sich

nach der großen Halle, der großen Ehren-

bei den Umbauten bewusst war, ein Haus

treppe oder der Flucht von Salons Aus-

mit „symbolischem Namen“ zu gestalten und

schau halten. Es gibt sie nicht. Die Villa

er sich über die Definition dieses „Namens“

Karma ist für einen geistigen Menschen,

im Klaren gewesen ist.

Behalova sieht in

einen diesem neuen Adel Zugehörigen

der Villa Karma den Wunsch des Hausherrn,

entworfen und nicht für einen Aristokra-

ein Symbol des „philosophischen Begriffs“

ten aus vergangenen Zeiten. Das Vestibül

Karma zu erhalten, durch Loos verwirk-

und die vernünftig eingerichteten Neben-

licht.

141

Des Weiteren interpretiert Behalova

räume sind klein dimensioniert, um an

die verschiedenen Räumlichkeiten im Sinne

Stelle von repräsentativem Schein mehr

eines Entwicklungsweges. Während die Stra-

Platz einzulösen, welcher den Wohnge-

ßenfassade von ihr als „leere“ Schauseite und

mächern zugute kommt. Diese sind sehr

als „unbeschriebenes Blatt“ gelesen wird,

vorteilhaft ineinander gefügt und in Ni-

erscheint der „Hauskern“ für sie als „Gebor-

veau wie Höhe harmonisch aufeinander

genheit inmitten des eigenen Wesens“, um

bezogen. Zurückhaltend, aber großflächig

als nächsten Schritt die Führung vom „dunk-

mit schönem Material verkleidet, weben

len Hauskern“ zur Veranda im Sinne eines

sie je nach ihrem Zweck eine charakteris-

„Weg[es] durch Dunkelheit zum Licht und

tische, fein gestimmte Atmosphäre. Adolf

zur Freiheit“ zu definieren. Die „Introversi-

Loos verstand es mit künstlerischem Emp-

on in Isolierung vor der Außenwelt“ wird

finden, verschiedene Qualitäten des Lichts

von ihr als zweites Muster des Hauses

wunschgemäß zu erzeugen und auszutei-

benannt, und zuletzt bezeichnet sie die durch

len. Er nutzte dazu verschiedene Mittel:

142

bald beleuchtet er von oben, bald seitlich 140 Altmann-Loos 1968, S. 38. 141 Behalova 1974, S. 149. 142 Behalova 1974, S. 150.

143 Behalova 1974, S. 151.

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

von der Außenwand her, oder indem er

leuchten mögen, stellt sich trotzdem die Fra-

einen Raum von dieser weiter weg ins

ge, inwiefern sie den von Beer gewählten

Hausinnere rückt, und auch indem er das

Namen Villa Karma erläutern sollen. Karma

Tageslicht durch leicht gefärbtes geschlif-

bedeutet auf Sanskrit schlicht Tat oder Werk.

fenes Glas filtert.“144

Karma steht im Buddhismus und Hinduismus in Verbindung zur Lehre der Wiederge-

Demnach ist Bournoud der Ansicht, dass

burt. Das vergangene Handeln bestimmt das

eine undurchdringlich erscheinende Fassade

Schicksal des jetzigen Daseins, so wie das

einem ‚Adel des Geistes‘ Schutz und Platz

aktuelle Handeln die zukünftige Wiederge-

bietet. Der Physiologe Beer formt sich hin-

burt und das damit verbundene Dasein

ein oder wird vielmehr von Loos mit seiner

gestaltet. Das „unbeschriebene Blatt“ ließe

wissenschaftlichen Geistesarbeit und Sicht

sich demnach als Beginn und Position der

auf die Welt in das Haus eingebettet. So sehr

Unschuld definieren. Wie aber sind solche

diese Metaphern vielleicht im Einzelnen ein-

Werte an der Fassade, die gerade doch Formen der antiken Architektursprache auf-

144

Die Übersetzung Bournouds ist nach Ludwig Münz und Gustav Künstler zitiert. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit. (Münz und Künstler 1964, S. 62–64) Übersetzt nach Bournoud 1944, S. 47: “Passons du côté de la route où s’ouvre la grande porte d’entrée ; de lá nous sommes immédiatement fixés sur la destination de l’édifice. La porte pleine, revêtue de bronze, abritée par un portique, mise à part, la façade est hermétiquement fermée. L’on devine que le propriétaire n’aime pas les visiteurs inopportuns, ni les curieux. Le pas de la lourde porte franchi, le génie créateur de Loos se révèle de suite à l’examen. Vous chercheriez vainement dans le plan le ‚Grand Hall’, le ‚Grand Escalier d’Honneur’ et l’enfilade des salons. Non ! la Karma a été conçue pour un homme d’élite, cette noblesse nouvelle, et non pour une aristocratie des temps passés. Le vestibule et les dégagements, aménagés rationnellement, sont de dimensions réduites, ceci pour dégager de la surface plus utile dans les locaux habitables. Les pièces sont très adroitement imbriquées les unes dans les autres avec des niveaux et des hauteurs harmonieusement composés. Ces différentes pièces, revêtues sobrement de beaux matériaux disposés en larges surfaces, ont chacune, selon leur destinations, une ambiance caractéristíque et bien déterminée. Adolphe Loos, en artiste, a su distribuer et créer des qualítés différentes de lumière, suivant son choix. Il s’est servi de moyens différents : tantôt éclairant par le haut, tantôt par la façade, ou en retirant la pièce en arrière de la façade, ou encore, en faisant passer la lumière au travers de gros cabochons de verre légèrement coloré.“

greift, abzulesen? Dies ist zumindest hier nicht möglich. Unschlüssig ist auch die Heranziehung der Introversion für die Erklärung der Villa als Symbol für das ‚Karma‘. Wie kann eine Wendung nach innen oder eine Abgeschlossenheit nach außen sinnbildlich für ‚Karma‘ fungieren? Um auf die zuvor zitierte Stelle aus Beers Buch zu Ernst Machs Arbeit zurückzukehren, scheint es zusätzlich fragwürdig, dass Beer sich ein Gleichnis der Karma-Lehre gestalten lassen wollte. So erscheint Beer der Glaube an ein Schicksal bestimmendes Karma als Illusion. Als Schlüssel kann man nur das unrettbare Ich nach Ernst Mach heranziehen. Jenes umschreibt Theodor Beer mit seinen eigenen Worten, wie folgt: „Auch von dem ‚Ich‘ bleibt nichts übrig, wenn wir es auftrennen, wenn wir alle Empfindungsbestandteile, alle Merkmale entfernen; auch das ‚Ich‘, ein eigenes oder ein fremdes, ist nichts anderes als ein Empfindungskomplex, der für viele Lebensbedürf-

85

86

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

nisse sehr zweckmäßig, in letzter Linie aber

oder Erscheinung und Ding fällt dann weg

nur irrigerweise – infolge der zeitlichen

[…] und es handelt sich lediglich um den

Kontinuität und der fast unmerklich lang-

Zusammenhang der verschiedenen Kom-

samen Aenderung – für absolut beständig

plex-Elemente.“146

gehalten wird, während doch auch ihm nur ein relativer Bestand zukommt. Leben ist

Diese Weltanschauung angewandt auf ein

fortwährendes Streben.“145

Gebäude und Zuhause erklärt, dass die stereotypen Räume wie Atrium, Halle, ­

Jene Definition des Lebens als ewige Beweg-

Bibliothek, Rauchzimmer, Herrensalon, ­

lichkeit könnte an die Lehre vom Karma erin-

Musikzimmer etc. nicht nur in ihrem herr-

nern; jedoch muss die Namensgebung Beers

schaftlichen und gesellschaftlich gefestigten

vielmehr als die ironische Brechung einer

Charakter zu verstehen sind, sondern viel-

religiösen Philosophie in ein physiologisches

mehr als Leitbilder des Flickwerks ‚Ich‘ fun-

Konzept gelesen werden. So stellt die Villa

gieren. Sowohl die Außen- als auch die

Karma eher ein gewachsenes und tradiertes

Innenräume der Villa Karma vermitteln

Gerüst von gesellschaftlichen Bildern zur

unterschiedlich konnotierte soziale Rahmen

Verfügung, um ein sich in „Empfindungs-Ele-

– wie bereits zuvor durch die Abstufung von

menten“ auflösendes Ich zu verfestigen. Auch

Repräsentation und Intimität erläutert wur-

wenn Loos, wie Oechslin betonte, das Mas-

de – und legen eine fassende Klammer um

kenkleid des Historismus abgestreift habe,

das ‚Ich‘. Wie weit jene Rahmung oder

verfolgt er weiterhin das Konzept einer

Maskierung des sich stetig auflösenden und

gesellschaftlichen Maskerade als Schutz-

ändernden ‚Ichs‘ getrieben wird, zeigt das

schicht mithilfe seiner Architektur und Ein-

Badezimmer (Abb. 17). Ein Ort höchster

richtung. Wie sehr das ‚Ich‘ in seiner Auflö-

Intimität wird nicht nur mit schwarz-weiß

sung im Denken Beers und vermutlich damit

geädertem Marmor und Mahagonipaneelen

auch Loos’ präsent gewesen sein muss, zeigt

umkleidet, sondern die klaren Formen von

folgendes Zitat Beers:

Tonnengewölbe, dorischer Säule, angedeutetem verkröpften Gebälk, wie die zwischen

„Sobald wir erkannt haben, dass die ver-

den Säulen situierte Treppe – die zu zwei

meintlichen Einheiten ‚Körper‘, ‚Ich‘ nur

gegenüber liegenden, marmornen Badewan-

Notbehelfe zur vorläufigen, temporären

nen führt – und das zwischen den Mahago-

Orientierung und für bestimmte prakti-

nipaneelen in einer Exedra positionierte

sche Zwecke sind […] müssen wir sie bei

Waschbecken benutzen ein Formenvokabu-

vielen weiterreichenden, wissenschaftli-

lar, das vielmehr an ein repräsentatives Trep-

chen Untersuchungen als unzureichend

penhaus erinnert oder überspitzt betrachtet

und unzutreffend aufgeben. Der Gegen-

einen sakralen Charakter vermittelt. Auch

satz zwischen Ich und Welt, Empfindung

wenn das Badezimmer nicht direkt Adolf

145 Beer 1903, S. 33.

146 Beer 1903, S. 35.

3.1. Villa Karma und Palais Stoclet

Loos zugeschrieben werden kann, wird an

wertig als Faktoren der Wahrnehmung den

dieser Stelle deutlich, wie feinfühlig sich

physikalischen Naturgesetzen einer Farbe

zumindest Hugo Ehrlich mit seiner Arbeit

anbei. Auch wenn Beer die Stimmung nicht

in die von Loos angelegten Strukturen der

näher erläutert, zählt er sie offensichtlich zu

Villa Karma einfügte.

einem der wichtigen Aspekte des Wahrneh-

Aufschlussreich ist des Weiteren, in wel-

mungsapparates des Menschen, da er sie

cher Art und Weise Theodor Beer den Begriff

auch als Erstes in jener Aufzählung benennt.

der Stimmung in seiner Publikation zu Mach

Des Weiteren hält Beer fest, dass nicht nur

anwendet:

die Wahrnehmung von Farben an „Empfindungen“ geknüpft ist, sondern ergänzt die

„Der früher hoffnungslos unüberbrück-

„Farben-, Ton- und Geruchsempfindungen“

bare Abgrund zwischen physikalischer

durch das „Raum- und Zeitempfinden“.148

und psychologischer Forschung besteht

Es wurde schon erwähnt, dass die Villa

nur für die althergebrachte, stereotype

Karma deutlich sowohl verschiedene Licht-

Betrachtungsweise und spezialistisch

situationen in Bezug zur Raumentwicklung

enge Fragestellung. […] Eine Farbe ist

bietet als auch beschleunigende und retar-

ein physikalisches Objekt, so lange wir

dierende Raummomente aufweist. Daraus

auf ihre Abhängigkeit von der Licht­

lässt sich schließen, dass Loos insbesondere

quelle – anderen Farben, Wärmen, Me-

neben der Strategie, eine stabilisierende Mas-

dien, Räumen – achten, sie wird ein

ke für das unrettbare Ich zu erbauen, für

­psycho-physiologisches Objekt, sobald

Theodor Beer eine Villa entwarf, die anhand

wir auf ihre Abhängigkeit von der Netz-

ihrer Physiologie und Physiognomie von

haut – Stimmung, Durchblutung, Seh-

Licht, Raum und Zeit eine Vielzahl von Stim-

zentren, Hirn – achten; nicht der Stoff,

mungen evoziert oder den Bewohner oder

sondern nur die Untersuchungsrichtung

Besucher in seinen ‚Empfindungsreihen‘ auf-

ist in beiden Gebieten verschieden. Un-

fängt. Benedetto Gravagnuolo geht so weit

tersucht man den Zusammenhang eines

zu behaupten, dass „Loos reinterprets the

Elementes im Empfindungsfeld mit an-

psychological and physical needs of the per-

deren Elementen, so kommt man aus der

son who has to live in the house, translating

Physik in die Physiologie oder Psycho-

them into his own language, merging them

logie, wenn eines der Elemente die Haut

into the architecture. And today we can

­passiert.“147

reread those needs on the walls of the house and in their forms.”149 Die Villa Karma ver-

Erstaunlich ist die Zusammenführung der

folgt nach all dem eine Strategie der Verfes-

Stimmung mit den physischen Gegebenhei-

tigung des unrettbaren Ichs. Beer war der

ten von Sehsinn und Verarbeitung des Gese-

Ansicht, die Wissenschaft habe seine Annah-

henen durch das Gehirn. Sie stellt er gleich-

me des „Zusammenhang[s] von Komplex-­

147 Beer 1903, S. 37. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.

148 Beer 1903, S. 52f. 149 Gravagnuolo 1982, S. 107.

87

88

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Elementen“ „einfach anzuerkennen“150 und

Lichtquellen in Leisten unterhalb der Decke,

formuliert damit das unrettbare Ich zum

der Kamin mit seinem Aufsatz aus drei

schicksalhaften Karma aller und Loos baute

Rundbögen, die auf zwei Säulchen lasten,

ihm die architektonische Klammer seiner

und schließlich die holzverkleidete Kasset-

Weltanschauung.

tendecke lassen auch noch für den heutigen

Deutlich wird für Adolf Loos’ Villa Kar-

Betrachter das Bild eines Gelehrten bzw.

ma eine Position der Aporie. Das diffizile

‚Mann von Welt‘ als Bewohner dieser Räu-

Zusammenspiel von Privatheit und Öffent-

me entstehen. Das Esszimmer (Abb. 19) hin-

lichkeit, das Verschränken von intimem

gegen zeichnet sich über seine glatten Mar-

Inneren und landschaftlichem Äußeren

morflächen und die genietete und metallisch

sowie die Verkettung einer evolutionisti-

glänzende Decke als Raum des Präsentie-

schen Kulturtheorie mit dem Verständnis

rens aus. Sowohl die tiefen Marmorlaibun-

vom ‚impressionistischen Ich‘, das Gefahr

gen der Wände als auch die einzelnen

läuft, sich in Einzelsituationen zu verlieren,

geschliffenen Glasflächen der Glastüren fin-

führen letztendlich auch zur ambivalenten

den sich an Geschäftseinrichtungen Loos’

Stimmung der Villa Karma. Dies zeigt sich

wieder. Jenes Prinzip wird überdeutlich,

an den beschriebenen, unterschiedlichen

wenn man die formal identische Lösung der

Wegeführungen durch die Räume der Villa

Fassade

und deren jeweilige Ausgestaltung. Mal ist

­Sigmund Steiner II von 1906 bis 1907 mit

es die Lichtführung, die bestimmte Bewe-

dem Kamin der Wohnung Arthur und Leo-

gungsabläufe im Raum fördert oder gerade

nie Friedmann aus den gleichen Jahren ver-

verhindert. Ein andermal sind es Wandstruk-

gleicht. Der Kamin befindet sich bezeich-

turen, die Offen- oder Abgeschlossenheit

nenderweise in einem öffentlichen Bereich

vermitteln. Weiterhin verleihen ausgewähl-

der Wohnung, präziser gesagt im Saal, der

te Materialien den Räumlichkeiten entwe-

zwischen Speise- und Musikzimmer gelegen

der einen Charakter der Zurückgezogenheit

ist.151 Eine kühlere und folglich öffentliche-

oder des Repräsentierens. Das Arbeitszim-

re Raumwirkung wird im Speisezimmer der

mer mit seiner Biblio­thek (Abb. 15) und dem

Villa Karma dem Betretenden offensichtlich

Herrenzimmer (Abb. 18) zeichnet sich durch

konsequent evoziert. Selbst die Namensge-

eine völlige Auskleidung mit dunklen Höl-

bung der Villa Karma demonstriert eine

zern und verschiedenen Marmorarten aus.

gewisse Ratlosigkeit. Letzten Endes verdeut-

Zusätzlich sind die Böden teilweise mit

licht sich in diesem Nebeneinander von

­orientalischen Teppichen belegt, die die

Ungleichem gerade das Unbehagen gegen-

Räume strukturieren und sicherlich die

über der eigenen Zeit. Denn genauso wie

Geräuschentwicklung von Schritten in den

Loos meint, von den Bauelementen der

des

Schmuckfederngeschäfts

Räumen dämpfen. Mit Büchern gefüllte Regale, ein massiver Schreib­­tisch, dezente

150 Beer 1903, S. 35.

151

Nähere Angaben zum Schmuckfederngeschäft Sigmund Steiner II und zur Wohnung von Arthur und Leonie Friedmann finden sich im Werkverzeichnis bei Rukschcio und Schachel 1982, S. 441–446.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

Römer auf ihre Empfindungswelt schließen zu können, fasst er es sicherlich als seine Aufgabe auf, jenes Oszillieren zwischen

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma: Zwei bürgerliche Ersatzwelten der Wiener Moderne

Gegensätzen – wie zuvor am Topos Wien um 1900 erläutert – zumindest in der Villa

Im Folgenden wendet sich die Arbeit dem

Karma architektonisch zu fassen oder

Palais Stoclet (Abb. 2) von Josef Hoffmann

zumindest auf dieses Phänomen der Zeit zu

in Brüssel zu. Es soll jedoch immer wieder

reagieren. Hier deutet sich bereits an, war-

mit Verweisen zur Villa Karma und Exkursen

um auch der Stimmungsbegriff als solcher

zum Theoriewerk Adolf Loos’ aufgezeigt wer-

im Wien um 1900 in seiner vielfältigen Ver-

den, dass sowohl Hoffmann als auch Loos die

wendung eine Ambivalenz aufweist. So for-

gleichen Entwicklungen ihrer Zeit aufgriffen;

dert Adolf Loos, dass der Architekt Stim-

jene jedoch unter verschiedenen Prämissen

mungen im Menschen zu „erwecken“ und

und Intentionen in ihr Werk aufnahmen.

„festzuhalten“ habe mittels seiner Architek-

In Bezug auf das Palais Stoclet sind vor

turen (1910), während er zuvor in seinem

allem drei Aspekte relevant. Sie sind darauf

satirischen Märchen Der Sattlermeister

hin ausgewählt, dass sie eine gewisse Ver-

(1903) fiktive, secessionistische Entwürfe

gleichbarkeit zur Arbeit von Adolf Loos auf-

für Sättel als funktionslos ­diffamiert mittels

zeigen und beide Werke deutlich in das

der Aussage: „Denn es steckte Stimmung in

Geschehen der Wiener Moderne einordnen,

ihnen“.152 Zugleich verunglimpfte sein Über-

auch wenn beide Gebäude de facto nicht in

zeugungs-Weggefährte Karl Kraus bereits

Wien stehen. Als erstes soll sich dem Formen­

1897 die Vertreter des literarischen Jung

einfluss durch das Biedermeier gewidmet

Wien bissig als „Stimmungsmenschen“ in

werden. Danach sind die Bezüge auf die eng-

seiner Satire Die demolirte Literatur.153

lische „Arts and Crafts“-Bewegung zu nen-

Ein permanentes Ausloten von Gegensät-

nen und zuletzt wird der Begriff des Gesamt-

zen zeichnet ebenso das öffentliche Verhält-

kunstwerks in einer auf die zwei Gebäude

nis zwischen Adolf Loos und Josef Hoffmann

eingeschränkten und dadurch spezifischen

aus. Daher erscheint es nur logisch, sich im

Bedeutung ausschnitthaft beleuchtet.

nächsten Schritt dem Palais Stoclet als Referenzstück zur Villa Karma zu widmen.

Villa oder Schloss – Bautypus und Skulpturenprogramm Das Palais Stoclet erweckt bereits beim ­ersten Betrachten die Impression, dass es jene zeitgemäßen Mittel – deren Erprobung sich die Secession zur Aufgabe stellte154 – 154

152 Vergleiche dazu diese Arbeit auf S. 118–123. 153 Kraus 2004 (1897), S. 647.

Man denke nur an die berühmte Inschrift des Secessionsgebäude in Wien: „Der Zeit ihre Kunst – Der Kunst ihre Freiheit“.

89

90

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 22: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Straßenansicht mit Exedren, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren

Gebäude überhaupt, die einem in den Sinn kommen.“155

repräsentieren möchte. Auch wenn man

Aber was macht diesen neuartigen oder indi-

nicht davon sprechen kann, dass das Palais

viduell ästhetischen Ausdruck des Äußeren

Stoclet nicht auf überlieferte Architekturfor-

des Palais Stoclet aus? Zunächst einmal weckt

men zurückgreifen würde, bietet sich dem

der Name Palais Stoclet assoziativ die Nähe

Betrachter bereits im Falle der Straßenfas-

zu einem Palastbau; zumindest wäre jener als

sade ein ungewöhnliches Bild eines Bau-

ein klassischer urbaner Bau-Typus zu bezeich-

werks. Sekler fasst jenen Vorgang des erst-

nen. Der italienische Renaissancepalazzo wird

maligen Wahrnehmens wie folgt zusammen:

von Wilfried Koch unter anderem dadurch typisiert, dass er ein „geschlossener, breit gela-

„Der erste Eindruck, den das Palais Stoclet

gerter, kubischer, meist 3-geschossiger Bau-

auf viele Besucher macht, kann vielleicht

körper von klar gegliederter Monumentalität“

am besten so beschrieben werden, daß es

ist.156 Diese Definition könnte zumindest auch

nicht nur anders aussieht als alle Nachbargebäude, sondern auch anders als alle

155 Sekler ²1986, S. 76. 156 Koch 2006, S. 308.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

Abb. 23: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Eingangssituation, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren

„imponierenden Wirkung berechnete Raum-

als Beschreibung auf den Längskörper des

Skulptur den Eingangspavillon bewacht, ver-

Palais Stoclet zutreffen, der sich entlang der

stärkt jene distanzierte Haltung. Immerhin

Avenue de Tervueren erstreckt. Exedren –

wird eine klare Weglenkung des Besuchers

sowohl an der Straßenfassade als auch an der

evident: Interessanterweise nähert sich der

Ostfassade – und ein Turm ergänzen den hori-

Fußgänger dem Gebäude in seiner Mittel­

zontal lagernden Baukörper und wecken

achse. Konnte er sich bisher entlang der

­Verknüpfungen zu Kirchenbauten (Abb. 22).

­Straße laufend ein Bild von der gesamten

folge“157 ein räumliches Wegrücken des Palais von der Straße.158 Die Pallas Athene, die als

Während die mit einer Pfeilerhalle überbaute Raumdisposition, die ähnlich einer Brücke eine Verbindung des Eingangs mit der Grundstücksgrenze beziehungsweise der Umgebung herstellt, an das Formenrepertoire einer V ­ illa suburbana erinnert (Abb. 23). Zumindest verdeutlicht diese von Sekler als in ihrer

157 Sekler ²1986, S. 88f. 158 Sekler betont ebenfalls für Josef Hoffmann, dass er sich in der „Grundhaltung des Baues“ – Sekler führt dies am Beispiel des Sanatoriums Purkersdorf aus – am Klassizismus orientiere. Für Adolf Loos sieht er vielmehr eine Situation des „wörtlichen Zitierens“ von „klassischen Formen“ gegeben. (Sekler ²1986, S. 72.)

91

92

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

gestreckten Nordfassade verschaffen, tritt er,

Assoziation zur fortifikatorischen Burgenar-

sobald er in den Eingangskorridor einbiegt,

chitektur hergestellt.160 Friedrich Kurrent

in eine zwar durchfensterte und zum Teil

spielt im Zusammenhang mit der zumindest

auch durch Öffnungen durchbrochene Raum-

überlieferten grenzenlosen Finanzierungssi-

kette, jedoch ist die Sogwirkung hin zum

tuation für das Palais Stoclet auch auf das

Eingang klar definiert. Dies geschieht durch

Bild eines „Märchenschlosses“ an. Demnach

die mehrfache Niveauerhöhung, die durch

wird nicht nur für das reale Bauwerk eine

zwei Treppen geleistet wird.

Verwandtschaft zum Schloss hergestellt, son-

Die separierten, jedoch formensprachlich

dern auch die Auftragssituation und das

von ihrem äußeren Erscheinungsbild klar

Leben des Ehepaares Stoclet – als „Prinz und

zum Haupthaus zugeordneten Wirtschafts­

Prinzessin“ – werden idealisierend märchen-

trakte (Abb. 2) – wie zum Beispiel Garage,

haft gezeichnet. Die Assoziation des Palais

Küche und verschiedene Kellerräume –, erin-

mit einer Burg kann aber auch auf eine zeit-

nern ebenfalls an den auch durch seine Funk-

genössische Rezension in der Zeitschrift

tion geprägten Baukörper einer Villa subur-

Hohe Warte zurückgeführt werden. Hier wur-

bana. Ferner teilt das Palais Stoclet noch

de das Bild eines Modells vom Palais Stoclet

weitere Eigenschaften mit diesem Typus.

mit dem Untertitel Modell für ein belgisches

Jener zeichnet sich vor allem durch sein Ver-

Schloß versehen. Des Weiteren heißt es zum

hältnis von „Stadt-Land-Gefüge“ aus und

Schluss des Artikels:

liegt eigentlich außerhalb der Stadttore, kann jedoch an der Stadtgrenze angesiedelt wer-

„Daß Herr Stoclet in Brüssel ein stattli-

Villa suburbana ist vor allem

ches Schloß vom Professor Hoffmann bau-

Privat­eigentum eines Städters oder Bürgers

en und einrichten läßt, ist ein solcher Fall.

und kann „in Ausnahmefällen“ einen „rei-

Das Modell des Schlosses mit Gartenan-

nen Wohncharakter“ aufweisen.

den. Die

Auch

lage ist in unseren Bildern zu sehen. In

wenn das Palais Stoclet ein dauerhafter

den dortigen Herrensitzen, ja selbst in den

Wohnsitz war und nicht nur der Villeggia-

Meierhöfen und Dörfern, ist aus der Nor-

tura, also dem temporären Aufenthalt in der

mannenzeit her der kastellartige Baucha-

Villa als Ausgleich vom Stadtleben, diente,

rakter als lokale Tradition entwickelt. Es

kann man seine Konzeption und Dispositi-

ist geradezu bewundernswert, wie der

on auch im Sinne eines Ortes für das Otium

Baukünstler sein Werk auf nationaler

– genauso wie die Villa suburbana – lesen.

Grundlage aufgebaut und in eine Form

Deutlich wird bereits an dieser Stelle, dass

gebracht hat, die sich in die Heimat des

das Palais Stoclet eine motivische Verschrän-

Brüsseler Bauherrn organisch einfügt.“161

159

kung von vielen Bau-Typen aufweist und damit eine definitorische Verunsicherung beim Betrachter auslöst. So wird auch die

159

Bödefeld und Hinz 1991, S. 13.

160 Baroni und D’Auria 1984, S. 66. Vergleiche dazu Kurrent 1991, S. 13. 161 Ohne Autor 1905/1906, S. 70.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

Abb. 24: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Gartenseite mit Drahtpflanzengestellen, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren

Ergänzt werden die Verkettung von unterschiedlichen Raumvolumina und die bewusst gestaltete Ausdifferenzierung einer Vielzahl

Bestechenderweise spricht der Autor nicht

von Einzelansichten des Palais durch ein

davon, dass ein genuin Wienerisches

abwechslungsreiches Skulpturenprogramm.162

­Bauwerk nach Brüssel versetzt wurde, wie bis heute immer wieder plausibel erklärt wird. Bedenkt man nun noch, dass Josef Hoffmann explizit neben Cornelius Gurlitt, Alfred Lichtwark, Koloman Moser, Hermann Muthesius, Otto Wagner und Paul SchultzeNaumburg als Mitwirkender der Zeitschrift Hohe Warte auf deren Titelblättern aufgeführt ist, zeigt sich, dass die zeitgenössische Sicht klar den fortifikatorischen Charakter des Palais Stoclet hervorhob und zudem eine nationale Anpassung an den Baugrund in Brüssel betonte.

162

Während der Turm auf der Nordseite dominant in Erscheinung tritt (Abb. 2), rückt er im Falle der Garten- beziehungsweise Südfassade in den Hintergrund (Abb. 24). Von Sekler wird zumindest in der frontalen Ansicht der Gartenfassade eine Betonung der symmetrischen Wirkung abgelesen (Sekler ²1986, S. 303.). Diese entsteht jedoch nur so klar durch die Bepflanzung des Gartens, da durch einige höhere, vermutlich mit Efeu bewachsene Gerüste die Unregelmäßigkeiten der Seiten, wie zum Beispiel die Fensterverteilung, verdeckt werden. Ein Akzent auf den symmetrisch gegliederten Mittelrisalit wird demnach durch die Ergänzung des Gebäudes mit dem Gartenmobiliar hergestellt. Ähnlich wird die eigentlich nicht vollständig durchdeklinierte Symmetrie der Südfassade noch durch die Terrassenbalustrade – die die Seitenfluchten

93

94

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 25: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Fassaden­ detail mit dem Relief von Emilie Schleiss-Simandl, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren

Die über dem Eingang positionierte Pallas Athene von Michael Powolny

Abb. 26: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Fassaden­ detail mit Ganesha-Skulptur, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren

lichen Stolzes“ und zieht eine Nähe zu Fried-

wurde

rich Nietzsches und Richard Wagners Philo-

bereits erwähnt (Abb. 23). Des Weiteren wird

sophien.165 Hinzu kommt eine Skulptur von

der Turm von vier männlichen Genien

Emilie Schleiss-Simandl, die sich im unteren

umstellt, die von Franz Metzner geschaffen

Bereich des Stiegenhausfensters des Turm-

wurden und über deren Köpfen sich eine

trakts befindet (Abb. 25).166 Jene Reliefgrup-

kupferne Kuppel mit vegetabilen Elementen

pe, die sich in ein quadratisches Feld einfügt,

erstreckt, die die Assoziation mit einem Blu-

beschreibt Sekler als ein „Paneel“, in dem

menstrauß wecken.164 Sekler vermutet in

„zwei weibliche Gestalten in opfernder

jenen Genien „Verkörperungen des mensch-

­Haltung einen Blumenkorb tragen“.167 Als

163

letzte Skulptur, zumindest derjenigen, die in der Erker weiterführt und zu einer Treppe in den Garten überleitet – und dem sich vor dem Mittelrisalit erstreckenden Wasserbecken – welches sich wiederum über die Breite der beiden Erker erstreckt – aufgegriffen. 163 Sekler ²1986, S. 85. 164 Baroni und D’Auria 1984, S. 69.

direkter Verbindung zur Außenfassade stehen, ist noch eine Plastik Ganeshas zu nen165 Sekler 1970, S. 36. 166 Sekler ²1986, S. 86. 167 Sekler ²1986, S. 89.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

nen (Abb. 26). Jener elefantenköpfige Gott

weiter anzunähern, widmet sich das folgen-

des Hinduismus befindet sich in einer Nische

de Kapitel dem Wiener Biedermeier im Sin-

an der Ostfassade, die in den Parapeteckpfei-

ne eines genius loci für Josef Hoffmann.

ler einer Seitentreppe eingearbeitet ist. Ein steinsichtiges Gerüst dient als Auflagefläche für die Figur.

Das Biedermeier – Der genius loci im Werk Josef Hoffmanns

Nun stellt sich jedoch die Frage, ob sich hinter dieser Auswahl von Skulpturen tat-

„Möglich wäre die Anknüpfung nur dort,

sächlich ein Programm verbirgt. Bisher lie-

wo bei uns das Selbstschöpferische aufge-

fert die Literatur dafür keine überzeugenden

hört hat.“170

Konzepte, wie man es bei einem Gesamtkunstwerk jener Stringenz vermuten würde.

Dieses Zitat Josef Hoffmanns bezieht sich

Sekler fasst einige formanalytische Verwandt-

erwiesenermaßen auf das Biedermeier. Das

schaftslinien, ikonografische Implikationen

Biedermeier ist nicht als einheitlicher Epo-

und Vermutungen in seiner umfangreichen

chen- oder etwa Stilbegriff zu verstehen.

Monografie zu Josef Hoffmann zusammen.

Bereits der Ausstellungskatalog Biedermeier

Jedoch kann auch er kein einheitliches Bild

in Wien. 1815–1848. Sein und Schein einer

eines Figurenprogramms zeichnen.168 Es

Bürgeridylle betont diesen Umstand und

scheint vielmehr so, dass es sich bewusst um

spricht von einer „biedermeierlichen Lebens-

ein eklektisches Konglomerat von Bildwer-

haltung“, die sich im „Alltag“ sowohl des

ken handelt, die keinen gemeinsamen Nen-

Bürgertums als auch des Adels abzeichnete.

ner aufweisen. Im Sinne einer modernen

Des Weiteren wird der emotionale Zugang

Individualkultur bedient sich der Einzelne

der späteren Generationen zum Biedermeier

an verschiedenen theologischen und heidni-

deklariert und über jenes Verständnis vom

schen Weltentwürfen und formt sie zu deko-

Biedermeier als einem Idealbild von der

rativen Neuaussagen um. Wie zuvor schon

„guten alten Zeit“ zeige sich die Nostalgie

erwähnt, handelt es sich um eine „Gefühls-

eines rückwärtsgerichteten Geschichtsver-

kultur“169, die auch im Falle des Palais Stoclet

ständnisses.171 Berta Zuckerkandl, die Jour-

den angemessenen Rahmen für eine trans-

nalistin und Tochter von Moritz Szeps – dem

national und -religiös angelegte Kunstsamm-

Verleger des Neuen Wiener Tagblattes –,

lung sowie der dazu passenden und zu

übermittelt als Zeitzeugin diesen oben zitier-

­vermutenden eklektizistischen und aufge-

ten Ausspruch Hoffmanns und seine nicht

schlossenen Weltanschauung stellt. Diese

ausgesprochenen Implikationen sehr glaub-

Weltanschauung zeichnet sich gerade durch

würdig. Sie überliefert vor allem den Kern

ästhetische Brüche aus. Um sich der mit die-

seiner Aussage. Hoffmann plädierte nämlich

sem Gebäude verknüpften Weltanschauung 170 168 Sekler ²1986, S. 89. 169 Schorske ²1985, S. 18 und diese Arbeit auf S. 50–56.

171

Josef Hoffmann zitiert nach Zuckerkandl 1904, S. 6. Vergleiche dazu Witzmann 1990, S. 23. Siehe auch Geismeier 1979, S. 14.

95

96

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

nicht etwa für das Kopieren eines Wiener

liche Arbeit hat den fabrikmäßigen Be-

Biedermeierstils, sondern für das direkte

trieben Platz machen müssen und hatte

Anknüpfen an ihn oder „Nachempfinden“

keine Lust, für diese Arbeit zu riskieren

und „Fortgestalten im Sinn des 20. Jahrhun-

oder sich umzustellen. Wir waren verzwei-

derts“.172 Diese Vorgehensweise Josef Hoff-

felt, und unsere Stimmung kam bei unse-

manns wurde von Daniele Baroni und Anto-

ren mittäglichen Zusammenkünften stän-

nio D’Auria als „Praxis der variatio“ definiert.

dig zum Ausbruch. Wir wußten, daß es

Für diese Art Hoffmanns, sich in eine Tradi-

unbedingt nötig war, eigene Werkstätten

tion bei Betonung der Unterschiede einzu-

zu gründen, in denen mit gutgeweckten

reihen, nennen die Autoren das Sanatorium

und willigen Kräften langsam Arbeitspro-

Purkersdorf (Abb. 3) als Beleg und im Fol-

zesse und -stile geschaffen werden soll-

genden soll Ähnliches auch für das Palais

ten. In unserem Kreis war seit einiger Zeit

Stoclet erläutert werden.

Des Weiteren

Fritz Wärndorfer aufgetaucht. Er hatte

erwähnt Josef Hoffmann in seiner veröffent-

längere Zeit in London zugebracht und

lichten Autobiografie die zentrale Vorbildrol-

dort die Morrisbewegung miterlebt.

le des Biedermeiers für die Gründung der

Scherzweise fragte er uns, welche Mittel

Wiener Werkstätte. So definiert er die „Bie-

wir für den Beginn einer solchen Werk-

dermeierzeit“ von seinem Standpunkt aus

stättenidee als notwendig erachteten. Mo-

als „letzte echte Kunstäußerung“.

173

Bemer-

ser meinte, daß wohl sechshundert Kro-

kenswert in diesem Zusammenhang ist der

nen zum Beginn ausreichen könnten.

betont emotionale Charakter der Schilderun-

Wärndorfer sagte lachend, daß er diesen

gen Hoffmanns:

Betrag sofort aus seiner Geldtasche zur

174

Verfügung stellen wolle. Wir waren über„Die bewegte Zeit der Gründung der Wie-

rascht, aber sofort bereit zu beginnen. Wir

ner Secession, welche auf ihre Fahne den

suchten umgehend auf der Wieden eine

Spruch ‚Der Zeit ihre Kunst‘ geschrieben

kleine Wohnung, dies war damals keine

hatte und die sich gerne mit allen Prob-

Schwierigkeit, denn in jedem Haus hin-

lemen des sprudelnden Lebens befassen

gen am Tor Wohnungsanzeigen, und be-

wollte, hatte bei Moser und mir den

zogen sofort die zur Verfügung stehenden

Drang nach Neugestaltung aller Dinge

Räume. Es mußte auch dafür gesorgt wer-

des täglichen Lebens mächtig angeregt.

den, einige Tische, Kästen und Stühle an-

Der Versuch, unsere Ideen von den be-

zuschaffen. Da wir noch am selben Tag

stehenden Formen verwirklichen zu las-

mit unseren Vorbereitungen beginnen

sen, mußte am Mangel an mitfühlenden

wollten, mußten wir, da es sich nur um

Arbeitskräften scheitern. Die handwerk-

formgerechte, wenn auch Stücke aus der Biedermeierzeit, die uns als letzte echte

172 Zuckerkandl 1904, S. 8. Vergleiche dazu Sekler ²1986, S. 110. 173 Baroni und D’Auria 1984, S. 83. 174 Hoffmann 1972, S. 110f.

Kunstäußerung vorschwebte, handeln konnte, solche suchen und ­erwerben. Dies war in einer Stunde geschehen, und wir

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

saßen gegen Abend in unserem frischbe-

diger Instinkt, reine Empfindung standen

zogenen Studio und überlegten, was zu-

gegen Geschäftsgeist und museale Dokt-

erst anzufangen wäre.“175

rinen. Hatte die liberale Zeit das Biedermeier verachtet, so erkannte die Sezessi-

Es ließe sich vermuten, dass Hoffmann hier

on das Bodenständige seiner Kunst an.“176

aufgrund seiner Erinnerungsleistung in einen subjektiven, erzählenden Ton verfällt. Viel-

Bezeichnend erscheint der Umstand, dass

mehr handelt es sich wohl aber um ein rhe-

der Begriff des Biedermeiers erst um circa

torisches Mittel. Einem Spannungsbogen

1900 entstand.177 Der Katalog zur Biedermei-

gleich baut Hoffmann eine ausweglose Situ-

erausstellung der Albertina von 2006, an dem

ation auf, die sich dann all zu heiter und

unter anderem auch der Kunsthistoriker und

problemlos auflöst. Unter dem Mantel des

ehemalige Leiter der Möbelsammlung am

von Affekten geleiteten Unternehmens zeich-

MAK – Österreichisches Museum für ange-

net Hoffmann jedoch klar das Biedermeier

wandte Kunst in Wien Christian Witt-Döring

und die Werkstätten William Morris’ als Vor-

beteiligt war, umreißt die Begriffsgenese des

bilder der Wiener Werkstätte. Jener Mantel

Biedermeiers näher. Hier wird als Quelle der

aus emotionalen Begleitumständen ist jedoch

Namensgebung die karikaturhaft gezeichnete

deutlich in diesem Fall als Movens für die

und erdachte Figur des Weiland Gottlieb

künstlerischen Bemühungen der Secessio-

Biedermaier genannt, die im Münchner

nisten und im Speziellen von Josef Hoffmann

Wochenmagazin Fliegende Blätter von 1855

auszumachen. Hoffmann zeichnet rhetorisch

bis 1857 für Erheiterung beim Leser sorgte.

fein das Bild des Secessionisten als einen

In den 1890er-Jahren wurde gerade jene

von seinen Gefühlen geleiteten, leidenschaft-

Figur dazu verwandt, einen negativen Blick

lichen Künstler. Wie stringent jene Rhetorik

auf das Biedermeier zu werfen.178 Man wur-

funktioniert, zeigt eine Publikation von 1942,

de sich demnach erst mit den Anfangsjahren

die jenes Bild unkritisch weiter trägt:

des Wiener Jugendstils des Biedermeiers als einer Epoche bewusst. Im Biedermeier ver-

„Eines Tages brachen die jungen Künstler

ankerte Hoffmann den Schlusspunkt vorin-

aus und gründeten eine neue Vereinigung,

dustrieller Produktion und sah in ihm einen

die Sezession (sic!). In ihrer Zeitschrift

Ausdruck der „Bedürfnisse des Bürgers“.179

‚Ver Sacrum‘ – Heiliger Frühling – legten

Die Begriffe Zweck, Nutzen und Material­

sie ihren Glauben nieder. Der Unaufrich-

treue sah man in den Erzeugnissen des

tigkeit der Fassadenkunst war damit der

­Biedermeiers noch erfüllt und wollte sie nun

Krieg erklärt, die dreifache Echtheit auf

zu den neuen Leitmomenten der eigenen Zeit

das grüne Papier geschrieben: Echtheit des Zweckes, des Materials, der Zeit. Wahrheit, Innerlichkeit, gesunder leben175 Hoffmann 1972, S. 110f. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.

176 Leitich 1942, S. 210. 177 Witt-Dörring 1987, S. 31. 178 Vergleiche dazu Winters 2006, S. 34, Stein 2006, S. 78f. und Busch 2006, S. 84–93. 179 Witt-Dörring 1987, S. 31f.

97

98

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

erheben. Man empfand sie als reinen Aus-

EIN

NUTZBARES

HAUSGERÄT

druck des Bürgertums bzw. dessen Weltan-

SCHUF, WÄHREND HEUTE NUR

schauungen und Lebensweisen oder Lebens­

SEHR WENIGE DINGE AUCH NUR

praxen. Nach Joseph August Lux – dem

DEN GERINGSTEN ANSPRUCH DA-

Zeitgenossen Hoffmanns – hatte das Bieder-

RAUF HABEN, ALS KUNSTWERKE

meier zu einer „Einheit der Lebensäußerun-

ANGESEHEN ZU WERDEN.“183

gen“ geführt und sei im Sinne eines „Erziehers“ wieder aufzugreifen.180 Laurie Winters

Es scheint an dieser Stelle bemerkenswert,

resümiert, dass Lux dem Biedermeier einen

dass Lux einen Artikel zum nationalen Bie-

„endemischen“ Charakter zuschrieb, der nun

dermeier184 als Moment der Erziehung mit

für das Kunstgewerbe seiner Zeit als „Erzie-

einem Zitat von William Morris enden lässt.

her“ fungieren sollte, um einen ähnlich in

Die bürgerliche Wurzel, an die man im Sinne

allen gesellschaftlichen Klassen akzeptierten

einer Denktradition des eigenen kulturellen

Kanon – wie er ihn im Falle des Biedermei-

Feldes anknüpfen wollte, wurde auf das Epo-

ers erfüllt sah – zu erreichen.

Wie sehr Lux

chenideal des Biedermeiers projiziert. Ein

jenen erzieherischen Charakter des Bieder-

Beleg für diese Sichtweise auf das Biedermei-

meiers national und emotional agnoszierend

er ist ein Artikel von Berta Zuckerkandl von

verstand, zeigt folgende Stelle aus seinem

1905. Sie schreibt über die Kunstgewerbe-

Artikel in der Zeitschrift Hohe Warte:

schule, in der Koloman Moser und Josef Hoff-

181

mann als Lehrer tätig waren. Deren Ziel war „Denn immer ist der Mensch das Maß der

es ihrer Auffassung nach, einen Rückblick

Dinge. Auch die Motive aus alter Kultur

auf die Ideale des Biedermeiers zu ermögli-

wecken in unserem modernen Gefühl ein

chen. Interessant ist an ihrer Formulierung,

Echo. DIE MÖBELFORMEN betreffend,

dass es nicht spezifische Formen des Bieder-

kann Biedermeier als Erzieher volle Gel-

meiers sind, auf die verwiesen werde, sondern

tung beanspruchen und zeigen, daß wir

dessen Ideale. Daraus lässt sich schließen,

es nicht nötig haben, beim Ausland An-

dass die Gedankenwelt und das Konzept des

leihen zu machen.“182

Biedermeiers angestrebt wurden. Der Kern einer Epoche – oder vielmehr was man als

Der Artikel wird abgeschlossen durch ein

dessen Kernaussage im Nachhinein verstand

Zitat von William Morris:

– wurde nun aufgegriffen und nicht etwa ­primär nur dessen äußeres Erscheinungs-

„ICH MÖCHTE SIE DARAN ERIN-

bild.185 Die Möbel des Biedermeiers, deren

NERN, DASS EINST JEDERMANN, DER EIN DING MACHTE, ES ALS EIN KUNSTWERK UND ZUGLEICH ALS 180 Lux 1905, S. 1 und Lux 1904/1905.1, S. 145–155. 181 Winters 2006, S. 34. 182 Lux 1904/1905.1, S. 148.

183 Lux 1904/1905.1, S. 155. 184 Zum Verständnis des Biedermeiers als genuin „Wiener Stil“ vergleiche Geismeier 1979, S. 17f. Geismeier verweist in diesem Zusammenhang auch auf Lux und dessen Artikel Innen-Kunst von Prof. Joseph Hoffmann – Wien. 185 Zuckerkandl 1908, S. 26–33.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

Anerkennung vor allem auf ihrem funktio-

Mosers, Josef Hoffmanns und dem Wirken

nellen Charakter beruhte, wurden zum Vor-

beider in ihren Klassen in der Kunstgewer-

gänger des modernen Interieurs erklärt.186

beschule von einer „Einheit des Stils“, der

Diese Vorgehensweise erinnert jedoch auf frap-

sich direkt „aus dem Leben für das Leben“

pante Art und Weise an die Loos’sche Annah-

entwickelte.191

me, dass auf Basis der römischen Architekturen

Josef Hoffmann lässt sich aufgrund der

auf die Empfindungswelt und Seelenkonstitu-

Zugehörigkeit seiner Schaffensjahre von cir-

ierung der Römer zu schließen sei.187

ca 1900 bis 1910 zum konstruktiven Jugend-

Das Wiener Biedermeier war für Hoff-

stil zuordnen. Der konstruktive Jugendstil

mann der „genius loci“188, wobei er aber die

nimmt im Wien der Jahrhundertwende eine

mit ihm verbundene „Einfachheit, Zweck-

besondere Position ein. Neben dem kurvigen,

dienlichkeit, die klare Linie und das Postulat

vegetabilen formt sich der konstruktive

der Wohnlichkeit“

um die zeitgemäßen

Jugendstil eher geometrisch geordnet aus.

Erfordernisse und den damaligen Entwick-

Eine Betonung der Symmetrie und der Pro-

lungsstand erweitern musste. Es konnte nicht

portionen rückt in den Mittelpunkt und eine

als Ziel erklärt werden, einen weiteren Stil

Akzentsetzung auf den stereometrisch erre-

der bisherigen Nachahmungstradition ein-

chenbaren Körper ist zu beobachten.192

zureihen. Man wollte sich gerade von der als

Manchmal wird diese mathematisch orien-

Surrogat deklassierten Methode des Histo-

tierte Formfindung auf einen organischen

rismus abwenden. Es mutet fast ironisch an,

Ursprung zurückgeführt, indem man beim

wenn man bedenkt, dass der Begriff des Stils

Entwurf von der auf das Wachstum von Pflan-

vor allem im 19. Jahrhundert durch die Ent-

zen beruhenden kristallinen Form oder von

wicklung der Archäologie geprägt wurde. Als

der Rhythmik des Organischen ausgeht.193

dann bereits um 1800 das strenge Stilmono-

Dass man jene Entwicklungen aber teilweise

pol des Klassizismus aufgeweicht wurde und

auch aufgrund der Orientierung am Bieder-

die Gotik ebenfalls Anerkennung erlangte,

meier erklären kann, soll im Folgenden auf-

könnte man den Historismus als Folge der

gezeigt werden. Wobei der Rückgriff auf das

Initiation des Stilbegriffs verstehen. Demzu-

Biedermeier immer im Kontext einer nostal-

folge versuchte der Jugendstil mithilfe eines

gischen Rückbesinnung auf einen genius loci

Vokabulars, das eng verbunden war mit der

zu verstehen ist. Der Wunsch an die Form-

Denkwelt des Historismus, sich von dessen

prinzipien einer Epoche, die man vor allem

Ursprung abzuwenden.190 Joseph August Lux

als mit dem eigenen Lebensort verwurzelt

sprach 1905 etwa beim Schaffen Koloman

versteht, anzuknüpfen ist demnach als Grund-

189

lage der hier behandelten Architektur Josef 186 Lux 1905, S. 3f. Vergleiche dazu Parenzan 1990, S. 32 und Geismeier 1979, S. 284–286. 187 Vergleiche dazu diese Arbeit auf S. 66–68. 188 Lux 1905, S. 4. 189 Barten 1983, S. 18. 190 Vergleiche zur Entwicklung des Stilbegriffs Roth 2001, S. 21.

191 Lux 1905, S. 16. 192 Sperlich 1959, S. 39. 193 Curjel 1971, S. 141f. Vergleiche dazu die Analysen Regine Pranges in Bezug auf die „Symbolfunktion des Kristalls“ bei Gottfried Semper, Alois Riegl und Wilhelm Worringer. (Prange 1991, S. 21–32.)

99

100

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 27: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Grundriss und Übersichtsplan, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

Hoffmanns zu verstehen. Architektur wird

– bestehen, für das Palais Stoclet maßgebend

auf diese Art und Weise zum kulturellen

ist, zeigt das bereits schon erwähnte Raum-

Anknüpfungspunkt an eine lokale Identitäts-

gefüge aus Eingangspavillon und Pfeilerlog-

konstruktion.

gia (Abb. 27). Sekler umschreibt jenen ­Prozess des Eintretens oder sich an das Haus­

Die Biedermeierkultur als Quelle eines Wiener ‚Lebensgefühls‘ – Raum-, Blick- und Bewegungsregie des Palais Stoclet und der Villa Karma

innere Herantastens wie folgt: „Man betritt das Haus nach Durchschreiten des Eingangspavillons und Empor­ steigen in der verglasten Pfeilerloggia

Friedrich Kurrent spricht beim Palais Stoclet

durch eine zweiflügelige, schwarze Ein-

von einer „Ausgewogenheit und Maß­

gangstür mit Goldrahmung und kleinen

stäblichkeit“ und betont in diesem Zusam-

Oval­fenstern; die Türflügel sind verhält-

menhang das „Quadratraster“.194 Des Weiteren

nismäßig schmal und hoch. Sobald man

definiert er den Baukörper des Palais als ein

sie hinter sich hat, kommt man durch eine

„lockeres Gefüge von Raumgruppen, die in

weiße, aber völlig fensterlose schmale

sich geschlossene Figuren bilden und mit

Zone zu einer zweiten Doppeltür – eine

Achs- und Symmetriebezügen zueinander in

Anordnung, die den Eindruck erweckt,

Beziehung stehen“.

Eduard F. Sekler

man sei durch eine sehr dicke Mauer hin-

benennt ein Quadrat von den Maßen 12 x

durchgeschritten, ehe man das Vestibül

12 m als das bestimmende Gestaltungsmoment

betreten konnte, den ersten bedeutenden

auf dem das „Proportionsschema des Grund-

Raum der Anlage.“197

195

risses“ beruht. Jenes Grundmodul umformt die Abmessungen der Halle und wiederholt

Im Grundriss und Querschnitt jenen Weg

sich mehrfach in den Maßen des Grundrisses.

gedanklich durchlaufend, ergibt sich eine Fol-

Ferner benennt er das Quadrat auch als

ge von in unterschiedlichen Graden geschlos-

„Gestaltungselement“ für die Grund- und Auf-

senen und durchbrochenen quadratischen

rissdispositionen sowie für die F ­ enster und

Räumen. Sekler trifft präzise in seiner

verschiedene Ausformungen der ­Flächen.

Beschreibung den Eindruck des Überwin-

196

Wie sehr jenes Prinzip der Raumgruppen,

dens einer massiven Mauer. Diese ausge-

die aus einzelnen Räumen – die entweder

dehnt gestaltete Eingangspassage vermittelt

einen quadratischen Grundriss aufweisen,

ein Einschreiten in eine geschützte und inti-

durch eine Aneinanderreihung von Quadra-

me Welt. Eine zwar mit anderen Mitteln

ten zu einem rechteckigen Grundriss vergrö-

erreichte, aber in ihrer Wirkung ähnlich ver-

ßert oder durch Unterteilungen in einen

handelte Zurückgezogenheit ist auch für die

rechteckigen Grundriss verkleinert werden

Villa Karma zu konstatieren. So ist die Villa Karma nach dem Prinzip Haus im Haus

194 Kurrent 1991, S. 9. 195 Kurrent 1991, S. 16. 196 Sekler ²1986, S. 78.

197 Sekler ²1986, S. 306.

101

102

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 28: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Halle, 1905– 1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren

„Beschreibung des Interieurs des 19. Jahrhunderts als das traumartige Einspinnen des Bürgers in das Etui oder die Hohlform“.198

erweitert und umgebaut worden. Jene schon

An dieser Stelle geht es jedoch vielmehr um

besprochene Ummantelung des Hauses

das Motiv der Passage als „Schwellenarchi-

durch Loos lässt nach außen einen wehrhaf-

tektur“ bei Benjamin. Ähnlich den Pariser

ten Charakter bei einer gleichzeitig nach

Passagen fungieren die Eintrittssituationen

innen erhöhten Privatheit entstehen. In

der Villa Karma aber auch die des Palais

Bezug auf die Eingangssituation der Villa

Stoclet vor allem als transitorische Räume.

Karma lässt sich vergleichend sagen, dass

Mithilfe des Durchquerens der Eingangssi-

ebenso ein vielfach gestaffeltes Eintreten und

tuationen schreitet man einer anderen Welt

eine mehrfache Abstufung von Öffentlichkeit

entgegen. Man gelangt wortwörtlich in den

und Privatheit inszeniert werden.

Kern der beiden Häuser.199 In beiden Bau-

Bereits der Soziologe und Kulturwissen-

werken lenkt das Eingangszeremoniell über

schaftler Manfred Russo zieht 2008 für Loos’

Eck in jeweils eine Halle, die sich jedoch

Werk eine Parallele zum Passagenwerk von

völlig unterschiedlich ausformen. Während

Walter Benjamin. Russo parallelisiert Loos’ „Vorstellung von Bekleidung“ mit Benjamins

198 Russo 2008, S. 27. 199 Vergleiche dazu Ekardt 2005, S. 455–457.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

sich bei der Villa Karma die Halle überwie-

„Anstelle der bisherigen großen Haushalts-

gend als ein Erschließungsraum mit einer

familie trat die Kleinfamilie, in der eine be-

angefügten Kaminsitznische zum Verweilen

sondere Innerlichkeit zum Ausdruck kam.

anbietet (Abb. 14), ist die Halle des Palais

Freizeit und Muße betrieb der Bürger auch

Stoclet als Herz und Rückgrat des Gebäudes

innerhalb seines familiären Kreises, der

zu definieren, durch das man sich nicht nur

durch enge Freunde erweitert werden konn-

primär die weiteren Räume erschließt, son-

te. Man traf sich abends zum Gespräch,

dern vielmehr sich immer wieder sammelt

zum gemeinsamen Musizieren und Spiel.“201

und sozial vernetzt (Abb. 28). Bewusst ist in den Baukörpern beider

Während Loos jene „Innerlichkeit“ stark

Gebäude eine Abgeschlossenheit nach außen

betont, indem er für Beer als Hausherrn eige-

geworden, kombiniert mit einer inszenierten

ne Pfade in der Grundrissplanung berück-

Abstufung von repräsentativen und private-

sichtigt – man denke an die Bibliothek mit

ren Nuancen. Dies ergibt sich gerade durch

beigefügtem Herrenzimmer und seine geson-

die Orientierung Hoffmanns als auch Loos’

derten Zugänge zur Veranda bei gleichzeiti-

am Biedermeier oder zumindest an dem Ver-

gem Fehlen eines Zuganges vom repräsen-

ständnis, das sie sich vom Biedermeier ange-

tativen Rauchsalon zur Bibliothek (Abb. 10)

eignet haben. Christopher Long entwickelt

–, entscheidet sich Hoffmann vielmehr dafür,

in seinem Artikel Adolf Loos and the Bie-

die Grade der Intimität über die verschiede-

dermeier ausführlich, wie Adolf Loos auf der

nen Etagen oder Gebäudetrakte zu arrangie-

Basis von Biedermeiermöbeln sein evolutio-

ren. So konzentriert sich das tägliche und

nistisches Gestaltungskonzept weiterentwi-

weniger intime Leben im Palais Stoclet mit

ckelte und in die Praxis umsetzte.

Ein

Musikzimmer202 und Esszimmer (Abb. 7) auf

sensualistisch wahrnehmbares und dadurch

das Erdgeschoss, während sich im ersten

nachempfindbares Verhältnis von Privatheit

Stock ausschließlich Schlafzimmer, Bäder

und Repräsentation beziehungsweise von

(Abb. 29) und Ankleidezimmer befinden. Das

sozialen Praxen und Wertevorstellungen von

verbindende Element stellt die Halle dar, die

Wohnen schreibt sich deutlich in die archi-

sich über die Höhe beider Etagen erstreckt

tektonischen Strukturen ein und wird somit

und somit erst als ausgefeilter Knoten- und

200

zum Stimmungsgeber dieser Räumlichkeiten. Zum einen bauten beide Architekten für ein bürgerliches Klientel, das sich in seiner Lebens- und Wohnform als Kleinfamilie im Biedermeier erst ausgebildet hatte:

200

Vergleiche dazu Long 2010, S. 132–139. Zum Begriff des Evolutionismus bei Adolf Loos sind auch die Erörterungen Fedor Roths heranzuziehen. (Roth 1995, S. 75–108.)

201 Witzmann 1990, S. 28. 202 Adolf Loos positioniert diesem Prinzip nicht folgend das Musikzimmer im ersten Stock der Villa Karma (Abb. 16). Er ermöglicht jedoch über eine Treppe im nord-westlichen Turm einen öffentlichen Zugang über die westliche Veranda in das Musikzimmer. Während zu vermuten ist, dass der Zugang über die Treppe aus der Halle vielmehr der Familie Beer vorbehalten war. (Rukschcio und Schachel 1982, S. 428.) Ralf Bock spricht daher wohl auch beim Musiksaal und seiner Positionierung im Hauskörper vom „Ende der ‚öffentlichen‘ Wegführung“. (Bock 2009, S. 13.)

103

104

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 29: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Badezimmer, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren

Kommunikationspunkt des Palais Stoclet

erscheinen in diesem Zusammenhang die Äußerungen Christian Witt-Dörrings in Bezug auf die Rolle des Adels bei der Entwicklung des Innenraums des Biedermeiers:

­dienen kann. Zum anderen sind jene aufgezählten

„Die Möbel und Innenräume der Bieder-

Raumtypen – Speise-, Musik-, Empfangs-,

meierzeit mögen unseren Vorstellungen

Schlaf- und Gesellschaftszimmer oder Salon

bürgerlicher Werte zwar entsprechen, ihre

und Bibliothek – eine Ausdifferenzierung von

Formen und Aufteilung entspringen je-

Räumen nach Funktionen, wie sie der Klas-

doch dem Wertewandel der höfisch-aris-

sizismus forciert hatte und die im Biedermei-

tokratischen Welt, die ab dem Ende des

er im Rahmen von bürgerlichen Wohnungen

18. Jahrhunderts auch bei uns die ur-

aufgrund von Platzmangel mithilfe von

sprüngliche Einheit öffentlicher und pri-

Möbeln zu „Wohninseln“ reduziert weiter-

vater Sphäre aufgegeben hatte und zwei

tradiert wurden.203 Besonders aufschlussreich

unterschiedliche von einander getrennte Lebensweisen entwickelte. Sie resultier-

203 Parenzan 1990, S. 31f. und Geismeier 1979, S. 284f.

ten aus einem gleichzeitigen formalen

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

­Nebeneinander des öffentlich repräsenta-

hat – vermuten, dass sich hier vielmehr ein

tiven und dekorierten Empire und dem

aristokratischer Anspruch übertragen auf die

privaten, einfach-praktischen und unde-

bürgerliche Sphäre Bahn bricht. Hier lässt

korierten Biedermeier. […] Allein Ludwig

sich nicht direkt von „Wohninseln“ sprechen,

Hevesi, der positivistisch-humanistische

sondern vielmehr von raumgreifenden Funk-

Chronist des Wiener Kunstfrühlings, an-

tionen, die wiederum aneinandergereiht gan-

erkennt die kulturtragende Rolle der Aris-

ze ‚Sphären‘ oder ‚Wohnketten‘ bilden, die

tokratie für die Kongresszeit in seiner als

erstens einen äußerst herrschaftlichen Raum

nationalistisches Denkmal angelegten ers-

umreißen und zweitens im übertragenen Sin-

ten Geschichte der österreichischen Kunst

ne Herrschaft symbolisieren; auch wenn es

im 19. Jahrhundert, nimmt aber dann doch

sich um eine Form der ‚Herrschaft‘ handelt,

die bürgerliche Wurzel biedermeierlicher

die sich über einen „Stil der Vernunft oder

Kultur auf.“

vernunftbedingter Konvention“206 formuliert.

204

Jene Einteilung in von Vernunft, das heißt Im Falle der Villa Karma könnte man zum

Konvention bestimmte Räume lässt sich

Teil von solchen „Wohninseln“ sprechen. Da

auch auf die Gestaltung des Gartens des

zum Beispiel der Schreibtisch Beers raum-

Palais Stoclet übertragen. Neben dem zent-

greifend in einer Raumecke der Bibliothek

ralen Bassin, das von Pergolen und verschie-

steht, formt er in einem Radius um sich her-

denen Pflanzengerüsten umstellt einen Gar-

um den Charakter eines Arbeitszimmers aus,

ten im Garten um die Terrasse – die tief in

das sich zwar in der Bibliothek befindet

den Körper des Palais einschneidet – ausbil-

jedoch nicht mit ihr gleichzusetzen ist

det, gibt es Rasenflächen und einzelne Gar-

(Abb.  15). Das Entsprechende gilt für die

tenräume, die seinen Benutzern Abwechs-

Sitz- respektive Lesenische im südlichen

lung und Möglichkeit zum Verweilen und

Erker der Bibliothek, der auch als Ausblick

Schlendern bieten (Abb. 24). Hinzu kommt

auf den Genfer See dient (Abb. 10). Bemer-

noch ein Ensemble aus Tennisplatz und Gar-

kenswert ist in diesem Zusammenhang, dass

tenhaus. Auch wenn sich der Gebäudekern

Hans Ottomeyer jene Strategie des Bieder-

mit Halle, Esszimmer, Herrenzimmer und

meiers die Möbel als „Wohninseln“ fungieren

den dazu gehörenden Erkern in einer Art

zu lassen auf eine englische Provenienz

mit Kies bestreuten Hauptallee verlängernd

bezieht und dies in Zusammenhang mit

weiter erstreckt, kann man dennoch nicht

einem „neuen Lebensgefühl“ der „Beschei-

direkt von einer barocken Gartenanlage

denheit“ und „Verinnerlichung“, das heißt

sprechen. Dies ist allein schon durch die

eines „Kult[es] der Schlichtheit oder Einfach-

Größenverhältnisse nicht möglich. Auch

heit“ setzt.205 Beim Palais Stoclet könnte man

wenn Andreas Platthaus der Meinung ist,

– bedenkt man, dass Josef Hoffmann die Ver-

dass das Palais Stoclet an ein „untergegan-

öffentlichungen Hevesis sicherlich gelesen

genes höfisches Ideal anknüpfe“ und dies in

204 Witt-Dörring 2006.3, S. 62f. 205 Ottomeyer 2006, S. 50–54.

206 Ottomeyer 2006, S. 44f.

105

106

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

ses (Abb. 30) erblicken. Sekler spricht daher auch von einer Weiterführung der Gebäudeachsen im „streng formal durchgebildeten Garten“, vom Garten als „integrierende[m] Bestandteil des Gesamtentwurfes“ und von „sorgfältig mit Pflanzenmaterial gerahmten Aussichten auf das Haus“.209 Insgesamt sind alle einzelnen Strukturen, sowohl die großen des Grundrisses und Querschnittes, als eben auch die der architektonischen Details am Palais Stoclet auf eine „geometrische Natur“ – um an dieser Stelle Hendrik Petrus Berlages Worte aufzugreifen – zurückzuführen.210 Dies gilt ebenso für die Pergolen, die aus einem strengen Gerüst aus Pfeilern und einem darauf ruhenden Quadratraster bestehen, wie für die Abb. 30: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Blick aus der Pergola, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren

­Profile, die das gesamte Gebäude und seine einzelnen Körper umlaufen und zu Fassadenflächen begrenzen (Abb. 24 und 25). Jene Profile bestehen aus einzelnen Zellen, die

Zusammenhang mit seinem „kompromiss-

wiederum durch Rahmungen wiederholt und

losen Stilwillen“ und der von ihm erklärten

aneinander geknüpft werden. Ähnlich einer

Bewunderung Hoffmanns für das Barock

Gliederkette legen sich die Schmuckbänder

erklärt,

ist vielmehr ein Anknüpfen an die

um die Kanten der äußeren Gebäudeflächen.

biedermeierliche Kultur des Adels als an die

Laurie A. Stein spricht davon, dass die

207

des Adels im Barock festzuhalten.

Hoff-

„komplexe gegenseitige Durchdringung von

mann umschreibt mittels der Pergolen klar

Idealvorstellungen über die Beziehungen

strukturierte Übergangsräume mit Aussicht

zwischen persönlichem Raum, ästhetischer

auf Details des Palais selbst oder mit Ansich-

Entwicklung und kultureller Repräsentati-

ten auf Ausschnitte von weiteren gestalteten

on“211 signifikant für das Biedermeier seien.

Idyllen. So kann man zum Beispiel von der

Des Weiteren konstatiert Stein, dass die „Kul-

westlichen Pergola – einem gerahmten Bild

tur der Häuslichkeit“ im Biedermeier den

208

gleich – einen Teil des Tennisplatzes und des mit zwei Skulpturen umstellten Gartenhau-

207 Platthaus 2011, S. 29. 208 Geismeier 1979, S. 76. Willi Geismeier bezeichnet Wien weiterhin als eines der „Zentren der biedermeierlichen Gartengestaltung“.

209 Sekler ²1986, S. 85 und S. 88. 210 Berlage 1991, S. 24. Berlage erklärt die „geometrische Natur“ von „architektonischen Formen“ als eine von drei „Punkten“ zur „Vorbedingung“ für die Entwicklung eines neuen architektonischen Stils. 211 Stein 2006, S. 72.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

„Wohnraum“ als einen „Ort [bezeichnete;

eine Reduzierung auf geometrische Grund-

LT], der – im räumlichen, ästhetischen, for-

formen, das klare Bedenken von Funktionen

malen und funktionalen Sinne – mit dem

für die Konstruktion von Möbeln oder die

Komfort, der Sicherheit und Ungezwungen-

Hebung der Originalität von Materialien und

heit“ verknüpft wurde.212 Jenes Bild wird von

Handwerk sind; all diese Merkmale des Bie-

Loos und Hoffmann auf die Einrichtung der

dermeiers werden von Loos und Hoffmann

Villa Karma und des Palais Stoclet im wei-

differenziert aufgegriffen.215 Dieses Weiter­

testen Sinne übertragen. Stein sieht im Bie-

tradieren und Weiterentwickeln der bieder-

dermeier eine deutliche Trennung der reprä-

meierlichen ästhetischen Ideale liegt vor

sentativen von den privaten Räumlichkeiten

allem darin begründet, dass das Biedermeier

der Familie durch die Einrichtung und den

eine Strategie der Charakterisierung des

Grundriss gegeben – wie auch schon sowohl

Menschen über seine Funktion als Bewoh-

für die Villa Karma und das Palais Stoclet

ner formulierte. Der eigene Ort – das Zuhau-

weiter oben fallweise eruiert wurde – und

se – wurde zum lesbaren Indizienkonglome-

beobachtet, dass die Möbel im Biedermeier

rat für die Konstituierung einer Identität.216

nicht mehr an den Wänden angeordnet wur-

Peter Parenzan sieht eine ähnliche Koexis-

den. Ebenso nennt Stein die Konzeption der

tenz von Bewohner und Einrichtung im

„Wohninseln“ und die umfangreiche Wahl

­Biedermeier gegeben:

aus einem mannigfachen Pool an Sitzmöbeln.213 Auch wenn nicht nur Loos, sondern

„Das gepflegte Hauswesen, die Gestaltung

auch Hoffmann stark mit Einbaumöbeln

desselben, war die Lebensform, die es er-

arbeiteten, haben ihre Einrichtungen die Aus-

möglichen sollte, mittels der bürgerlichen

wahl von verschiedenen Sitzmöglichkeiten,

Tugenden wie Sparsamkeit, Fleiß und

die spezifisch auf die Funktion des Raumes

Ordnungsliebe auf den Menschen mora-

variiert sind, gemeinsam. „Die Markenzei-

lisch so positiv zu wirken, daß er genug

chen der Biedermeierkultur“ seien laut Stein

Kräfte entwickelte, um dem Lebenskampf

„die Betonung der Individualität, der Funk-

gegenüber gerüstet zu sein.“217

tionalität, der Häuslichkeit und der familiären Ungezwungenheit“.214 Wenn sich auch

Genau jenes Konzept nutzten sowohl Loos

bei Loos und Hoffmann unterschiedliche

als auch Hoffmann, um mithilfe ihrer

Gewichtungen dieser Topoi beobachten las-

­Bauwerke ihren Auftraggebern ein einerseits

sen konnten, ist dennoch abzuleiten, dass

inszeniertes öffentliches Charakterbild zu

sich sowohl die Einrichtungen der Villa

zeichnen, ihnen auf der anderen Seite aber

­Karma als auch des Palais Stoclet deutlich

auch Rückzugsorte hinter solchen schützen-

an jenen Axiomen abarbeiteten. Ob es nun

den Maskeraden, das heißt wohlgesetzten

die Hervorhebung der Konturen und Linien,

Images, die den Menschen selbst zu einer

212 Stein 2006, S. 73. 213 Stein 2006, S. 74. 214 Stein 2006, S. 77.

215 Stein 2006, S. 79. 216 Stein 2006, S. 78. 217 Parenzan 1990, S. 31.

107

108

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Marke stilisieren, zu schaffen. Des Weiteren

Sachlichkeit“. Ein intimer Freundeskreis

schreibt Hans Ottomeyer zur Biedermeier-

kann auch auf eine Gruppe von befreunde-

kultur:

ten Künstlern oder Wissenschaftlern beziehungsweise auf kleinere Gruppen von Inte-

„Die Zeit der großen pompösen und ge-

ressengemeinschaften erweitert werden.

schlossenen Garnituren ist vorbei, denn

Bescheidenheit vermittelt das Palais Stoclet

kleine Gruppen oder Inseln oder Inseln

mit Sicherheit nicht, und auch die Villa Kar-

von zueinander passenden Möbeln kom-

ma ist in ihrer grundlegenden Anlage als

men dem neuen Lebensgefühl ungleich

Solitär, ihrer Materialität sowie ihrer Lage

näher. Statt in großen hierarchisch geglie-

am Genfer See nicht mit dem Attribut der

derten Gesellschaften trifft man sich nun

Bescheidenheit zu verbinden, jedoch zeigt

im kleinen, intimen Freundeskreis von

sich in der Aufgabe der beiden Gebäude als

Gleichgesinnten. Was als Stil der Not und

Rückzugsmöglichkeit vor der Schnelligkeit

auferlegter Bescheidenheit begann und

des Alltags eine damit verbundene Abkehr

sich retrospektiv an den letzten Positio-

von einer Zurschaustellung von Status. Hin-

nen des ausgehenden 18. Jahrhunderts ori-

ter dem Terminus „nüchterne Sachlichkeit“

entierte, das wurde durch einen Prozess

ist letztlich vielmehr eine Betonung des

der Verinnerlichung und zunehmenden

Bequemen und Nützlichen zu vermuten. Der

Identifizierung mit den äußeren Umstän-

von Hoffmann mitentwickelte ‚Stil‘, den man

den zu einer bewusst vorgetragenen und

in Bezug zum Biedermeier setzt, ist der soge-

ausformulierten These der gesuchten Be-

nannte „Brettlstil“. Der „Brettlstil“ zeichnet

scheidenheit und nüchternen Sachlich-

sich durch „eine Tendenz zur Vereinfa-

keit, Ideale, die auch als ästhetische und

chung“ aus und lässt sich als „nüchternen,

moralische Tugenden begriffen wurden.“218

kargen Möbelstil“ definieren.219 Vielleicht verweisen Baroni und D’Auria mit der

Auch wenn zunächst eine Parallelisierung

Bezeichnung „Brettlstil“ auf den Umstand,

dieses im Nachhinein beschriebenen bieder-

dass das Brett im Biedermeiermöbel als

meierlichen „Lebensgefühls“ auf die Kon-

Grundmodul zu verstehen ist.220 Jene Vor-

zeption der Villa Karma und noch vielmehr

gehensweise untermauert zum Beispiel Otto-

auf das Palais Stoclet Verwunderung auslöst,

meyer mit einem Zitat von Adalbert Stifter:

kann an diesem Punkt subsumierend festgestellt werden, dass diese Zusammenführung

„Im Gegensatz dazu [zum Empire; LT]

von Idealen auf beide Einrichtungen Loos’

sind die so genannten Biedermeiermöbel

und Hoffmanns Einfluss nahm. Wichtig ist

aus dem vorgegebenen Material, nämlich

in diesem Zusammenhang die Auslegung

dem flachen Brett, heraus entwickelt. Das

der Worte „intimer Freundeskreis“, „Beschei-

Rechteck gibt die Grundform ab: ‚die Ge-

denheit“, „Verinnerlichung“ und „nüchterne

räte sind ja die Verwandten der Baukunst,

218 Ottomeyer 2006, S. 50f. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.

219 Baroni und D’Auria 1984, S. 23. 220 Siehe auch Geismeier 1979, S. 286.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

etwa ihre Enkel oder Urenkel, und sind

zwischen den älteren Häusern des Platzes

aus ihr hervorgegangen. […] Unsere Zim-

zu Prämissen des Historischen ein. Es

mer sind wie hohle Würfel oder wie Kis-

replizierte den Platz, die Häuser, die Stadt

ten, und in solchen stehen die geradlini-

und das klassische Schema, jedoch in neu-

gen und geradflächigen Geräte gut‘.“221

er Form. Modern sind Ernst, Ethos und Strenge, mit denen das Loos-Haus auf die

Jene Beschreibung Adalbert Stifters könnte

ältere Architektur antwortet.“225

man, trotz besseren Wissens seiner Lebensdaten (1805–1868), auch auf die Erzeugnis-

Im Falle der Villa Karma und auch der Schrif-

se der ersten Jahre der Wiener Werkstätte

ten Adolf Loos’ lassen sich jedoch immer

übertragen.

Daniele Baroni und Antonio

wieder Anleihen finden, die eine stärkere

D’Auria sehen im „Brettlstil“ aber auch einen

Verwurzelung im Denken des Historismus

222

Der Begriff des Stils ohne

für Loos vermuten lassen. Es ist bei Loos

Stil erscheint in leicht abgeänderter Weise

gerade die Orientierung am Biedermeier und

bei einer Publikation zu Adolf Loos. Anders

der damit verbundene Blick in ein bereits

Munch betitelt sein Buch Der stillose Stil.

Vergangenes, die zumindest eine ähnliche

Adolf Loos. Darin formuliert er die These,

Orientierungsstrategie darstellen, wie es der

dass die „Moderne im Sinne einer Epoche

Historismus mit seiner Suche nach dem ‚Stil‘

und eines Stils als stillosen Stil“ zu verste-

zuerst entwickelt hatte. Auch Loos’ evolutio­

hen sei und dass weiterhin Adolf Loos unter

nistisches Architektur- und Lebenskonzept

anderem mit dem Michaelerhaus „mit dem

beruht zu wichtigen Anteilen auf dem Gedan-

schlechten Gebrauch von Geschichte auf-

kenspiel des Historismus, in dem man von

räumte“.

Stil ohne Stil.

223

Auch wenn Munch betont, dass

vergangenen Leistungen vorheriger Genera-

Adolf Loos sich beim Michaelerhaus auf die

tionen zu lernen versuchte und eine ästheti-

Architekturformen der Umgebung des Micha-

sche Verwurzelung der eigenen Identität

elerplatzes bezog, forciert er trotzdem das

absteckte. Durch diese Namensgebung wird

Bild eines gedanklichen Entfernens von den

die bereits beschriebene „Lebenslüge der

Methoden des Historismus:

Moderne“ weiterhin rezipiert.226 Ein Ver-

224

gleich Günther Feuersteins zwischen der Zeit „Loos machte den radikalen Vorschlag ei-

von 1810 bis 1840 und dem Übergang vom

ner konsequent modernen Formenspra-

19. zum 20. Jahrhundert verdeutlicht am bes-

che, fühlte sich aber in direkter Linie ei-

ten, wo die Charakteristika und Umstände

ner Tradition, die er kritisch rekonstruieren

lagen, die Josef Hoffmann den Stil des

mußte. Das Haus reiht sich in das Spiel

­Biedermeiers als Vorbild für seinen „Brettlstil“ wählen ließen. Dem Biedermeier weist

221 Ottomeyer 2006, S. 46. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit. 222 Vergleiche des Weiteren zur Geometrisierung im Biedermeier Ottomeyer 2006, S. 54. 223 Baroni und D’Auria 1984, S. 23. 224 Munch 2005, S. 54 und S. 32–34.

­Feuer­stein die Eigenschaften „Reduktion der Detailform, die dienende Stellung des 225 Munch 2005, S. 54. 226 Vergleiche dazu diese Arbeit auf S. 50f.

109

110

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Dekors, die handwerkliche Qualität und Ver-

Industrie war, zeigt die Londoner Zeitschrift

feinerung, der Erfindungsreichtum für neue

The Studio. Unter der festen Rubrik Stu-

Typen und die freieren Möbel- und Raum­

dio-Talk heißt es:

dispositionen“ zu, die er dann der Absicht des zweiten Zeitabschnitts gleichsetzt. Als

“The Museum [Museum für Kunst und In-

Grundlage für diese im Konzept sich ähneln-

dustrie; LT] contains a rich store of old

den Kulturentwicklungen benennt er zudem

patterns, and its directors are andeavou-

ein „gehobenes, selbstbewusstes und kulti-

ring to restore the contact between the

viertes Bürgertum“.227 An diesem Punkt wie-

past and the present by drawing attenti-

derholt Feuerstein das Verständnis des B­ie-

on to the ‘Empire’ and ‘Alt-Wien’ (‘Bie-

dermeiers, das auch schon die Zeitgenossen

dermeier’ style), as kinds of models which

Hoffmanns und Loos’ teilten. Wie bereits

should be further developed, side by side

schon an Lux’ Äußerungen zum Biedermei-

with the much-prized English forms”.231

er als Erzieher angerissen wurde. Hans Ottomeyer definiert das Biedermeier 2006 als

Des Weiteren verkörperten Biedermeiermö-

einen „unspezifischen Epochenbegriff“ und

bel ein Handwerksideal der vorindustriellen

möchte dem „Klischee“ vom Biedermeier als

Zeit, kombiniert mit einer am Gebrauch ori-

„bürgerliche[m] Stil nach den Tugendbegrif-

entierten Formensprache. Elisabeth Schmut-

fen einer erstarkten Klasse“

termeier sieht gerade in der „Funktionalität“

228

widerspre-

chen. Stattdessen deklariert er einen „Stil

und

„Materialgerechtigkeit“

der

Hoff-

der Vernunft oder vernunftbedingter Kon-

mann’schen Arbeiten die Begründung für die

ventionen im Spannungsfeld gegensätzlicher

Parallelen, die von zeitgenössischen Bericht-

Verbindungen: Ideal der Natur und zugleich

erstattern immer wieder zum Biedermeier

Einfachheit der Dinge“229 für das Biedermei-

gezogen wurden, gegeben.232

er und spricht von einer Kunst, die durch

Christian Witt-Dörring fasst am Ende sei-

„Abstraktion der Formen, des Ornaments

nes Aufsatzes Zur Ästhetik des Biedermei-

und der Farbe“ gekennzeichnet ist und „eine

ermöbels zusammen:

Vielzahl an protoabstrakten und -modernen Aspekten“ aufweist.230 1896 wurde im k. k.

„Die Art und Weise, wie die beschriebe-

Österreichischen Museum für Kunst und

nen Möbel Materialität, Funktionalität

Industrie eine Ausstellung zum Wiener Kon-

und Gefühl zu einem harmonischen Gan-

gress präsentiert, die es ermöglichte, Produk-

zen verbinden, lassen sie im Kontext des

te des Empires und Biedermeiers zu studie-

modernen Wohnens eine Vermittlerrolle

ren. Wie übernational die Wahrnehmung

zwischen Individualität und Anonymität

dieser Rolle für das Museum für Kunst und

einnehmen.“233

227 Feuerstein 228 Ottomeyer 229 Ottomeyer 230 Ottomeyer

1964, 2006, 2006, 2006,

S. S. S. S.

177. 44. 45. 45.

231 Ohne Autor Bd. 25 1902, S. 298. 232 Schmuttermeier 2010, S. 124. 233 Witt-Dörring 2006.3, S. 68.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

Genau dieses Prinzip wurde bereits weiter

te.237 Einrichtung und Ausstattung des Palais

oben für die Villa Karma in Bezug auf die

Stoclet, die vollständig von der Wiener Werk-

„Wohninseln“ und die Tradierung von Sozi-

stätte entworfen und ausgeführt wurden,

albildern durch die Einrichtung der Villa

bestätigen diese Ansicht. Im Falle der

durch Adolf Loos’ sowohl in praktischer als

Raumsphären wurde bereits der herrschaft-

auch in emotionaler, das heißt identitätsstif-

liche Charakter des Palais Stoclet erörtert;

tender Weise erarbeitet. Nun sollen diese

das Gleiche gilt aber auch für die einzelnen

Topoi auch an Teilen der Einrichtung des

Formen, das heißt Möbelstücke und Kunst-

Palais Stoclet in ihrer spezifischen Charak-

werke, die diese Räumlichkeiten begleiten

teristik abgesteckt werden.

und detailreich auffüllen. An dieser Stelle ist

1898 verfolgten Adolf Loos und Josef Hoff-

das Prinzip gleicher Formgesetze, angewandt

mann noch offiziell verwandte Ziele. Adolf

sowohl für Architektur als auch für kunst-

Loos publizierte seinen berühmten Aufsatz

handwerkliche Gegenstände, zu bedenken,

Die potemkin’sche Stadt in der Secessi-

das sich in den Arbeiten Josef Hoffmanns in

ons-Monatsschrift Ver Sacrum und sah dem-

Zusammenarbeit mit der Wiener Werkstätte

nach wohl auch eine gemeinsame Feindschaft

vermehrt zeigt und bereits vonseiten der For-

mit dem Historismus gegeben. Auch Mirko

schung betont wurde. So erinnern zum

Gemmel betont jene gemeinsame Feindschaft

­Beispiel die Formen eines Skulpturensockels

für die Wiener Secession und die Kritische

im Studierzimmer des Dichters Richard Beer-

Wiener Moderne mit Adolf Loos und Karl

Hofmann in dessen Haus von 1905 bis 1906

Kraus.

Jedoch in der Lösung zur Überwin-

an den Turm des Palais Stoclet (Abb. 2 und

dung des Historismus und seines ästhetischen

31) und Eduard F. Sekler beobachtet Paral-

Konzepts der Kopie drifteten die Anschau-

lelen zwischen einem Wandschrank von 1901

ungen auseinander. Christian Witt-Dörring

und den „keilförmigen Balkonen am Modell-

spricht im Falle der Secession und insbeson-

entwurf für das Palais Stoclet“. Sekler veri-

dere der Wiener Werkstätte von einer „moder-

fiziert weitergehend:

234

ne[n] Formensprache über den Einsatz individuellen künstlerischen Ausdrucks“235, die

„Möbelstücke und Gegenstände aller Art

eine „Erneuerung […] über die Form und

entsprangen bei Hoffmann den gleichen

nicht den Inhalt“236 bezweckte. Damit zielt

Formvorstellungen wie die Architektur,

Witt-Dörring auf den Umstand, dass die Wie-

und es gibt kleine Metallgegenstände, die

ner Werkstätte mit ihren Gesamteinrichtun-

ausgesprochen architektonisch monumen-

gen aber auch bereits mit dem einzelnen

tal wirken. Doch ist es eine unzulässige

Gegenstand, den Bürger in einer von Luxus

vergröbernde Verallgemeinerung, zu be-

geprägten „Tradition aristokratischen Reprä-

haupten, Hoffmann habe ‚Bauten wie Mö-

sentationsbedürfnisses“ weiterhin verorte-

belstücke und Möbelstücke wie Bauten entworfen‘. Dazu war er sich viel zu sehr

234 Gemmel 2005, S. 51. 235 Witt-Dörring 2006.3, S. 59. 236 Witt-Dörring 2006.3, S. 63.

237

Witt-Dörring 2006.3, S. 63.

111

112

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

lung“ einer „künstlerischen Aufgabe“ gestellt hatte. Im Arbeitsprogramm der Wiener Werkstätte heißt es etwa: „Die Surrogate der stilvollen Imitationen können nur dem Parvenü genügen. Der Bürger von heute, ebenso wie der Arbeiter, müssen den Stolz besitzen, ihres Wertes voll bewusst zu sein und dürfen nicht mit anderen Ständen wetteifern wollen, deren Kulturaufgaben erfüllt sind und die mit Recht auf eine herrliche Vergangenheit in künstlerischer Beziehung zurückblicken. Unser Bürgerstand hat seine künstlerische Aufgabe noch nicht erfüllt. An ihn ist jetzt die Reihe, der Entwicklung voll u. ganz geAbb. 31: Josef Hoffmann: Haus Beer-Hofmann, Skulpturensockels im Studierzimmer bzw. der Bibliothek des Dichters Richard Beer-Hofmann, 1905–1906, Wien XVIII., Hasenauerstraße 59 / Ecke Meridianstraße

recht zu werden.“239 Allein schon diese Anspruchshaltung versetzt die minutiös durchgestalteten Einrichtungen in einen Zusammenhang bürgerli-

der Wirkung bewußt, die verschiedene Ma-

chen Arrivierens. Der soziale Wunsch und

terialien und Maßstäbe auf Formen ha-

Drang nach Erfolg und dem Aufsteigen

ben.“

innerhalb der sozialen Leiter erklärt die

238

Gigantomanie des Palais Stoclet und damit Diese omnipräsente Formvorstellung führt

auch dessen Kostbarkeit, die sich de facto

folglich zur Interpretation Witt-Dörrings,

bereits in der bis heute nicht genau überlie-

dass Hoffmann und die Wiener Werkstätte

ferten, aber sicherlich äußerst umfangrei-

weiterhin eine Identifikation des Bürgers

chen Kostenaufstellung des Gesamtkunst-

über die Repräsentation von hermetisch

werkes bemerkbar macht. Ebenso betont

abgegrenzten Luxus-Formwelten verfolgen.

Sekler die Zusammenarbeit von Auftragge-

Sowohl die Einrichtung des Musik- und The-

ber und Architekt am Palais Stoclet als

atersaals als auch die Halle mit ihrem Brunn-

davon gekennzeichnet, dass Hoffmann „kei-

enerker (Abb. 28) und dem Speisezimmer

nerlei Kompromisse“ schließen musste.240

(Abb. 7) sprechen beredtes Zeugnis von

Marianne Hussl-Hörmann schildert die

einem Kulturanspruch, der sich die „Erfül-

238 Sekler ²1986, S. 80.

239 Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905). 240 Sekler ²1986, S. 96.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

Arbeitssituation im Allgemeinen für Klimt

gen Tanz[es]“. Die „Lebensbäume“, die sich

und Hoffmann als durch ein „finanziell

über den gesamten Bildraum erstrecken, sei-

ungemein potente[s] Mäzenatentum“ – das

en wiederum als „Versinnbildlichung der

sich überwiegend aus dem großindustriellen

Welt“ aufzufassen und bilden laut Strobl

Bürgertum mit jüdischen Wurzeln bildete

den weltumfassenden Interpretationshin-

– getragen und konstatiert als Folge davon

tergrund für die Tänzerin und die Umar-

eine „geschlossene und abgehobene Welt“,

mung.242

aus der die Werke der beiden erwachsen.

Diese Interpretation untermauert für das

Sie spricht sogar von einem „marktunab-

Palais Stoclet die Beschaffenheit einer bür-

hängige[n] Umfeld“ und formuliert als

gerlichen Welt mithilfe des Instrumentariums

Movens der Auftraggeber: „gleichzeitig pro-

Luxus und dem Zusammenwirken vieler Ein-

fitierten sie von der besonderen Aura der

zelteile zu einem ‚Lebensgefühl‘, das sich

Künstler und ihrer Werke, was ihnen selbst

durch gesellschaftlichen Stolz – wie er im

eine eigene Identität verlieh.“241 Diese kom-

Arbeitsprogramm der Wiener Werkstätte for-

promissfreie und damit auch realitätsferne

muliert wurde – und Geltungsbedürfnis aus-

Welt, aufgeladen durch die künstlerische

zeichnet. Dieser künstlerische und wohl auch

Ambition von Stil- und Standproklamation,

auftraggeberische Motor begründet die Stim-

ermöglichte erst einen Brunnenerker, einen

mung der Räumlichkeiten im Palais Stoclet.

Musik- und Theatersaal mit den Ausmaßen

Es lässt sich vorerst zusammenfassen, dass

eines Kabaretts, transferiert in ein Privat-

sowohl die Villa Karma als auch das Palais

haus, und ein mithilfe des Frieses von Klimt

Stoclet über ihre spezifische Gestaltung und

symbolisch und emotional aufgeladenes

deren Wahrnehmung den Bewohner und des-

Speisezimmer (Abb. 7). Alice Strobl inter-

sen Besucher beindrucken und lenken wollen.

pretiert aufgrund einer Postkarte von Gustav

Dabei dienen die körperlichen Abläufe und

Klimt die abstrakte Komposition der Sch-

die damit verbundenen Wahrnehmungen und

malseite als Ritter und zieht daher die Par-

Emotionen der Formulierung einer ganzheit-

allele zum Beethovenfries, der als „säkula-

lichen Betrachtungsweise. Joseph Imorde

risierte Erlösungsideologie“ zu verstehen

bezeichnet dieses Verhältnis im ­Falle der

ist. Des Weiteren verankert Strobl die ande-

Loos’schen Villen als „Weltbild“ und „Weltan-

ren Fries-Elemente Tänzerin und Umarmung

schauung“.243 Diese Weltanschauung in der

– auch Liebespaar genannt – in einen welt-

Architektur Loos’ führt Imorde zusammen

konstituierenden Zusammenhang, wonach

mit Fedor Roth zu dem Schluss, dass seine

der Tanz um 1900 an sich als ein „Ausdruck

Architektur die Bewohner regelrecht „in die

gesteigerten Lebensgefühls“ definiert wurde

Zwangsjacke

und somit als „Lebenssymbol“ verstanden

Geschmacks“ kleide und seine Raumlösungen

werden muss. Ebenso befinde sich das Lie-

allgemein „Kleidungsstücke“ und „kultivierte

bespaar in einem Zustand des „trancearti-

Maskerade[n]“ seien. Diese Räume unterwie-

241 Hussl-Hörmann 2011, S. 21.

242 Strobl 1991, S. 87. 243 Imorde 2006, S. 40.

seines

[Loos’;

LT]

guten

113

114

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

sen folglich die Nutzer der Gebäude in den

sogar „den Vorarbeiter einer neuen Ordnung

idealen Lebensweisen – wie sie Loos muster-

der Dinge“ auch für Österreich gegeben.246

gültig vorschwebten.

Es zeigt sich für Hoff-

Baroni geht sogar davon aus, dass sie zum

mann wie für Loos ein Verständnis vom Archi-

festen Inventar an Zeitschriften gehörte, die

tekten nicht nur als Gestalter des Wohnens,

in den Kaffeehäusern in Wien auslagen.247

sondern mit seinem Schaffen ist ebenso die

Des Weiteren berichtet Kossatz von einer

Aufgabe einer Strukturierung und emotiona-

Rubrik in Ver Sacrum, die aus dem Abdruck

len Lenkung einer Lebenswelt der bürgerli-

besonderer Artikel der verschiedenen Peri-

chen Auftraggeberschicht verbunden.

odika der Zeit bestand. Unter den zitierten

244

Bevor sich dem Begriff des Gesamtkunst-

Zeitschriften nennt er auch The Studio.248

werks gewidmet werden kann, ist zunächst

Bei der Durchsicht der Jahrgänge der Zeit-

noch zu betonen, dass die bisher genannte

schrift The Studio, ob es sich nun um das

Verbindungslinie zum Wiener Biedermeier

Yearbook oder An illustrated Magazine of

als Quelle eines mit der Wohnkultur ver­

Fine and Applied Art handelt, lässt sich

bundenen Lebensgefühls und die als nächs-

zusätzlich zu der Quellenlage der „Arts and

tes zu untersuchende Beziehung zur „Arts

Crafts“-Bewegung für Wien auch eine gegen-

and Crafts“-Bewegung die Hinwendung bei

seitige Durchdringung beobachten. So doku-

Loos und Hoffmann zu einer Ästhetik der

mentiert die Zeitschrift ebenso, dass man die

Vereinfachung oder Einfachheit gemeinsam

Arbeiten der Wiener Secession in dem eng-

haben. Die „Arts and Crafts“-Bewegung und

lischen Publikationsorgan präsentierte und

das Gesamtkunstwerk werden im Folgenden

insbesondere die Arbeiten Josef Hoffmanns

als kulturelle Ergänzung des genius loci an­

in Einzelartikeln vorstellte.249 Deutlicher

geführt.

Die „Arts and Crafts“-Bewegung und eine verschränkte Wahrnehmung von Mensch und Ding Die Berührungspunkte zwischen England und Wien sieht man neben den Weltausstellungen in der Präsenz der englischen Bewegung in den Fachzeitschriften, vor allem in der Zeitschrift The Studio.245 Die Kunstzeitschrift wurde 1893 gegründet und erfuhr eine große Verbreitung in den Großstädten der Sezessionen. In der Tat sieht bereits A. S. Levetus in der Fachzeitschrift The Studio 244 Imorde 2006, S. 40f. 245 Vergleiche dazu Prokop 2003, S. 296.

246 AK Josef Hoffmann 1981, S. 50f. 247 Baroni und D’Auria 1984, S. 22. 248 Kossatz 1971, S. 12. 249 Vergleiche zur Quellenfunktion der „Arts and Crafts“-Bewegung für Wien nur einige ausgewählte Artikel aus The Studio: Ohne Autor 1897, S. 16–25 und Baillie Scott 1897, S. 167–172 oder Baillie Scott 1900, S. 30–38 oder Cook 1901, S. 77–92 oder Voysey 1901, S. 242–245. Vergleiche zur Dokumentation Wiener Arbeiten für England: Schölermann 1899, S. 30–39 oder Mourey 1901, S. 113–123 oder Khnopff 1901, S. 261–267 oder Ohne Autor Bd. 26 1902, S. 141–143 (zur Beethoven-Ausstellung der Wiener Secession), Levetus 1904, S. 125–132 oder Levetus 1929, S. 383–387 (zur Villa Knips von Josef Hoffmann) und Levetus 1912, S. 181–240 und Levetus 1913, S. 187–224. Wie breit die Zeitschrift auch im deutschsprachigen Raum aufgestellt sein musste, zeigt die auf Deutsch annoncierte Werbeanzeige der Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration zu Beginn des Bandes 36.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

oder unmittelbarer an den Schaffenskreis

ten zumaß.253 Er erhoffte sich von diesem

Wien reichte die Gründung des Museums

Besuch das Zustandekommen einer Ausstel-

für Kunst und Industrie im Jahr 1864 in Wien

lung der Werke der Guild of Handicraft in

heran. Dieses Museum, das den Prototyp des

den Räumen des Secessionsgebäudes.254 Ash-

Museums für angewandte Kunst darstellte,

bee leitete seine Gilde nach den Vorstellun-

beruhte auf dem Konzept des South Ken-

gen John Ruskins und William Morris’. John

sington Museums,250 dessen Entwurf sich

Ruskin entwickelte maßgeblich die „Arts and

durch seinen pädagogischen Charakter aus-

Crafts“-Bewegung mit und ist als Kunstphi-

zeichnete. Nicht etwa eine repräsentative

losoph zu bezeichnen, der mit den kunstthe-

Sammlung durch die verschiedenen Jahrhun-

oretischen Texten Seven lamps of Architec-

derte wurde angestrebt, sondern die Erzie-

ture und Stones of Venice in der Mitte des

hung des Geschmacks der Besucher lag im

19. Jahrhunderts in Erscheinung trat.255 In

Fokus des Museums.

Seven lamps of Architecture formulierte Rus-

251

Der nächste Schritt hin zur didaktisch und

kin drei Regeln der „Rohheit“.256 In diesen

methodisch vermittelten Ästhetik stellte die

drei Punkten kritisierte er das Unechte der

Gründung der Kunstgewerbeschule dar.252

zeitgenössischen Architektur: Dazu gehörte

Bezeichnenderweise unterrichtete Josef Hoff-

für ihn das Fingieren einer Konstruktion,

mann genau an dieser Kunstgewerbeschule

ohne einer inneren Entsprechung, die Vor-

etwa 30 Jahre nach deren Gründung von 1899

täuschung von edleren Materialien durch

bis 1937. Wie sehr die Wiener Kunstgewer-

Oberflächenverkleidung und der Einsatz von

beschule sich mit England verbunden fühlte,

maschinell gefertigtem Ornament.257 John

dokumentiert ein Brief Josef Hoffmanns an

Ruskin machte sehr schnell auf einen ästhe-

den Direktor der Kunstgewerbeschule Feli-

tischen Verfall aufmerksam, der seiner

cian von Myrbach, der im Begriff war, sich

Ansicht nach auf den Parametern einer von

auf eine Studienreise nach England zu bege-

Industrie geprägten Gesellschaft beruhte. Der

ben. Dieser Brief vom 20. April 1900 beweist,

„Perfektionismus der Maschinenproduktion“

dass Hoffmann gute Kenntnisse über Charles

liefe der „Natur des Menschen“ zuwider. Die

Robert Ashbee und seine Londoner Guild of

Qualität der Arbeit war für Ruskin primär

Handicraft besaß. In dem Wunsch, Myrbach sollte doch Ashbee als Station in sein Reiseprogramm aufnehmen, verdeutlicht sich die Wichtigkeit, die Hoffmann dessen Werkstät-

250 Prokop 2003, S. 296f. 251 Adolf Loos beschäftigte sich im Rahmen einiger Artikel in den Zeitungen Die Zeit und Neue Freie Presse schon in den Jahren 1897 bis 1899 mit der Tätigkeit dieses Museums. Vergleiche dazu Loos 2010, S. 11–33 und Loos 2010 (1898.8), S. 223–253. 252 Prokop 2003, S. 296f.

253 Schweiger 1982, S. 15. Vermutlich waren Hoffmann die Arbeiten der Gilde über deren Einrichtungen für den Speise- und Empfangsraum des Großherzogs Ernst Ludwig in Darmstadt bekannt, die von M. H. Baillie Scott und Ashbee zusammen 1898 verwirklicht wurden. Im selben Jahr berichtete auch Hermann Muthesius über die Gilde in der Zeitschrift Dekorative Kunst. (Crawford 1994, S. 148f.) 254 Der gesamt Brief wurde von Werner J. Schweiger abgedruckt. (Schweiger 1982, S. 15f.) 255 Prokop 2003, S. 294. 256 Davey 1994, S. 67. 257 Benevolo 1964, S. 221.

115

116

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

durch die „Freude“, die sie dem Arbeiter

entgegengestellt werden. Die mittelalterliche

schenkt, zu definieren.

Dieses Bild der fal-

Bauhütte und ihr System vom Zusammen-

schen Organisation von Arbeit wurde von

schluss von Spezialisten unter dem Schutz-

William Morris (1834–1896) noch durch eine

mantel eines Meisters dienten als Ideal, auf

verwerfliche Haltung der „Profitgier des

das man sich besann. Dieses System ent-

Industriellen“ ergänzt, die einzig und allein

spricht auch der Struktur der Wiener Werk-

zu „sham work“ führe. Morris zeichnet die

stätte, die aus vielen einzelnen Werkstätten

Dichotomie vom von marktwirtschaftlicher

bestand, die zeitweise überwiegend die

Habgier geleiteten „countin house“ und dem

­Entwürfe Josef Hoffmanns und Koloman

„workshop“ als einem dem entgegengesetz-

Mosers ausführten.262 Man strebte eine Ein-

ten, utopischen Gesellschaftsunternehmen.

259

heit des Gegenstandes aus Funktion, Mate-

Im Zentrum seiner Anklage standen der Kapi-

rial und Verarbeitungstechnik an. Diese Har-

talismus und die maschinelle Herstellung von

monie übertrug sich auch auf die durch die

Gebrauchsgegenständen. Seiner Ansicht nach

Industrialisierung schon vorbelastete Vor-

wurde der Arbeiter zum Sklaven degradiert

stellung der Arbeitsteilung. Auch bevorzug-

– er zeichnete das Bild des Arbeiters als „aus-

te man die „Einheit von Entwurf und Aus-

führende Maschine“, das heißt „animated

führung“.263

258

tool“.260 Einem Werkzeug gleich werde er nur

William Morris, ein Schüler John Ruskins,

im Hinblick auf Effizienz für eine monotone

erweiterte die „Arts and Crafts“-Bewegung

Handlung ausgebildet und somit entmensch-

im Sinne seines Lehrers noch um den sozia-

licht. Diese Verkümmerung des Arbeiters zur

len Anspruch. „Eine Kunst von dem Volk für

Maschine wird von Ruskin zur Begründung

das Volk“ wurde zum Programm deklariert.264

und Ursache für Revolutionen und Qualitäts-

Bei Ashbee sollte der Handwerker des Wei-

verlust angegeben.261

teren aus seiner Anonymität befreit werden

Jenem düsteren Bild des Arbeiters und

und in Kontakt mit Entwerfer und Käufer

der deutlich visuell wahrnehmbaren Ver-

treten. Genau dieser Anspruch galt auch für

schmutzung

der

die Wiener Werkstätte.265 William Morris war

Umwelt wollte Ruskin eine neue Ästhetik

in Wien bekannt, da 1898 im Rahmen der

entgegensetzen. Auf diesem Vorhaben beruh-

Jubiläumsausstellung des Musikvereins Arbei-

ten die Gründung und die Ideale der „Arts

ten von ihm gezeigt wurden.266 Wie sehr Hoff-

and Crafts“-Bewegung, die wiederum als Vor-

mann sich den Idealen Ruskins und Morris’

bild für die Wiener Werkstätte anzusehen

verschrieb, zeigt ein Auszug aus dem Arbeits-

ist. Der maschinellen Massenware sollte das

programm der Wiener Werkstätte:

und

Verschandelung

Ideal des vielseitig talentierten Handwerkers

258 Breuer 1998, S. 11. 259 Breuer 1998, S. 22. 260 Breuer 1998, S. 21. 261 Kemp 1983, S.174f. Vergleiche dazu Prokop 2003, S. 294.

262 Ohne Autor 1930, S. 52. 263 Witt-Dörring 1987, S. 29. Vergleiche dazu Hofmann 1983, S. 88f. 264 Prokop 2003, S. 295. 265 Siehe dazu Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905). 266 Kossatz 1971, S. 12.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

„Das grenzenlose Unheil, welches die

Auffällig dabei ist, dass nur der Arbeiter

schlechte Massenproduktion einerseits,

benannt wird, womit wohl vielmehr der

die gedankenlose Nachahmung alter Sti-

Handwerker in den eigenen Produktionsstät-

le anderseits auf kunstgewerblichem Ge-

ten der Wiener Werkstätte gemeint ist. Nicht

biete verursacht hat, durchdringt als Rie-

der gesamten Arbeiterschicht sollte eine

senstrom die ganze Welt. Wir haben den

Kunst geschaffen werden, sondern die

Anschluss an die Kultur unserer Vorfah-

Arbeitsverhältnisse weniger gut ausgebilde-

ren verloren und werden von tausend

ter Handwerker galt es zu verbessern. Das

Wünschen und Erwägungen hin und her

formulierte Ziel war die Findung einer neu-

geworfen. An S ­ telle der Hand ist meist die

en Ästhetik, die man nur unter feinsinnigen

Maschine, an Stelle des Hand­werkers der

Umständen glaubte schaffen zu können. Mit

Geschäftsmann g­ etreten. Diesem Strome

einem sozialen Anspruch, wie Morris ihn

entgegen zu schwimmen wäre Wahnsinn.

proklamierte, hatte dies wenig gemein. So

Dennoch haben wir unsere Werkstätte ge-

stattete die Wiener Werkstätte auch keine

gründet. Sie soll uns auf heimischem Bo-

Arbeiterwohnungen aus, sondern ästhetisch

den, mitten im frohen Lärm des Hand-

durchdeklinierte Villen und Palais.269 Als Ein-

werks einen Ruhepunkt schaffen und dem

schränkung könnte man die Beteiligung Josef

willkommen sein, der sich zu Ruskin und

Hoffmanns in den 30er-Jahren des 20. Jahr-

Morris bekennt.“

hunderts an den Gemeindebauten des Roten

267

Wiens heranziehen, jedoch muss man einseHoffmann und Moser stellten sich solcher-

hen, dass Hoffmann nur in einem begrenz-

maßen mit ihrem Traktat an die Seite der eng-

tem Maße involviert war und nur unter völ-

lischen „Arts and Crafts“-Tradition. Sie ver-

ligem Ausschluss der Wiener Werkstätte.

folgten die gemäßigtere Einstellung Morris’

Eine weitere Aussage des Arbeitsprogramms

zur Maschine und formulierten zumindest

untermauert die Nähe zur gemäßigten Ein-

einen sozialen Wunsch für die Wiener Werk-

stellung zur Maschine:

stätte: „Es sei noch gestattet, darauf aufmerksam „Wir können und wollen nicht mit der Bil-

zu machen, daß auch wir uns bewußt sind,

ligkeit wetteifern; dieselbe geht vor allem

daß unter gewissen Umständen mit Hilfe

auf Kosten des Arbeiters, und diesem wie-

von Maschinen ein erträglicher Massen-

der eine Freude am Schaffen und eine

artikel geschaffen werden kann; derselbe

menschenwürdige zu erringen, halten wir

muß dann aber unbedingt das Gepräge

für unsere vornehmste Pflicht.“

der Fabrikation tragen. Wir halten es nicht

268

für unsere Aufgabe, jetzt schon dieses Gebiet zu betreten. Was wir wollen, ist das, 267

Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905). 268 Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905).

was der Japaner immer getan hat. Wer

269 Magnago Lampugnani 1980, S. 26.

117

118

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

würde sich ein Werk japanischen Kunst-

Beiden gemeinsam blieb aber der demo-

gewerbes maschinell hergestellt vorstel-

kratische Charakter. Die Gilde Ashbees

len können?“270

zeichnete sich durch eine „demokratisch-sozialistische Grundüberzeugung“ aus, die

Genauer gesagt heißt dies, dass der Maschine

durch die Selbstorganisation der Mitglieder

nicht mehr vollkommen ihre Qualitäten aber-

ihre praktische Prägung erfuhr.274 Dieser

kannt werden. Man spricht sich im eigenen

kooperativen Struktur folgend, verstand sich

Arbeiten jedoch gegen ihre Verwendung aus,

die Wiener Werkstätte als eine sich ergän-

schließt eine zukünftige Zusammenarbeit mit

zende Arbeitsgemeinschaft. Ein weiterer

den Worten „jetzt schon“ aber nicht katego-

prägnanter Unterschied zwischen der Guild

risch aus. Ebenso bezweckte Ashbee eine Wer-

of Handicraft und der Wiener Werkstätte ist

terhöhung des künstlerischen Gedankens und

der gewünschte Grad von Urbanisierung.

der handwerklichen Arbeit. Man strebte eine

Während die Guild of Handicraft bewusst

Gleichberechtigung des Kunsthandwerks mit

1902 von London nach Chipping Campden

den Kunstgattungen Malerei und Bildhauerei

in den Cotswolds umzog, um zum „simple

an. Zudem sollte die erzeugte Kunst für jeder-

life“ zurückzufinden,275 wäre es für die Wie-

mann bezahlbar sein.

ner Werkstätte undenkbar gewesen, sich

271

Steht Ashbees Vereinigung zwar als Vor-

räumlich von ihrer städtischen Kundschaft

bild für die von Koloman Moser und Josef

zu trennen. Im Sinne dieser Urbanitätsver-

Hoffmann gegründete Wiener Werkstätte fest,

wurzelung sind auch die Filialen der Wiener

unterscheidet sie sich von dieser aber in

Werkstätte in Marienbad, Karlsbad, Zürich,

einem entscheidenden Punkt: Die Guild of

Berlin und New York zu verstehen.276 Der

Handicraft war zunächst neben der produ-

Entwerfer sollte vom Wissen des Handwer-

zierenden Werkstätte ein Schulbetrieb, in

kers profitieren und der Handwerker wurde

dem es Lehrer und Schüler gab, vor allem

zum angesehenen Kunsthandwerker mit

aber fehlte die Organisation der Arbeitstei-

beratendem Einfluss auf den entwerfenden

lung. Der „Handwerker“ sollte alle Schritte

Künstler.277

des Entstehungsprozesses allein bewältigen.

Für Adolf Loos wiederum ist eine weitere

Die weiter oben beschriebene „Einheit

Adaption der Wertschätzung des Handwer-

von Entwurf und Ausführung“ bezog sich bei

kers zu konstatieren. Sein satirisches Mär-

Ashbee auf die einzelne Person, während die

chen Der Sattlermeister von 1903 schildert

Einheit der Wiener Werkstätte auf die gesam-

seine Einstellung zum Verhältnis von Hand-

te Institution erweitert angewendet wurde.

werker und Künstler. In dieser Satire erzählt

272

273

Loos von einem Sattlermeister, der sich an 270 Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905). 271 Schmuttermeier ²1985, S. 336. 272 Breuer 1994, S. 276f. 273 Vergleiche dazu Breuer 1998, S. 179f. Des Weiteren betont Breuer die Vorbildrolle der Guild of

Handicraft und deren Erzeugnisse für die Wiener Werkstätte. 274 Breuer 1994, S. 276. 275 Cumming und Kaplan 1991, S. 27f. 276 Vergleiche dazu Fahr-Becker 2003, S. 210–220. 277 Schweiger 1982, S. 30–35.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

einen Herrn Professor der Wiener Secession

Erfahrung für Funktion und Materialbehand-

wendet, um zu erfahren, ob seine Sättel

lung darstellt. Im Umkehrschluss lässt sich

„modern seien“. Loos kann an dieser Stelle

für Loos konstatieren, dass er für eine eigen-

eigentlich nur Josef Hoffmann, Koloman

ständige Arbeit des Handwerkers plädierte

Moser, Alfred Roller – allesamt Gründungs-

und wie Massimo Cacciari betont, einen

mitglieder der Wiener Secession – oder alle

„Fetisch der Phantasie des Künstlers“279 zu

zugleich meinen, die als Professoren an der

verhindern suchte.280 Wie Adolf Loos sich die

Wiener Kunstgewerbeschule unterrichteten.

Zusammenarbeit mit dem Handwerker vor-

Im Verlauf der Satire wird dem Sattlermeis-

stellte, lässt sich aber auch an seinem Nachruf

ter offeriert, dass seine Sättel eben nicht

auf den Möbelmacher Josef Veillich von 1929

modern seien und er wird auf den nächsten

ablesen. Er bezeichnet ihn als seinen „Mitar-

Tag vertröstet, an dem ihm Arbeiten der

beiter“ und seine Qualitäten verdeutlicht er

Schüler des Professors als Ideallösungen prä-

mithilfe seines Umganges mit dem Material

sentiert werden sollen. Das Märchen, das

Holz: „Wie war das Holz für jede Form des

mit dem Passus „ES WAR EINMAL“ begann,

Sessels ausgesucht! Die Bretter vom unteren

endet wie folgt:

Teil des Stammes bildeten die Rückfüße und die Jahresringe mußten sich genau der

„Am nächsten Tag kam der Sattlermeister

geschweiften Form anpassen.“281 Loos ver-

wieder. Der Professor konnte ihm 49 Ent-

stand den Handwerker somit im Sinne Ash-

würfe für Sättel vorweisen. Denn er hatte

bees als Entwerfenden und Ausführenden in

zwar nur 44 Schüler, aber 5 Entwürfe hat-

einer Person. Loos’ Leistung bestand darin,

te er selbst angefertigt. Die sollten ins ‚Stu-

jenen Handwerker mit seinem ihm eigenen

dio‘. Denn es steckte Stimmung in ihnen.

tradierten Können ausfindig zu machen und

Lange besah sich der Meister die Zeich-

mit Aufträgen an sich und sein Werk zu bin-

nungen und seine Augen wurden heller

den. Auch wenn Loos’ Verständnis des hand-

und heller. Dann sagte er: Herr Professor!

werklichen Gegenstandes nicht gleichzuset-

Wenn ich so wenig vom Reiten, vom Pfer-

zen ist mit der Benjamin’schen Auffassung

de, vom Leder und von der Arbeit verste-

vom Kunstwerk – gegen diesen Vergleich hät-

hen würde wie Sie, dann hätte ich auch

te sich Loos wohl vehement gewehrt, da er

Ihre Phantasie! Und lebt nun glücklich und

sich gegen das Kunsthandwerk stellte282 –,

zufrieden. Und macht Sättel. Moderne?

ermöglichen jedoch einige Beobachtungen

Er weiß es nicht. – Sättel.“278

zum Begriff der Aura bei Benjamin eine Klärung für die Anwendung von Handwerk bei

Deutlich wird, wie überspitzt Adolf Loos die

Loos. So stehen im Mittelpunkt der Aura-Ge-

Einstellung der Secession zum Handwerk als dem Ausführenden der künstlerischen Planung in seiner Diskrepanz von fehlender 278 Loos 2010 (1903.2), S. 297. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.

279 Cacciari 1995, S. 60. 280 Vergleiche zum Verhältnis von Handwerk und Kunst bei Adolf Loos Rukschcio und Schachel 1982, S. 115 und Russo 2008, S. 27–51. 281 Loos 2010 (1929), S. 701. 282 Dies belegt ein Zitat aus dem Nachruf auf Josef

119

120

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

nerierung eines Kunstwerks für Benjamin die

So betont Loos in seinem Nachruf auf Josef

Topoi „Echtheit“, „Einmaligkeit“ oder „Ein-

Veillich dessen Rolle als der des Handwer-

zigartigkeit“. Wobei damit eben nicht gemeint

kers, der ihm die Tradition des Chippendale-­

ist, dass das Kunstwerk nur ein einziges Mal

Speisesessels sicherte.284 Mit dem Sesseltisch-

auf der Welt existieren muss, um eine Aura

ler stirbt für Loos auch das von ihm

im Auge des Betrachters erzeugen zu können,

Hergestellte – oder wie Loos es sachlich

sondern seine „Zeitmetaphorik“ spielt dabei

bezeichnet das „Ding“ – und er muss nach

eine entscheidende Rolle. So fasst Sven Fried-

Alternativen suchen; Loos entscheidet sich

rich treffend zusammen:

für den Thonet-Stuhl als Kompromiss.285 Der Handwerker ist für ihn nicht ersetzbar. Hand-

„Die scheinbar paradoxe Verbindung von

werker und Erzeugnis gehen für ihn eine Sym-

‚Einmaligkeit‘ und ‚Dauer‘ hat demnach

biose ein. So beschreibt Loos sentimentalisch

eine zweifache Bedeutung: einmal, als his-

die Erfahrung eines Besuchs der Werkstatt

torisch-materialistische Erklärung, bedeu-

Josef Veillichs und evoziert beim Leser den

tet sie die Abhängigkeit des Traditionsbe-

Eindruck einer rituellen Weihe der Loos’schen

wusstseins von der Identität der Sache: sie

Kunden durch den Besuch beim Handwerker:

wird in ihrer Existenz durch die geschichtlichen Zeitläufe (Dauer) hindurch verortet.

„Sechsundsiebzig Jahre ist er alt geworden,

Die verbürgte, historisch tradierte Überlie-

sagt die Parte. Bis zum Tage, an dem er sich

ferung deutet zurück auf ein so bestimm-

zu Bett gelegt, hat er allein in der großen

bares Unikat, in dem Einmaligkeit und Dau-

Werkstatt gearbeitet, allein den ganzen Tag

er aufeinander beruhen. Andererseits zeigt

geschuftet und gedacht. die (sic!) besten Ses-

sich im Bereich der ästhetischen Erfahrung

sel zu liefern für Leute, die keine Ahnung da-

das Paradox des erfüllten Augenblicks an:

von haben konnten, welche Schätze sie für

‚Einmaligkeit ist das Ereignis des ästheti-

billiges Geld erhielten. Einen besseren Dienst

schen Erlebens vorab durch die Lokalisie-

dafür, daß sie mir Arbeit gegeben haben, habe

rung im Kontinuum erlebter Zeit, durch die

ich meinen wenigen Kunden nicht erweisen

es in seiner unwiederbringlichen Vergäng-

können, als sie zu Veillich zu führen. Ihre

lichkeit gerade keine Dauer haben kann.

Enkel werden noch einmal dankbar geden-

Doch wird der Augenblick der Erfüllung

ken. Aber die Besteller haben einen unver-

wie ein Stillstand erfahren.‘“

geßlichen Eindruck. Der taube Meister allein

283

in der großen Werkstatt. Die treue Gattin, die jedes Wort vermittelt. Goldene Hochzeiter. Philemon und Baucis. Und mit nassen Veillich: „Es wird erst anders werden, wenn die Menschen rein und klar zwischen Kunst und Handwerk unterscheiden werden, wenn die Hochstapler und Barbaren aus dem Tempel der Kunst vertrieben werden. Mit einem Wort, wenn meine Aufgabe erfüllt sein wird.“ (Loos 2010 (1929), S. 697.) 283 Friedrich 1996, S. 22.

Augen betrat man wieder die Straße.“286

284 Loos 2010 (1929), S. 697–702. 285 Loos 2010 (1929), S. 701f. 286 Loos 2010 (1929), S. 701. Hervorhebungen im

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

Durch diese verschränkende Wahrnehmung

ends falsch verstanden hätten; das heißt sei-

von Person und Gegenstand und dessen Rele-

ner Definition von Stimmung nicht folgten.

vanz für die Verdeutlichung von Dauer oder

Loos selbst sprach davon, dass es die Auf-

gerade deren Verlust wird jene „erlebte Zeit“,

gabe des Architekten sei „Stimmungen fest-

wie sie weiter oben für Benjamins Aurabe-

zuhalten“.289 Demnach kann der Gebrauch

griff definiert wurde, offensichtlich. Der

des Wortes Stimmung an sich nicht als Her-

Besuch des Handwerkers in dessen Werk-

absetzungskriterium der Arbeiten der Seces-

stätte wird zum Initiationsritus der Loos’­

sion verstanden werden. Dieses zu beob-

schen Kundschaft; ähnlich wie weiter oben

achtende Phänomen einer Aporie von

bereits für die Eingangssituationen der Villa

identischen Vorbildern und Verehrung der

Karma und des Palais Stoclet schon beob-

gleichen zeitgenössischen Entwicklungen

achtet wurde, dient die Werkstatt mit ihren

kombiniert mit einer unterschiedlich nuan-

Bewohnern als transitorische Passage, die

cierten Interpretation in den Arbeiten

einen symbolischen Zugang zu Loos’ Kultur-

­Hoffmanns und Loos’ soll im Folgenden

verständnis ermöglicht.

nochmals am Begriff der simplicity verdeut-

287

Des Weiteren setzt Loos – auf seine Kri-

licht werden.

tik Der Sattlermeister zurückkommend –

„Jeder ist ein Nachahmer, aber jeder hat

jene von ihm gezeichnete secessionistische

seine eigenen Regeln.“290 Diese Beschreibung

Behandlung des handwerklichen Gegen-

Mignots für die Architekten zur Zeit des His-

standes in Zusammenhang mit der Zeit-

torismus könnte man ebenso auf Josef Hoff-

schrift The Studio und dem Stimmungsbe-

mann und Adolf Loos als Repräsentanten der

griff. Es ist nicht zu eruieren, ob sich an

darauf folgenden Architektengeneration bezie-

dieser Stelle die Gereiztheit Adolf Loos’ dar-

hen. Beide Architekten sind noch stark in den

über Bahn bricht, dass über die Unterneh-

Prinzipien des Historismus verhaftet. In bei-

mungen der Secession sehr breit in jener

den Œuvres lassen sich im ersten Jahrzehnt

Zeitschrift berichtet wurde.288 Eines jedoch

des 20. Jahrhunderts deutlich eklektizistische

wird gewiss deutlich: Loos ist der Ansicht,

Architekturzitate entdecken. Die gleichen Vor-

dass die Secessionisten und damit eben auch

bilder führten zum Teil sogar zu ähnlichen

Josef Hoffmann den Stimmungsbegriff voll-

formalen Lösungen, wobei die Motivation beziehungsweise die Haltung, die sich über

287

288

Text stammen von der Autorin dieser Arbeit. Des Weiteren ist festzuhalten, dass Ernst Bloch bereits 1927, also zwei Jahre vor dem Nachruf auf Josef Veillich, von einer „Aura antiker Möbel“ sprach und diese in den Zusammenhang einer „versunkenen Kultur“ stellte. (Friedrich 1996, S. 25.) Als Beispiel soll an dieser Stelle das Spezialheft von 1906 der Zeitschrift The Studio hervorgehoben werden. Es widmete sich unter dem Titel The Art-Revival in Austria vor allem den Arbeiten Josef Hoffmanns und Koloman Mosers. Eine Vielzahl an Fotografien des Sanatoriums Purkersdorf dominiert das Heft. (The Studio 1906)

jene Architekturen und Einrichtungen transportiert, doch unterschiedliche Schwerpunktlegungen verfolgt. Christopher Long beobachtet dieses Phänomen in Anbetracht der Biedermeierbezüge bei Loos und Hoffmann:

289 Loos 2010 (1910.5), S. 403. 290 Mignot 1983, S. 100.

121

122

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

„What set Loos apart from his contempo-

„ETWAS UNPRAKTISCHES KANN

raries was not so much the specific look

NICHT SCHÖN SEIN.“294

of his designs, the formal differences between many of his Biedermeier-influenced works and those of Hoffmann are not as large as one might first assume – but his steadfast commitment to a rigorous process of sorting. Loos’s rejection of the imperatives of artistic invention led him on another course: to retain consciously as

„Bedürfnis, Zweck, Konstruktion und Schönheitssinn sind daher die Urkeime des baukünstlerischen Lebens. In einem Begriffe vereint bilden sie eine Art ‚Notwendigkeit‘ beim Entstehen und Sein jedes Kunstwerkes, dies der Sinn der Worte: ‚ARTIS SOLA DOMINA NECESSITAS‘.“295

much of the knowledge of the old masters

„Wir gehen vom Zweck aus, die Ge-

as possible. He never shed his conviction

brauchsfähigkeit ist unsere erste Bedin-

that design was an evolutionary process

gung, unsere Stärke soll in guten Verhält-

– that the modern designer could only find

nissen und in guter Materialbehandlung

a modern style through the refinement of

bestehen.“296

what had come before. His understanding of the trajectory of the recent culture led

Jenes Idiom der ‚simplicity‘ verwendet Mor-

him to believe that simplicity and practi-

ris jedoch in zweifacher Hinsicht. Zum einen

cality were the dominant trends of the

ist es „Leitziel praktisch-formaler Gestal-

new age, and that the role of the architect

tung“, und zum anderen gestaltet es sich zu

was to sift through and reprocess the

einem lebensanschaulichen Begriff. Als Ide-

forms of the past.”291

al der „Genügsamkeit“ sollte sie zu einer „ethischen Lebensführung“ motivieren, die

Bemerkenswerterweise stand bereits das Red

sich den Idealen von „Beschränkung, Ver-

House, das in Zusammenarbeit von William

zicht und Opferbereitschaft“ verschrieb.297

Morris mit Philipp Webb und Edward

An dieser Stelle kann man auch Bezüge zu

­Burne-Jones 1859 entstand, unter Morris’

Loos’ Vortrag Die moderne Siedlung von

Leitspruch und Schaffensmotto der ‚simplic-

1927 herstellen. Hier formuliert Loos eine

ity‘

sozial begründete Gesellschaftsstruktur:

292

: ­„nothing can be a work of art which

is not useful“.293 Dieses Motto findet sich nun zum einen bei Otto Wagner und zum ande-

„Ich habe daher als Chefarchitekt des

ren im Arbeitsprogramm der Wiener Werk-

Siedlungsamts der Stadt Wien die Forde-

stätte wieder:

rung aufgestellt, daß nur derjenige ein Haus besitzen darf, der Jahre hindurch ge-

291 Long 2010, S. 139. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit. 292 Breuer 1998, S. 29f. 293 Wagemann 1994, S. 112.

294 Wagner 2008, S. 58. 295 Wagner 2008, S. 78. 296 Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905). 297 Breuer 1998, S. 30 und S. 100.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

zeigt hat, daß er imstande ist, einen Gar-

„The bathroom has become increasingly

ten zu bebauen. […] Wer aber freiwillig

important. It is impossible to do without

über den Achtstundentag hinaus sich ver-

it, and for various reasons it is desirable to

pflichtet, Nahrung zu schaffen dem soll

allow it ample space. It is used not only for

die Möglichkeit geboten werden, sich ein

washing and bathing, but for gymnastics

Haus zu errichten.“

and massage and all sorts of exercises.“300

298

Offensichtlich wird, dass Loos nun in kon-

Das Bad der Villa Karma ermöglicht eine

sequenterer Art und Weise jenes Morris’sche

ähnlich gesellige Nutzungssituation, wenn

Ideal der ‚simplicity‘ aufgreift und demnach

man bedenkt, dass zwei Badewannen dem

weiterhin auch in den 1920er-Jahren seinem

Ehepaar Beer die gleichzeitige Körperpflege

englischen Ideal treu bleibt. Dies wird zusätz-

ermöglichten. Auch wenn die beiden Bäder

lich deutlich, wenn man Gerda Breuers

allein schon aufgrund der verwendeten Mate-

Äußerungen zu Morris Grundsätzen in Bezug

rialien eine deutlich luxuriöse Pracht vermit-

auf den Garten liest: „Einfachheit und Aske-

teln, kommt hinzu, dass beide Bäder gerade

se, Arbeit in natürlicher Gemeinschaft

durch ihre Materialität ein steriles Umfeld

Gleichwertiger, Abwechslungsreichtum mit

suggerieren. Glatte und großformatig verklei-

Bescheidung auf das Wesentliche“. Hinzu

dete Flächen geben den Räumen Ruhe und

kommt aber, dass dies für Morris sowohl für

damit indirekt eine ästhetische „Genügsam-

den „Palast“ als auch für die „Hütte“ galt.299

keit“ in Bezug auf die Reduktion der Einzel-

Inwiefern diese Leitsprüche an Gültigkeit

formen im Raum. Wie sehr zum Beispiel Josef

für die Villa Karma und das Palais Stoclet

Hoffmanns Einrichtungen von englischer Sei-

zu verstehen sind, soll nun anhand der

te aus als jene ‚simplicity‘ angemessen erfül-

Bäderausstattungen

lend betrachtet wurden, zeigt ein Zitat aus

der

Villa

Karma

(Abb.  17) und des Palais Stoclet (Abb. 29)

der Zeitschrift The Studio von 1901:

kurz exemplarisch überprüft und somit ihre Tragfähigkeit beziehungsweise Umsetzung

“Also worthy of high praise is the

in die Praxis erläutert werden.

­dining-room, by M. Anton Pospischil, of

Beide Bäder gehen weit über einen am

Vienna, from plans by Professor J. ­

Gebrauch orientierten Zweckanspruch hin-

­Hoffmann. Here the influence is English,

aus. Es sind großzügige Räume, die zum Ver-

but, that appart, there is abundant eviden-

weilen einladen. Das Bad des Palais Stoclet

ce that this is the work of a decorater

bietet hierzu sogar eine gepolsterte Liege,

strongly inclined towards simplicity and

die im Zusammenhang mit der Badewanne

comfort.”301

eine regelrechte Sitzgruppe bildet. Daher definierte Hoffmann noch 1929 die Rolle des Badezimmers wie folgt: 298 Loos 2010 (1927), S. 637–643. 299 Breuer 1998, S. 31.

300 Hoffmann 1929, S. 487. 301 Mourey 1901, S. 118–120. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit. Das betreffende Speisezimmer der Firma Anton Pospischil, das auf der Pariser Weltausstellung 1900 präsentiert wurde, findet sich in der Monografie

123

124

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Wie grundlegend Adolf Loos für sanitäre Räumlichkeiten wiederum die englische Kultur als führend ansah, beweist sein Artikel Die Plumber von 1898.302 Loos verbindet mit den Installationen des Klempners auch eine englische Lebensart; nämlich jene, die sich nicht davor scheut, Aktivitäten zu unternehmen, bei denen man Gefahr läuft, schmutzig zu werden: „Die Angst vor dem Schmutzigwerden kennt der Engländer nicht. Er geht in den Stall, streichelt sein Pferd, setzt sich darauf und fliegt über die weite Heide. Der Engländer macht Alles selbst, er jagt, steigt auf die Berge und sägt Bäume.“303 Loos malt im Gegenzug zum Österreicher das überzeichnete Bild eines freieren und autarkeren Engländers, der eine weit höhere

Abb. 32: Josef Hoffmann: Palais Stoclet, Vestibül, 1905–1911, Brüssel, 281 (ehemals 303) Avenue Tervueren

Beziehung zur Natur vorweist und dies allein durch die ihm zur Verfügung stehenden sani-

Auffällig bleibt jedoch die Deckengestal-

tären Anlagen. Damit ist allein schon die

tung des Badezimmers der Villa Karma

akzentuierte Gestaltung eines Bades im Gefü-

(Abb. 17). Mit seiner Tonnenwölbung erin-

ge eines Gebäudes eine Hinwendung zu einer

nert jene Lösung vielmehr an die Formen-

an ‚simplicity‘ orientierten Lebensauffassung.

sprache Josef Hoffmanns, wie zum Beispiel

Der Zug zur Einfachheit im Werk Loos’ wird

ein Vergleich mit dem Vestibül des Palais

auch als Hang zur Enthaltsamkeit verstan-

Stoclet verdeutlicht (Abb. 32). An dieser Stel-

den – zum Beispiel im Sinne eines Verzichts

le zeigt sich, dass Hugo Ehrlich sich mögli-

auf das Ornament. Daher wird gerne auch

cherweise nicht alleine an den Vorarbeiten

die Parallele zu den Möbeln der Shaker für

Loos’ für die Villa Karma für seine Weiter-

Adolf Loos’ Arbeit gezogen.304

führung orientierte, sondern vermutlich auch die Arbeiten Hoffmanns und der Wiener Werkstätte kannte und rezipierte. Den Einflusskreis der „Arts and Crafts“-Be-

Seklers im Werkverzeichnis unter der Nummer WV 37. (Sekler ²1986, S. 260f.) 302 Loos 2010 (1898.2), S. 104–111. 303 Loos 2010 (1898.2), S. 106. 304 Vergleiche dazu Rukschcio 1985, S. 63 und Opel 2010, S. XVf.

wegung erweiternd, ist sich die Fachliteratur nicht völlig einig über die Wirkung der Werke Mackintoshs auf das Schaffen Hoffmanns. Der Großteil der Literatur geht von einer

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

einseitig konzipierten Vorbildrolle Englands

Entwicklungen auf, indem er die Quelle für

und Schottlands für Wien aus. So heißt es

seine geometrisch begründete Weltordnung

zum Beispiel im Ausstellungskatalog Traum

im englischen Biedermeier verortete.310

und Wirklichkeit, Hoffmann sei von Mackin-

Auch Werner Schweiger sieht in der

tosh zu seinem „Quadratl-Stil“ beeinflusst

Zusammenarbeit von Entwerfer und Ausfüh-

worden.305 Roger Billcliffe spricht sogar

rendem im Rahmen der Wiener Werkstätte

davon, dass Mackintosh, wenn überhaupt,

die Begründung für einen Stil- und Form-

dann in Wien so etwas wie eine Schule grün-

wandel.311 Das englische Vorbild der Institu-

dete. Dem entgegengesetzt behauptet Billclif-

tion Werkstätte an sich bleibt, jedoch gewinnt

fe jedoch auch, dass Mackintosh ebenso von

die Wiener Werkstätte von dieser Warte aus

seinen Wiener Kollegen zu den streng geo-

einen eigenständigeren Charakter. Abermals

metrischen Formen geführt worden sein

lässt sich eine Übernahme von Idealen beob-

könnte.

Elisabeth Schmuttermeier skizziert

achten, aber den Forderungen der Bewegung

die Entwicklung, dass die Forschung in den

entsprechend strebte man einen eigenen

letzten Jahren eher dazu neigt, von einer

Lösungsweg an. Dieser Ansicht folgend

unabhängig voneinander vollzogenen, den-

spricht Kirk Varnedoe zwar von einer unbe-

noch ähnlichen Lösungsfindung Mackintoshs

streitbaren Einflussnahme Ashbees und

und Hoffmanns zu sprechen.307 Fakt bleibt,

Mackintoshs auf die Wiener Werkstätte, sieht

dass beide Künstler in etwa dem identischen

aber in den Arbeiten der gemeinsamen Pha-

Zeitraum mit einem sich stark ähnelnden

se Hoffmanns und Mosers in der Wiener

Formenkanon experimentierten. Günther

Werkstätte eine deutliche Steigerung der

Feuerstein benennt dieses Faktum als Paral-

Klarheit der Kunsterzeugnisse.312 Neben die-

lelen zwischen Mackintosh und den Arbei-

sen ästhetisch formalen Bezügen sind es

ten der Wiener Werkstätte.308 Die Betonung

jedoch gerade die emotionalen Aspekte wie

liegt auf „Parallele“, die eine Gleichzeitigkeit

die Handwerks- und Künstlergemeinschaft

und Verwandtschaft vermittelt, aber keine

sowie die lebensreformerische Vorstellung

deutliche Vorreiterrolle suggeriert. Neben

von ‚simplicity‘, an die die Einrichtungen

Mackintosh war es zum Beispiel auch Ash-

Loos und Hoffmanns anknüpfen können;

bees ausgestelltes Œuvre, das Hevesi dazu

gerade weil über diese Konzepte die Entitä-

bewegte, die Metapher des „viereckigen Pla-

ten ‚Mensch‘ und ‚Ding‘ wahrnehmungspsy-

neten“ zu verwenden.

Ebenso zeigte bereits

chologisch miteinander verschränkt werden.

Hevesi die Parallele Ashbees zu den Wiener

Zu einer direkten Zusammenführung der

306

309

Werke von Mackintosh und Hoffmann kam 305 Schmuttermeier ²1985, S. 337 und Waissenberger ²1985.2, S. 467f. Dieser Einschätzung folgt der schottische Ausstellungskatalog von Peter Vergo. (Vergo ²1984, S. 45.) 306 Billcliffe 1994, S. 195–198. 307 Schmuttermeier 1996, S. 192 und Schmuttermeier 2010, S. 123f. 308 Feuerstein 1964, S. 178. 309 Ludwig Hevesi zitiert nach Schweiger 1982, S. 17.

es 1902, noch vor dem Beginn der Bauten am Palais Stoclet oder am Sanatorium

310 Schweiger 1982, S. 17 und Auer und Klee 2011, S. 160. 311 Schweiger 1982, S. 19f. 312 Varnedoe 1993, S. 83.

125

126

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

­P urkersdorf, als Fritz Wärndorfer, der spä-

Oscar Wilde und des Flaneurs nach Charles

tere Mäzen der Wiener Werkstätte, sich sei-

Baudelaire umschrieben haben. Alessandra

ne Wohnung von beiden Künstlern einrich-

Muntoni geht ebenso davon aus, dass beim

ten ließ.

Mackintosh hatte Wärndorfer

Garten des Palais Stoclet die Ästhetik der

seine Skizzen für einen Musiksalon zuge-

Lüge („l’Estetica della Menzogna“) von

sandt. Wärndorfer bat Hoffmann, ihm bei

Oscar Wilde zum Tragen komme. So sieht

der Auslegung der Skizzen und Ausführung

sie in den Äußerungen des Artikels Ansich-

der Möbel zu helfen.

313

Hierfür sprach zum

ten. Naturalismus und Stil von Franz Lebisch

einen die derzeitige Arbeit Hoffmanns am

in der Zeitschrift Hohe Warte, die im selben

Herren- und Speisezimmer Wärndorfers, aber

Jahrgang auch einen Artikel zu Oscar Wilde

vor allem wohl die Ebenbürtigkeit der b ­ eiden

veröffentlichte, ein Indiz für ihre These gege-

Künstler.315 Als Ziel der Unternehmungen

ben.317 Der relevante Abschnitt, auf den Mun-

Wärndorfers stand laut Elana Shapira eine

toni sich bezieht, lautet:

314

Neuerfindung seiner Person im Mittelpunkt: „GARTENKUNST: Sie ist die augenfäl“[…] Waerndorfer wanted to change first

ligste und glücklichste Negation der will-

himself and then his surroundings through

kürlichen Natur. Der naturalistische Gar-

his support of a new artistic design. In

ten, der die willkürliche Natur im kleinen

other words, his enthusiasm as a patron

Rahmen nachahmen will, bleibt stets eine

of art, applied arts and cabaret was moti-

klägliche Karikatur. Die Kunst will auch

vated by the idea of reinventing himself

im Garten einen Gegensatz zur Natur

through a constant and lively dialogue

schaffen. Sie verwendet die Pflanzen nach

with the art scene as well as through pos-

dem architektonischen Prinzip, das den

session of beautiful artifacts.”316

Ausdruck der menschlichen Illusion festigt. Sie gibt Bäumen und Büschen die Ge-

Ebenso spricht Shapira von einer dandyhaf-

stalt von Kugeln, Kegeln und Würfeln als

ten Haltung Wärndorfers, der darauf erpicht

Architekturbestandteilen, bildet aus Pflan-

war, ein „theatrical artistic spectacle“ um

zenwuchs gründämmerige Wände und Ni-

sich herum zu errichten. Als Quelle für ihre

schen, die sie mit dem Lächeln der Fau-

These bezieht sie sich unter anderem auf

ne, der Kühnheit der Heroen und der

Baroni und D’Auria, die den potenziellen

Melodie der Brunnen erfüllt.“318

Kunden Josef Hoffmanns bereits als einen entfernten Verwandten des Dandys nach

Typisch wären für den Hoffmann’schen Kunden daher das eigene Unterwerfen für die

313 Prokop 2003, S. 300. Vergleiche dazu Shapira 2006, S. 52–92. 314 Schweiger 1982, S. 23. 315 Shapira widmet sich in ihrer Dissertation in einem ausführlichen Kapitel dieser Einrichtung. (Shapira 2004, S. 163–205.) 316 Shapira 2004, S. 174.

