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German Pages [524] Year 1971
ARNO SEIFERT
Statuten- und Verfassungsgeschichte der Unive.r sität lngolstadt (1472-1586)
LUDOVICO MAXIMILIANEA Universität Iogoistadt-Landshut-München Forschungen und Quellen
Herausgegeben von Johannes Spörl und Laetitia Boehm Forschungen Band 1
Statuten- und Verfassungsgeschichte der Universität lngolstadt (1472-1586)
Von
Arno Seifert
D U N C K E R & H U M .B L 0 T · B E R LI N
Alle Rechte vorbehalten
@ 1971 Duncker & Hwnblot, Berlin 41
Gedruckt 1971 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 02400 1
Zum Geleit
Die hiermit eröffnete Münchener universitätsgeschichtliche Reihe fügt sich in die jüngeren deutschen und internationalen Forschungsbemühungen um den weiten Komplex der Hochschul- und Wissenschaftsgeschichte. Zweck und Gestaltung beruhen auf einem Desiderat, das heute umso spürbarer wird, als die Geschichtswissenschaft der letzten Jahrzehnte zum Teil wesentliche neue Wege und Fragestellungen erarbeitet hat. Seitdem anläßlich des 400. Jubiläums der Universität München 1872 Carl Prantl im Auftrag des Akademischen Senats seine bis heute unentbehrliche Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität Ingolstadt-Landshut-München vorgelegt hat, sind zwar die Matrikel von 1472 bis 1750 unter der Initiative von Georg Wolff und Götz Frhr. von Pölnitz ediert worden; jedoch sind außer einigen Darstellungen zu Einzelaspektenkeine gewichtigeren Untersuchungen auf Grund des weithin noch ungehobenen archivalischen Quellenmaterials mehr unternommen worden. Vor einer neuanzusetzenden gründlichen Bearbeitung der forscherlieh anstehenden Probleme, denen sich diese Reihe widmen will, ist weder eine Gesamtgeschichte unserer Alma Mater noch ein Gesamtbild des deutschen Universitätswesens der Neuzeit und der neuesten Zeit möglich. Nicht nur das bevorstehende 500jährige Jubiläum 1972, sondern primär die derzeitige Forschungssituation - unter Anregung auch der von mehreren Universitäten bereits inaugurierten bedeutenden Publikationsreihen und Monographien {u. a. Wien, Heidelberg, Freiburg, Würzburg, Halle, Bonn) - machen es dringend notwendig, endlich auch die Geschichte der ältesten bayerischen Landesuniversität und ihres Wirkungsradius anzugehen. Eine noch längere Vorenthaltung des Quellenmaterials vor der in- und ausländischen Forschung wäre nicht mehr verantwortbar, zumal auch die fast 300 Jahre jüngere Bayerische Akademie der Wissenschaften inzwischen grundlegende historische Untersuchungen erfahren hat. Andererseits hat sich die Bearbeitung des auf weite Strecken noch brachliegenden Feldes schon jetzt als überaus fruchtbar und weiterführend erwiesen zur Erhellung des institutionellen und geistigen Ortes der Ludovico-Maximilianea innerhalb des bayerischen und europäischen Kulturraumes. Beansprucht sie doch allein schon deshalb entscheidendes Gewicht im Rahmen der allgemeinen Geschichte der
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Zum Geleit
Universitäten und Disziplinen, weil ihre zweimalige Translokation Ausdruck einer besonderen Entwicklungssituation ist. Diese Publikationsreihe repräsentiert ein auf längere Sicht geplantes Forschungsunternehmen, das sich auf eine systematische Bearbeitung verfassungs- und wirtschaftshistorischer, wissenschaftsgeschichtlicher, personen- und sozialgeschichtlicher Bezüge der Universität in den verschiedenen Epochen ihrer Wirksamkeit bis zur Gegenwart richtet. Neben den Monographien wird eine dokumentarische Edition zentraler Urkunden und Akten zur sachlichen und zeitlichen Ergänzung der bisher einzig vorliegenden Dokumentenbände von J. N. Mederer und C. Prantl vorbereitet. Hiermit wird nun die Untersuchung von Dr. Arno Seifert zur Statutenund Verfassungsgeschichte der Ingolstädter Universität, die erstmals auch die neu 'a ufgefundene Nova Ordinatio von 1507 zuverlässig auswertet, sozusagen als Grundstein zur Erforschung des Weges unserer Alma Mater der Öffentlichkeit übergeben. Über die weiteren Planungen wird das Geleitwort zum fast gleichzeitig erscheinenden zweiten Band berichten, welcher die Arbeit von Dr. Harald Dickerhof über die Anfänge der Geschichtswissenschaft an der Universität Ingolstadt enthält. Die Durchführung der Forschungsreihe wäre nicht möglich ohne das Entgegenkommen namentlich der bayerischen Bibliotheken und Archive. Es sei besonders herzlicher Dank gesagt an die Registratur des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, an die Bayerische Staatsbibliothek mit ihrer Handschriftenabteilung, an die Universitätsbibliotheken München und Salzburg, das Hauptstaatsarchiv München, das Staatsarchiv für Oberbayern, das Geheime Hausarchiv München, das Staatsarchiv Nürnberg, die Stadtarchive München und Ingolstadt, das Universitätsarchiv Freiburg i. Br., das Ordinariatsarchiv München und das Diözesanarchiv Eichstätt, das Archiv des Herzoglichen Georgianum München, das Ordensarchiv der Oberdeutschen Provinz der Societas Jesu und nicht zuletzt das Archivum Romanum. Die Herren Direktoren und Vorstände, Bibliothekare und Archivare mögen es verzeihen, wenn an dieser Stelle auf persönliche Erwähnung ihrer vielfältigen Hilfen verzichtet werden muß. Abschließend ist es den Herausgebern ein besonderes Anliegen, aufrichtigen Dank zum Ausdruck zu bringen an den Verlag Duncker & Humblot und an den Verleger, Herrn Ministerialrat a. D. Dr. Johannes Broermann, der durch sein großzügiges Interesse an dem Forschungsvorhaben die Eröffnung der Reihe ermöglicht hat, sowie an die Universität München, die durch einen Zuschuß den Start erleichtert hat. München, im Dezember 1970 Prof. Dr. Johannes Spörl
Prof. Dr. Laetitia Boehm
Vorwort Universitätsstatuten sind Textwerke, die Fragen aufgeben nach Autorschaft, Herkunft und Abhängigkeit, nach Datum und Umständen ihrer Entstehung. Die Antworten mögen als ein Kapitel Gründungs- und Beziehungsgeschichte der Universitäten für sich nicht ohne Interesse sein; am Ende dienen sie doch vornehmlich dazu, den Aussagewert .der Statuten als Quelle zu kontrollieren und sicherzustellen. Ist das geleistet, wird die Statutenuntersuchung mit den Statuten in ihrer Blickrichtung koinzidieren, wird sie als Verfassungsgeschichte den Gegenstand ihres Gegenstands zu ihrem eigenen machen. Was .die alte Universität mit einem pluralischen Begriff ihre statuta nannte1 , ist eine in mehr oder weniger strenger Urkundenform auftretende Summe heterogener Verfügungen, Verbote und Anordnungen, von Kleider- und Disziplinarvorschriften bis hin zu den Bestimmungen grund- und rahmengesetzliehen Charakters. Auch stellen diese Sammlungen, mit deren Redaktion die deutschen Universitäten ihre politische Tätigkeit zumeist eröffneten, nicht die einzigen Quellen ihrer Verfassung dar; neben ihnen stehen weitere, in Hinsicht auf Materie und Verabschiedungsprozedur nur selten streng von ihnen abgehobene Einzelgesetze (decreta, statuta, conclusa;) sodann .die höchst wichtigen landesherrlichen Gesetzgebungswerke, von den Gründungsurkunden bis zu den großen "Reformationen" des 16. Jahrhunderts, schließlich auch die nur indirekt ersehEeßbaren consuetudines, die als gemeingültige Vorstellung von der Gestalt der Universität aller schriftlichen Fixierung bereits vorausgingen und kaum jemals vollständig von ihr erfaßt wurden. Eine isolierte Statutenuntersuchung würde daher die Universitätsverfassung, auf deren Kenntnis es letztlich ankommt, weder vollständig noch ausschließlich erfassen. Nichtsdestoweniger skandieren diese Satzungswerke und ihre perio.dischen Revisionen mit einer gewissen Unschärfe und gelegentlichen Phasenverschiebungen den Rhythmus der universitären Verfassungsentwicklung. Die Universität Ingolstadt hat im ersten Jahrhundert ihres Bestehens nicht weniger als drei vollständige und umfangreiche Statutenredaktionen hervorgebracht, die aller1 Die herzogliche Bestätigungsurkunde von 1522 verwendet die Formel "constitution, decret, statut und ordnung" (Mederer IV 184, 212 f.), ein bezeichnendes Sprachgebilde. Vgl. weiter Kap. 2 Anm. 1 ff.
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Vorwort
dings kein gleichgemessenes Interesse verdienen. Die Beobachtungen, zu denen die Gründungssatzung in ihrer vielfältigen sachlichen und textlichen Abhängigkeit und auch noch die Neuredaktion von 1522 mit ihren bedeutsamen Verfassungsänderungen Anlaß geben, stehen in keinem Verhältnis zu dem Kommentar, der an die unselbständige, kaum mehr als stilistisch interessante Drittfassung von 1556 geknüpft werden kann. Dieser Umstand erklärt die Kapitelgliederung des ersten, statutengeschichtlichen Teils der vorliegenden Arbeit, dem in verschiedene, chronologisch durchgeführte Sachkapitel gegliedert ein größerer verfassungsgeschichtlicher Teil angeschlossen wird. Die beiden Dokumentenbände von Johann Nepomuk Mederer und Carl Prantl bilden die Quellenbasis, auf die diese Arbeit jederzeit Bezug nimmt, die sie aber durch eine vollständige Erfassung der Bestände des Universitätsarchivs und durch Heranziehung einer Anzahl unausgeschöpfter Archivaliengruppen vor allem der Münchner Archive erweitert2. Der Quellenanhang möchte Text und Anmerkungsapparat durch Mitteilung einiger wichtiger Auszüge und Regesten entlasten, ohne einer in Aussicht genommenen neuerlichen Dokumentenedition vorzugreifen. Die veröffentlichten Urkunden wie auch die Darstellungen zur Geschichte anderer deutscher und auswärtiger Universitäten sind nach Möglichkeit eingesehen und zum Vergleich herangezogen worden. Von einheimischer Literatur liegen nach dem vor 400 Jahren entstandenen, von Mederer vor 200 Jahren überarbeiteten Annalenwerk Valentin Rotmars3 und nach der klassischen, inzwischen hundert Jahre alten Universitätsgeschichte Prantls, die beide der verfassungsgeschichtlichen Fragestellung nur am Rande Raum geben, eine kleine Anzahl speziellerer Untersuchungen vor4• Jüngst hat Theodor Keck in einer Erlanger Dissertation mit analoger, aber zeitlich weitergreifender Themenstellung den älteren Wissensstand zusammengeiaßt und mit juristischer Schulung interpretiert. Die sachlich an sich wünschenswerte Ausdehnung der Zeitgrenze bis ins 18. Jahrhundert war angesichts der unübersehbaren Materialfülle vorläufig nicht möglich. Die vorliegende Arbeit ist im Sommer 1969 von der Philosophischen Fakultät der Universität München als Dissertation 2 Mederer IV (Codex diplomaticus) und Prantl II (Urkundenbuch). Vgl. weiter das Verzeichnis der benützten Archivalien. 3 Mederer I. 4 Vgl. im Literaturverzeichnis die Titel von Philips, Pözl, Stadlbauer, Löw und Sandberger. Die beiden letzteren, relativ jungen Dissertationen sind von sehr unterschiedlichem Wert; im Gegensatz zu der planlos wirkenden Arbeit Löws liegt die sorgfältige Untersuchung Sandhergers mit ihrer Auswertung des Protokollbandes D III 1 des Universitätsarchivs gedruckt vor. Die maschinenschriftliche Dissertation J. G. de Brouweres befaßt sich ausschließlich mit der frühen Vermögensgeschichte der Universität Ingolstadt (vgl. Kap. 9).
Vorwort
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angenommen, seitdem nochmals gründlich überarbeitet und ergänzt worden. Der Verfasser bedankt sich herzlich bei seinem Doktorvater, Herrn Professor Johannes Spörl, und bei Frau Professor Laetitia Boehm für ihre Anregung und überaus wohlwollende Betreuung. Sein Dank gilt weiter den Teilnehmern des Münchener universitätsgeschichtlichen Colloquiums, in dessen nunmehr seit vier Jahren regelmäßig veranstalteten Vorträgen und Diskussionen diese wie alle anderen, schon abgeschlossenen oder noch in Arbeit befindlichen Dissertationen zur einheimischen Universitätsgeschichte einen verläßlichen Rückhalt gefunden haben.
lnhal tsverzeichnis A. Statutengeschichtlicher Teil Erstes Kapitel: Geschichte der Gründungsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
I. Die Dokumente der Gründungsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
11. Versuch einer relativen Chronologie
17
111. Versuch einer absoluten Chronologie
32
Zweites Kapitel: Die Ingolstädter Gründungsverfassung im Zusammenhang der deutschen Universitätsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
I. Der statuten- und verfassungsgeschichtliche Hintergrund der Ingol-
städter Gründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
11. Fremde Einflüsse auf die Ingolstädter Gründungsverfassung . . . . . . . .
54
1. Der Einfluß der Universität Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
2. Der Einfluß der Universität Leipzig . . ...... . ... .. . . . . . . ... . . . ... .
63
3. Der Einfluß der Universität Köln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
4. Zusammenfassende Beurteilung der Gründungsverfassung . . . . . . . .
72
Drittes Kapitel: Die Reformperiode 1497-1522: Korrektur und Ergänzung der Gründungsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
I. Die Nova Ordinatio (1507) und ihre Vorgeschichte . ...... . .... , . . . . . . .
76
II. Die Statuten von 1522 und ihre Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . 86 111. Der Einfluß Tübingens auf die Verfassungs- und Statutenreform der Jahre 1497-1522 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Viertes Kapitel: Das spätere 16. Jahrhundert: Gefährdung und Bewährung der klassischen Universitätsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
I. Abschluß der Reform und Periode des Stillstands (1523-47) . . . . . . . . . . 107 II. Die Reform von 1555 und ihre Vorgeschichte .................. . . . ... 110 111.
Die
Reformperiode 1560-62 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
IV. Die restliche Regierungszeit Herzog Albrechts V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 V. Die Universitätsreform Herzog Wilhelms V. (1585-86) . . . . . . . . . . . . . . 130
Inhaltsverzeichnis
12
B. Verfassungsgeschichtlidlet Teil Fünftes
Kapite~:
Die Korporation in ihrer GHederung und Schichtung . . . . 139
I. Nationen- und Fakultätengliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 II. Fakultät und Stand: Die Artisten .......................... . ..... . . 148 1. Die propädeutische Funktion des artistischen Studiums . . . . . . . . . . 150
2. Von der Regenz zum Ordinarienwesen ..... ... ........... . ... ... 154 3. Die Formierung der Ordinarienfakultät .. . ....... . .. ." . . . . . . . . . . 162 4. Stellung und Geltung der Artisten in der Universität ... .. . . . .. . . 164 III. Die übrigen Stände der Korporation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Die Doktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
2. Die Lizentiaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 3. Die Studenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Sechstes
Kapite~:
Das Konzil (Senat) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
I. Der Ort des Konzils im Verfassungsschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
II. Die Konzilszusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 III. Das Konzilsverfahren
205
IV. Das Dekanskonzil . . .. .. .... . . . ........ .. ..... . . . ...... .. . . ... . . .. . . 216 Siebentes
Kapite~:
Das Rektorat ... . . . ........ . ....... . . ... . ... . . . . .. . .. 221
I. Rechte und Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 li. Die Bedeutung des Rektorats in ihren Wandlungen . ... . .. . . .. . . . .. . . 227
III. Die Zulassungsbedingungen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
1. Alter und Grad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
2. Das Adelsrektorat ..... ... ... . . . .. . . . .. .. : . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 3. Die Kienkatsforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 4. Eheliche Geburt und Weltgeistlichkeit .... . . . ... . . . . . ... . ... .... 256 258
IV. Die Rektorwahl
1. Die Amtsperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258
2. Der Fakultätenturnus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 3. Die Wahlhandlung
...... .................. ...............
269
Achtes Kapite~ : Amter neben dem Rektorat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
I. Das Vize- oder Prorektorat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
Inhaltsverzeichnis
13
II. Das Vize- oder Prokanzellariat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 111. Superintendenz und lnspektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 IV. Der Pedell .................. . ...... .. . .. . . .. . . . .......... . . . .. . .. . 307 V. Notariat und Aktenwesen .. . . . ................. . .... . . . ..... ... ... . 311 Neuntes Kapitel: Die Kammer . .. ............ . . .. . ........... . .. .. .... 318 I. Vorgeschichte und Herausbildung der Kammer . ....... . ....... ... . 318
1. Die Trennung des Kämmereramtes vom Rektorat . . . . . . . . . . . . . . . . 328
2. Universitäts- und Kammerkonzil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 3. Die Aufgliederung der archa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 II. Die Ämter der Kammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 1. Die Kastner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333
2. Der Kämmerer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 3. Hilfsbeamte- assesores, revisores, clavigeri, frumentarii . . . . . . . . 342 111. Das akademische Vermögensverwaltungsrecht in seinen Grenzen .... 345 Zehntes Kapitel: Die Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358
I. Umfang und Grenzen der akademischen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . 358 II. Die Organisation der akademischen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 388 1. Die Instanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388
2. Das Verfahren
394
111. Die Zugehörigkeit zum universitären Rechtsverband: Aufnahme und Ausschluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Elftes Kapitel: Universität und Staat ... ... . ...... . . ..... . . . .... . . ... . . 407 I. Grundzüge, Grenzen und rechtliche Grundlagen der staatlichen Uni-
versitätsregie
........... . .. ................ . .. ........ . ........ .. 407
1. Universitäre und staatliche Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
2. Rechtsgrundlagen der staatlichen Universitä tsverwaltung . . . .... . 420 II. Die Organisation der staatlichen Universitätsregierung . . . . . . . . . . . . . . 425
Quellenanhang
449
Verzeichnis der benützten Archivalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 Register .. ... . ...... .. .. . . ..... . .. . . . . .. .. . . . . ........ . ..... . .. . . .. . .. 519
A. Statutengeschichtlicher Teil Erstes Kapitel
Geschichte der Gründungsverfassung I. Die Dokumente der Gründungsverfassung Das Anfangsdatum der Ingolstädter Universitätsgeschichte, hinter das freilich jede vorgeschichtliche, insbesondere aber jede vermögensgeschichtliche Untersuchung zurückzugehen versuchen muß, ist der Erlaß der päpstlichen Stiftungsbulle im Jahre 14591 • Von ihm her führt eine kontinuierliche Reihe päpstlicher und landesherrlicher Privilegierungs- und Datierungshandlungen bis zum eigentlichen Gründungsjahr 1472 hin. Erst kurz vor diesem Jahr, nach Abschluß der sozusagen stiftungsgeschichtlichen Phase, tritt das Gründungsgeschehen in ein verfassungsgeschich~lich relevantes Stadium, das mit der Entstehungsgeschichte des herzoglichen Stiftungsbriefs und der Universitätsstatuten zusammenfällt. Am 20.4.1471 publizierte der Bischof von Augsburg die aus dem Jahre 1465 stammende päpstliche Bulle über die Umwandlung der älteren Ingolstädter Frauenstiftung in Universitätsvermögen 2 • Mit dieser Urkunde darf das Stiftungsgeschehen als vorläufig abgeschlossen gelten, wenn auch das ursprüngliche Programm des Stifters nicht gänzlich erfüllt war. Nachdem die wirtschaftlichen Existenzgrundlagen der Universität gesichert waren, stand der eigentlichen Gründung und Eröffnung kein Hindernis mehr im Weg. Am 2.1.1472 erließ Herzog Ludwig ein allgemeines Einladungsschreiben, das den Beginn der Vorlesungen für den 3. März 1472 ankündigte3 • Wirklich konnte die Universität programmgemäß Anfang März eröffnet werden4 • Wenig später, am 17. März, ernannte der Herzog in der Person Wilhelm Kyrmanns aus Werden einen kommissarischen Vizerektor, der sogleich (am 18. März) Mederer IV Nr. 3. Mederer IV Nr. 9.- Vgl. zur Stiftungsgeschichte Kap. 9 Abschnitt I. 3 Mederer IV Nr. 11 ("secunda feria post dominicam Oculi"). 4 Nach Aussage des Ingolstädter Stadtschreibers Andreas Zainer aber erst am Mittwoch nach Oculi, also am 4. 3. 1472 (SHV Ingolstadt 12, 1887, 9).
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1. Kapitel: Geschichte der Gründungsverfassung
mit der Führung einer Matrikel begann5 • Erst drei Monate später jedoch, am 26. Juni, wurde die Universität im Beisein des Stifters feierlich eröffnet6; einen weiteren Monat danach, am 25. Juli, erfolgte die Wahl des ersten Rektors Christoph Mendel von Steinfels7 • In dieser Datenreihe muß versucht werden, der Entstehung des herzoglichen Stiftungsbriefs und der Universitätsstatuten einen Ort anzuweisen. Übereinstimmend mit der allgemeinen Übung in Deutschland ließ Herzog Ludwig der Reiche für seine Universität ein umfangreiches Dokument anfertigen, in dem er ihr ihre künftigen Freiheiten und Rechte verbriefte, zugleich aber auch vielfältige Anordnungen für ihre innere und äußere Einrichtung traf. Für die Universitätsverfassung ist diese Stiftungsurkunde neben und vor den Statuten von grundlegender Bedeutung. Ihre nicht mehr im Original, das Pölnitz beschrieben hat8 , aber in mehreren Abschriften9 erhaltene Ausfertigung trägt das Datum des 26. 6. 1472, des Tages also der feierlichen Universitätseröffnung. Dieser endgültigen und offiziellen Redaktion gingen vier ältere Fassungen voraus, die in einem fortlaufenden Korrekturvorgang aufeinander folgten. Prantl hat diese instruktive Folge in anschaulicher und - wie der Vergleich mit den erhaltenen Handschriften zeigt - im wesentlichen korrekter Form gedruckt10• Was die dadurch gegebene Möglichkeit, die Arbeit an der Stiftungsurkunde über mehrere Etappen hinweg zu verfolgen, für die vorliegende Betrachtung so wertvoll macht, ist der Umstand, daß sich in ihrem Fortgang die Vorstellungen des Stifters über die Verfassung seiner Universität beträchtlich geändert haben; unter wechselnden Gesichtspunkten wird von dieser Entwicklung später immer wieder die Rede sein müssen. Was die Statuten des Gründungsjahres betrifft, so ist das früher im Universitäts-Archiv vorhandene Original inzwischen verloren, jedoch hatMedererden Text in seinem Codex diplomaticus gedruckt11 • Glücklicherweise sind wir auf diesen Druck, der verschiedene Fragen aufgibt oder offenläßt, nicht ohne Alternative angewiesen. Abgesehen von einem im Universitäts-Archiv erhaltenen späteren Exzerpt12 ist in der Staatsbibliothek München ein vollständiger, allerdings ebenfalls erst Matrikel Pölnitz I 5 f. Prantl II 37 f. 7 Matrikel Pölnitz I 7 f. s Pölnitz, Denkmale und Dokumente 71 f. 8 UA B II 1, 17 ff. (1642 beglaubigte Abschrift), StB Clm. 1619, 25 ff., Cgm. 27322 I u. öfter. 10 Prantl II Nr. 3; HStA NKB 10, 32 ff., 61 ff., 74 ff., 113 ff. Vgl. aber zu Prantls Druck unten Anm. 38 ff. 11 Mederer IV Nr. 12. 12 UA B II 2 "Statuta universitatis 1478. (sie!) anno facta".
II. Relative Chronologie
17
aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammender Statutentext vorhanden13, der mit Mederers Version größtenteils übereinstimmt, ihr jedoch - wie der Vergleich öfters bestätigt" - im Zweifelsfall nicht vorgezogen werden kann. Größere Wichtigkeit besitzt dagegen eine Handschrift im Münchener Hauptstaatsarchiv mit dem Entwurf einer ursprünglichen Statutenfassung, der von zweiter Hand vielfach korrigiert wurde15• Die Korrekturen bewegen sich in Richtung auf den Mederer-Text, ohne ihn indessen schon ganz zu erreichen. Von diesem Entwurf her wird es möglich, nicht nur gelegentliche Ungenauigkeiten Mederers zu berichtigen, sondern die scheinbare Homogenität seines Textes in eine Bewegung aufzulösen, als deren Endprodukt die fertige Statutenfassung in neuem Licht erscheinen muß. Die Statuten sind weder bei Mederer noch in den genannten Handschriften datiert, aber es bieten sich Anhaltspunkte genug, um ihnen im Geschehen des Gründungsjahres 1472 einen engeren Ort zuzuweisen. Vor allem stehen sie in einem bestimmten Verhältnis zur Stiftungsurkunde, das einerseits durch die Gleichzeitigkeit der Entstehung objektiv-chronologisch gegeben ist, andererseits den Charakter bewußter und ausdrücklicher gegenseitiger Berücksichtigung und Anpassung trägt. Es ergibt sich so das Bild zweier nicht mehr nur parallel nebeneinander herlaufender, sondern eng miteinander verquickter und aufeinander abgestimmter Gesetzgebungsprozesse, des landesherrlichen und des universitären. Diese Zusammenhänge sind für sich selbst interessant genug, den Versuch einer detaillierten Nachzeichnung lohnend erscheinen zu lassen. Aufschlüsse zur offenen Datierungsfrage sind darüber hinaus jederzeit zu suchen und zu begrüßen. II. Versuch einer relativen Chronologie
Prantl nahm an, daß die Arbeit an der Stiftungsurkunde erst nach dem 2. Januar 1472 -dem Datum des herzoglichen Einladungsschreibens- begonnen habe16• Eine genauere Prüfung dieses Schreibens, das die Dotierung und Privilegierung der Universität als bereits geschehen vermeldet, hätte ihn jedoch vor einer so späten Ansetzung warnen müssen. Der Herzog berichtet im einzelnen, er habe die Universität mit Privilegien, Immunitäten und besonderen Ehren bedacht unacum consulibus (quatenus tum nos, tum ipsos respicit} 11• Tatsächlich besitzt das 13 . 14
1s 16 17
StB Clm. 27322 I xix ff. Anhang I. HStA NKB 10,51-57. Prantl I 23. Mederer IV 40.
V gl.
2 Seifert
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1. Kapitel: Geschichte der Gründungsverfassung
Stadtarchiv Ingolstadt einen vom 31. Dezember 1471 stammenden Brief des Herzogs an den Rat der Stadt, in dem es heißt, man übersende anbei
copien wie wir fürgenomen haben, die universitet zu Ingolstat zu freien,
und ersuche die Stadt um schriftliche Stellungnahme18• Im gleichen Archiv ist eine Abschrift der Stiftungsurkunde vorhanden, und zwar eine Kopie der Redaktion A- die einzige neben dem von Prantl benützten Exemplar der Neuburger Kopialbücher. Von gleichzeitiger Hand ist auf ihr vermerkt: Hec littera non est sie confirmata, nec sie universitas privilegiata, sed alio modo19• Die Urfassung (A) der Stiftungsurkunde Damit ist die Annahme gesichert, daß zusammen mit dem zitierten herzoglichen Brief eine Abschrift der ältesten Fassung (A) des Stiftungsbriefs nach Ingolstadt gelangte. Diese Fassung A ist demnach noch im Jahre 1471 entstanden. Terminus post quem ist der 20. April dieses Jahres, Datum der bischöflich-augsburgischen Bullenexekution, die im Text als zeitlich spätestes Dokument noch erwähnt wird20 • Die Redaktion A ist in enger textlicher und sachlicher Anlehnung an die herzoglichen Stiftungsbriefe für die Universität Wien verfaßt, worüber noch besonders zu handeln sein wird21 • Sie entwirft, und zwar in Anlehnung an die albertinische Urkunde Wiens, eine Universitätsverfassung, die sich von derjenigen der späteren Statuten in wesentlichen Punkten unterscheidet. So wird die Universität in vier Nationen gegliedert, denen vier Prokuratoren mit der Befugnis der Rektorwahl vorstehen. Von besonderen eigenen Statuten der Universität wird nichts erwähnt. 18 StA Ingolstadt A VI 1, 17, ohne Angabe des Fundorts und in zweifelhafter Schreibung gedruckt von F. X. Ostermair in SHV Ingolstadt 5 (1880) 143. Im folgenden sei daher der Text nach dem Original wiedergegeben: Ludwig von gotts genadn pfalltzgrave bey Rin hertzog in nidern und obern Bayern etc. Unsern grus zuvor, ersamen, weysen lieben getruen. Wir schickhen üch hiebey copien, wie wir furgenomen haben, die universitet zu Ingolstat zu freien, als ir vernemen werdet. Und ist darauf unser gutbedunckhen, das ir die in ewrem rat verhöret, auf das ob ichts nach ewrm gutbedunkhen darinn zuverändern wäre, das eigentlich aufschreiben und uns das furderlich in schrift wissen, die bemellt copien üch abschreyben lasset und uns die alsdenn damit widerumb zuschickhet, daran tut ir unser meynung. Wir lassen auch ytz alhie die bemelt universitet an die ende, da uns bedunkhen wil notdurft sein, ausschreiben und offenntlich verkünden auf meynung, das man zu Ingolstatt in der universitet auf Suntag Oculi in der vassten Schiristen zu lesen anfahen werde. Das wollen wir üch unverkündet nit lassen, üch auch darnach wissen zu richten. Datum Landshut am Eritag vor dem neuen jarstag anno etc. LXX secundo. Den ersamen weysen unsern liben getrüen camrer und rate unserer stat Ingolstat. (Siegel). 1o StA Ingolstadt A VI 1. 20 Prantl II 22. 21 Vgl. unten Kap. 2 Anm. 61 ff.
II. Relative Chronologie
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Die Redaktion A stellte den textlichen Grundbestand der Stiftungsurkunde her, der in der Folgezeit teilweise recht weitgehend ergänzt und verändert wurde, trotzdem aber in seiner Masse erhalten blieb. Zählt man die jeweiligen Korrekturen zu den Neufassungen hinzu, so folgten auf die Erstfassung A nicht nur vier, sondern acht weitere Bearbeitungsstadien, die allerdings nicht alle von gleicher Bedeutung sind. Die Korrekturphase A'-B Die Korrektur von A (A') stammt wohl von der Hand eines gelehrten herzoglichen Rats, und zwar eines Kanonisten, worauf der Umstand deutet, daß in häufig lateinischen Glossen auf die Rechte des Bischofs von Eichstätt mit Nachdruck hingewiesen wird. Die Urfassung weiß von solchen Rechten noch nichts. Die Funktion eines Universitätskanzlers, in die erst in der Redaktion C aus herzoglicher Machtvollkommenheit der Bischof von Eichstätt eingesetzt wird (nachdem die päpstliche Stiftungsbulle eine solche Bestellung scheinbar vergessen hatte), kommt in A noch nicht vor; A' jedoch weiß, daß die Promotionen der Mitwirkung eines Kanzlers oder seines Stellvertreters bedürfen22 • Den Bischof von Eichstätt sieht der Korrektor in seiner Funktion als Diözesan der Stadt und ordinarius loci, dessen Beteiligung an den einzelnen herzoglichen Schenkungs- und Stiftungsakten ihm folglich unerläßlich erscheint23 • Auch sollte dem Bischof nach seiner Meinung die Stiftungsurkunde insgesamt zur Bestätigung vorgelegt werden24. Zu den juristischen Randglossen gesellen sich in A' einige stilistische Korrekturen. Für die eigentliche Universitätsverfassung dagegen ist diese Korrektur nur insofern von Belang, als sie das Verfassungsschema der Urfassung ohne Änderung beibehält. Damit ist für die zeitliche Einordnung dieser Korrektur ein terminus ante quem gewonnen. Die Matrikel der Universität setzt mit dem 18. März 1472 ein; sie kennt, wie andernfalls nach dem Beispiel anderer Universitäten unbedingt zu erwarten wäre, eine Nationengliederung nach Forderung der älteren Fassungen des Stiftungsbriefes nicht, woraus zu schließen ist, daß das ursprüngliche Projekt zu diesem Zeitpunkt bereits fallengelassen worden war. Im Stiftungsbrief verschwindet es jedoch erst in der Korrektur von B (B'); also kannAkaum nach Mitte März korrigiert worden sein. Dieser Schluß erhält Sicherheit durch einen Zusatz in A', demzufolge die erstmalige Wahl der Prokuratoren binnen vier Wochen nach Universitätsbeginn stattfinden sollte25 ; 22
23 24
25
Prantl II 19 Z. 184--S7. Prantl II 23, Anmerkungen zu Z. 323 und 334 und S. 12 Anm. zu Z. 62. Prantl II 37 Z. 701-2. Prantl II 14 Anm. zu Z. 92-3.
1. Kapitel:
20
Geschichte der Gründungsverfassung
diese Frist konnte also noch nicht oder höchstens eben erst begonnen haben. Für einen terminus post quem bietet der Text keine sichere Handhabe, es wäre denn durch eine Korrektur zu Zeile 73, wo zu der älteren Bestimmung, daß die Juristen in einem ihnen überschriebenen Haus ihre Vorlesungen halten sollten, ein nu furter hinzugefügt wird26• Das könnte bedeuten, daß die Vorlesungen zum Zeitpunkt der Korrektur schon begonnen hatten; Vorlesungsbeginn aber war am 4. März 1472 27 • Ob man sich auf dieses Indiz verlassen will oder nicht, die Vorstellung, daß die Stiftungsurkunde aus Anlaß des Universitätsbeginns einer neuerlichen Durchsicht unterzogen wurde, hat jedenfalls viel Wahrscheinlichkeit für sich. Es ist ja auffällig und lag sicher nicht in der ursprünglichen Absicht des Stifters, daß die feierliche Inauguration der Universität erst am 26. Juni, also mehr als drei Monate nach Vorlesungsbeginn, veranstaltet wurde. Viel wahrscheinlicher war doch wohl zuerst daran gedacht, der neuen Universität sofort nach ihrer Eröffnung die Urkunde zu übergeben, die ja nicht nur ihre Vermögensangelegenheiten, sondern auch ihre innere Verfassung im einzelnen festlegte. So darf man also vermutungsweise die Korrektur A' etwa auf Anfang März datieren. Auf der Grundlage dieser Korrektur ist eine neue Fassung der Stiftungsurkunde (B) hergestellt worden, die, abgesehen von den Glossen, alle Änderungswünsche von A' übernimmt, ohne weitere Änderungen von sich aus hinzuzufügen. Diese Fassung wird also unmittelbar nach A' entstanden sein. Vielleicht ist es mehr als ein Versehen, daß B einen Passus, der den einzelnen Fakultäten ihre besonderen Räumlichkeiten zuwies, wegläßt- die einzige bedeutende Auslassung, die sich feststellen läßt28 • Nun war in diesem Passus u. a. vorgesehen, daß die Theologen in der Kapelle des Pfründhauses lesen sollten. Diese Regelung scheint auf den Widerstand der Betroffenen gestoßen zu sein, denn B' wird den Theologen ausdrücklich freistellen, nicht in der Kapelle, sondern wie die anderen im Pfründhaus selbst zu lesen. Wenn B also bereits diesen Absatz wegläßt, so möglicherweise deshalb, weil der inzwischen erfolgte Vorlesungsbeginn die betreffenden Anordnungen überholt hatte. Dies wäre ein weiteres Indiz für die Datierung von A' und B auf einen Zeitpunkt bald nach AnfangMärz 1472. Die Korrekturphase B'-C Mit der nächsten Bearbeitungsstufe, der Korrektur von B (B'), ist ein Punkt erreicht, der sowohl für die Verfassungs- wie für die Statuten26
21
2s
Prantl II 13. Vgl. oben Anm. 4. Prantl II Z. 347-352; vgl. auch S. 12 Anm. zu Z. 64.
11. Relative Chronologie
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geschichte der Ingolstädter Universität von ganz vorrangigem Interesse ist. Es war schon gesagt, daß sich die Urfassung der Stiftungsurkunde (A) in ihren die Universitätsverfassung betreffenden Bestimmungen zu den Statuten und der späteren Verfassungswirklichkeit in auffälligem Widerspruch befand. Als eklatantestes Beispiel waren die Nationengliederung und die mit ihr zusammenhängenden Institutionen des Prokuratoramts und der Rektorwahl genannt, die alle in dieser Form niemals Wirklichkeit geworden sind und von denen die Statuten entweder nichts wissen oder gänzlich andere Bestimmungen geben. Dieser Widerspruch fällt nun in B' auf die einfachste Weise dadurch hinweg, daß der betreffende lange Abschnitt der Stiftungsurkunde kurzerhand gestrichen wird29 • Von anderen, weniger auffallenden Änderungen wird bei späterer Gelegenheit die Rede sein. Daraus ergibt sich, daß sich erst von B' an der Text der Stiftungsurkunde zu demjenigen der Statuten in einem Verhältnis befindet, das die bis dahin kaum mögliche Annahme ihres Nebeneinanderbesteheng zuläßt. Für die Datierung der Statuten läßt sich die vorläufige Folgerung ziehen, daß sie, zumindest in ihrer endgültigen Form, nicht eher entstanden sein können, als die Korrektur der Fassung B des Stiftungsbriefs. Durch die weitgehenden Streichungen von B' entstand in der Stiftungsurkunde eine sachliche Lücke, die weder sofort noch in den späteren Redaktionen wieder ausgefüllt worden ist. Sie ist für das Statutengebungsrecht der Universität von hervorragender Bedeutung geworden, weil die Statuten in diese Lücke eintreten und den vom Stifter preisgegebenen Stoff an sich ziehen und für sich behaupten konnten. Damit wurde das universitäre Statutenrecht, noch vor der Anerkennung und Bestätigung durch den Stifter, zuallererst sachlich möglich30• Die Redaktion C scheint der Korrektur B' auf dem Fuße gefolgt zu sein. Eine Randnumerierung in B' deutet darauf hin, daß der Korrektor verschiedene Zusätze plante, die wahrscheinlich auf einem besonderen Zettel entworfen und sodann in die Neufassung der Urkunde übertragen wurden. An der Stelle der Streichungen erscheint denn auch in C ein Zusatz, der das Statutenrecht der Universität in aller Form anerkennt und ihm zugleich den durch die Streichungen freigewordenen Bereich zuweist31 • Die Urfassung Ader Stiftungsurkunde hatte nicht nur dem Text der späteren Statuten sachlich widersprochen. Sie hatte auch die Möglichkeit, daß die Universität zusätzlich zu ihr noch besondere Statuten brauche oder wenigstens haben könne, mit keinem Wort erwähnt. 20 3o
3l
Prantl II 13 Z. 78-124. Vgl. Kap. 11 Abschnitt I. Prantl II 17 Korrektur zu Z. 160 ff.; vgl. Kap. 11 Anm. 35.
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1. Kapitel:
Geschichte der Gründungsverfassung
Nimmt man hinzu, daß sie die Fragen der Universitätsverfassung so weitgehend von sich aus entschieden hatte, daß besonderen Universitätsstatuten nicht eigentlich mehr ein lohnender Gegenstand zur Regelung übriggeblieben wäre, so wird man schlußfolgern müssen, daß eine eigene universitäre Statutengebung sowohl für diesmal wie grundsätzlich nicht im ursprünglichen Plan des Stifters lag. Tatsächlich wäre diese Unterlassung nicht völlig ungewöhnlich gewesen, wie etwa das Beispiel Heidelbergs oder Tübingens beweist32• Wichtiger für Ingolstadt ist das Vorbild Wiens, und da ist nun die Feststellung interessant, daß ~uch die herzoglichen Stiftungsurkunden für Wien von einem Recht der Universität auf Statutengebung durchaus nichts wissen, und daß die Wiener Statuten von 1385 nicht aus der albertinischen Urkunde, sondern aus einem späteren, besonderen Privileg des Herzogs ihre Autori.sation bezogen33• Damit war der Ingolstädter Stifter von seinen Vorlagen her, zu denen das besagte Privileg kaum gehört haben wird, auf das universitäre Statutenrecht nicht vorbereitet. Die in der Folge der Streichungen von B', wenn nicht notwendig, so doch möglich gewordene Anerkennung des universitären Statutenrechts ist, neben der nun aus landesherrlichem Eigenrecht erfolgenden Ernennung des Bischofs von Eichstätt zum Kanzler3' , der wichtigste eigene Beitrag der Neufassung C zur Korrektur B', welcher sie im übrigen ausnahmslos folgt. Die Einführung einer solchen konkurrierenden Gesetzgebung ermöglicht es C, auch die seit B' offene Frage der Konzilszusammensetzung nicht mehr selbst zu entscheiden, sondern an jene abzutreten. Desgleichen erhalten die einzelnen Fakultäten im Rahmen des gesamtuniversitären ihr eigenes Statutenrecht, nachdem auch die auf die Organisation der Fakultäten bezüglichen Bestimmungen der Stiftungsurkunde in B' fallengelassen wovden waren35• Damit gewinnt das Statutenrecht der Universität nach seiner grundsätzlichen Einräumung mit der Zuweisung eines Auftrags und einer Materie zugleich praktische Aktualität. Von B' und erst recht von C an besteht deshalb höchster Anlaß, damit zu rechnen, daß die Universität mit der Herstellung ihrer Statuten entweder bereits begonnen hatte oder wenig später beginnen würde. In C ist von den Statuten außer in dem oben zitierten Zusatz mehrfach die Rede, ohne daß sich mit Sicherheit entnehmen ließe, ob sie bereits in Arbeit waren oder nicht. So soll das Universitätskonzil in der Weise zusammengesetzt werden, wie es die statut, so sy zw zeiten machen, vor32 33 34
as
Vgl. Kap. 11 Anm. 28 und 30. Kink II 72 ff. Prantl II 18 Korr. zu Z. 178 ff.; vgl. Kap. 8 Anm. 14 ff. Prantl II 18 Z. 178 ff.
II. Relative Chronologie
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schreiben36 ; eine ähnlich ungewisse Formulierung steht kurz vorher37• Danach müßte man auf Grund des von Prantl gegebenen Textes unsere Frage unentschieden lassen. Jedoch hat Prantl bei aller sonstigen Genauigkeit einige Randbemerkungen seiner Vorlagen unberücksichtigt und ungedruckt gelassen, die zu wichtig sind, als daß sie diese Behandlung verdienten. Die Urfassung (A) hatte in Zeile 236 ff. ausführlich den Eid beschrieben, den jeder Student bei seiner Immatrikulation dem Rektor zu leisten habe. Dieser Abschnitt wird in B' gestrichen, wie Prantl auch angibt; am Rand aber steht, und das läßt Prantl weg: vacat ibi, ponatur inter alia statuta38• Wenig später (Zeile 253) folgt die Randbemerkung: vacat, inseratur statutis sub modificacione in margine consignata39• Neben Zeile 257 steht am Rand: Iste articulus fiat per viam statuti ab universitate et obmittatur omni appellatione remota40 • Ein einfaches statutis oder statuta ist an drei weiteren Stellen angemerkt41 • Danach kann kein Zweifel mehr sein, daß zu dem Zeitpunkt, wo die Redaktion B korrigiert wurde, die Statuten nicht mehr nur geplant, sondern bereits in Vorbereitung waren oder sogar schon im Entwurf vorlagen.
Ein Konzept aus der Korrekturphase B'-C Ein Verbindungsstück zwischen Stiftungsurkunde und Statuten hat sich in Gestalt eines Schriftstücks erhalten, in dem sich ohne Mühe ein Konzept zur Stiftungsurkunde erkennen läßt42 • Allerdings ist sein Charakter insofern zwiespältig und mißdeutbar, als es teilweise Änderungswünsche zum Stiftungsbrief notiert, zum anderen Teil aber Bestimmungen aus ihm offenbar zum Zwecke ihrer praktischen Regelung oder Ausführung exzerpiert. Zur ersteren Gattung gehören etwa die Paragraphen 6-8, in denen die Inserierung einer Siegelbeschreibung sowie älterer Eidesformeln und Bestimmungen über die Konzilszusammensetzung in den Stiftungsbrief vorgesehen wird. Dagegen vermerken die Paragraphen 1, 3, 4, 5, 14--18 Bestimmungen, die sich schon seit der Erstfassung A in der Stiftungsurkunde befanden. Das Konzept muß jedoch viel später als diese entstanden sein, nämlich § 2 zufolge (der Unterricht hat bereits begonnen) nach dem 4. 3.1472, und nach Auskunft der Paragraphen 8 und 10 (Erwähnung des Vizerektors) sogar nach dem Prantl 1117 Korrektur zu Z. 160 ff. Prantl II 15 Korrektur zu Z. 132 ff.: "die statut, die rector und rate der universitet machen und wir, unser erben und nachkamen bestätten werden". 38 Prantl li 21. 39 Prantl li 21; vgl. immer HStA NKB 10, 113 ff. 40 Prantl II 21. 41 Zu Z. 373, 381 ff. und 446 ff. 42 HStA NKB 10, 60; vgl. Anhang li 2. 36 37
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1. Kapitel: Geschichte der Gründungsverfassung
17. 3.1472, während A wie gesagt vor dem Jahresende 1471 verfaßt worden ist. Bei den betreffenden "daß"- oder "es-soll"-Sätzen muß es sich also um eine Notierung solcher Anordnungen der Stiftungsurkunde handeln, die aus verschiedenen Gründen noch einer praktischen Erledigung bedurften. Bei dem Versuch der Einordnung dieses Konzepts in die Korrekturarbeit an der Stiftungsurkunde kommt es folglich darauf an, zwischen den beiden Gattungen der Konzeptparagraphen zu unterscheiden. Interessiert im Falle der ersteren die Frage, wann die Änderungs- oder Zusatzwünsche zum erstenmal in der Stiftungsurkunde erscheinen, so im Fall der letzteren, wann die exzerpierten Abschnitte zum letztenmal in der Stiftungsurkunde auffindbar sind. § 6 des Konzepts verlangt, eine Beschreibung der Siegel, die also bereits vorhanden sein mußten, dem Stiftungsbrief zu inserieren. Eine solche Beschreibung ist seit A in dem letzteren enthalten, allerdings als Muster für die vorgesehene Anfertigung der Siegel43 • In B' bleibt diese Beschreibung erhalten, jetzt aber als Schilderung der bereits vorhandenen Siegel (was allerdings eine Vorwegnahme sein kann) 44 • In C' wird die Beschreibung ein wenig geändert45 • In § 7 des Konzepts wird eine Durchsicht früherer Bestimmungen (scripta priora et ordinaciones) über die Konzilszusammensetzung und deren Inserierung in die Stiftungsurkunde vorgesehen; dort war eine diesbezügliche, von den Statuten und der späteren Praxis abweichende Regelung in B' gestrichen worden, bevor C die Angelegenheit zur Erledigung den Statuten übergibt46• An dieser Stelle verweist übrigens ein "H" am Rande von B' auf das Konzept bzw. umgekehrt.§ 8 des Konzepts, der den gleichen Vorgang für die Eidesformel vorsieht, findet in entsprechender Weise nach Streichungen in B' durch Neuzusätze der Redaktion C seine Ausführung47 • Eine Prüfung der Exzerpt-Sätze bestätigt dieses Ergebnis. Dem § 3 des Konzepts, das ainer jeden facultet ain sunder Verschreibung ... geben werd, entspricht eine Bestimmung der Stiftungsurkunde, die seit der Fassung D nicht mehr darin enthalten ist48• Der dem § 14 entsprechende Abschnitt der Stiftungsurkunde fiel bereits den Streichungen in B' zum Opfer49 • 43 Prantl II 16 Z. 149 ff.: "Item das gross sigel sol unser frawn pild im schillt haben .. .". 44 Prantl II 16, Korrektur zu Z. 149: " ...das gross sigel hat unser frawn pild im schillt .. .". 45 Prantl II 16: "Item das gross sigelist scheyblich ... ". 46 Prantl 1117 Z. 160 ff. 47 Prantl II 17, Korrektur zu Z. 160 ff. 4 8 Prantl II 13 Z. 76-77. 49 Prantl II 24 Z. 369-72 (besondere Überschreibungsbriefe an die einzelnen Professoren); vgl. immer den text des Konzepts Anhang Il 2.
II. Relative Chronologie
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Aus alledem ergibt sich für das Konzept eine weitere Gleichzeitigkeit mit der Korrekturphase B'-C des Stiftungsbriefs und eine engere mit B' allein. Diese wird außer durch das erwähnte Randzeichen durch eine gemeinsame Korrektur im Konzept und in B' klar bewiesen: beide ändern die Zahl der Schlüsselbewahrer der archa übereinstimmend von vier bzw. quatuor in funf bzw. quinque50 •
Der Statutenentwurf und seine Korrektur Von diesem Konzept her wird es nun auch möglich, die Statuten in eine sichere Beziehung zur Stiftungsurkunde zu setzen. Das Konzept spricht in dem schon zitierten siebenten Paragraphen von gewissen scripta priora et ordinaciones, durch die die Konzilszusammensetzung geregelt worden sei. Im nächsten Paragraphen werden Eidesformeln erwähnt, die ebenfalls durchgesehen werden sollten, und eine Randbemerkung notiert, daß sich die entsprechenden Schriftstücke in Verwahrung des Vizerektors befänden. Schließlich heißt es im § 10: Item postquam statuta sunt publicata, tune statuta prius avisata per ducem et per vicerectorem publicata debent tolli. Zum Zeitpunkt der Anfertigung des Konzepts muß also die Universität eine Art provisorischer Statuten besessen haben - wie sie ja auch unter der provisorischen Leitung eines Vizerektors stand; diese ersten Statuten sollten nun durch eine Neufassung ersetzt werden. Es läge nahe, diese Urstatuten mit dem von nachträglicher Hand korrigierten, erhaltenen Statutenentwurf zu identifizieren. Dagegen sprechen jedoch genauere Erwägungen. Wie schon gesagt, steht die Endfassung der Statuten zu den älteren Redaktionen der Stiftungsurkunde (A-B) in mehrfachem Widerspruch; die Frage, ob dasselbe bereits für den Statutenentwurf gilt, muß über dessen zeitliche Einordnung entscheiden. Nun weiß der Entwurf tatsächlich nichts von einer Einteilung der Universität in Nationen und läßt etwa den Rektor, statt von den ebenfalls nicht erwähnten Prokuratoren, a consilio wählen. Andererseits fehlt im Entwurf noch der spätere Statutenabschnitt über die Konzilszusammensetzung, der den älteren Fassungen der Stiftungsurkunde widersprechen wird51 • Die zahlreichen Verweise der Statuten auf die Stiftungsurkunde sind im Entwurf und seiner Korrektur größtenteils noch nicht vorhanden; die Ableitung des Statutenrechts der Universität aus dem herzoglichen Privileg und die Hinweise auf die dort formulierten Eide der Immatrikulanten und der Konziliare sind erst zwischen der -Entwurfskorrekturund der EndfasVgl. Konzept§ 5 und Prantl II 15 Korrektur zu Z. 131. Über die Rektorwahl : Mederer IV 59 ; die Konzilszusammensetzung in dem breiten Zusatz Mederer IV 58 f. Vgl. dazu Prantl II 14 und 17. 50
51
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1. Kapitel: Geschichte der Gründungsverfassung
sung in die Statuten gekommen52• Im Zusammenhang mit den Jurisdiktionsbestimmungen beruft sich der Entwurf zweimal unbestimmt auf herzogliche privHegia; erst die Entwurfskorrektur bringt für den Rektoreid einen Hinweis auf die im privHegium domini ducis inserierte Formel, die dort von der Redaktion C an enthalten ist53• Ob die Stiftungsurkunde den Autoren des Entwurfs überhaupt (und gleichgültig in welcher Redaktion) vorgelegen hat, ist demnach nicht eindeutig zu entscheiden. Wenn es der Fall war, so ist als Vorlage an die Redaktion B zu denken, der man aber nur bedingt gefolgt wäre, ohne ihr zugleich scharf entgegenzustatuieren. Die Abweichungen ließen sich so erklären, daß entweder die Abänderung des in den Redaktionen AB geäußerten Verfassungsplans schon in Aussicht gestellt war oder die Universität den Wunsch hatte, ihm von ihrer Seite her ein Alternativprojekt entgegenzustellen. Es ist aber auch nicht undenkbar, daß die Stiftungsurkunde den Statutengebern nur vage bekannt war und daß sie zwar mit einer gewissen Rücksicht auf sie, aber ohne skrupulöse Bezugnahme und Abstimmung ans Werk gegangen wären. Wenn also der Entwurf durchaus vor der Korrekturphase B'-C der Stiftungsurkunde entstanden sein kann, so ist er doch mit den vom Korrekturkonzept erwähnten statuta prius avisata et publicata schwerlich identisch. Bis zur Endfassung ist der Entwurf zwar vielfach ergänzt und im Detail auch verändert worden, aber von der im Konzept vorgesehenen Abschaffung (tolli) und Ersetzung durch neue Statuten kann in bezug auf ihn keinesfalls die Rede sein. Vielmehr führt von dem Entwurf zur Statutenendfassung durchaus eine gerade, ungebrochene Linie. Der Entwurf muß mithin der Phase der Verfassungsrevision, die hinsichtlich der Stiftungsurkunde mit der Korrektur B' zusammenfällt, seinerseits schon zugerechnet werden, was wiederum seine Vorzeitigkeit gegenüber dieser Textkorrektur nicht ausschließt. Ebensowenig wie mit den statuta prius avisata kann der Statutenentwurf mit den im § 7 des Konzepts zitierten scripta priora et ordinaciones identisch sein, weil er im Unterschied zur Statutenendfassung Bestimmungen über die Zusammensetzung des Universitätskonzils nicht enthält. Um solche Bestimmungen ging es aber dem Konzept; sie fehlten demnach zu diesem Zeitpunkt nicht nur in der Stiftungsurkunde, 52 Mederer IV 58 wird zwar schon im Entwurf (vielleicht in Vorwegnahme) erklärt, der Herzog habe die Universität errichtet und dotiert ("erexit, dotavit, privilegiavit"); die Berufung der statutengebenden Versammlung auf Papstprivileg und herzogliche "privilegia" aber ist späterer Zusatz (vgl. Anhang I). Der Hinweis auf den Immatrikulandeneid der Stiftungsurkunde Mederer IV 58 f., ebenda S. 59 der Verweis auf den Konziliareid, beide in dem großen späteren Zusatz. 53 Der Rektoreid: Mederer IV 61 (Zusatz) und Prantl II 17, Korrektur zu Z. 160 ff.; die beiden anderen Verweise ("privilegia" immer im Plural!) Mederer IV62.
Il. Relative Chronologie
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sondern auch im Statutenentwurf, und wenn sie später dem letzteren, aber nicht der ersteren hinzugefügt wurden, so nimmt diese Korrektur offenbar von jenem§ 7 des Konzepts ihren Ausgang54• Alles dies legt nahe, die Entstehungszeit des Entwurfs nicht lange vor, eventuell aber auch nach der Korrektur von B (B') und der Anfertigung des Konzepts anzusetzen. Ihm wären mit beträchtlichem zeitlichem Vorsprung jene statuta prius avisata und scripta priora vorausgegangen, die freilich ihrerseits das Verfassungsschema der älteren herzoglichen Urkunde durchaus bereits revidiert haben konnten- wie die Frage der Konzilszusammensetzung zeigt, sogar mußten55, - im übrigen aber erstens provisorischen Charakter trugen und zweitens von der Statutenendfassung auch im Sachlichen noch erheblich abgewichen sein müssen. Wenn aber der erhaltene Statutenentwurf in eine weitere Gleichzeitigkeit mit der Korrekturphase B'-C der Stiftungsurkunde zu setzen ist, die einen gewissen Abstand in einer der beiden Zeitrichtungen nicht ausschließt, so ist die Korrektur dieses Entwurfs ihrerseits im weiteren Sinne gleichzeitig, im engeren Sinne mit kurzem Abstand nach der Korrektur B' zu datieren. Das aber wird wieder mit Hilfe des Konzepts beweisbar, das damit seine Mittlerstellung zwischen Stiftungsurkunde und Statuten erneut demonstriert. Der Statutenentwurf enthielt eine Bestimmung, welche die Artisten anhielt, in den Bursen Wohnung zu nehmen. Dieser Absatz wird in der Korrektur mit der Bemerkung gestrichen vacat, ponatur inter statuta artistarum56• Im Konzept aber steht analog: Ponatur inter statuta facultatis artistarum rubrica cum mandato de habitacione artistarum, quod in statutis universitatis positum est51• Diese Bemerkung stammt von der gleichen Hand wie das übrige Konzept, ist aber mit anderer Tinte, also wahrscheinlich etwas später geschrieben. Jetzt scheint es klar, daß sich die erwähnten Randbemerkungen in B', in denen von statuta die Rede ist, auf den erhaltenen Statutenentwurf beziehen, der wiederum nicht mit den statuta priora, sondern mit den an ihrer Stelle vorgesehenen neuen Statuten des Konzepts identisch sein muß. Das bedeutet nicht, daß der Entwurf zum Zeitpunkt B' bereits schriftlich vorgelegen haben muß; eine gewisse Nachzeitigkeit des Entwurfs gegenüber B' und dem Konzept bleibt durchaus im Bereich der Möglichkeit. Mederer IV 58 f. Die Stiftungsurkunde AB verlangte von den artistischen Konzilsmitgliedern außer dem Magisterium eine zweijährige Regenz (Prantl II 17); dieser in B' gestrichene Absatz sollte durch die Zulassungsbestimmungen der "scripta priora" ersetzt werden. 56 Mederer IV 66, vor dem letzten Absatz; vgl. Anhang I unter dem Titel "de habitu et incessu suppositorum". 57 Anhang II 2 § 18. 54
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1. Kapitel: Geschichte der Gründungsverfassung
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Diese Einschränkung beeinträchtigt jedoch nicht die Eindeutigkeit der Beziehung zwischen den drei Stücken, aus der eine Gleichzeitigkeit im weiteren Sinne mit Sicherheit folgt. Auch ohne Vermittlung des Konzepts kann diese Beziehung zwischen Statutenentwurf bzw. -entwurfskorrektur und der Korrekturphase B' der Stiftungsurkunde klar erwiesen werden. In B' wird eine längere Formel des Immatrikulationseides aus der Stiftungsurkunde mit der Bemerkung gestrichen: vacat ibi, ponatur inter alia statuta58• Die Statuten bringen in ihrer endgültigen Fassung als Zusatz zum Entwurf einen Abschnitt, durch den die Immatrikulanten zur Eidesleistung verpflichtet werden, und verweisen für die Formel auf den Stiftungsbrief, wo die Redaktion C an neuer Stelle eine veränderte Eidesformel inseriert59• Der Statutenentwurf seinerseits enthielt eine Formel für den Rektoreid, die in der Korrektur gestrichen und durch einen Verweis auf die Stiftungsurkunde ersetzt wird, wo wiederum erstmals in C eine entsprechende Eidesformel erscheint80• Die älteren Fassungen der Stiftungsurkunde hatten die Studenten ausdrücklich zu regelmäßigem Vorlesungsbesuch verpflichtet. B' streicht diesen Satz unter Hinweis auf die Statuten, deren Entwurf eine analoge Bestimmung bereits enthielt61 • Das gleiche geschah mit einer Verfügung über den Status der extraordinarie legentes62 • Eine Untersuchung der erst in der Endfassung der Statuten, noch nicht also in den Korrekturen des Entwurfs erscheinenden neuen Textpartien erhärtet die enge Zusammenarbeit der Statutengeber mit den Korrektoren des Stiftungsbriefs. Die statutengebende Versammlung beruft sich in der Arenga auf die Erlaubnis der Stiftungsurkunde, dort erst von C an enthalten63 • B' hatte einen Absatz gestrichen, der die Studenten verpflichtete, sich spätestens drei Tage nach ihrer Ankunft immatrikulieren zu lassen; dieselbe Aufforderung erscheint nun, mit Erweiterung der Frist auf acht Tage, als Zusatz in den Statuten, die ihrerseits für den Immatrikulationseid auf den Stiftungsbrief verweisen64 • Wichtigster Zusatz der Statutenendfassung ist aber wohl der Abschnitt, der die Zusammensetzung des Universitätskonzils regelt, Prantl II 21 Z. 236 ff. Mederer IV 58 (vgl. Anhang I); Prantl II 17 Korrektur Z. 160 ff. Mederer IV 61 (vgl. Anhang I vor dem Absatz "De rebus novo rectori presentandis") und Prantl II 17 Korrektur zu Z. 160 ff. In AB fehlte ein Rektoreid noch ganz; die Korrektur des Entwurfs sollte also in diesem Punkt bereits die Redaktion C der Stiftungsurkunde voraussetzen. 61 Prantl II 24 f. Z. 381-87; Randbemerkung in B': "vacat, statutis". Mederer IV 66 (nach der Leipziger Vorlage). 62 Prantl II 26 Z. 446-49; Randbemerkung in B': "vacat, statutis".- Mederer IV 67. 63 Mederer IV 58, Prantl II 17, Korrektur zu Z. 160 ff. 64 Prantl II 20 Z. 215-17; Mederer IV 58 f.; Prantl II 17, Korrektur zu Z.160 ff. 58 59
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II. Relative Chronologie
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über die der Entwurf noch geschwiegen hatte. Hier war durch die große Streichung in B' für die Statuten Raum geschaffen worden, deren Bestimmungen denn auch von den ursprünglichen der Stiftungsurkunde beträchtlich abwichen65• Ein weiterer längerer Zusatz über den Status der Fakultäten und ihr Statutenrecht geht gleichfalls auf eine Bestimmung der Redaktion C zurück"6 • Um diese Beobachtungen durch die immer unsicher bleibep.den Ergebnisse eines Schriftvergleichs zu ergänzen, so stammen die Korrekturen des Statutenentwurfs von zwei verschiedenen Händen, deren erste (I) nur geringe Änderungen vornimmt. Diese Hand könnte identisch sein mit derjenigen von A', wie auch mit einer der beiden Hände, von denen die Korrekturen B' stammen. Die Hand II der Statuten, von der die wichtigeren Änderungen und Zusätze stammen, könnte mit der zweiten Hand B' identisch sein, die einige der Verweise auf die Statuten geschrieben hat, wie auch mit der Hand C' und mit derjenigen des Konzepts.
Die späteren Korrekturen der Stiftungsurkunde Auch die folgende Redaktion C weist in ihrer Korrektur (C') Randbemerkungen auf, die Prantl unterschlägt, und in denen auf die Statuten Bezug genommen wird. Im Unterschied zu den Verweisen von B' haben diese jedoch den Statutentext nicht mehr zu beeinflussen vermocht. Das zeigt sich schon darin, daß drei Abschnitte, deren Überführung in die Statuten von C' gewünscht wurde, in der Stiftungsurkunde verblieben, während das ponatur in statutis bzw. debet poni in statutis wieder ausgestrichen worden ist67• Am auffälligsten aber ist eine Marginalie zu Zeile 131 ff. der Stiftungsurkunde, wo es um die Verwaltung der Schlüssel zur archa geht; C' vermerkt dazu: conforme fiat statutis68 • Tatsächlich enthielten die Statuten schon im Entwurf eine von Leipzig übernommene Passage, die in dieser Angelegenheit ganz andere Bestimmungen traf. Dem Korrektor von C fiel der Widerspruch auf, er vermochte ihn aber nicht zu beheben, und so ist er noch in den Endfassungen von Stiftungsbrief und Statuten erhalten69 • Mederer IV 59, Prantl II 17, Korrektur zu Z. 160 ff.; vgl. oben Anm. 51. Mederer IV 65, Prantl II 18, Korrektur zu Z. 178 ff. 67 Prantl II 27 Z. 472 ff. (Prozessionsordnung), 33 Z. 595 ff. (Notwehrrecht gegenüber gewalttätigen Studenten), 34 Z. 603 ff. (von Studenten begangener Ehebruch). Die beiden letzteren Streichungswünsche waren insofern konsequent gedacht, als die Stiftungsurkunde sich im allgemeinen mit den durch "Laien" an Studenten begangenen Missetaten befaßten, während studentische Delikte in die Kompetenz der Statuten fielen. 68 Zu Prantl II 15 Z. 131 ff. 69 Prantl II 15; Mederer IV 61. 65 66
I. Kapitel:
30
Geschichte der Gründungsverfassung
Es scheint also, daß zum Zeitpunkt C' die enge Parallelität und Abstimmung der Arbeiten an Stiftungsbrief und Statuten, die mit B' begonnen hatte, schon nicht mehr gegeben war. Dagegen beweisen die zitierten und andere Bemerkungen, daß die Statuten zu diesem Zeitpunkt gewiß schon im Entwurf vorlagen und dem Korrektor bekannt waren. Dafür spricht etwa auch ein Zusatz dieser Korrektur, wo es heißt, der Rektor solle es mit den Siegeln, der Matrikel und dem Geld halten
inmassen die statut, die rector und rate der universitet machen und wir, unser erben und nachkamen bestätten werden, inhaUen10• Der Statutenentwurf enthielt darüber tatsächlich bereits detaillierte Bestimmungen, und so liegt es nahe, dieses machen als Präsens zu verstehen, woraus folgen würde, daß die Statutenarbeit noch nicht beendet, aber über den - wie gezeigt, vorausgesetzten - Entwurf bereits hinausgelangt war. Auch gegenüber dem Konzept ist die Nachzeitigkeit von C' deutlich, indem etwa in C' eine neue, leicht veränderte Beschreibung der Siegel gegeben und damit eine Forderung des Konzepts erfüllt wird, oder indem die Eide des Pflegers, des Richters und der Stadtbehörden, welche das Konzept fordert, jetzt das erste Mal als schon geleistet erwähnt werden, was freilich eine Vorwegnahme sein kann71 • Mithin scheint die Korrektur von C zwar zu der vorausgegangenen Korrekturphase einige Beziehungen zu haben, aber doch eher so, daß sie von dort Einflüsse empfängt, ohne selbst noch auf die Statutenarbeit zurückwirken zu können. Sachlich bringt C' neben stilistischen Verbesserungen und neben Änderungen der im Stiftungsbrief breiten Raum einnehmenden Jurisdiktionsbestimmungen einige große, der Universität nachteilige Streichungen. Die Unabsetzbarkeit der Professoren, deren Befugnis, bei Alter oder Krankheit Vertreter zu benennen, kommen in Wegfall72• Die Universitätsverfassungselbst jedoch wird von dieser Korrektur kaum mehr berührt. Nach der Korrektur von C bleiben bis zur Endfassung E, eher der Vollständigkeit als ihrer verfassungsgeschichtlichen Bedeutsamkeit wegen, drei weitere Bearbeitungsstufen zu erwähnen. Da jedoch der Text von E schon in D' vollständig hergestellt ist, und da andererseits D- im Gegensatz zu Prantls irreführenden Bezeichnungen- fast alle seine Neuerungen schon von C' übernimmt, so bleibt als einzige wesentliche Änderungsstufe die Korrektur von D (D') übrig. Ihre Zusätze und Veränderungen erstrecken sich vorwiegend auf die Jurisdiktionsbestimmungen, wo sie - um nur den wichtigsten Punkt zu erwähnen - die 10 71 72
Prantl II 15, Korrektur zu Z. 132 ff. Prantl II 16, Korrektur zu Z. 149 ff. und S. 36 Korrektur zu Z. 681 ff. Prantl II 25 f. Z. 407-22.
II. Relative Chronologie
31
Unterscheidung der Universitätsangehörigen nach ihrer geistlichen oder weltlichen Eigenschaft aufgibt und alle Kapitalsachen ungeteilt dem Bischof von Eichstätt zuweist73• Die eigentliche Universitätsverfassung dagegen blieb schon von C' an unverändert, und seit D fehlen auch weitere Verweise auf den Statutentext. Von einer Zusammenarbeit mit den Statutengebern kann also nach C' keine Rede mehr sein.
Ergebnisse der Untersuchung Danach scheint es jetzt möglich, die Entstehungsgeschichte der Statuten im Verhältnis zur Korrekturgeschichte der Stiftungsurkunde einigermaßen zuverlässig zu rekonstruieren. Zum Zeitpunkt der Universitätseröffnung (4. 3.1472) lag von der Stiftungsurkunde die Urfassung A, frühestens jedoch die Redaktion B vor. Der Verfassungsplan dieser beiden Redaktionen stieß auf irgendwelche Widerstände, die zur Folge hatten, daß er schon zum Zeitpunkt der Matrikeleröffnung (18. 3.1472) fallengelassen worden war. Mit der Ernennung eines Vizerektors schritt daraufhin der Stifter zu provisorischen Lösungen, die im einzelnen nicht mehr erkennbar sind; vielleicht gehörte dazu der Erlaß bestimmter Verfügungen und die Abfassung provisorischer Statuten (scripta priora et ordinaciones, statuta prius avisata per ducem et per vicerectorem publicata). Lange bevor die entscheidenden Korrekturen der Stiftungsurkunde vorgenommen wurden, mag die Universitätsverfassung praktisch schon derjenigen nahegekommen sein, die dann in den erhaltenen Statuten entworfen wird. Zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt muß die Universität vom Herzog die Erlaubnis erhalten haben, im Gegensatz zum alten Verfassungsplan neue Statuten zu entwerfen. Der Statutenentwurf - oder wenigstens das ungeschriebene Projekt - trat anschließend in eine Begegnung mit der Stiftungsurkunde, in deren Folge erstens die Korrektur B' und die Neufassung C, zweitens das eine Mittlerstellung einnehmende Konzept und drittens die Korrektur des Statutenentwurfs entstanden. Anschließend gingen Statuten und Stiftungsurkunde bis zu ihren Endfassungen wieder getrennte Wege. Für diese Begegnung von Statuten und Stiftungsurkunde, die man für die schlechthin entscheidende Phase der frühen Ingolstädter Verfassungsgeschichte halten darf, muß nun nach Möglichkeit eine absolute Datierung versucht werden. 73
Prantlll 28 f.
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1. Kapitel: Geschichte der Gründungsverfassung
111. Versuch einer absoluten Chronologie Die Statuten selbst sind, wie gesagt, in keiner der erhaltenen Fassungen im Text datiert, wie auch das verlorene Original nach Prantls Aussage74 und nach Mederers Druck, der offenbar auf dem Original basiert, ohne Datum war. Die der Stiftungsurkunde zufolge zu erwartende, nach anderer Quelle75 tatsächlich erfolgte herzogliche Bestätigung fehlt.
AnhaLtspunkte für die Datierung der Statuten Prantl setzte die Verabschiedung der Statuten auf einen Zeitpunkt nach der feierlichen Eröffnung der Universität (26. 6. 1472) 76. Für diese Annahme gibt es tatsächlich einen guten Grund. Das Protokoll der Statuten setzt die Eröffnungsfeier als vergangen voraus, und zwar mit einem Ausdruck (solempniter erexit), der stark an den Sprachgebrauch des Eschatokolls der Stiftungsurkunde erinnert (erection, erhöhungund solempnitet) 77. Daß die Statuten anläßlich jener Eröffnungsfeier noch nicht fertig waren, wird ja auch durch den Umstand gestützt, daß erst einen vollen Monat nach der Feier - die sonst der gegebene Anlaß dafür gewesen wäre - die erste Rektorwahl vorgenommen wurde (25. 7.1472). Die Stiftungsurkunde enthielt in ihren späteren Fassungen (seit B') keine Bestimmung über die Rektorwahl, sondern hatte seit C die Regelung dieses Gegenstandes den Statuten überlassen. Die lange Frist von der Eröffnungsfeier bis zur Rektorwahl bedarf ebenso einer Erklärung wie diejenige zwischen dem Tag des Vorlesungsbeginns (4. 3.) und der Eröffnungsfeier. Die Hypothese, daß die Statuten erst innerhalb dieser Frist fertiggestellt worden seien, würde eine solche Erklärung liefern. Ein vom 22. September stammendes Schreiben der Universität an den Herzog bestätigt diese Überlegungen; hier wird die Reihenfolge der verschiedenen Akte so beschrieben, daß nach auffrichtung unnd erhebung der Universität nach laut unnd innhalt unserer ordenung gesatz unnd statut, unns durch ewT f.g. appTobirt unnd bestätigt Christoph Mendel zum Rektor gewählt worden seF8. Auf die Eröffnungs7' Prantl I 35 ff. 1s Vgl. unten Anm. 78. 76 Prantl I 35 f. 77 Mederer IV 58, Prantl li 37.
78 HStA Kurbaiern Urkunde 639. Inhalt des Schreibens ist eine Beschwerde über den Juristen Johann Terdinger, der sich geweigert hatte, seine Studenten entsprechend einem Konzilsbeschluß zur Immatrikulation anzuhalten. Die hier interessierenden Partien des Briefes lauten: "Als wir nach auffrichtung unnd erhebung ewrer fürstlichen gnaden universitet nach laut und innhalt unnserer ordenung, gesatz unnd statut, unns durch e. f. g. approbirt unnd bestätigt, den wirdigen hochgelerten Cristoffen Mendel doctor kayserlichen rechtenn der selbenn universitet zu aynem hawbt unnd rector ainem unnd redlichen erwelet habenn ..."
III. Absolute Chronologie
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feier folgte also die Verabschiedung und Bestätigung der Statuten, auf diese wiederum am 25. Juli die erste RektorwahL Diese nun für sicher anzunehmende Reihenfolge bringt eine große Schwierigkeit mit sich. Vom 26. Juni (dem Tag der Eröffnungsfeier) ist auch die Endfassung der Stiftungsurkunde datiert; die Statuten müßten also nach ihr entstanden sein. Der Hinweis auf die bereits erfolgte erectio der Universität ist aber schon im Statutenentwurf enthalten79, der wie gezeigt wurde, spätestens zum Zeitpunkt der Korrektur C' vorlag und also gegenüber der Endfassung E nicht nachzeitig sein kann. Für diese Aporie sind folgende Lösungsmöglichkeiten denkbar: entweder die Berufung auf die Eröffnungsfeier in den Statuten (und ihrem Entwurf) ist eine Vorwegnahme- dann mußte aber diese Feier bereits geplant und für die Statutengeber absehbar sein; oder die Endfassung E der Stiftungsurkunde stammt entgegen ihrer Datierung nicht schon vom 26. Juni, sondern von einem späteren Datum. Bevor diese Frage entschieden wird, soll in den Quellen nach weiteren Anhaltspunkten Ausschau gehalten werden. Eine Befragung des Textes der Stiftungsurkunde hilft nicht wesentlich weiter. Nachdem für A mit Sicherheit ein Zeitpunkt zwischen dem 20. 4. und dem 31. 12.1471, für A' und B mit Wahrscheinlichkeit der Anfang März 1472 anzusetzen waren und die Endfassung E das Datum des 26. 6. 1472 trägt, gibt es für die Datierung der wichtigen Phase B'-C zwar mehrere Indizien, die sich jedoch zeitlich nicht präzisieren lassen. Gleichzeitig oder vorher sind etwa die Siegel und das Zepter fertig geworden und ist der Bischof von Eichstätt durch herzogliches Schreiben zum Kanzler der Universität ernannt worden80•
Ein herzoglicher Brief von Anfang Juni 1472 So bleibt als letztes Auskunftsmittel das oft zitierte Konzept, das nun tatsächlich wichtige Aufschlüsse zu geben vermag. Wie schon gesagt, muß dieser Text, der mit B' und der Korrektur des Statutenentwurfs annähernd gleichzeitig anzusetzen ist, nach dem Vorlesungsbeginn (4. 3.) und nach der Ernennung des Vizerektors (17. 3.) entstanden sein; wie die Erwähnung der älteren ordinaciones und statuta zeigt, sogar bedeutende Zeit nach diesen Zeitpunkten. Das gleiche gilt also für die Korrektur des Statutenentwurfs und der Fassung B der Stiftungsurkunde. Längere Zeit, aber wie lange? Das Konzept gibt dafür einen Anhaltspunkt. Im § 11 heißt es dort: Item quod expectantur doctores theologie, 79
so
Mederer IV 58; vgl. Anhang I. Prantl II 16 und 18.
3 Seifert
1. Kapitel:
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Geschichte der Gründungsverfassung
in medicina, magistri in artibus de via modernorum qui in brevi venturi sunt. Was diese Bemerkung bedeutet, erhellt aus einem fragmentarischen Text, der in einem handschriftlichen Codex Hartmann Schedels in der Münchener Staatsbibliothek eingeheftet ist81 • Der Form nach könnte es sich bei dem Zettel um einen Anschlag handeln; inhaltlich wird ein vom Herzog an die Universität gerichtetes (litteris suis roboratis et munitis) Schreiben referiert. Der Text ist nicht datiert, aber er enthält mehrere Daten, die es nahelegen, den zugrundeliegenden Brief zu Anfang Juni 1472 geschrieben und abgesendet zu denken. Der Herzog teilt der Universität mit, er werde nächstens in festo sancti Viti martiris (15. 6.) nach Ingolstadt kommen oder aber im Falle seiner Verhinderung seinen Sohn Georg und seine hervorragendsten Räte senden, um Maßnahmen ad utilitatem rei publice iam dicte universitatis et ad solemnem erectionem ordinandumque omnia et singula requisita universi cuiusque facultatis zu treffen. Hier wird also die solemnis erectio zum ersten Mal angekündigt - für unsere offene Frage ein wichtiger Gesichtspunkt. Des weiteren wird mitgeteilt, der Herzog habe aus Wien drei berühmte Doktoren bestellt, zwei Theologen und einen Mediziner. Ein Theologe, der Mediziner und zwei Artistenmagister der via moderna würden in festo sancti Johannis baptiste (24. 6.), der zweite Theologe circa festum sancti Jacobi (25. 7.) in Ingolstadt eintreffen. Die Ankunft dieser Professoren steht für das Konzept in brevi bevor. Am 24. 6. wurde in der Matrikel der Mediziner Johannes Trost eingeschrieben, dessen Name sich allerdings in der Wiener Matrikel nicht findet82 • Einen Tag später, am 25. 6., ließen sich zwei Artistenmagister immatrikulieren, die beide aus Wien kamen, nämlich der Münchner Heinrich Pfeilschmidt und der berühmte Martin Prenninger aus Erding83 • Dagegen scheint sich die Berufung der beiden Theologen zerschlagen zu haben. Diese Untersuchungen sind aber für die Datierungsfrage ohne Belang, weil das Konzept - offensichtlich im Anschluß an die herzogliche Verheißung- die Ankunft der Professoren nur erst erwartet. Im § 9 erklärt das Konzept in Beziehung auf die angekündigte Eröffnungsfeier: In publico debent presentari universitati privilegium principis, sigilla, secretum, sceptra et Zittere reddituum pro universitate incorporatorum. Damit kann die Annahme als gesichert gelten, daß das Konzept nach dem zitierten herzoglichen Schreiben, also kaum vor Anfang Juni, andererseits nicht nach dem 24. oder 25. Juni (dem Tag der Ankunft der 81 82
83
StB Clm. 215, 50; vgl. Anhang II 3. Matrikel Pölnitz I 20. Matrikel Pölnitz I 20; vgl. Kap. 2 Anm. 91 und Kap. 3 Anm. 108.
III. Absolute Chronologie
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Wiener Magister) oder gar nach dem 26. 6. (dem Eröffnungstag) entstanden ist. Nimmt man darüber hinaus an, daß der Herzog oder wenigstens seine Räte, wie angekündigt, am 15. Juni in Ingolstadt eintrafen, so wird man die Korrektur der Stiftungsurkunde (B'), die ja zu der Aufgabe des ordinare omnia et singula zweifellos gehörte, in die Zeit zwischen dem 15. unddem 24. Juni setzen. Mit dem Konzept fällt also die Korrektur B' mit großer Wahrscheinlichkeit in diese zehntägige Zeitspanne. Was den Statutenentwurf betrifft, so könnte die Berufung auf die erectio der Universität sich nunmehr in Vorwegnahme der tatsächlichen Eröffnungsfeier auf die Ankündigung des herzoglichen Briefes beziehen. Auch dieser Entwurf könnte also vor dem 26. Juni und muß frühestens im Juni 1472 entstanden sein.
Die Endfassungen von Stiftungsurkunde und Statuten Wenn aber B', wie sicher ist, erst nach Anfang oder, wie wahrscheinlich ist, erst nach Mitte Juni 1472 entstanden ist, so bleibt für alle folgenden Korrekturen bis einschließlich der Endfassung E der Stiftungsurkunde ein Zeitraum von bestenfalls drei Wochen oder im ungünstigsten Fall nur knapp zehn Tagen übrig, - gewiß eine etwas prekäre Schlußfolgerung! Und weiter: wenn in diesem kurzen Zeitraum die Stiftungsurkunde tatsächlich bis zur Endfassung E gelangte, so muß befremden, daß die universitären Statutengeber ihre vergleichsweise geringere Korrekturaufgabe nicht erledigen konnten. Wenn sie es doch geschafft hätten, dann wäre die Verschiebung der Rektorwahl um einen ganzen Monat nicht mehr begreiflich. Diese Überlegungen lassen die Datierung der Endfassung E der Stiftungsurkunde zweifelhaft erscheinen. In dem - inzwischen verlorenen- Original der Urkunde fehlten auffälligerweise sowohl Siegel wie Unterschriften der im Eschatokoll als anwesend bezeichneten Gäste; man vergleiche dagegen die Stiftungsurkunden der Universität Wien84 • Selbst die beiden Herzöge haben nicht unterschrieben, sondern nur gesiegelt- oder wohl siegeln lassen. In den Neuburger Kopialbüchern enthält die Redaktion E bereits ohne Handschrift- oder Tintenwechsel das vollständige Eschatokoll der offiziellen Ausfertigung, einschließlich des Datums85 ; freilich kann dieser Text, was allerdings zum Gesamtcharakter des Überlieferungskomplexes nicht recht paßt, nicht das Konzept, sondern eine Abschrift des Originals darstellen. Wenn aber die Annahme, daß die Endfassung E zu einem späteren Zeitpunkt als dem in ihrem Eschatokoll genannten Datum der EröffPölnitz, Denkmale und Dokumente 71 f.; Kink II 1 ff., 49 ff. Dagegen endet die Ingolstädter Kopie der Redaktion A mit Prantl II 36 Z. 681; vgl. oben Anm. 19. 84 85
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1. Kapitel:
Geschichte der Gründungsverfassung
nungsfeier entstanden ist, keine größeren Schwierigkeiten macht, so ist sie andererseits geeignet, die ohne sie kaum lösbaren Probleme aus dem Wege zu räumen. Für die zwischen B' und E liegende Korrekturarbeit steht nun nicht mehr nur ein unwahrscheinlicher zehntägiger Zeitraum zur Verfügung. Wenn neben den Statuten auch die Stiftungsurkunde zum Zeitpunkt der Eröffnungsfeier noch nicht fertiggestellt war, wird die Verschiebung der Rektorwahl, die ja zugleich eine Verlängerung des provisorischen Zustands bedeutet, erst voll erklärlich; die Statuten allein wären ein etwas schwacher Erklärungsgrund. Während des ganzen Monats zwischen Eröffnungsfeier und Rektorwahl hielt sich Herzog Ludwig mit seinen Räten in Ingolstadt auf86• Was ist wahrscheinlicher als die Vermutung, daß die Korrekturarbeit an der Stiftungsurkunde, die nach der Ankunft der herzoglichen Räte in Ingolstadt Mitte Juni begonnen und noch vor dem 26. Juni die Korrektur B', das Konzept und vielleicht auch den Statutenentwurf hervorgebracht hatte, am vorgesehenen Eröffnungstag zu keinem Abschluß gelangt war? Als diese Verzögerung sichtbar wurde, ließ sich die Eröffnungsfeier wegen der bereits ergangenen Einladungen nicht mehr verschieben. Nach dieser Feier wurden die Korrekturarbeiten am Statutenentwurf und an der Stiftungsurkunde, nun in weitgehender Unabhängigkeit voneinander, fortgeführt, um erst gegen den 25. Juli hin zu beiderseitigem Abschluß zu gelangen. Für die Statuten darf der Rektorwahltag als sicherer terminus ante quem gelten; für die Stiftungsurkunde ist eine weitere Verzögerung zwar nicht auszuschließen, aber ohne Wahrscheinlichkeit. Es läßt sich denken, daß der Herzog mit der zur Feierlichkeit erhobenen ersten Rektorwahl die lange Periode der Vorbereitungen und provisorischen Lösungen endlich und endgültig abschließen wollte87 • Die Fakultätsstatuten Ergänzend soll kurz versucht werden, auch den Statutenwerken der einzelnen Fakultäten ihren Platz im Geschehen des Gründungsjahres zuzuweisen. Ohne Mühe ist das für die medizinischen Fakultätsstatuten möglich, die nach Auskunft ihrer erhaltenen und von Prantl gedruckten urkundlichen Einleitung bereits am 27. Juni 1472 von der Fakultät verabschiedet wurden88 • Einen Hinweis auf die allgemeinen Universitätsstatuten enthalten sie nicht, aber auch wenn es der Fall wäre, würde für die Datierung der letzteren deshalb nicht viel gewonnen sein, weil sie ja zu diesem Zeitpunkt erwiesenermaßen längst im (schon korrigier86 Vgl. die Regesten SHV Ingolstadt 10-12 (1884-87); danach ist die Anwesenheit des Herzogs in Ingolstadt bezeugt für den 26. 6., 2. 7., 6. 7., 19. 7.,
26. 7. 87
&8
Vgl. Matrikel Pölnitz I 7 f. Prantl II Nr. 4.
III. Absolute Chronologie
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ten) Entwurf, möglicherweise aber eben noch nicht in der Endfassung vorlagen. Dagegen beruft sich die medizinische Satzung auf die im Stiftungsbrief enthaltene Formel des iuramentum consiliariorum, ohne sie in ·extenso zu übernehmen89, und folgt darin völlig dem Verfahren der allgemeinen Statuten, die ebenfalls im textlichen Zusammenhang zunächst nur einen solchen Verweis bringen, bevor dann allerdings am Schluß der Redaktion, und also wohl erst in einer Abschrift zu ihr geraten, der ganze Eid im übersetzten lateinischen Wortlaut gebracht wird90 • Fehlt also ein direkter Hinweis auf die allgemeinen Statuten, so lehnt sich die medizinische Satzung doch in ihrem ersten, die Organisation der Fakultät betreffenden Teil anscheinend an den betreffenden Abschnitt der allgemeinen Statuten an, - auch dies jedoch wieder eine für den Datierungsversuch aus den eben dargelegten Gründen folgenlose Beobachtung.