Kunst und die distanzierte Beobachtung der Realität.319 Jener Aspekt, dass der Kunde sich 317 Muntoni 1989, S. 19 und S. 133. 318 Lebisch 1905/1906, S. 191. 319 Shapira 2004, S. 177.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

mit literarischen Figuren im Sinne von Rol-

de Architektonik. Die Gerade, besonders

lenmodellen identifiziert, ist als eine zentra-

die Senkrechte, ist zum Prinzip erhoben

le These dieser Arbeit zu definieren, die bei

und reckt sich hoch heraus, dass sie fast

der Analyse des Michaelerhauses noch unter-

geisterhaft wirkt.“323

mauert wird. Deutlich wird dadurch insbesondere die emotional aufgeladene Bezie-

Der Charakter der Kunst Josef Hoffmanns

hung von Mensch und Architektur.

lässt sich zumindest um die Zeit der Erbau-

Desgleichen wird überliefert, dass Josef

ung des Palais Stoclet (Abb. 2) und des Sana-

Hoffmann 1902 Mackintosh in Glasgow

toriums Purkersdorf (Abb. 3) einer ähnlichen

besuchte.320 Josef Hoffmann reiste zusammen

Strenge zuordnen, die zum einem in dem

mit Myrbach für zwei Wochen im Dezember

Grundgedanken des Gesamtkunstwerkes

nach England und verbrachte zwei Tage die-

ruht und zum anderen auf sein geometrisches

ser Reise bei Mackintosh in Schottland.

Ornament des Quadrats zurückzuführen ist.

321

Diese persönliche Bekanntschaft fand nach der künstlerischen Zusammenführung in den

Thomas Bremer erörtert in seinem Arti-

Räumlichkeiten der Wohnung Wärndorfers

kel in den Ästhetischen Grundbegriffen,

statt. Hoffmann besuchte auch – seiner schon

dass der Begriff Charakter immer stark als

1900 formulierten Intention folgend – die

Vergegenwärtigung von Individualität auf

Werkstätten Ashbees.

Weitere Ähnlichkei-

der Basis einer „Affektkonstanten“ ver-

ten im Denken Mackintoshs und Hoffmanns

standen wurde. Des Weiteren betont Bre-

werden deutlich, wenn man den Ausführun-

mer die Rolle des Wortes für die Musik-

gen Hermann Muthesius’ zu Mackintosh und

und Architekturästhetik im 18. und 19.

der Schule von Glasgow folgt:

Jahrhundert und konstatiert, dass bis in

322

die 1780er-Jahre die Begriffe Charakter „Unsere dekorative Kunst der letzten Jahr-

und Affekt „weitgehend austauschbare“

zehnte war in ihrer Zersplitterung, in der

waren. Bereits 1785 wurde durch die Ver-

Vielheit und dabei Verschwommenheit ih-

öffentlichung Untersuchungen über den

rer Ziele verworren und karakterlos. Dies

Charakter der Gebäude; über die Verbin-

rief nach den Gesetzen der Wechselwir-

dung der Baukunst mit den schönen

kung das Bestreben wach, eine höchst

Künsten und über die Wirkung, welche

straffe, beschränkt-einheitliche, herb-stren-

durch dieselben hervorgebracht werden

ge Kunst zu entwickeln. Sie tauchte an

sollen ein wirkungsästhetischer Ansatz

verschiedenen Orten gleichzeitig auf. Und

zur Interpretation des Charakters von Ar-

so haben wir auch in dieser Glasgower

chitektur vorgelegt. So findet sich dort die

Formenwelt plötzlich fast ein Übermaß

Definition: „Die Eigenschaft eines Gebäu-

von Karakter, eine fast drückend wirken-

des, wodurch es eine merkliche Wirkung auf unser Herz thut, nenne ich seinen

320 Ohne Autor 2005 Broschüre. 321 Schweiger 1982, S. 22f. 322 Schweiger 1990, S. 5.

323

Hermann Muthesius zitiert nach Fuchs 1902, S. 579.

127

128

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

­Charakter“.324 Im 20. Jahrhundert erhält

eine „eigene Symbolsprache“ inhärent sei.

sich der Charakterbegriff über seine um-

Als die ihm typische Praxis beschreibt Billclif-

gangssprachliche Dimension hinaus nur

fe, dass Mackintosh Möbel speziell für Räum-

in wenigen Bereichen. Karl Marx prägt

lichkeiten entwarf und sie, daher in einen

zum Beispiel den Begriff der „Charakter-

anderen Kontext versetzt, an Wirkung ver-

maske“. Freud nutzt den Begriff hingegen

lieren oder zumindest Modifikationen ver-

nur noch sehr marginal in der Traumdeu-

langten. Er zeichnet das Bild einer geschlos-

tung aus dem Jahr 1900 und in Charakter

senen Kunstwelt für die Arbeiten Mackintoshs

und Analerotik von 1908.325

und sieht gerade darin den Grund für seinen Erfolg beim Wiener Publikum der 8. Seces-

In Hinblick auf diese Begriffsgenese erscheint

sionsausstellung.327

Muthesius’ wiederholte Nennung von „Karak-

Die Autoren, die sich für eine Vorbildrol-

ter“ und dessen Verquickung mit einem wir-

le Mackintoshs für Wien aussprechen, sehen

kungsästhetischen Eindruck jedoch nicht

in seinem Entwurf Haus eines Kunstfreun-

mehr beliebig, sondern wohl gesetzt. So

des von 1901 einen Vorläufer des Palais

schreibt Sekler beim Palais Stoclet zum Bei-

Stoclet.328 Diese Meinung trifft in Bezug auf

spiel von einem „Gefühl, daß statische Ele-

die Formulierung des Wettbewerbstitels zu.

mente additiv aneinandergefügt worden“

Sie ähnelt dem realen Auftrag Hoffmanns

wären und sieht in der „Hinwendung zu geo-

für das Palais Stoclet: Ideen-Wettbewerb für

metrischen Elementarformen“ – wie dem

ein herrschaftliches Wohnhaus eines Kunst-

Quadrat oder dem sich daraus dreidimensi-

freundes.329 Weitere Parallelen sind die Beto-

onal entwickelnden Würfel – eine „Richtungs-

nung der Fläche, der Blockcharakter und

losigkeit“ und daher eine „nicht dynamisch“

die Erschließung der Innenräume über eine

wirkende Expression gegeben, die ihrerseits

hohe Halle, die im ersten Stock von einer

wiederum zu einer „Negierung des tektoni-

Empore umschlossen ist.330 Der entschei-

schen Ausdrucks“ am Palais Stoclet führe.326

dende Unterschied zwischen dem Entwurf

Mackintoshs „Kunstcharakter“ wird von

Mackintoshs und dem ausgeführten Bau

Roger Billcliffe umschrieben als eine „Vor-

Hoffmanns ist das Verhältnis von Fläche

stellungswelt“, die auf „emotionalen und

und Rahmung und der damit verbundenen

ästhetischen Reizen“ basiere, und Mackin-

Metapher eines Schmuckkästchens für das

tosh schuf auf der Basis jenes Charakters

Palais Stoclet. Mackintoshs Skizze ver­

Möbelformen, die nicht etwa an überlieferte

anschaulicht einen abwechslungsreichen

Formensprachen erinnerten, sondern denen

Hauskörper, der von der Wandfläche bestimmt wird, präsentiert aber auf gar

324

Hier zitiert nach Thomas Bremer: Charakter / charakteristisch, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 1 (2010), S. 790. 325 Bremer, Thomas: Charakter / charakteristisch, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 1 (2010), S. 772–794. 326 Sekler ²1986, S. 83f.

327 Billcliffe 1994, S. 178–198. 328 Baroni und D’Auria 1984, S. 67 und Kurrent 1991, S. 14f. 329 Kurrent 1991, S. 14f. Vergleiche dazu Schorske 1985, S. 52f. 330 Sperlich 1959, S. 52f.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

­keinen Fall eine Vorlage für die atektonisch

Wohnhaus eines Kunstfreundes von 1900

anmutende Fassade Hoffmanns (Abb. 2 und

mit dem Palais Stoclet von Hoffmann ein:

22).331 In der umfangreichen Monografie Seklers zu Hoffmanns Werk schreibt er zum

„Es [das Palais Stoclet; LT] setzt Hoff-

Vergleich von Mackintoshs Entwurf mit dem

manns und Mackintosh Thema der klein-

Palais Stoclet:

teiligen, in glatte weiße Wände eingesetzten Fenster fort. Doch die Wandflächen

„Wo der Schotte seine Oberflächen als mo-

bestehen aus hellgrauen gesägten norwe-

dellierte Begrenzungen von skulptierten

gischen Marmorplatten und nicht aus ein-

Baukörpern behandelt, in die Öffnungen

fachem schottischem Rauhputz, und die

eingeschnitten sind, gestaltet Hoffmann

Bauteile sind durch vergoldete Metallpro-

die seinen als klar definierte, eingerahm-

file zusammengehalten, die jede Kante der

te Flächen, die jeweils ein Eigendasein

Gebäudesilhouette umlaufen. Die regel-

führen und die Plastizität der Volumina

mäßigen vertikalen Fenster des Haupt-

überhaupt nicht betonen. Was sein Leh-

blocks vermitteln den Eindruck, daß das

rer Otto Wagner als eines der Leitmotive

Palais Stoclet im Grunde ein klassizisti-

einer neuen Architektur postuliert hatte,

sches Gebäude ist, eher unfreiwillig zu-

‚die tafelförmige Durchbildung der Flä-

sammengefügt und ausgeschnitten und

che‘, wird hier erfüllt. Ein zweiter wesent-

nicht aus dem Zusammentreffen der in-

licher Unterschied, den der Vergleich auf-

neren Funktionen entstanden, wie es Ma-

zeigt, betrifft die Kompositionsweise; wo

ckintosh bei seinem Haus eines Kunst-

Mackintosh die lose Gruppierung pracht-

freundes so schön zum Ausdruck brachte.

voll modellierter Baukörper vorzieht, die

Der Grundriß hat einige Ähnlichkeiten

eine Erbschaft der Arts and Crafts-Bewe-

mit dem Mackintoshs. […] Raffinement

gung und des Interesses an mittelalterli-

und feingliedrige Formen herrschen vor,

chen Bauten ist, behält der Wiener die

ähnlich wie bei Mackintosh, doch ohne

ordnende Axialität der klassischen Ent-

seine Kurven, Verjüngungen und witzigen

wurfsmethodik bei.“332

Einfälle. Möbel und Wandflächen sind von Hoffmanns Vorliebe für die Rechtwinklig-

Auf Sekler verweisend spricht auch Kenneth

keit geprägt, mit Ausnahme des Speise-

Frampton beim Palais Stoclet von einer

zimmers, das durch die komplexe Geome-

grundlegend atektonischen Anlegung.333 Peter

trie und die starken Farben zweier

Davey, der deutlich von einer Vorbild­rolle

Mosaike von Gustav Klimt, ebenfalls

Mackintoshs für die Wiener Werkstätte aus-

Secessionist, belebt wird.“334

geht, schränkt jedoch den Vergleich von Mackintoshs Entwurf für Ein herrschaft­liches

Auch wenn Daveys Darstellung teilweise einseitig orientiert ausfällt, ist es doch bemer-

331 Sekler 1970, S. 41f. 332 Sekler ²1986, S. 85. 333 Vergleiche dazu Frampton 2010, S. 77f.

334 Davey 1996, S. 235f.

129

130

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

kenswert, dass er gerade in der Hoff-

nen Profile, die sich wie Nähte um die Kan-

mann’schen „Vorliebe für Rechtwinkligkeit“

ten der Wände legen und die dahinter

eine Unterscheidung zu Mackintoshs Arbei-

befindliche Massivbauweise verschleiern

ten erkennt.

(Abb. 2 und 22). Die Assoziation mit Näh-

Friedrich Kurrent spricht vom Palais

ten entsteht vor allem dadurch, dass Hoff-

Stoclet auch als dem „Schrein von Brüs-

mann die Kantenbereiche, an denen sich

sel“.335 So heißt es weiterhin bei Kurrent:

zwei Flächen treffen und zum Teil auch überschneiden, durch lineare Ornamentmotive

„In sich ruhend, nobel und vornehm ist

überlagert. Ähnlich wie Bordüren legen sich

seine Erscheinung und unwillkürlich denkt

die Profile als Besatz auf die Wandränder

man an den Entwerfer des Hauses, Josef

und führen damit den massiven Charakter

Hoffmann, der nach meiner Erinnerung im

eines Gebäudes ad absurdum.338 Sekler for-

hohen Alter eine ähnliche Ausstrahlung

muliert beim Turm den Eindruck, dass „die-

vornehmer Zurückhaltung hinterließ.“336

se Randprofile wie Kaskaden herabzuströmen“ scheinen und dies entstehe vor allem

Jene Metapher eines breitgelagerten, daher

dadurch, dass die Profile die einzelnen „Fas-

ruhenden Kastens oder Schreins, der zur

sadenflächen“ regelrecht räumlich plastisch

Aufbewahrung von Kostbarkeiten dient und

umfangen.339 Jenes Konzentrieren auf Lini-

damit im übertragenen Sinn zum Schmuck-

en, die wiederum die dazwischen liegenden

kästchen wird, ist natürlich sprechend für

Wände zu Flächen reduzieren, könnte man

das Palais Stoclet, das auch die umfangrei-

in Bezug auf die Arbeiten Mackintoshs set-

che Kunstsammlung des Ehepaares Stoclet

zen. Rainald Franz sieht zumindest in der

beherbergte. Der Eindruck eines Schreins

Entwicklung Hoffmanns zum „Linienkünst-

entsteht aber nicht nur – wie schon öfters

ler“ eine starke Beeinflussung durch Ashbee

in der Forschung erörtert wurde – durch die

und Mackintosh gegeben. Jenes dadurch

Aufstellung von Kunstwerken im Gebäude

motivierte „flächengeometrische Entwurfs-

und dessen Umfeld, sondern auch durch die

system“, bei dem Hoffmann mithilfe von

Verschalung des Palais Stoclet und demnach

„Leisten“ und „Rahmen“ „betonte Flächen“

bereits durch die Gestaltung des Gebäudes

schuf, ist seiner Ansicht nach auf den For-

an sich. Der Rohbau aus Ziegelmauerwerk

menkanon der englischen und schottischen

und Massivdecken wurde regelrecht von

Künstler zu beziehen.340 Dieser Annahme

außen wie von innen „bekleidet“337. Am

ist sicherlich zu folgen, auch wenn jene

Äußeren macht sich dieses Bekleiden beson-

Künstler bestimmt nicht als die einzige Quel-

ders deutlich durch die bereits beschriebe-

le für Hoffmanns Zusammenwirken von

335 Kurrent 1991, S. 9. 336 Kurrent 1991, S. 9. 337 Den Begriff des Bekleidens verwendet Friedrich Kurrent in diesem Zusammenhang. Kurrent 1991, S. 18.

338

Vergleiche dazu Baroni und D’Auria, die sich in diesem Zusammenhang auf Bruno Zevi beziehen. (Baroni und D’Auria 1984, S. 72.) 339 Sekler ²1986, S. 82. 340 Franz 2010, S. 13f.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

­Fläche und Umrandung an den Fassaden

es sich anders: der Architekt wollte für

seiner Bauten dienten.

diese Zimmer nichts sonst als Himmels-

Baroni und D’Auria sehen auch in der

landschaft haben, eine Welt in sich. Das

Behandlung der Übergänge von Außenwän-

Seepanorama erscheint sogleich wieder,

den und Dach bei Hoffmann eine Orientie-

sobald man die paar Stufen zu den zwei

rung an Mackintoshs Entwurf für das Haus

Blumenpergolen an den Ecken der Ter-

eines Kunstfreundes und an der Fensterlö-

rasse hinaufgestiegen ist.“343

sung eines Country Houses von Ashbee. Der Umstand, dass Hoffmann an der Straßenfas-

Das Endergebnis ist jedoch genauso wie am

sade die Fenster über das Hauptgesims hin-

Palais Stoclet ein Verwischen der Tiefenebene

auszieht, verdeckt deutlich den Ansatz des

an den Fassaden und damit ein Verdecken

Daches und maskiert dadurch regelrecht des-

von tektonischen Elementen: Das von Loos

sen lastende Grundstruktur (Abb. 2). Die

aufgesetzte Attikageschoss wird aufgrund der

ähnliche Fensterbehandlung an der zum Gar-

massiven, weißen Balustradenfläche und dem

ten hin orientierten Fassade führt zwar nicht

damit verbundenen vorwiegenden Verdecken

mehr so konsequent zu einer Verschleierung

der Fensterflächen zu einer Verlängerung der

des Dachansatzes, täuscht dafür jedoch über

darunter befindlichen Fassade des Hochpar-

die Tiefe der Dachterrassen optisch hinweg

terres und der ersten Etage. Die Balustrade

und bindet die Fensterflächen als Erweite-

tritt in ihrer Funktion von außen betrachtet

rung an die Gesamtfassade (Abb. 24).341 Baro-

gar nicht mehr in Erscheinung, sondern mutet

ni und D’Auria schränken ihre Beobachtun-

vielmehr als abschließende Wandfläche der

gen aber ein und betonen, dass es sich nur

darunter befindlichen, ersten Etage an

um eine Detailübernahme handelt und Hoff-

(Abb.  9). Auch wenn Hoffmann von der

mann jenes Teilstück in ein „völlig anderes

Außenwirkung her denkend die Fenster über

Kompositionsschema“ einsetze.

Adolf

die Dachtraufe hinauszieht und Loos viel-

Loos geht im zweiten Stock der Villa Karma

mehr – wie Bournoud vermitteln möchte –

vermeintlich gegensätzlich vor. Nur Bour-

von der Innensicht her sein Fassade konzi-

342

noud schildert jene Situation: „Die Räume oben sind Schlafzimmer, die Zugang zu einer mit roten Ziegeln belegten großen Dachterrasse haben […]. Dem Besucher wird auffallen, daß die efeubewachsene Brüstung der Dachterrasse den Ausblick in die Landschaft abschirmt. Vielleicht staunt er, schließlich doch noch ein Versehen zu entdecken. Doch verhält 341 Baroni und D’Auria 1984, S. 67–74. 342 Baroni und D’Auria 1984, S. 70.

343

Hierbei handelt es sich um eine Übersetzung Bournouds zitiert nach Ludwig Münz und Gustav Künstler. (Münz und Künstler 1964, S. 64–66. Übersetzt nach Bournoud 1944, S. 47: “Les pièces du haut sont des chambres à coucher ayant accès à une grande terrasse-toiture dallée de briques rouges. [...] Le visiteur remarque que le mur parapet de la terrasse recouvert de lierre forme écran devant le paysage  ; il s’en étonne et croit enfin découvrir une erreur. Détrompez-vous, Loos a voulu créer de ces chambres un paysage de ciel, comme un petit univers isolé. Le panorama du lac vous le retrouverez en gravissant les quelques marches des deux pergolas fleuries situées aux angles de la villa.”)

131

132

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

piert, lässt sich deutlich f­eststellen, dass

Baroni und D’Auria benennen die Halle des

beide Architekten auf die korrekte Wieder-

Palais Stoclet als „Atrium“346 und schaffen

gabe der Konstruktion des Gebäudes auf der

so allein schon durch die Betitelung des

Fläche der Fassade ­verzichten.

Raums eine Nähe zum italienischen Palazzo

Die Halle übernimmt sowohl ein wichti-

– ohne sie explizit auszuführen. In Bezug auf

ges Moment für die Konzeption des Palais

die Funktion der Halle als Schaltzentrale des

Stoclet als auch der Villa Karma bei der Erör-

Hauses ziehen sie aber auch Verwandtschaf-

terung des englischen oder schottischen

ten zum Entwurf Mackintoshs für das Haus

­Vorbilds für die beiden Wiener Architekten.

eines Kunstfreundes.347 Auch wenn sie, von

Eduard F. Sekler betont sogar schon die Vor-

jenem Entwurf abweichend, eine dominante

bildrolle Sir John Soanes für den Eingangs-

Orthogonale, bestehend aus Erker, Atrium

pavillon des Palais Stoclet.344 Mit dieser Aus-

und überdachter Terrasse, für die sonst zum

sage bezieht sich Sekler nach eigenen

Mittelpunkt der Halle zulaufende Anlage

Angaben auf Emil Kaufmann, der bereits

erkennen.348 Betrachtet man die Halle der

1955 eine Verwandtschaft zwischen Soanes

Villa Karma (Abb. 14) oder die von Josef

Werken und dem Palais Stoclet formulierte:

Hoffmann zuvor verwirklichten Wohnhallen auf der Hohen Warte – wie beispielsweise

„There is a somewhat striking resemblan-

die Wohnhallen des Hauses Koloman Moser

ce between the playful and capricious in-

mit seinem Treppenaufgang (Abb. 33) oder

ventions of Art Nouveau and Soane’s ‚in-

jene des Hauses Spitzer (Abb. 34) – mit ihren

cised wall surface treatment’, his tendril

holzverkleideten Wänden, gediegenen Licht-

or stalklike moldings on the outside of the

verhältnissen sowie ihren dezent am Rand

Museum, the walls of several rooms of the

des Raumes positionierten Treppen, lassen

Bank, and on the Dulwich Gallery. The-

sich viel deutlichere Formbezüge zu engli-

se decorations of Soane are of a morbid

schen Vorbildern beobachten. Liest man

grace – fin de siècle, one would have said

einen Artikel C. F. A. Voyseys über die

fifty years ago. The spirit which created

Remarks on domestic entrance halls, lassen

the Dulwich Gallery (1811–1814), was re-

sich gerade für die genannten Wohnhallen

vived in buildings like Josef Hoffmann’s

viel mehr Parallelen herstellen als für die des

Palais Stoclet, at Brussels, about a cen-

Palais Stoclet.349 Laut Voysey ist bei der ­Halle

tury later. There is a great similarity be­

vor allem zu beachten, dass auf keinen Fall

tween them though each beats the mark

die in die Höhe führende Wirkung empfeh-

of ist own era, the former belonging to a

lenswert ist. Es gelte vielmehr die Horizon-

period of intensified classical studies, the

tale350 zu betonen, um alles auszuschließen,

latter extremely eager to get away from the past. Both are but slightly touched by the new structural aspiration.“ 344 Sekler ²1986, S. 88. 345 Kaufmann 1955, S. 59f.

345

346 Baroni und D’Auria 1984, S. 67. 347 Baroni und D’Auria 1984, S. 67. 348 Baroni und D’Auria 1984, S. 67. 349 Voysey 1901, S. 242–246. 350 Zur Horizontalen und ihren Konnotationen schreibt Voysey des Weiteren: „Die Horizontale

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

Abb. 33: Josef Hoffmann: Haus Koloman Moser, Wohnhalle, Hohe Warte, Wien

es ihm bei der Auswahl der Einzelformen

was dazu tendiert, den Eindruck von „repo-

kendes Ensemble, daher schreibt er:

um ein auf den ankommenden Besucher wir-

se“351 (Ruhe) zu zerstören. Des Weiteren geht “You must choose your hall furniture and

351

dominiert, wenn die Sonne untergeht … Um also entscheidend dazu beizutragen, daß unsere Häuser als Ort der Ruhe und des Rückzugs dienen können, (muß man) Winkligkeit und verwirrende Vielfalt in Farbgebung, Gestaltung oder Oberflächenstruktur vermeiden und eher die horizontalen denn die vertikalen Linien betonen.“ Hier zitiert nach Breuer 1998, S. 35. Vergleiche dazu Davey 1996, S. 92. Die Übersetzung geht zurück auf Voysey 1915, S. 111. Ruhe wird von Voysey als eines der wichtigen Merkmale unter anderen für das bürgerliche Heim definiert: „Ruhe, Heiterkeit, Einfachheit, Breite, Wärme, Stille im Sturm, Wirtschaftlichkeit im

ornaments as carefully as you choose the first words to a stranger on his arrival, if you would produce on him an effect of peaceful friendship and homely bliss.”352

Wohnen, der Charakter des Schützenden, harmonische Einbindung in die Umgebung, keine dunklen Gänge oder Winkel, eine ausgeglichene Temperatur, und … für die, die darin leben, ein angemessener Rahmen.“ Voysey 1998 (1906), S. 32. 352 Voysey 1901, S. 244.

133

134

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 34: Josef Hoffmann: Haus Spitzer, Wohnhalle, Hohe Warte, Wien

tes Gefüge darstellt und weder allein der Formenwelt eines italienischen Palazzo-Innenhofes noch einer englischen Hall oder eines

Bei der Halle des Palais Stoclet (Abb. 28)

Biedermeier-Wohnzimmers zugeordnet wer-

sind es vor allem die Pfeiler, die über die

den kann. Hoffmann kombiniert freizügig

Galeriebalustraden bis zur Decke weiterge-

vielerlei Quellen miteinander und verzichtet

führt werden und somit eine in die Höhe füh-

damit auch auf eine formenanalytische Strin-

rende Vertikale umschreiben und demnach

genz. Ähnlich dem Skulpturenprogramm der

dezidiert nicht den Formulierungen Voyseys

Außenfassaden, bedient sich Hoffmann

entsprechen. Mit der angeschlossenen Sitz-

eklektizistischer Übernahmen und ordnet sie

nische und ihrem äußerst repräsentativen

zu einem neuen Gesamtbild. Voysey hätte

Erscheinungsbild – auch im Sinne eines guten

diese Vorgehensweise wohl verurteilt. So

Eindrucks zu verstehen – nähert sich die Hal-

schreibt er zum Beispiel in Vernunft als

le jedoch wieder den Bemerkungen Voyseys.

Grundlage der Kunst:

Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass die Halle des Palais Stoclet ein komplizier-

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

„Einfachheit, Ehrlichkeit, Ruhe, Unmit-

Felder, die einfach die Balustraden des ers-

telbarkeit und Offenheit sind Eigenschaf-

ten Stockwerks darstellen, wie Aufzüge zwi-

ten, die für gute Architektur ebenso we-

schen den schmalen Pfeilern hinauf und her-

sentlich

guten

ab gleiten könnten.354 Hingegen spricht

Menschen. Anstatt zu versuchen, poeti-

Sekler auch davon, dass die Innenräume all-

sche Ideen und moralische Gefühle aus-

gemein als eine „sorgfältige abgestimmte Fol-

zudrücken, geben wir uns mit Sensatio-

ge von Eindrücken“ entworfen und sie nach

nen zufrieden: Sensationen der Form, der

ihrem Einsatz jeweils „stimmungsmäßig und

Farbe, der Textur, von Licht und Schat-

ikonographisch“ gekennzeichnet wurden.355

ten. […] Es ist ganz logisch zu sagen: ‚Ich

Für die Hoffmann’sche und auch Mackin-

sind

wie

für

einen

will keine Erbauung in meinem Hause ha-

tosh’sche Bevorzugung des Schwarz-Weiß-­

ben. Was ich will, ist ein Kitzel für mein

Kontrastes lässt sich als Quelle ebenfalls ein

Gefühl durch Form, Farbe und Textur. Ich

Engländer ausmachen. Es handelt sich um

habe für Ruhe, Einfachheit und Offenheit

Aubrey Beardsley, der die Schwarz-Weiß-Farb-

nichts übrig. Ich lebe gern in einem Mu-

gebung in der Illustration anwandte.356

seum und versammle alle Stämme der

Neben Beardsleys Farbgebung war es auch

Erde um mich, mit ihren Sitten und Ge-

seine Auflösung des perspektivischen Rau-

bräuchen.’ Sollte man dann nicht lieber

mes in ein Geflecht von Flächen, die Mackin-

in einem Hotel leben? Mißbraucht dafür

tosh beeinflusste.357 Eines der bekanntesten

nicht den heiligen Namen Heim!“353

Beispiele für diese Kontrasttechnik ist die Illustrationsreihe von 1894 zum Stück

Durch dieses Zitat wird deutlich, dass Hoff-

­Salome von Oscar Wilde. Die Bilder können

mann mit dem Palais Stoclet kein Heim im

Josef Hoffmann über die Zeitschrift The Stu-

Sinne Voyseys verwirklichte, sondern viel-

dio bekannt gewesen sein, da Aubrey Beards-

mehr ein auf Repräsentation hin ausgerich-

ley einer ihrer Illustratoren war.358 Außerdem

tetes Spektakel. Auch wenn sich intimere

befand sich eine größere Anzahl von Beards-

Räumlichkeiten finden, verbleibt das Palais

ley-Grafiken in Fritz Wärndorfers Besitz, die

Stoclet ein Gebäude, das in seiner Gänze

er wiederum 1899 in der 5. Secessionsaus-

eine kontrastreiche Folge von Affekten aus-

stellung präsentierte und von wo sie Josef

zulösen weiß und dementsprechend in seiner

Hoffmann sicherlich kannte.359 Elana Shapi-

Grunddisposition nicht unbedingt konse-

ra betont für Wärndorfers Interesse an den

quent mit der ‚simplicity‘ – wie sie Morris

Arbeiten Beardsleys die Faszination an „the

formuliert hatte – zu vereinbaren ist. Als mögliche ‚Affektkette‘ könnte man zum Beispiel die visuell vermittelte Illusion der Felder zwischen den Pfeilern der Halle bezeichnen. Es entsteht der Eindruck, als ob jene 353 Voysey 1998 (1906), S. 145. Die Übersetzung stammt aus Posener 1964.

354

Josef Hoffmann verwendete ein ähnliches Hallenmotiv auch beim kleinen Landhaus für die Firma J. & J. Kohn auf der Kunstschau von 1908. (Sekler ²1986, WV 123, S. 325f.) 355 Sekler ²1986, S. 89. 356 Ankwicz Von Kleehoven 1960, S. 6. 357 Curjel 1971, S. 130f. 358 Waissenberger 1971, S.13. 359 Vergo ²1984, S. 38.

135

136

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

artist’s dandyism, his tendency to sexualize

­Ebenen auch in Brüssel entstehen ließ (Abb.

all objects, and further, due to his critical

24 und 30). Das Freilichtzimmer der „Arts

health condition, to flirt with death fanta-

and Crafts“-Bewegung zeigte die ordnende

sies“. Ebenso nennt Shapira auch Wärndor-

Hand des Menschen und sollte die Erweite-

fers Wunsch, sich selbst als Dandy zu insze-

rung des Hauses nach außen veranschauli-

Des Weiteren erschien 1903 in Ver

chen. Im Falle des Red House wurde die

Sacrum ein Artikel zu Aubrey Beardsley.361

Form des Quadrates als Grundriss der Frei-

Wie richtunggebend der Schwarz-Weiß-Kon-

lichträume verwendet.363 Hoffmann hätte

trast im Werk von Josef Hoffmann für das

aber, wie schon am Biedermeier demonst-

Sanatorium Purkersdorf war, zeigt sich im

riert, niemals einfach einen Stil übernom-

weiteren Verlauf dieser Arbeit. Ebenso ist

men. Klarheit ­verschafft an dieser Stelle eine

Beardsleys Bezug zur Kultur der Dekadenz

Aussage ­Hoffmanns:

nieren.

360

ein weiteres Puzzleteil zur Verständlichkeit des eskapistischen Luxusideals am Palais

„England geht uns hierin [im Kunstgewer-

Stoclet, das nicht unbedingt mit den Ent-

be; LT] weit voran, doch sollte sein zu-

wicklungen der „Arts and Crafts“-Bewegung

meist an mittelalterliche Formen sich an-

zu vereinbaren ist. So zeigte zum Beispiel

lehnender Geschmack nicht auch für uns

das Modell des Palais Stoclet noch eine Fas-

der maßgebende sein, sondern wir sollten

sade mit schwarzen Linien statt goldenen

Englands Interesse für Kunstgewerbe und

Profilen. Jene schwarzen Gitterraster waren

also Kunst im allgemeinen erkennen und

in schwarzem schwedischem Granit gedacht

auch bei uns wachzurufen suchen, aber

und sollten weiße Wandflächen rahmen.362

unsere Kunstformen immer und immer

Für Josef Hoffmann ergaben sich demnach

wieder in unserem eigenen Wesen zu su-

viele Möglichkeiten, bei denen er mit den

chen trachten und endlich die hindern-

Vorstellungen der „Arts and Crafts“-Bewe-

den Schranken veralteter Stilduselei kräf-

gung in Berührung kam, und vor allem

tig von uns stoßen.“364

beweist sein eigenes Schaffen dieses Abarbeiten an deren Konzepten abermals. In die-

Hoffmanns eigenen Worten zufolge, strebte

sem Zusammenhang könnte man auch seine

er den gleichen Zielen der Engländer, das

Lösung der Gartenarchitektur im Rahmen

heißt der „Arts and Crafts“-Bewegung nach,

des Palais Stoclet benennen, die auch vom

bestand aber deutlich auf seine nicht engli-

englischen Verständnis her geprägt sein

schen Wurzeln und proklamierte für sich die

könnte. „Arts and Crafts“-Gartenarchitektur

Findung einer eigenständigen Lösung, fern-

formte nämlich „Freilichtzimmer“, die Hoff-

ab von jeder ‚Romantisierung‘ der vergange-

mann durch Hecken und verschiedene

nen Stilformen insbesondere der Gotik, die er bei Ruskin und Morris noch nicht

360 Shapira 2004, S. 179. 361 Symons 1903, S. 117–138. Der Artikel ist illus­ triert mit Zeichnungen von Josef Hoffmann. 362 Sekler 1970, S. 32.

363 Davey 1994, S. 71 und S. 75 sowie Wagemann 1994, S. 105. 364 Hoffmann 1897, S. 12.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

­überwunden sieht.365 Gerda Breuer spricht

Das Gesamtkunstwerk als „Stimmungsbau“

von einem „Verfahren des 19. Jahrhunderts, Gegenwart aus der Vergangenheit zu revita-

Dem Gesamtkunstwerk wird, nach dem Ver-

lisieren“ und nennt die Gotikrezeption als

ständnis des Komponisten Richard Wag-

ein Schlüsselmoment jenes Phänomens im

ners,369 die Rolle der „Regeneration der

Zusammenhang mit der „Arts and Crafts“-Be-

Gesellschaft mit Hilfe der Kunst“ zugeschrie-

wegung. Breuer konstatiert für John Ruskin

ben.370 Dieser Definition folgend, stellt das

(1819–1900) eine „idealisierte und farben-

Gesamtkunstwerk eine Zusammenfassung

prächtige“ Fantasie des Mittelalters, die er

der verschiedenen Kunstgattungen zu einer

dem „trüben und finsteren Industriezeitalter“

Inszenierung dar. Oberstes Ziel dabei ist die

kontrastierend entgegenstellte.

‚Romanti-

„Metamorphose der Gesellschaft“.371 Die Ver-

sierung‘ ist daher der richtige Ausdruck für

sammlung aller Künste wird durch diese

das Aufgreifen der Handwerkskultur des Mit-

Intention Mittel zum Zweck. Das Ziel ist die

telalters durch die „Arts and Crafts“-Bewe-

„Transformation als Übergabe an den

gung, weil diese „Erneuerer“ niemals die Kor-

Betrachter / Zuhörer / Zuschauer“.372 Dabei

rektheit ihrer Annahmen einer Untersuchung

spielen

unterzogen.

­exorbitante Rolle. Der Sinn des Gesamt-

366

367

Innovation

und

Reform

eine

Hoffmann stellte sich in die Tradition der

kunstwerks wird auch als eine „Erhebung

Formen- und Konzeptwelten von Biedermei-

des Menschen über sich selbst“ beschrie-

er und „Arts and Crafts“-Bewegung, da er

ben.373 Die Begriffe Einheit und Gemein-

sich gerade mit ihren Gestaltungs- und

schaft werden dem Gesamtkunstwerk essen-

Lebensidealen identifizieren konnte. Von der

ziell zugrunde gelegt. Richard Wagners Idee

Rückorientierung zum Handwerk und der

des Gesamtkunstwerks entwickelte sich aus

damit einhergehenden Abkehr von der

den Idealen der Revolution von 1848 und

maschinellen Industrie bei Ruskin, der For-

stellte sich gegen die Eroberung der Künste

derung nach Nützlichkeit und Angemessen-

durch die Industrie.374 Richard Wagner legt

heit in der Konstruktion

368

, bis hin zur Fin-

dung eines genuinen Zeitstils bei seinem Zeitgenossen Mackintosh weist Hoffmanns frühes Œuvre deutliche Anleihen auf. Wie

369 370

man aber gleich knapp zum secessionistischen Gesamtkunstwerk sehen wird, beru-

371

hen seine Formschöpfungen auch auf Einflüssen aus dem direkten Wiener Kunstkreis.

372

373 365 Hoffmann 2002 (1929), S. 14. 366 Breuer 1998, S. 77. 367 Breuer 1998, S. 26. 368 Davey 1994, S. 64.

374

Vergleiche dazu AK Der Hang Zum Gesamtkunstwerk 1983, S. 165–178. Storch, Wolfgang: Gesamtkunstwerk, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 2 (2010), S. 731. Storch, Wolfgang: Gesamtkunstwerk, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 2 (2010), S. 731. Storch, Wolfgang: Gesamtkunstwerk, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 2 (2010), S. 731. Storch, Wolfgang: Gesamtkunstwerk, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 2 (2010), S. 744. Storch, Wolfgang: Gesamtkunstwerk, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 2 (2010), S. 751.

137

138

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

die tradierte Kausalkette von Natur, Mensch

­S­ecessionisten. Allein schon die Teilung der

und Kunst an. Demnach fokussiert die Kunst

Secession in zwei Lager (Stilisten und Natu-

sich im Menschen selbst, so wie der Mensch

ralisten)379 veranschaulicht, wie diffizil es

seinen Ursprung in der Natur vorfindet. Die

sich gestaltete, sich auf ein einziges Konzept

Industrialisierung fasst Wagner als widerna-

zur Schaffung des Gesamtkunstwerkes zu

türliche Mode auf, die man durch das

einigen. Mithilfe eines verortenden Stils woll-

Gesamtkunstwerk zu überwinden habe. In

ten die Secessionisten zunächst vereint alle

ihrer Überwindung wird die Utopie der

Kunstgattungen zu einem Ganzen verbinden.

zukünftigen Vereinigung aller Menschen

Diesen Anspruch versuchten sie, durch ihre

gezeichnet, die dann die „vollendete mensch-

Einrichtungsprojekte sowie zunächst als Vor-

liche Natur“ versinnbildlicht. Das Bild eines

bildinstanz in Form der Ausstellungen im

„Kunstwerks der Zukunft“ wird erträumt.375

Secessionsgebäude zu verwirklichen. Neben

Demzufolge fände das Gesamtkunstwerk sei-

dem Schwerpunkt auf den bildenden Küns-

ne Erfüllung im Leben, wenn das gesamte

ten zeigten zum Beispiel der Auftritt der Tän-

„Volk“ sein Gestalter sein wird.

Das heißt,

zerin Isadora Duncan von 1902 und die lyri-

es hat den Anspruch, den Rahmen der Kunst

schen Veröffentlichungen in Ver Sacrum, dass

zu sprengen und ein Teil des Lebens aller zu

sich die Secession dem Anspruch der Zusam-

werden, ob nur für den Moment oder die

menführung aller Künste verschrieb.380 Von

Dauer einer Aufführung oder für längerfris-

allen Ausstellungen mit dem Anspruch des

tig. Das Gesamtkunstwerk wird zur ästhe-

Gesamtkunstwerks ist die 14. Secessionsaus-

tisch aufgeladenen Lebensphilosophie.

stellung hervorzuheben, die sich der Beetho-

376

Durch Olbrichs Entscheidung für die

venstatue Max Klingers widmete und die der

­Lorbeerlaubkrone des Secessionsgebäudes

künstlerischen Oberleitung Josef Hoffmanns

stellt sich die Wiener Secession in die Tradi-

unterstand.381 In dieser Ausstellung zeichne-

tion einer alle Künste zusammenschließen-

ten sich bereits die auf Ästhetizismus und

den Vereinigung, da der Lorbeerbaum Apoll

Eskapismus

– dem Anführer der neun Musen – gewidmet

Gesamtkunstwerks wie sie auch für das

ist.377 Die drei gegensätzlichen Begriffspaare

Palais Stoclet relevant werden sollten ab.

beruhenden

Aspekte

des

„Fühlen und Erkenntnis, Körper und Ge­­

Im Rahmen der 14. Ausstellung wurde der

danke sowie Wirklichkeit und Kunst“378

synästhetisch konzipierte Beethovenfries von

beherrschten das Schaffen der Wiener

Gustav Klimt, dessen Rahmung Josef Hoffmann entwarf, ausgestellt. Teil dieser Einfas-

375

Storch, Wolfgang: Gesamtkunstwerk, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 2 (2010), S. 752. 376 Storch, Wolfgang: Gesamtkunstwerk, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 2 (2010), S. 753. 377 Waissenberger 1971, S. 52. Vergleiche dazu Krauss und Uthemann 1998, S. 19, Lemma: Apoll und Daphne. 378 Munch 2005, S. 86.

sungen und Untermalungen aller Werke in der Ausstellung waren zwei Supraporten Josef Hoffmanns (Abb. 8). Die Reliefs bestan-

379

Zur Definition dieser beiden Gruppen vergleiche Kristan 2002, S. 9. 380 Waissenberger ²1985.2, S. 470. 381 Vergleiche dazu Lehner 2011, S. 52–115.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

den bemerkenswerterweise aus übereinander

Ausprägung des geometrischen Jugendstils.385

gelegten Rechtecken. In Nischen von etwa

Nur eines der beiden Reliefs ist durch ein

80 und 100 cm Seitenlänge und 15 cm Tiefe

Foto überliefert und dieses entwickelt sich

platziert, entwickelte sich ein Geflecht aus

aus einer symmetrischen Grundform, die mit

den überlagerten geometrischen Grundfor-

kleineren Formen asymmetrisch umspielt

men.

Eduard F. Sekler ordnet Hoffmanns

wird.386 Allein dieser Aufbau macht nach

Tätigkeit als künstlerischer Gesamtleiter und

Bogner einen Vergleich zu den abstrakten

Zuständiger für die Raumgestaltung im Rah-

Kunstwerken der kommenden Jahre unmög-

men dieser Ausstellung den „Höhepunkt sei-

lich.387 Bogner vergleicht Hoffmanns Arbeits-

ner puristischen Phase“383 zu. Des Weiteren

weise der Reliefs auch mit der Architektur

sieht Sekler in den Supraporten den Ort, der

des Palais Stoclet. Er formt die Interpretati-

das Wesen der Gesamtarchitektur zusam-

on einer der Zukunft vorauseilenden Kom-

menfasst und spannt Parallelen von den

position um zu einer allgemeinen Konstruk-

Hoffmannreliefs zu den späteren, kristalli-

tionslösung Hoffmanns.388 Damit ist gemeint,

382

nen Arbeiten Behrens’, Obrists oder Le

dass Hoffmann seine Bauwerke meistens auf

­Corbusiers.384 Geht man diesen Vergleichs-

eine Mittelachse bezog, die er mithilfe von

beispielen näher nach, fällt aber die Proble-

variierenden Baukörpern bewegt umspielte.

matik auf, dass sie zum Teil später zu datie-

Im Falle des von Bogner als Beispiel aufge-

ren sind als die Supra­ portenreliefs Josef

führten Palais Stoclet (Abb. 2, 22 und 24) ist

Hoffmanns. Nicht alle ­Beispiele können als

diese Vorgehensweise deutlich zu erkennen.

Inspirationsquelle für Hoffmann gedeutet

Ludwig Hevesi preist Josef Hoffmanns Aus-

werden, aber sie veranschaulichen zumindest

stellungsarchitektur im Fall der 14. Secessi-

eine Strömung, der Hoffmann und sein der-

onsausstellung sogar als „Stimmungsbau“ und

zeitiges Schaffen zuzurechnen sind. Die

vor allem als „modernen Tempelbau“.389 Einem

gegenseitige Kenntnis von und Inspiration füreinander ist nur schwerlich genau zu benennen. Viel relevanter ist das allgemeine Interesse an der geometrisch konstruierten Form, das Hoffmann in einer Bewegung verortet und ihn nicht zum allein stehenden Pionier stilisiert. Kritischer sind die Interpretationen der Supraporten zu sehen, die in den geometrischen Schichtungen einen Vorläufer der de Stijl-Bewegung oder des „Neoplastizismus“ erkennen. Dieter Bogner sieht mit Recht in Hoffmanns Plastiken eine typische 382 Bogner 1982, S. 27. 383 Sekler ²1986, S. 58. 384 Sekler ²1986, S. 60.

385 Bogner 1982, S. 24. 386 Vergleiche zur gleichen Kompositionsweise Kamm-Kyburz 1985, S. 117f. 387 Bogner 1982, S. 27. 388 Bogner 1982, S. 28. 389 Die Textstelle lautet bei Hevesi: „Die Ausstellung von Max Klingers Beethoven ist der Glanzpunkt in der bisherigen Geschichte der Wiener Kunstausstellungen. Aber nicht nur das Was, auch das Wie dieser Ausstellung ist denkwürdig. Es wurde ein vollkommener Stimmungsbau aufgeführt, vergänglich und doch echt vom ersten bis zum letzten. Ein Raum der Weihe, der Tempelstimmung für einen Gottgewordenen. […] Aber Hoffmanns Tempelbau ist an sich so geistvoll und stimmungsvoll, daß man ihn dazu beglückwünschen darf. Er hat in Ziegelbau und Rauhputz einen modernen dreischiffigen Tempel aufgeführt. […] ‚Kristallisierter Putz‘ scherzt Hoffmann. In den Füllungen über einigen Türen tritt dieser Putzkristall in besonders

139

140

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Zitat Josef Hoffmanns zufolge, ist von

fassenden Harmonie aller Teile dar, und Lux

­„Kristallisiertem Putz“

zu sprechen. Mate-

spricht sogar von einem „Hymnus der Schön-

rial und Form gehen eine Symbiose ein. Joseph

heit“, der den gemeinsamen Ursprung von

August Lux sieht in der Aufgabe der Ausstel-

Kunst und Ethik veranschaulicht.394 Der

lung vorwiegend „die würdige Um­­rahmung“

391

Gesamtkunstwerks-Anspruch wurde noch

des Beethovendenkmals und stellt diese Schau

dadurch verstärkt, dass am Eröffnungstag der

außerhalb der bisherigen ­Intentionen:

Ausstellung Gustav Mahler mit einem Bläser­

390

arrangement die neunte Symphonie Beet­ „Bei allen früheren Veranstaltungen der

hovens aufführte.395 Ein weiteres Beispiel für

Sezession (sic!) hat es sich darum gehan-

die Zusammenarbeit Mahlers mit den Seces-

delt, Kunstwerke, die unabhängig von

sionisten im Wunsche nach Schaffung eines

­einander entstanden sind, harmonisch zu-

Gesamtkunstwerks ist die Arbeit Alfred Rol-

sammenzufassen, mit verständnisvollem

lers als Bühnen- und Kostümbildner für die

Bedacht auf ihre Einzelwirkung zu einem

Wiener Staatsoper unter der Leitung Mah-

Ganzen zu verbinden, und dergestalt das

lers.396 Ebenso scheint es nur zunächst neben-

Ausstellungswesen künstlerisch neu zu be-

sächlich, dass Hoffmann in einem seiner weni-

leben. Eine Vielheit war gegeben; die

gen Vorträge erwähnt, Olbrich sei von

Raum-Gestaltung formte sie zur Einheit.

Wagnermusik „besessen“.397 Das Musikzimmer

Diesmal sollte es umgekehrt sein: die Ein-

gehörte fest zur Wiener Wohnungsausstat-

heit war gegeben, die Raum-Idee und der

tung,398 wie schon weiter oben am Beispiel der

malerische und plastische Schmuck tra-

Familie Wärndorfer demonstriert. Josef Hoff-

ten in ihren Dienst. Es galt dabei sichtbar

mann richtete 1903 auch Sonja Knips ein

zu machen, wie sich die Aesthetik der Ma-

Musikzimmer ein, das sich durch seine auf

lerei und der Plastik in Bezug auf den ar-

den Nutzen hin ausgerichtete Gesamtwirkung

chitektonischen Gedanken ändert […].“

und das geometrische Gliederungssystem aus-

392

zeichnete.399 Im Palais Stoclet befindet sich Der von Lux betonte Raumentwurf stellte sei-

konsequenterweise auch ein Musik- und The-

ner Ansicht nach richtig folgernd keinen his-

atersaal, dessen Bühne sowohl mit einem Flü-

torischen Zusammenhang her, sondern einen

gel als auch mit einer Orgel ausgestattet ist.

teleologischen.393 Der Zweck begründete

An dieser Stelle angelangt, muss man die

schon an diesem Punkt den tonangebenden

Villen auf der Hohen Warte in Wien erwäh-

Charakter in Hoffmanns Schaffen. Der Zweck

nen, die als Hoffmanns erste Aufträge im

der Ausstellung stellte sich in der zusammen-

launiger Zusammenstellung auf, Bildungen von irgendeinem ungeahnten Kalkspat vergleichbar.“ (Hevesi 1906, S. 390.) 390 Josef Hoffmann zitiert nach Hevesi 1906, S. 390. 391 Lux 1902.1, S. 475. 392 Lux 1902.1, S. 475. 393 Lux 1902.1, S. 481.

394 Lux 1902.1, S. 481. 395 Hollein ²1985, S. 560 und Hofmann 1983, S. 86. 396 Vergo ²1984, S. 71–76. Für weitere Informationen zu Alfred Roller siehe AK Alfred Roller 1991, S. 5. 397 Hoffmann ²1986 (1911), S. 487. 398 Lux 1905, S. 112–120. 399 Miller 2004, S. 62–65.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

Sinne eines Baukünstlers zu sehen sind. Da

tizierte in dieser „Schmuckschatulle“ ein

er an ihnen seine Fähigkeiten vom Architek-

Leben mit einem ständigen Bezug zur

ten bis hin zum Kunsthandwerker verwirk-

Kunst.403 Das Palais Stoclet widmete sich dem

lichen konnte und dem Idealbild einer Künst-

Leben mit gesammelten Kunstwerken und

lergemeinschaft ein Heim gab. Beiden mit

einem künstlerischen und repräsentativen

einem Gesamtanspruch konzipierten Werken

Lebensstil. Für das Großprojekt war eines

– der 14. Secessionsausstellung und den Vil-

entscheidend: die ganzheitlich waltende Hand

len der Hohen Warte – ist die Weltanschau-

Hoffmanns.404 Jene ganzheitlich waltende

ung gemein, dass der Künstler eine ordnen-

Hand ist es dann wohl auch, die zu der Inter-

de Kraft in sich vereint. Die Ansiedelung auf

pretation führte, dass Hoffmann dem Ideal

der Hohen Warte, die dem Konzept einer

folgte, dass das Innere des Gebäudes bereits

Künstlergemeinschaft im Sinne Ruskins ent-

durch das Äußere vermittelt werden sollte.405

spricht,

und die Ausstellung, die das kon-

So ist folgende Aussage des damaligen Brüs-

sequente und allumfassende Walten eines

seler Bürgermeisters Charles Buls überliefert:

400

Talentes verkörpert, vereinten in Hoffmann die Ansprüche der „Arts and Crafts“-Bewe-

„Architektur und Urbanismus müssen in

gung als Vorbild gerecht zu werden und den

der Landschaft/Heimat verwurzelt sein.

Gedanken des Gesamtkunstwerks zumindest

Meiner bescheidenen Meinung nach nüt-

zeitweise von der Theorie in die Realität zu

zen die ultramodernen Ästheten diese Axi-

überführen.401 Deutlich wird an dieser Stelle

ome, die sie für irreversibel halten, aus.

eine Vermischung des Gesamtkunstwerkbe-

Einer unter ihnen widersprach mir, als ich

griffs, wie er zum einen von Richard Wagner

erklärte, die Architektur des Palais Stoclet

als das Leben übersteigerndes Gemein-

nicht zu bewundern, er wies mich zurecht

schaftswerk und zum anderen von der „Arts

und machte darauf aufmerksam, dass die

and Crafts“-Bewegung als sozialreformeri-

Außenhülle des Hauses genau dem Inne-

sche Lebenswelt formuliert wurde.

ren entspräche, dass man die Architektur

Neben den Villen auf der Hohen Warte ist

gar nicht verstehen könne, ohne das In-

im Zusammenhang des Gesamtkunstwerks

terieur zu kennen. Darauf antwortete ich

natürlich auch das Palais Stoclet, das

ihm, er wäre gezwungen alle Umzugskis-

ursprünglich ja gerade auch auf einem Grund-

ten zu bewundern, wenn die Form genau

stück der Hohen Warte geplant war, einzu-

ihrem Inhalt entspricht.“406

ordnen. Es stellt die Kulmination des Wunsches Hoffmanns nach Überhöhung des

Hierbei kann also nicht etwa die von außen

Lebens dar. Leopold Kleiner, ein Schüler

betrachtete direkte Lesbarkeit der Innenar-

Hoffmanns, nannte es „ein Gefäß erhöhter Lebensführung“.402 Die Familie Stoclet prak400 Kassal-Mikula 1984, S. 194. 401 Varnedoe 1993, S. 43. 402 Kleiner 1927, S. XXVI.

403 Sekler 1970, S. 41. 404 Pirhofer 1986, S. 313. 405 Noever 2010, S. 7. 406 Hier ist die Übersetzung zitiert nach Hoyos 2011, S. 195.

141

142

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

chitektur im Sinne der Nachvollziehbarkeit

Dass der Bühnenvorhang bereits Bestandteil

seiner Konstruktion gemeint sein. Vielmehr

der Theaterinszenierung ist und nicht nur im

ist es vermutlich die gestalterische Haltung

Sinne eines Abschirmens metaphorisch ein-

einer Wohnwelt unter den Topoi der Reprä-

gesetzt werden muss, wäre hier möglicher-

sentanz, Selbstinszenierung und mithilfe der

weise einzuwenden. Das Äußere des Palais

Kunst eine Selbsterhöhung der Bewohner

Stoclet wirkt mit seinen atektonischen Anmu-

und Besucher, die sich bereits am Äußeren

tungen, seinen goldenen Profilgirlanden und

manifestiert. Baroni und D’Auria stellen sich

den zahlreichen begleitenden, aber in ihrer

jener These entgegen, wenn sie schreiben:

Symbolik nicht unbedingt evident sprechenden Skulpturen zumindest nicht wirklich ver-

„Was haben wohl die jungen Architekten

nunftgeleitet. Allein schon im Künstler oder

der zwanziger Jahre vom Palais Stoclet

der Künstlergemeinschaft v ­ereinigte sich

konkret lernen können? Sicherlich nicht

zunächst die Instanz des zu schaffenden

die erklärte Theatralisierung, die in jedem

Gesamtkunstwerks und der zukünftigen

Raum herrscht und Inneres in Äußeres

Lebensart. Daher soll an dieser Stelle kurz

verwandelt. Ebenso ist der geschlossene

darauf eingegangen werden, inwiefern die

Raum der Bühne in Wirklichkeit nur vor-

Wiener Werkstätte vom Beginn der Secessi-

getäuscht, da eine Wand zum Publikum

on an eine wesentliche Rolle für die Konsti-

hin offen ist; genau zu jenem Publikum,

tuierung des Gesamtkunstwerks spielte.

für das das luxuriöse, mondäne Leben der

In Berta Zuckerkandls Memoiren sind

Bewohner des Palais als reine Vorstellung

einige Abschnitte zu finden, die der gängigen

gedacht schien. Den Besuchern wird von

Überlieferung von der Gründung der Wiener

den Zimmerfluchten, wie man sich vor-

Werkstätte widersprechen. Ihre sehr ausführ-

stellen kann, ein Schock nach dem ande-

lichen Schilderungen besagen, dass schon

ren eingeflößt, verstärkt noch durch eine

zum Zeitpunkt der Gründung der Wiener

Apotheose ‚echter‘ Materialien – vom

Secession im Jahr 1896 sich die Wunschvor-

Onyx an der Decke der Vorhalle bis hin

stellung einer Werkstätte ausformuliert hat-

zum feinsten Gold des echten Schmuck-

te. Neben den drei Persönlichkeiten Josef

stücks, das von der entsprechenden Werk-

Hoffmann, Koloman Moser und Fritz

stätte der Wiener Werkstätte angefertigt

Waerndorfer erscheinen bei Berta Zucker-

und in das Mosaik des großen Speisesaals

kandls reportageartigen Geschichten jedoch

eingefügt worden war. Dazu fungiert die

noch zusätzlich zum ‚Mythos der Fachlite-

frührationalistische Fassade in ihrer

ratur‘ Otto Wagner und Gustav Klimt als

­Klarheit und Strenge als Kontrapunkt und

Ideeninitiatoren. Der relevante Grund für

besitzt als solche die rätselhafte, liebens-

die um wenige Jahre verschobene Gründung

würdige Unverbindlichkeit eines Bühnen-

der Wiener Secession wird ebenso angege-

vorhangs.“407

ben. So ist es Klimt, der zur Raison mahnt:

407 Baroni und D’Auria 1984, S. 73.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

„Wir dürfen das Haus nicht beim Dach

österreichischen Kunsthandwerks, die

anfangen. Vor allem muß die Secession

schließlich zu der Gründung der einzig-

ihr Heim haben, erst wird gebaut, dann

artigen ‚Wiener Werkstätte‘ führte. Ihr Be-

eingerichtet.“

gründer war Josef Hoffmann. Ebenso wie

408

man von einer ‚Morris-Periode‘ gesproDie bisher überwiegend überlieferte und wei-

chen hat, spricht man heute schon von ei-

tertradierte Vorstellung, dass die Idee einer

ner ‚Hoffmann-Periode‘.“411

Wiener Werkstätte sehr spontan erfolgte und deren Umsetzung genauso schnell, nämlich

Dieses Zitat zeigt deutlich, dass sich die Zeit-

fast über Nacht, muss demnach hinterfragt

genossen der europäischen Parallelen und

werden.

Die Version der Gründung nach

Vorbilder bewusst waren und die Einreihung

Berta Zuckerkandl scheint realistischer. Sie

der Wiener Werkstätte wie auch der Wiener

zitiert Anwesende und erzählt mithilfe von

Secession in einen europäisch internationa-

informativen Details.410 Vor allem aber scheint

len Kontext erwünscht war. Dagobert Peche,

es nicht ganz abwegig, dass die Institution

der Nachfolger Koloman Mosers in der Wie-

einer Werkstätte, im Sinne einer Ergänzung

ner Werkstätte, beschreibt Josef Hoffmanns

des angestrebten und beabsichtigten Konzepts

Intention zur Gründung der Werkstätte mit

des Gesamtkunstwerks, von Beginn an in den

den Worten:

409

Köpfen der Secessionskünstler mitgedacht war, jedoch aufgrund von organisatorischen

„Als vor Jahren [verfasst 1922; LT] das

Umständen 1896 noch nicht an erster Stelle

Kunsthandwerk vollkommen steril wur-

der in Angriff zu nehmenden Aufgaben stand.

de und jede Formen- und Materialsprache

Diese breite Perspektive der Gründungs-

und Ausdruck in seichteste Nachahmung

mitglieder der Wiener Secession wird durch

von Formen, die ganz anderen lebenden

den Umstand untermauert, dass das Vorbild

Epochen angehörten, geriet, gründete

der Wiener Werkstätte in der „Arts and

­Josef Hoffmann in der Erkenntnis dessen

Crafts“-Bewegung zu sehen ist. Als ein

die Wiener Werkstätte. Denn er sah so-

Beweis hierfür könnte ein Auszug aus Berta

fort ein, daß es ihm gar nichts nütze, even-

Zuckerkandls Autobiografie Ich erlebte fünf-

tuell ein gutes Haus zu bauen, wenn alles

zig Jahre Weltgeschichte gelten:

das, was in dieses Haus gehört, nicht oder ganz schlecht vorhanden ist. Er gründet

„England und dessen prärafaelitische Be-

also die Wiener Werkstätte als Vereini-

wegung beeinflusste die Entwicklung des

gung von Kunsthandwerkern, die an einem Ort versammelt, die Ideen, welche

408 409

410

Gustav Klimt zitiert nach Zuckerkandl 1970, S. 36. Die in der Literatur weitergegebene Anekdote der Gründung der Wiener Werkstätte lässt sich nachlesen bei Schweiger 1982, S. 26f. Vergleiche dazu Zuckerkandl 1970, S. 31–37 und Meysels ²1984, S. 77f.

von einem Kopf kamen, ausführen sollten.“412

411 Szeps-Zuckerkandl 1939, S. 177. 412 Dagobert Peche zitiert nach Thurm 2003, S. 280.

143

144

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Die Wiener Werkstätte machte Vorhaben wie

ellen Inszenierung des Palais Stoclet als

das Palais Stoclet oder auch das Sanatorium

Gesamtkunstwerk zu bezeichnen: nämlich

Purkersdorf (Abb. 3) überhaupt erst möglich,

dann, wenn eine Festlichkeit mit Essen,

da funktional gesehen womöglich ohne sie

Musik und Theater in den extra dafür aus-

die Kosten in noch unermesslichere Höhen

gestatteten Räumlichkeiten gegeben wurde.

gestiegen wären und ästhetisch betrachtet

Sekler sieht in Speisesaal und Musikzimmer

solche Großprojekte nur mithilfe des Talents

Räume für die „Umstilisierung vom Dasein

Vieler entstehen können. Das Gesamtkunst-

zum ästhetischen Erlebnis“ und führt des

werk, oder wie Dagobert Peche es mit der

Weiteren aus: „auf dem Weg zu geistiger und

„geschlossenen Kultur“413 umschreibt, wurde

sinnlicher Selbsterfüllung bedeuteten Musik

erst durch die umfassende Tätigkeit der Wie-

und Theater als ‚Feste des Lebens‘ (Peter

ner Werkstätten ein reales Unterfangen.

Behrens) ebenso Höhepunkte wie das

Dies an dieser Stelle soweit zum Gesamt-

gemeinsame Mahl in einem mit hieratischer

kunstwerkbegriff als Gemeinschaftswerk im

Pracht für die Zelebrierung der Sinnenfreu-

Moment seiner Herstellung auf Basis einer

de bereiteten Gemach.“415 Demnach wird erst

sozialreformerischen Lebenswelt für den

durch die Nutzung oder vielmehr Bespielung

Handwerker und Künstler. Nach Vollendung

der Räumlichkeiten das Palais Stoclet

des Palais Stoclet durch die Künstler der Wie-

schließlich zum Gesamtkunstwerk. Vor allem

ner Secession und der Wiener Werkstätte

ist es möglich, zumindest eines abschließend

stellt sich jedoch die Frage, ob das Gesamt-

festzuhalten: Erst durch die Wahrnehmung

kunstwerk allein darin bestand, gemeinsam

des Gebäudes in seinen Einzelaspekten war

eine Kunstwelt zu erschaffen oder ob das

es möglich, so etwas Unkonkretes wie ein

Ergebnis jener Bemühungen auch als

Gesamtkunstwerk anschaulich zu machen.

Gesamtkunstwerk zu bezeichnen ist. A. S.

So sind es gerade die zeitgenössischen

Levetus publizierte 1914 in einem reich bebil-

Berichte, die anschauliche Impressionen für

derten Artikel zum Palais Stoclet in einem

jene stimmungshaft aufgeladenen Architek-

Sonderdruck der Zeitschrift Moderne Baufor-

turwahrnehmungen transportieren:

men die Aussage, dass „das Äußere und das Innere, die Dekoration, die Möbel und die

„Gestern spät abends beleuchtete Herr

gesamte Einrichtung des Hauses und seiner

Stoclet noch den Garten. Sternenklare

vierzig Zimmer ein organisches Ganzes von

Nacht, das weiße, weiße Haus im Bassin-

so vollkommener Harmonie [bilden; LT], wie

wasser widergespiegelt, die dunklen He-

sie nur noch bei antiken Architekturen oder

cken, darüber eine unvergleichliche Ruhe

bei

… wir blieben lange, lange davor.“416

vollkommenen

­werden.“

414

Körpern

gefunden

Levetus argumentiert demnach

ergebnisorientiert. Ebenso besteht die Möglichkeit, den Moment der höchsten artifizi413 Thurm 2003, S. 280. 414 Levetus 1991 (1914), S. 26.

415 Sekler ²1986, S. 92. 416 Eduard Wimmer: Brief vom 12. April 1912, Handschriftensammlung der Stadtbibliothek Wien I. Nr. 162.133, hier zitiert nach Sekler ²1986, S. 88.

3.2 Das Palais Stoclet als Vergleichs­objekt zur Villa Karma

Interessanterweise geht Joseph Maria Olbrich

der Ruhe als Emotionswert des Gartens for-

in seinem Artikel Der Farbengarten auch auf

muliert wird. Die Reduktion und Vereinfa-

den Begriff der Ruhe ein:

chung der Formen im Garten des Palais Stoclet (Abb. 24 und 30) könnten daher ein

„Das leuchtende Wunder, das aus den Blu-

ähnliches „Bedürfnis“ wie es Olbrich bezeich-

men strahlt, es drängt nach neuen Wegen;

net befriedigen wollen und taten es wohl

zu neuen Wegen findet sich neuer Rhyth-

auch, bedenkt man Wimmers Beschreibung

mus. Neue Werte erscheinen dann in dem

seiner Erinnerung an einen Abend im Gar-

großen Gebiete der Gartenkunst und mit

ten des Palais Stoclet. Ein Momentbild der

ihnen umwälzende starke Kräfte. Eine

Ergriffenheit wird von ihm für die Nachwelt

mächtige Bewegung im Volke geht nach

festgehalten und für das Palais Stoclet wird

gesunder Verinnerlichung. Nach Jahrzehn-

die Aufgabe der Fassung eines allein emoti-

ten grober Äußerlichkeiten und oberfläch-

onal greifbaren Kultes offensichtlich.

lichen Leichtsinnes – die breite Basis des

Dieses Kapitel abschließend zusammen-

gedankenlosen Schemas – besinnt sich der

fassend, sind sowohl die ‚schützende Maske‘

Mensch endlich auf sich selbst. Rückkehr

als auch der ‚Sozialcharakter‘ als moderne

zur Natur hieß es zuerst, daraus sich dann

Strategien eines Großstadtmenschen zu

ein Recht entwickelte, selbst denken und

bezeichnen. Jenes Bedürfnis nach Schutz und

selbst empfinden zu dürfen – den unge-

die Dominanz und Präsenz der psychologi-

sunden symbolistischen Eigenheiten einer

schen Selbstwahrnehmung werden überdeut-

nervenschwächenden Decadence in Kunst

lich durch die Verbreitung folgender zeitge-

und Literatur folgte ein wachsendes Be-

nössischer Theorien: Der Physiker Ernst

dürfnis nach Ruhe und Einfachheit. Nicht

Mach entwickelte um 1900 im gleichen Wie-

unbegründet gliedert sich die zeitgemäße

ner Kulturnetz die Theorie vom unrettbaren

Architektur in große ruhige Flächen, nicht

Ich und wenige Jahre später spaltete Sigmund

umsonst vollzieht sich eine Wanderung

Freud mit seinem Apparat von Subsystemen

hinaus aus der Städte Unkultur nach dem

den Menschen psychoanalytisch in die drei

gesunden frischen Land.“417

Instanzen triebhaftes Es, moralisches ÜberIch und das dazwischen oszillierende Ich

Auch wenn sich Olbrich letztendlich mit

auf. Ebenso demonstrieren auch heute noch

jenen Äußerungen auf die Gartenstadtbewe-

die Romane Robert Musils das damals emp-

gung und nicht etwa auf den Villengarten

fundene Dilemma einer Orientierungslosig-

bezieht, lässt sich feststellen, dass der Topos

keit des Individuums in der immer schneller funktionierenden modernen Gesellschaft und

417 Olbrich 1905/1906, S. 188. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit. Auch Alessandra Muntoni geht auf den Artikel von Olbrich mit einer anderen Schwerpunktlegung ein und stellt ihn in Bezug zum Garten des Palais Stoclet. Vergleiche dazu Muntoni 1989, S. 133– 138.

der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung formulierte mit der persona einen Sammelbegriff für eine nach außen gerichtete Hülle des Individuums im Sinne einer sozial erlernten Schutz-Maske. Deutlich wird ein von

145

146

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Ambivalenz und Nervosität getriebenes

lich

Suchen nach einer Identitätskonstruktion

emotionalen Botschaften, die sie mittels

bei einer gleichzeitigen Feststellung von Auf-

ihrer Architektur und Innenausstattung

lösungstendenzen. Jenes Bild einer Aporie

transportierten, zu untersuchen. Sowohl

findet sich im zeitgenössischen Begriff Stim-

Josef Hoffmann als auch Adolf Loos lösten

mung kondensiert und wurde bereits von

das Bild der Kongruenz zwischen ‚moder-

Hermann Broch in seinem Epochenbegriff

nem Ich‘ und Architektur. Hoffmann reagiert

der fröhlichen Apokalypse versinnbildlicht.

mit beruhigten ­Formen, die mithilfe geome-

So sprach Loos zum einen davon, dass der

trischer Ordnungen wie zum Beispiel dem

Architekt zur Aufgabe habe „Stimmungen in

Motiv der Rahmung eine klar strukturierte

der Architektur festzuhalten“, während Karl

Welt entstehen lässt. Diese Rahmung wurde

Kraus zugleich die zu Gegnern Loos’ Stili-

bisher vorwiegend als Gestaltungsmotiv und

sierten als Menschen verspottete, die sich in

als formales Erkennungsmerkmal im Œuvre

Stimmungen wohlfühlten. Anna-Katharina

Hoffmanns benannt, soll nun aber darüber

Gisbertz fasst jene Qualität der Stimmung

hinausgehend auch als Wirkungskonzept sei-

in ihrer Publikation Stimmung – Leib – Spra-

ner Architekturen und Einrichtungen ver-

che. Eine Konfiguration in der Wiener

standen werden. Loos sieht hingegen die

Moderne sogar als „doppelte Funktion“. Die

Lösung in der neutralen Fassade als Maske

Stimmung erzeuge zum einen „die Erfahrung

und Schutzschicht zwischen der öffentlichen

des Zusammenhangs von Ich und Welt“, die

und privaten Sphäre gegeben. Eine Abschot-

sich als Kompensation einer „Auflösung von

tung ins Private wird von Loos mittels sei-

tradierten Orientierungsleistungen“ versteht,

ner Architektur als ein Lebensmodell for-

und zum anderen vermittle die Stimmung

muliert. 1924 schreibt Adolf Loos seine

jedoch ebenso eine „Welterfahrung“, die vor

vorherige Arbeit synthetisierend in seinem

allem durch ein „pluralistisches Geschehen“

Aufsatz Von der Sparsamkeit: „Der moder-

wahrgenommen wurde.418

ne intelligente Mensch muß für die Men-

Hoffmann und Loos konzipieren Ersatz-

der

sozialen

Strukturen

und

schen eine Maske haben.“

welten als festes Gerüst für ein sich ständig

Im weiteren Verlauf sollen das Bild der

neu definierendes Bürgertum. Jedoch unter-

Maske und die Figur des Dandys für seine

scheiden sich die Botschaften in ihrer Rhe-

Architektur tiefergehend vorgestellt werden.

torik. Um jene Rhetorik noch greifbarer zu

Die Architekturen sowohl Hoffmanns als

machen, soll sich im Folgenden intensiv der

auch Loos’ sind dazu prädestiniert verschie-

Analyse zweier Hauptwerke jener Schaffens-

dene Grade der Intimität vom Öffentlichen

jahre von 1900 bis 1911 gewidmet werden.

bis hin zum Privaten zu veranschaulichen.

Das Sanatorium Purkersdorf von Josef Hoff-

Deutlich zu beobachten ist eine sowohl in

mann (Abb. 3) und das Haus am Michaeler-

ihrer Konzeption durch den Architekten prä-

platz von Adolf Loos (Abb. 4) sind hinsicht-

disponierte Wahrnehmungsstrategie der ­Bauten als auch eine emotional geäußerte

418 Gisbertz 2009, S. 12.

Wahrnehmung der Architekturen durch die

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Zeitgenossen. Dies gilt ebenso für die Bau-

Zeit und schafft dazu ein Stück Architektur,

werke Loos’ als auch für die Hoffmanns.

das wohl weder nur dem Jugendstil noch

Fassen lassen sich diese vielschichtigen ­

bereits dem Neuen Bauen zuzuordnen ist.

Erscheinungen unter dem Sammelbegriff der

So ist es auch Ludwig Hevesi, der bereits

Stimmung.

1909 das Sanatorium Purkersdorf in einem Aufsatz als eine „vernünftige Zweckkunst“421

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf: Stimmung als Realisierung einer Utopie der Gesundheit

inszeniert und ihm damit neben der Suche nach dem „Schönen“ eine über die Ästhetik des Jugendstils hinausragende Aufgabenstellung gibt. Dem „Schönen“ und der damit

3.3.1. Baubeschreibung

verbundenen Suche nach einem neuen Stil im Sinne eines zeitgemäßen eigenen Aus-

Konfusion um Standort und Definition eines ungewöhnlichen Bauwerkes

drucks stark verbunden, rückt Hoffmann den

Das Sanatorium Purkersdorf (Abb. 3), auch

licher in den Mittelpunkt seines Sanatoriums

Hoffmann-Pavillon genannt, ein Gebäude

Purkersdorf.

Topos des Nutzens, der von seinem Lehrer Otto Wagner geprägt wurde,422 immer deut-

aus Ziegelmauerwerk unter der Verwendung

In zwei wichtigen zeitgenössischen Berich-

von Stahlbetondecken und Stahlbetonstüt-

ten zum Sanatorium Purkersdorf wird

zen,419 lässt sich nicht elementar nur einer

sowohl von Ludwig Hevesi als auch von

Richtung zuordnen. Spricht man in diesem

Joseph A. Lux, dem Herausgeber der Zeit-

spezifischen Fall von einem Bauwerk des

schrift Hohe Warte, eine deutlich bejahende

geometrischen Jugendstils oder reicht die Architektur des Sanatoriums Purkersdorf schon über diese Definition hinaus und begründet eine neue Ausdrucksweise in der Architekturgeschichte oder stellt es die Vorstufe eines neuen Stils im Sinne eines Brückenbaus zwischen Historismus, Jugendstil und Moderne dar? Peter Gorsen spricht von „Manierismen und Stilzwittern“ als Charakteristika der Bauten Josef Hoffmanns.420 Genau jene zwei Begriffe treffen den Definitionsstandort des Sanatoriums Purkersdorf. Josef Hoffmann unterläuft mit seinem Sanatorium die bisher gängigen Normen seiner 419 Breckner 1982, Punkt 1.4 und Breckner 1985, S. 2. 420 Gorsen 1985, S. 75.

421 Hevesi 1909, S. 214. 422 Otto Wagners Biografie ist zunächst aufschlussreich für solch eine Verkettung der Architekturauffassungen der beiden Persönlichkeiten. Wagner wurde 1841 noch im Vormärz und Spätbiedermeier geboren. Er erlebte den Wettbewerb um die Ringstraße als Student des Polytechnikums und studierte bei Siccardsburg und van der Nüll, den beiden Architekten der Wiener Oper an der Ring­ straße. Sein Werdegang ist stark vom Unternehmen der Wiener Ringstraße geprägt. (Achleitner 1996, S. 31.) Wie eng wiederum Hoffmann an Otto Wagner gebunden war, veranschaulichen einige seiner Lebensstationen. Otto Wagner war Hoffmanns Lehrer an der Kunstakademie in Wien. Hoffmann arbeitete circa ein Jahr im Architektenbüro Wagners und beide waren Mitglieder der Wiener Secession. Eine starke Mischung der Architekturauffassungen beider Architekten wird mit diesen Randdaten wahrscheinlich, auch wenn ihre Arbeiten nicht miteinander gleichgesetzt werden dürfen. (Baroni und D’Auria 1984, S. 21 und S. 29.)

147

148

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Stellung zum Hoffmann-Pavillon bezogen.

sie erst am eigenen Leibe das fördersame

Beide stammen selbst aus dem Kreis um die

­Behagen dieser vernünftigen Zweckkunst

Wiener Secession und schreiben wohl daher

erfahren und sich in diese praktische,

in Hinblick auf Kritiker im Sinne einer Vor-

­logische, auf eigene Art elegante Aus-

wärtsverteidigung für ihre Auffassung von

drucksweise eines modernen Bautalents

zeitgemäßer Kunst. Sich einer stetigen Geg-

hineingewöhnt haben, werden sie sich

nerschaft in Wien bewusst, vor allem begrün-

nicht leicht wieder zum Aufenthalt in

det durch die Frontstellung von Secession

­unzurechnungsfähigeren

und Künstlerhaus – aus dem die Secessionis-

­bequemen.“423

Heimstätten

ten wegen fehlender Ausstellungsmöglichkeiten ihrer Exponate ausgetreten waren –,

Ludwig Hevesi argumentiert äußerst versiert.

ufern die Texte in Lobpreisungen und Ankla-

In diesen wenigen Zeilen steckt bei Weitem

gen gegenüber den Unverständigen aus. So

mehr Rhetorik als sich beim ersten Durch-

schreibt Ludwig Hevesi 1905 in seinem Arti-

lesen des anekdotischen Berichts vermuten

kel Neubauten von Josef Hoffmann. Purk-

lässt. Allein die ad absurdum geführten Jah-

ersdorf. Hohe Warte. Brüssel zum Beispiel:

reszeiten haben nicht nur die Bedeutung, dass es sich damals im Jahr 1905 um einen

„In den sonnigen Frühlingstagen, die uns

recht sonnigen Herbst handelte, sondern die

dieser Herbst beschert, habe ich einige

Nennung des Frühlings weckt deutliche Asso-

Gänge durch das äußere und äußerste

ziationen zum Ver Sacrum-Siegel der Wiener

Wien getan. Die Natur lohnte reichlich,

Secession. Einem Wahlspruch gleich betitel-

aber auch die Kunst war freigebig. Sie

te die Künstlergruppe ihre eigene Zeitschrift

stellte sich da und dort mit willkomme-

mit dem heiligen Frühling. In diesem Zusam-

nen Überraschungen ein, in Form von neu-

menhang muss man auch das Credo Der Zeit

en Gebäuden, wie sie nur unsere Wiener

ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit stellen,

Neukünstler schaffen. Die originalen na-

das von Ludwig Hevesi kreiert wurde.424 Bei-

türlich, nicht die leidigen Kopisten, von

de Devisen schmücken die Fassade des

deren Abklatschkunst die Gassen der in-

Secessionsgebäudes von Joseph Maria

neren Bezirke wimmeln. In Bauherren-

Olbrich in Wien an der Friedrichstraße. Bei-

kreisen rumort noch immer die alte Angst

de formulieren auch ein bestimmtes Kunst-

vor den Erfindern, die wirkliche Einfälle

verständnis und eine Lebenseinstellung, zu

haben. Erst wenn diese durch das weiche-

deren Begründern und Befürwortern Gustav

re Hirn eines beliebigen Nachahmers ge-

Klimt, Koloman Moser, Carl Moll, Otto Wag-

gangen, werden sie für den Geschmack

ner, Joseph Maria Olbrich und eben auch

des bauen lassenden Publikums verdau-

Josef Hoffmann zählen.

lich. Doch das ist nun einmal nicht an-

Des Weiteren spricht Hevesi in diesem

ders. Möglich, daß eine Kur im neuen

Abschnitt von „originalen Wiener Neukünst-

­Sanatorium Purkersdorf diesen Herrschaften auch ästhetisch gut tun wird. Wenn

423 Hevesi 1909, S. 214. 424 Hevesi 1906, S. VII. und S. 70.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

lern“ und von Kopisten. In dieser Gegen-

Eigenbildes als Bauherren verstand und das

überstellung formuliert sich vielleicht die

gebaute Bild von Wien mitprägte, sollte

Trennung der Secession in zwei Lager. 1905

durch das Sanatorium Purkersdorf angezo-

hatte sich die sogenannte Klimtgruppe, der

gen und zu einem ästhetisch formulierten

auch Josef Hoffmann angehörte, von der

Ideal erzogen werden. Jene Erziehung defi-

Secession abgenabelt.

Es war die pejorati-

niert Hevesi als am Leib erfahrbar und

ve Beurteilung der alles überwuchernden und

bezeichnet im Umkehrschluss das Sanatori-

angeblich inhaltslosen „Secessionsmode“

um als eine zurechnungsfähige Architektur.

entstanden, von der sich die Künstler um

Die Architektur wird demnach von Hevesi

Gustav Klimt deutlich distanzierten.426 Die

mit einem Geisteszustand des Menschen

Diskussion um das Ornament und seine Ver-

umschrieben. Daher muss im Verlauf dieses

wendung spaltete Künstlergruppen in klei-

Kapitels auf die zu erwartenden Patienten

nere Gruppierungen, die sich aufgrund ihrer

oder vielmehr auf den großstädtischen Kur-

Positionierung zu unterscheiden wussten.

gast noch näher eingegangen werden und

Ludwig Hevesi, anhand dieses Zitates deut-

die erzieherische Haltung, die ihm vonseiten

lich als Anhänger der Bestrebungen von

der Architektur entgegengebracht wird, ist

Kunst identifizierbar, die der Klimtgruppe

zu definieren. Zumindest deutet sich bereits

zu eigen war, geht so weit, dass er im Sana-

in diesem zeitgenössischen Bericht eine

torium Purkersdorf eine Art von ‚Geschmacks­

Koexistenz von Kurgast und Gebäude an.

425

erziehungsheim‘ der Auftraggeberschicht

Ludwig Hevesi ordnet dem Sanatorium

sieht. Mit dieser Äußerung wird offensicht-

Purkersdorf eine Vorreiterrolle zu, indem er

lich, wie gut Hevesi die Zielgruppe des Sana-

Josef Hoffmann als ein „modernes Bautalent“

toriums erkannt hat. Eine wohlhabende Kli-

charakterisiert. Die Suche nach einer eige-

entel, die sich im Sinne eines selbstbewussten

nen Kunstform, die sich den Stilnachahmungen der Wiener Ringbautenzeit versagte und der sich Josef Hoffmann zumindest in seiner

425 426

Vergleiche zur Definition der Klimtgruppe Zuckerkandl 1991, S. 92f. Neben diesen ideellen Kriterien waren es aber wohl überwiegend Streitigkeiten zweier Untergruppen in der Bewegung, die sich an der Gründung der Wiener Werkstätte als Konkurrenzunternehmen und der leitenden Tätigkeit des Malers Carl Moll für die Galerie Miethke entzündeten. Es war zuvor schon ein deutliches Ungleichgewicht durch die Besetzung Hoffmanns und Mosers mit Professorenstellen an der Kunstgewerbeschule entstanden. Beide gehörten der Klimtgruppe an. Es entwickelte sich ein Ringen um die Präsentationsräume und Erweiterungsbestrebungen. Der Klimtgruppe wurde von den anderen Secessionisten eine einseitige Vermarktung vorgeworfen, die zuvor schon zur Trennung vom Künstlerhaus geführt hatte. (Kossatz 1975, S. 23. Zum Begriff der „Secessionsmode“ vergleiche Bahr 2007, S. 41.)

frühen Schaffenszeit offiziell verschrieben hatte, bekommt hier ihr außergewöhnliches Zeugnis ausgestellt. Ein Zeitungsartikel von 1911 untermauert diese Sichtweise der Zeitgenossen auf das Sanatorium Purkersdorf, indem er das Gebäude als ein „Mittelglied zwischen dem modernen Hotel und der modernen Heilstätte“ definiert, welches das Ergebnis einer „Suche nach der Ruhe der Geradlinigkeit“ darstelle.427 Die Implikation der technischen Innovation als Teil der

427 Zuckerkandl 1911, S. 3.

149

150

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Moderne wird augenscheinlich, wenn man

der Mittel zu, flehe aber um Einheitlich-

einen weiteren Artikel aus der Fachzeitschrift

keit der Räume untereinander.“429

Der Architekt betrachtet. Er behandelt den ökonomischen Nutzen von Motorlastwagen

Was bedeutet „aus einem Guss“? Meint Josef

im Gegenzug zu Pferdegespannen. Dieser

Hoffmann damit nur die Planung oder auch

sich auf das Baugewerbe beziehende Aufsatz

die Ausführung durch einen Künstler? Lie-

stellt keinerlei direkten Bezug zu Josef Hoff-

gen die Begriffe „Äußeres“ und „Inneres“

mann oder seiner Arbeit her, wird aber voll-

nur im architektonischen Teilaspekt des

kommen von seinen Entwürfen und Foto-

Gesamtkunstwerks oder umschreiben sie

grafien von seinen Villen bebildert. Unter

weitere Ebenen des Ganzen? Genauso rudi-

die Skizzen Hoffmanns mischen sich eben

mentär ist der Ausdruck der „Einheitlichkeit

auch einige vom Sanatorium Purkersdorf.428

der Räume“. Worin sind diese einheitlich?

Ein weiterer Begriff, der in der Literatur

Etwa im Design, in der Funktion, in der Her-

zum Jugendstil und insbesondere zum Werk

stellung oder in allem zusammen genom-

Josef Hoffmanns immer wieder genannt wird,

men? Peter Behrens schreibt in einem Text

ist der des Gesamtkunstwerks. Dieser Ter-

zu Josef Hoffmann von der Verwandtschaft

minus hat mittlerweile schon einen Epochen

seiner Häuser und insbesondere des Palais

umschreibenden Charakter erlangt, wird

Stoclet zum Grundbegriff Vitruvs der distri-

jedoch selten genauer in Bezug auf die Archi-

butio.430 Die distributio ist der einzige Ter-

tektur Hoffmanns definiert. Das Bild, das

minus, der von Vitruv zwei der drei Archi-

mit dem Wort Gesamtkunstwerk einhergeht,

tekturkategorien

ist die Zusammenführung aller Künste unter

gegeben sein müssen, damit man von einer

dem Dach der Architektur. Die dadurch ent-

„ästhetisch gelungenen Architektur“ spre-

stehenden

zwischen

chen kann. In diesem Fall handelt es sich

Handwerk, Kunsthandwerk und Kunstwerk

um die beiden Kategorien utilitas und

werden nur gelegentlich differenziert erklärt,

venustas. Diese Aufteilung des Begriffes

manchmal auch nur grob umrissen. Man

ergibt sich aus den zweckmäßigen Proporti-

nimmt den Begriff oft als gegeben hin. D ­ ieses

onen von Material, Umgebung und Vertei-

Problem ist aber auch im Phänomen selbst

lung der Finanzen auf der einen Seite und

angelegt. Josef Hoffmann zum Beispiel unter-

der Beziehung zwischen dem Haus und sei-

stützt diese ungenaue Definition des Begrif-

nen Bewohnern auf der anderen Seite.431 Die

fes Gesamtkunstwerk, wenn er formuliert:

distributio verhandelt demnach unter ande-

Interdependenzen

zugeordnet

wird,

die

rem die „Relation von Haus und Bewoh„Ich glaube, dass ein Haus wie aus einem

ner“.432 Vitruv umschreibt den Begriff der

Guss dastehen sollte und dass uns sein

distributio wie folgt:

Äußeres auch schon sein Inneres verraten müsste. Wohl gebe ich eine Steigerung

428 Wolff-Friedenau 1912, S. 9–16.

429 Hoffmann 1901, S. 203. 430 Ohne Autor 1930, S. 9. 431 Kruft 1995, S. 20–30. 432 Kruft 1995, S. 28.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

„Distributio aber ist die angemessene Ver-

und wissenschaftlichen Idiome und Errun-

teilung der Materialien und des Bauge-

genschaften des Fin de siècle verweisend und

ländes und eine mit Überlegung auf Ein-

untermauernd zu schauen, soll vor allem der

sparungen ausgerichtete zweckmäßige

Blick auf das verwirklichte Gesamtkunst-

Einteilung der Baukosten … Eine zweite

werk nicht nur eine Überprüfungsmöglich-

Stufe der Distributio wird es sein, wenn

keit, sondern eben ein Erschließungsmoment

Gebäude zum Gebrauch von (einfachen)

darstellen. Daher ergibt sich eine Aufteilung

Familienvätern und im Hinblick auf (ge-

der

ringes) Vermögen oder im Hinblick auf

Purkers­dorf in eine zunächst detaillierte, bis-

die würdevolle Stellung eines Redners pas-

her noch nicht umfassend geleistete Werk-

send gebaut werden. Denn offenbar müs-

beschreibung und eine Analyse der daraus

sen Gebäude in der Stadt anders einge-

resultierenden Wahrnehmung einer solchen

richtet werden, als die, in die die

speziellen Erscheinung von Gebäude.

Untersuchungen

zum

Sanatorium

Erzeugnisse aus ländlichen Besitzungen

Ein weiterer Aspekt, der das Gesamt­

fließen; nicht ebenso die für Geldverlei-

kunstwerk Josef Hoffmanns beeinflusste,

her, anders für reiche und üppige Leute

wird von Peter Behrens aufgezeigt: „Das

mit feinem Geschmack. Für mächtige

Musikalische und das Poetische.“434 In sei-

Männer aber, durch deren Gedanken der

nem Brief zu Hoffmanns sechzigstem

Staat gelenkt wird, werden sie entspre-

Geburtstag k ­ ennzeichnet der Gratulant das

chend dem Bedürfnis gebaut werden. Und

Werk Hoffmanns als eines mit „österreichi-

im ganzen müssen die Einrichtungen der

schem Wesen“ ­ausgestattet:

Gebäude immer den Bewohnern angemessen ausgeführt werden.“433

„Das Musikalische dieser Stadt schwingt auch in allen Werken Hoffmanns. […]

Genau jener kurze Exkurs in die Antike defi-

Sieht man irgend ein Haus von ihm und

niert bereits die Hauptfrage für das Sanato-

wird hineingeführt, so ist es nicht das Ge-

rium Purkersdorf als Gesamtkunstwerk:

waltige, das Staunen erweckt, sondern es

Inwiefern lässt sich das Sanatorium Purkers-

sind die feinen Verhältnisse der Formen

dorf mithilfe der äußeren und inneren Gestal-

und Räume, die Einfachheit, die behag-

tung, dessen Positionierung vor der Stadt

lich wirkt, die zum Verweilen einlädt, be-

Wien und seinem Anspruch auf die Konsti-

schauliche Ruhe und Glück verspricht.“435

tuierung einer Beziehung von Architektur und dem darin agierenden Menschen im Sin-

Behrens erläutert – ohne die Vokabel des

ne einer visuellen Evidenz untersuchen?

Gesamtkunstwerks heranzuziehen – dessen

Auch wenn es im Laufe dieser Analyse immer

eigene Ausprägung im Werk Hoffmanns.

wieder nötig sein wird, auf die theoretischen

Nicht die demonstrative Luxussucht bis hin zum letzten Detail, sondern die Abstimmung

433

Hier zitiert nach Kruft 1995, S. 27. Er zitiert nach Vitruvii/Vitruv 1996, S. 42f. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.

434 Peter Behrens zitiert nach Ohne Autor 1930, S. 9. 435 Ohne Autor 1930, S. 9.

151

152

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

aller Bestandteile aufeinander entwickelt

Dagobert Peche umschreibt hier die Ansicht,

einen Tenor und einen Rhythmus in seinem

dass die statisch und technisch korrekt gelös-

Kunsthandwerk, das demnach eine kleine

ten Bauten des Ingenieurs nicht der Defini-

eigene Welt entstehen lässt, die einem Vaku-

tion von Kunst genügen. Der damalige Archi-

um gleich in der restlichen Realität existiert.

tekt definiert sich nicht allein über seine

Die Beschreibung „einer Welt für sich“ wird

konstruktiven Fähigkeiten, sondern noch viel

von Hevesi auch auf das Secessionsgebäude

mehr über eine ‚Mystik‘ der Proportionen

von Olbrich an der Friedrichstrasse in Wien

und Verhältnisse und wird vom Handwerker

angewendet und ist ebenso auf Josef Hoff-

zum Künstler. Das Erahnen „der mystischen

manns Gesamtkunstwerkaspekt der Villen

Grundidee“ könnte man im Fall des Hoff-

auf der Hohen Warte und des Sanatoriums

mann-Pavillons mit dem Quadrat gleichset-

Purkersdorf zu übertragen.436 Gunter Breck-

zen. Aber keiner der Autoren, die sich dem

ner ordnet zum Beispiel dem wiederholen-

Sanatorium Purkersdorf widmeten, erklärt

den Rhythmus beim Sanatorium Purkersdorf

das gesamte Gerüst des Sanatoriums. Die

einen „meditativen Charakter“ zu und sieht

fast schon programmatische Ausklammerung

in den Fensteröffnungen eine Art von Takt-

des Sanatoriums aus der zeitgenössischen

angeber gegeben.

Fachliteratur und das noch bis in die Gegen-

437

Dagobert Peche, der Nachfolger Koloman

wart knappe Abhandeln des hochkomplexen

Mosers und enger Mitarbeiter Josef Hoff-

Bauwerks Josef Hoffmanns scheint ein

manns in der Wiener Werkstätte, entwickelt

Beweis für diese von Peche beschriebene

ebenso eine Kunstauffassung, die erklären

‚Mystik‘ zu sein, die auch als diffuser Defi-

könnte, warum um das Sanatorium Purkers-

nitionsstandort zu bezeichnen ist.

dorf solch ein Kult betrieben wurde und teilweise heute noch fortgeführt wird:

Neben den verschiedenen Kunstdefinitionen um 1900, die inflationäre Verwendung der Begrifflichkeiten von Zweck, Nutzen und

„Wenn ein Ingenieur zwei Säulen setzt

Funktion sowie dem Moment des Gesamt-

und darüber einen Träger legt, so ist das

kunstwerks, steht beim Sanatorium Purkers-

gut konstruiert, mit Kunst hat dies nichts

dorf auch die besondere Behandlung des

zu tun, denn von dieser verlangt man, daß

Ornaments zur Debatte. Die Suche nach dem

sie die mystische Grundidee, die wir nicht

Wortursprung des Ornaments führt zum latei-

kennen, aber verschieden ahnen, zum Aus-

nischen Wörterbuch. Ornamentum ist zum

druck bringt. Dies wird der Künstler in

einen als Ausrüstung, im Sinne einer militä-

dem instinktiven Erfassen, in der Weite,

rischen Ausstattung, und zum anderen als

der Höhe und Breite, der Stärke etc. zu-

Schmuck und Kleinod definiert.439 Das Wort

einander zum Ausdruck bringen, damit

Ornament umschreibt somit für sich selbst

gehört dieses Werk zum Kosmos.“

eine Ambivalenz. Burghart Schmidt, wissen-

438

436 Vergleiche dazu Hevesi 1906, S. 68–74. 437 Breckner 1988, S. 64. 438 Peche 2003 (1922), S. 282. Hervorhebungen im

439

Text stammen von der Autorin dieser Arbeit. Ornamentum, in: Thesaurus Linguae Latinae ²2003, CD-ROM, 1008/46-1016/39.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

schaftlicher Mitarbeiter von Ernst Bloch,

wird, dass das Papier nicht als Konstrukti-

sieht demzufolge im Ornament etwas Aske-

onsgerüst fungierte, ist eine gleichzeitige

tisches enthalten.440 Aus dieser Doppelrolle

Reduzierung auf Proportionen wie zum Bei-

von schmückendem Beiwerk und militäri-

spiel 1:1, 1:10 oder 1:100 zu beobachten.

schem Rüstzeug ergibt sich ein spannungs-

Das Quadrat bot Hoffmanns Freihandzeich-

reiches Bild für den konstruktiven Jugendstil,

nungen einen deutlichen Halt gegenüber sei-

der das Ornament auf geometrische Grund-

ner sonstigen Praxis, keine Verbesserung vor-

formen reduzierte. Das Ornament des Sana-

zunehmen, sondern gleich ganz von Neuem

toriums Purkersdorf besteht primär aus der

zu beginnen.442 So ist das Quadrat vielmehr

Grundform des Quadrats. Die verschiedenen

ein Hauptcharakteristikum der Wiener

Ebenen der Durchdringung des Bauwerks

Secessions-Bewegung nach 1900 und bezieht

durch das Quadrat werden im Rahmen der

sich nicht allein auf das Schaffen oder die

Werkbeschreibung untersucht werden, doch

Initiative nur eines einzelnen Mitgliedes.443

lässt sich schon jetzt festlegen, dass Begriffe

Gerade in der Zeitschrift Ver Sacrum, in der

wie Askese, Reduzierung und Hygiene stark

Hoffmann mit Koloman Moser und Hermann

verkettet sind mit der Einheit des Quadrats

Bahr schon vor 1905 wirkte,444 ist eine Häu-

des Sanatoriums Purkersdorf. Die Leistung

fung des Quadrats zu beobachten, aber

des Jugendstils ist nach Burghardt Schmidt

erstaunlicherweise gingen die Impulse wohl

die „klassische Bestimmung [die Zeige­

nicht von Hoffmann, sondern von Koloman

funktion; LT] des Ornaments unterwandert

Moser aus. So ist es laut Marian Bisanz-Prak-

zu haben“.

Diese Unterwanderung und

ken auch dieser, der im September 1901 das

mehrfache Belegung des Ornaments ist ­

Quadrat endgültig in die Wiener Flächen-

­ebenso für das Quadrat des Hoffmann-Pavil-

kunst einführt.445 Ebenso sieht man in Kolo-

lons gültig.

man Moser den Initiator für die Verwendung

441

Um das Quadrat bei Hoffmann selbst herrscht in der Literatur ebenso eine Konfu-

des Schachbrettmusters im konstruktiven Jugendstil.446

sion wie um das Sanatorium in seinem voll-

Von der 8. Secessionsausstellung im Jahr

ständigen Erscheinungsbild. Häufig wird in

1900, die der Mackintosh-Gruppe gewidmet

der Literatur eine Art Vorrangstellung des

war, bis hin zu zahlreichen Veröffentlichun-

Quadrats bei Hoffmann zu einem Quadratpatent des Architekten hochstilisiert. Diesen Umstand untermauert der recht einseitig durchdachte Spitzname Quadratl-Hoffmann. Josef Hoffmann entwarf ab 1898 auf kariertem Papier. Eine mit dem Material einhergehende Veränderung war die größere Vereinfachung des Entwurfs. Auch wenn behauptet 440 Schmidt 1987, S. 22. 441 Schmidt 1987, S. 22f.

442

Ohne Autor 2005, Broschüre und Kleiner 1927, S. XX. Siehe zum Begriff des Quadratl-Hoffmann auch Baroni und D’Auria 1984, S. 14. 443 Bisanz-Prakken 1982, S. 40. 444 Während Hoffmann und Moser sich für den illustrativen Teil verantwortlich zeigten, waren es vor allem Beiträge Rainer Maria Rilkes, Ferdinand von Saars, Hugo von Hofmannsthals, Peter Altenbergs und eben Hermann Bahrs, die den literarischen Part der Zeitschrift begründeten. (Ankwicz Von Kleehoven 1960, S. 9.) 445 Bisanz-Prakken 1982, S. 46. 446 AK Vienna 1981, S. 3.

153

154

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

gen dieser schottischen Künstlergruppe in

mehr bezugslos im Werk Hoffmanns, sondern

Zeitschriften, die in Wien zugänglich waren,

zeigt zumindest gewisse Anleihen zu seinem

lässt sich eine Quelle für das Quadrat bei

direkten und indirekten Umfeld. V ­ ermutlich

Moser, Hoffmann und auch Klimt finden.

447

meinte Hoffmann mit seiner Aussage über die

Es scheint viel wahrscheinlicher, dass Hoff-

Abwesenheit des Quadrates auch eher seine

mann über die „Arts and Crafts“-Bewegung

deutliche Abkehr von der Praxis des Histo-

und die Wiener Secessionsbestrebungen zum

rismus, in vergangenen Epochen nach mög-

Quadrat gelangte und nicht, wie er selbst

lichen Formzitaten zu suchen und stilisierte

behauptete, über dessen bisherige Nichtan-

so rhetorisch seine Suche nach dem Neuen.

wendung in der Architektur. Günther Feuer-

Gebautes Architekturtraktat einer Zeit-

stein zitiert Hoffmann ohne Angaben von

strömung, das konsequente Folgen von Ide-

Quellen. Das Zitat lautet: „Das reine Quadrat

alvorstellungen und die Verknüpfung von

und der Gebrauch von Schwarz-Weiß als

Kunst und Leben waren die relevanten

dominierende Farben interessieren mich des-

Aspekte, die das Sanatorium Purkersdorf ent-

halb so besonders, weil diese klaren Elemen-

stehen ließen und prägten. Natürlich form-

te nie in früheren Stilen erschienen waren“.448

ten auch die wirtschaftliche Effektivität und

In Bezug auf das Sanatorium Purkersdorf

die Wünsche des Auftraggebers ein Gebäude

wäre es auch möglich, dass Arthur Heygate

wie das Sanatorium Purkersdorf. Inwiefern

Mackmurdo (1851–1942), der 1874 mit Rus-

diese verschiedenen Ebenen das endgültige

kin durch Italien reiste und ein Mitbegründer

Ergebnis und eventuell vorgenommene Ver-

der Century Guild of Artists war, als Ideen-

änderungen beeinflussten, soll im weiteren

geber für Hoffmann fungierte. So hatten zum

Verlauf der Arbeit mit der bereits formulier-

Beispiel seine quadratischen Deckplatten auf

ten Suche nach den evidenten Wahrneh-

den Säulen des Standes der Century Guild

mungsstrategien, die durch die Architektur

auf der Liverpooler Ausstellung von 1886 Ein-

verhandelt sind, betrachtet werden.

fluss auf Voysey und Mackintosh. Besonders eindrucksvoll ist Mackmurdos Haus in Enfield, Private Road 8, von 1883, das laut

Purkersdorf – Der Standort des Sanatoriums

Peter Davey in einem „abstrahierten klassizistischen Stil gehalten ist“. Mit seiner star-

Bezeichnenderweise ist die heutige Halte-

ken Betonung des Horizontalen, seinem

stelle Purkersdorf Sanatorium die letzte, die

Flachdach, den Fenstern, die in ein quadrati-

tariflich noch zur Stadtzone Wiens gezählt

sches Unterraster unterteilt sind und zuletzt

wird, obwohl man sich bereits innerhalb der

seinem weißen Anstrich könnte es für Josef

Grenzen des Bundeslandes Niederösterreich

Hoffmann ebenso als Formenquelle gedient

befindet.450 Das Sanatorium erlebte in seiner

haben.449 Das Quadrat verbleibt somit nicht

Vorortlage ab dem Zweiten Weltkrieg eine

447 Bisanz-Prakken 1982, S. 42. 448 Feuerstein 1964, S. 181. 449 Vergleiche dazu Davey 1996, S. 56–59.

450

Die Station gehörte ursprünglich zur Kaiserin-Elisabeth-Westbahn, die 1858 eröffnet wurde. (Seemann und Lunzer 2002, S. 1.)

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

wechselhafte Nutzung. Vom Lazarett über

torium wie ein Fremdkörper, der auf dem

ein evangelisches Krankenhaus bis hin zur

Land gestrandet ist. Dieser kontrastreiche

Verwendung als Raum für die Aufführung

Gegensatz zu seiner Umgebung vermittelt

eines Dramas über Alma Mahler

durchleb-

den Eindruck, dass es sich bei diesem Gebäu-

te das Sanatorium Purkersdorf verschiedene

de um eine Ausnahme handelt und durch

Formen des Gebrauchs. Es erfuhr von seiner

sein für diesen Ort extravagantes Erschei-

anfänglichen Berühmtheit über das Verges-

nungsbild wird die Verquickung mit der

sen bis hin zur Wiederbelebung durch die

Großstadt offensichtlich. Das Sanatorium

Restaurierungsarbeiten am Ende des 20. Jahr-

Purkersdorf ist selbst ein Stück Urbanität

hunderts und am Beginn des 21. Jahrhun-

inmitten der Natur (Abb. 3). Jenen Eindruck

derts alle Stadien der Wert- und Geringschät-

eines Stücks verpflanzter Metropole muss

zung. Zu Beginn eine Erholungsstätte für

das Sanatorium zu seiner Entstehungszeit

wohlhabende Wiener, später während des

noch verstärkt herausgefordert haben.453

451

Zweiten Weltkriegs ein Lazarett, standen

Gerade jene Abgeschlossenheit und Ferne

dem Sanatorium nach seiner Revitalisierung

zum geschäftigen Treiben der Großstadt

in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts verschiedene Nutzungsmöglichkeiten offen. Doch es wurde überwiegend im Sinne seiner ursprünglich funktionalen Konzipierung zur Versorgung von ‚Kranken‘ genutzt. Das Sanatorium dient heute als Altersheim.452 Zu seiner Glanzzeit war es einem engen Personenkreis verschrieben, sowie es gegenwärtig nur einer kunsthistorisch interessierten Klientel ein Begriff geblieben ist. Purkersdorf wirkt heute noch entrückt von der nahen Großstadt Wien. Nichts direkt Urbanes erinnerte an die Nachbarschaft zur Hauptstadt Österreichs, wäre da nicht die ausgebaute Hauptstraße, die Purkersdorf in direkter Linie mit Wien verbindet und folgerichtig den Namen Wienerstraße trägt. Neben den standardisierten Einfamilienhäusern der unmittelbaren Nachbarschaft wirkt das Sana451 Nextroom Architektur Datenbank: http://www. nextroom.at/building.php?id=2356&inc=artikel, 10.07.2015. 452 Vergleiche dazu Topp 2004, S. 94f. und AK 10 Jahre 1996, S. 48f. Des Weiteren vergleiche in Bezug auf die Restaurierungsarbeiten Ohne Autor 1996.

453

Zur Verdeutlichung der Situation Purkersdorfs vor Erbauung des Sanatoriums und auch zur weiteren Erklärung, warum das Sanatorium gerade in jenem Wiener Vorort erbaut wurde, kann man ein Zitat Josef Schweickhardts von 1832 heranziehen: „Die Lage ist meist gebirgig und enthält viele Berge mit großen Strecken Waldungen. Die Luft ist rein und gesund, jedoch das Klima gegen die angrenzenden, mehr flach liegenden Herrschaften etwas rauer; Wasser ist in Fülle vorhanden, welches vortrefflich ist und größtenteils aus Bergquellen stammt. Die Einwohner aller Orte in der Herrschaft [Purkersdorf; LT] sind durchaus Waldbauern, die sich besonders in Sprache (die waldbauerische Sprache ist ein ganz ein eigener Dialect mit dem Gebrauche, die Worte zu dehnen und oft ganze Silben gleichsam singend zu sprechen, wodurch sie selbst für den Österreicher unverständlich werden), Sitten, Kleidern und Gebräuchen als solche kennbar machen. Sie besitzen nur einen äußerst geringen Ackerstand, jedoch mehr Wiesen, die gut und zu ihrer Viehzucht nutzbar sind. Der Schlag ihres Hornviehs ist zwar nicht groß, aber stark und schön; sie treiben mit Liebe und Fleiß die Molkereiwirtschaft. Obst haben sie überall und wir fanden hie und da sogar schönes. Die Jagdarbeit, als ein landesfürstliches Regale, ist in dem ganzen Waldbezirk nur höchst mittelmäßig. Woran wohl das stete Holzfällen in den kaiserlichen Wäldern schuld sein mag, wodurch das Wild verscheucht wird. Fabriken bestehen keine, und Handel wird von den Einwohnern meist mit Holz und ihren

155

156

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

sowie das gleichzeitige Vorhandensein einer

den politischen und kulturellen Liberalismus

Verknüpfung durch eine gute Verkehrsver-

geprägt war, auf den menschlichen Organis-

bindung macht einen Großteil der Konzep-

mus negativ einwirken und somatische wie

tion des Sanatoriums aus. An diesem ent-

seelische Erkrankungen verursachen wür-

rückten Ort – direkt am Wienerwald und

de.455 Als logische Konsequenz sah man in

unweit des Lainzer Tiergartens gelegen454 –

einer positiven äußeren Einflussnahme auf

sollten sich die Patienten von ihren Neuro-

den Körper die Möglichkeit zur Genesung

sen erholen, die das Großstadtleben bei

des stressgeplagten Patienten.

ihnen verursachte. Man war davon über-

Medizinisch strebte man eine Ästhetik des

zeugt, dass eine Behandlung mit Licht, Luft,

gesunden, in der Natur verankerten Lebens

verschiedenen Diäten und Badekuren das

an. Das Sanatorium wurde zur Insel in einer

strapazierte Nervenkostüm eines Städters

von marktwirtschaftlicher Konkurrenz domi-

wieder in seiner ‚eigenen Natur‘ verorten

nierten Hektik des Alltags. Im Sanatorium

würde. Im Gegensatz zur Theorie des Psy-

Purkersdorf wurde kein ländliches Leben

chologen Sigmund Freud wurde in dieser

imitiert, sondern man nahm im Rahmen

Institution die Annahme vertreten, dass das

eines zeitgemäßen und anspruchsvollen urba-

urbane Milieu einer Stadt, die zum Zeitpunkt

nen Umfelds die Vorteile der Natur wahr.

der Erbauung des Sanatoriums noch durch

Die Idee einer Anpassung an das Landleben lag dem Sanatorium Purkersdorf fern. Lud-

454

geringen Erzeugnissen der Viehzucht etc. getrieben. Außer diesen finden sie auch einen Verdienst durch Fuhrwerke für die k. k. waldamtlichen Hölzer, und viele der Einwohner arbeiten als Holzhacker. Wir fanden in diesem Bezirke viele herrliche Gegenden, die voll Anmut und Reiz sind. Mehrere Teile dieser waldämtlichen Gegenden werden von den Naturschönheiten liebenden Wiener häufig besucht.“ (Seemann und Lunzer 2002, S. 1.) Dort heißt es auch: „Die Bahn beförderte natürlich in erster Linie den Besucherstrom aus der Hauptstadt, sodaß um 1900, wie der Herr Bezirkshauptmann schreibt, die Bevölkerung auf den Aufenthalt von Sommerparteien geradezu angewiesen und der Ort einer der beliebtesten und besuchtesten Sommerfrischen der Wiener war. Hotels und Cafés entstanden, ‚mit guten Gasthäusern ist Purkersdorf wohl versorgt‘, weiß ein Führer 1898, Ausflugsrestaurants wie Paunzen und Deutschwald waren jedem Wiener wohlbekannt, Sommervillen wurden gebaut, sodaß, schreibt derselbe Führer, der alte Ort dabei fast zu verschwinden schien.“ (Seemann und Lunzer 2002, S. 1.) Gert Demarle hat Waldwanderwege, die direkt vom Sanatorium Purkersdorf zum Lainzer Tiergarten führen, ermittelt. (Demarle 1985, S. 22 und S. 100. Vergleiche dazu Seemann und Lunzer 2002, S. 2.)

wig Hevesi, der Hauschronist der Wiener Secession, schreibt von „Damen in großer Toilette“456 und solchen Einbauten wie Billardzimmer, Pingpongzimmer,457 Musikzimmer, Lese-, das heißt Gesellschafts- und Schreibzimmer, die auf dem ersten Stock verteilt lagen. Derartige Angebote waren nicht mit einem ländlichen Lebensstandard der damaligen Zeit zu verbinden, sondern zeigen die Annehmlichkeiten eines städtischen

455

Vergleiche dazu Topp 1997, S. 414–437 sowie Topp 2004, S. 65 und S. 87–89. 456 Hevesi 1909, S. 216. 457 Zum Erhaltungszustand des Pingpongzimmers sind keinerlei Fotografien erhalten, die einen Originalzustand bis heute dokumentieren könnten. Als original ist nur die Schwingtür zwischen Pingpongzimmer und Damensalon überliefert. (Breckner 1982, Punkt 2.1.) In einem Artikel von 1906 aus der Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration findet sich jedoch eine Fotografie des Pingpongzimmers. (Bredt 1906, S. 436.)

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Abb. 35: Josef Hoffmann/Koloman Moser: Sanatorium Purkersdorf, Badetherapieraum, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien

ist die heilende Intention, und Topp stellt von Beginn an das Sanatorium in einen klassisch modernen Kontext. Wobei sie klar betont, dass das Sanatorium einer utopischen

Schauplatzes. Eduard F. Sekler spricht von

Vorstellung Hoffmanns folge und sich ähn-

einer „Kuranstalt für Badekuren, physikali-

lichen Idealen wie den medizinischen The-

sche Therapien, Nervenkrankheiten und

orien Krafft-Ebings verschreibe:

Rekonvaleszenzfällen aus einem zahlungskräftigen Patientenkreis“.458 Leslie Topp

„Like Krafft-Ebing, he [Josef Hoffmann;

beschreibt und erklärt anhand einer spezifi-

LT] was a passionate opponent of the mo-

schen Apparatur, die an einen elektrischen

dern metropolis, and he had a vision of a

Stuhl erinnert, die hydro-elektro-Therapie,

utopian future that would take root out­

die im Sanatorium Purkersdorf praktiziert

side the metropolis. Also like Krafft-Ebing,

wurde (Abb. 35). Des Weiteren schließt Topp

he believed that a simply and totally

aufgrund der Fotografie dieses Stuhls auf eine

planned environment would be the star-

Maschinenmetapher des Sanatoriums im All-

ting point for a happy and healthy socie-

gemeinen und zieht Parallelen zu Le Corbu-

ty. […] But it is interesting that at Purk-

siers Maschinenästhetik. Beiden gemeinsam

ersdorf, Hoffmann’s architecture became more simple, more formally consistent,

458 Sekler ²1986, S. 67. Vergleiche dazu Topp 2004, S. 63f.

more rationally ordered and more imbued

157

158

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

with technological imagery than it had

menfassend, könnte man zumindest im Fal-

been before Hoffmann received the com-

le des Sanatoriums Purkersdorf behaupten,

mission to design a sanatorium for ner-

dass aus der Villegiatura der Renaissance

vous ailments. It is also the case that a sa-

mit ihren Villen sich um 1900 eine Kurkul-

natorium building had never looked so

tur mit der dafür nötigen Rekonvaleszenz-

radically modern or so appropriate to its

architektur ableitete. So hatte Josef Hoff-

purpose.“459

mann zum Beispiel sein erstes öffentliches Gebäude im Sinne eines Gesamtkunstwerks

Auch wenn man nicht so weit gehen sollte,

in eine Parkanlage gebettet, von der heute

Hoffmann als einen Gegner der Großstadt

wieder einige Details zu erkennen sind. Gert

zu formulieren, da er zum einen die Wahl

Demarle spricht davon, dass eine „alte Kas-

getroffen hatte in Wien zu leben und zum

tanienallee, die vom Haupteingang aus in

anderen seine Arbeit als auch seine Auftrag-

Nord-Südrichtung verläuft“, 1985 noch

geberschicht deutlich großstädtisch geprägt

erhalten war. Heute befindet sich dort viel-

waren, ist Topp zuzustimmen, dass das Sana-

mehr eine Mischpflanzung aus zum Teil

torium Purkersdorf einen utopischen Gehalt

auch recht hoch gewachsenen Tannen. Des

beinhaltete, der auch durch eine kritische

Weiteren gibt Demarle aber mit der Erkran-

Sicht auf das Großstadtleben durch Hoff-

kung einiger Bäume auch einen triftigen

mann begründet war. Des Weiteren ist Topps

Grund für die Veränderungen an der Park-

These, die Formfindungen des Sanatoriums

anlage an.461 Lore Toman weiß zu berichten,

Purkersdorf allein auf seine Auftragsposition

dass der Besitzer Viktor Zuckerkandl einen

als Sanatorium zu beziehen, zumindest ein-

Kneippkanal im Wald anlegte, exotische

zugrenzen. Topp lässt sowohl die Vorbilder

Bäume im Park pflanzen ließ und den Park

des Biedermeiers, der „Arts and Crafts“-Be-

um das Angebot von Turn- und Tennisplät-

wegung als auch die Entwicklungen der 14.

zen erweiterte.462 Eine originäre Hoff-

Secessionsausstellung außer Acht und zeich-

mann’sche Planung für den Park lässt sich

net einen scharfen Schnitt zwischen dem

jedoch aufgrund der Dokumentenlage end-

Apollo Seifen- und Kerzengeschäft460 von

gültig nicht beweisen. Obwohl damit zu

1899 mit seinen eher geschwungenen For-

rechnen ist, dass Hoffmann auch in Bezug

men und dem sich davon deutlich absetzen-

auf die Aufstellung von Bänken und Blu-

den Sanatorium Purkersdorf. Diese verkürz-

menkästen gestalterischen Einfluss nahm.

te Darstellung führt jedoch leider zu einigen

So zeigt zum Beispiel eine zeitgenössische

Auslassungen.

Fotografie der Ostfassade die Bepflanzung

Das Sanatorium Purkersdorf stellt eine

mit geometrisch geformten Buchsbäumen

städtische Enklave im Umfeld der Natur dar

(Abb. 3), die ebenso ihre V ­ erwendung im

und auf keinen Fall eine realistische Imita-

Garten des Palais Stoclet fanden (Abb. 24

tion vom ‚gesunden Landleben‘. Dies zusam461

459 Topp 2004, S. 69–71. 460 Sekler ²1986, S. 258, WV 31.

Demarle 1985, S. 21. Vergleiche dazu Kretschmer 2010, S. 268f. 462 Toman 1996, S. 11.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

und 30). Jene Buchsbaumbepflanzung ist in

definierte über die Architektur Josef Hoff-

Teilen heute wieder vorzufinden.

manns seine Zielgruppe für das Sanatorium

Steht man am Eingang zum Areal des

näher. Die Lage der Gebäude in einem Park

Sanatoriums Purkersdorf – der heutigen Seni-

vervollständigt die Forderung nach Frischluft

orenanlage – fällt zunächst auf, dass der Bau

und dem Bezug zur Natur. Die Ausrichtung

von Josef Hoffmann sich mit seiner Haupt-

der Hauptfassaden (Ost- und Westseite) mit

fassade nicht zur Straße hin ausrichtet. Josef

den meisten Fenstern des Hoffmann-Kom-

Hoffmann fand sich 1904, als ihm der Auf-

plexes hin zum Park und nicht auf die Stra-

trag erteilt wurde, mit einem Grundstück

ße ist demnach nur logisch und konsequent

konfrontiert, auf dem schon einige Gebäude

(Abb. 3 und 38).

standen, die von dem vorigen Sanatorium Westend noch erhalten waren, das Viktor Zuckerkandl 1903 erworben hatte (Abb. 36

Fläche und Volumen – Der äußere Baukörper und seine Wirkung

und 37).463 Auf diese villenartigen Gebäude reagierend, konzipierte Josef Hoffmann sei-

Die West- (Abb. 3) und Ostfassade des Sana-

nen Bau. Durch einen Gang im Süden schuf

toriums (Abb. 38) zeigen zunächst eine starke

er sogar eine direkte Verbindung zwischen

Konzentrierung auf die Horizontale. Einem

seiner Sanatoriumsarchitektur und den

großen, rechteckigen Kubus gleich liegt das

schon vorhandenen Gebäuden. Das Ent-

Sanatorium stabil und schwer auf dem Boden.

scheidende an diesem Umstand ist darin zu

Durch das Vor- und Zurückspringen der zwei

sehen, dass dieser Ort schon zuvor in der

Längsfassaden in verschiedene Baukörper ent-

gleichen Funktion genutzt wurde. Das 1890

steht jedoch nicht der Eindruck von mehre-

von Anton Löw gegründete Sanatorium dien-

ren, unterschiedlich zusammen geschobenen

te zur Behandlung von nervösen Erkrankun-

Kuben, sondern vielmehr der eines ganzen

gen

und die medizinischen Verfahren von

Körpers, aus dem sich eine Form herausschält.

Dr. Krafft-Ebing wurden zumindest noch

Die Seitenrisalite beider Fassaden scheinen

1911 praktiziert.

aus einem massigen Korpus heraus geschnit-

464

465

Das Sanatorium Purkersdorf stand dem-

ten. Dieser Wirkung ähnlich funktionieren die

nach nicht nur in der Tradition der medizi-

Fensteröffnungen. Sie kleben nicht wie aufge-

nischen Praktiken des Sanatoriums Westend,

setzt an der Fassade, sondern vermitteln dem

sondern nutzte dessen räumliche Kapazitä-

Betrachter den Eindruck, sie seien nachträg-

ten weiterhin. Viktor Zuckerkandl erweiter-

lich aus der glatten Wandfläche ausgeschnit-

te dieses bestehende Unternehmen um eine

ten. Das Gebäude gliedert sich horizontal von

nicht zu unterschätzende Attraktion und

unten nach oben in eine Sockelzone und drei darüber folgende, eine Einheit bildende Etagen. Diese Zweiteilung der Fassade wird durch

463 Lipp 2002, S. 8 und Ohne Autor 2003.2, S. 18. 464 Topp 1997, S. 416f. und Kortz 1906, S. 253–255. Hier spricht Paul Kortz von einem „Sanatorium und einer Wasseranstalt Purkersdorf“. 465 Topp 1997, S. 416 und Dr. Stein 1911.

ihre Haptik unterstützt. Eine graue und glatte Sockelzone steht in Kontrast zum weißen Rauputz der restlichen drei Etagen. Die graue

159

160

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 36: Postkarte von den Gebäuden des Sanatoriums Westend, die vor 1904 errichtet wurden, hinten rechts ist der Hoffmann-Pavillon zu erkennen, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien

abgegrenzt werden soll und sich wie auf einem Podest liegend dem Boden entzieht. Das Flachdach ragt um circa einen halben

Zone wird darüber hinaus durch einen Kachel-

Meter über die Außenmauern hinweg. Wie

fries von dem weißen Gebäudeabschnitt abge-

eine Bordüre umrandet es alle vier Seiten

trennt. Der Fries besteht aus kleinen vierecki-

des Sanatoriums und wird durch den Kachel-

gen blauen und weißen Kacheln, die jede für

fries von der Fassade abgetrennt. Einem nied-

sich 4 x 4 cm misst.

Dieses Kachelband

rigen Deckel gleich oder wie ein schmaler

umrahmt alle Fenster und Kanten der oberen

Architrav ruht es auf dem Kubus des Gebäu-

drei Etagen. In der Sockelzone fehlt dieses

des und bildet den Abschluss nach oben. Nur

ornamentale Strukturband. Dadurch entsteht

vereinzelte Schornsteine brechen ab und zu

der Eindruck eines Abstandhalters für die

die klare Kante des Flachdaches. Das Dach

makellos weiße Fassade der oberen ‚Schmu-

ist auf seinen Unterträger reduziert und bil-

cketagen‘. Der Gedanke kommt auf, dass ein

det somit keinen weiteren eigenen Etagen-

hygienisches Areal nach unten hin visuell

charakter aus. Auch dadurch wird die Zwei-

466

teilung des Gebäudes in Sockelzone und drei darauf aufbauende Stockwerke verstärkt. 466 Breckner 1982, Punkt 2. Jener Kachelfries wurde im Rahmen der Restaurierungen der 1990er-Jahre erst wieder hergestellt. Zuvor war er 1952 im Rahmen einer Fassadenrenovierung abgeschlagen worden. (Toman 1996, S. 14.)

Nach unten ist durch eine farblich unterschiedliche Behandlung und das Fehlen des Kachelfrieses an der Fassade eine Abgren-

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Abb. 37: Postkarte von den Gebäuden des Sanatoriums Westend, die vor 1904 errichtet wurden, davor ist Josef Hoffmanns Verbindungsgang zu sehen, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien

später im Rahmen der Grundrissbeschreibungen noch einmal eingegangen. Oberhalb des Eingangs befindet sich ein senkrechtes Fensterband, das die Treppenhausanlage mit

zung zu beobachten, diese prägt sich nach

Licht versorgt. Dieses Fensterband wird

oben hin nicht so deutlich aus. Das Dach

optisch durch die verglaste Eingangstür bis

stellt nicht einer Barriere gleich den

auf den Boden weitergeführt. Es scheint, als

Abschluss zum Himmel dar, sondern fungiert

ob sich die ganze Fassade einer Treppe gleich

für das äußere Gesamtbild als Klammer oder

zum Boden hin abstuft. Die beiden Seitenri-

Gurt für die vier Seiten des Rechteckes. Es

salite reichen wie zwei schwerfällige Winkel

scheint, als könne man von oben in das

bis an den Eingangsbereich heran. Das

Objekt hineingreifen.

dadurch zwischen den Winkeln entstandene

Auf der Westseite des Gebäudes (Abb. 38)

vertiefte Feld in der Mitte zieht sich über das

befindet sich einer der beiden Eingänge. Er

eben erwähnte senkrechte Fensterfeld bis

wird überfangen von einem Dach, das auf

herunter zum Dach des Eingangs. Die Fens-

zwei viereckigen, frei stehenden Pfeilern

ter unterstützen noch das Bild einer Treppe,

ruht. Die links und rechts ansteigenden Ram-

indem sie die Symmetrie und Abstufung der

pen heben den Eingangsbereich hervor. Die

Fassade wiederholen. Durch das zweiteilige,

gleiche Wirkung erzeugt das Sockelgeschoss,

senkrechte Fensterband, das erst durch sei-

das nach innen keinen so eindeutigen Eta-

ne ornamentale Umrandung und Zusammen-

gencharakter wie nach außen ausbildet. Auf

fassung sowie seine Weiterführung über die

die Verschiebung der Etageneindrücke wird

Eingangstür eine fast die ganze Höhe des

161

162

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 38: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Westfassade, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Fotografie von 1906.

verfestigen. In der Literatur wird zum Teil erklärt, dass Josef Hoffmann zunächst geplant hatte, nicht einzelne Fenster, sondern ganze waagrechte Etagen umfassende

Gebäudes umfassende Wirkung erlangt, ver-

Fensterbänder einzubauen.467 Damit hätte er

binden sich schließlich alle Abstufungen der

zwar ein charakteristisches architektonisches

Fassade miteinander.

Element präsentiert, das in späterer Zeit als

Die Anzahl und Anordnung der Fenster

bahnbrechend und epochemachend angese-

an der Fassade entwickeln sich zu beiden

hen wurde, gleichzeitig hätte er damit aber

Seiten des Eingangs hin gleichmäßig und

deutlich den Effekt der Treppenform der Fas-

spiegeln die Symmetrie ebenfalls wider. Die

sade unterlaufen. Die Fenster betonen die

Fenster unterstützen so die Lesbarkeit der

Unterscheidungs- und Unterteilungsmöglich-

Fassade und ermöglichen Rückschlüsse auf

keiten der Fassadenabschnitte aufgrund ihrer

die innere Konstruktion des Sanatoriums.

Zuordnung und ihre zentrierte Lage in den

Vor allem aber untermauern sie die univer-

verschiedenen Teilstrecken.

selle Einteilung der Architektur in Quadrate.

Auf der Ostseite wird das große Umriss-

Man kann deutlich vertikale und horizonta-

rechteck der Fassade um einen mittig ange-

le Fensterbänder zusammenfassen. Aber

fügten Anbau (Abb. 3 und 39) erweitert. Die-

ebenso ordnen sich die Fenster zu Gruppen,

ser Anbau erstreckt sich über das Erdgeschoss

die wiederum ein größeres Viereck oder

und den ersten Stock. Im Erdgeschoss dient

Rechteck bilden, beziehungsweise die zuvor beschriebene Stufenunterteilung der Fassade

467 Sekler ²1986, S. 70–72.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

dach über der Tür. Diese Überdachung besteht aus einem weißen Gitter, das mit drei Reihen à

zehn

rechteckigen

Milchglasfenstern

bestückt ist. Diese so entstehende Platte wird durch zwei sich nach oben hin verjüngende Bügel an der Mauer befestigt, die in einer kegelförmigen, scharnierartigen Verdickung enden. Die Verankerungspunkte der Bügel und die Berührungsfläche des Daches mit der Fassade werden durch das schon beschriebene Fliesenband umrandet und hervorgehoben. Die Arme selbst bestehen aus zwei Stangen, die durch einzelne Streben untereinander verstärkt werden. Diese Streben ergeben folgerichtig ein Muster von auf der Ecke stehenden Quadraten. Jene zwei Stangen evozieren den Eindruck, man könnte das Glasdach nach Abb. 39: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Detail der Ostfassade mit Eingang, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Fotografie von 1906

oben hin einklappen. Die Konstruktion erin-

er als Haupteingang und im ersten Stock

der ersten Etage bestehen an der Ostfassade

wandelt er sich zu einem Wintergarten ähn-

(Abb. 3) aus dem identischen Modul: ein

lichen Anbau, der an den Speiseraum

schmales, hochkant stehendes rechteckiges

anschließt. Das deutliche Heraustreten die-

Fensterglas, das in seiner oberen Hälfte durch

ses Baukörpers wird durch die Fassadenge-

weiße Sprossen in sechs Quadrate unterteilt

staltung in seiner Wirkung unterlaufen. Die

ist und in der unteren Hälfte aus einem Recht-

dunklere und ebene Gestaltung der Sockel-

eck besteht, das auf seiner Schmalseite steht.

zone sowie der weiße und raue Putz der dar-

Diese Module werden unterschiedlich oft

auf folgenden Stockwerke überziehen auch

aneinander gereiht, doch die häufigsten Kom-

die Wände des Portalkörpers. Die Fensteran-

binationen sind die Reihung von zwei oder

ordnung nimmt die Höhen der restlichen

drei Modulen nebeneinander. Die Fenster im

Fassadengliederung wieder auf und das

zweiten Obergeschoss sind nur durch den

dezente Dach, das nur aus wenigen Traufen

oberen Abschnitt der Fenster variiert. Dort

besteht, gliedert den Anbau zurückhaltend

sind es vier Quadrate, die aufgrund einer

in das Gesamt der Fassade wieder ein.

Unterteilung durch weiße Sprossen entste-

nert – wie Leslie Topp betont – an die Momentaufnahme einer Zugbrücke.468 Fast alle Fenster des Erdgeschosses und

Nur aus einem seitlichen Blickwinkel tritt

hen. Nur wenige Fenster bestehen aus zwei

der Anbau merklich hervor (Abb. 3 und 39). Dies geschieht aber vor allem durch das Glas-

468 Topp 1997, S. 430 und Topp 2004, S. 90f.

163

164

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

übereinander gestapelten Quadraten, wobei

West- gegenüber der Ostfassade wider. Im

sich das obere aus neun kleinen Quadraten,

Sockelgeschoss gleichen die Fenster denen

die durch Sprossen eingeteilt sind, formiert.

auf der Ostseite, nur um eine Vertikalreihe

Die Kellerfenster an der Ostfassade besit-

von Rechtecken erweitert. Schon im Erdge-

zen eine gesonderte Ordnung. Die Füllung der

schoss aber befinden sich quadratische Fens-

Fenster besteht aus drei Reihen von jeweils

ter. Eine Verkürzung der unteren Hälfte des

fünf kleinen Rechtecken, die ebenfalls auf ihrer

Moduls zu einem Quadrat und die Reduzie-

Schmalseite stehen. Die Umrisse der Fenster

rung der oberen Hälfte auf vier anstelle von

unterstützen den ruhenden Charakter der

sechs Vierecken ergeben bei den Fenstern

Sockelzone, da durch Beibehaltung der ande-

des Erdgeschosses einen quadratischen Fens-

ren Fenstermodule auch in der Sockelzone

terumriss. Im ersten Stock sind vier Module

wohl eine deutlichere Absicht in die Höhe

der Ostfassade aneinander gereiht, wobei die

abzulesen gewesen und somit die Wirkung des

zwei mittleren Module zu einer Tür zusam-

Unterbaues unterminiert worden wäre.

mengefasst werden. Im zweiten Stock wird

Fasst man die Beobachtungen zu den Fens-

der Umriss der Fenster des Erdgeschosses

terarrangements der Ostseite zusammen, kann

annähernd wiederholt, während die innere

festgestellt werden, dass im Sockelgeschoss

Einteilung abermals abgewandelt ist. Durch

die Fenster kompakte Rechtecke darstellen.

die Halbierung der östlichen Module und die

Dagegen sind die Fenster in den oberen Eta-

Umrahmung zweier halber um zwei vollstän-

gen feingliedriger und weniger einförmig auf-

dige Module ergibt sich nun der eben genann-

gebaut, vor allem aber liegen kleine Fenster-

te quadratische Umriss.

quadrate in einem größeren Rechteck

Reihung und Unterteilung in vielteiligen

eingefasst. Man könnte noch genereller for-

Variationen definieren das Erscheinungsbild

mulieren, dass in der Fenster­bearbeitung eine

der Fenster des Sanatoriums Purkersdorf.469

weitere Kontraststellung zwischen Sockel und

Josef Hoffmann beweist dadurch mit dem

Obergeschossen demonstriert wird, abermals

ersten Blick auf das Gebäude, dass er die

nur durch die Anwendung der Grundformen

Grundformen Quadrat und Rechteck belie-

des Quadrats und des Rechtecks realisiert.

big oft und abwechslungsreich anordnen

Ein etwas anders geordnetes Fenstersys-

kann. Das System von Über- und Unterform,

tem untergliedert die westliche Fassade

Rand und Füllung sowie die Durchdringung

(Abb. 38 und 40): Es zeigt sich eine varian-

und Reihung von Grundformen wird schon

tenreichere Gestaltung der einzelnen Bau-

an den Fenstern augenscheinlich.

teile durch die Fenster. Die verschiedenen Abwandlungen, die durch die zwei geometrischen Grundformen Rechteck und Quadrat entstehen, ordnen auf der Westseite Etagen und Baukörper oder vielmehr die verschiedenen ‚Fassadenstufen’ einander zu. Die Fenster spiegeln die größere Zerklüftung der

469

Breckner hält in seiner Diplomarbeit, die sich mit dem Zustand des Sanatoriums Purkersdorf vor seiner Restaurierung beschäftigt, fest, dass die Fenster größtenteils Originale sind und zumeist zum damaligen Zeitpunkt noch „funktionsfähig oder leicht sanierbar“ waren. Eine Instandsetzung sei jedoch dringend notwendig gewesen. (Breckner 1982, Punkt 1.4.)

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Neben den zahlreichen Zergliederungen der zwei Hauptfassaden fällt konträrerweise die starke Geschlossenheit und Tendenz zur Fläche des Gebäudes auf. Die weißen Wände werden nur körperlich vernehmbar an ihren Schnittstellen. Genau an jenen Ecken verläuft der schon erwähnte Kachelfries (Abb. 3, 39 und 40). Einer Schnur ähnlich zieht sich das Band um jedes Fenster und um jede Kante, an der zwei Wände aufeinander treffen. Es scheint, als ob die weißen und blauen Fliesen an ihren äußersten Kanten die Verbindung vom weißen Gebäude mit dem blauen Himmel vorantreiben. Auf der einen Seite wird der Bau auf diese Weise eingerahmt, aber auf der anderen Seite entsteht eine Verzahnung zwischen Gebäude und Natur. Im Sinne der Rahmung wird der Eindruck evoziert, dass die weißen Wände – Leinwänden nicht unähnlich – nur durch das schmale Kachelband zusammenhalten.

Abb. 40: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Detail der Westfassade, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Fotografie von 1906

Einer Verschnürung gleichend verbindet und unterteilt es die Stufen und die Gliederungs-

Die Flächigkeit der Fassade wird ebenfalls

elemente der Fassade zugleich. In diesem

dadurch untermauert, dass die durch die

Zusammenhang scheint es so, als ob das

Abstufungen der Gebäudeteile entstehenden

Ornament eine Funktion verliehen bekom-

Balkone zunächst nicht ersichtlich sind.471

men hat. Es wirkt nicht aufgesetzt oder nach-

Im Westen wie im Osten entsteht keine

träglich angeklebt, sondern so, als sei es in

Unterteilung zwischen Außenwand und

die Konstruktion des Gebäudes integriert.

Geländerbereich der Balkone. Die Außen-

Diesen Umstand von verbundenen Leinwän-

mauer wird einfach weiter hochgezogen und

den beschreibt Johannes Spalt, Architekt und

so erübrigt sich eine Balkoneinfassung

Professor an der Hochschule für angewand-

(Abb. 40). Die Balkone sind von außen nur

te Kunst in Wien, als Kartonwände, die Hoff-

zu erschließen, da die untere Umrandung

mann nur rahmt, um ihre Flächigkeit noch

der Fenster und Türen, die auf den Balkon

augenscheinlicher zu verdeutlichen.470 471

470 Spalt 1987, S. 40.

Im Rahmen der Restaurierungsarbeiten wurden die bisher nach innen geneigten Balkone im Sinne einer besseren Entwässerung mit einem leichten Gefälle nach außen versehen. Gleiches gilt auch für das Flachdach. (Toman 1996, S. 9.)

165

166

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 41: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, ­Ansicht der Westfassade, Entwurfsperspektive, ohne Datierung, Feder auf Karton, Tusche mit Grafitspuren, 11,2 x 23,8 cm, über dem Eingangsbereich sind die zwei blau-weißen Fayencefiguren von Richard Luksch zu erkennen, Nachlass Josef Hoffmann, in Privatbesitz

Luksch zusammengearbeitet.475 Luksch war auch beteiligt an der Postsparkasse Otto Wagners, bei der er die marmorne Büste Kaiser Franz Josephs für das Vestibül formte,476 und der Kirche am Steinhof, für die er die Engel über dem Hauptportal entwarf. Vergrößert man zeitgenössische Fotos, ist

hinaus führen, in diesen Bereichen von der

es möglich, die Reliefs und ihre Befestigung

vorgelegten Mauer überdeckt werden. Der

deutlich zu identifizieren (Abb. 39). Über

daraus resultierende Eindruck von einer feh-

ihren Verbleib liegen jedoch keine Informa-

lenden Tektonik am Sanatorium Purkersdorf

tionen vor. Die Reliefs, die sich rechts und

wird später nochmals aufgegriffen.

links des Ostausgangs befanden, zeigen einen

Eduard F. Sekler schreibt in seiner Mono-

Mann und eine Frau (Abb. 42). Beide sind

grafie zu Josef Hoffmann von „Auflockerun-

in fast durchsichtige Kleider gehüllt und evo-

gen der strengen Geometrie“472 durch Reliefs

zieren dadurch die ikonografische Deutung

an der Ostseite (Abb. 39) und durch zwei

als Darstellung des ersten Menschenpaars

blau-weiße Fayencefiguren, die zwei Meter

Adam und Eva. Jede Gestalt ist in ihrem

Höhe messen,

über der Zufahrt auf der

Relief auf vielerlei Art geometrisch eingefasst.

Westseite (Abb. 41). Alle vier Plastiken stam-

Die äußeren Rahmungen der Reliefs entste-

men von Richard Luksch.

Josef Hoffmann

hen durch den Schachbrettfries, der alle

hatte schon im Rahmen der Secessionsaus-

anderen Flächen der Fassade ebenso beglei-

stellung, die 1902 um Max Klingers Beetho-

tet. In der inneren Relieffläche werden die

venskulptur geplant wurde, mit Richard

Körper durch stilisierte Blättergirlanden,

473

474

­Blumencapes und Blätterkränze umformt, 472 Sekler ²1986, S. 288. 473 Hevesi 1909, S. 215. 474 Sekler ²1986, S. 288.