Die älteste juristische Satzung ist textlich mit den medizinischen Statuten nahe verwandt91 • Da über Zeit und Umstände ihrer Entstehung nichts bekannt ist, läßt sich die Frage der Priorität nicht entscheiden; anders als im Fall der noch vakanten theologischen Fakultät (deren beträchtlich später entstandene Statuten hier ohne Interesse sind) 92 ist aber nicht einzusehen, warum die Juristen nicht gleichzeitig mit den Medizinern und vielleicht auf Grund einer von der Gesamtuniversität erarbeiteten gemeinsamen Textvorlage ihre Satzungsarbeit in Angriff genommen haben sollten. Ein gewisser Verzögerungsgrund ist auch für die Artistenfakultät gegeben, insofern ihre ältesten Statuten die Spaltung der Gesamtfakultät in zwei viae mit eigenen Konzilen und Dekanen als geschehen voraussetzen 93 • Diese, Mederer zufolge auf eine Anordnung Martin Mairs zurückgehende Teilung94 wird aber weder von der Stiftungsurkunde noch von den Universitätsstatuten erwähnt, obwohl sie die Universitätsverfassung, die nur mit vier Fakultäten und vier Dekanen rechnete, empfindlich tangieren mußte. Wir sind deshalb völlig darüber im unklaren, mit welchen Hilfslösungen diese Verdoppelung der Artistenfakultät in die Universitätsverfassung eingebaut worden ist. Danach dürfte die artistische Satzung erst nach Fertigstellung der Universitätsstatuten, also wahrscheinlich auch erst nach den medizinischen Statuten, mit denen sie wieder den allgemein-organisatorischen Teil gemeinsam hat, von der Fakultät verabschiedet worden sein. Prantl II 38 ff. Mederer IV 59 und 68 f. 91 Neu aufgefunden und gedruckt von H. Wolff, Beiträge zur Geschichte der Juristenfakultät Ingolstadt. Vgl. auch unten Kap. 2 Anm. 133. 92 Prantl II Nr. 7; vgl. aber unten Kap. 2 Anm. 117. 93 Mederer IV 69 ff. 94 Mederer I 5. 89 90
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1. Kapitel: Geschichte der Gründungsverfassung
Zusammenfassende Rekonstruktion
der Geschichte der Gründungsverfassung Im Rückblick ergibt sich nun die folgende Periodisierung der Ingolstädter Verfassungsgeschichte im Gründungsjahr 1472: 1. Periode: 1471-Anfang März 1472
Von der Hand herzoglicher Räte entsteht vor Jahresende 1471 die Urfassung A der Stiftungsurkunde, die zur Begutachtung nach Ingolstadt und vielleicht noch an andere Stellen gesandt wird. Am 2. Januar erläßt der Herzog eine allgemeine Einladung und kündigt die Eröffnung der Schule für den 3. März 1472 an. Vielleicht kurz vor Vorlesungsbeginn wird die Stiftungsurkunde noch einmal durchgesehen und korrigiert, in ihren Verfassungsplänen aber unverändert gelassen. 2. Periode: Anfang März 1472 Nachdem in Ingolstadt die ersten Lehrer und Studenten eingetroffen sind, wird es unverzüglich nötig, zumindest die wichtigsten organisatorischen Angelegenheiten zu regeln. Die Vermutung liegt nahe, daß nun auch den Universitätsangehörigen als den Hauptbetroffenen die Stiftungsurkunde in der bisher erreichten Fassung B zur Kenntnisnahme und Begutachtung vorgelegt wird. Dabei erhebt sich Widerspruch in einzelnen und grundsätzlichen Fragen. Die Nationengliederung erscheint, vor allem unter diesen noch bescheidenen Anfangsverhältnissen, unnötig kompliziert; die Beschränkung des Konzils auf zweijährige Magister ist undurchführbar. Im ganzen scheint die Zeit für definitive Lösungen zu früh zu sein. Daraufhin schreitet der Landesherr zu einem Provisorium. Am 17. März ernennt er Wilhelm Kyrmann zum Vizerektor; Kyrmann erläßt im herzoglichen Auftrag provisorische Statuten und eröffnetdie Matrikel. 3. Periode: Anfang Juni-26. Juni Anfang Juni scheint dem Herzog die Zeit für definitive Lösungen gekommen zu sein, zumalsich unter den Studenten Unsicherheit breitmacht95. Die Mitgliederzahl wie auch die Anzahl der Professoren hat eine ausreichende Höhe erreicht, um die Universität in die Selbstverwaltung entlassen zu können. Eine offizielle Eröffnungsfeier wird angesetzt; Mitte Juni begeben sich der Herzog und seine Räte nach Ingolstadt, um die letzten Vorbereitungen zu treffen. Die Räte sehen die Stiftungsurkunde durch und notieren, welche praktischen Maßnahmen ihr zufolge noch zu treffen bleiben. Dabei 95 Vgl. in dem herzoglichen Schreiben (Anhang II 3) die Versicherung bezüglich der Anrechnung der Studienzeit.
III. Absolute Chronologie
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ergibt sich, daß die Urkunde nicht in der vorliegenden Fassung B belassen werden kann. In der Universität haben sich inzwischen abweichende Organisationsformen herausgebildet: die Nationengliederung existiert nicht, das Konzil ist anders zusammengesetzt als vorgesehen. Teils auf Wunsch der Universität, teils unter Zeitdruck entscheidet der Herzog mit seinen Räten, die fraglichen Partien kurzerhand zu streichen und die entsprechenden Angelegenheiten der Universität zu eigener Regelung zu überlassen. Die Universität erarbeitet - ebenfalls unter Zeitdruck und daher in starker Anlehnung an die zur Verfügung stehende Leipziger Vorlage - einen Statutenentwurf, der mit der Stiftungsurkunde verglichen und an einigen Stellen korrigiert wird. Daran anschließend schreitet die Stiftungsurkunde zur Redaktion C weiter. Etwa an diesem Punkt befinden sich die Arbeiten am Eröffnungstag, dem 26. Juni. Im Gefühl, daß noch mancherlei unfertig und verbesserungsfähig sei, vielleicht auch auf Grund von Änderungswünschen der Stadt, entschließt sich der Herzog, die Stiftungsurkunde noch nicht auszufertigen und bei der unaufschiebbaren Feier zu übergeben, sondern die Universität vorläufig in ihrem provisorischen Zustand zu belassen. 4. Periode: 26. Juni-25. Juli Die Arbeiten an den Statuten und an der Stiftungsurkunde werden unabhängig voneinander fortgeführt. Die Statuten erreichen durch mehrere große Zusätze ihren endgültigen Zustand; da sie zu den Korrektoren der Stiftungsurkunde keinen Kontakt haben, bleiben einige Widersprüche geringerer Bedeutung unbehoben. Der Korrektor von C seinerseits vermag nicht mehr, seine Änderungswünsche in die Statuten zu bringen. So werden Fragen des Verhältnisses von Universität und Stadt wohl unter dem Eindruck städtischer Vorstellungen zum Hauptgegenstand der nächsten Korrekturen. Gegen den 25. Juli hin sind die Arbeiten auf beiden Seiten beendet. Die von den Räten gesiegelte .Stiftungsurkunde wird der Universität übergeben, wodurch deren Statutenrecht in Kraft tritt. Der Herzog läßt mündlich und formlos die fertigen Statuten bestätigen, auf Grund deren die Universität am 25. Juli zu ihrer ersten Rektorwahl schreitet. Manches Datum in dieser Rekonstruktion bleibt hypothetisch und durch eventuelle neue Materialfunde gefährdet. An der Richtigkeit der Periodisierung im ganzen ist dagegen wohl kein Zweifel möglich. Im besonderen darf die Darstellung und Datierung der großen Korrekturphase B'-C mit ihren Beziehungen zur Geschichte der Statuten als gesichert gelten; angesichts ihrer Bedeutung für die frühe Verfassungsgeschichte stellt sie das wichtigste Ergebnis dieser Untersuchung dar.
Zweites Kapitel
Die lngolstädter Gründungsverfassung im Zusammenhang der deutschen Universitätsgeschichte I. Der statuten- und verfassungsgeschichtliche Hintergrund der Iogoistädter Gründung Eine Satzung im strengen Begriffssinn kannte die mittelalterliche Universität nicht. Was sie ihre Statuten nannte1, war eine Sammlung von Vorschriften unterschiedlichster Art, in der die grundgesetzliehen Bestimmungen regelmäßig in der Minderzahl blieben und die überdies gegenüber weiteren, ergänzenden oder auch derogierenden Gesetzgebungen formell ungenügend abgesichert war2 • Mit der Redaktion solcher Sammlungen begannen die deutschen Gründungsuniversitäten stets ihre Existenz, und da sie zum Zeitpunkt dieser Handlung eigener Erfahrungen noch entbehrten, waren sie beinahe zwangsläufig auf fremde Vorlagen angewiesen. Dadurch erklärt sich die außerordentliche Macht der Texttradition in der Universitätsverfassungsgeschichte. Die Suche nach einem Modell begann aber bereits in einer früheren Phase des Gründungsgeschehens. In den päpstlichen Stiftungsbullen läßt sich von der schematischen Aufzählung älterer Universitäten, deren Freiheiten auf die neue Stiftung übertragen wurden, nicht selten die bedachte, auf Vorstellungen des weltlichen Gründers zurückgehende 1 Neben ,.statuta" werden auch die Begriffe "ordinationes", "constitutiones" und "decreta" häufig alternativ oder kumulativ für diese Sammlungen gebraucht. Ihr gemeinsames Unterscheidungsmerkmal gegenüber den "mandata" der Magistrate ist die Schriftlichkeit der Beschlußfassung ("redactio in scriptis", vgl. Decr. Gratiani dist. I c. V). 2 Umständliche Schutzbestimmungen in Gestalt eines vielstufigen Statutenänderungs- und -ergänzungsverfahrens enthalten die Statuten der bologneser Juristen (Malagola § 20). Unter den deutschen Universitäten ragt Rostock mit seiner Unterscheidung von "statuta mutabilia" und "immutabilia" hervor (Westphalen cap. 1 § 3). Viele deutsche Universitäten besaßen wenigstens ein Statutenbuch, in welches ein Beschluß eingetragen werden mußte, um dauernde Gesetzeskraft zu erhalten (Mon. hist. univ. Prag. III 17; Weissenborn rubr. 1 § 4; Roth, Urkunden 41). Der Brauch, eine abgeschlossene Gesetzessammlung in urkundlicher Form, also auch mit einer "sanctio" am Schluß, zu publizieren, hätte im Grunde eine prozedurale Abhebung der Statutengebung von farmloseren Beschlußfassungen nach sich ziehen müssen; sie unterblieb aber fast überall.
I. Verfassungsgeschichtlicher Hintergrund
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Zuordnung einer Mutteruniversität unterscheiden3 • Die weltlichen Gründungsurkunden, ob in Prag, Freiburg oder Heidelberg, geben in dieser Hinsicht noch freimütiger und eindeutiger Aufschluß, und sie folgen häufig auch im eigenen Text einem älteren Muster4 • Für die Statutengeber war damit eine Orientierungsrichtung vorgegeben, an die sie sich jedoch nicht immer hielten. Ihre eigene Modellwahl war in erster Linie durch Möglichkeiten und Zufälle der Übermittlung von Textvorlagen bestimmt. Diese Vorgänge sind oft im Halbdunkel der jeweiligen Universitätsvorgeschichte nicht mehr auszumachen. Bekannte Beispiele erlauben aber eine Vorstellung von den Mechanismen dieser Tradition, deren Ergebnis die Analyse der Statutentexte zutage bringt. Die peregrinatio academica, aus bestimmten Anlässen zur Massenwanderung anschwellend, führte Kopien und Extrakte, vorsorglich beschafft oder auch aus früherem Amt bewahrt, in den Rapularien der Scholaren weit über Land5 • Gesandtschaften, die sich um Anwerbung von Professoren an fremde Universitäten begaben, erhielten mitunter den Auftrag, bei dieser Gelegenheit auch Statuten- und Privilegienabschriften zu beschaffen5 • Daneben sind briefliche Bitten um Mitteilung solcher Abschriften überliefert oder bezeugt, als deren Adressaten sich eine 3 So muß etwa die Nennung von Paris in der Bulle Kölns, von Bologna in der Bulle Basels, von Köln, Wien und Leipzig in der Bulle Löwens, schließlich von Wien in der Bulle Ingolstadts verstanden werden. 4 Vgl. Bologna und Paris im Prager Stiftungsbrief; Paris, Wien und Heidelberg werden in Freiburg, Bologna und Padua in Krakau genannt. Besonders klar der Heidelberger Stiftungsbrief von 1386: die Universität "regatur, disponatur et reguletur modis et maneriebus in universitate Parisiensi solitis" (Winkelmann S. 5). Für die textliche Nachahmung vgl. etwa Schreiber 10 ff. sowie unten Abschnitt II. 5 Der Rapularius Hartmann Schedels in StB Clm. 215 (vgl. auch Anhang Il) sowie Clm. 655 enthält Auszüge aus den artistischen Fakultätsstatuten Leipzigs und Pavias. Beispiele für diesen Übermittlungsweg siehe bei Ehrle, I piu antichi statuti etc. ix, clviii (die Reise der theologischen Statuten Wiens nach Bologna und von dort wieder zurück) ; Uiblein, Beiträge zur Frühgeschichte 284 ff. (Albert von Sachsen bringt aus Paris Statutenkopien nach Wien); Schreiber, Geschichte der Albert-Ludwigs-Universität I 40 (neuberufene Wiener Professoren bringen nach Freiburg Statutenkopien mit); A. Maier, Mitteilungen zur deutschen Universitätsgeschichte 190 ff. (ein Kölner Mediziner wechselt nach Heidelberg über und bringt die Fakultätsstatuten mit). 6 Vgl. Kisch, Die Anfänge der Juristischen Fakultät der Universität Basel; Nr. 3: "item habeantur ordinaciones aliquorum studiorum Ytalie et Alamanie"; Nr. 34: Guarleti soll "afferre ordinaciones collegii doctorum facultatis iuridice, si brevius habere possitis; nam alias habemus statuta Papiensia". - Die Statuten selbst bekennen sich mitunter offen zu ihrer Vorlage oder geben kund, daß sie sich von ihr entfernen wollen; vgl. z. B. Fournier II 655 ff. § 3 (Perpignan), III 102 ff. § 9 (Dole), III 340 ff. § 1 (Bordeaux). Köln beruft sich auf Riten und Gewohnheiten anderer Universitäten (Bianco Anhang § 31); wie in Wien und Heidelberg wird in Köln einmal eine Abweichung vom Pariser Modell vermerkt (Bianco Anhang § 46, 49; Kink II 83; Winkelmann 53).
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2. Kapitel: Einordnung der Gründungsverfassung
Universität, eine Fakultät, aber auch einzelne ermitteln oder denken lassen, etwa Studienbekanntschaften, die von den erstberufenen Professoren oder auch von fürstlichen Räten für solche Dienste in Anspruch genommen werden konnten7 •
Der verfassungsgeschichtliche Hintergrund Paris und Bologna stehen an den Ausgangspunkten dieser Tradition, der die deutschen Universitätsverfassungen des ausgehenden Mittelalters in zweifacher Hinsicht und in einem solchen Ausmaße verpflichtet sind, daß sie sich im ganzen wie im einzelnen nur von ihr her zufriedenstellend deuten lassen. Sie verdanken ihr ihre Organe und Formen, und sie entleihen ihr den Text ihrer Statuten. Verfassungsanalogie und Textimitation fallen jedoch, als geographische Linien dargestellt, nicht notwendig zusammen, und solche Inkongruenz multipliziert sich mit der Zweizahl der Traditionsquellen zu einem reichen Aderwerk der Beziehungen und Bezüge. Die Verfassungen von Paris und Bologna stehen einander in merklicher Verschiedenheit gegenüber, die jedoch, von der Forschung mit Vorliebe akzentuiert, den Rahmen einer umfassenden Analogie nur selten sprengt. Sie entsprechen sich in jenem Grundbestand institutioneller Ausrüstung und Organisation, der seitdem mit dem Begriff der Universität verbunden ist8 • An beiden Orten bringen Korporationen von Scholaren ein durch Wahl besetztes Vorstandsamt hervor und bezeichnen es übereinstimmend als Rektorat. Hier wie dort unterteilen sie sich in landsmannschaftliehe Gliederungen, sogenannte "nationes", deren Oberhäupter oder gewählte Vertreter als Rektorwähler fungieren und an der Exekutivgewalt der Rektoren beteiligt sind. Die Rektoren ihrerseits sind im Besitz einer gewissen Gerichtsbarkeit über die Mitglieder der Korporation. Beide Universitäten verfügen über statuta, die in regelmäßigen Abständen den Mitgliedern zur Kenntnis gebracht und von ihnen beschworen werden. Kleinere Ämter und Einrichtungen, in beiden Verfassungen unter gleichem Namen vorhanden, ergänzen dieses Bild: die Pedelle, die Notare, die archa. Manche dieser Übereinstimmungen mag sich aus der parallelen Entstehungssituation erklären, also etwa aus den Einflüssen, die das Genos1 Die Kölner baten 1392 den Pariser Pedell um eine Abschrift der theologischen Fakultätsstatuten; vgl. für Ingolstadt unten die Übermittlung der Tübinger Kopien und der Wiener Privilegienabschriften. 8 Rashdall (I 409) spricht von "resemblences in spite of diversity between the master-university of Paris and the student-universities of Bologna". Mit Bologna sind im folgenden immer die beiden Juristenuniversitäten gemeint. - Vgl. zum folgenden außer Rashdall I besonders Denifle, Die Entstehung der Universitäten; vom gleichen Verfasser die Introductio zum Chartularium Univ. Parisiensis I sowie F. Ehrle, I piu antichi statuti clix ff.
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Senschaftswesen und -recht der ZeW auf die universitäre Korporationsbildung geübt haben, oder auch aus der gemeinsamen Bindung an die Privilegien erteilende und schützende päpstliche Universalmacht. Darüber hinaus haben Querverbindungen zwischen Paris und Bologna sicher nicht gefehlt, und da innerhalb der großen Parallelität der beiderseitigen Verfassungsarbeit Bologna einen gewissen zeitlichen Vorsprung für sich beanspruchen darf, liegt der Gedanke einer direkten Beeinflussung der Pariser Verfassung durch Bologna nicht fern 10• Auch hinsichtlich ihrer Zusammensetzung geht es nicht an, die beiden Korporationen mit groben und unscharfen Klassifizierungen in einen polaren Gegensatz zueinander zu stellen. Studentenuniversitäten Bologna, Magisteruniversität Paris; hier Korporation der Lernenden, dort der Lehrenden11 • Das Begriffspaar Magister - Student ist aber für Paris völlig unbrauchbar, weil das Pariser Studiensystem eine beträchtliche, ja beherrschende Gruppe von Personen hervorgebracht hat, die sowohl das eine wie das andere waren, Magister wie Studenten. Es kommt also alles darauf an, den Kreis derjenigen Personen genau zu umschreiben, die als vollberechtigte Mitglieder zu den beiden Korporationen zählten. In Bologna waren das die juristischen Studenten unterhalb des Doktorgrades; sie alle hatten Zugang zu den Versammlungen der universitates, ein Stimmrecht bei ihren Entscheidungen, ein Wahlrecht für ihre Ämter. Das passive Rektorwahlrecht dagegen, und mit ihm die letztliehe Vollberechtigung, war an die Vollendung des 24. Lebensjahres und den Besitz des Klerikats, später an ein fünfjähriges Studienalter als untere Grenze gebunden12• In Paris galt als Mindestqualifikation für Sitz und Stimme in der Korporation der Besitz des artistischen Magisteriums; Studenten und Bakkalare der artes besaßen zwar die Mitgliedschaft, aber keine politischen Rechte in der Universität13• Für diesen Unterschied gegenüber Bologna ist aber zu beachten, daß das Magisterium als Marke an einem speziellen Rechtsstudium einerseits nicht zur Verfügung stand, andererseits entbehrlich war14 • In Alter und Stand war der Rechtsstudent dem Artistenmagister ungefähr gleichzuordnen; in den kombinierten Studien wie Paris besaß er üblicherweise das Magisterium. Bis hierher kann also wohl von einem studienbedingten Unterschied, nicht aber eigentlich von einem Gegensatz der beiderseitigen VerfasVgl. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht III. Rashdall I 303, 319. Für viele Beispiele: d'Irsay, Histoire des Universites fran~aises et etrangeres I 146. 1 2 Malagola 7 und 49 (1432). 13 Vgl. z. B. Denifle, Universitäten 102. 14 Vgl. dazu L. Boehm, Die Verleihung ak;ademischer Grade an den Universitäten des MA. 9
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sungsprinzipien die Rede sein. Die Qualifikation für das Rektorat lag in Bologna sogar wesentlich höher als in Paris, wo bis zum 15. Jahrhundert mit dem einfachen Magister in der Theorie ein Zwanzigjähriger für das höchste Amt wählbar war15• Beträchtlicher wird der Unterschied, vergleicht man nach den unteren nun die oberen Grenzen der beiden Korporationen. In Paris waren die Doktoren der drei oberen Fakultäten politisch berechtigte Mitglieder der Universität, in Bologna die juristischen Doktoren nicht. Dennoch findet sich in Paris eine vergleichbare obere Grenze in der so entscheidenden Hinsicht auf das aktive und passive Rektorwahlrecht. Hinter den Artisten, die diese preeminentia genossen16, verbirgt sich ein Personenkreis, der Studenten sämtlicher Fakultäten vom Magisterium aufwärts bis einschließlich zur Lizenz in den oberen Disziplinen umfaßt. Der scheinbare Vorrang einer Fakultät war in Wirklichkeit das Vorrecht einer Gruppe, die unter den anders gearteten Studienverhältnissen Bolognas eben "Studenten" hieß17 • Innerhalb der universitas magistrorum et scholarium Parisiensium läßt sich also eine engere Korporation unterscheiden, die nichts anderes darstellt als eine "Studentenuniversität" italienischen Stils. Diese universitas artistarum, nicht die Gesamtuniversität, ist die genaue Analogie zu den Juristenuniversitäten Bolognas; beide waren, um eine Formel zu finden, Korporationen von nicht-vollpromovierten Scholaren18• Das Pariser System stellte eine Überlagerung und notdürftige Synthese zweier verschiedener Korporationen dar. Anders als in Bologna gab es in Paris ursprünglich zwar eine Interessengemeinschaft zwischen Scholaren und Doktoren; sie führte aber über eine lose Gemeinschaft 15 Das Statut Robert de Courc;ons von 1215 (Chartularium I 78) fordert dieses Alter von den lesenden Magistern. Zusätzliche Bedingungen werden, deutlich erkennbar bei den Prokuratorenwahlen, vor dem 15. Jahrhundert nicht erhoben. In einem Statut von 1524, das angeblich auf die Mitte des 15. Jahrhunderts zurückging (Bulaeus VI 161 ff., 166 ff.), wird dann von den Rektoren ein sechsjähriges Magisterium, zusätzlich entweder ein Grad in einer höheren Fakultät oder eine einjährige Regenz verlangt. 16 Auctarium V 592: "quod electio rectoris ad solam facultatum artium spectabat et per hoc preeminentiam super alias facultates habebat, et hoc ex privilegio apostolico" (1442). 17 Rashdall I 303: "it must be remernbered that the great mass of the masters at Paris were masters of arts - men not much older than the Italian law-students, and many of them actually students in the higher faculties as weil as masters of arts". Nicht alle oberen Studenten waren jedoch Artisten, und auch von diesen war jeweils nur eine kleine Gruppe in der Artistenfakultät als Regentes tätig. Besonders die juristische Studentenschaft besaß das Magisterium in ihrer großen Masse nicht und fiel deshalb in Paris schon im 14. Jahrhundert gleichsam aus der Universität heraus. Vgl. dazu genauer unten Kap. 5. 18 Vgl. Denifle, Universitäten 102: "Und so bezeichnet das Magisterium in artibus nur einen Abschluß im artistischen Studium, nicht aber einen Abschluß im Scholarenthum."
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ohne Haupt und Ämter nicht hinaus19. In einer zweiten Phase der Korporationsbildung wurde dann, ähnlich wie in Bologna, eine soziale Situation wirksam, die die doctores superiorum facultatum als Arrivierte mit den Scholaren aller Grade und Fakultäten nicht mehr teilten20. Diese jüngere Korporation war enger als die ältere, sowohl in ihrem Umfang wie in den Formen ihrer Organisation. Sie entwickelte in genauer Parallele zu Bologna ein Rektorat, untergliederte sich in Nationen, verband ihre Mitglieder durch feierlichen Eid. Entscheidend anders ·als in Bologna blieb diese Universität der NichtVollpromovierten, die universitas artistarum, innerhalb der ursprünglichen Gesamtuniversität21 . Diese selbst bestand nicht nur einfach fort, sondern konsolidierte sich um den nicht mehr aufsprengbaren Kern der Artistenkorporation herum und nahm ihrerseits festere Formen an. Die universitas artistarum wurde als facultas artium, d. h. als eine freilich überdimensionale Teilkorporation, in die Gesamtuniversität integriert. Die Doktorenkollegien, ihrerseits als Fakultäten organisiert, behaupteten in der Universitätsversammlung in corporibus Sitz und Stimme. Wurde die "Scholarenkorporation" hier auf die Rechte einer unter vier Einheiten mit allerdings vierfachem Stimmrecht zurückgedrängt, so gelang es ihr zum Ausgleich, ihr Vorstandsamt an die Spitze der Gesamtuniversität zu bringen22. 19 Zum Entstehungsdatum der Gesamtkorporation vgl. Stelling-Michaud
111 ; G. Post, Parisian Masters as a Corporation: Speculum 9 (1934) 421 ff.
20 Die Anrede "dilectis filiis doctoribus et universitati scolarium Parisiensium" in Papstbullen, erstmals 1228 gebraucht, macht die Zweizahl der Korporationen momentweise sichtbar; vgl. Chartularium Nr. 58, 135, 169, 222, 225.- Rashdall I 315: " ... a new organization has rizen within the university, composed not of all its members, but of the most numerous section of it the masters of arts." Diese neue Korporation hatte "the full attributes of a corporation or group of corporations with seals, officers, and common funds, at a time when the university proper was still in an acephalous and halforganized condition". - Über die unterschiedliche Situation der Artisten und der zumeist mit Kanonikaten und anderen Pfründen versorgten oberen Doktoren in Paris vgl. Thurot 13 ff.; für Bologna Rashdall I 149 ff. 21 Das wird z. B. schon sichtbar im zweiten Rektorwahlstatut des Kardinallegaten Sirnon de Brion von 1266 (Chartularium I 449 ff.): drei theologische und vier kanonistische Doktoren erhalten eine Schiedsrichterfunktion für den Fall einer Spaltung der Nationen bei der RektorwahL - 1279 wird von dem gleichen Legaten bestimmt, daß ein jüngerer Theologe als Rektorwähler einspringen soll, falls ein Prokurator gerade fehle (Chartularium I 576). Diese Regelung war noch Mitte des 15. Jahrhunderts in Kraft, vgl. Auctarium I 20 die Beschreibung einer Rektorwahl im Jahre 1337. Die Doktoren erhielten auf diese Weise eine Ehrenstellung, die sie über den Ausschluß von der Rektorwahl hinwegschmeicheln konnte. Andererseits bereiteten Bestimmungen dieser Art natürlich dem Aufstieg des Rektorats zu gesamtuniversitärer Geltung den Weg. 22 Vgl. Rashdall I 326 ff. und Denifle, Universitäten 109 ff. Denifle datiert den vollzogenen Aufstieg auf 1341; dagegen jetzt wieder mit Recht G. Leff, Paris and Oxford Universities 60 ff.; schon seit den achtziger Jahren des 13. Jahrhunderts sei der Rektor als Sprecher der Gesamtuniversität aner-
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2. Kapitel: Einordnung der Gründungsverfassung
Das Rektorwahlrecht der Pariser Artisten, absurd, solange man es als Vorrecht einer und noch dazu der untersten Fakultät vor den anderen ansieht, versteht sich als die hinübergerettete Bindung des Rektorats an die Scholarenkorporation, die es hervorgebracht hatte. Indem sich diese Korporation jedoch innerhalb der Gesamtuniversität als Fakultät definiert sieht, ist ihr Privileg schon im Anspruch untergraben, vorläufig und in Paris selbst zwar durch die alten Statuten gesichert, auf die Dauer und in der Nachfolge der Pariser Verfassung aber nicht haltbar23 • Zu diesem fundamentalen Unterschied im Verhältnis, nicht der Studenten, sondern der oberen Doktoren zur Universität gesellt sich einzelnes, woran sich in der Folge bei häufig unübersichtlicher Überlagerung der beiderseitigen Einflußsphären die italienische von der Pariser Tradition unterscheiden läßt: die Anzahl der Nationen, die consiliarii Bolognas als Pendant der Pariser Prokuratoren, das Verfahren der Rektorwahl, die Rektoratsdauer24 und, nicht zuletzt, der Statutentext. Bei kannt worden. - Die oberen Fakultäten formierten sich unter Dekanen erst nach der Mitte des 13. Jahrhunderts: Denifle 127. 23 Vgl. die Anm. 16 zitierte Verteidigungsrede der Artisten. Zur Berufung auf das Papstprivileg gesellt sich der Versuch einer logischen Beweisführung: "cum facultas artium esset fundamenturn universitatis, eidem erat concessa electio rectoris" (Auctarium V 594). Mit ganz ähnlichen Worten begründete Kardinal Guillaume d'Estouteville 1452 das Artistenprivileg: die Fakultät sei "superiorum studiorum quasi moles quedam basisque . . ., super quam majoris edificii altitudo consurgit" (Chartularium IV 724). - Im oben zitierten Fall (1442) erkannte die Universität die Beweisführung der Artisten, die von einem deutlichen Hinweis auf den Treueid aller ehemaligen Artisten gegenüber Rektor und Nationen begleitet war, widerspruchslos an; auch ein Jahrhundert vorher hatten die Theologen nicht das statutarisch gesicherte Artistenprivileg an sich bestritten, sondern ausschließlich die angemaßte Kompetenz und Präzedenz eines Amtes, das sie auf die Geschäftsführung der Universität beschränkt sehen wollten (Chartularium III 61 ff.). Solche Spitzfindigkeiten hatten aber zu einer Zeit keine Chance mehr, als "rector" und "universitas" längst als zusammengehörige Begriffe empfunden wurden. Ein anderes als das Artistenrektorat hatte die Universität Paris nicht hervorgebracht, und so wirkte die Analogie, etwa von Bologna her, zwangsläufig zu seinen Gunsten. - Welche Mühe die Verteidigung des Artistenprivilegs dort machte, wo es nicht durch apostolische Privilegien verbrieft war, zeigte sich in Heidelberg (Winkelmann 16), wo 1387 argumentiert wurde, der Sinn dieses Vorrechts bestehe darin, die oberen Doktoren vor der Belästigung mit Kleinigkeiten zu bewahren. 24 Auch Bologna hatte ursprünglich wohl vier Nationen; die Vierzahl könnte von hier nach Paris gelangt sein (Rashdall I 319). Später ist Bologna selbst wie auch seine Tradition durch eine unregelmäßige Vielzahl von Nationen gekennzeichnet. - Die Rektorwahl lag in Paris anfangs bei den Prokuratoren (Chartularium I 456), später bei gewählten "intrantes" der Nationen (Auctarium I 20). Die "intrantes" einigten sich in einem Konklave in der Frist einer "candela" nach Mehrheitsprinzip auf einen Kandidaten, gleichgültig aus welcher Nation (Chartularium II 26). Das größere Gremium der "consiliarii" (38) in Bologna dagegen stimmte mit "cedulae" oder "fabae albae et nigrae" und beobachtete einen ausgeklügelten Nationenturnus (Malagola §§ 4-6). - Die Amtsdauer betrug in Bologna ein Jahr, in Paris seit 1266 3 Monate. Vgl. unten Kap. 7 Abschnitt IV.
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komplexer Berücksichtigungall dieser Kriterien wird die Aussage möglich, daß sich Bologneser und Pariser Einfluß etwa in den französischen Universitätsverfassungen des 14. und 15. Jahrhunderts auf mannigfache Weise durchkreuzt und überlagert haben. Das gleiche aber gilt auch für den deutschsprachigen Raum. Die deutsche Universität war im Unterschied zur italienischen in ausnahmsloser Regel eine Mehrfakultätenuniversität, eine universitas litterarum-oder vielleicht besser facultatum. Von diesem Umstand, nicht von politischen Gründen her, war sie vorrangig auf die Orientierung am Pariser Verfassungssystem angewiesen. Fürdie Existenz der Fakultäten, ihre Einordnung in die Gesamtuniversität und für die entsprechende scholastische Gradhierarchie boten die Statuten Bolognas kein Beispiel. Die Klasse der scholares - als Träger der italienischen Universitäten - hätte in Deutschland die Artistenmagister, die ja zum größten Teil in den oberen Fakultäten studierten, mit einbegriffen, mit ihnen aber den Lehrkörper einer und nur einer Fakultät. Eine solche Lösung war auf die Dauer so wenig haltbar wie das Pariser Artistenprivileg, dem sie in der Sache entsprach. Die klassische Vierzahl der Wissenschaftsdisziplinen drängte zur Parität der Fakultäten, d. h. zur vollen Einbeziehung der oberen Doktoren in die Universität. Andererseits hätten zu den scholares, nahm man den Begriff wörtlich, die oft unmündigen Studenten der Artistenfakultät gehört, ein Lebensalter und Stand, dem auch in Italien niemand Reife zur Selbstregierung zugestanden hätte. Die Formel scholares war also an der Mehrfakultätenuniversität unbrauchbar, weil sie teils in den Lehrkörper hinauf, teils unter eine vernünftige Grenze hinabreichte. Alles sprach dafür, sie durch eine andere, nämlich die Formel magistri zu ersetzen, welche nun zwar neu die oberen Doktoren, sonst aber einen den italienischen scholares nach Lebensalter, Rang und Studientätigkeit weitgehend entsprechenden Personenkreis umfaßte25 • Dieser Umstand setzt dem italienischen Einfluß in Deutschland seine unübersteigbaren Grenzen26• Es gelingt ihm selten und nie endgültig, die Grundlinien der Universitätsverfassung zu prägen. Sein Feld bleibt das Detail: die einzelne Institution, das einzelne Stück Text. Das Pariser System seinerseits blieb nach seiner Übernahme durch die deutsche Universität nicht unverändert. Es drängte- wieder aus Gründen seiner inneren Logik - zur Aufgabe des in Paris durch die alten Vgl. unten Kap. 5 Abschnitt III. Stelling-Michaud (S. 112) nimmt einen italienischen Einfluß auf die Universitäten der zweiten deutschen Gründungsperiode an, präzisiert aber diese Hypothese nicht. Basel stellt jedoch wohl eine Ausnahme dar. 25
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Privilegien mumifizierten Artistenvorrechts. Mit der Parität der Fakultäten gelangte ein Prinzip zu durchgehender Geltung, das in Paris bereits in allen Geschäften der Universität mit der alleinigen Ausnahme der Retorwahl anerkannt war. Damit kam eine Entwicklung zum Abschluß, die in Paris längst bis zum halben Weg gediehen war und nur ihrer Befreiung aus den Fesseln der verbrieften consuetudo harrte27• Die deutsche universitas magistrorum war als Korporation eines gemischten Personenkreises der italienischen Universität keineswegs antithetisch entgegengesetzt, jedoch mit deren Verfassungsformeln nicht definierbar. Aus einer Korporation der Doktoren und der MagisterScholaren entwickelte sie sich in der Folgezeit zögernd, aber bemerkbar weiter zu einer reinen Universität des Lehrkörpers.
Der statutengeschichtliche Hintergrund Anders als für den Grundcharakter der deutschen Universität war die italienische Tradition für die deutsche Statutentextgeschichte von hervorragender Bedeutung. Ihr Einfallstor war die Universität Prag, der von ihrem Gründer Kaiser Karl IV. Paris und Bologna als Modelle in die Wiege gelegt worden waren und deren Frühgeschichte dieses doppelte Erbe in heftigen inneren Kämpfen zu verschmelzen suchte28• Im Jahre 1372 zerbrach darüber die Einheit der Universität; die aus dem Jahre 1384 stammenden Statuten sind - nach vollzogener Abspaltung der Juristen- nur mehr diejenigen der Restuni versität29 • Diese Statuten sind in ihrem Text eindeutig und eng den Statuten Bolognas verpflichtet30• In der Sache darf man "italienisch" nennen das Fehlen der Prokuratoren, das - wenn auch modifizierte - Konziliarwesen, die Rektorqualifikation und vieles andere mehr. Von Paris aber kamen die Fakultäten, die ihre Rolle in der Korporation neben den Nationen zögernd zu spielen beginnen, sowie für diese letzteren die unitalienische VierzahL Noch war die Nationengliederung das beherrschende Verfassungsprinzip 31• Die Synthese dieser beiden Traditionen gelang nur unzureichend; vieles blieb beinahe zwangsläufig unklar Vgl. unten Kap. 5 Abschnitt II und Kap. 7 Anm. 66 ff. W. Tomek, Geschichte der Prager Universität sowie Rashdall III 214 ff. - Ein im ganzen richtiges Schema der Statutenfamilien und -abhängigkeiten bei Kaufmann II 158 sowie bei A. Kluge, Die Universitätsselbstverwaltung 25. Kluge setzt im Unterschied zu Kaufmann Tübingen richtig unter Basel, weist aber Ingolstadt (unter Wien und Heidelberg) einen falschen Platz an. 29 Tomek 8 ff., 25 ff. 30 Monumenta historica universitatis Pragensis III 1 ff.; vgl. dazu Malagola 7 ff. - Starke textliche Abhängigkeit zeigen vor allem die Prager Paragraphen 1, 3, 6, weniger 7, und 8. 31 Nun jedoch über die Gesamtuniversität ausgedehnt: vgl. im einzelnen unten Kap. 5 Abschnitt I. 27
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und zweideutig, am meisten die Umgrenzung der Korporation bzw. des sie regierenden Kreises. Hier stand der angestrebten Magisteruniversität der bologneser Text im Wege, den man vielleicht eben aus diesem Grund nicht immer wörtlich nehmen darf32• Die Prager Statuten wurden 1409 von der Universität Leipzig übernommen, mit wenigen, aber wichtigen Änderungen33• Die Ansätze einer Fakultätenverfassung gerieten bei dieser Adoption in Wegfall und gaben einer reinen Nationenverfassung Platz- der einzigen in Deutschland. Die Leipziger Statuten wirkten weiter auf diejenigen Frankfurts a. 0.34• Wie Leipzig hat auch Erfurt durch die Emigration der Deutschen aus Prag personellen Zuwachs erhalten. Die Gründung der Universität aber - und wohl auch die Existenz einer geschriebenen Satzung - reichen hinter das Jahr 1409 zurück35• Die Statuten aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts setzen eine eigene Texttradition voraus, und sie sind schon vom äußeren Eindruck her, in Hinsicht auf den Umfang und die Sorgfalt der Redaktion, den Prager Statuten hoch überlegen. Dennoch läßt sich eine Verwandtschaft zur Prager Tradition nicht verkennen38• Sie manifestiert sich in Textanklängen und in bestimmten Institutionen, wie den consiliarii und dem Verfahren der RektorwahL Wie aber in Leipzig die Fakultäten die Rolle wieder hatten abgeben müssen, die sie in Prag als politische Gliederungen zu spielen begonnen hatten, so elimi32 Z. B. in der Rektorqualifikation das Wort "persona", das immerhin schon eine Entfernung vom Bologneser "scholaris" signalisiert .(vgl. Kap. 7 Anm. 72). - Stelling-Michaud bemerkt zum Phänomen der Statutenimitation zutreffend: "L'adoption presque integrale de certaines normes bolognaises par la plupart des universites italiennes et par un certain nombre des universites etrangreres ... prouve le caractere souvent factice des statuts qui etaient appliques a des studia ou n'existaient pas les conditions initiales qui les avaient inspires" (S. 111). 33 Zarncke, Statutenbücher 48 ff.; Rashdall III 214 ff. und 260 ff. Für die Gründungsgeschichte besonders Hoyer, der die Beziehungen Leipzigs zu Frag eingehend untersucht. Von 369 Immatrikulierten des WS 1409 waren nur 47 als solche bezeichnete "Pragenses"; 95 weitere kommen als ehemalige Frager in Frage. Von den genannten 47 aber waren nicht weniger als 46 Magistereine überzeugende Zahl für die Stärke des Frager Einflusses!- Die Leipziger Änderungen am Frager Statutentext betrafen sachlich die konsequente Verwirklichung der Nationenuniversität (vgl. Kap. 5 Anm. 8). Gestrichen wurden die "consiliarii" der Fakultäten (Prag § 13) und alle weiteren Erwähnungen der Fakultäten (Prag §§ 6, 8, 9). u Bauch, Akten und Urkunden, sowie Kaufmann II 158. 35 Weissenborn, Acten II 1 ff. (älteste Statuten vom Ende des 14. Jahrhunderts) und I 1 ff. (Statutenredaktion von 1447). Vgl. auch die Einleitungen I xv und II vii sowie die Arbeiten von Abe und Kleineidam. Hoyer (S. 8) zählt im WS 1409 einen Anstieg der Erfurter Immatrikulationen um 46; 19 Scholaren werden als "Pragenses" bezeichnet. 38 Folgende Rubriken und Paragraphen zeigen Textverwandtschaft zu Frag: II 2, II 7, III 1, III 5, III 6, III 7, III 16, III 22, 111 22c, VII 1. Dagegen ist der alte Entwurf textlich selbständig.- Von Frag beeintlußt sind auch die artistischen Fakultätsstatuten Weissenborn II 124 ff. (Mon. hist. univ. Frag. 1/1 p.1 ff.).
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niert umgekehrt Erfurt die Nationengliederung und ersetzt sie durch eine konsequente Organisation der Universität vom Fakultätsprinzip her37• Erfurt hat eine ganze Statutenfamilie begründet; in diesem starken Einfluß nach außen spiegelt sich seine hervorragende Stellung unter den deutschen Universitäten des 15. Jahrhunderts. Seine Statuten gelangten nach Rostock und Greifswald, in der anderen Richtung über Basel nach Tübingen und Wittenberg, auf direktem Wege auch nach Trier38• Die ausschließliche Orientierung am Pariser Verfassungssystem begann in Deutschland mit der Gründung der Universität Wien im Jahre 136539• Herzog Rudolf IV. übernahm in seiner Stiftungsurkunde neben den vier Nationen auch das Rektorwahlrecht der Artisten. Bei der Neugründung 1384 trennte dann zwar Albrecht III. das Rektorat von den Artisten, folgte aber seinerseits ausdrücklich den Pariser Einrichtungen40. Auch diese Zweitgründung war personell stärkstens von Paris her beeinflußt41 • Die Statutenredaktion von 1385 trüge sichtbar den Stempel dieses Einflusses, auch wenn sie sich gelegentlich einer Abweichung vom Pariser Vorbild nicht ausdrücklich zu ihm bekennte42• Die auf die Gesamtuni37 Entsprechend gibt es in Erfurt nur mehr die acht Fakultätskonziliare; vgl. Kap. 5 Anm. 8 ff. 38 Kaufmann II 158. Die Rostocker Statuten bei Westphalen, Monumenta inedita IV 1008 ff. Für Greifswald Kosegarten und Dähnert; bei Dähnert Nr. 21 die ältesten erhaltenen Statuten von 1545. - Auszüge aus den Baseler Statuten bei W. Vischer, Geschichte der Universität Basel; ein vollständiger Druck liegt noch nicht vor. Vischers Gegenüberstellung beweist die Textabhängigkeit von Erfurt; diese Vorlage wurde durch zwei Erfurter Professoren vermittelt, die der Rat durch einen Gesandten in Erfurt anwerben ließ (Kisch 39 ff.). Daneben stellt Kisch (64 ff.) einen starken Einfluß Pavias fest, der vor allem von Peter von Andlau repräsentiert wurde und auch im Statutentext einen Niederschlag gefunden hat. Von der anderen Richtung her untersucht den Beitrag Erfurts zur Gründung der Universität Basel E. Kleineidam, Universitas studii Erffordensis I 168 ff. - Für Tübingen (R. Roth), Urkunden zur Geschichte der Universität Tübingen 39 ff. (Statuten von 1477), J. Haller, Die Anfänge der Universität Tübingen (hier besonders li 17), sowie R. Rau, Der Beitrag der Basler Hochschule zu den Anfängen der Universität Tübingen; vgl. auch unten Kap. 3 Anm. 134.- Für Wittenberg: Friedensburg, Urkundenbuch I 18 ff. die Statuten von 1508. In seiner Universitätsgeschichte nimmt Friedensburg (S. 24 f.) an, daß diesen Statuten eine ältere, direkt von Tübingen übernommene Statutenfassung vorhergegangen sei. Auch in der kurfürstlichen Redaktion von 1508 ist aber der Tübinger Einfluß noch stark genug erkennbar. Aus Trier kenne ich nur die Statuten von 1562, gedruckt bei Pachtler I 172 ff.; ihre Abstammung von den Erfurter Statuten unterliegt keinem Zweifel. Die Statuten von 1475 setzt Zenz (S. 14 f. und S. 86) in die Kölner Tradition; was er aus dem unveröffentlichten Text mitteilt (vgl. etwa S. 86 die Rektorqualifikation), stimmt damit nicht immer überein. 39 Kink li 73 ff.: die Statuten von 1385. Vgl. zur Frühgeschichte die beiden Aufsätze von P. Uiblein. 4° Kink II 1 ff. und 19 ff.; vgl. unten Anm. 62 ff. 41 Vgl. P. Uiblein, Beiträge zur Frühgeschichte.
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versität ausgedehnte Nationeneinteilung, die Prokuratoren mit der Befugnis der Rektorwahl, das Wahlkonklave selbst und manches andere weisen eindeutig auf Pariser Brauch. Was die Abweichungen betrifft, so hatte die Wiener Universität zum Zeitpunkt der Statutenabfassung bereits zwanzig Jahre eigener Erfahrung, vielleicht auch eigener Gesetzgebungstätigkeit hinter sich; der bestimmte, aber unaufdringliche Anspruch auf Selbständigkeit wirkt von daher verständlich. In gewissem Kontrast zur inhaltlichen Nachahmung der Pariser Einrichtungen steht die anscheinende verbale Unabhängigkeit des Wiener Statutentextes. Wien bedeutet für die Texttradition in Deutschland einen Punkt Null, hinter den es nicht möglich scheint zurückzugehen. Gelegentliche Textparallelen zu Pariser Einzelstatuten oder auch zu den Statuten anderer, in der Pariser Tradition stehender französischer Universitäten schränken diese Feststellung kaum ein43. Einflüsse von Frag her haben, wie man weiß, in der Wiener Frühgeschichte eine Rolle gespielt; in den Statuten lassen sie sich jedoch nicht nachweisen44 • Die Wiener Statuten müssen 1392 der Universität Köln vorgelegen haben, deren Satzung viele deutliche Entsprechungen aufweist; eine umgekehrte Beeinflussung ist schon aus Datierungsgründen nicht denkbar45. Einen ebenso starken Texteinfluß von Wien her erfuhren die Statuten der Kölner Theologen und Artisten46 • In seiner Verfassung zeichnet 42
Kink II 83.
43 Zum Vergleich einige Textparallelen:
Wien (Kink II 73 ff.) nec ducat publice in vico choream Magistri vero, qui noviter inceperunt . . . iurent ... quod servabunt privilegia, libertates, consuetudines laudabiles, statuta, iura universitatis ad quemcunque statum devenerint.
Paris (Chart. I Nr. 461): Nullus magister permittat ... coreas duci in vico ... (Chart. II 681): Magistri incipientes quando incipiunt: vos iurabitis quod vos observabitis privilegia, statuta, libertates et consuetudines laudabiles universitatis, ad quemcunque statum deveneritis.
Vgl. auch die vielen Entsprechungen in den Disziplinarstatuten, z. B. das Verbot des Würfelspiels (Wien 76, Chart. I 540), des Nachtschwärmens (Wien 78, Chart. I 222) u. a., die aber angesichts der Verwandtschaft aller Universitätsstatuten miteinander nicht aus einer Textimitation herrühren müssen. 44 Uiblein, Beiträge zur Frühgeschichte 310. Die Frager Statuten von 1384 sind wahrscheinlich nicht mehr bekannt gewesen; vgl. aber das Statut des Erzbischofs Ernst von 1360 (Mon. hist. univ. Prag. II 229 ff.), besonders 230: "quod rector sit clericus secularis" mit der albertinischen Urkunde (Kink II 52) : "rectorem eligere habeant, secularem ...", ein sonst seltener Ausdruck. 45 Die Kölner Statuten von 1392 bei Bianco Anhang 6 ff.; der Textvergleich zeigt über ganze Paragraphenserien hinweg die große textliche Nähe zu Wien. 46 Vgl. Bianco Anhang 34 ff. und 60 ff. mit Kink II 93 ff. und 172 ff. Nach Bianco wären die Kölner theologischen Statuten nach einer in Paris bestellten Kopie angefertigt worden; wie sich damit die unzweifelhafte textliche Identität mit dem Wiener Text verträgt, kann ich nicht entscheiden.
52
2. Kapitel: Einordnung der Gründungsverfassung
sich Köln gegenüber Wien darin aus, daß es die Nationen mit den Prokuratoren nicht übernahm, sondern ihre Funktionen den Fakultäten und den Dekanen zuwies. Von Köln wurde die Wiener Tradition weiter nach Löwen, teilweise auch nach Tübingen vermittelt47 • Es bleibt Heidelberg zu erwähnen, das etwas außerhalb der allgemeinen deutschen Textgeschichte steht. Die Universität begnügte sich bei ihrer Gründung (1386) zunächst mit der grundsätzlichen Orientierung am Pariser Modell, die ihr durch den Stifter vorg.e schrieben war, nahm aber dann im Lauf der Zeit durch Einzelstatuten grundlegende Änderungen daran vor46, die von Tübingen (1477) und 1522 von Ingolstadt aufgenommen wurden. Das begrenzte, repräsentative Konzil fand hier schon im Jahre 1393, endgültigdann 1452 seine Verwirklichung49 • Die skizzierten Statutenstämme sagen nicht unbedingt etwas über die Verwandtschaft der Verfassungssysteme aus. Es war schon gesagt, daß Frag mit dem notdürftig adaptierten Statutenmaterial Bolognas eine Verfassung entwarf, die mit derjenigen Bolognas nicht mehr identisch war. In Erfurt und Leipzig teilte sich dieser Stamm in zwei grundverschiedene Verfassungstypen auf, die reine Fakultäten- und die reine Nationenverfassung, die nur noch durch den Statutentext und durch Einzelinstitutionen miteinander verwandt sind. Die Erfurter Verfassung wiederum wandelte sich beträchtlich bei ihrer Adoption durch Rostock und Tübingen. Auch der Schritt von Wien nach Köln war mit einer grundsätzlichen Verfassungsr.eform verbunden. Diese Divergenz von Verfassungs- und Texttradition ist weit entfernt, den Wert des Statutenvergleichs in Frage zu stellen. Die Begegnung mit dem Sprachmaterial eines fremden Überlieferungszweiges bleibt für den der eigenen Tradition verpflichteten Verfassungsentwurf selten folgenlos; sie zwingt ihn in ein Begriffssystem, das ihm nicht adäquat ist und unter dessen Zwang er unmerklich sein Gesicht verändert. Vor allem aber gestattet der Textvergleich, den Aussagewert eines gegebenen Statutenwerks im einzelnen zu erschließen; nur von ihm her können 47 Die ältesten Löwener Statuten (vor 1459), gedruckt von van Hove, sind von Köln abhängig, schalten aber mit diesem Erbe souverän. Vom Papst war Löwen auf Köln, Wien und Leipzig (nicht Padua und Merseburg, wie van der Essen liest!) verwiesen worden. Die Gründungsdokumente gedruckt von Reusens in Analeeta 24 und 25; ein geschichtlicher Überblick bei van der Essen. 4B Winkelmann, Urkundenbuch; Thorbecke, Die älteste Zeit der Universität Heidelberg. Vgl. genauer unten Kap. 6 Anm. 28. - Heidelberg hat wohl auch Freiburg beeinfiußt, vgl. Bauer 26 ff.; für die ungedruckten Statuten läßt sich das leider nicht nachprüfen. 4V Winkelmann 16, 53 sowie unten Kap. 6 Abschnitt li.
I. Verfassungsgeschichtlicher Hintergrund
53
jene toten Textpartien50 erkannt und eingeklammert werden, die, gedankenlos übernommen, mit einem anderen Maßstab gemessen zu werden verdienen als das übrige. 50 Stelling-Michaud 109: Die Statuten "contiennent des parties mortes, de sorte que, souvent, l'ecart est grand entre les textes legislatifs et la realite qu'ils enserrent". - In dem skizzierten Schema der Statutenfamilien fehlt Freiburg, dessen noch ungedruckte Statuten von 1460 ich bisher noch nicht zu Gesicht bekommen habe. Den Beschreibungen und Zitaten zufolge ist eine Verwandtschaft mit Ingolstadt unwahrscheinlich ; vgl. H. Schreiber, Geschichte der AL.-Universität; Riegger, Opuscula; J. J. Bauer, Zur Frühgeschichte der theologischen Fakultät der Universität Freiburg (dort S. 171 f. eine Beschreibung der Bestände des Universitätsarchivs sowie S. 19 eine solche der Statuten von 1460); K. Metzger, Entwicklung der Beamten- und Wirtschaftsorganisation; sowie für die artistischen Fakultätsstatuten und ihre Abhängigkeit von Wien: Ott-Fletcher. - Die späteren Gründungen sind hier im allgemeinen nicht berücksichtigt; es sei aber eine erwähnt, bei der Ingolstadt mit seinen Statuten Pate gestanden hat: die Universität Würzburg. Die Würzburger Statuten von 1587 (Wegele II Nr. 70) sind, wie der Vergleich mit der Ingolstädter Satzung von 1556 (Prantl II Nr. 72) überzeugend dokumentiert, in umfangreichen Partien von der letzteren abgeschrieben oder zumindest stark beeinflußt. Wegeie (I 232 ff.) hat auf Grund seiner Akten nur einen Einfluß Freiburgs vermutet, ihn zugleich aber als nicht beherrschend bezeichnet. Jedoch hatte sich Bischof Julius Echter bereits vor der (zweiten) Korrespondenz mit Freiburg (1586) im Sommer 1584 mit dem Gesuch um Privilegienabschriften nach Ingolstadt gewandt; der . Senat beschloß, Herzog und Bischof oder, wie es im Protokoll heißt, am besten nur den herzoglichen Kanzler zu konsultieren (UA D III 8, 71). Am 14. 5. 1585 findet sich folgender Protokolleintrag: "Privilegia academica quia hactenus reverendissimo episcopo Herbipolensi fuerint recusata, iam suam celsitudinem denuo petere statuta solummodo academica, quod sine difficultate permissum est, et propterea haec describi et quam primum transmitti debere" (UA D III 8, 80). In entsprechender Weise wurde zwischen Privilegien und Statuten auch später unterschieden (vgl. Anm. 23). Freiburg muß dann mit seinen Kopien zu spät gekommen sein, abgesehen davon, daß sich Ingolstadt als Modelluniversität mit besserem Grund anbot (man denke an das Jesuitenkolleg). Die Textverwandtschaft zwischen Ingolstadt und Würzburg ist so eng, daß sie hier nicht nachgewiesen zu w erden braucht; sachlich gesehen übernahm Würzburg das Ingolstädter Konzil, bei der Rektorwahl den Fakultätenturnus, das Adelsrektorat mit professoralem Prorektorat, die Art der Besoldung des Rektors, auch das Vizekanzellariat. In Anlehnung an einen etwa anzunehmenden Ingolstädter Verfassungsbericht (zu denken ist an ein "summarium", wie es in UA B II 2 vorliegt), der mit den Statuten zusammen übermittelt worden sein könnte, wird in tit. 7 ein "camerarius" erwähnt, der "in consilio universitatis unus sit ex praecipuis" und vor Rektor, Dekanen und "seniores" Rechnung zu legen habe (vgl. dazu unten Kap. 8); der spätere Würzburger Rechnungsbeamtehieß aber dann "receptor" (Wegele I 242). Einige Tendenzen der Ingolstädter Verfassungspraxis (nicht der Statuten!) kommen in Würzburg zu schärferer Ausbildung, so wenn neben dem Vollkonzil (dessen Mitgliedschaft mit derjenigen der Fakultätskonzile für identisch erklärt wird, obwohl andererseits wie in Ingolstadt nur vier Artisten zugelassen sind, tit. 2 und 8) ein "in rebus occultioribus" agierendes "minus consilium" entworfen wird, bestehend aus Rektor, Dekanen und drei "seniores" aus jeder Fakultät; vgl. zu entsprechenden Restriktionstendenzen in Ingolstadt unten Kap. 6 Abschnitt 4. In überraschendem Unter schied zu Ingolstadt greift Würzburg im Konzilsverfahren (tit. 8) auf die alte "itio in partes" der Fakultäten zurück (vgl. unten Kap. 6 Anm. 103).
2. Kapitel: Einordnung der Gründungsverfassung
54
Im folgenden wird Gelegenheit sein, eine derartige Durchkreuzung von Text- und Verfassungstradition in ihrer Erscheinung und in ihren Folgen bei der Entstehung der ältesten Ingolstädter Statuten zu beobachten. II. Fremde Einflüsse auf die lngolstädter Gründungsverfassung 1. Der Einftuß der Universität Wien
Nostra (universitas) filia dicitur Viennensis, sagte Valentin Rotmarin seinen Annalen; aus der Wiener Universität sei sie entsprungen und habe alle Privilegien bekommen, die jene entweder schon genösse oder in künftigen Zeiten je genießen würde51 • Diese Sätze sind zu einer Zeit geschrieben, als sich die Ingolstädter Universität dieser Abstammung soeben in heftigen Auseinandersetzungen mit dem Bischof von Eichstätt um den Umfang ihrer Gerichtsbarkeit als Argument bediente52• Sie konnten sich auf die päpstliche Stiftungsbulle von 1459 berufen, in der Pius II. mit den gleichen Worten, die Rotmar wohl nach dieser Vorlage wählte, der neuen Universität alle jetzigen und künftigen privilegia, libertates, exemptiones, honores et immunitates Wiens gewährt hatte58• Da die Bulle auch im Text weitgehend derjenigen Papst Urbans V. für Wien folgt 54, wird man mit Prantl folgern dürfen, daß Herzog Ludwig der Reiche selbst dem Papst die Universität Wien als erwünschtes Modell seiner Stiftung genannt hatte55• Im Jahre 1465 genehmigte Papst Paul II. die Umwandlung der Ingolstädter Frauenkirche in ein Kollegiatstift, ad instar collegiate ecclesie sancti Stephani oppidi Wiennensis 56 . Auch für dieses Indult und seine Berufung auf Wien ist die Initiative des Herzogs als sicher anzunehmen, schreibt er doch in seiner Stiftungsurkunde, er habe es vom Papst erlangt51. Der Plan, im Jahre 1472 noch nicht aufgegeben, ist nicht zur Ausführung gelangt. Direkt äußerte sich der Herzog in dieser Hinsicht erstmals in seinem Eröffnungsschr,eiben vom 2. Januar 1472 mit Formulierungen, die der Papstbulle sehr nahe kommen. Die Ingolstädter Scholaren sollten alle Freiheiten genießen, die einst in Athen und nun in Bologna und Wien in Geltung seien58 • Mederer I xv. Vgl. Kap.lO Abschn. I. 53 Mederer IV 16 ff. 54 Kink II 26 ff. (18. 6. 1365). 55 Prantl I 12 f. se Mederer IV 19 ff. 57 Prantl II 26. ss Mederer IV 40: "(privilegia) quibus doctores et studentes olim in universitate Atheniensi, et modo Bononiensi et Wiennensi gaudent et utuntur". 51
52
11. Fremde Einflüsse
55
Die Stiftungsurkunde des gleichen Jahres zitiert Wien zweimal; zuerst sehr akzentuiert in der Einleitung, derzufolge in Ingotstadt fürbas
ewigklich. . . nach solcher ordnung und gewonhait alls in der hohen gefreytten universitet und schul zu Wienn, welche ihrerseits nach dem Vorbild Athens, Roms und Paris' gegründet worden sei, gelesen, gelehrt und gelernt werden solle59• Ein zweites Mal erscheint der Name Wtens in der Anordnung, die Kolleggelder der Artisten sollten so hoch bemessen sein, wie man zu Wienn davon pflegt zugeben60• Beide Stellen stehen in den Redaktionen A und B, nicht aber in der Endfassung der Stiftungsurkunde. Diese Urkunde hat jedoch ein viel unmittelbareres Verhältnis zu Wien, benützt sie doch die Wiener privilegia ducalia als direkte Textvorlage61 • Dieser Quelle entstammt das meiste, was der Ingotstädter Stifter über den Gerichtsstand der Scholaren zu sagen weiß, während der breite Abschnitt über die Nationeneinteilung textlich zwar weit selbständiger, dennoch aber auch seinerseits deutlich von der Vorlage inspiriert ist. Ganz der Wiener Text findet sich wieder in weiten Partien der Einleitung. Es bleibt zu entscheiden, welche von den beiden Stiftungsurkunden Wiens in Ingotstadt ausgeschrieben worden ist, diejenige Herzog Rudolfs IV. von 1365 oder diejenige Herzog Albrechts III. von 1384. Die albertinische übernimmt weite Partien der rudolfinischen Urkunde im Wortlaut, läßt aber verschiedenes weg und fügt anderes hinzu, bringt auch häufig eine neue Anordnung. Sowohl unter den Zusätzen wie unter den Streichungen erinnert einzelnes an den Ingolstädter Wortlaut, so daß man nach dem Textvergleich zunächst die Benutzung beider Urkunden annehmen möchte62 • Nun ist aber von der rudolfinischen Urkunde eine deutsche und eine lateinische Fassung überliefert; der ersteren folgt die ebenfalls deutschsprachige Ingotstädter Urkunde in der Wortwahl und -stellung so getreu, daß di.e Möglichkeit einer Rückübersetzung ausgeschlossen werden muß 63 • Die albertinische Urkunde dagegen ist nach Kinks Behauptung Prantl 1111. Prantl II 24. 61 Die rudolfinische Urkunde (1365) deutsch bei Schlikenrieder 34 ff., lateinisch bei Kink li 1 ff.; die albertinische Urkunde nur lateinisch bei Kink li 59 60
49 ff.
62 Nur in der rudolfinischen Urkunde findet sich die auffällige Translationstheorie (Prantl Zeile 35--40, Schlikenrieder 35), außerdem die Abschnitte (in Klammern immer die Seitenzahlen bei Schlikenrieder) Zeile 127-34 (54), 205--6 (43), 603-10 (53). - Umgekehrt scheinen nur in der albertinischen Urkunde ein Vorbild zu finden (in Klammern die Seitenzahlen bei Kink li): Zeile 119-24 (54), 125 ff. (53), 78 ff. (43). 63 Vgl. folgende Abschnitte (in Klammern Seitenzahl bei Schlikenrieder): Zeile 10 f., 15--18, 20-22, 24 f. (34-35); Zeile 29 f., 33-42 (36); Zeile 46-54 (36 f.); Zeile 78 ff. (53); Zeile 125--37 (54 f.); Zeile 524-26 (44); 532-39 (45);
2. Kapitel: Einordnung der Gründungsverfassung
56
nur in lateinischer Sprache ausgefertigt worden; schon 1403 habe sich die Stadt Wien vergeblich um eine deutsche Kopie bemüht64 • Danach müßte man also für Ingolstadt der rudolfinischen Urkunde als Textvorlage vor der albertinischen den Vorzug geben. Kink hatte jedoch mit seiner Behauptung wahrscheinlich unrecht. Im gleichen Band der Neuburger Kopialbücher, der die verschiedenen Entwürfe der Ingolstädter Stiftungsurkunde enthält, findet sich der Schlußteil einer kalligraphischen Abschrift der albertinischen Stiftungsurkunde, und zwar in deutscher Sprache65 ; ihr schließt sich eine von Kink gedruckte herzogliche Urkunde aus dem Jahre 1405 an66• Der ganze eingeheftete Faszikel ist mit roten Titeln im Zusammenhang von einer Hand des 15. Jahrhunderts geschrieben. Daß der Kopist eine lateinische Vorlage übersetzt hat, ist mehr als unwahrscheinlich. Diese deutsche Fassung der albertinischen Urkunde ist von den Autoren des Ingolstädter Stiftungsbriefs als Vorlage benutzt worden. Das wird weniger durch einen Textvergleich bewiesen, der auf Grund des nur erhaltenen Schlußteils der Abschrift nicht weiterhilft, sondern erstens durch den Überlieferungsort der Kopie und zweitens durch ein in einem anderen Band der Kopialbücher erhaltenes Konzept67, das in Stichpunkten und knappen Sätzen auf den ersten Blick einen Entwurf zum Ingolstädter Stiftungsbrief darzustellen scheint. Die genauere Untersuchung zeigt indessen, daß der Autor die Wiener, und zwar wiederum zweifelsfrei die albertinische Urkunde, Abschnitt für Abschnitt durchgelesen und zu dieser Lektüre Notizen gefertigt hat, die offenbar als Material zur Abfassung der Ingolstädter Urkunde dienen sollten. Die Mittelstellung zwischen der Vorlage und dem Ingolstädter Text ist eindeutig, wenn etwa bei den Nationen an erster Stelle die Österreichische 540-48 (45 f.); Zeile 558-94 (46 f.); 603-10 (53); 628-32 (51); 636-54 (52).Vgl. Anhang li.
Kink II 1 Anm. a). HStA NKB 10. 196 ff.; vgl. Anhang li. - Im Inhalt entspricht der deutschsprachige Text den lateinischen Partien Kink II 68 Zeile 9-71. 66 HStA NKB 10, 197-200, entspricht Kink II/1 Nr. 12. 67 HStA NKB 35, 25 f.; vgl. Anhang II 1. Der Vergleich mit der albertinischen Urkunde bei Kink li 49 ff. zeigt völlige Übereinstimmung in der Reihenfolge der Themen; der Verweis auf die Vorlage erübrigt sich deshalb im einzelnen. Umgekehrt zeigt der Vergleich mit der rudolfinischen Urkunde (Schlikenrieder 34 ff. und Kink li 1 ff.), daß diese als Vorlage nicht in Frage kommt. Daß der Autor des Konzepts die Anm. 65 beschriebene Kopie der albertinischen Urkunde benützt hat, wird sehr schön durch den Schlußsatz bewiesen, der offensichtlich auf die Anm. 66 erwähnte Urkunde von 1405 anspielt, die aus Zufall in der Kopie zu der albertinischen Urkunde gelangt sein muß. - Der Abdruck II/1 verzichtet auf Querverweise zur Ingolstädter Stiftungsurkunde (Prantl II Nr. 3); der Vergleich zeigt, daß die spätere Redaktion A dem Konzept nicht durchweg folgt, sondern manchmal die Reihenfolge verändert, verschiedene Punkte auch ganz wegläßt. Trotzdem hat das Konzept bei der Ausarbeitung der Stiftungsurkunde ganz unzweifelhaft vorgelegen. 64
65
li. Fremde Einflüsse
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durch die bayerische ersetzt wird, im weiteren aber neben der rheinischen und sächsischen auch die ungarische Nation übernommen werden soll. An ihre Stelle setzt die Erstfassung der Stiftungsurkunde als dritte Nation die fränkische 68• Es erübrigt sich, diese Vergleiche fortzusetzen. Legt man die albertinische Urkunde, das Konzept und die Ingolstädter Redaktion A nebeneinander, so liegt die Herkunft des Ingolstädter Textes klar zutage.
Mögliche Vermittlungswege des Wiener Einflusses Viel schwerer ist naturgemäß die Frage nach der Person des Vermittlers und dem Weg der Übermittlung zu beantworten. Für die Entscheidung, sich am Vorbild der Österreichischen Nachbaruniversität zu orientieren, hatte zwar der Stifter denkbare Motive und Anlässe genug. Ein großer Teil der Landshuter gelehrten Räte unter der Regierung Ludwigs des Reichen69 waren ehemalige Studenten oder Graduierte der Universität Wien und also auch über deren rechtlichen Status und Verfassung mehr oder weniger genau unterrichtet. Von der Verfügung über solche Ratgeber führt allerdings zum Besitz von Privilegienkopien kaum ein gerader Weg. Eine Vermittlung von Hof zu Hof ist bei dem Charakter der gegenseitigen politischen Beziehungen nicht auszuschließen, aber wohl wenig wahrscheinlich70• Was die Wiener Universität selbst als denkbaren Adressaten einer herzoglich-landshutischen Bitte betrifft, so sollte Ingolstadt noch die Erfahrung machen, wie eifersüchtig sie gerade ihre privilegia ducalia hütete und vor Weiterverbreitung schützte. Es ist also eher an indirekte Vermittlungswege zu denken, und da darf die folgende Hypothese eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen. Im Jahre 1387 vermißte die Universität Wien im Inventar ihrer neugeschaffenen cista die rudolfinische Stiftungsurkunde von 1365; im folgenden Jahre fand sie sich im Besitz Berthold von Wehingens wieder, Bischof von Freising und Kanzler der Universität71 • Kurz nach Herzog Rudolfs Tod war das Dokument zwei Jahre lang in der Stefanskirche öffentlich ausgestellt worden, um, da man bereits an eine Revision des ursprünglichen Stiftungsplans dachte, den beteiligten Seiten Gelegenheit zu sorgfältiger Kenntnisnahme zu geben. Damals oder später, in jener unruhigen Frühzeit der Wiener Universität, hatte Wehingen die Vgl. Anhang II 1 und Prantl II 13 f. Vgl. die wertvollen Aufsätze von H. Lieberich, Die Gelehrten Räte, und Klerus und Laienwelt mit alphabetischen Zusammenstellungen im Anhang. 70 Vgl. neben den Standardwerken zur bayrischen Geschichte (Riezler, Doeberl, jetzt Spindler) die Monographie Kluckhohns, Ludwig der Reiche. 71 K. Schrauf, Zur Geschichte des Wiener Universitätsarchivs 739 ff. 68
69
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2. Kapitel: Einordnung der Gründungsverfassung
Urkunde an sich genommen, um sie für die Universität zu bewahren, der das Original im Jahre 1388 wieder zugestellt wurde72 • Es könnte danach nicht weiter überraschen, wenn sich Kopien der Wiener Privilegien in der Bibliothek des Bischofs von Freising nachweisen ließen. Nun besitzt die Münchener Staatsbibliothek einen in Klosterneuburg geschriebenen Codex73 , der auf der Innenseite des Dekkels das Wappenbild des Bischofs Johann Franz von Freising mit der Jahreszahl1696 trägt, aber aus dem 15. Jahrhundert stammt. Er enthält -neben anderen Stücken- Abschriften verschiedener Wiener Universitätsdokumente, darunter die albertinische (nicht die rudolfinische) Stiftungsurkunde74 • Von Wien nach Freising gelangt, war für eine solche Kopi€ der Weg nach Landshut nicht mehr eigentlich ein Problem. Den zeitgenössischen Bischof Johann Tulbeck, selbst Wiener Student, nennt Herzog Ludwig in der Stiftungsurkunde seinen besanderliehen frund 15• Hier muß aber vor allem ein Mann erwähnt werden, der als gelehrter Rat an den Gründungsvorbereitungen für die Ingolstädter Universität möglicherweise den größten Anteil gehabt hat, ohne daß sich etwas Genaues davon nachweisen ließe. Föedrich Mauerkircher76 hatte in Wien studiert, später die juristische Doktorwürde erworben, und gelangte im Dienst Herzog Ludwigs nicht nur in den Besitz mehrerer Pfründen, sondern 1479 zum Kanzleramt und im gleichen Jahr auch auf den Passauer Bischofsstuhl. Die Stiftungsurkunde von 1472 nennt ihn nach Martin Mairunter den Anwesenden der Eröffnungsfeier. Drei Jahre später bemühte er sich in Rom um drei neue Privilegien für die Universität77• 1488- drei Jahre nach seinem Tod- wird er als Verfasser einer Ingolstädter Unterrichtsordnung 72 Schrauf; vgl. auch P. Uiblein, Die Österreichischen Landesfürsten und die Wiener Universität im MA 386 f. sowie vom gleichen Verfasser: Beiträge zur Frühgeschichte der Universität Wien 305.- Über Wehingen vgl. auch die von Uiblein herausgegebenen Acta facultatis artium universitatis Vindobonensis 1385--1416 (1968). Wehingen war 1374 Rektor der Prager Juristenuniversität, vor 1377 Rektor der Universität Wien, 1377-82 Propst von St. Stefan (und also Kanzler der Universität), von 1381 an Bischof von Freising, 1404-6 Erzbischof von Salzburg, gestorben 1410. Neben seinen kirchlichen Würden war er herzoglicher Kanzler. 73 StB Clm. 6749 (alte Signatur: cod. Frisingensis 551), auf der Innenseite des Deckels Wappenbild des Bischofs Johann Franz von Freising aus dem Jahre 1696. 74 StB Clm. 6749, 11 ff.; daneben das Statutengebungsprivileg Herzog Albrechts III. vom 5. 10. 1384 (Kink II 72 ff.), die Statuten von 1385 u. a.; f. 33 ff. folgt ein völlig anderer Text. 75 Prantl II 37; vgl. zu Tulbeck Lieberich, Gelehrte Räte 165. 76 Schrenk, Zwei Kanzler aus Braunau 313 f. sowie Lieberich, Gelehrte Räte 176 f. 77 Prantl II Nr. 8.
I I. Fremde Einflüsse
59
genannt78. Das ist alles, was sich über seine Tätigkeit im Zusammenhang mit der Universitätsgeschichte feststellen läßt. Wenn es genügt, ihm eine gewisse Zuständigkeit für die Universitätssachen zuzuerkennen, so wird man ihm auch mit hoher Wahrscheinlichkeit eine führende Rolle im Gründungsgeschehen von 1472 zubilligen müssen. Unter seinen Pfründen befand sich auch ein Freisinger Kanonikat. Auch die Linie Wien-Regensburg-Landshut kämme wohl für die Übermittlung der Wiener Privilegien theoretisch in Betracht. Seit 1434 waren die Regensburger Bischöfe Konservatoren der Wiener Universität79 und besaßen in dieser Eigenschaft mit einiger Wahrscheinlichkeit Kopien der Wiener Gründungsurkunden. Aus dem Regensburger Schottenkloster stammt von der Hand des Andreas von Regensburg ein Codex80, in dem die lateinische Fassung der albertinischen Urkunde exzerpiert worden ist und der also darauf deuten könnte, daß diese Urkunde in Regensburg irgendwo zur Verfügung stand. Bischof Heinrich von Absberg, ebenfalls Wiener Student, befand sich wie sein Fr.eisinger Kollege seit 1460 im Ratsverhältnis zu Herzog Ludwig von Landshut81. Sein Weihbischhof Johann Ludovici, Titularbischof von Jerusalem, hatte in Wien studiert und war 1461 dort als Studienpräfekt tätig gewesen82. Er wird, auch er Rat des Landshuter Herzogs, unter den Gästen der Eröffnungsfeier genannt, ließ sich wenig später immatrikulieren und übernahm die vorerst einzige Professur und das Dekanat in der theologischen Fakultät, bis er nach der Promotion Johann Permeters von Adorf Ingolstadt wieder verlassen zu haben scheint83. Eine andere Verbindungslinie führt von Regensburg geradewegs in die herzoglich-landshutische Kanzlei, aus der ja die verschiedenen Fassungen der Ingolstädter Stiftungsurkunde unmittelbar hervorgegangen sein müssen. Der Kanzler Michael Riederer, noch vorMairund Mauerkireher unter den Gästen der Eröffnungsfeier aufgeführt, hatte die Regensburger Dompropstei als Pfründe inne84 • Übrigens war auch er wie Mauerkireher ein ehemaliger Wiener Student und Magister. Soviel über mögliche Wege der Vermittlung der Wiener Privilegien, deren eines- die albertinische Urkunde- nachweislich als Vorlage für die Erstfassung der Ingolstädter Stiftungsurkunde gedient hat.
Das weitere Schicksal des Wiener Einflusses Die beiden Verweise auf Wien enthält die Stiftungsurkunde nur in ihren älteren Fassungen. Die zweite, weniger wichtige, fiel einer Strei78 79 80 81 82 ss 84
Prantl II 99. Kink II 278. StB Clm. 903, 12: "Incipiunt privilegia universitatis Wiennensis". Lieberich, Gelehrte Räte 153. Lieberich, Gelehrte Räte 174. Prantl II 37; Mederer I 4, 6 f. Lieberich, Gelehrte Räte 181; Prantl 11 38.
2. Kapitel: Einordnung der Gründungsverfassung
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chung in der Korrektur von B zum Opfer, die einen größeren Abschnitt betraf und deshalb hier ohne Interesse ist85 • Die Berufung auf ordnung und gewonhait der Universität Wien in der Einleitung wurde von der Redaktion D weggelassen86, auffälligerweise aber nicht im Zuge einer größeren Streichung, sondern für sich allein und also mit Bedeutung. Eine Abschwächung des Wiener Einflusses läßt sich durch die sukzessiven Fassungen der Stiftungsurkunde hindurch zunächst in einem buchstäblichen Sinn beobachten: die Höhe der für Verbrechen gegen Studenten angedrohten Geldstrafen entsprach in A genau den Wiener Zahlen, um dann von Korrektur zu Korrektur allmählich reduziert zu werden87 • Was jedoch die Orientierung an Verfassung und innerer Einrichtung der Wiener Universität betrifft, die in der Erstfassung der Stiftungsurkunde eine so beherrschende Rolle gespielt hatte, so erfuhr sie nicht eine allmähliche Abschwächung, sondern eine plötzliche Tilgung. In der Korrektur von B (B') fiel der gesamte, eng an die albertinische Urkunde angelehnte Abschnitt über die Nationenteilung, die Prokuratoren und die Rektorwahl der Streichung anheim88 • Der Stifter entfernte sich hier von seiner Vorlage nicht mehr nur im Text und in Einzelheiten, sondern sachlich und von Grund auf. Mit der Streichung jenes Einleitungssatzes zog D aus den vorangegangenen Korrekturen die Konsequenz: es konnte tatsächlich nicht mehr die Rede davon sein, daß man in Ingolstadt nach der Wiener Ordnung leben würde. Die Abkehr von Wien fällt zeitlich und sachlich mit jener großen Revision des ursprünglichen Verfassungsplans zusammen, die nach den Ergebnissen des vorigen Kapitels praktisch-provisorisch auf einen Zeitpunkt kurz nach Eröffnung des Vorlesungsbetriebs im März, grundsätzlich und endgültig auf Mitte Juni 1472 datiert werden kann89 • Es stellt sich nun die Frage, ob diese Neuorientierung als eine Wendung zur Selbständigkeit zu verstehen ist, oder ob Wien in der Rolle der Musteruniversität von einem anderen fremden Einfluß verdrängt worden ist. Bevor darauf eine Antwort gesucht werden soll, sei aber zunächst der Einfluß Wiens auf Ingolstadt in der Folgezeit überblicksweise dargestellt. Prantl li 24. Prantl li 11. 87 Eine an Studenten begangene Verstümmelung kostete den Täter in A (wie in Wien) 100 Mark Silber, in C 50, in D 28; würde der Student an einer erlittenen Körperverletzung lahm, so hatte der Täter nach A (wie in Wien) 60, nach B 32 Mark Silber, nach C 20 Pfund zu zahlen. Trat keine Lähmung ein, so forderte A (wie Wien) 40, B 20, C 10 Pfund (Prantl II Zeile 563 ff., Schlikenrieder 46 f.). An Studenten verübter Totschlag kostete in A (und Wien) den Täter seinen gesamten Lehens- und Eigentumsbesitz; in B behielt die Ehefrau des Täters Mitgift und Morgengabe, der Erbe ein Drittel des liegenden Guts (Prantl II 553 ff., Schlikenrieder 45 f.). s8 Prantl II Zeile 78-124. 89 Vgl. Kap. 1. 85 86
II. Fremde Einflüsse
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Der Anteil Wiener Scholaren an den Immatrikulationen des Gründungsjahres scheint nicht sehr beträchtlich. Durch jenen von Hartmann Sehedei überlieferten Brief Herzog Ludwigs von Anfang Juni 147290 ist bekannt, daß der Stifter sich um di.e Anwerbung von zwei Theologen, einem Mediziner und zwei Artisten in Wien bemüht hatte. Diese Berufungsverhandlungen waren nur zum kleineren Teil erfolgreich. Am angekündigten Ankunftstag ließ sich der Mediziner J ohannes Trost immatrikulieren, dessen Herkunft aus Wien nicht sicher ist, weil sein Name in der dortigen Matrikel fehlt. Die am folgenden Tag immatrikulierten beiden Magister Martin Prenninger und Heinrich Pfeilschmid mögen mit den angekündigten duo famosi magistri der via moderna identisch sein; Pfeilschmid war 1459, Prenninger 1465 in Wien immatrikuliert worden°1• Ihnen folgte im Oktober der Magister Wolfgang Federkiel92 ; schon vor ihnen war zu Anfang Juni der Ingolstädter Geor.g Wurm, ebenfalls aus Wien kommend, eingetragen worden. Die Ankunft der beiden Theologen dagegen kam nicht zustande. Der erste und einzige immatrikulierte Theologe des Gründungsjahres war der schon erwähnte Regensburger Weihbischof Johann Ludovici93 ; sein Name steht unter dem 3. 7. in der Matrikel. Wenn er auch in Wien studiert hatte, so wird man in ihm doch schwerlich einen der verheißenen famosissimi doctores Wiennnenses sehen dürfen. Wahrscheinlicher ist seine Immatrikulation ein Zeichen dafür, daß sich die Berufung der Wiener Doktoren zu diesem Zeitpunkt bereits zerschlagen hatte, und daß Ludovici sich durch den Herzog dazu bewegen ließ, für sie als Ersatz in die Lücke zu springen. Sobald er mit der Promotion Johann Adorfs für Nachwuchs gesorgt hatte, zog er sich denn auch im folgenden Jahr wieder von der Universität zurück94 • Die Statuten des Gründungsjahres weisen, nachdem sie in ihrem Verfassungsentwurf dem Wiener Beispiel nicht folgten, auch textlich keine Abhängigkeit von einer Wiener Vorlage auf. Gewisse Wortanklänge lassen sich ausreichend anders erklären; sie sind, worüber gleich näher zu handeln sein wird, auf den Einfluß Kölns zurückzuführen. Die theologischen Falkultätsstatuten freilich sind über weite Teile eine Abschrift derjenigen Wiens, stammen aber erst aus dem Jahre 147595 • Dagegen sind die ältesten Statuten der Artisten, wenngleich undatiert, mit großer Wahrscheinlichkeit noch im Jahre 1472, jedoch wohl Anhang II 3. Über Prenninger vgl. Kap. 3 Anm. 108. Imm. Wien 1462, Ing. 5. 10. 1472, Kollegiat, 1485 dr. theol. Georg Wurm imm. Wien SS 1464, Ing. 2. 6. 1472. 93 Vgl. oben Anm. 82. 94 Mederer I 6 f. nach dem Bericht Adorfs im theologischen Dekanatsbuch UA Georg. III/11 I. 95 Prantl II Nr. 7 und Kink II 93 ff. 90 91
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2. Kapitel: Einordnung der Gründungsverfassung
erst nach den allgemeinen Statuten entstanden96 • Sie sind textlich zum geringeren Teil von Leipzig, zum größeren von Wien abhängig97 • Als Vorlagen erkennbar sind die ältesten Wiener Fakultätsstatuten von 1385, dann die "Statuta concernentia pacem et disciplinam suppositarum facultatis artium in speciali" vom 8. 10. 1413, schließlich weitere Disziplinarstatuten der Wiener Artisten vom 13.7.141498 • Die Textabhängigkeit ist so eng und erstreckt sich über so weite Partien, daß eine schriftliche Vorlage mit Sicherheit angenommen werden muß, als deren Überbringer einer der .genannten Wiener Magister in Frage kommt. Für die Ingolstädter Gründungsverfassung ist also der Wiener Einfluß textlich und sachlich gering zu veranschlagen, eine Tochterschaft Ingolstadts im Verhältnis zu Wien schwerlich zu behaupten. So hat allerdings Rotmarseine Bemerkung auch schwerlich gemeint. Nachdem der NameWiensund die Berufung auf seine Einrichtungen aus der herzoglichen Stiftungsurkunde verschwunden waren, blieb ja noch immer die päpstliche Stiftungsbulle übrig und in ihr die Zusicherung, daß die Universität Ingolstadt hinsichtlich ihrer Freiheit nach außen der Wiener Universität in allen Stücken gleichgestellt sein sollte. Dieser Grundsatz war es, der die Beziehungen zwischen den beiden Universitäten in der Folgezeit beleben und bestimmen sollte. Er wurde aus Anlaß der unter der Regierung Albrechts IV. aufflammenden Auseinandersetzungen mit den Städtern entdeckt und veranlaßte die Universität in den folgenden Jahren zu mehrfachen, stets ergebnislos bleibenden Versuchen, von den Wiener Kollegen Abschriften ihrer Privilegien, vornehmlich der privilegia pontificia zu erlangena9 • Erst 1552 bewegte die Vermittlung des in Ingolstadt promovierten Wolfgang Lazius die Wiener zum Nachgeben und zur Mitteilung ihrer Papsturkunden, nicht aber der privilegia ducalia 100• Diese Übersendung war für die Ingolstädter Universitätsgeschichte in doppelter Hinsicht folgenreich. Erstens ging offenbar von ihr das nun mehr und mehr in der Universität durchdringende "klerikale" Selbstverständnis aus, das unter Wilhelm V. dann auch vom Staat anerkannt wurde101 • Zweitens ermutigten die Wiener Urkunden die Universität zu dem Versuch, innerhalb der Kirche und auf Kosten des Diözesanseinen exempter.e n Status für sich zu beanspruchen102• In den Verhandlungen, die dem Eichstätter Konkordat von 1584 vorausgingen, Mederer IV 69 ff.; vgl. Kap. 1 Anm. 92. Vgl. unten Anm. 112. 98 Kink li 170 ff., 248 ff., 256 ff. 99 Ein zusammenhängender Aktenbericht über die Ingolstädter Bemühungen um die Privilegien Wiens vgl. Anhang 111. 1oo UA B V 2; vgl. Anhang III. 1 01 Vgl. Kap. 11 Anm. 10 f . 102 Vgl. Kap. 10 Abschnitt I. 96 97
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spielte unter den Argumenten der Universität immer wieder die Berufung auf ein Wiener Privileg die entscheidende Rolle103• Inzwischen hatten die Reformarbeiten des Jahres 1555, besonders aber die Berufungsverhandlungen mit den Jesuiten auch in anderen Beziehungen zu einer Belebung des Wiener Einflusses geführt104• Mit dem Amt des Superintendenten - und seiner textlich stark von Wien abhängigen Instruktion - gelangte eine Wiener Institution zwar nicht in die Statuten, aber in die Verfassung der Ingolstädter Universitätt 05• Die "Reformation" von 1555 bzw. 1562 verrät verschiedentlich Anleihen bei der Wiener "Reformation" von 1554106• 2. Der Einfluß der Universität Leipzig
Wie die Stiftungsurkunde in den privilegia ducalia der Universität Wien, so hatten auch die Statuten von 1472 eine direkte Textvorlage, als die sich die Statutenbücher der Universität Leipzig zu erkennen geben107• Von hier stammen mehrere größere und kleinere Abschnitte, die teils im Wortlaut, teils in enger sprachlicher Anlehnung übernommen wurden; darunter ·etwa der Passus über die Qualifikation des Rektors, über die archa und eine längere Reihe von Jurisdiktions- und Disziplinarbestimmungen108. Die Leipziger Statuten von 1410 sind ihrerseits eine sehr enge Nachbildung derjenigen Prags von 1384109• Die Universität Prag war freilich zum Zeitpunkt der Ingolstädter Gründung aus dem Verband der deutschen Universitätsgeschichte ausgeschieden; eine Verbindungslini~ von Ingolstadt nach Prag wäre nur schwer vorstellbar. Aber es bedarf dieser Überlegung nicht, um die Textquelle der Ingolstädter Gründungsstatuten in Leipzig und nicht in Prag zu suchen. Ihr Text bietet dafür genügend Anhaltspunkte, indem er den Leipziger Statuten in ihren Abweichungen vom Prager Wortlaut durchweg folgt, und zwar in den Streichungen sowohl wie in den Hinzufügungen110• Darüber hinaus findet Vgl. Kap. lO Anm. 41 ff. Vgl. Kap. 4 Abschnitt II. 105 Vgl. Kap. 8 III 1o6 Vgl. Kap. 4 Anm. 68. 107 Zarncke, Statutenbücher der Universität Leipzig; dort die Statutenredaktion von 1410 (48 ff.) sowie die Zusatzstatuten von 1412 (54 f.), 1422 (55 ff.), 1440 (58) und 1458 (59). 108 Vgl. die Statuten Anhang I mit den Quellennachweisen. 109 Monumenta historica univ. Pragensis III 1 ff.; vgl. oben Anm. 33. uo Zum Vergleich: 1oa 1o'
Prag § 9 Leipzig § 6 Duo sint eligendi, qui habeant claves Duo sint eligendi, qui habeant claves ad archam universitatis . . . ad archam seu cistarn universitatis ... Vgl. dazu Anhang I den entspr. Abschnitt. DerLeipzigerSatz "praedicti" bis "scripto" am Ende dieses Abschnittes fehlt in Prag ganz. - In einer Streichung
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2. Kapitel: Einordnung der Gründungsverfassung
sich für eine Reihe von Disziplinarbestimmungen der Ingolstädter Statuten nur in Leipziger Zusatz- und Einzelstatuten der Jahre 1412, 1422 und 1440 eine Vorlage, die von Prag unabhängig sind111 • Diese Beobachtung wirkt um so überraschender, als in der bisherigen Literatur von einem Leipziger Beitrag zur Ingolstädter Gründungsgeschichte nie die Rede war. Sie wird aber durch eine genauere Untersuchung d€r artistischen Fakultätsstatuten bestätigt, die zwar zum größeren Teil und in stärkerem Maße den Wiener Fakultätsstatuten verpflichtet sind, daneben zweitens in ihrem einleitenden Teil einen noch darzustellenden einheimischen Traditionszweig r.e präsentieren, schließlich aber auch einen gewissen, durch mündliche Überlieferung erklärbaren Leipziger Einfluß ausweisen112 • Für die erst 1475 entstandenen theologischen Fakultätsstatuten hat Prantl richtig erkannt, wenn auch übertrieben formuliert, daß sie die "Kopie" der entsprechenden Wiener Satzung aus dem Jahre 1386 darstellen113. Nach Angabe der von Prantl mit dem eigentlichen Text gedruckten Transsumtionsurkunde wurden die Statuten, nachdem sie von den Doktor€n der Fakultät verfaßt und vom Herzog bestätigt worden waren, am 11. Oktober 1475 unter dem Dekanat Georg Zingels aus einem umfassenden Statutenbuch der Universität für den Gebrauch der Fakultät abgeschrieben114• Im theologischen Dekanatsbuch fehlt ein entsprechender Hinweis; der Narratio des Transsumpts widerspricht aber eine Eintragung unter dem folgenden Dekanat Johann Ador fs, wonach die Fakultät erst am 8. Februar 1476 durch mündlichen Bescheid Martin Mairs die Konfirmation für ihre statuta dudum antea et concepta et ad examinandum presentata erhielt115• Wie dem immer sei, mit dem Namen folgt Ingolstadt der Leipziger Vorlage z. B. im Abschnitt "De jurisdictione et officio rectoris"; Prag hat dort (§ 7): " ... extunc trium dierum monitione praemissa a rectore, quae per bedellum in scholis singulis publicabitur, in congregatione .. ." 111 Vgl. oben Anm. 107 und Anhang I. 112 Folgende Abschnitte der artistischen Fakultätsstatuten zeigen Leipziger Einfluß: Mederer IV 73 "Ad quid" (Zarncke 382), 78 "De pronunciationibus" (Zarncke 392), 79 "Ad quid" (Zarncke 387), 80 "De moribus" (Zarncke 401), 88 "Ubi supposita" (Zarncke 332, 354, 407), 91 "De examinibus" (Zarncke 384, 402), 92 Eid der Bakkalare (Zarncke 409).- Vgl. auch oben Anm. 97. 11a Vgl. oben Anm. 95. 114 Prantl II Nr. 7. 115 UA Georg. III/11 I, 6': "Anno quo supra (sc. 1476) die vero Februarij octava facultatis theologice statuta dudum antea et concepta et ad examinandum presentata per principem, ut ex ore domini doctoris Martini Mayeri tune facultas recepit, fuerunt confirmata, facultate tarnen revocandi principi reservata". - Im Unterschied zu den offenbar später nachgetragenen Protokollen über die ersten Semester der Fakultät wurde diese Eintragung sicherlich schon simultan vorgenommen, so daß ein größerer Irrtum in der Datierung ausscheidet. Dagegen heißt es im Protokoll der Statutenurkunde (Prantl II 54 f.), Georg Zingel habe am 11. 10. 1475 "chartam papiri foliatarn in se continentem praedictae facultatis ordinationes et statuta per dominos doctores plenum et
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Zing.els, der im Frühjahr 1475 aus Wien nach Ingolstadt kam, um die bisher von Adorf allein repräsentierte Fakultät zu ergänzen, ist für die enge Textverwandtschaft der Ingolstädter und Wiener Fakultätsstatuten eine unkomplizierte Erklärungsmöglichkeit gegeben, ebenso übrigens für das späte Entstehungsdatum dieses Statutenwerks116• Nicht der ganze Text der theologischen Satzung ist aber von der Wiener Vorlage ableitbar. Eine weitere Textquelle wäre vermutlich nicht erkennbar, wenn nicht im Dekanatsbuch eine ältere, nur für die Regelung der Promotionen bestimmte, aus ganzen vier Titeln bestehende Fakultätssatzung überliefert wäre, die in die Fassung von 1475 mit eingearbeitet worden ist117• Diese ältesten Statuten wurden nach Mitteilung des ersten Dekans Johann Adorf am 7. Februar 1473 von den damals provisorisch die Fakultät konstituierenden Doktoren Ludovici, Heberer und Braun verabschiedet, um für die unmittelbar folgende Promotion Adorfs eine gesetzliche Regelung zu schaffen118• Man begnügte sich deshalb mit Anordnungen für die Lizenz- und Doktorprüfung. Diese alten Statuten lehnen sich im Text sehr eng an die theologische Fakultätssatzung der Universität Leipzig an119, als deren Übermittler neben dem Hauptbeteiligten an jenen Fakultätshandlungen des Frühjahrs 1473, Johann Permeter von Adorf, auch einer seiner drei Promotoren, nämlich der ebenfalls aus Leipzig übersiedelte, aber vielleicht aus Altersgründen in Ingolstadt zu keiner Professur gelangende Johann Heberer aus Bamberg in Frage kommt120• In den allgemeinen Statuten sind die Textparallelen zwischen Ingolstadt und Leipzig so deutlich und so eng, daß man die schriftliche Vorlage der Leipziger Statuten für notwendig halten möchte121 • Gewiß ist grundsätzlich auch eine mündliche Textüberlieferung immer denkbar. perfeeturn collegium eiusdem facultatis rite et legitime confecta et condita atque per illustrissimum principem ... confirmata et approbata, ut asseruit" beigebracht und durch den Notar transsumieren lassen. 116 Georg Zingel: imm. Wien SS 1458, Ing. 1475, theol. Professor und Vizekanzler, gest. 1508. 117 UA Georg. III/11 I, 3'. 118 UA Georg. III/11 I, 3 (7. 2. 1473): ,.Hi tres (sc. Ludovici, Heberer, Braun) facultatem theologicam tune representantes unanimi concordique consensu notulas statutorum subscriptorum per eos conceptas et conclusas per principem confirmari obtinuerunt, quorum statutorum de verbo ad verbum talis est tenor." 119 Vgl. Zarncke 553 f. 120 Die Leipziger Matrikel verzeichnet einen Johann Heberer von Bamberg, imm. im WS 1439, Rektor SS 1452 und lic. theol. 1456, der aber im SS 1461 als gestorben gemeldet wird. Ein Dr. theol. gleichen Namens wird am 4. 2. 1473 von Johannes Ludovici in die theologische Fakultät kooptiert, wo er allerdings nur zur Promotion Adorfs benötigt wurde, um später nicht mehr erwähnt zu werden. Vgl. UA Georg. III/11 I, 3 und Mederer I 6. 121 Vgl. Anhang I. 5 Seifert
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Die vorgeschriebenen periodischen Statutenlesungen - in Leipzig waren es sogar vier im Jahr, während man es sonst in der Regel bei zweien bewenden ließ - mußten ohne weiteres dazu führen, daß besonders die älteren Magister .ganze Statutenpartien aus dem Gedächtnis herzusagen vermochten. Hier liegt gewiß eine Erklärungsmöglichkeit für Wortanklänge, die bei einem Statutenvergleich häufig auffallen, ohne sich bis zur bestimmten Parallele zu verdichten. Im vorliegenden Fall scheint aber, wie gesagt, die Vorlage einer Leipziger Kopie die außerordentlich enge Textverwandschaft am besten zu erklären. Sich den Übermittlungsweg einer solchen Kopie vorzustellen, macht keine Schwierigkeit. Bei einer Untersuchung der Ingolstädter Immatrikulation des ersten Halbjahres 1472 fällt der außerordentlich starke Anteil Leipziger Magister ins Auge. In den vier Monaten bis zur Eröffnungsfeier am 26. Juni wurden nicht weniger als 15 Magister in die Matrikel eingeschrieben, die entweder direkt aus Leipzig kamen oder doch vorher dort studiert hatten. Das ist bei weitem die stärkste "landsmannschaftliche" Fraktion dieser Gründungsperiode, und sie stellt etwa den Wiener Anteil weit in den Schatten. Die Bedeutung dieses Zuzugs zeigt sich erst ganz, wenn man die statistische Erhebung durch eine personalgeschichtliche Untersuchung ergänzt. Leipziger Magister war der erste Ingolstädter Rektor und Kämmerer Christoph Mendel von Steinfels122 ; er hatte 1466 bei den Leipziger Artisten promoviert und läßt sich noch zwei Jahre später dort nachweisen, bevor er zur juristischen Promotion wohl nach Italien zog und sich am 31. 5. 1472 als Doktor der kaiserlichen Rechte in Ingolstadt immatrikulieren ließ. Später Domherr in Eichstätt und Kanzler in Salzburg, starb er als Bischof von Chiemsee123• Auch sein Nachfolger im Rektorat, der als Humanistenfreund und Astronom renommierte Johann Tolhopf von Kemnat124, hatte in Leipzig studiert und das Magisterium erworben. Von Herzog Ludwig auf eine Kollegiatur gesetzt, ging er 1474 überraschend für kurze Zeit nach Leipzig zurück und bekleidete dort das Rektorat. 122 Imm. Leipzig SS 1463, mag. WS 1466; noch erwähnt Juni 1468 als mag. (Stübel 180); imm. Ingolstadt 31. 5.1472, Rektor 25. 7. 1472. - Vgl. Simbeck, Christoph Mendel von Steinfels. 123 1476 aspirierte er vergeblich auf die von Georg Mayer behauptete Moritzpfarre, erlangte 1480 ein Eichstätter Kanonikat (nicht das Universitätskanonikat), wurde 1481 Generalvikar; widersetzte sich später erfolglos der Bischofswahl Gabriel von Eybs, wurde 1499 Kanzler des Erzbischofs von Salzburg und 1502 Bischof von Chiemsee. 124 Imm. Leipzig SS 1465, mag. WS 1468, Rektor SS 1474; imm. Ingolstadt 18. 3. 1472, Rektor SS 1473. Vgl. Bauch 5 ff. sowie H. Rupprich, der Briefwechsel des Konrad Celtis 61 Anm. 1. 1475 trat T. als Parteigänger der ,.antiqui" in Erscheinung (Prantl II 72).