475 Hevesi 1906, S. 391. 476 Hevesi 1909, S. 246.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

unterlegt und umrankt. Die Blumencapes zeigen in Kreisen gehaltene Blüten, deren Blätter aus Rechtecken geformt sind. Hinter den Köpfen der Figuren befinden sich kassettenähnliche Vertiefungen, die nach unten keine Ergänzung erfahren. An den Füßen erkennt man Blumen, die auf Striche und Punkte abstrahierend reduziert sind. Die Körperformen des Paares sind auf deutlich geometrische Konturen verringert. Die Haare der Frau umschreiben einen Kreis und die einzelnen Strähnen wiederholen die Kreissegmente. Dieser Haarkreis wird von einem Blätterband umrissen, das seinen Verlauf wie ein Ohrring an ihrem rechten Ohrläppchen beginnt. Ihre Haarpracht überschneidet teilweise überdeckend links und rechts von ihr zwei kleinere, aus Punkten geformte Kränze. Ihre Arme liegen eng an ihrem Oberkörper an und bilden ein nach unten geöffnetes Dreieck. Ihre Hände spreizt sie im rechten Winkel nach außen hin ab. Ihre ganze Statur

Abb. 42: Richard Luksch: Majolika-Flachreliefs, 1904– 1906, Verbleib unbekannt, Fotografie von 1906

scheint gestreckt und unter Spannung. Sie ruht nicht auf ihren Füßen, sondern hat sie

genau in der Mitte seiner Brust ruht. Seine

einer Ballerina gleich zum Spitzentanz

Finger umgreifen den Stängel der Blume.

geformt. Würde man von ihren Zehenspitzen

Einem Tänzer ähnlich steht er stolz, wie in

Linien zu ihren Fingerkuppen und von denen

einer Pose eingefroren, in seinem Bildraum.

wiederum zum Kopf ziehen, entstünde eine

Die Urwurzel der Menschheit, repräsentiert

ihren Körper umschreibende Raute.

durch ein Menschenpaar, das die Assoziati-

Die ‚Adamsfigur‘ nimmt in den engen

on an Adam und Eva evoziert, wird in ein

Umrissen des Reliefs mehr Raum ein. ‚Adam‘

geometrisches Formengerüst übersetzt. Ein

hat seinen linken Arm über seinen Kopf

modernes Paar im Sinne von Körpern, die

gestreckt und seinen rechten Arm beugt er

in einer geometrisch geordneten Welt exis-

im rechten Winkel nach links. Er legt seinen

tieren, präsentiert sich dem Betrachter.

linken Arm zwischen den großen Blätter-

Die Positionierung der Fayencefiguren an

kranz, der seinen Kopf umrahmt und einen

der Westfassade wurde wohl nur kurzfristig

der kleineren Kränze, die sich links und

realisiert (Abb. 41). Es war ursprünglich

rechts vom großen Kreis erstrecken. In sei-

geplant, sie an den Kanten der Balkone des

ner rechten Hand hält er eine Blume, die

Piano nobile aufzustellen. Zumindest werden

167

168

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

die Fayencefiguren von Hevesi in seinem Arti-

Sanatoriums“ und ordnet sie weiterhin ein in

kel Neubauten von Josef Hoffmann vom

die ­„Ikonographie des nervösen weiblichen

November 1905 tatsächlich erwähnt: „Nur

Körpers“ wie sie von der Gruppe der Wiener

an den Haupteingängen, am Treppenaufgang

Secession und insbesondere von Gustav Klimt

vorn und über der Unterfahrt rückwärts, ist

definiert wurde.479 Vielleicht gab gerade diese

etwas Plastik (von Luksch) angebracht. […]

deutliche Kontrastwirkung jedoch auch den

rückwärts aber zwei blauweiße Fayencefigu-

Ausschlag, sie eher im Park des Palais Stoclet

ren, zwei Meter hoch, alles mit Beziehung auf

aufzustellen und nicht in direktem Kontakt

den Zweck des Gebäudes.“477 An diesen

zum

Ecken wurden jedoch letztendlich Lampen-

konzipierten Baukörper des Sanatoriums Pur-

konstruktionen angebracht (Abb. 40). Die

kersdorf.480 Bedenkt man dann noch das

Fayencen wurden stattdessen von Adolphe

­Frauenbild in der Medizin um 1900, erscheint

Stoclet angekauft und im Park des Palais

es nur konsequent, jene Skulp­turen nicht an

konsequent

mathematisch

durch­

Stoclet platziert (Abb. 30).478 Die zwei weiblichen Ganzkörperakte strahlen in Weiß (Abb.  43). Beide Skulpturen fußen auf einem weißen Sockel, der sich jeweils bis zum Gesäß als Stütze heraufzieht. Im Kontrapost stehend, haben beide Frauengestalten den Fuß des Spielbeins nach oben gezogen. In beiden Fällen schmiegen sich die Fußsohlen auf halber Höhe des Unterschenkels an. Die Arme umspielen die üppigen Haarschöpfe, die die zierlichen Köpfe wie ein Helm umschirmen. Beide Frauen verfügen über kurvige Körperumrisse und präsentieren ein selbstbewusstes und ‚gesundes‘ Frauenbild. Mit ihren Haaren kokettierend, sollten sie lasziv und aufreizend an einer klar und nüchtern wirkenden Fassade stehen und dadurch das spielerischste Ornament der äußeren Hülle des Sanatoriums Purkersdorf verkörpern. Sabine Wieber versteht diese weiblichen Idealbilder daher auch als ein „Element der ‚Vermarktung‘ des 477 Hevesi 1909, S. 215. 478 Schweiger 1982, S. 152–161 und vergleiche dazu Schweiger 1990, S. 7. Eine Abbildung zeigt die erste Ausstellung der Wiener Werkstätte in der Galerie Miethke von 1905 mit den Fayencen von Luksch, die ein Modell des Palais Stoclet flankie-

ren. Über dieselbe Ausstellung wird auch in der englischen Zeitschrift The Studio berichtet. Der Kurzbericht ist mit einer Fotografie der beiden Frauenakte versehen. Der Text hebt insbesondere den gemeinschaftlichen Herstellungscharakter der Wiener Werkstätte hervor und erklärt dadurch auch die Präsenz der Arbeiten der Wiener Werkstätte in der englischen Zeitschrift. Deutlich wird, dass die kulturelle Nähe zueinander von „Arts and Crafts“-Bewegung und Wiener Werkstätte auch vonseiten der Engländer gesehen wurde. So heißt es in dem Artikel wortwörtlich: „VIENNA – The first exhibition of objects made in the Wiener Werkstätte, of which Professor Hoffman (sic!) and Moser are the artistic directors, was recently held at Miethke’s New Gallery on the Graben. Though we may be sure the two professors were mainly responsible for the arrangement of the exhibition, they, with their customary modesty, prefer that the credit for it should be given to the Werkstätte as a whole, for their ideals are carried out, and they are realising what they have always had before them – the inseparability of the designer and the workman.” (Ohne Autor 1906, S. 169.) 479 Wieber 2009, S. 141. 480 Letztendlich fanden genau diese Skulpturen ihre Aufstellung tatsächlich im Garten des Palais Stoclet, wie zeitgenössische Fotos beweisen. Bedauerlicherweise gibt es keine Fotografien, die das Platzieren dieser Frauenfiguren in Purkersdorf nachweisen würden. Dieser Umstand lässt den Schluss zu, dass die Figuren zwar ursprünglich für das Sanatorium konzipiert waren, aber erst im Rahmen der Arbeiten für die Familie Stoclet ihre Bestimmung fanden. Die Möglichkeit einer dop-

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

der Fassade angebracht zu haben. So war mit dem Bild der Neurasthenie481 – manchmal auch Hysterie genannt – fast folgerichtig die Hysterikerin verbunden. Der Berliner Gynäkologe Amann p ­ ublizierte 1874 eine Untersuchung mit dem Titel Über den Einfluß der weiblichen Geschlechtskrankheiten auf das Nerven­system mit besonderer Berücksichtigung des Wesens und der Erscheinung der Hysterie. Des Weiteren ging Krafft-Ebing bei seiner Wortschöpfung des Masochismus von einer spezifisch weiblichen Perversion aus und Otto Weininger

ist

mit

seiner

Dissertation

Geschlecht und Charakter nur ein weiteres Beispiel von vielen für den fast feindlichen, vorurteilsbefrachteten Blick auf das Weibliche.482 Somit wären Frauenfiguren, die an die Sexualität von Klimt’schen Darstellungen erinnern,483 aus der Sicht einer Institution der nervlichen Beruhigung deplaziert gewesen. Abb. 43: Richard Luksch: Fayencefiguren für die Westfassade des Sanatorium Purkersdorf, 1904–1906, ­Fayence, blau-weiß glasiert, später aufgestellt im Garten des Palais Stoclet, Fotografie von 1906

pelten Verwendung in Purkersdorf und Brüssel scheint eher unwahrscheinlich. Dass die Figuren jedoch sicherlich zunächst für das Sanatorium geplant waren, zeigt ein Artikel der Zeitschrift Hohe Warte zur Ausstellung von 1905 in der Galerie Miethke: „Sogar große Plastiken enthält der Saal, weibliche Akte vom Bildhauer LUKSCH für das vom Professor Hoffmann erbaute Purkersdorfer Sanatorium. Durchaus im Material empfunden, sind sie dennoch bewegt und von Leben erfüllt, und bei aller Strenge sozusagen von femininer Grazie umschlossen. Es ist nichts Unedles in den Linien. Kontrastwirkungen sind in diesen Werken mit großem künstlerischem Feingefühl verdichtet; es ist ganz überraschend, welchen beschleunigten Entwicklungsgang der Künstler einschlägt.“ (Ohne Autor 1905/1906, S. 69.) Karin Thun-Hohenstein geht davon aus, dass es sich bei den Fayencefiguren um dieselben handelt, die ursprünglich am Sanatorium Purkersdorf aufgestellt waren und bereits 1905 durch die Galerie Miethke ausgestellt

und weiterverkauft wurden. (Thun-Hohenstein 2015, S. 88f. und Fußnote 17.) Thun-Hohenstein gibt außerdem an, dass die Figuren auf Wunsch des Auftraggebers durch Holzlaternen ersetzt wurden. Als Begründung vermutet sie finanzielle Beweggründe. Dabei verweist sie auf Angaben, die in Bezug auf die Außensanierung des Sanatoriums während der 1990er-Jahre von Renate Fischl publiziert wurden. Beide geben jedoch hierfür keinerlei Quellenmaterial an. (Thun-Hohenstein 2015, S. 88f. und Fußnote 18. Siehe auch Fischl 1996, S. 20.) 481 Die Neurasthenie ist eine Krankheitsdefinition des amerikanischen Nervenarztes George M. Beard. Laut Joachim Radkau charakterisierte Beard in seinem Buch Neurasthenie von 1880 jenes „Krankheitskonstrukt“ als eine „Verbindung von Überarbeitung und Überreiztheit, berufliche und sexuelle Verunsicherung, Hektik und Unentschlossenheit“. (Radkau 2001, S. 66.) 482 Wiltschnigg 2001, S. 124–138. Vergleiche dazu Thau und Lovrek 1986, S. 74. 483 Vergleiche dazu Wiltschnigg 2001, S. 205–213.

169

170

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 44: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Nordfassade, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Rekonstruktion von Gunter Breckner, 1982

ganzen Längsseiten der Etagen verlaufen. Im Norden sind jeweils drei Fenster pro Etage mittig in der Fassade angeordnet. Im Süden schließen sich im Erdgeschoss ein

Die Stirnseiten des Sanatoriums im Nor-

kubischer Anbau sowie der Verbindungsgang

den und Süden sind sehr unterschiedlich

an, der zu den anderen Gebäuden aus der

gestaltet (Abb. 44 und 45). Im Norden bietet

Zeit des Sanatoriums Westend führte. In der

die Fassade einen recht geschlossenen Ein-

ersten und zweiten Etage wechseln sich

druck. Jene Geschlossenheit wird noch ver-

rechteckige mit quadratischen Fenstern ab.

stärkt durch die angebaute Pergola, die

Der Anbau und der Gang im Süden erstre-

hauptsächlich den nützlichen, direkten

cken sich gemeinsam nicht über die ganze

Zugang zur Küche im Keller, der über eine

Breite des Baus. Der Anbau umfasst in etwa

Rampe geleistet wird, samt Wirtschaftshof

die Höhe des Erdgeschosses. Der Raum des

verdeckt. Jene Rampe ist heute wieder her-

Nebenbaus wird durch vier Fenster mit Licht

gestellt, nachdem sie 1952 entfernt worden

versorgt. Davon befinden sich drei im ­Westen

war.

Wie später noch am Grundriss ersicht-

und eines im Süden. Das Innere des Raumes

lich wird, erfolgt die Ausleuchtung des Bau-

wird nicht vom Flur aus betreten, denn die-

werkes überwiegend über die West- und Ost-

ser funktioniert als Verlängerung des Männer­

seite, was durch die Anordnung der Räume

bades. Die Kellerfenster in der Sockelzone

bedingt ist. So müssen die Fenster der Stirn-

zeigen, dass der Anbau ebenfalls unterkellert

seiten überwiegend nur die Flure des Gebäu-

ist. Die Fassade dieses Teils ist einheitlich

des erhellen, die jeweils fast mittig über die

zum Hauptbaukörper gestaltet. Genau wie

484

beim Eingangsvorbau auf der ­ Ostseite 484 Toman 1996, S. 10 und S. 14.

(Abb. 39) wird mit diesem Mittel der Anpas-

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Abb. 45: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Südfassade, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Rekonstruktion von Gunter Breckner, 1982

­Sanatoriums Westend. Fotografien von 1939 zeigen, dass jener Wandelgang recht weitläufig ausgeprägt war und Gert Demarle erklärt, dass sowohl Pavillon I, II als auch III an den

sung eine Integration der eigentlich angefüg-

gläsernen

ten außen stehenden Form geschaffen.

(Abb.  37).

Gang 485

angeschlossen

waren

Christian Brandstätter spricht

Der Verbindungsgang liegt niedriger

im Fall des Wandelganges sogar von einer

neben dem Anbau und besteht aus einer ver-

„Wandel-Bahn“.486 Heute befindet sich an der

glasten Pergola (Abb. 46). Er schwingt sich

Stelle dieser Villen ein neuer Zweckbau des

in einzelnen Modulen in einem Viertelkreis-

Altenheimes. Aufgrund der entstandenen

bogen von Süden nach Osten. Das Dach des

Vernetzungssituation hat sich auch der

Ganges ruht auf basen- und kapitellfreien

ursprüngliche Eindruck erhalten, den der

Pfeilern, die oben zu circa vier Fünftel Weiß

Gang wohl vermitteln sollte. Beim Durch-

und unten zu einem Fünftel Grau gestrichen

schreiten dieses geschlossenen Wandelgangs

sind. Selbst die Pfeiler wiederholen damit

wird durch den Ausblick auf das Sanatorium

das Ordnungsverhältnis von Sockel und obe-

oder die anderen Bauten deutlich, dass man

ren Etagen. Die ersten beiden Segmente glei-

den Bau von Josef Hoffmann betritt oder ver-

chen sich. Bei ihnen sind keine Pfeiler her-

lässt. Eine Art Spannungsaufbau oder Span-

ausgebildet und sie scheinen noch mehr dem

nungsabbau entwickelt sich so bei dem durch

Gebäude zugeordnet als dem Laubengang.

den Wandelgang Schlendernden, je nachdem

Josef Hoffmann schuf mit diesem Ensem-

aus welcher Richtung er kommt. Josef

ble eine leichte Abstufung des neu ent­

­Hoffmann lenkt demnach mithilfe seiner

standenen Hauptgebäudes hin zu den schon früher ­

vorhandenen

Villenbauten

des

485 Demarle 1985, S. 22. 486 Brandstätter 2003, S. 118.

171

172

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

zwei rechteckigen Fensterscheiben umrandet werden. Das obere mittlere Quadrat ist wiederum in neun Quadrate unterteilt, die in Dreierreihen angeordnet sind. Dadurch entsteht zum einen die senkrechte Teilung in Haupt- und Seitenfenster und zum anderen eine zweiteilige waagrechte Gruppierung. Jeweils die mittleren Quadratfensterabschnitte kann man öffnen. Das untere quadratische Fenster öffnet sich zur Seite, während sich das obere Segment unten nach außen gerichtet kippen lässt. Genau dieser Typus wird dann an der Südfassade abwechselnd mit dem oberen mittleren Quadrat, das selbst aus neun Quadraten besteht, kombiniert. Diese Details der Öffnungsrichtungen der Abb. 46: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Verbindungs- und Wandelgang, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Aufnahme um 1939, Fotografie von 1906

Fenster sind daher so bemerkenswert, weil dadurch veranschaulicht wird, wie umfangreich die Überlegungen zur Frischluftzufuhr in den Gebäudekorpus gewesen sein müssen.

­Architektur den Passierenden und seinen

Wiederholungen und Abwechslungen in

Blick. Der Flaneur, der an sich zwar schon

der Fensterordnung erschaffen eine Fassade,

als eine Schwellenfigur zu verstehen ist, ist

die zunächst einheitlich wirkt, letztendlich

dennoch in diesem Fall nicht als Bewegungs-

aber durch eine starke Variation besticht.

figur von Hoffmann intendiert. Vielmehr

Die Neutralität des weißen Putzes verstärkt

wird der Wandelnde durch die Architektur

über diese Unterschiede hinaus den Eindruck

in seiner Bewegung gelenkt und nicht etwa

der Zusammengehörigkeit der Einzelteile des

als richtungslos agierender Mensch in der

Gebäudes. Gunter Breckner spricht in die-

Masse inszeniert. Damit übernimmt die

sem Zusammenhang von einer daraus resul-

Architektur die Rolle der Orientierung für

tierenden „Spannung und Dynamik der Fas-

das Individuum, das sich aufgrund seiner ner-

sadenteile“ für das Sanatorium Purkersdorf.

vösen Krankheiten in die Obhut von Ärzten

Ebenso sieht er aber auch für den Gesamt­

begibt. Die Architektur legt eine dominante

eindruck des Sanatoriums ein „Erscheinungs-

Klammer um den ‚Patienten‘ oder ‚Kurgast‘.

bild, in sich ruhend, schlicht und doch unge-

An der Südfassade des Hauptgebäudes

mein repräsentativ“ gegeben.487 Deutlich wird

(Abb. 45) ist zu beobachten, dass die größe-

die zuvor genannte Abstimmung aller

ren Fenster der Stirnseiten aus in der Mitte

Bestandteile aufeinander und der sich dar-

zwei übereinander liegenden Quadraten bestehen, die jeweils links und rechts von

487 Breckner 1985, S. 12.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

aus ergebende Rhythmus des Gebäudes, der vermutlich auch dazu geführt hat, dass Behrens vom „Musikalischen“ in „allen Werken

Das Quadrat – Die alle Ebenen durchdringende Maßeinheit und Struktur der Bauteile

Hoffmanns“ sprach.488 Immer mehr konkretisiert sich das Paradigma der Widersprüche.

Schon bei der Beschreibung der Hülle des

Einerseits findet man eine Verschleierung der

Sanatoriums Purkersdorf fiel immer wieder

Tektonik an den Balkonen,489 im Gegensatz

das Quadrat als Modul oder Gestaltungsmo-

dazu ist aber eine Betonung der Last- und

ment auf. Mit der Forderung nach innerer

Trageverhältnisse an den Eingangsbereichen

Entsprechung zum Äußeren einer Architek-

der Ost- und Westseite des Sanatoriums zu

tur, die sich bei den zeitgenössischen Archi-

erkennen (Abb. 38 und 39). Trotzdem muss

tekten in Opposition zu den Ringstraßen-

man differenzierend feststellen, dass die mas-

bauten entwickelte, ist zu erwarten, dass das

sigen Pfeiler des Westeingangs nicht im Ver-

Quadrat auch im Inneren in Erscheinung

hältnis zu dem schmalen Dach stehen. Eben-

tritt. Dieser Erwartungshaltung entspre-

falls ist in diesem Zusammenhang noch

chend, baut sich der Grundriss und Quer-

einmal die Wirkung des gesamten Baukör-

schnitt in geraden geometrischen Baueinhei-

pers wie aus einem Stück gefertigt zu nen-

ten auf (Abb. 47 und 48). Wahrscheinlich

nen, aus dem Bereiche – so scheint es – aus-

beruht dieser Umstand nicht nur auf der Tat-

gehöhlt wurden, während das Kachelband

sache, dass Josef Hoffmann im Quadrat eine

die Wände wie aneinander geheftete Papier-

bisher nicht verwendete Ornamentform

seiten erscheinen lässt. Massigkeit und

sah,490 sondern dass er seine Architektur

Filigranes stehen gleichzeitig in einem Werk

ebenso auf Quadratlpapier491 entwarf.

nebeneinander und dies in ein und demsel-

Den Ringstraßenbauten liegt eine ­Rhetorik

ben Teilstück, an der Fassade. Im Ganzen

zugrunde, die von der arrangierten Außen-

bleibt das Sanatorium Purkersdorf aber ein

wirkung ausgeht. Die Fassade als Ort der

massiger Kubus, der den Eindruck vermittelt,

eklektizistischen Methode, Architekturvoka-

man könnte ihn einfach um 90 oder 180

beln vergangener Epochen zu kopieren und

Grad drehen. Bezeichnend ist, dass keine

zu einer neuen sinnbildlich aufgeladenen

Seite die gegenüberliegende Fassade kopiert.

Sprache umzuformulieren, wurde relevanter

Keine Fläche gleicht der anderen. Jede Seite besitzt ihre eigene Lösung. In der Analyse des Grundrisses und Querschnittes soll nun

490

untersucht werden, ob diese Konstellation im Inneren des Gebäudes begründet liegt oder ob die Fassaden auf ihre Umgebung reagieren.

488 Vergleiche dazu diese Arbeit auf S. 151f. 489 Sekler ²1986, S. 288.

491

Zitat Hoffmanns: „Das reine Quadrat und der Gebrauch von Schwarz-Weiß als dominierende Farben interessieren mich deshalb so besonders, weil diese klaren Elemente nie in früheren Stilen erschienen waren.“ (Vergleiche dazu Feuerstein 1964, S. 181.) Dabei handelt es sich um eine bis heute in Österreich geläufige Bezeichnung für kariertes Papier. Da dieser Begriff jedoch immer in Anführungszeichen gesetzt wird, könnte es sich auch um eine Anspielung auf den Spitznamen Quadratl-Hoffmann für Josef Hoffmann handeln.

173

174

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

als das Funktionieren und die Ö ­ konomie

möglicher Nichtübernahme der Bautypen

eines Gebäudes. Die Ringstraßenfassade, so

aus der Vergangenheit führte Hoffmann wohl

deren Gegner, reduziere sich zum Träger für

zu der Verwendung des zumindest für ihn so

das aufgesetzte Ornament als Repräsentati-

ersichtlichen neutralen Motivs des Quadra-

onsfigur oder eben auch zum Vortäuschen

tes. Das bis dahin nicht so zahlreich verwen-

von Würde, die sich nicht unbedingt im Inne-

dete Dekor ist daher schon als bewusstes

ren des Gebäudes weiter fortsetzten musste.

Markenzeichen oder als Signatur Josef Hoff-

Die Gründer der Wiener Secession und Adolf

manns zu bezeichnen. Josef Hoffmann stili-

Loos als Einzelkämpfer stellten sich deutlich

sierte das Quadrat zu seinem Identität her-

gegen diese ‚Unwahrheiten‘ und propagier-

stellenden Pseudonym, auch wenn er nicht

ten eine Rückkehr zum ‚ehrlichen Bauen‘,

der Einzige war, der es verwendete.

das ein Gebäude aus dem Kern und seinem

Daher ist das Quadrat auch Element des

Zweck heraus entwickeln sollte. Josef Hoff-

Grundrisses des Sanatoriums Purkersdorf.

mann kritisiert den Historismus in seinem

Das Erdgeschoss teilt sich in zwei Hauptach-

Artikel Einfache Möbel in der Zeitschrift Das

sen (Abb. 47). Der in der Mitte der Fläche

Interieur deutlich:

quer liegende Saal erstreckt sich über die gesamte Breite des Grundrisses und bildet

„Die alten Stile wurden wieder heraufbe-

so einen Gang zwischen den zwei Ein- und

schworen. Nicht etwa einer. Alle, alle! Und

Ausgängen im Westen und Osten des Sana-

wieder soll uns der Maskentaumel ergrei-

toriums. Neben dieser ersten Hauptachse

fen, mit seinem unechten, falschen Tand,

erstreckt sich jeweils rechts und links eine

mit seiner Stillosigkeit trotz sämmtlicher

quadratische Raumübereinheit, die abermals

Stile aller Zeiten und Länder.“

unterteilt werden kann. Dieser Verbindungs-

492

gang zwischen West- und Ostseite lässt sich Soweit die Rhetorik. Die Secessionskünstler

in vier Abschnitte gliedern. Von Westen nach

und Adolf Loos definierten die Lösung die-

Osten gehend befindet sich der Eingangsbe-

ser Forderung in der Praxis jedoch unter-

reich, der direkt hinter dem heutigen Haupt­

schiedlich; so wurde ja bereits zuvor schon

eingang liegt. Über eine Stufe und einen kur-

erwähnt, dass Hoffmann und Loos sich ähn-

zen Gang gelangt man in die Eingangshalle.

lichen Themenkomplexen bei unterschiedli-

Neben diesem Gang befindet sich das Trep-

cher Schwerpunktlegung widmeten. In die-

penhaus, das etwas höher im Westen bis an

sem Kontext ist zumindest deutlich die

die Außenmauer reicht. Der dritte Abschnitt

Entscheidung Hoffmanns für das Quadrat in

ist die Eingangshalle, die abermals in drei

Purkersdorf zu verorten. Der Wunsch nach

Bereiche eingeteilt werden kann: dem ersten

einem eigenständigen, genuin geschichtslo-

Joch, das man auch der zweiten Hauptachse

sen Stil im Kontrast zum einzelmotivischen

des Gebäudes, dem Längsflur, zuordnen

Aufnehmen von Formen bei gleichzeitiger

könnte, folgt der Hauptbereich des Saales und hieran anschließend ein dem ersten Joch

492 Hoffmann 1901, S. 194.

in der Form entsprechender Raumabschnitt.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Abb. 47: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Grundriss des Erdgeschosses, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Rekonstruktion von Gunter Breckner, 1982

Abb. 48: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Querschnitt, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Rekonstruktion von Gunter Breckner, 1982

175

176

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Die letzte Raumstrecke der Querachse ist

werden. Zeichnen sich die genannten Türen

der um einige Stufen niedriger liegende Vor-

doch überwiegend durch Glaseinsätze aus

raum des Ein- und Ausganges der Gartenfas-

und bieten damit nur eine minimale optische

sade, der im Bereich des Anbaus im Osten

Barriere. Steht man etwa auf der Höhe der

liegt und von einem Portier- und Büroraum,

Längsflure in der Halle und wendet seinen

die jeweils vom Vorraum betretbar sind, flan-

Blick nach Süden oder Norden, eröffnet sich

kiert wird.493

dem Betrachter der vollständige Blick durch

Die Dreiteilung des Empfangssaales wird

die Ausdehnung des Gebäudes. Insbesonde-

durch den Bodenbelag unterstrichen. Im

re im Erdgeschoss fungieren die Längsflure

Westen und Osten des Raumes begrenzen

als Aufschließungskorridore, die von der zen-

jeweils drei Rechtecke neun mittlere Qua­

tralen Halle zu den verschiedenen Gebäu-

drate. In jedem Rechteck und Quadrat befin-

deabschnitten führen. Leslie Topp betont an

det sich ein weiterer, kleinerer Form-Zwil-

dieser Stelle den dadurch entstehenden Über-

ling. Alle Blöcke werden durch ein Gitter

blick über die gesamte Korridorlänge und

zusammengefasst. Dem Weiß und Blau der

die daraus wiederum resultierende mögliche

Kacheln der Fassade entspricht hier das Kon-

ständige Beobachtung der Patienten bzw.

trastpaar Schwarz und Weiß der Bodenflie-

Gäste durch den Arzt.495 Um dieses durch

sen.494 Die zweite Hauptachse des Grundris-

die Quer- und Längsflure entstandene Kreuz

ses ist der in der Mitte der Länge des Baues

gruppieren sich vier gleichgroße Rechtecke,

verlaufende Flur, der zu beiden Seiten zu

in denen sich die Behandlungsräume des

den jeweiligen Zimmern führt. Er reicht über

Sanatoriums befanden: zum Beispiel das

die gesamte Länge des Erdgeschosses und

Turnzimmer für die Bewegungstherapien

endet im Norden in einem Fenster, während

sowie Umkleide- und Einzelbäderräume. Die

er im Süden im zuvor beschriebenen Verbin-

großen rechteckigen Zimmer sind dann dis-

dungsgang aufgeht. Gunter Breckner sieht

gruent durch dünnere eingezogene Wände

in der Längsachse eine untergeordnete Koor-

organisiert.

dinate und er begründet diese Annahme

Im ersten Obergeschoss (Abb. 49) ist im

durch die Flügeltüren, die zwischen Halle

Westen zunächst das Quadrat des Treppen-

und südlichen wie nördlichen Fluren liegen.

hauses zu benennen. Von ihm aus erstreckt

Diese Aussage muss jedoch eingeschränkt

sich der Flur, der ebenfalls wie im Erdgeschoss über die gesamte Länge des Gebäudes

493

494

An dieser Stelle weicht die heutige Situation von der Rekonstruktion Breckners ab. Portier- und Büroraum sind im gegenwärtigen Zustand räumlich zwar vorhanden, aber nicht mehr über den Vorraum zugänglich. Hierbei handelt es sich vermutlich um die originalen Fliesen. Breckner schreibt zum Innenausbau: „ORIGINALTÜREN UND WANDVERTÄFELUNGEN SOWIE BODENFLIESEN IN GUTEM ZUSTAND UND FUNKTIONSFÄHIG“. (Breckner 1982, Punkt 1.4.)

führt. Zwei rechteckige Riegel flankieren diesen Gang an beiden Längsseiten. Der im Westen gelegene Riegel wird geteilt durch das vorher beschriebene Abstufen der Fassade. Jede dieser zwei Flächen unterteilt sich in zwei kleine und ein großes Quadrat und

495 Topp 2004, S. 79.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Abb. 49: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Grundriss des 1. Obergeschosses, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Rekonstruktion von ­Gunter Breckner, 1982

wobei versucht wurde, fast alle Zimmer mit einem Balkon auszustatten. Außer in den Zimmern, die sich in den seitlich hervorspringenden Gebäudeteilen befinden, liegen

einen rechteckigen Balkon, der sich über die

die Fenster direkt gegenüber der Tür. Würde

Breite der zwei kleinen Quadrate erstreckt.

man von der Mitte der Fenster im Westen

Im Osten bleibt der Riegel überwiegend

Linien hin zu den Mitten der Fenster im

erhalten. Ein großer Speisesaal wird seitlich

Osten ziehen, entstünden achsenartige Glie-

von einem Musiksaal und einer Anrichte

derungselemente.

begleitet. An den Speisesaal folgt im Osten die geschlossene Veranda.

Alle Etagen verband eine Sekundärtreppenanlage im nordöstlichen Segment des

Das zweite Obergeschoss (Abb. 50) ist in

Sanatoriums (Abb. 47, 49 und 50). Diese

der Quer- wie Längsachse fast symmetrisch

bestand zum einen aus einer Treppe vom

aufgebaut. Neben der gleichen Behandlung

Keller zum 2. Obergeschoss sowie einer

von Treppenhaus und Flur ist nun auch die

zusätzlichen Anrichte mit Speisenaufzügen

Ostseite nach innen versetzt, um Platz für

im ersten Obergeschoss.496 So konnte man

Balkone zu schaffen. Man kann von zehn

bequem und schnell die Speisen von der im

gegenüberliegenden Quadraten sprechen, die

Keller gelegenen Küche zum Speisesaal im

im Norden und Süden von zwei größeren

ersten Stock transportieren. In Gunter Breck-

Quadraten umrahmt werden. Alle Räumlich-

ners Diplomarbeit ist eine Fotografie abge-

keiten werden in der Mitte durch einen Gang

bildet, die die Speisenlifte und ihre Öffnun-

miteinander verbunden. Im zweiten Obergeschoss waren die Patientenzimmer situiert,

496 Hubmann 2003, S. 47.

177

178

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 50: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Grundriss des 2. Obergeschosses, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Rekonstruktion von ­Gunter Breckner, 1982

dung von Fahrstühlen hatten das Erdgeschoss und die Nobelétage aufgrund ihrer Erreichbarkeit über nur wenige Stufen den Vorzug genossen.500 1908 wurde dann doch

gen zumindest im ersten Stock nachweisen.

im Laufe der Über- und Verarbeitungen

Heute ist diese zweite Treppenanlage nicht

durch den Architekt Leopold Bauer ein Auf-

mehr originalgetreu rekonstruiert. Ein Per-

zug eingebaut.501 Dieser wurde neben dem

sonenaufzug war, wie es eine Einzeichnung

südlichen Turnsaal im Erdgeschoss in der

im dritten Vorprojekt vermuten lässt, von

Wäschekammer eingebaut.

Josef Hoffmann eingeplant, wurde aber nicht

Insgesamt ist für den Grundriss des Sana-

ausgeführt.497 Dieser ‚eventuelle‘ Lift sollte

toriums Purkersdorf die Verwendung von

direkt von der Halle südlich neben der Trep-

Symmetrie und klaren Proportionen charak-

penanlage erreichbar sein.498 Otto Wagner

teristisch. Josef Hoffmann reiht die geome­

hatte schon in seinen Wohnhäusern an der

trischen Grundformen aneinander und fügt

Linken Wienzeile mit Aufzügen gearbeitet.

sie zu größeren Elementen zusammen. Aus

Aufzüge hatten dazu geführt, dass alle Woh-

der einen entsteht die nächste, insgesamt

nungen in einem Haus gleich leicht oder

geht so eine äußerst klare und prägnante

beschwerdefrei fast demokratisch zu errei-

Komposition hervor, die jede Verschleierung

chen waren und damit die oberen Stockwer-

oder versteckte Ecke von Grund auf aus-

ke aufgrund ihrer Aussicht immer mehr an

schließt. Das Ergebnis ist eine Architektur

Attraktivität gewannen.

499

Bis zur VerwenVergleiche zum Begriff der Nobelétage in Wien Schorske 1982, S. 47. 501 Breckner 1982, Punkt 2 und Breckner 1985, S. 163. 500

497 Sekler ²1986, Abb. 74 und 75 auf S. 68. 498 Breckner 1982, Punkt 4. 499 Achleitner 1996, S. 32.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

mit kurzen Wegen und einer logischen

Treppen das Niveau nach oben. Durch diese

Erschließung der Räumlichkeiten. Von unten

in Etappen geleistete Erhöhung der Halle

nach oben steigert sich der intime Charakter

wird es möglich, den Keller relativ niedrig

der Räumlichkeiten. So befindet sich der

zu halten und doch eine ausreichende Höhe

hauswirtschaftliche Raum mit der Küche im

für die Räumlichkeit der Küche zu gewähr-

Keller. Im Erdgeschoss konnten im Laufe

leisten.502 Nicht zu vernachlässigen ist aber

des Tages die verschiedenen Therapien wahr-

der Überblickscharakter der Halle, der durch

genommen werden, während sich in der ers-

die Anhebung noch verstärkt wird. Das An-

ten Etage das Abendleben abspielte. Im zwei-

und Abschwellen der Wege, die der Patient

ten Obergeschoss befand sich schließlich mit

durchläuft, muss einen begleitenden Ein-

den Patientenzimmern eine private Rück-

druck hinterlassen haben. Das unterschied-

zugsmöglichkeit.

liche Decken- und Bodenhöhen anwendende

Josef Hoffmanns ordnendes Prinzip wird

Prinzip, das damit den einheitlichen Charak-

endgültig im Querschnitt des Sanatoriums

ter eines Stockwerks minimiert, wurde ins-

Purkersdorf evident (Abb. 48). Ein Geflecht

besondere von Adolf Loos über seinen

aus vertikalen Streben und horizontalen

Raumplan vertreten. Jener Begriff ist keine

Quadern ergibt ein zunächst kompliziert

genuin von Loos geprägte Wortschöpfung,

erscheinendes

genauerer

sondern wurde von seinem Schüler Heinrich

Betrachtung entwickelt sich ein in sieben

Kulka etabliert. Was genau unter dem Raum-

Spalten senkrecht unterteilter Verbund: ganz

plan zu verstehen ist, wird im weiteren Ver-

außen die beiden Anbauten der Eingangsbe-

lauf am Haus am Michaelerplatz noch ein-

reiche, von diesen umrahmt der eigentliche

mal aufgegriffen, wobei jener Raumplan erst

Leib des Gebildes. Dieser Körper umschreibt

im Spätwerk Loos’ – so zum Beispiel bei der

für sich ein großes Karree, das in drei schma-

Villa Müller – seine konsequenteste Ausprä-

le und zwei breite Spalten unterteilt werden

gung finden sollte.503 Dietrich Worbs betont

kann. Angefangen mit einem schmalen Ele-

bezeichnenderweise bereits 1980, dass Loos’

ment wechseln sich breitere und schmalere

Raumkonzept keine „singuläre Erscheinung“

Flächen ab. Die Spalten selbst werden zum

gewesen sei. Durch das gemeinsame engli-

einen durch Mauern und Deckenbalken

sche Vorbild sieht Worbs ähnliche Raum­

begrenzt, aber auch durch die Positionierung

lösungen bei den Architekten der Wiener

von Türen und Fenstern untermauert Josef

Secession gegeben.504 Loos war ein Verfech-

Hoffmann Gebäudeachsen. Diagonalen sind

ter der Ordnung eines Bauwerks von seinem

System.

Bei

nur im Bereich des großen Treppenhauses in Form der Treppenläufe und im Erdgeschoss durch die Verschiebungen der Ebenen zu entdecken. Das Bodenniveau der beiden Ausgänge in Westen und Osten liegt zwar auf gleicher Höhe, jedoch im Inneren des Hauses verschiebt sich über mehrere kurze

502

Das Ausgraben eines Kellers ist bis heute eine aufwendige und kostspielige Position bei der Berechnung von Baukosten und diese bauliche Lösung wird schon damals zu Einsparungen verholfen haben, die man dann wiederum für andere Bereiche im Budget umschichten konnte. 503 Vergleiche dazu Worbs 1983, S. 64–77 und Worbs 1982. 504 Worbs 1982, S. 58.

179

180

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

schen den Kaminkuben gezogenen Linien abermals ein Raster, das den Auf- und Grundriss des Sanatoriums nachvollziehen lässt. Letzten Endes ist eine Neigung Josef Hoffmanns beim Bau des Sanatoriums Purkersdorf zur Konzentrierung auf wesentliche Schemata festzustellen. Simultan dazu werden diese Pläne durch die Variierung in der Anordnung und Kopplung der geometrischen Unterformen durchbrochen. In Einklang mit der Außenwirkung handelt es sich beim Querschnitt um einen Körper, in dem die Schnitte mannigfach angesetzt werden. Einem ausgefeilten System entsprechend, hat jede Linie eine alle drei Dimensionen erschöpfende Aufgabe inne, ob es nun die Grenzen oder Verbindungen schaffenden Wände oder die Bildung eines Ornamentcharakters durch die Abb. 51: Josef Hoffmann/Koloman Moser: Sanatorium Purkersdorf, Halle gegen Osten, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Fotografie von 1906

Stahlbetondeckenbalken (Abb. 51) sind. Alle Bestandteile des Hauses werden gleichbedeutend in ihrer gesamten Raumausstreckung behandelt. Die Konstruktion wird zum Orna-

Kern aus – wie bereits im Falle der Villa

ment und das Ornament wird zur Konstruk-

­Karma näher erläutert wurde. Beim Sanato-

tion, wie schon anhand des Kachelfrieses oder

rium Purkersdorf kann man davon ausgehen,

den Bodenkacheln der Eingangshalle beschrie-

dass die Halle den Kern der Architektur dar-

ben wurde. Damit ist eine Antwort auf die

stellte. Als die Schachtel in der Schachtel

Frage gefunden, ob sich die Fassadengestal-

formiert sie sowohl durch ihre Positionierung

tung von innen oder außen her konstruiert.

(Abb. 48), ihre Funktion als auch durch ihre

Es sind deutlich die inneren komplexen Bezie-

formale Gestaltung die Schaltzentrale der

hungen, die das äußere Erscheinungsbild des

Maschinerie Sanatorium.

Sanatoriums prägen und nicht etwa ein beson-

Der Querschnitt (Abb. 48) verdeutlicht

derer Lichteinfall oder allein die Beschaffen-

ebenso die Impression, dass das Dach wie

heit der das Gebäude umgebenden Natur. Das

ein planer Deckel auf dem Rumpf des Gebäu-

Sanatorium Purkersdorf erklärt sich, abgese-

des ruht. Die Position der Kamine wieder-

hen von dem Verbindungsgang, aus sich selbst

holt zum einen die Eckpunkte des großen

heraus und nicht nur über sein Umfeld.

Karrees und zum anderen die Grenzen des Längsflurs. Der Blick aus der Luft auf das Dach des Spitals erzeugt mithilfe von zwi-

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Das Quadrat – Die Umrandung des Sanatoriums und Verinnerlichung der Grundform

heiten vom Gesamtumriss des Gebäudes bis hin zu den Fenstern dar (Abb. 39 und 40). Demzufolge bildet das Ornament an diesem

Josef Hoffmann wird, als ein führendes Mit-

Bauwerk keinen Mantel, der sich über die

glied der Wiener Secession und in seiner

eigentliche Architektur legt, sondern beglei-

­Position als einer der Gründer der Wiener

tet vielmehr den Korpus des Hauses und tritt

Werkstätte, üblicherweise dem Jugendstil

als visuelle Unterstützung der Fassadenstruk-

zugerechnet. Doch fällt es gerade am Beispiel

tur auf. Es wirkt daher nicht aufgesetzt, son-

des Sanatoriums Purkersdorf sehr schwer, ihn

dern in die Fassade integriert.

und sein Schaffen dogmatisch nur einer

Einer Einfassung gleich betont die Verzie-

bestimmten Kunstrichtung zuzuordnen. Die-

rung nicht nur die Kanten und Brüche, son-

se Verunsicherung in der Definition der For-

dern auch die Flächen. Die weiße Mauer tritt

mensprache Josef Hoffmanns am Sanatorium

gerade durch ihre Rahmung hervor. Einer

ist durch mehrere Faktoren verursacht. In

Leinwand gleich, die von einem Bilderrah-

diesem Abschnitt der Werkbeschreibung soll

men umfasst wird, definieren sich die Fläche

deshalb insbesondere auf die Verwendung des

der Wände und Fenster über das Ornament-

Ornaments am Sanatorium Purkersdorf ein-

band. Joseph A. Lux sieht bereits 1904 gera-

gegangen werden. Das Ornament des Gebäu-

de in dieser Fläche das Herausragende am

des wird, wie schon mehrfach beschrieben,

Bau des Sanatoriums Purkersdorf:

durch die Grundform des Quadrates bestimmt. Allein durch die Wahl des Quadrates bewegt

„Ich höre fast die in Entrüstung ausbre-

sich Josef Hoffmann weg vom floral Verspiel-

chenden Stimmen: ‚Was, das sind ja gar

ten vieler seiner Zeitgenossen. Das Vegetati-

keine Fassaden, das sind ja nur einfache

ve oder die Suche nach naturverwandten For-

glatte Mauern!‘ Ihr Lieben! Es sind wirk-

men liegt nicht in seinem Interesse. Er wählt

lich nur einfache, glatte Mauern. Darum

eine mathematisch-­geometrische Motivspra-

erscheint mir das Bauwerk so bedeutsam

che. Um zu zeigen, dass Josef Hoffmann trotz-

und musterhaft, von anderen Vorzügen

dem nicht allein dem geometrischen Jugend-

abgesehen. Und darum zeige ich euch mei-

stil zuzuordnen ist, soll in diesem Kapitel

ne schlechten Kodakaufnahmen, die das

noch einmal intensiv auf die Verwendung des

große Verdienst haben, die Schönheit der

Quadrats an der Fassade des Sanatoriums Pur-

einfachen glatten Mauern mitzuteilen. Es

kersdorf ein­gegangen werden.

sind wirklich keine ‚Fassaden‘ in eurem

Bisher konnte im Rahmen dieser Arbeit

Sinne, glücklicherweise. Ihr wollt ein

das Quadrat an der Fassade als Trennlinie

Haus mit ‚Fassaden‘. Ich will ein schönes

zwischen Sockelzone und oberen Etagen auf-

Haus. Eure Entrüstung beweist mir, daß

gezeigt werden (Abb. 39). Neben dieser Funk-

ihr gar nicht wißt, was ein schönes Haus

tion umrahmt es alle Schnittstellen vom Erd-

ist.“505

geschoss bis zur zweiten Etage. Es stellt eine Umrandung für die verschiedenen Bauein-

505 Lux 1904/1905.2, S. 407.

181

182

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Das Zitat von Joseph A. Lux zeigt, wie neu

kes auszumachen und nicht etwa der Schach-

und ungewohnt der Anblick des Sanatoriums

brettfries. Das Muster wird zur begleitenden

für die Zeitgenossen gewesen sein muss,

Metapher reduziert. Die Idee des Geometri-

wenn man bedenkt, dass Lux im Vorfeld von

schen wird so über die eigentliche Form hin-

einer Ablehnung ausgeht und schon vorweg-

ausgeführt. Die Geometrie als eine Teildiszi-

nehmend eine Verteidigungsschrift für das

plin der Mathematik befasst sich mit den

Sanatorium Purkersdorf formuliert. Aber Lux

Gebilden der Ebene und des Raumes. Genau

rechtfertigt das Bauwerk nicht nur, sondern

in diesem Sinne verfolgt der Schachbrettfries

er postuliert es zum „Schönen“ und greift

durch seine Präsenz die Betonung der zwi-

damit einen Schlüsselbegriff sowie ein Ele-

schen ihm liegenden Fläche. Ebenfalls ver-

mentarziel seiner Zeit auf, nämlich die Defi-

stärkt er aber die Kanten und Ecken des

nition einer neuen Ästhetik unter zeitgenös-

Gebäudes und definiert so den Raum, den das

sischen Anforderungen. Auch wenn die

Gebäude für sich einnimmt. Das Quadratmus-

zentrale Frage des Historismus „In welchem

ter übersteigert und erweitert die eigentliche

Stil sollen wir bauen?“ im Sinne eines indi-

Funktion des Ornaments. Nicht mehr allein

vidual-proklamierenden Anspruchs weiter-

die Zierde steht hier im Mittelpunkt, sondern

hin begründend bleibt.

die Suche nach einer eigenen Formensprache

506

Bei Josef Hoffmanns späteren Messepavil-

wird ersichtlich. Diese gesuchte Form des

lons spricht die Fachliteratur von „begeh­baren

gereihten Quadrates wird vor allem davon

Kunstgegenständen“. Dementsprechend wird

geprägt, dass sie mit der Wandstruktur ver-

von gebauten Schatullen gesprochen und sei-

schmilzt und nicht mehr als autonome Schöp-

ne Architektur wird oft mit Stücken der Wie-

fung für sich allein stehen kann.

ner Werkstätte verglichen. Beide Gattungen

Diese Verschmelzung wird auch im

werden als visuelles Argument nebeneinander

­Grundriss und Querschnitt augenscheinlich

gestellt, um die frappierenden Ä ­ hnlichkeiten

(Abb. 47 bis 48). Das Quadrat und das Recht-

hervorzuheben.507 Dieser Interpretationsthe-

eck bilden den begehbaren Raum. Das gesam-

se jedoch nur partiell folgend, könnte man

te Gebäude wirkt wie eine Ausdehnung der

behaupten, dass das Ornament am Sanatori-

Grundform des Quadrates. Durch die Rei-

um Purkersdorf eine Transferrolle erfüllt. Das

hung, Verkettung und Stapelung der Körper

Dekor wird zum weniger relevanten Rahmen,

entsteht ein zusammenhängender Verband,

während die Mauer zum eigentlichen Sujet

der auf den ersten Blick an ein Baukasten-

avanciert. Die Fläche ist Inhalt und Füllung

prinzip erinnert. Doch bedenkt man die vie-

und scheint daher die Aussage des Bauwer-

len Anforderungen, die der Betrieb eines Sanatoriums an einen Architekten stellt,

506

507

Diese Frage formulierte den Titel für Heinrich Hübschs Publikation von 1828. Dieses Buch stellte sich den durch den Stilpluralismus und die mannigfaltigen, durch gesellschaftliche Veränderungen geprägten Bauaufgaben entstehenden neuen Fragen. (Nicolai 2005, S. 4.) Vergleiche dazu Witt-Dörring 2006.1, S. 44f.

erkennt man in der starken Klarheit und Verständlichkeit der Struktur des Gebäudes die eigentliche Leistung Josef Hoffmanns. In seiner Wiederholung und Konsequenz durchdringt das Quadrat alle Bereiche des

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Baus und formt eine beruhigende Wirkung

de eine ausschlaggebende Rolle gespielt

aus. Josef Hoffmann schafft eine Einheit von

haben, entstand doch ein Werk, das in Klar-

innen nach außen, von unten nach oben und

heit der Disposition, Folgerichtigkeit der

vom Großen zum Kleinen indem er einer

formalen Durcharbeitung und vor allem in

stringenten Lösung folgt. Wie ein Raster oder

der äußeren Einfachheit seiner kubischen

vielmehr wie ein Muster muten selbst Grund-

Formen für 1904 ebenso war wie Frank

riss und Querschnitt an, die an die Untertei-

Lloyd Wrights Larkin Building in Buffalo,

lungen der Fenster erinnern oder umgekehrt.

N. Y., die Scotland Street School in Glas-

Die geraden aber individuell festgelegten Pro-

gow von Mackintosh, und Otto Wagners

portionen der Räume unterstützen diesen

Postsparkassenamt in Wien, wenn auch

Eindruck.

der Wrightbau origineller in Raumfassung

508

Josef Hoffmann operiert am

Sanatorium Purkersdorf, verallgemeinernd

und Grundrißorganisation war.“509

gesagt, nur mit geraden Zahlen und genormten Formen.

Sekler stellt das Sanatorium Purkersdorf

Mit genau dieser hier beobachteten Leis-

damit in einen internationalen Kontext,

tung Hoffmanns erklärt sich auch die Wahl

doch leider verbleibt er bei stichwortartigen

des

anderen

Nennungen der künstlerischen Motive und

­Dachtypus hätte er die Gesamtwirkung des

Flachdaches.

Mit

jedem

führt jene nicht direkt am Bauwerk bewei-

Kubus unterlaufen und damit auch sein Kon-

send aus. Das bis heute erhaltene Bild vom

zept des Quadrates, das alle Ebenen des Hau-

‚Genie Josef Hoffmanns‘ und die fehlende

ses durchorganisiert. Stellt man sich das

Erklärung für die frühe Anwendung eines

Walmdach, das auf dem zweiten Vorprojekt

Flachdaches wird so aufrechterhalten;

(Abb. 52) zu sehen ist, auf dem ausgeführten

vielleicht wird beidem sogar Vorschub ­

Bau des Sanatoriums Purkersdorf vor, ent-

geleistet.

steht eine deutliche Diskrepanz. Nur ein

Die Ordnung durch das Quadrat endet,

Flachdach konnte nicht den Eindruck eines

wie schon vermutet, nicht bei der Ausgestal-

Fremdkörpers vermitteln. Eduard F. Sekler

tung der Räume. Die Unterzüge der Stahl­

ist vollkommen beizupflichten, wenn er

betonplattendecken in der Eingangshalle

behauptet, dass die wirtschaftliche Effizienz

(Abb.  51) sind nicht verkleidet. Einer

nicht das einzige Entscheidungskriterium für

­Kassettierung gleich, wie es Eduard F. Sekler

ein Flachdach darstellte:

umschreibt,510 wird der Raum nach oben unterschiedlich hoch abgegrenzt. Sekler sieht

„Doch müssen bei der endgültigen Gestal-

in diesem Zusammenhang das Fliesenmuster

tung auch rein künstlerische Beweggrün-

des Bodens als eine Wiederholung der Deckenordnung an.511 Damit hat die Bodengestaltung schon zwei Aufgaben über­nommen:

508

Die Verhältnisse der Räume lauten wie folgt: „die Halle 2:3, das Stiegenhaus 1:1, der Speisesaal annähernd 1:3, die neben dem Stiegenhaus liegenden kleinen Gesellschaftsräume beinahe 1:1.“ ­(Sekler ²1986, S. 72.)

509 Sekler ²1986, S. 70. 510 Sekler ²1986, S. 288. 511 Sekler ²1986, S. 288.

183

184

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 52: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, 2. Vorprojekt, Entwurfsskizze der Hauptfassade, ohne Datierung, Tusche, Bleistift, Buntstift, auf Quadrat­ papier, Maßstab 1:200

„Die Unterzüge der Stahlbetonplattenbalkendecke sind in den großen Räumen sichtbar belassen und als architektonische Gestaltungselemente verwendet, wodurch

auf der einen Seite die schon erwähnte opti-

vor allem in der Erdgeschoßhalle eine Be-

sche Weiterführung der Decke und auf der

tonung des Körperlichen, Tektonischen

anderen Seite die visuelle Verknüpfung der

erreicht wird, die im Gegensatz zur Fas-

beiden Längsflure im Erdgeschoss über die

sadenbehandlung steht.“513

Halle hinaus. Dieses ist zum einen eine Aufgabe, die den Querschnitt des Gebäudes (Abb.

Sicher ist es richtig, wenn Sekler von „Bau-

48) betrifft und zum anderen eine Aufgabe,

teilen, die in einem oberen Geschoß als Risa-

die die Wirkung des Grundrisses (Abb. 47)

lite aus der Fassade hervortreten, in ihrem

untermalt und veranschaulicht.

unteren Bereich überhaupt nicht gegen den

Neben den offen einsehbaren Deckenträ-

Rest der Fassade abgesetzt sind“ spricht.514

gern wird die tektonische Wirkung der Ein-

Ebenso untermauert er seine Ansicht durch

gangshalle noch durch Pfeiler, die vollstän-

die fehlende Unterscheidung von Außenmau-

dig auf Basen und Kapitelle verzichten,

er und Wänden, die nur als „Parapet eines

verstärkt (Abb. 51 und 53). Leslie Topp

Balkons“ fungieren (Abb. 38 und 40).515 Edu-

betont in Zusammenhang mit den sichtbar

ard F. Sekler lässt dabei aber die körperliche

belassenen Deckenträgern eine technolo-

Gesamtwirkung, die durch die Angleichung

gisch ehrliche Inszenierung von Architek-

der Bauteile entsteht unerwähnt. Die oben

tur.

Das Zusammenfügen von Bauteilen

beschriebene Treppenwirkung der Westfas-

nach dem Prinzip von Last und Träger wird

sade oder das Gesamtbild eines abgestuften

insbesondere an dieser Stelle des Gebäudes

Quaderblocks, der in sich ruht, ignoriert er.

offensichtlich. Eduard F. Sekler sieht hier

Einen Quader kann man zwar theoretisch

512

einen Kontrast zur Fassadengestaltung:

512 Topp 2004, S. 91f.

513 Sekler ²1986, S. 72. 514 Sekler ²1986, S. 288. 515 Sekler ²1986, S. 288.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Abb. 53: Josef Hoffmann/Koloman Moser: Sanatorium Purkersdorf, Halle, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Fotografie von 1906

ße und schwarze Quadrate, die dem blau-weißen Fliesenfries an der Fassade in kleinerem Format entsprechen (Abb. 51 und 53). Die Eingangshalle wird im Westen (Abb. 53) wie

um seine Achse im Raum drehen und auf

im Osten (Abb. 51) durch zwei große Pfeiler

eine andere Fläche zu stehen bringen, aber

in der Höhe in jeweils drei Segmente unter-

gerade die plastische Gestaltung der Ein-

teilt, an denen sich auch das Bodenmuster

gangsbereiche (Abb. 38 und 39) lässt es zu,

orientiert. Im Westen teilen diese Pfeiler die

dass man sich im Kubus orientieren kann.

Halle vom Treppenhaus und im Osten ent-

Man findet bei genauer Betrachtung ein logi-

steht eine Trennung zum Anbau, der um eine

sches Oben und Unten des ‚Würfels‘.

Ebene tiefer liegt und über eine Treppe mit

Eine weitere Verwendung des Schachbrett-

der Halle verbunden bleibt. Auf beiden Sei-

frieses ist in der Eingangshalle zu finden. In

ten liegen diese Treppen, die die beiden Ein-

ihr ist eine Begleitung aller primären Formen

gänge mit der Halle verbinden, zwischen den

durch ein Band oder eine Bordüre von

beiden Pfeilern. Im Westen der Eingangshal-

schwarzen Quadraten zu beobachten. Durch

le schließt im südlichen Segment der Trep-

die Aufmalung von schwarzen Quadraten auf

penlauf an, während im nördlichen Drittel

die weiße Wand entstehen abwechselnd wei-

dieser Seite die Eingangshalle um die Tiefe

185

186

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

der Treppe nach Westen weitergeführt wird.

Osten, wenn die Oberlichter nicht mitgezählt

Insgesamt handelt es sich um eine dreiarmi-

werden. Um diese Wandhöhe weiter zu beto-

ge, geradläufige Treppenanlage.516 Im Osten

nen, wird eine Art Leiste um den ganzen

werden die äußeren Drittel mal durch Tür-

Raum geführt, in deren Höhe Lampen und

und mal durch Fensterelemente in der unte-

viereckige Bilderrahmen montiert wurden.

ren Hälfte geschlossen.

Durch das Fehlen

Auf diese Etappe folgt ein schmalerer und

von Basen und Kapitellen entsteht kein eigen-

hellerer Wandteil. Dieser Bereich beinhaltet

ständiger Charakter der Pfeiler, vielmehr

die Oberlichter und reicht bis zur Decke, die

rücken die zwischen ihnen liegenden Aus-

selbst noch einmal einen weiteren Abschnitt

schnitte ins Blickfeld. Die Zwischenräume

konturiert. Sie ist – wie in der Eingangshal-

erinnern ebenso wie die Fenster der Fassade

le – durch offen gelassene Stahlbetondecken-

an Ausschnitte und sind demnach ein abhän-

balken in verschiedene Vertiefungen unter-

giger Bestandteil der Wände. Abstrahierend

teilt. Ein dreireihiges Raster erstreckt sich

könnte man von einem Triumphbogenmotiv

über die Decke und wird an seinen inneren,

sprechen, durch das der Patient, sich selbst

unteren Kanten durch ein gemaltes Schmuck-

nobilitierend, entweder in die Halle oder ins

band betont. Dieses Band verläuft auch auf

Äußere oder in die Natur schreitet.

der Ost- und Westwand des Speisesaales und

517

Die Decke der Eingangshalle (Abb. 51 und

integriert damit die Wände des Raumes in

53) wird, wie bereits erwähnt, durch die nicht

das Balkengitter. Erst der Fries lässt optisch

verkleideten Stahlbetonbalken untergliedert.

drei Reihen von tiefen Kassetten entstehen,

In der West-Ost-Achse ziehen sich zwei Bal-

die sich über die Decke erstrecken. Ludwig

ken über die gesamte Länge des quadrati-

Hevesi sieht in dieser Deckenlösung eine

schen Kerngebietes der Halle. Sie werden

„große, aufrichtige, lügenlose Saaldecke“, die

von vier in regelmäßigen Abständen folgen-

auf alles „vorgemogelt Kunstgeschichtliche“

den Balken durchquert. Dadurch entsteht

verzichtet.518 Eduard F. Sekler spricht zum

ein quadratisches Raster, das in Höhe und

Beispiel auch bei Loos von einer „Raumglie-

Tiefe variiert. Die Querdeckenbalken sind

derung in verschieden hohen Abschnitten

in ihrer Mitte leicht vertieft. In diesen Ein-

und sichtbaren Deckenbalken“.519 Als Inspi-

schnitten sind die Deckenleuchten verankert.

rationsquelle sieht Sekler die englischen Vor-

Der Speisesaal (Abb. 54) formt einen läng-

bilder, die vor allem Verbreitung durch die

lichen Raum, der in seiner Höhe in drei

Zeitschrift The Studio erfuhren und auf vie-

Abschnitte zu unterteilen ist. Die Sockel­zone

lerlei Weise Einzug in die Arbeit Hoffmanns

zieht sich bis zum oberen Ende der Türen,

fanden. Diese ­Quellenlage gilt ebenso für die

die sich im Westen befinden. Dieser Höhe

Lösung am Sanatorium Purkersdorf. Auch

entsprechend enden die Fenstertüren im

516 Hubmann 2003, S. 47. 517 Es gibt Fotografien, die diese Einschübe zeigen, während ebenfalls Fotografien existieren, die eine Situation ohne diese Einbauten abbilden. Als ori-

ginal ist der Zustand ohne Einbauten zwischen den östlichen Pfeilern zu verstehen. Diese Version entspricht auch dem heutigen Zustand nach der Restaurierung. 518 Hevesi 1909, S. 216. 519 Sekler 1986, S. 128.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Abb. 54: Josef Hoffmann/Koloman Moser: Sanatorium Purkersdorf, Speisezimmer im 1. Obergeschoss gegen Süden, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Fotografie von 1906

Die Türen, die vom Flur in den Speisesaal führen, sind wie die Fenster auf wiederholende Module reduziert. Über dem Haupteingang des Speisesaals verläuft das

wenn Josef Hoffmann nicht durch die Vor-

schon erwähnte Schmuckband der Decke

blendung von eigentlich nicht tragenden

kurz nach unten in den zweiten Wand-

Holzbalken wie Adolf Loos eine deutliche

abschnitt hinunter. Um die Breite eines

Nähe zu den englischen Vorbildern herstell-

Stahlbetondeckenbalkens zieht es sich bis

te, gleicht die Decke – obwohl sie die Kons-

auf die Vertäfelung der ersten Wandetappe

truktion offen zur Schau trägt – in ihrer Moti-

hinunter und wieder hinauf. Oberhalb der

vik der englischen Hallendecke.

Vertäfelung und kurz bevor der Deckenbe-

520

reich ansetzt sind kleine Quadrate zu erken520

Vergleiche dazu beispielhaft die Deckengestaltung in der Kaminecke in der Galerie des Gebäudes Blackwell von Baillie Scott von 1898/99 bei Bowness. Zum einen ist die Vorbildwirkung für Adolf Loos’ Gestaltung von Kaminnischen unübersehbar, und zum anderen ist deutlich eine plastische Strukturierung von Quadraten zu erkennen, die

nen, an denen Schnüre nach unten hängen

so auch für Hoffmann in ihrer Grunddisposition als Ideen gebend gewirkt haben kann. (Worbs 1983, S. 67 und Posener 1983, S. 52–63 und nochmals Davey 1996, S. 235 und S. 242.)

187

188

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 55: Josef Hoffmann/Koloman Moser: Sanatorium Purkersdorf, Detail des Speisezimmers gegen Westen, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Fotografie von 1906

ßung der Räume. Ebenso verstärkt diese

(Abb. 55). Vermutlich handelt es sich dabei

den Raum der Veranda (Abb. 49 und 56).

um ­kippbare Öffnungen, die der Luftzufuhr

Durch drei Wanddurchbrüche, die ebenfalls

dienten. Der Speisesaal wird im Norden

mit Glastüren versehen sind, gelangt man in

und Süden durch kleine Wandeinziehungen

die Veranda. Die Wände sind bis zur Decke

und weitere Glastüren nur teilweise optisch

mit Holz verkleidet. Die Raumhöhe der Ver-

begrenzt (Abb. 49 und 54). Dadurch, dass

anda entspricht in etwa der ersten Wand­

die Glastüren keine Barriere für die Sicht

etappe des Speisesaals, die ebenso mit Holz

darstellen und mittig in der Wand angeord-

verkleidet ist. Die Außenwände der Veranda

net sind, bleibt der Blick auf die Fenster

bestehen überwiegend aus Fenstern, die nur

der Seitenräume frei. Durch diese Weiter-

von einem Wandsockel und pfeilerartigen

führung des Raumes entsteht eine größere

Wandbereichen begleitet werden. Diese ‚Pfei-

Durchlässigkeit und Freiheit in der Erschlie-

ler‘ sind durch ihre Holzverkleidung an jeder

Achsenbildung eine starke Betonung der Querlinie des Raumes. Im Osten erweitert sich der Speisesaal um

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Abb. 56: Josef Hoffmann/Koloman Moser: Sanatorium Purkersdorf, Veranda gegen Norden, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Fotografie von 1906

Fries entspricht dem im Speisesaal. Diese

einsichtigen Seite in ein ­weiteres Rechteck,

durch einen weißen Strich in der Mitte hal-

das tiefer in die Fläche eingelegt ist, unter-

biert und grüne ‚Stängel‘ sowie rote Punkte

gliedert. Die Fenster bilden zwei Bänder um

umgeben das entstandene Geflecht von blat-

die Veranda. Das untere auf Blickhöhe des

tartigen Formen. Ein anderes Muster ist auf

Sitzenden ist der Durchsicht förderlich weni-

zeitgenössischen Fotografien an den Pfeilern

ger unterteilt, während das obere einem Ober-

an der äußeren Ostwand der Veranda zu ent-

licht ähnlich durch viele kleine Quadrate aus-

decken. Die schon beschriebenen Vertiefun-

geformt wird. Die Fenster liegen etwas tiefer

gen sind ornamental akzentuiert umrandet.521

streifenförmige Fläche greift zur Abwechslung runde Formen auf. Grüne Ovale werden

in den Wänden. Durch diese einfache Lösung entstehen Fensternischen. Die Decke gliedert sich in mehrere Rechtecke. Schmale Balken zerteilen die Decke und wiederholen das Prinzip der Decke des Hauptspeisesaals. Der

521

Da die zeitgenössischen Fotos leider nicht die beste Auflösung besitzen, konnten die Formen vonseiten der Autorin nicht ganz sicher identifiziert werden. Vermutlich handelt es sich dabei um ein Band aus zwei Reihen von Rauten. Jeweils eine helle Raute wechselt sich mit einer dunklen ab.

189

190

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Aufgrund der grünen Farbgebung des Frieses

­bisher etwa vier Projekte im Rahmen der

wird vermutet, dass es sich dabei um Entwür-

Diplomarbeit von Gunter Breckner zusam-

fe von Koloman Moser handelt. Eine

mengetragen worden. Allen Entwürfen und

­endgültige Zuordnung der kreativen Verant-

der Realisierung des Hauses sind die Beto-

wortlichkeiten an Hoffmann oder Moser fällt

nung der Länge und der Etagenumfang von

in jenen Jahren der Zusammenarbeit jedoch

Keller, Erdgeschoss und zwei Oberetagen

sehr schwer, da beide sich gegenseitig inspi-

gemeinsam. Ebenso ist ein Anbau an die Süd-

rierten und kritisierten. Die Erzeugnisse der

fassade des Sanatoriums von Anfang an zu

Wiener Werkstätte wurden zwar nicht nur

erkennen. Ob es sich dabei um den angebau-

mit der Punze des doppelten W gekennzeich-

ten Raum oder um den Verbindungsgang

net, sondern auch mit den Initialen des

handelt ist nicht endgültig von der Fassaden-

Künstlers und des ausführenden Handwer-

zeichnung her zu erklären. Der Grundriss

kers, aber über die gedankliche Beeinflussung

des ersten Vorprojektes524 bringt Licht in die

der Künstler untereinander sagen diese Zei-

Vermutungen, denn in dieser Grundrisszeich-

chen nichts aus.

Neben Josef Hoffmann

nung des Erdgeschosses wird dieser Abschnitt

gehört Koloman Moser zu den Begründern

durch das Wort „Verbindung“ beschriftet. Im

der Wiener Werkstätte, beide haben die Inne-

Grundriss des zweiten Vorprojektes wird der

neinrichtung des Sanatoriums Purkersdorf

Gang nur noch durch die Abkürzung

gemeinsam gestaltet.

­„VERB“525 angedeutet, während er im Laufe

522

des dritten Projektes526 verschwindet, um im

Die Vorentwürfe zum Sanatorium Purkersdorf

vierten Projekt527 durch Striche wieder angedeutet zu werden. Letzter Beweis für den von Beginn an geplanten Verbindungsgang

Das Sanatorium Purkersdorf und seine end-

und nicht etwa für einen angebauten Raum

gültige Form entwickelten sich erst durch

im Süden ist das Fehlen eines weiteren Rau-

mehrere verschiedene Vorprojekte, die alle

mes, der am westlichen Ende der Südfassade

im Original auf kariertem Papier ausgeführt

in allen Grundrissen des Erdgeschosses der

wurden und die Josef Hoffmann alle im Maß-

Vorprojekte ansetzen müsste. Dieser weitere

stab 1:200 zeichnete.

Raum ist aber erst ab dem Grundriss des vier-

523

Zumindest sind

ten Projektes zu erkennen. Der Gebäudeteil, Ebenso sind in jenen Innenflächen der Pfeiler, die in den Innenraum der Veranda zeigen, wohl Spiegel positioniert. 522 Vergleiche zur vielfältigen Beziehung Hoffmanns und Mosers Schweiger 1982, S. 32. Die verschiedenen Punzen und Marken der Wiener Werkstätte sind aufgeführt bei Rainer 2003, S. 56f. Dass die Kennzeichnung der Werke der Wiener Werkstätte nicht immer ganz gewissenhaft mit der Marke des Entwerfers versehen wurde und dadurch Konfusionen entstanden, ist nachzulesen bei Barten 1983, S. 18f. 523 Breckner 1982, Punkt 1.3.

der im ersten Vorprojekt noch mit dem Wort „Verbindung“ versehen ist, setzt jedoch mittig an die Fassade an und umreißt eine Breite, die für einen weiteren Raum ungewöhnlich schmal ausfallen würde.

524 Sekler ²1986, Abb. 73 auf S. 68. 525 Breckner 1982, Abb. 84. 526 Sekler ²1986, Abb. 74 auf S. 68. 527 Breckner 1982, Abb. 92.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Das zweite Vorprojekt, das eine Fassa-

­Architektur widerspiegelt. Am linken und

denskizze (Abb. 52) beinhaltet, zeigt noch

rechten Ende der Fassade wird jeweils eine

deutliche Abweichungen zum ausgeführten

Kolossal­ordnung angedeutet. Vermutlich je

Bau von Josef Hoffmann. Die augenschein-

zwei ­Säulen betonen die äußeren Enden des

lichste Abweichung ist die Verwendung eines

Gebäudes. Die beiden Säulen umschließen

Walmdaches anstelle eines Flachdaches, das

einem Joch gleich ein Fenster des Erd­

die Räumlichkeiten des zweiten Stockwerks

geschosses und des ersten Stockwerkes. An

beherbergt. Nur drei Fenster sind zu erken-

diesem Punkt deuten sich die Seitenrisalite

nen, die das Dachgeschoss von Osten her

bereits an.

mit Licht versorgt hätten, was den Schluss

Der Garteneingang weicht von den ande-

zulässt, dass man die Etage aufgrund von zu

ren ‚Jocheinheiten‘ ab. Von unten nach

geringer Ausleuchtung nur als Lagerort hät-

oben betrachtet liegt zunächst ein Balken

te nutzen können. In diesem Zusammenhang

quer auf dem Boden, hinter dem sich die

ist es nötig, noch einmal an die Therapiewir-

seitlich geführten Stufen zur Eingangstür

kung des Lichtes zu erinnern, an die im Sana-

verbergen.529 Vor dem Balken ziehen sich

torium Purkersdorf ostentativ geglaubt wur-

zwei Säulen oder Pfeiler in die Höhe, die

de.

Unter dem Dach erstreckt sich eine

bis zum Fenster der ersten Etage reichen.

Ostfassade, die sich kleinteiliger gegliedert

Die Säulen oder Pfeiler stehen zentriert auf

präsentiert als der verwirklichte Bau. Der

dem Balken und umschließen die Tür, wäh-

Garteneingang liegt nicht mittig, sondern

rend sie nach oben über die Breite des Fens-

leicht nach links versetzt. Der Etagencharak-

ters hinausragen. Das dadurch entstandene

ter wird durch die regelmäßig aufeinander

Feld zwischen dem Fenster des ersten

folgenden Fenster herausgebildet. Die Fens-

Stockwerks und dem zuvor beschriebenen

ter des ersten Stockes sind in ihrem Umfang

Mäanderfries wird durch einen weiteren

größer als diejenigen im Erdgeschoss. Zu­

dicken, mehrfach übereinander gezogenen

sätzlich umzieht sie ein überdimensionaler

Strich unterteilt. Dieses Fassadenelement

Mäanderfries. Es entstehen zwischen den

wiederholt sich vier Joche weiter rechts

Fenstern der ersten Etage geschlossene recht-

noch einmal, ohne dass eine weitere Tür

eckige Flächen und der Fries verbindet sich

vorhanden wäre. Auf der Symmetrie beste-

mit der Wandfläche des Erdgeschosses. Fast

hend, wäre Josef Hoffmann an dieser Stel-

rechteckigen Zinnen gleich zieht sich dieses

le einer ‚Fassadenlüge‘ gefolgt, denn dem

Strukturelement über die Fassade der zwei

äußeren Bild hätte keine innere Konstruk-

Hauptetagen des Sanatoriums. Zwischen den

tion entsprochen. Durch die verschiedenen,

Fenstern deutet Josef Hoffmann jeweils noch

in die Höhe gerichteten Bauelemente (die

einen Kreis an, den man als zusätzliches

zwei Kolossalordnungen und die zwei ‚Ein-

funktionsfreies Ornament benennen könnte,

gangsjoche‘) entsteht eine Drei- beziehungs-

528

da es nicht etwa die Konstruktion der 529 528

Vergleiche dazu Topp 1997, S. 419f.

Vergleiche dazu den Grundriss des Erdgeschosses des Vorprojekts 1, der diese Beschreibung untermauert.

191

192

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

weise Fünfteilung der Fassade. Als letzte

das Flachdach auf, sowie die Fassadenglie-

Beobachtung zum zweiten Vorprojekt sind

derung in zwei Seitenrisalite mit Mittelteil.

die zwei Balkone zu nennen, die an der

Zum ausgeführten Bau ähnlich verhält sich

Nordfassade des Sanatoriums auszumachen

auch der mittlere Bereich der Fassade. Zwar

sind.

ist noch kein Anbau zu erkennen, aber durch

Die Grundrisse des ersten und zweiten

das große quer liegende Fenster auf der Höhe

Vorprojektes530 verlaufen noch nicht in einer

der ersten Etage wird der zukünftige Ver-

derart stringent gelösten Form, wie die des

andabereich schon vorstellbar. Die seitlich

realisierten Bauwerks. Die Eingangshalle

an dem Fenster angebrachten ‚Fahnenstan-

befindet sich nicht in der Mitte des Baukör-

gen‘ deuten endgültig die beibehaltenen

pers, sondern durch die Verschiebung des

Umrisse des zukünftigen Anbaues an.

Garteneingangs nach Süden fast am linken

Der Garteneingang ist nun mittig einge-

äußeren Drittel des Grundrissrechtecks. Der

zeichnet und die tektonischen Verschleie-

Halle liegt nicht etwa das Treppenhaus

rungen an den Balkonen des zweiten Stock-

gegenüber, sondern der Turnsaal oder das

werkes sind schon im dritten Vorprojekt zu

Herrenbad. Das Treppenhaus ist separat an

erkennen. Eine deutliche Abweichung zur

das südliche Ende des Gebäudes gerückt und

Ausführung des Sanatoriums ist das ange-

damit auch der Westeingang, dem durch die

deutete Fensterband des Erdgeschosses. Zu

Zuordnung von Portierzimmer und Telefon-

vermuten ist, dass Sekler das dritte Vorpro-

kabine demnach die Aufgabe des Hauptein-

jekt als Quelle für das Fenster ansieht, das

ganges zufällt. Die eben geschilderten Räum-

von ihm als „weitgehend durchlaufendes

lichkeiten umschreiben im Grundriss ein

Fensterband“531 bezeichnet wird. Es ist

Quadrat, auf dieses folgt ein Rechteck, das

jedoch sehr schwer, aufgrund dieser Zeich-

in drei Teile unterteilt werden kann: dem

nung zu belegen, dass es sich um ein Band

länglich mittigen Flur und den westlich und

von Fenstern im Erdgeschoss handelt, da die

östlich von ihm verlaufenden Raumbändern.

eindeutigen Fensterflächen schwarz ausge-

Im Süden lässt sich dieser Flur über den Ver-

malt sind, während die dazwischen liegen-

bindungsgang erweitern, während im Nor-

den Rechtecke im Inneren weiß belassen sind

den der Flur in einer apsidenförmigen Aus-

und dadurch auch als Fliesen definiert wer-

buchtung endet, die man aufgrund der

den könnten. Eine endgültige Verunsiche-

Fassadenskizze (Abb. 52) als Balkon identi-

rung erzeugen in diesem Zusammenhang die

fizieren kann.

Fenster der ersten und zweiten Etage, die

Insgesamt ist am zweiten Vorprojekt eine

wiederum nur schwarz umrandet werden und

Betonung der Vertikalen zu erkennen. Die-

ein Indiz dafür darstellen könnten, dass es

ser Akzent verschiebt sich deutlich ab dem

sich bei den ‚Kacheln‘ doch um Fensterschei-

dritten Vorprojekt (Abb. 57) hin zur Hori-

ben handelte. Aufklärung in diese Ungereimt-

zontalen. Das dritte Vorprojekt weist schon

heiten bringt der Grundriss.532 Hier sind nur

530

531 Sekler ²1986, S. 72. 532 Breckner 1982, Abb. 87.

Sekler ²1986, Abb. 73 auf S. 68 und Breckner 1982, Abb. 84.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Abb. 57: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, 3. Vorprojekt, Entwurfsskizze der Hauptfassade, ohne Datierung, Tusche, Bleistift, Buntstift auf Quadrat­ papier, Maßstab 1:200

befindet. Denn in diesem Fall kann man aufgrund der Fassadenzeichnung (Abb. 57) sowie dem Grundriss der ersten Etage (Abb.  58) auf eine fast die ganze Breite der

fünf Fensteröffnungen auszumachen und

Veranda einnehmende Fensterfläche ­schließen.

demnach handelt es sich wahrscheinlich um

Diese Zuordnung der Aussagen von Sekler

Kacheln oder durch Bemalung ausformulier-

und Hubmann würde die Kennzeichnung des

tes Ornament. Zu vermuten ist, dass Axel

Verandafensters als Fensterband durch Gun-

Hubmann mit seiner Aussage:

ter Breckner untermauern.535 Versucht man aber die Grundrissskizzen

„Entwurfsskizzen belegen, dass Hoffmann

des dritten Vorprojektes (Abb. 58) der Fas-

die Möglichkeiten dieses neuen Baustof-

sadenzeichnung desselben Vorprojektes

fes [Stahlbeton; LT] viel radikaler und um-

(Abb. 57536) zuzuordnen, fallen Diskrepan-

fassender nutzen wollte (Vorgriff auf

zen ins Auge, die eine eindeutige Kombina-

Skelettbauweise), als es in der Ausführung

tion der beiden Entwürfe erschweren. In den

geschah“533,

Grundrisszeichnungen ist zum Beispiel eine unrealistische Lösung zu beobachten. Wäh-

der gleichen Überinterpretation zum Opfer

rend der Grundriss des Erdgeschosses nur

gefallen ist.

Möglich ist aber auch, dass

die Sockelgrundrisse der ‚Fahnenstangen‘,

beide Autoren das Fenster der Veranda

die sich als kurze Mauervorsprünge erwei-

meinten, das sich auf der gleichen Höhe mit

sen, andeutet, lässt der Grundriss der ersten

den restlichen Fenstern des ersten Stockwerks

Etage eine Veranda erkennen. Weder durch

534

die Fassadenzeichnung noch durch den Grundriss des Erdgeschosses lässt sich erklä533 Hubmann 2003, S. 47. 534 Leider wird an dieser Stelle in der Literatur die Aussage nicht mit den entsprechenden Entwurfs­ skizzen untermauert, daher fällt es schwer, diese Aussage endgültig nachvollziehen zu können.

ren, worauf das Gewicht dieser Veranda 535 Breckner 1982, Punkt 3. 536 Vgl. auch dazu Breckner 1982, Abb. 87.

193

194

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 58: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, 3. Vorprojekt, Entwurfsskizze für den Grundriss und Möblierungsplan des 1. Obergeschosses, 1904, Tusche, Bleistift, Buntstift auf Quadratpapier, Maßstab 1:200, 21 x 34 cm, Privatbesitz

Vorprojekt anzurechnen, während der Grundriss der ersten Etage (Abb. 58) einen weiteren Zwischenschritt vor der ausgeführten vierten Lösung (Abb. 49) visualisiert. Der einzige gravierende Unterschied zur verwirklichten ersten Oberetage wären die quadra-

ruhen sollte. Die Kacheln, die hinter den

tischen Damen- und Herrentoiletten am

zwei Mauern angedeutet sind, erhärten den

Ende des Flures und die dadurch bedingte

Eindruck, dass diese Ummauerungen des

Führung des Flures um die Ecke zum Zweck

Eingangs sehr schmal konzipiert sind.

der Schaffung von Türen zu den Räumlich-

Aufgrund dieser Ungereimtheiten lässt

keiten im Westen. Diese Lenkung des Flures

sich die Hypothese aufstellen, dass es sich

umschreibt ein weiteres Quadrat, das die

bei den behandelten Grundrissen um ver-

Maße der Toilettenräume, die direkt ansto-

schiedene Teiletappen handelt, die vermut-

ßen, wiederholt. In der Ausführung des Sana-

lich zwischen dem dritten Vorprojekt und

toriums Purkersdorf integriert Josef Hoff-

der vierten und endgültigen Ausführung des

mann letztendlich die Toiletten in die

Sanatoriums

einzuordnen

Quadrate der westlichen Eckräume und

wären. Diese These würde die Lösung hin-

schafft eine Untergruppe. Der Zugang der

sichtlich der Eingangshalle unterstützen, die

Toiletten wird durch den nun die gesamte

schon fast die realisierte Version darstellt,

Länge des Hauses umfassenden Flur ermög-

abgesehen von den im Osten noch nach

licht. Eine klarere Einteilung wurde vom

innen gezogenen Bürozimmern und dem im

Architekten demnach mit sehr einfachen Mit-

Westen fehlenden Eingang. Der Grundriss

teln erreicht.

Purkersdorf

des Erdgeschosses wäre damit dem dritten

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Abb. 59: Josef Hoffmann: Sanatorium Purkersdorf, Fassadenstudie, lässt sich keinem der Grundrisse der Vorprojekte zuordnen, ohne Datierung, Bleistift und Quadratpapier, Maßstab 1:200

Möglichkeit, diese als eine Vorstufe zum dritten Entwurf zu werten. Zum Abschluss der Betrachtungen der Vorprojekte ist zu beobachten, dass sich eine Entwicklung des Bauwerkes ablesen lässt.

Neben diesen ungefähr chronologisch ein-

Neben einigen Konstanten, wie zum Beispiel

zuordnenden Vorprojekten existiert eine wei-

der Anzahl der Stockwerke, dem Vorhan-

tere Fassadenstudie (Abb. 59), die sich mit

densein eines Verbindungsganges und der

keinem der Grundrisse verknüpfen lässt. Sie

Behandlung der Fenster in eine große unte-

zeigt einen Flachdachbau, in dem der Ver-

re Hälfte mit kleiner unterteilter oberer Hälf-

bindungsgang vermutlich vor die Ostfassade

te, lässt sich ein deutlicher Wandel erkennen.

verlagert ist. Der Eingang befindet sich zwar

Der Schritt vom Walmdach des ersten Vor-

schon mittig und die Lösung des Fenster­

projektes zum Flachdach des zweiten Vor-

bandes an der Veranda erinnert stark an die

projektes ist gewaltig. Der Abstand vom zwei-

dritte Vorprojektlösung, aber die restliche

ten Vorprojekt zum fertigen Bau ist

Fensteranordnung und das fast an einen

wiederum nicht derart weitreichend und die

Dreiecksgiebel erinnernde Feld über dem

Entwicklung verläuft eher sukzessiv, an ein-

Eingangsbereich wirkt im Vergleich zum Fas-

zelnen Details feilend.

sadenentwurf des dritten Projekts (Abb. 57)

Josef Hoffmann hat von Anfang an sein

fast schon rückläufig. Es gibt zwei Wege die-

Gebäude nur aus Quadraten und Rechtecken

se Skizze einzuordnen. Zum einen könnte

zusammengesetzt, wenn man einmal von den

es sich dabei um eine Zeichnung der West-

halbrunden Balkonen des zweiten Vor­

fassade handeln, die man zu dem dritten Pro-

projektes und dessen Dachform absieht

jekt zählen könnte, zum anderen besteht die

(Abb.  52). Der zentrale Flur, der fast immer

195

196

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

der gesamten Länge des Hauses folgt,

All diese Fragen sollen näher gefasst wer-

umschreibt seine Skizzen durch die gesamte

den. Auf der Grundlage der genauen Beob-

Entwicklungsphase hindurch. Josef Hoff-

achtungen sollen sodann Schlüsse über das

mann muss sich immer über den Gebrauch

und Vergleiche zum Bauwerk von 1905 gezo-

seines Gebäudes im Klaren gewesen sein.

gen werden, die die gesammelten Beobach-

Hier stellt sich automatisch die Frage, inwie-

tungen in einen größeren Kontext setzen.

weit Bauherr Viktor Zuckerkandl auf die Konzipierung des Prachtgebäudes des Sana-

3.3.2. Werkanalyse

toriums Purkersdorf Einfluss genommen hat, indem er zum Beispiel bestimmte Vorgaben

„Das Sanatorium Purkersdorf war damals

stellte. Man könnte sich fragen, inwiefern

wohl das erste Gebäude, welches ohne

die Aufgabe, eine Kuranstalt zu entwerfen,

jegliche stilistische und sonstige dekora-

von den Aufträgen abweicht, die Josef Hoff-

tive Details lediglich aus der Notwendig-

mann bis dahin bewältigt hatte, nämlich die

keit, dem Bedürfnis und der hygienischen

Schaffung eines privaten Reiches in Form

Wichtigkeit entstanden ist.“537

von Villen für ganz spezifische und von Beginn an feststehende und nicht variieren-

Mit diesen Worten umschreibt Josef Hoff-

de Bewohner.

mann in seiner kurzen Autobiografie, die er

Die Frage nach der Funktion und Auftrag-

auf knappen 14 Seiten abhandelt, seinen ers-

geberschicht des Sanatoriums lässt sich wie-

ten öffentlichen Nutzbau. Die Stichwörter

derum auf die Formenwahl übertragen. War-

„Notwendigkeit“, „Bedürfnis“ und „hygieni-

um wählt Josef Hoffmann das Quadrat und

sche Wichtigkeit“ verkörpern für Hoffmann

warum wendet er es in dieser Konsequenz

seine Prinzipien des Bauens, die er am Sana-

an? Woher kommt dieser Wunsch nach

torium Purkersdorf verwirklicht sah. Sie wer-

Durchformulierung eines Konzeptes durch

den hier einer Strategie ähnlich bis ins kleins-

alle Ebenen eines Bauwerks? Worin liegen

te Detail hinein weitergeführt. Diese allen

die Parallelen zu den Erscheinungen der Zeit

Einzelteilen zugrunde liegenden Axiome ver-

und welcher Art sind die Erneuerungen, die

binden den Hoffmann-Pavillon erst zum

sich am Sanatorium Purkersdorf manifestie-

Gesamtkunstwerk. Sie stellen Hoffmanns

ren? Besteht das Sanatorium nur aus einer

Sanatorium aber auch auf eine Außenseiter-

quadratisch nüchternen Form oder artiku-

position in seinem Œuvre, da ihm nicht bei

liert das Quadrat eine eigenständige Aus­

jedem Auftrag die nötigen finanziellen Mittel

sage? Bleibt das Sanatorium Purkersdorf von

zur Verfügung standen ein solch konsequent

Josef Hoffmann nur eine künstlerisch

durchgestaltetes Gebilde zu verwirklichen.

geschickte Anhäufung von geometrischen

Gunter Breckner ergänzt für das Sanatorium

Formen oder vermittelt das Gebäude eine

Purkersdorf eine durch seine klare Formge-

Aussage oder konzentriert es eine Einstel-

bung geförderte emotionale Ordnung:

lung, die das Kunst- und Lebensverständnis der Zeitgenossen ausformulierte?

537 Hoffmann 1972, S. 116.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

„GEOMETRIE Primäre Formen sind klar

sen –, während die nächste Schaffensphase

zu lesen und werden als ‚schön‘ empfun-

von einem starken Abstraktionsgrad domi-

den. Ihre Anwendung ist mit dem Prinzip

niert wird. In dieser Umorientierung sieht

der Sparsamkeit vereinbar. Der Einsatz

man zum einen den Einfluss seines Lehrers

geometrischer Formen (Kugel, Würfel, Zy-

Otto Wagner und zum anderen die Bekannt-

linder, Waagrechte, Senkrechte, Schräge

schaft mit den Werken der englischen „Arts

usw.), primär oder verfeinert, voll Gefühl

and Crafts“-Bewegung. Im späteren Schaffen

oder voll Kraft, erinnert an die antike Bau-

Hoffmanns entdeckt man dagegen eine star-

kunst und wirkt physiologisch auf die Sin-

ke Rückwendung zum Klassizismus, während

ne. Monumentalität, Ursprünglichkeit, un-

ihn wohl die Orientierung am Biedermeier

mittelbare Energie entsteht. In Purkersdorf

seine gesamte Schaffenszeit begleitete.

wirkt die starke Horizontalbetonung des

In dieser Konfusion von Stilen stellt das

Bauwerkes avantgardistisch, das Quadrat

Sanatorium Purkersdorf eine Randrolle dar.

ist wie immer bei Hoffmann eine wesent-

Josef Hoffmann hatte sich zu Beginn seiner

liche Grundkonfiguration.“

Karriere durch die Einrichtungen der Seces-

538

sionsausstellungen einen Namen gemacht Diese beiden Pole von rational errechenba-

und in diesem Sinne bleibt es eines seiner

ren Formen und dadurch bedingten emotio-

typischen Auftragsprofile, eine Privatvilla zu

nalen Ausdruckswerten von Architektur gilt

errichten, inklusive deren Interieur. Das

es zu klären.

Sanatorium unterstand zunächst einer ande-

Der Versuch, Josef Hoffmanns Œuvre

ren Gattung von Architektur, nämlich dem

zusammenfassend zu charakterisieren, stellt

öffentlichen Bau und nicht der privaten Vil-

eine nahezu unlösbare Aufgabe dar. Dies ist

la. Für Hoffmann formulierte sich damit

allein schon durch das Buch Eduard F. Sek-

nicht die Aufgabe, einer bestimmten Person

lers über Josef Hoffmann dokumentiert. Die

ein gesamtes Zuhause anzupassen, sondern

Monografie beanspruchte Sekler fast über

er musste ein Gebäude entwickeln, das sich

einen Zeitraum von dreißig Jahren und ihr

in seiner signifikanten Funktion sowohl einer

Umfang ist beträchtlich. Sekler teilt Josef

spezifischen als auch wechselnden Personen-

Hoffmanns Werk vor allem in verschiedene

gruppe anglich. Die speziellen Formen und

Zeitabschnitte, die teilweise in ihrem forma-

Lösungen, die der Betrieb eines Sanatoriums

len Charakter nicht unterschiedlicher aus-

einfordert, werden in der Werkanalyse noch

fallen könnten. So sind es zunächst die zeich-

besprochen.

nerischen Arbeiten der Ausbildungszeit – die

Die nächsten Unterkapitel der Werkanaly-

an die Maximen der École des Beaux-Arts

se verfolgen vielmehr das Ziel, die Verortung

erinnern – und die ganz frühen Werke – die

des Sanatoriums innerhalb des gesellschaftli-

eine starke Verwandtschaft zum vegetabilen

chen, soziologischen und wissenschaftlichen

Jugendstil Frankreichs oder Belgiens aufwei-

Einflusskreises zu leisten. Neben den Begriffen der Nutzung und Funktion soll gerade

538 Breckner 1988, S. 42. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.

eine Vernetzung des Gebäudes und seiner

197

198

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

­Formensprache hinsichtlich der emotionalen

Josef Hoffmann und Koloman Moser hatten

beziehungsweise affektiven Lenkung seiner

es 1905, das Jahr der Fertigstellung des Sana-

Bewohner definiert werden. Josef Hoffmann

toriums Purkersdorf, gemeinsam formuliert.

behauptete immerhin, das Ornament am

Da nur sehr wenige Texte von Hoffmann aus

Sanatorium entbehre jeglichen Vorbilds und

dem Jahr 1905 existieren, muss das Arbeits-

weise keine Beziehung zu früheren Zeiten

programm als wichtigste Quelle für die dama-

auf.539

lige Gedankenwelt Hoffmanns angesehen

Wie bereits im Verlauf der Analysen zum

werden. Hinzu kommt noch die Betonung

Palais Stoclet aufgezeigt wurde, kann man

des „Gefühls“ durch Oberhuber, die ein deut-

dennoch Verwandtschaften und Ursprünge

liches Indiz auf die affektdominante Wahr-

im Werk Hoffmanns ausmachen, die auch

nehmung der eigenen Zeit darstellt. Dieser

den Weg hin zur Formensprache des Sana-

Aspekt muss deutlich in den Bezug zum

toriums Purkersdorf erklären. So geht

Begriff Stimmung verstanden werden. Die

Oswald Oberhuber, ehemaliger Professor an

Analyse des Sanatoriums Purkersdorf – jene

der Hochschule für angewandte Kunst in

vorherige zum Palais Stoclet ergänzend und

Wien, sogar so weit, bei Hoffmann von einem

erweiternd – soll mit einer Untersuchung der

Vertreter einer Bewegung zu sprechen, die

affektiven Inhalte, die deutlich im Gebäude

„das Gedankengut aus der Vergangenheit

aufgenommen wurden und abzulesen sind,

aufgreift und es auf ein Gefühl des jetzigen

vervollständigt werden. Auch Gunter Breck-

[damals aktuellen; LT] Denkens überträgt“.540

ner verbindet den Stimmungsbegriff mit dem

Diesem Zitat folgend wurden zwei Haupt-

Sanatorium Purkersdorf:

vorbilder bereits hervorgehoben und sollen daher hier nur noch mal benannt werden:

„STIMMIGKEIT Ein Spiel mit Licht und

Vorangegangenes, vertreten durch das Wie-

reflektierenden Flächen, das heißt Fens-

ner Biedermeier und die englische „Arts and

tern, aufgelichteten Wänden und Böden,

Crafts“-Bewegung, sowie Zeitgleiches am

spricht Sinnlichkeit und Gemüt an. Klei-

Beispiel der Glasgow Four

und des bis

ne Vorräume und Niveauänderungen in-

dahin entstanden Werks Josef Hoffmanns.

szenieren die nachfolgenden Haupträu-

Als Beleg für die Ausführungen wurde neben

me, Gegenlicht erzeugt Atmosphäre,

der Architektur auch das Traktat der Wiener

Bleiglasfenster brechen das Licht, Stoffe,

Werkstätte als Quelle für das Vorbild der

Raum- und Möbelbemalung reflektieren

„Arts and Crafts“-Bewegung herangezogen.

es und erzeugen Gefühlsassoziationen –

541

ein bißchen ‚Zauberberg‘. Ausblicke be539

Josef Hoffmann wird zitiert in Feuerstein 1964, S. 181. Vergleiche dazu Kamm-Kyburz 1985, S. 120 und Hubmann 2003, S. 52. 540 Oberhuber 1987, S. 16. 541 Die Gruppe der Glasgow Four wurde von Charles Rennie Mackintosh, Herbert McNair und Frances und Margaret Macdonald gebildet. (Vergo ²1984, S. 42.)

ziehen die Landschaft mit ein, Blumenarrangements werden zu dramatischen Inszenierungen.“542

542 Breckner 1985, S. 100.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Sowohl Zeitgenossen als auch heutige

dunklem schwedischem Granit zu fertigen,

­Autoren verwenden in ihren Publikationen

entschied sich am Ende jedoch für vergolde-

im Zusammenhang mit Hoffmanns Arbeiten

te Metallprofile.545 Schenkt man der Aussage

wiederholt den Stimmungsbegriff oder Vari-

Glauben, dass die Flächen der Fassade dann

ationen davon. Unklar bleibt jedoch dabei

auch noch mit Milchglas hätten verkleidet

die konzeptuelle Verbindung von Architek-

werden sollen,546 wäre ein für Hoffmann cha-

tur und emotionaler Wahrnehmung. Diese

rakteristischer Schwarz-Weiß-Kontrast ent-

Beziehung soll im Folgenden ausgelotet

standen, der sehr an die Farbgebung der

­werden.

­Halle des Sanatoriums Purkersdorf erinnert hätte.

Das Sanatorium und seine implizierten Konzepte

Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen Sanatorium und Palais ist das Quadrat als Konstruktionseinheit des Grundrisses. So

An der Hohen Warte entwickelte sich

umschreibt die Halle des Palais Stoclet im

­allmählich die geometrisch reduzierte Grund-

ersten Obergeschoss genau ein Quadrat von

sprache, die wenige Jahre später im Sana­

12m mal 12m. Vervielfältigt man dieses Qua-

torium Purkersdorf seine reinste und konse-

drat wiederum dreimal, erhält man die voll-

quenteste Ausführung erfahren sollte.543

ständigen Maße des Obergeschosses.547 Das

Möchte man Hoffmanns Sanatorium mit sei-

Quadrat kommt aber ebenso wie im Falle

ner Villenarchitektur in Korrelation setzen,

des Sanatoriums nicht nur bei den Propor-

muss man neben den Villen der Hohen

tionen zur Anwendung, sondern wiederholt

­Warte, die vor 1905 erbaut wurden, unbe-

sich in vielfacher Ausführung an den Fens-

dingt das Palais Stoclet berücksichtigen, das

tern, am Turm des Palais Stoclet und kommt

direkt im Anschluss an das Sanatorium in

ebenfalls beim Interieur zum Einsatz.

Brüssel für die Bankiersfamilie Stoclet ent-

Das Sanatorium Purkersdorf scheint einer

stand. Die frühesten Pläne für die Villa mit

klaren Symmetrie verhaftet. Bei genauer

palastartigen Ausmaßen sind von Ludwig

Betrachtung der Fassaden deuten die abge-

Hevesi für das Jahr 1905 überliefert.544 Bei

stufte Treppenform der Westfassade (Abb. 38)

manchen Vorentwürfen lässt sich eine

und der aus dem Gesamtkubus herausgezo-

Begrenzung der Fassadenflächen mithilfe

gene Körper des Wintergartens an der Ost-

von schwarzen Linien beobachten. Man

fassade (Abb. 39) aber auch schon eine

beabsichtigte, diese Umrandungen aus

beweglichere Grundlösung an. In Anbetracht des Baukörpers des Sanatoriums Purkersdorf

543

Vergleiche dazu das Wohnzimmer und die Halle des Wohnhauses Koloman Moser, das Vestibül sowie das Sekundärstiegenhauses des Wohnhauses Hugo Henneberg – bei dem die Putzstruktur stark an den Verputz der Räumlichkeiten für die 14. Secessionsausstellung erinnert – und das Office im Wohnhaus Dr. Friedrich V. Spitzer. 544 Hevesi 1909, S. 220f.

stellt sich gerade Josef Hoffmanns Aufenthalt in Italien als inspirierend heraus, den er seiner Abschlussarbeit Forum Orbis, Insula 545 Sekler 1970, S. 33. 546 Sekler ²1986, S. 76. 547 Sekler 1970, S. 33.

199

200

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 60: Joseph Maria Olbrich: Haus Habich, 1901, Darmstadt, Mathildenhöhe

Pacis von 1895 an der Wiener Akademie unter seinem Lehrer Otto Wagner verdankte.548 Mit dieser Arbeit hatte er ein Stipendium für einen einjährigen Aufenthalt in Italien erworben. Doch Hoffmann verhielt sich atypisch zu den meisten bisherigen Preisträgern. Stand eigentlich die Studie der klassisch römischen Architektur im Vordergrund, wendete sich Hoffmann konträrerweise der

Abb. 61: Josef Hoffmann: Wohnhaus Dr. Hugo Henneberg, 1900-1901, Wien XIX., Hohe Warte, Wollergasse 8

einfachen Landarchitektur zu.549 Diese von Improvisation und Bedürfnissen des Alltags

„Der große Reiz der dicht neben-, an- und

seiner Bewohner geprägte, kubisch reduzier-

übereinander gebauten Häuser liegt in der

te Bauweise weckte beim jungen Hoffmann

großen Mannigfaltigkeit der Motive […]

Interesse. Hoffmann beschreibt in einem

Bemerkenswert ist auch, daß durch die

Artikel zur Architektur der österreichischen

Benützung jeglicher Zufälligkeit und je-

Riviera die Aspekte, die ihn faszinierten:

der aus der Nothwendigkeit entspringenden Form die Schablone vollständig ausgeschlossen ist.“550

548 Franz 2010, 12f. Vergleiche zu den Bezügen der Wagnerschule zur École des Beaux Arts Moravánszky 1988.1, S. 83. 549 AK Vienna 1981, S. 3. Diese Vorgehensweise orientierte sich an Joseph Maria Olbrichs Gestaltung seiner Italienbildungsreise. Auch Olbrich ging nicht konsequent auf den traditionellen Pfaden und verfolgte den ein oder anderen individuellen Wegabschnitt. (Vergleiche dazu Imorde 2010, S. 63–69. Zum Einfluss von Olbrich auf Hoffmann bezüglich seiner Reiseroutenplanung vergleiche Sekler ²1986, S. 21f.)

Die Häuser boten flache Dächer, geputzte Mauerflächen ohne jegliches Dekor, Fenster mit glatten Steinumrahmungen und das fast vollständige Fehlen von Architekturformen wie zum Beispiel dem Gesims oder dem

550 Hoffmann 1970, S. 28.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Abb. 62: Josef Hoffmann: „Sommerhaus d. Familie Knips“, Landhaus der Familie Knips, Entwurfszeichnung der Gartenfassade, um 1903, Maßstab 1:100

tur auf die Naturumstände des Nordens zu übertragen.554 Diese Übertragung der Mittelmeerarchitektur Italiens, die sich am Wetter und dem

Pilaster.551 Als weitere Eigenschaften beob-

Umfeld orientierte, versuchte Hoffmann

achtet Hoffmann die simple Bauweise, die

wahrscheinlich am Sanatorium Purkersdorf

Befreiung von „schlechter Decoration“, die

zu realisieren. Die vielfachen Bezüge zwi-

weißen Wände, und er redet von einer „offe-

schen Umfeld und Sanatorium wurden schon

nen, verständigen Sprache“ der Architek-

in der Werkbeschreibung erörtert, ebenso

tur.

Hoffmann erkennt damals schon die

wie die Relevanz von Licht und Luft für den

Fensterlösung der volkstümlichen Architek-

Kurbetrieb. Doch an dieser Stelle kann man

tur. So erfasst er, dass die Fenster klein und

die Fenster des Hoffmann-Pavillons nicht

tief im Mauerwerk liegen. Den Zweck der

nur im Sinne einer medizinischen Notwen-

Fenster sieht er darin, das Licht und die

digkeit für einen damaligen Kurbetrieb cha-

Hitze des Südens vom Inneren der Gebäu-

rakterisieren, sondern sie sind auch als eine

de fernzuhalten.

552

Im Rahmen dieser Stu-

Umsetzung der italienischen ‚Volksarchitek-

dien lassen sich Hoffmanns spätere Schwer-

tur‘ zu denken. Die Fenster reagieren aber

punktlegungen auf Zweck, Funktion und

auch auf das kühlere Klima Österreichs. In

Form schon vorausahnen. Er sprach auch

Österreich möchte man nicht das Licht und

die Forderung aus, dass es erstrebenswert

die Wärme vom Inneren des Hauses fern hal-

wäre, solch eine zweckorientierte Architek-

ten, um etwa eine kühle Oase zu schaffen,

553

sondern man wünscht sich das exakte 551 Hoffmann 1970, S. 28. 552 Hoffmann 2002 (1929), S. 11. 553 Hoffmann 2002 (1929), S. 11.

554 Hoffmann 2002 (1929), S. 11 und Hoffmann 1970, S. 28.

201

202

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

­Gegenteil. Diesem Auffangen von Licht und

rer, Otto Schönthal, Wunibald Deininger und

Wärme entsprechen die großformatigen Fens-

Oscar Felgel zu dieser Inspirationsquelle

ter des Sanatoriums. Nun könnte man sagen,

­zählen.556

dass das Sanatorium Purkersdorf eine nörd-

Wie sehr Hoffmann durch seine Italien-

liche Version der italienischen, einfachen

reise geprägt wurde, zeigt das folgende Zitat:

‚Volksarchitektur‘ darstellt. Diese Lösung wäre aber zu absolut, da die italienische

„Ich sah den dorischen Tempel und plötz-

‚Volksarchitektur‘– wie sie Hoffmann auf sei-

lich fiel es mir wie Schuppen von den Au-

ner Italienreise studierte – nicht die einzige

gen, warum ich das gelernte Zeug aus der

Quelle für die Formenwelt des Sanatoriums

Schule nicht mochte. Dort lernten wir nur

Purkersdorf darstellt.

die Verhältnisse des Durchschnittes von

Ein weiteres Inspirationsmoment für das

fünfzig Tempeln und ihrer Säulen und ih-

Flachdach könnte die körperliche Struktur

res Gebälks. Hier sah ich Säulen, deren

der Architektur Olbrichs sein. Neben der

Kapitäle fast so breit waren, wie die Säu-

Schauseite des Secessionsgebäudes kann man

lenhöhe und war einfach starr vor Bewun-

dafür auch das Haus Habich auf der Mathil-

derung. Ich wußte nun, daß es vorallem

denhöhe in Darmstadt (Abb. 60) in Betracht

auf das Verhältnis ankomme und daß die

ziehen. Olbrich arbeitet in beiden Fällen mit

noch so genaue Anwendung der einzel-

geometrischen Formen, die er asymmetrisch

nen Bauformen gar nichts bedeute.“557

verschränkt oder einschneidet. Ákos Moravánszky konstatiert jedoch für das Haus

Dieses Verinnerlichen des Verhältnisses ist

Habich ebenfalls eine Beeinflussung durch

in Hoffmanns Œuvre wiederholt zu beob-

„das mediterrane Haus“.

Da das Haus

achten. Das Sanatorium Purkersdorf war

Habich bereits 1901 fertig gestellt war, kann

nicht der einzige Hauskubus, den er erbauen

es dennoch als direkte Inspirationsquelle für

wollte. So beweist die Skizze von circa 1903

Hoffmann angesehen werden. Weiterhin

für ein Landhaus der Familie Knips (Abb. 62),

kann das Haus Henneberg von Josef Hoff-

wie sehr Hoffmann von seiner Formfindung

mann (Abb. 61) – entstanden zwischen 1900

überzeugt war. Auch nach Äußerung der

und 1901 in Wien auf der Hohen Warte – mit

Bedenken der Bauherrin gegen ein Flach-

seiner teilweisen kubischen Massigkeit als

dach veränderte Hoffmann nur das Dach.

werkimmanentes Argument herangezogen

Der Körper des Hauses verblieb. Hoffmann

werden. Allgemein gesehen steht Hoffmann

setzte ihm lediglich ein Satteldach mit höl-

nicht allein mit der Eingebung seiner Bau-

zerner Giebelverkleidung auf (Abb. 63).558

körper durch das mediterrane ‚Volkshaus‘.

Ein weiterer Beweis für die Beibehaltung des

Neben Hoffmann und Olbrich kann man

Konzepts des Sanatoriums sind die Details

auch Entwürfe aus der Zeitspanne von 1900

der Fassade und die Einrichtung des Land-

555

bis 1904 von Emil Hoppe, Marcel Kamme-

555 Moravánszky 1988.2, S. 118.

556 Moravánszky 1988.1, S. 85. 557 Josef Hoffmann zitiert nach Sekler ²1986, S. 17. 558 Miller 2004, S. 76.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Treppe und Speisesaal (Abb. 53 und 54) eine Einheit, die den Kubus vertikal durchläuft. Beim Palais Stoclet ist es die Halle (Abb. 28), die fast alle Räumlichkeiten und deren Zugänge in sich konzentriert. Durch Sitz­ möbel ergänzt, bildet sie mitunter den kommunikativsten Ort des Hauses.562 Die Verschränkung der Halle über zwei Stockwerke wird noch durch die schlanken Pfeiler und ihre Marmorverkleidung hervorgehoben. Dazu sind die Felder zwischen den Pfeilern Abb. 63: Josef Hoffmann: Landhaus der Familie Knips, 1903, Kärnten, Seeboden, Wirlsdorf 39, Zustand aus den 1960er Jahren

nicht nach allen Seiten durch Profilstäbe ­eingegrenzt. Nach unten hin, wo sie nicht auf eine Mauer treffen, bleiben die Flächen offen und verbinden sich mit dem sich unter

hauses Knips. Beides lässt sich dem „Quadratlstil“ zuordnen.

ihnen entwickelnden Raum.563

Auch in diesem Bau

Es lässt sich zusammenfassend sagen, dass

durchdrang das Quadrat alle Ebenen des

Hoffmann versuchte, eine eigene Sprache

Hauses: den Hauskörper, seinen Grundriss

seiner Architektur zu entwickeln, die sich

und Querschnitt, seine verzierende Gestal-

zunächst an der Fassade äußerte. Der These,

tung und die Möbel, die im Baukastenprin-

dass „die Topographie einer Architektur aus

zip entwickelt wurden.560

den Äußerungen der Fassade“ herzuleiten

559

Als letzte Parallele, die sich durch viele

sei, hat sich im Falle Wiens Ákos Moraváns-

Bauwerke Hoffmanns zieht, ist die Halle zu

zky gewidmet.564 Diese Fassadensprache trifft

nennen. Schon an den Villen der Hohen War-

für das Sanatorium Purkersdorf zu, das

te praktiziert, taucht sie unter anderem auch

neben dem modernen Zeitanspruch aber

beim Hoffmann-Pavillon und im Palais

auch die lokalen Witterungsverhältnisse

Stoclet wieder auf. Die Halle ist eine Zwi-

widerspiegelt.

schenform von Rückzug und Zentrierung. Sie zeigt einen Ausgleich, der zwischen dem zurückgezogenen Leben der liberal-bürgerlichen Schicht aus der Öffentlichkeit und

Ornament und Quadrat als A und O der Architektur – Ein Übergang zur Einfühlungstheorie

dem Öffnen des privaten Raums für Gäste oszilliert.561 Die Treppe erweitert bei Hoff-

Das Ornament ist ein elementarer Bestand-

mann die Halle und steigert sie zu einer

teil beim Sanatorium Purkersdorf und muss

Raum­abfolge. In Purkersdorf bilden Halle,

daher neben seiner Ausprägung auch auf

559 Miller 2004, S. 79. 560 Miller 2004, S. 78–84. 561 Pirhofer 1986, S. 312.

562 Sekler 1970, S. 37–39. 563 Witt-Dörring 2006.1, S. 46. 564 Becker 1995, S. 18.

203

204

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

­seine Bezüge und mögliche Herkunft unter-

räumliche Erscheinung. Das Ornament ­

sucht werden. Um die Jahrhundertwende

näherte sich bei Hoffmann der Fläche der

dominierten drei Auslegungen des Begriffs

Fassade an und aus einer früheren dreidi-

Ornament: das Ornament der Klassik, das

mensionalen Fassadengestaltung ergab sich

historische Ornament und das moderne

die Betonung der Zweidimensionalität.569

Ornament. Das klassische Ornament wurde

Hoffmann erkannte die Qualität der Flä-

idealisiert, während das historische als Nega-

che.570 Das Quadrat ruht statisch in sich und

tivbeispiel deklariert wurde. Das moderne

kann beliebig angeordnet, wiederholt und

Ornament musste erst definiert werden.565

aneinandergereiht werden. Diese Charakte-

Die Klärung des Modernen am Ornament

ristik des Quadrats, oder auch des sich dar-

umfasste zwei Ebenen: zum einen die zeitli-

aus entwickelnden Würfels, negierte zum Bei-

che Abgrenzung zum Historismus, den man

spiel die Wirkung der Tektonik an den

als ‚Verirrung‘ überwinden wollte, und zum

Baukuben des Sanatoriums Purkersdorf

anderen die Findung der neuen äußeren

(Abb. 3) und des Palais Stoclet (Abb. 2), da

Form.

Die z­ eitliche Abgrenzung definierte

bei einem richtungslosen Körper auch keine

sich über Dualismen und gegensätzliche Paa-

Lastenverhältnisse hervorgehoben werden

rungen, die ein negatives vergangenes mit

können.571 Damit korreliert der Effekt, dass

einem ­positiven momentanen Bild verknüpf-

Hoffmanns Bauten mit seinen kunsthand-

ten.

Eine weitere Zweiteilung vollzieht sich

werklichen Werken verglichen werden.572 Die

im modernen Ornament selber. Das anfäng-

schwarz-­weiße und blau-weiße Farbgebung

lich d ­ ekorative Ornament entwickelt sich

unterstreicht noch die klare Aussage des

ins­besondere in Wien zu einem konstruktiv

Quadrats. Schwarz oder Blau und Weiß sind

bestimmten O ­ rnament. So umriss zum

zwei divergierende Farben, sie bilden f­ olglich

­Beispiel schon allein die äußere Form der

einen starken Kontrast. Aus der Kombinati-

Zeitschrift Ver Sacrum ein Quadrat.

on

567

566

568

Josef

von

Quadrat

und

Schwarz-Weiß

Hoffmann zählt zu den Vertretern des kon-

­beziehungsweise Blau-Weiß ergibt sich fol-

struktiven oder geometrischen Ornaments

gerichtig das Schachbrettmuster. Koloman

in Wien. Das Ornament seiner Schaffenspha-

Moser war ebenso von diesem spezifischen

se von 1900 bis circa 1910 lässt sich als auf

Ornament vereinnahmt wie Josef Hoff-

das Quadrat und den Schwarz-Weiß-Kontrast

mann.573 Als Vorbilder für H ­ offmanns Farb-

konzentriert beschreiben. Hoffmann formu-

und Formbeschränkungen werden unter

lierte ein Ornament, das keine stellvertreten-

anderem die japanischen Schablonenschnit-

de Sprache besaß und keine Richtung angab.

te,574 die Fotografie oder Mikroskopie und

Es negierte sogar jede plastische oder

das Mappenwerk Owen Jones’ von 1856, in

565 Ocón Fernández 2004, S. 191. 566 Ocón Fernández 2004, S. 192. 567 Ocón Fernández 2004, S. 192. 568 Ocón Fernández 2004, S. 205 und Bisanz-Prakken 1982, S. 40.

569 Kamm-Kyburz 1985, S. 120f. 570 Schmuttermeier 1996, S. 193. 571 Sekler 1970, S. 42. 572 Barten 1983, S. 20 und Gorsen 1985, S. 80. 573 Bisanz-Prakken 1982, S. 42. 574 Insbesondere für die Vorbildwirkung der japani-

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

dem das Schachbrettmuster verschiedentlich

„Wo es angeht, werden wir zu schmücken

abgebildet ist, aufgeführt.

suchen, doch ohne Zwang und nicht um

575

Für die Zeit ab 1908 spricht María Ocón

jeden Preis.“579

Fernández von einer „Herrschaft der Linie“, von einer „Gemütslinie“ und von einer „mit-

Dieser Satz knüpft direkt an die Erklärung

teilenden Linie“, die bis dahin nur in der

für „Gebrauchsfähigkeit“ und „gute Materi-

Malerei vorkam, nun aber möglicherweise

albehandlung“ an.580 Die Ornamentierung

durch den Anspruch des Gesamtkunstwerks

eines Gegenstandes hing demnach für Hoff-

im Kunsthandwerk und in der Architektur

mann und Moser direkt von den beiden

ihren Platz beanspruchte. Die Folge für das

zuvor formulierten Zielsetzungen ab. An das

Verhältnis von Ornament zum Träger war

Verständnis des Gebrauchs wurde der Begriff

ein Verwischen der klaren Grenzen.576 Die-

des Rationalen gekoppelt. Am Sanatorium

ses Phänomen lässt sich schon deutlich an

Purkersdorf verbindet sich dieser ‚Rationa-

der Fassade des Hoffmann-Pavillons beob-

lismus‘ mit der Bedingung der Hygiene für

achten, der bereits 1905 vollendet wurde.

eine Kuranstalt. Ein weiteres Beispiel für

Das moderne und neue Ornament war

Hoffmanns fast schon als ‚Purismus‘ zu

aber auch stark mit dem Begriff des Zwecks

bezeichnende Methode ist die Einrichtung

verknüpft. Dem Gedankengang einer tech-

einer Wohnung der Familie Knips. Bei die-

nisch aufgeklärten Zeit folgend, suchte man

ser Wohnung zielte der ‚Rationalismus‘ aber

nach der idealen Form für den Gebrauch.577

darauf, eine lebenspraktische Ästhetik zu ent-

Berlage folgte diesem Verständnis, wenn er

werfen.581 Hoffmann errichtete für die

an die korrekte Verwendung von Materia-

Familie Knips auch ein Landhaus. Die weiter

lien die Bedingungen knüpfte, dass den

oben bereits aufgeführte Skizze für dieses

Eigenschaften und der Zweckerfüllung des

Haus von 1905 weist eine Wiederholung der

Materials entsprochen werden müsse.

578

Formen des Sanatoriums Purkersdorf auf

Ähnlich definierte auch die Wiener Werk-

(Abb. 62 und 63). Hoffmann hatte demnach

stätte ihr Verhältnis zur Verwendung des

keine Scheu, die Formenwelt eines halb

Ornaments:

öffentlichen Kurgebäudes auf eine private Landvilla zu übertragen. Seine Form muss demnach für ihn einen universellen Charakter besessen haben. Falsch ist es jedoch, den

schen Schablonenschnitte ist zu bedenken, dass Hoffmanns Auftraggeber Viktor Zuckerkandl ein Sammler japanischer Kunst war und sich bereits 1907 von Leopold Bauer auf dem Gelände des Sanatoriums ein „japanisches Museum“ für seine Sammlung, die sich heute im Breslauer Museum befindet, erbauen ließ. (Demarle 1985, S. 10.) 575 Frottier 1990, S. 24 und Bisanz-Prakken 1982, S. 44. 576 Ocón Fernández 2004, S. 224f. 577 Ocón Fernández 2004, S. 196. 578 Berlage 1991, S. 96.

„Purismus“ Hoffmanns am Sanatorium Purkersdorf wie Renata Kassal-Mikula als einen „Verzicht auf Repräsentation“ zu definie-

579 Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905). 580 Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905). 581 Vergleiche dazu Miller 2004, S. 58–72.

205

206

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

ren.582 Die Form des Quadrats stand zwar

Einer der Hauptentwickler dieses „Konzep-

zunächst für einen gewissen Verzicht und

tes“586 war der deutsche Philosoph und Psy-

eine zumindest ästhetisch motivierte Reduk-

chologe Theodor Lipps (1851–1914).587 Sei-

tion, aber die letztendliche Ausführung des

ne Ausführungen über die „Ästhetik der

Sanatoriums Purkersdorf steht für Luxus im

Einfühlung“ in seinem zweibändigen Werk

Sinne einer Nobilitierung derjenigen, die die-

Ästhetik. Psychologie des Schönen und der

ses Gebäude frequentierten. Das Sanatorium

Kunst führten zu einer Emotionalisierung

blieb in allen seinen Bestandteilen aufwen-

der Grundformen.588 Im Laufe der Jahre 1903

dig gefertigt und besaß eine Vielzahl orna-

bis circa 1906 erschienen Lipps’ Bücher.

mentaler Verzierungen.

Hoffmann baute genau während dieser Zeit-

Josef Hoffmanns Ornament am Sanatori-

spanne das Sanatorium Purkersdorf. Lipps’

um Purkersdorf ist über seine eigene schlich-

Verbindung von Form und Emotion des

te Form hinaus mit der Konstruktion, also

Betrachters führte wohl dazu, dass neben

dem Grundriss und Querschnitt (Abb. 47 bis

der lebendig geschwungenen Linie auch die

50), verbunden. Das Ornament bleibt nicht in der Fläche verhaftet, sondern wird zum raumbildenden Teil der Architektur.583 Diese mehrfache Durchdringung des Ornaments im Fall der Architektur Hoffmanns verdeutlicht auch die horizontale Linie. So verwendet er sie zum Beispiel einmal als dominante Formgebung für die Ostfassade des Sanatoriums Purkersdorf und ein andermal an etwas völlig von Statik Befreitem, wie einer Streifentapete aus dem Jahr 1911.584 Wie erklärt sich diese ungleiche Verwendung von Formen sowohl bei der Konstruktion als auch in der Fläche? Es ist vor allem der Begriff der Einfühlung, der zentrale Bedeutung für das Verständnis dieses Bauwerks erlangt. Unter dem Begriff der Einfühlung formt sich eine Vorstellung aus, die starke Verbindungen zwischen der philosophischen Ästhetik und der Psychologie herstellt.585 582 Kassal-Mikula 1984, S. 198. 583 Vergleiche zu den Eigenschaften des abstrakten Ornaments Ocón Fernández 2004, S. 202. 584 Vergleiche zur Vertikalen und Horizontalen bei Josef Hoffmann Kleiner 1927, S. XXIX. 585 Curtis 2009, S. 11.

586

Robin Curtis bezeichnet die Einfühlung nicht etwa als Theorie, sondern spricht von einem Konzept. Dadurch betont Curtis den entwurfhaften Eindruck der Einfühlung, die den Status einer Theorie im Sinne einer gesetzmäßigen Ordnung wohl nicht erreichen kann. (Curtis 2009, S. 11–29.) Im Rahmen dieser Arbeit ist nicht etwa das Konzept der Einfühlung als Faktum zu beweisen, sondern es geht vielmehr darum zu verdeutlichen, dass jenes Konzept die Architektursprache Josef Hoffmanns deutlich beeinflusste. 587 Karl Bühler ordnet bereits 1927 in seiner Publikation Die Krise der Psychologie Theodor Lipps als einen Hauptvertreter der Psychologie ein. Der deutsche Psychologe Karl Bühler, der seit 1922 an der Universität Wien ansässig war, bezieht sich dabei schon auf den Stand um 1890. (Siehe dazu Bühler ³1965 (1927), S. 1f. Vergleiche dazu Benetka 1995, S. 76–91.) Weiterhin ist Ernst Bloch beispielhaft für die Verknüpfungen der Forscher um 1900 aufzuführen. Er studierte nämlich Philosophie bei Lipps in München und hielt einen Briefverkehr mit Ernst Mach aufrecht. (Carl Heinz ­Ratschow: Bloch, Ernst, in: Theologische Real­ enzyklopädie (1976–2004), Bd. 6 (1980) S. 715– 719.) Ebenso ist der Aufsatz Über die psychologischen Grundlagen des Bewegungsbegriffs des deutschen Kunsthistorikers Richard Hamann, der bei Wölfflin habilitierte, ein Beleg für das Aufgreifen der Theorien Lipps’ und Machs im Rahmen weiterer wissenschaftlicher Disziplinen. Siehe dazu Hermand 2009, S. 32, S. 39 und S. 50f. 588 Lampugnani 1980, S. 25.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Ruhe einer waagrechten Linie und die mit

Identifikation mit dem Objekt.593 Lipps

Energie aufgeladene senkrechte Linie von

spricht in diesem Fall von einem „idiopathi-

den Künstlern des geometrischen Jugendstils

schen Selbstgefühl“ und das Objekt der Ein-

entdeckt wurden.

Die Linien wurden in

fühlung wird regelrecht beseelt.594 Doch ohne

ihrer Gänze eine variierende Metapher für

Objekt gibt es kein auslösendes Moment der

Affekte.

589

Am Sanatorium Purkersdorf ist

Einfühlung. Diesem logischen Rückschluss

insbesondere eine Dominanz der horizonta-

folgend, ist anzunehmen, dass eine Architek-

len Linie zu beobachten. Demnach strahlt

tur sich als Objekt der Einfühlung geradezu

das Kurhaus eine deutliche Tendenz zur

darbieten kann. Zumindest heißt es bei Lipps

Ruhe aus. War Ruhe doch das vordringlichs-

im Rahmen des Kapitels Formen der Raum-

te Mittel zur Therapie von nervösen Lei-

künste in Bezug auf die Wirkung von hori-

den.591 Die Wahl des Flachdaches und des

zontalen und vertikalen Linien: „Alle diese

richtungslosen Quadrates im Falle des Hoff-

Möglichkeiten nun haben vor allem Bedeu-

mann-Pavillons erbringt im Hinblick auf

tung für die Baukunst.“595

590

Lipps’ Einfühlungsästhetik einen Beweis

Ebenso der pantheistischen Vorstellung

dafür, dass sich Hoffmann ganz bewusst für

der Romantik widersprechend,596 die Natur

die Linienführung seines Gebäudes entschie-

wecke Gefühle im Betrachter, ist Friedrich

den hat. Nicht etwa allein ökonomische

Theodor Vischer der Ansicht, dass die Ein-

Wünsche des Bauherrn, sondern wirkungs-

fühlung eine „Übertragung unser[er] Emoti-

ästhetische Beweggründe müssen zu der

onen in [eine; LT] Form“597 darstelle. Parallel

Lösung des Flachdachs geführt haben. Lipps

zu Vischer arbeitet auch Rudolf Hermann

war der Auffassung, es gehöre zum Leben,

Lotze an einer Erläuterung des Einfühlungs-

sich sowohl in andere Lebewesen als eben

entwurfs. Lotze nimmt die Wahrnehmung

auch in Gegenstände einzufühlen. Für die-

ins Zentrum seiner Untersuchungen und

sen Vorgang verwendete er den vor allem

erklärt mit ihrer Hilfe das menschliche

aus der Biologie bekannten Begriff der Mimi-

Bedürfnis der „Projektion“. Nur durch die

kry.

Eine deutliche Richtung vom schau-

Eigenwahrnehmung und die Suche nach

enden, das heißt erlebenden Subjekt hin zum

einer Hinausverlegung des Selbst in die

Objekt wird offensichtlich. Nach Lipps kann

Umwelt erkläre sich der „Genuss, den die

zwar auch ein Objekt etwas ausdrücken, aber

Betrachtung der Umwelt bietet“.598 Robert

dann ermöglicht es im Subjekt nur ein Urteil.

Vischer, der Sohn von Friedrich Theodor

592

Erst durch das Einfühlen des Subjekts in ein Objekt entstände ein emotionaler Selbstgenuss im Subjekt; nur so entwickle sich eine

589 Vergleiche dazu Lipps 1906, S. 441–464. 590 Moravánszky 1988.1, S. 90. 591 Radkau 2001, S. 68. 592 Curtis 2009, S. 12f.

593 Curtis 2009, S. 16f. 594 Voss 2009, S. 40. 595 Lipps 1906, S. 444. 596 Allgemein sind die Bemühungen der Einfühlungsästhetik um das Verständnis von physiologischen Prozessen als Bemühung einer Loslösung vom ursprünglich romantischen Einfühlungsbegriff zu verstehen. (Braungart 1995, S. 192f.) 597 Curtis 2009, S. 20. 598 Curtis 2009, S. 21f.

207

208

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Vischer, verankert das Wahrnehmen oder

nesfalls randständige Einzelfälle darstellten602

Empfinden von Formen sehr stark am realen

– mussten sich Architekten bewusst gewesen

physischen Körper des Menschen. Dies

sein, dass ihre Werke ebenso wie die bilden-

erklärt seine Interpretation der Wirkung von

den Künste emotional aufgenommen wurden.

horizontalen und vertikalen Linien. Seiner

Im Folgenden soll aufgezeigt werden, inwie-

Ansicht nach ist die Horizontale in ihrer Wir-

fern diese wissenschaftlich theoretischen

kung für das Auge, das ebenso waagerecht

Modelle praktischen Einfluss auf den Bau des

im Gesicht positioniert ist, zu bevorzugen.

Sanatoriums Purkersdorf hatten und ein neu-

599

Dieses Ähnlichkeitspostulat entwickle sich

es Verständnis des Gebäudes ermöglichen.

jedoch erst zur Einfühlung, wenn das Objekt

Christiane Voss schreibt zum Zusammen-

nicht nur als behaglich wahrgenommen wird,

spiel von Subjekt und Objekt und deren

sondern als Projektion diene.600 Wie aber ist

­Verbindung bei Lipps, dass „das ästhetische

diese Projektion zu verstehen? Und was

Subjekt während seiner betrachtenden, genie-

bedeutet sie für die Praxis eines Architekten?

ßenden und hingabevollen Versenkung in ein

August Schmarsow befasste sich mit der

ästhetisches Objekt vom eigenen realen Selbst

Verbindung zwischen dem philosophischen

und seiner realen Wirklichkeit abgeschirmt“603

Konzept der Einfühlung und der künstleri-

wird. Des Weiteren heißt es bei Voss:

schen Praxis. So setzte er die Prämissen der Raumgestaltung auf die Basis der Körperge-

„Ästhetischer Genuss ist Lipps zufolge des-

fühle. Der Mensch und seine Sinne werden

halb im Letzten immer auch Selbstgenuss,

von Schmarsow zum Orientierungsgerüst der

weil sich ein Ich unter Abstreifung sämt-

Gestaltung von Räumlichkeiten bzw. Raum-

licher Welt- und Zeitbezüge in die Dinge

hüllen erklärt. Daher definiert er die Archi-

hineinentleert. Durch diese Entgrenzung

tektur auch als „Raumgestalterin“. Ein Raum

und Entleerung erfährt das Subjekt zu-

will erlaufen und erlebt werden und entstehe

gleich sein projizierend tätig seiendes Ich

erst in der Bewegung über seine kinästheti-

als inneres Leben des Kunstwerks.“604

sche Wahrnehmung. Robin Curtis spricht im Falle von Schmarsows wahrnehmendem Ich

Inwiefern diese Lipps’schen Theoreme auf

von einer „emphatischen Involvierung in die

das Sanatorium Purkersdorf und seine Kon-

Umgebung“ und erklärt durch diese das Entstehen von Stimmungen im Individuum.601 Augenscheinlich wird nun eine Trennung von Produktions- und Rezeptionsästhetik. Vor dem Horizont dieser Entwicklungen – die kei-

599 Curtis 2009, S. 23. 600 Siehe dazu Braungart 1995, S. 139–141 und zum Begriff der „Projektion“ Arnheim 1991, S. 80–82 und Arnheim 1978, S. 451. 601 Curtis 2009, S. 25f.

602

Theodor Lipps erhielt 1894 den Ruf an die Münchner Universität, wo er das Psychologische Institut gründete. Robert Vischer legte 1872 seine Dissertation Über das optische Formgefühl in Tübingen ab und habilitierte 1879 wiederum in München, wo er bis 1882 als Privatdozent unterrichtete. Darauf folgten Anstellungen an den Universitäten von Breslau und Aachen. Ab 1892 bis zu seiner Emeritierung bekleidete er einen Lehrstuhl in Göttingen. (Büttner 2003, S. 82–90.) 603 Voss 2009, S. 44. 604 Voss 2009, S. 45.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

zeption anzuwenden sind, soll im Folgenden

Zusammenhang einer gewissen Höflichkeit

über den Umweg der beiden Paradigmen ner-

seinen Mitmenschen gegenüber.606 Erst im

vöses Zeitalter und unrettbares Ich für das

Laufe des 18. Jahrhunderts entstand der

Bauwerk selbst hergeleitet werden.

eigentliche Begriff der Hygiene, der sich

Das nervöse Zeitalter – Institution und Hygiene eines Sanatoriums, Nutzenoptimierung sowie Inszenierung von Architektur

jedoch von unserem heutigen Verständnis deutlich unterschied. Der Begriff der „medizinischen Polizei“ wurde geprägt, der eine Synthese von Gesundheitsgesetzen und Verhaltensreformen darstellte. Man erhoffte sich dadurch eine Verbesserung der Luftverhält-

Das Sanatorium Purkersdorf reiht sich in

nisse im Inneren der Städte zur Steigerung

eine Tradition von Kurbetrieben ein, die vor

der Gesundheit seiner Einwohner.607

allem im 19. Jahrhundert und am Anfang des

Erst im 19. Jahrhundert entwickelte sich

20. Jahrhundert ihre Glanzzeit erlebten. In

der Begriff der medizinisch definierten Hygi-

fast allen Fällen steht der Begriff der Hygie-

ene zu einem allgemeinen Interesse der Sozi-

ne und damit verbunden die Trias von Was-

alpolitik.608 Dieser Umstand beruhte vor

ser, Luft und Licht im Mittelpunkt einer sol-

allem auf der Bedrohung durch die Cholera,

chen Institution.605 Die Entwicklung des

die gerade in den Ballungsräumen der Städ-

Sanatoriums steht in enger Kausalität zur

te eine rasante Verbreitung erfuhr.609 Die

Geschichte und den Theorien der Medizin

meisten Städte waren aufgrund der Indust-

und diese bedingen wiederum ein bestimm-

rialisierung innerhalb weniger Jahre zu Groß-

tes Bild von Körperhygiene.

städten angewachsen, aber weder die Bereit-

Das Waschen des Körpers beschränkte

stellung von Wohnraum noch die Ver- und

sich bis zum 18. Jahrhundert überwiegend

Entsorgung der menschlichen Bedürfnisse

auf die sichtbaren Körperteile, wie zum Bei-

konnten mit diesem Anschwellen der Städte

spiel Gesicht und Hände, und stand im

Schritt halten. Die Epidemien rückten das Unternehmen einer ‚Hygienestadt‘ in den

605

Jene Trias wird auch bewusst von den Betreibern des Sanatoriums Purkersdorf proklamiert: „Von nicht zu verkennendem Einflusse auf die Heilresultate des heurigen Jahres kommt, abgesehen von den ausgezeichneten klimatischen Verhältnissen, die heuer sowohl im Sommer als besonders im Winter im ganzen Wienerwalde herrschten, die unvergleichlich schöne und hygienische Anlage des Sanatoriums Purkersdorf in Betracht, deren Leitmotiv, abgesehen von der hygienischen und komfortablen Unterbringung der Kranken, reichliche Genußmöglichkeiten von Licht und Luft ist. Dieser Devise wird durch acht voneinander geschiedene Gebäude gerecht, die in dem an Größe und Schönheit nicht leicht übertroffenen Parke von 100.000 m² Größe samt angrenzendem Walde untergebracht sind.“ (Dr. Stein 1911, S. 4.)

Mittelpunkt der politischen Interessen. Das Ziel war, neben der Verbesserung der Luftverhältnisse, die Stadt an eine ständig sich säubernde Wasserzirkulation anzubinden. Der Zufluss von frischem Wasser und die Ableitung des Schmutzwassers wurden zu den zentralen Aufgaben der Großstädte des 19. Jahrhunderts. London machte den ersten

606 Lachmayer 607 Lachmayer 608 Lachmayer 609 Lachmayer

und und und und

Mattl-Wurm Mattl-Wurm Mattl-Wurm Mattl-Wurm

1991, 1991, 1991, 1991,

S. S. S. S.

99f. 136-150. 95. 139f.

209

210

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Schritt, und Wien folgte neben vielen anderen Ballungsräumen diesem Vorbild.

Neben dem Versuch, alle Bevölkerungs-

Wien

schichten von einer hygienischen Eigenver-

wurde insgesamt viermal im 19. Jahrhundert

antwortung zu überzeugen und der damit

von der Cholera heimgesucht und man

einhergehenden Einrichtung von „Wasserbe-

benannte den zum Wienfluss parallel verlau-

dürfnisstätten“, entwickelte sich ebenso eine

fenden Wasserweg, der als Notmaßnahme

Industrie des luxuriösen Bades. Darunter ist

gegen die Seuche erbaut wurde, „Choleraka-

das Badezimmer in der eigenen Wohnung

nal“.

610

Diesem Kanalbau folgten in den

zu zählen, das sich nur wenige Haushalte

nächsten Jahren umfangreiche Bauten von

leisten konnten. Das im Wien des 19. Jahr-

Hochquellwasserleitungen, Hauptsammel-

hundert weit verbreitete Zinshaus war derart

kanälen und die Regulierung des Wien­

konzipiert, dass die Wohnungen eines Flures

flusses.612

sich einen gemeinsamen Abort und eine Was-

611

Die hier skizzierten Entwicklungen bele-

serleitung teilen mussten, die sich auf dem

gen ein gesteigertes Interesse an der Hygiene

Gang befanden. Die Wohnung inklusive eige-

des Menschen und seiner Umgebung. Man

nem Bad und separater Toilette war erst im

erhoffte sich nicht nur eine Verbesserung der

Ringstraßenbereich zu finden und stellte eine

Lebensqualität, sondern man verknüpfte von

luxuriöse Ausnahme dar.614 Vor allem aber

nun an die körperliche und städtische ‚Rein-

sind es die Sanatorien und Kuranlagen des

lichkeit‘ mit einer Investition in die Gesund-

19. und 20. Jahrhunderts, die nur aufgrund

heit. Die Assanierung Wiens wurde zum ers-

der medizinisch begründeten Hygienetheo-

ten Schritt einer medizinisch begründeten

rien eine zahlungskräftige Kundschaft fan-

Hygienepolitik. Ihr folgten der Bau von

den. Auf der einen Seite wurde eine Natur-

Schwimmbädern, die zunächst nur einer

heilkunde vertreten, die davon ausging, dass

bemittelten Schicht zur Verfügung standen

dem Körper von außen schlechte Impulse

und mit den heutigen Thermen zu ver­

zusetzten, die wiederum durch die Selbsthei-

gleichen sind, sowie die Entwicklung von

lungskräfte des Körpers und durch die Unter-

öffentlichen Bädern, die einer breiten Bevöl-

stützung durch Wasser-, Licht- und Luftthe-

kerungsschicht eine regelmäßige Körperrei-

rapien, im Sinne von positiv einwirkenden

nigung ermöglichen sollten. Diese öffentli-

Reizen, aufgehoben werden konnten.615

chen Bäder wurden in Wien ironisierend

­Dieser Typus ist der humoralpathologischen

„Tröpferlbäder“ genannt, da bei starker Fre-

Medizin zuzuordnen, die, wie Albert Wirz

quentierung der Wasserdruck nicht mehr aus-

sie definiert, eine Gleichsetzung von Körper

reichte und dann nur noch ein in Tropfen

und Gesellschaft voraussetzt und die

verrinnender Wasserstrom verblieb.

­K rankheitserreger außerhalb des Körpers

613

ver­ortet.616 Das Antonym zu dieser Anschauung ist die Biomedizin, die den Kern der 610 Lachmayer und Mattl-Wurm 1991, S. 140f. 611 Lachmayer und Mattl-Wurm 1991, S. 142. Vergleiche dazu Waissenberger ²1985.1, S. 29f. 612 Lachmayer und Mattl-Wurm 1991, S. 143–150. 613 Lachmayer und Mattl-Wurm 1991, S. 167f.

614 Ginhart 1948, S. 180f. 615 Lachmayer und Mattl-Wurm 1991, S. 188. 616 Wirz 2001, S. 119f.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

­K rankheit im Menschen selbst sucht.617 Das

Extreme Beispiele für dieses allumfassen-

Sanatorium Purkersdorf ist dem erstgenann-

de Weltbild bilden die Sanatorien der Ärzte

ten Typus zuzuordnen.

Maximilian Bircher-Benner (Lebendige Kraft

Die Körperheilanstalten entwickelten neben

in Zürich) und John Harvey Kellogg (Sani-

den verschiedenen Therapieange­boten aber

tarium in Battle Creek) oder die experimen-

auch ein reges Eigenleben. Die ­Insti­tutionen

telle Künstlergemeinschaft des Monte Verità.

Sanatorium und Kurbad ­ver­­wan­delten sich zu

Die erste Gruppe zeichnete sich als „eine

umfangreichen Erholungs­stätten. Neben den

Institution zur Disziplinierung des Kör-

verschiedenen Sehenswürdigkeiten und Mög-

pers“619 aus. Beide Kliniken verordneten den

lichkeiten der Zerstreuung entstand ebenso

Patienten einen strikten Diätplan. Neben der

ein gewisses Gemeinschaftsbewusstsein. In die-

Ernährung verfolgte man einen minutiös

sem Zusammenhang fallen die veröffentlichten

durchgeplanten Tagesablauf, der gespickt war

Gästelisten der Kurstädte Karlsbad und Fran-

mit Bewegung in der Natur und verschiede-

zensbad besonders auf. In ihnen konnte man

nen Therapien, wie zum Beispiel Sonnenbä-

sich täglich hierarchisch geordnet vergewis-

dern, Gymnastik oder Dauerduschen.620 Man

sern, mit welchen hohen Herrschaften man

verfolgte ein strenges Regiment gegen die

seinen Gesundheitsurlaub teilte. An dieser Stel-

„Ausschweifungen des Alltags“ und sah sich

le ist auch die überregionale Kurzeitung mit

als eine Schulungsstätte für „das wahre

dem bezeichnenden Titel Hygiea zu nennen,

gesunde Dasein“. Albert Wirz findet für die-

die das gesellschaftliche Treiben der Kurenden

se Institutionen das Bild einer „Lebensschu-

dokumentierte und überwiegend als Werbe-

le als Modell einer besseren Welt“.621 Er deckt

organ der Kurbetriebe zu interpretieren ist.618

damit die vorwiegend didaktischen Absich-

Diese Geselligkeit aufgreifend, erweiterte die

ten dieser Anstalten auf und findet über die-

Jugendstilbewegung das Sanatorium zu einem

se Definition Parallelen zum Monte Verità.