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Bedeutender noch für die Ingolstäder Universitätsgeschichte war Johann Permeter von Adorf125, der seit 1453 in Leipzig die artes, dann nach Erwerb des Magisteriums Theologie studiert und es bis zum baccalarius formatus gebracht hatte. Vielfach in artistischen Fakultätsämtern erwähnt, war er im Sommer 1468 auch Rektor gewesen. Principis literis vocatus (wie Rotmar schreibt) ließ sich Adorf am 13. April 1472 in die Ingolstädter Matrikel einschreiben. Die Motive dieser Übersiedlung lassen sich unschwer erraten. Sententiar seit 1465, hätte Adorf schon 1469 die Lizenz haben sollen; er besaß sie noch nicht im Jahre 1472. Im Februar 1473 aber wurde er in Ingolstadt in einem Eilverfahren unter Anteilnahme des Herzogs zum Doktor promoviert und sogleich zum Frauenpfarrer und Professor ernannt126• Bis zu seinem Tod 1505 behauptete er zur allgemeinen Zufriedenheit diese doppelte Stellung. Eine Karriere, die ihm in Leipzig - vielleicht aus finanziellen Gründen verschlossen war, hatte sich ihm rasch an der neugegründeten Universität eröffnet. War sie ihm versprochen oder durfte er sie sich nur erhoffen, -das freilich läßt sich nicht mehr feststellen. Innerhalb des Ingolstädter Lehrkörpers erscheint Adorf als eine pflichteifrige, eher durchschnittliche als außergewöhnliche Professorenpersönlichkeit. Er hat, wie sich aus dem Fakultätsturnus und der schwachen Besetzung seiner Fakultät ergab, viele Male das Rektorat und noch öfter das theologische Dekanat bekleidet. Gelegentlich gibt er sich- wie übrigens die meisten anderen seiner Leipziger Kollegen - als alter Anhänger und Parteigänger der antiqui zu erkennen127• Im Zusammenhang mit der Gründungsgeschichte wird sein Name nicht genannt, aber das will bei der Dürftigkeit der Quellen wenig besagen. Im Gefolge Adorfs ist neben Tolhopf auch Kilian Pflüger von Windsheim aus Leipzig nach Ingolstadt gekommen; 1466 hatte Adorf ihn in Leipzig als cursor präsentiert, 1476 erwarb er in Ingolstadt die Doktorwürde, ohne allerdings eine Professur zu erlangen128• 125 Imm. Leipzig WS 1453, mag. WS 1456, sent. 1465, Rektor SS 1468, Dekan (art.) WS 1470 als bac. form.- Vgl. Mederer I 6 ff. und weiter passim; Rotermund-Jöcher-Adelung Bd. V; Götz, die Grabsteine der Ingolstädter Frauenkirche 26 ff.; Rupprich 32 Anm. 2.- Die Vollstreckungsurkunde von Adorfs Testament in SHV Ingolstadt 10 (1885) 23. Vgl. auch Stübel318. 126 UA Georg. III/11 I, 3 ff.; nach dieser Quelle der Bericht bei Mederer I 6 f. 127 Prantl II 132 ff. (Befragung von 1497) sowie in seinem Testament. 128 Imm. Leipzig SS 1454, mag. WS 1460, cursor SS 1466; imm. Ingolstadt 18. 3. 1472, lic. theol. 6. 5. 1475, Dr. theol. 3. 4. 1476. -Unter den Erstimmatrikulierten sind weiter folgende Leipziger Magister zu erkennen: Ulricus Muratoris (imm. Leipzig WS 1463, mag. WS 1469, imm. Ing. 18. 3. 1472), Sigismund Wisenhofer (imm. Leipzig SS 1458, Ing. 18. 3. 1472), Jodocus Sartoris de Kirehheim (imm. Leipzig WS 1455, mag. SS 1464, imm. Ing. 20. 3. 1472), Andreas Lotzenhofer (imm. Leipzig SS 1463, Ing. 1. 4. 1472), Michael Vogt (imm. Leipzig WS 1458, Ing. 19. 5. 1472 zusammen mit Adorf), Samuel Caroch von Lichtenberg (imm. Leipzig WS 1462, Ing. 16. 4. 1472; vgl. Bauch 7), der Nürnberger Hermann Schedel, dazu die beiden Priester Friedrich Bernhard (imm. Leip-
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2. Kapitel: Einordnung der Gründungsverfassung
Der personelle Zuwachs, den die Ingolstädter Gründung schon in ihrer ersten Zeit aus Leipzig erfuhr, war also sowohl zahlenmäßig wie qualitativ bedeutsam. Es läßt sich unschwer vorstellen, daß von einem der genannten oder ungenannten Magister Statutentexte mit nach Ingolstadt gebracht worden sind, eigens zu diesem Zweck gefertigte Abschriften oder auch nur Exzerpte, die bei früherer Gelegenheit zu Amtsgebrauch gefertigt, in einem rapularius mitgeführt, bei der Ingolstädter Statutengebung als willkommene Arbeitsgrundlage dienen konnten. In Leipzig knüpfte Ingolstadt an diejenige der deutschen Texttraditionen an, die man die "italienische" nennen darf. Freilich war die Verfassung Bolognas noch in Prag den anders gearteten Bedingungen der deutschen Mehrfakultätenuniversität angepaßt worden; lediglich Einzelheiten und dazu größere Partien neutralen, toten Textmaterials blieben in den Statuten Prags und Leipzigs denjenigen Bolognas verpflichtet, und auch davon gelangte wiederum nur Vereinzeltes nach Ingolstadt. Der Leipziger Einfluß hat die Ingolstädter Verfassung nicht in ihren Grundlagen geprägt, die vielmehr von der herzoglichen Stiftungsurkunde vorgezeichnet waren und sich von denjenigen der Leipziger Nationenverfassung beträchtlich unterschieden. Diese Textvorlage vermag aber manche Einzelheit des Ingolstädter Statutentextes zu erklären, die ohne sie mißverstanden, weil wörtlich genommen werden könnte. Und schließlich ist diese Vorlage in einem Einzelpunkt, nämlich der Rektorqualifikation, für die weitere Ingolstädter Verfassungsgeschichte doch von einer gewissen Tragweite gewesen129• 3. Der Einfluß der Universität Köln
Neben Wien und Leipzig hat eine dritte deutsche Universität bei der Gründung Ingolstadts Pate gestanden: die Universität Köln. Von dort kam, soviel sich feststellen läßt, nur eine Persönlichkeit, deren Bedeutung für das Gründungsgeschehen aber hoch veranschlagt werden muß, an die neue bayerische Universität: der Kanonist Wilhelm Kyrmann von Werden130• Er hatte in Köln von 1450 an zunächst in der artistischen, dann in der juristischen Fakultät studiert und 1462 in P avia die Doktorwürde erworben. Bald nach seiner Rückkehr aus Italien und nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Heidelberg geriet er in einen scharfen Konflikt mit der Kölner Fakultät, die ihm seine ausländische Promozig SS 1453, Ing. 1. 6. 1472) und Konrad Kraus (imm. Leipzig WS 1451, Ing. 7. 6. 1472), beide aus Nürnberg und anscheinend ohne Grad. 129 Vgl. Kap. 7 Abschnitt III. 130 Vgl. H . Keussen, Wilhelm Kurmann von Werden, sowie vom selben Verf. Die alte Universität Köln 110, 208 f. - Imm. Köln 1450, mag. 1454, Dr. decr. Pavia 1462; imm. Ing. 26. 6.1472, Vizerektor 17.3.1472 (vgl. Matrikel Pölnitz 6 f.).
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tion nicht verzeihen und seine Berufung auf eine sogenannte städtische Professur nicht dulden wollte131 • Die Universität relegierte ihn und strengte an der Kurie einen Prozeß gegen ihn an, den Kyrmann im Jahre 1474 verlor, der aber schon zu Anfang der siebziger Jahre so schlecht für ihn gestanden haben muß, daß er, noch im halben Sold der Stadt Köln, sich entschloß, das Feld zu räumen. Vielleicht knüpfte er schon bei einer Romreise im Jahre 1469 die Kontakte zum Landshuter Hof an, die zu seiner Berufung auf eine Ingolstädter Professur führten. Am 17. März 1472 ernannte Herzog Ludwig diesen Mann zum Vize- · rektorder soeben eröffneten Universität Ingolstadt. Im vorigen Kapitel ist gezeigt worden, daß die Einrichtung dieser kornmissarischen Universitätsregierung im Zusammenhang mit der Preisgabe des ursprünglichen stifterliehen Verfassungsentwurfs gesehen werden muß; Kyrmanns Ernennung deutet darauf hin, daß er auf diese Entscheidung einen gewissen Einfluß geübt hat. Da nun jene Verfassungsrevision zugleich eine Abwendung von der Wiener Orientierung bedeutete, die die älteren Fassungen der Stiftungsurkunde so entscheidend geprägt hatte, kann man mit einiger Wahrscheinlichkeit schließen, daß das durch Kyrmann vertretene Kölner Verfassungsmodell die Kraft war, die den Wiener Einfluß aus dem Felde geschlagen und ersetzt hat. Die Nationenverfassung Leipzigs hätte diese Umorientierung naturgemäß nicht leisten können. Für diese Hypothese gibt es einige Anhaltspunkte. Einen Tag nach Eröffnung der Universität, also noch während des Vizerektorats WHhelm Kyrmanns, konstituierte sich am 27. Juni 1472 in seinem Hause die medizinische Fakultät und verabschiedete ihre ersten Fakultätsstatuten132. Über die Textprovenienz dieser Redaktion ist folgendes zu erkennen: Der etwa acht Paragraphen umfassende, die Organisation der Fakultät als solcher behandelnde Abschnitt ist anscheinend von keiner auswärtigen Vorlage abhängig, kehrt aber mit nur geringen Abweichungen sowohl in der artistischen (1472) wie in der ältesten juristischen Fakultätssatzung wieder133. Angesichts ihres frühen Entste131 Keussen, Wilhelm Kurmann 99 ff. - Bei Keussen, Die alte Universität Köln, 208 f. ein Portrait Kyrmanns mit der Unterschrift: "Wilhelmus de Werdena (Werthenau) (sie!), nobilis francus, jurisconsultus, primum professor jurium in academia Ingolstadiensi, deinde reipublicae Noribergensis ab a. 1478 ad a. 1496 consiliarius. Natus a ...., a. 1496." 1488 wird gesagt (Prantl II 96), Kyrmann habe seine Vorlesungstätigkeit "5 jar angetriben", er muß also etwa 1477 abgegangen sein (wahrscheinlich nach Nürnberg), steht aber 1478 wieder in der Ingolstädter Martikel (vgl. auch Mederer I 13); gestorben ist er entgegen der oben zitierten Angabe vor 1482 (UA F I 1, 74). 132 Prantl II 38 ff. (Nr. 4). 133 Die artistischen Fakultätsstatuten von 1472 bei Mederer IV 69 ff., die alte juristische Satzung gedruckt bei H. Wolff, Beiträge zur Geschichte der Juristenfakultät Ingolstadt; vgl. auch Kap. 1 Anm. 88 ff.- Folgende Konkordanz läßt sich aufstellen: med. St. § 1 = jur. St. § 1 = art. St. p. 70 (Konzils-
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2. Kapitel: Einordnung der Gründungsverfassung
hungsdatums könnte den medizinischen Statuten innerhalb dieser Textfamilie die Priorität zukommen, obwohl es gegen eine gleichzeitige Entstehung der Juristenstatuten ebenfalls kein Argument gibt. Für die artistische Satzung möchte man aus früher dargelegten Gründen einen etwas späteren Entstehungstermin und also Textabhängigkeit von einer der beiden anderen Satzungen annehmen. Dieser gemeinsame Einleitungsteil erinnert in Aufbau und Formulierung von ungefähr an die allgemeinen Statuten, die in ihrer entsprechenden Partie (Konzil und Rektor) ebenfalls unabhängig bzw. nur der herzoglichen Stiftungsurkunde verpflichtet sind134 ; die Vermutung liegt also nahe, daß dieser Teil der medizinischen (und juristischen) Fakultätsstatuten etwa gleichzeitig mit der Universitätssatzung und in Anlehnung an sie, vielleicht sogar von der gleichen statutengebenden Versammlung entworfen und dann von den anderen Fakultäten übernommen worden ist; er wäre danach eine selbständige Arbeit. Sobald sich die medizinischen Statuten (etwa von § 10 an) dem eigentlichen Unterrichts- und Promotionsbetrieb zuwenden, lehnen sie sich textlich eng an die Fakultätsstatuten der Kölner Mediziner an135• Überall, wo diese Abhängigkeit ganz klar ist, hört die Textverwandtschaft zu den Ingolstädter Juristenstatuten auf, was dagegen sprechen könnte, daß die letzteren die ersteren direkt als Vorlage benützt haben. Auch die Artisten haben mit den Medizinern ersichtlich nur solche Statutenpartien gemeinsam, die der Kölner Vorlage nicht entstammen. zusammensetzung); med. St. § 2 = jur. St. § 2 = art. St. p. 70 (conclusa consilii); med. St. § 3 = jur. St. § 3 = art. St. p. 71 (archa, sigillum); med. St. § 4 = (jur. St. § 4); med. St. § 6 = jur. St. § 7 = art. St. p. 72 (iuramentum decani); med. St. § 7 = (jur. St. § 8) = art. St. p. 71 (officium decani); med. St. § 8 = jur. St. § 11 = art. St. p. 74 (precedentia decani). Während im weiteren die artistischen Statuten eigene Wege gehen, gibt es zwischen medizinischen und juristischen Statuten auch weiterhin viele Entsprechungen, nämlich: med. St. § 9 = jur. St. § 11, med. St. § 14 = jur. St. § 14, § 16 = § 16, § 21 = § 17, § 23 = § 19; etwas weniger deutlich: § 11--§ 13, § 15 --§ 15, § 22--§ 20, § 32--§21, § 35--§ 22. -Die oben in Klammern gesetzten Paragraphen der juristischen Satzung sind dort über die Überschrift hinaus nicht ausgeführt. 184 Vgl. med. St. § 1 - Med. IV 59 (das Konzil und seine Zusammensetzung); med. St. § 2 - Med IV 65 (Verbindlichkeit der Konzilsbeschlüsse); med. St. § 3 - Med. IV 61 (über archa und Siegel, mit allerdings nur vagen Anklängen); med. St. § 5- Med. IV 59 (Dekan- bzw. Rektorwahl) usw. 135 Die medizinischen Fakultätsstatuten Kölns bei Bianco I Anhang 24 ff. Teilweise oder wörtlich kopiert sind die Ingolstädter Paragraphen 10-13, 17-19, 24, 27, 29-31. Der § 21 stimmt bis "contingat" mit dem juristischen Statuten (§ 17) überein, von da an folgt er der Kölner Vorlage. § 22 folgt der Kölner Vorlage bis "praesentetur" und stimmt dann wieder mit der juristischen Satzung überein. Diese Beobachtung würde, wenn sie sich verallgemeinern ließe, entweder auf eine gemeinsame Vorlage der juristischen und medizinischen Statuten deuten oder sogar auf einen Vorrang der ersteren, denn es wäre nicht einzusehen, warum die Juristen gerade die von Köln abhängigen Partien der medizinischen Statuten bei einer etwaigen Kopierung ausgelassen haben sollten.
II. Fremde Einflüsse
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Nach den geschilderten Entstehungsumständen gibt die Abhängigkeit der medizinischen Satzung von der - übrigens früher auch in Heidelberg übernommen136 - Kölner Vorlage keine Rätsel auf. Der Jurist Wilhelm Kyrmann als Gastgeber der statutengebenden Fakultätssitzung hat diese Vorlage aller Wahrscheinlichkeit nach mitgebracht oder vermittelt. Über Kyrmanns Mitwirkung an der Herstellung der Universitätsstatuten ist nichts zu ermitteln. Es wird berichtet, daß er, wohl bald nach seiner Einsetzung, gewisse vom Herzog "avisierte" Statuten publiziert habe, die später durch die erhaltene Statutenredaktion verdrängt und ersetzt wurden137• Sicher dürfte sein, daß Kyrmann als führendem Mann der Universität, dazu als weitgereistem Kenner der europäischen Universitäten und als gelehrtem Juristen ein entscheidender Anteil an der Ausarbeitung der Gründungsverfassung zugesprochen werden muß. Textlich scheinen die Gründungsstatuten in bestimmtem Maße von den Statuten Kölns beeinfiußt worden zu sein, ohne daß sich diese Abhängigkeit mit derjenigen von der Leipziger Vorlage messen könntem. Mehrere dieser Textparallelen sind in den Statuten Kölns und Wiens in gleichem Wortlaut enthalten, sodaß man also zweifeln könnte, wo die Ingolstädter Vorlage zu suchen ist; an einigen Stellen jedoch weicht Köln von seiner Wiener Vorlage ab, und Ingolstadt folgt ihm darin189• Die Vorlage einer Kölner Statutenkopie möchte man jedoch nicht für notwendig halten, dazu sind die Parallelen wieder nicht eng genug. Kyrmann, der längere Zeit in Köln zum Kreis der Konzilsberechtigten gehört hat, wird die Kölner Satzung .gut genug gekannt haben, um gerade die wichtigeren Abschnitte aus dem Gedächtnis wiedergeben zu können. In der Sache steht die lngolstädter Gründungsverfassung derjenigen Kölns recht nahe. Wie Ingolstadt hatte Köln im Gegensatz zu Wien die Nationengliederung aufgegeben. Regierendes Organ der Kölner Universität war eine congregatio universitatis, die in ihrer Zusammensetzung mit dem lngolstädter consiliumgeneralekongruent ist. Die Kölner Statuten nennen als Konzilsmitglieder magistri et doctores quatuor facultatum, nec non licentiati theologie, juris et medicinae - eine Formel, 188 1420 siedelte der Kölner Mediziner Gerhard von Hohnkirchen nach Heidelberg über, 1455 adoptierte die Heidelberger Fakultät die Kölner medizinischen Statuten; vgl. A. Maier, Mitteilungen zur deutschen Universitätsgeschichte aus vatikanischen Codices Palatini 190 ff. - Nach der knappen Inhaltsangabe bei Maier zu schließen, ist in Ingolstadt wirklich das Kölner Original und nicht die Heidelberger Kopie benützt worden. 187 Vgl. Kap. 1 Anm. 42 ff. 138 Vgl. Anhang I. 139 Vgl. Köln § 42 Wien S. 42, Köln § 14 - Wien S. 77; in Wien fehlen gänzlich Köln § 4 ("quod nullus admittatur ad legendum publice ..." - Med. IV 67) und § 22 ("reservamus tarnen nobis ..." - Med. IV 68).
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2. Kapitel: Einordnung der Gründungsverfassung
die von derjenigen Wiens textlich (nicht sachlich) beträchtlich abweicht140, derjenigen Ingolstadts (doctores et licentiati omnium facuZtatum, ac eciam magistri in artibus) aber sehr nahekommt. Auch das Fakultätsverfahren im regierenden Konzil findet in der Kölner (und Wiener) Verfassung sein Vorbild. So weit also der Kölner Einfluß im Textlichen hinter demjenigen Leipzigs zurückbleibt, so hoch ist er ihm in seiner sachlichen Bedeutsamkeit überlegen. Wenn nach der Modelluniversität gefragt wird, die die großen Konturen der Ingolstädter Gründungsverfassung geprägt hat oder überhaupt hat prägen können - so kann nicht Wien genannt werden, dessen Einfluß der Verfassungsrevision im ersten Halbjahr 1472 zum Opfer fiel, auch nicht Leipzig, dessen Einwirkung sich fast vollkommen auf den textlichen Bereich beschränkte, sondern am ehesten und wahrscheinlichsten die Universität Köln, die von einem Zufall der Gründungsgeschichte in diese für Ingolstadt bedeutungsvolle Rolle gesetzt worden ist. 4. Zusammenfassende Beurteilung der Gründungsverfassung
Weitere Einflüsse lassen sich weder aus der Textanalyse noch aus der Matrikeluntersuchung ermitteln, obwohl unter den Erstimmatrikulierten der eine oder andere auch über die Organisation etwa der Universitäten Erfurt, Basel oder Freiburg aus eigener Studienerfahrung oder vom Hörensagen wahrscheinlich Auskunft geben konnte. Insbesondere ist auch an Heidelberg zu denken, die Studienuniversität Martin Mairs141 • Der führende Rat Herzog Ludwigs des Reichen, der am 26. Juni 1472 vor erlauchter Festgesellschaft in Ingolstadt die Eröffnungsrede hielt, hat ohne Zweifel an den Gründungsvorbereitungen seinen Anteil gehabt, und so wäre die Vermutung nicht abwegig, daß die Idee der Erstfassung der Stiftungsurkunde, für die Beteiligung der Artistenmagister am Universitätskonzil zusätzliche Bedingungen zu verlangen, von dem Beispiel des Heidelberger Kleinkonzils inspiriert war und auf den Vorschlag Mairs zurückging142• Jedoch läßt sich der Geist oder die Hand Mairs in den erhaltenen Quellenresten ebensowenig deutlich ausmachen, wie der Beitrag seiner Kollegen im herzoglichen Rat. Schließlich ist in der Ingolstädter Frühzeit ein gewisser Zustrom von Pariser 14° Köln § 46; Wien hat dagegen (p. 83): "omnes doctores, magistros, decanos, procuratores, bacalarios ac actu legentes in qualibet facultate ... " 141 G. Schrötter, Dr. Martin Mair; Kluckhohn, Ludwig der Reiche 155 ff.; Riezler in ADB XX 113 ff. Mair wurde 1438 in Heidelberg immatrikuliert und erwarb dort 1448 die juristische Lizenz. Erst 1465, längst in nürnbergischen und seit 1459 vorrangig auch in bayerischen Diensten, holte er sich wiederum in Heidelberg den Doktorhut. 142 Vgl. unten Kap. 6 Anm. 28.
II. Fremde Einflüsse
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Magistern festzustellen; von diesen teilweise namhaften Vertretern der
via antiqua kam jedoch nur ein einziger noch im Gründungsjahr, sodaß
von einer Beeinflussung der Gründungsverfassung aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gesprochen werden kann 143• In der Kreuzung aller dieser Einflüsse mit einer bei allen Beteiligten voraussetzbaren Vorstellung davon, was nach ius commune zu einer vollgültigen Universität an Einrichtungen gehöre, entstand in Ingolstadt im Sommer 1472 eine Universitätsverfassung, über deren Charakter nun noch zusammenfassend das wichtigste gesagt werden muß. Nach den entscheidenden Korrekturen der Phase B'-C entwarf die herzogliche Stiftungsurkunde in ihrer Endfassung das Bild einer nur mehr in Fakultäten, nicht in Nationen gegliederten Universität mit einem regierenden Magisterkonzil und der üblichen administrativen und repräsentativen Spitze des Rektorats. Es ist schwer, diesen Entwurf einem bestimmten Traditionszweig zuzuordnen. Er hat sich vom Einfluß Wiens, der die Redaktion A stark geprägt hatte, frei gemacht und steht dem Wiener System fern. Man möchte ihn in seiner Unbestimmtheit für repräsentativ halten: repräsentativ für einen gewissen durchschnittlichen Stand der deutschen Verfassungsentwicklung. Das von den Statuten mehrfach zitierte ius commune findet in ihm seine konkrete Darstellung. Diese Stiftungsurkunde, an deren Zurückhaltung in Verfassungsdingen die Universität nicht unbeteiligt gewesen sein mag, stellte das Rahmengesetz auf, in dem sich die universitäre Gesetzgebung nun bewegen konnte. Deren Freiheit begann dort, wo der Stifter ausdrücklich oder faktisch auf eine Präzision seiner Vorstellungen verzichtet hatte oder wo er solche Vorstellungen gar nicht besaß. Hier auch begann die Wirkungsmöglichkeit der ermittelten Textquellen auf die Ingolstädter Statutengebung. Wie gezeigt, gelingt es ihnen nicht, viel mehr als neutrale Textpartien - Disziplinarstatuten und Vergleichbares - nach ihrem Muster zu prägen; auf die Verfassungsgestalt selbst erlangen sie keinen wesentlichen Einfluß. Der herzogliche Verfassungsentwurf bedurfte jedoch in seiner Skizzenhaftigkeit mancher näheren Ausführung. Zu den relevanten Ergänzungen, die ihm von den Statuten hinzugefügt wurden, gehört das Fakultätsstimmrecht für das Konzil (so in Köln und Wien geübt), das beispiellose landesherrliche Entscheidungsrecht bei Stimmengleichheit im Konzil, schließlich auch jene noch genauer zu kommentierende beschlie143 Auctarium VI, vgl. Register. Der einzige Pariser Magister des Gründungsjahres war danach Johannes Öflein von Kirchheim, immatrikuliert am 12. 4. 1472. Von den späteren Prominenten sind Erhard Windsherger (1476 nach Ingolstadt) und Nikolaus Tinctoris (1474 nach Ingolstadt) zu nennen. Der Jurist und erste Vizekanzler Karl Fromont, der als "Parisiensis" zu den Ingolstädter Erstimmatrikulierten gehörte, ist in Paris nicht nachweisbar.
2. Kapitel: Einordnung der Gründungsverfassung
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ßende Vollversammlung der Gesamtuniversität144• In solchen wesentlichen Verfassungselementen sind die Statuten von 1472 keinem erkennbaren Vorbild verpflichtet. Zwischen den Abhängigkeiten gegenüber der Stiftungsurkunde und gegenüber fremden Textvorlagen behaupteten die Statuten die Komplettierung des herzoglichen Verfassungsentwurfs für ihre eigene, selbständige Erfindungskraft. Hier liegt ihre Originalität; gerade die Abweichungen vom Standard beweisen, daß ein direkter Einfluß von außen für diese Bestimmungen nicht in Frage kommt. Im ganzen sind die Statuten von 1472 in Analogie zu ihrem Verfassungswerk eine uneinheitliche, unvollkommene Arbeit. Ihre Gliederung ist nachlässig, ihr Stil anspruchslos, ihr Inhalt nicht komplett. Der Vergleich mit den großen Statutenwerken Erfurts, Rostocks oder Kölns offenbart schon von dieser äußerlichen Seite her einen Unterschied im Niveau. Wie wenig die Statuten auch im Sachlichen eine haltbare, ausgewogene Lösung boten, wird die Einzeluntersuchung zeigen. Der Herzog und seine Räte hatten gut daran getan, mit dem ursprünglichen Verfassungsprojekt auch jedes anfechtbare Verfassungsdetail überhaupt aus der Stiftungsurkunde zu entfernen. Während die Statuten schon sehr bald einer tiefgreifenden Revision unterzogen werden mußten, vermochte die so gereinigte herzogliche Urkunde ihrem Anspruch, das ewige Rahmengesetz der Universität zu bilden, über mehrere Jahrhunderte hinweg zu genügen.
w
Vgl. Kap. 6 Anm. 13 ff.
Drittes Kapitel
Die Reformperiode 1497-1522: Korrektur und Ergänzung der Gründungsverfassung Da die Universität stiftungsbrieflich verpflichtet war, ihre Statuten von jedem regierenden Landesherrn neu bestätigen zu lassen\ wurden die Regierungswechsel im Landshuter bzw. im gesamtbayerischen Herzogtum jeweils zu natürlich~n Anlässen der Satzungsrevision. Den folgenden neuen Statutenredaktionen von 1522 und 1556, denen noch die Nova Ordinatio von 1507 beigestellt werden kann, lassen sich daher die Regierungsanfänge der Herzöge Albrecht IV. (1503), Wilhelm IV. (1509 bzw. 1512) und Albrecht V. (1550) als Ausgangsdaten zuordnen. Jede dieser Reformen wurde durch die Bitte der Universität um Bestätigung ihrer Statuten ausgelöst. Diese Handlung gab Gelegenheit zur Äußerung von Änderungswünschen, entweder (wie 1507) seitens der Universität bzw. einzelner ihrer Angehörigen, oder- in zunehmendem Maße - seitens des Staates, der durch eine Visitationskommission (wie 1515) oder eine schriftliche Reformverordnung {wie 1507) oder auch durch ein kombiniertes Verfahren (wie es 1555/56 nachgezeichnet werden kann, aber wahrscheinlich auch 1507 und 1515 ähnlich stattgefunden hat) der Universität für die Revision ihrer Satzung Richtlinien vorgab. Der landesherrlichen "Reformation" folgten Beratungen der Universität über die zugleich notwendig gewordene und anbefohlene Statutenänderung, und eine Neufassung der Statuten setzte schließlich den Schlußpunkt hinterdie jeweilige Reformperiode. Scheint sich auf diese Weise die frühe Verfassungsgeschichte der Universität Ingolstadt in drei sukzessive, einander ebenbürtige Reformperioden zu untergliedern, so lehrt der nähere Augenschein, daß dieses Bild trügt. Anstelle der drei bleibt nur eine große Reformepoche übrig, die, etwa im Jahre 1497 beginnend, über die Nova Ordinatio (1507) bis zur reformatio des Jahres 1515 reicht. Schon die von 1517 bis 1522 dauernde Vorgeschichte der zweiten Statutenredaktion bildet nur einen Nachklang der inzwischen abgeschlossenen Verfassungsreform, und erst recht verdienen die in der dritten Statutenredaktion von 1556 gipfelnden 1
Vgl. dazu unten Kap. 11 Abschnitt I.
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3. Kapitel: Reformperiode 1497-1522
Reformbemühungen der 50er Jahre vom verfassungsgeschichtlichen Standpunkt nur noch ein sehr begrenztes Interesse. Dieser Umstand legt es nahe, auf den Versuch einer auch nur annähernd gleichrangigen Behandlung der verschiedenen Statutenredaktionen von vornherein zu verzichten. So wie jeder verfassungsgeschichtliche Teilaspekt in der Gründungsgeschichte (1472) und in der Reformperiode zu Anfang des 16. Jh. seinen durch den Ausblick auf weitere Entwicklungen ergänzbaren Schwerpunkt findet, so muß auch die Verfassungsgeschichte im Ganzen ihre Aufmerksamkeit vorrangig jenem ersten halben Jahrhundert zuwenden, dem sich die Folgezeit auf ungezwungene Weise als Perspektive anschließt. I. Die Nova Ordinatio (1507) und ihre Vorgeschichte
Herzog Ludwig der Reiche hatte in seinen letzten Regierungsjahren noch das eine oder andere an seiner Stiftung zu ändern gefunden, aber selbst die Aufhebung der Zweiteilung der Artistenfakultät im Jahre 1478, die verfassungsgeschichtlich von einiger Relevanz war, tangierte die geschriebene Universitätsverfassung außerhalb der artistischen Fakultätsstatuten nicht2 • Die Vorgänge des Jahres 1488 Der Regierungswechsel von 1479 führte zunächst nicht zu einer Verfassungsrevision, weil der neue Herzog Georg den Stiftungsbrief und vielleicht auch die Statuten schon im Jahre 1472 für seine Person bestätigt hatte. Jedoch nötigte der anhaltende Streit zwischen antiqui und moderni, der über die Grenzen der Artistenfakultät hinaus die Gesamtuniversität in Unruhe brachte, in Verbindung mit anderen Mißständen den Herzog im Jahre 1488 zu energischem Eingreifen. Als im Herbst dieses Jahres die Rektorwahl an der Zerrissenheit der turnusmäßig an der Reihe befindlichen Artistenfakultät scheiterte, wurde der Jurist Sixtus Tueher auf herzoglichen Befehl für ein weiteres Semester im 2 Prantl li Nr. 13; vgl. auch Prantl I 81 ff. Der herzogliche Erlaß vom 16. 2. 1478 ist nur noch in Abschriften erhalten (UA B II 4, B II 9). Das gleiche gilt von den neuen artistischen Fakultätsstatuten: Abschriften in UA B II 4, B II 2 und B li 9, Druck bei Prantl II Nr. 14. - Für die Universitätsverfassung war die Vereinigung der "viae" insofern von Belang, als erst jetzt die mit vier Fakultäten und Dekanen rechnenden Statuten wieder "stimmten".- Die eigene Statutartätigkeit, die die Universität in den siebziger .Jahren entfaltete (Prantl li 48 ff.), verdient ihrer ausnahmslos verfassungsgeschichtlich irrelevanten Gegenstände wegen hier keine Beachtung. Dagegen seien die vier päpstlichen Indulte wenigstens erwähnt, die der herzogliche Rat Friedrich Mauerkireher in den Jahren 1475 und 1477 für die Universität bei Papst Sixtus IV. besorgte (Mederer IV Nr. 14, 15, 16, 18); entgegen Mederers Datierung stammen die ersteren drei alle aus dem Jahre 1475, nur das letztere von 1477.
I. Nova
Ordinatio 1507
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Amt belassen und zugleich eine allgemeine Untersuchung angeordnet3• Entfernter Anlaß der dissensio scheint die Ausschließung des antiquus Michael Putersaß aus dem artistischen Fakultätskonzil gewesen zu sein4 • Ende Juli oder Anfang August sandte die Universität, deren Konzilsmehrheit, von den oberen Fakultäten bestimmt, mit den antiqui sympathisierte, einen Bericht über die Vorkommnisse an den Herzog, der in seinem Antwortschreiben vom 9. August die darin enthaltenen Vorschläge billigte und eine Untersuchung der conspiration unordnung und heimlichen practiken in der Artistenfakultät anordnete, die die Universität als ir geordnet richter durchzuführen beauftragt wurde5 • Im September fand daraufhin die "moderne" Fakultätsmehrheit Anlaß, sich heftig über die Einmischung der doctores zu beschweren und durch eine Gesandtschaft beim Herzog dagegen zu wirken quod princeps ad
doctorum persuasionem ullam novam ordinacionem prioribus statutis et ordinacionibus contrariam eidem facultati daret. Wenig später sandte
die Fakultät ihre Statuten an den Herzog6•
Diese Vorgänge, aus denen 1492 eine neue Redaktion der Fakultätsstatuten hervorging7, wären hier nicht weiter interessant, wenn nicht im Zusammenhang mit ihnen auch jene von Prantl gedruckte "Unterrichtung" entstanden wäre, die sich offensichtlich in Opposition gegen die vorgetragene Universitätsmeinung und gegen die einseitige Richtung, die die Inquisition in den Händen der Doktoren bisher genommen hatte, nun ausschließlich mit den Mißständen in den oberen Fakultäten und in der Gesamtuniversität befaßte8 • Sie stammt, wie das Begleit3 Prantl I 86. Die Matrikel (Pölnitz I 181) verzeichnet Tuchers "continuatio" "disposicione principis" ohne Datum. - Vgl. zum Ingolstädter Wegestreit F. Ehrle, Der Sentenzenkommentar Peters von Candia 326 ff. 4 Wohl Anfang August 1488. Darauf bildete sich eine oppositionelle Magistergruppe (wohl der "antiqui"), die vor der Universität "plura falsa et ficta ac iniuriosa" über die moderne Fakultätsmehrheit vorbrachte und diese zur Abordnung einer Delegation bewegte (UA 0 I 2, xxiiii'). s Prantl II 24. 6 UA 0 I 2, xxv (11. 9.1488) : " ... super rumore qui tune erat tempore inquisicionis, quod propter discordias tollendas in facultate doctores intendere scribere principi, iudicio eorum consulcius ut electiones, principalium librorum distribuciones ac alia futuro fierent iuxta sortem inter personas seniores facultatis ... Conclusit facultas quod . . . prefecto et doctoribus deberet ostendi et revocari in memoriam ordinacionem novissimam (sie!) principis et quomodo eciam hocesset contra plura alia statuta ab eo confirmata" ; f. xxv' (31. 9. 1488): " . . . conclusit facultas quod duo deberent mitti ad principem qui defenderent eam adversus doctores et quosdam decenarios (?) peterentque quod princeps etc... "; (5. 10) : " ... conclusit facultas arcium quod deberent mitti ad principem omnia statuta decreta et ordinaciones facultatis." Wenig später lehnte sich die Fakultät dagegen auf, daß Rektor und Statthalter versuchten, die Fakultätskasse unter ihre Kontrolle zu bringen. Am 29. November sandte die Fakultät ihre Rechnungen an den Herzog (f. xxvii). 7 Prantl II 101 ff.- Der Beschluß zur Herstellung dieser Neufassung UA 0 I 2, xlii (7. 7. 1492). 8 Prantl II Nr. 23 nach HStA NKB 10, 192 ff.
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3. Kapitel: Reformperiode 1497-1522
schreiben deutlich macht, von der Hand herzoglicher Räte, ist an den Rentmeister (des Oberlands) gerichtet und spricht sich in heftigem Ton gegen Unfleiß und Nachlässigkeit der Doktoren, gegen die Korruption der Rektoren und gegen die Unordnung in der Kammerverwaltung aus, ohne indessen zu konstruktiven Reformvorschlägen vorzudringen. Die Befragung von 1497
Für die Universitätsverfassung blieb das Jahr 1488 allem Anschein nach folgenlos. In den nächsten Jahren wurde die herzogliche Aufmerksamkeit vor allem durch die Vorbereitungen für die Gründung des Georgianums in Anspruch genommen, das·im Jahre 1494 ins Leben trat. Da jedoch die alten Probleme nach wie vor einer Lösung harrten9 , kam es drei Jahre später auf herzogliche Initiative zu einer neuen, umfassenden Untersuchung, über deren Inhalt wir dadurch vorzüglich informiert sind, daß sich ihr Protokoll vollständig erhalten hat10• Auch diese zweite Inquisition in Herzog Georgs Regierungszeit blieb zwar ohne greifbares Ergebnis; sie ist aber für die Verfassungsgeschichte insofern von hohem Interesse, als sie bis zur Erwägung von Verfassungsreformen vorstieß und in direkter Linie die große Reform des Jahres 1507 vorbereiten half. Im September 1497 beauftragte Herzog Georg aus nicht erkennbarem Anlaß den Stadtpräfekten Heinrich Ebron, den Rentmeister des Oberlandes Ulrich Albersdorfer und den gelehrten Rat Dr. Peter Craft, die beiden letzteren auch privat mit der Universität verbunden, da ihre Söhne in Ingolstadt studierten, - eine eingehende Befragung vorzunehmen, und ermahnte die Universität zu vollkommener Aufrichtigkeit11• 9 1492 hatte die artistische Fakultät einen Universitätsbeschluß erwirkt, der es den oberen Fakultäten untersagte, sich in die artistischen Angelegenheiten einzumischen (Prantl II 101). 1494 übertrug sie diesen Beschluß feierlich in ihr Statutenbuch (Prantl II Nr. 25).- Im WS 1496/97: "facultas artium disputavit de defectibus facultatis artium reformandis"; im folgenden Semester überreichte sie dem Juristen Peter Baumgartner, der schon fünf Jahre vorher als "ambasiator principis" genannt wird, mehrere Artikel (UA 0 V 1, 54', 55').- Dies sind die wenigen Anhaltspunkte, die sich aus den spärlichen Akten dieser Jahre über die anhaltende Unruhe in der Fakultät ermitteln lassen. 10 HStA NKB 10, 130 ff. Prantl hat aus dem sehr langen Protokoll lediglich die Voten Johann Adorfs und Georg Zingels gedruckt (li Nr. 28), die freilich als die ersten auch die interessantesten sind. Bei den folgenden Befragten muß das Originale aus einem Wust von Wiederholungen herausgesucht werden; die einfache Unterschlagung dieses Protokollteils war freilich eine zu simple Lösung. Vgl. Anhang IV. 11 UA G I 1 (14. 9. 1497). Albersdorfer hatte 1492 als Rentmeister des Oberlandes den Ratseid geschworen (HStA NKB 103, 7) und war in dieser Eigenschaft noch 1503 für die Universität tätig (vgl. Kap. 10 Anm. 24). Die Immatrikulation seines Sohnes: Matrikel Pölnitz I 248. - über Craft vgl. unten Anm. 111; seine beiden Söhne Peter und Hieronymus wurden am 21. 10. 1491 in Ingolstadt immatrikuliert. Peter, der spätere Regensburger Weih-
I. Nova Ordinatio 1507
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Die Befragung fand vom 19. bis zum 22. September in der Form statt, daß alle Doktoren und eine größere Zahl Artistenmagister der Reihe nach ihre Meinungen über den Zustand der Universität und mögliche Verbesserungen vortrugen. Ungewiß bleibt, ob der jeweils Befragte der herzoglichen Kommission allein gegenüberstand, oder ob das Universitätskonzil immer vollständig versammelt war; jedenfalls waren den später Befragten die Voten ihrer Vorredner bekannt. Der Rektor Johann Permeter von Adorf begann den Reigen mit einem Katalog von Vorschlägen, die von den im Fakultätsturnus folgenden Nachrednern aufgegriffen, bejaht oder abgelehnt oder auch durch neue Anregungen ergänzt wurden. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand wiederum die Artistenfakultät mit ihren Studien- und Promotionsangelegenheiten, vor allem aber mit dem ewigen Problem des Wegestreits. Hier bereitete die Befragung von 1497 mit ihrem beinahe einhelligen Votum für die Herstellung einer strikten Parität die Entscheidung der Nova Ordinatio vor. Verfassungsgeschichtlich bedeutsam aber waren vor allem zwei in späterem Zusammenhang eingehender zu kommentierende Themen: erstens die von Adorf vorgeschlagene, von den anderen in vielfachen Variationen aufgegriffene und durchgängig bejahte Konzilsverkleinerung und zweitens der schon früher aufgetauchte und erst sehr viel später verwirklichte Gedanke der Einrichtung einer Superintendenz12• Mit dieser Befragung von 1497 befinden wir uns in der unmittelbaren Vorgeschichte der zehn Jahre später entstandenen Nova Ordinatio. Sie stellte das Material bereit, auf dem die herzogliche Reformschrift weitgehend aufbaute. Warum Herzog Georg nicht selbst noch diese seit 1497 fällige "Reformation" erließ, oder ob sie vielleicht bereits in seiner Kanzlei vorbereitet und von seinem Nachfolger lediglich verabschiedet worden ist, das sind Fragen, deren Beantwortung das überlieferte Material nicht zuläßt, umso weniger, als Anfang der neunziger Jahre eine zwanzigjährige Aktenlücke einsetzt, die sich erst nach Prantls Werk aufgetan hat und die Sparsamkeit seiner Mitteilungen und Abdrucke bedauern läßt13•
Oberlieferung der Nova Ordinatio In einem wichtigen Punkt dagegen hat sich unser Quellenbestand inzwischen zum besseren gewendet. Prantl hatte die große Reformverbischof, erwarb 1493 das Magisterium und studierte jetzt die Rechte. 1497 gehörte er zu den Befragten, 1500 promovierte er zum Dr. iur. Vgl. K. Schottenloher, Tagebuchaufzeichnungen des Regensburger Weihbischofs Dr. Peter Krafft von 1500---1530, 1920. 12 Vgl. unten Kap. 6 und 8. 13 Neben den Gruppen A und B I sind hier von den Verlusten besonders die Protokolle D III 2 und D III 3 des UA zu nennen.
3. Kapitel: Reformperiode 1497-1522
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ordnung Herzog Albrechts IV., durch die die Universitätsverfassung einige tiefgreifende Änderungen erfuhr, nicht aufzufinden vermocht und für verloren gehalten14• Da ihm jedoch der inzwischen verschollene Band D III 2 der Universitätsprotokolle noch vorlag, vermochte er über den Inhalt der von ihm so getauften, weil aus naheliegenden Gründen in den lateinischen Protokollen so genannten "Nova Ordinatio" einiges zu erschließen, mehreres zu vermuten. Seine Kombinationen hatten jedoch, wie jetzt erkennbar ist, einen Fehler. Die Nova Ordinatio stellte zwar einerseits, wie er richtig vermutete, eine Folge von Richtlinien und Vorschlägen dar, auf Grund deren die Universität ihrerseits in Reformberatungen eintreten und eine Revision ihrer Statuten vornehmen sollte. Insoweit mußte sich von den Beratungsprotokollen her auf den Inhalt der herzoglichen Verordnung rückschließen lassen. Wenn aber die Ordinationeben solchen Vorschlägen auch konkrete, bindende Anordnungen enthielt, die weiterer Beratung enthoben waren, mußte Prantls Methode versagen. So erklärt es sich, daß in seiner Inhaltsangabe einige gerade der wichtigsten Bestimmungen der Nova Ordinatio fehlen. Wenn Prantl hier ein Vorwurf gemacht werden kann, dann nur der, daß er den Angaben Rotmars und Mederersoffenbar wie gewöhnlich mißtraute; wenigstens Rotmar aber kannte die Nova Ordinatio und referiert ihren Inhalt zwar in sehr groben Zügen, aber in durchaus zutreffender Weise15• Im Codex latinus 1619 der Bayerischen Staatsbibliothek, einem vor der Mitte des 16. Jahrhunderts angefertigten Band mit Abschriften herzoglicher und päpstlicher Universitätsprivilegien, hat sich jetzt der Text der Nova Ordinatio wiedergefunden. Die saubere Kopie trägt den Titel die furgenomen ordnung der universitet aZhie; sie beginnt mit einem knappen Protokoll, in welchem Herzog Albrecht Hergang und Absicht seiner Reform darlegt, und wird von einem Eschatokoll beschlossen, das den 19.3.1507 als Datum der Ausfertigung und Besiegelung nennt. Innerhalb des Textes ist ein Blatt aus dem Codex herausgeschnitten16 ; da jedoch die vorhergehende Seite mit einem Satzschluß endet und die folgende mit einem neuen Satz beginnt, besteht an sich kein Anlaß, an der Vollständigkeit des Textes zu zweifeln.
Nähere Vorgeschichte und Ursachen Herzog Georg war im Dezember 1503 gestorben. Nach anfänglicher Neutralität huldigte die Universität gemeinsam mit der Stadt dem Prantl I 104 ff. Mederer I 73 ff. Zwischen f. 82' und f. 83: StB Clm. 1619, 77', vgl. Anhang V. Für die Datierung des Bandes in die erste Jahrhunderthälfte bürgt die Anhang III kommentierte Eintragung eines Berichts über die Freiheiten der Wiener Universität, die von anderer Schreiberhand hinter der Nova Ordinatio vorgenommen worden ist. 14
1s 16
I. Nova Ordinatio 1507
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Münchener Herzog Albrecht bereits am 24. Mai 1504, bei andauerndem Erbfolgekrieg17• Nach Vorschrift der Stiftungsurkunde wäre jetzt die Einreichung der Statuten mit der Bitte um Bestätigung fällig gewesen, und wirklich bezieht sich Herzog Albrecht in der Vorrede zur drei Jahre später verabschiedeten Nova Ordinatio auf ein solches Ersuchen seitens der Universität18, das nach Auskunft des "Abschied" vom gleichen Jahr nach einnemung unnser stat Ingolstat, also wohl noch im Jahre 1504, an ihn ergangen seP 9 • Zugleich wurden dem neuen Landesherrn aus Kreisen der Universität ein Reformvorschlag und mehrere Eingaben überreicht, darinn unnß mergkliche mengel unnd gebrechen fürtragen sind, darein zusechenn und wie die in besserwesenzustellen sein20• Von solchen Schriften ist nichts erhalten, aber sowohl von den Beratungen von 1497 wie von der Nova Ordinatio her liegt es nahe zu vermuten, daß einmal mehr der alte Schulstreit der Artisten- wohl wieder seitens der antiqui- zur Anrufung des Landesherrn geführt hatte. Die bis zur Verabschiedung der Nova Ordinatio verstreichenden drei Jahre wird man mangels genauerer Auskünfte einerseits mit den anhaltenden Kriegsereignissen und politischen Verwicklungen, andererseits doch auch mit den nötigen Vorarbeiten erklären dürfen. Herzog WHhelm IV. erklärt 1514 im Rückblick auf die Nova Ordinatio, sie sei von seinem Vorgänger mit ratt aller lesenden doctorn ... fürgenommen worden2\ und wirklich kann es ja als sicher gelten, daß die von der Ordinatio selbst zitierten Eingaben der Universität nicht von ungefähr entstanden sind. Aus dem artistischen Rechnungsbuch ist nun erkennbar, daß sich diese Fakultät bereits im Lauf des Jahres 1505 in Verhandlungen über ihren Zustand befand, verschiedentlich Briefe und Artikel verfaßte und einen regen Botenverkehr nach München unterhielt22 • Im folgenden Jahr, am Mederer I 65 ff.; vgl. auch J. Gerstner, Geschichte Ingolstadts 129 ff., 132 f. StB Clm. 1619, 77': "Nach dem dieselbig universitet bitt, das wir hertzog Albrecht etc. ire statut confirmiren unnd ob menge! darinn weren, die reformiren sollen ... " 19 StB Clm. 1619, 89': "Nach dem wir als lanndtsfurst nach einnemung unnser stat Ingolstat auff hoch ersuchen etlicher angeregter universitet verwonter, auch auff vil schrifftenn, unnß von vyl derselben universitet glider uberanthwurt, darinn unnß mergliche mengel unnd gebrechen fürtragen sind, darin zusechenn und wie die in besser wesen zustellen sein, darauf wir dann auß erhaischung der notturft bewegt seinnd, ettlich ordnung fürzenemen ... " 20 Vgl. vorige Anm. sowie ebd. 77': "so ist unnß auffzeichnung einer reformation vonn ettlichen der universitet verwandten geschechenn, darauß wir nachvolgende etwo vil mengel und gebrechen gezogenn unnd die reformirt haben ..." 21 Prantl II 151. 22 UA 0 V 1, 78 (SS 1505): Ausgaben "pro vino et panibus in stuba rectoris deputatis in causa facultatis ratione collegiature", "nuntio qui attulit litteras a principe de Monaco ex parte prorogationis termini constituti in certurn diem", "nuntio secundario misso ad Monacum pro litteris in causa facultatis", "bidello pro litteris ab eo scriptis in negotio facultatis", "pro vino quibusdam magistris sepius in causa facultatis congregatis" und ähnlich häufiger. 17
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3. Kapitel: Reformperiode 1497-1522
4. April 1506, führt auch die Universität Beratungen über die negligentiae totius universitatis; wir erfahren es dadurch, daß die Artisten ihren Delegierten einen Spesenbeitrag bewilligten23• Im anschließenden Wintersemester 1506/07 verhandelten einige Magister beim Rektor über negotia facultatis (artium) 24• Nach aller Wahrscheinlichkeit hat also die Universität in dem erklärungsbedürftigen Zeitraum zwischen 1504 und Anfang 1507, sei es aus eigenem Antrieb, sei es auf herzogliche Anordnung, über ihre Erneuerung beratschlagt und dem Landesherrn im Anschluß daran Vorschläge unterbreitet, die seiner folgenden Reformverordnung zugrunde lagen. Unabhängig von der Frage nach der Initiative für diese Reformbemühungen läßt sich diejenige nach ihrem Grund mühelos mit einem Hinweis auf die Matrikel beantworten. Nachdem die Frequenz der Universität schon seit Ende der neunziger Jahre merklich zurückgegangen war, sank sie in den Jahren 1502 bis 1505 infolge von Krieg und Pest auf bisher unbekannt niedrige Zahlen herab. Im Sommersemester 1504 wurden ganze sechs Zugänge in der Matrikel registriert. Rechnet man zu diesen durch äußere Ursachen bedingten Mißständen die ungelösten inneren Probleme der Universität, so wird der erklärte Entschluß des Herzogs, die universitet wider in aufnemen zebringenu, ohne weiteres begreifbar. Ebenso nahe lag aber unter diesen Umständen der Gedanke, daß eine tiefgreifende und umfassende Reform der Schule das beste Mittel sei, ihre Attraktivität nach außen und damit die Zahl ihrer Besucher zu steigern.
Die Beratungen des Jahres 1507 Am 19. März 1507 erging die Nova Ordinatio. Drei Wochen später, am 7. April, wurde sie vom Rektor Johann Plümel im Universitätskonzil zur Verlesung gebracht und von allen Professoren beschworen26• Am gleichen Tag begannen die anbefohlenen Beratungen von rector und rath über die Universitätsreform, soweit sie dem Gutdünken der Universität überlassen worden war, und über die nötig gewordene Revision der Statuten. Sie sollten sich bis zum 9. August über vier Monate und 23 Konzilssitzungen hinziehen27• 23 UA 0 V 1, 79: "Item dominis assessoribus et aliquibus magistris deputatis in causa ut tractaretur de negligentiis totius universitatis, ibidem exposui 46 d.; acta sunt hec 14 die mensis April." 24 UA 0 V 1, 81': " ... pro vino magistris, dum negocia facultatis tractavimus apud dominum rectorem". 25 In einem Schreiben an die Stadt Ingolstadt vom 17. 12. 1507; StA Ingolstadt A VI 1, 23. 26 Mederer I 74. 27 Prantl I 105 nach UA D III 2. Prantl bringt auch die Liste der Teilnehmer.
I. Nova Ordinatio 1507
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Über den Inhalt der langen Beratungen ist nur noch das wenige bekannt, was Prantl und nach ihm Bauch und Loew aus den verlorenen Akten referiert haben28 • Kein Zweifel, daß das Hauptaugenmerk der Überarbeitung der Statuten galt. Die theologische Fakultät verglich ihre eigene Satzung mit derjenigen Tübingens und fand nichts an ihr zu ändern2g. Im medizinischen Rechnungsbuch erscheint eine nicht näher datierte Ausgabe pro statutis nostris rescribendis et presentandis domino cancellario 30 • Auch die Artisten waren unter Benutzung einer Tübinger Kopie mit ihrem erst aus dem Jahre 1492 stammenden Statuten beschäftigt, ohne daß diese Arbeit von einer neuen Satzung gekrönt worden wäre31 • Aus den Beratungen der Juristen druckt Prantl ein längeres Gutachten des Professors (und Universitätskämmerers) Johann Rosa und eine neue Gebührenordnung32 ; auch diese Fakulität muß eine neue Statutenredaktion nicht für notwendig erachtet haben. Was die Universitätsverfassung betrifft, so scheint hier gleichfalls zunächst eine neue Statutenfassung beabsichtigt, schließlich aber nicht erreicht worden zu sein. Jedenfalls irrt Rotmar, wenn er schreibt, die Konfirmation der Statuten sei schon am 19. März, also unter dem Allsfertigungsdatum der Nova Ordinatio, erfolgt33• Dagegen steht die klare Aufforderung der Ordinatio an die Adresse der Universität, eine Satzungsrevision vorzunehmen, aber auch dasjenige, was vom Inhalt der Beratungen bekannt ist. Prantl und Bauch berichten übereinstimmend von Textänderungen und -zusätzen, die sich dann wirklich in den Statuten von 1522 nachweisen lassen34• 28 Vgl. Prantl I 105 f.; G. Bauch, Die Anfänge des Humanismus in Ingolstadt 77 ff.; P. Loew, Die Geschichte des Studententurns an der Universität Ingolstadt 151. Alle diese Berichte beruhen auf dem verschollenen Band UA D III 2 der Senatsprotokolle. 29 Prantl I 113. Im theologischen Dekanatsbuch wird nichts davon erwähnt. 30 UA N li 1, 9': "Item pro statutis nostris rescribendis et presentandis domino eaneellario 1 s. 5 d." Zweifellos ist hier der herzogliche Kanzler, nicht der Bischof gemeint. 31 Das artistische Rechnungsbuch (UA 0 V 1) verzeichnet für das Jahr 1507: f. 81' eine Ausgabe für eine "supplieatio" an den Herzog "super quibusdam artieulis in nova ordinatione eontentis"; f. 82' "15 er. bidello pro eopia nove ordinacionis prineipis"; f . 83 "Johanni bidello qui statuta studii Tubingensis reseripsit 13 er."; weitere Ausgaben "magistris a faeultate bis deputatis ad eoncipiendum supplieationem", "baeealario in bursa Draeonis qui supplieationem reseripsit", "Leonhardo bidello qui eandem seeundo reseripsit", schließlich auch eine Art Trink- oder Bestechungsgeldes "janitori principis". 32 Prantl II Nr. 31 und 32. 33 Mederer I 73. s« Im einzelnen ergeben sich folgende Parallelen zu den Statuten von 1522: Ahndung von Vorlesungsversäumnissen durch Gehaltsabzüge: Prantl I 105 = Mederer IV 194; Verhaltensregeln für die Parteien vor Gericht: Prantl I 106 = Mederer IV 202; Vorlesungszeit für Mathematiker und Poet: Bauch 81 = Mederer IV 195; Statut "De eonspiraeionibus suppositarum evitandis et de iudieiis astronomorum" = Mederer IV 195.
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3. Kapitel: Reformperiode 1497-1522
Greifbares Resultat der Reformberatungen müssen zwei längere Denkschriften gewesen sein, deren Empfang ein noch aus dem Jahre 1507 stammender, leider nicht nach Monat und Tag datierter "Abschied" Herzog Albrechts bestätigt35• Man darf danach annehmen, daß dieses Stück nach dem 9. August entstanden ist. Der Landesherr sagt die Prüfung der Eingaben aus Zeitmangel für später zu und begnügt sich zunächst mit den dringlichsten Anordnungen für die nächste Zeit. Von etwa ebenfalls eingereichten Statuten ist in dem Schreiben nicht die Rede, und so wird man vermuten können, daß deren endgültige Gestalt von der Antwort auf die beiden erwähnten Eingaben abhängig gemacht werden sollte. Da eine solche Antwort vor Albrechts Tod nicht mehr erfolgt zu sein scheint, wird die Arbeit an der Satzung liegen geblieben und das Jahr 1507 wie die vorausgegangenen Reformjahre für die geschriebene, wenn auch nicht für die praktische Universitätsverfassung, ergebnislos ausgegangen sein.
Die unabgeschlossene Reform Ob die Universität oder die Artistenfakultät, ähnlich wie fünf-sechs Jahre später, Einwände gegen die von der Nova Ordinatio angeordneten bzw. vorgeschlagenen Verfassungsreformen vorgebracht und damit deren formellen Vollzug fürs erste verhindert haben, bleibt unentscheidbar; soweit die Konzilsberatungen von Prantl und Bauch referiert worden sind, geben sie für eine solche bestimmte Vermutung keinen Anlaß. Dagegen ist ein anderer Grund erkennbar, der den Abschluß der so zielstrebig in Angriff genommenen Universitätsreform und ihre Krönung durch die Verabschiedung einerneuen Statutenfassung verhindert haben könnte, indem er die Nova Ordinatio selbst in einigen Punkten anfechtbar und revisionsbedürftig erscheinen ließ. Über die Stiftungsurkunde hinausgehend, hatte Herzog Albrecht der Universität zwei neuerliche Freiheiten verliehen. § 11 der Nova Ordinatio dispensierte alle Gehaltsempfänger der Kammer (also Professoren und Kollegiaten) von der Pflicht, für ihre eigenen Häuser Steuern, "Scharwerk" und Wachtgeld zu zahlen; § 20 gestand allen Universitätsangehörigen das Recht zu, ohne Zahlung des Ungelds für den eigenen Verbrauch Bier und Wein einzulegen36• Beide Privilegien gingen auf Kosten der Stadtgemeinde, die denn auch sofort ihren geharnischten 35 StB Clm. 1619, 90: ,. ... darauf sy dan in unnser cantzlei zwo schrifftenn gelegt, darinn sy ir meinung, was sy für gutt in solchem allen ansieht, außdruckhenn; welch schrifften, nach dem die nit kurtz, sunder lang unnd wol darein zusechen not ißt, habenn wir ... nach notturft darein nit sechenn mögen, sonnder wöllen solch schrifften mit unnß gen München füeren lassen unnd mit zeittigern rate darober sitzen ... etc." 36 StB Clm. 1619, 81 f., 84'.
I. Nova Ordinatio 1507
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Protest anmeldete. Am 21. Oktober 1507 mußte der Herzog die Städter ermahnen, von illegalen Steuerforderungen gegenüber der Universität abzustehen; zugleich wurden aber für den 12. November gemeinsame Verhandlungen aller Parteien anberaumt37• Am 29. November fand diese oder eine weitere Konferenz statt, auf der die Stadt eine umfangreiche Beschwerdeschrift vorlegte; Klagepunkte waren das Einlagerungsrecht und die Steuerfreiheit der Doktorenhäuser38. Offenbar durch die Befreiung der Universität vom Wachtgeld bewegt, ging die Stadt gleichzeitig dazu über, die Straßen nachts ohne Bewachung zu lassen, und provozierte damit eine Beschwerde der Universität an den Herzog39• Es gelang Albrecht IV. noch vor seinem Tode, diese Angelegenheit vertraglich zu regeln; am 26. Februar erging seine "Ordnung der Wachthut" 40• In der Steuerfrage kündigte der Herzog am 18. Januar der Stadt einen weiteren Befehl an'\ der vielleicht nicht mehr erlassen wurde, jedenfalls nicht erhalten ist. Am 10. März 1508 starb Herzog Albrecht. Drei Monate später erließ die Vormundschaftsregierung Herzog Wolfgangs nach neuerlichen Verhandlungen eine Verordnung, die das Einlagerungsrecht auf einen engeren Personenkreis begrenzte42. Im Jahr darauf wurde auch die Steuerfreiheit der Doktoren genauer bestimmt, das Pflaster- und Brunnengeld davon ausgenommen43. Dies waren die ersten Korrekturen der Nova Ordinatio, denen einige Jahre später weitere und verfassungsgeschichtlich wichtigere folgen sollten. Sie machen begreiflich, warum die Ordinatio noch in den Jahren 1511-1515 trotz gelegentlicher Bekräftigungen durch Herzog Albrechts Nachfolger nicht aus dem Stadium der Diskussionswürdigkeit hinausgelangt war, und erlauben die Schlußfolgerung, daß die Universitätsreform zu Lebzeiten Albrechts IV. in der Meinung der Beteiligten zu keinem Abschluß gelangt war. Damit würde sich auch erklären, warum die sorgfältige Revisionsarbeit der Universität nicht das Ergebnis einer neuen, vom Landesherrn ratifizierten Statutenfassung gezeitigt hat. StA Ingolstadt A VI 1, 22. StA Ingolstadt A VI 1, 28. Die Städter warfen der Universität vor, sie habe ihr neues Privileg "stillsweygend und onerinndert" der Stadt erlangt, wohl wissend, daß es den verbrieften städtischen Freiheiten widerspreche. Die Stiftungsurkunde und der frühere Brauch werden berufen, dazu die verschiedenartigsten, häufig sehr interessanten Argumente ins Feld geführt, um die Unrechtmäßigkeit der neuen Freiheiten zu erweisen. 39 StA Ingolstadt A VI 1, 23 (13. 12. 1507 und 17. 12. 1507). 4o Mederer IV 164 ff. 41 StA Ingolstadt A VI 1, 25. 42 Mederer IV 168 ff.: Steuerfrei einlagern durften jetzt nur die besoldeten Doktoren, die haushaltenden Magister, die beiden Kollegien und die adligen Studenten. 43 Mederer IV 173 ff. 37 38
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Würdigung der Nova Ordinatio Ohne dieses ihr erklärtes Ziel erreicht zu haben, ist die Nova Ordinatio dennoch für die Verfassungsgeschichte der Universität Ingolstadt von kaum zu überschätzender Bedeutung gewesen. Ihrem Umfang und ihrer Gewichtigkeit nach steht diese Reformschrift beinahe ebenbürtig neben der Stiftungsurkunde von 1472 und beträchtlich über der nächsten großen landesherrlichen "Reformation" von 1555. Eine Reihe ihrer Neuerungen sollten freilich nicht von bleibender Geltung sein; hierher gehört die Einführung der ganzjährigen Rektorats- und Dekanatsperiode -ein Vorgriff um zwei Jahrhunderte!- und die Schlichtung des Wegestreits, zentrales Anliegen der Schrift, durch Einführung einer strengen Parität, die schon nach wenigen Jahren durch die endgültige Abschaffung der Schulparteien überholt wurde. Zu den bleibenden, in die Statutenredaktion von 1522 hinübergeretteten, wenn auch dort modifizierten Reformen zählt an erster Stelle die Konzilsverkleinerung und die mit ihr zusammenhängende Verfahrensänderung; in diesem Punkt bedeutet die Nova Ordinatio für die Universitätsverfassungsgeschichte eine Epoche44 • Weniger wichtige Anordnungen betrafen Kündigungsrecht und Altersversorgung der Professoren, den Status der Kollegiaten, das Steuer-, Gerichts- und Kammerwesen sowie schließlich die Beziehungen zwischen Universität und Stadtgemeinde. In den Vorschlägen des zweiten Teils ist u. a. von der Ferienordnung, von Lehrplänen und Promotionsordnungen und von Kleidervorschriften die Rede. Der "Abschied" des gleichen Jahres beschäftigte sich noch einmal ausschließlich mit dem Wegeproblem in der Artistenfakultät; für die Vergabe der Kollegiaturen, die Wahl der Examinatoren und das bevorstehende Prüfungsverfahren wurden bestimmte Anordnunggen getroffen, die freilich die Regierungszeit Herzog Albrechts nur um kurze Zeit überlebten. Die knappe Inhaltsangabe mag an dieser Stelle genügen; bei der Behandlung einzelner Aspekte der Universitätsverfassung im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit wird von der Nova Ordinatio wiederholt und ausführlich die Rede sein. II. Die Statuten von 1522 und ihre Entstehungsgeschichte Bedeutete die Nova Ordinatio den Höhepunkt der in den neunziger Jahren des 15. Jh. begonnenen Reformperiode, so bringt der nun folgende, bis zum Jahre 1522 reichende Abschnitt den Ausklang der Ver44 Vgl. die entsprechenden Sachkapitel im 2. Teil dieser Arbeit; hier Kap. 6 Abschnitt 11.
II. Statuten 1522
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fassungsreform und die Sanktionierung ihrer Ergebnisse durch die Statutenrevision. Die drei Jahre (1508-11) währende Regentschaft Herzog Wolfgangs stand für die Universität im Zeichen fortgesetzter Auseinandersetzungen mit der Stadtgemeinde, in deren Verlauf das Konzil zweimal (1509 und 1513) ohne Erfolg die Universität Wien um Mitteilung ihrer Privilegien anging45• Zwei durch herzoglichen Schiedsspruch zustande gekommene Verträge (1509) erschienen der Universität so wenig vorteilhaft, daß man sich des Regenten noch um die Jahrhundertmitte als eines Gegners erinnerte". Die "Reformatio" von 1515 Fast gleichzeitig mit dem Regierungsantritt Herzog Wilhelms IV. (und seines Bruders Ludwig) im Jahre 1511 aber traten die inneren Probleme und Konfliktstoffe aus dem Hintergrund, in den sie von den Bemühungen um Behauptung nach außen gedrängt worden waren, wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Und wieder war es der Parteikampf in der Artistenfakultät, der zunächst die Universität und bald auch den Landesherrn zum Eingreifen nötigte. Wahrscheinlich brachten taktische Gesichtspunkte dieses Kampfes die Fakultät im Herbst 1511 dazu, unter Abkehr von der Nova Ordinatio zur halbjährigen Dekanatsperiode zurückzukehren. In ihrer Beschwerde an den Herzog ging die Universität über den konkreten Anlaß hinaus und erklärte für wünschenswert, daß der Fürst selbst oder wer die weren, in die und ander notturft gebrechen undordnungder universitet sehen sollten47 • In seiner Antwort vom 23. November 1512 sagte Herzog Wilhelm wirklich eine Inspektion durch etlich aus unsern reten zu48• Zwei Wochen später, am 5. Dezember 1512, wurden Sebastian Ilsung, der Franziskaner Johann Schatzger und der berühmte Johann Aventin mit dem Auftrag abgeordnet, zusammen mit der Universität von wegen der gebrechen sich in unser universitet zu Ingolstat halltent, auch der statut halben daselbs zu beraten und im Namen des Landesherrn Entscheidungen zu treffen48 • Als Ergebnis dieser Inspektion ist zunächst nur sichtbar, daß Prantl I 109 und oben Kap. 2 Abschnitt II. StB Cgm. 2209, 8': ein Schreiben der Universität an Herzog Wolfgang aus dem Jahre 1511 mit Randglosse Johann Agricolas: "An hertzog Wolffgang geschriben, der nit gut studentisch gewesen oder osores studiosorum bei im oder in räthen gehabt. Sie apparet ex multis literis ab ipso ad universitatem transmissis." Vgl. oben Anm. 7 und 8. 47 Prantl II Nr. 37 (15. 8. 1512). Die Verteidigung der Artisten ebenda Nr. 36. 48 Prantl II Nr. 38. 49 Prantl II Nr. 39. Alle diese von Prantl gedruckten Stücke stammen aus dem verlorenen Band UA 0 I 3 der artistischen Fakultätsakten. 45 46
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3. Kapitel: Reformperiode 1497-1522
die Artisten im Frühjahr 1513 ihren Dekan für ein weiteres Semester im Amt beließen50 . Während aber ein herzogliches Schreiben vom Juni 1514 der Universität in allen Stücken, auch in der Frage der artistischen Dekanatsperiode, die Einhaltung der Nova Ordinatio anbefahP\ wählten die Artisten schon seit 1513 ihre Dekane wieder halbjährlich52. Jedoch scheint eine neue Ordnung für die Artistenfakultät geplant gewesen zu sein; die Fakultät beschloß im Sommer, auf ihre baldige Verabschiedung zu drängen53, und verschob noch im September die Entscheidung einer anstehenden Frage bis zum Eintreffen der nova ordinatio principis54• Dann ist in den Akten von dieser Sache nicht mehr die Rede. Nachdem Wilhelm IV. noch im Juni 1514 entschlossen schien, die Nova Ordinatio auch in ihren strittigen Punkten (Wegeparität, ganzjährige Amtsperiode) aufrecht zu erhalten, fand er sich doch schon im folgenden Frühjahr in Abweichung von dieser Ordnung bereit, der Einführung des Adelsrektorats zuzustimmen55. Wenige Tage später kam Anfang Mai 1515 eine neue herzogliche Visitationskommission nach Ingolstadt, der aus der vorhergehenden Abordnung die Räte Ilsung und Aventin, neu der Sekretär Augustin Kölner und Leonhard Eck angehörten56. Mit dem letzteren erschien die Figur auf der Bildfläche der Universitätsgeschichte, von der nun für mehr als drei Jahrzehnte die Geschicke der Universität beinahe ausschließlich abhängen sollten. Die Visitation in causa universitatis ac singularum facultatum erbrachte eine nova reformatio, die nicht erhalten ist. Sie betraf vor allem 50 UA Georg. III/22, 1: am 6. 5. 1513 wird der alte Dekan "de novo assumptus, prout sub precedenti decanatu diffinitum fuit". 5t Prantl li Nr. 40. 52 Im Gegensatz zum eben zitierten Fakultätsbeschluß weist die Fakultätsmatrikel (UA 0 IV 1) schon für 1512 zwei Dekane aus (Ramelspach und Putersaß), ebenso dann für 1513 (Parsch und Schwebermaier) und die folgenden Jahre. 53 UA Georg. III/22, 1' (8. 6. 1513): "Conclusum fuit in eodem consilio, quod negotium facultatis de nova ordinatione instituenda apud illustrissimum principem sollicitari debet". Ein Schreiben wurde aufgesetzt und durch einen Boten nach München gebracht, wo Augustin Kölner und Veit Beringer seine Weiterleitung an den Herzog zusagten. 54 UA Georg. III/22, 2'. 55 UA D II 1 (22. 4. 1515); vgl. unten Kap. 7 Anm. 93 ff. 56 UA Georg. III/22, 7': Am 1. 5. 1515 verschob die Artistenfakultät ihre anstehende Dekanwahl "in alium diem beneplacitum dominis legatis a principe nostro illustrissimo Wilhelmo ad universitatem missis"; am 9. 5. wurde sie in deren Anwesenheit nachgeholt. - Am 21. 5. 1515 beschloß die Fakultät "propinam mittere clarissimis ac nobilibus viris d. doctoribus N. (sie!) Ilsung, Leonhardo Eck et venerabili viro ac magistro Johanni Aventino et circumspicio viro Augustino Kölner illustrissimi principis nostri Wilhelmi legatis, qui in causa universitatis ac singularum facultatum huc missi erant". - Vgl. zu dieser wie zur vorigen Kommission (Anm. 49) Aventins Hauskalender in: Johann Turmair's, genannt Aventinus, sämmtliche Werke, VI (1908) 25 ff. sowie die Biographie I xiii f. Aventins Urteil über die Ohnmacht der Universität ebd. I iii f.
11. Statuten 1522
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die Artistenfakultät, die im November des gleichen Jahres beschloß
vetera statuta et decreta, presertim nove ordinationi non adversantia, servanda esse immutata und den Dekan beauftragte, die neue Ordnung
ins Lateinische zu übersetzen57• Durch eine sich über die folgenden Jahre hinstreckende Serie schriftlicher und mündlicher Anordnungen wurde die Organisation der Fakultät und ihres Lehrbetriebs auf den Stand gebracht, den die von Prantl auf 1519/20 datierte neue Statutenfassung wiedergibt. Noch 1515 sind wohl die artistischen Schulparteien abgeschafft und verboten worden; jedenfalls hörte der Streit jetzt völlig auf. Auch die Vertretung der Artistenfakultät im Universitätskonzil wurde bereits jetzt in der Form geregelt, wie es die Universitätsstatuten von 1522 festlegen. Seit dem Frühjahr 1516 wählte die Fakultät in jedem Semester neben Dekan und Assessoren drei consiliarii universitatis58• Diese ganze, bedeutsame artistische Fakultätsreform war ungeachtet des Anteils, den Johann Eck durch die Abfassung der neuen Lehrbücher für sich beanspruchen konnte, beinahe das persönliche Werk des Patrons Leonhard Eck59• Für die Universität insgesamt erließen die reformatores in Erneuerung eines alten Statuts die Anordnung, daß Vorlesungsversäumnisse künftig von der Kammer registriert und durch Gehaltsabzüge geahndet werden sollten60• Des weiteren wurde bestimmt, daß die Promovenden oder möglicherweise nur eine Kategorie unter ihnen - an die Kammer eine Promotionssteuer in Höhe eines halben Guldens zu zahlen hätten61 • Die verfassungsgeschichtlich relevante Wiederabschaffung der ganzjährigen Rektoratsperiode dagegen erfuhr die Universität nicht durch jene schriftliche reformatio, sondern durch mündliche Botschaft der commissarii principis am 11. Dezember 151562• Was an weiteren Neuerungen in der Folgezeit erkennbar wird, mag weniger auf jene nova reformatio als auf spezielle Anordnungen Leonhard Ecks zurückgehen, der als Hofmeister des studierenden Herzog UA Georg. 111/22, 9' (11. 11. 1515). Vgl. unten Kap. 6 Anm. 38. 59 Vgl. Kap. 5 Abschnitt 11. 60 UA D 111 4, 341 (5. 11. 1515): "ltem propositum est per dominum camerarium non velle assignare nec recitare defectus et negligentias doctorum, uti per commissarios principis in nova reformatione iniunctum sit. Desuper conclusum est per dominos consiliarios, ut in fine anni convocentur domini de camera et quilibet stipendiatus sub bona fide recitet defectus suos." 61 UA D 111 4, 346 (26. 5. 1516): "Item dominus camerarius proposuit etiam quomodo illi promoti, qui iuxta tenorem nove reformationis tenentur camere persolvere medium floreni, tardi sint in reddendo . . ." 62 UA D III 4, 1 (11. 12. 1515) : "quoniam ad tempus aliquod annuatim rector electus sit, nunc vero relatum per dominos aliquos artistice facultatis magistros rectorem non per integrum sed dimidium annum in officio perseveraturum ab commisariis principis percepisse et id ut illico fiat luctum esse existimabatur"; vgl. unten Kap. 7 Anm. 158. 57
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Ernst nun für längere Zeit an der Universität verblieb und den landesherrlichen Pauschalauftrag besaß, ut gymnasium nostrum Angilosta-
dense, quod paene incuria quorundam collapsum erat, auctoritate nostra assereret atque ab interitu vindicaret63• Nicht unerwähnt bleiben darf
hier vor allem die umfassende Neudotierung der Universität, die 1516 mit der Verleihung der Präsentationsrechte über drei Pfarreien begann und in den Jahren 1518 und 1523 ihre Fortsetzung fand64 • In ihrer Folge wurde eine aktivere und weiter gespannte Berufungspolitik möglich, die nach Auskunft der Akten schon seit 1515/16 fast allein in den Händen Ecks lag. Im gleichen Zusammenhang muß vorgreifend die Neuordnung des Alten Kollegs von 1518 genannt werden, durch die ein Teil der artistischen Kollegiaturen in zusätzliche Lehrstühle der oberen Fakultäten umgewandelt wurden65 •
Die Statutenarbeit des Jahres 1517 Wenn hier über diese großen, außerhalb des Gesichtskreises unserer Arbeit liegenden Neuerungen wie auch über die Vielzahl der täglichen kleineren Reformen dieser Jahre hinweggegangen und sogleich die Vorgeschichte der Statutenredaktion von 1522 ins Auge gefaßt werden soll, so sei die grundsätzliche Bemerkung vorausgeschickt, daß diese zweite Statutenfassung der Ingolstädter Universität einen Verfassungszustand legalisierte, der bereits im Jahre 1516 in der Praxis erreicht war. Mit der reformatio von 1515 und der wahrscheinlich gesonderten Rektoratsreform des gleichen Jahres war dieser Zustand in allen relevanten Hinsichten verwirklicht, sodaß aus den folgenden sieben Jahren keine Neuerung von verfassungsgeschichtlichem Interesse mehr zu berichten bleibt. Wo die Entwicklung weiterhin im Fluß war - zu denken ist etwa an die Regelung der artistischen Senatsvertretung68 - dort brachten auch die Statuten von 1522 keinen Abschluß; ja, es spricht für den offiziellen und dadurch von Sterilität bedrohten Charakter des Statutenwesens schlechthin, daß solche Komplexe schon 1522, in viel stärkerem Maße dann 1556, von der schriftlichen Universitätsverfassung nicht mehr erfaßt wurden. Was zu berichten bleibt, ist also nur noch die Entstehungsgeschichte der Statutenneufassung von 1522. Sie beginnt mit dem Prorektorat Johann Ecks, des Theologen, im Sommersemester 1517. Nach seiner Wahl im April weigerte sich Eck zunächst, das angetragene Amt zu überneh63 Prantl I 115 Anm. 51 aus dem Druckprivileg Herzog Wilhelms für Johann Ecks Logikkommentare. Vgl. unten Kap. 11 Abschnitt II. 64 UA D 111 4 Jahr 1516 ff. passim. Vgl. dazu A. Ziegler, Die Nominationsund Präsentationsrechte der Universität München. 65 Vgl. unten Kap. 5 Abschnitt II. o6 Vgl. unten Kap. 6 Anm. 39 ff.