Ort der Überzeugung. Der menschliche Kör-

Die Künstlergruppe des Monte Verità stellt

per wurde zum Kultobjekt stilisiert. Seine Pfle-

eine besondere Ausprägung der Jugendbe-

ge und die Definition einer gesunden Lebens-

wegung nach einem übersteigerten Men-

weise wurden zu utopischen Weltanschauungen

schenbild dar. Der Berg der Wahrheit beher-

erhöht. Man unterlag einer Verantwortung für

bergte zum einen Künstler und Aussteiger

sich und einer Erziehung der kommenden

und zum anderen reguläre Kurgäste, die sich

Generationen. Das Gesamtkunstwerk zog am

den Therapien eines Naturheilsanatoriums

Menschen keine Grenze, sondern integrierte

unterziehen wollten. Beide Naturheilsana-

dessen Körper in eine idealistische, bisweilen

torien, Monte Verità und das Sanatorium Pur-

skurril überzeichnete Vorstellungswelt.

kersdorf, glichen sich in vielen Teilaspekten. Zunächst einmal siedelten sich beide außerhalb der Stadt an. Ebenso wurden beide über-

617 Wirz 2001, S. 119f. 618 Vergleiche dazu Lachmayer und Mattl-Wurm 1991, S. 220–236.

619 Wirz 2001, S. 119. 620 Wirz 2001, S. 124–133. 621 Wirz 2001, S. 137.

211

212

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

wiegend von Künstlern, das heißt einem an

tecture for Modern Nerves: Josef Hoffmann’s

den Künsten interessierten Publikum fre-

Sanatorium Purkersdorf dar. In beiden Pub-

quentiert. In einem elementaren Punkt unter-

likationen entwickelt Topp die These, das

schieden sich die beiden jedoch grundlegend

Sanatorium sei weder nur als Symbol für

voneinander. Der Monte Verità verstand sich

Gesundheit an sich zu lesen noch lediglich

als Protest gegen und autarke Ersatzlösung

als ein „tool in the scientific treatment of

für das bürgerliche Leben, während das Sana-

nervous ailments“623 zu verstehen. Zuzüglich

torium Purkersdorf, das gerade von der wohl-

verleihe das ganzheitliche Design dem

habenden bürgerlichen Schicht Wiens

Gebäude nämlich eine berechtigte, gar wahr-

besucht wurde, den Inbegriff einer bürgerli-

haftige Relevanz, die letztendlich „new uto-

chen Institution darstellte.

pian truths“ schaffe.624

Es ist die Frage nach dem ungewöhnlichen

Zunächst soll eine kurze Darstellung des

äußeren Bild des Sanatoriums Purkersdorf,

zentralen Nutzenanspruchs einer modernen

die den ausführlichen Exkurs über die Hygi-

Architektur à la Otto Wagner für das

ene- und Sanatorienentwicklung des 18. und

­Sanatorium Purkersdorf als Rekonvaleszenz­

19. Jahrhunderts für diese Arbeit begründet.

architektur, die hier am Vergleich des Sana-

Ein Zitat Ludwig Steins, der 1911 Chefarzt

toriums Purkersdorf mit der Postsparkasse

am Sanatorium Purkersdorf war, beweist im

(1903–1906 und 1910–1912) und der Kirche

direkten Bezug die Relevanz des Hygiene-

St. Leopold am Steinhof (1902–1904) von

begriffs für das Sanatorium Purkersdorf:

Otto Wagner geleistet wird, vollzogen werden. Darauf folgend soll eben auch erörtert

„[…] die unvergleichlich schöne und hygi-

werden, ob nicht auch der utopische

enische Anlage des Sanatoriums Purkers-

­Körperkult ein ebenso zukunftsweisendes

dorf, … deren Leitmotiv, abgesehen von

Äußeres verlangte und dieses Äußere gera-

der hygienischen und komfortablen Unter-

de in Beziehung zur Einfühlungstheorie zu

bringung der Kranken, reichliche Genuß-

setzen ist.

möglichkeiten von Licht und Luft ist.“

622

Ein weiteres Gebäude, dem man sich im Rahmen des Vergleiches von Josef Hoffmann

In nur wenigen Analysen wurde sich darü-

mit Otto Wagner widmen muss, ist die Lupus-

ber geäußert, dass die Architektur des Sana-

heilanstalt eines städtischen Krankenhauses

toriums Purkersdorf mit seiner medizini-

von Otto Wagner aus den Jahren 1910–1913

schen Aufgabe in Verbindung zu setzen ist,

(Abb. 64), die auf einen Entwurf von 1908

und wenn dies geschah, dann meistens im

zurückgeht. Ein zeitgenössischer Artikel der

Zusammenhang mit der funktionellen Kon-

Zeitschrift Der Architekt sieht in der Ables-

zeption. Deutliche Ausnahmen stellen Leslie

barkeit der Raumdisposition anhand der Fas-

Topps Buch Architecture and Truth in Fin-

sade den bemerkenswerten Charakter des

De-Siècle Vienna sowie ihr Aufsatz An Archi-

Bauwerks Otto Wagners. Wie bei der Kirche

622 Dr. Stein 1911. Hier zitiert nach Topp 2004, S. 194.

623 Topp 1997, S. 414. 624 Topp 2004, S. 84–86.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

am Steinhof ist eine deutliche Schwerpunktlegung auf die ökonomischen und praktischen Aspekte des Gebäudes abzulesen. Die südliche Ausrichtung der Krankenzimmer, keine allzu tiefen Räumlichkeiten, die Übereinstimmung von Fensterachsen und der ­Distanz der aufgestellten Betten sowie die Trennung der Ambulanz vom restlichen Krankenhausbetrieb gehen der Beschreibung der Fassade voraus. Dazu passend bildet der einseitige Kurzreport einen Grundriss und keinerlei Skizze oder Entwurf der zukünftigen äußeren Erscheinung der Lupusheilanstalt ab. Die einzige Information, die man zur Fassade erhält, betrifft die blauen Glasplatten, die im Sinne eines langlebigen und pflegeleichten Dekors zu verstehen sind. Nicht die Form steht im Blickpunkt des Interesses, sondern die Vertrauen evozierende Funktion des Ornaments wird betont.625 Dieser einseitig zweckorientierte Artikel ist ein Beweis unter vielen, dass Otto Wagner eine Affinität zu Sempers Ausspruch Artis sola domina necessitas besaß.626 Bereits Hevesi sieht in der bei Wagner angewandten Necessitas, das Leben und seine Praxis fortschrittlich und lebenstüchtig zu gestalten.627 Otto Wagner erweitert Sempers Motto in seinem Traktat Moderne Architektur, in dem er seine auf Erfahrung beruhenden Lehren für seine Schüler schriftlich festhielt,628 zu einer Forderung nach einer Naissance im Gegen-

625 Ohne Autor 1909, S. 13. 626 Moravánszky 1988.2, S. 68 und Sekler 1970, S. 41. Vergleiche ebenso Kolb 1989, S. 408f. und Wagner 2008, S. 78. Zum Verhältnis von Wagner zu Semper vergleiche Oechslin 1994, S. 94–109. 627 Hevesi 1906, S. 274. 628 Hevesi 1906, S. 280f. Vergleiche dazu auch Schorske 1985, S. 50.

Abb. 64: Otto Wagner: Lupusheilstätte (heute Teil des Wilhelminenspitals der Stadt Wien, Wien XVI.), Ansicht des Eingangs, 1908/1909

zug zu einer bisher praktizierten Renaissance.629 Das Lehrbuch, schriftlich von Wagner formuliert und mehrfach aufgelegt, wird

629 Wagner 2008, S. 54f.

213

214

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 65: Otto Wagner: Wohnhaus Köstlergasse 3 (Linke Wienzeile), Stadtwohnung Otto Wagners, Glasbadewanne in der Wohnung von Otto Wagner, 1898/99, Wien VI., Fotografie von 1898/99

Licht- und Luftzufuhr630 in einem Gebäude und der alles beherrschende und formende Zweck bilden die Hauptaussagen Wagners und werden einem „Katechismus“ ähnlich als Essenz an seinen Schüler Josef Hoffmann

durch seine Bauwerke weiterhin untermau-

weitergegeben.631 Joseph August Lux betitelt

ert. Echtheit des Materials, Verwendung neuster Techniken, das Zusammenspiel von

630 Hevesi 1909, S. 253. 631 Siehe dazu Hevesi 1909, S. 253f.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Otto Wagners Lehrbuch als „Das Buch des

Einrichtung durch die Wiener Werkstätte

neuen Grundrisses“.

proklamieren kann.

632

Forderungen nach

einem Nutzstil, einer Entsprechung von Inne-

Martina Pippal spricht von „Fläche und

rem und Äußerem und einer Harmonie der

Raum“ als den beiden „Leitthemen“ der

Verhältnisgrößen gehören zu den Grundzü-

Postsparkasse638 und zugleich als den Paral-

gen Wagners Bauten von 1900 bis 1913.633

lelen zum Bau Josef Hoffmanns.639 Bei den

So ist aber auch die Einrichtung eines

Fassaden der Postsparkasse und des Sana-

Badezimmers von 1898 ein aussagekräftiges

toriums kann man in beiden Fällen von einer

Bild für den Hygienebegriff bei Otto Wagner

vorgetäuschten Verkleidung sprechen. Otto

(Abb. 65). Dieses Bad wurde zunächst auf

Wagner erzeugt diese Illusion durch stilisier-

der Jubiläumsausstellung vorgeführt und spä-

te Nieten, die in regelmäßigen Abständen

ter in seine eigene Wohnung eingebaut. Otto

über die Fassade verteilt sind. Es stellt sich

Wagner geht über das Sauberkeitsbedürfnis

aber heraus, dass es sich dem gängigen Ver-

am Ende des 19. Jahrhunderts hinaus. Nicht

ständnis nach nur um funktionslose Attrap-

mehr allein die hygienische und gesundheit-

pen handelt, die allein dem visuellen Ein-

liche Notwendigkeit eines Bades wird prä-

druck dienen. Joseph August Lux umschreibt

sentiert. Von ihr als Grundlage ausgehend,

die Postsparkasse zum Beispiel als ein „Bau-

überhöht er das Bad zu einem Ort des

werk, das einer riesigen Geldkiste gleicht,

„Genusses und des persönlichen Luxus“.

634

die über und über mit Nagelköpfen bedeckt

Diese Erhöhung der Körperpflege wird durch

ist“640. Ähnlich wie die Nieten der Postspar-

die gläserne Badewanne verdeutlicht. Sie bie-

kasse arbeiten die Kachelbänder am Sana-

tet keinen größeren Komfort als die handels-

torium Purkersdorf (Abb. 39 und 40). Sie

üblichen Wannen aus Porzellan oder Blech.

umrahmen und binden die Fassade ohne

Der in ihr badende, nackte Mensch wird zum

dabei eine tatsächlich haltende Aufgabe zu

Anschauungsobjekt und so regelrecht insze-

erfüllen. Die einzelnen Platten bei Otto Wag-

niert. Der Zweck wird um die Kunstform

ner vergrößern sich bei Josef Hoffmann zu

ergänzt.

Diese kurze Betrachtung gibt

einer gesamten Wandfläche. Josef Hoffmann

einen neuen Blick auf den Zweckbegriff bei

führt somit die Fassadengestaltung seines

635

Wagner frei. So war es sein erklärtes Ziel,

Lehrers Otto Wagner um einen Schritt

das Praktische mit dem Schönen zu verbin-

­weiter.

den.636 Herbert Lachmayer sieht bei Otto

Als aufschlussreich stellt sich aber auch

Wagner einen „ästhetisierenden Funktiona-

der Ausdruck der „Symbolik der Konstruk-

lismus“637 erfüllt, den man wiederum auch

tion“ für die Fassade der Postsparkasse und

für das Sanatorium Purkersdorf und dessen

auch für die der Kirche am Steinhof heraus.641 Die ökonomisch orientierte Wahl der

632 Lux 1914, S. 61. 633 Lux 1914, S. 69. 634 Ohne Autor 1984, 635 Ohne Autor 1984, 636 Ohne Autor 1984, 637 Ohne Autor 1984,

S. S. S. S.

30. 30f. 31f. 68.

638 Pippal 2000, S. 193. 639 Pippal 2000, S. 191–194. 640 Lux 1914, S. 71. 641 Moravánszky 1988.2, S. 71.

215

216

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Konstruktion des Gebäudes zugunsten einer

Peter Haiko sieht in der Plattenverklei-

Verkleidung durch dünne Marmorplatten

dung bei Wagners Postsparkasse und auch

sollte durch die Metallbolzen mit Alumini-

an der Kirche am Steinhof die neue Intenti-

umköpfen vor Augen geführt werden. Nicht

on eines Monumentalbaus, „ewige Dauer“645

der massiven und teuren Bauweise folgte

zu visualisieren und nicht etwa die Zurschau-

Wagner, sondern er betonte mit der äußeren

stellung einer Technik:

Ornamentierung die Lösung, die kleinere Fläche der Verkleidung zu veredeln und den

„Nicht die Form als pures Ergebnis der

Kern unrepräsentativ kosten- und zeitspa-

Funktion und Konstruktion – das wäre

rend zu gestalten. Die Verkleidungsplatten

das Postulat der Funktionalisten – son-

waren in einem Mörtelbett verlegt und hät-

dern die Umwandlung der Zweckform zur

ten einer Befestigung durch Bolzen nicht

metapher- und symbolhaften Kunstform

bedurft. Sie bilden eine „symbolische Aufna-

interessiert ihn.“646

gelung“.642 Die allein illustrativ wirkenden Nägel erweitern die Fassadenverkleidung zu

Inwiefern kann man diese Beobachtung auf

einer angetäuschten Ummantelung. Die

das Sanatorium Purkersdorf übertragen?

Nägel werden zum Flechtwerk, das die Fas-

Durch die überwiegende Verschleierung tek-

sade wie ein Netz überzieht. Sie suggerieren

tonischer Verhältnisse an der Fassade des

einen funktionellen Charakter, der wieder-

Sanatoriums lässt sich ein Bild der Fassade

um durch die wirkliche Konstruktion des

als Verkleidung durch die Quadratbänder

Gebäudes negiert wird. Ein konstruktives

nicht zeichnen. Die Bänder umrahmen viel-

Detail wird zum Ornament. Das Ornament

mehr die Flächen und sind folglich als Unter-

formt sich an dieser Stelle aus einer Zwi-

stützung der Kartenhaus-Metapher zu verste-

schenform von ‚Hülle‘ und ‚Kern‘ und bleibt

hen (Abb. 39 und 40).647 Während Otto

nicht mehr auf den Bereich der Hülle eines

Wagner ein Bild von Monumentalität und

Gebäudes beschränkt.643 Die absolute Über-

Kosteneffektivität mithilfe seiner Plattenver-

spitzung dieses Prinzips vollzieht Wagner an

kleidung transportieren wollte, wird die Fas-

der Fassade des Mietshauses Neustiftgasse.

sade bei Josef Hoffmanns Sanatorium zu einer

An dieser Fassade sind die Aluminiumnägel

einzigen Fläche. Nicht mehr Bestand und

zu schwarzen Kreisen reduziert, die lediglich

Dauerhaftigkeit, sondern Luft und Leichtig-

als Echo und Zitat seiner Fassaden der Post-

keit vermittelt Hoffmanns Ausformung der

sparkasse und der Kirche am Steinhof zu

Fassade. Die großflächige Gestaltung der Fas-

verstehen sind und nun durch ihre Aufma-

sade des Hoffmann-Pavillons nimmt Josef

lung schon allein jegliche Interpretation als

Hoffmann aber an der Fassade des Palais

konstruktiven Körper verhindern.644

Stoclet wieder zurück. In Brüssel sind es dünne weiße Marmorplatten, die wie durch ein

642 Moravánszky 1988.2, S. 71. Vergleiche dazu Haiko ²1985, S. 97. 643 Haiko ²1985, S. 98 und Ohne Autor 1984, S. 38f. 644 Moravánszky 1988.2, S. 104.

645 Haiko 1986, S. 120. 646 Haiko 1986, S. 120. 647 Varnedoe 1993, S. 46.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Netz von Eisenstangen an der Konstruktion

ziert, die nur einen Innenraum von einem

gehalten werden (Abb. 2 und 24). Die tekto-

Außenraum abtrennt. Die Last hat sich

nisch neutralen Profile des Palais Stoclet – sie

scheinbar auf das Gerüst der Konstruktion

betonen weder eine horizontale noch eine

zurückgezogen.652 Wagner wehrt an den

vertikale Richtung am Gebäude – scheinen

Ecken der Postsparkasse ein direktes Aufei-

ihren Ausgang von der Krone des Turms zu

nandertreffen der Fassaden ab, sowie Hoff-

nehmen und dehnen sich von ihm ausgehend

mann dies 1924 an der Villa Knips wieder-

über den gesamten Baukörper aus.

Der

holt oder mithilfe der Profile am Palais

Kleinteiligkeit von Wagners Fassade der Post-

Stoclet zu verhindern weiß. Während Wag-

sparkasse und der Kirche am Steinhof eher

ners Bauten noch durch die Tafelflächen und

folgend als der des Hoffmann-Pavillons, evo-

ihre vorgetäuschte Befestigung durch Nägel

ziert Hoffmann aber eine andere Wirkung als

auf eine innere Konstruktion verweisen, hebt

Wagner. Das Palais Stoclet wirkt wie aus

Hoffmann seine Fassadenkörper visuell von

einem Steckkastenprinzip heraus entworfen.

einer inneren Verstärkung ab. Das Palais

Man kann sich vorstellen, dass man es in

Stoclet intensiviert im Vergleich zum Sana-

wenigen Arbeitsschritten in seine einzelnen

torium Purkersdorf diesen Eindruck noch

„Tafelflächen“

648

demontieren und an einem

und ist als die Weiterführung des gleichen

andern Ort wieder aufbauen könnte. Es

Prinzips zu verstehen. Der Rahmen des

besitzt trotz seiner immensen Ausmaße und

Palais Stoclet ist dominanter ausgeformt als

dem Turm nicht die Monumentalität der zwei

am Sanatorium Purkersdorf. Wurde der rah-

genannten Wagnerbauten.

649

Diesen Zusam-

mende Fliesenfries des Sanatoriums Purk-

menhang betreffend kann man Eduard F. Sek-

ersdorf noch um die Ecken des Gebäudeku-

ler vollkommen zustimmen, wenn er sagt:

bus – wie verschränkende Nähte – ergänzend

650

geführt (Abb. 40), verdoppeln sich die Ein„Was sein [Josef Hoffmann; LT] Lehrer

fassungen der hellen Marmorplatten des

Otto Wagner postuliert hatte, wurde in

Palais Stoclet (Abb. 24), wenn zwei Flächen

Hoffmanns Architektur erfüllt; ‚die ta-

aufeinander treffen. Der Vergleich zu Bor-

felförmige Ausbildung der Fläche‘ wird

düren liegt nah.653 Dadurch wirkt jede Fläche

zum Leitmotiv einer neuen Architektur.“

der Fassade für sich isoliert. Der Flächen-

651

charakter der Fassade des Sanatoriums PurAllen genannten Werken bleibt eine ihnen

kersdorf, das aber noch zu einem gesamten

spezifische Wirkung gemein: Die Wand wird

Kubus zusammengefügt werden kann, ver-

zur Verkleidung und verliert in der Wahr-

flüchtigt sich beim Palais Stoclet zu einer

nehmung ihres Betrachters ihre tragende

vielteiligen Ansammlung von Unterflächen.

Funktion. Sie wird zur leichten Fläche redu-

Der Fliesenfries des Sanatoriums Purkersdorf zeigt über Eck eine korrespondierende

648 Sekler 1970, S. 34. 649 Kossatz 1971, S. 18 und Pirhofer 1986, S. 307f. 650 Echigojima 1996, S. 214. 651 Sekler 1970, S. 42.

Anordnung der farbigen Quadrate, was dazu 652 Baroni und D’Auria 1984, S. 70–74. 653 Echigojima 1996, S. 214.

217

218

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

führt, dass die Kartenhaus-Metapher für das

(Abb. 2 und 22).658 Das Unterlaufen der tek-

Hoffmann’sche

Sanatorium654

kritisch

tonischen Wirkung durch die rahmenden

betrachtet und eingeschränkt werden muss.

Metallprofile führte auch zu der bereits

Durch die einfache Aneinanderreihung der

erwähnten und oft verwendeten Metapher

Grundform des Quadrats entsteht eine deut-

des „Schmuckkästchens“ für das Palais

liche Naht zwischen den einzelnen Fassa-

Stoclet. Neben dem Fakt, dass es viele Kunst-

denflächen. Die gemusterten Metallprofile

werke beherbergte, war es vor allem die Fas-

des Palais Stoclet hingegen bilden in sich

sadenlösung, die zu dieser Metapher führte.

nach außen hin abgeschlossene Formen, die

Gottfried Sempers Flächenbekleidungsprin-

den Eindruck vermitteln, dass man sie neben-

zip folgend, mutet das Palais Stoclet wie eine

einander aufreihen könnte.

riesige Schachtel an, die aus einzelnen Flä-

655

An dieser Stelle verdeutlicht sich die Nähe

chen zusammengefügt wurde.659 So spricht

Otto Wagners und Josef Hoffmanns zu Sem-

Friedrich Kurrent zum Beispiel auch davon,

pers Theorie „der vier Elemente“, nach der

dass das Grundgerüst des Palais Stoclet von

die Wände eines Hauses zunächst eine Evo-

innen und außen „ver- oder besser bekleidet“

lution des Hauses umreißend nicht massiv

wurde.660 Die Wirkung einer massiven Wand

gebaut waren, sondern in Form von verschie-

wird am Palais Stoclet des Weiteren durch

denen Textilien abgegrenzt wurden.656 Die

die Fenster unterlaufen (Abb. 2). Die Fenster

Naht diente Semper dabei zur notwendigen

der obersten Etage durchstoßen die Wand-

Verbindung der Wände zu einem Ganzen.657

grenze und setzen sich in den Dachbereich

Dieser Saum wird im Falle der Ecken der

fort.661 Die Wirkung ist eine „Negation des

Postsparkasse und insbesondere des Sana-

Daches als lastender Abschluß“.662 Es ent-

toriums Purkersdorf stark betont. Die Hülle

steht der Rückschluss, dass die Wand, auf

bekommt somit einen dünnen Membrancha-

der kein Dach lastet, auch nicht massiver

rakter, die sich zwischen den Kanten spannt.

Natur sein muss. Das Charakteristikum der

Zusammenfassend ist die Aussage mög-

Tafelfläche und seiner Rahmung beschlie-

lich, dass Josef Hoffmann mit der kleineren

ßend, lässt sich noch feststellen, dass all dies

Unterteilung der Fassade des Palais Stoclet

nicht ohne die Grundlage des „modernen

der Postsparkassenfassade Wagners folgt,

Materials“ des Eisens und Eisenbetons denk-

aber die Wirkung der beiden Gebäude eine

bar gewesen wäre.663

gänzlich andere ist. Wagners Postsparkasse

Die Betonung des Zweidimensionalen an

verkörpert eine Monumentalität und Dauer,

der Fassade des Sanatoriums Purkersdorf

während das Palais Stoclet durch seine

(Abb. 3) hat in Wien noch eine Vielzahl von

­Fassade fragil und zerbrechlich erscheint

weiteren Vorbildern. Da sind die Fassaden des

654 Varnedoe 1993, S. 46. 655 Witt-Dörring 2006.1, S. 45f. 656 Ohne Autor 2003.1, S. 628. 657 Vergleiche dazu Berlage 1905, S. 28.

658 Vergleiche dazu Echigojima 1996, S. 214f. 659 Kurrent 1991, S. 22f. 660 Kurrent 1991, S. 18. 661 Vergleiche dazu Baroni und D’Auria 1984, S. 70. 662 Pirhofer 1986, S. 307. 663 Vergleiche dazu Berlage 1991, S. 92f.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Abb. 66: Otto Wagner: Majolikahaus bzw. Wohnhaus Linke Wienzeile 38/40, Aufnahme über Eck mit Front Köstlergasse 1/3, 1898, Wien VI., Fotografie um 1935

che.664 Einem Teppich gleich setzt sie sich gegen die Straße ab.665 Das Wohn- und Geschäftshaus Portois & Fix (Abb. 67) ist mit einer braungrünen Pyrogranitkeramik-

Majolikahauses von Otto Wagner (Abb. 66)

verkleidung ummantelt.666 Die Fassade der

an der linken Wienzeile, das von 1898 bis 1900

Möbelfirma gilt mit seiner dreiteiligen Fas-

erbaut wurde, des Zacherl-Hauses von Josef

sade, die der inneren Nutzung und Auftei-

Plecnik aus den Jahren 1903 bis 1905 und die

lung des Gebäudes entspricht, auch als Vor-

äußere Gestaltung des Hauses Portois & Fix

bild für das Goldman & Salatsch Haus von

von Max Fabiani aus den Jahren 1899 bis 1900

Adolf Loos (Abb. 4).667 In diesem Zusam-

(Abb. 67). Allen Fassaden gemeinsam ist der

menhang sind aber auch die Planungen der

Überzug der Außenwände mit einem

Miethäuser an der linken Wienzeile und der

abwaschbaren Material. Bei Otto Wagners

Neustiftgasse von Otto Wagner zu nennen.

Majolikahaus erstreckt sich über die Fassa-

Alle Beispiele zeigen eine deutliche äußere

de noch ein abstrahiertes Blumengeflecht,

Gestaltung, die vom Inneren der Gebäude

während die beiden anderen genannten Häu-

her organisiert ist. Eine Zweiteilung in der

serfassaden durch geometrische Muster unterteilt werden. Otto Wagner schuf mit der Fassade des Majolikahauses eine weitest­ gehend von Fassadenplastik befreite Flä-

664 Vergleiche dazu Wagner 2008, S. 131. 665 Moravánszky 1988.1, S. 75. 666 Moravánszky 1988.1, S. 105. 667 Kassal-Mikula 1984, S. 188.

219

220

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

se.670 Allen drei Lösungen, ob mit Fliesen oder poliertem Stein verkleidet, ist der Wunsch nach Hygiene in der Großstadt gemein.671 Einer hygienisch organisierten Welt folgend, bekleiden sich die Häuser mit einer Schutzschicht, an der das Regenwasser ohne Hindernis herunter fließen kann. Am Sanatorium Purkersdorf (Abb. 3) reduziert sich diese abwaschbare Fläche auf die Randfliesenbänder der Fassaden, die wiederum den zweidimensionalen Flächencharakter der sich zwischen ihnen erstreckenden weißen Wände verstärkt.672 Neben den Teilaspekten der Behandlung der Fassade sind dem Sanatorium Purkersdorf mit der Postsparkasse und der Kirche am Steinhof die Aspekte Zweckmäßigkeit und Hygiene gemeinsam. Diese drei Architekturen sind deutlich von ihrem Gebrauch Abb. 67: Max Fabiani: Wohn- und Geschäftshaus Portois & Fix, 1899–1900, Wien III., Ungargasse 59-61

her geprägt. Sie sollen Raum für eine spezifische Nutzung bieten und dabei verschreiben sich beide Architekten den Mitteln der ‚neuen secessionistischen‘ Architektur. Beide

Höhe von Geschäfts- und Wohnbereich ist

Künstler legen Wert auf die Verwendung von

zu beobachten, während der Wohnbereich

damals innovativen Materialien, wie zum

meistens nicht weiter unterteilt wird, um eine

Beispiel Eisenbeton und großflächigem Glas.

Gleichberechtigung und Anonymität der

Beide folgen hier der Semper’schen Vorstel-

modernen Stadtwohnung zu demonstrie-

lung, dass der Kunststil auch durch das zur

ren.

Zu dieser Ebenbürtigkeit der Mietpar-

Verfügung stehende Material und die vor-

teien konnte es nach Otto Wagners Ansicht

handene Technik der jeweiligen Zeit beein-

nur durch den Einbau eines Aufzugs kom-

flusst werde.673 Eduard F. Sekler spricht in

men, dem er deshalb besonders viel Aufmerk-

einem Interview von den Parallelen zwischen

samkeit bei der Gestaltung schenkte.

Die-

der Kirche am Steinhof von Otto Wagner

se ironisch als „Käsefassade“ bezeichnete

und dem Sanatorium Hoffmanns. Als Begrün-

668

669

demokratische Fassadenlösung wiederholte Wagner an seinem Mietshaus Neustiftgas668 Ginhart 1948, S. 208 und Moravánszky 1988.1, S. 75. 669 Vergleiche dazu Ohne Autor 1984, S. 32f.

670 Moravánszky 1988.1, S. 75 und S. 82. 671 Moravánszky 1988.2, S. 101. 672 Moravánszky 1988.2, S. 103. Vergleiche dazu auch Moravánszky 1988.1, S. 105. 673 Moravánszky 1988.1, S. 132 und Munch 2005, S. 71.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

dung für den Vergleich nennt er das „vor-

Ausführung der Kirche. Die verschiedenen

herrschende Weiß“.

Kirk Varnedoe spricht

Pavillons der Baumgärtner Höhe wurden

sogar von einem Hygienefetischismus bei

zwar nach den Plänen Wagners, aber durch

Otto Wagner im Falle der Kirche am Stein-

die Hand eines anderen Architekten reali-

hof und zieht denselben Vergleich wie Sek-

siert.677 Der Eindruck einer weißen Stadt

ler.675 Er formuliert eine deutlich voneinan-

konnte aber trotzdem erreicht werden. Lud-

der abhängige Verknüpfung von ästhetischer

wig Hevesi benutzt dieses Sinnbild zumin-

Architektur und den „vitalistischen Gesund-

dest in einer anekdotenhaften Erzählung:

674

heitsidealen“ bei Josef Hoffmanns Sanatorium Purkersdorf.676

„Vor einigen Wochen kehrte ich mit der

Eduard F. Sekler ist zuzustimmen, wenn

Westbahn nach Wien zurück. Ein Pariser

er von der überwiegend weißen Farbhaltung,

Bildhauer war mein Coupégenosse. Als

den Fußböden und den Wandlösungen als

wir in das Weichbild einfuhren, deutete

Parallelen zwischen den Werken Wagners

er plötzlich links zum Fenster hinaus, mit

und Hoffmanns spricht. Ebenso wie in der

einem Schrei der Überraschung. ‚Was ist

Eingangshalle (Abb. 51 und 53) und in den

das?!‘ Auf dem langen Hügelrücken über

Fluren in Purkersdorf sind in der Kirche am

dem Örtchen Baumgarten […] schimmer-

Steinhof die Wände bis zu einer gewissen

te in der hellen Sommersonne eine weiße

Höhe verkleidet. Diese Höhe entspricht im

Stadt. Überragt von der goldenen Kuppel

Sanatorium in etwa der Körperlänge eines

einer weißmarmornen Kirche. Weithin

Erwachsenen. In Purkersdorf verwendet

über das grüne Hügelgelände, über das

Hoffmann weiße Fliesen, während Wagner

reizvolle Gemisch von Stadt und Land

im Inneren der Kirche am Steinhof die Wän-

hinweg, flammte der helle Goldblink ei-

de auf eine Höhe von drei Metern mit

nes ‚Bauobjekts‘ von ungewohnter Anmut

­Marmor verkleidet. In der Kirche Wagners

des Umrisses.“678

hatte diese Methode noch eine sinnfälligere Begründung als im Sanatorium. Die Kirche

Postsparkasse, Kirche am Steinhof und Sana-

war vor allem für die Patienten der Nerven-

torium Purkersdorf haben die architektoni-

heilanstalt auf der Baumgärtner Höhe

sche Handhabung von Luft- und Lichtver-

gedacht. Sie war ein Bestandteil der ‚Klein-

hältnissen sowie die Orientierung der

stadt in der Großstadt‘. Dieser Anstalts­

Räumlichkeiten am reibungslosen Gebrauch

bereich

Mikrokosmos

gemeinsam. Insbesondere an der Kirche am

erstreckt sich über einen ganzen Berg am

Steinhof und am Sanatorium Purkersdorf

westlichen Rand Wiens und war zu Beginn

werden die Vorstellungen der Zeit, wie man

insgesamt von Otto Wagner als eine „weiße

‚Erkrankte‘ zu versorgen habe, zur Grund-

Stadt“ geplant. Leider blieb es bei Wagners

lage der Architektur. Otto Wagner geht in

beziehungsweise

diesem 674 Sekler 2003, S. 21. 675 Varnedoe 1993, S. 34 und S. 46. 676 Varnedoe 1993, S. 46.

Zusammenhang

677 Kassal-Mikula 1984, S. 180. 678 Hevesi 1909, S. 249.

aufgrund

der

221

222

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

erkrankten ‚Nutzer‘ noch viel konsequenter

sprach in Hinblick auf die Architektur Wag-

vor. Dafür sprechen die „Weihwasserbecken

ners ab etwa 1900 erstaunlicherweise von

mit Tropfhahn“679. Über den Becken ist ein

einer architecture parlante und meinte damit

Wasserhahn angebracht, aus dem in regel-

wohl vor allem ihre visuell erschließbare

mäßigen Abständen Wassertropfen in die

Selbsterklärung.683 Jedem Betrachter sollte

Einsenkung herabfallen. Das Becken unter-

einer Berechtigung gleich das Eingehen des

liegt einem ständigen Abfluss. Der Sinn und

Architekten auf praktische Erfordernisse auf-

Zweck bestand darin, das Bespritzen oder

fallen – was wiederum eine gedankliche

Spielen mit dem geweihten Wasser durch die

Nähe zum Historismus und seiner Rhetorik

Patienten zu verhindern und die Übertra-

weiterhin herstellt. Man denke nur an die

gungsgefahr von Krankheiten zu minimieren.

Ringstraßenbauten, die mithilfe ihrer For-

Mit der gleichen Intention ist die Kirche

menzitate sich selbst zu institutionell veran-

nicht geostet, sondern richtet sich von

kerten Metaphern stilisierten. So wählt das

­Norden nach Süden aus. Man wollte die ‚ner-

Parlament griechische Formeln, um auf Grie-

vösen Nerven‘ der Patienten nicht durch das

chenland als das Herkunftsland der Demo-

Licht eines Fensters hinter dem Altar reizen

kratie zu verweisen. Unter dieser Maxime

und entschied sich deshalb für einen Altar,

müssen auch die Stühle der Postsparkasse

der nicht von hinten beleuchtet werden

betrachtet werden. Otto Wagner stattete sie

­sollte. Da aber die effektive Ausleuchtung

an den wichtigen Stellen gegen Abnutzung

eines Kirchenraumes von einer West-­Ost-

mit Fußmanschetten oder Armlehnschonern

Achse bestimmt wird, wanderten der Altar

aus. Die minimalistische Variante stellte die

in den Norden und der Haupteingang in den

schwarze Bemalung der stärker beanspruch-

Süden.

ten Stellen gegenüber einer sonstigen weißen

680

Das Mittel zum Ziel, eine Einheit von

Farbgebung dar.684

Praktischem und Schönem, bei Wagner und

Am Beispiel der Postsparkasse kann man

auch bei Hoffmann ist „die Trias von Zweck,

auch eine Ästhetik des Materials beobachten,

Material und Techniken“.681 Immer wieder

deren Verwendung den beiden Architekten

stilisiert Otto Wagner den Zweck zur for-

wiederum gemeinsam ist. Otto Wagner ver-

menden Instanz. Nicht etwa das Formen-

arbeitete an der Kassenhalle das Material Alu-

repertoire eines institutionalisierten Ver-

minium. Ob an den Pfeilern, an den Austritts-

ständnisses einer vergangenen Epoche,

rohren der Warmluft oder an den Nieten der

sondern allein der Zweck und das Material

Fassaden und der Möbel, überall springt dem

sollten seine Formwahlen erklären.

Betrachter das neue Material allgegenwärtig

682

Man

ins Auge. Dieser technische Zug der Postspar679

Diese Namensgebung stammt aus dem zeitgenössischen Artikel Schönthal 1908, S. 2. 680 Schönthal 1908, S. 2 und S. 4. Vergleiche dazu Graf 1985, S. 403. 681 Ocón Fernández 2004, S. 12. Vergleiche dazu Curtis ³2002, S. 53 und S. 66f. 682 Munch 2005, S. 75.

kasse verleitete viele dazu, sie mit einem

683 Haiko ²1985, S. 101. Vergleiche dazu Ohne Autor 1984, S. 44f. 684 Haiko ²1985, S. 101.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

­riesigen Tresor zu vergleichen.685 Diese Meta-

­Geldes“ spöttelte. Neben der Anwendung

pher für die Postsparkasse spricht aber auch

der funktionslosen Nieten oder Bolzen

ein Ziel Wagners aus: „die Notwendigkeit,

ähneln sich auch die Eingangsbereiche bei-

das Symbolische und Ästhetische der Funk-

der, in der Funktion jedoch unterschiedlicher

tion aufzuzeigen“.686 Somit bleibt die Niete

Bauwerke.688 Ebenso benutzt Wagner beim

und das neue Material nicht nur allein eine

Kassensaal der Postsparkasse die kirchlich

Zündung für eine neue Formenwelt, die auf

geprägte Form des Hauptschiffes, das von

jeden Typ von Gebäude zu übertragen ist, son-

zwei Seitenschiffen flankiert wird. Otto

dern wird auch zum Ausdrucksmittel der Auf-

­Wagner wandte somit die durch den Zweck

gabe eines Bauwerks. Daher sind die Funkti-

bestimmten

onen, die sich im Inneren der Postsparkasse

­Funktionsbereiche von Architektur an und

entwickeln, schon an der Fassade abzule-

f­­ormulierte damit eine universelle Zweckäs-

sen.

Formen

auf

verschiedene

Diese technische Überhöhung einer

thetik. Das heißt, er hat alle Typen von Archi-

Architektur und ihres Interieurs ist auch am

tektur auf ähnliche Zwecke hin reduziert.

Sanatorium Purkersdorf zu beobachten. In

Im Falle der Postsparkasse und der Kirche

diesem Bauwerk sind es die Details, wie zum

am Steinhof sind dies wohl die Hygiene, die

Beispiel die Lampen und Blumenständer aus

übersichtliche Struktur zur leichten Orien-

Eisenblechgittern sowie die Möbel, die eine

tierung des Besuchers und insbesondere das

Gesamtwirkung des Fortschritts und der Hygi-

Evozieren des Eindrucks der Notwendigkeit

ene verbreiten. Allen Beispielen haftet neben

dieser Gebäude im Betrachter.

687

dem ästhetischen Anspruch die Aussage der

Beatriz Colomina beschreibt in ihrem Auf-

Zweckmäßigkeit an. Josef Hoffmann formu-

satz Krankheit als Metapher in der moder-

liert am Sanatorium Purkersdorf ebenso wie

nen Architektur, dass die Architekten in

Otto Wagner an der Postsparkasse und der

ihren Bauwerken einen „gesunden Körper“

Kirche am Steinhof eine mit technischen Mit-

erblickten. Diesem Bild folgt Colomina,

teln erzeugte Rechtfertigung für das Dasein

wenn sie die Architektur der Krankenhäuser

ihrer neuartigen, allumfassenden Formenwelt.

und Sanatorien am Anfang des 20. Jahrhun-

Dadurch aber, dass Wagner bei den Fas-

derts als eine „Art von medizinischer Appa-

saden der Kirche am Steinhof und der Post-

ratur“ oder einen „Mechanismus zum Schutz

sparkasse den gleichen Gestaltungstypus ver-

und zur Pflege des Körpers“ umreißt.689 Die

wendet, verwischen die Grenzen von der

Vermutung einer Kohärenz von neuem Men-

ablesbaren Funktion eines Bauwerks. So ver-

schen und neuer Architektur wird deutlich.

wundert es nicht, wenn man im Falle der

Sollte das Sanatorium Purkersdorf eine

Kirche am Steinhof den Vorwurf des „Nihi-

Metapher für den erstrebenswerten gesun-

lismus“ aussprach und bei der Postsparkasse

den Körper versinnbildlichen?

dagegen von einer „Sakralisierung des

Dass diese Sicht auf die neue Architektur nicht unwahrscheinlich und übersteigert

685 Moravánszky 1988.1, S. 78. 686 Moravánszky 1988.1, S. 81. 687 Vergleiche dazu Sekler ²1986, S. 485f.

688 Achleitner 1996, S. 35. 689 Colomina 1997.2, S. 61.

223

224

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

ist, beweist ein Text von Hermann Bahr.

Herrschaft einzieht in die ausgeräumten

Der Aufsatz, um den es sich handelt, heißt

Hallen.“690

Die Moderne und stellt einen metaphernreichen Essay über die damaligen Weltan-

In diesem Text von 1890 spricht Hermann

schauungen dar:

Bahr von einer dreifachen Wahrheit des Körpers, der Gefühle und der Gedanken.691 Die-

„Die Moderne ist nur in unserem Wun-

se dreifache humane Wahrheit wiederholt

sche und sie ist draußen überall, außer

sich in der dreiteiligen architektonischen

uns. Sie ist nicht in unserem Geiste. Son-

Wahrheit der Form, des Materials und der

dern das ist die Qual und die Krankheit

Funktion. Das Zitat ist natürlich vor allem

des Jahrhunderts, die fieberische und

im Rahmen der Ornament- und Stildebatte

schnaubende, daß das Leben dem Geis-

zu verorten und als Kritik am Historismus

te entronnen ist. Das Leben hat sich ge-

zu lesen. An dieser Stelle ist es aber für die-

wandelt, bis in den letzten Grund, und

se Untersuchung erstaunlich, wie Bahrs Mög-

wandelt sich immer noch aufs neue, alle

lichkeit eines Weges in die Moderne ausfällt.

Tage, rastlos und unstät. Aber der Geist

So spricht er davon, dass die Moderne außer-

blieb alt und starr und regte sich nicht

halb des Menschen schon längst in der Welt

und bewegte sich nicht / und nun leidet

angelangt wäre, nur der Geist, das heißt die

er hilflos, weil er einsam ist und verlas-

innerliche Wahrnehmung sei bisher der Ent-

sen vom Leben. Darum haben wir die

wicklung hinterhergehinkt. Als Lösung plä-

Einheit verloren und sind in die Lüge ge-

diert er für eine Öffnung (der Sinne und Ner-

raten. In uns wuchert die Vergangenheit

ven) und spricht vom Licht, das sprechender

noch immer und um uns wächst die Zu-

Weise in die „ausgeräumten Hallen einzie-

kunft. Da kann kein Frieden sein, son-

hen“ solle. Jene Hallen sind zu allererst

dern nur Haß und Zwietracht, feindselig

natürlich mit den Körpern und der Gedan-

und voll Gewalt­that […] Wir wollen wahr

kenwelt der Menschen gleichzusetzen. Durch

werden. Wir wollen gehorchen dem äu-

eine Hingabe vor allem aller Wahrnehmungs-

ßeren Gebote und der inneren Sehnsucht.

organe konstituiere sich eine moderne Welt

Wir wollen werden, was unsere Umwelt

und folglich sind die Hallen auch als tatsäch-

geworden. Wir wollen die faule Vergan-

liche Architekturen zu verstehen, für deren

genheit von uns abschütteln, die, lange

weltoffene Rezeption Bahr plädiert. Genau

verblüht, unsere Seelen in fahlem Laube

solch eine von ‚Geschichte‘ befreite Archi-

erstickt. Gegenwart wollen wir sein. […]

tektur präsentiert sich im Sanatorium

Wir wollen die Fenster öffnen, daß die

­P urkersdorf.

Sonne zu uns komme, die blühende Son-

Dieses Zitat Hermann Bahrs, der engen

ne des Mai. Wir wollen alle Sinne und

Kontakt zu den Wiener Secessionisten pfleg-

Nerven aufthun, gierig, und lauschen und

te, zeigt, wie sehr eine Verquickung von Ich,

lauschen. Und mit Jubel und Ehrfurcht wollen wir das Licht grüßen, das zur

690 Bahr 2004 (1890.1), S. 12f. 691 Bahr 2004 (1890.1), S. 14.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

dessen Wahrnehmung und den Formen der

Jahren aber plötzlich drei neue Auflagen

Außenwelt Moderne konstituierend verstan-

erfahren hat, ist wohl das Buch, das un-

den wurde. Es lässt sich vermuten, dass dem

ser Gefühl der Welt, die Lebensstimmung

Sanatorium Purkersdorf demzufolge eine

der neuen Generation auf das größte

Bau-Ikonografie eigen ist, die ihre Inhalte

­ausspricht.“694

über den menschlichen Körper und seine Apperzeptionen erörtert. Um jene Annahme

Aber auch die direkte Rezeption der

jedoch überprüfen zu können, soll zunächst

Mach’schen Theorien stand den Wienern

das ‚Ich‘ des Sanatoriums Purkersdorf näher

damals im Rahmen der Mach’schen Vorlesun-

definiert werden.

gen an der Universität Wien offen.695 Ernst Mach696 vereint in seiner Publikation nach

„Das unrettbare Ich“ – Paradigma einer Generation zwischen Weltuntergangs- und Aufbruchsstimmung

Gereon Wolters sinnesphysiologische mit ­psychologischen und philosophischen Aspekten.697 Die Suche nach einer neu orientierenden Sicht für das schaffende Ich durchzog

Die ursprüngliche Begriffsprägung des unrett-

damals ebenso alle Zweige der Kunst und

baren Ichs von Ernst Mach, formuliert in

formte immer neue Gruppen oder Gemein-

seiner Publikation Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen692, verbreitet Hermann Bahr im Kreis der Secessionisten und der Autoren des Jung-Wien insbesondere mittels eines Textes aus dem Jahr 1904, den er, Ernst Machs Theorie referierend, mit dem Titel Das unrettbare Ich versieht.693 Die Bahr’schen Aufsätze Das unrettbare Ich und Impressionismus sind wiederum neben anderen Texten unter dem Titel Dialog vom Tragischen zusammengefasst. Bahr erklärt ferner in dem Abschnitt zum Impressionismus: „Seine [Machs; LT] ‚Analyse der Empfindungen‘, die erst fünfzehn Jahre lang unbemerkt gelegen ist, in den letzten zwei

692 Mach 1987 (1922), S. 20. 693 Bahr 2010 (1904.1), S. 36–46. Laut Jutta Müller-Tamm rezipierte Hermann Bahr die vierte Auflage der Analyse der Empfindungen von 1903. (Müller-Tamm 2005, S. 53, Fußnote 86.)

694 Bahr 2010 (1904.2), S. 53. Siehe dazu Müller-Tamm 2005, S. 56 und Munz 2008, S. 110f. 695 Brandl 2010, S. 84f. 696 Ernst Mach wurde am 18. Februar 1838 bei Brünn geboren und nahm 1855 sein Studium der Mathematik und Physik an der Universität Wien auf. 1860 schloss er dieses mit der Promotion in Physik ab und bereits 1861 folgte die Habilitation. Es schlossen sich Professuren in Graz und Prag an und ab 1895 unterrichtete er auf dem Lehrstuhl für Philosophie, insbesondere Geschichte und Theorie der induktiven Wissenschaften an der Universität Wien. 1886 erschien die erste Auflage von Die Analyse der Empfindungen, damals noch unter dem Titel Beiträge zur Analyse der Empfindungen. Ab der zweiten Auflage im Jahre 1900 wurde das Buch ökonomisch betrachtet zu einem Erfolg, daher folgten 1902, 1903, 1906, 1911, 1918, 1919 und 1922 weitere Auflagen. Ab der zweiten Auflage lautete der Titel zum Teil gekürzt und ebenso in seiner Aussage präzisiert Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen. Auch der Umfang der Arbeit war von der ersten zur zweiten Auflage fast auf das Doppelte angestiegen. Machs Analyse wurde ins Englische, Italienische, Japanische, Russische, Spanische und Ungarische übersetzt. (Vergleiche dazu Wolters 1987, S. IX und XXIIf.) 697 Wolters 1987, S. XII. Vergleiche zur Position Machs auch Brandl 2010, S. 85f.

225

226

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

schaften von Gesinnungsgenossen. Sowohl

„Eines scheidet die Moderne von aller Ver-

die Künstler der Secession als auch die Auto-

gangenheit und gibt ihr den besonderen

ren des Jung-Wien strebten ein Kunstverständ-

Charakter: die Erkenntnis von dem ewi-

nis an, das selbst als Ornament zu bezeichnen

gen Werden und Vergehen aller Dinge, in

ist. Kunst wurde zum Religionsersatz und dien-

unaufhaltsamer Flucht und die Einsicht

te zur Idealisierung der eigenen Realität.

698

in den Zusammenhang aller Dinge, in die

Hermann Bahr vertrat nach Johann Dvorák

Abhängigkeit des einen vom anderen in

die These, dass die Kunst keine langsame Ent-

der unendlichen Kette des Bestehenden.

wicklung vollziehe, sondern nur aufgrund von

Das ist die köstlichste Errungenschaft der

konsequenter Abwendung vom bis dahin Gül-

Zeit und ihr stolzester Erwerb aus so viel

tigen und durch eine Radikalität des Fort-

rastloser Arbeit. Das ist die erste große

schritts regelrecht voran springe.699 Bahr

Annäherung an die Wahrheit gewesen,

spricht sich gegen ein allgemeines Kunstge-

daß sich die Erde bewege; und daß es

schichtsbild aus, das sich aufgrund von Kau-

überhaupt nichts gibt, als überall nur

salitäten von Ökonomie und Soziologie line-

­Bewegung ohne Unterlaß, ein ewiger Fluß,

ar weiterentwickelt. Dieser Position stand

eine unendliche Entwicklung, in der

Adolf Loos diametral entgegen. Wie bereits in

nichts stillsteht und keine Vergangenheit

dieser Arbeit erläutert wurde, verfolgte Loos

jemals Gegenwart wird, das ist die

vielmehr ein evolutionistisches Kunstideal. In

­zweite.“703

diesen Kontext setzt Bahr auch die Künstler, die er als „selbst tätige Individuen“700 typisiert.

Bahr beschreibt an dieser Stelle verklausu-

Bei Bahr sind es die Künstler, die eine Ent-

liert die nötige Abkehr vom Historismus, da

sprechung ihrer Kunst in den ökonomischen

seiner Ansicht nach Vergangenes niemals

Prozessen einer Gesellschaft finden, und nicht

der zeitgemäße Ausdruck der Gegenwart

umgekehrt.

In diesem Bild des durch das

sein kann. Bedenkt man jedoch das stetige

Individuum fortschreitenden Kunsttreibens –

Fließen, das Bahr schon allein durch die Erd-

es lässt sich vermuten, dass Bahr sich an Alo-

rotation begründet sieht, wird offensichtlich,

is Riegls Theorie des Kunstwollens orientier-

dass nur dann etwas als „modern“ zu

te

bezeichnen ist, wenn es sich in Bewegung

702

701

– sieht er die Moderne abgebildet:

und Entwicklung befindet. Sobald etwas 698 Dvorák 2003, S. 197. 699 Dvorák 2003, S. 201. 700 Dvorák 2003, S. 201. 701 Dvorák 2003, S. 201. 702 Das Kunstwollen nach Alois Riegl stärkt vielmehr die Vorstellung einer durch die künstlerische Gestaltung entstehenden Kunst. Sich gegen Gottfried Sempers Theorie stellend, dass äußere Umstände – wie zum Beispiel das Material – formgebend für die Entwicklung einer Epoche seien, betont Riegl die Relevanz der „Sicht eines Subjekts“ für die Entstehung von Kunst. (Vergleiche dazu C. M.: Kunstwollen, in: Lexikon Der Ästhe-

abgeschlossen wird, scheint es auch schon durch die „unaufhaltsame Flucht“ wieder überwunden. Natürlich hat sich nicht nur

703

tik, ²2004, S. 220. und W. H.: Kunstwollen, in: Metzler Lexikon Ästhetik 2006, S. 228f. Wie dadurch wiederum Semper von Riegl zu Unrecht auf einen „Kunstmaterialisten“ reduziert wird, betont Kruft 1995, S. 361.) Bahrs Aufsatz Zur Kritik der Moderne zitiert nach Dvorák 2003, S. 202f.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Hermann Bahr damals an den Zusammen-

Bahr – ähnlich wie Riegl im Falle seines Auf-

hängen vom Entstehen und Werden von

satzes Die Stimmung als Inhalt der moder-

Kunst abgearbeitet. Auch Franz Wickhoff,

nen Kunst – in der Natur beginnen. Auf den

Professor an der Universität Wien und Kus-

täglichen Spaziergängen mit seinem Vater,

tos des Österreichischen Museums für Kunst

die sie als landschaftlichem Höhepunkt auch

und Industrie, beschäftigte sich im Rahmen

auf den Freinberg unternehmen,707 gerät er

seiner kunstgeschichtlichen Forschungen

eines Tages in einen Konflikt. Über den Son-

zum Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Ver-

nenuntergang und die Frage wohin die Son-

hältnis von Kunst und Zeit. Er sah in der

ne denn falle, kann der ‚kleine‘ Hermann

Veränderung das Hauptuntersuchungssujet

Bahr seinem Vater und seinen Erklärungen

eines Kunsthistorikers und untermauerte

darüber, dass die Erde sich um die Sonne

damit eine historisch-kritische Kunstge-

drehe, nicht mehr folgen. Seine eigene Wahr-

schichte. Der Grund für diese Betrachtun-

nehmung708 oder Anschauung verbietet es

gen wird im Allgemeinen den Diskussionen

ihm, den Erläuterungen seines Vaters Glau-

und Entwicklungen der Zeit Wickhoffs zuge-

ben zu schenken.

rechnet. So sieht man in der modernen Male-

Im Zusammenhang mit der Wahrnehmung

rei – Wickhoff war ein Verteidiger Klimts im

ist es bezeichnend, dass Sabina Becker und

Falle der Gemälde für den Festsaal der Uni-

Barbara Korte vom 19. Jahrhundert als dem

versität und sprach in diesem Zusammen-

„Jahrhundert des Auges“ sprechen und eine

hang von einem eigenen „Empfindungsle-

Entwicklungslinie von John Ruskin – der den

ben“ der Moderne

– ein inspirierendes

Sehsinn über den Hörsinn klassierte – über

Element für seine Thesen.705 Ein weiteres

das Biedermeier – das dazu geführt habe,

mögliches Indiz für jene Mutmaßung ist die

dass man glaubte „über das Erfassen des

Mitarbeit seines Schülers H. Dollmayr an

äußeren Erscheinungsbildes das Wesen der

der Secessionszeitschrift Ver Sacrum, die er

Dinge benennen [zu] könne[n]“ – bis hin zu

deutlich zu begrüßen schien. Das Motto der

Ernst Mach – der das Phänomen auf folgen-

Secessionisten Der Zeit ihre Kunst, der

den Satz zusammenspitzte: „Verändern Sie

Kunst ihre Freiheit bekommt damit ein

das Auge des Menschen, und Sie verändern

­weitaus solideres Standbein im Wien des

seine Weltanschauung“ – zeichnen.709

704

Fin de siècle.706 An diesem Punkt auf Hermann Bahrs Aufsatz zum unrettbaren Ich zurückkehrend,

Jener Konflikt des jungen Hermann Bahrs führt weiterhin zu einer grundlegenden Verunsicherung auch als Gymnasiast:

gelangt man unweigerlich auf seine darin beschriebene mehrjährige Suche nach einer Erklärung für einen Konflikt zwischen ihm und seinem Vater. Seine Geschichte lässt 704 Siehe dazu Kandel 2012, S. 133–136 und S. 449f. 705 Kalavrezou-Maxeiner 1984, S. 19f. 706 Kalavrezou-Maxeiner 1984, S. 20.

707 Bahr 2010 (1904.1), S. 36. 708 Der Begriff der Wahrnehmung ist auch ein zen­ traler Topos bei Ernst Machs Analyse der Empfindungen. Vergleiche dazu Mach 1987 (1922), S.  14–16. Vergleiche zum Wahrnehmungsbegriff bei Ernst Mach Brandl 2010, S. 87–90. 709 Vergleiche dazu Becker und Korte 2011, S. 5–8.

227

228

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

„Ich konnte alles beweisen und glaubte ei-

eine neue konkrete Suche nach Antworten.

gentlich gar nichts: denn in mir hatte sich

Dieses Zitat des antiken Autors beherrschte

festgesetzt, daß in den Anfängen der Din-

Hermann Bahrs Denken und führte ihn

ge alles unsicher und voll Lüge, daß es

schließlich zu den Untersuchungen Machs.

aber bequemer, um mit den Lehrern fertig

Bei einer gleichzeitigen Verschreibung an

zu werden, und schicklicher war, so zu

das Gefühl als Beweisgrundlage und einer

tun, als glaube man daran. Dies wurde mir

damit gleichzusetzenden Absage an die Ver-

so geläufig, daß ich spielend alles in mich

nunft, geriet Bahr in Erklärungsnot; bisher

aufnehmen konnte, ohne davon im Inne-

war ja die eigene Anschauung, demnach auch

ren behelligt oder auch nur berührt zu wer-

das eigene Ich, sein einziger Zugang zum

den, weshalb ich denn von allen Lehrern

„wahren Weltverständnis“ gewesen und nun

als ein vorzüglicher Schüler gepriesen wur-

wurde ihm vermittelt, das Ich sei nichts

de, die nicht ahnten, wie ihre ganze Weis-

Beständiges mehr.712 Die Entdeckung der

heit an mir abrann. […] Nur hatte ich mir

Analyse der Empfindungen wird für Bahr zu

allmählich angewöhnt, überall zwei Wahr-

einem erlösenden Moment:

heiten anzunehmen: eine mir evidente, die sich gar nicht erst zu rechtfertigen hatte,

„Hier [in den Analysen der Empfindun-

die mit mir auf die Welt gekommen war,

gen; LT] habe ich ausgesprochen gefun-

mit der und von der ich lebte, und eine

den, was mich die ganzen drei Jahre [seit

zweite für die Schule, die sich wunder-

dem Lesen des Ausdrucks beim Herakles

schön beweisen ließ, die mir das größte

des Euripides; LT] her gequält. ‚Das Ich

Vergnügen machte, der ich jedoch sozusa-

ist unrettbar.‘ Es ist nur ein Name. Es ist

gen nicht über die ­Gasse traute.“

nur eine Illusion. Es ist ein Behelf, den

710

wir praktisch brauchen, um unsere VorAuf diese Zeit der zweifachen Wahrheit –

stellungen zu ordnen. Es gibt nichts als

einer individuellen und einer gesellschaftlich

Verbindungen von Farben, Tönen, Wär-

konformen – folgend, beschreibt Bahr eine

men, Drücken, Räumen, Zeiten, und an

Art von Befreiungsmoment oder vielleicht

diese Verknüpfungen sind Stimmungen,

sogar Ritus. Nach einer Phase des sich „vom

Gefühle und Willen gebunden. Alles ist

Gewühl durch die glänzenden Gassen trei-

in ewiger Veränderung. Wenn wir von

ben, wie von einem Strome getragen“

,

Kontinuität oder Beständigkeit sprechen,

beginnt mit dem Lesen des Ausspruchs im

so ist es nur, weil manche Änderung lang-

Herakles des Euripides „Er war nicht mehr

samer geschieht. Die Welt wird unabläs-

derselbe!“ einer Initiationszündung gleich

sig und indem sie wird, vernichtet sie sich

711

unablässig. Es gibt aber nichts als dieses 710 Bahr 2010 (1904.1), S. 39f. 711 Bahr 2010 (1904.1), S. 42. Des Weiteren heißt es an jener Stelle: „So bummelte ich mich durch, bis ich in einer tiefen süßen Müdigkeit kaum mehr nach Hause fand.“ Bahr bezieht sich hier vermutlich auf die literarische Figur des Flaneurs.

Werden. Es gibt kein Ding, das zurückbleiben würde, wenn man die Farben,

712 Bahr 2010 (1904.1), S. 42f.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Töne, Wärmen von ihm abzieht. Das Ding

der modernen Kunst, denn nicht nur die

ist nichts außer dem Zusammenhange der

moderne Kunst und deren Entwicklung im

Farben, Töne, Wärmen. Nur um uns vor-

Rahmen der Zeit unterzieht sich einem stän-

läufig zu orientieren, sprechen wir von

digen Wandel, sondern auch der individuel-

‚Körpern‘ und sprechen vom ‚Ich‘, von Er-

le Künstler oder vielmehr jeder Einzelne ver-

scheinung und von Empfindung, die sich

körpert eine andauernde Unruhe. Die

doch niemals trennen lassen, sondern so-

Grenzen des Ichs werden von Bahr ange-

gleich zusammenrinnen.“

zweifelt und ein Individuum wird nur über

713

andere definierbar. Bahr sieht in seiner AnaDas Originalzitat Machs, auf das sich Bahr

lyse aber kein negativ gezeichnetes Bild, son-

hier definitiv bezieht, lautet wie folgt:

dern erhofft sich aus der Metapher des unrettbaren Ichs eine Möglichkeit für größe-

„Farben, Töne, Wärmen, Drücke, Räume,

re Toleranz unter den Individuen.716 Auch in

Zeiten u.s.w. sind in mannigfaltiger Wei-

diesem Punkt folgt Bahr Ernst Mach, der

se miteinander verknüpft, und an diesel-

laut Brandl aus seiner Analyse der Empfin-

ben sind Stimmungen, Gefühle und Wil-

dungen die Moral zieht, dass es genauso gilt

len gebunden. Aus diesem Gewebe tritt

„das Fremde Ich nicht zu missachten und

das relativ Festere und Beständigere her-

das eigene weniger zu überschätzen“.717

vor, es prägt sich dem Gedächtnisse ein,

Neben dieser Rücksicht entsteht aber auch

und drückt sich in der Sprache aus. Als

ein Bild von ständig vergehenden Welten.

relativ beständiger zeigen sich zunächst

Ein Bewusstsein für Neues aber auch Altes

räumlich und zeitlich (funktional) ver-

tritt in diesem Denken klar an die Oberflä-

knüpfte Komplexe von Farben, Tönen,

che. Neben der Gewissheit, am Ende eines

Drücken u.s.w., die deshalb besondere Na-

Jahrhunderts zu stehen, tritt die Freude über

men erhalten, und als Körper bezeichnet

den Neuanfang des nächsten, des 20. Jahr-

werden. Absolut beständig sind solche

hunderts. Das Fin de siècle wird immer in

Komplexe keineswegs.“

Bezug auf das Commencement de siècle

714

gefasst und so erklären sich auch tiefergeFarben, Töne etc. sind als Elemente zu defi-

hend die diversen Nennungen der zukunfts-

nieren, die man auch als Körper bezeichnen

weisenden Vorbildrolle des Sanatoriums

könnte, während Stimmungen, Gefühle und

­Purkersdorf.

Willen als psychische Elemente von Mach aufgefasst werden.

715

Es ergibt sich daraus für die Thematik der Architekturauffassung Josef Hoffmanns und

Daher geht Bahr in diesem Essay auch

insbesondere für das Sanatorium Purkers-

noch einen Schritt weiter als in seiner Kritik

dorf das Faktum, dass Hoffmann nicht für persönliche Charakterzüge eines Auftragge-

713 Bahr 2010 (1904.1), S. 45f. 714 Mach 1987 (1922), S. 1f. 715 Vergleiche dazu Czaja 1993, S. 142–147 und Müller-Tamm 2005, S. 54–65.

bers das Sanatorium Purkersdorf schuf, 716 Bahr 2010 (1904.1), S. 45–47. 717 Brandl 2010, S. 90.

229

230

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

sondern im Sinne einer übergeordneten ­

einer Rahmung für das unrettbare Ich ver-

Ästhetik ein Gesamtkunstwerk erarbeitete.

wirklichte. Man beauftragte Josef Hoffmann

Diesen Umstand umschreibt indirekt gerade

im Falle des Sanatoriums Purkersdorf nicht,

eine Polemik Adolf Loos’. Auf wen genau

um sich auf die eigenen Bedürfnisse eine

sich die Satire bezieht ist sich die Forschung

Wohnung oder ein Haus schneidern zu las-

nicht einig. Es werden ebenso Henry van de

sen. Vielmehr reihte man sich in eine Mode

Velde, Joseph Maria Olbrich als auch Josef

oder aktuelle Bewegung ein, die von Künst-

Hoffmann als Angegriffene identifiziert.

718

lern und ihren individuellen Brüchen oder

Die Fabel Von einem armen reichen Manne

Anschauungen bestimmt wurde. Dolf Stern-

von 1900 karikiert die Planung aller Details

berger typisiert einige der Stilkünstler des

einer Villa durch den Architekten. Loos

Fin de siècle und des Commencement de

überspitzt seinen Angriff, indem er die Pla-

siècle, darunter auch Otto Wagner und Josef

nung des Architekten zum menschenfeind-

Hoffmann, als „Wollende und Handelnde“

lichen Umfeld stilisiert, das alle Freiheiten

und nicht im Gegensatz dazu als „Handlan-

einschränke. So werde ein Verbot für wei-

ger ihrer Auftraggeber“.720 Adolf Loos stell-

tere Geburtstagsgeschenke ausgesprochen,

te sich zunächst oberflächlich betrachtet

da diese ja nicht in das geschaffene Interieur

gegen diese Symbiose von Architektur und

passen könnten. Des Weiteren bemerkt der

Angewandter Kunst. Es soll zum Ende die-

Architekt die von ihm entworfenen Haus-

ser Arbeit daher die zusammenfassende Fra-

schuhe, die der Hausherr seiner Ansicht

ge nach dem Gesamtkunstwerk und seinen

nach jedoch im falschen Raum des Hauses

Graden der Totalität bei Hoffmann als auch

trägt. So legt Loos dem Architekten folgen-

bei Loos nachgegangen werden. Der Sinn

de Worte in den Mund: „Sie [der arme rei-

des Gesamtkunstwerkes ist es, im Moment

che Mann; LT] aber zerreißen mit diesen

seiner Fertigstellung eine Einheit zu bilden,

zwei unmöglichen Farbflecken die ganze

die durch Änderungen und Zutaten nur ver-

Stimmung. Sehen Sie denn das gar nicht

fälscht würde. Der erzieherische Charakter,

ein.“ Die Konsequenz und das Ende sei die

der von solchen Gedankenkonstrukten und

Vertreibung des Hausherrn aus seinem eige-

Gebäuden ausgehen sollte, wird deutlich,

nen Heim.

wenn man die Bitterkeit heraushört, mit der

719

Übersieht man zunächst ein-

mal den rhetorisch fein gesetzten sarkasti-

Hoffmann auf Amerika blickt:

schen Ton Adolf Loos’, wird selbst anhand dieser Geschichte offensichtlich, wenn man

„In Amerika gibt es heute schon einige

sie als auf die Arbeit Hoffmanns anspielend

Schulen, die sich die Aufgabe stellen, die

versteht, dass Hoffmann nicht für einzelne

Jugend für ein behagliches Zusammenle-

Persönlichkeiten das räumliche und soziale

ben und Wohnen zu unterrichten und auf

Umfeld eines Sanatoriums schuf, sondern

alle Dinge, die dies ermöglichen, hinzu-

vielmehr eine Idealvorstellung im Sinne

weisen. Sie haben durchaus einen unge-

718 719

Vergleiche dazu Hodonyi 2010, S. 127 und S. 140. Adolf Loos zitiert nach Prokop 2003, S. 302–307.

720 Sternberger 1977, S. 14.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

ahnten Einfluß auf die Charakterbildung

Ein Auftrag wie das Sanatorium Purkersdorf

des Schülers gewonnen. Korrektheit, Rein-

eignete sich in idealer Weise zur Verwirkli-

lichkeit, Aufrichtigkeit, Pflichtbewusst-

chung solch einer Auffassung von zeitgemä-

sein, Schönheitssinn sind dort neben den

ßer Kunst, da es sich in diesem Fall um eine

gewohnten Lehrtätigkeiten die wichtigs-

ständig wechselnde Bewohnerschaft des

ten Gegenstände des Unterrichts. […] Der

Gebäudes handelte. Erst in diesem Zusam-

Lehrer mehr ein Innenarchitekt als Päd-

menhang offenbart sich die strenge Begriff-

agoge ist dort ein Kulturträger ersten Ran-

lichkeit von Zweck und Funktion, die immer

ges, wie er es vor hundert Jahren auch im-

wieder von Otto Wagner und seinen Schü-

mer war und der nicht nach Vorschriften

lern postuliert wurde. Nicht die Wünsche

sondern mit seinen eigenen Fähigkeiten

eines Auftraggebers oder einer Kundschaft

in eigenartiger Weise sich auszuwirken in

formten den konstruierten Kosmos des Sana-

der Lage ist. Er besitzt daher auf seine

toriums, denn diese schufen nur die groben

Schüler lebenslangen Einfluß im besten

Parameter mit denen Hoffmann umgehen

Sinne des Wortes.“

musste. Die Funktion und der Betrieb einer

721

Kuranstalt durchströmten vielmehr alle Dieses Bild einer Utopie, das, wie Sekler

Bestandteile des Sanatoriums und entindivi-

schon betonte, nicht allzu sehr mit der Rea-

dualisierten es zugleich, indem dem nervö-

lität verbunden war,

veranschaulicht, wie

sen, modernen und unrettbaren Ich die ihm

viel Hoffmann an seiner Idee des Gesamt-

notwendige verfestigende und Emotionen

kunstwerkes gelegen war und welche Impli-

regulierende architektonische Rahmung ver-

kationen er damit verband. Ein vollkommen

liehen wurde. Diese These untermauert ein

kontrastierendes Bild zeichnet er dagegen

Zitat Josef Hoffmanns:

722

von seinem eigenen Kulturbereich: „[…] es fehlt den meisten Entwurfskünst„Seht euch eure erbärmlichen Schulräu-

lern nicht so sehr an Talent, als an Cha-

me an, eure Schulbänke und überhaupt

rakter und dem nötigen Halt. Ich verste-

alles, womit euch die Vorschrift umgibt.

he darunter die Nachgiebigkeit gegenüber

Sprecht mit euren Eltern, die in der fal-

seinen und seines Bestellers Launen und

schen Tradition aufgewachsen sind, und

falschen Empfindungen, das Stimmung-

hört ihre Ansichten. Man muß staunen,

machen in Räumen des täglichen Lebens

wie lieblos sie denken, und wie sie alles

und das falsche Pathos dort, wo wir nach

zu ersticken trachten, was euch zu einem

Natürlichkeit lechzen sollten“724.

besseren Menschen machen könnte.“723 Das Bild des Künstlers als eines Kultur- und Gesellschaftserziehers, der sich aber immer 721 Josef Hoffmann zitiert nach Sekler 1986, S. 133f. 722 Sekler 1986, S. 134. 723 Josef Hoffmann zitiert nach Zuckerkandl 1904, S. 2.

wieder selbst zu disziplinieren hat, wird abso724 Hoffmann 1901, S. 202f. Vergleiche zu diesem Zitat diese Arbeit auf S. 21f.

231

232

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

lut gezeichnet. Deutlich wird, dass das unrett-

Das Sanatorium Purkersdorf verkörpert in

bare Ich auch als Verunsicherung wahrge-

all seinen Bestandteilen das Konzept der

nommen und eine strenge Orientierungsfigur

Gesundheit und Genesung von nervösen

im Architekten gezeichnet wurde. So heißt

Erkrankungen und ihm war jede Zuschnei-

es bei Bahr als Möglichkeit für den Umgang

dung auf ein einzelnes Individuum fremd.

mit dieser unheimlichen Vorstellung:

Wie wichtig damals jeder einzelne wahrgenommene Gegenstand durch den Kurenden

„Das Ich ist unrettbar. Die Vernunft hat

für die Konstituierung einer Rekonvaleszenz

die alten Götter umgestürzt und unsere

günstigen, lenkenden Stimmung war, zeigt

Erde entthront. Nun droht sie, auch uns

die Theorie Ernst Machs, die die Literatur-

zu vernichten. Da werden wir erkennen,

wissenschaftlerin Brandl treffend zusammen-

daß das Element unseres Lebens nicht die

gefasst hat: „Wenn Dinge der Welt ‚da drau-

Wahrheit ist, sondern die Illusion. Für

ßen‘ die eigenen Empfindungen sind, so hört

mich gilt, nicht was wahr ist, sondern was

das Recht, diese Dinge zum eigenen Ich zu

ich brauche, und so geht die Sonne

zählen, nirgends auf.“727 Diese Interpretati-

­dennoch auf, die Erde ist wirklich und

on wird noch untermauert durch die Aus­s age

Ich bin Ich.“

Dagobert Peches, einem engen Mitarbeiter

725

Josef Hoffmanns in der Wiener Werkstätte: Der Zweck beziehungsweise die architektonische Klammer für den so auf ein ästhetisch

„Alle Gegenstände und natürlich auch

durchdekliniertes Umfeld reduzierten Pati-

der Raum, jede Form, jedes Ornament re-

enten wurde ausschlaggebend. Oskar Strnad

deten, wenn man so sagen kann, eine her-

teilt die Eigenschaften des Zwecks in einem

rische Sprache. Die Menschen, welche

Text von 1932 in zwei Komponenten: in

sich mit ihnen umgaben, waren diesem

einen durch Vernunft geprägten Part und in

allem untertänig, sie mußten sie anerken-

einen seelischen Teil. Der zweite Teil

nen, wenn sie dieselben auch gar nicht

bestimmt seiner Ansicht nach das Bauen, da

verstehen konnten […]. Josef Hoffmann

sich nur Seelisches in Harmonie verwandeln

hat es verschmäht, sein Werk zu erklä-

lässt.

Weiterhin stellt er Vernunft und Har-

ren, er hat es beabsichtigt oder bevorzugt,

monie als Gegensatzpaar auf und gibt der

sein Werk als Tatsache hinzustellen, ohne

Vernunft die Funktion des Werkzeugs.

auf die Wünsche der einzelnen Individu-

726

en einzugehen. Sein Werk ist absolutisDas Sanatorium Purkersdorf reiht sich in die

tisch in seinen Grundzügen, in seinem

Erkenntniswelt der Moderne eines Hermann

Wesen.“728

Bahrs ein und erklärt die Begeisterung, die Joseph August Lux oder Ludwig Hevesi bei

Stimmung an sich wurde von Ernst Mach inso-

einem Besuch dieser Institution empfanden.

fern definiert, als dass sie eine Verbindung aus

725 Bahr 2010 (1904.1), S. 47. 726 Strnad 2003 (1932), S. 286.

727 Brandl 2010, S. 88f. 728 Peche 2003 (1922), S. 280.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

„Empfindungen“ und „organischen Prozessen“,

in eine stückweise Wahrnehmung der Welt

die jeweils an Bewusstseinsinhalte geknüpft

auf. Gisbertz fasst dies sehr treffend zusam-

sind, darstellt.729 So heißt es bei Mach:

men, wenn sie feststellt: „Die Welt [nach Mach; LT] stellt kein Faktum dar, das von

„Sinnliche Reize können durch Erinne-

außen zu betrachten ist, sondern erscheint

rungsbilder teilweise oder ganz vertreten

nur in Gestalt stets verschiedener Blickrich-

werden. Alle im Nervensystem zurückblei-

tungen auf sie.“ Sie ist eine „Welt der offenen

benden Gedächtnisspuren wirken mit den

Horizonte“, die nur durch die Stimmung par-

Sinnesempfindungen

reflexauslösend,

tizipierbar ist.733 So bettet Mach – ähnlich

­fördernd, hemmend, modifizierend, zusam-

methodologisch vorgehend wie Riegl und

men. So entsteht die willkürliche Be­

Bahr – seine zentrale Theorie von der „Welt

wegung, welche wir als eine durch Erin-

samt [dem; LT] Ich als eine zusammenhän-

nerungen modifizierte Reflexbewegung,

gende Masse von Empfindungen“ anekdo-

wenigstens im Prinzip, begreifen können,

tisch in eine persönliche Erfahrungssequenz

soviel auch an dem Verständnis im Ein-

an einem „heitern Sommertage“ ein.734 Deut-

zelnen noch fehlen mag.“730

lich wird abermals, dass eine Verortung der theoretischen Erkenntnisse der Anschaulich-

Des Weiteren benennt Anna-Katharina Gis-

keit halber in ein wirklichkeitsnahes Umfeld

bertz die Stimmung nach Ernst Mach als eine

wie einem Sommertag vorgenommen wird.

„Mittlerfunktion“.731 Jene Stimmung als Ver-

Jenes Mach’sche Phänomen – nämlich das

mittler ergibt sich automatisch aus einem

Verbinden von Ich und Welt zu einer Masse

Ich, das sich nach Mach regelrecht demon-

– findet im Sanatorium Purkersdorf eine

tiert. Mach stellt sich deutlich gegen die car-

künstlerisch konsequente Interpretation in

tesianische Weltsicht des Cogito ergo sum

Form des rigiden Gesamtkunstwerks als ein

und zeichnet mit seiner Definition von

verfestigender Rahmen für das unrettbare

Bewusstem und Unterbewussten als Psyche

Ich. Dieses Gesamtkunstwerk ist nicht nur

und Physis – hier deutlich der Theorie Freuds

im Sinne einer konzeptionellen Gegenwehr

vom Unterbewusstem als Ort des Verdräng-

gegen das Schreckensbild eines sich auflö-

ten widersprechend – eine Weltsicht, die von

senden nervösen Ichs zu verstehen. Es ent-

„Empfindungsprozessen“ – die in den Ner-

wickelt sich aus der Wahrnehmungstheorie

venbahnen abgewickelt werden – und folg-

Machs und bedient sich der Mach’schen

lich auch durch Wahrnehmungsprozesse kon-

Stimmung, die zwischen Welt und Ich, das

stituiert wird.

heißt hier: zwischen Architektur und Patient

732

Auf diese Weise zerfällt

jedoch nicht nur das eigene Ich in einzelne Entitäten, sondern die gesamte Welt teilt sich

vermittelt. Es lässt sich nicht dogmatisch beweisen, dass Josef Hoffmann Hermann Bahrs oder

729 Gisbertz 2009, S. 54f. 730 Mach 1987 (1922), S. 141. 731 Gisbertz 2009, S. 55 und S. 70f. 732 Gisbertz 2009, S. 57–70 und S. 63.

Ernst Machs unrettbares Ich als Grund­ 733 Gisbertz 2009, S. 77. 734 Mach zitiert nach Gisbertz 2009, S. 78.

233

234

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

konzept für sein Sanatorium Purkersdorf ver-

wie schnell die Secessionisten sich fest im

anschlagte, aber durch die bekannte Zusam-

Wiener Kulturleben durch ihre Ausstellungs-

menarbeit Hoffmanns mit Bahr bei der

tätigkeit etablierten, und das sowohl Kolo-

Zeitschrift Ver Sacrum muss man davon aus-

man Moser als auch Josef Hoffmann bereits

gehen, dass beide die Arbeiten des Anderen

1899 Professuren an der Kunstgewerbeschu-

bewusst wahrnahmen und rezipierten. Ein

le in Wien erhielten. In einem Zusammen-

Austausch der Wiener Künstlergruppierun-

stehen gegen eine Vorverurteilung fand man

gen war durch ein reges Salonleben und vie-

zu Gemeinsamkeiten und Verwandtschaf-

le Kaffeehausbesuche gegeben und durch die

ten.737 So finden sich zahlreiche Beziehungen

zahllosen Treffen rund um die Secessions­

vom unrettbaren Ich Machs auch zu Hugo

tätigkeit muss eine gewisse gegenseitige

von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler.738

Vermischung ­

vorgeherrscht

So werden Machs Vorlesungen an der Uni-

der

Ideen

Keine hermetische Abriegelung,

versität Wien in den 1890er-Jahren auch von

sondern ein reges Kreisen um die verschie-

Brandl als „Treffpunkt des liberalen Bürger-

denen Kulturbereiche und Künstlergemein-

tums“ bezeichnet.739 Für Hofmannsthal galt

schaften ist für das Wien des beginnenden

wohl zum einen eine Wahrnehmung der

20. Jahrhun­ derts charakteristisch.

Theorien

haben.

735

736

Für

Machs

als

eine

destruktive,

diesen freien Austausch zwischen den diversen Kunst­kreisen spricht ebenso die schon zuvor beschriebene Frontstellung gegenüber den Etablierten, die viele wichtige Ämter in Wien besetzten. Ein hitziger Streit, wie er um die Universitätsbilder von Gustav Klimt entbrannte, beweist, in welcher Lage sich die Secessionisten und das Jung Wien befanden. Wobei man nicht vergessen darf, 735

Die zahlreichen Anekdoten, die um die Wiener Kaffeehäuser kreisen, wirken zunächst charmant fantastisch, jedoch besitzen sie einen wahren Kern. Sie stellten einen Kulturbetrieb dar und fast jedes Haus besaß seinen eigenen Künstlerkreis. So trafen sich der Siebenerclub und der Hagenerbund im Café Sperl an der Gumpendorferstraße. Reviere wurden regelrecht abgesteckt und für jeden ersichtlich demonstriert. So sprach Karl Kraus sehr bewusst zynisch von der „demolirten Literatur“ bei dem Abriss des Cafés Griensteidl, in dem sich die Gruppierung des Jungen Wien etabliert hatte, der Karl Kraus diametral mit seinen Auffassungen entgegenstand. (Vergleiche dazu Johnston 1974, S. 130–135 und AK Traum Und Wirklichkeit ²1985, S. 303.) 736 Schulte 2006, S. 81–83.

737 Schulte 2006, S. 81–83. 738 So lässt Schnitzler seine Hauptfigur Anatol, die vor allem davon geprägt ist sich in impressionistischen Einzelszenen zu verlieren, in dem gleichnamigen Stück mit seinem Freund Max folgendes Gespräch führen: „ANATOL Mir ist nämlich soeben noch etwas eingefallen. MAX Und zwar…? ANATOL Das Unbewußte! MAX Das Unbewußte? ANATOL Ich glaube nämlich an unbewußte Zustände. MAX So. ANATOL Solche Zustände können aus sich selbst heraus entstehen, sie können aber auch erzeugt werden, künstlich … durch betäubende, durch berauschende Mittel. MAX Willst du dich nicht näher erklären …? ANATOL Vergegenwärtige dir ein dämmeriges, stimmungsvolles Zimmer. MAX Dämmerig … stimmungsvoll … ich vergegenwärtige mir.“ (Schnitzler 2002.2, S. 18.) Im weiteren Verlauf schildert Anatol die Szene einer Verführung. Schnitzler komprimiert in diesem kurzen Abschnitt sowohl Machs Definition vom Unterbewussten als eine physische Reaktion auf Wahrgenommenes und stellt in deren Zusammenhang die Stimmung eines Raumes als Beispiel für jene „künstlichen Mittel“, die einen gewissen „Zustand“ herausprovozieren. (Vergleiche dazu Scheible 2002, S. 957–963.) 739 Brandl 2010, S. 84. Vergleiche dazu zum hohen und weit gefächerten Bildungsgrad der Literaten als Beweis für die enorme Vernetzung im Wiener Kulturkreis um 1900 Urmann 2008, S. 254–261.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

beunruhigende Weltsicht740, zum anderen

derndes Individuum auf.741 Gisbertz spricht

greift er jenes Bild des unrettbaren Ichs als

ebenso davon, dass Hofmannsthals Prosa

ein sich in der Umgebung verlierendes, mäan-

zumindest eine ähnliche „Subjektauflösung“ wie die des unrettbaren Ichs nach Ernst Mach aufweist.742 In diesem Sinne kann man das

740

Als Beispiel hierfür kann man ein Zitat Neuhoffs aus Hofmannsthals Prosa-Lustspiel Der Schwierige, an dem Hofmannsthal von 1909 bis 1920 arbeitete, heranziehen: „Geist und diese Menschen! Das Leben – und diese Menschen! Alle diese Menschen, die Ihnen hier begegnen, existieren ja in Wirklichkeit gar nicht mehr. Das sind ja alles nur mehr Schatten. Niemand, der sich in diesen Salons bewegt, gehört zu der wirklichen Welt, in der die geistigen Krisen des Jahrhunderts sich entscheiden.“ (Hofmannsthal 2004 (1921), S. 708.) Fast schon ironisierend und die Beschimpfungen Neuhoffs bestätigend, lässt Hofmannsthal Hans Karl (Karl Brühl) und Cresence wenige Seiten später jenen Dialog führen: „HANS KARL […] Ich bin ganz in der Stimmung. Weißt du, das ist ja meine Schwäche, daß ich so selten das Definitive vor mir sehe: aber diesmal seh’ ich’s. CRESENCE Siehst du, das ist das Gute, wenn man ein Programm hat. Da kommt ein Zusammenhang in die ganze Geschichte.“ (Hofmannsthal 2004 (1921), S. 727.) So ist das Problem des Protagonisten, Karl Brühl bzw. der Schwierige, dass er „Denken, Reden und Handeln“ nicht mehr miteinander in Einklang bringen kann. Die eigenen Ansichten, Empfindungen und Gedanken Karl Brühls werden aufgrund der Präsenz derselbigen bei den anderen Akteuren im Stück neutralisiert. Er wird handlungsunfähig und scheint hierin Parallelen zum Mann ohne Eigenschaften Robert Musils aufzuweisen. (Hofmannsthal 2004 (1921), S. 882.) Dieses Bild überspitzend, lässt Hofmannsthal Karl Brühl folgendes Telefonat mit Verständigungsproblemen führen: „HANS KARL geht ans Telephon und spricht hinein Ja, ich bin es selbst. Hier. Ja, ich bin am Apparat. Ich bleibe. Graf Brühl. Ja, selbst. […] Es entspricht doch auch meiner Empfindung. Es entspricht meiner Empfindung! Wie? Gestört? Ich habe gesagt: Es entspricht meiner Empfindung. Empfindung! Eine ganz gleichgültige Phrase! Keine Frage, eine Phrase! Ich habe eine gleichgültige Phrase gesagt! Welche? Es entspricht meiner Empfindung. Nein, ich nenne es nur eine gleichgültige Phrase, weil du es so lange nicht verstanden hast. Ja. Ja. Ja! Adieu. Schluß! […] Es gibt Menschen, mit denen sich alles kompliziert, und dabei ist das so ein exzellenter Kerl!“ (Hofmannsthal 2004 (1921), S. 683.)

Sanatorium Purkersdorf als ein Objekt seiner Zeit definieren. Josef Hoffmanns mögliche Nähe zu den Gedankenkonstrukten Hermann Bahrs wird durch eine von ihm überlieferte Aussage noch untermauert: „Die Zeit der Grenzen, Reiche und Absperrungen muss ein Ende haben. Der Mensch als Individuum zu allen Zeiten und in allen Welttheilen immer dasselbe Wesen, daher vollkommene Gleichberechtigung als Ziel.“743 Dieses Zitat, das von Sekler aus einem bis dahin unveröffentlichten Fundus des kunstgeschichtlichen Archivs des Getty Center for the History of Art and the Humanities in Los Angeles entnommen wurde, demonstriert den Mach’schen utopischen Grundgedanken. Wie sehr das Gesamtkunstwerk auch mit einem utopischen Anspruch verknüpft ist, erklärt Roger Fornoff, wenn er in seinem Buch Die Sehnsucht nach dem Gesamtkunstwerk die vier Bestandteile eines Gesamtkunstwerks wie folgt definiert: das niemals ganzheitlich umgesetzte Konzept 741 Brandl 2010, S. 85. 742 Gisbertz 2009, S. 69f. In Bezug auf Hoffmanns­ thal und seine Auseinandersetzung mit dem Konzept der Zeit und dessen Beeinflussung durch Ernst Mach, vergleiche Gisbertz 2009, S. 155f. Vergleiche abschließend zum Verhältnis von Stimmungen in der Literatur Hofmannsthals und Schnitzlers Urmann 2008, S. 261–272. 743 Josef Hoffmann hier zitiert nach Sekler 1991, S. 7.

235

236

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

eines „synästhetisch-multimedialen Kunst-

­Westend, das von Dr. Anton Löw um 1890

werks“, eine eigene Ansicht von der best-

gegründet und später von Dr. Krafft-Ebing

möglichen Zusammenführung der Künste,

mitgeleitet wurde.749 Leslie Topp spricht

eine „Weltanschauung“ und eine „Ästheti-

davon, dass Löw zusammen mit Krafft-Ebing

sche Utopie oder Erlösungsvorstellung“.744

das Sanatorium Purkersdorf 1890 gründete.

Die Patientenkartei oder vielmehr Gäste-

Des Weiteren gibt sie mehrere Quellen an,

liste bekannter und reicher Wiener Persön-

die sich gegenseitig widersprechen. 1911

lichkeiten lässt jedoch auch vermuten, dass

schreibt Ludwig Stein, der damalige Chefarzt

das Sanatorium Purkersdorf weit davon ent-

des Sanatoriums Purkersdorf, dass vor 25

fernt war, allein einer sozialen Utopie zu fol-

Jahren das Sanatorium von Löw und Krafft-

gen. Die nach Bahr vorgestellte Verwischung

Ebing gegründet worden sei. Dies würde aber

der Individuen und die dadurch erreichbare

das Gründungsdatum auf 1886 vorverlegen.

höhere Toleranz unter diesen vollzogen sich

Eine Publikation des Österreichischen Inge-

bei Josef Hoffmanns Werk wohl nur im

nieur- und Architektenvereins von 1906 geht

Moment des Gebäudes und seiner auf die

ebenso von einer Gründung Löws und Krafft-

Funktion hin geplanten Realisierung.745 Das

Ebings aus, nennt aber 1890 als Initiations-

nächste Kapitel wird die Zielgruppe der

zündung des Unternehmens. Zuletzt spricht

Kuranstalt näher umreißen.

Topp noch von fragmentarischen Unterlagen der Vorbesitzer, die das Datum 1890 bestä-

Der Auftraggeber und seine Zielgruppe

tigen würden.750 Man vermutet, dass Viktor Zuckerkandls Schwägerin Berta Zucker-

Im selben Jahr, in dem Josef Hoffmann und

kandl ihn mit Josef Hoffmann als möglichen

Koloman Moser die Wiener Werkstätte grün­

Architekten bekannt machte und eine

deten, erstand Viktor Zuckerkandl, General-

Zusammenarbeit forcierte.751 Berta Zucker-

direktor der schlesischen Eisenwerke Glei-

kandl war selbst eine Berühmtheit im Kul-

witz, 1903 die Anlage des Sanatoriums

turleben Wiens.752 Ihr Salon wurde im Wien

Westend,

das westlich vor Wien bei Purk-

des Fin de siècle zum gesellschaftlichen

ersdorf aufgrund einer besonderen Quelle

Ereignis und ihre Tätigkeit als Kulturjourna-

angesiedelt wurde.

Es handelte sich dabei

listin und Kunstkritikerin hatte ihr einen

um eine Thermalwasserquelle, die Lau-

regen Kontakt zum Kreis der Secessionisten

746

747

ra-Bründl genannt wurde.

748

Sie bildete die

Existenzgrundlage für das vorige Sanatorium

744 Fornoff 2004, S. 265f. 745 Vergleiche zum Umstand, dass das Bild des un­rettbaren Ichs auch bei Ernst Mach bereits mit einem utopischen Gesellschaftsbild verbunden ist, ­Gisbertz 2009, S. 69. 746 Lipp 2002, S. 8. 747 Hubmann 2003, S. 46. 748 Hubmann 2003, S. 18 und Toman 1996, S. 11.

749 Topp 1997, S. 416. 750 Topp 2004, S. 66 und S. 192. 751 Sekler 2003, S. 22 und Topp 2004, S. 69. 752 Berta Zuckerkandl wurde als Bertha geboren, nannte sich später wegen des zeitgemäßen Anspruchs Berta. Daher folgt die Arbeit der von Berta Zuckerkandl gewünschten Schreibweise ohne „h“. (Siehe dazu Meysels ²1984, S. 9.) Nach ihrer Heirat lautete ihr vollständiger Name Berta Szeps-Zuckerkandl; im Folgenden wird sie aber nur Berta Zuckerkandl genannt.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

eröffnet. Zu den Habitués ihres Salons gehör-

Zuckerkandls nachträglich rekonstruierte

ten Persönlichkeiten wie Arthur Schnitzler,

Memoiren des Öfteren Schwächen in den

Maurice Ravel, Hugo von Hofmannsthal,

Datierungen aufweisen. Ebenso belegt das

Hermann Bahr, Gustav Mahler, Johann

zuvor genannte Gründungsdatum des Sana-

Strauß und viele andere Wiener Berühmt-

toriums Westend ab 1890 eher die Datierung

heiten. In ihrer Autobiografie und in weite-

Johnstons als realistisch.756 Berta Zucker-

ren Biografien über Berta Zuckerkandl wird

kandl beschreibt im ersten Fall eine etwas

das Bild einer Frau gezeichnet, die regen

bizarr anmutende Szene einer von Dr. Krafft-

Anteil an der Gründung der Secession

Ebing durchgeführten Séance in ihrem

nahm.753 Auch Adolf Loos wird unter die

Salon.757 Aber der eigentlich wichtige Punkt

Gäste ihres Salons gezählt.

an dieser Szenerie ist der Umstand, dass Ber-

754

Neben der Annahme, dass Berta Zucker-

ta Zuckerkandl bereits 1888/89 Kontakt zu

kandl sich als Vermittlerin zwischen ihrem

dem Arzt des zukünftigen Sanatoriums Wes-

Schwager Viktor Zuckerkandl und Josef Hoff-

tend pflegte. Im zweiten Fall berichtet Berta

mann verantwortlich zeigt, lässt sich weiter-

Zuckerkandl von der Bitte Dr. Krafft-Ebings,

hin auch vermuten, dass Viktor Zuckerkandl

ihm bei der Suche nach einem geeigneten

durch die weitreichenden Beziehungen seiner

Sanatorium für seine Arbeiten behilflich zu

Schwägerin von der Existenz des Sanatori-

sein. Sie behauptet des Weiteren, dass sie ihm

ums Westend bei Purkersdorf erfuhr. Einen

eine etwas veraltete Anstalt im Wienerwald

Beleg dafür scheinen zwei Auszüge aus ihren

vermitteln könne,758 womit eigentlich nur das

Autobiografien Ich erlebte fünfzig Jahre Welt-

Sanatorium Westend gemeint sein kann, da

geschichte und Österreich intim zu geben.

dies das einzige bekannte Sanatorium ist, in

Die Protagonisten dieser Episoden sind

dem Dr. Krafft-Ebing während seiner Wiener

jeweils Berta Zuckerkandl und Dr. Krafft-

Zeit praktizierte. Berta Zuckerkandls Über-

Ebing, der laut Berta gemeinsam mit ihrem

lieferungen sind aus verschiedenen Gründen

Ehemann Emil Zuckerkandl 1888 nach Wien

stets kritisch zu hinterfragen. Der Umstand,

berufen wurde. Emil Zuckerkandl hatte end-

dass sie ihre Lebensgeschichte in Form von

lich eine Anstellung als Anatomieprofessor

Tagebüchern veröffentlichte, die sie nachträg-

an der Wiener Universität erhalten

und Dr.

lich aus ihren Erinnerungen rekonstruierte,

Krafft-Ebing war zur Behandlung des labilen

verursachte einige Verschiebungen in den

Kronprinzen Rudolf von Graz nach Wien

Datierungen. Demnach lässt sich schließen,

beordert worden. William Johnston gibt das

dass die angegebenen Daten ungenau oder

Jahr 1889 für die Ankunft Dr. Krafft-Ebings

nicht ganz korrekt gesetzt sind, jedoch kann

in Wien an. Johnstons Ausführungen muss

man den groben Abläufen vermutlich

755

mehr Glauben geschenkt werden, da Berta

753 Meysels ²1984, S. 77-83 und Zuckerkandl 1970, S. 31–37. 754 Schiferer 1985, S. 86. 755 Lipp 2002, S. 6.

756 Johnston 1974, S. 239f. 757 Szeps-Zuckerkandl 1939, S. 165f. Eric Kandel gibt Dr. Krafft-Ebing zumindest als Gast von Berta Zuckerkandls Salon an. (Kandel 2012, S. 53.) 758 Zuckerkandl 1970, S. 52–55.

237

238

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

­Vertrauen schenken; auch wenn es sich dabei

ihren implizierten Anforderungen an eine

stets um eine subjektive Schilderung der

ökonomische Nutzung erprobten Josef Hoff-

Geschehnisse handeln muss. Der Familie

mann.

Zuckerkandl war somit vermutlich das

Die Zielgruppe wird auch von Axel Hub-

Grundstück des Sanatoriums Westend schon

mann indirekt umschrieben, wenn er von

circa zehn Jahre vor seiner Erwerbung durch

einer „Kuranstalt höchster Ansprüche in

Viktor Zuckerkandl bekannt.

Bezug auf Komfort und Luxus“ spricht.760

Die Auftragsvergabe muss sehr schnell

Zunächst fällt die Deklarierung als Kuran-

erfolgt sein, da Axel Hubmann, der ehema-

stalt auf. Ein Erholungsheim wurde ange-

lige Landeskonservator von Niederöster-

strebt und nicht etwa eine Heilanstalt, die

reich, in seinem Aufsatz über die Bau- und

sich der Gesundung einer spezifischen

Restaurierungsgeschichte des Sanatoriums

Krankheit verschrieben hatte. Das Sanatori-

davon spricht, dass bereits bei der Gründung

um sollte vielmehr Abwechslung zum Stadt-

der Wiener Werkstätte Josef Hoffmann an

leben bieten und mit dem gewohnten Kom-

der Planung des Sanatoriums arbeitete.

759

fort der Großstadt den Genuss von Luft und

Mit der Wahl Josef Hoffmanns hatten Viktor

Licht und die Labsal an der Ruhe der Natur

beziehungsweise Berta Zuckerkandl für das

und des Landes ermöglichen. Leslie Topp

Sanatorium eine Zielsetzung formuliert.

benennt exakt, dass Neurasthenien, Depres-

Hoffmann war bis dahin überwiegend durch

sionen und Hypochondrien zum Behand-

seine gestalterische Tätigkeit bei den Aus-

lungskreis des Sanatoriums Purkersdorf

stellungen der Secession aufgefallen und

gehörten. Gleichzeitig wurde jegliche Art von

ebenfalls durch seine kostspieligen Wohn-

schwerer geistiger Krankheit – von Topp als

welten der Villen auf der Hohen Warte in

„mental illness“ bezeichnet – ausgeschlossen,

Wien-Döbling, die er für Künstlerkollegen

da dadurch meistens auch keine freiwillige

wie Carl Moll und bürgerliche Mäzene wie

Einstellung des Patienten mehr gegeben

die Familie Henneberg erbaute und bis ins

war.761 Der Besuch des Sanatoriums Purkers­

kleinste Detail plante.

dorf und die damit zu vermutenden erhebli-

Diese Art von ‚Vorbelastung‘ lässt vermu-

chen finanziellen Aufwendungen werden

ten, dass Viktor Zuckerkandl sich bewusst

jedoch auch dazu geführt haben, dass es sich

für Josef Hoffmann als Architekten ent-

vielmehr um eine exklusive Erholungsstätte

schied. Wahrscheinlich nicht nur aufgrund

mit gesellschaftlichem Anschluss handelte

der Empfehlungen seiner kunstversierten

als um eine essenziell medizinische Einrich-

Schwägerin, sondern aus rein wirtschaftli-

tung, die dazu gedient hätte, Menschen erst

chen Erwägungen, eine bestimmte Klientel

wieder gesellschaftsfähig zu machen. Gott-

anzusprechen, die bereits zum Kundenkreis

fried Mayer sieht im Sanatorium vorrangig

Hoffmanns zählte, entschied er sich für den

einen „Treffpunkt von toute Vienne“.762 Des

bis dahin nicht durch öffentliche Bauten mit

759 Hubmann 2003, S. 46.

760 Hubmann 2003, S. 46. 761 Topp 2004, S. 66. 762 Mayer 2003, S. 36.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Weiteren wird ein Gästepanorama aus wich-

sung der speziellen Behandlung an die Be-

tigen Persönlichkeiten Wiens beschrieben,

sonderheiten des Falles. Zarte, jedoch

das Repräsentanten der Kunst, Wissenschaft

konsequente psychische Beeinflussung,

und Politik umspannte. Mayer nennt Gustav

genaue, wenn auch nicht allzu pedanti-

Mahler, Arthur Schnitzler, Arnold Schön-

sche Beaufsichtigung des Anstaltlebens

berg, Hugo von Hofmannsthal und Joseph

haben uns die Möglichkeit geschaffen, den

Roth, um nur einige der berühmten Gäste

überlieferten Ruf unserer Anstalt als Ner-

aufzuzählen, die zumindest zum Teil ebenso

ven-Heilstätte zu erhalten und man darf

als Habitués des Salons von Berta Zucker-

wohl sagen auch zu kräftigen. Durch be-

kandl überliefert sind.763 Im Jahresbericht

sondere Auswahl des Krankenmaterials

des Sanatoriums Purkersdorf von 1911 defi-

ist es uns auch gelungen, uns von dem

niert Dr. Ludwig Stein den Patientenstamm

Verdachte frei zu halten, daß auch Geis-

aus medizinischer Sicht wie folgt:

teskranke die Anstalt bevölkern.“764

„Das gesamte krankenmaterial kann man

Des Weiteren heißt es dort zur Behandlung

in drei große Gruppen teilen:

von Nervenerkrankten oder Depressiven:

1. Nervenkranke, die ungefähr die Hälfte des Gesamten ausmachen. Geisteskranke

„Die Behandlung der Depressionszustän-

sind absolut ausgeschlossen.

de richtet sich im allgemeinen nach der

2. Magen-, Darm- und Stoffwechsel­kranke

besonderen Art derselben. Wir müssen

sowie Anämien und Unterernährungen.

auch in therapeutischer Hinsicht zwei

3. Herzkranke.

Hauptformen auseinanderhalten. Zu ei-

Was die Behandlung von Nervenkrank-

ner Gruppe gehören jene Formen von

heiten betrifft, so gilt, seitdem der Geni-

­Depression, deren Wesen sich durch in-

us unseres Altmeister von Krafft-Ebing

nere Unruhe kennzeichnet. Letztere setzt

über Purkersdorf zu walten begann, der

sich aus verschiedenen Stimmungsnuan-

gemeinsam mit weiland Dr. Löw vor 25

cen zusammen. Bald sind es Grübeleien

Jahren unsere Anstalt ins Leben rief, der

schwarzseherischer Natur, bald wieder

Grundsatz des Individualisierens: Anpas-

Selbstvorwürfe und Selbstanklagen, die das Gemüt solcher Patienten bewegen. Energielosigkeit, Mutlosigkeit und Lebens­

763 Mayer 2003, S. 36. Gunter Breckner gibt des Weiteren an: „Aus den Recherchen von Irene Etzersdorfer und der von ihr zitierten Historikerin Brigitte Hamann wissen wir auch einiges über die Vorgeschichte, unter anderem, daß sich das ‚intellektuelle und künstlerische Wien‘ im Sanatorium Purkersdorf getroffen hat. Arthur Schnitzler und Egon Friedell spielten Tennis und diskutierten über Psychoanalyse, Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Hugo von Hoffmannsthal und Kolo Moser erschienen häufig als Gäste des Hauses.“ (Breckner 1996, S. 16.)

überdruß vervollständigen das Bild, das nicht selten auch noch von Hypochondrien schwerster und unkorrigierbarster Art beherrscht wird.“765

764 Dr. Stein 1911, S. 4f. 765 Dr. Stein 1911, S. 13. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.

239

240

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass

stand somit im direkten Kontext zu den Prak-

dadurch eine zweifache Funktion des Gelän-

tiken, die am Sanatorium Purkersdorf prä-

des bei Purkersdorf entsteht. Zum einen stell-

feriert wurden. Das Fahrrad lässt sich des

te das Sanatorium Purkersdorf eine rentable

Weiteren in vielerlei Zusammenhänge zum

Investition für Viktor Zuckerkandl dar und

Sanatorium setzen. Es vermittelte ein neues

zum anderen entwickelte es sich zum idea-

Körpergefühl. Man hielt sich bei körperlicher

len Treffpunkt aller Bekannten der Familie

Betätigung unter der Sonne auf und strebte

Zuckerkandl. Die zuletzt genannte Nutzung

ein Jugendgefühl an, das ebenso mit der

benennt auch Gunter Breckner in seiner

Geschwindigkeit des Fahrrads assoziiert wur-

­Diplomarbeit von 1982.766 Dafür spricht auch

de, aber auch negativ ausgelegt werden konn-

die Tatsache, dass die Familie Zuckerkandl

te, indem man es mit der Nervosität der

sich bereits 1908 auf dem Gelände des Sana-

Stadtkultur verband, die ja erst einer Insti-

toriums Purkersdorf vom Architekten Leo-

tution wie der des Sanatoriums zur Seelen-

pold Bauer Villen erbauen ließ, die sowohl

beruhigung

Wohnraum für die Familie als auch ausrei-

benennt ferner die damalige Erwartungshal-

chend Platz für die umfangreiche Sammlung

tung ans Fahrrad als Mittel zur Nervenstär-

von japanischen Holzschnitten boten.

kung.769 Interessanterweise gehörte das Pub-

767

bedurfte.

Joachim

Radkau

Neben dem medizinischen Konzept der

likum des Sanatoriums Purkersdorf auch zu

Gesundung durch Licht und Luft, das zum

den Radfahrern. Berta Zuckerkandl und

einen durch die Architektur und zum ande-

­Arthur Schnitzler traten zum Beispiel der

ren durch den dazugehörigen Park verwirk-

Radfahrer-Union Vorwärts bei.770

licht wurde, stockte man das Angebot des

Hervorgehoben wird, dass der Gäste­stamm

Sanatoriums Purkersdorf um Tennisplätze

des Sanatoriums sich überwiegend aus der

und dem allseits beliebten, damals jedoch

zweiten und dritten Generation des aufstre-

noch elitären Radsport auf. Zu dieser Zeit

benden liberalen Bürgertums re­krutierte.771

entstanden bycicle-Vereine und es wurde in

Stefan Zweig als einer der be­kanntesten Wie-

Wien Mode, am Sonntag über die Hauptal-

ner dieser Generation beschreibt in seinem

lee des Praters mit dem bycicle zu flanieren

autobiografischen Roman Die Welt von Ges-

und nicht mehr – wie vorher – im Fiaker zu

tern die Denkwelt dieser Generation:

fahren.768 Das Fahrrad repräsentierte um 1900 noch ein Luxusgut und war nur für

„In diesem rührenden Vertrauen, sein

wohlhabende Kreise erschwinglich. Neben

­Leben bis auf die letzte Lücke verpalisa-

dem Statussymbolcharakter des Fahrrads

dieren zu können gegen jeden Einbruch

und seiner fortschrittlichen Maschinengesin-

des Schicksals, lag trotz aller Solidität und

nung konnte man es auch gut mit der

Bescheidenheit der Lebensauffassung eine

­‚Frischluftphilosophie‘ verknüpfen und es

große und gefährliche Hoffart. Das neun-

766 Breckner 1982, Punkt 3. 767 Demarle 1985, S. 10. 768 Mayer 2003, S. 38.

769 Radkau 2001, S. 69. 770 Sandgruber 1986, S. 285–303. 771 Mayer 2003, S. 38.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

zehnte Jahrhundert war in seinem libera-

Vater Moritz Szeps gründete das Neue Wie-

listischen Idealismus ehrlich überzeugt,

ner Tageblatt, in dem Berta Zuckerkandl als

auf dem geraden und unfehlbaren Weg

Kunstkritikerin die Möglichkeit bekam Tex-

zur ‚besten aller Welten‘ zu sein. Mit Ver-

te zu veröffentlichen.774 In jenen Salons, oder

achtung blickte man auf die früheren Epo-

in kleinen Oasen wie dem Sanatorium Pur-

chen mit ihren Kriegen, Hungersnöten

kersdorf, erbaute man sich ein Stück der ‚bes-

und Revolten herab als auf eine Zeit, da

seren Welt‘, die sich, wie Stefan Zweig beton-

die Menschheit eben noch unmündig und

te, über den Fortschritt definierte. Der

nicht genug aufgeklärt gewesen. Jetzt aber

Sanatoriumsbau von Josef Hoffmann aus den

war es doch nur eine Angelegenheit von

Jahren 1903 bis 1905 wollte exakt dieser

Jahrzehnten, bis das letzte Böse und

‚Religion des Fortschritts‘ einen Raum schaf-

­Gewalttätige endgültig überwunden sein

fen. Hier versammelten sich die Anhänger

würde, und dieser Glaube an den ununter­

des Glaubens an ‚Wissenschaftskunde‘ und

brochenen, unaufhaltsamen ‚Fortschritt’

‚Progress‘. Das Bauwerk selbst sowie seine

hatte für jenes Zeitalter wahrhaftig die

Bewohner verkörperten ein gesellschaftliches

Kraft einer Religion; man glaubte an den

Konzept, das die Zeit des Fin de siècle oder

‚Fortschritt‘ schon mehr als an die Bibel,

Commencement de siècle in Wien prägte und

und sein Evangelium schien unumstöß-

das als seine treibende Kraft anzusehen war.

lich bewiesen durch die täglichen neuen Wunder ­Technik.“

der

Wissenschaft

und

der

Ganz frei von Pragmatismus lässt sich das Unternehmen

Sanatorium

Purkersdorf

jedoch nicht in seiner Gänze erfassen. Ver-

772

schiedene Unstimmigkeiten, die bei der endStefan Zweig zeigt an dieser Stelle seiner

gültigen Abnahme durch den Betreiber

Lebenserinnerungen sehr klar das Selbstbe-

Viktor Zuckerkandl wohl aufgrund der ­

wusstsein dieser Wiener Schicht auf, die man

immensen Kosten entstanden waren, führten

wohl mit der Klientel, die das Sanatorium

zu mehreren Prozessen. Josef Hoffmann

Purkersdorf frequentierte, gleichsetzen kann.

berichtet etwas überzeichnend von Antipa-

Die Generation der Väter hatte sich einen

thien zwischen Zuckerkandl und Wärndor-

gewissen Standard erarbeitet, den jetzt deren

fer, dem Finanzier der Wiener Werkstätte,

Kinder genossen. In diesem Zusammenhang

und dass diese persönlichen Abneigungen

wäre auch die Tätigkeit Berta Zuckerkandl

zu einer völligen Einstellung der Zahlungen

zu interpretieren, die durch ihren Salon und

vonseiten Zuckerkandls geführt haben sol-

als Gastgeberin im Sanatorium Purkersdorf

len. Als Begründung war die mangelhafte

in Erscheinung trat,

nachdem sie sich über

Solidität des Gebäudes herangezogen wor-

das Schreiben von Artikeln einen Namen

den, die sich spätestens bei der Aufstockung

gemacht hatte und Einlass in den von ihr

des Sanatoriums durch Leopold Bauer, die

erwählten secessionistischen Kreis fand. Ihr

im Rahmen der Restaurierungen in den

772 Zweig 2005 (1942), S. 17. 773 Mayer 2003, S. 37f.

774 Mayer 2003, S. 37. Vergleiche dazu Schweiger 1982, S. 9.

773

241

242

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

1990er-Jahren wieder abgetragen wurde,775

­Gebieten ringen heftig mit den Problemen

als vollkommen inhaltslos erwies. Zucker-

der Zeit, und dieser Kampf läßt ihnen we-

kandl verlor alle Zahlungsaufforderungskla-

nig Muße, sich irgendwelcher Sentimen-

gen. Er musste nach Josef Hoffmanns Aus-

talität hinzugeben. Unbeengt durch die

sagen allen Firmen das eingeklagte Honorar

Überlieferung dringen sie vorwärts, sie

auszahlen.

Es ist jedoch unwahrscheinlich,

schließen keine Kompromisse mit unsach-

dass ein Unternehmer aufgrund von persön-

lichen Gesichtspunkten, sie stellen ihre

lichen Ab- oder Zuneigungen sein Zahlungs-

ganze Tatkraft und Intelligenz in den

verhalten ausrichtet. Eine für Hoffmann typi-

Dienst ihrer fortschrittlichen Ideen. Und

sche Überziehung des gesetzten Budgets

in diesem Sinne sind sie so modern und

scheint als Ursache für die Unstimmigkeiten

populär.“778

776

zwischen Auftraggeber und ausführenden Firmen viel wahrscheinlicher.777 Das Bild des

Dieses Zitat lässt sich primär auf Josef Hoff-

Künstlers als eines Kultur- und Gesellschafts-

mann als Secessionskünstler und Schüler

erziehers bedingt geradezu eine rigide Tren-

Otto Wagners übertragen. Ebenso aber könn-

nung des Auftraggebers von seiner Entschei-

te man diese Beschreibung eines ‚modernen

dungsgewalt und provoziert regelrecht eine

Gestalters‘ auch auf den Auftraggeber Viktor

damit einhergehende Entmündigung Hoff-

Zuckerkandl projizieren, der sich mit seinen

mann’scher Kunden. Dadurch ist ein gewis-

geschäftlichen Investitionen in Eisen779 und

ses Konfliktpotenzial vorprogrammiert.

in ein innovatives Sanatorium den Grund-

Dieser Aspekt soll mit einem Zitat von Hermann Muthesius enden, das den Kern

sätzen von Funktion, Material und ‚Ehrlichkeit‘ verschrieb.780

des Unternehmens Sanatorium Purkersdorf umschreibt, aber sich eigentlich der Definition eines dem Fortschritt huldigenden und dem Modernsein sich verschreibenden Personenkreises widmet: „Verkehrsmittel und Maschinen, Eisenbahnen, Brücken, Dampfschiffe, elektrische Anlagen, wissenschaftliche Instrumente sind das Neue, das unsere Zeit geboren hat. Die Gestalter auf diesen

775 776 777

AK 10 Jahre 1996, S. 48f. Hoffmann 1972, S. 116f. Leider befand sich zu dieser Problematik kein Briefverkehr im Josef Hoffmann-Nachlass der Universität für angewandte Kunst in Wien. Demnach sind die Aussagen Hoffmanns nur schwer nachzuvollziehen, geschweige denn zu beweisen.

778 Muthesius 1976, S. 42. 779 Die Verwendung von Eisen hatte sich bisher den Wienern überwiegend in Gebäuden präsentiert, denen man einen gewissen Ingenieur- und Technikcharakter zuschreiben könnte, nämlich zum einen durch den bei der Stadtbahn verwendeten Eisenbeton und zum anderen durch das eiserne Riesenrad im Prater von 1897. (Ginhart 1948, S. 182f.) Zu dieser Aufzählung lässt sich auch der eiserne Dachstuhl des 1820 in Wien errichteten Dianabads zählen. (Platz ²2000, S. 17.) 780 Vergleiche in diesem Zusammenhang Leslie Topps Äußerungen zur ihrer Meinung nach „designed truth“ für das Sanatorium Purkersdorf. Sie geht von einer Wahrheit aus, die nicht alleine im Sinne einer faktischen, wissenschaftlich beweisbaren Wahrheit für das Gebäude zu fassen sei, sondern vielmehr eine Schaffung von „utopian truths“ durch das Design des Gebäudes darstelle. Nicht etwa die empirische Belegbarkeit der kurierenden Wirkung des Sanatoriums Purkersdorf zähle, sondern bereits seine von Beginn an mitgedachte Gestaltung im Sinne einer utopischen Wahrheit

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Eine Generation mit „Formgefühl“ und deren ‚Gemütsarchitektur‘

teten. Josef Hoffmann und ­Koloman Moser als Designer, Anton Ziprosch und Franz Gloser als Tischler und zum Teil die Firma Kohn

Nachdem nun klar geworden ist, um welchen

bedachten alles: angefangen bei den einfachen

Typus von ‚Ich‘ es sich beim Patienten oder

Wegen und dem leichten Orientieren im

temporären Bewohner des Sanatoriums Pur-

Gebäude bis hin zu kleinen Details.783

kersdorf sowie des Baukünstlers als auch des

Geht man davon aus, dass Hoffmann die

Auftraggebers handelte, soll nun zugespitzt

berühmten Theorien kannte, die voraussetzen,

werden auf die ‚Bau-Ikonografie’ des Hoff-

dass die menschlichen Sinneswerkzeuge mit

mann-Pavillons. Bei Lipps heißt es:

ihren Nervenbahnen nicht nur als intervenierende Medien dienen, sondern auch aktiv

„Im ästhetischen Objekt ist das Sinnliche

Empfindungen durch ihre Beschaffenheit der

jederzeit ‚Symbol‘ eines seelischen Inhal-

Wahrnehmung produzieren,784 ergeben sich

tes; es ist belebt und beseelt. Dadurch erst

aufschlussreiche Beobachtungen für das Sana-

wird es zum ästhetischen Objekt und zum

torium Purkersdorf als Bauwerk und dessen

Träger eines ästhetischen Wertes.“

Ausstattung durch die Wiener Werkstätte.

781

Ebenso wie Robert Vischer eine UnterscheiIn diesem Sinne soll im Folgenden jene ein-

dung zwischen „einfachem Sehen“ und

gefühlte oder beseelte Symbolik des Sanato-

„Schauen“ aufstellte,785 soll das einfache Sehen

riums Purkersdorf hermeneutisch gelesen wer-

im Mittelpunkt der Beobachtungen zum Mas-

den. Ein Sanatorium stellt aufgrund seiner

sivbau stehen und das Schauen, als eine Kom-

Funktion besondere Bauaufgaben an einen

bination aus einem Rhythmus von Auge und

Architekten. Josef Hoffmann hat in Bezug auf

Hand, als Grundlage zur Erfassung des Mobi-

Möbel davon gesprochen, dass man „den

liars dienen. Einige Beobachtungen formen

jeweiligen Zweck und das Material berück-

sich jedoch auch als eine Verschränkung bei-

sichtigen sollte“.782 Diese Aussage lässt sich

der Wahrnehmungstypen aus. Bei Lipps heißt

ebenso auf die Architektur des Hoffmann-Pa-

es in seiner Grundlegung der Ästhetik:

villons übertragen. Das Sanatorium Purkersdorf wurde offensichtlich für seine therapeu-

„Die Höhe der Lust unterliegt zwei Be-

tische Funktion konstruiert. Hoffmann

dingungen. Einmal: Es müssen in der Na-

erbaute und möblierte Räumlichkeiten, die

tur der Seele günstige Bedingungen für

den Bedürfnissen der Klientel des Sanatori-

die Apperzeption eines Vorganges liegen.

ums entsprachen und zusätzlich eine effekti-

Und zum anderen: Es muss diesen Bedin-

ve Nutzung durch den Kurbetrieb gewährleis-

gungen Gelegenheit gegeben sein, sich wirksam zu erweisen. Dies letztere aber ist der Fall in dem Maße, als in der Seele

und seine faktische Nutzung als Sanatorium legitimiere es als Teil der Behandlung von nervösen Krankheiten. (Topp 2004, S. 83-86.) 781 Lipps 1903, S. 96. 782 Hoffmann 1901, S. 201.

783 Schweiger 1990, S. 37 und Takyo 1996, S. 198. 784 Vergleiche dazu Wagner 2009, S. 52. 785 Wagner 2009, S. 61 und Braungart 1995, S. 198.

243

244

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

etwas geschieht, das auf das Apperzipiert-

Das Friesband aus Keramik-Quadraten

werden Anspruch erhebt. Oder kurz, die

erlangt demnach auch in Bezug auf die Ein-

zweite Bedingung für die Höhe des Ge-

fühlungstheorie eine Erweiterung seiner ver-

fühles der Lust ist die psychische Quanti-

meintlich rein dekorativen, stilistischen Posi-

tät oder Größe der seelischen Gescheh-

tion.788 Das Band bündelt in sich die Blicke

nisse, Erregungen, Vorgänge.“786

und rahmt dadurch erst die Flächen. Der Hoffmann-Pavillon weist somit eine Formen-

Dieses Zitat beweist, dass Lipps sich der Sub-

sprache auf, die sich auf subtile Art und Wei-

jektivitätsanteile seiner Theorie bewusst war

se mit dem „Formgefühl“789 des Besuchers

und nun gilt es im Folgenden en détail zu

oder Patienten verbindet. Über den einfüh-

klären, inwiefern das Sanatorium Purkers-

lenden Blick des ‚Patienten‘ vermittelt der

dorf genau jene „Bedingungen der Seele“ zur

architektonischen Rahmen eine „psychische

Wahrnehmung günstig beeinflusste.

Stauung“ im unrettbaren Ich. Schon am

Von außen betrachtet umschreiben die

Äußeren lässt sich demnach eine klar struk-

Quadratbänder am Sanatorium vor allem

turierte und Orientierung gebende Welt im

Ränder (Abb. 39 bis 40). Im Sinne einer Fas-

Inneren des Bauwerks vermuten.790

sung der weißen Wandflächen und Negativ­

Dieser festigende Effekt wird kombiniert

flächen der Fenster bilden sie eine Verfesti-

mit der Leichtigkeit des Materials Glas und

gung für das Betrachterauge. Zur Rolle des

der Flächen, die zum einen durch die weiße

Randes schreibt Lipps:

Farbwahl und zum anderen durch die Verschleierung der Tektonik im Bereich der Bal-

„Dieser Gegensatz oder Kontrast [von der

kone (Abb. 38 und 40) erzeugt und verein-

Fläche und ihrem Rand; LT] nun macht,

heitlicht oder vergrößert werden. Neben

daß der Rand nicht so in der Umgebung

dieser gegensätzlichen Verknüpfung von

‚sich verlieren‘ kann, wie die inneren Tei-

Wirkungen soll auch noch mal die Bezie-

le der Fläche in ihrer Umgebung ‚sich ver-

hung von quadratischen und rechteckigen

lieren‘ können. Der Rand, so können wir

Formen in Bezug auf Lipps Auslegung ­dieser

dies auch ausdrücken, ist im Vergleich zu

Geometrien aufgegriffen werden. Zunächst

seiner Umgebung etwas ‚Neues‘. […] Die psychische Bewegung, die Aufmerksamkeit, die apperzeptive Tätigkeit, macht an dem Rande Halt. […] Es entsteht also am Rande eine ‚psychische Stauung‘. […] Der Rand ist in gewisser Weise das Ganze. Das Ganze hat in ihm einen ‚apperzeptiven Schwerpunkt‘.“787

786 Lipps 1903, S. 30. 787 Lipps 1903, S. 61.

788

Die zeitgenössische Sicht auf die Secession als eine ausnahmslos ästhetische Bewegung ist präzise dargestellt bei Schorske 1985, S. 47–56. Eine rückblickende und relativierende Perspektive zu dieser Position ist nachzulesen bei Gorsen 1985, S. 69–92. 789 Lipps 1903, S. 29. 790 Gunter Breckner stellt in diesem Zusammenhang fest: „Kontrast erzeugt sinnliche Reize. […] Blaue Umrandungslinien und Kachelreihen grenzen die Flächen an den Kanten scharf ab. […] Das Schachbrett ist die extremste Form eines Zusammenspiels zwischen Kontrast und Rhythmus.“ (Breckner 1985, S. 84.)

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

handelt es sich beim Korpus des Hauses um

rendes Moment in Sicht gestellt und die

ein „liegendes“ Rechteck,

Grundlage für eine Rekonvaleszenz fördern-

791

während die

Fenster sich als „liegende“ mit Untereinhei-

de Stimmung geschaffen.

ten von „stehenden“ Rechtecken ausformen,

Im speziellen Fall der Fenster lässt sich

die teilweise wiederum aus Quadraten – rich-

eine weitere Quelle neben Lipps Theorien

tungslose Gebilde – bestehen. Zunächst fällt

für Hoffmanns Formenkanon feststellen.

auf, dass auch Lipps in seiner Ästhetik mit

August Endell veröffentlichte 1898 in einem

den Adjektiven „liegend“ und „stehend“

Artikel der Zeitschrift Dekorative Kunst eine

Positionen umschreibt, die vor allem durch

Untersuchung zu verschiedenen Fensterfor-

die Körperhaltung für den Menschen klar

men und deren Einfluss auf die Wahrneh-

nachvollziehbar sind. Das Quadrat oder der

mung der Fassade durch ein Subjekt.795

Quader steht bei Theodor Lipps für eine

Zeynep Celik Alexander fasst die Absicht

Metapher des Steins. Er sieht zunächst eine

des Artikels zusammen:

nach allen Seiten hin gleichwertige Wirkung gegeben, die durch die Reihung in der Höhe

„Jede Form, beharrte Endell, übe einen un-

oder Breite negiert werden kann.792 Die

mittelbaren emotiven Effekt, eine Gefühls-

Wahrnehmung des Gebäudekörpers wird

wirkung auf das wahrnehmende Subjekt

dominant liegend oder ruhend ausgeformt,

aus, und es sei die Aufgabe des Architek-

was sich vor allem durch die Präferenz der

ten, die Variationen dieser Wirkungen so-

horizontalen Linie vermittelt. Lipps spricht

wohl zu verstehen als auch angemessen

bei jener Linie von einer „Linie des Gleich-

anzuwenden.“796

gewichts“, die sich durch die Bewegungslinie zwischen den ­Richtungen Links und

Erstens wird demnach von Endell eine deut-

Rechts ausgeglichen erstreckt.793 Der gesam-

lich expressive Autorität der Objekte auf das

te Hauskörper umschreibt die Form eines

Gemüt eines Subjektes formuliert und zwei-

Quaders, der ebenso nach Lipps einen

tens deklariert er den Architekten als einen

„lagernden“ Charakter besitzt und folglich

Anwender und Regisseur dieser Eindrücke

eine

Rastens

oder Impressionen. Des Weiteren spricht

Metapher

umschreibt.

des

sicheren

Eine Dominanz der Ent-

Alexander von „magnetischen Kräften“ und

schleunigung der Formen des Objektes und

„strahlenden Kraftlinien“ und „vor Energie

demgemäß auch der „Formgefühle“ im Sub-

vibrierenden Gestaltungen“ bei Endells Wer-

jekt wird am Außenbau des Sanatoriums

ken.797 Vergleicht man die Abbildung des

Purkersdorf dominant ersichtlich. Dem sich

Artikels von 1898 zu den Fensterformen

von der Stadt nähernden ‚nervösen Ich‘ wird

(Abb. 68) mit den Fenstervarianten des Sana-

insofern schon aus der Ferne ein retardie-

toriums Purkersdorf (Abb. 3, 38 und 40), wird

794

die Verwandtschaft der Ansätze überdeut791 Lipps 792 Lipps 793 Lipps 794 Lipps

1903, 1906, 1903, 1906,

S. S. S. S.

66. 528f. 240. 528f.

795 Endell 1898.2, S. 119–125. 796 Alexander 2009, S. 222. 797 Alexander 2009, S. 224.

245

246

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 68: August Endell: Fensterformen, vermutlich 1898

Entwurf eines Idealen Tuberkulose-Sanatoriums von Karl Turban von 1902. Die Fensterentwürfe zeichnen sich vor allem durch

lich. Bedenkt man nun den Satz Endells:

eine Vielzahl der Öffnungsmöglichkeiten aus

„Die Form weckt unmittelbar das Gefühl,

und ermöglichen eine hohe Abstufung der

wir wissen von keinem dazwischenliegenden,

Frischluftzufuhr; ebenso wie es auch bei den

psychischen Ereignis“798, wird der Aufsatz

Fenstern am Sanatorium Purkersdorf mög-

Endells zur evidenten Quelle für die Verbrei-

lich ist.800 In Bezug auf jene Fensterbehand-

tung der emotiven Orientierung von Archi-

lung sieht Kenneth Frampton eine Vorbild­

tektur zur Jahrhundertwende.

Leslie Topp

rolle Hoffmanns für Loos gegeben. So sieht

nennt als weitere Quelle für die Fensterkon-

er in der kleinteiligen quadratischen Fens-

struktionen des Sanatoriums Purkersdorf den

terrasterung der bay windows des Hauses

799

am Michaelerplatz (Abb. 4) eine Einfluss798 Endell 1898.1, S. 76. 799 Leslie Topp nennt weitere Quellen für die Fensterkonstruktionen. (Topp 2004, S. 76–78 und Topp 1997, S. 421f.) Auch Karin Thun-Hohenstein zieht Parallelen zwischen dem Entwurf Endells und dem Sanatorium Purkersdorf. (Thun-Hohenstein 2015, S. 93f.)

nahme durch Josef Hoffmann gegeben.801 Loos selbst betonte für die Fenster am Haus am Michaelerplatz, dass sie dazu dienten, 800 Topp 2004, S. 76f. 801 Frampton 1996, S. 19f.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Abb. 69: Adolf Loos: Haus Scheu, Gartenfassade, 1912–1913, Wien XIII., Larochegasse 3, Fotografie von Martin Gerlach Jun., Albertina, Wien

Zum Innenbau schrittweise überleitend, geht es aber vor allem darum, den Begriff

mehr „Licht und Luft“ ins Innere des Gebäu-

der Gestimmtheit näher zu umreißen. Es

des zu lenken.802 Fast noch konsequenter fin-

gelten genau die Beziehungen von Raum und

det sich diese Parallelisierung an den Fens-

Ich, das in diesen gestellt wird und sich in

tern des Hauses Scheu in Wien (Abb. 69),

ihm bewegt, für das Sanatorium Purkersdorf

das von 1912 bis 1913 deutlich nach dem

zu erörtern. So heißt es bei Lipps:

Sanatorium Purkersdorf entstand. Sowohl die Aufteilung in unten größere und oben

„So ist überhaupt die willkürliche, sei es tat-

kleinteiliger Glasflächen, die separaten Öff-

sächliche, sei es lediglich gedankliche Her-

nungsmöglichkeiten und das Variieren von

beiführung einer körperlichen Verfassung,

gleichen Modulen, um eine Vielzahl von

der willkürliche, sei es äussere, sei es nur

Fenster- bis zu Türversionen zu erlangen,

gedankliche Vollzug von Bewegungen, Stel-

erinnert stark an die Fensterkonzeptionen

lungen, Haltungen, welche eine bestimmte

Hoffmanns.

innere Zuständlichkeit oder Verfassung des Gemüts charakterisieren, ein Mittel, mich

802 Loos 2010 (1910.4), S. 388.

in diese innere Verfassung hinein zu verset-

247

248

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

zen. Dies heisst jedes Mal – nicht dass ich

zip der Ehrlichkeit hat ja dem neuen

die innere Verfassung vorstelle, sondern

Kunstgewerbe jenes überzeugende Geprä-

dass ich sie in gewisser Weise oder in ge-

ge aufgedrückt, das in unserem Maschi-

wissem Grade tatsächlich erlebe. […] nun

nenzeitalter, bei europäisch-amerikani-

handelte es sich nicht um den willkürlichen,

scher Massenproduktion […] Jahrzehnte

sondern um den unwillkürlichen, durch die

lang fast nur noch in Japan zu finden war.

optische Wahrnehmung mir aufgenötigten

Die Sehnsucht nach kunstgewerblicher

Vollzug körperlicher Bewegungen. Es han-

Ehrlichkeit hat schließlich auch bei uns

delt sich um einen zwangsweisen, obzwar

den Umschwung zuwege gebracht. Die

nur gedanklichen, Vollzug derselben. Und

Wiener Werkstätte ist heute vielleicht –

es handelt sich um das volle Erfülltsein von

wir möchten sagen: hoffentlich – nur erst

diesem ‚inneren Tun‘.“803

ein schöner Anfang. Jedenfalls enthält sie die Keime einer Schule der Gesundheit

Genau in diesem Zitat lässt sich die Metho-

für Arbeit und Arbeiter, somit auch für

de des Hoffmann-Pavillons ablesen. Das

das konsumierende Publikum.“805

Gesamtkunstwerk Sanatorium Purkersdorf dient in allen seinen Aspekten der Genesung

Das Bemerkenswerteste an dieser Aussage

seiner Kunden, wobei vor allem der Topos

von Ludwig Hevesi ist die Betonung der

des ‚Nervösen‘ als Behandlungsgrund nach

Arbeit der Wiener Werkstätte als gesund-

damaliger Auffassung eine sowohl physiolo-

heitsfördernd für Hersteller und Nutzer. In

gische als auch psychologische oder senso-

Hinblick auf diese Deutung ist es nur selbst-

rische Beeinflussung benötigte.804 Das Zitat

verständlich, dass die Einrichtung des

Lipps belegt in diesem Zusammenhang die

­Sanatoriums Purkersdorf von der Wiener

zeitgenössische Ansicht, Bewegungsabläufe

Werkstätte ausgeführt wurde.806 Einem ganz-

ja sogar gedachte Bewegungsabläufe besäßen

heitlichen Bild, das sich schon bei der Her-

direkten Einfluss auf das Gemüt. Die Nähe

stellung den Paradigmen Ehrlichkeit und

des Sanatoriums Purkersdorf zu dieser

Gesundheit verschreibt, sollte ein äquivalen-

Annahme belegt das folgende Zitat Hevesis

tes Umfeld geschaffen werden. Des Weiteren

über die Ideale der Wiener Werkstätte:

untermauert der Umstand, dass zwei weitere Filialen der Wiener Werkstätte in den Kur­

„Ganz im Stillen, ohne das angeblich zum

orten Karlsbad und Marienbad eröffnet

Handwerk gehörige Klappern, ist hier ein

­wurden, die Verbindung des Hygiene- oder

kunstgewerblicher Brennpunkt für vernünftiges und geschmackvolles, vor allem aber ehrliches Arbeiten in den verschiedenen Materialien geschaffen. Das Prin-

803 Lipps 1903, S. 134. 804 Siehe grundlegend zum Verhältnis von Medizin und Kunst im Wien um 1900 Kandel 2012.

805 Hevesi 1906, S. 483. 806 Bis auf Möbel, die in großen Stückzahlen benötigt wurden, ist die Wiener Werkstätte als Design- und Produktionsstätte der Inneneinrichtung anzusehen. Im Falle der Möbel mit hohen Stückzahlen – wie zum Beispiel der Schachbrettsessel von Koloman Moser – halfen J. Et J. Kohn, Thonet und Prag-Rudniker mit ihren Produktionsstätten aus. (Brandstätter 2003, S. 118 und S. 120.)

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Gesundheitsideals mit dem Schönheitsideal

angelegt, daß sie nach den Tageszeiten gut

der Wiener Werkstätte.

liegen und in einer Anordnung, die den

Bereits im oben erwähnten Zitat von Her-

menschlichen Funktionen und ihre Tages-

mann Bahr wurde die Metapher des Lichts

einteilung am besten entspricht und mit

bemüht:

dem Leben, das sich im Hause abspielt, gleichsam eine richtige organische Bezie-

„Wir wollen die Fenster öffnen, daß die

hung unterhält.“808

Sonne zu uns komme, die blühende Sonne des Mai. Wir wollen alle Sinne und

Joseph A. Lux nennt mit Recht die Fenster

Nerven aufthun, gierig, und lauschen und

als den essenziellen Part jener Verwirkli-

lauschen. Und mit Jubel und Ehrfurcht

chung von Heilung durch die Beschaffenheit

wollen wir das Licht grüßen, das zur Herr-

von Architektur. Denn bereits Hoffmann

schaft einzieht in die ausgeräumten

definiert das Licht als erste Instanz für einen

­Hallen.“807

hygienischen Innenraum, da sich dadurch seiner Meinung nach weniger Krankheitser-

Trotz der symbolischen Überladung des Tex-

reger im Haus festsetzen.809 Der Sanatori-

tes, kann man ihn im Falle des Sanatoriums

umsbau Josef Hoffmanns ist aufgrund seiner

auch ganz praktisch lesen. Da die Lichtver-

Fensterformen und Fensterausrichtungen

hältnisse, wie sie Joseph A. Lux beschreibt,

und die darauf reagierende Raumanordnung

wohl zu den Grundlagen eines Sanatori-

als gebaute Medizin zu definieren. Schon die

umskomplexes zu zählen sind:

Architektur verschreibt sich der übergeordneten Funktion eines Sanatoriums: der Hei-

„Fenster, die wohl gesetzt sind, breit und

lung. Die modernen Materialien Eisen und

bequem, um so viel Licht und Sonne ins

Eisenbeton hatten die monolithische Bau-

Haus zu fassen, als immerhin möglich ist.

weise durchlöchert. Das Glas konnte wieder

Denn, ich bitte, das Haus ist ein Sanato-

als großer Bestandteil der Wand in Erschei-

rium, ein Haus der Gesundheit und, der

nung treten und wurde zu einer wichtigen

verlorenen und wiedergefundenen, und

Komponente der Fassadengliederung.810 Aus

da spielen nicht nur Badeeinrichtungen

dem Zweck heraus, die Helligkeit im Inne-

und sinnreiche Muskelstärkeapparate,

ren eines Gebäudes zu erhöhen, fällt die

sondern auch Luft, Licht und Sonne und

Wahl auf neue Materialien.

die schöne waldgrüne Berglandschaft, die

Dieses Zitat veranschaulicht aber auch,

zu den Fenstern ins Haus und in die See-

dass die Theorie von Dr. Krafft-Ebing sich

len einströmen sollen, eine wichtige Rol-

weiter der Akzeptanz erfreute: Dr. Krafft-

le. Denn dieses ist notwendig – alles Schö-

Ebing vertrat die Meinung, dass man sich in

ne und Gute dient der Gesundheit. Und hinter diesen Fenstern lichte Räume, so

807 Bahr 2004 (1890.1), S. 12f.

808 Lux 1904/1905.2, S. 407. 809 Hoffmann 2002 (1929), S. 15 und Hoffmann 2002 (1934.1), S. 18. 810 Platz ²2000, S. 62 und S. 192–195.

249

250

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

einem nervösen Zeitalter befand, dass den

und Materialwahl zufrieden gestellt wurde,

‚modernen Kulturmenschen‘ über die Kon-

beanspruchte Hoffmann eine Formenwelt

junkturen in den Wissenschaften, Künsten,

am Sanatorium Purkersdorf, die sich aus

im Gewerbe und Handel definierte. Doch

Rhythmik und Proportionierung entwickel-

für diesen Fortschritt bezahle der moderne

te. „Das Ebenmaß der Glieder, die Reihung

Mensch mit seinem gesunden Nervenkleid.

gleicher Teile und die Einheit in Form und

Die Folgen wären Depressionen, Pessimis-

Farbe“817 verband die Architektur mit der

mus, Selbstmord und Geisteskrankheit.811

Einrichtung. So sind es August Thierschs

Krafft-Ebing malt ein Szenario, in dem gan-

Ausführungen zur „architektonischen Com-

ze Bevölkerungsschichten von Existenzfurcht

position“ von 1883, die in manchen Punkten

gezeichnet sind. Aufgrund dieser weit ver-

wie eine Quelle für Josef Hoffmann anmu-

breiteten Erkrankung spricht er von einem

ten. So heißt es in seinem Kapitel über die

„nervösen Zeitalter“.

Proportionen der Architektur:

812

Die Abwendung von

diesem schlechten Lebensbild sieht KrafftEbing in der Rückkehr zur Natur und ent-

„Wir finden durch Betrachtung der gelun-

wickelt ein „Ernährungsprogramm für das

gensten Werke aller Zeiten, dass in jedem

Nervensystem“.

Die Medikamente dieses

Bauwerk eine Grundform sich wiederholt,

Programms sind neben der Nahrung vor

dass die einzelnen Theile durch ihre An-

allem die Qualität von Luft und Wasser sowie

ordnung und Form stets einander ähn­

elektrische Kuren.814 Das Sanatorium soll

liche Figuren bilden. Es gibt unendlich

diese Art von Medizin bieten. Eine „Hygiene

viele verschiedene Figuren, die an und für

des Geistes“815 soll auf das Umfeld übertra-

sich weder schön, noch hässlich genannt

gen werden. Das Nervenkleid einer Person

werden

könne nur in einem ‚hygienischen Umfeld‘

entsteht erst durch Wiederholung der ­

zur Ruhe kommen, und das beschreibt Krafft-

Hauptfigur des Werkes in seinen Unter-

Ebing als fernab von der Großstadt.816

abtheilungen.“818

813

können.

Das

Harmonische

Josef Hoffmann dehnt das für den Menschen hygienisch gesunde Umfeld der Natur

Diese „Wiederholung der Formen des Großen

auf seine Architektur und Inneneinrichtung

im Kleinen“819 praktizierte Hoffmann anhand

aus. Neben dem Zweck, der durch Hygiene

des Sanatoriums Purkersdorf mithilfe der Form des Quadrats. Schon im Rahmen der

811 Krafft-Ebing 1903, S. 1–15. 812 Krafft-Ebing 1903, S. 7. Vergleiche zur modernen Nervosität auch Sandgruber 1985, S. 30–46. 813 Krafft-Ebing 1903, S. 18–21. 814 Krafft-Ebing 1903, S. 161–170. 815 Krafft-Ebing 1903, S. 81. Wie übergriffig und dominant sich jene Therapieform gegenüber dem zu Behandelnden gebärdete, wird von Leslie Topp betont. (Topp 2004, S. 90.) 816 Vergleiche zum Inhalt von Krafft-Ebings Theorien und deren Vorbilder Topp 2004, S. 66–69.

Werkbeschreibung wurden die vielseitigen Durchdringungen des Quadrats am und im Gebäude beschrieben; und wenn es auch keine direkten Beweise für Parallelen zwischen

817 Muthesius 1908, S. 48f. 818 Thiersch 1883, S. 39. 819 Vergleiche dazu Thiersch 1883, S. 59, S. 63 und S. 76f.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Hoffmanns Architektur und Thierschs Theo-

rapie konzipiert wurde und bezeichnet es

rie gibt, einreihen lässt sich Hoffmanns Vor-

weiterhin als „psychological propaganda“.823

gehensweise in Thierschs Beobachtungen ein-

Eine Verbindung von Architektur und Ein-

deutig. Des Weiteren sieht Thiersch in der

richtung wird im Detail durch die Quadrat­

Proportion die Grundlage für den Gleichklang

umrandungen und jegliche Ornamentbänder

der Architekturbestandteile und dieser verur-

im Inneren hergestellt. Ebenso wie außen

sacht wiederum die Form der Symmetrie. Das

bilden die Schmuckfriese ein festigendes

heißt, dass sich die Symmetrie aus einer

Gerüst an den Deckenunterzügen des Spei-

Grundform, bei ihm das Maß oder Modul,

sesaals (Abb. 54 und 55). Diese verlaufen

zusammensetzt.820 Hoffmann machte das Qua-

zum Teil sogar vom Deckenbereich hinab bis

drat in Purkersdorf zu seinem Modul und die-

zu den Türrahmen, die wiederum die Trenn-

se Entscheidung führte, Thierschs Ausführun-

linie zwischen vertäfelter und gestrichener

gen belegend, zu einer Symmetrie der

Wand bezeichnen. Sie stellen demnach für

Fassade (Abb. 38), des Grundrisses (Abb. 47,

das Auge nachvollziehbar, fast visuell abtast­

49 und 50) und des Querschnittes (Abb. 48).