11. Statuten 1522
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men, und zwar erstens auf Grund der andauernden Reibereien mit der Stadt, zweitens angesichts der inobedientia scholasticorum und drittens wegen der mala administratio rei publice ipsius universitatis. Er ließ sich erst umstimmen, nachdem sich alle Konzilsmitglieder verpflichtet hatten, mit ihm gemeinsam onus defendende rei publice ipsius universitatis zu tragen67 • Am 15. Juni trat Eck mit dem Entwurf eines Disziplinarmandats vor das Konzil; zugleich bewirkte er im Interesse des vernachlässigten Aktenwesens den Konzilsbeschluß, daß ein Formular- und ein Aktenbuch angelegt werden sollten68 • Die Idee aber, die alten Universitätsstatuten durch eine Revision den jüngst eingetretenen Veränderungen anzupassen, stammte nicht von Johann, sondern von seinem Namensvetter Leonhard Eck, der am 28. August vor dem Konzil den Antrag stellte, die verschiedenen alten und neueren Statuten in einer Redaktion zusammenzufassen, wobei observanda servari, delenda quoque cancel-
laTi possint, illa vero sie ut premittitur concordanda69 •
Die eigentliche Kompilationsarbeit wurde dem Prorektor Johann Eck übertragen, während die Doktoren Wolfgang Peisser (med.) und J ohann Rosa (jur.) die Aufgabe erhielten, die kompilierten Statuten sorgfältig zu prüfen. Einen Monat später, am 1. Oktober, war Johann Eck mit seiner Arbeit fertig, und das Konzil beschloß, daß die Revision durch Peisser und Rosa in der nächsten Konzilssitzung vorgenommen werden 61 Eck war für den Adelsrektor Martin Graf von öttingen gewählt worden, nachdem er schon 1512 ein erstes Mal Vollrektor gewesen war. - UA D III 4, 11 (2. 5. 1517): "Convocatum est consilium universitatis super electione vicerectoris, quoniam doctor Joannes Eckius supra electus (am 24. 3.) acceptare rennuit, assignans tres rationes; prima fuit controversia et dissensiones que indies cives cum illis de universitate moverent, statuta et privilegia eiusdem infrigendo et ipsi alias eidem in multis contrariarentur; secundo inobediencia scholasticorum, et tertia etiam mala administratio rei publice ipsius universitatis, quam multi ex consiliariis parum considerant, ex eo sepius pro necessitate eiusdem universitatis vocati vix vel tarde comparerent. Illis obstantibus minus acceptare velit, nisi omnes de consilio unacum eodem domino doctore onus defendende rei publice ipsius universitatis recipiant, et qui omnes facere ac debito tempore ad vocationem eiusdem ratione universitatis comparere velle dixerunt. Desuper idem doctor Eckius officium prorectoris in se suscepit." 68 UA D III 4, 14. Die beiden Bücher: "unus ad inscribenda formularia singulorum per decreta seu mandata ab universitate emanencia, ut cum dein similia exarari contigerit aut necessarium foret, quod tune non semper novus labor insurgeret; alter vero ad custodienda singula acta in universitate actitata et conclusa, ut non semper turn presentia, sed etiam preterita possent interdum intueri." 69 UA D III 4, 16: "Item proposuit etiam idem doctor Leonardus de Eckh de variis statutis antiquis et noviter confectis, ut illa in unum redigi librum et observanda servari, delenda quoque cancellari possint, illa vero sie ut premittitur concordanda. Electi sunt clarissimi viri doctor Joannis Eckius, qui seriatim singula in unum disponat librum, deinde d. doctor Wolfg. Peysser et Joan. Rosa unacum prefato d. d. Joan. Eckio diligenter ea sie compilata revideant."
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sollte70 • Erst in den Weihnachtstagen 1517, an drei Tagen vom 24. bis zum 26. Dezember, führte aber dann das Konzil in Anwesenheit Leonhard Ecks diese Revision durch, in deren Ergebnis die neuen Statuten angenommen wurden71 • Am 13. Oktober hatte auch die Artistenfakultät ihrerseits beschlossen, diejenigen ihrer alten Statuten und Dekrete, die der nova ordinatio nicht widersprächen, zusammenzufassen, und für dieses Werk eine Dreierkommission gewähW2 • Ende 1517 war auch die Fakultät mit ihrer Revision zu Rande gekommen und überreichte die neuen Statuten durch Dekan und Assessoren dem Patron Leonhard Eck73• Anfang Januar wurde beschlossen, die statuta secundum novam ordinationem correcta et renovata vor der Gesamtfakultät bekanntzugeben74• Nachdem diese Verlesung stattgefunden hatte, wird der Beschluß registriert, die neuen Fakultätsstatuten cum statutis universitatis ad principem pro eorum
confirmatione esse dirigenda75•
Zum Jahresanfang 1518 waren also die Universitäts- und die artistischen Fakultätsstatuten bereit, zur Einholung der stiftungsgemäß erforderlichen herzoglichen Bestätigung nach München eingesandt zu werden. Da Leonhard Eck die Revisionsarbeiten überwacht hatte, hätte es sich bei diesem Akt lediglich um eine Formalität gehandelt.
Die Verzögerung der herzoglichen Approbation Diese Formalität aber unterblieb fünf weitere Jahre lang. Noch am 13.1.1518 wartete die Universität mit einer Entscheidung darauf, daß 70 UA D III 4, 17: "ltem de statutis per dominum doctorem Eckium in unum collectis placuit dominis, ut supra electi domini in proximo consilio illa reviderent, et de libris pro universitate, ut singula acta et conclusa ad eosque inscribantur per eundem dominum doctorem dispositos; placuit dominis ita fieri." 71 UA D 111 4, 18: "ltem prenominatis ultimis tribus diebusper totum consilium universitatis revisa sunt statuta ex antiquis et nova reformatione a principe missa per dominum doctorem Joannem Eckium ex iniunctu universitatis compilata et in presentia domini doctoris Leonardi de Eckh per universitatem approbata." 72 UA Georg. III/22, 22': "ex omnibus veteribus statutis et decretis ea que nove non contrariantur ordinationi in unum colligenda esse atque nove ordinationi principis Guilhelmi iniungenda fore, quo principis auctoritate confirmentur singula." Gewählt wurden die drei Kollegiaten Johann Salach, Nikolaus Appel und Georg Boemus. 73 UA Georg. III/22, 24 (29. 12. 1517): "Primo (facultas) revisit statuta tarn nove quam veteris ordinationis concordata ac superflua resecata et huiusmodi doctori Leonhardo Eckio per decanum et assessores obtulit." 74 UA Georg. 111122, 25 (7. 1. 1518) " ... decrevit facultas statuta secundum novam ordinationem correcta ac renovata proxima die dominica coram tota facultate sint legenda." Ob es sich bei der vielzitierten "nova ordinatio" um die "nova reformatio" des Jahres 1515 oder eine spätere Anordnung handelt, bleibt unbestimmt. 75 UA Georg. III/22, 25' (10. 1. 1518).
II. Statuten 1522
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Eck mit den konfirmierten Statuten von Hofe zurückkehrte76 • Dazu kam es jedoch zunächst nicht, der nicht ganz freiwillige Daueraufenthalt des Patrons an der Universität war zu Ende. Freilich könnte dieser Umstand allein die auffällige Verzögerung nicht erklären, und es bleibt nach Gründen zu fragen, die Leonhard Eck bewogen haben mögen, von einer Fixierung des bestehenden Verfassungszustandes fürs erste Abstand zu nehmen. Solche Motive sind im Falle der artistischen Fakultätsstatuten leicht erkennbar. Zur gleichen Zeit, als die Fakultät ihre neue Satzung fertigstellte und zur Bestätigung vorlegte, wurden ihre traditionelle Lehrverfassung und ihre Stellung in der Gesamtuniversität durch wichtige Neuerungen in Frage gestellt, und es sollte sieben Jahre dauern, ehe diese innere Umwandlung mit der Neuordnung von 1526 zu einem vorläufigen Abschluß gelangte. Ihr Beginn läßt sich auf die Reform des Alten Kollegs durch herzogliche Verordnung vom 3. 5.1518 datieren, aber es kann kaum zweifelhaft sein, daß Eck schon bei den für die Fakultät sehr ungnädig verlaufenden Verhandlungen im Januar des gleichen Jahres die Reformpläne hegte, die mit jenem tief in den Besitzstand der Fakultät einschneidenden Reskript ausgeführt wurden77 • Die folgenden Jahre waren mit gelegentlichen längeren Unterbrechungen von einer Serie mündlicher und schriftlicher Verhandlungen ausgefüllt, die vor dem Jahre 1526 nie zu einem Punkt gelangten, auf dem eine endgültige Fixierung der Fakultätsstatuten zweckmäßig oder auch nur möglich erscheinen konnte. Tatsächlich ist die von Prantl auf 1519 datierte artistische Statutenredaktion niemals vom Herzog bestätigt und damit offiziell verabschiedet worden78 • Gegen Prantls Datierung ist einzuwenden, daß der große Entwurf dieser Fassung bereits vom Jahresende 1517 stammt, während einzelne Änderungen und Zusätze sicherlich bis ins Jahr 1519, möglicherweise aber sogar noch in die spätere Zeit herabreichen. Am 28.10.1518 ließ Eck der Fakultät nonnulla concepta zukommen, die secundum mentem magistri curie ... ad statuta sunt ponenda79, und wenn im Januar 1519 die Bursenkonventoren auf die neuen Statuten 76 UA D III 4, 368: " ... ut expectatur (sie!) adventus d. doctoris Leo. de Eck in recitatione defectuum et confirmatione statutorum a principe". 77 Vgl. unten Kap. 5 Anm. 57 sowie Seifert, Das Ingolstädter Collegium vetus 33 ff.- Am 17. 1. 1518 heißt es im Dekanatsbuch (UA Georg. III/22 f. 26): " ... magister Joannes Schrötinger coram facultate gesta et facta in Monachio coram principe narravit, quomodo princeps non audiverit supplicationem, sed ipse magister curie ( = L. Eck) solus . . . legisset maledixisset." Die Fakultät ließ einen Brief aufsetzen "et inquirat an princeps cum suis consiliariis facultati prebere audientiam velit ad excusandum se ..." 1s Prantl II Nr. 43. 79 UA Georg. 111/22, 29, 29'.
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3. Kapitel: Reformperiode 1497-1522
vereidigt wurden80, so waren diese doch immer noch nicht herzoglicherseits bestätigt. Das zeigte sich, als die Fakultät bei den Verhandlungen im Oktober 1520 unter anderem darüber klagte, daß sie verbindlicher statutariae ordinationes entbehre, und von Eck zur Anwort erhielt, man möge sich in den moresandie alten Vorschriften, in den lectiones aber an die superioribus annis ergangenen Anordnungen halten81 • Der Patron schien an der Bestätigung der von ihm selbst seinerzeit angeregten Statutenfassung nicht mehr interessiert zu sein. Als die Fakultät im Januar 1522 erneut die Bitte vortrug, daß die statuta confirmata absque dilatione erigantur, erklärte Eck, er habe in München statuta facultatem nostram tangencia, que in brevi ad nos destinare vellet82 • Die Fakultät solle über diesen Entwurf beraten und ihn nach Gutdünken ändern, dann solle er absque dilatione vom Herzog bestätigt werden. Hier war sehr wahrscheinlich schon von jener nova ordinatio vom Januar 1526 die Rede, deren endgültige Verabschiedung vom Ausgang der laufenden Inkorporationsverhandlungen abhing und sich aus diesem Grunde noch vier Jahre verzögerte83• Die alten Fakultätsstatuten schien Eck angesichts dieser neuen Planungen für überholt zu halten. Dennoch machte sich die Fakultät im Juli 1522 gleichzeitig mit der Universität von neuem an die Überarbeitung ihrer Statuten. Die Neufassung sollte Punkt für Punkt noch einmal durchgegangen und dabei entschieden werden, an quid foret addendum, deponendum aut in totum mutandum84. Zugl€ich wurde beschlossen, die decretorum et actorum libri daraufhin durchzusehen, ob aus ihnen der eine oder andere Beschluß den Statuten hinzugefügt werden könnte85• Am 11.7.1522 hatte eine Kommission aus fünf Magistern diese Arbeit beendet, und wieder fehlte UA Georg. III/22, 32. UA Georg. III/22, 47': "Prirno non parurn incivile, verurn etiarn in rnagnarn esse iacturarn reipublice artistarurn, ipsarn facultatern turn ternporis ordinationibus carere statutariis, sine quibus tarnen nulla res publica salva rnanere potest ... Ad hunc articulurn respondit d. doctor ( = L. Eck), facultatern debere in rnoribus pro rnorurn integritate servanda secundurn sanctiones antiquas, in lectionibus vero quottidie Iegendis iuxta viam superioribus annis eis prescriptam procedere." 82 UA Georg. III/22, 60 ff.; f. 61: "Ad quartum respondit (L. Eck) se Monachii habere statuta facultatern nostrarn tangencia, que in brevi ad nos destinare vellet, ita ut nos ipsis adderemus aut amoverernus prout consultius nobis visum foret, et hec tandern absque dilatione ab illustrissimo principe confirrnari deberent." 83 Prantl II Nr. 60. 84 UA Georg. III/22, 64 (3. 7. 1522). 85 UA Georg. III/22, 64' (9. 7. 1522): " ... fuit conclusum: decretorum et actorum libri diligenter providerentur, ut si que decreta invenirentur in eisdem, que ad usum quottidianurn forent necessaria neque in aliis statutis comprehenderentur, illa omnia deberent exscribi atque aliis statutis coniungi et cum eis confirmari, quod facturn est." 80
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II. Statuten 1522
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nur noch die herzogliche Approbation86• Daß sie nicht erfolgte, zeigt ein Akteneintrag vom 22. 5.1523, wonach die Statutenlesung usque ad adventum principis verschoben wurde, und schließlich eine Notiz vom 2. 11. 1523: die Fakultät beschloß statutorum publicationem differendam donec ab ill. principe confirmentur87 • Aus dem Zitierten scheint sich zu ergeben, daß die Fakultät neben den folgenden, mehr oder weniger staatlicherseits oktroyierten ordinationes von 1526, 1535 und 1539 offiziell keine eigenen Statuten mehr besaß. Freilich existierten solche Statuten dennoch de facto weiter, und die Fakultät scheint noch eine Weile nach ihnen gelebt zu haben. Im Juli 1522 war etwa ein liber novus statutorum angelegt worden88• Nach der "Ordinatio" von 1526 beschloß die Fakultät, ut statuta quedam vetera eraderentur ex libro statutorum und daß die "Ordinatio" in das Statutenbuch eingearbeitet werden sollte89• Solchen Fleißarbeiten ging aber letzten Endes eine höhere Verbindlichkeit ab. Mit dem Jahr 1518 existierte ein fakultätseigenes Statutenrecht im Grunde nicht mehr: keine der folgenden Statutenfassungen, die von Prantl gedruckte eingeschlossen, besaß die herzogliche Konfirmation, die ihr stiftungsgemäß allein Legalität zu verleihen geeignet gewesen wäre. Diese Feststellung ist für die Geschichte der Universitätsstatuten von einigem Interesse, indem sie erkennen läßt, daß möglicherweise auch das universitätseigene Statutenrecht zu dieser Zeit nicht mehr selbstverständlich außer Frage stand. Wenn die Universität nach mehr als vierjähriger Pause ihre Statutenfassung aus eigener Initiative wieder hervorholte und schließlich für sie die herzogliche Approbation erlangte, so schuf sie damit für ihre künftige Verfassungsgeschichte einen Präzedenzfall, der von der allgemeinen Lage der deutschen Universität des 16. Jh. nicht unbedingt gestützt wurde90 • Schon seit dem Jahre 1518 schien die andere Möglichkeit, nämlich die völlige Ersetzung der universitären Statuten durch staatliche Verfassungsverordnungen, durchaus in Reichweite zu liegen. Da sich sachliche Gründe für die Verzögerung des Konfirmationsakts im Falle der Universitätsstatuten nicht erkennen lassen, wird man mit einiger Wahrscheinlichkeit vermuten können, daß sie von den gleichzeitig mit ihnen eingesandten, aus den geschilderten Gründen aber liegen bleibenden artistischen Fakultätsstatuten unter sich begraben wur86 UA Georg. III/22, 64': Die Kommission verliest die "decreta ... ex actis et antiquo decretorum libro facultatis artium collecta, a toto consilio statutis adscribenda ac cum eisdem confirmanda approbata. Ut est videre in libro novo statutorum." 87 UA Georg. III/22, 68': "De statutis legendis distulit consilium usque ad adventum principis." - Ebenda f . 71 '. 88 Vgl. obenAnm. 86. 89 UA Georg. III/22, 88' (25. 7. 1526). go Vgl. Kap. 11 Abschnitt I.
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3. Kapitel: Reformperiode 1497-1522
den. Dabei wäre es ohne neuerliche Initiative der Universität wohl geblieben. Während aber Eck an der auf seine Anregung hin entstandenen Satzung kein sonderliches Interesse mehr zeigte, fehlte andererseits doch im Unterschied zu den Artistenstatuten auf Seiten des Staates ein eigentlicher Hinderungsgrund für die Fixierung eines status quo, an dem nach Abschluß der Verfassungsreform für absehbare Zeit keine Veränderungen mehr geplant oder auch nur zu erwarten waren. Darin unterschied sich die Situation des Jahres 1522 entscheidend von der Regierungszeit Herzog Albrechts V. So erklärt es sich, daß die Universität, als sie im Jahre 1522 die Angelegenheit energisch in ihre Hände nahm, in München auf keinen Widerstand stieß. Die Ratifikation der Statuten im Jahre 1522 Am 1. Juli 1522, unter dem Rektorat des Juristen Mathias Alber, beschloß das Konzil, die statuta ante aliquot annis per consilium univer-
sitatis revisa et approbata, attamen hucusque a principe nondum confirmata allen neuen Senatoren, die bei ihrer seinerzeitigen Herstellung und Verabschiedung nicht zugegen gewesen waren, zur Kenntnisnahme und Prüfung vorzulegen91 • Am 7. Juli wurde die Gesamtfassung (mit Ausnahme gewisser articuli de stipendio, über die der Herzog entscheiden sollte) vom Konzil erneut gebilligt92• Erst am 28. August wird dann der Beschluß registriert, die Satzung dem Patron Leonhard Eck bei seinem erwarteten Besuch in Ingolstadt vorzulegen93• Da Eck wieder einmal nicht eintraf, scheinen die Statuten nach München gesandt worden zu sein, vielleicht durch den Lizentiaten Johann Schröttinger, der am 5. Oktober in mehreren, nicht näher genannten Angelegenheiten unter Anvertrauung des kleinen Universitätssiegels an den Hof abgeordnet wurde94 • Die herzogliche Konfirmation erfolgte am 12. November, nach sorgfältiger Prüfung durch etlich unsere rete95• Zu Anfang Dezember war Schröttinger erneut in München und brachte am 17. Dezember die bestätigten Statuten zurück, zusammen mit einem vom 13. Dezember datierten herzoglichen Begleit91 UA D III 4, 94: "Conclusum est quod statuta ante aliquot annis per consilium universitatis revisa et approbata, attamen hucusque a principe nondum confirmata, per dominos consiliarios universitatis, qui tune temporis in approbatione huiusmodi statutorum consilio non interfuerunt, rursum legantur et videantur, et fuerunt tune in consilio praesentes ... etc." 92 UA DIll 4, 95: "De statutis pro universitate per principem confirmandis dominis propositis in consilio die ut supra. Placent omnia exceptis articulis de stipendio, ut illi offerantur illustrissimo principi." 93 UA D Ill 4, 96. 94 UA D III 4, 100. 95 Mederer IV 213. Im erhaltenen Statutenbuch der Universität (UA B II 7) fehlt der Schlußteil der Konfirmationsurkunde.
II. Statuten 1522
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Am 20. Dezember beschloß das Konzil für den morgigen Sonntag (St. Thomas) die öffentliche Bekanntgabe aller statuta ad legendum signata und des herzoglichen Schreibens97• schreiben~ 6 •
Der Aktenbericht zeigt, daß die das Datum des 12.11.1522 tragende zweite Ingolstädter Statutenredaktion fast gänzlich mit der Fassung identisch sein muß, die im Dezember 1517 erarbeitet und vom Konzil gebilligt worden war. Die Leistung des Jahres 1522 lag ausschließlich darin, daß es der Universität gelang, diese ihre Statuten, und damit ihr Statutengebungsrecht überhaupt, vom Landesherrn offiziell anerkannt zu bekommen. Es scheint, daß die Universität selbst diese Zielsetzung klar vor Augen hatte. Kaum war die offizielle Satzung im Herbst 1522 nach München abgegangen, kam in der Universität eine Reihe umfangreicher und gewichtiger Einzelstatuten über Kanzlei, Kammer, Notariat und Pedellamt zustande, alle am 10. Oktober 152298, die man durchaus nicht für nötig hielt, der großen Statutenredaktion einzuverleiben oder auch nur gesondert bestätigen zu lassen. Dieser auffällige Umstand deutet darauf hin, daß die Universität in der Lage gewesen wäre, ihre anstehenden sachlichen Probleme mehr oder weniger formlos durch conclusa zu bewältigen, und daß es ihr bei der Einholung der staatlichen Konfirmation für ihre offizielle Statutenfassung nicht primär um Sachliches, sondern darum gegangen sein muß, ihr Selbstverwaltungsrecht in der Form, in der es zur Zeit bestand, gegenüber dem Staat zur Anerkennung zu bringen. Insofern bedeutete die Approbation vom 12.11. 1522 einen Erfolg, der der universitären Freiheit für lange Zeit Spielraum und Rückhalt geben konnte. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die Monotonie der folgenden Statutenfassungen in einem neuen Licht. Nachdem die Zeit den korporativen Freiheiten in zunehmendem Maße feindlich war, durfte sich die Universität nichts besseres wünschen, als immer von neuem und ohne jede Neuerung in ihrem rechtlichen Besitzstand bestätigt zu werden. Die großen Satzungsredaktionen von 1556 und 1642 hatten, von der Universität aus gesehen, nicht den Sinn, neuere Entwicklungen und Veränderungen des Verfassungszustands getreulich zu registrieren, sondern ihre Funktion war programmatisch in konservativem Sinn. Wenn sich Ansätze für eine solche Auffassung des Statutenwesens schon im Jahre 1522 zeigten, so gilt dasselbe nicht für die Kompilationsund Revisionsarbeit des Jahres 1517, der die neue Satzung in Entwurf und Textausführung fast ausnahmslos zu verdanken ist. Auch diese 96 UA D III 4, 123: "Attulit preterea idem dominus licentiatus universitatis statuta confirmata ... insuper et alias litteras a principe manutentionem statutorum etc. aliaque demandantes." 97 UA D III 4, 125. 98 UA D III 4, 102 ff.; vgl. Anhang IX, XII, XIII.
7 Seifert
3. Kapitel: Reformperiode 1497-1522
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Satzungsarbeit hatte, wie gezeigt wurde, nicht legislatorischen Rang, sondern sie begnügte sich mit der getreuliehen Aufzeichnung der in der Epoche 1497-1515 eingetretenen Verfassungsänderungen. Da diese Änderungen aber in frischem Bewußtsein waren und bei dem Vergleich mit den Statuten von 1472 ins Auge fielen, entstand als Ergebnis der Revision eine klare und aussagekräftige Neufassung, die auch in formaler Hinsicht den Redaktionen des späteren 16. und 17. Jh. als Muster zu dienen geeignet war. 1555 beanstandeten zwar die herzoglichen Räte an dieser Satzung die Unordnung und den Mangel an Systematik99, eine Kritik, die aber durch das bescheidene Ergebnis der unter ihrer eigenen Ägide zustandegekommenen Neufassung entwertet wird. Sie, wie ihre Nachfolgerin von 1642, basierte in Inhalt und Form ganz auf der Fassung von 1517 bzw. 1522; für diese Tatsache steht als Erklärung die Modellhaftigkeit des Verfassungszustands von 1517, mit dem die Universität Ingolstadt für die frühe Neuzeit ihre definitive Form gefunden hatte.
111. Der Einfluß Tübingens auf die Verfassungsund Statutenreform der Jahre 1497-1522 Im Unterschied zu den Statuten von 1472 steht die Redaktion von 1522100 in einer inzwischen fünfzigjährigen einheimischen Tradition, sodaß der vergleichenden Textbetrachtung die Aufgaben und Fragen zum StA Obb. GL 1477/3, 55; vgl. Kap. 4 Anm. 53, 70. Sie ist bei Mederer (IV 183 ff.) gedruckt, liegt aber auch handschriftlich in einem gebundenen, beschlagenen Statutenbuch vor (UA B II 7), das auf der ersten Seite links in kalligraphischer Handschrift den (von Mederer hinten angeschlossenen) Inskriptionseid, daneben rechts ein Schwurblatt mit dem Bild des Gekreuzigten und den Eingangsworten des Johannisevangeliums enthält. Der eigentliche Text hat rote Titelüberschriften, große rote Initialen und rot nachgezogene Majuskeln. Es handelt sich um eine Abschrift; der Schlußteil der herzoglichen Approbationsurkunde sowie jede Art Unterschrift oder Siegel, auch eine notarielle Beglaubigung, fehlen. Auf häufige Benutzung deutet das vom Fingerauflegen geschwärzte Schwurblatt. - Die Abweichungen vom Mederertext sind im allgemeinen geringfügig, beweisen aber, daß Mederer eine andere Vorlage benützt hat. Über den Vorrang ist zwischen den beiden Varianten von Fall zu Fall zu entscheiden. Da sich eine Neuedition nicht lohnen will, seien im folgenden die Stellen erwähnt, in denen der Mederertextverbessert werden muß: 184,31 "membris" statt "menibus"; 186,34 "puniatur" statt "privabitur"; 186,35 "tardius" statt "tardus"; 190,4 "vero" statt "enim"; 193,17 "re ipsa" statt "eo ipso"; 193,32 hat die Handschrift nach "consilio" "et subditis"; 194,6 "idem" statt "eidem"; 195, 15 vor "s.Ambrosii" "sancti Augustini"; 196,9 "collegio" statt "consilio"; 200,18 "et obedientia" statt "ex obedientia"; 200,24 "discinctus" statt "distinctus"; 200,34 "indutis" statt "indutos"; 201 "et si licentioso" statt "et silencioso"; 201,26 "flagraret" statt "conflagret"; 202,33 "latine" statt "latius"; 204,11 "decenduum" statt "decendium"; 205,10 "ledoria" statt "pledoria"; 207,34 "vesperiandus" statt "vesperiandis"; 209,26 hat die Hs. "2" statt "XI"; 191 nach Zeile 8 fährt die Hs. fort : "Sie privilegio de absentiis benefitiorum habendis uti valentes primo testimonium auditionis scholastice exhibeant et quatuor grossos pro usu privilegii exponant, ac pro usu conserva99
100
III. Einfluß Tübingens 1497-1522
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größten Teil erspart bleiben, die sich im Falle der Gründungsstatuten gestellt haben. So sind unter den Textquellen der neuen Satzung an erster Stelle die alten Statuten selbst zu nennen, deren Umfang und Themenkreis aber weit überschritten werden; die direkten Entlehnungen bei dieser Vorlage machen nur einen Bruchteil des neuen Textes aus101 • Die spätere ergänzende Gesetzgebungstätigkeit hat nachweislich mit Einzelstatuten aus den Jahren 1472, 1474, 1487 und 1492 zur Neuredaktion beigetragen; ihre Gegenstände sind ausnahmslos disziplinargesetzlieber Art und von untergeordnetem Interesse102• Anderes aus ähnlicher Quelle mag nicht mehr zu identifizieren sein, weil die Vorlagen inzwischen nicht mehr zur Hand sind. Die Nova Ordinatio, soweit sie nicht von den Beschlüssen der Vorjahre zurückgenommen worden war, hat einzelne Abschnitte der neuen Satzung inhaltlich bestimmt, scheidet aber als direkte Textvorlage schon aus sprachlichen Gründen aus. Aus den Statutenberatungen des Jahres 1507 sind einzelne Textstücke nachweislich direkt in die Neufassung übergegangen103 ; wie weit diese im ganzen damals schon vorbereitet worden ist, muß angesichtsder heutigen Quellenlage offenbleiben. Bemerkenswert scheint, daß die Statutengeber von 1517 die herzogliche Stiftungsurkunde aufmerksam durchgesehen haben, was angesichts der vorausgegangenen Auseinandersetzungen mit der Stadt nicht wunder nimmt. Es fällt nun der Widerspruch, in dem sich die alten Statuten zum Stiftungsbrief befunden hatten, als sie anstelle der dort vorgesehenen vier clavigeri der archa im Gefolge ihrer Leipziger Vorlage nur zwei verzeichnet hatten104• Die sorgfältige Aufzählung der Siegel und die Beschreibung ihres Gebrauchs ist der Stiftungsurkunde entnommen, desgleichen der in den alten Statuten ausgelassene Rektoreid105, während der ebenfalls erstmals inserierte Immatrikulationseid aus der Matrikel übernommen werden konnte106• Schließlich bringen torii petitor unum florenum exponat". - Die von Mederer gedruckten Zusatzstatuten von 1523 stehen auch (in bescheidener Schrift) im Statutenbuch; hier ist zu korrigieren: 211,9 "rectoratu" statt "rectoris"; 211,13 "que quottidie" statt "quotquot". - Eine Fülle nicht sinnrelevanter Abweichungen in Wortstellung und Schreibweise, bei denen der Handschrift nicht immer der Vorzug gegeben werden kann, braucht hier nicht registriert zu werden. 101 Folgende Abschnitte sind übernommen (es folgen jeweils zuerst Seitenund Zeilenzahl der Statuten von 1522, dann Seitenzahl der Statuten von 1472, immer nach Mederer IV): 185,18 ff. (60); 185,29 ff. (68); 187,14 ff. (59 f.); 187,22 ff. (59 f.); 188,30 ff. (62); 189,32 ff. (64); 196,13 ff. (58); 209,3 ff. (66); 202,28 ff. (62 ff.); 204,3 ff. (66 f.). 102 Prantl II 48 f., 93, 101. 1oa Vgl. oben Anm. 34. 104 Mederer IV 190; vgl. Kap. 1 Anm. 68 f. 1os Mederer IV 190, 180. 106 Mederer IV 210, Matrikel Pölnitz I 5 f .
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3. Kapitel : Reformperiode 1497-1522
die neuen Statuten unter dem Titel De privilegiis quibusdam et eorum usu eine Zusammenstellung der wichtigsten, der Universität vornehm-
lich durch die Stiftungsurkunde und die Nova Ordinatio verliehenen Freiheiten und Rechte, nicht anders als gelte es, ihnen im Rahmen der staatlicherseits approbierten Satzung eine weitere Sicherung zu verschaffen107•
Frühe Beziehungen zu Tübingen Neben diesen einheimischen Vorlagen läßt sich eine fremde erkennen, deren starker Einfluß auf Inhalt und sogar Text dieser im ganzen einen so souveränen Eindruck machenden Ingolstädter Statutenredaktion zunächst befremden will, aber von ihrer Entstehungsgeschichte her letztlich doch fast zu erwarten war: die Statuten der Universität Tübingen. Die personellen Beziehungen Ingolstadts zu seiner nur fünf Jahre später entstandenen schwäbischen Nachbaruniversität waren offenbar schon frühzeitig in beiden Richtungen eng108• Nur so erklärt sich, wie ein Ingolstädter conclusum aus dem Jahre 1474, das den Studenten verbot, bei Brand und Tumult in der Stadt herbeizulaufen, in ganz ähnlichem sprachlichen Gewand in den Tübinger Gründungsstatuten von 1477 wieder auftauchen kann109• Umgekehrt erinnert ein Statut der Ingolstädter Artistenfakultät von 1487 stark an eine Textpartie der gleichen Tübinger Statuten von 1477, die aus dem Erfurter Texterbe stammt und bei der sich übrigens schon aus Datierungsgründen die Annahme der entgegengesetzten Vermittlungsrichtung verbietet110• Nach solchem Vorspiel stand die große Ingolstädter Reformepoche vom Moment ihres Einsetzens an greifbar unter Tübinger Einfluß. Unter den Mederer IV 197 ff. Als Beispiel sei der Jurist und Humanist Martin Prenninger genannt, der, 1465 in Wien immatrikuliert, 1472 als Magister nach Ingolstadt auf eine Kollegiatur berufen wurde, später nach Italien ging und 1490 auf eine Professur und in den herzoglichen Rat nach Tübingen berufen wurde. Vgl. J. Haller, Die Anfänge der Universität Tübingen I 143 ff. - Ebenfalls von Ingolstadt nach Tübingen gingen der Mediziner Johann Widmann-Salicetus (Haller I 134), der Poet Samuel Karoch (imm. Tüb. 1480), Johann Stöffler von Justingen (imm. Tüb. 1507) und Mathäus Lang, der spätere kaiserliche Kanzler und Erzbischof von Salzburg (imm. Ing. 1485, Tüb. 1489). 109 Ingolstadt: Statut vom 16. 12. Tübingen: Statuten 1477 (Roth Ur1474 (Prantl li 48) Et si ratione inkunden 57 ff.) ... ordinamus, quod si cendii vel alias qualiterunque nonnul- incendium in hac civitate oriretur ... los tumultus, quod deus avertat, oriri (quod altissimus avertat) aut alias contingeret, nullus ipsorum accurrat, concursus vel tumultus fieret seculased durante huiusmodi tumultu in rium, quod nullum ad hoc membrum bursa aut habitatione sua maneat et universitatis accedat conspiciendum, exire non praesumat, nisi evocatus per sed in loco habitacionis solite maneat aliquem ad hoc potestatem a principe ... nisi per officiales loci quis extiterit vel universitate habentem. vocatus. 110 Prantlll 93; Roth, Urkunden 46. 101 108
III. Einfluß Tübingens 1497-1522
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drei herzoglichen Beauftragten, die im Jahre 1497 jene ausführliche Befragung der Universitätsangehörigen durchführten, deren Protokoll uns erhalten ist, befand sich Dr. Peter Craft, der von Ingolstadt, wo er zu den Erstimmatrikulierten des Gründungsjahres gehörte, im Jahre 1485 nach Tübingen übergewechselt war, bevor er drei Jahre später in Ferrara seinen juristischen Doktorhut erwarb. 1483-87 befand er sich im Ratsverhältnis zum Stuttgarter Hof111 • Aber auch unter den Befragten selbst lassen sich zwei prominente Tübinger ausmachen. Der Mediziner Wolfgang Peisser hatte wie Craft 1472 in Ingolstadt zu studieren begonnen, war dann im Jahre 1477 nach Tübingen gegangen, um 1482 auf eine medizinische Professur nach Ingolstadt zurückzukehren112• Der Jurist Hieronymus de Croaria war soeben erst im Jahre 1497 aus Tübingen, wo er gleichfalls eine Professur und zweimal das Rektorat bekleidet hatte, nach Ingolstadt berufen worden; in der Folgezeit wird er als herzoglicher Rat und Mitglied des Hofgerichts genannt, bevor er später als Kanzler nach Pfalz-Neuburg ging und im Jahre 1508 an das Reichskammergericht delegiert wurde113• Das Votum dieses rechtskundigen und in Universitätsbelangen erfahrenen Mannes- wie auch dasjenige Peissers- enthält mehrere Vorschläge, die auf die Übernahme Tübinger Einrichtungen hinausliefen, so für die Besetzung des Alten Kollegs und vornehmlich für den Modus der auch von den meisten anderen Votanten befürworteten Konzilsverkleinerung. Wenn Croaria dazu anregte, von den Artisten künftig nur mehr den Dekan und zwei Kollegiaten in das oberste Universitätsgremium aufzunehmen, so war dieser Gedanke ersichtlich von der Tübinger Verfassung inspiriert, die allerdings neben dem Dekan noch vier artistische Konziliare, darunter aber ebenfalls zwei von den nur vier Kollegiaten besaß114• Diese und ähnliche Vorschläge, die auch, wenn sie nicht von Croaria oder Peisser ausgingen, Kenntnis und Befürwortung des Tübinger Modells bezeugten, sollten auf Richtung und Charakter der Ingolstädter Verfassungsreform von prägendem Einfluß werden.
Tübinger Einflüsse in der Nova Ordinatio Vollends in der Nova Ordinatio von 1507 wird die Orientierung an Verfassung und Brauchtum Tübingens mit Händen greifbar. Zu ihrer Erklärung ist es kaum nötig, auf die zweifellos engen und in Spuren erkennbaren Beziehungen Herzog Albrechts IV. zum Stuttgarter Hof Lieberich, Klerus und Laienwelt 254; vgl. oben Anm. 11. Vgl. auch L. Buzäs, die Bibliothek des Irrgoistädter Professors Dr. Wolfgang Peysser in der UB München (SHV Irrgoistadt 71 1962) 77 ff. 113 Haller I 143; Lieberich, Gelehrte Räte, biogr. Anhang. 114 HStA NKB 10, 137' und Roth, Urkunden 42. 111
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3. Kapitel : Reformperiode 1497-1522
zurückzugreifen115, lag doch der herzoglichen Reformschrift eine aus Kreisen der Universität stammende reformation zugrunde. Die Universität aber war, wie nach allem Gesagten nicht mehr zweifelhaft bleiben kann, spätestens seit 1497 bestens über die inneren Zustände Tübingens informiert. Am auffälligsten manifestiert sich die Tübinger Orientierung hier in der Einführung der ganzjährigen Rektorats- und Dekanatsperiode. Wie auch bey annderen schulen geschieht, erklärt der Landesherr zur Begründung dieser Maßnahme; ein anderes als das Tübinger Beispiel scheidet aber in diesem Fall unter den deutschen Universitäten aus116• Tübingen hatte, nachdem das artistische Dekanat schon vom Gründungsjahr 1477 an ganzjährig gewesen war117, überraschend im Frühjahr 1506, also mit gerade einjährigem Vorsprung vor Ingolstadt, auch für das Rektorat die Jahresperiode eingeführt, um im Frühjahr 1515, wiederum genau ein Jahr vor Ingolstadt, zur Semestrialperiode zurückzukehren118• Kaum weniger auffällig, aber verfassungsgeschichtlich von viel größerer Tragweite, war die sich an die Vorschläge von 1497 anschließende Konzilsverkleinerung. Mit diesem Schritt vollzog Ingolstadt im Bruch mit seiner eigenen Tradition den Anschluß an die Repräsentativverfassung der Heidelberger Richtung; als Vermittler aber fungierte die neben Heidelberg einzige Universität dieses Verfassungstyps, Tübingen118• Von solchen auffälligen Imitationen her wird der Tübinger Einfluß unschwer auch in den verfassungsgeschichtlich weniger interessanten Abschnitten der Nova Ordinatio erkennbar. Die Einführung des 1472 vergessenen Vizerektorats schließt sich eng an einen Passus der Tübinger Statuten von 1477 an120• Die strikte Parität der artistischen viae war zwar auch in Heidelberg seit 1452 geltendes Recht; jedoch hatte sich bereits Freiburg bei der Zulassung der antiqui und der Revision seiner Fakultätsstatuten 1490 stattdessen eng an Tübingen angeschlossen121, und man kann daraus schließen, daß gerade die von der Nova Ordinatio so stark betriebene und betonte Paritätsregelung auch in Ingolstadt die Orientierung am Tübinger Modell, zumindest mit zusätzlicher Motiv115 Erwähnenswert ist immerhin, daß Gregor Lamparter, Tübinger Professor und württembergischer Rat und Kanzler, seit 1503 von Herzog Albrecht IV. Ratssold bezog (Lieberich, Gelehrte Räte, biogr. Anhang; Haller I 142 f.) Es sei auch an die Eheschließung zwischen Ulrich von Würtemberg und Albrechts Tochter Sabine erinnert. 116 StB Clm. 1619, 78'; vgl. Kap. 7 Anm.156. 117 Roth, Urkunden 327. 11s Matrikel Hermelink I. 119 Roth, Urkunden 42; Winkelmann, Urkundenbuch 161 ; vgl. unten Kap. 6 Abschnitt II. 1 20 StB Clm. 1619, 80; Roth, Urkunden 49. 121 Ott-Flechter 19 ff.
III. Einfluß Tübingens 1497-1522
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kraft, nach sich gezogen hat. Jedenfalls lehnen sich die einschlägigen Anordnungen der Ordinatio in ihren Details ersichtlich an die Tübinger Regelungen an: paritätische Besetzung des Kollegs- in Tübingen 1488 durch den Landesherrn statuiert; paritätische Wahl der Examinatoren -in Tübingen in den artistischen Fakultätsstatuten verankert11!1!; Alternation des Dekanats unter den viae - in Tübingen wenigstens in der Praxis beachtet123 ; schließlich paritätische Besetzung der theologischen Professuren- in Tübingen durch landesherrliche Verordnung 1492 zugesagt124. Nur im Vorbeigehen kann darauf hingewiesen werden, daß die umfangreichen Inkorporationen der folgenden beiden Jahrzehnte in ihrer Planung bereits auf das Versprechen der Nova Ordinatio zurückgingen, die rännt der universitet in fueglich wege ... zemeren unnd pessern125• Es scheint sicher, daß die mit Kanonikaten und Pfarreien reichlich ausgestattete Universität Tübingen auch in dieser vermögensgeschichtlichen Hinsicht auf Ingolstadt vorbildlich und anreizend gewirkt hat126• Die ebenfalls von Herzog Albrecht zugesagte Vermehrung der theologischen Professuren auf drei bedürfte zu ihrer Erklärung zwar kaum des Hinweises auf die in Tübingen 1491 statuierte analoge Dreizahl121• Es ist aber vielleicht bezeichnend, daß im folgenden Jahr der Poet und Oratorikprofessor Jakob Locher zur Anwerbung des dritten Theologen ausgerechnet nach Tübingen gesandt wurde. LocherPhilomusus, der seine Studien in Ingolstadt begonnen hatte und nach je dreijährigem Aufenthalt in Tübingen und Freiburg 1498 nach Ingolstadt berufen worden war, nahm an den Reformberatungen des Jahres 1507 teil128. Schon um diese Zeit aber ist der Nachweis personeller Verbindungen und Beziehungen entbehrlich geworden.
Tübinger Einflüsse in den Statuten von 1522 Ohne diesen starken Tübinger Einfluß auf die Nova Ordinatio bliebe es überraschend, daß sich die Universität Ingolstadt sogleich nach dem Eintreffen der herzoglichen Reformschrift und noch vor Eintritt in die anbefohlenen Beratungen zu Ostern 1507 brieflich an die Universität Tübingen wandte und um die Übermittlung von deren Statuten ersuchte1211. 122 StB Clm. 1619, 77'- Roth, Urkunden 378, 356 und Haller I 82, II 26. 123 StB Clm. 1619, 78- Haller I 82. 124 StB Clm. 1619, 79'- Roth, Urkunden 89. 12s StB Clm. 1619, 80'. 126 F. Ernst, Die wirtschaftliche Ausstattung der Universität Tübingen. 127 StB Clm. 1619, 83'- Roth, Urkunden 83. 12s Prantl I 131. 105 f. 129 Mederer I 74: "Occasione scilicet mox dictae reformationis petiere patres academici a scholae Tubingensis professoribus statuta ... ut ex illorum comparatione cum suis iudicare possent, quid communi bono universitatis respondere illustrissimo principi oporteret" (Mederer). Vgl. unten Anm.131.