821

bar, eine Verquickung der Raumebenen dar.

Des Weiteren lässt sich behaupten, dass

Des Weiteren befinden sich auch Qua­

ein Gebäude, das seine Behandlungsmetho-

dratbänder in den Zimmern der Kurgäste

den allein durch seine Beschaffenheit schon

(Abb. 70). Diese umranden die oberen Wand-

zur Anwendung brachte, einen wirtschaftli-

bereiche und grenzen einen oberen ‚Luftraum‘

chen Erfolg für seinen Auftraggeber und

vom unteren ‚Bewegungsraum‘ des Zimmers,

Besitzer versprach. Leslie Topp fasst jene

der zumindest in keinem reinen Weiß gestri-

rhetorische Formel des Gebäudes auf fol-

chen wurde. Um welche Farbe es sich konkret

gende konzentrierte Aussage zusammen:

gehandelt hat, ist nur schwer zu bestimmen,

„Hoffmann’s building, then, becomes not just

da es nur Schwarz-Weiß-Fotos gibt, aber auf-

a tool in the physical cure but a device meant

grund der sehr hellgrauen Farbgebung auf

to convince the patient that the cure

dem Foto lässt sich ein abgetöntes Weiß ver-

worked.“

Leslie Topp vertritt sogar die

muten oder ein helles Grau, wie es im Sockel-

Ansicht, dass das Sanatorium Purkersdorf

bereich des Außenbaus zu finden ist. Josef

als ein Instrument oder Werkzeug der The-

Hoffmann sprach 1929 sogar explizit in einem

822

Lexikonartikel Interior Decoration. Modern 820 Thiersch 1883, S. 63. 821 Ein weiterer Verfechter der Symmetrie war Otto Wagner: „Eine einfache klare Grundrißdisposition bedingt meist die Symmetrie des Werkes. Es liegt etwas Abgeschlossenes, Vollendetes, Abgewogenes, nicht Vergrößerungsfähiges, ja Selbstbewußtes in einer symmetrischen Anlage; auch Ernst und Würde, die stetigen Begleiterinnen der Baukunst, verlangen sie. Erst dort, wo Platzform, Zweck, Mittel, Utilitätsgründe etc. die Einhaltung der Symmetrie unmöglich machen, ist eine unsymmetrische Lösung gerechtfertigt.“ (Wagner 2008, S. 69.) 822 Topp 2004, S. 66.

in The Encyclopaedia Britannica von einem „tranquillizing effect“ der Farbe Grau.824 Der ‚Luftraum‘ erfährt ferner durch die Ornamentierung eine deutliche Aufwertung und tritt hierdurch auch erst ins Wahrnehmungsfeld des Kurgastes. Die Höhe des Raumes wird somit erst augenscheinlich und der Luxus der 823 Topp 2004, S. 74, S. 78, S. 84 und S. 95. 824 Hoffmann 1929, S. 487.

251

252

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

durch diesen wähnt sich das Subjekt nicht nur in einem hygienisch, klinisch gesunden Umfeld, sondern fühlt sich gesund oder zumindest gesundend. Betrachtet man den Aspekt der Hygiene näher, rückt insbesondere die Beschreibung der Eingangshalle durch Ludwig Hevesi in den Mittelpunkt. Er spricht in ihrem Falle von einer „weiß lackierten oder verkachelten, waschbaren Welt“.825 Damit meint er vermutlich gerade die bis auf Schulterhöhe mit Porzellanfliesen verkleideten Wände der Eingangshalle (Abb. 53) und Korridore und den ebenso leicht zu reinigenden Fliesenboden. Zugleich untermauern die weiß gestrichenen Wände noch den sterilen Charakter der Räumlichkeiten von innen sowie von außen. Die Farbe Weiß wird auch von Joseph August Lux als die hygienischste Abb. 70: Josef Hoffmann/Koloman Moser: Sanatorium Purkersdorf, Patientenzimmer im 2. Obergeschoss, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien

deklariert, da man mit ihr als Wandfarbe kei-

Raumentfaltung von Licht, Luft und eventu-

Neustreichen der Wände gezwungen sei.826

ell sogar ‚Denkraum‘ wird damit offenkundig.

Wie sehr die Wiener Werkstätte mit dem Ide-

Alle Wandfelder, die in den gemeinschaft-

al der Hygiene verbunden war, verdeutlichen

lich genutzten Räumen und in Berührungs-

auch die Produktionsstätten. Neben den

höhe liegen, sind regelrecht hygienisch ver-

ästhetisch durchorganisierten Arbeitsplätzen

kleidet. Entweder sind sie durch hell

gehörten auch die Einrichtungen englischer

gestrichene Holzvertäfelungen ummantelt

Toiletten und Waschräume zu deren Räum-

oder mit einem Fliesenspiegel versehen. Bei

lichkeiten. Nicht nur im Rahmen der Ver-

beiden Materialien handelt es sich um glatte

kaufsräume war die neue Lebensauffassung

Oberflächen, die auf den Fotografien fast

präsent, sondern auch in den von der Öffent-

leuchtend erscheinen, da sie den Lichteinfall

lichkeit nicht zugänglichen Produktionsstät-

reflektieren. Im Sinne einer abwaschbaren

ten wurde das Prinzip der „Hygiene als

Welt könnte man auch von einer haptischen

Grundlage für die Schönheit“ angewandt.827

ne Verunreinigung der Wände verheimlichen könne und zum regelmäßigen Reinigen oder

Hygiene sprechen, wobei nach Lipps bereits der Anblick für eine einfühlende Tätigkeit des Subjekts in das Objekt genügt. Damit ist gemeint: allein der Anblick der Materialität vermittelt den Eindruck von Hygiene und

825 Hevesi 1909, S. 216. 826 Lux 1905, S. 29. 827 Schweiger 1990, S. 6. Über die Wichtigkeit der Hygiene für die Kultur äußerte sich auch Adolf

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Betrachtet man die Aussage von Dr.

tables Wohnen zu konstatieren.831 Die Auf-

Richard Ernst, dem ehemaligen Vizedirektor

gabe der Hygiene blieb aber nicht allein auf

des Österreichischen Museums für Kunst

den Bereich der Sanatoriumsarchitektur

und Industrie:

beschränkt, sondern breitete sich in Form von allgemeinen Hygienevorschriften in der

„Von Grund aus erneuerte sich die Bau-

gesamten Architektur des 20. Jahrhunderts

kunst am Ende des 19. Jahrhunderts. In-

aus.832 So war es vor dem Hoffmann-Pavillon

nerlich und äußerlich wurde sie anders,

schon die weiß verputzte Fassade des Seces-

sie kam aus einer menschlichen Besinnung

sionsgebäudes von Olbrich, die durch ihre

auf die Notwendigkeit und den Segen von

„Reinheit und Erhabenheit“ im Vorbeigehen-

Licht und Luft, aus der Freude an der hy-

den eine würdevolle oder fast weihevolle

gienischen Vollkommenheit, am bequemen

‚Gestimmtheit‘ erzeugen sollte.833

(nicht lässigen) Wohnen; die Bauten er-

Ein Sanatorium muss, um seriös zu wir-

hielten ein heiteres, jugendfrohes Geprä-

ken, einen hygienisch peniblen Krankenhaus­

ge. […] Josef Hoffmann hat die reinsten

charakter besitzen; dabei darf es aber in kei-

und harmonischesten Lösungen für Raum

nem Fall dem Besucher den Eindruck

und Gehäuse gefunden“

vermitteln, er sei krank. Im Zentrum des Kur-

828

,

betriebs steht die Erholung und Genesung, ergibt sich eine Bewegung oder zumindest

nicht etwa die Erkrankung. Dieser Umstand

eine zeitlich zusammenfallende künstlerische

führt so weit, dass Joseph August Lux von

Zielrichtung, in die man den Bau des Sana-

„Passagierzimmern“834 statt von Kranken-

toriums Purkersdorf verorten kann. Die Uto-

zimmern spricht. Der Gast wird abgefertigt,

pie von einem unter ärztlicher Leitung ste-

einem Zug- oder Dampferpassagier gleich,

henden Naturasyl für den nervenkranken

und tritt in das Sanatorium ein und unter-

Stadtmenschen, die Dr. Krafft-Ebing 1903

nimmt dort eine Reise, die ihn, wenn nicht

zeichnete,829 führte, wie das oben stehende

an ferne Orte, so doch in die gesunde Natur

Zitat zeigt, zu einer Veränderung der allge-

zurücktransferieren soll. Josef Hoffmanns

meinen Wohnqualität. Hermann Muthesius

Architektur vollzieht zum einen durch ihre

spricht von der Aufgabe der Architektur als

neue Erscheinung die Abkehr von der All-

eine „Dienende der Zeitideen“.830 Eine der

tagswelt, kreiert zum anderen aber auch eine

„Zeitideen“ war es nach Muthesius, die Hygi-

Umgebung, die Vertrauen in die medizini-

ene als Grund für ein gesundes und komfor-

schen Fähigkeiten des Sanatoriumspersonals oder der Mannschaft weckt. Roland Schachel sieht daher auch Otto Wagners Forderung,

Loos in seinem Artikel Die Plumber, der 1898 in der Neuen Freien Presse erschien. Vergleiche dazu Loos 2010 (1898.2), S. 104–111. 828 Dr. Richard Ernst zitiert nach Ohne Autor 1930, S. 51. 829 Krafft-Ebing 1903, S. 173. 830 Muthesius 1908, S. 8.

„eine Heilstätte habe bei ihrem Anblick die

831 Muthesius 1908, S. 41f. 832 Berlage 1991, S. 87–92. 833 Kapfinger 2003, S. 47. 834 Lux 1904/1905.2, S. 407.

253

254

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Gewißheit hervorzurufen, darin zu gesun-

auf allzu großen Stauraum oder persönliche

den“, bereits am Sanatorium Purkersdorf

Vorlieben legen, da sie kein Zuhause einrich-

erfüllt.835 Essenziell für dieses Vertrauen

teten, sondern eine Art von Hotelbetrieb. Da

schaffende Umfeld ist der Zweckcharakter

man aber wiederum im Sanatorium längere

des Interieurs, wie es Hoffmann beschreibt:

Aufenthalte pflegte als im Hotel und dazu noch die Intention der Erholung verfolgte,

„Unsere Möbel müssen vollkommen dem

musste für ein wohnliches und bequemes

Zweck und der Erzeugungsmöglichkeit

Umfeld gesorgt werden. Neben diesen prak-

entsprechen, müssen für alle modernen

tisch funktionalen Anforderungen umschreibt

Techniken gedacht sein und alle über­

das Mobiliar in den Zimmern der Kurgäste

flüssigen und wertlosen Zutaten vermei-

aber ebenso eine weiße und glatte Ästhetik.

den. Die Wahl des Materials, die guten

Jene Ästhetik ist jedoch, wie weiter oben im

Verhältnisse und die durch den Zweck be-

Fall der Wandornamente schon beobachtet

dingten neuen Formen, gute Beschläge

wurde, nicht allein im Sinne von Schönheit

und ­Scharniere werden das neue Möbel

zu lesen. Alle Möbel der Gästezimmer sind

charakterisieren.“836

weiß und geometrisch streng gestaltet; meistens korrespondieren ihre Höhen- und Brei-

Die Schlafzimmereinrichtung des Sanatori-

tenmaße. Die Abstellflächen sind plan aus-

ums Purkersdorf (Abb. 70) kommt der Idee

geformt und wenn sich Einfachungen zeigen,

Joseph August Lux’ sehr nahe, dass ein

sind sie entweder für die Positionierung von

Schlafzimmer auch ein Krankenzimmer sein

Spiegeln gedacht oder formen wiederholt

kann.837 In der privaten Wohnung passiert

Quadrate und Rechtecke aus. In der Wieder-

dies nur gelegentlich, aber im Sanatorium ist

holung der Formen und in der makellosen

diese Transformation des Raumes der Regel-

Oberfläche der Möbel zeichnet sich eine

fall. Die Merkmale jener Umformung vom

Neutralisierung

Schlafzimmer zu einem an der Gesundung

Umgebung ab. Eine Absicht der Beruhigung

mitwirkenden Raumgefüge sind dieselben

der Nerven durch Verminderung der Reize

wie im restlichen Raumangebot des Sanato-

auf das fahrige Stadtindividuum bekommt

riums: Luft, Licht, helle Farben und die Nähe

hier ihr realisiertes Äquivalent. Im Sinne

zum Wasser durch die Räumlichkeiten des

einer Beseelung nach Lipps, die nur vollkom-

Bades.

der

wahrgenommenen

Neben diesen Parametern eines

men ist, wenn sich das Individuum eins fühlt

gesunden Anspruchs der Sanatoriumsarchi-

mit dem Objekt, wird hier eine beseelte

tektur bestehen aber auch gewisse Freiheiten

Gesundheit gestaltet.

838

in der Wahl des Interieurs. Josef Hoffmann

Neben den glatten Oberflächen der Möbel

und Koloman Moser mussten keinen Wert

der Kurgästezimmer bietet das geschlossene Treppengeländer (Abb. 53), das verhindern

835 Schachel 1970, S. 4. 836 Hoffmann 2002 (1934.2), S. 20. 837 Lux 1905, S. 129. 838 Lux 1905, S. 130–135.

sollte, dass die Damen sich mit ihrer aufwendigen Garderobe in der Balustrade verfingen,

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

einen direkten ‚Berührungspunkt‘.839 Der

Stelle zu kommen“.842 Dieses Fahrrad veran-

glatte, breite Handlauf stellt nun aber de

schaulicht zum einen die enorme Exklusivi-

­facto einen unmittelbaren haptischen Berüh-

tät und Modernität der Gerätschaften, zum

rungspunkt dieser hygienisch durchkompo-

anderen transferiert es die in der Natur ver-

nierten Welt dar. Jene Treppe hinauf- oder

ortete Tätigkeit des Radfahrens in die Räum-

hinabschlendernd, hatte der Kurgast die

lichkeiten des Sanatoriums. Bedenkt man

Möglichkeit, sich sowohl tastend als auch

nun die zentrale Rolle der Luft- und Licht-

visuell in diesem ‚gesunden‘ Umfeld ‚einzu-

zufuhr durch die flexiblen und zahlreichen

fühlen‘. Zum einen boten die geschlossenen

Fenster des Hoffmann-Pavillons in Kombi-

und mit quadratischen, mehrfach ausgeform-

nation mit dem Fahrrad, das auf der Stelle

ten Ausfachungen versehenen Geländerflä-

verharrt, entwickelt sich die Aussage, dass

chen einen fest-umrissenen Raum und zum

das Angebot des Innerraums auch dem der

anderen gaben die glatten Handläufe eine

außen gelegenen Natur entspricht. Weiter

über die Hand vermittelte Sicherheit des sich

folgernd könnte man davon sprechen, dass

bewegenden Subjekts, das sich keiner direk-

die Natur nach innen weitergeführt wird und

ten Barriere stellen muss und das fast ­darüber

das ganze Gebäude durchströmt. Die Gren-

hinweg gleitend sicher in die nächste E ­ tage

zen von Innen und Außen verwischen sich.

gelangt. Somit vereinigt das Treppenhaus bei-

Neben der maschinellen Verfassung, in

de zuvor beschriebenen ästhetischen Momen-

der der genesende, moderne Mensch sich

te und verstärkt sie durch die faktisch hap-

aktiv entwirft, lässt sich für den Turnsaal aber

tische Komponente, die man auch als eine

noch ein weiterer Raumcharakter konstitu-

Möglichkeit zur Wahrnehmung von „Bewe-

ieren. Es ist zum einen die eigene Bewegung,

gungsempfindungen“ definieren ­könnte.

840

die dem Kurgast seinen Körper spüren lässt.

Hinter einigen der zahlreichen Fenster

Zum anderen kann er aber auch durch gleich-

befand sich der Turnsaal (Abb. 71), der Raum

zeitige Beobachtung der anderen Sporttrei-

für die „Mechanotherapie“ bot.

benden diesen Genesungsverlauf potenzie-

Ludwig Hevesi beschreibt in dem Artikel Neubauten

von

Josef

rend eventuell beschleunigen. So heißt es bei

Hoffmann vom

Lipps: „Der ‚Andere‘ ist die vorgestellte und

8. November 1905, wie er die diversen Gerät-

je nach der äusseren Erscheinung und den

schaften ausprobierte. Er spricht von einem

wahrnehmbaren Lebensäusserungen modi-

„schönen weißen Saal voll künstlicher Appa-

fizierte eigene Persönlichkeit, ein modifizier-

rate“.841 Neben einem elektrischen Mas-

tes eigenes Ich.“843 Und weiter:

sierapparat fällt ihm aber vor allem ein ­„Bicycle“ auf, das „arbeitet, ohne von der

„Es besteht, so müssen wir sagen, ein ursprünglicher und nicht weiter erklärbarer

839 Hevesi 1909, S. 216 und Topp 2004, S. 82f. und S. 195f. 840 Zur Definition des Begriffs „Bewegungsempfindung“ vergleiche Lipps 1903, S. 130. 841 Hevesi 1909, S. 217. Vergleiche dazu Topp 2004, S. 92–94.

psychischer oder ‚zentraler’ Zusammenhang zwischen optischen Wahrnehmungen 842 Hevesi 1909, S. 217. 843 Lipps 1903, S. 106.

255

256

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 71: Josef Hoffmann/Koloman Moser: Sanatorium Purkersdorf, Turnsaal bzw. Bewegungstherapieraum, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien

Körper als auch die emotionale Verfasstheit des Kurgastes wird beim Sport demnach angesprochen. Ein weiteres nachgewiesenes Möbelstück

fremder Bewegungen, und Impulsen zu ent-

des Sanatoriums war der Armlehnstuhl von

sprechenden eigenen Bewegungen, der

1903 (Abb. 51 und 53), der von Koloman

macht, dass diese Bewegungen zu stande

Moser entworfen wurde. Das Holzgestell des

kommen, oder zu stande kommen können,

Stuhls besteht aus einzelnen weißen Holz-

wenn jene optische Wahrnehmung uns zu

latten, die zu zwei Seitengitterflächen und

teil werden.“844

einer Lehne zusammengefasst werden. Jeweils abwechselnd korrespondieren Holz-

Neben der tatsächlichen Nachahmung der

strebe und Leerraum zu einer Aneinander-

Bewegung gesellt sich wie Lipps es formu-

reihung von Streifen. Die Sitzfläche formiert

lieren würde „die Innenseite der Nachah-

sich aus schwarzen und weißen Gurten zu

mung“ oder die Einfühlung.845 Sowohl der

einem Schachbrettmuster. Die Rückenlehne wird durch ein lose eingelegtes Kissen, das

844 Lipps 1903, S. 117. 845 Lipps erklärte diese Art der Phänomene an seinem berühmten Beispiel des Akrobaten. Vergleiche dazu Lipps 1903, S. 120–122 und S. 126–129.

mit Stoffen der Wiener Werkstätte bezogen ist, ergänzt. Der Stuhl verfügt über die Maße

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

61/61/70cm.846 Demnach steht der Kubus

dem Quadrat oder auch Rechteck abarbeitet.

des Stuhls auf einem Quadrat. Das Quadrat

Im Falle der Halle ist es vor allem die Form

ist nun auch neben der Fassade, dem Grund-

des Quadrats, die Lipps als eine „immanen-

riss und Querschnitt auch ein Grundbestand-

te Differenzierung“ beschreibt. Im Quadrat

teil des Interieurs. Als zusätzliche Beispiele

verwirklichen sich die beiden Grundrichtun-

zur Untermauerung dieser beobachteten

gen der Horizontalen und Vertikalen und

­Wiederholung des übersteigerten Ornaments

dies zu gleichen Anteilen.849 Überall wo der

lassen sich die Formen weiterer Sitzmöbel,

Kurgast hinsieht oder -fasst eröffnet sich ihm

Lampen, Blumenkörbe und sogar der ver-

eine Welt der ausgeglichenen Richtungen

wendeten Stoffe aufzählen. Aus diesem for-

und damit eine Ruhe und gewisse Stockung

malen Zusammenhang entsteht der Ein-

oder Stagnation. Jenes Prinzip der vielfachen

druck, der kleine Blumenständer auf einer

Ausformung der gleichen Ordnung beschreibt

Fotografie, die ihn ohne seine Funktion –

Lipps auch als „Ästhetische Einheit in der

demnach ohne Blumen – zeigt, erlangte eine

Mannigfaltigkeit“.850

während das

Neben dem soeben behandelten Stuhl Pur-

Sanatorium Purkersdorf auf einer Fotografie

kersdorf von Moser, der eigentlich für eine

ebenso klein wie eine Box anmuten kann.848

Klimt-Ausstellung entworfen worden war,

In Bezug auf den Stuhl von Moser und

befand sich im Hoffmann-Pavillon noch eine

seine Positionierung in der Halle des Sana-

sogenannte Sitzmaschine. Ihr geometrischer

toriums lässt sich aber auch eine weitere

Charakter und die fünfstufig verstellbare

Beobachtung notieren. Dieser Moser’sche

Rückenlehne ergaben die Bezeichnung einer

Stuhl schreibt sich geradezu in das Boden-

Maschine, durch die wohl der moderne

mosaik der Halle ein. Stellt man sich den

Anspruch gefestigt werden sollte.851 Daniele

Kurgast vor, wie er sich in diesem Raum auf

Baroni spricht bei diesem Möbel von einer

einem der Stühle niederlässt, wird deutlich,

vorgetäuschten Funktionalität durch Verzicht

wie sehr die Form des Quadrats in diesem

auf eine Ästhetik, während in Wahrheit gera-

Raumgebilde eine orientierende Aufgabe

de die Ästhetik bei diesem Stuhl im Mittel-

übernimmt. Man befindet sich nämlich nicht

punkt stand.852 Als eine Mittelform, die auf-

in einer rein weißen und von Licht erleuch-

grund funktional und ästhetisch motivierter

teten fast blendenden Welt. Das Sanatorium

Lösungen entstand, stellen sich die Kugeln

ist eben kein White Cube, der sich beliebig

heraus. Sie bilden am Stuhl des Speisesaals

bespielen ließe und damit sich zunächst über

(Abb. 54 und 55) eine Verbindung zwischen

seine Leere und Flexibilität auszeichnet. Viel-

tragender Konstruktion und Sitzfläche.853

mehr handelt es sich um eine vom Fußboden

Neben den Möbeln entstand um 1903 eine

monumentale Erscheinung,

847

bis zur Decke vielfach unterteilte Welt, die sich immer wieder an seiner Grundeinheit 846 Ohne Autor 2005, Stuhl Purkersdorf. 847 Varnedoe 1993, S. 82f. 848 Baroni und D’Auria 1984, S. 78.

849 Lipps 1903, S. 50f. 850 Lipps 1903, S. 34–36. 851 Takyo 1996, S. 198. 852 Baroni und D’Auria 1984, S. 62. 853 Baroni und D’Auria 1984, S. 98.

257

258

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Broschüre mit dem Titel Einfache Möbel für

präsentes“ Motiv. Neben der Rahmung der

ein Sanatorium, die auf der ersten Seite mit

Fassade, auf die bereits eingegangen wurde,

dem Wiener Werkstätten-Muster der quadra-

zählt er verschiedene Interieurs auf und

tischen Rose geschmückt war. Offensichtlich

spricht von Bilderrahmen, die Hoffmann für

wollte man auch mithilfe von Werbung über

Klimts Gemälde entwarf.857 Als ein weiteres

die Wiener Werkstätte auf das Sanatorium

Beispiel der Rahmung der Möbel am Sanato-

Purkersdorf aufmerksam machen.854

rium Purkersdorf ist die Behandlung eines

Die Nähe von Architektur und Möbeln und

Schreibtischs (Abb. 72) zu nennen. Der

ihre gemeinsame Konstruktionsformel wer-

Schreibtisch ist mit seiner gesamten Breite an

den dadurch verstärkt, dass die Möbel teil-

die Wand gerückt. Oberhalb seines Abschlus-

weise mit der Wand in Kontakt treten. Neben

ses verläuft auf der ganzen Länge des Schreib-

der gemeinsamen Farbgebung, der gleichen

tischs eine horizontale dunkle Leiste. Die

Konstruktions- und Dekorationsform des

Wandlücke, die rechts zwischen Schreibtisch

Quadrats wird auch das kollektive Ziel des

und Glastür klafft, wird durch eine vertikale

Zwecks und der Bequemlichkeit formuliert.

Leiste geschlossen. Der Schreibtisch wirkt

Betrachtet man jedoch die Sitzmöbel des Spei-

dadurch fest in der Wand verankert.858 Hinzu

sesaals genauer, muss man zum Schluss kom-

kommt die häufige Verwendung von dunkle-

men, dass die Form der Konstruktion der

rer Rahmung und hellerer Fläche. Der Ein-

Stühle sich zunächst eher aus dem Durchhal-

druck des Blockhaften der Formen wird somit

ten der geometrischen Formenwelt des Sana-

noch verstärkt. Die Begrenzung des Raums

toriums Purkersdorf ergibt, als durch das „Uti-

wird selbst am Zweidimensionalen offensicht-

litätsprinzip“ einer bequemen Sitzhaltung.855

lich. Nun aber zurückkehrend zum Speise-

Gottfried Pirhofer spricht von Kontrasten zwi-

zimmerstuhl (Abb. 54 und 55) ist festzuhalten,

schen den Raumformen und den Einrichtungs-

dass der bequeme Sitzkomfort nicht im Mit-

formen. Dabei ordnet er den Möbeln gegen-

telpunkt des Entwurfs stand. Abermals fun-

über den Raumformen einen zierlicheren

giert das Möbelstück dazu, den Kurgast kör-

Körper zu.

Er übersieht dabei aber die den

perlich spürbar in ein retardierendes und

beiden zugrunde liegende geometrische Form­

gefestigt klares Umfeld zu verorten. Jener

auffassung und vor allem die Verbindungen

Stuhl formt den Körper des darauf Sitzenden

zwischen den beiden Gebäudeinstanzen: die

in ein Raster, indem er eine bestimmte

Rahmung. Christian Witt-Dörring sieht in die-

­Körperhaltung erzwingt. Einer Korsage gleich

ser bei Josef Hoffmann sogar ein „omni­

forciert der Stuhl eine mit Absicht auf die

856

Genesung bevormundende Haltung, die aber 854

Leider war es nicht möglich, in Wien eine Ausgabe dieser Broschüre ausfindig zu machen. Im Archiv der Hochschule für angewandte Kunst befand sich lediglich der schon veröffentlichte Entwurf des Titelblattes von Koloman Moser. (Fahr-Becker 2003, S. 24.) 855 Feuerstein 1964, S. 180f. und S. 184. 856 Pirhofer 1986, S. 307.

auch als Sicherheitsgerüst wahrgenommen werden könnte.

857 Witt-Dörring 2006.1, S. 37. 858 Witt-Dörring 2006.1, S. 61–64.

3.3. Das Sanatorium Purkersdorf

Verzicht auf großformatige Gemälde verdeutlicht dazu noch die Gleichwertigkeit, die man dem Kunsthandwerk anrechnete und welche Wirkungskraft man ihm zutraute.860 Diese Zielsetzung äußert sich auch im Arbeitsprogramm der Wiener Werkstätte: „Der Wert der künstlerischen Arbeit und die Idee sollen wieder erkannt und geschätzt werden. Es soll die Arbeit des Kunsthandwerkers mit demselben Maß gemessen werden wie die des Malers und Bildhauers.“861 Das Gesamtkunstwerk ist im Sanatorium Purkersdorf über die Möbel und das Inventar im Inneren des Gebäudes weitergeführt. Durch diese Konzeption ist der Hoffmann-Pavillon mit den Auffassungen des Siebener Abb. 72: Josef Hoffmann/Koloman Moser: Sanatorium Purkersdorf, Schreibzimmer, 1904, Niederösterreich, Purkersdorf bei Wien, Fotografie von 1906

Clubs862 und den Bestrebungen der Wiener Secession verbunden.863 Dem Ziel, dass das Bürgertum nun nach dem Adel seinen

Die schon in der Werkbeschreibung auf-

Kunstauftrag erfüllen müsse, wurde intensiv

geführte minimierte Wirkung der Tektonik

nachgegangen. Die Wiener Werkstätte hatte

an der Fassade wird nach Ansicht Pirhofers

sich mittels seiner Auftraggeber und Ziel-

im Inneren durch die Möbel kontrastierend

gruppe zum Instrument dieses zu schaffen-

widerlegt. Ebenfalls wurde aber auch eine

den ‚Kunststils‘ des Bürgertums deklariert.864

starke Verkettung von Wand und Möbel fest-

Vor allem aber verdeutlichen die hier ge­leis-

gestellt. Es ist zwar möglich, die einzelnen Elemente aus denen sich das Sanatorium Purkersdorf zusammensetzt, zu erörtern, aber dies verfälscht den Wert der Stücke, die nur im Gesamten ihre volle Wirkung entfalten. Baroni sieht in den einzelnen Möbelstücken kleine abgeschlossene Werke für sich, erkennt aber ihre effizientere, gemeinsame Wirkung im Verbund miteinander an.859 Ein

859 Baroni und D’Auria 1984, S. 63.

860 Witt-Dörring 2006.2, S. 154 und S. 190. 861 Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905). 862 Der Siebener Club war eine recht kurz bestehende Künstlergruppe, die sich Samstagabends in einem Wiener Kaffeehaus zur Diskussion traf. Ihr gehörten unter anderem Joseph Maria Olbrich, Josef Hoffmann, Max Fabiani, Friedrich Pilz, Friedrich Kick, Jan Kotěra, Josef Urban, Max Kurzweil und Koloman Moser an. (Vergleiche dazu Sekler ²1986, S. 15–17.) 863 Kapfinger 2003, S. 58f. 864 Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905).

259

260

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

teten Beobachtungen, dass sich das Sana­ torium Purkersdorf in seiner Gänze als Gemütsarchitektur dem Drei-Ebenen-Modell des „realen Tuns“ nach Theodor Lipps

3.4. Das Haus am Michaelerplatz: Die stimmungshafte Verortung der Architektur in ein städtisches und persönliches Repräsentations- oder Wunschbild

­verschrieb:

3.4.1. Baubeschreibung „Es gibt in Wahrheit drei Arten des realen Tuns. Einmal das Tun in der Sphäre der Phantasie, das sich Richten des Wil-

Der Michaelerplatz – Eine vielschichtige Adresse

lens auf bloße Gegenstände der Phantasie, das lediglich ‚gedankliche‘ Arbeiten,

Das Haus am Michaelerplatz (Abb. 73) von

sich Bemühen, Standhalten, Überwinden,

Adolf Loos entstand in den Jahren zwischen

Entscheiden, strebende Fortgehen von ei-

1909 und 1911 und stellt das größte, umfang-

nem zum andern, Anlangen bei einem

reichste und wohl auch meist beachtete Werk

Punkte, in welchem das Streben sich be-

seines Œuvres dar.866 Marco Pogacnik zeigt

friedigt. Es gibt daneben das intellektuel-

auf, inwiefern Architekt Ernst Epstein von

le Tun oder das Tun des Verstandes, das

Adolf Loos, Leopold Goldman und Emanu-

Nachdenken, Sichbesinnen, das Urteilen,

el Aufricht als Verantwortlicher für die Bau-

Schließen u. s. w. Und es gibt endlich das

genehmigungen hinzugezogen wurde. Des

Tun, das erst sich befriedigt in realem Da-

Weiteren engagierte man Baumeister Eduard

sein, d. h. in Empfindungen, und dem Be-

Frauenfeld und sein Bauunternehmen. Eben-

wusstsein, dass etwas wirklich sei. In wel-

so erklärt Pogacnik, dass der Entwurf des

cher dieser drei Phasen auch sich das Tun

gesamten Gebäudes jedoch allein auf Adolf

vollzieht, immer ist es dasselbe reale Tun,

Loos zurückzuführen ist. Die Undurchsich-

oder kann es sein.“

tigkeit der Planungslage und die Vielzahl der

865

Unterschriften, die in ihrer Kombination der Demzufolge steht das gedankliche Abarbei-

drei Personen variieren, ergaben sich laut

ten des Kurgastes am Gebäude und seinen

Pogacnik nur aus taktischen Überlegungen

beherbergenden Gegenständen auf ebenbür-

vonseiten der Auftraggeber.867 Die beiden

tiger Stufe mit dem tatsächlichen Sporttrei-

Autoren Burkard Rukschcio und Roland

ben oder Kuren. Beides soll die Gesundheit

Schachel, die die umfassendste Monografie

oder die gesundheitlich fördernde Gestimmt-

zu Adolf Loos veröffentlicht haben, sprechen

heit des Kurgastes gleichwertig vorantreiben.

beim Haus am Michaelerplatz von seinem

Der Wahrnehmungsraum des Sanatoriums hat ebenso eine therapeutische Relevanz wie die Kur selbst.

865 Lipps 1903, S. 129.

866

Die komplizierte Baugeschichte ist äußerst detailliert in zwei Publikationen nachzulesen und soll daher lediglich Auszugsweise nach Relevanz für die Untersuchung erwähnt werden. (Long 2011 und Pogacnik 2011.) 867 Pogacnik 2011, S. 61f.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Hauptwerk.868 Des Weiteren ordnen sie es

wird.874 Adolf Loos selbst äußerte sich zu

folgendermaßen in sein Gesamtwerk ein: „Es

den Anteilen Goldmans am Grundriss des

ist sein bedeutendster und größter ausgeführ-

Hauses am Michaelerplatz wie folgt:

ter Bau mit städtebaulichen Anforderungen. Zudem ist es sein erster Neubau und das

„Und hier muß ich des großen Anteils ge-

Werk, das seine Umwelt am stärksten her-

denken, den der eine Bauherr, Herr Leo-

ausgefordert hat.“869 Das Haus am Michae-

pold Goldman, an der Grundrißlösung

lerplatz mit der Adresse Michaelerplatz 3 ist

hat. Durch seine Mitarbeiterschaft, durch

ein Auftragsbau der Schneiderfirma Gold-

seine glänzenden Einfälle, durch seine Ge-

man & Salatsch, deren Besitzer Leopold

schäftskenntnisse, die sich immer wieder

Goldman

zu wahren Erfindungen umkristallisier-

870

und Emanuel Aufricht

871

waren.

Es ist sowohl ein Geschäfts- als auch ein

ten, ist der Grundriß entstanden.“875

Wohnhaus. Christopher Long bezeichnet das Haus am Michaelerplatz für Adolf Loos als

Adolf Loos’ Auftraggeber Goldman &

seinen Durchbruch; „breakthrough“.

Dies

Salatsch war einer der exklusivsten Herren-

ist in Bezug auf seine öffentliche Wahrneh-

modegeschäfte Wiens. Wie jedoch im Rah-

mung als Architekt bestimmt korrekt, wobei

men dieser Untersuchung zu zeigen sein

insbesondere seine vorhergehenden Woh-

wird, handelt es sich im Falle des Hauses am

nungseinrichtungen und die Villa Karma

Michaelerplatz auf keinen Fall um den Typus

nicht als unbedeutend deklassiert werden

eines Warenhauses, sondern vielmehr um

dürfen; so wie es in Bezug auf die Ausbil-

ein „vornehmes Geschäft“.876 Des Weiteren

dung von räumlichen Strukturen bei Loos

formuliert Leslie Topp die These, dass Gold-

von Long unternommen wird.

872

Adolf Loos

man und Aufricht jenen Typus des Waren-

war ebenso für den Außenbau wie für die

hauses verhindern wollten und bewusst Loos

Gestaltung des Innenbaus beauftragt. Wobei

beauftragten, ein „vornehmes Geschäft“ zu

eine größere Beeinflussung des Innenbaus

entwerfen, da sie antisemitische Anfeindun-

durch die Auftraggeber bei einer gleichzeiti-

gen befürchteten.877 Demnach könne man

gen weitest gehenden Freiheit für Loos im

fast von einer Assimilations-Maske für das

Falle der Fassadengestaltung angenommen

Loos-Haus sprechen. Jener These geht ins-

873

besondere Elana Shapira nach.878 Adolf Loos beobachtete selbst bereits 1898: 868 Rukschcio und Schachel 1982, S. 460. 869 Rukschcio und Schachel 1982, S. 460. 870 „Leopold Goldman Wien, 27.09.1875 – KZ Maly Trostinec, 15.06.1942, Herrenschneider, Modedesigner; Kaufmann“. (Bock 2009, S. 126.) 871 „Emanuel Aufricht verheiratet mit Leopold Goldmans Schwester Berta Wien, 14.12.1871 – KZ, Dezember 1941 Partner der Firma Goldman & Salatsch“. (Bock 2009, S. 126.) 872 Long 2011, S. 72. 873 Long 2011, S. 72.

„Die großen Firmen [von Schneidern in Wien; LT] und ihre nächsten Nachkom874 Pogacnik 2011, S. 48. 875 Loos 2010 (1911), S. 418. 876 Vergleiche dazu Topp 2004, S. 152–162 und Long 2011, S. 57, S. 59f. und S. 72–78. 877 Topp 2004, S. 165 und S. 168. 878 Shapira 2004, S. 316–341.

261

262

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Zunächst ist aber das Umfeld des Bauwerkes, auch Loos-Haus genannt, genauer zu betrachten. Es befindet sich im 1. Bezirk im konzentrischen Kreis der Monarchie, da es genau gegenüber der Hofburg880 am Michaelerplatz positioniert ist und damit in der Sichtachse des Monarchen liegt. In der Forschungsliteratur wird genau diese Lage herkömmlich als Ursache für die provokative Wirkung des Gebäudes herangezogen.881 Christopher Long erwähnt ergänzend den „Überraschungseffekt“ der Architektur des Hauses am Michaelerplatz als Begründung für die Echauffierung der meisten Wiener. Sie seien einfach unvorbereitet gewesen, da die Werke Loos’ sonst nicht allzu öffentlich präsent gewesen waren.882 Bereits 1910 berichtet Hans Tietze in Hinsicht auf den Denkmalschutz von Alt-Wien den KonAbb. 73: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Hauptansicht, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie von Bruno Reiffenstein, um 1920 mit nachträglich angebrachten Blumenkörben

men haben alle ein gemeinsames Merkmal: die Furcht vor der Öffentlichkeit. Man beschränkt sich womöglich auf einen kleinen Kundenkreis. Wol sind sie nicht so exclusiv wie manche Londoner Häuser, die sich Einem nur auf die Empfehlung Albert Edward’s, des Prinzen von Wales, öffnen. Aber jeder Prunk nach außen ist ihnen fremd.“879 Mit welchen Strategien Loos ein vornehmes, gediegenes Geschäftslokal gestaltete, soll im Folgenden geklärt werden.

879 Loos 2010 (1898.1), S. 58.

fliktcharakter des „Streithauses am Michaelerplatz“.883 Nicht nur, dass Loos ein ‚nacktes‘ Gebäude ganz ohne Fassadenornamentik erbaut;884 nein, er situiert diese ungewöhn­

880

Genauer gesagt handelt es sich um den Michaelertrakt der Hofburg. Bis 1888 befand sich an dieser Stelle das Hofburgtheater. In den folgenden fünf Jahren nach dem Abriss des Hofburgtheaters wurde auf Grundlage von alten Plänen Joseph Emanuel Fischer von Erlachs mit dem Michaelertrakt eine Verbindung zwischen Reichskanzleitrakt und Winterreitschule geschaffen. (Baedecker 2005, S. 188–190.) 881 Siehe dazu Czech und Mistelbauer ²1977. 882 Long 2011, S. 194. 883 Tietze 1910, Sp. 33f. und Sp. 50–62. Vergleiche dazu auch Aurenhammer 1997, S. 38f. 884 Paul Engelmann widmete 1911 in Die Fackel jenem Nacktsein eine ganze Strophe in seinem Gedicht zum Haus am Michaelerplatz: „Es glänzt an ihr die Keuschheut aller Firne, ‒ auf glattem Mauerwerk zum Küssen! – Und Marmor, daß sie nicht die Pracht vermissen: ‒ naiv und lüstern, fast wie eine Dirne.“ (Engelmann 1985 (1911), S. 46.) Engelmann stilisiert das Äußere des Loos-Hauses regelrecht zum Fetisch.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

liche Erscheinung auch noch in den inners-

schen Ecke, wo Handel und Wandel mäch-

ten Kern der Kultur der Donaumonarchie,

tig vorüberströmen und das Leben der

die Loos schon zuvor als „Potemkin’sche

Wienerstadt am lebendigsten pulsiert, hier,

Stadt“ diffamiert hatte.

Bezeichnend ist es,

wo die heimatlichen Erinnerungen wie

dass der Blick des Monarchen als Anstoß zur

das Licht im Brennglase sich sammeln,

Debatte um das Haus aufgegriffen wurde.

wo Vergangenheit und Gegenwart beina-

Max Ermers fasst jenes schon fast klischee-

he sichtbarlich zusammenfließen, hier auf

hafte Bild bereits 1930 zusammen:

diesem Platze, wo der Geist des alten

885

Burgtheaters noch umgeht, hier in unmit„Was weiß der Wiener vom derzeit größten

telbarer Nähe der Burg, wo Oesterreichs

Baukünstler seiner Stadt? Daß er die Or-

Geschichte gemacht wurde, die große Ma-

namente für Verbrechen halte … oder daß

ria Theresia täglich vorüberfuhr, Kaiser

der Kaiser Franz Josef gesagt habe, er kön-

Josef und Kaiser Franz hundertmal zu Fuß

ne nun aus seinen Hofburgfenstern nicht

über die Straße gingen, hier im Herzen

mehr auf den Michaelerplatz hinausschau-

der Stadt, am Sitze ihres Gedächtnisses,

en, weil der Herr Loos ihm das Goldman

hier wirkt dieses neue Bauwerk geradezu

& Salatsch-Haus hingestellt habe …“

wie eine Kränkung und Beleidigung der

886

alten Vindobona, wie ein Stoß ins Herz, Entscheidend ist, dass es sich bei der Aussa-

wie eine Kriegserklärung gegen alles, was

ge des Monarchen nur um ein Hörensagen

bisher als wienerisch und als Wiener

handelt und dass es dennoch bis 1930 deut-

Kunst gegolten.“887

lich als Klischee weiterhin überliefert ist. Der Blick eines Menschen und dessen Sichtfeld

Im Wiener Montags-Journal heißt es sogar,

werden zum Maß der durch ihn wahrgenom-

dass das Haus am Michaelerplatz „zeitle-

menen Architektur. Deutlich wird, wie emo-

bens eine Ohrfeige der Umgebung“ sein wird

tional aufgeladen durch die Bevölkerung

und ein „Monstrum“ sei.888 Der reale Ort

oder Journalisten das architektonische

des Hauses am Michaelerplatz wird durch

Umfeld des Monarchen begründet wurde.

den ihn umgebenden sozial kodierten Raum

Hugo Wittmann schreibt 1910:

affektiv aufgeladen.889 Das Haus am Michaelerplatz steht an der Ecke zwischen Kohl-

„Wenn dieses Haus [das Haus am Micha-

markt, der bis heute die exklusivste Ein-

elerplatz von Adolf Loos; LT] in einer an-

kaufsstraße Wiens ist, und Herrengasse. Es

deren Gegend der Stadt, an einem weni-

handelt sich hierbei um das Grundstück,

ger verkehrsreichen, geschichtlich weniger

auf dem sich bis Mitte 1909 das Dreilaufer-

bedeutsamen Orte stände, würde sich, so auffallend es schiene, niemand darüber aufhalten. Aber hier an dieser urwieneri885 Vergleiche dazu Loos 2010 (1898.6), S. 187–190. 886 Ermers 1985 (1930), S. 158.

887 Wittmann 1985 (1910), S. 37. 888 Ohne Autor 1985 (1911), S. 51. 889 Zur Unterscheidung zwischen den Begriffen Ort und Raum vergleiche Baumgärtner u. a. 2009, S. 9–25.

263

264

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

haus890 befunden hatte. Steht man gegen-

Deutlich wird, wie stark in diesem Fall der

über vom Loos-Haus mit der Hofburg im

Ort oder Treffpunkt mehrere Literatengrup-

Rücken, befindet sich rechts des Loos-Hau-

pierungen formte und ihre Identitäten prägen

ses die Michaelerkirche und links davon das

sollte. Mit der Modifikation des Platzes ver-

Café Griensteidl im Palais Herberstein.

ändert sich folglich auch seine soziale Struk-

Zuvor hatte dort das Palais Dietrichstein

tur. Auf dieses Phänomen bezieht sich Karl

gestanden, in dem von 1847 bis 1897 Hein-

Kraus, wenn er in seiner Streitschrift das

rich Griensteidl das berühmte Literatenkaf-

abgerissene Palais im Sinne einer ­demolierten

feehaus betrieb.891 Vor allem wurde es für

Architektur der Demontierung einer Litera-

die Nachwelt berühmt durch die Schmäh-

turbewegung gleichsetzt. Kraus c­ harakterisiert

schrift Die demolirte Literatur von Karl

das Kaffeehaus als „literarische[s] Ver-

Kraus, die ironisch den Abriss des Stamm-

kehrszentrum“893. Des Weiteren beschreibt

kaffeehauses der Literaturbewegung Jung

Kraus das Treiben in bissigen Bildern:

Wien und deren damit resultierende ‚Heimatlosigkeit‘ aufgriff. Die Rolle des Cafés

„Die Stimmungsmenschen, die jetzt wie

Griensteidl für die Literaturbewegung um

die Pilze aus dem Erdboden schossen,

Hermann Bahr wird von Dagmar Lorenz

wünschten seltsame Farbenkompositio-

dergestalt umrissen:

nen für Gefrorenes und Melange, es machte sich das Verlangen nach inneren Erleb-

„Das ‚Kaffeehaus als Hauptstapel- und Um-

nissen geltend, so daß die Einführung des

schlagplatz von Zeitideen‘ [...] bedeutete

Absynths als eines auf die Nerven wirken-

also weitaus mehr, als ein zufälliger Ort

den Getränkes notwendig wurde.“894

des Zusammentreffens von Künstlern und Literaten. Geradezu als Synonym-Begriff

Die „Stimmungsmenschen“ sind für Kraus

für die literarischen Bestrebungen der jun-

eine solch dominante Modeerscheinung,

gen Schriftstellerrunde um Hermann Bahr

dass er sie satirisch überzeichnet darstellt.

avancierte das am Michaelerplatz gelege-

Deutlich wird aber selbst in der negativen

ne Café Griensteidl. 1847 eröffnet, wurde

Konnotation des Begriffs, dass eine ganz-

es bald zum Treffpunkt von Schauspielern

heitliche Lebensart mit ihm verbunden wur-

und Literaten. […] Als das Café Griensteidl

de. Eine von den Zeitgenossen deutlich

am 21. Januar 1897 aus Anlass der Umge-

wahrgenommene gedankliche Verknüpfung

staltung des Michaelerplatzes geschlossen

des Stimmungsbegriffs mit dem physiologi-

wurde, bedeutete dies auch eine Zer­

schen Prinzip der Nerven wird auch in sei-

splitterung der Jung-Wiener Literatur­

ner satirischen Abwertung noch offensicht-

gesellschaft.“892

lich. Zum Ende seines Essays – nachdem er

890

Siehe dazu Bösel 1992, Katalognummer 20 und 21, S. 53–56. 891 Baedecker 2005, S. 244. 892 Lorenz ²2007, S. 33.

893 Kraus 2004 (1897), S. 644. 894 Kraus 2004 (1897), S. 647. Die Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

die verschiedenen Literaturbewegungen in

dende, regierende Form. Der Bürger aber

ihrer Wankelmütigkeit beschrieben hat – for-

spiele nicht den kleinen Gernegroß.“897

muliert Kraus noch die beiden Fragen: „Wohin steuert nun unsere junge Literatur?

Daher wird sowohl im Rahmen der Werkbe-

Und welches ist ihr künftiges Griensteid-

schreibung als auch in der Werkanalyse

l?“

Zumindest wird bis heute klar ein Bild

immer wieder auf den Aspekt der Bedeutung

davon vermittelt, wie eklatant bewusst man

der Lokalisierung eingegangen werden. In

sich war, in welchem Kreis und an welchem

der Werkbeschreibung sollen die mannigfal-

Ort man seinen Kaffee konsumierte. Allein

tigen Verflechtungen und Beziehungen des

dadurch legte man schon ein Zeugnis über

Gebäudes mit seiner Umgebung aufgezeigt

sich ab.

werden, während in der Werkanalyse vor

895

Bezeichnend ist die Benennung Haus am

allem der Standort als vermeintlicher Provo-

Michaelerplatz. Diese ist bei Weitem geläu-

kationsgrund wahrgenommen wird. Die Fra-

figer als Loos-Haus oder etwa Goldman &

ge, ob sich diese Erklärung für das Skandal

Salatsch-Gebäude. Der Standort bekommt

auslösende Bauwerk noch halten lässt oder

somit eine sehr präsente Rolle für das Gebäu-

sich vielmehr weitere Aspekte finden lassen,

de. Sowie die Kritik am Loos-Haus seine

die nur durch ihre Verortung in der Nähe

Situierung am Michaelerplatz aufgriff, recht-

der Monarchie besondere Brisanz erfuhren,

fertigte Adolf Loos jene Positionierung. Hugo

wird im Mittelpunkt der Werkanalyse stehen.

Wittmann spricht von einer „heimatlosen

So versichert Adolf Loos in einer Zuschrift

Kunst“

, während Loos seine Architektur

an die Neue Freie Presse, die am 06. Dezem-

nicht als Provokation, sondern als Respekt

ber 1910 abgedruckt wurde, dass er „doch

gegenüber der Wahrung von Standesgrenzen

das Haus so entworfen [habe; LT], daß es

definiert. So heißt es im Bericht Otto Zoffs

sich möglichst in den Platz einfügen sollte.

über einen Vortrag Loos’:

Der Stil der Kirche, welche das Pendant zu

896

diesem Bau bildet, war für [ihn; LT] richtungs„Loos weist auf den Vorwurf hin, der ihm

gebend.“898 Besonders die Publikation von

gemacht wurde, daß er sich nicht der Er-

Marco Pogacnik beweist jene Aussage von

lachschen Hofburg angepaßt. Und ent-

Adolf Loos. Pogacnik rekonstruiert die mög-

gegenet: dort wohnt der Kaiser, hier der

lichen architektonischen Wiener Vorbilder

Bürger. Dem Kaiser gebühren die Kup-

für Loos’ Haus am Michaelerplatz und

pel, die hallenden Gewölbe, die ausla-

bezeichnet Loos im Sinne seines Berufsethos als einen „Gentleman-Architekten“, der höf-

895 Kraus 2004 (1897), S. 650. 896 Wittmann 1985 (1910), S. 37. Auch Hans Tietze betont ebenso 1910 jene Vorgehensweise Loos’ und sieht darin eine bei Weitem glücklichere Lösung gegeben als bei dem Herberstein’schen Palais, das seiner Ansicht nach „die Formen […] skrupellos auf ein Wohnhaus übertrug, was eine Kaiserburg zieren durfte“. (Tietze 1910, Sp. 52.)

lich auf Traditionen achtet.899 Auch Christopher Long nennt weitere Wiener Vorbilder für das Haus am Michaelerplatz und identi897 Zoff 1985 (1912), S. 56. 898 Loos 2010 (1910.4), S. 388. 899 Pogacnik 2011, S. 16, S. 27f., S. 32 und S. 40.

265

266

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 74: August Stauda: Franziskanerplatz 1/3, Wien I., Blick aus der Diagonale des Platzes etwa bei Einmündung der Ballgasse in die Weihburggasse, Glasplatte, 1900

„Der Volksmund nennt es das Haus ohne Augenbrauen. Ihr lieben alten Wiener Häuser, die ihr keine Augenbrauen habt, macht euch nichts draus, wenn euch der Volks-

fiziert für die Wahl von „Spolien“ oder archi-

mund schmäht. Der Wiener Volksmund

tektonischen Zitaten die Aufgabe, ein Gebäu-

hat an euch, ihr lieben alten Bauhäuser, an

de für einen „Gentlemen’s tailor shop“ zu

euch, ihr Häuser am Franziskanerplatz, ei-

bauen.900 Auch Leslie Topp betont Loos’ Ori-

nen Schönheitsfehler entdeckt. Aber es gibt

entierung für die Fenster des oberen Blocks

Leute, die im Gegensatz zum Volksmund

des Hauses am Michaelerplatz an den fast

gerade den Franziskanerplatz für ein Stadt-

unverzierten Fenstern eines Gebäudes am

juwel halten.“902

Franziskanerplatz.901 Jenes Indiz hat sie von Loos selbst, der 1911 schreibt:

Bereits 1910 hatte Hans Tietze in seinem Artikel Der Kampf um Alt-Wien die Nähe der Fensterbehandlungen vom Michaeler-

900 Long 2011, S. 60–66, S. 68–78 und S. 192. 901 Topp 2004, S. 166.

902 Loos 2010 (1911), S. 431.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

haus (Abb. 73) zu den Häusern am Franzis-

Präsenz der kaiserlichen Stadtresidenz. ­

kanerplatz (Abb. 74) betont.

Jene Gegen-

­Aufgrund der leicht peripheren Lage des

sätzlichkeit aus emotional aufgeladenem

Michaelerplatzes wurde er zu einem Kno-

Wahrnehmen oder auch Nicht-­Wahrnehmen

tenpunkt der verschiedenen Wege. In ihm

durch die damaligen Wiener und der zitat-

kreuzten sich die Verbindungslinien Herren-

haften Konzeption des Loos-Hauses durch

gasse–Augustinerstraße und Kohlmarkt–­

seinen Architekten betont bereits in den

Burgdurchfahrt, die beide bis auf die Römer-

1980er-Jahren Friedrich Achleitner.

zeit zurückreichen.908

903

904

Diese

gegensätzlichen Wahrnehmungen des Gebäu-

Am Kohlmarkt hatte sich bereits im 17.

des und deren Entstehen, sollen im Rahmen

Jahrhundert eine Vielzahl von bürgerlichen

der Werkanalyse verhandelt werden.

Stadthäusern angesiedelt.909 So kam es, dass im Rahmen der Um- und Neubaumaßnah-

Die Entwicklung des Michaelerplatzes

men zu Beginn des 18. Jahrhunderts der Wunsch nach einer Akzentuierung der Stadt-

Der Michaelerplatz ist ein „Architektur-

front in einem Projekt von Johann Lucas von

platz“905. Seine Planungsgeschichte reicht

Hildebrandt in den Mittelpunkt der Überle-

gerade mal bis in die zweite Hälfte des 17.

gungen gerückt wurde. Die Burgeinfahrt soll-

Jahrhunderts zurück und im Gegensatz zu

te betont werden. Joseph Emanuel Fischer

den anderen Plätzen im ersten Bezirk – wie

von Erlach, der Hildebrandt als leitenden

Graben, Hoher Markt, Judenplatz, Neuer

Architekten ablöste, entwickelte die Lösung

Markt und Platz am Hof – diente er zunächst

einer zurückgeschwungenen Fassade.910 Die-

auch keiner bestimmten Funktion für das

ses stark ins Innere des Hofburgareals Wei-

Leben in der Stadt. Weder wurde am Micha-

chende der Architektur ermöglichte erst

elerplatz ein Markt abgehalten, noch waren

einen vergrößerten Stadtraum vor der Hof-

es verkehrstechnische Erwägungen, die zu

burg und ließ so den Kreuzungspunkt zwei-

seiner Ausprägung führten.906 Die Heraus-

er Straßenachsen zu einem Platz anschwel-

formung zu einem Platz begann Mitte des

len. Eine Verwirklichung dieses barocken

17. Jahrhunderts mit einer „Freiraum-Erwei-

Platzes verblieb jedoch zunächst Zukunfts-

terung“

vor der Michaelerkirche, um in

musik. Das auf diesem dazu benötigten A ­ real

den 20er-Jahren des 18. Jahrhunderts eine

befindliche Alte Burgtheater – zuvor Ball-

Verlagerung zur Hofburg zu erfahren. Damals

haus – wurde erst 1888 abgerissen und erst

plante man die Entfaltung einer stadtseitigen

danach konnte die Umgestaltung dieses städ-

Hofburgfassade und damit eine deutliche

tischen Areals beginnen. Nun galt es, die

Verschiebung der Platzsituation hin zur

Schauseite zum inneren Stadtkern hin, die

907

Michaelerfront, und den sie umgebenden Raum als „erste[n], glanzvolle[n] Empfangs903 Tietze 1910, Sp. 54. 904 Achleitner 1983, S. 100. 905 Bösel 1992, S. 9. 906 Bösel 1992, S. 9. 907 Bösel 1992, S. 9.

908 909 910

Bösel 1992, S. 11. Bösel 1992, S. 11. Bösel 1992, S. 14.

267

268

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

raum“911 des Kaiserhofes zu inszenieren. Die

Verbauung ermöglichen, die eine Paralleli-

Konzeption Gottfried Sempers für das Kais-

sierung zur gegenüberliegenden Fassade der

erforum baute die Relevanz der Achse zwi-

Michaelerkirche mit angrenzender Bebauung

schen Kohlmarkt und den Vorstädten noch

darstellte. So hätte eine trichterförmige

weiter aus und damit wäre der Michaeler-

Erweiterung des Kohlmarktes, wie sie bereits

platz laut Richard Bösel endgültig zum „Auf-

auf dem hochbarocken Regulierungsplan im

takt des Kaiserforums“ geworden.912 Streng

Albrecht-Kodex zu erkennen ist, hin zur

genommen wäre der Michaelerplatz zum

Michaelerfront und ihrem konvex geschwun-

Auftakt der Rückseite des Kaiserforums

genen Platz entstehen können.917 Stattdessen

geworden, da Semper seine Planung von den

plante man zunächst eine Parzelle, deren

Vorstädten aus gesehen inszenierte, und

Bebauung weiter zurückweichen sollte als

nicht von der Innenstadt aus.913 Näheres zum

das heute verwirklichte Loos-Haus. Zu der

Kaiserforum nach Gottfried Semper und Carl

Änderung der Parzellenbebauung wird im

Hasenauer und in welcher Art und Weise

Rahmen der Entwürfe später noch näher

Loos sein bürgerliches Michaelerhaus der

­eingegangen. Entscheidend ist, dass durch

Konsumwelt in dieses royale, städtebauliche

die Änderung der Parzellenführung der

Vorhaben einordnete, wird später noch

Michaeler­platz nicht mehr im Sinne eines

untersucht.914

„trapezförmig auf die Hofburgfront ausge-

Die weitestgehend bis heute wirksame,

richteten Freiraumes“ aufgefasst wurde, son-

endgültige Platzregulierung erfuhr der Micha-

dern sich zu einer „Drehscheibe“ formte, um

elerplatz in dem Zeitraum zwischen 1897

die sich die Gebäudekomplexe anordneten.918

bis 1910. Neben dem Stöckl915 und dem

Inwiefern Adolf Loos auf die Form der

Palais Dietrichstein, das man als Palais Her-

„Drehscheibe“, die sich als Endpunkt aus

berstein neu errichtete, wurde auch das Drei-

dem Stadtkörper herausgeschält hatte, ein-

lauferhaus (Abb. 75) abgerissen. Der Abriss

ging, wird im Folgenden zu beobachten sein.

des Dreilauferhauses von 1909916 sollte eine 911 912 913 914

915

916

Bösel 1992, S. 16. Bösel 1992, S. 19f. Siehe dazu Podbrecky 2007, S. 113–129 und Kurdiovsky 2012, S. 161f. Zum Verhältnis der Arbeiten Sempers und Hasenauers am Kaiserforum siehe Kurdiovsky 2012, S. 156–183. Das Stöckl war eine bürgerliche Gebäudegruppe, die sich bis zu ihrem Abriss in den 1890er-Jahren quer über dem Gelände des heutigen Michaelerplatzes erstreckte und einem Riegel gleich die nördliche Häuserfront des Kohlmarkts visuell zur Hofburg weiterführte. Nach ihrem Abriss wurde das Griensteidl-Haus bzw. das Palais Dietrichstein zum nordwestlichen Abschluss des Platzes. (Czech und Mistelbauer ²1977, S. 14–17.) Bösel 1992, S. 27.

Beschreibung der Fassaden – Loos bringt sein Haus auf den Markt Das Haus am Michaelerplatz ist ein Skelettbau, der durch Ziegel ausgefacht und dem eine Kalkputzfassade vorgeschaltet ist.919 Die Innenraumaufteilung konnte demnach durch nichttragende Zwischenwände auf die Bedürfnisse der unterschiedlichen Nutzungskonzepte angepasst werden. Das Gebäude lässt sich 917 Siehe dazu Bösel 1992, S. 26. 918 Bösel 1992, S. 27. 919 Czech und Mistelbauer ²1977, S. 49.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Abb. 75: Michaelerplatz, spätes 19. Jahrhundert, links: das Dreilauferhaus, rechts: die Michaelerkirche, Wien I., Fotografie vom 03.06.1909

wird noch auf die Hoffassade eingegangen, die jedoch für den Besucher des Gebäudes oder den Spaziergänger nicht ersichtlich ist. Aber gerade diese Latenz führt zu einem ungewöhnlichen Charakter dieser Gebäude-

deutlich in eine Hauptfassade zum Michae-

ansicht.

lerplatz und zwei Nebenfassaden zur Herrengasse und zum Kohlmarkt hin unterteilen

Die Hauptfassade zum Michaelerplatz

(Abb. 4 und 73). Alle drei Fassaden unterscheiden sich deutlich in ihrer Bezugnahme

Zunächst ist eine deutliche Dreiteilung der

zu ihrer Umgebung. Im Rahmen der Beschrei-

14,13 m langen Fassade zu konstatieren. Der

bung der Fassaden soll vor allem deren Situ-

mit Cipollinomarmor umkleidete Sockelbe-

ierung im Raum der umgebenden Stadt im

reich,920 der den etwa 3-stöckigen Geschäfts-

Mittelpunkt stehen, um zu verdeutlichen, wie

trakt des Gebäudes umreißt, wird um einen

sehr Adolf Loos sein Haus nicht als geplan-

vierstöckigen, gleichmäßig kalkverputzten

ten Skandal inszenierte, sondern im Gegen-

Wohnblock aufgestockt und zuletzt wird der

teil ein Stück Wiener Kultur verwirklichen wollte. Zum Ende der Außenbeschreibung

920

Bis heute sind einige Platten erneuert worden. Siehe dazu Czech und Mistelbauer ²1977, S. 49.

269

270

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

gesamte Gebäudekörper von einem Kupfer-

Charakterträger des Hauses. Ludwig Münz

dach gefasst. Getrennt voneinander werden

und Gustav Künstler sprechen von einer

die verschiedenen Abschnitte nicht nur durch

„vornehmen Haltung“ des Gebäudes, um des-

ihre Materialität, sondern auch durch Gesim-

sen Funktion als Hauptsitz eines Herrenmo-

se zwischen Sockel und Wohnblock und wie-

degeschäftes plastisch zu verkörpern.924 Die-

derum zwischen Letzterem und dem Dach.

ser Eindruck soll nun en détail untersucht

Die Gesimse werden korrespondierend zum

­werden.

Fassadenverlauf nur an den Ecken und Fas-

Die gesamte Fassade springt leicht zurück.

sadensprüngen (Fassade hin zur Herrengas-

Anders Munch beobachtet darin Loos’ ein-

se) vertikal unterteil. Sie bilden eine Art von

sichtsvolle Reaktion auf den Baugrund, da

Einfassung oder Rahmung um den verputz-

er damit die „zufälligen Winkel der Straßen

ten Wohnblock. Dieses fast bänder- oder strei-

ausgleich[t]“925 und das Loos-Haus in seinen

fenartige Grundprinzip zieht sich über alle

Ecken rechte Winkel bewahren kann. Des

drei straßenseitigen Fassaden.

Weiteren heißt es dazu bei Munch:

Die Fassade zum Michaelerplatz, stellt in vielerlei Hinsicht das Gesicht des Gebäudes

„Dieses elegante Zurücknehmen sieht

dar. Jene Assoziation der Michaelerplatz-Fas-

man andernorts in Wien und es wurde

sade mit einem Gesicht wurde bereits 1912

beispielsweise an Otto Wagners Postspar-

aufgenommen. In einem Artikel von Otto

kassenamt wiederholt. Normalerweise

Zoff wird die durch Loos übermittelte Aus-

war es nur wie eine schmale, abgeschnit-

sage eines Herrn Auernheimer übermittelt,

tene Ecke mit einem Fensterfach zwischen

der gesagt haben soll: „Dieses Haus hat eine

den Ecken, Loos aber interpretierte es für

ernste, traurige Visage.“ Des Weiteren heißt

sich als breite, zurückgezogene Fassade.

es in dem Artikel: „Aber gerade darauf, nein,

Den eleganten Knick ließ er sogar bis ins

nur darauf kommt es an: auf die ernste Visa-

Dach weiterlaufen.“926

ge. Das zwanzigste Jahrhundert wird auch für Wien nicht mehr das Zeitalter der ‚Hetz‘

Als weiteren plausiblen Grund für die

sein.“921 Hugo Wittmann spricht von einem

Zurücknahme der Hauptfassade nennt

„exotischen“ und damit fremden Gesicht des

Munch Loos’ Eingehen auf die Rundung des

Loos-Hauses und berichtet davon, dass „Vor-

Michaelerplatzes, die vom direkt gegenüber

übergehende“ dem Haus „Flüche ins Gesicht“

gelegenen Michaelertrakt der Hofburg defi-

sagten.922 Adolf Loos sprach 1911 selbst in

niert wird.927 Diese Wirkung wird noch

seinem Aufsatz Mein Haus am Michaeler-

dadurch unterstützt, dass die Abstände der

platz von einer „glatten Visage“.

äußeren Fenster zu den Gebäudeecken der

923

Zunächst

ist es natürlich die Hauptansicht des ­Bauwerks und damit fungiert sie bereits als 921 Zoff 1985 (1912), S. 55f. 922 Wittmann 1985 (1910), S. 36f. 923 Loos 2010 (1911), S. 424.

924 Münz und Künstler 1964, S. 93. 925 Munch 2005, S. 42. 926 Munch 2005, S. 42–50. Hervorhebungen im Text stammen von Anders Munch. Vergleiche dazu Pogacnik 2011, S. 66–72. 927 Munch 2005, S. 38.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Michaelerfassade weniger als einen Fenster-

Gestaltung des Stadtraumes mittels der

abstand der inneren Reihen beträgt. So ent-

Richtlinien von Wahrnehmungs- und Emp-

steht der Eindruck einer nach außen hin

findungstheorien.930

geführten Stauchung der Formen. Zusammen

Der Marmorsockel des Gebäudes zieht

mit den weit auskragenden Gesimsen ver-

sich von außen betrachtet über drei Stock-

bindet sich dies zu einer eindringlichen Wir-

werke. Die vier Säulen des Eingangsberei-

kung, gleich einer konkav aufgespannten

ches erscheinen als Kolossalordnung und

Leinwand.

sind aus demselben Cipollinomarmor von

eine

928

Zu beobachten ist also deutlich

körperliche

des

der griechischen Insel Euböa gefertigt wie

Loos-Hauses von seiner Umgebung. Es

der Rest der Verkleidung der unteren

schwingt regelrecht zurück vor der Präsenz

Geschäftsetagen. Eingerahmt werden die

der kaiserlichen Hofburg und nicht etwa die-

monolithischen Marmorsäulenschafte durch

ser drängend entgegen. Dieses sich „elegan-

Basen und Kapitelle aus Tombak oder Zink-

te Zurücknehmen“ ist aber auch ein sich

guss mit Messing.931 Die erste Säulenbasis

Positionieren am Platz. Die fast bescheiden

von links steht noch direkt auf dem Boden,

anmutende Demut der Loos’schen Fassade

während sich sukzessive bis zur vierten Säu-

ist letztendlich aber eher ein selbstbewusstes

le der Baugrund nach unten verschiebt. Loos

aufgreifen der Formen der Umgebung, stam-

löst diese Unebenheit durch zwei eingescho-

men sie nun von der Michaelerkirche neben-

bene Stufen, die sich von links (Herren­g asse)

an929 oder der Hofburg gegenüber. Loos ver-

nach rechts (Kohlmarkt) gesehen erst all-

ortet

der

mählich aufbauen. Ebenso verhält es sich

exklusivsten Umgebung der Metropole Wien,

mit dem unteren Gebäudeabschluss aus Gra-

und dies so präzise, dass es nur für diese eine

nit.932 Wenn man so will, könnte man vom

Stelle geformt wurde. In Bezug auf das Ein-

Sockel des Sockelgeschosses sprechen. Er

gehen Loos’ auf die Platzparameter und des-

reicht auf der linken Seite hin zur Herren-

sen Bezug zu Camillo Sittes Werk Der

gasse nur bis circa zur Wade eines Passanten

Städte-Bau nach seinen künstlerischen ­

und erstreckt sich bereits auf der Seite hin

Grundsätzen wird später noch näher einge-

zum Kohlmarkt bis ungefähr zu dessen Hüf-

gangen. Bereits an dieser Stelle ist jedoch zu

te und wird sogar über den Ansatz der Schau-

erwähnen, dass Sitte der Ansicht war, man

fenster gezogen um eine gewisse visuelle

solle Plätzen eine konkave Gesamtform

Vereinheitlichung oder Anbindung zur ­

geben, da so eine optimale Ausnutzung des

Hauptfassade zu erzeugen. Auf die Säulen-

Sehwinkels des Auges des Betrachters reali-

kapitelle folgt eine Art Variation eines Archit-

siert würde. Sitte plädiert folglich für eine

ravs, der die gesamte Breite der darunter

928 929

sein

Wahrnehmung

Gebäude

im

Kontext

Vergleiche dazu Münz und Künstler 1964, S. 97f. Munch erkennt in der „glattverputzten Fassade mit klaren Gesimsbändern […] und dem Mittelfeld mit vier Säulen“ der Michaelerkirche ebenfalls Merkmale des Platzes, die Loos in seiner Hauptfassade aufgreife. (Munch 2005, S. 38.)

930 Vergleiche dazu und zu Sittes Rezeption von Gustav Theodor Fechners Schriften Wilhelm 2006, S. 37, S. 40 und Reiterer 2005, S. 231f. 931 Czech und Mistelbauer ²1977, S. 49. 932 Czech und Mistelbauer ²1977, S. 49.

271

272

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

­konkav geschwungenen Vorhalle und zwei-

ger kleinteiliges, rechteckiges Fensterfeld ein-

er links und rechts befindlicher Schaufens-

gefügt. Dieses ist jeweils auf der idealen

ter, die schmaler ausfallen als die Interko-

Ausblickshöhe für eine sich im Gebäude

lumnien, umfasst und zuletzt in die beiden

befindliche Person positioniert.

Umgebungsmauern eingreift. Dieses beidsei-

Will man die Analogie zur Säulenordnung

tige Einlassen in die Mauern erzeugt eine

beibehalten, könnte man beim soeben

Wirkung von Last, wobei dieser ‚Architrav‘

beschriebenen Fensterabschnitt vom Trigly-

in den Seitenfassaden in den bay windows

phon sprechen. Das so entstandene Gebälk

auf gleicher Höhe wieder aufgegriffen wird

wird letztendlich noch um ein recht breit

und fast einem Band gleich, vor und hinter

verlaufendes Geison ergänzt, bevor das

der Mauer sich entlang webt. Loos gestaltet

schon beschriebene zusätzliche Gesims den

ein klassisches Element nach dem Prinzip

Sockelbereich des Loos-Hauses abschließt.

‚Lasten und Tragen‘ aus der Hauptfassade in

Der hier behelfsmäßig als ‚Geison‘ bezeich-

Verbindung mit den Seitenfassaden fast zum

nete Mauerabschnitt ist in vier schmalere,

beweglichen Körper um. Ein und dasselbe

waagrecht verlaufende Gesimse unterteilt,

Material kann demnach unterschiedliche Wir-

gefolgt von einem breiten flachen Wand-

kungen vermitteln. Ein weiterer Aspekt in

abschnitt, um wiederum getoppt zu werden

dem ‚Spiel von Lasten und Tragen‘ am Loos-

von einem vierteiligen Gesimsband, das dann

Haus stellen die vier Hauptsäulen dar. Über

räumlich zu dem auskragenden Gesims über-

die Breite der Hauptfassade (14,13 m) zieht

leitet. Diese sanfte, in Etappen abgetreppte,

sich ein fünfstöckiger Stahlbetonrahmen, in

über die Wandflucht geführte Struktur ver-

den die vier Monolithen nur eingestellt sind,

mittelt zwischen Wohnblock und Dach. Der

aber keine tragende Funktion innehaben.

933

gesamte dazwischen sich erstreckende Wohn-

Sie werden ihrer eigentlichen Definition nach

bau ist zu diesen Gesimskomplexen zurück-

ad absurdum geführt.

drängend verwirklicht, und zwar nicht nur

Oberhalb des ‚Architravs‘ befinden sich

an der Hauptfassade, denn die gesamten

mittig ausgerichtet drei bay windows, die

Straßenfassaden funktionieren auf die glei-

umrahmt werden von zwei vielfach unter-

che Art und Weise. Hierdurch wird die zuvor

teilten Fenstern. Alle fünf Fenster nehmen

beschriebene Klammerwirkung der Gesimse

die Maße der Säulenzwischenräume von

noch verstärkt.

unten auf, wobei die zwei äußeren, die

Der Wohnblock unterteilt sich durch ein

schmaleren Maße der schon erwähnten

Gitternetz von gleichmäßig verteilten Fens-

Schaufenster aufgreifen. Die bay windows

tern, die aus jeweils drei senkrecht angeord-

sind ebenso wie die äußeren beiden Fenster

neten rechteckigen Fensterflächen bestehen,

durch Messingprofile934 vielfach in kleine

die wiederum von einer waagrecht gelegten

Quadrate unterteilt. Nur im jeweiligen mitt-

ebenfalls rechteckigen Fensterfläche abge-

leren Fenster der bay windows wird ein weni-

schlossen werden (Abb. 4 und 73). Die dadurch annähernd quadratisch wirkenden

933 Czech und Mistelbauer ²1977, S. 55. 934 Czech und Mistelbauer ²1977, S. 49.

Fenster reihen sich regelmäßig in vier Eta-

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

gen à fünf Achsen auf. Einige der Fenster

das Grün der heutigen Dachkonstruktion

sind mit bronzenen Blumenkästen

verse-

mit dem Grün des Marmors der Sockelzone

hen, deren Anbringung Loos bekannterma-

korrespondiert, wird einem erst klar, wenn

ßen im Rahmen der Debatten um sein Haus

man sich stattdessen einen schwarz gefärb-

als ‚Kompromisslösung‘ vorschlug.936 Marco

ten Bereich vorstellt. Allein die grünliche

Pogacnik betont hingegen, dass für Loos die

Farbe nobilitiert die Rolle des Daches in

Blumenkästen ein Ergebnis des Entwick-

einer Art und Weise, wie es Loos vermutlich

lungsprozesses waren. Pogacnik sieht im Fal-

nicht beabsichtigt hat. Auf Schwarz-Weiß-Fo-

le des Loos-Hauses eine langwierige Entwick-

tografien erkennt man, dass die Höhenent-

lung der Fassadengestaltung durch Loos

wicklung des Gebäudes in ihrer Wirkung

selbst gegeben und diese sei in seiner pro-

viel geringer ist und der Sockelbereich mit

zessualen Arbeitsweise an sich begründet

dem Wohnblock zusammengenommen viel

und nicht etwa allein durch die Probleme

dominanter erscheinen. Ein weiteres Phä-

mit der Öffentlichkeit und vor allem mit der

nomen, das einem Höhendrang des Gebäu-

Gemeinde.

935

Zunächst ist deren Verteilung

des zuwider läuft, ist die Achsenverschie-

zu benennen. Die untere Reihe der Wohn-

bung der Fenster zwischen Geschäfts- und

blockfenster besitzt keine Blumenkästen, da

Wohnhaus. Ludwig Münz und Gustav Künst-

sie regelrecht auf das Sockelgeschoss aufsitzt.

ler führen dies auf Loos’ Äußerung, „Mir

Die zweite Reihe ist durchgehend mit

war es darum zu tun, Geschäftshaus und

­Blumenkästen ausgestattet, während in der

Wohnhaus streng zu trennen“939, zurück. Sie

dritten Reihe nur die äußeren und das mitt-

sprechen von einer Differenzierung, die

lere Fenster von Blumenkästen begleitet wer-

sozusagen „musikalisch birhythmisch“940

den. Um dann schließlich in der vierten und

vorginge. An der Fassade ist somit eine deut-

obersten Fensterreihe nur noch die äußeren

liche Zweiteilung zu beobachten, die sich

mit Kästen zu versehen.

nicht nur in der Materialität auszeichnet,

937

Das Kupferdach, das, wie von Loos eingeplant, schwarz anlaufen sollte, wird von ihm nicht mehr als „architektonische Ausgestaltung“ wahrgenommen.

sondern sich auch in ihrer Struktur und deren Rhythmik verdeutlicht. Will man die Fassade in seiner Gänze ver-

Im heutigen

stehen, muss man auch deren Tiefenentwick-

Zustand sehen wir uns mit einem grünlichen

lung bedenken. Diesbezüglich muss man sich

Dach konfrontiert, dass nur in der Mitte-

noch näher mit der Vorhalle, dem Raum zwi-

lachse der Hauptfassade auf der Breite der

schen Säulen und Haupteingang, beschäfti-

mittleren Fensterachse des Wohnblockes

gen. Hinter den unkannelierten Säulen

einen schwarzen Streifen aufweist. Wie stark

erstreckt sich ein konkav geschwungener

938

Raum, dem sich die Schaukästen im gleichen Schwung von der anderen Seite aus anschmie935 Bösel 1992, S. 154. 936 Vergleiche dazu Long 2011, S. 132 und S. 146f. 937 Pogacnik 2011, S. 93f. 938 Loos 2010 (1910.2), S. 383. Siehe auch Rukschcio und Schachel 1982, S. 151.

gen. Oberhalb der großflächigen Schaufens939 Loos 2010 (1910.4), S. 388. 940 Münz und Künstler 1964, S. 94.

273

274

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

ter befindet sich eine Reihe von Sprossen-

befinden, da sie durch ihr Gittergerüst zum

fenstern und die Platten der Überdachung

einen eine distanzierte Haltung repräsentie-

dieses Außenraumes bestehen vermutlich aus

ren und zum anderen nachts durch die ein-

dem gleichen Material wie die Basen und

gefassten Glühbirnen im Eingangsbereich

Kapitelle der Säulen: Tombak oder Zinkguss

den „Eindruck eines Feuerwerks“ entstehen

mit Messing. In sie eingelassen sind Fassun-

lassen.943 An dieser Beschreibung von Munch

gen für Glühbirnen.

Es entsteht ein Raum,

ist einiges bemerkenswert. Es geht ihm vor

der weder zum Straßenleben noch zum Inne-

allem darum, Wirkungen und Wahrnehmung

ren des Gebäudes gehört (Abb. 73). Man

der Architektur zu beschreiben. Die Wieder-

kann ihn auch nicht als eine übliche Waren-

gabe des Platzes für den Eintretenden stili-

haus-Eingangssituation definieren, da diese

siert den Säulenraum für ihn zu einem Ruhe-

ja eher ein barrierefreies Einströmen der

punkt. Auch Münz und Künstler sprechen

Kundschaft ermöglichen möchte. Vielmehr

von einem vor dem „hastenden Passanten-

handelt es sich um eine abgesonderte Pforte,

verkehr abgesonderte[n] Refugium“, in dem

durch die man schreitet, und bevor ein Besu-

man schon vor Betreten des Geschäftes sich

cher das Gebäude betritt, wird ihm in den

anhand der Auslagen in den Schaufenstern

Schaufenstern noch einmal der Michaeler-

ein Bild vom Angebot machen konnte.944

platz insbesondere mit der Hofburgfassade

Eine Art von Verlangsamung geschieht, bevor

gespiegelt. Ludwig Münz und Gustav Künst-

man das Innere der gediegenen Luxuskon-

ler sehen die Kolonnade als „elastischen“

sumwelt betritt. In diesem Punkt ist Munch

Abschluss der Hauptfassade an.

941

Anders

deutlich zuzustimmen. Es sollte aber auch

Munch betont in seiner Beschreibung der

ergänzt werden, dass zu einem Großteil eben

Eingangssituation die „monolithische Schwe-

der Michaelertrakt der Hofburg und der Platz

re der Säulen“ und spricht von „respektein-

zwischen diesen beiden Gebäuden in den

flößenden Bekleidungen“. Die Fensterschei-

Schaufenstern gespiegelt wird und man mei-

ben des Hochparterres seien als ein Merkmal

nen könnte, der vornehme Kunde von Gold-

von „Exklusivität“ zu interpretieren, da sie

man & Salatsch betrete nicht nur das Schnei-

den sich dort aufhaltenden Kunden vor Pas-

dergeschäft, sondern ebenso die Hofburg. So

santenblicken schützen. Beim Raum zwi-

heißt es treffend bei Richard Bösel:

942

schen Säulen und Eingangstür betont er die Spiegelung des Platzes in den Glasscheiben.

„Das tiefe Einschwingen der Spiegelschei-

Jenes gespiegelte Abbild hat seiner Ansicht

ben im Inneren der Säulenvorhalle erzeugt

nach eine Reaktion des „Innehaltens und

hier nicht nur den für den Platzorganis-

der Besinnung“ zur Folge. Des Weiteren

mus nötigen zusätzlichen Außenraum, in

betont Munch eine kontrastierende Wirkung

gewissem Sinne antwortet es auch auf die

für die konvex verlaufenden Sprossenfenster

Exedra der Michaelerfront. Ganz offen-

des Mezzanins, die sich zwischen den ­Säulen

sichtlich wird dieser Sachverhalt beim

941 Czech und Mistelbauer ²1977, S. 49. 942 Münz und Künstler 1964, S. 97.

943 Munch 2005, S. 50. 944 Münz und Künstler 1964, S. 98.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Blick aus dem Inneren des Geschäftslokals, da sich dann die Rundung der Vitri-

Die Fassaden zur Herrengasse und zum Kohlmarkt

nen mit dem Fassadenschwung der gegenüberliegenden Hofburg zu einer einzigen

Die Nebenfassaden zur Herrengasse und zum

ovalen Konfiguration zusammenfügt.“945

Kohlmarkt folgen den bereits an der Hauptfassade erläuterten Grundsätzen, zeichnen

Durch diese Erläuterung wird klar, dass das

sich untereinander jedoch durch enorme

hier erarbeitete Szenario einer visuellen

Unterschiede in der Längenausdehnung aus

Untermauerung der Nähe und Zugehörigkeit

(Abb. 4). Während sich die Fassade in die Her-

zur Hofburg auch in der diametralen Rich-

rengasse über 28,35 m erstreckt, beträgt die

tung beim Verlassen des Schneiderhauses

Fassade zum Kohlmarkt hin gerade mal

funktioniert. Eine visuell dezente Untermau-

10,5 m.948 Durch die leichten Unterschiede in

erung des Titels K. und K. Hoflieferant und

der Fassadenausdehnung zur Herrengasse, die

die Nobilitierung ihrer Kundschaft wird so

bis hin zum Dachgesims gezogen werden,

geschaffen, und jeder soll sich schon vor dem

erscheint der Gebäudeabschnitt, der sich zwi-

Betreten des Geschäftes dessen gewärtig wer-

schen Kohlmarkt, Michaelerplatz und dem

den.

Diese Art von Inszenierung des Bli-

ersten Drittel der Herrengasse erstreckt, wie

ckes wird auch noch einmal überdeutlich

ein Mittelrisalit, der gleichzeitig auch einen

durch die Lampen an der Decke der Vorhal-

Eckrisalit darstellt. Kurt Lustenberger beob-

le. Münz und Künstler sehen sie vor allem

achtet in diesem Zusammenhang den Effekt,

im funktionalen Licht begründet, um auch

dass sich „die Frontwirkung zum Michaeler-

in Abendstunden gute Sicht auf die Waren-

platz“ durch den Umstand, dass sie von „zwei

welt der Schaufenster zu ermöglichen. Sie

gleichgewichtigen Fassadenteilen gerahmt“949

sprechen aber auch von einer Betonung der

wird, intensiviert.950 Aber auch die Fassade

„Selbstständigkeit“ der Halle durch ein „Netz

zur Herrengasse für sich genommen wird in

von Glühlämpchen“.947 Anhand der Formu-

ihrer Länge vertikal durch die „Rückstaffelung

lierungen der beiden Autoren wird offen-

des Fassadenmittelteils“951 untergliedert und

sichtlich, dass es sich darum handelt, eine

bekommt so eine eigenständige, abwechslungs-

Lichtstimmung zu umschreiben, die zunächst

reiche Wirkung, die einer einfachen Reihung

nur gebrauchsorientiert begründet scheint.

entgegenläuft.

946

Über die schlichte Beleuchtung von Waren

In der Gestaltung des Daches und des

geht die Wirkung der Lampen aber hinaus.

Wohnblockes unterscheiden sich die Neben-

Sie spannen einen Lichtraum auf.

fassaden nicht wesentlich von der Hauptfassade. Nur die Anbringung der Blumenkästen, 948

945 946

947

Bösel 1992, S. 28. Detaillierte Angaben zum Kundenkreis, und in wie viele Länder das Unternehmen seine Ware exportierte, finden sich bei Topp 2004, S. 135f. Münz und Künstler 1964, S. 98.

Jene Maße sind dem Buch von Ralf Bock entnommen. Da dieses die am exaktesten ermittelten Baudaten aufführt. (Bock 2009, S. 126.) 949 Lustenberger 1994, S. 68. 950 Lustenberger 1994, S. 68. 951 Lustenberger 1994, S. 68.

275

276

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

die sich nun nur noch auf der zweiten Fens-

sing. Sie ist annähernd geformt wie ein Kreis,

terreihe von unten befinden, variiert. Sie bil-

der sich in regelmäßigen Wellen nach oben

den somit einen durchgehenden, über alle

stülpt. Belegt ist er mit blattförmigen Gebil-

drei Straßenfassaden reichenden Kranz.

den, die zu einer Stange zusammenwachsen,

Deutlichere Abweichungen finden sich

an der die kugelförmige Lampe mit einer Art

jedoch im Sockelbereich. Im Erdgeschoss

Öse eingehängt ist. Die Schilder sind vor

befinden sich weitere Schaufenster, während

allem Wiederholungen von zwei Typen: habs-

sich über das in zwei Höhenebenen geteilte

burgischer Doppeladler, der ergänzt wird

Mezzaningeschoss (Mezzanin und Mezzanin­

durch den Schriftzusatz K. und K. Hofliefe-

galerie) weitere bay windows ziehen. Sie sind

ranten, und bekrönte Wappen. An der Fas-

nun aber größer in ihrer Länge und sind

sade zum Michaelerplatz befinden sich ober-

jeweils links und rechts von zwei einge­

halb der zwei mittigen Säulen noch zwei

stellten Cipollinomarmor-Säulen begleitet

weitere Wappensorten. Bei der linken der

(Abb. 73). Dieses so entstehende Motiv erin-

beiden handelt es sich um einen bekrönten

nert laut Marco Pogacnik unter anderem an

Anker, während das rechte Emblem Flügel

den Konservatorenpalast in Rom.952 Die

aufweist. Elana Shapira weist in ihrer Dis-

Fenster werden durch das bereits erwähnte

sertation darauf hin, dass Goldman &

‚Architrav‘-Band geteilt und lassen nur so

Salatsch Uniformenlieferant des kaiserlichen

die inneren Raumhöhen erahnen. Die Basen

Yachtclubs war und der Import und Export

der Säulen stehen auf niedrigen Plinthen.

der Firma auf Seehandel beruhte. Diese ­Fakten spiegeln sich nun auch – neben der

Die Ornamentik der Fassade

Nähe zum Hof – an der Fassade durch die Anbringung der Symbole des kaiserlichen

Die Blumenkästen wurden bereits erwähnt.

Yachtclubs, der drei königlichen Höfe

Auf die Materialästhetik als Ornament soll

­Österreich-Ungarns, Ungarns und Bayerns,

gesondert erst im Rahmen des Abschlusska-

sowie des Emblems des Österreichischen

pitels dieser Arbeit eingegangen werden.

Automobilklubs wider.953 Durch diese Anga-

Daher bleibt an dieser Stelle nur noch, die

ben ist gesichert, dass die Wappen mit Anker

an der Fassade befindlichen Lampen und

der k. u. k. Marine und dem Yachtgeschwa-

Schilder als ‚Ornamentik‘ zu erwähnen

der bzw. dem kaiserlichen Yachtclub sowie

(Abb. 73). Bei den Lampen handelt es sich

das Emblem mit geflügelten Rädern, aus

um zwei an der Hauptfassade angebrachte

denen Blitze entfahren, dem Österreichischen

Hängekonstruktionen. Jeweils links und

Automobilklub beizuordnen sind.954 Zuletzt

rechts auf der Höhe des Mezzaningeschos-

ist noch der Firmenschriftzug Goldman &

ses auf der mittleren Höhe der bay windows

Salatsch in Großbuchstaben zu nennen, der

befindet sich eine Lampe. Die Halterung

sich einer Inschrift gleich mittig über den

besteht wohl aus schwarz angelaufenem Mes-

‚Architrav‘ zieht. Elana Shapira erklärt über-

952 Pogacnik 2011, S. 108–112.

953 Shapira 2004, S. 324. 954 Pogacnik 2011, S. 47 und S. 60.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

zeugend die Änderung des eingedeutschten

öffnenden Segmente variiert, als auch der

„Goldmann“ zum Anglizismus „Goldman“

Umstand, ob sie gekippt oder nach außen

für den Firmennamen durch die mögliche

aufschwingend geöffnet werden können. Der

Vertiefung der Geschäftsbeziehungen zur

Liftschacht besteht überwiegend aus Glas.

englischen Modebranche. Diese Namensän-

Einem gläsernen Turm gleich schmiegt er

derung, und damit deren visuell unterstri-

sich an die Fassade. Bedenkt man, dass der

chener Kulturbezug zu England, vollzog

Boden des Hofes mit Glasbausteinen ausge-

Michael Goldmann, der Vater von Leopold

legt ist,957 entsteht der Eindruck einer Kor-

Goldmann und der Mitbegründer der Firma

respondenz der Materialien. Neben dem Glas

Goldmann & Salatsch, bereits 1886 und leg-

ist es vor allem der an dieser Stelle nun sicht-

te damit eine klare Linie des Herrenausstat-

bare Klinker und der Beton der Stützen.

ters fest.955

Glas, Beton und Ziegelstein vermitteln fast die nüchterne Materialästhetik einer Fabrik.

Die Hoffassade

Die Fenster, die teilweise wie nur kurz unterbrochene Bänder über die oberen Stockwer-

Die Hoffassade (Abb. 76) unterscheidet sich

ke der Fassade gleiten, schaffen jedoch keine

von den straßeneinsichtigen Schauseiten

Breitenwirkung für die Fassade. Alles strebt

eklatant. An dieser Fassade sind im Gegen-

nach oben. Das sichtbare Stützensystem gibt

satz zu den repräsentativen Fronten die Stüt-

den vorherrschenden Ton an und die Fens-

zensysteme nachvollziehbar. Hinzu kommt

ter scheinen eingepasst in die Mauersegmen-

der Liftschacht, der deutlich aus der Fassa-

te zwischen den Stützen. Die Fassade wirkt

denflucht hervortritt. Die Fensterflächen

wie eine Aneinanderreihung von einzelnen

variieren in ihrer Form von quer liegenden

Turmteilstücken. In seiner schlichten und

Sprossenfensterbändern, die nur durch die

funktionalen Ästhetik scheint dieser Innen-

Stützen unterteilt werden, über großflächige

hof einen Vorgänger in dem Hinterhof der

hochrechteckige Sprossenfenster, die für sich

Österreichischen Länderbank zu haben. Die

allein stehen und hohe Räumlichkeiten hin-

Österreichische Länderbank von Otto Wag-

ter sich vermuten lassen, bis hin zu Fenster-

ner wurde bereits von 1882 bis 1884 in der

anlagen aus drei nebeneinander gestellten

Inneren Stadt, dem 1. Gemeindebezirk von

hochrechteckigen Fensterscheiben. Auf Foto-

Wien, erbaut. Beiden Gebäuden ist weiter-

grafien ist zu erkennen, dass die Fenster sehr

hin die Kontrastwirkung von einer repräsen-

individuell in ihren Öffnungsmöglichkeiten

tativen

gestaltet sind.

955

956

956

Hauptfassade

mit

klassischen

Sowohl die Maße der zu

Siehe dazu Shapira 2004, S. 233–276. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird die Schreibweise „Goldman“ verwendet. Im Rahmen einer durch Dr. Reinhard Pühringer ermöglichten Besichtigung des Hauses am Michaelerplatz im März 2012, war es der Autorin glücklicherweise auch möglich den Innenhof des Gebäu-

des zu besichtigen und jene Beobachtung auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Dabei wurde auch offensichtlich, wie essenziell wichtig es für das Verständnis der Architektur Adolf Loos’ ist, seine Gebäude über Pläne und Fotografien hinaus selbst zu erkunden. Daher nochmals vielen herzlichen Dank für die Unterstützung an Dr. Reinhard Pühringer und die Raiffeisenbank Wien. 957 Bock 2009, S. 128.

277

278

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

eck mit unregelmäßigen Breiten. Dadurch entsteht die L-Form, die vor allem durch den Baugrund vorgegeben ist.

Das Parterre Am Grundriss (Abb. 79) ist deutlich zu erkennen, dass der konkave Schwung der Vorhalle nicht ins Innere weitergeführt wird. Die Schauvitrinen gleichen diese Rundung aus und lassen durch ihren geraden Abschluss nach innen einen quadratischen Geschäftsraum entstehen. Dieser Raum wird umrissen von einem Netz von vier Reihen à vier Pfeilern; davon sind die vier mittleren freistehend. Genau gegenüber dem Eingang befindet sich die Treppe, die zunächst einläufig und gerade bis zu ihrem ersten Podest verläuft. Rechts der Treppe schließt an den quadratischen Raum eine Treppe in das Souterrain an. In der Achse von EinAbb. 76: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Hinterhof, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie von Kurt Gerlach, Albertina, Wien

gang und Treppe ist im Einreichungsplan vom 04. Juli 1910 (Abb. 79) an der Mauer, die gegenüber dem Eingang liegt, eine Fensteröffnung zu erkennen. Letztendlich wurde an die-

­Architekturwürdeformeln wie Säulen und Pilastern zu einer weniger formellen Hinter-

ser Stelle ein Spiegel montiert. Links

und

rechts

dieses

zentralen

hoffassade, die in ihrer schlichten Erschei-

Geschäftsraumes befinden sich kleinere

nung revolutionär für ihre Zeit erscheinen,

Geschäftslokale, die von Anfang an vermie-

gemein.

tet werden sollten.958 Im Seitentrakt zur Herrengasse sind weiterhin das Vestibül und die

Die Grundrisse und Schnitte – Der Beginn des Raumplanes und die Verwischung der Ebenen

Treppe für die Wohnungen in den vier oberen Stockwerken, weitere Geschäftslokale und der Hofraum mit dem ans Treppenhaus angrenzenden Lift auszumachen.

Der Grundriss umschreibt in allen Etagen

Insgesamt ist eine starke Dominanz des

zwei Überformen (Abb. 77 bis 79). Ein Fünf­

quadratischen Hauptraumes und dessen

eck bildet der zuvor beschriebene Bereich,

Anbindung zur Vorhalle und einer eigenen

der mit einem Mittel- oder Eckrisalit assoziiert werden kann. Auf diesen folgt ein Recht-

958 Bock 2009, S. 128.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Treppenanlage zu vermerken. Alle weiteren

stehen als eine Ökonomisierung von Bau-

Räumlichkeiten des Parterregrundrisses neh-

kosten durch Raumverschiebungen. So führt

men die so vorgegebenen Formen auf und

Münz – seinen Begriff der Raumökonomie

schmiegen sich in das Raumensemble ein.

selbst relativierend oder erläuternd – aus,

Nutzräume jeglicher Art, die diese zusam-

dass Loos des Öfteren das Kaminzimmer

menhängende Raumkette stören könnten,

vom Wohnraum durch eine abgetrennte

werden in andere Bereiche des Gebäudes

Decke räumlich absetzte. Er habe dadurch

verlagert. Deutlich wird schon am Grundriss,

in Kauf genommen, de facto Raum zu ver-

dass der selbstbewusste Präsentationskanon

lieren, um im Gegenzug dafür eine „beson-

der Fassade auch ins Innere des Loos-Hau-

dere Raumwirkung“, die durch „Intimität“

ses übertragen wird.

geprägt ist, zu gewinnen. Dadurch sieht Münz eine Zweckorientierung bei Loos gege-

Das Mezzanin und die Mezzaningalerie

ben, die den Begriff der Raumökonomie begründe. Auch wenn Münz den Tatsachen

An dieser Stelle ist eine systematische

nach Recht zu geben ist, verwundert seine

Beschreibung äußerst kompliziert, da Adolf

Wortwahl. Eine Planung – die vor allem

Loos bereits am Michaelerhaus eine starke

­darauf ausgerichtet ist, Wechselwirkungen

Überlappung von Etagenebenen prakti-

zwischen Funktion und Wahrnehmung des

ziert,

was er später zu einem Bauprinzip

Raumes herzustellen – als ökonomisch zu

seiner Villen weiterentwickeln wird und von

bezeichnen, scheint erzwungen. Vielmehr

seinem Schüler Heinrich Kulka in seiner

ist zu betonen, dass Loos die Räumlich­keiten

Stringenz als „Raumplan“ bezeichnet wur-

in Hinblick auf den Bewohner und ­seinen

de.

959

Adolf Loos sprach selbst vom „Raum

Komfort sowie sein Wohlgefühl konzipierte.

entwerfen“ und diese „Raum-Konzeption“

Auf der Höhe des ersten Podestes teilt sich

verbinde „Niveaustufen“ mit „Raumüber-

die Treppe in zwei Treppenläufe, die breit

gängen“.961 Ludwig Münz spricht vom

ausschwingen (Abb. 77 und 78). Durch sie

„Raumplan“ als einer Raumökonomie.

962

gelangt man auf die Ebene des Mezzanins

Wie bereits im Rahmen der Untersuchungen

(Niveau: + 5,00 m).963 Der mit dem quadra-

zur Villa Karma gezeigt wurde, und Ähnli-

tischen Hauptraum des Parterres identische

ches gilt auch für das Haus am Michaeler-

Bereich ist nun kleinteiliger gestaltet. Direkt

platz, ist der Raumplan nach Loos aber eng

an die Stiegenanlage schließt ein von vier

verknüpft mit Lichtstrategien und Weglen-

Freistützen umrissener Bereich an, der der

kung in seinen Architekturen, die vielmehr

Buchhaltung vorbehalten ist. Hinter diesem

im Mittelpunkt der Loos’schen Planungen

befindet sich eine kleinere Treppenführung

960

hoch zum Empfangssalon, der sich oberhalb der Vorhalle befindet. Zwischen Treppe und 959 Pogacnik 2011, S. 74. 960 Vergleiche dazu Roth 1995, S. 169–188 und Worbs 1982. 961 Worbs 1982, S. 23 und S. 26. 962 Münz 1989, S. 14–16.

Empfangssalon und auf dessen Ebene ­verläuft

963 Rukschcio und Schachel 1982, S. 468.

279

280

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 77: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Grundriss vom unteren Mezzanin, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, aus: Ralf Bock: Adolf Loos. Leben und Werk 1870–1933, München 2009, S. 129

beiden Zwischengeschossen; auch verketten weitere kurze Treppenläufe die verschiedenen Mezzaninebenen miteinander. Toiletten wurden in die Winkel links und rechts der Haupttreppenläufe eingepasst. Ihre Eingänge

964

die Mezzaningalerie (Niveau: + 6,32  m).

sind diskret über die Seitenräume zugänglich

Salon und Galerie werden nur durch niedri-

und nicht etwa über die in der Mittelachse

ge Brüstungen voneinander abgetrennt. Links

befindlichen Räumlichkeiten. Im Seitentrakt

des Empfangs- oder Wartesalons befinden

der Herrengasse – auf der Ebene der Mezza-

sich drei Garderoben, deren Erschließung

ningalerie – sind Kleiderdepot und Zuschnei-

über die Galerie erfolgt. Rechts des Salons

deateliers verortet, während im Mezzanin

kann man auf Höhe der Mezzaningalerie

weitere Stofflager, die Hemdenwerkstätte und

einen Raum mit Stoffregalen umlaufen, der

die Schneiderei liegen (abgesenktes Mezza-

sich aber in seiner Höhenerstreckung teilwei-

nin Niveau: + 4,10 m).965 Der Bügelsaal oder

se sowohl über Mezzanin als auch über die

Luftraum befindet sich am äußeren Ende des

eingeschobene Mezzaningalerie erstreckt.

Herrengassentraktes und nimmt die Höhe

Von hier aus ermöglicht eine weitere Treppe

beider Ebenen ein, damit eine bessere Luft-

eine abermalige Verbindung zwischen den

zirkulation im Raum gewährleistet ist.

964 Rukschcio und Schachel 1982, S. 468.

965 Rukschcio und Schachel 1982, S. 468.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Abb. 78: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Grundriss vom oberen Mezzanin bzw. Mezzaningalerie, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, aus: Ralf Bock: Adolf Loos. Leben und Werk 1870–1933, München 2009, S. 129

Die Wohnstockwerke

seite eine über 7 m breite stützenfreie Zone ergibt.“966 Hinzu kommt aber, dass die Wohnstockwerke in Richtung Innenhof weniger ausgreifend ausfallen. Der Raumbereich, der im Rahmen der Geschäftsgeschosse die Haupttreppe auf-

Zu den Grundrissen der oberen vier Wohn-

nimmt, fällt bei den oberen Geschossen weg.

geschosse werden bei Rukschcio und Scha-

Die Fassade springt hier deutlich zurück. Nur

chel nur folgende Informationen genannt:

so erklärt sich auch die Lichtquelle für das Oberlicht dieses Treppenschachts. Des Wei-

„Die Struktur des Unterteils (Keller, Sou-

teren ist am Grundriss zu erkennen, dass die

terrain, Parterre, Mezzanin, Mezzanin-

Zimmer, die an die straßenseitigen Fassaden

Zwischengeschoß) ist mit der des Ober-

anschließen, fast durchgehend als Enfilade

teils (erster bis vierter Stock) fast

ausgebaut sind. Nur die Tatsache, dass pro

identisch; im Oberteil ist – um freiere

Etage zwei Wohnungen konzipiert wurden,

Wohnungs- und Bürogrundrisse zu ermög-

lässt die Zimmerflucht einmal unterbrechen.

lichen – im Mittelteil eine Stützenreihe weggelassen, so daß sich an der Straßen-

966 Rukschcio und Schachel 1982, S. 465.

281

282

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 79: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Grundriss Erdgeschoss, Einreichplan vom 04. Juli 1910

Badezimmer sind mit Badewannen ausgestattet.

Schnitte Die jeweils herrschaftlichere Wohnung jeder Etage umschreibt den bereits von Kohlmarkt

Dank der Veröffentlichung von Ralf Bock

über die Hauptfassade und Teile der Herren-

aus dem Jahr 2009 stehen nun auch detail-

gasse umschriebenen Raum des ‚Haupt‘- oder

lierte Schnitte durch das Michaelerhaus in

‚Eckrisalits‘. Zur Hofseite orientieren sich

Buchform leicht zugänglich zur Verfügung.967

zum einen das zum Geschäftstrakt gehören-

Es handelt sich um drei Schnitte, die von

de eigenständige Treppenhaus mit Lift und

Bock folgendermaßen gekennzeichnet sind:

Entree und zum anderen die Versorgungs-

AA, BB und CC.968 Schnitt AA schneidet

räume wie Bad, Toilette, Küche und Zimmer

durch den Herrengassentrakt, während BB

für Bedienstete. Anhand des Grundrisses

den Michaelertrakt parallel zum Michaeler-

lässt sich deutlich erkennen, dass Loos ver-

platz durchfährt, und CC durchkreuzt den

winkelte Bereiche seines Grundrisses nutzte,

Michaelertrakt mittig vom Eingang bis zur

um Wandschränke und Speisekammern unterzubringen. Jede Wohnung ist mit mindestens zwei Toiletten versehen und die

967 Bock 2009, S. 130f. 968 Siehe dazu Bock 2009, Schnitt AA auf S. 130f. sowie Schnitt BB und CC auf S. 131.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

gegenüberliegenden Haupttreppe und dem

traktes das Treppenhaus zu den Wohngeschos-

dahinter befindlichen Hinterhof. Anhand der

sen und dem Dach zugänglich war. Nicht nur

Schnitte wird deutlich, dass die Ebenenver-

auf jeder Etage, sondern auch auf jedem Podest

schiebungen zahlreich sind. So kann man

war es möglich, in das Treppenhaus einzutre-

insbesondere an Schnitt BB erkennen, dass

ten. Im Parterre konnte man entweder von der

nicht nur das Mezzaningeschoss sich in zwei

Herrengasse über einen separaten Eingang zur

unterschiedliche Höhenebenen teilt, die, wie

Treppenanlage gelangen oder durch einen

in Schnitt AA zu erkennen, beim Bügelsaal

Zugang vom Hauptgeschäft Goldman &

wieder zusammengenommen werden, son-

Salatsch. Zum ersten Podest gelangte man über

dern zu beiden Seiten der Halle im Parterre

eine Treppe in einem der abgesonderten

schiebt sich das Mezzanin oberhalb der zu

Geschäftslokale. Vom Mezzanin des Geschäfts-

vermietenden Geschäfte weiter in die Eta-

lokals von Goldman & Salatsch führte eine

genhöhe des Parterres nach unten durch. So

kurze Treppe zur nächsten Eingangstür der

gewinnt Loos an dieser Stelle weiteren Stau-

Treppenanlage und zuletzt gelangte man noch

raum für das Stofflager und Raumhöhe für

über drei Stufen abwärts vom Zuschneideraum

die Büros der Firma Goldman & Salatsch

in das besagte Treppenhaus.

im Mezzanin unterhalb der Mezzaningalerie,

Schnitt CC verdeutlicht, wie das Spros-

während die verpachteten Geschäftslokale

senfensterband der Säulenhalle oberhalb der

weiterhin eine angenehme Raumhöhe besit-

Schaufenster die Ebenenverschiebungen im

zen. Dadurch ist eine deutliche Prioritä-

Haus überspielt. Es umreißt nämlich in sei-

tensetzung der Auftraggeber und des Archi-

ner Höhe das obere Ende des Erdgeschosses,

tekten zu erkennen. Die Präsenz und

die Etagenzwischenwand und die knappe

Funktion der Räumlichkeiten für die Firma

Höhe zwischen Mezzaninebene und Boden

Goldmans und Aufrichts stand im Mittel-

der Mezzaningalerie, die durch eine achtstu-

punkt, die beigefügten Räumlichkeiten dien-

fige Treppe überbrückt werden kann. So

ten demnach wohl der Einnahme von Mie-

dient das Fensterband aber auch zwei Eta-

ten als Nebeneinkünften, jedoch nicht etwa

gen zur Ausleuchtung. Klarer wird in CC

für die Schaffung von direkter Konkurrenz.

auch die Beleuchtung der Haupttreppe. Von

Eine Staffelung in der Ausgestaltung der

innen ist deren gerader Abschluss nach oben

Räumlichkeiten wird so subtil lesbar. Eine

mit Glasbausteinen zu erkennen. Im Schnitt

weitere Beobachtung lässt sich mithilfe des

ist ein abgeschrägtes Pultdach auszumachen,

Schnittes BB machen. In dieser Schnittach-

das vermutlich auch aus Glas bestand. Ein

se funktioniert das Gebäude so gut wie sym-

Pfeil deutet den Einfall von Licht an. Eben-

metrisch. Zieht man eine senkrechte Mittel-

so schließt ein zweites Pultdach weiter nach

linie, erweisen sich Treppen, Geländer,

außen gesetzt auf der Höhe des Mezzanins-

Pfeiler und Ausmaße der Räume als in dieser

bodens an. Es besteht wohl aus dem gleichen

Linie gespiegelt.

lichtdurchlässigen Material wie das erste und

Am Schnitt AA lässt sich sehr gut ablesen, dass von fast allen Etagenebenen des Geschäfts-

dient wohl der Beleuchtung der Treppe zum Souterrain oder des Souterrains selbst.

283

284

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Entwürfe – eine Auswahl und der Ansatz einer Entwicklung

Kolonnade.971 Diese Ansicht wird durch den genannten Entwurf gestützt. In ihr findet sich nämlich eine gänzlich anders geartete Ein-

Als aufschlussreich erweisen sich eine frühe

gangssituation. Sechs Pfeiler sind regelmäßig

Entwurfsversion von Adolf Loos für den

über die Länge der Frontfassade verteilt und

Grundriss des Parterres – vermutlich vom

zwischen ihnen erstrecken sich Glasfronten

Sommer 1909 (Abb. 80) – und eine Vorstu-

mit Vitrinen. Beiderseitig des mittig gelege-

die zur Ausführungsversion des Grundrisses

nen Eingangs befinden sich abgerundete

des Mezzanins mit Detailzeichnungen zum

Vitrinen, die eine ähnliche Ausführung wie

Außenbau vom 11. August 1909 (Abb. 81).

bei dem Geschäftslokal der Firma KNIŽE

Bei dem frühen Entwurf des Erdgeschoss-

im Graben vermuten lassen. Ebenso sind die

grundrisses stimmt die zu bebauende Parzel-

Eingänge zu den Geschäftslokalen zur Her-

le in ihren Ausmaßen noch mit denen des

rengasse hin geplant.972 Ein weiterer erheb-

zuvor von Goldman und Aufricht veranstal-

licher Unterschied zum verwirklichten Bau-

teten Wettbewerbes, an dem Loos nicht teil-

werk ist die fehlende Verkröpfung der

nehmen wollte oder sollte,969 überein. Wie

Kanten. Zu diesem Zeitpunkt plante Loos

bereits bei dem Entwicklungsverlauf des

offensichtlich noch keine zurück schwingen-

Michaelerplatzes erwähnt, wurde eine Ver-

de Korrespondenz mit dem konkaven Micha-

änderung der Parzellierung vorgenommen.

elertrakt der Hofburg. Als weitere Abwei-

Die Fassade zum Michaelerplatz sollte wei-

chung ist zuletzt noch das Treppenhaus zu

ter nach vorn in den Platz greifen, da sich

den oberen Stockwerken des Wohnblockes

die Stadt somit eine finanzielle Ersparnis

zu erwähnen. Loos beabsichtigte zunächst

erhoffte. Auf diese Weise wurde nämlich die

auch, die Treppenanlage in den Hof auskra-

Ablösesumme für das benötige Grundstück

gen zu lassen und den Lift vielmehr in den

zur Schaffung des Platzraumes verringert.

970

von den annähernd halbrunden Treppenläu-

Dadurch dezimierte sich aber auch die Fas-

fen und Vestibül beziehungsweise Podesten

sadenbreite von circa 20 m auf 16,15 m. Die-

umschriebenen mittig freigelassenen Raum

se Versetzung der Baulinie ist im besagten

einzufügen (Abb. 80).

Entwurf (Abb. 80) bereits durch eine gestri-

Bei der Vorstudie vom 11. August 1909

chelte Linie angedeutet. Durch die Vergrö-

(Abb. 81) zeichnet sich ein deutlicher Wan-

ßerung des Baugrundes entstand nach Münz

del ab. Mittlerweile ist der Lift auskragend

und Künstler überhaupt erst die Idee einer

in den Hof gewandert und wird nicht mehr von der Treppenanlage umrahmt. Vor allem

969

970

Vergleiche zu den Beweggründen Loos’, an diesem Wettbewerb nicht teilzunehmen Rukschcio und Schachel 1982, S. 460–464 und Pogacnik 2011, S. 48. Leslie Topp vermutet, dass Goldman und Salatsch sich gegen die Wettbewerbsbeiträge entschieden, da sie zu sehr an den Typus des Warenhauses erinnerten. (Topp 2004, S. 164.) Bösel 1992, S. 28 und Fußnote 49 auf S. 32.

aber ist die Planung der Einbettung des Gebäudes in den Michaelerplatz nun deutlich zu erkennen. Die Fassadensprünge an den Kanten der Front zum Michaelerplatz 971 972

Münz und Künstler 1964, S. 94–97. Bösel 1992, S. 146.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Abb. 80: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Vorstudie für den Grundriss des Erdgeschosses bzw. Parterres, vermutlich Sommer 2009, Bleistift und Buntstift, 29,2 x 50,1 cm, Albertina, Wien

ner Öffnung zum Michaelerplatz skizziert.973 Wenn auch einige Details noch von der Ausführung abweichen, sind die zwei dominanten Grundcharaktere des Hauses nun bereits

sind sowohl am Grundriss des Mezzanins

festgelegt: zum einen deuten sich durch eini-

als auch anhand einer Zeichnung im linken

ge Treppenanlagen bereits die Ebenenver-

oberen Blattbereich zu erkennen. Die Skiz-

schiebungen im Mezzanin an und zum ande-

ze ist um 90 Grad nach links gedreht und zu

ren ist es die Raumwirkung des Äußeren und

erkennen ist ein Eckvorsprung. Die verwirk-

seine Verbindung zum Michaelerplatz, die

lichte Portalversion (Abb. 73) mit dem Säu-

hier schon deutlich abzulesen sind.

lenportal zeichnet sich im Mezzaninplan

Adolf Loos plante von Beginn an, die Fas-

durch die zwei mittleren Stützen der Micha-

saden in einen Geschäfts- und einen Wohn-

elerfassade ab, die durch schwungvoll gezo-

bereich visuell voneinander zu unterteilen.

gene Kreise umrissen werden. Ebenso wird

Dass der Geschäftsblock mit Marmor ver-

die Fassadenentwicklung mit einer Skizze

kleidet werden sollte, stand für ihn auch

des Portals, die an die Umrisslinien des

schon im Anfangsstadium der Planung des

Grundrisses unmittelbar anschließt, ange-

Bauwerkes fest. Nur welche Art von Marmor

deutet (Abb. 81). Zudem ist an der rechten

er verwenden würde, war nicht sicher. Hier-

äußeren Kante des Blattes die gegenüberlie-

zu reiste er 1910 im März nach Algerien und

gende Straßenseite des Kohlmarktes mit sei973

Bösel 1992, S. 146f.

285

286

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 81: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Detailzeichnung des Grundrisses des Mezzanins, vom 11. August 1909, Bleistift, 191 x 270 mm, Albertina, Wien

der oberen Wohnstockwerke mit einem in gleichmäßigen Abständen verlaufenden Streifenmuster überziehen.976 Die einzelnen Streifen sind aber nicht flächenfüllend ausgemalt,

Marokko und im April weiter nach Griechen-

sondern werden von locker hingeworfenen

land, wo er die sechs Jahre zuvor entdeckten

Wellenlinien durchzeichnet. Rukschcio und

Steinbrüche von Euböa besuchte und sich

Schachel lesen darin die Andeutung eines

für deren Cipollinomarmor entschied.

Des

Mäanders.977 Des Weiteren vermuten die bei-

Weiteren geben Rukschcio und Schachel an,

den Autoren aufgrund der Beschaffenheit

dass die Fassadengestaltung der Wohnzone

der Pläne, dass es sich hierbei nur um eine

auf die Maserung und Farbe des Marmors

Version oder einen Vorschlag gehandelt

abgestimmt werden sollte. Dies wäre anhand

haben muss.978

974

des Modells von Ende 1909 oder Januar

Wie sehr dieser Fassadenentwurf zumin-

1910, das nicht mehr erhalten ist, abzulesen

dest nur als ein Vorschlag wahrgenommen

möglich gewesen.975 Im Juli 1910 wurden Fassadenpläne eingereicht, die nun die Fassaden 974 Rukschcio und Schachel 1982, S. 148. 975 Rukschcio und Schachel 1982, S. 147.

976 Rukschcio und Schachel 1982, Abb. 147 und Abb. 148 auf S. 150f. 977 Rukschcio und Schachel 1982, S. 149. 978 Rukschcio und Schachel 1982, S. 149.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

wurde, beweisen die eingezeichneten ‚Ver-

selbst über die Materialität und Farbgebung

besserungen‘ des Stadtrates Hans Schneider.

der Streifen am Haus am Michaelerplatz

Das Streifenmotiv ist im Loos’schen Werk

nicht sicher. Es standen sowohl Porzellan,

nicht singulär. Rukschcio und Schachel

Terrakotta, Zement und künstlicher Stein als

erwähnen den Entwurf für das Kriegsminis-

auch die Frage nach einem Aufsetzen auf

terium, das Hotelprojekt in der Friedrich-

oder der Zurücknahme in die Fassade zur

straße – beide von 1908 – und den Entwurf

Debatte.982

für das Haus für Josephine Baker von 1927.979 Deutlich wird aber hier schon, dass es sich

Die Inneneinrichtung – Ein Teil vom Ganzen

jeweils nicht um verwirklichte Konzeptionen handelt. Man könnte von Unglück sprechen,

Bei der Inneneinrichtung handelt es sich um

dass diese Gebäude nicht realisiert wurden.

einen klar umgrenzten Teilbereich des

Jedoch entschied sich Loos bei seinem ver-

Gebäudes. Dabei ist vor allem die Möblie-

wirklichten Haus am Michaelerplatz letzt-

rung des Goldman & Salatsch-Geschäftes

endlich auch für eine andere Fassadenlösung.

gemeint und das Treppenhaus zu den Woh-

Das Motiv der Streifen und seine Konnota-

nungen

tionen sind aufgrund ihrer konträren Ver-

Geschäftsmobiliar umschreibt Räumlichkei-

wendung bei Loos schwer greifbar. So dient

ten, die man nach einem gewissen Konzept

es als nüchternes, regelmäßiges Motiv am

durchschreitet. Daher sollen diese Räume

Fassadenentwurf des Kriegsministeriums –

auch beschrieben werden, als ob man ein

die schwarz-gelb gestreifte Fassade hätte auf

Kunde oder Mitarbeiter wäre, der sich auf

die damaligen Farben der österreichischen

bestimmten vorgegebenen Wegen bewegt.

in

den

Obergeschossen.

Das

Reichshälfte der supranationalen Monarchie

Hat man den Michaelerplatz und die Vor-

Österreich-Ungarn symbolisch verweisen sol-

halle hinter sich gelassen, gelangt man in

len –,980 während es bei der Villa für Josephi-

eine Sogwirkung. Schon die Säulenhalle

ne Baker vielmehr einen erotischen Charak-

(Abb. 73) mit ihrer konkaven Bewegung führt

ter angenommen hätte.

den Besucher auf den mittig gelegenen Ein-

981

Loos war sich

gang, der aus zwei Schwenktüren besteht. 979 Rukschcio und Schachel 1982, S. 149. 980 Münz 1989, S. 21. 981 Zur sinnlichen Verbindung des Streifenmotivs der Fassade mit einem im Gebäude liegenden Swimmingpool vergleiche diese Arbeit auf S. 343f. Des Weiteren ist das Fassadenornament der Streifen auch am Städtischen Vierordtbad von Josef Durm in Karlsruhe zu finden. Das von 1871 bis 1873 erbaute Stadtbad weist eine abwechselnde Streifung aus rotem und weißem Murgtaler Sandstein auf. (AK Gründerzeit – Adolf Loos 1887, S. 256–259.) Neben der Verknüpfung von Streifen an der Außenfassade und Schwimmbad im Inneren haben die beiden Gebäude jedoch nicht viel gemeinsam. Dieser Vergleich ermöglicht jedoch die Einordnung des Streifenmotivs in Loos’ Werk

Säulenhalle und Eintritt sind mit weißem Carraramarmor mit Einlegearbeiten aus Cipollinomarmor ausgearbeitet.983 Unmittelbar hinter diesem befindet sich der quadratische Verkaufsraum (Abb. 82) für konfektionierte Herrenmode und Accessoires.984 Die als kein singuläres für seine Zeit. Es handelt sich demnach – wie er es auch propagiert hatte – um keine genuine Formschöpfung Loos’. 982 Long 2011, S. 92–94. 983 Czech und Mistelbauer ²1977, S. 54. 984 Bock 2009, S. 128.

287

288

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Weite des Raumes wird jedoch bereits direkt hinter der Tür durch gläserne Vitrinen aufgefangen und gemildert. Rechts und links des Eingangs befinden sich zwei längliche Glasschränke, die eine Art Flur bilden. Das Bild einer Schwelle manifestiert sich sinnbildlich in den durch Glaswände und Glasvitrinen verlängerten Eingang. So ist es möglich, jeweils von den Seitenbereichen des großen Parterreraumes in den durch Glasflächen umstellten Gang zwischen Eingang und Haupttreppe hineinzublicken und den eventuell gerade Passierenden in seinem Bewegungsablauf zu beobachten.985 Jenes Tor, das mithilfe des transluzenten Materials Glas freigestellt wurde, ermöglicht die visuelle Wahrnehmung einer fast rituell anmutenden Passage in eine bereits durch die Architektur vermittelte Welt der Tradition und des dezenten Luxus der Maßschneiderei. Über diesen Gang, durch den man aber die Szenerie weiterhin überblicken kann, wird man in den Mittelpunkt des Raumes

Abb. 82: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Verkaufsraum im Erdgeschoss, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie von Martin Gerlach Jun., Albertina, Wien

geführt. Direkt gegenüber dem Gang befindet sich die Treppe aus Mahagoni, die das

sen Bereich umschreiben, platziert Loos

gleiche Tiefenmaß einnimmt wie der durch

ebenso Glaskästen, die in drei Ebenen kas-

Vitrinen umschriebene Gang. Zwischen die-

kadenartig verlaufen. In diesen wurden aller-

sen beiden gebildeten Quadraten befindet

lei Kleinigkeiten präsentiert. Die Positionie-

sich der Ruhe- und Orientierungspunkt der

rung jener Vitrinen und ihr ansprechender

eintretenden Kundschaft. An vermutlich

Inhalt sollten im Sinne einer Ermutigung den

genau dieser Stelle wurden die Kunden nach

Kunden auf subtile Art und Weise zunächst

ihrem Einkaufswunsch986 gefragt, um sie

auf die Treppe und schließlich nach oben ins

dann ihren Wünschen gemäß im Haus zu

Mezzanin locken.987 An diese anschließend

lenken. Um die vier mittigen Pfeiler, die die-

und in sie eingreifend schließen sich in ­Richtung Treppe die Kassen an; auf jeder

985

Vergleiche dazu die Fotografien auf folgender Website zum 100. Jubiläum des Loos-Hauses: http://213.90.74.226/Looshaus/main. php/v/09_09_27_100_Jahre_Looshaus/, 21.07.2012. 986 Elana Shapira spricht vom „special interest“ des Kunden. (Shapira 2004, S. 326.)

Treppenseite eine. Durch ihre nach außen geschwungene Form ergänzen sie den

987 Shapira 2004, S. 323.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Abb. 83: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Verkaufsraum im Erdgeschoss von der Haupttreppe aus aufgenommen, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie aus einem Werbeheft der Firma Goldman & Salatsch, Albertina, Wien

Prinzip nach auch an jenes der Decken der Halle und des Speisezimmers des Sanatoriums Purkersdorf (Abb. 51 und 54). Dem in den jeweiligen Raum Eintretenden wird stets ein visuell eingängiges und orientierungs-

­Treppenverlauf und ergeben sich aus ihm:

spendendes Element präsentiert.

Die Ladentischfläche geht über in den Hand-

Seitlich dieser Achse befinden sich weite-

lauf der Treppe und der Kassentresen selbst

re hüfthohe Vitrinen mit Produkten der Jagd-

entwickelt sich fortlaufend zum geschlosse-

und Reitbekleidung 988 oder Sportbekleidung

nen Treppengeländer. Treppe, Kassen und

oder Wäsche und Modewaren, die jeweils in

­Glasvitrinen konzentrieren sich zu einem

drei Gruppen längs der Seitenwände in mini-

Gebilde (Abb. 83). Die mit Mahagoniholz

mal unterschiedlichen Abständen aufgestellt

stämmig verkleideten Pfeiler, die fast wirken,

sind (Abb. 83).989 Sie passen sich ungefähr

als ob sie aus den Vitrinen wachsen würden,

dem Koordinatennetz der Decke an, das von

verbinden sich mit einem ebenso aus Mahagoni bestehenden Netz aus Deckenunterzügen. Eine klar im Raum gerasterte Örtlichkeit entsteht. Diese Art der geometrischen Strukturierung von Räumen erinnert dem

988

Einer Fotounterschrift ist zu entnehmen, dass das Erdgeschoss die Abteilung für Jagd- und Reitbekleidung beherbergte. (Rukschcio und Schachel 1982, Abb. 500 auf S. 465, A.L.A. 1526, Kat. 67.) 989 Rukschcio und Schachel 1982, S. 465.

289

290

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

den vier mittleren Pfeilern des Raumes aus-

der sich am Graben 20 befand.990 Bemerkens-

geht. Hinter ihnen fanden sich Wandschrän-

wert ist die Decke, die ihre tiefen Unterzüge

ke mit Glasfronten und Schubladen. Ober-

nicht verkleidet, sondern ihre Konstruktion

halb der Schränke ist ein Fries angebracht,

offen zur Schau trägt und damit an die

der sich aus abwechselnd horizontal und ver-

Deckenlösungen in der Halle und im

tikal angeordneten Profilen entwickelt. Das

­Speisezimmer des Sanatoriums Purkersdorf

gleiche Holzprofilband zieht sich auf dersel-

(Abb. 51 und 54) erinnert.

ben Höhe auch über die vier mittleren Pfei-

Wünschte man aber die Anfertigung eines

ler. An der Wand oberhalb dieses Frieses

Maßanzuges, stieg man über die Haupttrep-

befanden sich bis zur Decke reichende Spie-

pe hinauf ins Mezzanin (Abb. 82). Man lief

gel. Dies untermauert eine Fotografie

direkt auf eine ovale Glasvitrine zu, die sich

(Abb. 83), die neben anderen Abbildungen

auf dem Podest991 der Treppe befand und

in einer Reklamebroschüre der Firma Gold-

extra aus England eingeführt worden war.992

man & Salatsch 1911 publiziert wurde. Zwi-

Auf dem Zwischenpodest angelangt, kann

schen diesen Wandschränken und der unter

man sich nach links oder rechts wenden. Die

der Decke angebrachten Verspiegelung befin-

Wände, die die Form der jeweils nach beiden

den sich Holzflächen, die die dahinter befind-

Seiten aufsteigenden Treppenläufe und deren

lichen Stützen visuell deutlich nachvollzie-

Treppenwangen nachzeichnen, sind mit Holz

hen lassen. In jedem der neun Joche, die

und Spiegeln verkleidet, die zusammenge-

zwischen diesen Stützen entstehen, ist mittig

nommen an die Konstruktionslinien eines

eine Lampe angebracht. Nur in dem Joch

Triptychons erinnern (Abb. 85). Am Lambris

über der Treppe befindet sich eine kugelför-

entlang verlaufen schlichte Handläufe, die

mige Uhr (Abb. 79 und 82), die von allen

aus Glanzmessing gefertigt wurden.993 Die

vier Seiten ein Ziffernblatt anzeigt.

Spiegelflächen bestehen aus quadratischen

Wollte man eine Sportausrüstung erwer-

Spiegelkacheln. Den oberen Abschluss des

ben, wurde man entweder nach rechts zur

Treppenhauses bildet ein Oberlicht aus Glas-

Treppe in das Souterrain oder nach links zu

bausteinen.994 Ralf Bock beschreibt die Wir-

dem im Nebenraum befindlichen Lift gebe-

kung aus Licht, das durch das Oberlicht ein-

ten. Eine Fotoaufnahme von 1911 zeigt die

fällt, Wandspiegeln und dem glänzend

Aufstellung der Wintersportabteilung im

polierten Mahagoni des Lambris als „illusi-

­Souterrain (Abb. 84). Entlang der vier mitt-

onistische Raumweite“.995 Deutlich wird der

leren Stützen sind die Skier aufgereiht. Längs der Wände sind Kommoden mit Schubladen und Glasvitrinen zu erkennen. Bei den Möbeln handelt es sich um die Ausstattung des ersten von Loos eingerichteten Herrenmodesalons der Firma Goldman & Salatsch,

990 Ohne Autor 1989, S. 53. 991 Münz und Künstler definieren dieses Podest als Höhengrenze für das Parterre zwischen unten in den Regalen und Vitrinen sortierten „handlagernden Waren“ und darüber sortierter „Stapelware“. (Münz und Künstler 1964, S. 102.) 992 Rukschcio und Schachel 1982, S. 468. 993 Münz und Künstler 1964, S. 102. 994 Bock 2009, S. 132. 995 Bock 2009, S. 132.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Abb. 84: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Sport­ abteilung im Souterrain, 1909-1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie aus einem Werbeheft der Firma Goldman & Salatsch, Albertina, Wien

ation wird natürlich noch in seiner Gefälligkeit gesteigert, wenn sich der Kunde zuvor in einer Situation befand, in der er sich über seinen abtastenden Blick versucht hatte zu orientieren. Der Raum des Treppenhauses

Mensch in seinen Maßen weitestgehend noch

funktioniert demnach nicht wie eine optisch

von Mahagoni umfangen, während sein Blick

erweiterte Scheinarchitektur, sondern viel-

in der Höhe mehrfach durch Spiegel gebro-

mehr wie ein Zerrspiegel oder ein Spiegel-

chen wird. Vor allem die Decke aus Glasbau-

kabinett.

steinen reflektiert sich in mannigfaltiger Bre-

Vorbeigelenkt

an

der

Buchhaltung

chung und lässt eine Räumlichkeit entstehen,

(Abb.  85), gelangt man zum Zwischenstopp

die vor allem nach Orientierung verlangt.

im Empfangssalon (Abb. 86). Die Abtren-

Man hat fast den Eindruck, Loos beabsich-

nung der Buchhaltung wurde durch zur einen

tigte eine gewisse Desorientierung des Kun-

Hälfte aus Holz und zur anderen Hälfte aus

den. Kam man als Kunde oben im Mezzanin

­Messinggittern bestehenden Begrenzungen

an, wurde man vom Besitzer oder seinem

geleistet, die zusammen etwa die Hälfte der

Manager empfangen.996 Diese Empfangssitu-

Raumhöhe ausmachen. Dieser Arbeitsbereich war demnach kein privater Rückzugs-

996 Shapira 2004, S. 326.

ort, sondern man befand sich inmitten des

291

292

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 85: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Buchhaltung im Mezzanin, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie aus einem Werbeheft der Firma Goldman & Salatsch, Albertina, Wien

kamen, diskret zu überwachen“997. Des Weiteren spricht Bock von einem „Kontrollstandort des Geschäftsführers, der mittels der Wandspiegel den Raum im Auge behalten konnte“998. Das Wort „überwachen“ in die-

Tagesgeschäftes und genau genommen im

sem Kontext scheint jedoch etwas zu stark

edelsten Segment der Firma, der Maßanfer-

gewählt. So könnte man meinen, dass der

tigung von Herrenanzügen. Diese Insel –

Geschäftsführer geradewegs zum Hausde-

durch die auf der einen Seite die Präsenz

tektiv stilisiert wird. Es handelt sich ja viel-

und Verfügbarkeit der Geschäftsleitung für

mehr darum, ein zurückhaltendes Hilfsmittel

den Kunden ersichtlich war und auf der ande-

zu erlangen, um zu erkennen, wann die

ren Seite die Geschäftsleitung die Übersicht

anspruchsvolle Kundschaft sich nähert, um

behielt – war von drei Seiten zu umrunden

dieser dann höflich und aufmerksam entge-

(Abb. 77 und 85). An der vierten Seite ver-

genzukommen. Eher wohl ein höflicher Kom-

läuft die bereits beschriebene Treppenanlage

munikationsablauf lässt sich als Ziel dieser

mit ihren Spiegeln. Ralf Bock definiert den

Konstruktion vermuten, und nicht etwa eine

Sinn der Wandspiegel als Handhabe dafür

Form der Sicherheitsüberwachung.

„Kunden, die aus dem Erdgeschoss herauf997 Bock 2009, S. 129. 998 Bock 2009, S. 132.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Abb. 86: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Empfangssalon, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie aus einem Werbeheft der Firma Goldman & Salatsch, Albertina, Wien

um die Pfeiler als auch entlang der Wände mit einer metallenen Fußleiste geschützt wird.999 An der Außenmauer, die zum Michaelerplatz hinführt, erkennt man die bay windows. Jeder Erker ist mit einem Marmor-

Hatte man diesen Mittelblock im Mezza-

podest versehen. Diese Podeste ergeben in

nin hinter sich gelassen, konnte man über

ihrer Gänze die Trennungslinie zwischen

wenige Stufen auf die Mezzaningalerie gelan-

dem Bodenrechteck des Empfangszimmers

gen, über die man als nächstes den Emp-

und den auskragenden Räumen der Fenster-

fangssalon (Abb. 86) erschließen konnte, der

erker. Auf einem Foto von 1911 ist zu erken-

heute wieder annähernd hergestellt ist. Der

nen, dass lederne Sessel links und rechts der

Empfangssalon öffnet sich mittig zwischen

Erker positioniert und in die Erker kleine

zwei Pfeilern, die ebenso wie im Parterre mit Holz verkleidet sind, in seiner Längsseite zur Galerie. Rechts und links von den Pfeilern wird der Salon nur durch Balustraden aus Holz von der Galerie abgetrennt. An dieser Stelle ist auf Fotografien deutlich zu erkennen, dass das Holz sowohl nach unten rund

999

Bereits Otto Wagner hatte in Wien diesbezüglich auf hygienische Aspekte und die Erhöhung der Lebensdauer von Gebrauchsgegenständen und Architektur schon einige ähnliche Lösungen aufzuweisen. An dieser Stelle sind besonders seine Aluminium- bzw. Messingverkleidungen der Stuhlund Tischbeine sowie der unteren Abschlüsse der Einbauschränke im Sitzungssaal, im Büro des Präsidenten und in der Schalterhalle des Gebäudes

293

294

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Tische gestellt waren. Der Kunde wurde also

Die Lampen des Empfangssalons sind die

nicht etwa dazu animiert, sich in die Erker

gleichen wie im Treppenhaus. Es handelt

hineinzubegeben. Die bereits bei der Fassa-

sich im Einzelnen um eine ovale Platte, die

denbeschreibung erwähnten größeren einge-

nach oben hin eine kleine rechteckige Aus-

lassenen Fensterbereiche in den bay windows

buchtung aufweist. Von dieser leiten drei

waren also für den Ausblick mit gewissem

Stromkabel zu einem halbkreisförmigen

Abstand zur Fensterscheibe gedacht. So war

Bogen über, der am Rand des Ovals befes-

der im Gebäude befindliche Kunde für die

tigt ist. An diesem Steg sind drei Fassungen

draußen Vorbeiziehenden nicht zu erkennen.

mit Glühbirnen montiert. Die Glühbirnen

Jede quadratische Fenstereinheit der bay

sind nicht etwa von einem Schirm verdeckt,

windows ist an ihren Rändern geschliffen.

sondern werden den Blicken unvermittelt

Neben der ‚Guckfläche‘ ergibt sich so ein

präsentiert. Eine ähnliche Lösung kannte

vielfach gebrochener Blick auf den Michaeler­

man schon von Adolf Loos für die Lampen

platz und den Michaelertrakt der Hofburg.

des Café Museum und vom Eingangsbereich

An der Fensterfront war eine umlaufende

des Loos-Hauses; aber selbst den Luxusar-

Gardinenstange befestigt, die es ermöglichte,

tikel Lüster gestaltete Loos nach diesem ein-

die bay windows ihrer Form entsprechend

fachen Prinzip. Auf heutigen Fotografien ist

nachlaufend durch bis zum Podest reichen-

ein Parkettboden zu identifizieren, während

de Stoffschals abzudunkeln. Auf der Quer-

sich auf Fotografien von 1911 überwiegend

seite in Richtung der Kabinen befindet sich

Teppichboden ausmachen lässt. Rukschcio

ein Kamin, über dem die Kopie eines Gemäl-

und Schachel sprechen von mit „Spannfilz

des von Giovanni Battista Moroni hängt. Es

belegten Gehzonen“1002. Dies scheint auch

handelt sich um ein Porträt eines Schnei-

aufgrund der erhaltenen Ausstattung des

ders.1000 Über die Decke spannt sich ebenso

Schneidersalons KNIŽE in Wien mit der

wie im Parterre und im Mezzanin ein geo-

Adresse Graben 13 sehr wahrscheinlich, der

metrisch rechtwinklig angeordnetes Geflecht

im Zeitraum von 1910 bis 1913 entstand

aus Holzbalken, die in diesem Raum jedoch

und einen grünen Spannfilz aufweist, der

plastischer hervortreten als in anderen Berei-

mit Perserteppichen teilweise überlegt wur-

chen des Mezzanins.

de.1003 Insgesamt fasst Christopher Long die

1001

der k. k. Postsparkasse, das von 1903 bis 1912 in Wien errichtet wurde, zu erwähnen. (Siehe dazu Gleiter 2002, S. 93–95.) 1000 Das Original des Gemäldes Der Schneider von Giovanni Battista Moroni befindet sich in der Natio­nal Gallery in London und wird um 1570 datiert. 1001 Im Rahmen der Untersuchungen zum Sanatorium Purkersdorf wurde bereits auf das englische Vorbild für die Deckenlösungen Loos’ eingegangen. Vergleiche dazu in dieser Arbeit die Fußnote 520 auf S. 187.

1002 Rukschcio und Schachel 1982, S. 469. 1003 Rukschcio und Schachel 1982, S. 483. Bereits Otto Wagner betonte die Wirkung eines Teppichs für Räumlichkeiten, die Loos vermutlich bekannt gewesen ist: „Der Teppich als Bodenbelag hat in erster Linie als Annehmlichkeit und zur Sicherheit von Personen beim Gehen zu dienen. Die Unhörbarkeit der Tritte, die Wärme und Wohnlichkeit, die er dem Raume verleiht, und das Verhindern des Ausgleitens sind die Hauptgründe seiner Anwendung. Künstlerisch ermöglicht der moderne Teppich eine vollkommene Farbstimmung des Raumes. Völlig verwerflich ist jede unruhige und der-

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Abb. 87: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Eingänge zu den Umkleidekabinen und Trennwand zu den Werkstätten, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie aus einem Werbeheft der Firma Goldman & Salatsch, Albertina, Wien

Vom Empfangssalon gelangt man über die Mezzaningalerie zu drei Ankleidekabinen (Abb. 87). Dabei handelt es sich um Luxuskabinen, die als kleinere Räume zu definieren sind. Jede Kabine hat eine eigene Tür.

Wirkung der Gestaltung und Einrichtung

Die linke und rechte Ankleide korrespondie-

des Salons als die eines englischen Gentle-

ren mit je einem bay window der Herrengas-

men’s Club.1004

senfassade (Abb. 78), die jeweils von zwei Säulen umstellt sind. Die mittlere Kabine

be Linienführung oder gar eine, welche Formen bringt, die dem Auge plastisch erscheinen und dadurch Unsicherheit und Unbehagen bei Benützung desselben erzeugen, also auch reichere Ornamente und Bilder.“ (Wagner 2008, S. 143f.) Auch wenn hier die Textstelle nach der vierten Auflage von 1914 zitiert ist, bestand das Kapitel Die Kunstpraxis ab der ersten Auflage von 1896 und die zitierten Sätze waren seit der zweiten Auflage von 1898 enthalten. Die ersten beiden Auflagen wurde noch unter dem Titel Moderne Architektur publiziert sowie eine dritte Ausgabe von 1902. Siehe auch Graf 1985, S. 263 und S. 284f. 1004 Long 2011, S. 166. Siehe auch Topp 2004, S. 148f.

umschreibt die Strecke der Außenwand zwischen den beiden bay windows und je einer Säule eines Fensters. Damit die Kabinen nicht alles Licht schluckten – das über die Fassadenfenster einfällt –, sind oberhalb der Türen mit Sprossen unterteile Fensterbänder – die indirekt Licht in die Mezzaningalerie übermitteln – an den Trennwänden angebracht (Abb. 87). Deutlich wird allein schon über die geringe Anzahl von drei Kabinen,

295

296

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

wie distinguiert dieser Herrenmodeanbieter

tigt.1006 Der Weg des Kunden durch das Ver-

sich präsentierte. Nicht die Masse sollte

kaufsareal war also schon vom Architekten

durch diese Räumlichkeiten geschleust wer-

streng durchkomponiert. Eine deutliche

den, sondern vielmehr eine handverlesene

Absprache mit den Auftraggebern ist unter

Kundschaft gediegen und zuvorkommend in

diesen Umständen vorauszusetzen.1007

aller Ruhe hergerichtet werden. Leslie Topp

So wie zuvor die funktionale Zweiteilung

untermauert den Aspekt der „small group of

zwischen Geschäfts- und Wohnblock anhand

initiates“ für das Geschäft Goldman &

der Fassadengestaltung ablesbar beschrieben

Salatsch, indem sie die Undurchsichtigkeit

wurde, fasst Loos auch im Inneren die Tren-

und das Vermeiden von eindeutigen Sichtach-

nung von Bereichen visuell auf. Abteilungen

sen im Geschäft hervorhebt. Sie betont den

und Räume, die nur für die Angestellten ein-

Umstand, dass man das Geschäft nicht mit

sichtig waren, wurden einer anderen Ästhe-

einem Blick ­überschauen konnte und folg-

tik unterworfen. Rukschcio und Schachel

lich automatisch Intimität entstehe.1005 Elana

sprechen von einem „absoluten Vorrang“ von

Shapira beschreibt den Verlauf der Kaufze-

„Zweckmäßigkeit“.1008 Materialien, die die

remonie im Mezzaningeschoss in folgenden

Ästhetik zu einer herstellenden und nicht

Etappen: Auf den kurzen Aufenthalt im

mehr repräsentierenden oder verkaufenden

Salon folgte das Aussuchen des Stoffes für

Nutzung hin verschoben, sind unter ande-

das gewünschte Kleidungsstück. In der Fol-

rem Sichtbeton und schlichte eiserne Gelän-

ge begab sich der Kunde in eine der Anpro-

der.1009 Die Grenze zwischen Kundenlokal

bekabinen, um vom Schneider vermessen zu

und Arbeitsräumlichkeiten wird meistens

werden. Nach Abschluss dieser Prozedur ver-

über Wandschirme erzeugt, die in ihrer Aus-

einbarte er, noch auf seinem Weg zur

führung an Japanische Trennwände erin-

­Haupttreppe am Büro vorbeigehend, einen

nern.1010 Große Glasflächen nehmen ihnen

Termin für die Anprobe. Wenn diese Anpro-

den Eindruck von Begrenzungen. Sie beste-

be später ideal verlief, verließ der Kunde

hen überwiegend aus Türen und Fenstern.

danach mit seinem Anzug das Mezzanin über

Zur ‚öffentlichen‘ Seite hin sind die Trenn-

die ­Haupttreppe und bezahlte an deren Ende

wände und Türen gediegen mit dunklem

im ­Erdgeschoss seine Rechnung. Abschlie-

Holz verkleidet, was sie in den Rest der

ßend betont S ­ hapira Loos’ aktive Einfluss-

Raumbehandlung eingliedert (Abb. 87). Von

nahme auf das Verfahren mittels seiner

der Schneiderwerkstätte aus gesehen, die

Architektur und Inneneinrichtung und sieht

sich über zwei Ebenen erstreckt, sind die

darin eine Vergewisserung für den Kunden

Türen auf der Höhe des Mezzanins und der

im Sinne eines „man of taste“ als beabsich-

Mezzaningalerie heller gestrichen und inte-

1005 Topp 2004, S. 162. Siehe auch Colomina 1994, S. 28–31. Bereits Otto Wagner hatte betont, dass die „Worte intim und Intimität in der Baukunst, durch die Großstadtverhältnisse bedingt, nur noch im inneren Ausbau zum Ausdruck kommen könne[n]“. (Wagner 2008, S. 68f.)

1006 Shapira 2004, S. 326. 1007 Pogacnik 2011, S. 48. 1008 Rukschcio und Schachel 1982, S. 469. 1009 Rukschcio und Schachel 1982, S. 469. 1010 Rukschcio und Schachel 1982, S. 469.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

grieren sich somit auch dort in die nun vor-

aufgehängt werden konnte. Das große bay

herrschende nüchterne, hygienisch korrekte

window, das sich nun über die gesamte Höhe

Umgebung (Abb. 88). Die untere Ebene misst

des Raumes erstreckt, konnte zusätzlich

nur eine Höhe von 2,07 m, während die

geöffnet werden. Die Fensterscheiben ließen

Deckenhöhe auf der zweiten Ebene 3 m

sich einfach um ihre Mittelachse drehen,

beträgt.

Dies erklärt sich aus der Erwä-

sodass sie wie ein Riegel mittig im Fenster-

gung, dass sich auf der unteren Ebene die

rahmen zu stehen kamen und eine schnelle

sitzenden Näher einrichten sollten (Abb. 88)

und reichliche Luftzirkulation im Raum

und somit sich für die stehenden Zuschnei-

ermöglichten. Auffällig ist die Anbringung

der oben eine angenehmere Raumhöhe ergab

einer Uhr in Höhe des Architravbandes des

(Abb. 89). Beide Räumlichkeiten waren durch

bay window. Zu vermuten ist, da dies wohl

einen mittig freigelassenen Luftraum mitein-

die letzte Station war, bevor ein Anzug sei-

ander verbunden (Abb. 88 und 89). Dieser

nem neuen Besitzer übergeben wurde, dass

durch Geländer gesicherte Luftraum ermög-

man besonders darauf achten musste, Zeit-

lichte eine reibungslose Kommunikation zwi-

pläne einzuhalten, und dies untermauert die

schen den beiden Abteilungen und wie auf

Installierung einer Uhr, die zumindest nicht

einer Fotografie von vermutlich 1911 (Abb.  89)

so präsent in den anderen Räumen der Ange-

zu erkennen ist, wurde das Geländer genutzt,

stellten auf Fotografien inszeniert wurde.

um Anzüge aufzuhängen und zwischenzula-

Ebenso zeigen die Fotografien der Reklame-

gern. Ebenfalls ist auf diesem Foto zu erken-

broschüre von 1911 eine Hemdenwerk-

nen, dass weiße Schnittformen oberhalb der

statt.1012 Diese Fotografie zeigt zur Abwechs-

in die Erker der bay windows weitergeführten

lung nur Frauen bei der Arbeit. Aufgrund der

Arbeitstische hängen. Diese scheinen an Fäden

Außenfenster, der Innenwände mit den ver-

befestigt zu sein, die wiederum nur an einer

hängten Tür- und Fensterscheiben und der

Schiene eingehakt sein können, die entlang

Raumhöhe ist zu vermuten, dass es sich um

der Außenkante der bay window-­Erker verlief.

einen Raum im Mezzanin unterhalb der

1011

Der Bügelsaal (Abb. 90) zeichnet sich

­Mezzaningalerie handelt. Hier saßen die

durch seine Höhenentwicklung aus, da so

Frauen an Tischen und entlang der Außen-

die beim Bügeln entstehenden Wasserdämp-

wand ist deren vor- und zurückspringende

fe nach oben entweichen konnten und damit

Form durch geschwungene Heizungsrohre

die Arbeit der im Stehen tätigen Männer

nachempfunden.

erleichtert wurde. Der Raum war mit einfa-

Des Weiteren nutzte Loos den Ausbau des

chen Tischen, die jeweils mit einer Lampe

Dachgeschosses für die Einrichtung eines

beleuchtet wurden, versehen und entlang der

Lehrzimmers für die theoretische Ausbildung

Wand, die das Bauwerk zum nächsten

der Lehrlinge der privaten Fachschule und

Gebäude in der Herrengasse abschloss,

eines Ateliers, das auch als Lehrwerkstätte

befand sich eine Schiene, an der Kleidung

für

1011 Rukschcio und Schachel 1982, S. 469.

1012 Long 2011, Abb. 110 auf S. 167. 1013 Rukschcio und Schachel 1982, S. 468.

die

private

Fachschule

diente.1013

297

298

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 88: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, unteres Mezzanin, Werkstatt, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie aus einem Werbeheft der Firma Goldman & Salatsch, Albertina, Wien

(Abb. 90). Der Raum staffelte sich in zwei Raumhöhen und sowohl die tragenden Pfeiler als auch die Deckenunterzüge sind freigelassen und geben dem Raum ein deutlich produktionsorientiertes Gepräge. Erreicht

­Dachflächenfenster, die sich zur Hofseite hin

werden

diese

Zimmer

über

dasselbe

neigen, ermöglichen den Einfall von genü-

­Treppenhaus und denselben Lift, die zusam-

gend Licht in das spitzwinklig zulaufende

mengenommen auch die Wohngeschosse

hohe Lehrzimmer. Möbliert war dieses mit

erschließen.

Tischen, Stühlen und Tafeln und erinnert in

Zugang findet man zu diesem Treppen-

seiner Ausstattung folglich an ein Schulklas-

haus zum einen über die Geschäftsräume

senzimmer. Das Atelier war ebenso mit zur

von Goldman & Salatsch, aber auch durch

Hofseite hin geneigten Dachfenstern verse-

einen separaten Eingang über die Herren-

hen; besaß aber zusätzlich noch waagrechte

gasse (Abb. 79). So war ein getrennter Wege-

Deckenfenster, die den Lichteinfall für die

fluss für die Bewohner des Hauses geschaf-

an Tischen arbeitenden Personen erhöhten.

fen.1014 Dieser gesonderte Durchgang zum

Über jedem Tisch hing zusätzlich noch eine Lampe. Sowohl Tische als auch Lampen waren identisch mit denen im Bügelsaal

1014 Zu den ersten Mietern gehörten eine Filiale der Ungarischen Bank und Handels Aktien Gesellschaft, ein Zahnarzt Dr. Frank und ein Transport-

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Abb. 89: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, oberes Mezzanin, Werkstatt, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie aus einem Werbeheft der Firma Goldman & Salatsch, Albertina, Wien

auch direkt den Innenhof. Die Treppe ist eine mehrfachläufige U-Treppe mit Halbpodesten. Der Treppenaufgang selbst ist mit CarraraMarmor1016 ausgekleidet (Abb. 91). Bis zum 1. Stock zieht sich der Marmor über die

Treppenhaus ist mit Skyros-Marmor verklei-

gesamte Wandfläche. Dann erstreckt er sich

det. Einander gegenüber angeordnete große

über den Boden und die gesamte Fensterflä-

Spiegelflächen reflektieren sich in mannig-

che zum Innenhof. Die Türen werden eben-

facher Weise und erwecken die Illusion einer

so von Marmor umrandet und die Innensei-

endlos gespiegelten Enfilade.1015 Über eine

te des Treppenhauses wird bis auf Hüfthöhe

Glaswand mit eingelassener Glastür gelangt

verkleidet. Um die Türrahmungen und ober-

man in einen weiteren Flurabschnitt, über

halb der Innenwandverkleidung sind die Flä-

den man endlich, sich gerade aus bewegend,

chen verputzt.1017 Die Stufen bestehen dabei

in den Innenhof gelangt oder sich nach links

aus Kunststein. Alle Metallteile, vom Trep-

wendend, das Treppenhaus mit dem Lift

pengeländer über die Spiegelleisten bis hin

erschließen kann. Über den Lift erreicht man

zum Klingelbord, sind aus Messing. Die

unternehmen. (Topp 2004, Fußnote 91 auf S. 211f.) 1015 Bock 2009, S. 135.

1016 Bock 2009, S. 135. 1017 Angaben nach Czech und Mistelbauer bei Rukschcio und Schachel 1982, S. 465.

299

300

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 90: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Bügelsaal, 1909–1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie aus einem Werbeheft der Firma Goldman & Salatsch, Albertina, Wien

lauf verteilen sich ebenfalls in regelmäßigen Abständen

Kugeln,

die

dadurch

als

­Haltepunkte dienen und einen deutlich haptisch unterbrechenden Wert verkörpern. Vergleicht man jene Kugeln des Geländers mit

Türen sind wiederum aus Eiche, die rötlich

den verwendeten Kugeln an Hoffmann’schen

gebeizt und auf Hochglanz lackiert wur-

Möbeln, lassen sich erstaunlicherweise

den.1018 Auf der Höhe des ersten Treppenpo-

­miteinander verwandte Konstruktionsweisen

destes beginnt das Treppengeländer in einem

oder Wirkungsstrategien entdecken. So die-

mastartigen Podium, auf dem eine kugelför-

nen die Kugeln an der Lehne der Sitz­

mige Lampe ruht. Pro Treppenlauf wird das

maschine von 1905 von Josef Hoffmann als

Geländer durch drei senkrecht verlaufende

Halterungsstufen für die Rückenlehne des

Stangen in Segmente unterteilt. Die an die-

Sessels. Die Kugeln am Handlauf des Gelän-

sen Senkrechten zusammenstoßenden, in

ders von Adolf Loos dienen ebenso als

einem Winkel von 45 Grad positionierten

Moment des Festhaltens und Stabilisierens.

Gestänge laufen in kugelförmigen Verbin-

Des Weiteren nutzt Hoffmann die Kugeln an

dungsstücken zusammen. Über den Hand-

der Sitzmaschine, um die Einzelstreben zu verstärken. So befinden sich gerade auch am

1018 Rukschcio und Schachel 1982, S. 465.

vorderen Ende der Armlehnen unten

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Verlauf der Umbauten und Restaurierungsmaßnahmen Die Geschäftsräume der Firma waren bis zur Konkursanmeldung von Goldman & Salatsch in den Jahren 1925/1926 unverändert im Einsatz. Daraufhin folgten vielerlei Umnutzungen der Räumlichkeiten und in deren Zuge auch Veränderungen am Inventar des Parterres und Mezzanins. 1938 wurde das Haus am Michaelerplatz von den Nationalsozialisten besetzt. Die Säulen des Eingangsbereiches wurden mit Hakenkreuzfahnen umhüllt und die Fenster der Wohnetagen mit Hakenkreuzen versehen. Des Weiteren heißt es in einem Band der Raiffeisenbank Wien, dem heutigen Besitzer, zur Restaurierung: „In den Märztagen des Jahres 1938 schrie eine Inschrift in unübersehbaren Lettern Abb. 91: Adolf Loos: Haus am Michaelerplatz, Treppenhaus, 1909-1911, Wien I., Michaelerplatz 3, Fotografie von Martin Gerlach Jun., Albertina, Wien

vom Portal über den Michaelerplatz: ‚Gleiches Blut gehört in ein gemeinsames Reich‘, die Marmorsäulen waren mit Laub-

­angesetzte Kugeln. Genau an diesem Punkt

girlanden umwickelt, seitlich baumelten

stützt sich der Hinsetzende oder drückt sich

Hakenkreuze herab, und in der Mitte saß

der Aufstehende ab und bekommt somit

unter einem riesigen Reichsadler die Büs-

­vielleicht auch nur optisch unterstützt durch

te Hitlers auf einem Postament. Zwei

die Kugeln ein erweitertes Sicherheitsgefühl.

SS-Männer standen Posten davor […].“1019

Ähnliches

bewirken

die

Kugeln

des

­Loos’­schen Geländers, die nur die Verbin-

Bei Bezug des Hauses durch die Automobil­

dungspunkte markieren und optisch zusam-

firma Opel wurden umfassende Umbauten

menfassen, aber im funktionalen Sinne nicht

vorgenommen. Die Vitrinen und die Vertä-

unbedingt nötig wären. Sie stellen eine opti-

felung des Parterres wurden herausgerissen.

sche Verfestigung dar und fördern im

Ebenso trug man die Treppe zum Mezzanin

­Treppengeher ein Vertrauen, das auf einem

ab und das Portal wurde grundlegend in

suggerierten stabilen Eindruck der Gelän-

­seiner Anlage verändert. Man zog die Schau-

derkonstruktion fußt.

fenster bis knapp vor die Säulen und ver­

1019 Ohne Autor 1989, S. 20.

301

302

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

baute so den Raum der Vorhalle.1020 All ­diese

te für 1910 eine enorme technologische Neu-

Änderungen sind als verheerende Eingriffe

heit dar. Die Technik hatte sich erst in den

in die Wirkung des ursprünglichen Raum-

1880er-Jahren entwickelt.1025 Man fand die

komplexes zu bezeichnen. 1944 schlug im

Lösung, die Fläche mit zwei Scheiben zu

Nachbarhaus eine Bombe ein und beschädig-

überbrücken. Dafür konnte man die origina-

te Teile des Michaelerhauses.

1947 stellte

le Uhr des Parterres retten und an ihrem

man das Haus unter Denkmalschutz und

angestammten Platz wieder aufhängen.

genehmigte einen abermaligen Neubau des

Außergewöhnlich war auch die Wiederher-

Portals. Diesmal verwirklichte man eine Lini-

stellung des Mahagonifurniers, da man auf-

enführung, die zwischen der originalen von

fällig lange Stücke benötigte, die in der Art

1910 und der von 1938 verlief, aber weiterhin

seinerzeit nicht mehr hergestellt wurden,

gerade blieb. 1959 erneuerte man t­eilweise

aber noch als Rarität aus Lagern aufzufinden

die Marmorverkleidung.

1021

1966 entstand

waren. Ebenso war es möglich, letzte groß-

nochmals ein neues Geschäfts­portal, das lei-

formatige Reste des Cipollinomarmors aus

der abermals nur ungefähr der ursprünglichen

Euböa aufzukaufen, die dazu verwendet wur-

Loos’schen Lösung entsprach.1023 1987 gelang-

den, die Fassade wieder neu zu verkleiden.

te das Michaelerhaus in den Besitz der

Als Grundlage der Restaurierung zog Ruksch-

­Raiffeisenbank Wien und erst die umfassende

cio alte Fotografien1026, noch vorhandene

Restaurierung von 1987 bis 1989 unter der

Reste und Vergleiche mit anderen Loos’schen

Leitung von Burkhardt Rukschcio stellte die

Arbeiten zu rate.1027

1022

ursprüngliche R ­ aum­anlage wieder her und erhielt die bis dahin original erhaltenen Fragmente des ­Mezzanins.

3.4.2. Werkanalyse

1024

Abstriche musste man jedoch bei den geschwungenen Schaufenstern der Vorhalle

Ein Gebäude bürgerlicher Präsenz im aristokratischen Umfeld

machen, da derartige Maße in Glas laut der Broschüre zur Restaurierung im Auftrag der

Das Haus am Michaelerplatz ist vor allem

Raiffeisenbank Wien nicht mehr hergestellt

für seinen damaligen ‚Skandalcharakter‘

werden konnten. Die originale Verwendung

berühmt geworden. Nicht nur die Streitig-

solcher großen, gebogenen Glasflächen stell-

keiten mit den Behörden selbst machten den Architekturskandal um das Haus am Micha-

1020 Ohne Autor 1989, S. 20. 1021 Ohne Autor 1989, S. 20. Christopher Long spricht hingegen davon, dass das Hochhaus in der Herrengasse getroffen wurde und durch den Einschlag die obere Ecke des Loos-Hauses, die an das Hochhaus angrenzt, beschädigt wurde. (Long 2011, S. 202.) 1022 Ohne Autor 1989, S. 20. 1023 Rukschcio und Schachel 1982, S. 469. 1024 Kristan 2001, S. 83. Siehe auch Ohne Autor 1989, S. 20 und S. 51.

elerplatz berühmt. Vor allem die Reaktionen der künstlerischen Avantgarden auf die

1025 Long 2011, S. 157–159. 1026 Vor allem die bereits erwähnten Fotografien aus einer Reklamebroschüre der Firma Goldman & Salatsch von 1911 sind wohl als Quellengrundlage herangezogen worden. (Kristan 2001, S. 54–61 und S. 83.) 1027 Ohne Autor 1989, S. 52f.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

behördlichen Sanktionen ließen den Kon-

Auffällig dabei ist, dass der emotionale Bezug

flikt unvergesslich werden. So sind es unter

zu diesem Haus durch seine Bewohner, Besu-

anderem die Texte von Karl Kraus und Her-

cher, Spaziergänger – die daran vorbeischlen-

warth Walden, die auch für das Gebäude

dern – bis hin zum allgemeinen Wiener

selbst eine bis heute gültige, breite Präsenz

immer wieder in den Mittelpunkt von Unter-

herstellen. Ebenso muss der Fakt, dass Loos

suchungen gestellt wurde. Von der Doku-

neben seiner Vortragstätigkeit in Berlin eini-

mentation der Debatten um die Gestaltung

ge seiner Essays in der Zeitschrift Sturm von

der Fassade auf behördlicher Ebene, über

Herwarth Walden publizieren konnte, zu

die Nennung der zeitgenössischen Karikatu-

einer Ausbreitung der Architekturdebatte

ren in den Tageszeitungen und die Wieder-

geführt haben.

Stark verwoben ist die

gabe der Loos’schen Vorträge – in denen der

Geschichte seiner Rezeption mit dem Phä-

Architekt sein Werk zu verteidigen und zu

nomen seiner Wahrnehmung durch die städ-

erklären für nötig erachtet – bis hin zu sol-

tischen Zeitgenossen. Von der „Mistkiste“

chen Untersuchungen, wie der Dissertation

über das „Haus ohne Augenbrauen“, „Fab-

von Elana Shapira, die unter anderem den

rikgebäude“ und „Gefangenenhaus“ bis zum

gelenkten emotionalen Wert des Gebäudes

„Feuerzeug“ und der „gehobelten Kiste“

für seine Auftraggeber erforscht, sind die

sowie schließlich zum „Schubladenkasten-

emotionalen Sichtweisen auf das Loos-Haus

bau“ findet sich eine Vielzahl von verun­

zahlreich und variantenreich. Gerade der

glimpfenden Spitznamen für und Karikatu-

Vergleich der Fassade des Hauses am Michae­

ren über das Haus am Michaelerplatz.

ler­platz mit dem nackten Körper einer Frau

1028

So

1029

heißt es zum Beispiel 1911:

zeigt, wie schwer vom Architekten beabsichtigte Strategien und ästhetische Konzepte

„Ihr Haus macht den Eindruck, als sei

ihrer Werke für Zweite zu decodieren sind.1032

dem Bauherrn beim ersten Stock die Lust

So wurde das Anonymisierungsvorhaben

zum Geldausgeben ausgegangen, als hät-

Loos’, das er im Sinne einer Fassade als vor-

ten Sie beim ersten Stock die Einfälle ver-

geschaltete Barriere der Kommunikation zwi-

mißt ... Stecken Sie in einen schweren

schen Innen und Außen gestaltete, aufgrund

Bronzebehälter eine gewöhnliche schwe-

des Wegfalls einer bedeckenden Ornament-

dische Zündhölzelschachtel und das gan-

schicht als Entkleidung oder als anstößiges

ze wird recht häßlich ausschauen.“

Herausschälen der Wand missverstanden.

1030

Neben der Bedeutung des Verortens im Ebenso übermittelt Egon Friedell die Betite-

Stadtraum soll das Verhältnis von Ornament,

lung als ein „Scheusal von einem Haus“.

Material und Ökonomie am und im Baukör-

1031

per des Hauses am Michaelerplatz angeris1028 Vergleiche dazu Kraus 1910, S. 4–6 und Walden 1988 (1911), S. 77–80 und Hodonyi 2010, Fußnote 7 auf S. 121, S. 136 und S. 146–167. 1029 Vergleiche dazu Long 2011, S. 106–109. 1030 Ohne Autor 1985, S. 49f. 1031 Friedell 1985 (1920/21), S. 77.

sen werden. Neben diesen für das Loos-Haus klassischen

stofflichen

Untersuchungs­

1032 Vergleiche dazu Haiko 1994, S. 89–100 und Dröge und Müller 1995, S. 157–159.

303

304

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

aspekten sollen aber vor allem die Bezüge

und begann seine zukünftigen Möbel

zum Körperlichen im übertragenen Sinne

­eigenhändig zu entwerfen.“1033

aufgedeckt werden. Darunter zu zählen ist zum einen das Verhältnis von Mensch und

Zum anderen sind aber auch das Motiv der

Architektur im Allgemeinen. Robert Musil

Maske in der Architektur des Loos-Hauses

griff zum Beispiel ironisierend das Bild der

und in deren Zusammenhang auch das Ver-

Entsprechung von Körper und Architektur

hältnis von Sexualität zu deren Sublimierung

in seinem Roman Der Mann ohne Eigen-

hervorzuheben. Überhaupt ist der Aspekt

schaften auf:

der Bekleidung im architekturhistorischen Sinne à la Semper, aber auch im wörtlichen

„Der moderne Mensch wird in der Klinik

Sinne eines ‚Kaufhauses‘ für den ‚englischen

geboren stirbt in der Klinik: also soll er

Dandy‘ und dessen gesellschaftliche Konno-

auch wie in einer Klinik wohnen! – Die-

tationen zu durchleuchten.

se Forderung hatte soeben ein führender

Überdeutlich ist, dass sich im Falle des

Baukünstler aufgestellt, und ein anderer

Michaelerhauses im Rahmen der Fachlitera-

Reformer der Inneneinrichtung verlangte

tur eine deutliche Vernetzung von architek-

verschiebbare Wände der Wohnungen, mit

turhistorischen, kulturhistorischen und sozio-

der Begründung, daß der Mensch dem

logischen Aspekten präsentiert und dass ohne

Menschen zusammenlebend, vertrauen

diese Verknüpfungen ein Verständnis dieses

lernen müsse und nicht sich separatistisch

Gebäudes in seiner Gänze nicht möglich

abschließen dürfe. Es hatte damals gera-

wäre. Es gilt zu beweisen, dass das Michae-

de eine neue Zeit begonnen (denn das tut

lerhaus als Stimmungsarchitektur erbaut wur-

sie in jedem Augenblick), und eine neue

de, indem es emotional auf sein Umfeld ein-

Zeit braucht einen neuen Stil. Zu Ulrichs

wirken und es erziehen sollte.

Glück besaß das Schloßhäuschen, so wie er es vorfand, bereits drei Stile übereinander, so daß man wirklich nicht alles da-

Ort, Skandal, Ornamentdebatte und Gestaltung – Das Kaiserforum Gottfried Sempers

mit vornehmen konnte, was verlangt wurde; dennoch fühlte er sich von der

Bereits im Rahmen der Baubeschreibung

Verantwortung, sich ein Haus einrichten

wurde kurz auf die Konzeption des Kaiser-

zu dürfen, gewaltig aufgerüttelt, und die

forums durch Gottfried Semper und dessen

Drohung ‚Sage mir, wie du wohnst, und

Bezug zum Michaelerplatz eingegangen.

ich sage dir, wer du bist’, die er wiederholt

­Dieser Aspekt soll nun vertieft werden, da

in

hatte,

das Motiv des Kaiserforums Adolf Loos

schwebte über seinem Haupt. Nach ein-

bekannt gewesen sein muss und eine Etappe

Kunstzeitschriften

gelesen

gehender Beschäftigung mit diesen Zeit-

zu seiner Beeinflussung durch Camillo Sitte

schriften kam er zu der Entscheidung, daß

­darstellt.

er den Ausbau seiner Persönlichkeit doch lieber selbst in die Hand nehmen wolle,

1033 Musil 2006, S. 19f. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Inge Podbrecky erläutert in ihrem Aufsatz

haus erwähnt weiterhin, dass die Bezeich-

Körper und Bekleidung. Gottfried Sempers

nung Kaiserforum nicht etwa von Semper

Wiener Kaiserforum sehr eindrucksvoll die

und Hasenauer stammt, sondern vom Kunst-

Beziehungen zwischen dem Semper’schen

philosophen Joseph Bayer. Er ist es, der den

Entwurf für das Kaiserforum in Wien und

Erweiterungsplan der Hofburg 1879 erstma-

dessen Korrespondenzen mit anthropomor-

lig in Verbindung zur römischen Kaiserfora

phen Übertragungen symbolischen Charak-

setzt und die Namensgebung Kaiserforum

ters. Sie spricht im Falle Sempers sogar vom

prägt.1037 Diese Bezeichnung greift Camillo

„Topos der anthropomorphen Analogie“

Sitte in seinem Städtebau ­wieder auf:

1034

.

Der Gebäudekomplex, der das Kaiserforum umschreibt, wird von Podbrecky als Körper

„Dieser Platz wird ein Kaiser-Forum wer-

gefasst, der seinen „Kopf“ im Thronsaal situ-

den im wahrsten Sinne des Wortes und

iert und durch seine Gebäudekomplexe den

von gewaltigsten Dimensionen, denn rund

Charakter von „Umfassendem, Umgreifen-

240 Meter lang und 130 Meter breit, sind

dem, Beschützendem, aber auch Umschrei-

die Spannweiten desselben beinahe eben-

bendem und Ausgrenzendem“ konstitu-

so gross, wie die des Petersplatzes in

iert.

Rom.“1038

1035

Die geplante Bebauung eines Hofbezirks, die durch die Schleifung der Glacis möglich

Das heißt zusammengefasst, dass es Semper

wurde, zeichnet sich dadurch aus, dass die

vorrangig darum ging, durch Architektur

Umschreibung eines Raumes im Zentrum

einen symbolisch aufgeladenen Stadt- oder

der Planung stand. Richard Kurdiovsky

Staatsraum zu schaffen, dessen Einwirkung

belegt, dass Semper „den Blickpunkt auf die

auf den Besucher dieses Ortes – der diesen

Gesamtanlage“ legte. Semper habe vielmehr

Raum durchwandelt – im Sinne einer ‚Ein-

die „Gesamtanlage als städteplanerische Auf-

stimmung‘ auf ein Gemeinschaftsgefühl

gabe“ verstanden (Abb. 92). In diesen Zusam-

wirkt.1039 Selbst wenn das Kaiserforum nicht

menhang stellt Kurdiovsky auch die darauf

vollendet wurde, lässt sich noch heute diese

folgenden Darstellungsformen der Pläne zum

architektonische Strategie sehend wahrneh-

Kaiserforum. Nicht mehr der stadtauswärts

men, wenn man von den Hofmuseen hinü-

weisende Blick, sondern die Ansicht von den

ber in den ersten Bezirk spaziert. Erst beim

Stallungen auf die Hofburg in Richtung

Durchlaufen des teilweise umbauten Raumes

Innenstadt sei ab da die gängige Dar­

erklärt sich die Affekt evozierende ‚Gestimmt-

stellungskonvention. Des Weiteren bezeich-

heit‘. Nicht einer Festung gleich, die man nur

net Kurdiovsky daher auch die Hofstallun-

selten und unter Überwindung erheblicher

gen als „Basis“ und den Michae­lerplatz als

Sicherheitsstufen erklimmen kann, bewegt

„Bekrönung des Planes“.

1036

1034 Podbrecky 2007, S. 113. 1035 Podbrecky 2007, S. 113. 1036 Kurdiovsky 2012, S. 161f.

Andreas Nier1037 Nierhaus 2012, S. 184. 1038 Sitte ³1901, S. 128. Siehe auch Nierhaus 2012, S. 184. 1039 Vergleiche dazu Podbrecky 2007, S. 126f.

305

306

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 92: Gottfried Semper und Carl Hasenauer: Kaiserforum, Lageplan mit Grundriss, 20. Dezember 1869, Wien

1670 the Fiaker, drawn by two horses, had

man sich durch die Anlage, sondern vielmehr

luxury, and those who needed to drive out

einer Selbstverständlichkeit im Stadtgefüge

of the city could hire a covered vehicle, a

erläuft man sich die damalige staatstragende

Landauer. By 1689 the sedan chair, alrea-

Institution, der man sich so nahe glaubt und

dy commonplace in western cities, had

mit der man sich eventuell sogar identifizie-

appeared in Vienna. Licensed chair

ren konnte.

­bearers were allowed to wait for custo-

made its appearance as a public conveyance for hire by those who could afford the

mers on the Michaeler Platz, the main “The inner city was small and compact

entrance from the city into the Hofburg

enough that the inhabitants could and did

­precint.”1040

walk from one quarter to another as their affairs took them. The imposing carriages

Diese Situationsbeschreibung bezieht sich

of the court nobility were generally reser-

zwar auf das 16. oder 17. Jahrhundert,

ved for state occasions or long-distance

jedoch sind jene Verkehrsverhältnisse noch

travel. Ministers or ambassadors night ar-

aus heutiger Sicht nachvollziehbar und es

rive at the Hofburg in coaches, but virtually everyone else came on foot. […] By

1040 Spielman 1993, S. 32f. Siehe auch Kurdiovsky 2012, S. 176.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

ist zu vermuten, dass Ähnliches für den

niert auch die Scheidelinie zwischen adliger

Beginn des 20. Jahrhundert galt. Auch wenn

und bürgerlicher Welt. Durch die zurückge-

man die Fortbewegungsmöglichkeiten von

schwungene Fassade des Michae­lertraktes

Fahrrad und Auto noch ergänzen könnte,

und die bereits beschriebene selbstbewusste

verbleibt der Fußgänger der wohl häufigste

Haltung des Hauses am Michaelerplatz sowie

Verkehrs­teilnehmer für die Durchquerung

den zwischen diesen Gebäuden aufgelade-

der Hofburg. Man könnte vermuten, dass

nen Freiraum des Platzes wird diese sozial

eine respektvolle Verlangsamung innerhalb

klar umrissene Grenze abgemildert. Genau

der Hofburgmauern ebenso intendiert war.

dieses Verschwimmen der im Gesellschafts-

Adolf Loos muss sich bewusst gewesen

leben der Wiener klar umrissenen Hierarchi-

sein, dass der Michaelerplatz sprichwörtlich

en führte zum Skandal um das Haus am

im Schatten dieser zwar nicht vollständig

Michaelerhaus. Eben nicht nur nüchtern

verwirklichten Konzeption, die Richard Kur-

gesehen seine Adresse, sondern auch seine

diovsky sogar in ihrem „idealen Aspekt“ als

durch die Wiener Bevölkerung emotional

eine „Idee in crudo“ bezeichnet,

stand

registrierte Verbindung zur Hofburg schürte

und ihr stadtplanerisch gesehen folgte. Auch

den Widerstand in den Gemütern der amt-

wenn große Teile der Semper’schen Dispo-

lich Offiziellen.

1041

sition nicht verwirklicht wurden, muss die Herangehensweise und Methodik Sempers Eindruck auf die nachfolgenden Generationen von Architekten gemacht haben. Zudem

Die Wahrnehmung als architektonischer Maßstab – Camillo Sitte

ist Loos’ Credo, auf Tradition zu bauen, allbekannt und im Rahmen dieser Arbeit schon

Ein weiterer Anknüpfungspunkt, der das Ver-

mehrfach angesprochen worden. In seinen

hältnis von Raum bei Adolf Loos im Falle

Schriften finden sich genug Beweise dafür,

des Hauses am Michaelerplatz weiter

dass Loos keinen ‚Neuen Stil‘ erschaffen

erleuchten kann, sind Camillo Sittes1042

wollte, sondern vielmehr evolutionär und

Schriften. Interessanterweise arbeitet Loos

nicht revolutionär dachte. In diesem Sinne ist anzunehmen, dass Loos sich nicht nur – wie bisher umfangreich in der Wissenschaft erarbeitet – auf die einzelnen Charakterzüge des Michaelerplatzes und seiner damals bereits bestehenden Gebäude bezog, sondern den Michaelerplatz auch als einen ­städtischen Raum wahrnahm, der regelrecht an den monarchischen Staatskörper anschloss. Die Grenze zwischen diesen beiden ­Stadträumen defi1041 Kurdiovsky 2010, S. 112.

1042 Camillo Sitte ist zunächst als Bürger und als Anhänger der Beamtenelite des liberalen Wiens der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu verstehen. Er gehörte deutlich zur „Ringstraßengesellschaft“, die sich vor allem beim Bürger durch ein neu gewonnenes Selbstbewusstsein auszeichnete. Mithilfe von finanziellen Möglichkeiten und der Aneignung von umfangreicher Bildung versuchte man sich im Rahmen der Realunion Österreich-Ungarn unter der Leitung des habsburgischen Monarchen der Hocharistokratie anzunähern. Sitte siedelte sich als Gewerbeschuldirektor in diesen komplexen Strukturen der mittleren Gruppe der Beamtenschicht an. (Vergleiche dazu Wilhelm 2006, S. 34.)

307

308

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

thematisch gesehen als Autor ähnlich wie

uns nur entweder dieser Motive ganz enthal-

Camillo Sitte. Sitte schreibt neben den

ten, oder ganz japanesisch werden [können;

bekannten Büchern auch Ausstellungskriti-

LT], eine Vereinigung ist hier nicht denk-

ken für das Neue Wiener Tagblatt. Erstaun-

bar“1046. Camillo Sitte umschreibt die Ent-

lich sind aber die Inhalte über die Sitte

wicklung der Form und Ornamentik einer

berichtet. So widmet er sich unter anderem

japanischen Vase nur in ihrer eigenen Kultur

der Geschichte des Möbelbaus, aber auch

verwurzelt, und eine Übertragung in einen

spezielleren Kleinthemen, wie der Gmund-

anderen Kulturkreis hieße die Verneinung

ner Keramik oder dem Salzburger Silber­

der eigenen Kultur. Dies bewertet er aber

filigran.1043 Besonderes Augenmerk legt er

nicht als negativ; nur die Vermischung sieht

auf das Kunstgewerbe, was natürlich in

er als unvorteilhaft an. Ähnlich argumentiert

Beziehung zu seiner Lehrtätigkeit zu setzten

Adolf Loos, wenn er fordert, dass Formen,

ist. Ruth Hanisch und Wolfgang Sonne fas-

die schon über Jahrhunderte entwickelt,

sen die Methode Sittes als ein induktives Ver-

erprobt und letztendlich sich als praktisch

fahren, das zumeist auf der Basis der Empi-

erwiesen haben, nicht verändert werden soll-

rie ein Allgemeines herleitet.1044 Ähnlich ist

ten. So verwendete er immer wieder für sei-

auch das Ziel des um eine Generation jün-

ne Wohnungseinrichtungen den dreibeinigen

geren Adolf Loos zu definieren. Wie bei der

ägyptischen Hocker (Abb. 14). Er ließ den

Analyse der Schriften Adolf Loos’ zu sehen

ursprünglich ins Neue Reich datierten ägyp-

ist, besitzt dieser ebenso ein Talent darin,

tischen Hocker nach einer originalgetreuen

mithilfe von alltäglichen Thematiken oder

Kopie der englischen Firma Liberty & Co.

Gegenständen praktische Lebenswege und

(Thebes Stool, Patent Nummer 16.673) von

Dogmen extrahierend zu vermitteln. Susan-

Josef Veillich mit minimalen Änderungen

ne Eckel spricht sogar von einem „Erzie-

nachbauen.1047 Mit dieser Übernahme ist

hungsprogramm“.

Loos jedoch konsequenter als Sitte. Sitte for-

1045

Eine weitere Bezugnahme Loos’ auf Sitte

derte vielmehr eine Anerkennung der Erfah-

könnte in der von Sitte formulierten Mate-

rungswerte früherer Generationen und eine

rialgerechtigkeit gesehen werden. So spricht

Anpassung der Gegenstände an zeitgemäße

Sitte davon, dass die japanische Ornamentik

Nutzungen. Loos sieht vielmehr in gewissen

in keinem Fall auf europäischen Gefäßen

Möbeln, Bauweisen etc. ein Maximum

platziert werden sollte, sondern sich gemein-

erreicht, an das man nicht mehr rühren soll-

sam mit ihren spezifischen Gefäßformen ent-

te. Ist dieses Maximum jedoch noch nicht

wickelt habe und somit nicht autark existie-

erlangt, ist es auch nach Loos vollkommen

ren sollte. Seine Ausführungen stringent

legitim, Verbesserungen vorzunehmen.1048

bekräftigend, äußert sich Sitte, dass „wir […]

1043 Hanisch und Sonne 2008, S. 106. 1044 Hanisch und Sonne 2008, S. 106. 1045 Eckel 1996, S. 35–38. Siehe auch Amanshauser 1985, S. 12f.

1046 Zitiert nach Hanisch und Sonne 2008, S. 112. 1047 Vergleiche dazu Ottillinger 1994, S. 80–90 und S. 124–126. 1048 Vergleiche zur Position Sittes in diesem Zusammenhang Hanisch und Sonne 2008, S.122–131.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Sitte legt sein Buch Grundformen im

Folgenden soll nachgewiesen werden, dass

Möbelbaue und deren Entwickelung von 1888

Adolf Loos’ Vorgehensweise beim Haus am

als eine Evolutionsgeschichte des Möbels

Michaelerplatz in vielen Aspekten auf den

an.

Er bedient sich eines von Charles Dar-

in Camillo Sittes’ Schrift Der Städte-Bau

wins Theorie geprägten bio­logischen Voka-

nach seinen künstlerischen Grundsätzen1053

bulars, wenn er folgende Begriffe verwendet:

formulierten Prinzipien beruht. Es ist davon

„Abstammung“, „Genese“, „Nachkommen-

auszugehen, dass Adolf Loos die Schrift Sit-

schaft“, „verwandt“, „fruchtbar“ und „erzeu-

tes kannte. Zumindest heißt es im Nachruf

gen“.1050 Des Weiteren ­entwirft er „Abstam-

des Otto-Wagner-Schülers Leopold Bauer auf

mungstabellen“ und spricht von einer

Camillo Sitte zur Tragweite und zum Wir-

„stammbaumartigen Verästelung einer Art

kungskreis seines Buches Der Städtebau

natürlichen Züchtung“ bei Möbelformen.

nach seinen künstlerischen Grundsätzen:

1049

Gerade solche Verknüpfungen ermöglichen es, dass Adolf Loos in seiner berühmten Ver-

„Es wirkte wie eine Initialladung auf eine

teidigungsschrift Ornament und Verbrechen

vorbereitete Mine; der Erfolg war ein un-

die Verbindung herstellen konnte zwischen

geheurer – überall wurde das Thema auf-

den Entwicklungsstadien des Menschen und

gegriffen und die Fachleute ließen seit die-

seiner von ihm gestalteten näheren und

sem Moment nicht mehr davon ab“.1054

­unmittelbaren Umgebung.

1051

Auch das große

Vorbild Englands für Loos kann man in die-

Das Umfeld, in das Loos sein Haus am

sen Zusammenhang setzen. Loos erhofft sich

Michaelerplatz einzuschreiben hatte, ist

eine Annäherung an die seiner Ansicht nach

jedoch nicht allein in der Achse zur Hofburg

weiterentwickelte Kultur Englands unter

zu verstehen. Vordringlich ist bis heute der

Ablösung „unvorteilhafter“ Entwicklungen in

Eindruck von Enge, der sich aus der Stra-

seiner Heimat.

ßensituation von Herrengasse, Kohlmarkt

1052

All das bisher Genannte soll verdeutli-

und Reitschulgasse erklärt. Alle drei Straßen

chen, dass in Loos’ Werk leicht Bezüge zu

führen auf den Michaelerplatz. Der von

Camillo Sittes Œuvre auszumachen sind. Im

ihnen auf den Michaelerplatz Zulaufende erlangt einen gänzlich anderen Eindruck

1049 Hanisch und Sonne 2008, S. 121f. 1050 Hanisch und Sonne 2008, S. 121. 1051 Dieser Entwicklungslinie entgegen stand Alois Riegl. Riegl führte das Künstlerindividuum als wichtigen Motor in der Entwicklung unserer ­Formen- und Kunstwelt mit ein. (Hanisch und Sonne 2008, S. 121f. und S. 130f.) Ebenso wurden bereits Bezüge Loos’ zu den Schriften des italienischen Arztes und Professors der Gerichtsmedizin Cesare Lombroso gezogen. Vergleiche dazu Long 2011, S. 83f. 1052 Wie sehr Adolf Loos in seinen Schriften ein idealisiertes Bild Englands und der USA entwarf ist detailliert nachzulesen bei Stewart 2000, S. 44–55.

vom Loos-Haus. Sowohl von der Herrengasse als auch vom Kohlmarkt kommend, läuft der Fußgänger an einer über die Breite vieler Gebäude hinwegführenden Phalanx von Fassaden entlang. Die von beiden Seiten mit mehrgeschossigen Gebäuden umschlossenen

1053 Sitte ³1901. 1054 Der Nachruf stammt aus der Neuen Freien Presse (Wien 15. April 1923) und ist hier zitiert nach Reiterer 2005, S. 225.

309

310

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Straßenzüge lassen einen Blick nach oben

der Stadtplanung, die vor allem von der

nur bedingt zu. Möchte man die Fassaden

durch visuelle Eindrücke geprägten Gefühls-

genauer betrachten, ist es notwendig, den

welt des Städters ausgeht. Die Verortung des

Kopf tief in den Nacken zu legen. Der Blick

Menschen im Stadtraum auf Basis der emo-

richtet sich zumeist daher nach vorne auf

tionalen Verbindung zu seinem Umfeld ist

den Michaelerplatz. Dort angekommen ist

dominanter Gestaltungsaspekt bei Sitte. Wie

es vielmehr die imposante und dominante

hoch Camillo Sitte die Relevanz der Wirkung

Erscheinung der Hofburg, die den Passanten

der Architektur auf den Menschen bewerte-

gefangen nimmt. Er müsste sich schon

te, wird schon in der Einleitung seines

umdrehen,

Buches deutlich. Bereits auf der ersten Seite

um

die

Hauptfassade

des

Loos-Hauses betrachten zu können. Ledig-

heißt es:

lich aus Richtung der Reitschulgasse ist bereits von weitem das Loos-Haus in Aus-

„Zweifellos ist die unverwüstliche Heiter-

schnitten sichtbar. Umso spannender ist es

keit des Südländers an den hellenischen

aber, Adolf Loos’ Annäherung und Verqui-

Küsten, in Unteritalien und anderen ge-

ckung des Loos-Hauses mit dem Michaeler-

segneten Himmelsstrichen zunächst ein

platz zu beobachten. Stellt der Platz an sich

Geschenk der Natur, aber die alten Städ-

schon eine Erweiterung des Raumes dar, so

te waren hier dieser schönen Natur nach-

zieht Adolf Loos den öffentlichen Raum bis

gebildete, und auch sie wirkten auf das

fast ins Gebäude hinein.

Gemüth der Menschen mit sanfter, unwi-

Aufgrund dieser stark suggestiv wahrge-

derstehlicher Gewalt in demselben Sinne.

nommenen Raumwirkung, die Loos regel-

Schwerlich wird Jemand dieser Annahme

recht inszeniert hat, soll nun ein Vergleich

einer so starken Einwirkung der äusseren

angestellt werden zwischen den Grundsätzen

Umgebung auf das menschliche Gemüth

des Städtebaus nach Sitte – wie sie in seiner

widersprechen, der selbst einmal die

Schrift Der Städtebau nach seinen künstle-

Schönheit einer antiken Stadt sich lebhaft

rischen Grundsätzen formuliert wurden –

versinnlicht hat.“1055

und dem verwirklichten Bau des Hauses am Michaelerplatz und dessen räumlicher Dis-

Camillo Sitte definiert die Stadt als äußeres

position. Das Hauptthema des genannten

Umfeld des Menschen und damit als Träger

Buches bildet im weitesten Sinne die Wahr-

von Gemütszuständen seiner Bewohner. In

nehmung von städtischem Raum und dabei

diesem Sinne muss ein Architekt sich sei-

noch zentraler des städtischen Platzes mit

ner Rolle als Gestalter dieser Umgebung

allen seinen Bestandteilen. Betonung liegt

bewusst sein.

aber auf der Wahrnehmung, da es Sitte vor allem darum geht, das Äußere und die Struktur dieses urbanen Raums mit der Empfindungswelt seiner Bewohner zu verbinden. Sitte fordert sogar eine Vorgehensweise bei

1055 Sitte ³1901, S. 1. Die Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Hinzu kommt aber auch der Aspekt, den

ten sieht Reiterer auch im Städtebau-Buch

Gabriele Reiterer als „Anleitung zur Stadt-­

gegeben und umschreibt Sittes Methode als

Wahrnehmung“1056 bezeichnet. Camillo Sitte

interdisziplinär.1059

formuliert einen Leitfaden mit anschaulichen

Was sind aber nun die Grundsätze, die

Beispielen darüber, wie ein Platz von seinen

Sitte im Rahmen seiner Arbeit zum Städte-

Betrachtern, Nutzern und Besuchern im ide-

bau formuliert? Heleni Porfyriou sieht drei

alsten Falle emotional entdeckt wird. Sitte

Prinzipien gegeben. Zum einen müsse man

zeichnet natürlich auch die Konsequenzen

bei der Architektur immer von den gegebe-

aus einer völligen Verneinung solcher Rezep-

nen Umständen vor Ort ausgehen. Ein Pla-

tionstheorien, wenn er den damals recht neu-

nen auf dem „Reissbrett“ wäre inakzeptabel,

en Begriff der Agoraphobie aufgreift. Des Wei-

da nur eine Stadt, die in natura entstehe,

teren ordnet Reiterer die Schrift Sittes in den

dem Wahrnehmungsprozess Rechnung tra-

zeitgenössischen wissenschaftlichen Kontext

gen könne.1060 Daher heißt es bei Sitte:

ein. Als Bezugspunkte zieht sie vor allem naturwissenschaftliche Untersuchungen des

„So stehen wir vor einem Räthsel – dem

Körpers und der Psyche und die Erfindung

Räthsel des natürlichen unbewussten

der Psychoanalyse durch Freud heran.

Rei-

Kunstgefühles, das bei den alten Meistern

terer interpretiert Sittes Publikation auf der

sichtbar Wunder wirkte ohne Aesthe-

Grundlage seiner Studienzeit, die vor allem

tik-Paragraphen und Regelkram; während

von den Naturwissenschaften geprägt war.

wir mit Reissschiene und Zirkel hinterher

So befasste er sich hauptsächlich mit der Phy-

gelaufen kommen und so feine Fragen der

siologie und insbesondere mit dem „mensch-

Empfindung mit plumper Geometrie zu

lichen Sehvermögen“, der Wahrnehmungs-

lösen vermeinen.“1061

physiologie

und

der

Medizin.

1057

Dieses

Phänomen der methodischen Wissenschafts-

Sitte stellt dem Bild des planenden, nach

orientierung an den Naturwissenschaften

Gesetzen ordnenden Architekten-Techniker

erklärt, dass der Begriff der „Exaktheit“ im

das Ideal eines Kunstgenies entgegen, das

Allgemeinen ab der Mitte des 19. Jahrhun-

intuitiv von seinen Gefühlen und Empfin-

derts zum „zentralen Begriff der Ästhetik“

dungen geleitet wird. Ähnlich hatte bereits

wurde.1058 Eine deutliche Vermischung fand

Immanuel Kant das Genie als „angeborene

statt zwischen der traditionellen Philosophie,

Gemütsanlage“ umschrieben und Friedrich

die man grob als die Neugierde nach Erkennt-

Wilhelm Joseph Schelling die Ansicht ver-

nis auf der Basis einer Denkwissenschaft defi-

fasst, dass im Genie das „inwohnende Gött-

nieren könnte, und der Wissenschaft der

liche im Menschen“ zu verstehen sei.1062 Zum

naturwissenschaftlichen Erkenntnistheorien. Diese Zusammenführung von Wissenschaf1056 Reiterer 2005, S. 226. 1057 Vergleiche dazu Reiterer 2005, S. 225–237. 1058 Reiterer 2005, S. 227.

1059 Reiterer 2005, S. 228. 1060 Porfyriou 2005, S. 250f. 1061 Sitte ³1901, S. 22. 1062 Vergleiche dazu Eberhard Ortland: Genie, in Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 2 (2001), S. 692–695.

311

312

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

anderen betont Sitte die Rolle des „leeren

des 19. Jahrhunderts arrangiert. Sitte nennt

Raumes“

innerhalb des Stadtkomplexes.

Positivbeispiele und wendet die über solche

Porfyriou fasst diese Maxime folgenderma-

extrahierten Charakteristika auf einige Wie-

ßen zusammen:

ner Plätze der Ringstraßenumgebung an und

1063

schafft damit einen praxisbezogenen Leitfa„Abschließung (Einschließung) und Kon-

den für Architekten und Stadtplaner.

tinuität sind die unabdingbaren Qualitä-

Nachdem nun deutlich wurde, welche

ten des urbanen Raums, eines optisch kon-

bedeutungsvolle Rolle der Platz im urbanen

struierten Raums. Plätze und Straßen sind

Raum unter der Kontextsetzung der Episte-

die wichtigsten Elemente, als Leere bzw.

mologie für Camillo Sittes Untersuchung hat-

Leerraum qualifiziert.“

te, ist es nur verständlich, dass Sitte das psy-

1064

chologische Phänomen der Agoraphobie1066 An dieser Stelle wird überdeutlich, warum

in seiner Schrift aufgreift. Der Begriff der

gerade der Platz so wichtig ist für die Wahr-

Agoraphobie wurde von Freud in seiner

nehmung von städtischem Umfeld. Es wird

Schrift Über die Berechtigung, von der Neu-

von einem „leeren Raum“ gesprochen, der

rasthenie einen bestimmten Symptomkom-

sich wiederum über Abschließung bezie-

plex als ‚Angstneurose‘ abzutrennen von

hungsweise Einschließung und Kontinuität

1894 oder 1895 unter dem Unterkapitel Kli-

definiert und damit vielmehr als Verbindungs-

nische Symtomatologie der Angstneurose

glied fungiert. Ebenso kann auch die Wahr-

erwähnt. Freud ordnet die Agoraphobie den

nehmung zumindest von Raum nur durch

Phobien zu, die sich aufgrund ihrer Referenz

eine gewisse Distanz entstehen. Distanz ist

zur Lokomotion entwickeln.1067 Die Fortbe-

an dieser Stelle gleichzusetzen mit dem

wegung selbst gelangt in den Fokus der Wis-

Abstand, den der Betrachter zu einem Gemäl-

senschaft. Der sich bewegende Mensch und

de einnimmt, um es in seiner Gesamtwirkung

seine emotionale ‚Gestimmtheit‘ durch die

erfassen zu können. Als dritte Regel definiert

Bewegung werden zentral. Sitte umschreibt

Sitte die Aspekte der Qualität des „leeren

diese „nervöse Krankheit“ aufgrund von

Raumes“. Zu den Qualität schaffenden Cha-

Reizlagen, die durch Orte evoziert werden.

rakteristika eines sinnlich über Reize emp-

So spricht er von der „Eintönigkeit im Effect“

fundenen Umfelds zählt er „Dreidimensiona-

einer geraden Allee oder des Orientierungs-

lität, Kontinuität und Umschließung“, die

verlustes durch den Wiederholungscharakter

wiederum zu einer „malerischen Kompositi-

der modernen Stadtplanung.1068 Sitte nennt

on“ zusammenzuführen sind.

Im Sinne

konkrete Anzeichen des Stadtraumes, die

einer Einrichtung und ihrer Möbelstücke wer-

tatsächliche ‚Gestimmtheiten‘ erzeugen,

den der Stadtraum und seine Bestandteile

denn er verknüpft überdeutlich äußere Bege-

auf der Grundlage der Erkenntnistheorien

benheiten des städtischen Umfelds mit

1063 Sitte ³1901, S. 93. 1064 Porfyriou 2005, S. 251. 1065 Porfyriou 2005, S. 251.

1066 Sitte ³1901, S. 53. 1067 Freud 1997, S. 28–35. 1068 Vergleiche dazu Porfyriou 2005, S. 255.

1065

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

­inneren Emotionslagen des Städters. Sitte verbindet soziologische, ästhetische und psy-

Es heißt zum Beispiel zur Rolle des Platzes bei Camillo Sitte:

chologische Untersuchungserkenntnisse miteinander und erfindet auf diese Weise eine

„So ist die Bedeutung der freien Plätze in-

„Stadtmorphologie“1069, die wegweisend für

mitten der Stadt (eines Forums oder eines

Adolf Loos’ Architektur und den Stimmungs-

Marktplatzes) eine wesentlich andere ge-

begriff um 1900 wurde. Diesen Aspekt wei-

worden. Heute höchst selten zu grossen

terdenkend, wird der Stadtraum in Verbin-

öffentlichen Festen verwendet und immer

dung mit seinem Betrachter oder Bewohner

weniger zu täglichem Gebrauch, dienen

– der dieses Umfeld durchläuft, belebt und

sie häufig keinem anderen Zweck, als

gestaltet – zum Organismus, der seine Iden-

mehr Luft und Licht zu gewähren, eine

tität und die seiner Bewohner gegenseitig

gewisse Unterbrechung des monotonen

konstituiert. In diesen Zusammenhang muss

Häusermeeres zu bewerkstelligen und al-

auch Karin Wilhelms Beobachtung gestellt

lenfalls noch auf irgend ein grösseres Ge-

werden, dass Sitte eine „Konstruktion einer

bäude einen freieren Ausblick zu gewäh-

formal-funktionalen Analogie von Stadt- und

ren und dieses in seiner architektonischen

Bühnenraum“ anwendete. Wilhelm schreibt

Wirkung besser zur Geltung zu bringen.

des Weiteren, dass Sitte diese Analogie nicht

Ganz anders im Alterthume. Da waren

neu erarbeiten musste, sondern direkt von

die Hauptplätze jeder Stadt ein Lebens-

der Inszenierung öffentlichen Raumes durch

bedürfniss ersten Ranges, indem auf ih-

klerikale und oder aristokratische Präsenta-

nen ein grosser Theil des öffentlichen Le-

tionsansprüche übertragen konnte.1070 Genau

bens sich abspielte, wozu heute nicht

hier kann man im Falle Wiens auf die zuvor

offene Plätze, sondern geschlossene Räu-

schon erwähnte Konzeption des Kaiserfo-

me verwendet werden.“1072

rums von Gottfried Semper (Abb. 92) zurückgreifen. Es lässt sich nicht bestreiten, dass

Natürlich muss man sagen, dass die Beob-

Semper sein Kaiserforum nach den Prinzipi-

achtungen Sittes sich nicht direkt auf einen

en eines „künstlerischen Städtebaus“ plante.

bestimmten Typus von Platz – wie hier dem

Bedenkt man nun, dass Adolf Loos sowohl

Michaelerplatz – beziehen, sondern viel-

Sittes Schrift als auch das Kaiserforum

mehr ihren Definitionsstandort in den Plät-

Semper’scher ­

haben

zen der Ringstraße finden; jedoch wird

muss,1071 erklärt sich Einiges für das Haus

Prägung

gekannt

anhand dieses Zitates offensichtlich, wie

am ­Michaelerplatz.

sehr Loos das Ziel verfolgt hatte, mit seinem Haus dem Michaelerplatz nicht zu

1069 Der Begriff ist übernommen von Porfyriou 2005, S. 255. 1070 Wilhelm 2006, S. 28. 1071 Vergleiche dazu Kurrent 1983, S. 92–98. Auch Burkhardt Rukschcio geht davon aus, dass Loos die Schrift Sempers geläufig war. Siehe dazu Rukschcio 1989, S. 217–250.

solch einer Wirkung, wie sie Sitte beschreibt, zu verhelfen. Was Sitte unter „geschlossenen Räumen“ in diesem Zusammenhang

1072 Sitte ³1901, S. 4.

313

314

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

versteht, erklärt sich weiter hinten in selbi-

­sondern auch seine soziale Relevanz unter-

gem Buch:

mauert. In diesem Fall eines Herrenausstatters war sicherlich nicht das Ziel angelegt,

„Wir können es nicht ändern, dass das ge-

eine gewisse Anzahl von Kunden schlicht

sammte öffentliche Leben heute in den

abzufertigen. Diese Ausrichtung auf Exklusi-

Tagesblättern besprochen wird, statt wie

vität ist schon anhand des Eingangsbereiches

einst im alten Rom oder in Griechenland

verdeutlicht worden. Derjenige, der das

von öffentlichen Vorlesern und Ausrufern

Gebäude betrat, wurde in seiner Bewegung

in den Thermen und Säulenhallen auf of-

durch die Säulenhalle verlangsamt und mit

fenem Platz erörtert zu werden. Wir kön-

dem Spiegelbild der Hofburg in den Schau-

nen es nicht ändern, dass der öffentliche

fenstern noch einmal seines Standpunktes

Marktverkehr sich immer mehr von den

vergewissert. Ebenso kann man diese Veror-

Plätzen zurückzieht, theils in unkünstle-

tung des Städters auch auf den gesamten

rische Nutzbauten sich einschliessend,

Platz erweitern. Dramaturgisch inszeniert,

theils ganz auflösend durch Zuträgerei di-

schreitet der wohlhabende und geschmack-

rect in’s Haus.“1073

voll gekleidete Städter aus dem Michaelertor der Hofburg,1074 um auf seinen ‚Tempel der

Adolf Loos verändert das Verhältnis von

Mode‘ zuzulaufen. Elana Shapira erarbeitet

draußen und drinnen am Michaelerplatz mit

in ihrer Dissertation sehr ausführlich, in wel-

seinem Gebäude erheblich. Zunächst schafft

cher Art und Weise Goldman & Salatsch die

er durch die starke Achsenbeziehung zur Hof-

bürgerlichen Wünsche nährte, sich der Aris-

burg eine neue Blicklenkung für den Platz,

tokratie über äußerliche Merkmale anzunä-

der zuvor die Prägung einer Kreuzung auf-

hern.1075 Nichts anderes vermitteln der Stand-

zeigte. Im Sinne einer Erweiterung findet der

ort und seine Gestaltung durch Loos.

Blick desjenigen, der gerade aus der Hofburg

Weiterhin wird der Platz auch von innen

tritt, einen Zielpunkt im Haus am Michae-

inszeniert. Es handelt sich sicher um einen

lerplatz. Nachdem der Städter den Baukör-

arrangierten Blick von innen nach außen.

per der monarchischen Instanz durchlaufen

Im Salon hat der wartende Kunde die Mög-

hat, gelangt er somit auf einen den Bewe-

lichkeit, sich visuell seines Standortes zu

gungsfluss verlangsamenden Platz, der eine deutliche Ausrichtung zum Loos-Haus hin aufweist. An diesem Punkt könnte man meinen, Sittes Negativ-Bild eines modernen Platzes, wie oben beschrieben, wäre damit erfüllt. Dem ist aber nicht so, da der Platz und seine Beschaffenheit nicht nur essenziell für die äußere Wirkung des Michaelerhauses ist,

1073 Sitte ³1901, S. 112.

1074 Alle weiteren möglichen Bewegungsrichtungen zum Haus am Michaelerplatz vereinen sich stets in einem Standpunkt vor den Säulen der Eingangshalle. Nur die drei mittleren der fünf Interkolumnien ermöglichen mittels niedriger Stufen ein bequemes Eintreten in das Gebäude. Da sich alle Bewegungsmodelle hin zum Gebäude in jenem Standort treffen und nur die ausgehend von der Hofburg skandalisiert wurde, soll an dieser Stelle lediglich die Achse von Hofburg und Loos-Haus nähergehend untersucht werden. 1075 Shapira 2004.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

­vergewissern. Dieser Standort kann aber

Gebäude der Tadel der Nacktheit vorgewor-

auch soziologisch aufgefasst werden. Der

fen wurde. Dem Bauwerk wird demnach ein

Blick führt über die bay windows direkt auf

unsittliches Gebaren vorgeworfen und erst

den Michaelerplatz und die Fassade der Hof-

seine Nähe zur Hofburg scheint seine ­Brisanz

burg. Die Fenster sind durch ihre Untertei-

zu schüren. Die Architektur mutet an, nicht

lungen so unterfächert, dass es von außen

korrekt für ihr Umfeld gekleidet zu sein und

nicht sonderlich auffällt, ob ein Mensch

dies an einem Ort, an dem man sich doch

dahinter steht (Abb. 86). Ein unentdecktes

gesellschaftlich mustergültig beraten anklei-

Bestaunen der Platzszenerie wird so ermög-

den sollte.

licht und Anonymität für den ‚Voyeur‘

Des Weiteren schreibt der Soziologe

gewahrt. Dem T ­ reiben auf dem Platz wird

Georg Simmel 1903 von dem „Schutzbedürf-

somit aber auch eine deutliche Aufwertung

nis einzelner Gruppen“, die es vorziehen,

zuteil. Das öffentliche Leben einer wohl situ-

einen „wüsten Landstrich“ zwischen sich zu

ierten Bürgerschicht wird im Loos-Haus am

platzieren als in direkter Nachbarschaft zuei-

Michaelerplatz inszeniert und zwar im Sinne

nander zu leben. Ein ähnliches Phänomen

von Sehen und Gesehen werden. Leslie Topp

lässt sich eben auch beim Michaelerplatz

stellt ebenso fest, dass der Hinausblickende

konstatieren. Simmel widmete sich dem The-

von außen nicht gesehen werden konnte und

ma der „Einwirkung, die die räumlichen

spricht von einem „impressionistic [view; LT]

Bestimmtheiten einer Gruppe durch ihre

of e­ lectric light reflecting on brass and maha-

sozialen Gestaltungen und Energien erfah-

gony“ für den Außenstehenden auf dem

ren“ und sprach davon, dass sich in jenem

Michaelerplatz.1076

speziellen Fall das Sprichwort „tu’ mir nichts,

In Hinblick auf diese Beobachtungen lässt

ich tu’ dir auch nichts!“ versinnbildlichte. Im

sich der Eklat um das Michaelerhaus besser

weiteren Verlauf seiner Ausführungen unter-

verstehen. Die selbstbewusste Annäherung

scheidet Simmel zwischen Gruppen, die sich

und Erweiterung sowohl in physischer als

darauf einigen, ob die „Grenzwüste“ keinem

auch psychisch-emotionaler Hinsicht an die

der beiden gehören soll oder beider gemein-

barock-theatrale Körpermetapher des Staats-

samer Besitz darstellt.1077 Adolf Loos sieht

körpers durch das Kaiserforum muss eine

den Michaelerplatz selbstbewusst als beider

Gesellschaft, die sich politisch deutlich im

gemeinsamer Besitz an. Der Platz gehört

Umbruch befand, als Provokation gelesen

sowohl der höfisch angrenzenden Welt an

haben. Die bürgerliche, selbstbewusst posi-

als auch dem anschließenden bürgerlichen,

tionierte Präsenz des Schneidergeschäftes

warenhändlerischen Kosmos. Demnach

direkt gegenüber dem ‚Körper‘ des ‚politi-

könnte man den Michaelerplatz – so wie er

schen‘ und ‚natürlichen‘ Souveräns musste

letztendlich von Adolf Loos abschließend

schlicht für Erstaunen sorgen. Eindrucksvoll

gestaltet wurde – ebenso als „leeren Raum“

ist in diesem Zusammenhang, dass dem

zwischen höfischer und bürgerlicher Stadt-

1076 Topp 2004, S. 155.

1077 Vergleiche dazu Simmel 2006 (1903), S. 304–315.

315

316

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abb. 93: Adolf Loos: Stadtregulierungsplan, gezeichnet von Paul Engelmann, um 1912–1913, 588 x 675 mm, Albertina, Wien

gesamten Ringstraßenbebauung auch sein

welt bezeichnen, in welchem sich der Städ-

konzeptionen verwirklichte. Sein ganzheit-

ter selbst definierend bewegt.

licher Plan beruhte auf den Stadtstrukturen

Haus am Michaelerplatz, das er erstaunlicherweise parallel zu diesen fiktiven Stadt-

Wie sehr Adolf Loos auf diesen „leeren

von 1859. Rukschcio und Schachel sprechen

Raum“ mit seinem Haus am Michaelerplatz

daher auch von einer möglichen „Alternati-

reagiert, zeigt der Vergleich mit einem Pro-

ve zur Ringstraße“.1078 Rukschcio ordnet den

jekt aus seinem Œuvre. Seit 1909 widmete

Plan ebenso als ein „pädagogisches Hilfsmit-

er

Stadtregulierungsplan

tel für seine Bauschule“ ein.1079 Marco Pog-

(Abb. 93) den er ab 1912 von seinem Schü-

acnik sieht in ihm lediglich eine Synthese

sich

einem,

ler Paul Engelmann ausführen ließ. Bezeichnenderweise fehlt in diesem Plan neben der

1078 Rukschcio und Schachel 1982, S. 175f. 1079 Rukschcio 1987, S. 122.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

von ­„konzeptuellen Überlegungen“.1080 Loos ginge demnach wohl dem Gedankenspiel

Eine gestimmte Maske – Der Flaneur und das Bild des „englischen Dandys“

nach wie Wien ohne die massiven Veränderungen des 19. Jahrhunderts und insbeson-

Dem Themenkreis um Physiologie, Psycho-

dere ohne die Ringstraßenbebauung städte-

physik,1085 Wahrnehmungstheorie und Epis-

baulich zu gestalten gewesen wäre. Demnach

temologie und seine Verankerung und Rele-

ist das Haus am Michaelerplatz für Loos

vanz sowohl im Werk Sittes als auch Adolf

jedoch eine deutliche Reaktion auf die Situ-

Loos’ soll sich im Folgenden gewidmet wer-

ation der Wiener Innenstadt von 1909, wäh-

den. Besonderes Augenmerk liegt in diesem

rend jener Plan wohl vielmehr eine verpass-

Zusammenhang auf der Analogie von ‚Hül-

te Möglichkeit vor Augen führen sollte. Loos’

le‘ und ‚Kern‘ bei der Architektur und dem

geäußerte Betroffenheit über den an ihn

menschlichen Organismus. Freud hatte

gerichteten Vorwurf, er habe sich mit seinem

bereits 1895 verschiedene Entwürfe der Kon-

Haus am Michaelerplatz „eines Verbrechens

stituierung vom ‚Ich‘ angerissen und herge-

an

schuldig

leitet. Zum einen entwarf er das Bild von

gemacht“,1081 wird nun tiefergehend verständ-

diesem

alten

Stadtbild

einem „Apparat als System von Subsyste-

lich. Seine Leistung definierte er daher 1910

men“, und zum anderen entwickelte sich

auch wie folgt: „Hatte ich doch das Haus so entworfen, daß es sich möglichst in den Platz einfügen sollte.“1082 Ähnlich wie Camillo Sitte dafür plädierte mithilfe von Umbauten die disproportionierten Stadträume der Ring­ straßenplätze zu Gunsten ihrer Wirkung auf den Passanten umzugestalten,1083 konzipierte Loos sein „Haus gegenüber der Hof­ burg“1084 als einfühlsame Reaktion auf dessen Standort.

1080 Pogacnik 2011, S. 26. 1081 Loos 2010 (1910.4), S. 388. 1082 Loos 2010 (1910.4), S. 388. 1083 Sitte ³1901, S. 154–174. 1084 Dies ist der Wortlaut des Titels einer kurzen Verteidigungsschrift Loos’ für sein Haus am Michaelerplatz. Loos 2010 (1910.4), S. 388f.

1085 Die Psychophysik ist eine „synthetisierende Wissenschaft“. Gustav Theodor Fechner begründete sie mit seiner 1860 erschienenen Schrift Elemente der Psychophysik. Diese Theorie ist, wie ihr Name schon verspricht, eine Verbindung des Physischen mit dem Psychischen und beabsichtigte eine Fassbarkeit der Relation von Leib und Seele. Beide Aspekte werden zunächst als unterschiedliche Erscheinungsformen, die jedoch parallelisierend und nicht etwa unabhängig voneinander zu verstehen sind, definiert, die mithilfe seines „psychophysischen Grundgesetztes“ – auch „Fundamentalformel“ genannt – in Äquivalenz gesetzt werden können. Als empirisches Mittel zum Beweis seiner Formel dient ihm die Beobachtung von „äußeren Reizen“ und den daraus resultierenden psychischen Reaktionen, die er wiederum als „Empfindungen“ definiert. Wobei jene Empfindungen nicht im Sinne von Emotionen zu verstehen sind, sondern im psychophysischen Zusammenhang vielmehr als „Sinnesempfindungen“ zu fassen sind. (Lennig 1994, S. 65–67 und Gundlach 1993, S. 1–9.) Dass die Theorie der Psychophysik in Wien Aufnahme in die Literatur und Forschung fand, beweist Johannes Czaja. Er sieht bei Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften eine deutliche Abarbeitung am „Ding-Seele-Begriff“ nach Fechner und eine deutliche Konzentrierung auf die innere Psychophysik gegeben. (Czaja 1993, S. 154–177.)

317

318

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

durch ihn das Bild eines „Behälterprinzips“,

dem Aufbau der Epidermis. Beide bestünden

das sich nach innen immer weiter verfeiner-

aus „festverfugten Zellen“ oder „Steinen“.1090

Das Wort Apparat besitzt zwei Bedeu-

Diese Definition lässt sich auch auf die Funk-

tungsebenen. Die erste gehört dem techni-

tion der Fassade bei den Gebäuden von Adolf

schen Verständnis an. Nach ihr ist ein

Loos übertragen. Zum einen ist sie auch für

Apparat eine Vorrichtung aus mehreren Ele-

Loos eine Schutzvorrichtung; nicht umsonst

menten, die zusammen ein Gerät oder ein

soll sie seinen Gebäuden als neutrale Maske

Ganzes bilden. Die zweite Bedeutungsebene

zur Verhinderung der Demaskierung seiner

betrifft die Zusammenstellung aller Hilfsmit-

Bewohner und deren Leben im Inneren des

tel, die man benötigt, um eine Arbeit zu

Gebäudekomplexes dienen. Zum anderen

bewältigen; so zum Beispiel eine wissen-

unterstützt die Fassade aber auch die Reprä-

schaftliche Abhandlung. In beiden Fällen

sentation und die Kommunikation mit der

geht es darum, dass eine Vielzahl von Unter-

Außenwelt (Abb. 4, 6 und 73). Sie präsentiert

einheiten ein Ganzes formt. Freud gestaltet

ein nach außen hin inszeniertes Wunschbild

seinen psychischen Apparat als Ganzes der

seiner Besitzer. Das „Haut-Ich“ wird des Wei-

drei „Instanzen“ Bewusstes, Vorbewusstes

teren von Anzieu als „phantasmatische Wirk-

und Unbewusstes. Zwischen diesen Syste-

lichkeit“ und als „vermittelnde Struktur“ defi-

men existiert eine Vielzahl von Wechselbe-

niert, in der die Wurzel für „Phantasien,

ziehungen.

te.

1086

Diese Interaktionen evozieren

Träume, Gedanken und Psychopathologien“

aber auch die Wahrnehmung von Grenzen.

liegen.1091 Ein Haus ist nichts anderes als die

So stellt Didier Anzieu fest, dass „der Mensch

Erweiterung dieser interventiven Form. Ein

[…] das unbewußte Gefühl einer Grenze zwi-

Gebäude spiegelt in vielerlei Weise die Gren-

schen dem psychischen Ich und dem Kör-

zen und Überlappungen zwischen „psychi-

per-Ich [hat; LT]“1088. Anzieu beschreibt die

schem Ich“ und „Körper-Ich“ sowie zwischen

Haut des Menschen, die man auch als Gren-

„Real-Ich“ und erwünschtem „Ideal-Ich“. Es

ze definieren kann, als:

stellt aber ebenso eine Schnittstelle zwischen

1087

„Selbst- und Fremdbestimmung“ dar.1092 Wie „[…] gleichzeitig eine organische und eine

sehr dieser Zusammenhang lange vor Anzi-

imaginäre originäre Gegebenheit, sie ist

eus Publikation von Adolf Loos erkannt wur-

Schutzvorrichtung unserer Individualität

de, fällt zunächst vor allem in seinem schrift-

sowie erstes Instrument und Ort des Aus-

stellerischen Werk auf. Seine Satire Die

tausches mit dem Anderen.“1089

Potemkin’sche Stadt von 1898 erscheint in der Juli-Nummer der Secessionszeitschrift

Fortführend heißt es im Buch Das Haut-Ich, die Wand ähnle auch durch ihre Struktur

1086 Anzieu 1087 Anzieu 1088 Anzieu 1089 Anzieu

²1998, ²1998, ²1998, ²1998,

S. S. S. S.

15. 97–117. 124. 13.

1090 Anzieu ²1998, S. 29. 1091 Anzieu ²1998, S. 14f. 1092 Die in Anführungszeichen gesetzten Begriffe sind von Anzieu übernommen und sind auf die vor gut zehn Jahren aktuellen psychoanalytischen Problematiken bezogen. Siehe dazu Anzieu ²1998, S. 18.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Ver Sacrum.1093 In diesem kurzen kultur­

Wohngebäude von aussen betrachtete.

kritischen Essay setzt sich Loos mit den

Liebäugelt nicht auch der Besitzer eines

architektonischen Entwicklungen der Ring­

falschen Brillanten mit dem glitzernden

straßenarchitektur in Wien auseinander und

Glase? O, über den betrogenen Betrü-

enthüllt sie in seinen Augen als Ansammlung

ger!“1095

von Trugbildern. Mirko Gemmel spricht aus Sicht von Adolf Loos sogar von einer

Bezeichnenderweise nimmt Loos, oder viel-

­„sozialen Hochstapelei“ im Falle der Ring­

mehr der Ich-Erzähler, zu Beginn des Zitates

straßenarchitektur.1094 So heißt es in dem

die Position eines Spaziergängers ein, der

Loos’schen Artikel:

sich über das Verb „schlendern“ vor den Augen des Lesers ausformt. Loos greift

„Wenn ich den Ring entlang schlendere,

dadurch die damalige Lage auf, dass die

so ist es mir immer, als hätte ein moder-

Ringstraße mit ihren breiten und begrünten

ner Potemkin die Aufgabe erfüllen wol-

Fußwegen auch dazu diente, sich auf einem

len, jemandem den Glauben beizubrin-

Spaziergang im Umkreis der höfischen und

gen, als würde er in eine Stadt von lauter

bürgerlichen Gesellschaft zu verorten. Mar-

Nobili versetzt. Was immer auch das

tina Pippal gibt präzise an, dass der Ring­

renaissierte Italien an Herren-Palästen

straßenabschnitt zwischen Opernring („Sir­

hervorgebracht hat, wurde geplündert, um

ecke“) und Schwarzenbergplatz sich zu

Ihre Majestät der Plebs ein Neu-Wien vor-

einem Korso entwickelte.1096

zuzaubern, das nur von Leuten bewohnt

Weiterhin heißt es, ein Architekt vom

werden könnte, die imstande wären, ei-

Schlag des russischen Fürsten Potemkin woll-

nen ganzen Palast vom Sockel bis zum

te eine Außenwirkung im Sinne einer

Hauptgesims allein innezuhaben. Im Par-

Ansammlung von Palazzi von adligen

terre die Stallungen, im niedrigen, unter-

Geschlechtern der einstigen italienischen

geordneten Mezzanin die Dienerschaft,

Freistaaten vorspiegeln. Um zu betonen, wie

im hohen, architektonisch reich durchge-

sehr diese Konstruktion auf der Vorspiege-

bildeten ersten Stockwerke die Festräu-

lung von falschen Tatsachen beruht, wählt

me und darüber die Wohn- und Schlafräu-

Loos nicht nur den Titel Potemkin’sche Stadt,

me. Einen solchen Palast zu besitzen,

sondern spricht auch davon, den Betrachtern

gefiel den Wiener Hausherren gar wohl,

den „Glauben beizubringen“. Glaube mani-

in einem solchen Palast zu wohnen, ge-

festiert sich eben ohne die Erkenntnis, ob

fiel auch dem Mieter. Dem einfachen

die Gewissheit, die man gefühlsmäßig gewon-

Mann, der auch nur das Zimmer und

nen hat, auch in Wirklichkeit existiert.

­C abinet im letzten Stockwerke gemietet hatte, überkam auch etwas von feudaler Pracht und Herrengrösse, wenn er sein 1093 Loos 2010, S. 764. 1094 Gemmel 2005, S. 221.

1095 Loos 2010 (1898.6), S. 188. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit. 1096 Pippal 2000, S. 151. Vergleiche dazu als zeitgenössische Quellen das Gemälde Ringstraßenkorso in Wien von Theodor Zasche; datiert auf um 1900. Auch wenn das Gemälde von Zasche genau

319

320

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Im weiteren Verlauf des oben angeführten

baut eine Trinkstube. Die Menschen sol-

Zitats widmet sich Adolf Loos den verschiede-

len sich drinnen gemüthlich fühlen. Wie

nen emotionalen Zugängen zur Potemkin’schen

macht man das? Man sieht nach, welche

Stadt. Vom Besitzer zum Mieter und sogar bis

Bauwerke schon früher im Stande waren,

hin zum „einfachen Mann“ beschreibt Loos die

diese Gefühle zu erzeugen. An die muss

verschiedenen Stufen der Eitelkeit und gesell-

man anknüpfen. Denn der Mensch hat

schaftlicher Relevanz oder Zugehörigkeit, die

sein Lebenlang in gewissen Räumen ge-

diese Gebäude zufrieden stellen. Ein erträum-

betet, in gewissen Räumen getrunken. Das

tes „Ideal-Ich“ präsentiert sich nach außen

Gefühl ist ihm anerzogen, nicht angebo-

durch die architektonische Fassade, ohne eine

ren. Folgerichtig hat der Architekt, wenn

inhaltliche Übereinstimmung mit dem „Real-

es ihm überhaupt mit seiner Kunst ernst

Ich“ des Bewohners aufzuweisen. Wie sehr die-

ist, auf diese anerzogenen Gefühle Rück-

se ‚Lüge‘ zur reflexiven ‚Selbstlüge‘ wird, zeich-

sicht zu nehmen.“1097

net wiederum das Bild des „Betrügers“, der seinen Modeschmuck für hochkarätig hält. Die

Adolf Loos macht demnach das „Gefühl“

Grenzen werden ungewiss. Die Selbstdarstel-

zum zentralen Movens des Architekten. Aber

lung, aber auch die Selbstwahrnehmung wird

nicht etwa das seine, sondern das aller Men-

zum vorgeblendeten ‚Wunsch-Ich‘, das durch

schen, die dieselben anerzogenen Gefühle

eine Architektur repräsentiert wird, die zum

besitzen. Er formuliert es zumindest so, als

Accessoire der Selbstdefinition wird.

sei es ganz simpel, die anerzogenen Gefühle

Was aber zieht Loos für sich aus dieser

herausfiltern zu können. Demnach ist anzu-

Beobachtung. Deutlich wird, dass er seine

nehmen, dass er die Gefühle eines begrenz-

Arbeit als Architekt nicht der ‚Lüge‘ widmen

ten Kulturkreises oder sozialen Umfeldes

möchte. Seine Architektur soll eine ‚Wahrheit‘

meint. Daher handelt es sich bei Loos’

verkörpern. Aber als was ist ‚Wahrheit‘ in die-

Gefühlsbegriff um eine sozial kodierte Norm

sem Zusammenhang zu definieren? So

– ähnlich dem Begriff des Habitus nach dem

schreibt Loos zur Motivation des Architekten:

französischen Soziologen Pierre Bourdieu. Nach dieser Norm, die wiederum durch das

„Was will denn der Architekt eigentlich?

Lernen an älterer Architektur geschult wer-

Er will mit Hilfe der Materialien Gefüh-

den kann, muss sich der Architekt richten.

le im Menschen erzeugen, die eigentlich

Adolf Loos war sich demnach der emotiona-

diesen Materialien noch nicht innewoh-

len Qualität von Architektur bewusst und

nen. Er baut eine Kirche. Die Menschen

war sogar der Ansicht, dass sie den Willen

sollen zur Andacht gestimmt werden. Er

des Architekten leiten müsse. Das Gefühl ist für ihn aber keine durch Affekte aufgeladene spontane Qualität, sondern vielmehr eine

genommen keine tatsächlichen Flaneure zeigt, sondern vielmehr eine Gesellschaft des Sehens und Gesehen-Werdens portraitiert wird, ist es dennoch als ein Beweis für das Phänomen des Ringstraßenkorsos heranzuziehen. (Stewart 2000, S. 98f.)

tradierte und erlernte Eigenschaft. 1097 Loos 2010 (1898.7), S. 196. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Adolf Loos war sich in seiner Aufgabe als

war ich krank gewesen, jetzt ging es wie-

und des-

der aufwärts, und ich befand mich im Ge-

sen Bewegungsbildes bewusst, wie sein Arti-

fühl wiederkehrender Kräfte in jener

kel Die Potemkin’sche Stadt beweist.

Architekt des städtischen Flaneurs

1098

Loos

glücklichen Stimmung, da man alles an-

bezog unter anderem bei der Planung der Wir-

dere eher empfindet als Langeweile. Die

kung des Loos-Hauses im Platzgefüge sowie

Sinne sind wacher als sonst, die Schleier

dessen Fassadenwirkung auch die Figur des

lüften sich von den inneren Visionen, und

Flaneurs mit ein. Cees Nooteboom definiert

die Gedanken sind geradezu elektrisch ge-

die nicht irrelevante Rolle der Flaneure: „[…]

laden […] Diese Straße ist eine der Haupta-

sie gehören zur Stadt, die ohne sie undenk-

dern der City; sie war den ganzen Tag über

bar ist, sie sind das Auge, das Protokoll, die

sehr belebt gewesen. Doch mit zunehmen-

Erinnerung, das Urteil und das Archiv, im

der Dunkelheit wuchs das Gedränge zu-

Flaneur wird sich die Stadt ihrer selbst

sehends, und im aufflammenden Licht der

bewußt.“1100 Der Flaneur wertet die Rolle des

Laternen sah man draußen die Menschen-

Architekten auf, der so durch ihn die Rolle

menge in zwei dichten, endlosen Zügen

eines „Philosophen der Gesellschaft“ erlangt,

an der Tür vorbeifluten.“1103

1099

wenn er seine Ansichten von Stadt, Wohnen und Leben realisiert und den Ein- und Bewohnern nicht nur präsentiert, sondern auch buchstäblich vor sie hinstellt.1101 Indirekt präsentiert findet sich dieses Verhältnis auch in der Erzählung Der Mann der Menge von Edgar Allan Poe aus dem Jahre 1840.1102 In dieser berichtet der Ich-Erzähler: „Kürzlich, an einem dämmernden Herbstabend, saß ich an dem Bogenfenster des Cafés D. in London. Die letzten Monate

1098 Stefanie Proske umreißt die Figur des Flaneurs mit dem Begriff des „Genussmenschen“. Er bewegt sich in den Straßen und Kaffeehäusern der Weltstädte und ist interessiert an den vielseitigen Impressionen der Metropole. (Proske 2010, S. 7–9.) 1099 Pogacnik 2011, S. 14, S. 27 und Stewart 2000, S. 35 und S. 38. 1100 Nooteboom 1995. 1101 Vergleiche dazu Nooteboom 1995, S. 2–5. 1102 Die Datierung ist übernommen aus Gelfert 2008, S. 99f. Die Geschichte The Man of the Crowd erschien erstmals in Graham’s Magazin im Dezember 1840. (Gelfert 2008, S. 225.)

1103 Poe 2010, S. 13–15. Vergleiche dazu die ältere Übersetzung in Poe 1921, S. 11f. Auch dort wird aus dem Englischen in das Wort Stimmung übersetzt. Der entscheidende Satz lautet: „Ich war einige Monate krank gewesen, nun aber auf dem Wege der Besserung, und je mehr meine Kräfte zurückkehrten, desto glücklicher wurde meine Stimmung, die man als das Gegenteil von Langeweile bezeichnen konnte; es war ein Zustand voll inneren Aufmerkens, voll heftiger Begier nach Neuem, es war mir gewissermaßen, als blicke mein geistiges Auge zum erstenmal frei und unverschleiert […].“ Im englischen Original heißt es: „Not long ago, about the closing in of an evening in autumn, I sat at the large bow window of the D --- Coffee-House in London. For some months I had been ill in health, but was now convalescent, and with returning strength, found myself in one of those moods which are so precisely the converse of ennui – moods of the keenest appetency, when the film from the mental vision departs […] This latter is one of the principal thoroughfares of the city, and had been very much crowded during the whole day. But, as the darkness came on, the throng momently increased; and by the time the lamps were well lighted, two dense and continuous tides of population were rushing past the door.“ (Poe 1979, S. 507.) Das englische Wort mood kann im Deutschen als Laune, aber vor allem als Stimmung übersetzt werden. Dies belegt unter anderem die

321

322

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Abzulesen ist an diesem Zitat, dass die Stadt

Adolf Loos wendet demnach eine Ästhe-

für den Flaneur zur Basis seiner Beobach-

tik an, der deutlich ethisch und gesellschaft-

tungen wird. Die Räumlichkeiten des Cafés

lich kodierte Bereiche immanent sind. Es

kann man als Zuschauerraum definieren, aus

handelt sich um eine durch Wahrnehmung

dem heraus der Flaneur seinen Beobachtun-

und Empfindung abgegrenzte Ästhetik; dem-

gen auf der Straßenbühne nachgeht. Im wei-

nach um eine Aisthesis. Wolfgang Welsch

teren Verlauf der Erzählung begibt sich der

umschreibt den Begriff der Aisthesis solcher-

Flaneur auch in die Menschenmenge hinein

maßen:

und verlässt den distanzierten Observierposten des Cafés, um direkt in der Masse aufzu-

„Die Wahrnehmungskomponenten der ais-

gehen, ohne seine Betrachtungshaltung abzu-

thesis richten sich auf genuine Sinnesqua-

legen.1104 Deutlich wird, wie präsent das sich

litäten wie Farben, Töne, Geschmäcke,

Bewegen in der Stadt und das Wahrnehmen

Gerüche. Die Wahrnehmung dient deren

von urbanem Raum auch in der Literatur

Erkenntnis. Die Empfindungskomponen-

war. Man kann schlussfolgern, dass diese

te der aisthetis hingegen ist gefühlshaft

Weltsicht ebenso Eindruck auf einen Archi-

ausgerichtet. Die Empfindung bewertet

tekten gemacht haben muss, der sich zumin-

das Sinnenhafte im Horizont von Lust und

dest das Ziel gesetzt hatte, die „abendländi-

Unlust.“1106

sche Kultur in Österreich“ einzuführen. Dies verkündete zumindest der selbstbewusste

Jenes Zitat erinnert stark an die Äußerungen

Untertitel seiner Zeitschrift Das Andere. Ein

Ernst Machs zur Stimmung und dessen Adap-

Blatt zur Einfuehrung abendlaendischer Kul-

tierung durch Hermann Bahr. Mit dieser Auf-

tur in Oesterreich: Geschrieben von Adolf

fassung von Ästhetik bewegt sich Loos nicht

Loos, die in zwei Ausgaben 1903 erschien.1105

im luftleeren Raum. Bereits im 19. Jahrhundert entwickeln sich eine Fülle von Theorien – wie unter anderem die Physiologie, Psy-

Publikation Arburg 2010.2, S. 8. Siehe auch Siemer 1999, S. 35. 1104 Cees Nooteboom spricht in diesem Zusammenhang von einem „Verschwinden in der Menschenmenge“, die eine Anonymität herstelle, die wiederum erst den voyeuristischen Blick des Flaneurs ermögliche. (Nooteboom 1995.) Der Charakterzug des Blicks und seine Konnotationen werden im weiteren Verlauf dieses Kapitels im Zusammenhang mit der Figur des Dandys noch näher be­leuchtet. 1105 Die erste Ausgabe war als separat beziehbare Beilage in der Zeitschrift Kunst. Halbmonatsschrift für Kunst und alles andere unter dem Literaten und Redakteur Peter Altenberg erschienen. Die zweite Ausgabe publizierte Loos dann am 15.10.1903 als selbstständige Veröffentlichung (Opel 1997, S. 9f.)

chophysik und die Einfühlungsästhetik –, die für dieses Architekturverständnis maßgeblich als Vorbilder bezeichnet werden müssen. In den nächsten Abschnitten soll ein Spektrum dieser Strömungen zumindest angerissen werden und als Grundlage dazu dienen, in den Stimmungsbegriff bei Adolf Loos’ Werk überzuleiten. Die enge Verflechtung von Wahrnehmung und Empfindung wird um 1900 insbesondere sinnfällig durch die inflationäre Verwendung des Wortes Stimmung

1106 Welsh 1994, S. 5.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

als Gemütszustand aber auch als Atmosphä-

wecken“ als Ziel seiner Arbeit ansah.1110 Er

re.1107 So definiert Loos die Rolle des Archi-

bezeichnet den Innenraum bei Loos sogar

tekten und der Architektur auch derart:

als „innere Landschaft“.1111 Jene Bezeichnung als „innere Landschaft“ versucht das Folgen-

„Die Architektur erweckt Stimmungen im

de unter Klärung der Begriffe Physiologie,

Menschen. Die Aufgabe des Architekten

Psychophysik und der weiteren Differenzie-

ist daher, diese Stimmungen festzuhalten.

rung des Bildes des Dandys zusammen­

Das Zimmer muß gemütlich, das Haus

fassend und anschaulich am Beispiel des

wohnlich aussehen. Das Justizgebäude

Hauses am Michaelerplatz zu vertiefen.

muß dem heimlichen Laster wie eine be-

Christopher Long betont im Zusammenhang

drohliche Gebärde erscheinen. Das Bank-

mit dem gleichen Zitat von Adolf Loos, dass

gebäude muß sagen: hier ist dein Geld bei

das Haus am Michaelerplatz insbesondere

ehrlichen Leuten fest und gut verwahrt.

im Inneren „verfeinert und intim“ wirke. Des

Der Architekt kann das nur erreichen,

Weiteren unterstreicht die „Konstruktion“

wenn er bei jenen Gebäuden anknüpft,

der Räume – womit Long vermutlich die Ebe-

die bisher im Menschen diese Stimmung

nenverschiebungen im Mezzanin (Abb. 77

erzeugt haben.“

und 78) meint – „Privatheit und persönlichen

1108

Service“, und damit sei wiederum der AufAufgrund dieses Zitates und dessen Nähe

gabe solch eines Herrenausstatters gedient.1112

zur architecture parlante zieht Susanne Eckel

Diese diskrete Wirkung indirekt bestätigend,

an dieser Stelle für Adolf Loos Bezüge zu

siedelten sich gerade auch Arztpraxen und

den französischen Revolutionsklassizisten.

Banken oberhalb des Geschäftes Goldman

Des Weiteren räumt sie jedoch ein, dass die

& Salatsch an. Diesen Wirkungen soll nun

Forschung einstimmig der Meinung ist, dass

noch tiefergehend nachgegangen werden.

Loos Boullée, Ledoux und Lequeu nicht

Physiologie leitet sich von dem griechi-

kannte oder deren Œuvre erst sehr spät rezi-

schen Wort für Naturlehre ab und besitzt

piert haben kann.1109 Wie ist dieses Zitat also

verschiedene

zu verstehen? Das Wort „Stimmungen“

sprach bei den Vorsokratikern von Physio-

nimmt hier zentrale Bedeutung ein. Ralf

logen im Sinne von Philosophen, die sich

Bock vertritt die Ansicht, dass Loos „Raum-

ihm zufolge mit dem Sein in seiner Gänze

stimmungen zu schaffen und Emotionen zu

als Natur beschäftigten. Des Weiteren kann

Bedeutungen.

Aristoteles

die Physiologie – wie bei Epikur – aber auch 1107 Im Rahmen der Analyse zum Sanatorium Purkersdorf wurde sich bereits dem Begriff der Einfühlungsästhetik mit besonderem Fokus auf die Theorien von Theodor Lipps gewidmet. Vergleiche dazu folgende Kapitel: Ornament und Quadrat als A und O der Architektur – Ein Übergang zur Einfühlungstheorie und Eine Generation mit „Formgefühl“ und deren ‚Gemütsarchitektur‘. 1108 Loos 2010 (1910.5), S. 403. 1109 Eckel 1996, S. 29.

als Theologie oder Metaphysik verstanden werden. Ab dem 2. Jahrhundert nach Christus findet der Begriff Eingang in die Medizin. Innerhalb dieser Disziplin erfährt er aber 1110 Bock 2009, S. 10. 1111 Bock 2009, S. 57f. 1112 Long 2011, S. 195.

323

324

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

ebenfalls vielerlei Deutungen. Zum einen galt

handelt sich dabei vorwiegend um ein Text-

die Physiologie in der Medizin als „Wissen-

fragment, das er als Kapitel zu seinem Haupt-

schaft von der Natur des Menschen“ und

werk Der Wille zur Macht plante.1116 Der

zum anderen war sie die „Theorie der

Begriff wird in eine andere Wissensdisziplin

menschlichen Gesundheit“. Später hatte die

transferiert und entwickelt dort eine „leibli-

Physiologie aber auch die Anatomie des Men-

che Symbolik“.1117 Zunächst nutzt Nietzsche

schen zum Inhalt. Seit dem 18. Jahrhundert

diese Begriffserfindung dazu, die bis dato

entwickelt sich eine Konzentrierung der

gültige Schopenhauer‘sche Rangfolge der

Begriffsdefinition im medizinischen Sinne

Künste umzusortieren, indem er die an der

auf eine „Funktionslehre des Organismus

Spitze positionierte Musik durch die Archi-

unter Zurücktretung der Anatomie“.

Die

tektur ersetzt. Sie stand nach den Kriterien

naturphilosophischen Ärzte unter dem Phi-

einer Physiologie dem Leib am nächsten,

losophen Friedrich Wilhelm Schelling, der

während die Musik etwas Immaterielles dar-

einer der Hauptvertreter des deutschen Ide-

stellte.1118 Fritz Neumeyer fasst die Architek-

alismus war und der den Ausdruck der Iden-

tur aus Nietzsches Position überdies als „psy-

titätsphilosophie prägte, sahen die Physiolo-

chische und physiologische Konsequenz und

gie als eine Sammelvorstellung einer Idee

Notwendigkeit“.1119 Daher sei die Architektur

der „Ordnung der Lebensleistungen“. Dieser

auch „etwas, das in uns selbst wohnt und

abstrakten Definition stellte die Naturwis-

dort beginnt“.1120 Wie sehr es die Musik sogar

senschaft des 19. Jahrhunderts wieder eine

zur Darstellung der Lüge und der Krankheit

Auslegung als Lehre entgegen, die dazu dien-

nach Nietzsche ereilte, erklärt er am Beispiel

te die physikalisch-chemischen Lebensvor-

der Musik Richard Wagners. So heißt es in

gänge zu erklären.

seinem Turiner Brief vom Mai 1888 mit dem

1114

1113

Dieses zuletzt genann-

te Verständnis – im Sinne einer Betrachtung

Titel Der Fall Wagner:

der Ursachen und Determiniertheiten des Lebewesens nach biotechnischen Kriterien

„Genug! Genug! Man wird, fürchte ich,

– besteht bis heute als Hauptaspekt.

zu deutlich nur unter meinen heitern Stri-

1115

Neben dieser naturwissenschaftlichen

chen die sinistre Wirklichkeit wiederer-

Ausprägung des Begriffs lässt sich Ende der

kannt haben – das Bild eines Verfalls der

80er-Jahre des 19. Jahrhunderts bei Friedrich

Kunst, eines Verfalls auch der Künstler.

Nietzsche eine „Physiologie der Ästhetik“

Das letztere, ein Charakter-Verfall, käme

oder „Physiologie der Kunst“ ausmachen. Es

vielleicht mit dieser Formel zu einem vorläufigen Ausdruck: der Musiker wird jetzt

1113 K. E. Rothschuh: Physiologie, in: Historisches Wörterbuch Der Philosophie 1979–2007, Bd. 7 (1989), S. 964f. 1114 K. E. Rothschuh: Physiologie, in: Historisches Wörterbuch Der Philosophie 1979–2007, Bd. 7 (1989), S. 965f. 1115 K. E. Rothschuh: Physiologie, in: Historisches Wörterbuch Der Philosophie 1979–2007, Bd. 7 (1989), S. 966f.

zum Schauspieler, seine Kunst entwickelt 1116 Gleiter 2009, S.138f. und Neumeyer 2001, S. 234f. 1117 Vergleiche dazu Gleiter 2008, S. 93–112. 1118 Vergleiche dazu Gleiter 2008, S. 93f. und Neumeyer 2001, S. 9. 1119 Neumeyer 2001, S. 205. 1120 Neumeyer 2001, S. 205.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

sich immer mehr als ein Talent zu lügen.

man bedenkt, dass die Physiologie zur Mitte

Ich werde eine Gelegenheit haben (in ei-

des 19. Jahrhunderts bereits eine breite Prä-

nem Kapitel meines Hauptwerks, das den

senz in Literatur, Feuilletons und Tageszei-

Titel führt ,Zur Physiologie der Kunst‘),

tungen zeigte.1123 Nietzsche stärkt die kör-

des näheren zu zeigen, wie diese Gesamt-

perliche Wahrnehmung gegenüber der von

verwandlung der Kunst ins Schauspiele-

Vernunft – nach Immanuel Kant das höchs-

rische ebenso bestimmt ein Ausdruck phy-

te Erkenntnisvermögen – geleiteten Welt-

siologischer Degenereszenz (genauer, eine

sicht. So wird die Physiologie nach Nietzsche

Form des Hysterismus) ist, wie jede ein-

zur „wissenschaftlich nicht weiter erschließ-

zelne Verderbnis und Gebrechlichkeit der

bare[n] und quantifizierbare[n] Instanz des

durch Wagner inaugurierten Kunst: zum

Lebens. […] Nach Nietzsche artikuliert sich

Beispiel die Unruhe ihrer Optik, die dazu

in der Physiologie der nicht auflösbare

nötigt, in jedem Augenblick die Stellung

Widerspruch, dass einerseits der Leib das

vor ihr zu wechseln. Man versteht nichts

Unmittelbarste, das heißt das dem Menschen

von Wagner, solange man in ihm nur ein

am nächsten Stehendste ist, andererseits in

Naturspiel, eine Willkür und Laune, eine

seiner Unergründlichkeit gleichsam immer

Zufälligkeit sieht. Er war kein ‚lückenhaf-

auch das Fremdeste bleibt.“1124 Nietzsche

tes‘, kein ‚verunglücktes‘, kein ‚kontradik-

selbst schreibt: „Unser Zustand: der Wohl-

torisches‘ Genie, wie man wohl gesagt hat.

stand macht die Sensibilität wachsen; man

Wagner war etwas Vollkommenes, ein ty-

leidet an den kleinsten Leiden; unser Körper

pischer décadent, bei dem jeder ‚freie Wil-

ist besser geschützt, unsere Seele krän-

le‘ fehlt, jeder Zug Notwendigkeit hat.

ker.“1125 Nietzsches Hierarchie der Kunst

Wenn irgend etwas interessant ist an Wag-

nach ihrer Eindringlichkeit auf den Leib lässt

ner, so ist es die Logik, mit der ein phy-

die Architektur an die erste Stelle der Küns-

siologischer Mißstand als Praktik und Pro-

te rücken. Dieser Kategorisierung der Archi-

zedur, als Neuerung in den Prinzipien, als

tektur als Kunst wäre Adolf Loos, wenn man

Krisis des Geschmacks Schluß für Schluß,

seine späten schriftlichen Werke als Maßstab

Schritt für Schritt macht.“1121

ansetzt, zwar nicht in allen Punkten gefolgt,1126 es ist aber sehr aufschlussreich zu

Letztendlich überträgt Nietzsche eine naturwissenschaftliche Lehre auf eine ästhetische Kulturgeschichte. Hierfür findet er laut Jörg Gleiter Vorbilder in der Neurophysiologie und Psychophysik.1122 Diese Übertragung der physiologischen Methode auf eine andere Lehre scheint nicht ungewöhnlich, wenn 1121 Nietzsche 1983 (1888), S. 107f. 1122 Gleiter 2008, S. 97f. Siehe auch Gleiter 2009, S. 136–140.

1123 Gleiter 2008, S. 98. 1124 Gleiter 2008, S. 100. Siehe auch Gleiter 2009, S. 136f. Nach Fechner liegt im Leib-Seele-Ver­ hältnis ein psychophysischer Parallelismus vor. (Czaja 1993, S. 6f. und S. 40–51.) 1125 Nietzsche KSA 1999, S. 286. 1126 Während Adolf Loos zu Beginn seiner Schriften noch die Wahrnehmungsstrategien von Architektur auf ihren Betrachter als vom Architekten zu bedenken hervorhob, betont er im Laufe der Jahre zumindest in seinen Schriften immer mehr die Notwendigkeit einer handwerklichen Grundlage für den Architekten. Man denke nur an seine

325

326

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

beobachten, wie Nietzsche seine Spaziergän-

treten und die Eigeninszenierung seiner Per-

ge durch Turin im Jahr 1888 beschreibt. Glei-

son durch Fotos; zumal er auch schon vor

ter spricht in diesem Zusammenhang bei

dem Bau des Hauses am Michaelerplatz ein

Nietzsche von einer Auslegung der Stadt als

guter Kunde der Firma Goldman & Salatsch

„leibphänomenologischem Erlebnisraum“1127

war und sich damit wohl auch als Prototyp

und deklariert ihn als „Philosophen der

des Kunden – den es emotional zu ‚stimmen‘

Großstadt, der als Flaneur den Baudelai-

galt – verstanden hat. Elana Shapira zählt in

re’schen Dandy um eine erkenntnistheoreti-

ihrer Dissertation folgende Kunden, hinsicht-

sche, gleichsam leibphänomenologische Ebe-

lich derer Loos sein Haus am Michaelerplatz

ne erweitert“1128. Somit kann man Nietzsche

als „architectural ‚outfit‘“ gestaltet hat, auf:

neben Sitte als Quelle für eine somatische

Zunächst einmal nennt sie Leopold Gold-

Stadtwahrnehmung heranführen. Diese über-

man als Auftraggeber und dann die Kunden,

steigt die Kategorisierung von Architektur

die Adolf Loos inkludieren. Des Weiteren

nach Stilen, wie sie im Historismus üblich

nennt sie: “’Men of Taste,’ new members of

war, und leitet weiter zu einem Stadtbild der

the nobility, self-made business men, clerks

Moderne über.

and even artists“.1130

Anders Munch definiert Adolf Loos’ Ziel

Meistens schwingt bei dem Wort Dandy

als darauf gerichtet, „einen Stil zu entwi-

ein Konvolut von Vorstellungen mit, die den

ckeln, der ein adäquater Ausdruck seiner Zeit

ungenauen Definitionsraum des Wortge-

sein sollte, der eine Übereinstimmung zwi-

brauchs aufzeigen. Sowohl Flaneur, Snob,

schen innerer Notwendigkeit und der äuße-

Gentleman als auch Dandy sind als Konglo-

ren Form herstellte“.1129 An dieser Stelle wäre

merat gebräuchlich. Günter Erbe grenzt den

eine intensive Beschäftigung mit der Orna-

Dandy folgendermaßen ab:

mentdebatte um 1900 nötig, die in diesem Rahmen aber nicht in seiner Gänze, sondern

„Der Dandy ist ein Mann von einfacher,

nur punktuell mit besonderer Schwerpunkt-

erlesener Eleganz, einer Eleganz, die Aus-

legung auf den Begriff der Maske geleistet

druck einer bestimmten Geistes- und Le-

werden kann, wobei immer wieder auf die

benshaltung ist. Er ist eine extravagante

Figur des Dandys zurückgegriffen wird.

Spielart des Gentleman, ausgezeichnet

Zunächst ist es notwendig, die Rolle des

durch überlegenen Geschmack, perfekte

Dandys bei Loos zu spezifizieren. Als Quel-

Manieren, zynisch-frivolen Konversations-

lenmaterial dienen hierfür sein eigenes Auf-

ton, Kaltblütigkeit und Unerschütterlichkeit in allen Lebenslagen und einen auf

berühmte, aber auch recht späte Aussage von 1924: „Der Architekt ist ein Maurer, der Latein gelernt hat.“ (Loos 2010 (1924.1), S. 602. Vergleiche dazu Amanshauser 1985, S. 64–71 und Achleitner 1996, S. 41–43.) 1127 Gleiter 2008, S. 105. 1128 Gleiter 2008, S. 107. 1129 Munch 2005, S. 23–27.

die Spitze getriebenen Selbstkult. […] Er ist Solitär und Gesellschaftsmensch.“1131

1130 Shapira 2004, S. 4f. Janet Stewart geht dafür auf die Inszenierung als Kunde von Goldman & Salatsch bei Loos ein. (Stewart 2000, S. 100.) 1131 Erbe 2004, S. 1.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Erbe betont ebenso, dass sich verschiedene

spiel Oscar Wilde gegenüber seinen Kunden,

„Spielarten und Mischformen“

des D ­ andys

um seine Fenstergestaltung zu verteidigen

ausgebildet haben. Im Falle von Adolf Loos

oder zu erklären. Kurt Unger überliefert

sind zwei Typen zu betrachten. Zum einen

einen Dialog aus dem Jahre 1930 zwischen

ist der Typ des englischen Aristo­ kraten-

Loos und einem seiner Kunden, dem Onkel

Dandys, der am Fall von George Bryan Brum-

Ungers, als dessen Fenster mit „undurchsich-

mell – genannt Beau Brummell – erläutert

tigem Kathedralglas“ versehen werden soll-

wird,

1132

zu betrachten und zum anderen ist

ten: „,Aber ich habe doch eine Aussicht auf

es der „literarisch-künstlerische D ­ andy“1134,

die schönen städtischen Gartenanlagen!‘

der für die Inszenierung Loos’ und des Hau-

‚Oscar Wilde sagte, daß ein Gentleman nicht

ses am Michaelerplatz Relevanz besitzt.

aus dem Fenster schaut‘, war die Antwort.“1136

1133

Ein wichtiger Charakterzug des Dandys

Vergleicht man die Bilder, die von Adolf Loos

ist die Kleidung. Bisweilen wird er als Mode-

durch Fotografen angefertigt wurden, zeigen

geck verspottet. Für Loos, der dieses falsch

sie deutlich eine Bildstrategie (Abb. 94 und

verstandene Dandytum Josef Hoffmann und

95). Sie präsentieren stets einen elegant

den Secessionisten vorwirft, gilt jedoch

gekleideten Mann in dreiteiligem Anzug mit

­vielmehr das Verhältnis zur Kleidung, das

Krawatte und pomadisiertem Haar. Er sitzt

sich deutlich am Vorbild von Beau Brummell

fast immer mit streng geradem Rücken in

­orientiert. Klaus-Dieter Herlemann stellt in

einem Stuhl und fixiert sachlich die Kamera

seiner Dissertation zum Witz Oscar Wildes

oder den von ihm mitgedachten Betrachter

diesen Kult um die Kleidung in direkten

des Fotos. Eine gewisse Unnahbarkeit drückt

Zusammenhang mit einem künstlerischen

sich über die Kleidung und Haltung des Por-

Eskapismus vor der realen Welt der

trätierten aus. Diese Reserviertheit oder emo-

­Industrialisierung:

tionale Unberührtheit entspricht dem Schema des Dandys. Wie essenziell dieser

„In einer Zeit, in der alle bisherigen Wer-

Charakterzug für den Dandy angesehen wur-

te der Gesellschaft ins Wanken geraten,

de, zeigen Anekdoten, wie die von Beau

findet er im Kult der Oberfläche seinen

Brummell überlieferte, nach der er den Ver-

Halt; der allgemeinen Veränderung stellt

lust hoher Geldbeträge beim Spiel ohne jeg-

er die stets gleiche Perfektion seiner äu-

liche emotionale Involvierung über sich erge-

ßeren Erscheinung gegenüber.“

hen ließ.1137 Ebenso dienen diese Fotografien

1135

dazu, Loos in seiner Funktion als Vorbild zu Nichts anderes verfolgt Loos als Person der

bestätigen. Seine Tätigkeit als „Schiedsrich-

Öffentlichkeit. Adolf Loos zitiert zum Bei-

ter in Sachen Kleidung und Geschmack“1138

1132 Erbe 2004, S. 2. 1133 Vergleiche dazu McLeod 1996, S. 59f. und Ottillinger 1994, S. 19–23. 1134 Erbe 2004, S. 2. 1135 Herlemann 1972, S. 20.

1136 Unger 1981, S. 1882. 1137 Herlemann 1972, S. 80. 1138 Diese Worte werden von Hans-Joachim Schickedanz verwendet, um Brummells Rolle als arbiter elegantiarum zu umschreiben. (Schickedanz 2000, S. 49f.)

327

328

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung formulierte beispielsweise mit der persona einen Sammelbegriff für eine nach außen gerichtete Hülle des Individuums im Sinne einer sozial erlernten Schutz-Maske. Als vorgeschaltete Rolle verbirgt die Maske menschliche Unzulänglichkeiten oder Geheimnisse unter dem Mantel der versagten Kommunikation und kreiert eine anonymisierte persona. Die Figur des Dandys stellt selbst eine Maske dar, die sich der Mensch überstülpt oder sogar verinnerlicht. Das Ideal des Dandys ist automatisch mit einem Oszillieren zwischen Leben und Kunst verbunden. Einem Gesamtkunstwerk gleich, greift die Kunst in die der Öffentlichkeit präsentierte Seite eines Menschen ein, die als persona greifbar wird.1140 Die Diskussion um das Loos-Haus entfacht sich anhand des fehlenden Fassadendekors. Bis heute bemühen sich gerade deshalb einige Autoren, diesen Blick auf das Gebäude zu Abb. 94: Wenzel Weis: Adolf Loos, Bildnis (Heliogravure nach Foto W. Weis, Wien. Faksimilie des Namenszugs), ohne Datierung

relativieren, indem sie versuchen, versteckte Ornamente nachzuweisen: vom Kreuz, das sich zwischen den Fensterachsen ergibt, dem Material als Ornament bis hin zur funktions-

wird so indirekt visuell bestätigt und er

losen Säule, sind diese Beobachtungen sehr

gewinnt an Glaubwürdigkeit sowie medial

aufschlussreich.1141 Dennoch verbleibt aus

inszenierter Authentizität.

dem zeitgenössischen Kontext heraus gese-

Jenen „Kult der Oberfläche“ erkennt man

hen der aufreizende Charakter des weißen

aber auch im schriftstellerischen Werk Loos’.

oberen Baublockes, der auf dem mit Marmor

Bekanntermaßen beschäftigt er sich in sei-

verkleideten Sockel darbietend thront.

nen Artikeln auch mit den Kleinigkeiten des

Richard Schaukal umschrieb 1910 seinen Ein-

Alltags. Selbst solche scheinbaren Banalitä-

druck vom Haus am Michaelerplatz, den er

ten wie die Tischmanieren und die Sprache

aufgrund einer von Loos gewünschten Besich-

werden thematisiert.

Alles ergibt ein Bild

tigung des Modells vom Haus am Michaeler-

des nach außen gerichteten Perfektionismus.

platz gewonnen hatte: „Seine Idee ist merk-

1139 Vergleiche dazu Herlemann 1972, S. 26, Scheichl 2008, S. 107–117 und Kristan 2008, S. 245–254.

1140 Herlemann 1972, S. 31. 1141 Opel und Valdez 1990, S. 89f.

1139

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

würdig: Aus dem reichen (vielleicht zu reichen) Gewand, das gleichsam ihm von den Hüften herabgeglitten ist, erhebt sich der nackte Leib des Hauses.“1142 Karl Kraus verwendete als Erster die Metapher der Tabula Rasa für die Architektur Adolf Loos’.1143 Tabula Rasa ist bekanntermaßen in der Antike eine Bezeichnung für eine wachsüberzogene Schreibtafel, deren Schrift vollständig gelöscht werden konnte und so einen Neuanfang gestattete und wird übertragen im Sinne von ‚Tabula rasa machen‘ verwendet. In diesem Fall ist die Metapher auf die Fassade bezogen, die von Loos als Fläche aufgefasst wird und als glatt gefegte Barriere – einer anonymen Maske gleich – dem Innen vor dem Außen vorgeschaltet ist. Hermann Bahr verband sogar das Motiv der Maske mit der Stimmung. In seinem bereits erwähnten Aufsatz Fidelio nennt er den Vorhang und die Orientierung an realen Räumlichkeiten als zwei mögliche Mittel im Theater, um den Moment der räumlichen Stimmung gezielt zu maskieren und wenn gewollt freizusetzen:

Abb. 95: Otto Mayer: Adolf Loos, Bildnis (Kniestück sitzend, en face, Hände gefaltet), um 1904

„Farben und Linien können uns traurig oder froh, gefasst oder zornig machen und indem der Künstler sie dosiert, kann er

Veränderung in unseren Blutgefässen ge-

uns zu seiner Empfindung zwingen. Für

schieht, eine Spannung oder Lösung von

diese Wirkung auf unser Gemüt ist es na-

eben jener Art, die uns als die Stimmung,

türlich gleich, was sie sonst, auf die Wirk-

die der Künstler von uns verlangt, bewusst

lichkeit bezogen, etwa noch bedeuten mö-

wird. In jenem Darmstädter Gespräch

gen, wenn sie nur unsere Sinne und durch

[hier wurde die Idee diskutiert, ob man

diese unsere Nerven so reizen, dass eine

Hamlet mit einer Dekoration allein aus Vorhängen inszenieren könnte; LT] nah-

1142 Schaukal 1988 (1910), S. 46. 1143 Vergleiche dazu Moravánszky 2008.1, S. 18–22, Moravánszky 2008.2, S. 82 und Cacciari 1995, S. 70–76.

men wir Vorhänge, um sogleich im Zuschauer jede Beziehung auf die Wirklichkeit auszuschliessen, während sich Roller

329

330

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

eben dieser Beziehung auf die Wirklich-

Colomina entwickelte insbesondere in einem

keit wissentlich bedient, um die Identität

Artikel, in dem sie das Schaffen Adolf Loos’

des Raumes so lange zu maskieren, bis

mit dem Josef Hoffmanns in Beziehung setzt,

der Zuschauer durch den Verlauf der dra-

die These von der Maske für die Fassaden

matischen Handlung fähig wird, ihren

Loos’. Wobei sie sich vermutlich eher auf die

sinnlichen Reiz und emotiven Wert ein-

Fassaden der privaten Villen bezieht als auf

zulassen. Ich sage dem Künstler: Male mir

die Fassade eines vorwiegend öffentlichen

mein Zimmer so, dass es mich festlich

Gebäudes wie das Haus am Michaelerplatz:

oder zur Sammlung oder wehmütig stimmt, ein Zimmer der Pracht oder der

“When Loos said: ‚The House does not

inneren Einkehr oder der Erinnerung.

have to tell anything to the exterior; in­

Dann wird er Farben und Linien so zu

stead, all its richness must be manifest in

messen und zu mischen haben, dass jene

the interior’, not only had he recognized

Stimmung in mir ausgelöst wird.“1144

a limit to architecture until then unknown, not only has he recognized a difference

Erstaunlich ist die Verbindung einer maskier-

between dwelling in the interior and deal-

ten Räumlichkeit, die erst beim Lüften ihrer

ing with the exterior, but at the same time

Schutzschicht im Inneren ihre Stimmung an

he had formulated the very need for this

den Betrachter vermittelt. Dieses Bild der

limit, which has implicit in itself the need

Maske findet sich bei Adolf Loos als äußere

for a mask. The interior does not have to

Schicht vor dem Gebäudeinneren wieder –

tell anything to the exterior. This mask is

wie bereits öfters in der Forschung betont

not, naturally, the same as the one which

wurde

– und bedient sich vor allem der

he had identified as being fake in the fa-

Metapher der Kleidung als anonymen Schutz.

cades of the Ringstrasse; [...] The silence

Ákos Moravánszky fasst zusammen, dass

that he prescribed is no more than the rec-

Loos der Ansicht war, der Großstadtmensch

ognition of our schezophrenia; the inside

bräuchte wohltuende, gleiche, also wieder-

has nothing to tell to the outside because

kehrende Masken, die Neutralität im schnel-

our intimate being has split from our so-

len Leben und damit Sicherheit schaffen wür-

cial being. We are divided between what

den.1146 Hinter diesen Masken könne sich

we think and what we do.”1147

1145

der mit seiner Individualität kämpfende moderne Mensch verbergen. So wird die

Colomina spricht jedoch auch von einer Über-

Maske zu einer Instanz, die ein zivilisiertes

tragung der Maske auf das Innere des Hauses

Zusammenleben erst ermöglicht. Beatriz

am Michaelerplatz.1148 Shapira führt jene Aussage Colominas weiter, indem sie Adolf Loos’ Einrichtungen generell als kulturelle Masken

1144 Bahr 2010 (1904.3), S. 24. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit. 1145 Vergleiche dazu die Fußnote 24 auf S. 16 in der Einleitung dieser Arbeit. 1146 Moravánszky 2008.2, S. 61.

versteht. Kulturelle Diskurse, die sich über 1147 Colomina 1988, S. 66f. 1148 Colomina 1994, S. 276f.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

eine Dualität von englischen und Wiener Posi-

zuvor schon am Beispiel des Dandys erar-

tionen auszeichneten, würden sich vor allem

beitet wurde. Für die Vorgehensweise Loos’,

in den Interieurs manifestieren. Ferner seien

jene Idee der Maske als Grundlage für seine

sie für den „modern Jewish man“ als häufigs-

Gestaltung des Hauses am Michaelerplatz

ter Loos-Kunde konzipiert. Für ihn werden

zu machen, stellt ebenso der Aufsatz Das

laut Shapira die Einrichtungen sogar zu einer

Princip der Bekleidung eine erläuternde

„assimilation-mask“.1149 Bedenkt man nun

Quellenlage dar:

neben der Tatsache, dass das Loos-Haus auch im Inneren ein teilweiser öffentlicher Ort ist

„Der Künstler aber, der große Architekt

und bereits im Falle der Villa Karma gewisse

fühlt zuerst die Wirkung, die er hervorzu-

Abstufungen von Öffentlichkeit und Intimität

bringen gedenkt, und sieht dann mit sei-

analysiert wurden, ist Shapira zuzustimmen.

nem geistigen Auge die Räume, die er

In diesem Kontext ist es bezeichnend, dass

schaffen will. Die Wirkung, die er auf den

bereits Loos ähnliche Definitionen und Funk-

Besucher ausüben will, sei es nun Angst

tionen für die Kleidung des Mannes aufstellt.

oder Schrecken, wie beim Kerker; Gottes-

Moravánszky zitiert daher Loos’ direkt am

furcht, wie bei der Kirche; Ehrfurcht vor

Anfang seiner Untersuchung zur „Ästhetik

der Staatsgewalt, wie beim Regierungspa-

der Maskierung“.1150 Besagte Textstelle

last; Pietät, wie beim Grabmal; Heimat-

stammt aus dem Aufsatz Von der Sparsam-

gefühl, wie beim Wohnhause; Fröhlich-

keit von 1924 und lautet:

keit, wie in der Trinkstube; diese Wirkung wird hervorgerufen durch das Material

„Der moderne intelligente Mensch muß

und durch die Form.“1153

für die Menschen eine Maske haben. Diese Maske ist die bestimmte, allen Men-

Demnach lässt sich schließen, dass der

schen gemeinsame Form der Kleider.

Gedanke einer dandyhaften Maske für das

­Individuelle Kleider haben nur geistig Be-

Haus am Michaelerplatz auf der Grundlage

schränkte. Diese haben das Bedürfnis, in

der Semper’schen Bekleidungstheorie für

alle Welt hinauszuschreien, was sie sind

Loos mit zum grundlegenden Entscheidungs-

und wie sie eigentlich sind.“

träger für das äußere und innere Erschei-

1151

nungsbild des Hauses wurde. Hierdurch Mark Wigley spricht sogar in diesem Zusam-

erklärt sich letztendlich auch, warum Loos

menhang vom Anzug als einer „disciplined

die Säulen ohne wirklich tragende Funktion

surface“.

Die Analogie von Hülle und

an der Hauptfassade des Hauses am Michae­

Haut oder Schmuck- und Bekleidungstheo-

lerplatz tolerierte (Abb. 73). Es ging ihm

rie trifft bei Loos’ Schaffen besonders zu, wie

mehr um die Wirkung, die sie im Sinne eines

1152

Details eines repräsentativen Gewandes 1149 Shapira 2004, S. 275f. 1150 Moravánszky 2008.2, S. 61. 1151 Loos 2010 (1924.2), S. 606. 1152 Wigley 1996, S. 228f.

erzeugten, als darum ein „constructives

1153 Loos 2010 (1898.4), S. 139.

331

332

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Gerüst“ zu präsentieren. Insofern ist auch

und vier Teppiche aufzuhängen, welche

die Aussage Hermann Czechs und Wolfgang

die vier Wände bilden sollen. Aber aus

Mistelbauers zu verstehen, wenn sie davon

Teppichen kann man kein Haus bauen.

sprechen, dass das Loos-Haus „weniger aus

Sowohl der Fußteppich als auch die Wand-

Funktion und Konstruktion als aus einem

teppiche erfordern ein constructives

geistigen Wollen […] zu verstehen“ ist.

1154

­Gerüst, das sie in der richtigen Lage er-

Eduard Führ bezeichnet Adolf Loos sogar

hält. Dieses Gerüst zu finden ist erst die

als „Bekleidungstheoretiker“.

Führ zieht

zweite Aufgabe des Architekten. Das ist

ebenso eine Assoziation zu den Theorien

der richtige, logische Weg, der in der Bau-

Sempers. So heißt es 1860 bei Semper:

kunst eingeschlagen werden soll. Denn

1155

auch die Menschheit hat in dieser Reihen„Ich meine das Bekleiden und Maskiren

folge ­b auen gelernt. Im Anfang war die

sei so alt wie die menschliche Civilisati-

Bekleidung.“1157

on und die Freude an beidem sei mit der Freude an demjenigen Thun, was die Men-

Wie stark die sprachliche Verknüpfung von

schen zu Bildnern, Malern, Architekten,

Architektur mit körperlichen Attributen um

Dichtern, Musikern, Dramatikern, kurz

1900 betont wurde, zeigt auch die Kontras-

zu Künstlern machte identisch.“1156

tierung von Seele und Kleid als Metapher für die Konstruktion und Dekoration von Archi-

Dietrich Worbs konstatiert Sempers Beklei-

tektur.1158 Die Maske beziehungsweise Fas-

dungstheorie als Grundlage für Adolf Loos’

sade wurde den gleichen Gegebenheiten

Raumplan und nennt als Quelle für jene The-

unterworfen wie ein streng kulturell determi-

se den bereits 1898 von Loos veröffentlich-

niertes Kleidungsstück des Mannes. Um 1900

ten Aufsatz Das Princip der Bekleidung, in

war die Normierung der männlichen Klei-

dem Loos das Motiv des Teppichs nach Sem-

dung schon sehr vorangeschritten. Die Seces-

per aufgreift:

sionisten wehrten sich gegen diese Entwicklung mit extravaganten Anzugentwürfen, die

„Die Festigkeit und die Herstellbarkeit

Loos dazu motivierten, ihre Träger im Sinne

verlangen Materialien, die mit dem eigent-

seiner Definition eines „Gigerl“ zu verung-

lichen Zwecke des Gebäudes nicht im Ein-

limpfen: „Ein Gigerl ist ein Mensch, dem die

klang stehen. Hier hat der Architekt die

Kleidung nur dazu dient, sich von seiner

Aufgabe, einen warmen, wohnlichen

Umgebung abzuheben.“1159 Weiterhin sind

Raum herzustellen. Warm und wohnlich

zwei zusätzliche Äußerungen von Loos zu

sind Teppiche. Er beschließt daher, einen

bedenken.1160 Die erste Aussage dokumentiert

solchen auf den Fußboden auszubreiten

1154 Czech und Mistelbauer ²1977, S. 115. 1155 Führ 2001, S. 315. 1156 Semper 2008 (1860), Anm. 2 auf S. 231. Vergleiche dazu Moravánszky 2008.2, S. 63f.

1157 Loos 2010 (1898.4), S. 138. Vergleiche dazu Worbs 1982, S. 72f. und Eckel 1996, S. 28–31. 1158 Vergleiche dazu Ocón Fernández 2004, S. 299. 1159 Loos 2010 (1898.1), S. 56f. 1160 Loos 2010 (1930.1), S. 718f. und Loos 2010 (1931.2), S. 731f.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

eine Kontroverse bezüglich Krawatten zwi-

das taten [kunstvoll geschlungene Krawatten

schen Adolf Loos und Josef Hoffmann, die

trugen; LT], waren drei: Olbrich, Kolo Moser

zweite berichtet von der Einflussnahme Loos’

und Hoffmann. Sie trugen dazu auch selbst-

auf Hoffmanns Kleidungsstil, indem dieser

entworfene Anzüge, großkarierte Gehröcke

nur durch Loos’ Vermittlung zum Kunden

à la Biedermeier mit Samtaufschlägen. Das

von Goldman & Salatsch wurde. Beide haben

imponierte so, daß man sie für Künstler hielt.

einen stark anekdotenhaften Charakter. Sie

In Wahrheit waren diese Krawatten, die mit

beruhen sicherlich auf tatsächlichen Bege-

Hilfe von (mit schwarzem Atlas überzogener)

benheiten, wirken jedoch etwas überzeichnet,

Pappe den Eindruck eines Selbstbinders

wenn man sie auf ihre faktische Basis redu-

erweckten, nicht kunstvoll. Das verwarf ich,

ziert. Neben den wahren Begebenheiten, die

so wie ich alle Imitation verwarf.“1163 Anhand

heute nur noch schwer nachgewiesen werden

dieser Beispiele wird aber auch augenschein-

können, geht es vielmehr um einen Streit um

lich, wie sehr Loos die Wahl der Kleidung

die Originalität und Eigenständigkeit des

mit dem Schaffen als Künstler oder als

jeweiligen künstlerischen Schaffens. So ist es

­Architekt verbindet. Das heißt die äußere

nicht etwa das Erwähnen der Schneider­firma,

Hülle, in die man sich kleidet, steht für das

sondern die Besichtigung einer Loos’schen

kreative Arbeiten. Form und Inhalt bedingen

Wohnungseinrichtung, die Hoffmann dazu

einander. Dies ist weiterhin ein deutlicher

bewegt haben soll, sich bei Goldman &

Charakterzug des Dandys.1164 Für Loos sind

Salatsch neu einzukleiden. Dies noch über-

der Anzug wie auch die Fassade Grenzen,

spitzend zieht Loos folgenden weiteren

die

Schluss aus der Neueinkleidung Hoffmanns:

separieren.1165 Loos vertritt bereits 1898 in

„Seitdem, das Datum kann durch die Firma

seinem Artikel Die Herrenmode, der in der

Goldman und Salatsch wohl eruiert werden,

Neuen Freien Presse erschien, die Meinung,

ist Josef Hoffmann europäisch angezogen.

dass ein Mann mit Verstand einen guten

Und die gerade Linie wurde das Merkmal der

Anzug besitzen muss. Loos verurteilt den

Sezession (sic!)!“

das

Individuelle

vom

Kollektiven

Somit stilisiert sich Loos

Wunsch nach schöner Kleidung. Sie habe

zum eigentlichen Ideengeber des geometri-

nicht schön zu sein! Gute Kleidung ist für

schen Jugendstils der Secession. Dass Loos

Loos vor allem korrekte Kleidung: „Es han-

Hoffmann und mit ihm die Secessionisten

delt sich darum, so angezogen zu sein, daß

als „Gigerln“ angesehen hat, beweisen so des-

man am wenigsten auffällt.“ Loos erweitert

pektierliche Äußerungen wie: „Ich war für

seinen Grundsatz aber noch um einen wei-

die alte Wiener Tischlerarbeit, Tradition und

teren Aspekt: „Um correct gekleidet zu sein,

Qualität – ihre Arbeit sah aus wie ihre Klei-

darf man im Mittelpunkte der Cultur nicht

dung. Aus ihrem Kreise war ich ausgeschlos-

auffallen.“ Als Mittelpunkt der abendländi-

1161

sen. Ich war, wie schon meine Kleidung bewies, kein Künstler“1162 und „Die Leute die 1161 Loos 2010 (1931.2), S. 732. 1162 Loos 2010 (1931.2), S. 731.

1163 Loos 2010 (1930.1), S. 718f. 1164 Vergleiche dazu Herlemann 1972, S. 87–115. 1165 Vergleiche dazu Moravánszky 2008.2, S. 61–82 und Rukschcio und Schachel 1982, S. 9.

333

334

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

schen Kultur erklärt Loos London. Der End-

heißt nicht auffallen!“1169 Es lässt sich kaum

punkt seiner Formulierung zur korrekten

bestreiten, dass Loos Brummells Äußerung

Kleidung heißt: „Ein Kleidungsstück ist

gekannt haben muss, wenn man bedenkt,

modern, wenn man in demselben im Cultur-

dass die englische Kultur in vielerlei Hinsicht

zentrum bei einer bestimmten Gelegenheit

für ihn Vorbildcharakter besaß.1170 Gerade

in der besten Gesellschaft möglichst wenig

aber in dieser Proklamation des Geschmacks

auffällt.“ Loos nennt weiterhin einige positi-

im Sinne des Understatements wird Loos’

ve Beispiele von Schneidern. Darunter zählt

Gegenhaltung zum Kleidungsstil der Seces-

er eben auch Goldman & Salatsch und deren

sionisten ersichtlich. So ist der Dandy Brum-

Spezialität der Uniformen des Yachtgeschwa-

mell’scher Prägung eben kein „fetischisieren-

ders.

Aufschlussreich ist die Korrelation

der Modenarr“1171. Auch wenn Brummell

von Begriffen wie „modern“ und „correct“

Sohn eines Konditors war, entwickelte sich

bei Adolf Loos. Manfred Russo erläutert in

das Dandytum aus dem Privileg des Adels,

seinem Artikel Hätte Loos adidas getragen?,

keiner Erwerbstätigkeit nachgehen zu müs-

dass Loos unter „modern sein“ eben nicht

sen. Ergänzt durch die krisenhaft wahrge-

„modisch sein“ versteht, sondern vielmehr

nommenen gesellschaftlichen Veränderun-

den Bezug zu „zeitlos elegant sein“ heraus-

gen, die mit der Reform Bill von 1832 in

stellt.1167 Hinzu kommt, dass die Standards

England Anzeichen eines Machtverlustes der

in „korrekter“ Männerbekleidung vor allem

Aristokratie vorauszeichneten, wurde der

in den Augen von Loos durch den Aristokra-

Kult um das Individuum zum Fluchtpunkt

ten präsentiert werden. Darin folgt Loos einer

und zugleich ein Symbol für Rebellion.1172

gängigen Ansicht der Zeit. Diese Bekleidung

Hans-Joachim Schickedanz bezeichnet den

zeichnete sich jedoch vor allem dadurch aus,

Dandy als „schillernden Panzer“ gegen ein

gerade nicht die Persönlichkeit ihres Trägers

„bürgerliches Nützlichkeitsdenken“ und

auszudrücken, sondern vielmehr anonymi-

„Kommerzialisierung“ und „Gleichmacher-

sierend oder maskierend zu fungieren.1168 An

ei“.1173 Diese Haltung zur Realität und zum

dieser Stelle lässt sich eben auch in Hinsicht

angestrebten Ideal eines Herrenausstatters

auf die Korrespondenz von Kleidung und

ähnelt auffallend der von Adolf Loos, wenn

Architektur der Auftrag für das Haus am

er schreibt:

1166

Michaelerplatz für Loos als ein Schlüsselmoment deklarieren und das Gebäude selbst zu

„Die großen Firmen [damit sind Wiener

einem seiner Hauptwerke.

Schneider mit Beziehungen nach London

Des Weiteren erstaunt aber auch die Ana-

gemeint; LT] und ihre nächsten Nachkom-

logie dieser Äußerung Loos’ zu einem Zitat von Beau Brummell: „Gut gekleidet sein,

1166 Loos 2010 (1898.1), S. 55–58. 1167 Russo 2008, S. 27–51. 1168 Vergleiche dazu Topp 2004, S. 144–146.

1169 Vergleiche dazu Sprenger ²2010, S. 20 und Schickedanz 2000, S. 10. 1170 Shapira 2004, S. 15 und Rukschcio und Schachel 1982, S. 61. 1171 Schickedanz 2000, S. 40. 1172 Schickedanz 2000, S. 44. 1173 Schickedanz 2000, S. 46f.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

men haben alle ein gemeinsames Merk-

tauschs aufgelöst werden soll. Das Miß-

mal: die Furcht vor der Öffentlichkeit.

trauen gegen das Affektieren von Gefüh-

Man beschränkt sich womöglich auf ei-

len war nicht nur eine Spitze gegen den

nen kleinen Kundenkreis. Wol (sic!) sind

Adel, der gerade das distinguierte Spiel

sie nicht so exclusiv wie manche Londo-

mit Emotionen für kultiviert hielt, son-

ner Häuser, die sich Einem nur auf eine

dern entsprang auch der prinzipiellen Un-

Empfehlung Albert Edward’s, des Prinzen

sicherheit, daß es keine zweifelsfreien

von Wales, öffnen. Aber jeder Prunk nach

Schlüsse von der erscheinenden Oberflä-

außen ist ihnen fremd.“1174

che auf den Kern des Gefühls im Inneren des Gegenübers gibt – während doch die-

Loos summiert diese eskapistische Elitenbil-

ses Innere, zur Erscheinung und in gesel-

dung als eine „Furcht vor der Öffentlichkeit“

liger Form (der Freundschaft, der Liebe)

und baut der zweiten Generation des Libe-

gebracht, der Hort von Humanität sein

ralismus, die sich in den Entwicklungen Eng-

sollte.“1177

lands zu Zeiten Brummells wieder erkannt haben mag, einen idealen Ort zur Ankleidung

Während Loos bestimmt nicht die affektier-

des nach Form – die zum Inhalt erhoben

te, theatralische Maske des Adels in eine bür-

wird – verlangenden Mannes.1175 Dies sich

gerliche Gesellschaftsarchitektur übertragen

bewusst vor Augen führend, wende man sich

wollte, so nahm er sich doch das Ideal der

wieder der Fassade des Hauses am Michae-

Maske zum Vorbild, sowie er den Aristokra-

lerplatz (Abb. 4 und 73) zu. Bezeichnender-

ten als Vorbild deklarierte. Die bürgerliche

weise zeigt die Maske bei Oscar Wilde in

Maske war jedoch für ihn eine rationale und

The decay of Lying eine Doppelrolle auf. So

schweigsame.

dient sie zum einen dazu, Gefühle vor den

Dieses Changieren in der Symbolik der

Blicken der Außenwelt zu verhüllen und zum

Maske wird im Falle der Fassade des Hauses

anderen ermöglicht sie erst aus der Anony-

am Michaelerplatz noch mal detaillierter auf-

mität heraus eine freiheitlichere Offenheit.

1176

gegriffen. Nun eröffnet sich nämlich gerade

Hartmut Böhme betont die Maske als zent-

dem genauen Betrachter eine Diskrepanz.

ral für eine bürgerliche Lebenskultur:

Auf der einen Seite erleichtert Loos die Fassade von der Schicht der Dekoration und

„Die bürgerliche Gefühlskultur lebt von

offenbart sie unbedeckt den Blicken der Pas-

dem Widerspruch zwischen ‚natürlichem

santen. Auf der anderen Seite spricht er aber

Wesen‘ der Gefühle und ihrer ‚Larve‘ und

davon, dass die Fassade im Sinne einer neu-

‚Maske‘, der zugunsten unverstellten Aus-

tralen Maske dem Bewohner oder Besucher der Gebäude als Schutzschicht dient. Jenen Widerspruch

1174 Loos 2010 (1898.1), S. 58. 1175 Vergleiche zum Verhältnis von Form und Inhalt am Beispiel Beau Brummells Schickedanz 2000, S. 17 und S. 39–54. 1176 Herlemann 1972, S. 68–77.

beobachtet

bereits

Ákos

1177 Böhme 1997, S. 538. Vergleiche dazu Böhme 1997, S. 539.

335

336

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

­Moravánszky.1178 Das heißt, dass die Fassade

organischem Überzug ist für die Villa Müller

bei Loos von der Funktion her ein Deckman-

sogar in den Originalentwürfen der Garten-

tel bleibt, jedoch eine neue ethisch geprägte

architekten nachzuweisen.1180 Demzufolge

Ästhetik präsentiert. Elana Shapira führt auf,

ist der Weinbewuchs als bewusstes gestalte-

woher Adolf Loos jene „Figur“ der schützen-

risches Mittel anzusehen.

den Maske zumindest in Bezug auf die „kor-

Wurde weiter oben bereits der Dandy an

rekte“ Kleidung hergeleitet haben könnte.

sich als eine Maske beschrieben und die Rol-

Die Inszenierung der Figur des maskierten

le der Maske als eine ambivalente, so ist die-

Mannes aus Frank Wedekinds Frühlings

ses Charakteristikum der Maske auch an der

Erwachen (1891) bei einer Aufführung in

Fassade des Loos’schen Gebäudes selber

Wien im Jahre 1908 sei ein konkretes Bei-

abzulesen. In Lexika finden sich für den

spiel für eine maskierende Bekleidung gewe-

Begriff der Maske vor allem Erklärungen um

sen. Shapira führt weiterhin an, dass Loos

den Kreis der Verkleidung oder der Charak-

das Stück in seiner Zeitschrift Das Andere

terdarstellung, die dann nicht nur den Gegen-

vorstellte. Ebenso erwähnt sie eine Fotogra-

stand, sondern auch den Träger der Maske

fie von 1908, die Wedekind in der Rolle des

und sein Agieren mit einbeziehen. Ebenso

maskierten Mannes zeigt. Er ist gekleidet in

ist aber auch im Deutschen Wörterbuch von

einem Abendanzug und mit einer Gesichts-

Jacob und Wilhelm Grimm die Umschrei-

maske. Shapira schließt mit der Schluss­

bung der Maske als Zeichen für Verstellung,

folgerung:

List und Heuchelei zu finden.1181 Dieser Auslegtradition folgend wurde die Maske auch

“The message of this last scene in the play

als Begriff benutzt, um das Ornament des

is that a man’s fine dress would secure

Historismus als maskenhaftes, „falsches“

him a place in the civilized world and

oder „lügnerisches“ Ornament zu entwer-

shield him from painful exposure.”

ten.1182 Im Falle von Adolf Loos wurde schon

1179

an seinem Artikel Potemkin’sche Stadt seine Es ist das Material, der Cipollinomarmor und

Definition von Lüge in der Architektur erar-

der glatte Verputz, das Reichtum und Ele-

beitet.1183 In jenem Artikel folgt Loos der gän-

ganz auf direkte Weise ausdrückt. Vielsagend

gigen Kritik seiner Generation am Historis-

ist der Umstand, dass sich der Marmor wie

mus und dessen Ornament. Maria Ocón

ein Oberkleid um das Sockelgeschoss des

Fernández spricht im Verlauf ihres Buches

Hauses legt (Abb. 73). Konsequenter und

von einer „ethisch-moralischen Charakteri-

weniger repräsentativ oder auch neutraler

sierung des Ornaments“ als „Täuschung,

geht Loos bei seinen Villenbauten vor, die fast nur weiße Putzfassaden aufweisen; dann aber häufig eine Bepflanzung mit wildem Wein besitzen (Abb. 1 und 6). Diese Art von 1178 Moravánszky 2008.2, S. 61f. 1179 Shapira 2004, S. 275.

1180 Bock 2009, S. 73. 1181 Grimm, Jacob und Wilhelm Grimm: Maske, in: Deutsches Wörterbuch 1854–1961, Bd. 12, Sp. 1705. 1182 Vergleiche dazu Ocón Fernández 2004, S. 9f. und Bahr 2007 (1899.1), S. 97. 1183 Vergleiche dazu dieses Kapitel auf S. 318–321.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Fälschung, ­

Lüge,

Bescheidenheit“.

Maske,

Einfachheit,

„Es giebt vielleicht keine seelische Er-

Loos wendet den Begriff

scheinung, die so unbedingt der Groß-

der Maske aber ins Positive, indem er eine

stadt vorbehalten wäre, wie die Blasiert-

vorspiegelnde Maske abschafft und eine neu-

heit. Sie ist zunächst die Folge jener

trale einführt. Fernández spricht des Weite-

rasch wechselnden und in ihren Gegen-

ren von einer „Entkleidung der Form“, die

sätzen eng zusammengedrängten Ner-

im Falle des Materialstils im Einklang mit

venreize, aus denen uns auch die Steige-

den Forderungen nach „Materialgerechtig-

rung der großstädtischen Intellektualität

keit, Konstruktionswahrheit und Zweckmä-

hervorzugehen schien; weshalb denn

ßigkeit“ steht.1185 Diesen Fall von „Entklei-

auch dumme und von vornherein geistig

dung der Form“ strebte Loos jedoch nicht

unlebendige Menschen nicht gerade bla-

an der Fassade des Michaelerhauses (Abb. 4

siert zu sein pflegen. Wie ein maßloses

und  73) an. Offensichtlich wird eine Ver-

Genußleben blasiert macht, weil es die

knüpfung der Maske zur Theatralität.1186 Im

Nerven so lange zu ihren stärksten Re-

Sinne einer vorgeschalteten Rolle verbirgt

aktionen aufregt, bis sie schließlich über-

die Maske menschliche Unzulänglichkeiten

haupt keine Reaktion mehr hergeben –

– die Ákos Moravánszky sogar als „Kampf

so

der Identitäten“1187 charakterisiert und damit

Eindrücke durch die Raschheit und Ge-

automatisch die Assoziation zum unrettba-

gensätzlichkeit ihres Wechsels so gewalt-

ren Ich nach Ernst Mach weckt – unter dem

same Antworten ab, reißen sie so brutal

Mantel der versagten Kommunikation und

hin und her, daß sie ihre letzte Kraftre-

kreiert eine anonymisierte persona.1188 Die

serve hergeben und, in dem gleichen Mi-

Sprachlosigkeit der Fassade und deren

lieu verbleibend, keine Zeit haben, eine

Analogie­setzung bei Loos mit der Kleidung

neue zu sammeln. Die so entstehende

gehen zurück auf Simmels Aufsatz Philoso-

Unfähigkeit, auf neue Reize mit der ih-

phie der Mode von 1904.1189 Ebenso als Quel-

nen angemessenen Energie zu reagieren,

le für Loos’ Maskenverständnis ist Simmels

ist eben jene Blasiertheit […]. Das We-

Aufsatz Die Großstadt und das Geistesleben

sen der Blasiertheit ist die Abstumpfung

von 1903 heranzuziehen und der darin for-

gegen die Unterschiede der Dinge, nicht

mulierte Topos der „Blasiertheit“:

in dem Sinne, daß sie nicht wahrgenom-

1184

zwingen

ihn

auch

harmlosere

men würden, wie von dem Stumpfsinnigen, sondern so, daß die Bedeutung und 1184 Ocón Fernández 2004, S. 197. 1185 Ocón Fernández 2004, S. 197. 1186 Vergleiche zum Verhältnis von Theatralität und Authentizität bei Oscar Wilde Bach 2006. 1187 Moravánszky 2008.2, S. 61. 1188 Simmel 2011 (1903), S. 64. 1189 Vergleiche dazu Colomina 1988, S. 67. Vergleiche des Weiteren in Bezug auf den Einfluss Simmels auf die ‚Masken-Methode‘ Loos’ Moravánszky 2008.2, S. 74–82.

der Wert der Unterschiede der Dinge und damit der Dinge selbst als nichtig empfunden wird. Sie erscheinen dem Blasierten in einer gleichmäßig matten und grauen Tönung, keines wert, dem anderen vorgezogen zu werden. Diese Seelenstimmung ist der getreue subjektive

337

338

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

Reflex der völlig durchgedrungenen

wenige Jahre später zu einer Verneinung –

Geldwirtschaft […].“

zumindest für den oberen Wohnblock des

1190

Hauses am Michaelerplatz – von KommuniLoos’ ‚Masken-Methode‘ kann somit als

kation gesteigert.1192

Hilfsmittel zur Vermeidung jener nervlich

Deutlich wird der Umstand, dass Loos ein

bedingten Blasiertheit verstanden werden.

äußeres Umfeld des Verzichts auf individu-

Die Blasiertheit wird für Loos als Schutz vor

ellen Ausdruck proklamiert und somit theo-

einer Überreizung über die Architektur und

retisch ebenso in die Nähe von Freuds The-

Kleidung hergestellt. Jene Sprachlosigkeit

orien gestellt werden kann. Im Sinne eines

oder „silence“ – wie es Beatriz Colomina

Triebverzichts stellt sich das Äußere bei Loos

bezeichnet – erinnert wiederum an Hugo von

im idealsten Falle neutral, aber eben auch

Hofmannsthals 1902 erschienene Publika­

ungeschlechtlich dar. Loos bietet demnach

tion Der Brief des Lord Chandos. Die darin

eine neue Konnotation der Maske. Leslie

formulierte Sprachskepsis – die nicht zufäl-

Topp bezeichnet die Maske des Hauses am

lig in Verbindung mit lästerndem Gerede im

Michaelerplatz als eine „honest mask“ und

Ich-Erzähler ausbricht1191 – ist von Loos’ nur

fasst dadurch die Doppeldeutigkeit des Gebäudes. Zum einen verneint die glatt ver-

1190 Simmel 2011 (1903), S. 150. 1191 „Es wurden mir auch im familiären und hausbackenen Gespräch alle die Urteile, die leichthin und mit schlafwandelnder Sicherheit abgegeben zu werden pflegen, so bedenklich, daß ich aufhören mußte, an solchen Gesprächen irgend teilzunehmen. Mit einem unerklärlichen Zorn, den ich nur mit Mühe notdürftig verbarg, erfüllte es mich, dergleichen zu hören, wie: diese Sache ist für den oder jenen gut oder schlecht ausgegangen; Sheriff N. ist ein böser, Prediger T. ein guter Mensch; Pächter M. ist zu bedauern, seine Söhne sind Verschwender; ein anderer ist zu beneiden, weil seine Töchter haushälterisch sind; eine Familie kommt in die Höhe, eine andere ist im Hinabsinken. Dies alles erschien mir so unbeweisbar, so lügenhaft, so löcherig wie nur möglich. Mein Geist zwang mich, alle Dinge, die in einem solchen Gespräch vorkamen, in einer unheimlichen Nähe zu sehen: so wie ich einmal in einem Vergrößerungsglas ein Stück von der Haut meines kleinen Fingers gesehen hatte, das einem Blachfeld mit Furchen und Höhlen glich, so ging es mir nun mit den Menschen und ihren Handlungen. Es gelang mir nicht mehr, sie mit dem vereinfachenden Blick der Gewohnheit zu erfassen. Es zerfiel mir alles in Teile, die Teile wieder in Teile, und nichts mehr ließ sich mit einem Begriff umspannen. Die einzelnen Worte schwammen um mich; sie gerannen zu Augen, die mich anstarrten und in die ich wieder hineinstarren muß: Wirbel sind sie, in die hin-

putzte Fassade des oberen Wohnblocks des Hauses eine vorgetäuschte Noblesse, wie sie im Historismus üblich war, zum anderen verrät sie aber auch nichts über die Mieter und kann demnach trotzdem als eine eben nicht trügerische, sondern ehrliche oder uniformierte Maske fungieren.1193 María Ocón Fernández spricht bei Loos von einer „­ rigiden Beschränkung auf die Zweckform“ und beobachtet eine Parallelisierung vom Ornament mit „Weiblichkeit, Sinnlichkeit und Triebhaftigkeit“.1194 Ebenso wie Michael ­Müller stellt Ocón Fernández damit Loos’ ­geäußerte Dogmen aus Ornament und ­Verbrechen in Beziehung zu Freuds Sublimierungs­theorie.

abzusehen mich schwindelt, die sich unaufhaltsam drehen und durch die hindurch man ins Leere kommt.“ (Hofmannsthal 2002 (1902), S. 25f.) 1192 Siehe auch Colomina 1988, S. 66. 1193 Topp 2004, S. 134 und S. 149–152. 1194 Ocón Fernández 2004, S. 99.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Der Vortrag oder Artikel Ornament und

schen Verband für Literatur und Musik in

Verbrechen hat vielerlei Auslegungen erlebt

Wien.1199 Eine deutliche Wendung hin zur

und bereits seine Datierung stellte sich als

Wiener Öffentlichkeit wird offensichtlich.

strittig heraus.

Wann genau Loos den Arti-

Ein sehr selbstbewusstes Auftreten lässt den

kel de facto verfasst hat, lässt sich nicht end-

Eindruck entstehen, Loos ginge von Beginn

gültig beantworten. Meistens wird er jedoch

an in eine Haltung der Vorwärtsverteidigung.

mit der Jahreszahl 1908 datiert. Ferner ana-

Bereits weiter oben wurde Loos’ Nähe zu

lysiert Christopher Long die Version von

evolutionistischen Sichtweisen in Bezug auf

Ornament und Verbrechen von 1910 argu-

das Vorbild von Camillo Sitte erwähnt. Die-

mentativ konsequent als ein Ergebnis einer

ser Denkweise in Loos’ Theoriewerk soll nun

über ein Jahrzehnt dauernden gedanklichen

näher gefolgt werden und welche Auswir-

Auseinandersetzung.1196 Ocón Fernández

kungen sie auf das Haus am Michaelerplatz

folgt hingegen Rukschcios und Schachels

und dessen Wahrnehmung hatte. Dabei zen-

Datierung für das Jahr 1910. Damals soll

tral sind die Inhalte von Ornament und Ver-

Adolf Loos zum ersten Mal den Aufsatz vor

brechen. An ihnen leitet sich nämlich ab

Publikum vorgetragen haben.1197 Zuvor hat-

inwiefern Loos „das Entfernen des Orna-

te man den Aufsatz für das Jahr 1908 datiert

ments aus dem Gebrauchsgegenstande“1200

und damit einen Zusammenhang zur Grün-

in die Nähe der Sublimierung, wie sie Freud

dung des Deutschen Werkbundes herge-

verstand, stellt.

1195

stellt.1198 Diese Arbeit folgt weitestgehend

Wie schon vielfach in der Fachliteratur

der Ansicht Rukschcios, Schachels und Ocón

besprochen, stellte Loos die Stadien der kul-

Fernández’, da sie über Quellen ihre Aussa-

turellen Entwicklung der Menschheit mit den

gen plausibel untermauern. Somit trägt Loos

Entwicklungsstufen des Menschen gleich. So

genau in jenem Jahr der Entstehung des Hau-

erklärt er die Phase der Kindheit als gleich-

ses am Michaelerplatz zum ersten Mal sei-

bedeutend mit dem Status eines Wilden oder

nen berühmten Text vor. Nachdem Loos im

eines Kriminellen. Die Verknüpfung stellt er

Sommer 1909 mit seinen Planungen für das

über die Lust am Ornamentieren oder Täto-

Haus am Michaelerplatz begonnen und er

wieren her.1201 Während die Freude am Mus-

circa Ende 1909 oder Januar 1910 ein Modell

ter für den Wilden und das Kind ihrer Ent-

des Haues angefertigt hatte und Interessen-

wicklungsstufe entsprechend korrekt ist,

ten präsentiert haben muss, hielt er bereits

stellt sie im Falle des Verbrechers eine „Dege-

Ende Januar seinen Vortrag im Akademi-

nerationserscheinung“1202 dar – beziehungsweise lässt jene „Degenerationserscheinung“

1195 Vergleiche dazu folgende Zusammenfassungen der Datierungsgeschichte Ocón Fernández 2004, S.  363–370, Topp 2004, Fußnote 33 auf S. 207f. und Moravánszky 2003, S. 59. 1196 Long 2009, S. 204. 1197 Ocón Fernández 2004, S. 363 und Rukschcio und Schachel 1982, S. 147. 1198 Ocón Fernández 2004, S. 363.

den modernen Menschen zum Verbrecher 1199 Rukschcio und Schachel 1982, S. 147. 1200 Loos 2010 (1908.2), S. 364. 1201 Ursula Prokop sieht in jener Verknüpfung des Wilden mit dem Tätowieren eine Anleihe Loos’ an die Theorien Riegls. (Prokop 2003, S. 305.) 1202 Loos 2010 (1908.2), S. 364.

339

340

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

werden – und wird zum kulturell geprägten

tat, die der erste künstler, um seine über-

Vergehen.

Loos nimmt damit eine

schüssigkeiten los zu werden, an die wand

Umwandlung des Ornaments als „Zivilisati-

schmierte. Ein horizontaler strich: das lie-

onsindikator“ hin zum „Degenerations­

gende weib. Ein vertikaler strich: der sie

indikator“ vor.1204 Diese Erklärungslinie wei-

durchdringende mann.“1207

1203

terführend sieht Ocón Fernández in Loos’ Forderung nach „Ornamentlosigkeit“ eine

Michael Müller zieht bereits 1974 in seinem

„sublimierte Sinnlichkeit, die als asketische

Buch Verdrängung des Ornaments durch die

Schönheit sowohl auf die Gegenstände des

funktionale Architektur Parallelen zwischen

Alltags als auch auf die Architektur projiziert

Loos’ und Freuds Kulturbegriff.1208 So heißt

wird“.

es dort:

1205

Somit ist Loos’ Forderung nach

Verzicht auf eine neue Ornamentik und zum Teil auch seine Verwirklichung von Orna-

„Wie Freud sieht auch er [Loos; LT] den

mentlosigkeit als eine ‚Erhebung‘ des

Aufbau der Kultur und der Zivilisation

Geschlechtstriebes in eine kulturelle Leis-

nur auf der Grundlage der Unterdrückung

tung zu verstehen. Jörg Gleiter spricht sogar

der menschlichen Triebe und deren Um-

im Falle der Fassade des Hauses am Michae­

wandlung in gesellschaftlich nutzbringen-

lerplatz von einem „Fetischobjekt für die im

de Tätigkeiten gewährleistet. Wie Freud

Kulturalisierungsprozess der bürgerlichen

glaubt er nicht, daß eine Gesellschaft sinn-

Kultur verdrängten Triebe“. Die Fassade zeigt somit nicht nur eine Freuds Theorien folgende Sublimierungsstrategie auf, sondern offenbart in dieser Vorgehensweise wiederum eine sexuell erregende Dimension.1206 Dadurch wird auch Loos’ Beispiel des Kreuzes als ein sexuell motiviertes Ornament rhetorisch verständlich. Das Kreuz wird als Sexualakt gelesen, in dem der männliche Strich den weiblichen durchdringt: „Das erste ornament, das geboren wurde, das kreuz, war erotischen ursprungs. Das erste kunstwerk, die erste künstlerische

1203 Ocón Fernández 2004, S. 365f. 1204 Ocón Fernández 2004, S. 367. Wobei Theodor W. Adorno laut Jörg Gleiter die Definition des Ornaments als „Form kultureller Artikulation“ bereits wieder aufgreift. (Gleiter 2002, S. 28–31.) 1205 Ocón Fernández 2004, S. 369. 1206 Gleiter 2002, S. 32f.

1207 Loos 1962 (1908), S. 277f. Jener Abschnitt fehlt in Loos 2010. In beiden Fällen ist der Text fälschlicherweise als von 1908 aufgeführt. Adolf Opel gibt als Herausgeber der Version von 2010 an, dass die originale Erstveröffentlichung unbekannt sei und die deutsche Erstveröffentlichung aus der Frankfurter Zeitung vom 24.10.1929 stamme. (Loos 2010, S. 756.) Da bei Loos 1962 der Part zum Kreuz enthalten ist und in Loos 2010 nicht, handelt es sich vermutlich um eine frühere Textstelle aus einem der vorherigen Vortragsmanuskripte von Ornament und Verbrechen, die im Falle der Ausgabe von 2010 nicht erscheint, da sich Opel dort nach eigenen Aussagen an den veröffentlichten „Originaltexten“ – damit ist vermutlich die recht späte deutsche Erstveröffentlichung in der Frankfurt Zeitung von 1929 gemeint – orientierte. Als Mittlerfigur für jene asketisch-ethische bzw. asketisch-sexuelle Haltung ist Otto Weininger mit seiner Dissertation Geschlecht und Charakter von 1903 anzusehen. Adolf Loos muss die Arbeit Otto Weiningers durch Karl Kraus gekannt haben. (Vergleiche dazu Lorenz ²2007, S. 182f., Moravánszky 2008.2, S. 61, Rukschcio und Schachel 1982, S. 78f. und S. 118f., Leser 1986, S. 64. Methlagl 1986, S. 113 und Le Rider 1985, S. 251f.) 1208 Müller 1974, S. 123–126.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

voll neu geregelt werden könnte, indem

„Der aggressive Dandy als charismatischer

sie ‚auf den Zwang und die Triebunterdrü-

Außenseiter der Gesellschaft ist latent

ckung verzichtet‘.“1209

konservativ und neigt zur gegenrevolutionären Revolte. […] Er provoziert, er leis-

Diese Parallelisierung von Freuds Sublimie-

tet sich Verstöße gegen die Regeln, was

rungstheorien und Loos’ Anfeindungen

voraussetzt, dass es Regeln gibt, die res-

gegen das Ornament gelten jedoch nicht im

pektiert

Sinne eines funktionalistisch geprägten Ver-

herrscht, wo es keine Etikette gibt, wo al-

ständnisses von Kultur oder Architektur.

les erlaubt ist, gehen die Provokationen

Auch wenn der Fassade als Maske die Funk-

des Dandys ins Leere.“1211

werden.

Wo

Regellosigkeit

tion des Schutzes zugerechnet werden kann, motiviert sich nicht jede Form der Loos‘schen

Die Definition dieser Dandy-Art, die ohne

Architektur – ob außen oder innen – einer

Bezug auf Adolf Loos formuliert ist, trifft auf

funktional ausgerichteten Intention. Wie

frappierende Art und Weise dessen kulturel-

zuvor beobachtet, arbeitete Loos zum Bei-

len Standpunkt im Wiener Gesellschaftsleben

spiel mit Friesbändern aus Profilen, die an

um 1900; insbesondere wenn man den Skan-

sich keine andere Funktion aufweisen, als

dal um das Haus am Michaelerplatz und die

zu schmücken und die Wand zu gliedern

Ornamentdebatte mit in Betracht zieht. Wie

(Abb. 83). In diesem Zusammenhang sind

emotional die Reaktion auf Loos’ Gebäude

Jörg Gleiters Ausführungen zu stellen, wenn

war, untermauert die Wortwahl des folgen-

er von der letzten oder höchsten Stufe der

den Zitats aus den 60er-Jahren des 20. Jahr-

Kultur bei Loos spricht, die das Ornament

hunderts:

an sich zum „Objekt der Verdrängung“ mache, zugleich aber die Innenräume Loos’

„Dem Laiengeschmack schien die beab-

als „Rückzugsort des Ornaments und mit ihm

sichtigte Schmucklosigkeit, im besonde-

der Triebe und privaten Sozialisierung“

ren das völlige Weglassen irgendwelcher

erklärt.

Michael Müller deklariert des Wei-

Rahmungen der Fensteröffnungen unleid-

teren als Folge jenes Kulturbegriffs eine

lich, armselig zu sein […]; dem vorgeblich

Beschränkung des Einzelnen sowohl bei

künstlerischen Empfinden aber – und in

Freud als auch bei Loos. Nun zeigt sich aber

dieses Urteil hat sich zweifellos böser Kon-

der bereits erwähnte literarisch-künstlerische

kurrenzneid eingemischt – galten die Or-

Dandy als relevant für eine Gegenhaltung

namentlosigkeit der noch dazu ungeglie-

zu Michael Müllers Ausführungen. Dieser

derten glatten Wände und das geradlinig

Dandytypus zeichnet sich insbesondere nach

abschließende Dach als ein brutaler, je-

Günter Erbe durch sein „Element der Revol-

den Stilempfindens entbehrender Ein-

te“ aus, das deutlich einem Anspruch auf

bruch in die architektonische Stimmung

individualistischer Haltung entspricht:

des Platzes, der von der Fassade der Hof-

1210

1209 Müller 1974, S. 123. 1210 Gleiter 2002, S. 31f.

1211 Erbe 2004, S. 2f.

341

342

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

burg beherrscht wird, und man forderte

fer einer Idee schematisiert, hat er sich durch

vom Stadtbauamt dagegen Maßnahmen

eine Vielzahl von Texten der Nachwelt als

von drakonischer Strenge.“1212

Avantgardist vermittelt. Jene Art von Selbst­ inszenierung erkennt Robert Hodonyi auch

Es handelt sich bei diesem Zitat weder um

für Loos’ Auftreten in Berlin. Er spricht

einen Zeitzeugenbericht noch um eine neu-

sogar von einer „Selbstvermarktung“ von-

trale Berichterstattung. Ablesbar wird jedoch

seiten Adolf Loos’.1216 Janet Stewart erkennt

die emotional aufgeladene Wahrnehmung

im Titel der Loos’schen Zeitschrift Das

dieses Architekturkonfliktes, die sich selbst

Andere ebenso eine Verwirklichung des

Jahrzehnte nach dem Geschehen noch auf

„concept[s] of ‚otherness‘“.1217 Diese Strate-

die Auseinandersetzung mit dem Gebäude

gie hatte er mit Karl Kraus gemeinsam, der

überträgt. Nicht unwesentlich für dieses Phä-

dies selbst betonte:

nomen ist die Person Adolf Loos’ selbst. Seine Selbstinszenierung als Dandy, als Nicht-

„Adolf Loos und ich, er wörtlich, ich

gehörter – wenn er die Sammelbände seiner

sprachlich, haben nichts weiter getan als

Artikel und Vorträge als Ins Leere gespro-

gezeigt, dass zwischen einer Urne und ei-

chen und Trotzdem betitelt

– und dem-

nem Nachttopf ein Unterschied ist und

nach als Angegriffener und falsch verstan-

dass in diesem Unterschied erst die Kul-

dener Außenseiter schürt ein bewusst findig

tur Spielraum hat. Die anderen aber, die

gelenktes Bild sowohl in der Gegenwart als

Positiven, teilen sich in solche, die die

auch in der Nachwelt. Hans Liebstoeckl

Urne als Nachttopf, und die den Nachtopf

betont und kritisiert jene rhetorische Vorge-

als Urne gebrauchen.“1218

1213

hensweise Adolf Loos’, sich als „verfolgtes Genie“ zu inszenieren, bereits 1927.1214 Loos

Dieses Zitat hat in vielerlei Art und Weise

ist es, der diese Frontstellung gegen die

zu einer Auslegung von Loos’ Arbeit im Sin-

Gesellschaft, die Secessionisten etc. absicht-

ne des Funktionalismus geführt,1219 soll an

lich in seinen Schriften immer wieder betont.

dieser Stelle jedoch nur die Separierungs-

Das Plakat für den Vortrag Mein Haus am

strategie der beiden Wiener Rhetoriker auf-

Michaelerplatz, den Loos am 11. Dezember

zeigen, die beide das Bild des rebellischen

1911 in Wien hielt, beinhaltet ebenso den

Dandys par excellence verkörpern.

Skandal anheizend und regelrecht verinner-

In Anbetracht der zuvor genannten Sub-

lichend die Zeile „MOTTO: EIN SCHEU-

limierung von Sexualität im Falle der Fassa-

SAL VON EINEM HAUS“.1215 Durch diese

de des Hauses am Michaelerplatz ist eine

provokante Haltung, die ihn zum Vorkämp-

Aussage Theodor W. Adornos recht unterhaltsam. In einem Brief an Walter Benjamin

1212 Münz und Künstler 1964, S. 93. 1213 Siehe zu den gewollten Bezügen der Titel zu Nietzsches Schriften Loos 2010 (1930.2), S. 722. 1214 Liebstoeckl 1985 (1927), S. 110–113. 1215 Moravánszky 2008.2, S. 80.

1216 Hodonyi 2010, S. 146–156. 1217 Stewart 2000, S. 36f. 1218 Kraus 1918, S. 37. 1219 Vergleiche dazu Roth 1995 und Müller 1974.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

befindet sich folgende Definition Adornos

horizontalen Streifen der Außenfassade

vom Jugendstil:

muten plötzlich als voyeuristische Guck­ schlitze an. Benedetto Gravagnuolo spricht

„Wenn ich mit Ihnen darüber einstimme,

beim einsehbaren Swimmingpool von einer

daß er [der Jugendstil; LT] eine entschei-

„voyeuristic pleasure“, ist jedoch in Hinblick

dende Erschütterung des Interieurs bedeu-

auf die Außengestaltung der Ansicht, es wer-

tet, so schließt das für mich aus, daß er

de vielmehr eine „architectural introversion“

‚alle Kräfte der Innerlichkeit mobilisiert‘.

betont. Jene Introversion bezieht er aber viel-

Vielmehr versucht er durch ‚Veräußerli-

mehr darauf, dass sich die innere Struktur

chung‘ zu retten und zu verwirklichen.

des Hauses nicht an der Fassade ablesen lässt

(…) Anstelle von Innerlichkeit steht im

und nicht etwa auf die schwarz-weiße Strei-

Jugendstil Sexus. Auf ihn rekurriert, gera-

fung der Fassade.1221 Beatriz Colomina inter-

de weil einzig in ihm das private Indivi-

pretiert die Fassade vielmehr als „tattooed

duum sich nicht als innerlich, sondern

surface“.1222 Christina Threuter und Christian

leibhaft begegnet.“

Kravagna setzen daher jenen Entwurf eben-

1220

so in den Kontext von kolonialen Diskursen Möchte man Loos’ Vorgehen am Haus am

und Vorstellungswelten in Loos’ Schriften.

Michaelerplatz in Zusammenhang mit Ador-

Ferner appelliert Kravagna jedoch um

nos Jugendstildefinition setzen, ist Adorno

Umsicht bei solchen Vergleichen.1223 Deutlich

zuzustimmen, wenn es darum geht, dass sich

soll an diesem Beispiel werden, dass Loos’

das Individuum leibhaft begegnet, aber eher

frühe Werke nicht nur als erste Vorboten des

sexuell verneinend. Auch das Innere dient ja

Funktionalismus verstanden werden können

dem Erwerb von Kleidung, die wiederum eine

– so wie es Michael Müller unternommen hat

neutrale Überstülpung der eigenen Leiblich-

–, sondern dass sie auch als in ihrer Zeit ver-

keit darstellt. Jedoch für den Entwurf Adolf

ankert wahrgenommen werden können, auch

Loos’ für eine Villa für Josephine Baker wird

wenn sie nicht unbedingt gleichzusetzen sind

Adornos Definition des Jugendstils auch für

mit dem geometrischen Jugendstil der Wie-

Loos’ Arbeit paradigmatisch. In diesem Fall

ner Secession. Marco Pogacnik geht sogar so

platziert Loos in den Mittelpunkt des Corpus

weit, für die Fassade des Loos-Hauses die

des Gebäudes einen Swimmingpool, der vom

These zu formulieren, sie sei „unabhängig

darunter gelegenen Stockwerk einsichtig ist.

von jeglicher Überlegung funktioneller Art“

Die darin schwimmende exotische Tänzerin

zu verstehen.1224 Christopher Long hingegen

wird zum sexuell inszenierten Objekt und

stärkt für die Fassade ihre Bedingtheit durch

das, überspitzt verortet, im Innersten ihres eigenen Heimes. Der durch Ralf Bock formulierte Begriff der „inneren Landschaft“ bekommt eine ganz neue Dimension und die

1220 Zitiert nach Forsthuber 1991, S. 175.

1221 Gravagnuolo 1982, S. 191f. 1222 Colomina 1994, S. 281. Siehe auch Threuter 1999, S. 106–117. 1223 Threuter 1999, S. 106117 und Kravagna 2010, S. 258f. 1224 Pogacnik 2011, S. 97.

343

344

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

die Konzeption des Inneren.1225 Ebenso wie

positioniert sich der homo clausus, den Vere-

zuvor beim Haus am Michaelerplatz, wo der

na Riegler wie folgt umschreibt:

Blick des Monarchen zum Stein des Anstoßes emotional von den Kritikern gelenkt wur-

„Die Bezeichnung des homo clausus in

de, ist es nun bei dem Entwurf für die Villa

seiner Verkörperung als wirloses Ich geht

für Josephine Baker der von Loos bewusst

auf Norbert Elias zurück und kann ver-

inszenierte ästhetisierende und sexualisie-

einfachend als ein Produkt der fortschrei-

rende Blick. Susanne Bach beschreibt eine

tenden Zivilisation aufgefaßt werden, in-

Veränderung der Blickkultur vom „freien,

folge welcher die psychischen Strukturen

wilden und naiven“ Blick der frühen Neu-

der einzelnen Menschen derart modelliert

zeit zum „flüchtigen“ Blick im 18. und 19.

werden, daß sich zwischen ihm und der

Jahrhundert.1226 Sie definiert den Blick als

menschlichen Umwelt eine triebregulie-

Kompensationsinstrument für die politisch

rende Scheidewand bildet.“1229

unsichere Identität. Der Blick dient vielmehr als „Identifikationsfaktor“ und findet gerade

Dieses Menschenbild untersucht die Ger-

sein Beobachtungsobjekt in der Kleidung.

manistin unter anderem anhand der Werke

In diesem Fall handelt es sich jedoch um

von Hugo von Hofmannsthal und Arthur

einen ästhetisierten Blick, der nach Bach

Schnitzler. Aufschlussreich sind die Beob-

verknüpft ist mit einer Sexualisierung.

1227

achtungen Rieglers zur Erzählung Sterben

Loos arrangiert den schwelgerischen Blick

von Arthur Schnitzler von 1892. In dieser

auf die Tänzerin. Genauso wie die Position

Erzählung wird das Fenster zur „homo-­

der Tänzerin wird der Betrachter verortet

clausus-Metapher“, so eine Kapitelüber-

und beide über den Blick miteinander ver-

schrift Rieglers.1230 Auch wenn in diesem

bunden. Das Haus umfasst somit hauptsäch-

Zusammenhang eine deutliche Vereinsa-

lich – wie Beatriz Colomina betont – die

mung der Protagonisten mithilfe des kont-

Idee eines narzisstischen und voyeuristi-

rastierenden Blickes in die Außenwelt

schen Aquariums.

durch das Fenster inszeniert wird und sich

1228

Dieses Oszillieren zwischen Bedecken,

als zuspitzendes Motiv im Laufe der Er­zäh-

Schauen-Wollen und emotionalem Unbe-

lung beklemmend manifestiert, handelt es

rührtsein wird am Loos-Haus am augen-

sich

scheinlichsten an den Fenstern des Salons.

risch-künstlerische Quelle, die beweist, wie

Sie sind nicht nur wörtlich, sondern auch im

sehr architektonische Formen mit dem inne-

übertragenen Sinn die Schnittstellen zwi-

ren Leben der Menschen verknüpft wurden.

schen innen und außen, die sich an der

Diese „triebregulierende Scheidewand“

maskierten Fassade manifestieren. An ihnen

lässt sich aber im Falle von Loos nicht auf

um

eine

zeitgenössische

litera-

Norbert Elias beziehen, sondern muss viel1225 Long 2011, S. 195. 1226 Bach 2006, S. 46f. 1227 Bach 2006, S. 46f. 1228 Colomina 1994, S. 264 und S. 281 sowie Colomina 1997.1, S. 208–210.

mehr auf zeitgenössische Quellen wie zum 1229 Riegler 2003, S. 11. 1230 Riegler 2003, S. 51–54.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

Beispiel Freuds Theorie der Sublimierung

Clubs White’s kannte. Dieses war der Ort,

zurück­geführt werden.

an dem Brummell thronte und mit seinen

1231

Loos verortet den Kunden des Schneidersalons in einer Vielzahl von Blicken, die

Engsten als council of taste über das Londoner Leben richtete.1234

exakt inszeniert sind. So steht der Kunde

In Zusammenhang mit der Lenkung von

auch nicht direkt an den Fenstern, sondern

Blicken muss auch die Verwendung von Spie-

wird durch die Podeste der Erker, die sich

geln im Geschäft von Goldman & Salatsch

durch die bay windows natürlich ergeben,

thematisiert werden. Marie Theres Stauffer

von ihnen entrückt und kann demnach nicht

bezeichnet die Spiegel technisch treffend als

an der Fassade hinabschauen (Abb. 86). Ihm

Reflexionsflächen.1235 Sie prägt für den spe-

verbleibt

eines

zifischen Umgang mit Spiegeln bei Loos den

Zuschauers auf die Kulisse der umliegenden

der

distanzierte

Blick

Begriff des „Spiegelkabinetts“.1236 Mithilfe

Seiten des Michaelerplatzes. Damit offenbart

dieser Benennung zieht sie die Nähe zu ver-

sich eine Szenerie dandyhafter Haltung, die

spiegelten Kabinetten des 17. und 18. Jahr-

sich aufgrund des architektonischen Rah-

hunderts, die vor allem im Umfeld von Fürs-

mens von selbst – vom Architekten wohl aber

ten und Fürstinnen der Unterhaltung und

bewusst gelenkt – einstellt. Auch wenn das

Zerstreuung dienten. Im Falle des Loos-Hau-

bay window als ein Zitat des bereits von 1900

ses, das im Treppenbereich zwischen Erdge-

bis 1902 erbauten Hauses Ataria als eine ört-

schoss und Mezzanin solch ein Spiegelkabi-

liche Einbettung des Gebäudes zu verstehen

nett aufweist (Abb. 85), stellt sich demnach

ist,

da das Gebäude von Max Fabiani sich

für Stauffer eine Reminiszenz an die Hofburg

fast gegenüber des Loos-Hauses am Kohl-

ein und damit eine Standortstärkung.1237 Des

markt 9 befindet,

ist es ebenso denkbar,

Weiteren betont Stauffer die ökonomischen

dass Loos das bow window des Londoner

und praktischen Funktionen dieses Spiegel-

1232

1233

kabinetts. Zum einen steigerten seine Reflek1231 Für die Werke Hugo von Hofmannsthals ist ebenso eine Nähe zu Freuds Theorien belegt. Dies ist nachzulesen bei Braungart 1995, S. 219–230. 1232 Pogacnik 2011, S. 32. 1233 Ebenso wird das nicht weit entfernte Haus Zacherl (1903–1905) von Josef Plečnik als Vorbild aufgeführt. Weiterhin wird das Studebaker Building (1884) – auch Fine Arts Building genannt – von Solon Spencer Beman in Chicago als Inspirationsquelle für Loos aufgezählt. (Czech und Mistelbauer ²1977, S. 108) Bemerkenswerterweise wurde zeitgleich zum Loos-Haus 1910 im 7. Wiener Gemeindebezirk Neubau nahe der Mariahilfer Straße ein weiteres Gebäude mit bay windows erbaut. Das Wohn- und Geschäftshaus von Leopold Fuchs, das auf dem Grundstück Kirchengasse 3 errichtet wurde, wird ansonsten jedoch vielmehr der secessionistischen Formensprache zugeordnet. (http://www.architektenlexikon.at/ de/155.htm, 27.07.2015)

tionen durch die Zersplitterung des Blickes etwa die Kauflust der Kunden und zum anderen ermöglichen die Spiegel bis heute eine Verteilung des von oben einfallenden Lichtes in die Räumlichkeiten, die so nicht nur über die Fenster der Seite zum Michaelerplatz erhellt werden.1238 Besonders aufschlussreich ist aber die Assoziation des Toilettenspiegels, die Stauf-

1234 Erbe 2002, S. 56. 1235 Stauffer 2008, S. 1236 Stauffer 2008, S. 1237 Stauffer 2008, S. 1238 Stauffer 2008, S.

169–187. 175. 177f. 176–178.

345

346

3. Objektive und subjektive Stimmungsfacetten von Architektur

fer für die drei je im stumpfen Winkel anei-

und Schachel davon, dass Loos auf der

nander drängenden, mit Spiegel verkleideten

Columbus-Weltausstellung in Chicago den

Treppenhauswände entwickelt.1239 Mithilfe

japanischen Pavillon gesehen haben muss

dieser Verknüpfung wird nämlich das gesam-

und formulieren klar eine Beeinflussung sei-

te Geschäft zum Ankleidezimmer. Die Pro-

ner späten Interieurs durch die japanische

zedur des Dandys, der mehrere Stunden fürs

Architektur.1243 Die Geisha, eine Gesellschaf-

Ankleiden benötigt, wird auf den Einkauf

terin, die vor allem durch Tanz, Gesang und

der dazu benötigten Waren zelebrierend

Konversation im Teehaus unterhalten sollte,

übertragen. Im Falle von Beau Brummell sind

zeichnete sich eben auch durch ein masken-

die Überlieferungen berühmt, in denen sogar

artiges Äußeres aus. Das Schminken, Frisie-

Georg IV., der Prinz von Wales, diesem Ent-

ren und Ankleiden folgte einem strengen

stehungsprozess der Perfektion beiwohn-

Regelwerk. Die Frauen erreichten erst nach

te.

Fast einem religiösen Ritus folgend,

einer langjährigen Ausbildung, die bereits im

wird das tägliche Ankleiden zum festen

Kindesalter begann, den Status einer Geisha.

Bestandteil eines Individualkults. An dieser

Das spezielle Make-up der Geisha, aber auch

Stelle erklärt sich auch die zuvor in dieser

das generelle Make-up ist das „Symptom einer

Arbeit formulierte Gedankenverbindung mit

Selbstverdinglichung“.1244 Jene „Selbstver-

einem Triptychon. Der Kult um die eigene

dinglichung“ überträgt Loos auf seine Archi-

Person wird zum Religionsersatz, dem eine

tektur. Er verkörpert in seiner Architektur

zumindest exklusive Gemeinde beiwohnt.

ein idealisiertes Menschenbild, das er im Rah-

Bereits Freud hatte den Spiegel als Reprä-

men seiner Schriften predigte. Loos ist daher

sentation der Psyche gefasst, durch den das

nicht als ökonomisch sozial denkender Archi-

Selbstporträt eines Subjekts zurückgeworfen

tekt per se zu definieren, sondern als ein

werde.1241 In diesem Zusammenhang lässt

‚Dinghersteller‘, der sich die ethische Erzie-

sich die Fassade des Hauses am Michaeler-

hung seiner Mitmenschen zum Lebensziel

platz (Abb. 4 und 73) nicht nur als Maske

gesetzt hat. Dabei macht er die Dinge zu

interpretieren, sondern auch überspitzt mit

„Delegierten seiner Moral“.1245 Robert Hod-

der Erscheinung einer Geisha vergleichen.

onyi sieht bei Loos’ Architektur sogar eine

Bereits bei der Villa Karma von Adolf Loos

„messianische Rolle“ intendiert.1246 Das Haus

finden sich des Öfteren Bezüge zur japani-

wird im Werk Loos’ zum gebauten Gedan-

schen Kultur,

ken, sowie es bereits Karl Kraus im Falle des

1240

1242

daher scheint dieser zunächst

kühn anmutende Vergleich nicht unwahr-

Hauses am Michaelerplatz betonte:

scheinlich. Des Weiteren sprechen Rukschcio

1239 Stauffer 2008, S. 176f. 1240 Vergleiche dazu Schickedanz 2000, S. 43–49. Schickedanz geht sogar so weit, im Falle von Brummells Toilette von einem Lever zu sprechen. 1241 Vergleiche dazu Colomina 1997.1, S. 206f. 1242 Vergleiche dazu die Beobachtungen in dieser Arbeit auf S. 72.

1243 Rukschcio und Schachel 1982, S. 24. Vergleiche dort auch S. 322, S. 368f. und S. 416f. Vergleiche ebenso zum Einfluss japanischer Kultur auf Adolf Loos Stewart 2000, S. 67f. 1244 Ullrich ²2009, S. 84f. 1245 Ullrich ²2009, S. 74. 1246 Hodonyi 2010, S. 138f. Vergleiche dazu Pfabigan 1991, S. 64.

3.4. Das Haus am Michaelerplatz

„Er hat ihnen dort einen Gedanken hin-

Emotion. Adolf Loos baut den Wienern

gebaut. Sie aber fühlen sich nur vor den

daher nicht nur einen Gedanken, sondern

architektonischen Stimmungen wohl und

bietet ihnen mit seinem Gebäude regelrecht

haben darum beschlossen, ihm die unent-

ein über den Leib und die Wahrnehmung

behrlichen Hindernisse in den Weg zu le-

erkennbares Probierfeld für einen zeitgemä-

gen, von denen er sie befreien wollte. Die

ßen Lebensstil. Dieses Zusammenspiel aus

Mittelmäßigkeit revoltiert gegen die

architektonischen und soziologischen Aspek-

Zweckmäßigkeit. Die selbstlosen Hüter

ten gestaltet das Haus am Michaelerplatz zu

der Vergangenheit, die sich lieber unter

einer Stimmungsarchitektur, die ähnlich

dem Schutt baufälliger Häuser begraben

einem Gesamtkunstwerk im Sinne einer Bil-

sehen als in neuen leben möchten, sind

dung eines gesellschaftlichen Ideals auf den

nicht weniger empört, als die Kunstmau-

Körper des Einzelnen übergreift.

rer, die eine Gelegenheit schnackiger Ein-

Am Endpunkt dieses Kapitels und der Ein-

fälle versäumt sehen und zum erstenmal

zeluntersuchungen angekommen offenbart

fühlen, wie sie das Leben als tabula rasa

sich, wie sehr auch die Loos’sche Architek-

anstarrt.“1247

tur in einer Konsumwelt zu verorten ist. Es stellt sich nun die Frage nach der Haltung

Das Wort „Stimmung“ wie es hier von Karl

des Architekten zum Warenkult. Diese ist

Kraus verwendet wird, ist jedoch nicht

ebenso relevant für das Schaffen Loos’ wie

deckungsgleich mit dem Begriff der Stim-

auch für dasjenige Hoffmanns. Daher soll

mung, wie er im Rahmen dieser Arbeit ent-

sich im Schlusskapitel mittels des Vergleichs

wickelt wurde. Stimmung setzt Karl Kraus

dem Begriff des Gesamtkunstwerks gewid-

in diesem Zitat mit falscher Sentimentalität

met werden. Denn auch wenn sich beide

und überreizter Formfindung gleich, wäh-

Architekten über die Konsumwelt an ihre

rend die Stimmung aus heutiger Sicht auch

Kundschaft empfahlen, bleibt die Frage nach

als Vehikel zur Vermittlung eines ‚Gedan-

der dahinter stehenden Intention. Wie liegt

kens‘ fungieren kann. Wie ja auch Loos die

die Gewichtung zwischen Ästhetik und

Schaffung von Stimmungen als die Aufgabe

Ethik? Diese ist stark verknüpft mit den

des Architekten erachtet.

Topoi des Gesamtkunstwerks sowie des

Das Haus am Michaelerplatz ist demnach

Ornaments und nicht zuletzt auch mit dem

auf vielfältige Art und Weise in sein Umfeld

Topos der Stimmung.

eingeschrieben. Sowohl seine sensible Verortung im Stadtraum als auch seine mannigfaltigen Verknüpfungen mit dem Ideal des Großstadtmenschen machen es zu einem Zeugnis einer Ästhetik, die geprägt ist von einem Oszillieren zwischen Leiblichkeit und

1247 Kraus 1910, S. 5.

347

4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung

4.1. Das Gesamtkunstwerk als „geistige Grundstimmung“

zeitgenössischen Begriffs der Stimmung verständlich, wie dominant emotional sowohl die Rolle des Architekten als auch das Erscheinungsbild seiner Architekturen wahr-

Alle behandelten Bauwerke – Villa Karma,

genommen wurde. Wie konsequent der

Palais Stoclet, Sanatorium Purkersdorf und

Begriff der Stimmung als Kondensat eines

Haus am Michaelerplatz – sind in ihrer spe-

Zeitphänomens um 1900 für den deutschen

zifischen Prägung im weiteren Sinne ein

Sprachraum erklärt werden kann, zeigt seine

Gesamtkunstwerk, da es sich um ganzheit-

Verbreitung. Da wäre einerseits Alois Riegls

lich gestaltete Welten handelt. Sie sind kei-

Aufsatz Die Stimmung als Inhalt der moder-

nesfalls beliebig bespielbare Räumlichkeiten.

nen Kunst von 1899.1 Andererseits deklariert

Ob Villa Karma, Palais Stoclet, Sanatorium

Martin Heidegger die Gestimmtheit zu einem

Purkersdorf oder das Haus am Michaeler-

„anthropologischen Grundbegriff“,2 wenn er

platz: Jedes dieser Gebäude verortet auf sei-

formuliert: „Gestimmtsein ist die Grundwei-

ne spezifische Art und Weise den modernen

se, wie das Dasein als Dasein ist“.3 Ebenso

Großstadtmenschen in einem kulturellen

ist der Begriff der Stimmung wiederholt für

Geflecht und bietet ihm über seine Anlage

das Frühwerk Hugo von Hofmannsthals

und Gestaltung gewisse Bewegungs-, Verhal-

nachgewiesen. Der Literaturwissenschaftler

tens- oder Lebensmodelle an. Josef Hoffmann

Hans-Georg von Arburg führt dies auf die

und Adolf Loos fertigten Arbeiten, die den

„notorische Krise des Subjekts“ um 1900

Benutzern dieser Gebäude Orientierungskon-

zurück. Weiterhin weist von Arburg eine

zepte und -strategien bieten sollten. Diese

Differenzierung zwischen dem umgangs­

vom Architekten intendierten Rollenbilder

sprachlichen Sprachgebrauch des Wortes und

oder Lebensstile drücken sich auch durch

dem Begriff der „Stimmungskunst“ für von

eine Emotionalisierung von Architektur in den öffentlichen Debatten der Metropole Wien um 1900 aus. Dabei wurde mithilfe des

1 Riegl 1928 (1899), S. 28–39. 2 Recki 2010, S. 2. 3 Zitiert nach Recki 2010, S. 2.

350

4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung

Hofmannsthal nach.4 Der Philosoph und

Auch spezifisch für das kulturelle Feld der

Schriftsteller Fritz Mauthner (1849-1923)

Architektur ist der Begriff der Stimmung um

unterschied überdies in seiner Publikation

1900 wiederholt nachzuweisen. Nicht nur

Beiträge zu einer Kritik der Sprache

Heinrich Wölfflin griff in seiner Dissertation

(1901/1902) den „Begriffsinhalt“ vom „Stim-

Prolegomena zu einer Psychologie der Archi-

mungsgehalt“ eines Wortes, und zuvor hatte

tektur (1886) den Stimmungsbegriff auf,

bereits 1893 Arthur Schnitzler in seinem Pro-

wenn er fragt: „Wie ist es möglich, dass archi-

satext Spaziergang ein „Geheimnis der Stim-

tektonische Formen Ausdruck eines Seeli-

mung“6 formuliert. In den vier Protagonisten

schen, einer Stimmung sein können?“10 Auch

des Stücks Hans, Max, Stefan und Fritz sind

der deutsche Architekt und Architekturthe-

Hermann Bahr, Richard Beer-Hofmann, von

oretiker Gustav Ebe (1838–1916) geht in sei-

Hofmannsthal und Schnitzler porträtiert. Der

nem Buch Architektonische Raumlehre von

gesamte Spaziergang verhandelt nach der

1900 davon aus, dass „die Übertragung der

Literaturwissenschaftlerin Anna-Katharina

vom Künstler gewollten Stimmung auf den

Gisbertz ein Gespräch über Stimmung, wobei

Beschauer, […] doch vorzugsweise in den

der Begriff Stimmung ihrer Ansicht nach

Bauwerken zum eindringlichsten Ausdruck

sowohl an „Orte“ als auch an „Erlebnisse“

[kommt; LT]“.11 Ferner fordert 1918 der deut-

geknüpft sowie als ein „ganzheitliches Erle-

sche Architekt Herman Sörgel (1885–1952)

ben“ beschrieben wird. Thomas W. Gaeht-

in seiner Theorie der Baukunst im Rahmen

gens weist ferner Stimmung als Begriff der

der Architektur-Ästhetik: „Die Architektur

deutschen Böcklin-Rezeption um 1900 nach.

hat in ihrem Stimmungswert dem Charakter

Wobei der Stimmungsbegriff bei Böcklin in

der Zeit Rechnung zu tragen.“12 Ebenso

Beziehung zu der Verwurzelung des Malers

sprach Rudolf Steiner (1861–1925), der

in der Romantik gesetzt wurde. Man sprach

Begründer der Anthroposophie, in seinem

in der deutschen Kunstkritik von einer „Farb-

Vortrag über die Gestaltung des Versamm-

stimmung“, „Abendstimmung“ und „Natur-

lungssaals des Theosophischen Kongresses

stimmung“ in Böcklins Gemälden – womit

in München von 1907 von „Grundstimmun-

auf eine emotionale Rezeption beziehungs-

gen“, die sich etwa mittels der Farbwahl und

weise Beteiligung des Betrachters angespielt

des „Stimmungsgrundton[s]“ der jeweiligen

wurde.8 Außerdem erschien 1905/1906 in

Farbe ausdrückten. Wobei beispielsweise Rot

der Deutschen Kunst und Dekoration ein

eine gewisse „Festlichkeit“ für ihn evoziere.13

Artikel Karl Widmers mit dem bezeichnen-

Wie eng wiederum für Steiner die Verbin-

den Titel Farbe und Raumstimmung.

dungen zum Wiener Kulturkreis sind, belegt

5

7

9

ein überliefertes Wortgefecht zwischen ihm 4 Arburg 2010.1, S. 20–27. 5 Siehe dazu Gisbertz 2009, S. 91–97 und Gisbertz 2011.2, S. 177–179. 6 Zitiert nach Gisbertz 2011.2, S. 179. 7 Gisbertz 2011.2, S. 179. 8 Gaehtgens 2010, S. 197–211. 9 Widmer 1905–1906, S. 204–209.

und Hermann Bahr zum unrettbaren Ich im

10 Wölfflin 1999, S. 7. 11 Ebe 1900, S. 2. 12 Sörgel 1998 (³1921), S. 276. 13 Steiner 1977 (1907), S. 35–42.

4.1. Das Gesamtkunstwerk als „geistige Grundstimmung“

Wiener Caféhaus Griensteidl; wobei Steiner

chen.18 Es wäre zu kurz gedacht, wenn man

jedoch eine deutliche Gegenposition zum

das übliche Bild von Kern und Hülle bezie-

Bild des sich in Entitäten auflösenden Ichs

hungsweise Ornament als die ‚Wahrheit‘ oder

einnimmt.

Konstruktion verhüllende ‚Lüge‘ bei Hoff-

14

Grundlegend für den Vergleich zwischen

mann zeichnen und Loos einfach als Vernei-

Hoffmanns und Loos’ Gesamtkunstwerken

ner eines solchen Konzeptes definieren wür-

sind neben dem der Stimmung die Begriffe

de. Insbesondere im Falle der Villa Karma

Ornament und Maske, die beide in engem

und des Hauses am Michaelerplatz finden

Bezug zueinander stehen und zusätzlich in

sich maskierende, anonymisierende Struk-

den Debatten um 1900 ein Beleg für die Emo-

turen in der weißen, ‚nackten‘ Wand und das

tionalisierung von Architektur sind. Zumeist

Ornament am Sanatorium Purkersdorf – das

versteht man nämlich das Ornament als Mus-

Quadrat – wurde sowohl zur dekorativen als

ter, das auf einen Grund aufgetragen wird

auch strukturellen Grundeinheit der Archi-

und damit als eine Maske des architektoni-

tektur.19 Die weiße Wand ist bei den Bauwer-

schen Trägers zu definieren ist. Gerade die-

ken Loos’ weder Struktur noch Ornament.20

ses eingängige Bild von Ornament als Deko-

Während das Ornament des Sanatoriums

ration funktioniert jedoch nicht mehr in den

Purkersdorf nicht nur Schmuckform, sondern

Werken Hoffmanns und Loos’. Bereits durch

– wie bei Semper auch benannt – „Symbol

Gottfried Sempers Bekleidungstheorie ist das

der Zweckform“ ist.21 So erklärt sich zumin-

Ornament nicht mehr allein im Sinne einer

dest teilweise, warum Loos sich gegen die

nach außen vermittelnden Funktion zu ver-

Verwendung des Quadrats bei den Secessi-

stehen, sondern gehört zur Struktur eines

onisten stellte und ähnliche Formfindungen

Bauwerks. Auch Friedrich Theodor Vischer

seiner Fenster am Haus am Michaelerplatz

lehnt jene strikte Trennung der Architektur

anders verstanden wissen wollte. So schreibt

in Kern und Hülle ab. Er plädiert vielmehr

er 1911 in seinem Artikel Mein Haus am

für eine gesamteinheitliche Betrachtungswei-

Michaelerplatz zu den annähernd quadrati-

se und nicht etwa für das Sezieren eines Wer-

schen Fenstern an der Fassade seines H ­ auses:

15

kes.16 Der ‚ornamentale‘ Teppich oder die Textilkunst ist für Semper nicht Verkleidung

„Man hatte unterdessen auf die nahezu

der Wand, sondern aus ihm entwickelt sich

quadratischen Fenster geschimpft und al-

oder besteht ursprünglich die Wand.

Die

len Ernstes in der Presse die für mich si-

Fassade wurde weiterhin bereits von Jac-

cher schmeichelhafte Behauptung aufge-

ques-François Blondel mit der „Physiogno-

stellt, die dreiteiligen Fenster erfunden zu

mie [des; LT] menschlichen Leib[es]“ vergli-

haben. Jemand tadelte auch die vierecki-

17

gen Fenster und fand es unerhört, was 14 Vergleiche dazu Zumdick 2007, S. 65f. 15 Vergleiche dazu Ocón Fernández 2004, S. 387. 16 Vergleiche dazu Kroll 1987, S. 28f. 17 Ocón Fernández 2004, S. 387f. Vergleiche dazu Kroll 1987, S. 47–49.

18 19 20 21

Wolfgang Pehnt zitiert nach Harather 1995, S. 10. Vergleiche dazu Auer und Klee 2011, S. 153. Vergleiche dazu Ocón Fernández 2004, S. 388f. Vergleiche dazu Kroll 1987, S. 49–51.

351

352

4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung

­außerhalb Wiens große Verwunderung er-

ein Ausleben des Fantasietriebes des Men-

regte, da doch Häuser mit dreieckigen

schen versteht – miteinander verknüpft wer-

Fenstern nur bisher in Schilda gebaut wur-

den. Isabelle Frank bezeichnet Riegls „Dar-

den. Dreigeteilte Fenster sind immer na-

stellungsstrategie“ in seiner Publikation

hezu quadratisch, und kein Mensch konn-

Stilfragen gar als eine Methode, um das Orna-

te bisher einen Schönheitsfehler bei diesen

ment frei von materiellen, technischen oder

erblicken. Ich klage die Dekorationswei-

funktionalen Bedingungen – demnach deut-

se der sogenannten modernen Wiener

lich Sempers Herleitung widersprechend – zu

Richtung an, daß sie durch den Mißbrauch

verdeutlichen. Riegl wählt nämlich eine in

des Quadrates selbst eine so herrliche Flä-

Form und Farbe reduzierte Darstellungsform

che, wie sie das Quadrat darstellt, in Miß-

der Ornamente und löst sie auf diese Art und

kredit gebracht hat. Daß gerade ich, der

Weise aus ihrem handwerklichen Kontext.

Hauptgegner dieser falschen, kulturlosen

Diese regelrecht schematische Darstellungs-

Richtung, zu leiden habe, ist unangenehm.

weise befördert Riegls Interpretation des

Sie haben das Quadrat, da es nicht mehr

Ornaments im Sinne einer Stilentwicklung.23

seine Schuldigkeit tun will, zum alten Ei-

Dabei meint Riegl nicht etwa das individua-

sen geworfen und versuchen jetzt, ande-

listische Kunstwollen eines einzelnen Künst-

re Formen zu entwerten. Ich kann mich

lers, sondern vielmehr den „ästhetischen

aber durch derlei nicht irre machen las-

Drang einer Epoche“.24 Genau jenes Kunst-

sen. Für sie ist oder war das Quadrat das

wollen lässt sich bei unterschiedlicher Aus-

Primäre, also eine Spielerei. Ich mache

prägung in den Bauwerken Hoffmanns und

Fenster und teile Scheiben. Entsteht da-

Loos’ um 1900 beobachten und findet im

durch etwas Quadratähnliches, so ist es

Begriff der Stimmung seine Konkretisierung.

geworden gegen meinen Willen. Wie die

Dies würde Loos’ eben zitierte, merkwürdig

Pflanze wird, ob sie will oder nicht.“

anmutende Analogie seines Arbeitens mit der

22

natürlichen Konsequenz des PflanzenwachsIn Anlehnung an die Freud’sche Sublimie-

tums zumindest teilweise erklären und wei-

rungstheorie ist es aber auch möglich zu argu-

terhin die zuweilen erstaunlichen Formpar-

mentieren, Loos und Hoffmann hätten beide

allelen in den Werken Hoffmanns und Loos’.

aus einem Kunstwollen heraus intellektuell

Das Kunstwollen nach Riegl wurde grund-

konzipierte und emotional nachvollziehbare

legend für die berühmte Dissertation Abs-

Bauwerke geschaffen. Nun ist es zunächst

traktion und Einfühlung Wilhelm Worringers

verwunderlich, dass an dieser Stelle Sempers

von 1907.25 Indem man die „Stilprinzipien

Bekleidungstheorie – die eine „technisch-ma-

des Ornaments“ gleichsetzte mit dem „abso-

terielle Entstehungstheorie des Ornaments“

luten Kunstwollen“, war man der Ansicht,

entwickelt – und Alois Riegls Kunstwollen – das vielmehr im Entstehen des Ornaments

22 Loos 2010 (1911), S. 425.

23 Frank 2001, S. 92. 24 Vergleiche dazu Kroll 1987, S. 59–62. 25 Vergleiche dazu Kroll 1987, S. 69–77 und Prange 1991, S. 29–32.

4.2. Henry van de Velde und die Emotionalisierung von Linien

man gewinne ebenso die „geistige Grund-

Die Vermittlung von Ganzheit, Ruhe und der

stimmung“ – um es mit den Worten Franz-Lo-

Möglichkeit für die Wahrnehmung des Men-

thar Krolls zu fassen – eines Kulturkreises zu

schen zum Verweilen findet für diese Unter-

einer bestimmten Zeit. Diese Methode nach

suchung im Sanatorium Purkersdorf ihre

Riegl weiterentwickelnd, folgert Worringer

dominanteste und prägnanteste Ausgestal-

aus dem ornamentalen Abstraktionsdrang im

tung. Aber Loos schafft ebenso mit seinen

Rückschluss auf eine Irritation des Menschen.

klaren Fassaden der Villa Karma und des

Das geometrisch geordnete Ornament wird

Hauses am Michaelerplatz ruhige Fassaden.

von Worringer zum „Haltepunkt“ und

Ruhig daher, weil die Fassade dem Betrach-

Moment des „Ausruhens“ gezeichnet.27 Auch

ter gegenüber regelrecht verstummt und eine

wenn er sich in diesem Fall auf den frühzeit-

Art von autistischer Haltung einnimmt.32

lichen Menschen bezieht, wird deutlich, wie

Deutlich wird eine in der Kunsttheorie um

präsent um 1900 das Bild einer für den Men-

1900 mit emotional gesetzten Schlüsselbe-

schen gestalteten, beruhigenden, abstrahie-

griffen aufgeladene Debatte, die als Entste-

renden Umgebung war.

hungshorizont für die hier behandelten

26

28

Demnach handelt

es sich um eine „stilpsychologische Metho-

Architekturen wesentlich ist.

de“, da man vom Empfinden einer Epoche auf deren Kunstschaffen schließt.29 Neben dieser produktionsorientierten Sichtweise

4.2. Henry van de Velde und die Emotionalisierung von Linien

existierte aber um 1900 bereits die rezeptionsästhetische Theorie der Einfühlung, die

Neben diesen kunsttheoretischen Erörterun-

ebenso von Worringer ins Zentrum seiner

gen des Stimmungsbegriffs soll die Idee einer

Dissertation gestellt wurde. So heißt es dort:

„geistigen Grundstimmung“ für die Zeit um

30

1900 noch durch einen punktuellen Ver„Vielmehr sind wir mit Lipps der Ansicht,

gleich mit dem theoretischen Werk Henry

‚daß die geometrisch regelmäßigen Gebil-

van de Veldes und dem Œuvre Joseph Maria

de ein Gegenstand der Lust sind, weil ihre

Olbrichs vertieft werden. Zentral sind der

Auffassung, als eines Ganzen, der Seele

Begriff der Linie und sein emotionstheoreti-

natürlich ist, oder weil sie im besonderen

scher Horizont sowie dessen Bezug zum

Maße einem Zug in der Natur oder im

Gesamtkunstwerk. Dabei ist besonders rele-

Wesen der Seele gemäß ist.’“

vant, dass nicht nur Loos sich als Antagonist

31

Henry van de Veldes verstand, sondern ebenso Hoffmann sich von den Arbeiten des Bel26 Kroll 1987, S. 74. 27 Vergleiche dazu Kury 2000, S. 340. 28 Kroll 1987, S. 72f. Vergleiche dazu Worringer 1987 (1908), S. 53f. und Kroll 2001, S. 168f. 29 Kroll 1987, S. 82 und S. 135. 30 Worringer 1987 (1908), S. 36–40. Vergleiche dazu Kury 2000, S. 331–333. 31 Worringer 1987 (1908), S. 102.

giers distanzierte. Loos überhäuft sowohl van de Velde als auch die Secessionisten mit einer über Jahre andauernden Schimpftirade. Dabei kreidet

32 Dröge und Müller 1995, S. 156.

353

354

4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung

er ihnen unter anderem ihr gleichzeitiges

wir es an der Übereinstimmung mit dem

Arbeiten als Architekten und Entwerfer für

Charakter des Träger erkennen müss-

Frauenkleidung an oder ihr zeitweiliges

ten.“37

Dasein als „Modegecken“.33 Er degradiert die Erzeugnisse der Wiener Werkstätte aus

Hoffmann formuliert im weiteren Verlauf

seinem Verständnis von Design heraus als

seines Artikels, durch die Stärkung des Indi-

„Damenschneider“-Arbeiten und empfiehlt

viduellen in der Kleidung eine Befreiung von

ihnen, sich doch auf diese Form des Entwer-

der „Tyrannei der Mode“ zu ermöglichen.38

fens zu konzentrieren. Das Realisieren von

Während Loos in der Maske eine Schutz-

Gesamtkunstwerken durch die Secessionis-

schicht für das zu bedeckende, intime Indi-

ten und Henry van de Velde reduziert Loos

viduelle sieht, versteht Hoffmann das Bild

in seiner Satire Von einem armen reichen

der Maske ihrem klassischen Verständnis

Mann auf die Oberfläche der durchgestalte-

nach als eine Vorblendung, die nicht im Ein-

ten Wohnwelt. Für ihn wird jener Ästhetizis-

klang mit dem folglich Überspielten steht.39

mus von den Secessionisten über die Bedürf-

So heißt es in Hoffmanns Aufsatz Einfache

nisse des Bewohners und dessen persönlichen

Möbel von 1901:

34

Geschmack

gestellt,

35

während

die

Secessionisten sich und ihre Arbeit diametral

„Und dennoch, wenn es in uns tagt, nicht

entgegengesetzt definierten. Elana Shapira

hier und dort, sondern weit und breit, so

sieht in dem Artikel Das individuelle Kleid

weit unsere Blicke reichen, wenn wir wie-

von Hoffmann aus dem Jahr 1898 bezeich-

der beginnen uns mit Schönheit allenthal-

nenderweise eine direkte Antwort auf Loos’

ben zu umgeben – mit selbstbewusster

Kleidungsverständnis gegeben. Dort unter-

Schönheit, nicht mit erborgter erlogener

streicht Josef Hoffmann:

Maske – muss uns da nicht wieder Hoff-

36

nung beseelen?“40 „So wie wir auf große Distanz jeden Bekannten schon an seiner Art des Gehens,

Hoffmann zieht jedoch des Weiteren den

der Bewegung an und für sich erkennen,

Schluss, nicht jeder verfüge über das nötige

so wie seine Stimme schon so eigenthüm-

Selbstbewusstsein, um sich sein „individuelles

lich ist, daß uns der erste Ton sagt, wem

Kleid“ gekonnt auszuwählen. Daher formu-

sie angehört, das Auge, daß hinter einer

liert er für die Secession einen Bildungsauf-

Maske hervorblitzt, erkannt wird, so

trag der zumindest anfänglich einen vormund-

möchte man sagen, daß der Zipfel eines

schaftlichen Erziehungston anschlägt:

Kleides, die Art, wie es getragen wird, uns ebenso bekannt erscheinen müßte, daß

33 Vergleiche dazu Wigley 1996, S. 190–202. 34 Wigley 1996, S. 209 und Loos 2010 (1929), S. 698. 35 Vergleiche dazu Wigley 1996, S. 193f. 36 Shapira 2004, S. 184.

37 Hoffmann 1898, S. 252. 38 Hoffmann 1898, S. 252. Vergleiche dazu Wigley 1996, S. 202f. 39 Siehe auch Wigley 1996, S. 205. 40 Hoffmann 1901, S. 199.

4.2. Henry van de Velde und die Emotionalisierung von Linien

„Ein großer Übelstand ist die Bedürfnis-

jeweils geschaute Werk“42 – wie es der His-

losigkeit des Publicums. Dieses trägt über-

toriker Frank-Lothar Kroll 1987 formulierte

haupt vielfach die Schuld, wenn wenig

–, konnte sich auch eine Theorie wie die Hen-

Gutes geleistet wird. Es ist zu träge, um

ry van de Veldes entwickeln, nach der der

den richtigen Weg und den richtigen

Künstler „seine seelischen Empfindungen,

Künstler zu suchen und sich nicht dessen

Stimmungen und Gefühle in ornamentale

bewusst, dass es die Aufgabe hat, genau

Linien“43 projiziere. So heißt es in Henry van

seine Wünsche zu präcisieren. Hätten wir

de Veldes Essay Die Linie:

ein gut geschultes Publicum, dessen Auge klar unterscheiden würde zwischen gut

„Linien – übertragene Gebärden – offen-

und schlecht, welches nicht auf Artikel

kundige psychische Äußerungen, deren

und Hörensagen angewiesen wäre, wenn

Primitivität die Nuancen beschränkte. So

es seine Bestellungen macht, welches mit

erkennen wir in der ersten Linie aus-

Bewusstsein den Comfort verlangen und

schließlich Äußerungen von Lebenskraft

jeden unnützen Tand verwerfen würde,

und Erregung, kindlicher Freude, rück-

dann hätten wir bald nichts Schlechtes

haltloser Lust. […] Die Linie ist etwas Ab-

mehr zu sehen, denn es fehlt den meisten

straktes, das sich aus dem Vergleich mit

Entwurfskünstlern nicht so sehr an Ta-

den gesamten Dokumenten, die Nationen

lent, als an Charakter und an dem ­nötigen

und Epochen hinterlassen haben, heraus-

Halt. Ich verstehe darunter die Nachgie-

bilden wird, und diese Linie, die wir dann

bigkeit gegenüber seinen und seines Be-

nach jener Nation und jener Epoche der

stellers Launen und falschen Empfindun-

Geschichte benennen, wird uns ebenso

gen, das Stimmungmachen in Räumen des

zuverlässige Auskunft über die Gefühle

täglichen Lebens und das falsche Pathos

und Charaktere, über die ganze Psycho-

dort, wo wir nach Natürlichkeit lechzen

logie dieser Rassen und Zivilisationen ge-

sollten. […] Ich glaube, dass ein Haus wie

ben als die Geschichte selbst, die doch

aus einem Guss dastehen sollte und dass

über tausend Forschungsmittel verfügt.“44

uns sein Äußeres auch schon sein I­ nneres verraten müsste. Wohl gebe ich eine Steigerung der Mittel zu, flehe aber um Einheitlichkeit der Räume untereinander.“41 Ein Geflecht aus Charakter, Empfindung und Wirkung von Architektur wird für das Fin de siècle überdeutlich. Nur aus der Überzeugung heraus, der Betrachter lege „seine Empfindungen, Stimmungen und Gefühle in das

41 Hoffmann 1901, S. 202f.

42 Kroll 1987, S. 83. 43 Kroll 1987, S. 116. 44 Velde 1955 (1910), S. 181 und S. 186. Diese Textabschnitte sind in seinem Artikel Die Linie von 1908 nur teilweise enthalten. Der erste Abschnitt zur Linie als „übertragene Gebärde“ findet sich jedoch leicht abgeändert bereits im Artikel von 1908: „Linien – übertragene Gebärden – offenbare psychische Äußerungen, deren Primitivität die Nuancen beschränkte. So erkennen wir in der ersten Linie Freude, rückhaltloser Lust.“ (Velde 1908, S. 1035f.)

355

356

4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung

Henry van de Velde selbst studierte ebenso

keit zu dem Titel des erst 1911 erschienenen

wie Hoffmann und Loos sowohl die Schrif-

Essays Vom Stehen, Gehen, Sitzen, Schlafen,

ten Alois Riegls, Theodor Lipps’ als auch Wil-

Essen und Trinken von Adolf Loos. Loos

helm Worringers.

Sowohl Hoffmann als

wandte sich dessen ungeachtet öffentlich

auch Loos bezogen eine konträre Stellung

gegen Henry van de Velde. Er schreibt 1908

zu Henry van de Veldes Arbeit, obwohl sich

in seinem Artikel Die Überflüssigen „Eine

eine bemerkenswerte Parallele zwischen dem

gemeinsame Kultur und es gibt eine solche

schriftstellerischen Werk van de Veldes und

– schafft gemeinsame Formen. Und die For-

Loos’ beobachten lässt. So heißt es bei Hen-

men der Möbel von Van de Velde weichen

ry van de Velde in seiner Publikation Vom

ganz erheblich von den Möbeln Joseph Hoff-

neuen Stil von 1907: „Der moderne Mensch

manns ab. Für welche Kultur sollte sich nun

wäscht, badet, kleidet und wärmt sich anders

der Deutsche entscheiden? Für die Kultur

als der prämoderne Mensch; er liest, arbei-

Hoffmanns oder Van de Veldes?“ oder in

tet, geht und reist anders und sucht sich auf

seiner Erwiderung An den Ulk von 1910 im

andere Art zu zerstreuen.“ Diese Äußerung

Zusammenhang von Ornament und Verbre-

zeigt zumindest eine verblüffende Ähnlich-

chen: „Lieber Ulk! Und ich sage dir, es wird

45

46

die Zeit kommen, in der die Einrichtung 45

46

Vergleiche dazu Frampton 2010, S. 90–93, Fischer 2008, S. 106f., Winter 1988, S. 103 und S. 118f. Leider gibt keiner der Autoren direkte Verweise auf überlieferte Äußerungen van de Veldes. Ein endgültiger Beweis einer direkten Beeinflussung van de Veldes durch die Einfühlungstheorie Lipps ist damit zwar nicht erbracht, weiterhin lässt jedoch das relativ späte Erscheinungsdatum von 1908 beziehungsweise 1910 seines Essays Die Linie eine Beeinflussung van de Veldes durch die Theorien Lipps äußerst wahrscheinlich erscheinen. Van de Velde äußerte sich in seiner Biografie zu Lipps wie folgt: „C’est aux ouvrages de Boetticher, de Schopenhauer et de Fechner, aux écrits sur l’esthétique de Theodor Lipps en Allemagne et de Paul Souriau en France, que devait puiser celui qui voulait écrire sur l’esthétique de notre temps, délaissant, comme je le fis, les innombrables écrivains dont les ratiocinations stériles ont contribué à augmenter la confusion.“ Und „Des années durant, je poursuivis les études et les recherches sur tout ce qui n’avait pas encore été révélé de la ligne et de ‚ornement linéaire et organique. Ce domaine, l’éminent esthéticien Thédore Lipps et moi, nous l’explorions parallèlement sans qu’aucun contact personnel ne se soit établi entre nous deux.“ (Velde 1995, S. 280 und S. 446.) Vergleiche zur Entwicklungsgeschichte des Essays oder Vortrags Die Linie von Henry van de Velde Hodonyi 2010, S. 79f. Zitiert nach Hodonyi 2010, S. 81.

einer Zelle vom Hoftapezierer Schulze oder Professor Van de Velde als Strafverschärfung gelten wird.“47 Wie sehr jene Aussagen von Rhetorik geprägt sind, wird offensichtlich, wenn man Loos’ Inszenierung als Außenseiter mit in Betracht zieht. Demnach will er sich ja von der ‚Kultur‘ Hoffmanns und van de Veldes absetzen. Daher definiert er seine ‚Kultur‘ auch als eine traditionsgebundene. Trotz seiner evolutionistischen Methode kopiert er nicht etwa vorherige Bauten. Loos erlaubt sich seiner Zeit angepasste Modifikationen und entwickelt, seinen eigenen rhetorischen Anfeindungen entsprechend, eine dritte ‚Kultur‘. Zwischen dieser und der seiner Ansicht nach als von ihm abgekupferten ‚Kultur‘ Hoffmanns, van de Veldes und Olbrichs sollten sich seine Zeitgenossen entscheiden.

47 Loos 2010 (1908.1), S. 349 und Loos 2010 (1910.1), S. 374 und Loos 2010 (1907), S. 343f.

4.2. Henry van de Velde und die Emotionalisierung von Linien

Zu Hoffmanns Reaktion auf einen Entwurf

tektur wirken konnte, zeigt das bekannte Bei-

van de Veldes hat sich hingegen ein Brief im

spiel des Entwurfs einer Villa für Josephine

Archiv der Wiener Secession erhalten. Hoff-

Baker. Von der Assoziation der Streifen mit

mann bewertet die Zeichnung mit ihren

den ethnischen Wurzeln der exotischen Tän-

„unerhört festlichen Linien“ letztendlich als

zerin, die Ludwig Münz und Gustav Künstler

„verfehlt“ und der Entwerfer habe „keine

formulierten, bis hin zur Charakterisierung

Ahnung von Construction“. Schließlich ist

der Fassade durch Benedetto Gravagnuolo

Hoffmann der Ansicht, diese Skizze sei ein

als „gay“ beziehungsweise „refined and seduc-

Beispiel für die bereits überwundene „Zeit

tive“, entsprechen die Interpretationen fast

der falschen Curven“.48 Man kann jedoch

immer einer sexuellen Lesart.51 Mary McLe-

davon ausgehen, dass Hoffmann und Loos

od erklärt jene Wirkung überwiegend darü-

sich über den Theoriehintergrund van de

ber, dass für Adolf Loos die weibliche Beklei-

­Veldes im Klaren waren und jene Gegen­

dung nicht mit der männlichen gleichzusetzen

haltung der beiden zu Henry van de Velde

war.52 Aber dies hieße, dass die Fassade

vielleicht auch daraus resultierte, dass sie

bereits etwas über die Bewohnerin des Hau-

andere Schlüsse aus dem gleichen Hinter-

ses offenbaren oder sie zumindest als Frau

grund zogen.

identifizieren würde und die Idee einer neu-

Laut Astrid Kury war die „psychologische

tralisierenden Maske an diesem Gebäude

Deutung des Ornaments als ‚unmittelbarer

nicht greifen könne. Beatriz Colomina fasst

Ausdruck psychischer Stimmungswerte“ zum

daher die Fassade der Villa als „tattooed sur-

Ende des 19. Jahrhunderts „allgemein ver-

face“.53 Jene würde weder das Innere verber-

breitet“.49 Dies gilt auch für den Wiener Kul-

gen noch es kaschieren. Weiter heißt es dazu

turkreis: Von „Empfindungslinien“ hatte

bei Colomina:

1904 auch Ludwig Hevesi im Rahmen einer Kritik zur Munch-Ausstellung der Wiener

This fetishization of the surface is repea-

Secession gesprochen. Hevesi stärkte hier

ted in the ‚interior‘. In the passages, the

für Munchs Gemälde die Interpretation von

visitors consume Baker’s Body as a surfa-

Farben und Linien als Indikatoren für Emp-

ce adhering to the windows. Like the

findungen. Munch propagierte sogar eine

body, the house is all surface; it does not

vom Künstler intendierte Übertragung von

simply have an interior.“54

Weltsicht oder eine Evozierung von „Gedanken und Stimmungen“ im Betrachter, die der Wahrnehmung des Künstlers entspreche.50 Wie emotional aufgeladen die horizontal verlaufende Linie auch bei Adolf Loos’ Archi-

48

Zitiert nach Sekler ²1986, S. 37. Siehe dazu auch Forsthuber 1991, S. 52. 49 Kury 2000, S. 336. 50 Kury 2000, S. 262 und S. 333–340.

51

Vergleiche dazu McLeod 1996, S. 67-69. Charlotte Kreuzmayer formuliert sogar die etwas befremdend vereinfachte Spekulation: „Ein lustiges Haus, mit vielen schwarzen waagrechten Balken auf weißem Grund. Vielleicht wollte Loos damit die Beliebtheit der schwarzen Tänzerin bei den ,Weißen‘ ausdrücken.” (Kreuzmayer 1985, S. 4.) 52 McLeod 1996, S. 60–64. 53 Colomina 1994, S. 281. 54 Colomina 1994, S. 281.

357

358

4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung

Mark Wigley schreibt weiterhin zum Verhält-

innen, wie es programmatisch für die

nis des weiblichen Ornaments bei Loos:

Loos’schen Villen proklamiert wird, wäre in diesem Fall ebenso wie beim Haus am

„For Loos, ornament is the mark of servi-

Michae­lerplatz nicht mehr gegeben gewesen.

tude. The woman uses ornament to make

Loos greift demnach die öffentliche Maske

the man a slave. After all, when ornament

der Josephine Baker in seinem Fassadenent-

is identified with crime in the notorious

wurf mittels der Form der schwarz-weißen

essay. The crime is explicitly sexual, or,

Streifen beziehungsweise Linien auf.

rather is sexuality itself.”55

Warum aber findet sich dann das sexuell konnotierte Streifen-Motiv bei einem Entwurf

Demnach darf die Fassade einer Villa für eine

für das Haus am Michaelerplatz und bei Loos’

Frau, deren Bild in der Öffentlichkeit von

Wettbewerbsbeitrag für das Kriegsministeri-

Verführung und Exotik geprägt ist, ein dem-

um wieder? Bei genauerem Betrachten

entsprechendes Image verkörpern.56 Hier ist

erkennt man, dass es sich eben nicht um exakt

bewusst das Wort Image verwandt, da es gera-

das gleiche Streifen-Motiv handelt. Wie

de nicht mit einem offen gelegten Persönlich-

gezeigt wurde, handelt es sich bei den Strei-

keitsbild in Verbindung zu setzten ist, son-

fen am Loos-Haus um Mäander-Ornament-

dern vielmehr als die Inszenierung einer

bänder, die im Sinne einer aus der Antike

öffentlichen Person und nicht eines privaten

überlieferten Form zu verstehen sind, die Loos

Menschen zu verstehen ist. Laut einer Aus-

nicht mehr zu verbessern erachtete und damit

sage von Loos plante Josephine Baker Shows

auf ihrer höchsten Entwicklungsstufe akzep-

um den Swimmingpool als zentralen Ort der

tierte. Für das Haus am Michaelerplatz erklärt

Inszenierung. Dieses Vorhaben erklärt, wie

sich demnach die angedachte Verwendung

sehr sich in den Räumlichkeiten ihrer Pariser

des Mäanders ebenso wie die realisierte Plat-

Villa Öffentliches und Privates vermischt hät-

zierung von Säulen an der Fassade: nämlich

ten. Eine klare Trennung von außen nach

als Demonstration seines evolutionären Archi-

57

58

tekturverständnisses. Im Falle der Streifen 55 Wigley 1996, S. 189. Vergleiche dazu in Bezug auf das In-Beziehung-Setzen von Ornament und Sexualität bei Adolf Loos Erdheim 1985, S. 230– 240. 56 Dem entgegengesetzt inszenierte Loos seine erste Frau in seiner Wohnung, die er 1903 einrichtete, im Schlafzimmer durch eine „offene Sinnlichkeit“, die sich durch die weißen Verhänge und den weißen Bettüberwurf aus Kaninchenfell sensorisch vermittelte. Jene Sinnlichkeit wurde jedoch auf das Schlafzimmer begrenzt und ihr räumlich vorgeschaltet lag das Wohnzimmer, das sich durch seinen ‚Konservatismus‘ auszeichnete. (Vergleiche dazu Schorske 1985, S. 55f.) 57 Gernot Böhme bezeichnet das Image einer Person als „Inszenierungswert“. (Böhme 2001, S. 121) 58 Roth 1973, S. 201.

am Kriegsministerium handelt es sich um eine Farbgebung, die mit einer National-Symbolik verbunden ist.59 Sie überziehen das Kriegsministerium mit einer sinnbildlichen Schicht seiner staatsamtlichen Funktion. Hier findet sich die Gemeinsamkeit zur Villa für Josephine Baker. In beiden Fällen umkleidet Loos die Fassade mit einem öffentlichen Image der Staats- oder Vergnügungs-‚Institution‘, die in dem Gebäude ansässig werden sollte. 59

Münz 1989, S. 21. Siehe auch diese Arbeit auf S. 286f. und 343f.

4.3. Joseph Maria Olbrich: Kontrastierung durch affektreiche Inszenierungen

Dies zeigt bereits, wie vielschichtig die

te zur Assoziation mit einem Tempel.62

Positionen der Architekten um 1900 waren.

Olbrich verwendet im Sinne einer klar les-

Die sowohl theoretischen als auch werkim-

baren Ikonografie Symbole wie den Lorbeer-

manent verhandelten Positionen der Künst-

baum, die Lorbeerkuppel, Eulen, Gorgo-

ler lassen sich letztendlich nicht in ein

nen-Masken und die goldenen Inschriften

schwarz-weißes Raster von gegensätzlichen

(Der Zeit ihre Kunst; Der Kunst ihre Freiheit

Lagern aufteilen. Das Ideal einer vor­bild­

und Ver Sacrum) an den Fassaden. Genau

lichen Verbindung von Auftraggeber, Archi-

auf diese Form der Ornamentik bei Olbrich

tekt und dabei entstehender Baukunst soll

ist Astrid Kurys Aussage zurückzuführen,

deshalb als nächstes unter Einbeziehung

dass die „Wiener Secessionskünstler […] die

des Schaffens eines weiteren Wiener Seces-

Ornamentik der symbolischen Überhöhung

sionisten konkretisiert werden. Joseph

dienstbar [machten; LT] und […] deshalb viel

Maria Olbrich ist als Architekt des Wiener

mehr auf assoziative Stimmungswerte als auf

­Secessionsgebäudes, künstlerischer Leiter

eine ‚innerlich notwendige’ Einfühlung [bau-

der Künstlerkolonie Mathildenhöhe in

ten; LT]“.63 Dies gilt jedoch eindeutig nicht

Darmstadt und als ein weiterer ‚Gegner‘

für die Stimmungsgenerierung des Sanatori-

Adolf

ums Purkersdorf, die auf der Theorie der Ein-

Loos’

prädestiniert

für

dieses

­Vorhaben.

fühlung basiert. Jene Formen des Ornaments sind weder bei den Bauwerken Loos’, aber

4.3. Joseph Maria Olbrich: Kontrastierung durch affektreiche Inszenierungen

eben auch nicht beim Sanatorium Purkersdorf Hoffmanns aufzufinden. Auch Peter Gorsen betont das unterschiedliche Formen-

Hermann Bahr, der für sein Wohnhaus

verständnis bei Hoffmann und Olbrich, wenn

Joseph Maria Olbrich als Architekt beauf-

er zusammenfasst, dass „für Hoffmann,

tragte, betonte die enge Verbindung von

anders noch als beim frühen ornamental ver-

Besitzer und Haus und die nötige Vermitt-

spielten Olbrich und den selbstherrlichen

lung der eigenen Persönlichkeit an den Archi-

Stilkünstlern um 1900, die Befragung eines

tekten. Er spricht davon, dass der Architekt

Grundrisses und selbst einer Ornament- und

„die Gebärde seines Wesens zu finden“ habe

Schmuckform nach ihrer Gebrauchsfunkti-

und erträumte sich ein Haus, in dem sich in

on für den Auftraggeber oder Benutzer selbst-

jeder „Linie“ und in jedem „Gegenstand“

verständlich“64 war. Ebenso betont er, dass

seine „Seele“ spiegele.60 Der steingewordene

Loos zumindest partiell mit Unrecht bei sei-

Erziehungston wiederum ist das Secessions-

nen Vorwürfen gegen das „secessionistische

gebäude von Joseph Maria Olbrich. Es wird

Ornament“ Hoffmann ohne Differenzierung

auch gerne als Tempel der Kunst bezeichnet.61 Schon seine äußere Erscheinung führ62 60 Schorske 1985, S. 52. 61 Vergleiche dazu Le Rider 1985, S. 248–250.

Vergleiche dazu Achleitner 2003, S. 10 und Kapfinger 2003, S. 35–60. 63 Kury 2000, S. 337. 64 Gorsen 1985, S. 77.

359

360

4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung

mit einschloss.65 Nur beim Palais Stoclet fin-

“If the Secession building was ‘true’ in (in

det sich das ein oder andere skulpturale Ele-

part) a Romantic sense, volubly proclai-

ment an der Außengestaltung des Gebäudes,

ming symbolic values and deliberately

das eine symbolische Aufladung vermuten

working on the emotions, the Purkersdorf

lässt. Wobei jene Skulpturen vielmehr auf

Sanatorium was presented as a neutral,

die Sammlungstätigkeit der Hausbewohner

rational machine. But the ‘scientific’ ba-

verweisen, als dass sie ein klares, symboli-

sis of the building was also an image, per-

sches Programm artikulierten.

haps used as psychological propaganda

Olbrich betont die Erbauung des Secessi-

to convince patients of the empirical va-

ons-Gebäudes als eine für ihn künstlerische

lidity of a type of psychiatry whose status

„Geburt“. Er nennt das Secessionsgebäude

as science was coming into doubt. The

sogar „mein Haus“, in das er seine eigenen

Purkersdorf Sanatorium shows the cont-

„Empfindungen“ einfließen lassen wollte.

66

radictions of an architecture meant not

Olbrich stellt sich und sein Künstlertum in

only to serve science in specific ways but

den Mittelpunkt einer intuitiven Findung des

also to look scientific and fact-based.”68

Secessionsgebäudes und formuliert sein subjektives Empfinden damit zum Movens der

Weder Loos noch Hoffmann identifizieren

resultierenden Architektur.67 Des Weiteren

ihre Gebäude wie Olbrich direkt mit ihrem

spitzt Olbrich jene Subjektivierung von

eigenen, innersten Künstlertum. Sie setzen

Architektur zu Kunst noch weiter zu, wenn

sich vielmehr das Ziel, eine für die jeweilige

er über dem Eingang des Ernst Ludwig-Hau-

Bauaufgabe geeignete und überzeugende

ses auf der Darmstädter Künstlerkolonie

Form zu finden. Auch wenn sich jeweils eine

Mathildenhöhe die Inschrift platziert: „SEI-

spezifische Kulturauffassung in ihren Archi-

NE WELT ZEIGE DER KÜNSTLER – DIE

tekturen mitteilt, so kann man doch nicht

NIEMALS WAR NOCH NIEMALS SEIN

davon sprechen, es blicke einem die emotio­

WIRD“. Und genau in jener Art der Insze-

nale Künstlerverfasstheit Loos’ und Hoff-

nierung des Künstlergenies mittels der eige-

manns von den Fassaden ihrer Gebäude aus

nen Architektur folgen ihm weder Loos noch

entgegen. Während das Secessionsgebäude

Hoffmann in ihren jeweiligen intendierten

seinen Besucher über einen Lorbeerhain in

Images. So sieht auch Leslie Topp in ihrer

das Gebäudeinnere hineinleitet und ihn im

Untersuchung zu den verschiedenen Wahr-

Bereich des Eingangs sogar sprichwörtlich

heits-Manifestationen der Wiener Moderne

verschluckt, gehen die Bauten Hoffmanns

einen deutlichen Unterschied zwischen

und Loos’ rationaler vor. Shapira bezeichnet

Secessionsgebäude und Sanatorium Purkers-

demnach sowohl die Fassade des Sanatori-

dorf gegeben:

ums Purkersdorf als auch die des Loos-Hauses als „unisex outfit[s]“.69 Beide Bauwerke bieten dem ‚Ich‘ in Form von verschiedenen

65 Gorsen 1985, S. 87f. 66 Vergleiche dazu Shapira 2004, S. 132–160. 67 Vergleiche dazu Topp 2004, S. 50–56 und S. 62.

68 Topp 2004, S. 95. 69 Shapira 2004, S. 340.

4.3. Joseph Maria Olbrich: Kontrastierung durch affektreiche Inszenierungen

Strategien einen festen oder neutralen Halt,

Secessionsgebäude vermittelt vielmehr einen

indem sie dem Subjekt differenzierte Wahr-

massiven und ruhenden Eindruck, der noch

nehmungs- und Orientierungsmöglichkeiten

durch die tiefe Einkerbung des Eingangs und

anbieten, während sich das Olbrich’sche

die Pylonen der Kuppel verstärkt wird.72 Für

Gebäude seine Besucher – seinen Bildungs-

die planimetrischen Ausformungen des

auftrag veranschaulichend – regelrecht

Secessionsgebäudes

­einverleibt.

Kapfinger keine Interpretation hin zur

unterstützt

Otto

Das äußere Bekleiden des Secessionsge-

„sachlichen Nüchternheit“, sondern versteht

bäudes funktioniert aber auf eine abweichen-

sie als einen „Ausdruck von Reinheit und

de Art und Weise zu den hier zuvor bespro-

Erhabenheit“.73

chenen Architekturen. An der Hauptfront

­teil­weise auch eingekerbten weißen Schich-

legt sich zum Beispiel über die Schicht, auf

ten stellen demnach eine Pathosformel dar

der die Lorbeerbäume appliziert sind, eine

und sprechen damit eine vollkommen ande-

weitere weiße Wandschicht, die über einzel-

re Architektursprache als das Sanatorium

ne, waagrecht verlaufende Kanneluren von

Purkersdorf oder das Haus am Michaeler-

der darunter liegenden Schicht abgesetzt

platz. Während Olbrichs Fassaden am Seces-

wird. Diese aufgesetzte Struktur, die an eine

sionsgebäude eine intuitiv zu erschließende,

Leinwand erinnert, bildet links vom Eingang

eindeutige und fast schwelgerische Emotio-

den Grund der Inschrift Ver Sacrum, wäh-

nalität vermitteln, erklären sich die Fassaden

rend sie rechts leer verbleibt. Dieses Bild der

Hoffmanns und Loos’ in ihrer Tiefe erst mit-

Schichtung stärkend vergleicht Elana ­Shapira

tels eines Horizonts von soziologischen,

die Dekorationen der Secession mit Spitze,

­psychologischen und wahrnehmungs-psycho-

die ein fester Bestandteil der weiblichen

logischen Theorien.

Die

aufgesetzten

und

­Garderobe um 1900 war.70 Das Aufstocken

Festzuhalten ist für das Sanatorium Purk-

oder Staffeln von einzelnen Wandschichten

ersdorf und für das Haus am Michaelerplatz,

oder Membranen ist aber nicht mit der Redu-

dass beide auch im Inneren keine Privatheit

zierung einer Tektonik – wie sie Hoffmann

inszenieren. Es handelt sich eben um einge-

am Sanatorium Purkersdorf und am Palais

schränkt öffentliche Räumlichkeiten. Auch

Stoclet verwirklicht – zu vergleichen.

wenn Loos im Haus am Michaelerplatz durch

71

Das

Über-Eck-Führungen und Vermeidung von Blickachsen versucht, Intimität zu schaffen, 70 Shapira 2004, S. 154. 71 Es befindet sich ein Entwurf eines Terrassenhauses in Hanglage von Adolf Loos im Archiv der Albertina. Die jeweiligen Frontalansichten erinnern auf frappierende Weise an das Sanatorium Purkersdorf und seinen atektonischen Wandaufbau. Das Blatt ist leider nicht mit einem Datum versehen, doch gilt das Haus Scheu von 1912/1913 als das erste Terrassenhaus Loos’ und lässt sich vermutlich daher frühestens auf diesen Zeitraum datieren. Das Blatt ist unter der Inventarnummer A.L.A.141v gelistet.

bricht er diese wieder mit Spiegeln zugunsten der Überschaubarkeit für die Angestellten und Geschäftsführer der Firma Goldman & Salatsch. Beide Gebäude staffeln die Räumlichkeiten in verschiedene Ebenen der Zugänglichkeit: von der Empfangshalle über 72 Vergleiche dazu Szeless 2003, S. 21–23. 73 Kapfinger 2003, S. 47.

361

362

4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung

Beratungs- oder Behandlungsräume bis hin

betont Bie die behagliche Funktion von an

zur Umkleidekabine oder dem Patientenzim-

die Wand gerückten Sofas und englischen

mer. Das Verhältnis der privaten Inneninsze-

Kaminsitzen. Sie seien „Ruhestätten“, die

nierung wurde bereits weiter oben expliziter

sich mit ihrer am Rand platzierten Position

an den Beispielen Villa Karma und Palais

als beständig erwiesen und dem entgegenge-

Stoclet erarbeitet. Im Artikel Die Wand und

setzt verliere alles zur Raummitte hin Posi-

ihre künstlerische Behandlung des Publizis-

tionierte an Beständigkeit. Jene Beständig-

ten Oscar Bie aus dem Jahr 1904 heißt es zur

keit verknüpft Bie mit der Erinnerung des

Wandbehandlung74 im Innenraum bei Hoff-

Bewohners an gesellige Momente und sieht

mann:

dadurch eine emotionale Bindung an die „wandlastigen“ Gegenstände als Resultat.77

„Bald missverständlich verzerrt, bald

Ähnlich argumentiert später Werner Hof-

schlicht und natürlich bauen sich die Hin-

mann bei der Wandbehandlung der Einrich-

tergründe der Wände auf: Mackintosh, der

tungen Adolf Loos’, wenn er seine These

Schotte bildet sie als traumhaft farbige Ly-

untermauert, Loos verkette die drei „Kate-

rik in weissem Holz, Email, Silber und

gorien – Rahmen, Füllen und Verknüpfen“78

launischen Schlinglinien; Josef Hoffmann,

– miteinander:

der Wiener, als letzte und feinste Kultur europäischen Wohnens, rationalistisch in

„Das Füllen einer Wand mit fest installier-

der Regie der Paneelein- und ausbauten

tem Mobiliar integriert die mobilen Ele-

und dennoch von damenhaft eleganten

mente in die immobile Struktur des Bau-

Reizen. Das ist die moderne einheitliche

werks, dessen Bestandteil sie werden. Die

Anschauung der Wand, die auf der gan-

Wände verlieren dadurch ihre schachte-

zen Linie von den festen Bauten über die

lähnliche Nacktheit; sie werden mit Ener-

improvisierten Möbelsilhouetten bis zur

gien aufgeladen, die in den Raum hinein-

vollen Neutralität nur das eine Gesetz dar-

reichen und Verbindungen und Trennungen

stellt: die Wand ist der Hintergrund für

schaffen. Auf diese Weise verliert die Wand

den Ausdruck persönlicher Charakteris-

ihre passive, statische Flachheit und wird

tik des Bewohners.“

ein Zusammenhang stiftender Mittler. Ein

75

so gestalteter Raum ist keine isolierte Der Artikel wird von Bie unter anderem mit

Ganzheit mehr, sondern eine Reihe von

einer Fotografie des Herrenzimmers der

untereinander in Wechselwirkung stehen-

Hoffmann’schen Villa Spitzer auf der Hohen

den Räumen. Die Mobilität infiltriert die

Warte in Wien illustriert.

Immobilität und lockert deren Festgefügt-

76

Des Weiteren

heit, gleichzeitig jedoch sorgen diese ÜberDas Wort Wand entwickelt sich etymologisch aus dem gleichen Wortstamm wie der Ausdruck Gewand. Dies betont gerade Gottfried Semper. (Vergleiche dazu Harather 1995, S. 11.) 75 Bie 1904, S. 108f. 76 Bie 1904, S. 103 und S. 116. 74

gänge dafür, daß die Anatomie des Ganzen eine Einheit bildet – das beste Beispiel 77 Bie 1904, S. 103f. 78 Hofmann 2001, S. 285.

4.3. Joseph Maria Olbrich: Kontrastierung durch affektreiche Inszenierungen

dafür sind die subtilen Wechselwirkungen

„Loos hat nämlich ein Geheimnis, das er

und wechselseitigen Durchdringungen, die

in seinen Theorien nicht ausspricht, weil

zwischen den von Loos entworfenen Räu-

es sich nicht aussprechen läßt. Vielleicht

men und Treppen, Treppenhäusern und

ist es – die Komposition. Beim Zusam-

Eingangshallen bestehen. Diese Wechsel-

menstoß der Materialien, die sich einem

beziehungen erinnern an das Kreuz und

Zweckgedanken unterordnen müssen,

die körperliche Beziehung, die es enthält.

sind Logik und Ökonomie doch nur die-

Man könnte sagen, ohne damit gleich in

nende Kräfte, aber die Bewältigung des

die Psychoanalyse abschweifen zu wollen,

Problems erfordert eine neue, höhere Sou-

daß Loos seine Gebäude als Variationen

veränität, mit einem Wort: Künstlerschaft.

und Sublimierungen der Paarung von

Und Loos ist ein produktiver Künstler.“82

Mann und Frau begriff.“79 Wenn überhaupt, ist Loos vielleicht ein VerEduard Führ betont für die Interpretation

fechter von ästhetischer Anti-Obsoleszenz.

des Ornamentbegriffs bei Loos deutlich, dass

Jörg H. Gleiter erkennt bemerkenswerter-

die Ansätze der 1960er-Jahre mit ihrer Ein-

weise in Loos’ Ornamenttheorie nicht nur

ordnung in den Funktionalismus und die

eine Anknüpfung an Owen Jones Assoziati-

angebliche Beflissenheit Loos’ nach Ökono-

on des Ornaments mit dem Tätowieren als

mie zu einseitig gedacht waren. Auch wenn

kulturelle Schmuckform,83 sondern sieht wei-

Loos der Ansicht war, Gegenstände dürften

terhin eine Erweiterung um die Theorien der

nicht durch ihre modische Gestaltung früher

Triebsublimierung Freuds gegeben.84 Daher

in ihrem Wert verfallen als sie de facto mate-

lässt sich hier sowohl für die Fassaden der

riell hielten, kann man Loos dennoch nicht

Villa Karma als auch für die des Hauses am

als einen Gegner der ökonomischen, funkti-

Michaelerplatz übertragend schließen, dass

onellen Obsoleszenz und einen Befürworter

die Methode der Maske eine angewandte

der Nachhaltigkeit definieren. Offensichtlich

Triebsublimierung ist. So wird die Maske

wird, dass Loos nicht etwa direkt ein Gegner

aber gerade von den Secessionisten um 1900

künstlicher Reduzierung der Lebensdauer

mit ihren sexuellen Konnotationen in Szene

von Gegenständen im Allgemeinen war, son-

gesetzt. Man denke an die Gorgonen-Mas-

dern es ihm primär darum ging, eine Ästhe-

ken am Portal des Secessionsgebäudes von

tik zu schaffen, die zumindest nicht auch

Joseph Maria Olbrich oder an die kontras-

noch die Lebensdauer eines Gegenstandes

tierende Darstellung der Nuda Veritas von

verringert. Robert Scheu fasst zusammen:

Gustav Klimt von 1899, die als nackte Wahr-

80

81

heit dem Betrachter einen Spiegel vorhält.85

79 Hofmann 2001, S. 290f. 80 Führ 2001, S. 314f. 81 „Die Form eines Gegenstandes halte so lange, das heißt, sie sei uns so lange erträglich, so lange der Gegenstand hält.“ (Loos 2010 (1908.2), S. 369.)

82 Scheu 1985 (1909), S. 32. 83 Vergleiche dazu Peplow 1996, S. 179f. 84 Gleiter 2002, S. 54f. Vergleiche dazu Haiko und Reissberger 1985, S. 110–118 und Pfabigan 1991, S. 63. 85 Moravánszky 2008.2, S. 62f.

363

364

4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung

Vielmehr durch jene Seherfahrungen geprägt,

„Vornehmheit“ gilt.93 Janet Stewart hebt

betonten die Zeitgenossen daher wohl gera-

Loos’ Verständnis von Kleidung als Maske

de die ‚Nacktheit‘ der Fassade des Hauses

als beeinflusst von Simmel hervor. In diesem

am Michaelerplatz. Peter Haiko und Mara

Zusammenhang definiert sie auch die Maske

Reissberger verfolgen jene zeitgenössische

– sowohl bei Loos als auch bei Simmel – als

Sichtweise weiter, wenn sie die Fassade des

„integral feature of the ideal of Vornehm-

Loos-Hauses als „Fleischwerdung, der noch

heit“.94 Beau Brummell vertritt auch ein „Ele-

unschuldigen, vor-adoleszenten Nacktheit“

gantia-Ideal“, das sich durch die „individu-

erklären.87 Die Zeitgenossen nahmen die Fas-

elle Note“ im „bedeckten Anzug“ auszeichnet

sade „metonymisch“ wahr und Gleiter zieht

und nicht etwa durch Prachtentfaltung.95 Der

sogar das Fazit einer „missglückten Verdrän-

Dandy verkörpert eine „Geistes- und Lebens-

gung“.88 Die weiße, glatte Fläche sollte eben

haltung, die sich gegen die Herrschaft bour-

nicht primär „Nacktheit“ vermitteln, sondern

geoiser Gesellschaftsstrukturen richtet, sich

eher eine „Blasiertheit“, an der man als

stolz einem Leben im Zeichen von Utilita-

Betrachter des Hauses mit seiner Wahrneh-

rismus und Zweckrationalität widersetzt“,

mung abprallt.89 Die weiße obere Fassade

und gleichzeitig unterscheidet sich der Dan-

des Hauses ist in ihrer Einfachheit demnach

dy von der vorherigen aristokratischen Ober-

schweigsam. Sie ist eine von Wörtern leer-

schicht durch seine „unauffällige Eleganz“.96

gefegte asketische Tafel – eine Tabula rasa.

90

Janet Stewart betont in diesem Zusammen-

Jenes Abprallen oder Wortlose der Fassade

hang nicht nur Loos’ Orientierung an der

vermittelt dem modernen Menschen die Rol-

englischen Kultur:

86

le des Dandys. Eine Figur, die par excellence für den anonymen Stadtbewohner steht, da

“The implications of his critique are spel-

der Dandy sich auch durch eine „permanen-

led out in ‚In praise of the present’, in

te Affektregulierung“ auszeichnet. Der Dan-

which Loos delineates the essential diffe-

dy ist vor allem aber auch eine Gestalt aus

rence between the Germans and the Eng-

der Aristokratie oder Aristokratie des Geis-

lish; English culture may appear to be ho-

tes92, die Loos als Vorbild und Modell an

mogeneous but it masks a nation of

91

individuals, while the apparent heteroge86 Gleiter 2002, S. 59. 87 Haiko und Reissberger 1985, S. 117f. 88 Gleiter 2002, S. 61f. 89 Gleiter 2002, S. 51f. 90 Vergleiche zum Begriff der „Einfachheit“ und dessen Beeinflussung auf die asketisch sprachliche Haltung bei Loos und Kraus Hodonyi 2010, S. 236– 242. In Bezug auf die asketische Haltung der Loos’schen Fassaden siehe Schorske 1985, S. 56. 91 Gleiter 2002, S. 62 und Hiltrud Gnüg: Dandy, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 1 (2001), S. 821f. 92 Gnüg, Hiltrud: Dandy, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 1 (2001), S. 818.

neity of German culture hides their lack of individuality.”97

93 Vergleiche dazu Stewart 2000, S. 78–89. 94 Stewart 2000, S. 128. 95 Gnüg, Hiltrud: Dandy, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 1 (2001), S. 816f. 96 Gnüg, Hiltrud: Dandy, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 1 (2001), S. 818f. 97 Stewart 2000, S. 60. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.

4.3. Joseph Maria Olbrich: Kontrastierung durch affektreiche Inszenierungen

Liest man weiterhin folgende Beschreibun-

seiner Bauwerke, sondern auch eine von Loos

gen der Figur des Dandys, meint man Adolf

erzählte Anekdote über den Kleidungsstil von

Loos selbst und die Art und Weise wie er

Josef Hoffmann. In seinem Artikel Über Josef

sich der Öffentlichkeit präsentierte, vermit-

Hoffmann von 1931 heißt es:

telt zu bekommen: „Als ich Hoffmann meine erste Wohnung „Der Dandy in seiner Lust, Erstaunen,

zeigte, hat er sich erst europäisch angezo-

Verblüffung, Irritation zu produzieren, be-

gen. Er eilte aus dieser Wohnung sofort

darf der Distanz, der Aura der Undurch-

zu meinem Schneider, warf sein Jackett

schaubarkeit, um aus dem Dunkel seiner

dorthin, wohin seine Kunden seine aus-

undurchdringlichen Psyche seine Überra-

geführten Entwürfe werfen. Das ist unan-

schungsblitze abzuschießen, er entblößt

genehm.“99

sich nicht, genießt es aber, die Blößen anderer mit brillanter Impertinenz, geistvol-

Loos zeichnet seine Einrichtung über 20 Jah-

len Sarkasmen zu entlarven. Der Dandy

re später als Initialzündung für Hoffmanns

erweckt nicht ein homogenes Gefühl, sei

Kleidungsstil und intendiert dadurch, ohne

es reine Sympathie, Abneigung oder

es direkt aussprechen zu müssen, eine

Angst, er löst gemischte Empfindungen

­Neuorientierung im Werk Hoffmanns.100 Klei-

aus; und dieser Heterogenität seiner emo-

dung, über die sich ein Mensch nach außen

tionalen Wirkung korrespondiert im lite-

hin eine Rolle verleiht, wird auch zum Image-

rarischen Bereich eine Ästhetik des Inte-

träger einer Architektur. Sie stellt eine

ressanten, die Choc und Faszination

g anzheitliche Auffassung von Leben als ­

verbindet. […] Der Dandy ist zwar ein ‚so-

Gesamtkunstwerk dar.101 Hoffmann, schreibt

litaire‘, er ist einsam, einzigartig, empfin-

Marianne Hussl-Hörmann, „war stets bestens

det sein Anderssein, aber er unterschei-

gekleidet. Er legte besonderen Wert auf ein

det sich vom Sonderling oder Exzentriker

gepflegtes und elegantes Erscheinen, bevor-

gerade dadurch, daß seine Andersartig-

zugte die Farben Grau, Schwarz und Weiß,

keit der Gesellschaft nicht ins Auge sticht.

alles Bunte hielt er bei Männern für unan-

Der Dandy – so könnte man formulieren

gebracht. Für seine Umgebung war er der

– ist ein Außenseiter, der incognito reist.

Inbegriff eines Gentlemans, immer höflich

Die Gesellschaft betrachtet ihn als einen

und beherrscht. Seine Nervenstärke war

der ihren, während er sich seiner Anders­

geradezu berühmt, er wurde nie laut, aber er

artigkeit bewußt ist.“

wusste mit eisernem Willen seine Vorstellun-

98

gen durchzusetzen oder statt einen KomproWie sehr wiederum jene Form der Selbstinszenierung als Dandy auch auf seine Architektur zu übertragen ist, zeigt nicht nur die Analyse 98

Gnüg, Hiltrud: Dandy, in: Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010, Bd. 1 (2001), S. 820f.

99 Loos 2010 (1931), S. 725f. 100 Vergleiche dazu Rukschcio und Schachel 1982, S. 62f. 101 Zum Zusammenhang des Baudelaire’schen Dandys mit dem Wagner’schen Gesamtkunstwerk vergleiche Merte 1998, S. 45–53.

365

366

4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung

miss anzunehmen einen Auftrag abzuleh-

Jean Floressas des Esseintes dar. Diese lite-

nen.“

Jenes äußere Bild Hoffmanns wird

rarische Figur gilt als ein Beispiel par excel-

ebenso Loos bekannt gewesen sein. Es lässt

lence für eine eskapistische Elitenbildung,

sich vermuten, dass Loos sich gegen einen

die mittels der Flucht des Protagonisten aus

drohenden Vergleich mit Hoffmann bewusst

der Öffentlichkeit vermittelt wird. Des

dafür entschied, ihn als Kopisten rhetorisch

Esseintes gestaltet und zelebriert in einer

zu entlarven. In Loos’ Vorstellung ist die

abgelegenen Villa bei Paris sein eigenes

Kleidung – wie Janet Stewart es formuliert

gewähltes,

– eine „signification which articulates the

­einsames Abarbeiten und gleichzeitiges Auf-

modern structure of feeling“103. Für Loos ist

gehen in der Sortierung und Akkumulation

die männliche Kleidung evident verbunden

von Gegenständen fließt in umfassende

mit der sozialen Rolle ihres Trägers.104 Sie

Raumgestaltungen. Sein Haus nähert sich

ist etwas Zeitloses und weitestgehend unab-

damit dem Konzept des Gesamtkunstwerkes,

hängig von der Mode – sie ist nur einem

wie es für die Architektur der Jahrhundert-

langsamen, evolutionären Prozess unter­ ­

wende prägend werden sollte. So beschreibt

legen.105 Verunglimpft Loos Hoffmann

der Erzähler auch folgende Ansicht seiner

zunächst noch als Modegigerl, wird er nun

Hauptfigur:

102

ästhetizistisches

Exil.

Sein

zum Kopisten herabgesetzt. Loos degradiert seinen ­Kollegen aus dem Verständnis seiner

„Von allen [Farben; LT] zog er Orange vor,

eigenen Kunsttheorie heraus damit in jeg­

solchermaßen durch sein eigenes Beispiel

licher Hinsicht.

die Richtigkeit einer Theorie bestätigend

Bei dem Begriff Dandy schwingt jedoch

[…]: daß nämlich zwischen der sinnlichen

auch eine Vielzahl von Vorstellungen und

Natur eines wahrhaft künstlerischen In-

Imaginationen mit, die den ungenauen Defi-

dividuums und der Farbe, die seine Au-

nitionsraum des Wortgebrauchs aufzeigen.

gen deutlicher und lebhafter sehen, eine

Sowohl Flaneur, Snob, Gentleman als auch

Übereinstimmung besteht.“106

Dandy sind mit je unterschiedlicher Schwerpunktlegung gebräuchlich. In Bezug auf

Die Farbe bietet den Brückenschlag zum

Joseph Maria Olbrich ist interessanterweise

Haus Olbrich auf der Mathildenhöhe (1899–

eine spezifisch französische Erscheinungs-

1901) von Joseph Maria Olbrich. Olbrich

form des Dandys relevant, die sich jedoch

selbst äußerte sich in einem Artikel zur

eklatant vom Dandy Loos’scher Prägung

Künstlerkolonie Mathildenhöhe wie folgt:

unterscheidet. Den Inbegriff dieses Dandy-Typus stellt der Protagonist des Romans

„Zusammen in einer baulichen Einheit,

À rebours von Joris-Karl Huysmans namens

die eigentlich dem Menschen als Umgebung entspräche, mag sich dann Raum an

102 Hussl-Hörmann 2011, S. 30–34. 103 Stewart 2000, S. 104. 104 Stewart 2000, S. 105f. 105 Stewart 2000, S. 107.

Raum reihen, wie Sang an Sang. Da wird

106 Huysmans 2006 (Frz. 1884), S. 50.

4.3. Joseph Maria Olbrich: Kontrastierung durch affektreiche Inszenierungen

es schön, da wird es heiter und ernst

dem, was die Betrachter wahrnahmen. Bei-

­zugleich, da bietet Freude am Schönen

des – sowohl die entsexualisierte, partiell

die Farbe und Form. […] Bis unter das

nicht kommunizierende Maske als auch die

Dach,

sexuell aufgeladene Nacktheit – steht im

das

Ganze

eine

Reihe

von

­Stimmungen.“107

Zusammenhang einer Sublimierungsmethode. Die Ornamentlosigkeit ist demnach bei

Es ist davon auszugehen, dass Olbrich durch

Loos also nicht ökonomisch begründet, son-

die journalistische Berichterstattung Her-

dern als eine Verneinung des Gegenstands

mann Bahrs zu den Werken Huysmans’

als Fetisch zu verstehen. Ebenso verneint der

Kenntnis von der dekadenten Übersteigerung

englische Gentleman die Kleidung als Mode,

der Farbe als Stimmungskonstituente bzw.

da sie sonst zum Fetisch wird. Sie ist ihm

als Ausdruck gehabt hat.108 Diese Kontextu-

eben eine Maske und nicht die nach außen

alisierung der Architektur als Dandy-Archi-

getragene Persönlichkeit.111 Daraus resultiert

tektur, die vor allem über eine Verbindung

für Gleiter bei Loos eine „Maskenhaftigkeit

von Farbe und Raum zu verstehen ist, erklärt

der ornamentlosen Fassade“.112 Dem entge-

auch die Illuminationsfeste der Mathilden-

gen bezeichnet er die vielfach materiell aus-

höhe. Damals stellte das Licht das „Haupt-De-

gekleideten Innenräume bei Loos’ Bauten als

korations-Element“109 in Form von 14.000

„Ausdruck bürgerlicher Individualität und

roten Lampions dar und der vom Verleger

Häuslichkeit“.113 Elana Shapira sieht hinge-

Alexander Koch 1901 herausgegebene Band

gen im Falle des Hauses am Michaelerplatz

Ein Dokument Deutscher Kunst berichtete

eine Übertragung der Maske auch auf das

mit bezeichnenden Worten:

Innere des Hauses gegeben. Diese Beobachtung lässt sich aufgrund der Untersuchungs-

„Wer in den Bann des feurig-roten

erkenntnisse dieser Arbeit ebenso auf einzel-

Licht-Meeres geriet, dem wallten die Sin-

ne Bereiche der Villa Karma erweitern. Loos

ne, und in ‚wunderbarer‘ Stimmung zog

verfolgt zwar eine Trennung von Öffentli-

er dahin durch die roten Licht-Wellen, die

chem und Privatem, diese lässt sich aber nicht

ihn umfluteten.“110

paradigmatisch, wie Gleiter behauptet, auf das Gegensatzpaar von außen und innen

Zu beobachten ist auf Loos’ ‚ornamentbefrei-

reduzieren.114 Ákos Moravánszky sieht in den

ten‘ Fassaden zurückkommend demnach aber

Räumen der Loos’schen Häuser sogar einen

deutlich ein Auseinanderklaffen zwischen

„öffentlichen Charakter als Bühnen für

dem, was Loos zu vermitteln intendierte, und

­Auftritte, für Rollenspiele, als Räume des Erscheinens“ verwirklicht und greift damit

107 Olbrich 1900, S. 368f. 108 Hermann Bahr berichtet beispielsweise in seinem Artikel Die Décadence von Huysmans. Siehe dazu Bahr 2006 (1894.1). 109 Koch 1989 (1901), S. 231. 110 Koch 1989 (1901), S. 235. Hervorhebungen im Text stammen von der Autorin dieser Arbeit.

die dramatische Maske der persona aus dem

111 Siehe dazu Stewart 2000, S. 125. 112 Gleiter 2002, S. 67–70. 113 Gleiter 2002, S. 99. 114 Vergleiche dazu Gleiter 2002, S. 362.

367

368

4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung

griechischen Theater auf.115 Es stellt sich

Hier ist es die Kombination aus patschokier-

jedoch die Frage, ob die Maske nicht ebenso

tem Putz und glatten Fliesen. Auch in der

zu einem fetischisierenden Ideal im Werk von

Ausstellung zu Klingers Beethoven-Skulptur

Adolf Loos wird? Loos schreibt bereits 1898:

in der Secession versah Hoffmann den Raum,

„Was will denn der Architekt eigentlich? Er

in dem der Beethovenfries von Klimt, der

will mit Hilfe der Materialien Gefühle im

sich auch durch seine Vereinigung von aske-

Menschen erzeugen, die eigentlich diesen

tischen oder bescheidenen und edlen Mate-

Materialien noch nicht innewohnen.“

1910

rialien auszeichnete, positioniert war, mit

führt er jene Aussage in seinem Artikel Wie-

einem Rauputz. Jenes Spiel aus rau und glatt,

ner Architekturfragen weiter aus: „Der Kalk-

preisgünstig und kostbar oder leicht verfüg-

verputz ist eine Haut.“

116

Die Materialästhe-

bar und selten erzeugt Spannungen und Stim-

tik des schlichten Putzes wird damit an sich

mungen. Daher erklärt sich auch, warum Die-

schon zu einem Fetisch. Dies ergänzend

trich Worbs im Materialmix zusammen mit

schreibt Loos auch zur Kleidung:

den Architekturzitaten des Hauses am

117

Michaelerplatz eine „Stimmungshaftigkeit“ „Der gesunde Mensch empfindet jede Klei-

und einen „Manierismus“ gegeben sieht.119

dung als Erotikon. […] Jeder Körper kann

Ebenso wird aber auch verständlich, warum

mit einem anderen bekleidet werden. Der

Johannes Spalt die Wertschätzung Loos’ für

neue bekleidete Körper kann seine Natur-

das Material Marmor über den „Werkplatz

farbe behalten. Wird er aber gefärbt oder

des Vaters“ herleitet.120 Das Material wird

ornamentiert, so kann er jede Farbe und

als emotional verstandenes und wahrgenom-

jedes Ornament erhalten, nur die Farbe

menes Element gezeichnet.121 Diese Feststel-

des bekleideten Körpers oder einen An-

lung untermauernd, berichtet schon Hevesi

klang an dessen Ornament nicht. Beispie-

vom Besuch der Einrichtung Josef Hoff-

le: Holz kann mit Holz bekleidet (four-

manns für Fritz Waerndorfer:

niert)

werden.

Eine

Mauer

kann

gestrichen, tapeziert oder mit Stoff ver-

„Ich glaube, es war letzten Sonntag. Oder

kleidet werden. Aber die Mauerfarbe oder

an einem anderen Wochentag. Es hing

ein Ziegelmuster sind ausgeschlossen.“

nämlich kein Wandkalender in der Stube.

118

Er hätte nicht recht hineingepaßt in dieHinzu kommt die Kombination von rauem

ses weiße Gemach, das rings mit geschlif-

Putz mit glattem Marmor. Das sich gegenseitige Aufladen der kontrastierenden Elemente findet sich interessanterweise ebenso an der Fassade des Sanatoriums Purkersdorf.

115 Moravánszky 2008.2, S. 78. 116 Loos 2010 (1898.7), S. 196. 117 Loos 2010 (1910.2), S. 382. 118 Loos 2010 (1923), S. 592.

119 Worbs 1982, S. 94. 120 Spalt 1983, S. 112. Hier zeichnet Spalt das generelle Bild der väterlichen Prägung, da er ebenso für Josef Hoffmann die „traditionelle Umgebung, die Bauernhäuser und die Handwerkskunst“ im Vaterhaus betont und für Olbrich den Zuckerbäckerreibetrieb des Vaters in Troppau hervorhebt. 121 Fedor Roth erklärt über eine ähnlich emotionale Kette Loos’ Traditionsverwurzelung. (Roth 1995, S. 56.)

4.3. Joseph Maria Olbrich: Kontrastierung durch affektreiche Inszenierungen

fenen weißen Marmorbrettern vertäfelt

gesprochen. Durchwegs weiße Rauh-

ist. Und was oben an Fläche übrig, und

putzwände mit dunkel gebeizten oder

die Decke auch, durchaus weißer Putz.

auch weiß lackierten Holzteilen, in der

Rauhputz, über und über versilbert; licht-

Form mit feinstem Takt behandelt, erge-

fangend, lichtzerstäubend. Ein weißes

ben sehr vornehme, ruhige und zugleich

Viereck aus weißen Vierecken; nur im

ländlich freundliche Stimmungen.“123

Estrich wechselten damit schwarz ab. Schwarz ist ja auch weiß; es ist eben das

Deutlich wird, wie sehr Farben, Materialien

dunkelste Weiß, wie Weiß das hellste

und Wahrnehmung miteinander verknüpft

Schwarz. Da, dort, ein kleiner Spiegel an

werden. Alles zusammen ergibt die Stim-

der Wand; zu hoch, um hineinzusehen,

mung eines Raumes oder Ortes.

aber raumspiegelnd wie ein Fenster ins

Die zu Beginn gestellte Frage, ob man die

Freie. Da, dort, auch vor jedem Spiegel,

anonymen Stimmungen bei Loos’ Räumen

ein weißes Figürchen, natürlich von

findet und die persönlichkeitsaufgeladenen

­George Minne. Eine Abstraktion in Mar-

Räumlichkeiten bei dem Secessionisten Hoff-

mor, eine eckige, spitzige Gebärde von

mann, wurde mittels des zeitgenössischen

himmelstrebender Jugend, von einem jun-

Begriffs der Stimmung im Rahmen dieser

gen Schmerz, der seinen Namen nicht

Arbeit vielfach ausgelotet. Dies ermöglichte,

­findet.“

die zumeist utopischen Wunschvorstellun-

122

gen Loos’ und Hoffmanns an das ‚moderne Eine direkte Verknüpfung der Materialität

Ich‘ zu fassen. Dabei stellte sich ein Geflecht

von Rauputz mit dem Begriff der Stimmung

aus verschiedenen Ich-Konstruktionen vom

findet sich in dem Artikel Villenkolonie Hohe

unrettbaren Ich und seiner nötigen Rahmung

Warte. Erbaut von Prof. Joseph Hoffmann.

am Sanatorium Purkersdorf über die perso-

Dort heißt es:

na als soziale Maske für ein großstädtisches Individuum beim Haus am Michaelerplatz

„Eine sehr wienerische Stimmung ist über

bis hin zum grundsätzlichen Wunsch der bei-

der ganzen Örtlichkeit verbreitet. […] Der

den Architekten nach einem ‚Ideal-Ich‘ her-

größte Fortschritt der Moderne besteht

aus. Während Olbrich affektreiche, synäs-

eben in dem einheitlichen Zusammenkom-

thetische Inszenierungen schuf, sind es

ponieren von Bauwerk und Wohnungs-

gerade Hoffmann und Loos, die regulierende

einrichtung und die hier abgebildeten Vil-

architektonische Raumkonzepte entwickel-

len [Doppelhaus Moser und Moll, Haus

ten, um eine soziale Verortung des Ichs über

Henneberg und Haus Spitzer; LT] sind als

die Topoi Ästhetizismus, Psychologismus und

ein Muster heutiger Raumkunst hinzustel-

Eskapismus zu leisten.

len. Dieselbe kompositionelle Einheit ist im Material und in den Möbelformen aus-

122 Hevesi 2009, S. 39.

123 Lux 1903, S. 121–184.

369

370

4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung

4.4. Ein Resümee: Das Gesamtkunstwerk nach Josef Hoffmann und Adolf Loos

Dieser Art von strikter Dichotomie von Kunst und Gewerbe oder Architektur stand Josef Hoffmann mit seinem angestrebten Ziel

Auf den Aspekt des Gesamtkunstwerks

des Gesamtkunstwerks unter Mithilfe der

zurückkommend, ist abschließend die Rele-

Wiener Werkstätte konträr entgegen. Seine

vanz des Kunstbegriffes – Handwerker vs.

starke Verquickung von Handwerk und

Künstler – im Œuvre von Loos und Hoff-

Architektur zeigt sich unter anderem in dem

mann zu beleuchten. Loos förderte immer

Phänomen des „Austauschs von Größen und

eine dominant konfrontative Konkurrenz

Qualitäten“ bei „kunstgewerblichen und

zwischen sich und seinem angeblichen Riva-

architektonischen

len Josef Hoffmann. In vielerlei Hinsicht

haben beide Architekten eine andere Bezie-

waren die Auffassungen der beiden Archi-

hung zu ihrer Berufsaufgabe. Während Hoff-

tekten auch nicht miteinander vereinbar.

mann fast in Form einer „ästhetischen Kon-

Loos plädierte für die Trennung von Kunst

trolle“ die Lebenswelt der Aufraggeber

und Gewerbe,

künstlerisch durchgestaltete, sprach sich

124

wobei er die Architektur

nicht der Kunst zurechnete:

Formen“.126

Ebenso

Loos zumindest in seinen Schriften für die individuelle Einrichtung eines Hauses aus.127

„Das Haus hat allen zu gefallen. Zum Un-

Man rufe sich nur abermals die Persiflage

terschiede vom Kunstwerk, das nieman-

des „armen reichen Mannes“ von Loos in

den zu gefallen hat. Das Kunstwerk ist

Erinnerung, die deutlich die Praktiken, die

eine Privatangelegenheit des Künstlers.

auch Josef Hoffmann vertrat, angriff.128 Doch

Das Haus ist es nicht. Das Kunstwerk wird

lässt sich auch feststellen, dass Loos gewisse

in die Welt gesetzt, ohne daß ein Bedürf-

Facetten der Architektur Hoffmanns in sei-

nis dafür vorhanden wäre. Das Haus deckt

nen Anfeindungen ausklammerte.129 So spöt-

ein Bedürfnis. Das Kunstwerk ist nieman-

telte oder schrieb er niemals über das Sana-

dem verantwortlich, das Haus einem je-

torium Purkersdorf.130 Aber ebenso ist zu

den. Das Kunstwerk will die Menschen

bekräftigen, dass Loos’ Inneneinrichtungen

aus ihrer Bequemlichkeit reissen. Das

untereinander eine starke Ähnlichkeit auf-

Haus hat der Bequemlichkeit zu dienen.

weisen und somit nicht nur eine gewisse All-

Das Kunstwerk ist revolutionär, das Haus

gemeingültigkeit und Anonymität, sondern

konservativ. Das Kunstwerk weist der

auch eine starke Handschrift Loos’ gegen-

Menschheit neue Wege und denkt an die

über seinen Auftraggebern verraten.131

Zukunft. Das Haus denkt an die Gegen-

Joseph Peter Stern stellt daher bereits 1985

wart.“

die strikte Trennung von Gebrauchsgegen-

124

125

Vergleiche dazu Ocón Fernández 2004, S. 44f. und S. 99f. 125 Loos 2010 (1910.5), S. 401.

126 Gorsen 1985, S. 80. 127 Vergleiche dazu Dittmann 2005, S. 200f. 128 Vergleiche dazu Eckel 1996, S. 140–147. 129 Gorsen 1985, S. 88. 130 Rukschcio 1985, S. 65. 131 Bock 2009, S. 67.

4.4. Ein Resümee: Das Gesamtkunstwerk nach Josef Hoffmann und Adolf Loos

stand und Kunstwerk bei Adolf Loos in Fra-

ein Wunschbild des modernen Menschen feti-

ge.

Fedor Roths Argument, Loos’ „Engage-

schisierend umkreisen. Loos schrieb zwar

ment oder seine Eingriffe [in die Gestaltung

„Das Haus hat allen zu gefallen“, aber was

der Wohnung; LT] begründen sich eher dar-

jedem zu gefallen hatte, entschied Loos

in, die ‚falschen Propheten‘ zu vertreiben,

immer noch selbst, und in dieser Haltung

die den Leuten eine bestimmte (secessionis-

unterscheidet er sich gar nicht so eklatant

tische oder Stil-) Ästhetik suggerieren“ woll-

von Josef Hoffmann. Während Loos seine

ten,

132

scheint überdehnt. Dies hieße, Loos’

Schriften als öffentlichkeitswirksames Medi-

gesamtes Schaffen erkläre sich nur aus der

um nutzte, um zukünftige Auftraggeber von

Gegenposition zur Secession und insbeson-

sich zu überzeugen, wählte Hoffmann als

dere zu Josef Hoffmann. Jener Darstellungs-

Werbemittel die Fotografie. Loos erkannte

weise widersprechen jedoch die Beobach-

selbst, dass seine Inneneinrichtungen nicht

tungen dieser Arbeit. Sein über die Schriften

im zweidimensionalen Medium der Fotogra-

deutlich pädagogisch und auch bevormun-

fie ohne Wirkungsverluste zu übertragen

dend fast diktierender Pfad des Geschmackes

waren.137 Gerne wird der Umstand, dass

lässt nun auch nicht allzu viele Freiheiten

Hoffmanns Einrichtungen hingegen auf Foto-

zu. Franz Rainald spricht sogar im Falle von

grafien sehr wohl funktionieren, als Anbie-

Loos von einem „pedagogical viewpoint“.134

derung an die Warenästhetik verstanden.138

Loos lässt demnach den Bewohner seiner

Letztendlich handelt es sich um eine andere

Bauwerke den „Ausbau seiner Persönlich-

Form der Werbung und Selbstvermarktung.139

133

keit“

135

auch nicht eigenhändig realisieren.

Robert Musil verwendet diese Metapher für den Entschluss seines Mannes ohne Eigenschaften, die Möbel seines neuen Heimes selbst zu entwerfen. So weit wie Musil lässt es Loos dann jedoch nicht kommen. Werner Hofmann spricht dementsprechend von einem „janusgesichtigen Loos“. Loos nehme als Theoretiker eine strikte Trennung von „hoher Kunst und funktionalem Gegenstand“ vor, während er sich in der Praxis „unbewußt für die Mehrdeutigkeit“ entschließe.136 Sowohl Hoffmann als auch Loos verwirklichten gänzlich gestaltete Architekturen, die

132 Stern 1985, S. 175f. 133 Roth 1995, S. 164f. 134 Franz 1992, S. 14. 135 Musil 2006, S. 19f. 136 Hofmann 2001, S. 285.

137

Dabei ist jedoch fraglich, ab wann Loos dieses Faktum für seine Einrichtungen erkannte. Die Einrichtung des ersten Herrenmodesalons für die Firma Goldman & Salatsch von 1898 im Graben findet sich zumindest in einem Extraartikel in der Zeitschrift Das Interieur wieder. (Die Redaktion 1901, S. 145–151.) Des Weiteren finden sich in einem anderen Artikel der gleichen Zeitschrift sogar Abbildungen von Loos’ Einrichtungen zusammen mit Fotografien von Hoffmann’schen Interieurs. Als Absicht dieser Zusammenstellung heißt es dort: „Man würde uns wenig Dank wissen, wenn wir nicht von dem Bestreben ausgingen, die Elite vorzustellen, und solcherart Dokumente des heimischen modernen Kunstgewerbes zu sammeln. Wir eröffnen daher unseren neuen Jahrgang mit der Publikation von Werken, in welchen die modernen Anschauungen am reinsten zum Ausdruck kommen; es sind Arbeiten von Professor Kolo Moser, Professor Josef Hoffmann, Adolf Loos und Josef Plecnik […]“ (Die Redaktion 1903, S. 5.) 138 Dröge und Müller 1995, S. 163. 139 Vergleiche dazu Colomina 1994, S. 50–63, S. 64–67 und S. 101f.

371

372

4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung

Fraglich ist jedoch, ob jene primär beim

diese Taktik Loos’ wiederum mit Walter Ben-

Schaffensprozess für Hoffmann im Vorder-

jamins Figur des Flaneurs und Sammlers, der

grund stand und zu einer Vernachlässigung

„the city as interior“ verstehe.143 Diese Dicho-

des Nutzens seiner Einrichtungen führte.

tomie ist in Loos’ Werk tief verwurzelt und

Dies ist zumindest in einer apodiktischen

ist auch als ein Leben in oder Oszillieren

Auslegung aufgrund der hier behandelten

zwischen zwei Welten zu bezeichnen.144

Fälle zu bezweifeln. Sowohl das Palais

Sowohl Josef Hoffmann als auch Adolf

Stoclet als auch das Sanatorium Purkersdorf

Loos regulieren die Stimmung ihrer Archi-

wurden tatsächlich genutzt und bewohnt.

tekturen zu einer kontrollierten Emotiona-

Janet Stewart proklamiert bei Adolf Loos

lität. Hoffmann formuliert eine ethische

die Rolle eines „Über-Architekten“, den sie

Ästhetik, während Loos eine ästhetische

in Beziehung zu Nietzsches „Über-Men-

Ethik umsetzt. Für Hoffmann ist in diesem

schen“ setzt. Die Aufgabe des „Über-Archi-

Zusammenhang der Begriff des Eskapismus

tekten“ sei es, den Weg in die Zukunft über

und für Loos jener der Konvention prägend.

die „Entfernung des Ornaments aus dem

Loos kritisiert am Vorgehen der Wiener

Gebrauchsgegenstande“140 aufzuzeigen. Um

Werkstätte gerade das Reduzieren des demo-

seine Aufgabe zu erfüllen, müsse er gleich-

kratischen Ideals der „Arts and Crafts“-Be-

zeitig Teil der zu ändernden Kultur sein und

wegung auf einen elitären „Lifestyle“.145

an deren Rand stehen. Stewart erkennt hier-

Lifestyle zum Beispiel, weil sich das Palais

in nicht nur die Ähnlichkeit zum Aristokra-

Stoclet in seiner Gesamterscheinung als ein

ten, der sowohl zur Gesellschaft gehört als

„Symbol für das schöne Leben“146 präsen-

auch außerhalb ihrer Majorität steht, son-

tiert. Peter Noever spricht bei Hoffmann

dern auch zur Figur des Flaneurs und Dan-

sogar von einer „l’art pour l’art ideology“

dys.141 Loos wird zu einem ästhetischen Ethi-

und einer „analogy of the ‚aesthetically beau-

ker, der mithilfe seines Verständnisses von

tiful’ as the ‚morally good‘“.147 Dabei wider-

der Gegenwart einen Weg in die Zukunft

sprach Loos selber jenem Ideal, allen die Kul-

zeichnen will.

Demnach kann man Loos’

tur zugänglich zu machen, als er den

Aufgreifen der Wiener ‚Zitate‘ am Haus am

Aristokraten und seinen Charakterzug der

Michaelerplatz nicht nur als das Ergebnis

Vornehmheit zum Vorbild postulierte.148 Jene

einer flanierenden Wahrnehmung von Stadt

Vornehmheit, kurz vereinfachend dargestellt

interpretieren, sondern auch als einer

mit einem englischen Maßanzug gleichge-

evolutionären Entwicklung von seiner ­

setzt, war nur über eine gewisse Summe Gel-

­Architektur. Jene architektonischen Vergan-

des zu erstehen und damit ein kostbares und

genheits-Zitate sind zusammenfassend im

nicht für jeden erschwingliches Gut. Im

142

Sinne einer zukunftsorientierten Sammeltechnik zu verstehen. Janet Stewart ­vergleicht 140 Loos 2010 (1908.2), S. 364. 141 Stewart 2000, S. 84f. und S. 128. 142 Stewart 2000, S. 85.

143 Stewart 2000, S. 132–136. 144 Stewart 2000, S. 170. 145 Stewart 2000, S. 96. 146 Schorske 1985, S. 52. 147 Noever 1992, S. 7. 148 Stewart 2000, S. 97.

4.4. Ein Resümee: Das Gesamtkunstwerk nach Josef Hoffmann und Adolf Loos

­Rahmen der Analyse zum Haus am Michae­

metrische Ornament nach Worringer zur

lerplatz wurde hervorgehoben, dass es sich

­festigenden, beruhigenden Klammer und bie-

nicht etwa um den Typus eines Warenhauses

tet dem Subjekt die Möglichkeit einer Ori-

handele, sondern um einen exklusiven Her-

entierung. In jener Orientierung findet sich

renausstatter, der es mitnichten darauf anleg-

dann auch die Abstufung, die den Unter-

te, die breite Masse einzukleiden. Demnach

schied zwischen den Arbeiten Hoffmanns

verwirklichte Loos weder über seine Schrif-

und Loos’ ausmacht. Während Loos seine

ten noch über seine Architektur ein demo-

Kunden in maskierende Konventionen schüt-

kratisches Ideal, das er aber der Wiener

zend einkleidet, erschafft Hoffmann ein eska-

Werkstätte zu vernachlässigen vorwarf. In

pistisches Idealbild des Menschen durch sei-

anderer Hinsicht waren die meisten Arbei-

ne Einrichtungen. Dass beide dabei vor allem

ten der Wiener Werkstätte zumindest von

die Figur des Dandys oder des Aristokraten

ihrer Codierung her für die Massen leichter

– übertragen auf das Bürgertum – vor Augen

verständlich und zugänglich, während Loos’

hatten, erklärt einige Gemeinsamkeiten im

Ästhetik erst hinter ihrer ethischen Maske

Schaffen beider Architekten.

entschlüsselt werden musste und demnach nur einer kleinen Elite verständlich war.

149

Die eskapistischen Idealbilder entstehen bei Hoffmann insbesondere durch die das

Elana Shapira betont in Hinsicht auf das

Gesamtkunstwerk begleitende Harmonie.

Gesamtkunstwerk in Wien eine Fülle an

Alle ästhetischen Einzelelemente greifen inei-

Kodierungen von ‚Wahrheit‘. In der Tat

nander. Eine „präzise Abstimmung“153 ist

erkannte bereits Hevesi jene Möglichkeit

sowohl dem Sanatorium Purkersdorf als auch

einer vielfachen Wahrheit für Wien.150 Genau

dem Palais Stoclet zu eigen. Die Harmonie

jene von Toleranz geprägte Idee einer nicht

des Gesamtkunstwerks der Wiener Werkstät-

allgemeingültigen Wahrheit der Secessionis-

te ist aber nur durch eine waltende Hand zu

ten führte wohl dazu, dass Josef Hoffmann

verstehen und denkbar, der Loos vorwirft,

sich nicht allzu explizit und häufig zu den

nicht immer dem Nutzen dienlich zu sein.154

Loos’schen Angriffen äußerte. Elana Shapira

Harmonisch greifen alle Einzelteile aber nur

sieht in den durchgestalteten Einrichtungen

zusammen, da sie sich alle dem Ziel einer

Josef Hoffmanns und der Wiener Werkstätte

Geschmackserziehung oder Lebensführungs-

– zum Beispiel dem Speisesaal des Sanato-

erziehung unterordnen. Wie Richard Wagner

riums Purkersdorf – eine Reaktion auf das

für das Gesamtkunstwerk betont hatte, steht

Gefühl der „Entfremdung“ gegeben.151 Das

auch hier das „gemeinsame Werk“ im

Gesamtkunstwerk in seiner umfassenden Präsenz152 wird demnach ebenso wie das geo149 Vergleiche dazu Colomina 1988, S. 74f. 150 Shapira 2004, S. 116. 151 Shapira 2004, S. 279. 152 Mit umfassender Präsenz ist nicht nur die Gestaltung der Architektur und Inneneinrichtung gemeint, sondern vor allem die zusätzliche Inszenierung von

geselligen, spielerischen und zerstreuenden Zusammenkünften. Vom Besteck für die Zelebrierung des Essens bis hin zum gestalteten Musikzimmer wird in Hoffmanns Arbeiten das Erleben von „intermediären Erfahrungsräumen“ ermöglicht. (Vergleiche dazu Merte 1998, S. 99–102.) 153 Fornoff 2004, S. 595. 154 Le Rider 1985, S. 249f.

373

374

4. Schluss: Nähe mittels Kontrastierung

­Mittelpunkt, und nicht etwa „die Tat des Ein-

Sowohl Hoffmann als auch Loos – ob mehr

zelnen“.

Ästhetiker oder Ethiker – bieten dem in der

Hoffmanns Gesamtkunstwerk zeichnet sich

modernen Welt Lebenden letztendlich durch

durch eine im Jetzt verankerte Ästhetik aus,

ihre Arbeiten ein Gefühl der Harmonie und

die sich einem Bild der Vollkommenheit ver-

Beruhigung an. Dieses gemeinsame Ziel ist

schreibt. Loos jedoch sieht genau in diesem

als Stimmung – um den zeitgenössischen

dominanten Ästhetizismus eine Reduzierung

Begriff zu verwenden – nuanciert in ihre

des Architekten auf einen ‚Lifestyle-Berater‘.

Gebäude eingearbeitet. Diese Stimmung

Sein Vorwurf lautet: Der Mensch selbst wird

erklärt das Schaffen Hoffmanns und Loos’

in seinen eigenen vier Wänden zu einer kon-

zu zwei Ansichten einer Wiener Moderne.

ventionellen Schablone. Ähnlich wie die

Der zeitgenössische Begriff der Stimmung

Figur des Schwierigen bei Hugo von Hof-

ermöglichte sicherlich nicht, eine regelrech-

mannsthal, zeichnet Loos damit das kritische

te Verwandtschaft für die Œuvre der beiden

Bild eines verlorenen, handlungsunfähigen

Architekten zu deklarieren, jedoch wurde

Individuums, das sich nicht nur mit einer

eine Perspektive der Annäherung für die

schützenden, konventionellen Hülle umgibt,

Arbeiten Josef Hoffmanns und Adolf Loos’

sondern auf diese reduziert wird.

Loos

für den Untersuchungszeitraum von 1900

selbst betont daher in seinen Schriften den

bis 1911 möglich. Dabei wurde offensichtlich,

zukunftsorientierten Aspekt seiner Erzie-

dass sowohl Hoffmann als auch Loos von

hung. Er bietet zwar eine Orientierung,

geistesverwandten Vorstellungen über die

jedoch ist sie auf ein zukünftiges Ideal gerich-

Aufgaben und Möglichkeiten von Architektur

tet, das sich erst im Laufe einer ethischen

angeleitet wurden.

155

Evolution entwickeln soll. Loos stilisiert sich zum avantgardistischen Prediger, während Hoffmann auf das Hier und Jetzt gerichtet eine ästhetische Patentlösung anbietet.

155

Vergleiche zur Handlungsunfähigkeit des Protagonisten Hans Karl in dem Stück Der Schwierige Lamping und Zipfel 2004, S. 882.

Bildnachweis

Abb. 1: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA3156). Abb. 2: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann, Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 3. Abb. 3: NÖ Landesbibliothek, Topograph. Sammlung (Inv.-Nr. PK 1.093/009). Abb. 4: ÖNB/Wien (Inv.-Nr. 3.528B). Abb. 5: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA2259). Abb. 6: Denti, Giovanni und Silvia Peirone: Adolf Loos. Opera completa, Rom 1997, S. 59. Abb. 7: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann, Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 19. Abb. 8: ÖNB/Wien (Inv.-Nr. 213.369 - B). Abb. 9: Denti, Giovanni und Silvia Peirone: Adolf Loos. Opera completa, Rom 1997, S. 58. Abb. 10: Bock, Ralf: Adolf Loos. Leben und Werk 1870 - 1933, München 2009, S. 112. Abb. 11: Bock, Ralf: Adolf Loos. Leben und Werk 1870–1933, München 2009, S. 113. Abb. 12: Gravagnuolo, Benedetto: Adolf Loos. Theory and Works, (Fotos Robert Schezen), New York 1982, S. 106. Abb. 13: Denti, Giovanni und Silvia Peirone: Adolf Loos. Opera completa, Rom 1997, S. 60. Abb. 14: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA3154). Abb. 15: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA2249).

Schaffens nach Werkgruppen / Chronologisches Werkverzeichnis, Wien und München 1964, S. 73, Abb. 59. Abb. 19: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA3157). Abb. 20: Leclant, Jean (Hrsg.): Kerylos. La Villa Grecque. Beaulieu à la Belle Epoque (Editions Jeanne Laffitte), Paris 1996 (1934), PL II. Abb. 21: Leclant, Jean (Hrsg.): Kerylos. La Villa Grecque. Beaulieu à la Belle Epoque (Editions Jeanne Laffitte), Paris 1996 (1934), PL I. Abb. 22: ÖNB/Wien (Inv.-Nr. 51.521 – B). Abb. 23: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann, Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 1. Abb. 24: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann, Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 5. Abb. 25: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann, Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 9. Abb. 26: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann, Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 9. Abb. 27: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann,

Abb. 16: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA2244). Abb. 17: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA2240). Abb. 18: Münz, Ludwig und Gustav Künstler: Der Architekt Adolf Loos. Darstellung seines

Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 6. Abb. 28: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann,

376

Bildnachweis

Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 15. Abb. 29: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann, Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 26. Abb. 30: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann, Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. T.6. Abb. 31: Foto: © MAK; MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst. Abb. 32: Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann, Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 12. Abb. 33: Illustrierte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration bzw. Innendekoration, Jg. 13 (1902), S. 31, Abb. Professor Josef Hoffmann – Wien. Große Stube (Halle) in Haus Moser. Abb. 34: Lux, Joseph Aug.: Villenkolonie Hohe Warte erbaut von Prof. Joseph Hoffmann, in: Das Interieur. Wiener Monatshefte für Angewandte Kunst, Jg. 4 (1903), S. 134, Abb. Haus Dr. Hugo Henneberg. Die Halle. Blick gegen die Treppe und gegen den Bücherkasten. Abb. 35: Illustrierte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration bzw. Innendekoration, Jg. 17 (1906), S. 319, Abb. Professor Josef Hoffmann – Wien. Baderaum im Sanatorium Purkersdorf bei Wien. Abb. 36: Topp, Leslie: Architecture and Truth in Fin-De-Siècle Vienna, Cambridge 2004, S. 72. Abb. 37: Topp, Leslie: Architecture and Truth in Fin-De-Siècle Vienna, Cambridge 2004, S. 75. Abb. 38: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 442. Abb. 39: © MAK; MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst. Abb. 40: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 426. Abb. 41: Sekler, Eduard F.: Josef Hoffmann. Das architektonische Werk. Monographie und

Werkverzeichnis, Salzburg und Wien ²1986, S. 67, Abb. 72. Abb. 42: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 441. Abb. 43: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 423. Abb. 44: Breckner, Gunter: Josef Hoffmann. Sanatorium Purkersdorf, hrsg. v. Galerie Metropol und D. Christian Meyer, Wien 1988, S. 4. Abb. 45: Breckner, Gunter: Josef Hoffmann. Sanatorium Purkersdorf, hrsg. v. Galerie Metropol und D. Christian Meyer, Wien 1988, S. 4. Abb. 46: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 425. Abb. 47: Breckner, Gunter: Josef Hoffmann. Sanatorium Purkersdorf, hrsg. v. Galerie Metropol und D. Christian Meyer, Wien 1988, S. 10. Abb. 48: Breckner, Gunter: Josef Hoffmann. Sanatorium Purkersdorf, hrsg. v. Galerie Metropol und D. Christian Meyer, Wien 1988, S. 5. Abb. 49: Breckner, Gunter: Josef Hoffmann. Sanatorium Purkersdorf, hrsg. v. Galerie Metropol und D. Christian Meyer, Wien 1988, S. 11. Abb. 50: Breckner, Gunter: Josef Hoffmann. Sanatorium Purkersdorf, hrsg. v. Galerie Metropol und D. Christian Meyer, Wien 1988, S. 11. Abb. 51: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 427. Abb. 52: Sekler, Eduard F.: Josef Hoffmann. Das architektonische Werk. Monographie und Werkverzeichnis, Salzburg und Wien ²1986, S. 288, Abb. WV 84/III, Vorprojekt. Abb. 53: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 428. Abb. 54: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 433. Abb. 55: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 432. Abb. 56: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künst-

Bildnachweis

ler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 434. Abb. 57: Breckner, Gunter: Josef Hoffmann. Sanatorium Purkersdorf, hrsg. v. Galerie Metropol und D. Christian Meyer, Wien 1988, S. 25. Abb. 58: Breckner, Gunter: Josef Hoffmann. Sanatorium Purkersdorf, hrsg. v. Galerie Metropol und D. Christian Meyer, Wien 1988, S. 26. Abb. 59: Breckner, Gunter: Josef Hoffmann. Sanatorium Purkersdorf, hrsg. v. Galerie Metropol und D. Christian Meyer, Wien 1988, S. 66. Abb. 60: © Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 61: © Bildarchiv Foto Marburg. Abb. 62: Sekler, Eduard F.: Josef Hoffmann. Das architektonische Werk. Monographie und Werkverzeichnis, Salzburg und Wien ²1986, S. 56, Abb. 57. Abb. 63: Sekler, Eduard F.: Josef Hoffmann. Das architektonische Werk. Monographie und Werkverzeichnis, Salzburg und Wien ²1986, S. 283, Abb. WV 78/II. Abb. 64: Der Architekt. Wiener Monatshefte für Bauwesen und Dekorative Kunst, Wien, 1909, Bd. XV., Tafel 10, Abb. Otto Wagner: Stiftung „Heilstätte und Heim für Lupuskranke“. Architekt Otto Wagner k. k. Oberbaurat. Abb. 65: ÖNB/Wien (Inv.-Nr. 197319-B). Abb. 66: ÖNB/Wien (Inv.-Nr. L 73.629D). Abb. 67: © Bildarchiv Foto Marburg Abb. 68: Endell, August: Formenschönheit und dekorative Kunst: II. Die gerade Linie. III. Geradlinige Gebilde, in: Dekorative Kunst, Bd. 2 (1898), S. 122, Abb. A. Endell Fensterformen. Abb. 69: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA3230). Abb. 70: Foto: © MAK; MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst. Abb. 71: Breckner, Gunter: Josef Hoffmann. Sanatorium Purkersdorf, hrsg. v. Galerie Metropol und D. Christian Meyer, Wien 1988, S. 149. Abb. 72: Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 439. Abb. 73: ÖNB/Wien (Inv.-Nr. R 8528 – D). Abb. 74: ÖNB/Wien (Inv.-Nr. ST 442F). Abb. 75: ÖNB/Wien (Inv.-Nr. L 27.350B).

Abb. 76: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA2419). Abb. 77: Bock, Ralf: Adolf Loos. Leben und Werk 1870–1933, München 2009, S. 129. Abb. 78: Bock, Ralf: Adolf Loos. Leben und Werk 1870–1933, München 2009, S. 129. Abb. 79: Rukschcio, Burkhardt und Roland Schachel: Adolf Loos. Leben und Werk (Veröffentlichung der Albertina, Bd. 17), Salzburg und Wien 1982, S. 464, Abb. 499, Kat. 67. Abb. 80: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA227). Abb. 81: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA519). Abb. 82: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA3290). Abb. 83: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA1526/3). Abb. 84: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA1526/6). Abb. 85: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA1526/7). Abb. 86: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA1526/8). Abb. 87: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA1526/10). Abb. 88: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA1526/13). Abb. 89: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA1526/12). Abb. 90: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA1526/14). Abb. 91: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA2421 = Papierabzug; ALA3294). Abb. 92: HHStA PAB D-4 Semper und Kaiserforum. Das Blatt ist undatiert. Abb. 93: Albertina, Wien (Inv.-Nr. ALA403). Abb. 94: ÖNB/Wien (Inv.-Nr. NB 509090-B). Abb. 95: ÖNB/Wien (Inv.-Nr. Pf 830 : D (1)).

377

Danksagung

Während ihrer Entstehung erfuhr diese

besonnen verhinderte, Helga Demetz, die

Arbeit wertvolle Unterstützung von Lehrern,

mit ihrem Pragmatismus die Welt wieder auf

Kollegen, Familie und Freunden, die mit Rat

die Füße stellte, sowie Michaela Gugeler, die

bzw. Tat einen unschätzbaren Beitrag

in richtungweisenden Diskussionen zur his-

­leisteten.

torischen Emotionsforschung meinen Blick

Danken möchte ich Christian Freigang,

schärfte, gilt ebenso mein Dank.

der mir sowohl bei der Themenfindung als

Gefördert wurde die Arbeit durch ein Sti-

ideenreicher Anstoßgeber beistand, als auch

pendium der Richard Stury Stiftung, das mir

den gesamten Entstehungsprozess mit seinen

einen Forschungsaufenthalt in Wien ermög-

erhellenden Anregungen bereicherte; und

lichte, in dessen Rahmen ich nicht nur die

Hans Aurenhammer, der mit seiner Bereit-

Bestände der Bibliotheken und Archive sich-

schaft zu konstruktiven Gesprächen half, die

ten, sondern ebenso eine Vielzahl an Bauten

Dinge auf den Punkt zu bringen.

der Wiener Moderne leibhaftig erleben und

Friederike Wille, die mit ihrem Optimis-

entdecken konnte. In diesem Zusammen-

mus und ihrem besonnenen Zuspruch das

hang möchte ich mich auch bei Reinhard

wertvolle Talent besitzt, auf so viele Art und

Pühringer von der Raiffeisenlandesbank

Weisen dunkle Geister zu vertreiben, Chris-

NÖ-Wien AG für die Besichtigung des

tina Kuhli, Zsófia Török, Barbara Duttenhö-

Loos-Hauses am Michaelerplatz bedanken.

fer und Sigrund Wodke, die zuverlässig mit

Diese Arbeit widme ich Merle und Thommy,

ihren Korrekturen und Hinweisen die Arbeit

die mir so vieles mit auf den Weg gaben, mein

stilistisch und inhaltlich vorantrieben, Lars

Interesse an Wien weckten und über Jahre

Thomas, der so einige technische Pannen

eine liebevolle Arbeitsstimmung schufen.

5. Anhang

5.1. Literaturliste Zeitgenössische Primärliteratur, zeitgenössische Zeitschriften- und Zeitungsartikel Altmann-Loos 1968 – Altmann-Loos, Elsie: Adolf Loos der Mensch, Wien 1968. Bahr 2004 (1890.1) – Bahr, Hermann: Die Moderne. 1890, in: Ders.: Die Überwindung des Naturalismus (Kritische Schriften in Einzelausgaben, hrsg. v. Claus Pias), Weimar 2004, S. 11–15. Bahr 2004 (1890.2) – Bahr, Hermann: Vom Stile, in: Ders.: Die Überwindung des Naturalismus (Kritische Schriften in Einzelausgaben, hrsg. v. Claus Pias), Weimar 2004, S. 110–119. Bahr 2006 (1894.1) – Bahr, Hermann: Die Décadence, in: Ders.: Studien zur Kritik der Moderne (Kritische Schriften in Einzelausgaben, hrsg. v. Claus Pias), Nachdruck der Auflage von 1894, Weimar 2006, S. 24–30. Bahr 2006 (1894.2) – Bahr, Hermann: Die Symbolisten, in: Ders.: Studien zur Kritik der Moderne (Kritische Schriften in Einzelausgaben, hrsg. v. Claus Pias), Nachdruck der Auflage von 1894, Weimar 2006, S. 31–36. Bahr 2007 (1898) – Bahr, Hermann: Kunstgewerbe. März April 1898, in: Ders.: Secession (Kritische Schriften in Einzelausgaben, hrsg. v. Claus Pias), Weimar 2007, S. 37–40. Bahr 2007 (1899.1) – Bahr, Hermann: Otto Wagner. April 1899, in: Ders.: Secession (Kritische Schriften in Einzelausgaben, hrsg. v. Claus Pias), Weimar 2007, S. 93–98.

Bahr 2007 (1899.2) – Bahr, Hermann: Der Sessel. Oktober 1899, in: Ders.: Secession (Kritische Schriften in Einzelausgaben, hrsg. v. Claus Pias), Weimar 2007, S. 133–138. Bahr 2010 (1904.1) – Bahr, Hermann: Das unrettbare Ich. 1904, in: Ders.: Dialog vom Tragischen. Dialog vom Marsyay. Josef Kainz (Kritische Schriften in Einzelausgaben, hrsg. v. Claus Pias), Weimar 2010, S. 36–46. Bahr 2010 (1904.2) – Bahr, Hermann: Impressionismus, in: Ders.: Dialog vom Tragischen. Dialog vom Marsyay. Josef Kainz (Kritische Schriften in Einzelausgaben, hrsg. v. Claus Pias), Weimar 2010, S. 47–53. Bahr 2010 (1904.3) – Bahr, Hermann: Fidelio. Dezember 1904, in: Ders.: Buch der Jugend (Kritische Schriften in Einzelausgaben, hrsg. v. Claus Pias), hrsg. v. Gottfried Schnödl, Weimar 2010, S. 19–27. Baillie Scott 1897 – Baillie Scott, M. H.: A small country house, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 12 (1897), H. 55, S. 167–172. Baillie Scott 1900 – Baillie Scott, M. H.: A country house, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 19 (1900), S. 30–38. Beer 1903 – Beer, Theodor: Die Weltanschauung eines modernen Naturforschers. Ein nicht-kritisches Referat über Mach’s „Analyse der Empfindungen“, Dresden und Leipzig 1903. Berlage 1905 – Berlage, Hendrik Petrus: Gedanken über Stil in der Baukunst, Leipzig 1905.

382

5. Anhang

Berlage 1991 – Berlage, Hendrik Petrus: Über Architektur und Stil. Aufsätze und Vorträge 1894–1928, Basel 1991. Bie 1904 – Bie, Oscar: Die Wand und ihre künstlerische Behandlung. Die moderne Wand, in: Die Kunst, 1904, S. 82–116. Bühler ³1965 (1927) – Bühler, Karl: Die Krise der Psychologie, Stuttgart ³1965 (1927). Bredt 1906 – Bredt, Ernst Wilhelm: Klagen der Künstler, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 18 (April – September 1906), S. 421–444. Cook 1901 – Cook, E. T.: Ruskin as artist and art critic, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 19 (1901), S. 77–92. Die Redaktion 1901 – Die Redaktion: Ein Wiener Herrenmodesalon, in: Das Interieur, Jg. 2 (1901), S. 145–151. Die Redaktion 1903 – Die Redaktion: Vorwort zum vierten Jahrgang, in: Das Interieur, Jg. 4 (1903), S. 1–15. Dr. Stein 1911 – kais. Rat Dr. Stein, Ludwig (Hrsg.): Jahresbericht des Sanatoriums Purkersdorf bei Wien für das Jahr 1911 nebst literarischem Anhange herausgegeben von ­Chefarzt d. Sanatoriums Purkersdorf b. Wien, Wien 1911. Ebe 1900 – Ebe, Gustav: Architektonische Raumlehre. Entwicklung der Typen des Innenbaus, Bd. 1 (Von den ältesten Zeiten bis zum Abschluss der gothischen Periode), Dresden 1900 (1900–1901). Endell 1898.1 – Endell, August: Formenschönheit und dekorative Kunst: I. Die Freude an der Form, in: Dekorative Kunst, Bd. 1 (1898), S. 75–77. Endell 1898.2 – Endell, August: Formenschönheit und dekorative Kunst: II. Die gerade Linie. III. Geradlinige Gebilde, in: Dekorative Kunst, Bd. 2 (1898), S. 119–125. Engelmann 1985 (1911) – Engelmann, Paul: Sonett „Das Haus am Michaelerplatz“ (1911). Die Fackel, 28.02.1911, in: Adolf Opel (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985, S. 46. Ermers 1985 (1927) – Ermers, Max: Eine „kunst-

gewerbliche“ Massenversammlung. Architekt Adolf Loos spricht über das Wiener Weh, die Wiener Werkstätte, das Wiener Kunstgewerbe. Der Tag, 21. April 1927, in: Adolf Opel (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985, S. 89–92. Ermers 1985 (1930) – Ermers, Max: Generationsführer Adolf Loos. Zum 60. Geburtstag des Architekten und Lebensreformers. Der Wiener Tag, 10. Dezember 1930, in: Adolf Opel (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985, S. 158–162. Freud 1997 – Freud, Sigmund: Studienausgabe. Hysterie und Angst, Bd. VI, hrsg. v. Alexander Mitscherlich, Angela Richards und James Srachey, Deutschland 1997. Friedell 1985 (1920/21) – Friedell, Egon: Adolf Loos. Zu seinem fünfzigsten Geburtstag. Freie deutsche Bühne, 1920/21, in: Adolf Opel (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985, S. 77–82. Fuchs 1902 – Fuchs, Georg: Mackintosh und die Schule von Glasgow in Turin, in: Deutsche Kunst und Dekoration. Illustrierte Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerische Frauen-Arbeiten, Bd. 10 (1902), S. 575–583. Geiger 1911 – Geiger, Moritz: Zum Problem der Stimmungseinfühlung, in: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, hrsg. v. Max Dessoir, Jg. 6 (1911), H. 1, S. 1–42 (http:// digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ zaak1911/0001). Hellpach 1907 – Hellpach, Willy: Hysterie, in: Die Wage, Jg. 10 (1907), Bd. 2, S. 857–860. Hevesi 1906 – Hevesi, Ludwig: Acht Jahre Sezession (März 1897 – Juni 1905). Kritik, Polemik, Chronik, Wien 1906. Hevesi 1909 – Hevesi, Ludwig: Altkunst-Neukunst. Wien 1894–1908, Wien 1909. Hevesi 2009 – Hevesi, Ludwig: Ein moderner Nachmittag, in: Ders.: Flagranti und andere Heiterkeiten, Wien 2009, S. 39–48. Hoffmann 1897 – Hoffmann, Josef: Architektonisches von der Insel Capri. Ein Beitrag für malerisches Architekturempfinden, in: Der

5.1. Literaturliste

Architekt. Wiener Monatshefte für Bauwesen und dekorative Kunst, Jg. 3 (1897), S. 13f. Hoffmann 1898 – Hoffmann, Josef: Das individuelle Kleid, in: Die Wage. Eine Wiener Wochenschrift, Jg. 1 (1898), H. 15, S. 251f. Hoffmann 1901 – Hoffmann, Josef: Einfache Möbel. Entwürfe und begleitende Worte von Professor Josef Hoffmann, in: Das Interieur, Jg. 2 (1901), S. 193–205. Hoffmann 1926 – Hoffmann, Josef: Mein Gegner und ich, in: Die Stunde, 10.01.1926, S. 6. Hoffmann 1929 – Hoffmann, Josef: Interior Decoration. Modern, in: The Encyclopaedia Britannica, 14. Auflage, Bd. 12, London und New York 1929, S. 486–490. Hoffmann 1970 – Hoffmann, Josef: Architektonisches aus der österreichischen Riviera, in: Alte und moderne Kunst, Jg. 15 (1970), H. 113, S. 28. Hoffmann 1972 – Hoffmann, Josef: Selbstbiographie, in: Hilde Spiel, Otto Breicha und Georg Eisler (Hgg.): Ver Sacrum. Neue Hefte für Kunst und Literatur, Wien 1972, H. 4 Ausgabe B, S. 105–123. Hoffmann ²1986 (1911) – Hoffmann, Josef: Meine Arbeit. Vortrag gehalten am 22. Februar 1911; auszugsweise Transkribierung des Vortragsmanuskripts, in: Eduard F. Sekler: Josef Hoffmann. Das architektonische Werk. Monographie und Werkverzeichnis, Salzburg und Wien ²1986, S. 487–491. Hoffmann 2002 (1929) – Hoffmann, Josef: Moderne Innendekoration (1929), in: Markus Kristan (Hrsg.): Josef Hoffmann Bauten & Interieurs. In zeitgenössischen Photographien, Wien 2002, S. 13–17. Hoffmann 2002 (1934.1) – Hoffmann, Josef: Die gute, praktische, dabei schöne Wohnung und deren Möbel, in: Markus Kristan (Hrsg.): Josef Hoffmann. Bauten & Interieurs, Wien 2002, S. 18f. Hoffmann 2002 (1934.2) – Hoffmann, Josef: Kunstgewerbe und Kunstmöbel in der Wohnung, in: Markus Kristan (Hrsg.): Josef Hoffmann. Bauten & Interieurs, Wien 2002, S. 20. Hofmannsthal 1979 – Hofmannsthal, Hugo

von: Die Mutter, in: Ders.: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Reden und Aufsätze I. 1891–1913, hrsg. v. Bernd Schoeller, Frankfurt am Main 1979, S. 100–105. Hofmannsthal 2002 (1902) – Hofmannsthal, Hugo von: Ein Brief, in: Ders.: Der Brief des Lord Chandos. Erfundene Gespräche und Briefe, Frankfurt am Main 2002 (1902), S. 21–32. Hofmannsthal 2004 (1921) – Hofmannsthal, Hugo von: Der Schwierige, in: Ders.: Gesammelte Werke. Dramen und Opernlibretti, Bd. 2, hrsg. v. Dieter Lamping und Frank Zipfel, Düsseldorf und Zürich 2004 (1921), S. 631–784. Hofmannsthal 1986 – Hofmannsthal, Hugo von: Gesammelte Werke. Reden und Aufsätze. 1891–1913, Bd. 8, hrsg. v. Bernd Schoeller, Frankfurt am Main 1986. Huysmans 2006 (Frz. 1884) – Huysmans, Karl– Joris: Gegen den Strich, Frankfurt am Main und Leipzig 2006 (Frz. 1884). Khnopff 1901 – Khnopff, Fernand: Josef Hoffmann. Architect and Decorator, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 22 (1901), S. 261–267. Kleiner 1927 – Kleiner, Leopold: Neue Werkkunst Josef Hoffmann, Leipzig 1927. Koch 1989 (1901) – Koch, Alexander (Hrsg.): Ein Dokument Deutscher Kunst, Stuttgart 1889 (1901). Kortz 1906 – Kortz, Paul: Wien am Anfang des XX. Jahrhunderts. Ein Führer in technischer und künstlerischer Richtung. Hochbauten, Architektur und Plastik, hrsg. v. österreichischen Ingenieur- und Architektenverein, Bd. 2, Wien 1906. Krafft-Ebing 1903 – Krafft-Ebing, Richard: Über gesunde und kranke Nerven, Tübingen 1903. Kraus 1910 – Kraus, Karl: Das Haus auf dem Michaelerplatz, in: Die Fackel, Jg. 12 (1910), H. 313/314, S. 4–6 (Quelle: http://corpus1.aac. ac.at/fackel/, 20.07.2015). Kraus 1913 – Kraus, Karl: Nachts, 1918, in: Die Fackel, Jg. 15 (1913), H. 389–390, S. 28–43 (Quelle: http://corpus1.aac.ac.at/fackel/, 20.07.2015). Kraus 2004 (1897) – Kraus, Karl: Die demolirte Literatur, in: Gotthart Wunberg: Die Wiener

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5. Anhang

Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910 (Universalbibliothek, Bd. 7742), Stuttgart 2004, S. 644–650. Lebisch 1905/1906 – Lebisch, Franz: Ansichten. Naturalismus und Stil, in: Hohe Warte. Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, Wien und Leipzig, Jg. 2 (1905/1906), S. 189–193. Lederer 1908. – Lederer, Viktor: Venedig in Wien, in: Die Wage, Jg. 11 (1908), Bd. 2, H. 27, S. 640–642. Lehmann 1985 (1931) – Lehmann, Fritz: Loos und Hoffmann. „Prager Tagblatt“, 7. Jänner 1931, in: Adolf Opel (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985, S. 168–172. Levetus 1904 – Levetus, A. S.: Professor Hoffmann’s Artist Colony, Vienna, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 32 (1904), S. 125–132. Levetus 1912 – Levetus, A. S.: Austrian Architecture and Decoration, in: The Studio. Yearbook of decorative Art, 1912, S. 181–240. Levetus 1913 – Levetus, A. S.: Austrian Architecture and Decoration, in: The Studio. Year Book of decorative Art, 1913, S. 187–224. Levetus 1929 – Levetus, A. S.: The house of a viennese architect, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 97 (1929), S. 383–387. Levetus 1991 (1914) – Levetus, A. S.: Das Stoclethaus zu Brüssel von Architekt Professor Josef Hoffmann, Wien, aus: Sonderdruck aus Moderne Bauformen, (1914), H. 1, S. 2, in: Friedrich Kurrent und Alice Strobl: Das Palais Stoclet in Brüssel, Salzburg 1991, S. 24–59. Liebstoeckl 1985 (1927) – Liebstoeckl, Hans: Los von Loos. Die Bühne, 5. Mai 1927, in: Adolf Opel (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985, S. 110–113. Lipps 1903 – Lipps, Theodor: Ästhetik. Psychologie des Schönen und der Kunst. Erster Teil. Grundlegung der Ästhetik, Hamburg und Leipzig 1903. Lipps 1906 – Lipps, Theodor: Ästhetik. Psycholo-

gie des Schönen und der Kunst. Zweiter Teil. Die ästhetische Betrachtung und die bildende Kunst, Hamburg und Leipzig 1906. Loos 1962 – Loos, Adolf: Trotzdem. 1900–1930, hrsg. v. Adolf Opel, unveränderter Neudruck der Erstausgabe von 1931, Wien 1962. • Loos 1962 (1908) – Loos, Adolf: Ornament und Verbrechen (1908), in: Ders.: Trotzdem 1900–1930, hrsg. v. Adolf Opel, unveränderter Neudruck der Erstausgabe von 1931, Wien 1997, S. 276–288. • Loos 1962 (1910) – Loos, Adolf: Architektur (1910), in: Ders.: Trotzdem. 1900–1930, hrsg. v. Adolf Opel, unveränderter Neudruck der Erstausgabe von 1931, Wien 1997, S. 302–318. Loos 2010 – Loos, Adolf: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010. • Loos 2010 (1897) – Loos, Adolf: Eine Concurrenz der Stadt Wien. 1897, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 6–10. • Loos 2010 (1898.1) – Loos, Adolf: Die Herrenmode. 1898, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 54–60. • Loos 2010 (1898.2) – Loos, Adolf: Die Plumber. Bäder. Herde in der Jubiläumsausstellung. 1898, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 104–111. • Loos 2010 (1898.3) – Loos, Adolf: Die Herrenhüte. 1898, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 112–119. • Loos 2010 (1898.4) – Loos, Adolf: Das Princip der Bekleidung. 1898, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 138–144. • Loos 2010 (1898.6) – Loos, Adolf: Die Potemkinsche Stadt. 1898, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 187–190. • Loos 2010 (1898.7) – Loos, Adolf: Die Alte und die Neue Richtung in der Baukunst. Eine Parallele mit besonderer Rücksicht auf die Wiener Kunstverhältnisse. 1898, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 194–200. • Loos 2010 (1898.8) – Loos, Adolf: Die Win-

5.1. Literaturliste























terausstellung des Oesterreichischen Museums. 1898, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 223–229. Loos 2010 (1903.1) – Loos, Adolf: Das Andere. Ein Blatt zur Einfuehrung abendlaendischer Kultur in Oesterreich: Geschrieben von Adolf Loos, 1903, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 270–321. Loos 2010 (1903.2) – Loos, Adolf: Der Sattlermeister, aus: Das Andere. Ein Blatt zur Einfuehrung abendlaendischer Kultur in Oesterreich, Bd. 1 (1903), H. 2, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 296f. Loos 2010 (1907) – Loos, Adolf: Wohnungswanderungen. 1907, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 339–348. Loos 2010 (1908.1) – Loos, Adolf: Die Überflüssigen (Deutscher Werkbund). 1908, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 349–351. Loos 2010 (1908.2) – Loos, Adolf: Ornament und Verbrechen. 1908, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 363–373. Loos 2010 (1910.1 ) – Loos, Adolf: An den Ulk. 1910, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 374. Loos 2010 (1910.2) – Loos, Adolf: Wiener Architekturfragen 1910, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 380–384. Loos 2010 (1910.3) – Loos, Adolf: Mein erstes Haus. 1910, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 385–387. Loos 2010 (1910.4) – Loos, Adolf: Das Haus gegenüber der Hofburg. 1910, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 388f. Loos 2010 (1910.5) – Loos, Adolf: Architektur. 1910, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 391–404. Loos 2010 (1911) – Loos, Adolf: Mein Haus am Michaelerplatz. 1911, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 416–432.

• Loos 2010 (1923) – Loos, Adolf: Nacktheit. 1923, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 592. • Loos 2010 (1924.1) – Loos, Adolf: Ornament und Erziehung. 1924, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 597–603. • Loos 2010 (1924.2) – Loos, Adolf: Von der Sparsamkeit. 1924, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 604–616. • Loos 2010 (1927) – Loos, Adolf: Die Moderne Siedlung. 1927, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 637–660. • Loos 2010 (1929) – Loos, Adolf: Josef Veillich. 1929, in: Ders. Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 697–702. • Loos 2010 (1930.1) – Loos, Adolf: Kontroversen im Querschnitt. 1930, in: Ders. Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 718–721. • Loos 2010 (1930.2) – Loos, Adolf: Vorwort zur Erstausgabe von „Trotzdem“. 1930, in: Ders. Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 722. • Loos 2010 (1931) – Loos, Adolf: Über Josef Hoffmann. 1931, in: Ders. Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 725–730. • Loos 2010 (1931.2) – Loos, Adolf: Adolf Loos über Josef Hoffmann. 1931, in: Ders. Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. 731f. Loos ²2007 – Loos, Lina: Oder wenn die Muse sich selbst küsst, Wien u.a. ²2007. Lothar 1898 – Lothar, Rudolph: Von der Secession, in: Die Wage, Jg. 1 (1898), Bd. 1, H. 49, S. 813f. Lux 1902.1 – Lux, Joseph August: XIV. Kunst-Ausstellung der Vereinigung Bildender Künstler Österreich’s Secession 1902. Klinger’s Beethoven und die moderne Raum-Kunst, in: Deutsche Kunst und Dekoration. Illustrierte Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerische Frauen-Arbeiten, Bd. 10 (1902), S. 475–483. Lux 1902.2 – Lux, Joseph August: Innen-Kunst

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386

5. Anhang

von Prof. Joseph Hoffmann – Wien, in: Illustrierte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innen-Dekoration, Jg. 13 (1902), S. 129–132. Lux 1903 – Lux, Joseph August: Villenkolonie Hohe Warte. Erbaut von Prof. Joseph Hoffmann, in: Das Interieur, Jg. 4 (1903), S. 121–184. Lux 1904/1905.1 – Lux, Joseph August: Biedermeier als Erzieher, in: Hohe Warte, hrsg. vom Bund Deutscher Architekten, Jg. 1 (1904/1905), S. 145–155. Lux 1904/1905.2 – Lux, Joseph August: Sanatorium, in: Hohe Warte, hrsg. vom Bund Deutscher Architekten, Jg. 1 (1904/1905), S. 406f. Lux 1905 – Lux, Joseph August: Die Moderne Wohnung und ihre Ausstattung, Wien 1905. Lux 1914 – Lux, Joseph August: Otto Wagner. Eine Monographie von Joseph August Lux, München 1914. Mach 1987 (1922) – Mach, Ernst: Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen, Nachdruck der 9. Auflage, Jena 1922, Darmstadt 1987. Mourey 1901 – Mourey, Gabriel: Round the Exhibition IV Austrian Decorative Art, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 21 (1901), S. 113–123. Musil 1978 – Musil, Robert: Form und Inhalt. Ohne Titel – um 1910, in: Ders.: Gesammelte Werke. Prosa und Stücke. Kleine Prosa. Aphorismen. Autobiographisches. Essays und Reden. Kritik, Bd. 2, Hamburg 1978, S. 1299–1303. Musil 2006 – Musil, Robert: Der Mann ohne Eigenschaften. Roman/I. Erstes und zweites Buch, hrsg. v. Adolf Frisé, 21. Auflage, Hamburg 2006. Muthesius ²1905 – Muthesius, Hermann: Das moderne Landhaus und seine innere Ausstattung. 320 Abbildungen moderner Landhäuser aus Deutschland, Österreich, England und Finnland mit Grundrissen und Innenräumen, München ²1905. Muthesius 1976 (1907) – Muthesius, Hermann: Kunstgewerbe und Architektur, Nachdruck der Auflage von 1907, Liechtenstein 1976. Muthesius 1908 – Muthesius, Hermann: Die Einheit der Architektur. Betrachtungen über Bau-

kunst, Ingenieurbau und Kunstgewerbe, Berlin 1908. Nietzsche 1983 (1888) – Nietzsche, Friedrich: Der Fall Wagner. Schriften – Aufzeichnungen – Briefe (insel taschenbuch, Bd. 686), hrsg. v. Dieter Borchmeyer, Frankfurt am Main 1983. Nietzsche KSA 1999 – Nietzsche, Friedrich: Nachlaß 1885–1887. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden, hrsg. v. Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Bd. 12, München u.a. 1999. Ohne Autor 1897 – Ohne Autor: The Revival of english domestic Architecture. VI. The Work of Mr. C. F. A. Voysey, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 11 (1897), H. 51, S. 16–25. Ohne Autor Notizen 1900 – Ohne Autor: Notizen, in: Das Interieur, Jg. 1 (1900), S. 94–96. Ohne Autor Bd. 25 1902 – Ohne Autor: Studio-Talk. Vienna, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 25 (1902), S. 298. Ohne Autor Bd.26 1902 – Ohne Autor: Studio-Talk. Vienna, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 26 (1902), S. 141–143. Ohne Autor 1905/1906 – Ohne Autor: Moderne Kunst, in: Hohe Warte. Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, Wien und Leipzig, Jg. 2 (1905/1906), S. 68–70. Ohne Autor 1906 – Ohne Autor: Studio-Talk. Vienna, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 37 (1906), S. 169. Ohne Autor 1909 – Ohne Autor: Projekt für die Stiftung „Heilstätte und Heim für Lupuskranke“. Nach dem Entwurf von Professor Otto Wagner k. k. Oberbaurat, in: Der Architekt. Monatshefte für Bau- und Raumkunst, Jg. 15 (1909), S. 13–16. Ohne Autor 1985 (1911) – Ohne Autor: Das Haus am Michaelerplatz (Eine Polemik mit Herrn Loos). Wiener Montags-Journal, 10. April 1911, in: Adolf Opel (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985, S. 48–51.

5.1. Literaturliste

Olbrich 1900 – Olbrich, Joseph Maria: Unsere nächste Arbeit, in: Deutsche Kunst und Dekoration. Illustrierte Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerische Frauen-Arbeiten, Sonderheft der Künstlerkolonie Darmstadt, Bd. 6 (1900), Heft 8 (Mai), S. 366–369. Olbrich 1905/1906 – Olbrich, Joseph Maria: Der Farbengarten, in: Hohe Warte. Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, Wien und Leipzig, Jg. 2 (1905/1906), S. 184–189. Platz ²2000 – Platz, Gustav Adolf: Die Baukunst der neuesten Zeit, Berlin ²2000. Poe 1921 – Poe, Edgar Allan: Verbrecher Geschichten, hrsg. v. Theodor Etzel, Berlin und Leipzig ca. 1921. Poe 1979 – Poe, Edgar Allan: Collected Works of Edgar Allan Poe. Volume II Tales and Sketches 1831 – 1842, hrsg. v. Thomas Ollive Mabbott, u.a. Cambridge 1979. Poe 2010 – Poe, Edgar Allan: Der Mann der Menge, in: Flaneure. Begegnungen auf dem Trottoir, Frankfurt am Main u.a 2010, S. 13–32. Riegl 1928 (1898) – Riegl, Alois: Möbel und Innendekoration des Empire (1898), in: Ders.: Gesammelte Aufsätze, Augsburg und Wien 1928, S. 10–27. Riegl 1928 (1899) – Riegl, Alois: Die Stimmung als Inhalt der modernen Kunst. (1899), in: Ders.: Gesammelte Aufsätze, Augsburg und Wien 1928, S. 28–39. Riegl 1928 (1902) – Riegl, Alois: Jacob van Ruysdael, in: Ders.: Gesammelte Aufsätze, Augsburg und Wien 1928, S.133–143. Riegl 1928 (1903) – Riegl, Alois: Der moderne Denkmalkultus, sein Wesen, seine Entstehung, in: Ders.: Gesammelte Aufsätze, Augsburg und Wien 1928, S. 144–193. Roller 1902 – Roller, Alfred: „Eure Exzellenz! Überreicht im Dezember 1901“, in: Ver Sacrum, Jg. 5 (1902), S. 49–56. Schaukal 1988 (1910) – Schaukal, Richard: Ein Haus und seine Zeit, aus: Der Merker, 10.12.1910., in: Adolf Opel (Hrsg.): Konfrontationen. Schriften von und über Adolf Loos, Wien 1988, S. 45f.

Scheu 1985 (1909) – Scheu, Robert: Adolf Loos. „Die Fackel“, 26. Juni 1909, in: Adolf Opel (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985, S. 25–33. Schmarsow 2006 – Schmarsow, August: Das Wesen der architektonischen Schöpfung, in: Jörg Dünne und Stephan Günzel (Hgg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2006, S. 470–484. Schnitzler 2002.1 – Schnitzler, Arthur: Spaziergang, in: Ders.: Gesammelte Werke in drei Bänden. Erzählungen, Bd. 1, hrsg. v. Hartmut Scheible, Düsseldorf und Zürich 2002, S. 181–186. Schnitzler 2002.2 – Schnitzler, Arthur: Anatol, in: Ders.: Gesammelte Schriften in drei Bänden. Dramen, Bd. 2, hrsg. v. Hartmut Scheible, Düsseldorf und Zürich 2002, S. 5–92. Schölermann 1899 – Schölermann, Wilhelm: Modern fine and applied Art in Vienna, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 16 (1899), S. 30–39. Schönthal 1908 – Schönthal, Otto: Die Kirche Otto Wagners, in: Der Architekt. Monatshefte für Bau- und Raumkunst, Jg. 14 (1908), S. 1–5. Schütte-Lihotzky 1981 – Schütte-Lihotzky, Margarete: Gedanken über Adolf Loos, in: Bauwelt, Jg. 72 (1981), S. 1872–1876. Semper 2008 (1860) – Semper, Gottfried: Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder praktische Ästhetik. Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde, Bd. 1, Frankfurt am Main 1860, in: Gottfried Semper: Gesammelte Werke (Historia Scientiarum, hrsg. v. Bernhard Fabian u.a.), hrsg. v. Henrik Karge, Bd. 2, Nachdruck der Auflage von 1860, Hildesheim u.a. 2008. Simmel 2006 (1903) – Simmel, Georg: Über räumliche Projektionen sozialer Formen. 1903, in: Jörg Dünne und Stephan Günzel (Hgg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2006, S. 304–315. Simmel 2011 (1903) – Simmel, Georg: Die Großstädte und das Geistesleben (1903), in: Susanne Hauser, Christa Kamleithner und Roland Meyer

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5. Anhang

(Hgg.): Architekturwissen. Grundlagentexte aus den Kulturwissenschaften. Bd. 1: Zur Ästhetik des sozialen Raumes, Bielefeld 2011, S. 147–157. Sitte ³1901 – Sitte, Camillo: Der Städte-Bau nach seinen künstlerischen Grundsätzen. Ein Beitrag zur Lösung moderner Fragen der Architektur und monumentalen Plastik unter besonderer Beziehung auf Wien, Wien ³1901. Sitte 2010 (1900) – Sitte, Camillo: Über Farbenharmonie (1900), in: Schriften zu Kunsttheorie und Kunstgeschichte (Camillo Sitte Gesamtausgabe, Bd. 5), hrsg. v. Klaus Semsroth u.a., Wien 2010, S. 370–421. Sörgel, Hermann: Architektur-Ästhetik. Theorie der Baukunst, Berlin 1998 (Nachdruck der dritten Auflage, München 1921. Steiner 1977 (1907) – Steiner, Rudolf: Der Theosophische Kongress von 1907. Bericht in der Zeitschrift Luzifers-Gnosis, Nr. 34, in: Ders.: Bilder Okkulter Siegel und Säulen. Der Münchner Kongress Pfingsten 1907 und seine Auswirkungen, Dornach ²1977, S. 35–42. Stoessl 1900 – Stoessl, Otto: Secession, in: Die Wage, Jg. 3 (1900), Bd. 1, H. 47, S. 330f. Symons 1903 – Symons, Arthur: Aubrey Beardsley, in: Ver Sacrum, Jg. 6 (1903), H. 6, S. 117–138. Szeps-Zuckerkandl 1939 – Szeps-Zuckerkandl, Berta: Ich erlebte fünfzig Jahre Weltgeschichte, Niederlande 1939. The Studio 1906 – The Studio. The Art-Revival in Austria, 1906. Thiersch 1883 – Thiersch, August: Die Proportionen der Architektur, in: Handbuch der Architektur, Bd. 4, Darmstadt 1883. Tietze 1910 – Tietze, Hans: Der Kampf um Alt-Wien. III. Wiener Neubauten, in: Kunstgeschichtliches Jahrbuch der k. k. Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und historischen Denkmale, Beiblatt zum Bd. IV (1910), Sp. 33–62. Unger 1981 – Unger, Y. Kurt: Meine Lehre bei Adolf Loos, in: Bauwelt, Jg. 72 (1981), H. 42, S. 1882–1892. Velde 1908 – Velde, Henry van de: Die Linie, in: Die neue Rundschau, 19. Jg. 1908, Bd. 3, S. 1035–1050.

Velde 1955 (1910) – Velde, Henry van de: Die Linie, in: Ders.: Zum neuen Stil, hrsg. v. Hans Curjel, München 1955 (1910), S. 181–195. Velde 1995 – Velde, Henry van de: Récit de ma vie. Berlin – Paris – Weimar. Bd. 2 1900–1913, Brüssel 1995. Vitruvii/Vitruv 1996 – Vitruvii/Vitruv: De architectura libri decem/Zehn Bücher über Architektur. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von D. Curt Fensterbusch, 5. Auflage, Darmstadt 1996. Voysey 1901 – Voysey, C. F. A.: Remarks on domestic entrance halls, in: The Studio. An illustrated Magazine of Fine and Applied Art, Bd. 21 (1901), S. 242–245. Voysey 1998 (1906) – Voysey, C. F. A.: Vernunft als Grundlage der Kunst. 1906, in: Gerda Breuer: Ästhetik der schönen Genügsamkeit oder Arts and Crafts als Lebensform. Programmatische Texte, erläutert von Gerda Breuer (Bauwelt Fundamente Bd. 112), hrsg. v. Ulrich Conrads und Peter Neitzke, Braunschweig und Wiesbaden 1998, S. 145–146. Voysey 1915 – Voysey, C. F. A.: Individuality, London 1915, S. 111. Walden 1988 (1911) – Walden, Herwarth: Schönheit! Schönheit! Der Fall Adolf Loos, aus: Der Sturm, Jg. 2 (1911), H. 70, in: Adolf Opel (Hrsg.): Konfrontationen. Schriften von und über Adolf Loos, Wien 1988, S. 77–80. Wagner 1896 – Wagner, Otto: Moderne Architektur. Seinen Schülern ein Führer auf diesem Kunstgebiete, Wien 1896. Wagner ³1902 – Wagner, Otto: Moderne Architektur. Seinen Schülern ein Führer auf diesem Kunstgebiet, Wien ³1902. Wagner 2008 – Wagner, Otto: Die Baukunst unserer Zeit, hrsg. v. Eva Winkler, Österreich 2008. Wagner 1850 – Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft, Leipzig 1850. Weininger 1980 (1903) – Weininger, Otto: Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung, Nachdruck der 1. Auflage, Wien 1903, München 1980. Widmer 1905–1906 – Widmer, K.: Farbe und

5.1. Literaturliste

Raum-Stimmung, in: Deutsche Kunst und Dekoration. Illustrierte Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerische Frauen-Arbeiten, Bd. 17 (1905–1906), S. 204–209. Wittmann 1985 (1910) – Wittmann, Hugo: Das Haus gegenüber der Burg. Neue Freie Presse, 4. Dezember 1910, in: Adolf Opel (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985, S. 36–40. Wölfflin 1888 – Wölfflin, Heinrich: Renaissance und Barock. Eine Untersuchung über Wesen und Entstehung des Barockstils in Italien, München 1888. Wölfflin 1999 – Wölfflin, Heinrich: Prolegomena zu einer Psychologie der Architektur. Mit einem Nachwort zur Neuausgabe von Jasper Cepl (Edition Ars et Architectura), hrsg. v. Helmut Geisert und Fritz Neumeyer, Berlin 1999. Wolff-Friedenau 1912 – Wolff-Friedenau, Th.: Verwendung von Motorlastwagen im Baugewerbe, in: Der Architekt. Monatshefte für Bauund Raumkunst, Jg. 18 (1912), S. 9–16. Worringer 1987 (1908) – Worringer, Wilhelm: Abstraktion und Einfühlung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie, Neuausgabe der Ausgabe von 1908, München und Zürich 1987. Zoff 1985 (1912) – Zoff, Otto: Adolf Loos über sein Haus (Im akademischen Verband für Literatur und Musik). Der Merker, Februar 1912, in: Adolf Opel (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985, S. 55f. Zuckerkandl 1904 – Zuckerkandl, B.: Josef Hoffmann, in: Dekorative Kunst. Illustrierte Zeitschrift für Angewandte Kunst, Jg. 12 (1904), S. 1–15. Zuckerkandl 1908 – Zuckerkandl, Berta: Zeitkunst. Wien 1901–1907, Wien 1908, S. 26–33. Zuckerkandl 1911 – Zuckerkandl, Berta: Josef Hoffmann. Meine Arbeit, in: Wiener Allgemeine Zeitung, 22. Februar 1911, S. 3. Zuckerkandl 1970 – Zuckerkandl, Berta: Österreich intim. Erinnerungen 1892–1942, hrsg. v. Reinhard Federmann, Frankfurt am Main 1970. Zuckerkandl 1991 – Zuckerkandl, Berta: Kunst

und Kultur. Der Klimt-Fries, in: Friedrich Kurrent und Alice Strobl (Hgg.): Das Palais Stoclet in Brüssel von Josef Hoffmann mit dem berühmten Fries von Gustav Klimt, Salzburg 1991, S. 91–93. Zweig 2005 (1942) – Zweig, Stefan: Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers, 35. Auflage, Frankfurt am Main 2005 (1942).

Sekundärliteratur Achleitner 1996 – Achleitner, Friedrich: Wiener Architektur. Zwischen typologischem Fatalismus und semantischem Schlamassel (Kulturstudien. Bibliothek der Kulturgeschichte, Bd. 9), Wien 1996. Achleitner 2003 – Achleitner, Friedrich: Schlüssel zur Wiener Moderne, in: Ohne Autor: Secession. Die Architektur, hrsg. v. der Secession, Wien 2003, S. 10f. Aktas 2010 – Aktas, Ulas: Stimmung. Die Ästhetik kulturaler Sphären, Berlin 2010. Alexander 2009 – Alexander, Zeynep Celik: Zur Konstruktion körperlichen Wissens, in: Robin Curtis und Gertrud Koch (Hgg.): Einfühlung. Zu Geschichte und Gegenwart eines ästhetischen Konzepts, München 2009, S. 213–231. Amanshauser 1985 – Amanshauser, Hildegund: Untersuchungen zu den Schriften von Adolf Loos (Dissertation der Universität Salzburg), Wien 1985. Anzieu ²1998 – Anzieu, Didier: Das Haut-Ich (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1255), Frankfurt am Main ²1998. Arburg 2010.1 – Arburg, Hans-Georg von: „Ein sonderbares Gespinst von Raum und Zeit“. Zur theoretischen Konstitution und Funktion von „Stimmung“ um 1900 bei Alois Riegl und Hugo von Hofmannsthal, in: Kerstin Thomas (Hrsg.): Stimmung. Ästhetische Kategorie und künstlerische Praxis (Passagen / Passages, Bd. 33), Berlin und München 2010, S. 13–27. Arburg 2010.2 – Arburg, Hans-Georg von (Hrsg.): figurationen. gender literatur kultur, Jg. 11 (2010), H. 2 Stimmung / Mood. Arburg 2012 – Arburg, Hans-Georg von (Hrsg.):

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5. Anhang

Concordia discors. Ästhetiken der Stimmung zwischen Literaturen, Künsten und Wissenschaften (Philologie der Kultur, Bd. 5), Würzburg 2012. Arnheim 1978 (1954 und 1974) – Arnheim, Rudolf: Kunst und Sehen. Eine Psychologie des schöpferischen Auges, Berlin u.a. 1978 (Engl. 1954 und 1974). Arnheim 1991 (1986) – Arnheim, Rudolf: Wilhelm Worringer über Abstraktion und Einfühlung, in: Ders.: Neue Beiträge, Köln 1991 (Engl. 1986), (Erstmals veröffentlicht in: Confinia Psychiatrica, Bd. 10, Nr. 1, 1967). Arnold 2003 – Arnold, Astrid: Villa Kérylos. Das Wohnhaus als Antikenrekonstruktion, München 2003. Bach 2006 – Bach, Susanne: Theatralität und Authentizität zwischen Viktorianismus und Moderne, Romane von Henry James, Thomas Hardy, Oscar Wilde und Wilkie Collins (Mannheimer Beiträge zur Sprach- und Literaturwissenschaft, Bd. 65), hrsg. v. Christine Bierbach u.a., Tübingen 2006. Baroni und D’Auria 1984 – Baroni, Daniele und Antonio D’Auria: Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte, Stuttgart 1984. Baumgärtner u.a. 2009 – Baumgärtner, Ingrid und Paul-Gerhard Klumbies und Franziska Sick: Raumkonzepte. Zielsetzung, Forschungstendenzen und Ergebnisse, in: Dieselben (Hgg.): Raumkonzepte. Disziplinäre Zugänge, Göttingen 2009, S. 9–25. Becker 1995 – Becker, Annette (Hrsg.): Österreich. Architektur im 20. Jahrhundert, München 1995. Becker und Korte 2011 – Becker, Sabina und Barbara Korte: Visuelle Evidenz? Zum Reflex der Fotografie in Literatur und Film. Einführende Überlegungen, in: Dieselben (Hgg.): Visuelle Evidenz. Fotografie im Reflex von Literatur und Film (linguae & literae; Bd. 5), Berlin u.a. 2011, S. 5–8. Behalova 1974 – Behalova, Vera J.: Adolf Loos. Villa Karma. Dissertation der Universität Wien, Wien 1974.

Benetka 1995 – Benetka, Gerhard: Psychologie in Wien. Sozial- und Theoriegeschichte des Wiener Psychologischen Instituts 1922–1938, Wien 1995. Benevolo 1964 – Benevolo, Leonardo: Geschichte der Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts Bd.1, München 1964. Berner u.a. 1986 – Berner, Peter und Emil Brix und Wolfgang Mantl (Hgg.): Wien um 1900. Aufbruch in die Moderne, München 1986. Bless 1997 – Bless, Herbert: Stimmung und Denken. Ein Modell zum Einfluß von Stimmungen auf Denkprozesse, Bern u.a. 1997. Bloch 1973 – Bloch, Ernst: Erbschaft dieser Zeit, Frankfurt am Main 1973. Bock 2009 – Bock, Ralf: Adolf Loos. Leben und Werk 1870 – 1933, München 2009. Bödefeld und Hinz 1991 – Bödefeld, Gerda und Berthold Hinz: Die Villen der Toscana und ihre Gärten. Kunst- und kulturgeschichtliche Reisen durch die Landschaften um Florenz und Pistoia, Lucca und Siena, Köln 1991. Böhme 2001 – Böhme, Gernot: Aisthetik. Vorlesungen über Ästhetik als allgmeine Wahrnehmungslehre, München 2001. Böhme 2006 – Böhme, Gernot: Architektur und Atmosphäre, München 2006. Böhme 1997 – Böhme, Hartmut: Gefühl, in: Christoph Wulf (Hrsg.): Vom Menschen. Handbuch Historischer Anthropologie, Weinheim und Basel 1997, S. 525–548. Bollnow ⁸1995 – Bollnow, Otto Friedrich: Das Wesen der Stimmungen, Frankfurt am Main ⁸1995. Bourdieu 1970 – Bourdieu, Pierre: Der Habitus als Vermittlung zwischen Struktur und Praxis, in: Ders.: Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt am Main 1970, S. 125–158. Brandl 2010 – Brandl, Sarah Yvonne: Versprachlichte Körper – verkörperte Sprache. Konstruktionen von Identität und Entfremdung in Literatur und Psychologie um 1900, Hamburg 2010. Brandstätter 2003 – Brandstätter, Christian: Design der Wiener Werkstätte 1903–1932. Architektur – Möbel – Gebrauchsgraphik – Postkarten – Plakate – Buchkunst – Glas – Kera-

5.1. Literaturliste

mik – Metall – Mode – Stoffe – Accessoires – Schmuck, Wien 2003. Braungart 1995 – Braungart, Georg: Leibhafter Sinn. Der andere Diskurs der Moderne (Studien zur deutschen Literatur, Bd. 130), Tübingen 1995. Breckner 1982 – Breckner, Gunter: Revitalisierung des Sanatoriums Purkersdorf (Diplomarbeit an der TU Wien), Wien 1982. Breckner 1988 – Breckner, Gunter: Josef Hoffmann. Sanatorium Purkersdorf, hrsg. v. Galerie Metropol und D. Christian Meyer, Wien 1988. Breckner 1996 – Breckner, Gunter: Sanatorium Purkersdorf. Anmerkungen zur Erforschung und Rekonstruktion, in: Ohne Autor: Hoffmann-Bau. Purkersdorf bei Wien, hrsg. v. Klaus KG, Purkersdorf 1996, S. 15–17. Breuer 1998 – Breuer, Gerda: Ästhetik der schönen Genügsamkeit oder Arts and Crafts als Lebensform. Programmatische Texte, erläutert von Gerda Breuer (Bauwelt Fundamente Bd. 112), hrsg. v. Ulrich Conrads und Peter Neitzke, Braunschweig und Wiesbaden 1998. Brix und Werkner 1990 – Brix, Emil und Patrick Werkner: Die Wiener Moderne. Ergebnisse eines Forschungsgespräches der Arbeitsgemeinschaft Wien um 1900 zum Thema „Aktualität und Moderne“ (eine Veröffentlichung der Österreichischen Forschungsgemeinschaft), Wien 1990. Broch 2001 – Broch, Hermann: Hofmannsthal und seine Zeit. Eine Studie, hrsg. v. Paul Michael Lützeler, Frankfurt am Main 2001. Brüggemann 2002 – Brüggemann, Heinz: Architekturen des Augenblicks. Raum-Bilder und Bild-Räume einer urbanen Moderne in Literatur, Kunst und Architektur des 20. Jahrhunderts, (Kultur und Gesellschaft, Bd.4), hrsg. v. Heinz Brüggemann und Wolfgang Lenk, Hannover 2002. Büttner 2003 – Büttner, Frank: Das Paradigma „Einfühlung“ bei Robert Fischer, Heinrich Wölfflin und Wilhelm Worringer. Die problematische Karriere einer kunsttheoretischen Fragestellung, in: Christian Drude und Hubertus Kohle (Hgg.): 200 Jahre Kunstgeschichte in München. Positionen – Perspektiven – Polemik.

1870–1980, München und Berlin 2003, S. 82–93. Cacciari 1995 – Cacciari, Massimo: Großstadt. Baukunst. Nihilismus. Essays (Ritter Theorie, hrsg. v. Gabriel Ramin Schor), Klagenfurt und Wien 1995. Coriando 2002 – Coriando, Paola-Ludovika: Affektenlehre und Phänomenologie der Stimmungen. Wege einer Onotologie und Ethik des Emotionalen (Philosophische Abhandlungen, Bd. 85), Frankfurt am Main 2002. Colomina 1988 – Colomina, Beatriz: On Adolf Loos and Josef Hoffmann: Architecture in the Age of Mechanical Reproduction, in: Max Risselada (Hrsg.): Raumplan. Raumplan vs. Plan Libre, Amsterdam 1988, S. 65–77. Colomina 1994 – Colomina, Beatriz: Privacy and publicity. Modern architecture as mass media, Massachusetts 1994. Colomina 1997.1 – Colomina, Beatriz: Die gespaltene Wand: häuslicher Voyeurismus, in: Christian Kravagna (Hrsg.): Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur, Berlin 1997, S. 201–222. Cumming und Kaplan 1991 – Cumming, Elizabeth und Wendy Kaplan: The Arts and Crafts Movement, London 1991. Curjel 1971 – Curjel, Hans: Vom 19. zum 20. Jahrhundert, in: Jost Hermand: Jugendstil, 1971, S. 123–144. Curtis und Koch 2009 – Curtis, Robin und Gertrud Koch (Hgg.): Einfühlung. Zu Geschichte und Gegenwart eines ästhetischen Konzepts, München 2009. • Curtis 2009 – Curtis, Robin: Einführung in die Einfühlung, in: Robin Curtis und Gertrud Koch (Hgg.): Einfühlung. Zu Geschichte und Gegenwart eines ästhetischen Konzepts, München 2009, S. 11–29. Curtis ³2002 – Curtis, William: Moderne Architektur seit 1900, Singapur ³2002. Czaja 1993 – Czaja, Johannes: Psychophysische Grundperspektive und Essayismus. Untersuchungen zu Robert Musils Werk mit besonderem Blick auf Gustav Theodor Fechner und Ernst Mach. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen

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5. Anhang

Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Stuttgart 1993. Czech und Mistelbauer ²1977 – Czech, Hermann und Wolfgang Mistelbauer: Das Looshaus, Wien ²1977. Czech 2008 – Czech, Hermann: Adolf Loos – Widersprüche und Aktualität, in: Inge Podbrecky und Rainald Franz (Hgg.): Leben mit Loos, Wien u.a. 2008, S. 17–25. Davey 1996 – Davey, Peter: Arts-and-Crafts-Architektur. Aus dem Englischen übertragen von Antje Pehnt, Stuttgart 1996. Demarle 1985 – Demarle, Gert: Kuranlage Purkersdorf. Eine Revitalisierung. Diplomarbeit, Wien 1985. Dittmann 2005 – Dittmann, Marlen: Hoffmann – Loos – Behrens, in: Ingeborg Besch u.a. (Hrsg.): Bilder sind nicht fiktiv sondern anschaulich. Festschrift für Christa Schwinn, Saarbrücken 2005, S. 195–204. Dröge und Müller 1995 – Dröge, Franz und Michael Müller: Die Macht der Schönheit. Avantgarde und Faschismus oder die Geburt der Massenkultur, Hamburg 1995. Dvorák 2003 – Dvorák, Johann: Hermann Bahr. Materialismus und Moderne, in: Ders. (Hrsg.): Radikalismus, demokratische Strömungen und die Moderne in der österreichischen Literatur (Bremer Beiträge zur Literatur- und Ideengeschichte, Bd. 43, hrsg. v. Thomas Metscher und Wolfgang Beutin), Frankfurt am Main 2003, S 197–208. Eckel 1996 – Eckel, Susanne: Das frühe schriftstellerische Werk des Wiener Architekten Adolf Loos. Mit einem kritisch-kommentierten Schriften- und Vortragsverzeichnis, Dissertation, Heidelberg 1996. Erbe 2002 – Erbe, Günter: Dandys. Virtuosen der Lebenskunst. Eine Geschichte des mondänen Lebens, Köln u.a. 2002. Erdheim 1985 – Erdheim, Mario: Psychoanalyse jenseits von Ornament und Askese. Zur Entdeckungsgeschichte des Unbewußten, in: Alfred Pfabigan (Hrsg.): Ornament und Askese. Im Zeitgeist des Wien der Jahrhundertwende, Wien 1985, S. 230–241.

Fahr-Becker 2003 – Fahr-Becker, Gabriele: Wiener Werkstätte. 1903–1932, Köln u.a. 2003. Finger 2006 – Finger, Anke: Das Gesamtkunstwerk der Moderne, Göttingen 2006. Fischl 1996 – Fischl, Regine: Kurzer Abriss über die Aussensanierung des Sanatorium Purkersdorf, in: Hoffmann-Bau. Purkersdorf bei Wien, hrsg. v. Klaus KG, Purkersdorf 1996, S. 19–21. Fischer und Köpl 2005 – Fischer, Lisa und Regina Köpl: Sigmund Freud. Wiener Schauplätze der Psychoanalyse, Wien u.a. 2005. Fischer 2008 – Fischer, Ole W.: Ins Leere widersprochen. Über die Polemik von Adolf Loos gegen Henry van de Velde: eine kulturpsychologische Betrachtung, in: Ákos Moravánszky, Bernhard Langer und Elli Mosayebi (Hgg.): Adolf Loos. Die Kultivierung der Architektur, Zürich 2008, S. 83–116. Fornoff 2004 – Fornoff, Roger: Die Sehnsucht nach dem Gesamtkunstwerk. Studien zu einer ästhetischen Konzeption der Moderne (Literaturwissenschaft im interdisziplinären Dialog, hrsg. v. Angelika Corbineau-Hoffmann, Bd. 6), Hildesheim u.a. 2004. Forsthuber 1991 – Forsthuber, Sabine: Moderne Raumkunst. Wiener Ausstellungsbauten von 1898 bis 1914, Wien 1991. Frampton 1996 – Frampton, Kenneth: Adolf Loos – der Architekt als Baumeister, in: Roberto Schezen: Adolf Loos. Architektur, Wien und Salzburg 1996, S. 14–21. Frampton 2010 – Frampton, Kenneth: Die Architektur der Moderne. Eine kritische Baugeschichte, überarbeitete und erweiterte Neuausgabe der 8. Auflage, München 2010. Frank 2001 – Frank, Isabelle: Das körperlose Ornament im Werk Owen Jones und Alois Riegl, in: Isabelle Frank und Freia Hartung (Hgg.): Die Rhetorik des Ornaments, München 2001, S. 77–99. Frey 2011 – Frey, Christiane: Kants proportionierte Stimmung, in: Anna-Katharina Gisbertz (Hrsg.): Stimmung. Zur Wiederkehr einer ästhetischen Kategorie, München 2011, S. 75–94. Friedrich 1996 – Friedrich, Sven: Das auratische Kunstwerk. Zur Ästhetik von Richard

5.1. Literaturliste

Wagners Musiktheater-Utopie (Theatron, Bd. 19), Tübingen 1996. Friedrich und Gleiter 2007 – Friedrich, Thomas und Jörg G. Gleiter (Hgg.): Einfühlung und phänomenologische Reduktion. Grundlagentexte zu Architektur, Design und Kunst (Ästhetik und Kulturphilosophie, hrsg. v. Thomas Friedrich und Gerhard Schweppenhäuser, Bd. 5), Berlin 2007. Frottier 1990 – Frottier, Elisabeth: SchwarzWeiss. Die Entdeckung des Kontrastes, Wien 1990. Fuchs 2000 – Fuchs, Thomas: Leib, Raum, Person. Entwurf einer phänomenologischen Anthropologie, Stuttgart 2000. Führ 2001 – Führ, Eduard: „ich esse Roastbeef!“ Ornament und Praxis in der Modernen Architektur, in: Isabelle Frank und Freia Hartung (Hgg.): Die Rhetorik des Ornaments, München 2001, S. 301–324. Gaehtgens 2010 – Gaehtgens, Thomas W.: „Cet ordre de sentiments confus […] par les mots de Gemuth et de Stimmung“. Böcklin aus französischer Sicht, in: Kerstin Thomas (Hrsg.): Stimmung. Ästhetische Kategorie und künstlerische Praxis (Passagen / Passages, Bd. 33), Berlin und München 2010, S. 197–211. Geismeier 1979 – Geismeier, Willi: Biedermeier. Das Bild vom Biedermeier. Zeit und Kultur des Biedermeier. Kunst und Kunstleben des Biedermeier, Leipzig 1979. Gelfert 2008 – Gelfert, Hans-Dieter: Edgar Allan Poe. Am Rande des Malstroms, München 2008. Gemmel 2005 – Gemmel, Mirko: Die Kritische Wiener Moderne. Ethik und Ästhetik. Karl Kraus. Adolf Loos. Ludwig Wittgenstein, Berlin 2005. Ginhart 1948 – Ginhart, Karl: Wiener Kunstgeschichte, Wien 1948. Gisbertz 2009 – Gisbertz, Anna-Katharina: Stimmung – Leib – Sprache. Eine Konfiguration in der Wiener Moderne, München 2009. Gisbertz 2011 – Gisbertz, Anna-Katharina (Hrsg.): Stimmung. Zur Wiederkehr einer ästhetischen Kategorie, München 2011.

• Gisbertz 2011.1 – Gisbertz, Anna-Katharina: Wiederkehr der Stimmung? In: Dies. (Hrsg.): Stimmung. Zur Wiederkehr einer ästhetischen Kategorie, München 2011, S. 7–13. • Gisbertz 2011.2 – Gisbertz, Anna-Katharina: Ver-/Stimmungen in der Wiener Moderne, in: Dies. (Hrsg.): Stimmung. Zur Wiederkehr einer ästhetischen Kategorie, München 2011, S. 177–195. Gleiter 2002 – Gleiter, Jörg H.: Rückkehr des Verdrängten. Zur kritischen Theorie des Ornaments in der architektonischen Moderne, Weimar 2002. Gleiter 2008 – Gleiter, Jörg H.: Architekturtheorie heute (ArchitekturDenken. Architekturtheorie und Ästhetik), Bielefeld 2008. Gleiter 2009 – Gleiter, Jörg H.: Der philosophische Flaneur. Nietzsche und die Architektur, Würzburg 2009. Gorsen 1985 – Gorsen, Peter: Josef Hoffmann. Zur Modernität eines konservativen Baumeisters, in: Alfred Pfabigan (Hrsg.): Ornament und Askese. Im Zeitgeist des Wien der Jahrhundertwende, Wien 1985, S. 69–92. Graf 1985 – Graf, Otto Antonia: Otto Wagner. Teil 1 Das Werk des Architekten 1860–1902 (Schriften des Instituts für Kunstgeschichte, Akademie der Bildenden Künste, Wien, Bd. 2), Wien 1985. Gravagnuolo 1982 – Gravagnuolo, Benedetto: Adolf Loos. Theory and works, Florenz und Mailand 1982. Gubler 1985 – Gubler, Jacques: „Sur l’album photographique de la villa Karma“, lettre à A. M. Vogt, in: Katharina Medici-Mall (Hrsg.): Fünf Punkte in der Architekturgeschichte. Festschrift für Adolf Max Vogt, Basel 1985, S. 214–229. Günther 2009 – Günther, Hubertus: Was ist Renaissance? Eine Charakteristik der Architektur zu Beginn der Neuzeit, Darmstadt 2009 Günther: Was ist Renaissance? Eine Charakteristik der Architektur zu Beginn der Neuzeit, Darmstadt 2009. Gundlach 1993 – Gundlach, Horst: Entstehung und Gegenstand der Psychophysik (Lehr- und Forschungstexte, hrsg. v. D. Albert u.a., Bd. 45), Berlin u.a. 1993.

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5. Anhang

Haag 2012 – Haag, Saskia: ‚Stimmung‘ machen. Die Produktion des Interieurs im 19. Jahrhundert, in: Hans Georg von Arburg und Sergej Rickenbacher (Hgg.): Concordia discors. Ästhetiken der Stimmung zwischen Literaturen, Künsten und Wissenschaften (Philologie der Kultur, Bd. 5), Würzburg 2012, S. 115–125. Haiko und Reissberger 1985 – Haiko, Peter und Mara Reissberger: Ornamentlosigkeit als neuer Zwang, in: Alfred Pfabigan (Hrsg.): Ornament und Askese. Im Zeitgeist des Wien der Jahrhundertwende, Wien 1985, S. 110–119. Haiko 1986 – Haiko, Peter: Otto Wagner: „Von der Renaissance zur Naissance der Kunst“, in: Hermann Fillitz und Martina Pippal (Hgg.): Akten des XXV. Internationalen Kongresses für Kunstgeschichte. Wien und die Architektur des 20. Jahrhunderts, Bd. 8, Wien 1986, S. 117–123. Haiko 1994 – Haiko, Peter: The „Obscene“ in Viennese Architecture of the Early Twentieth Century, in: Patrick Werkner (Hrsg.): Egon Schiele. Art, Sexuality, and Viennese Modernism, Washington 1994, S. 89–100. Hanák 1986 –Hanák, Péter: Lebensgefühl oder Weltanschauung, in: Peter Berner und Emil Brix und Wolfgang Mantl (Hgg.): Wien um 1900. Aufbruch in die Moderne, München 1986, S. 157–163. Hanisch und Sonne 2008 – Hanisch, Ruth und Wolfgang Sonne: Die Welt der kleinen Dinge. Camillo Sittes Schriften zum Kunstgewerbe, in: Klaus Semsroth u.a (Hrsg.): Camillo Sitte. Schriften zu Kunstkritik und Kunstgewerbe (Camillo Sitte Gesamtausgabe, Bd. 1), Wien u.a. 2008, S. 103–131. Harather 1995 – Harather, Katrin: Haus-Kleider. Zum Phänomen der Bekleidung in der Architektur, Wien u.a. 1995. Hartmann ²2010 – Hartmann, Martin: Gefühle. Wie die Wissenschaften sie erklären (Campus Studium), Frankfurt am Main ²2010. Herding 2004 – Herding, Klaus: Emotionsforschung heute – eine produktive Paradoxie, in: Ders. und Bernhard Stumpfhaus (Hgg.): Pathos, Affekt, Gefühl. Die Emotionen in den Künsten, Berlin und New York 2004, S. 3–46.

Herlemann 1972 – Herlemann, Klaus-Dieter: Oscar Wildes ironischer Witz als Ausdrucksform seines Dandysmus. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität zu Freiburg im Breisgau, Freiburg 1972. Hermand 2009 – Hermand, Jost: Der Kunsthistoriker Richard Hamann. Eine politische Biographie (1879–1961), Köln u.a. 2009. Hodonyi 2010 – Hodonyi, Robert: Herwarth Waldens Sturm und die Architektur. Eine Analyse zur Konvergenz der Künste in der Berliner Moderne (Moderne-Studien, hrsg. v. Walter Delabar, Walter Fähnders und Dieter Heimböckel, Bd. 6), Bielefeld 2010. Hofmann 2001 – Hofmann, Werner: Das kaschierte Ornament (Loos und Wien), in: Isabelle Frank und Freia Hartung (Hgg.): Die Rhetorik des Ornaments, München 2001, S. 277–300. Hubmann 2003 – Hubmann, Alexander: Bau- und Restaurierungsgeschichte des – Sanatorium Purkersdorf, in: Elisabeth Gehrer (Hrsg.): Josef Hoffmanns Sanatorium Purkersdorf bei Wien, Wien 2003, S. 46–55. Imorde 2006 – Imorde, Joseph: Adolf Loos. Der Raumplan und das Private, in: Kritische Berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaft, Jg. 34 (2006), H. 2, S. 33–48. Janik 1986 – Janik, Allan: Kreative Milieus. Der Fall Wien, in: Peter Berner und Emil Brix und Wolfgang Mantl (Hgg.): Wien um 1900. Aufbruch in die Moderne, München 1986, S. 45–55. Kemp 1983 – Kemp, Wolfgang: John Ruskin, München 1983. Johnston 1974 – Johnston, William: Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte. Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848 bis 1938, Wien 1974. Kalavrezou-Maxeiner 1984 – Kalavrezou-Maxeiner, Ioli: Franz Wickhoff. Kunstgeschichte als Wissenschaft, in: Hermann Fillitz und Martina Pippal (Hgg.): Akten des XXV. Internationalen Kongresses für Kunstgeschichte. Wien und die Entwicklung der Kunsthistorischen Methode, Bd. 1, Wien 1984, S. 17–22.

5.1. Literaturliste

Kamm-Kyburz 1985 – Kamm-Kyburz, Christine: Tendenzen im Ornament Josef Hoffmanns, in: Thomas Bolt (Hrsg.): Grenzbereiche der Architektur, Stuttgart 1985, S. 115–123. Kandel 2012 – Kandel, Eric: Das Zeitalter der Erkenntnis. Die Erforschung des Unbewussten in Kunst, Geist und Gehirn von der Wiener Moderne bis heute, München 2012. Kapfinger 2003 – Kapfinger, Otto: Des Kunsttempels Traumlandsherkunft, in: Ohne Autor: Secession. Die Architektur, hrsg. v. der Secession, Wien 2003, S. 35–60. Kassal-Mikula 1984 – Kassal-Mikula, Renata: Architektur, in: Robert Waissenberger (Hrsg.): Wien 1890–1920, Wien 1984, S. 173–210. Kaufmann 1955 – Kaufmann, Emil: Architecture in the Age of Reason. Baroque and PostBaroque in England, Italy, and France, Cambridge 1955. Knoll 1986 – Knoll, Reinhold: Soziologie des Fin de siècle, in: Peter Berner und Emil Brix und Wolfgang Mantl (Hgg.): Wien um 1900. Aufbruch in die Moderne, München 1986, S. 56–62. Koch 2006 – Koch, Wilfried: Baustilkunde. Das Standardwerk zur europäischen Baukunst von der Antike bis zur Gegenwart, 27. grundlegend bearbeitete und ergänzte Auflage, Gütersloh und München 2006. Kolb 1989 – Kolb, Günter: Otto Wagner und die Wiener Stadtbahn (Beiträge zur Kunstwissenschaft, Bd. 29), München 1989. Krauss und Uthemann 1998 – Krauss, Heinrich und Eva Uthemann: Was Bilder erzählen. Die klassischen Geschichten aus Antike und Christentum, 4. Auflage, München 1998. Kravagna 2010 – Kravagna, Christian: Adolf Loos and the Colonial Imaginary, in: AK Colonial Modern. Aesthetics of the Past – Rebellions fort he Future (In the Desert of Modernity – Colonial Planning and After, Haus der Kulturen der Welt, Berlin), hrsg. v. Tom Avermaete u.a., London 2010, S. 245–261. Kretschmer 2010 – Kretschmer, Hildegard: Wien. Reclams Städteführer Architektur und Kunst (Reclams Universal-Bibliothek, Bd. 186969), Stuttgart 2010.

Kristan 2001 – Kristan, Markus: Adolf Loos. Läden & Lokale. Mit einer Einführung, einer Zeittafel und einem Werkregister von Markus Kristan, Wien 2001. Kristan 2002 – Kristan, Markus (Hrsg.): Josef Hoffmann. Bauten & Interieurs. In zeitgenössischen Photographien, Wien 2002. Kristan 2008 – Kristan, Markus: Adolf Loos bittet zu Tisch, in: Inge Podbrecky und Rainald Franz (Hgg.): Leben mit Loos, Wien u.a. 2008, S. 245–254. Kroll 1987 – Kroll, Frank-Lothar: Das Ornament in der Kunsttheorie des 19. Jahrhunderts. Mit einem Geleitwort von Heinrich Lützeler, Hildesheim u.a. 1987. Kroll 2001 – Kroll, Frank-Lothar: Ornamenttheorien im Zeitalter des Historismus, in: Isabelle Frank und Freia Hartung (Hgg.): Die Rhetorik des Ornaments, München 2001, S. 163–175. Kruft 1995 – Kruft, Hanno–Walter: Geschichte der Architekturtheorie. Von der Antike bis zur Gegenwart, 4. Auflage, München 1995. Kurdiovsky 2010 – Kurdiovsky, Richard: Der lange Weg zum Kaiserforum. Gottfried Sempers und Carl Hasenauers Idealplanungen zum Ausbau der Wiener Hofburg von 1867 bis 1871, in: Werner Telesko u.a. (Hrsg.): Die Wiener Hofburg und der Residenzbau in Mitteleuropa im 19. Jahrhundert. Monarchische Repräsentation zwischen Ideal und Wirklichkeit, Wien u.a. 2010, S. 87–113. Kurdiovsky 2012 – Kurdiovsky, Richard: Wettbewerbs- und Planungsgeschichte, in: Werner Telesko (Hrsg.): Die Wiener Hofburg 1835– 1918. Der Ausbau der Residenz vom Vormärz bis zum Ende des „Kaiserforums“, Wien 2012, S. 156–183. Kurrent 1991 – Kurrent, Friedrich: Das Palais Stoclet – Der Schrein von Brüssel. Ein architektonisches Meisterwerk von Josef Hoffmann, in: Ders. und Alice Strobl (Hgg.): Das Palais Stoclet in Brüssel von Josef Hoffmann mit dem berühmten Fries von Gustav Klimt, Salzburg 1991, S. 9–23. Kury 2000 – Kury, Astrid: „Heiligenscheine eines

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5. Anhang

elektrischen Jahrhundertendes sehen anders aus …“. Okkultismus und die Kunst der Wiener Moderne (Studien zur Moderne, hrsg. v. Karl Acham u.a., Bd. 9), Wien 2000. Lachmayer und Mattl-Wurm 1991 – Lachmayer, Herbert und Sylvia Mattl-Wurm (Hgg.): Das Bad. Eine Geschichte der Badekultur im 19. und 20. Jahrhundert, Salzburg und Wien 1991. Lamping und Zipfel 2004 – Lamping, Dieter und Frank Zipfel: Nachwort, in: Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke. Dramen und Opernlibretti, Bd. 2, hrsg. v. Dieter Lamping und Frank Zipfel, Düsseldorf und Zürich 2004, S. 860–885. Leitich 1942 – Leitich, Ann Tizia: Verklungenes Wien. Vom Biedermeier zur Jahrhundertwende, Wien 1942. Lennig 1994 – Lennig, Petra: Von der Metaphysik zur Psychophysik Gustav Theodor Fechner (1801–1887). Eine ergobiographische Studie (Beiträge zur Geschichte der Psychologie, hrsg. v. Helmut E. Lück, Bd. 8), Frankfurt am Main u.a. 1994. Le Rider 1985 – Le Rider, Jacques: Modernismus / Feminismus – Modernität / Virilität. Otto Weininger und die asketische Moderne, in: Alfred Pfabigan (Hrsg.): Ornament und Askese. Im Zeitgeist des Wien der Jahrhundertwende, Wien 1985, S. 242–260. Leser 1986 – Leser, Norbert: Geistige und politische Strömungen in Wien um 1900, in: Peter Berner, Emil Brix und Wolfgang Mantl (Hgg.): Wien um 1900. Aufbruch in die Moderne, München 1986, S. 63–68. Lipp 2002 – Lipp, Gerhard: Viktor Zuckerkandl. Das musikanthropologische Denken von Viktor Zuckerkandl (Musikethnologische Sammelbände, Bd. 18), hrsg. v. Wolfgang Suppan, Tutzing 2002. Long 2011 – Long, Christopher: The Looshaus, Austin Texas 2011. Lorenz ²2007 – Lorenz, Dagmar: Wiener Moderne (Sammlung Metzler, Bd. 290), Stuttgart ²2007. Lüdeke 2006 – Lüdeke, Rodger: Einleitung, in: Jörg Dünne und Stephan Günzel (Hgg.): Raum-

theorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2006, S. 449–467. Lustenberger 1994 – Lustenberger, Kurt: Adolf Loos, Zürich u.a. 1994. Magnago Lampugnani 1980 – Magnago Lampugnani, Vittorio: Architektur und Städtebau des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1980. Mayer 2003 – Mayer, Gottfried: Das Sanatorium Westend im Fin de Siècle – Bewohner und Gäste, in: Elisabeth Gehrer: Josef Hoffmanns Sanatorium Purkersdorf bei Wien, Wien 2003, S. 36–39. McLeod 1996 – McLeod, Mary: Undressing Architecture. Fashion, Gender, and Modernity, in: D. Fausch u. a. (Hrsg.): Architecture in Fashion, New York 1996, S. 38–123. Meder 2008 – Meder, Iris: „In der Kärntnerbar, in Cabarets und Nachtlokalen“. Loos, Strnad, Frank, Hoffmann und ihre Schüler, in: Inge Podbrecky und Rainald Franz (Hgg.): Leben mit Loos (Schriften des Verbands österreichischer Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker, Bd. 3), Wien u.a. 2008, S. 213–243. Merte 1998 – Merte, Angela: Totalkunst. Intermediale Entwürfe für eine Ästhetisierung der Lebenswelt, Bielefeld 1998. Methlagl 1986 – Methlagl, Walter: Zeitschriften als Spiegel des literarischen Aufbruchs. Der Ruf (Wien) und Der Brenner (Innsbruck), in: Peter Berner, Emil Brix und Wolfgang Mantl (Hgg.): Wien um 1900. Aufbruch in die Moderne, München 1986, S. 112–118. Meysels ²1984 – Meysels, Lucian: In meinem Salon ist Österreich. Berta Zuckerkandl und ihre Zeit, München ²1984. Miller 2004 – Miller, Manu: Sonja Knips und die Wiener Moderne. Gustav Klimt, Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte gestalteten eine Lebenswelt, Wien 2004. Mignot 1983 – Mignot, Claude: Architektur des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1983. Moravánszky 1988.1 – Moravánszky, Ákos: Die Architektur der Donaumonarchie, Berlin 1988. Moravánszky 1988.2 – Moravánszky, Ákos: Die Erneuerung der Baukunst. Wege zur Moderne

5.1. Literaturliste

in Mitteleuropa 1900–1940, hrsg. v. der Hochschule für Angewandte Kunst Wien und dem Museum moderner Kunst Wien, Salzburg 1988. Moravánszky 2003 – Moravánszky, Ákos (Hrsg.): Architekturtheorie im 20. Jahrhundert. Eine kritische Anthologie, Wien 2003. Moravánszky 2008.1 – Moravánszky, Ákos: Adolf Loos. Die Kultivierung der Architektur. Einführung, in: Ákos Moravánszky, Bernhard Langer und Elli Mosayebi (Hgg.): Adolf Loos. Die Kultivierung der Architektur, Zürich 2008, S. 17–22. Moravánszky 2008.2 – Moravánszky, Ákos: Verheimlichte Räume. Adolf Loos und die Ästhetik der Maskierung, in: Ákos Moravánszky, Bernhard Langer und Elli Mosayebi (Hgg.): Adolf Loos. Die Kultivierung der Architektur, Zürich 2008, S. 60–82. Müller ²1984 – Müller, Dorothee: Klassiker des modernen Möbeldesigns. Otto Wagner – Adolf Loos – Josef Hoffmann – Koloman Moser (Keysers Sammlerbibliothek), München ²1984. Müller 1974 – Müller, Michael: Die Verdrängung des Ornaments durch die funktionale Architektur. Ein kunsttheoretischer Beitrag zum Problem des Verlusts eines Teilbereichs ästhetischer Praxis (edition suhrkamp), Frankfurt am Main 1974. Müller-Tamm 2005 – Müller-Tamm, Jutta: Abstraktion als Einfühlung. Zur Denkfigur der Projektion in Psychophysiologie, Kulturtheorie, Ästhetik und Literatur der frühen Moderne (Rombach Wissenschaften. Reihe Litterae, Bd. 124), Freiburg 2005. Münz und Künstler 1964 – Münz, Ludwig und Gustav Künstler: Der Architekt Adolf Loos. Darstellung seines Schaffens nach Werkgruppen / Chronologisches Werkverzeichnis, Wien und München 1964. Münz 1989 – Münz, Ludwig: Adolf Loos. Mit Verzeichnis der Werke und Schriften, Wien 1989. Munch 2005 – Munch, Anders V.: Der stillose Stil. Adolf Loos, München 2005. Muntoni 1989 – Muntoni, Alessandra: Il Palazzo Stoclet di Josef Hoffmann. 1905 – 1911, Rom 1989.

Munz 2008 – Munz, Volker A.: Stabilitätsverluste und die Unrettbarkeit des Ichs, in: Károli Csúri u.a. (Hrsg.): Kulturtransfer und kulturelle Identität. Budapest und Wien zwischen Historismus und Avantgarde (Österreich-Studien Szeged, Bd. 3), Wien 2008, S. 101–111. Nierhaus 2010 – Nierhaus, Irene: Landschaftlichkeiten. Grundierungen von Beziehungsräumen, in: Dies. u.a. (Hrsg.): Landschaftlichkeit zwischen Kunst, Architektur und Theorie, Berlin 2010, S. 21–38. Nierhaus 2012 – Nierhaus, Andreas: Das Kaiserforum als Entwurf einer idealen Residenz, in: Werner Telesko (Hrsg.): Die Wiener Hofburg 1835–1918. Der Ausbau der Residenz vom Vormärz bis zum Ende des „Kaiserforums“, Wien 2012, S. 184–193. Ocón Fernández 2004 – Ocón Fernández, Maria: Ornament und Moderne. Theoriebildung und Ornamentdebatte im deutschen Architekturdiskurs (1850–1930), Berlin 2004. Oechslin 1994 – Oechslin, Werner: Stilhülse und Kern. Otto Wagner, Adolf Loos und der evolutionäre Weg zur modernen Architektur (Studien und Texte zur Geschichte der Architektur), Zürich und Berlin 1994. Oechslin 1999 – Oechslin, Werner: Der evolutionäre Weg zur modernen Architektur. Otto Wagner und das Paradigma von „Stilhülse und Kern“, in: Ders.: Moderne entwerfen. Architektur und Kulturgeschichte, Köln 1999, S. 44–77. Ohne Autor 1930 – Ohne Autor: Josef Hoffmann zum sechzigsten Geburtstag. 15. Dezember 1930, hrsg. v. Österreichischen Werkbund und der Zeitschrift „Almanach der Dame“, Wien 1930. Ohne Autor 1984 – Ohne Autor: Otto Wagner. Möbel und Innenräume, hrsg. v. Museum Moderner Kunst Wien, Salzburg 1984. Ohne Autor 1989 – Ohne Autor: Das Looshaus. Eine Chronik 1909 – 1989, hrsg. v. der Raiffeisenbank Wien, Wien 1989. Ohne Autor 1996 – Ohne Autor: Hoffmann-Bau. Purkersdorf bei Wien, hrsg. v. Klaus KG, Purkersdorf 1996. Ohne Autor 2003.1 – Ohne Autor: Architektur

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5. Anhang

Theorie von der Renaissance bis zur Gegenwart. 89 Beiträge zu 117 Traktaten, Köln 2003. Ohne Autor 2003.2 – Ohne Autor: Sanatorium Purkersdorf – Chronik, in: Elisabeth Gehrer (Hrsg.): Josef Hoffmanns Sanatorium Purkersdorf bei Wien, Wien 2003, S. 18f. Ohne Autor 2003.3 – Ohne Autor: Secession. Die Architektur, hrsg. v. der Secession, Wien 2003. Ohne Autor 2005 – Ohne Autor: Recreation. Josef Hoffmann, Etsdorf am Kamp 2005. Opel 1985 – Opel, Adolf (Hrsg.): Kontroversen. Adolf Loos im Spiegel der Zeitgenossen, Wien 1985. Opel und Valdez 1990 – Opel, Adolf und Marino Valdez (Hgg.): Alle Architekten sind Verbrecher. Adolf Loos und die Folgen einer Spurensuche, Wien und Linz 1990. Opel 1997 – Opel, Adolf: Vorwort des Herausgebers, in: Adolf Loos: Trotzdem. 1900–1930, hrsg. v. Adolf Opel, unveränderter Neudruck der Erstausgabe von 1931, Wien 1997, S. 7–17. Opel 2010 – Opel, Adolf: Vorwort des Herausgebers, in: Adolf Loos: Gesammelte Schriften, hrsg. v. Adolf Opel, Wien 2010, S. IX–XXXIII. Ottillinger 1994 – Ottillinger, Eva B.: Adolf Loos. Wohnkonzepte und Möbelentwürfe, Salzburg und Wien 1994. Panofsky 1989 – Panofsky, Erwin: Gotische Architektur und Scholastik. Zur Analogie von Kunst, Philosophie und Theologie im Mittelalter, hrsg. v. Thomas Frangenberg, Köln 1989. Parkinson 2000 – Parkinson, Brian u.a.: Stimmungen. Struktur, Dynamik und Beeinflussungsmöglichkeiten eines psychologischen Phänomens, Stuttgart 2000. Peche 2003 (1922) – Peche, Dagobert: Der brennende Dornbusch (1922), in: Volker Thurm (Hrsg.): Wien und der Wiener Kreis. Orte einer unvollendeten Moderne. Ein Begleitbuch, Wien 2003, S. 280–282. Peplow 1996 – Peplow, Ronnie M.: Adolf Loos. Die Verwerfung des wilden Ornaments, in: Ursula Franke (Hrsg.): Ornament und Geschichte. Studien zum Strukturwandel des Ornaments in der Moderne, Bonn 1996, S. 173–189.

Pfabigan 1991 – Pfabigan, Alfred: Geistesgegenwart. Essays zu Joseph Roth, Karl Kraus, Adolf Loos, Jura Soyfer (Edition Falter im ÖBV, hrsg. v. Franz Schuh), Wien 1991. Pippal 2000 – Pippal, Martina: Kleine Kunstgeschichte Wiens, München 2000. Pirhofer 1986 – Pirhofer, Gottfried: Das neue Wiener Interieur der Jahrhundertwende am Beispiel der „Hohen Warte“, in: Hubert Ch. Ehalt und Helmut Konrad (Hgg.): Glücklich ist, wer vergißt…? Das andere Wien um 1900 (Kulturstudien Bd. 6), Wien 1986, S. 305–314. Podbrecky 2007 – Podbrecky, Inge: Körper und Bekleidung. Gottfried Sempers Wiener Kaiserforum, in: Rainald Franz und Andreas Nierhaus (Hgg.): Gottfried Semper und Wien. Die Wirkung des Architekten auf „Wissenschaft, Industrie und Kunst“ (Schriften des Verbands österreichischer Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker, Bd. 1), Wien u.a. 2007, S. 113–129. Pogacnik 2011 – Pogacnik, Marco: Adolf Loos und Wien (Architektur im Ringturm, Bd. XXVI), hrsg. v. Adolph Stiller, Wien 2011. Porfyriou 2005 – Porfyriou, Heleni: Camillo Sitte und das Primat des Sichtbaren in der Moderne, in: Klaus Semsroth, Kari Jormakka und Bernhard Langer (Hgg.): Kunst des Städtebaus. Neue Perspektiven auf Camillo Sitte, Wien u.a. 2005, S. 239–256. Posener 1964 – Posener, Julius: Anfänge des Funktionalismus. Von Art and Crafts zum Deutschen Werkbund, Berlin u.a. 1964. Prange 1991 – Prange, Regine: Das Kristalline als Kunstsymbol. Bruno Taut und Paul Klee. Zur Reflexion des Abstrakten in Kunst und Kunsttheorie der Moderne, Hildesheim u.a. 1991. Prokop 2003 – Prokop, Ursula: Das britische Paradigma im Konflikt der Wiener Moderne zwischen Dekorativismus und Purismus. Zur unterschiedlichen Rezeption der Arts and Crafts Bewegung bei Josef Hoffmann und Adolf Loos, in: Johann Dvořák (Hrsg.): Radikalismus, demokratische Störungen und die Moderne in der österreichischen Literatur (Bremer Beiträge zur Literatur- und Ideengeschichte, Bd. 43, hrsg. v.

5.1. Literaturliste

Thomas Metscher und Wolfgang Beutin), Frankfurt 2003, S. 293–307. Proske 2010 – Proske, Stefanie: Vorwort. Von Flaneuren, Literaten und Lebenskünstlern, in: Flaneure. Begegnungen auf dem Trottoir, Frankfurt am Main u.a 2010, S. 7–9. Radkau 1998 – Radkau, Joachim: Das Zeitalter der Nervosität. Deutschland zwischen Bismarck und Hitler, München 1998. Radkau 2001 – Radkau, Joachim: Amerikanisierung als deutsches Nervenproblem. Von der nervösen zur coolen Modernität, in: AK Urbane Paradiese. zur Kulturgeschichte modernen Vergnügens (Stiftung Bauhaus Dessau), hrsg. v. Regina Bittner, Frankfurt am Main u.a. 2001, S. 63–79. Recki 2010 – Recki, Birgit: Stimmung und Lebensgefühl bei Imanuel Kant, Ernst Cassirer und Walter Benjamin, in: Kerstin Thomas (Hrsg.): Stimmung. Ästhetische Kategorie und künstlerische Praxis (Passagen / Passages, Bd. 33), Berlin und München 2010, S. 1–12. Reents 2011 – Reents, Friederike: Über-Stimmungen. Zu Friedrich Schlegels Kritikästhetik, in: Anna-Katharina Gisbertz (Hrsg.): Stimmung. Zur Wiederkehr einer ästhetischen Kategorie, München 2011, S. 113–129. Reiterer 2005 – Reiterer, Gabriele: Wahrnehmung – Raum – Empfindung. Anmerkungen zu Camillo Sittes Städtebau, in: Klaus Semsroth, Kari Jormakka und Bernhard Langer (Hgg.): Kunst des Städtebaus. Neue Perspektiven auf Camillo Sitte, Wien u.a. 2005, S. 225–237. Riegler 2003 – Riegler, Verena: Der homo clausus und die femina clausa in der Wiener Moderne. Diplomarbeit zur Erlangung des Magistergrades an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Paris-Lodron-Universität Salzburg, Salzburg 2003. Rodatz 2010 – Rodatz, Christoph: Der Schnitt durch den Raum. Atmosphärische Wahrnehmung in und außerhalb von Theaterräumen, Bielefeld 2010. Roth 1973 – Roth, Alfred: Begegnungen mit Pionieren. Le Corbusier – Piet Mondrian – Adolf Loos – Josef Hoffmann – August Perret – Henry van de Velde, Basel 1973.

Roth 1995 – Roth, Fedor: Adolf Loos und die Idee des Ökonomischen, Wien 1995. Roth 2001 – Roth, Fedor: Hermann Muthesius und die Idee der harmonischen Kultur. Kultur als Einheit des künstlerischen Stils in allen Lebensäußerungen eines Volkes, Berlin 2001. Rubey und Schoenwald 1996 – Rubey, Norbert und Peter Schoenwald: Venedig in Wien. Theater- und Vergnügungsstadt der Jahrhundertwende, Wien 1996. Rukschcio und Schachel 1982 – Rukschcio, Burkhardt und Roland Schachel: Adolf Loos. Leben und Werk (Veröffentlichung der Albertina, Bd. 17), Salzburg und Wien 1982. Rukschcio 1985 – Rukschcio, Burkhardt: Ornament und Mythos, in: Alfred Pfabigan (Hrsg.): Ornament und Askese. Im Zeitgeist des Wien der Jahrhundertwende, Wien 1985, S. 57–68. Russo 2008 – Russo, Manfred: Hätte Loos addidas getragen? Eine Designethik zwischen Aristoteles und Dandyismus, in: Inge Podbrecky und Rainald Franz (Hgg.) Leben mit Loos (Schriften des Verbands österreichischer Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker, Bd. 3), Wien u.a. 2008, S. 27–51. Sandgruber 1985 – Sandgruber, Roman: Wiener Alltag um 1900, in: Alfred Pfabigan (Hrsg.): Ornament und Askese. Im Zeitgeist des Wien der Jahrhundertwende, Wien 1985, S. 30–46. Sandgruber 1986 – Sandgruber, Roman: Cyclisation und Zivilisation. Fahrradkultur um 1900, in: Hubert Ch. Ehalt und Helmut Konrad (Hgg.): Glücklich ist, wer vergißt…? Das andere Wien um 1900 (Kulturstudien Bd. 6), Wien 1986, S. 285–303. Scheible 2002 – Scheible, Hartmut: Nachwort, in: Arthur Schnitzler: Gesammelte Werke in drei Bänden. Erzählungen, Bd. 1, hrsg. v. ders., Düsseldorf und Zürich 2002, S. 885–914. Scheichl 2002 – Scheichl, Sigurd Paul: Die Architektur der Essays eines Architekten über Architektur. Der Essayist Adolf Loos, in: Fausto Cercignani (Hrsg.): Studia austriaca X. Adalbert Stifter. Rainer Maria Rilke. Robert Musil. Hugo von Hofmannsthal. Elfriede Jelinek. Paul Wühr. Peter Handke. Thomas Bernhard. Inge-

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5. Anhang

borg Bachmann. Charlotte Birch–Pfeiffer. Adolf Loos, Mailand 2002, S. 161–177. Scheichel 2008 – Scheichl, Sigurd Paul: „Im zweifel wende man sich an mich“. Verfahrenweisen der Selbststilisierung in Loos’ publizistischer Prosa, in: Inge Podbrecky und Rainald Franz (Hgg.) Leben mit Loos (Schriften des Verbands österreichischer Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker, Bd. 3), Wien u.a. 2008, S. 107–117. Schezen 1996 – Schezen, Roberto: Adolf Loos. Architektur, Wien und Salzburg 1996. Schickedanz 2000 – Schickedanz, Hans-Joachim: Ästhetische Rebellion und rebellische Ästheten. Eine kulturgeschichtliche Studie über den europäischen Dandyismus (Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte, Bd. 66), hrsg. v. Helmut Kreuzer u.a., Frankfurt am Main u.a. 2000. Schmitz 2011 – Schmitz, Hermann: Die Stimmung einer Stadt, in: Anna-Katharina Gisbertz (Hrsg.), Stimmung. Zur Wiederkehr einer ästhetischen Kategorie, München 2011, S. 63–74. Schorske 1982 – Schorske, Carl E.: Wien. Geist und Gesellschaft im Fin de Siècle, München 1982. Schorske 1985 – Schorske, Carl E.: Abschied von der Öffentlichkeit. Kulturkritik und Modernismus in der Wiener Architektur, in: Alfred Pfabigan (Hrsg.): Ornament und Askese. Im Zeitgeist des Wien der Jahrhundertwende, Wien 1985, S. 47–56. Schulte 2006 – Schulte, Michael: Berta Zuckerkandl. Saloniere, Journalistin, Geheimdiplomatin, Zürich 2006. Schweiger 1982 – Schweiger, Werner J.: Wiener Werkstätte. Kunst und Handwerk 1903–1932, Wien 1982. Schweiger 1990 – Schweiger, Werner J.: Meisterwerke der Wiener Werkstätte. Kunst und Handwerk, Wien 1990. Seemann und Lunzer 2002 – Seemann, Helfried und Christian Lunzer (Hgg.): Purkersdorf 1880–1960. Album, Wien 2002. Sekler ²1986 – Sekler, Eduard F.: Josef Hoffmann. Das architektonische Werk. Monogra-

phie und Werkverzeichnis, Salzburg und Wien ²1986. Sekler 1986 – Sekler, Eduard F.: Josef Hoffmann, Adolf Loos und die Vereinigten Staaten, in: Hermann Fillitz und Martina Pippal (Hgg.): Akten des XXV. internationalen Kongresses für Kunstgeschichte. Wien und die Architektur des 20. Jahrhunderts, Bd. 8, Wien 1986, S. 125–135. Sekler 2003 – Sekler, Eduard F.: Purkersdorf und die neue Haltung in der Architektur, in: Elisabeth Gehrer (Hrsg.): Josef Hoffmanns Sanatorium Purkersdorf bei Wien, Wien 2003, S. 20–27. Shapira 2004 – Shapira, Elana: Assimilating with Style. Jewish Assimilation and Modern Architecture and Design in Vienna – The Case of ‚The Outfitters’ Leopold Goldman und Adolf Loos and the Making of the Goldman & Salatsch Building (1909–1911), Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Universität für angewandte Kunst Wien, Wien 2004. Siemer 1999 – Siemer, Matthias: Stimmungen, Emotionen und soziale Urteile (Europäische Hochschulschriften, Reihe VI Psychologie, Bd. 635), Frankfurt am Main u.a. 1999. Soukup 2004 – Soukup, R. Werner: Die wissenschaftliche Welt von Gestern. Die Preisträger des Ignaz L. Lieben-Preises 1865–1937 und des Richard Lieben-Preises 1912–1928, Wien u.a. 2004. Sperlich 1959 – Sperlich, Hans-Günther: Architektur, in: Helmut Seling (Hrsg.): Jugendstil. Der Weg ins 20. Jahrhundert, Heidelberg 1959, S. 37–64. Spielman 1993 – Spielman, John P.: The city and the crown. Vienna and the imperial court 1600– 1740, Indiana 1993. Sprenger ²2010 – Sprenger, Ruth: Die hohe Kunst der Herrenkleidermacher. Tradition und Selbstverständnis, Wien ²2010. Stauffer 2008 – Stauffer, Marie Theres: Spiegel in Räumen von Adolf Loos, in: Ákos Moravánszky, Bernhard Langer und Elli Mosayebi (Hgg.): Adolf Loos. Die Kultivierung der Architektur, Zürich 2008, S. 169–187. Stern 1985 – Stern, Joseph Peter: Karl Kraus.

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oder Die Evolution der Kultur, in: Um-Ordnung. Angewandte Künste und Geschlecht in der Moderne, hrsg. v. Cordula Bischoff und Chirstina Threuter, Marburg 1999, S. 106–115. Thun-Hohenstein 2015 – Thun-Hohenstein, Karin: Josef Hoffmanns Sanatorium Purkersdorf. Sprechende Architektur, Gestalt und emanzipierte Wand, in: Räume der Kunstgeschichte – 17. Tagung des Verbandes österreichischer Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker (Online­P ublikation), hrsg. v. Verband österreichischer Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker, Wien 2015, S. 84–100. Thurm 2003 – Thurm, Volker (Hrsg.): Wien und der Wiener Kreis. Orte einer unvollendeten Moderne. Ein Begleitbuch, Wien 2003. Toman 1996 – Toman, Lore: Wiedererstandenes Welterbe der Kultur. Das epochemachende Sanatorium Purkersdorf im letzten Moment vor Verfall bewahrt, in: Ohne Autor: Hoffmann-Bau. Purkersdorf bei Wien, hrsg. v. Klaus KG, Purkersdorf 1996, S. 5–14. Topitsch 1986 – Topitsch, Ernst: Wien um 1900 – und heute, in: Peter Berner, Emil Brix und Wolfgang Mantl (Hgg.): Wien um 1900. Aufbruch in die Moderne, München 1986, S. 17–31. Topp 2004 – Topp, Leslie: Architecture and Truth in Fin-De-Siècle Vienna, Cambridge 2004. Ullrich ²2009 – Ullrich, Wolfgang: Habenwollen. Wie funktioniert die Konsumkultur? Frankfurt am Main ²2009. Urmann 2008 – Urmann, Martin: Gestimmtes Wissen. Die Fin–de-siècle Literatur als Antwort und Frage an das Problem der Wissenschaft, in: Uffa Jensen und Daniel Morat (Hgg.): Rationalisierungen des Gefühls. Zum Verhältnis von Wissenschaft und Emotionen 1880–1930, München 2008, S. 251–274. Varnedoe 1993 – Varnedoe, Kirk: Wien 1900. Kunst, Architektur & Design, Köln 1993. Vidler 2005 – Vidler, Anthony: Stadtangst und Städtebau, in: Klaus Semsroth, Kari Jormakka und Bernhard Langer (Hgg.): Kunst des Städtebaus. Neue Perspektiven auf Camillo Sitte, Wien u.a. 2005, S. 257–274. Voss 2004 – Voss, Christiane: Narrative Emotio-

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5. Anhang

nen. Eine Untersuchung über Möglichkeiten und Grenzen philosophischer Emotionstheorien (Ideen & Argumente, hrsg. v. Wilfried Hinsch und Lutz Wingert), Berlin 2004. Voss 2009 – Voss, Christiane: Einfühlung als epistemische und ästhetische Kategorie, in: Robin Curtis und Gertrud Koch (Hgg.): Einfühlung. Zu Geschichte und Gegenwart eines ästhetischen Konzepts, München 2009, S. 31–47. Waissenberger 1971 – Waissenberger, Robert: Die Wiener Secession, Wien 1971. Wagner 2005 – Wagner, Giselheid: Harmoniezwang und Verstörung. Voyeurismus, Weiblichkeit und Stadt bei Ferdinand Saar (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 109), Tübingen 2005. Wagner 2009 – Wagner, Kirstin: Die Beseelung der Architektur, in: Robin Curtis und Gertrud Koch (Hgg.): Einfühlung. Zu Geschichte und Gegenwart eines ästhetischen Konzepts, München 2009, S. 49–78. Welan 1986 – Welan, Manfred: Wien – „Eine Hauptstadt des Geistes“. Realbedingungen als Idealbedingungen? In: Peter Berner, Emil Brix und Wolfgang Mantl (Hgg.): Wien um 1900. Aufbruch in die Moderne, München 1986, S. 39–44. Welsh 2011 – Welsh, Caroline: Zur psychologischen Traditionslinie ästhetischer Stimmung zwischen Aufklärung und Moderne, in: Anna-Katharina Gisbertz (Hrsg.): Stimmung. Zur Wiederkehr einer ästhetischen Kategorie, München 2011, S. 131–155. Welsh 1994 – Welsh, Wolfgang: Ästhet/hik. Ethische Implikationen und Konsequenzen der Ästhetik, in: Christoph Wulf (Hrsg.): Ethik der Ästhetik (Acta humaniora. Schriften zur Kunstwissenschaft und Philosophie), Berlin 1994, S. 3–22. Wigley 1996 – Wigley, Mark: White out. Fashioning the Modern, in: D. Fausch u.a. (Hrsg.): Architecture in Fashion, New York 1996, S. 148–268. Wilhelm 2006 – Wilhelm, Karin: Ordnungsmuster der Stadt. Camillo Sitte und der moderne Städtebaudiskurs, in: Dies. und Detlef Jessen–

Klingenberg (Hgg.): Formation der Stadt. Camillo Sitte weitergelesen, Gütersloh und Berlin 2006, S. 15-96. Wiltschnigg 2001 – Wiltschnigg, Elfriede: „Das Rätsel Weib“. Das Bild der Frau in Wien um 1900, Berlin 2001. Winko 2003 – Winko, Simone: Kodierte Gefühle. Zu einer Poetik der Emotionen in lyrischen und poetologischen Texten um 1900 (Allgemeine Literaturwissenschaft – Wuppertaler Schriften, hrsg. v. Ulrich Ernst u.a., Bd. 7), Berlin 2003. Wirz 2001 – Wirz, Albert: Sanitarium, nicht Sanatorium! Räume für die Gesundheit, in: Andreas Schwab und Claudia Lafranchi (Hgg.): Sinnsuche und Sonnenbad. Experimente in Kunst und Leben auf dem Monte Verità, Zürich 2001, S. 119–138. Witt-Dörring 2006 – Witt-Dörring, Christian (Hrsg): Josef Hoffmann. Interiors 1902–1913, München 2006. • Witt-Dörring 2006.1 – Witt-Dörring, Christian: On the Path of Modernism. The Ambiguity of Space and Plane, in: Ders. (Hrsg.): Josef Hoffmann. Interiors 1902–1913, München 2006, S. 28–74. • Witt-Dörring 2006.2 – Witt-Dörring, Christian: Four Interiors by Josef Hoffmann. Margaret and Jerome Stonborough Residence, in: Ders. (Hrsg.): Josef Hoffmann. Interiors 1902– 1913, München 2006, S. 186–209. Wolters 1987 – Wolters, Gereon: Vorwort zum Neudruck 1985, in: Ernst Mach: Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen, Nachdruck der 9. Auflage, Jena 1922, Darmstadt 1987, S. IX–XXIV. Worbs 1982 – Worbs, Dietrich: Der Raumplan von Adolf Loos. Die Entwicklung der Raumbildung bei Villen- und Massenwohnbauten, unveröffentlichte Dissertation, Stuttgart 1982. Wunberg 2004 – Wunberg, Gotthart (Hrsg.): Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst und Musik zwischen 1890 und 1910 (Universalbibliothek, Bd. 7742), Stuttgart 2004. Zumdick 2007 – Zumdick, Wolfgang: „Eine Hand, die zeigt und Hilfe bietet“. Rudolf Steiners

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Begegnungen mit Paul Klee, Wassily Kandinsky und Johannes Itten, in: Walter Kugler und Simon Baur (Hgg.): Rudolf Steiner in Kunst und Architektur, Köln 2007, S. 65–78.

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kultus – Alois Riegl und die Folgen, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege, 2005, H. 1, S. 27–34. Falser 2006 – Falser, Michael S.: Zum 100. Todesjahr von Alois Riegl 2005. Der ‚Alterswert’ und die Konstruktion staatsnationaler Identität in der Habsburg-Monarchie um 1900, Georg Dehio, europäische Gedächtnisorte und der DDR-Palast der Republik in Berlin, in: kunsttexte.de, Jg. 1 (2006), S. 1–15. Feuerstein 1964 – Feuerstein, Günther: Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte, in: Der Aufbau. Fachzeitschrift für Planen, Bauen und Wohnen, Jg. 19 (1964), Heft 4/5, S. 177–187. Jöchner 2004 – Jöchner, Cornelia: Wie kommt ‚Bewegung’ in die Architekturtheorie? Zur Raum-Debatte am Beginn der Moderne, in: Gebaute Räume. Zur kulturellen Formung von Architektur und Stadt, Jg. 9 (2004), H.1, auf Wolkenkuckuckssheim: http://www.cloudcuckoo.net/openarchive/wolke/deu/Themen/041/Joechner/joechner.htm, 10.07.2015. Kossatz 1970 – Kossatz, Horst-Herbert: Josef Hoffmann, Adolf Loos und die Wiener Kunst der Jahrhundertwende, in: Alte und moderne Kunst, Jg. 15 (1970), Nr. 113, S. 2f. Kossatz 1971 – Kossatz, Horst-Herbert: The Vienna Secession and its early relations with Great Britain, in: Studio international. International Journal of modern art, Jg. 8 (1971), Bd. 181, H. 929, S. 9–20. Kossatz 1975 – Kossatz, Horst-Herbert: Der Austritt der Klimt-Gruppe. Eine Presseschau, in: Alte und moderne Kunst, Jg. 20 (1975), H. 141, S. 23–31. Kreuzmayer 1985 – Kreuzmayer, Charlotte: Aufbruch zur Jahrhundertwende, in: Parnass, 1985, H. 2, Sonderheft: Der Künstlerkreis um Adolf Loos. Aufbruch zur Jahrhundertwende, S. 3–5. Lochner 2010 – Lochner, Hubert: Der stimmungsvolle Augenblick. Realitätseffekt und poetischer Appell in Malerei und Fotografie des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft, Jg. 37 (2010), S. 7–45. Long 2009 – Long, Christopher: The Origins and

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Ausstellungskataloge Achleitner 1983 – Achleitner, Friedrich: Sprachliche Aspekte in der Architektur von Adolf Loos, in: AK Adolf Loos. 1870–1933. Raumplan – Wohnungsbau (Akademie Katalog, Bd. 140), (Akademie der Künste, Berlin, 04.12.1983 – 15.01.1984), Berlin 1983, S. 99–101. AK Alfred Roller 1991 – AK Alfred Roller und seine Zeit (Cortina, Bd. 19), Wien u.a. 1991. AK Der Hang Zum Gesamtkunstwerk 1983 – AK Der Hang Zum Gesamtkunstwerk. Europäische Utopien seit 1800 (Kunsthaus Zürich, 11.02.–30.04.1983 u.a.), Aarau und Frankfurt am Main 1983. AK Gründerzeit – Adolf Loos 1987 – AK Gründerzeit – Adolf Loos. Jahrhundertwende: Rückblick und Ausblick der Wiener Architektur unter Einbeziehung der Gründerzeitarchi-

5.1. Literaturliste

tektur Josef Durms (Städtische Galerie im Prinz-Max-Palais Karlsruhe, 11.04.–21.06.1987), Karlsruhe 1987. AK Josef Hoffmann 1981 – AK Josef Hoffmann. Architect and Designer 1870–1956 (Wien, Galerie Metropol, 1981), Wien 1981. AK Traum Und Wirklichkeit ²1985 – AK Traum Und Wirklichkeit. Wien 1870–1930 (Historisches Museum der Stadt Wien und Künstlerhaus, Wien, 28.03.–06.10.1985), ²1985. AK Vienna 1981 – AK Vienna. A Birthplace of 20th Century Design. Bd. 1: 1900–1905. Purism and Functionalism „Konstruktiver Jugendstil (Fischer Fine Art Limited, London, 1981), London 1981. AK Vienne 1986 – AK Vienne. 1880–1938. L’Apocalypse Joyeuse sous la direction de Jean Clair (Editions du Centre Pompidou), hrsg. v. Jean Clair, Paris u.a. 1986. AK Wege Der Moderne 2015 – AK Wege Der Moderne. Josef Hoffmann, Adolf Loos und die Folgen (MAK Wien, 17.12.2014–19.04.2015), Wien und Basel 2015. AK 10 Jahre 1996 – AK 10 Jahre – Beispiele aus der Denkmalpflege von 1986 bis 1996, hrsg. v. Amt der NÖ Landesregierung, Wien 1996. Auer und Klee 2011 – Auer, Stephanie und Alexander Klee: Von der inneren Notwenigkeit der Konstruktion oder der Beginn der Wiener Formkunst, in: Agnes Husslein-Arco und Alfred Weidinger (Hrsg.): AK Gustav Klimt. Josef Hoffmann. Pioniere der Moderne (Wien, Belvedere), München u.a. 2011, S. 150–167. Barten 1983 – Barten, Sigrid: Einleitung, in: AK Josef Hoffmann Wien. Jugendstil und Zwanziger Jahre (Zürich, Museum Bellerive), 1983 S. 17–21. Billcliffe 1994 – Billcliffe, Roger: Charles Rennie Mackintosh. Das Arts and Crafts Movement und der Glasgower-Stil, in: Gerda Breuer (Hrsg.): AK Arts and Crafts. Von Morris bis Mackintosh – Reformbewegung zwischen Kunstgewerbe und Sozialutopie (Mathildenhöhe Darmstadt, 11.12.1994–17.04.1995), Darmstadt 1994, S. 178–198. Boeckl und Witt-Dörring 2015 – Boeckl, Mat-

thias und Christian Witt-Dörring: Wege der Moderne. Vorgeschichte, Höhepunkte und Folgen zweier Denkweisen, in: AK Wege Der Moderne. Josef Hoffmann, Adolf Loos und die Folgen (MAK Wien, 17.12.2014–19.04.2015), Wien und Basel 2015, S. 16–33. Bösel 1992 – Bösel, Richard: AK Der Michaelerplatz in Wien. Seine städtebauliche und architektonische Entwicklung. Eine Ausstellung des Kulturkreises Looshaus und der Graphischen Sammlung Albertina (Wien 13.12.1991 – 15.02.1992), Wien 1992, Katalognummer 20 und 21. Breuer 1994 – Breuer, Gerda (Hrsg.): AK Arts and Crafts. Von Morris bis Mackintosh – Reformbewegung zwischen Kunstgewerbe und Sozialutopie (Mathildenhöhe Darmstadt, 11.12.1994 – 17.04.1995), Darmstadt 1994. Brock 1983 – Brock, Bazon: Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Pathosformeln und Energiesymbole zur Einheit von Denken, Wollen und Können, in: AK Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Europäische Utopien seit 1800 (Kunsthaus Zürich, 11.02.–30.04.1983 u.a.), Aarau und Frankfurt am Main 1983, S. 22–39. Busch 2006 – Busch, Werner: Einfachheit als Programm – Das Biederschöne, in: Hans Ottomeyer (Hrsg.): AK Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit (Milwaukee Art Museum, Albertina Wien, Deutsches Historisches Museum Berlin und Musée du Louvre Paris), Ostfildern 2006, S. 83–96. Colomina 2008 – Colomina, Beatriz: Sex, Lies and Decoration. Adolf Loos und Gustav Klimt, in: Tobias G. Natter und Christoph Grunenberg (Hgg.): AK Gustav Klimt. Painting, Design and Modern Life (Tate Liverpool, 30.05. – 31.08.2008), Liverpool 2008, S. 43–51. Crawford 1994 – Crawford, Alan: C. R. Ashbee und die Guild of Handicraft, in: Gerda Breuer (Hrsg.): AK Arts and Crafts. Von Morris bis Mackintosh – Reformbewegung zwischen Kunstgewerbe und Sozialutopie (Mathildenhöhe Darmstadt, 11.12.1994–17.04.1995), Darmstadt 1994, S. 142–152. Davey 1994 – Davey, Peter: Zur Architektur der

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5. Anhang

Arts and Crafts-Bewegung, in: Gerda Breuer (Hrsg.): AK Arts and Crafts. Von Morris bis Mackintosh – Reformbewegung zwischen Kunstgewerbe und Sozialutopie (Mathildenhöhe Darmstadt, 11.12.1994 – 17.04.1995), Darmstadt 1994, S. 63–76. Düriegl ²1985 – Düriegl, Günter: Wien zur Jahrhundertwende, in: AK Traum und Wirklichkeit. Wien 1870–1930, (Historisches Museum der Stadt Wien und Künstlerhaus, Wien, 28.03.– 06.10.1985), ²1985, S. 212–217. Echigojima 1996 – Echigojima, Kenichi: Josef Hoffmann und der moderne Stil. Das Sanatorium Purkersdorf und das Palais Stoclet, in: Shiho Takyo und Elisabeth Schmuttermeier (Hgg.): AK Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte (Toyota Municipal Museum, Toyota City, 1996), Toyota City 1996, S. 213–217. Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte 2003 (1905) – Faksimile Des Arbeitsprogramm Der Wiener Werkstätte, 1905, hergestellt anlässlich der Ausstellung: Der Preis der Schönheit. Zum 100. Geburtstag der Wiener Werkstätte (MAK Wien), Wien 2003. Franz 1992 – Franz, Rainald: Josef Hoffmann and Adolf Loos: The Ornament Controversy in Vienna, in: Peter Noever (Hrsg.): AK Josef Hoffmann Designs (MAK, Wien), München 1992, S. 11–15. Franz Flyer 2007 – Franz, Rainald: Flyer zur Ausstellung Josef Hoffmann – Adolf Loos. Ornament und Tradition (Museum in Geburtshaus Josef Hoffmanns, Brtnice, Tschechische Republik), 2007. Franz 2010 – Franz, Rainald: Intuition und Entwurf. Die Bedeutung der Zeichnung für das Werk Josef Hoffmanns, in: Peter Noever (Hrsg.): AK Josef Hoffmann. Ein unaufhörlicher Prozess. Entwürfe vom Jugendstil zur Moderne (MAK Wien, 10.07. – 26.09.2010), München 2010, S. 12–17. Greiner 2010 – Greiner, Rudolf: Josef Hoffmann – Die Inszenierung des Gesamtkunstwerks als Weg zur Moderne, in: Peter Noever (Hrsg.): AK Josef Hoffmann. Ein unaufhörlicher Pro-

zess. Entwürfe für den Jugendstil zur Moderne (MAK Wien, 10.07. – 26.09.2010), München 2010, S. 9–11. Haiko ²1985 – Haiko, Peter: Otto Wagner: 1904 – 1907: Die Kirche am Steinhof. 1904 – 1906: Das Österreichische Postsparkassenamt, in: AK Traum und Wirklichkeit. Wien 1870–1930, (Historisches Museum der Stadt Wien und Künstlerhaus, Wien, 28.03.–06.10.1985), ²1985, S. 88–105. Hofmann 1983 – Hofmann, Werner: Gesamtkunstwerk Wien, in: AK Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Europäische Utopien seit 1800 (Kunsthaus Zürich, 11.02.–30.04.1983 u.a.), Aarau und Frankfurt am Main 1983, S. 84–92. Hollein ²1985 – Hollein, Hans: Die Rekonstruktion des Raumes von Josef Hoffmann für Klimts Beethovenfries, in: AK Traum und Wirklichkeit. Wien 1870–1930, (Historisches Museum der Stadt Wien und Künstlerhaus, Wien, 28.03.–06.10.1985), ²1985, S. 558–566. Hussl-Hörmann 2011 – Hussl-Hörmann, Marianne: Gustav Klimt und Josef Hoffmann. Wegkreuzungen, in: Agnes Husslein-Arco und Alfred Weidinger (Hgg.): AK Gustav Klimt. Josef Hoffmann. Pioniere der Moderne (Wien, Belvedere), München u.a. 2011, S. 16–35. Hoyos 2011 – Hoyos, Nathalie: Palais Stoclet. Kulturdenkmal im Privateigentum, Kraft- und Spannungsfeld, in: Agnes Husslein-Arco und Alfred Weidinger (Hrsg.): AK Gustav Klimt. Josef Hoffmann. Pioniere der Moderne (Wien, Belvedere), München u.a. 2011, S. 192–201. Imorde 2010 – Imorde, Joseph: Lebendige Sakralität. Joseph Maria Olbrichs italienische Reisestudien, in: Ralf Beil und Regina Stephan (Hgg.): AK Joseph Maria Olbrich 1867–1908. Architekt und Gestalter der frühen Moderne (Mathildenhöhe Darmstadt, 07.02.–24.05.2010), Ostfildern 2010, S. 63–69. Kurrent 1983 – Kurrent, Friedrich: Gottfried Semper, Otto Wagner, Adolf Loos, in: AK Adolf Loos. 1870–1933. Raumplan – Wohnungsbau (Akademie-Katalog, Bd. 140), (Akademie der Künste, Berlin, 04.12.1983 – 15.01.1984), Berlin 1983, S. 92–98.

5.1. Literaturliste

Lehner 2011 – Lehner, Stefan: Die Beethoven-Ausstellung 1902. Eine Dokumentation, in: Agnes Husslein-Arco und Alfred Weidinger (Hrsg.): Gustav Klimt. Josef Hoffmann. Pioniere der Moderne (Wien, Belvedere), München u.a. 2011, S. 50–69. Noever 1992 – Noever, Peter: Mythos Hoffmann, in: Peter Noever (Hrsg.): AK Josef Hoffmann Designs (MAK, Wien), München 1992, S. 7. Noever 2010 – Noever, Peter: Der gesamtheitliche Anspruch des Architekten, in: Peter Noever (Hrsg.): AK Josef Hoffmann. Ein unaufhörlicher Prozess. Entwürfe für den Jugendstil zur Moderne (MAK Wien, 10.07. – 26.09.2010), München 2010, S. 6–8. Oberhuber 1987 – Oberhuber, Oswald: Das Umfeld Hoffmanns, in: Josef Hoffmann-Gespräch. 8. Mai 1987 anläßlich der Ausstellung Josef Hoffmann – Ornament zwischen Hoffnung und Verbrechen im Österreichischen Museum für angewandte Kunst, hrsg. v. der Gesellschaft für Österreichische Kunst, Wien 1987, S. 11–16. Ohne Autor 2005, Broschüre – Ohne Autor: Josef Hoffmann. Ein unaufhörlicher Prozess. Bedingungen des Entwurfs bei Josef Hoffmann (MAK, Wien und Brtnice), 2005, Broschüre. (Im Bestand der Bibliothek des MAK Wien; 5969/a) Ottomeyer 2006 – Ottomeyer, Hans: Die Erfindung der Einfachheit, in: Ders. (Hrsg.): AK Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit (Milwaukee Art Museum, Albertina Wien, Deutsches Historisches Museum Berlin und Musée du Louvre Paris), Ostfildern 2006, S. 43–55. Parenzan 1990 – Parenzan, Peter: Schöner Wohnen im Biedermeier und Vormärz, in: AK Biedermeier in Wien. 1815 – 1848. Sein und Schein einer Bürgeridylle. Internationale Tagung Ingelheim (Museum-Altes-Rathaus Ingelheim am Rhein, 29.04. – 24.06.1990), Mainz 1990, S. 31–40. Pogacnik 2015 – Pogacnik, Marco: Hoffmann und Loos – zwei urbanistische Thesen, in: AK Wege Der Moderne. Josef Hoffmann, Adolf

Loos und die Folgen (MAK Wien, 17.12.2014– 19.04.2015), Wien und Basel 2015, S. 174–179. Posener 1983 – Posener, Julius: Der Raumplan. Vorläufer und Zeitgenossen von Adolf Loos, in: AK Adolf Loos. 1870–1933. Raumplan – Wohnungsbau (Akademie-Katalog, Bd. 140), (Akademie der Künste, Berlin, 04.12. 1983 – 15.01.1984), Berlin 1983, S. 52–63. Rainer 2003 – Rainer, Paulus: Eine Chronologie der Wiener Werkstätte, in: Peter Noever (Hrsg.): AK Der Preis der Schönheit. Zum 100. Geburtstag der Wiener Werkstätte (MAK Wien), Wien 2003, S. 23–400. Rukschcio 1987 – Rukschcio, Burkhardt: Adolf Loos und sein Wirken im Werden der modernen Wiener Architektur, in: AK Gründerzeit – Adolf Loos. Jahrhundertwende: Rückblick und Ausblick der Wiener Architektur unter Einbeziehung der Gründerzeitarchitektur Josef Durms (Städtische Galerie im Prinz-Max-Palais Karlsruhe, 11.04.–21.06.1987), Karlsruhe 1987, S. 111–129. Schmidt 1987 – Schmidt, Burghart: Die Klassizität des Jugendstils, in: Josef Hoffmann-Gespräch. 8. Mai 1987 anläßlich der Ausstellung Josef Hoffmann – Ornament zwischen Hoffnung und Verbrechen im Österreichischen Museum für angewandte Kunst, hrsg. v. der Gesellschaft für Österreichische Kunst, Wien 1987, S. 17–25. Schmuttermeier ²1985 – Schmuttermeier, Elisabeth: Die Wiener Werkstätte, in: AK Traum und Wirklichkeit. Wien 1870–1930, (Historisches Museum der Stadt Wien und Künstlerhaus, Wien, 28.03.–06.10.1985), ²1985, S. 336–341. Schmuttermeier 1996 – Schmuttermeier, Elisabeth: Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte, in: Shiho Takyo und Elisabeth Schmuttermeier (Hgg.): AK Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte (Toyota Municipal Museum, Toyota City, 1996), Toyota City 1996, S. 192– 195. Schmuttermeier 2010 – Schmuttermeier, Elisabeth: Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte, in: Peter Noever (Hrsg.): AK Josef Hoffmann.

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5. Anhang

Ein unaufhörlicher Prozess. Entwürfe für den Jugendstil zur Moderne (MAK Wien, 10.07. – 26.09.2010), München 2010, S. 123–126. Schorske ²1985 – Schorske, Carl E.: Österreichs ästhetische Kultur, 1870–1914. Betrachtungen eines Historikers, in: AK Traum und Wirklichkeit. Wien 1870–1930, (Historisches Museum der Stadt Wien und Künstlerhaus, Wien, 28.03.–06.10.1985), ²1985, S. 12–25. Sekler 1991 – Sekler, Eduard F.: Introduction, in: Elsa Longhauser: AK Josef Hoffmann. Drawings and Objects from Conception to Design (Goldie Paley Gallery, Philadelphia, 1991), Philadelphia 1991, S. 5–7. Spalt 1983 – Spalt, Johannes: Die frühe österreichische Moderne: Wagner, Olbrich, Hoffmann, Frank, Loos, in: AK Adolf Loos 1870–1933. Raumplan – Wohnungsbau (Akademie-Katalog, Bd. 140), (Berlin, Akademie der Künste, 04.12.1983–15.01.1984), Berlin 1983, S. 111–122. Spalt 1987 – Spalt, Johannes: Zu Josef Hoffmann, in: Josef Hoffmann-Gespräch. 8. Mai 1987 anläßlich der Ausstellung Josef Hoffmann – Ornament zwischen Hoffnung und Verbrechen im Österreichischen Museum für angewandte Kunst, hrsg. v. der Gesellschaft für Österreichische Kunst, Wien 1987, S. 35–46. Stein 2006 – Stein, Laurie A.: Eine Kultur der Harmonie und Erinnerung. Die Transformation des Wohnraums im Biedermeier, in: Hans Ottomeyer (Hrsg.): AK Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit (Milwaukee Art Museum, Albertina Wien, Deutsches Historisches Museum Berlin und Musée du Louvre Paris), Ostfildern 2006, S. 71–80. Szeemann 1983 – Szeemann, Harald: „Vorbereitungen“, in: AK Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Europäische Utopien seit 1800 (Kunsthaus Zürich, 11.02.–30.04.1983 u.a.), Aarau und Frankfurt am Main 1983, S. 16–19. Takyo 1996 – Takyo, Shiho: Das Sanatorium Purkersdorf. Wiederbelebung nach neunzig Jahren, in: Dies. und Elisabeth Schmuttermeier (Hgg.): AK Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte (Toyota Municipal Museum, Toyota City, 1996), Toyota City 1996, S. 196–199.

Rukschcio 1989 – Rukschcio, Burkhardt: „Der Plan von Wien“. Städtebauliche Arbeiten von Adolf Loos in Reflexion der Theorie Camillo Sittes, in: AK Adolf Loos (Graphische Sammlung Albertina, Wien, 02.12.1989 – 25.02.1990), Wien 1989, S. 217–250. Tripp 1983 – Tripp, Matthias: Raumvorstellung, Weltanschauung und Bewußtsein. Zum Verhältnis von Philosophie, Wissenschaft und Architektur im Erkenntnisprozeß der Neuzeit, in: AK Adolf Loos. 1870–1933. Raumplan – Wohnungsbau (Akademie-Katalog, Bd. 140), (Akademie der Künste, Berlin, 04.12. 1983 – 15.01.1984), Berlin 1983, S. 40–49. Wagemann 1994 – Wagemann, Ines: The Red House – „a small palace of art“, in: Gerda Breuer (Hrsg.): AK Arts and Crafts. Von Morris bis Mackintosh – Reformbewegung zwischen Kunstgewerbe und Sozialutopie (Mathildenhöhe Darmstadt, 11.12.1994 – 17.04.1995), Darmstadt 1994, S. 105–112. Waissenberger ²1985.1 – Waissenberger, Robert: Zwischen Traum und Wirklichkeit, in: AK Traum und Wirklichkeit. Wien 1870–1930, (Historisches Museum der Stadt Wien und Künstlerhaus, Wien, 28.03.–06.10.1985), ²1985, S. 26–35. Waissenberger ²1985.2 – Waissenberger, Robert: Die „heroischen Jahre“ der Secession, in: AK Traum und Wirklichkeit. Wien 1870– 1930, (Historisches Museum der Stadt Wien und Künstlerhaus, Wien, 28.03.–06.10.1985), ²1985, S. 464–471. Wieber 2009 – Wieber, Sabine: Richard Luksch. Zwei Fayence-Figuren für das Sanatorium Purkersdorf, 1905, in: Gemma Blackshaw und Leslie Topp (Hgg.): AK Madness & Modernity. Kunst und Wahn in Wien um 1900 (Wien Museum Karlsplatz, 21.01.–02.05.2010), Wien 2009, S. 136–143. Winters 2006 – Winters, Laurie: Die Wiederentdeckung des Biedermeiers, in: Hans Ottomeyer (Hrsg.): AK Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit (Milwaukee Art Museum, Albertina Wien, Deutsches Historisches Museum Berlin und Musée du Louvre Paris), Ostfildern 2006, S. 31–41.

5.1. Literaturliste

Witt-Dörring 1987 – Witt-Dörring, Christian: Der hoffnungsvolle Anfang, in: Josef Hoffmann-Gespräch. 8. Mai 1987 anläßlich der Ausstellung Josef Hoffmann – Ornament zwischen Hoffnung und Verbrechen im Österreichischen Museum für angewandte Kunst, hrsg. v. der Gesellschaft für Österreichische Kunst, Wien 1987, S. 27–34. Witt-Dörring 2006.3 – Witt-Dörring, Christian: Zur Ästhetik des Biedermeiermöbels, in: Hans Ottomeyer (Hrsg.): AK Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit (Milwaukee Art Museum, Albertina Wien, Deutsches Historisches Museum Berlin und Musée du Louvre Paris), Ostfildern 2006, S. 57–69. Witzmann 1990 – Witzmann, Reingard: Bürgerlicher Alltag im Wiener Biedermeier, in: AK Biedermeier in Wien. 1815 – 1848. Sein und Schein einer Bürgeridylle. Internationale Tagung Ingelheim (Museum-Altes-Rathaus Ingelheim am Rhein, 29.04. – 24.06.1990), Mainz 1990, S. 23–30. Worbs 1983 – Worbs, Dietrich: Der Raumplan im Wohnungsbau von Adolf Loos, in: AK Adolf Loos. 1870–1933. Raumplan – Wohnungsbau (Akademie-Katalog, Bd. 140), (Akademie der Künste, Berlin, 04.12. 1983 – 15.01.1984), 1983, S. 64-77. Vergo ²1984 – Vergo, Peter: AK Vienna 1900. Vienna, Scotland and the european AvantGarde (Edinburgh, National Museum of Antiquities of Scotland, 1983), Schottland ²1984.

Nachschlagewerke Ästhetische Grundbegriffe 2001–2010 – Ästhetische Grundbegriffe. Studienausgabe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, hrsg. v. Karlheinz Barck u.a., Stuttgart und Weimar 2001–2010. Baedecker 2005 – Baedecker Wien, 13. Auflage, 2005. Deutsches Wörterbuch 1854–1961 – Deutsches Wörterbuch, hrsg. v. Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, 16 Bd., Leipzig 1854–1961. (Ein Projekt des Kompetenzzentrums für elektronische Erschließungs- und Publikationsverfahren

in den Geisteswissenschaften an der Universität Trier in Verbindung mit der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Berlin, gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft: http://woerterbuchnetz.de/DWB/, 10.07.2015). Dictionary Of Art 1996 – Dictionary Of Art. In Thirty-Four Volumes, hrsg. v. Jane Turner, New York 1996. Historisches Wörterbuch Der Philosophie (1979–2007) – Historisches Wörterbuch Der Philosophie, hrsg. v. Joachim Ritter und Karlfried Gründer und Rudolf Eisler, Darmstadt 1979–2007. Lexikon Der Ästhetik ²2004 – Lexikon der Ästhetik, hrsg. v. Wolfhart Henckmann und Konrad Lotter, München ²2004. Metzler Lexikon Ästhetik 2006 – Metzler Lexikon Ästhetik. Kunst, Medien, Design und Alltag, hrsg. v. Achim Trebeß, Stuttgart und Weimar 2006. Meyers Konversationslexikon ⁴1885-1892 – Meyers Konversationslexikon, 19. Bd., Leipzig und Wien ⁴1885–1892 (http://www.retrobibliothek.de/retrobib/seite.html?id=115339, 10.07.2010). Theologische Realenzyklopädie 1976–2004 – Theologische Realenzyklopädie, hrsg. v. Gerhard Krause und Gerhard Müller, 36. Bd., Berlin u.a. 1976–2004. Thesaurus Linguae Latinae ²2003 – Thesaurus Linguae Latinae, München ²2003, CD-ROM.

Webseiten KHM – Doppelgänger: http://www.khm.at/de/besuchen/ausstellungen/ doppelgaenger/, 21.07.2015 und http://press.khm.at/fileadmin/_migrated/downloads/PT_Doppelgaenger_dt.pdf, 21.07.2015 Nextroom Architektur Datenbank: http://www.nextroom.at/building. php?id=2356&inc=artikel, 10.07.2015. Architektenlexikon Az W: http://www.architektenlexikon.at/de/idx_A.htm, 27.07.2015.

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MARTINA BAUER

LEOPOLD FORSTNER (1878–1936) EIN MATERIALKÜNSTLER IM UMKREIS DER WIENER SECESSION

Grafi ker, Designer, Mosaik- und Glaskünstler, Entwerfer für Denkmäler, Grabkunst, Innenarchitektur. Leopold Forstner (1878–1936) war ein Meister seiner Disziplin. Er interpretierte die Mosaik- und Glaskunst neu und führte sie einer Renaissance zu. Forstner war ein Universalkünstler, der die Kreativität eines Künstlers und die Perfektion eines Kunsthandwerkers in einer Person vereinte. Als Maler und Grafi ker wäre er einer unter vielen gewesen, als Mosaik-, Glas- und Materialkünstler war er ein Visionär. Sein Talent, Entwurf und Umsetzung zu verschmelzen und im Material zu denken, brachte ihm viele Aufträge namhafter Kunstgrößen und Architekten ein, wie etwa Gustav Klimt, Kolo Moser, Otto Wagner und Josef Hoffmann. Das Buch blickt auf die Stationen seines Lebens, auf die Projekte und Meilensteine im Schaffen dieses Künstlers, der nicht müde wurde, sich immer wieder neu zu erfinden. 2016. 247 S. 215 S/W- UND FARB. ABB. FRANZ. BR. 210 X 240 MM. ISBN 978-3-205-20087-1

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MARLENE OTT-WODNI

JOSEF FRANK 1885–1967 RAUMGESTALTUNG UND MÖBELDESIGN (EINE PUBLIKATIONSREIHE M MD DER MUSEEN DES MOBILIENDEPOTS, BAND 33)

Der österreichische Architekt Josef Frank war in der Zwischenkriegszeit als Mitglied des Werkbundes und als teilnehmender Architekt der Stuttgarter Weißenhofsiedlung aktiv in das internationale Architekturgeschehen eingebunden. Auf bauend auf seine frühen Entwürfe der 1910er Jahre bildet seine Tätigkeit für die Einrichtungsfirma Haus & Garten den Schwerpunkt des Buches. Das Unternehmen fungierte mit seinen flexiblen Einzelmöbeln, seinen farbenfrohen Textilien sowie seiner antidoktrinären Wohnauffassung als Gegenpol zur Wiener Werkstätte. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft emigrierte Josef Frank in den 1930er Jahren nach Stockholm. Als Designer der Firma Svenskt Tenn knüpfte er nahtlos an sein Wiener Schaffen an. Josef Frank gilt heute gemeinhin als Begründer des modernen schwedischen Einrichtungsstils. 2015. 393 S. 722 S/W- UND 66 FARB. ABB. GB. MIT SU. 210 X 281 MM. ISBN 978-3-205-79647-3

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