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3. Kapitel: Reformperiode 1497-1522
Der Vergleich mit den nur wenig später beginnenden und erfolglos bleibenden Werbungen um die Wiener Privilegien läßt die Eigenart dieser Aktion deutlich ans Licht treten. In den Jahren 1509 und wieder 1511 und 1513 ging es in Auseinandersetzungen mit der soeben in ihrer Autonomie gestärkten Stadtgemeinde und mit einem nicht sonderlich universitätsfreundlichen Landesherrn um die Behauptung der universitären Freiheiten und Exemtionen, die man durch Berufung auf die Stiftungsbriefe der Universität Wien, deren Freiheit nach päpstlicher Versicherung für Ingolstadt musterhaft sein sollte, stützen zu können hoffte130. 1507 hingegen stand die innere Universitätsverfassung zur Diskussion und in Frage, und was in dieser Situation erbeten wurde, waren die Statuten derjenigen Universität, die durch die Nova Ordinatio implizit, aber jedenfalls für alle Beteiligten ersichtlich, zum Modell der Ingolstädter Verfassungsreform erhoben worden war. Anders als in Wien hatte Ingolstadt in Tübingen mit seiner Bitte Erfolg, denn Kopien aller Tübinger Statuten, der allgemeinen wie derjenigen der Fakultäten, gelangten (offenbar schon bald danach) nach Ingolstadt131. Für die Artistenfakultät läßt es sich nachweisen, von den Theologen wird es berichtet, daß sie an Hand der entsprechenden Kopien ihre eigenen Satzungen überprüften, ohne jedoch Änderungen vorzunehmen132. Bis zu welchem Punkt die Statutenarbeit der Universität selbst gelangte, ist, wie gesagt, nicht mehr entscheidbar; daß auch ihr die Tübinger Statutenkopie zugrunde gelegt wurde, läßt sich nicht nur vermutungsweise behaupten. Ohne Zweifel hat J ohann Eck bei seiner Kompilationsarbeit im Jahre 1517 auf die wahrscheinlich weit gediehenen Entwürfe von 1507 zurückgegriffen, und so läßt sich der außerordentlich starke, auch textliche Einfluß Tübingens auf die Statutenfassung von 1522 wohl geradewegs auf die Beratungen des Jahres 1507 und die ihnen vorausgegangene Übersendung der Tübinger Kopien zurückführen. Ein im Anhang durchgeführter Textvergleich belegt diese Abhängigkeit im einzelnen. Von den teils schon in der Nova Ordinatio, teils bei den ihr folgenden Beratungen vorgenommenen sachlichen Anleihen hat der größere Teil die rege Gesetzgebungstätigkeit des folgenden Jahrzehnts überlebt, und selbst die Rückkehr zur alten Rektoratsperiode im Jahre 1516 bedeutete ja nur eine neuerliche Bestätigung des anhaltenden Tübinger Einflusses. Die Statuten von 1522 entnehmen ihrer Tübinger Vorlage vor allem Namen und Idee ihres repräsentativen 1so Vgl. oben Kap. 2 Abschnitt li.
131 Mederer I 74: "Hoc ipso anno scholae Tubinganae professores liberaliter Ingolstadiensibus omnia sua cum universitatis, turn singularum facultatum communicarunt statuta, datis litteris in festo Paschatis" (Rotmar). 1a2 Vgl. oben Anm. 29 und 31.
III. Einfluß Tübingens 1497-1522
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Konzils (consilium totum studium generale repraesentans), dessen Zusammensetzung inzwischen nach Korrektur der Nova Ordinatio derjenigen des Tübinger Gremiums der repraesentantes sehr nahe gekommen war133• Wie das Tübinger entscheidet das Ingolstädter Konzil mit Stimmenmehrheit, während bei Stimmengleichheit dem Rektor hier wie dort die Entscheidungsstimme zugesprochen wird. Als Entlehnung aus der Tübinger Satzung ist das Vizerektorat in seiner speziellen Ausgestaltung aufzufassen. Weniger eindeutig weist das consilium decanorum nach Tübingen, wo sich auf der mittleren Verfassungsebene die Dekane mit vier in Ingolstadt unbekannten consiliarii und weiteren deputati die Macht teilten. Dafür ist die Definition des Verhältnisses zwischen Gesamtuniversität und Fakultäten wieder ganz der Tübinger Textvorlage verpflichtet, und dasselbe gilt für verschiedene einzelne Einrichtungen wie den Modus der Immatrikulation, das Verfahren gegen die renuntiantes oder, in der Gerichtsordnung, die Unterscheidung der Zivilsachen nach Höhe des Streitwerts und die Kautionspflicht bei Appellation vom Rektorgericht. In den Tübinger Statuten von 1477 treffen sich wenigstens zwei verschiedene Texttraditionen, um eine freilich nicht gänzlich gelungen scheinende Verbindung einzugehen. Den größeren Teil ihres Textes danken sie dem Erfurter Erbe, das über Basel nach Tübingen gelangte, ohne auf diesem Umweg größere Veränderungen zu erfahren134• Einzelnes davon, wie das hier nicht mehr ganz berechtigte Institut der consiliarii, weist bis nach Prag und Bologna zurück, während die meisten Linien in Erfurt enden. Eine zweite Textkomponente gehört der Wiener Tradition an, die aber, wie der Textvergleich deutlich genug zeigt, auf dem Weg über Köln vermittelt worden ist135• So erklärt sich, daß sich in den Ingolstädter Statuten von 1522 Textpartien finden, die stark an Passagen der Wiener Statuten von 1385 erinnern; sie haben in jedem Fall die Reise über Köln und Tübingen gemacht, bevor sie nach Ingolstadt gelangten. Von beiden Traditionen unabhängig aber war die Grundstruktur der Tübinger Verfassung, in deren Zentrum das repräsentative Konzil Heidelberger Prägung stand. Wirklich ist ein direkter Vgl. genauer unten Kap. 6 Anm. 38 und Anhang VI. Die Tübinger stehen den Erfurter Statuten so nahe, daß man zuerst vermeint, ohne die Vermittlung Basels auszukommen. Die von W. Vischer, Geschichte der Universität Basel 313 ff. gedruckten Auszüge bezeugen aber, daß der Erfurter Text tatsächlich den Weg über Basel gemacht hat; besonders sichtbar ist das bei Roth Urkunden 40 und an allen Titelüberschriften. Haller (II 17) hat, wie er versichert, den Vergleich mit einer vollständigen (noch immer ungedruckten) Basler Statutenabschrift durchgeführt und dieses Ergebnis bestätigt gefunden. 135 Aus der Fülle der Beispiele sei nur eines herausgegriffen. Köln fügt (Bianco § 41) dem Abschnitt über die Rektorpflichten (Wien: Kink 81) hinzu: "et ea quae ad diuturnam rei memoriam pertinent registrare." Der gleiche Zusatz in Tübingen (Roth 44). Gelegentlich endet der Faden auch ganz in Köln. 133 134
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3. Kapitel: Reformperiode 1497-1522
Einfluß von Heidelberg auf die Tübinger Statuten durchaus wahrscheinlich; auch an anderen Stellen finden sich gelegentlich Textpartien, die an Heidelberger Einzelstatuten erinnern136• Es ist also ein gemischtes Erbe, an das Ingolstadt durch seine Anleihen bei den Tübinger Statuten in den Jahren 1507 und 1517 bzw. 1522 anknüpfte. Die verschiedenen Stämme der deutschen Statutengeschichte kreuzten sich in diesem Punkt, um gleichsam in einer Gemeinschaftsleistung die Satzung hervorzubringen, unter deren Eindruck die Ingolstädter Verfassung die vielfach unreifen Anfänge des Gründungsjahres hinter sich lassen und eine Wendung zum Normalen und Allgemeingültigen, aber auch zum Progressiven vollführen konnte.
136 Vgl. etwa Roth, Urkunden 55 ("tenere zechas in lupanari" und "clavis adulterina") mit Winkelmann 171 ; ebenso Roth 56 ("manifestus seu publicus leno . . ., fractor ostiorum aut raptor mulierum") - Winkelmann 19. Vgl. auch Kap. 2 Abschnitt li.
Viertes Kapitel
Das spätere 16. Jahrhundert: Gefährdung und Bewahrung der klassischen Universitätsverfassung I. Abschluß der Reform und Periode des Stillstands (1523-47) Die offizielle Verabschiedung der Universitätsstatuten im November 1522 bildet in der Ingolstädter Verfassungsgeschichte keine Zäsur. Sowohl die Verfassungsstruktur wie der Statutentext hatten seit dem Jahre 1517 im wesentlichen festgestanden, und die fünfjährige Verzögerung der Approbation war weder auf die erstere noch auf den letzteren von bemerkbarem Einfluß gewesen. Was die im Herbst 1522 begonnene Arbeit ergänzender Gesetzgebung betrifft, so hatten ihre Ergebnisse nicht mehr in die offizielle Satzung Einlaß erhalten und waren im übrigen nicht relevant genug, um die Verfassung in ihren großen Linien modifizierend zu berühren. Diese legislatorische Kleinarbeit wurde darum von der Statutenkonfirmation im November 1522 nicht abgeschnitten, sondern fand im folgenden Jahr, besonders im Wintersemester 1523 unter dem Rektorat des Kanonisten Georg Hauer ihren Fortgang. Jenseits des pedantischen Wunsches nach Perfektion scheint diesen Bemühungen ein Gefühl für die anhaltende Verbesserungswürdigkeit des bestehenden Zustandes zugrundegelegen zu haben. Denn wenn das Ratsstubenstatut von 1522 mit Genugtuung konstatiert hatte, daß Ruhe und Frieden in der Universität eingekehrt seien1, so wirkten doch die anhaltend niedrige Frequenz2 , die andauernden Schwierigkeiten mit der Stadt3, die Unruhe in der 1 UA D III 4, 116 (9. 11. 1522) : "ut inde pax et amicitia, quibus universitas nunc temporis gaudet, ... conservari possent"; vgl. Anhang IX. 2 Vgl. Matrikel Pölnitz I. Mit dem WS 1520 setzte ein sprunghafter Rückgang ein, von dem sich die Universität auch nach dem Pestjahr 1521 bis in die vierziger Jahre hinein nicht erholte. Wie Buzas (Die Herkunft der Studenten 8 ff., vor allem 10 f.) nachweist, war der Frequenzrückgang in diesen Jahrzehnten in Deutschland eine allgemeine Erscheinung. 3 Die Reibereien mit den Städtern ziehen sich fast unterbrechungslos durch die Universitätsprotokolle; ihre Themen waren die Gerichtsbarkeit und die damit zusammenhängenden Polizeibefugnisse, dann auch die "Polizei" im älteren Sinne, schließlich das Steuerwesen.
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4. Kapitel: Das spätere 16. Jahrhundert
Studentenschaft\ die beginnenden konfessionellen Differenzen5 und schließlich der noch immer ungeklärte Status der Artistenfakultät zusammen, um schon im April 1523 wieder den Eindruck einer magna iactura der Universität entstehen zu lassen8• Das Konzil führte aus diesem Anlaß eine Beratung mit den Bursenkonventoren durch und billigte am 23. April einige von Georg Hauer pro bono totius universitatis ac omnium facultatum, specialiter facultatis artistice verfaßte ArtikeF. Darüber hinaus wünschte man einen baldigen Besuch des Patrons Eck und verschob in seiner Erwartung am 26. April die fällige Statutenlesung". Während jedoch die Universität sich inzwischen vollkommen an die starke Hand Leonhard Ecks9 gewöhnt hatte und nach den vielfach unangenehmen Erfahrungen der vergangenen Jahre immer seltener das Wagnis selbständiger Entscheidung auf sich nahm, scheint der Patron, sei es aus nachlassendem Interesse oder wegen Überlastung durch wichtigere Geschäfte, sich der erbetenen oder unerbetenen Einmischung in die Universitätsangelegenheiten in zunehmendem Maße enthalten zu haben. Immer häufiger blieb der Ruf nach seiner klärenden oder schlichtenden Entscheidung ohne Antwort. Die Folgen waren denkbar nachteilig; aller Eigenwilligkeit und Selbständigkeit gründlich entwöhnt, ließ die Universität die anstehenden Angelegenheiten einfach ruhen, und wenn die folgenden zweieinhalb Jahrzehnte in der Universitätsgeschichte eine recht leere Zeit darstellen, so mag dazu das persönliche Regiment Leonhard Ecks beigetragen haben, das den Handlungsraum, den es sich selbst ausgegrenzt hatte, seit Mitte der zwanziger Jahre nicht mehr auszufüllen vermochte. Das wird etwa durch den Streit zwischen Universität und Artistenfakultät um die artistischen Senatssitze illustriert, der sich, im Herbst 1522 ausgebrochen, infolge Ausbleibens einer Entscheidung Ecks über ein volles Jahr hinzog, ehe die Universität unter dem Rektorat Hauers 4 Gerade um die Jahreswende 1522/23 kam es zu einer Art Studentenrebellion um disziplinäre Angelegenheiten (bes. Kleiderordnung), die den Senat zwang, die städtischen Wächter zur Hilfe zu rufen (UA D III 4, 125 ff., vorher schon f. 114); über die "Studenten" vgl. Kap. 5 Abschnitt III. 5 Sie begannen im Oktober 1520 mit der von Johann Eck durchgesetzten Publikation der Lutherbulle, um 1523 mit dem Fall Seehofer einen ersten Höhepunkt zu erreichen. Vgl. UA D III 5, 507 ff. die 1522 begonnnenen "Acta lutheranea". 6 UA D III 4, 136. 7 UA D III 4, 138 (23. 4. 1523); für den Inhalt der Artikel wird auf die nicht erhaltenen "acta magna" verwiesen. - Ebenda f. 137 die Befragung der Bursenkonventeren mit Klagen über die "nimia libertas" der Studenten und über das unkontrollierbare "extraordinarie stare". 8 UA D III 4, 138: "differatur lectio statutorum, donec d. Leo. de Egk Ingolstadium veniat". 9 Vgl. Kap. 11 Abschnitt 2 III.
I. Periode des Stillstands 1523-47
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sich endlich zu einer Kompromißlösung aufraffte10 • Die tatkräftige Regierung Hauers hat darüber hinaus in mehreren Zusatzstatuten ihren Niederschlag gefunden, von denen einige in das Statutenbuch eingetragen wurden11 , und sie erscheint darum als Aus- und Nachklang jener nach dem Pestjahr 1521 begonnenen Reformbemühungen, die von der juristischen Fakultätssatzung des Jahres 1524 im Rückblick gewürdigt werden. Das Ingolstädter Gymnasium, heißt es dort in der Präambel, habe im Frühjahr 1522 begonnen novis ac variis ordinacionibus, statutis, legibus, prout temporis illius ratio expostulabat, exornari, instrui et quasi in universum renovaTi, id quod et in decretis ac senatusconsultis ipsius universitatis hoc eodem anno editis atque statutis confirmatis, et in singularum facultatum ordinacionibus factis videre Licet ...12 Ihre eigene neue Statutenfassung, im Dezember 1524 vom Landesherrn bestätigt, wollten die Juristen noch dieser Reformzeit zugerechnet wissen; erst nach Abschluß der allgemeinen Erneuerung, an der seine Mitglieder maßgeblich beteiligt gewesen seien, habe das venerabile jurisperitorum collegium Zeit gefunden, auch an seine eigenen Angelegenheiten zu denken13• Reichlich ein Jahr später mündeten dann auch die jahrelangen Verhandlungen um die Reform der Artistenfakultät in jene Neuordnung von 1526, die mit der Errichtung von sechs aus der Universitätskammer dotierten Lekturen die Einführung des Ordinarienprinzips in Unterrichts- und Fakultätsverfassung der Artisten brachten14• Da die Universität mit dieser Neuordnung wie mit den ihr vorausgehenden Verhandlungen, die sich in einem Bogen von der Kollegreform des Jahres 1518 bis 1526 hinstreckten, auf vielfältige Weise verbunden war, kann die "Ordinatio" dieses Jahres als endgültiger Schlußpunkt der Universitätsreform dieses Zeitraums gelten. Freilich war die allgemeine Universitätsverfassung, wie gesagt, schon in der Statutenredaktion von 1517 bzw. 1522 festgestellt worden und wurde vonalldiesen Veränderungen unmittelbar nicht mehr betroffen. Die folgenden beiden Jahrzehnte sind verfassungsgeschichtlich eine Periode der Stagnation, die nur selten von neuen Reformansätzen unterbrochen wird. Im Oktober 1534 beschloß die Universität aus nicht erkennbarem Anlaß ut pro suo commodo et fructu quelibet facultas, omnibus consyderatis, laboraret atque ea que studiorum reformationem Vgl. Kap. 6 Anm. 46. Mederer IV 211 (ebenso im handschriftlichen Statutenbuch UA B II 7). Der Rektor erhielt freiere Hand im Vorgehen gegen "contumaces"; für den Eid der aus dem Karzer Entlassenen wurde eine Formel vorgeschrieben; vgl. zu beidem Kap. 10. 12 Mederer IV Nr. 38. 13 Mederer IV Nr. 38. 14 Vgl. Kap. 5 Anm. 61. to
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4. Kapitel: Das spätere 16. Jahrhundert
tangere viderentur, in scripto proponeret15• Nachdem aber die Artisten daraufhin eine Denkschrift erarbeitet und dem Senat vorgelegt hatten, wurde die Angelegenheit schließlich vertagt und im Stadium der Beratung liegen gelassen (in consultatione relicta) 16• 1535 erhielt die Artistenfakultät von Eck eine neue "Ordinatio" oktroyiert, die, vier Jahre darauf noch einmal ergänzt und verändert, sich ausschließlich mit Unterrichtsund Disziplinarfragen beschäftigte17• II. Die Reform von 1555 und ihre Vorgeschichte Schon um die Jahrhundertmitte jedoch begann für die Ingolstädter Universität eine Zeit neuerlicher Reformen, die stärker als alle früheren "Reformationen" in Verfassung und allgemeinen Zustand der Schule einschnitten. Eine Unterscheidung einzelner verfassungsgeschichtlicher Epochen erscheint nun fast unmöglich, so sehr ist die Reform in Permanenz erklärt, um nicht zu sagen, zur Mode geworden. In bisher unbekanntem Maße tritt von jetzt an der Staat in der für ihn stiftungs- und statutenmäßig von Anfang an reservierten Aufsichtsfunktion in Erscheinung; in dem ,sich augenfällig verdichtenden Schriftverkehr mit der Universität ist er die aktive, treibende und fordernde, die Universität aber die gezwungen und lustlos folgende Seite18• Zwar hatte Leonhard Ecks Patronat diese neue Stufe staatlicher Universitätsregie in vielfacher Hinsicht vorbereitet; im Gegensatz zu seinem persönlichen Regiment wird aber die staatliche Aufsicht unter Herzog Albrecht anonymer und bürokratischer. Schon äußerlich gesehen, mehren sich die landesherrlichen Verordnungen an Umfang und Zahl, während sie zugleich inhaltlich pedantischer und weniger gewichtig wirken, auch vor Wiederholungen nicht zurückscheuen. Nach dem dichten Rhythmus und den vorgegebenen Anlässen dieser Rezesse zu schließen, muß der Zustand der Universität schlimm gewesen und, allen staatlichen Bemühungen zum Trotz, geblieben sein. Nicht nur die seit der Jahrhundertmitte beträchtlich ansteigende Frequenz der Schule19 legt aber nahe, das ewige Klagelied nicht unbedingt wörtlich, sondern als Ausdruck eines neuen, mehr und mehr von Behörde und Kanzlei geprägten Verwaltungsstils zu nehmen, als Zeichen erweiterter administrativer Möglichkeiten wie auch eines neuen Eifers, der sich seinen Gegenstand und seine Legitimation aufzubauen bemüht war. UA Georg. III/22, 115 (15. 10. 1534). UA Georg. III/22, 115 (20. 10. 1534). 11 Prantl II Nr. 61 und 62. ts Vgl. dazu Kap. 11 Abschnitt 1. 19 Matrikel P ölnitz. Ein bemerkbarer Anstieg seit dem SS 1541, der sich auch nach einem Rückschlag in den Jahren 1545/46 weiter durchsetzte. 15 16
II. Reform von 1555
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Der Staat aber nahm nicht nur seine ihm der Universität gegenüber vom Stiftungsakt her zustehenden Kompetenzen mit neuer Intensität wahr, sondern er fand an ihnen schon bald kein Genügen. Unter der Regierung Herzog Albrechts schrumpften die praktischen Grenzen der akademischen Selbstverwaltung gegenüber dem Reglementierungswillen der staatlichen Behörden rapide zusammen. Die Universitätsstruktur blieb zwar im Ganzen erhalten, aber nachdem die akademischen Organe der doppelten Gefahr ausgeliefert waren, teils in ihrem Betätigungsfeld zunehmend beschnitten, teils zu Subalternbehörden des Staates herabgedrückt zu werden, blieb ihnen auch der Schritt vom Praktischen zum Prinzipiellen nicht erspart: eine neue Amtskonstruktion trat in die Universitätsgeschichte, die den Ruin der universitären Autonomie auch formell zu besiegeln schien.
Reformansätze in den Jahren 1548-50 Wie diese Entwicklung im ganzen von der vorangegangenen Periode vorbereitet, ja letztlich schon in der Gründung selbst im Keim angelegt war, so reicht auch die nähere Vorgeschichte der Reformation von 1555, dieser ersten und spektakulärsten, dabei noch vergleichsweise harmlosen Reformhandlungen Herzog Albrechts V., in die Ära Ecks zurück. Das Jahr 1555 ist für die Universitätsgeschichte durch zwei große Ereignisse bedeutsam: die Berufung der Jesuiten und die Revision der geschriebenen Universitätsverfassung. Mit beiden Handlungen knüpften der Herzog und seine Räte an Planungen an, die Leonhard Eck seit dem Pestjahr 1547 auszuführen begonnen hatte. Gegen Ende der vierziger Jahre, als mit dem merklichen Ansteigen der seit 1522 auf mittelmäßiger Höhe stagnierenden Frequenz eine allgemeine Belebung des ganzen Universitätsbetriebs eingetreten zu sein scheint, wurde alsbald ein Erneuerungsbedürfnis empfunden. In einem Schreiben an die Stadt Ingolstadt erklärte Herzog Wilhelm im Mai 1548, er habe es unter großem Aufwand an Mühe und Mitteln unternommen, der Universität quae pestis proximae bellicorumque motuum gratia dissoluta fuit vom Rande des Untergangs weg zu neuem Aufschwung zu verhelfen20 • Damit war auf einen Plan angespielt, der noch im gleichen Jahr in Angriff genommen wurde. Am 24. Oktober 1548 genehmigte Papst Paul III. auf Bitten des Herzogs eine dreimalige Dezimation des bayerischen Klerus zugunsten der in ihren Einkünften durch die Kriegshandlungen des Vorjahres schwer beeinträchtigten Universität, wie auch zur Finanzierung einer angekündigten Berufungspolitik, durch die Ingolstadt mit fähigen katholischen Professoren, vornehmlich aus Italien, versorgt werden sollte21 • Tatsächlich waren noch im 2o 21
UA D III 4, 461 (30. 5. 1548). Mederer IV Nr. 40; vgl. Prantl I 182 ff.
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4. Kapitel: Das spätere 16. Jahrhundert
Frühjahr 1548 mehrere italienische Professoren berufen worden, zu denen sich im Herbst des folgenden Jahres die ebenfalls aus Italien kommenden ersten drei Jesuiten gesellten22 • Zur gleichen Zeit, wohl angeregt durch die landesherrliche Initiative, begann auch die Universität, eine rege Gesetzgebungstätigkeit zu entfalten. Vom 6. Dezember 1548 stammt ein Statut zur Regelung studentischer Hochzeiten23• Im April 1549 erließ der Herzog einige Disziplinarverordnungen24, und im gleichen Jahr ist ein längeres Statut entstanden, das freilich auch seinerseits über disziplinarische Anordnungen inhaltlich nicht hinausging und übrigens wohl nicht aus dem Entwurfsstadium herausgelangte, aber mit einer Fülle von Korrekturen und Anmerkungen von den Bemühungen zeugt, die im Gange gewesen sein müssen, wie überhaupt von der Tatsache, daß die Universität im Gefühl der Beteiligten wieder einmal in den Zustand der Reformbedürftigkeit gelangt war25 • Aus den gleichen Motiven läßt sich der neuerliche, im Frühjahr 1549 unternommene Versuch der Universität28 erklären, in den Besitz von Kopien der Wiener Privilegien zu gelangen. Die Fürsprache des einflußreichen Wolfgang Lazius, der seinen Ingolstädter Briefpartnern auch auf eigene Faust Wissenswertes über die Freiheiten ihrer Mutteruniversität mitteilte, scheint den Teilerfolg des offiziellen Gesuchs bewirkt zu haben, das zu seiner Begründung die drohende Gefahr einer Schmälerung der immunitates und einer Belastung mit onera civilia beschworen 22 Prantl I 196. UA D III 4, 451 (und ebenso f. 465) ein Schreiben L. Ecks betr. die italienischen Professoren (31. 5. 1548). 2s Prantl II Nr. 63. 24 UA D III 7, 177' (2. 4. 1549). 25 UA D III 4, 477 ff.; vgl. Prantl I 279. Die Korrekturen stammen großenteils von der Hand des Kämmeres Johann Agricola; es folgen einige "annotamenta" des Juristen Wolfgang Hunger, die sich aber vorwiegend mit stilistischen Fragen befassen. Interessant erscheint folgende Marginalie Agricolas: "Praelegantur publice statuta iam olim facta et ab illustrissimo principe confirmata quovis semestri ab ipso rectore et declarentur, quibus adiungantur semper que iam promulganda censemus. Et quoties quispiam deliquerit et transgredi pergat decreta, admoneatur per pedellum a rectore, qui si ita pergat, ad consilium alia ob negotia congregandum vocetur, admoneatur ibidem, obiurgetur et puniatur, donec statuta, que iam in desuetudinem venere, revocentur, observentur et in locum suum restituantur." - An anderer Stelle von der gleichen Hand: "Item in quavis publicatione statutorum renovandum et inculcandum scholasticis mandatum principis hoc anno promulgatum de incolis et indigenis Bavarie revocandis lngolstadium ab exteris academiis ..." Ein solcher herzoglicher Befehl ist nicht erhalten. 26 Vgl. zu diesen Vorgängen Kap. 2 Anm. 99 ff. sowie den Aktenbericht Anhang III. Die Begleiterzählung im Kopialband UA B V 2 datiert die Ingolstädter Initiative in das RektoratErasmus Wolfs; da der Briefentwurf in UA D VII 4/1 vom 23. 4. 1549 stammt, handelt es sich um das zweite Rektorat Wolfs (WS 1548/49).
li. Reform von 1555
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hatte27 • Erst vom 6. 4. 1552 datiert aber das Wiener Antwortschreiben, mit dem die privilegia pontificia der Wiener Universität in Abschrift nach Ingolstadt gelangten28• Seine privilegia ducalia verweigerte Wien mit der vorgegebenen Begründung, sie könnten den Ingolstädter Kollegen unter den ganz anderen Gesetzen Bayerns schwerlich von Nutzen sein29 • Der Regierungswechsel mag die Reformarbeiten zunächst unterbrochen haben; auf längere Sicht mußte er ihnen jedoch neuen Antrieb verschaffen, wurde doch nun die Bestätigung der Privilegien und Statuten durch den neuen Landesherrn aktuell. Im März 1550 starben kurz hintereinander Herzog Wilhelm IV. und Leonhard Eck30 • Nicht lange danach wird jenes Schreiben entstanden sein, in dem die Universität den neuen Landesherrn, Herzog Albrecht V., um die Bestellung eines neuen patronus ersuchte31 • Im Mai war die Ankunft herzoglicher commissarii angekündigt; am 12. 5. beriet das Konzil über die ihnen vorzulegenden Punkte32 • In den erhaltenen Protokollnotizen taucht neben Geld-, "Polizei"- und Religionssachen der Wunsch nach corroboratio privilegiorum und statutorum confirmatio mehrfach auf. Wenig später kam der 27 UA D VII 4/1. Neben den ständigen Reibereien mit der Stadt um Steuerfragen mag der sich abzeichnende unglückliche Verlauf der Zehntaffäre (Prantl I 182 ff.) die Universität Ingolstadt zu diesem Schritt bewogen haben. 2s UA B V 2; vgl. Anhang III. 29 UA B V 2; vgl. Anhang III. Dieser Umstand lenkte in der Folgezeit den Selbstbehauptungswillen der Universität Ingolstadt in eine neue Richtung: die Exemtion der Wiener Universität von der Ordinariatsgerichtsbarkeit wurde zum Vorbild und ließ von nun an die Frontstellung gegen den Bischof von Eichstätt in den Vordergrund rücken. Trotzdem hätte auch eine intime Kenntnisnahme der Wiener "privilegia ducalia" kaum andere Folgen nach sich ziehen können: ihre automatische Gültigkeit für Ingolstadt im Sinne der päpstlichen Stiftungsurkunde wäre rechtlich anfechtbar gewesen und hätte sich vor allem gegen den Willen des Landesherrn schwerlich durchsetzen lassen. Vgl. Kap. 10 Anm. 41 ff. 30 Wilhelm IV. am 6. 3., Eck am 17. 3. 1550; ein Bericht über den Tod des Patrons in UA D III 4, 626. 3t UA D III 4, 655; vgl. Kap. 11 Anm. 172. 32 Das verirrte Protokoll in UA D III 7,13 (12. 5.1550): "De punctis commissariis a principibus (?) mittendis proponen(dis)". Es handelt sich um ein nachlässiges, stichwortartiges Konzept, aus dem folgende Bemerkungen wichtig erscheinen: "Rector (sc. Erasmus Wolf): Prima quod constitutiones universitatis, ut iste oblatus (sie!) patrono nostro. - Episcopus (sc. Balthasar Fannemann, episcopus Misniensis, pro tempore vicecancellarius): Corroborationem privilegiorum et statutorum confirmatio. - Alphonsus (sc. Salmeron S. J.) : quod petatur confirmatio privilegiorum et ordinat(ionum) . .. Nicolaus Phrisius (sc. Everhard sen.): sectariis scholaribus; ad reddendum collegia (sc. societati Jesu), ordinandum de lectionibus, de victu, de abjiciendis libris; perlegenda policia, servantur statuta, confirmantur privilegia, de scholaribus lutheranis nihil . .. - Zoannetus: .. . confirmatione statutorum et privilegiorum ... - Camerarius (sc. Agricola): quod universitas potest abolire grammaticam et processus Eckij in logica . .. ; pecunia repetetur, quia salaria ascendunt ultra percepta . .. " f. 14' (offenbar Fortsetzung dieser Aufzeichnung): "Confirmanda privilegia et statuta .. . Grammatica et dialectica tollantur. Phrisius camerarius."
8 Seifert
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neue Patron Georg Stockhamer wirklich nach Ingolstadt; am 21. Mai beschloß der Senat, ihm pro visitatione scholae Dank zu sagen83•
Das Rektorat von Petrus Canisius 1550/1 Die aus den Jahren 1548-49 zitierten Daten sprechen dagegen, die neuerlichen Bemühungen der Universität mit der erst am 13.11.1549 verzeichneten Ankunft der Jesuiten ursächlich in Zusammenhang zu bringen, so sehr dieses Ereignis seinerseits diese Bestrebungen in der Folgezeit anregen und verstärken sollte84 • Für Petrus Canisius freilich, den hervorragendsten der Neuankömmlinge, stellten sich die Dinge so dar, als habe erst sein Reformeifer die Universität aus ihrer Lethargie und Korruption aufzustören vermocht. So starke Impulse aber die Universitätsreform der folgenden Jahre gerade seiner Aktivität verdankt, so bleibt doch ihr Beginn vor sein Erscheinen in Ingolstadt, erst recht aber vor sein Rektorat, zurückzudatieren. Im Oktober 1550 wurde Canisius als erster und letzter Jesuit entgegen dem Wortlaut der Statuten zum Rektor gewähW5 • Trotz starker Skepsis hinsichtlich der geringen Bedeutung dieses Amtes nahm er die Wahl auf Zuraten seiner Oberen und im Interesse der vorrangig betriebenen Kolleggründung an36• Obwohl ermahnt, die Verhandlungen über das Ordenskolleg nicht durch übertriebenen Reformeifer zu gefährden, konnte er doch schon zwei Monate später seine ersten Erfolge an Loyola berichten: die Benützung lutherischer Bücher sei erfolgreich verboten 83 UA D 111 7, 13': "ltem agamus gratias commissario pro visitatione scholae". Es folgt die Bemerkung: "Ut omnia obsignentur principi que petit". 34 Vgl. für den folgenden Abschnitt die Canisius-Edition Braunshergers mit wichtigen Dokumenten zur Universitätsgeschichte, sowie neuerdings die zur Stunde noch ungedruckte Dissertation Buxbaums über Canisius' Reformtätigkeit in Bayern. Buxbaum hat die in seinen Zeitraum fallenden Akten zur Universitätsgeschichte mit großer Sorgfalt durchgesehen und in einer Nachlese zu Braunsherger verschiedene Stücke in seinem Anhang ediert. Ich verdanke dieser überaus exakten Untersuchung eine Reihe von Hinweisen; auf ihre Ergebnisse wird bei Gelegenheit verwiesen. Bei der Fragestellung Buxbaums wie Braunshergers kann es nicht ausbleiben, daß Canisius' Anteil an den Reformbestrebungen der Universität gelegentlich über Gebühr betont erscheint. 35 Nämlich obwohl er als "religiosus" disqualifiziert war; vgl. Braunsherger I 338, 345, 352, 364 sowie unten Kap. 7 Anm. 142 ff.- Schon im SS 1550 war die Wahl eines Jesuiten zum Rektor geplant gewesen, aber am Widerspruch Loyolas gescheitert; vgl. Buxbaum nach HStA Jesuitica 632. 36 Braunsherger I 338 ff. (Canisius an Loyola). Vgl. Kap. 7 Anm. 44; nach Aufführung der Gründe, die seiner Meinung nach das Amt für eine wirksame Einflußnahme auf die dringend notwendige Universitätsreform disqualifizierten, folgt der hier interessante Satz: "Onde vedendo quello que si fa et ehe si potria emendare in questa universita, quale ha ben die bisogno di una non piccola riforma", habe er das Amt nicht gern übernommen. Claudius Jajus aber riet zur Annahme wie auch dazu, die Immatrikulationsgebühren nicht abzuweisen.
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worden, Streitigkeiten der Professoren habe man zu schlichten vermocht, einige unbotsame Studenten seien relegiert worden37• Ob diese Maßnahmen über das Gewöhnliche hinausgingen, bleibt allerdings zweifelhaft. Wichtiger erscheint, daß sich die Universität in diesem Semester mit Briefen de aliis quibusdam abusibus an den Bischof und den Patron Stockhamer wandte, über deren genaueren Inhalt freilich nichts bekannt ist38• Am Ende seiner Rektoratszeit hatte denn Canisius den Eindruck, die Ordnung der Universität sei spürbar besser geworden; Ruhe sei eingekehrt, die Studenten hätten sich quam soleant modestius aufgeführt, alle Teile seien mit dem neuen Regiment wohl zufrieden39• Daß die Universität selbst das Wirken Canisius' hoch einschätzte, beweist die Tatsache, daß man ihm im Juli dieses Jahres das durch den Weggang Fannemanns vazierende Vizekanzellariat dringend antrug und, auf seine hartnäckige Weigerung stoßend, auch die Mühe nicht scheute, durch den Herzog bei Loyola um Dispens bitten zu lassen40 • Er wurde schließlich provisorisch und vorbehaltlich einer möglichen Abberufung Canisius' gewährt. Die spätere Konstruktion einer Verbindung des Vizekanzellariats mit der "lnspektur" der Universität geht auf das Jahr 1551 zurück. Stärker als das nach Canisius' Einsicht für die Reformierung der Universität nicht recht verwendbare Rektorat konnte das freilich bisher unbedeutende, aber unbefristete und mit einer gewissen Autorität ausgestattete, außerdem wohldotierte Amt geeignet sein, außerordentliche Aufsichtsfunktionen in der Universität zu übernehmen41.
Fortgang der Reformbemühungen 1552-54 Einen Monat später aber wurde Canisius, nachdem die Verhandlungen über die Kolleggründung keine Fortschritte machen wollten, nach Wien abberufen. Die Reformbemühungen der Universität nahmen auch nach seiner Abreise ihren Fortgang. Noch vor der Ernennung Canisius' zum Vizekanzler hatte der Senat im September 1551 beschlossen, sorgBraunsherger I 345 (28. 12. 1550): Canisius an Loyola. Braunsherger I 345: wegen der Benutzung lutherischer Bücher "sicut et de allis quibusdam abusibus . . . literas dedimus ad primaria capita huius academiae", ebenso 363 "collegimus scripturn unum" in Beziehung auf diese Schreiben. Erhalten hat sich neben diesen Erwähnungen das Begleitschreiben Canisius' an Stockhamer, datiert vom 21. 12. 1550, gedruckt von Buxbaum in seinem Dokumentenanhang. 39 Braunsherger I 363 (30. 4. 1551) Canisius an Loyola: "fatentur aperte multi studiosos in hoc magistratu egisse quam soleant modestius; communis fuit tranquillitas ... Nec fuit ingrata isthaec nostra opera iis, quorum authoritati ac offitio sananda illa vulnera committebamus". - Buxbaum hat auf Grund neuer Aktenfunde das Rektorat des Canisius eingehend dargestellt. 40 Vgl. Kap. 8 Anm. 28. u Kap. 8 Anm. 34. 37 38
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fältig de corrigendis abusibus et quomodo emendandi sint zu beraten; alle Senatoren sollten darüber ein Gutachten erstellen, anschließend wollte man eine Kommission zur Ausführung der notwendigen Maßnahmen wählen42 • Nach Canisius' Abgang wurde im Juli 1552 ein strenges Mandat publiziert, das die Ankündigung enthielt, man wolle künftig gegen alle Disziplinverstöße rigoros vorgehen, notfalls mit Relegationen. Jeden Monat sollten die Dekane eine inquisitio über alle Studenten durchführen und darüber dem Rektor Bericht erstatten43 • Aus dem Frühsommer des folgenden Jahres stammen einige, teilweise auf herzogliche Aufforderung zurückgehende Disziplinarmandate44 • Im Mai 1553 teilte der herzogliche Sekretär Schweiker dem Rektor mit, er habe endlich ein gesuchtes herzogliches Mandat wiedergefunden, das den Gastwirten untersagte, an minderjährige Studenten Wein auszuschenken45 • Das nächste Glied in der nur noch lückenhaft rekonstruierbaren Kette der Reformhandlungen stellt ein herzogliches Schreiben vom 20. 4. 1554 dar, in dem auf eine "Relation" herzoglicher Räte Bezug genommen wird, die der jüngsten verrichtung halb in Ingolstadt gewesen seien46 • Der Hauptgegenstand dieser Kommission wird die jetzt ernstlich in Angriff genommene jesuitische Kolleggründung gewesen sein, denn schon im folgenden Monat begab sich Schweiker in dieser Sache nach Rom, und seit dem Herbst wurden auch mit Canisius in Wien seitens der Räte mündlich und brieflich lebhafte Verhandlungen gepflogen47 • Trotzdem muß daneben wiederum der Zustand der Universität zur Diskussion gestanden haben, denn Herzog Albrecht stellte in seinem Schreiben fest, mehrere Punkte des Gesandtschaftsberichts seien zur Stunde noch unerledigt und würden demnächst entschieden werden. Vor allem habe die Universität im Gegensatz zu den Anordnungen unterlassen, ain concept ainer gueten ordnung und reformation, wie und was gestalt die allten statuten gemert, geendert und gebessert werden könnten, auszuarbeiten und zusammen mit copeien aller allten privilegien, immuniteten, freihaiten etc., denn ir confirmationem von unns begert nach München einzusenden. Das sei nunmehr schleunigst nachzuholen48. 42 UA D III 7, 187 (9. 9. 1551): "Pariter de corrigendis abusibus universitatis et quomodo emendandi sunt, hoc debet fieri cum bona deliberatione et quilibet scribat propria vota et postea eligendi sunt aliqui domini ad corrigendum illos". 43 UA DIll 7, 194, gedruckt bei Braunsherger I 707 f. 44 UA DIll 7, 194' ff. 45 UA D XIII 1, 14. 5. 1553 (Sekretär Heinrich Schweiker an Rektor Zoannetti). 46 UA EI 1, 20. 4. 1554. 47 Vgl. Braunsherger I 502 ff. 48 UA E I 1 (20. 4. 1554): " ... uns alheer zuersehen unnd ferrer zuberatslagen überschickht sollen werden, welches, nachdem es verpliben, wellen wir, das es noch fürderlieh euch von unsernwegen bevolhener massen beschehe ... "
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Man könnte zunächst glauben, dieses Schreiben sei irrigerweise auf 1554 datiert und gehöre in Wahrheit erst in das folgende Jahr, so sehr ähneln die berichteten Vorgänge bis in den Wortlaut des Schreibens hinein denen des Herbst 1555. Ob die Universität der herzoglichen Aufforderung nachgekommen ist, läßt sich nicht erkennen. Wenn man es unterstellt, so wird das umfangreiche Arbeitsprogramm, das die Ratskommission im November/Dezember des folgenden Jahres in Ingolstadt erledigte, um einiges begreifbarer. Die Reformation und die Statutenneufassung wären dann bereits weitgehend vorbereitet gewesen, und die Räte hätten sich mit einer nochmaligen Durchsicht begnügen können.
Die Visitation des Jahres 1555 Im Herbst 1555 waren die Verhandlungen mit den Jesuiten so weit gediehen, daß sich Canisius zu ihrem Abschluß aus Prag nach München begab. Gegen Ende Oktober dort eintreffend, erfuhr er, daß der Herzog drei seiner hervorragendsten Räte soeben mit einer Gesandtschaft nach Ingolstadt beauftragt habe. Da sie jedoch noch keine Zeit zu vorbereitenden Beratungen gefunden hatten, wurde Canisius gebeten, voraus nach Ingolstadt zu reisen, wo die Gesandten in zwei Wochen mit ihm über die Kolleggründung beraten sowie de reformando etiam generali hoc studio IngoZstadiensi seine Meinung erfahren wollten49 • Die herzogliche Kommission, die dann am 27. November in Ingolstadt ihre Tätigkeit aufnahm, bestand aus dem im März des gleichen Jahres anstelle des verstorbenen Stockhamer zum patronus der Universität ernannten Wiguleus Hund, dem Burghausener Kanzler Sirnon Eck, dem herzoglichen Sekretär Heinrich Schweiker und dem consiHarius camerae Christoph Raindorfer50• Die Verhandlungen mit Canisius über das Jesuitenkolleg, in deren Verlauf er den Kommissaren nicht weniger als vier Memoranden zustellte, endeten am 7. Dezember mit einem Vertrag, der die Dotation, die vorläufige Unterbringung und den Status des Kollegs im einzelnen regelte51 • Da der Ingolstädter Aufenthalt der Räte schon am folgenden Tag zu Ende ging, müssen die Beratungen über die Universitätsreform, die ja ebenfalls auf dem Programm der Kommission standen, nebenher durchgeführt worden sein. Der ausführliche Gesandtschaftsbericht der Kommission, von Schweiker geschrieben und später von Hund korri49 Braunsherger I 563 ff. (26. 10. 1555), Canisius aus München an Loyola: "tandem tres ex praecipuis ducis consiliariis Ingolstadium mittere decreverunt ..." 50 Braunsherger I 569 Anm. 2 hat Raindorffer als vierten Teilnehmer der Kommission nachgewiesen; sein Name wird auch in der Relation erwähnt. 51 Mederer IV 382 ff. und Braunsherger I 569 ff.
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giert52, führt als Ausbeute des Ingolstädter Aufenthalts eine ganze Reihe von Dokumenten auf: erstens nämlich die schon erwähnte "Capitulatio", zweitens einen Bauplan und einen Voranschlag des Baumeisters Georg Stern für das Kolleg, drittens ein Konzept für die Neustiftung von zwölf Stipendien im Georgianum. Viertens, fährt die Relation fort, seindt die statuta universitatis durch uns von titel zu titel
widerumb (!) vleissig ersehen und wo vonnöten gewesst, geendert und pessert worden, auch zum thail an ettlichen orten under ire rechte titl und capita pracht, darundter sy gehorig58• Nicht nur das widerumb, sondern auch der sich eng an den Sprachgebrauch des herzoglichen Schreibens von 1554 anlehnende Wortlaut dieses Satzes scheinen klar zu bezeugen, daß den Räten eine so gut wie fertige Statutenneufassung vorlag, an der sie kaum mehr etwas zu ändern fanden. Die neue Satzung übergaben die Räte dem Herzog zur Prüfung. Darüber hinaus sei, heißt es weiter in der Relation, auf Grund einer eingehenden Untersuchung der bestehenden Mißstände ain concept ainer reformation gesteldt und einerseits mit Rektor und Senat, andererseits mit je zwei Vertretern jeder Fakultät erwogen und beratschlagt worden. Dem Herzog empfahlen die Räte, Statuten, Reformation sowie die gleichfalls abschriftlich eingereichten Privilegien im Falle seines Einverständnisses alls baldt zu konfirmieren, wonach sie an die Universität zurückgesandt und dort "publiziert" werden könnten5 4 • Auch mit den einzelnen Fakultäten war über die "Reformation" verhandelt worden. Juristen und Artisten äußerten dabei den Wunsch, ihre Fakultätsstatuten (die Artisten die Ordinatio von 1539) gleichfalls vom Landesherrn neu bestätigt zu bekommen55• Statutenneufassung und "Reformation" (1555/56) Auf Grund dieses Gesandtschaftsberichts bleibt über die Entstehungszeit der beiden großen Verfassungsdokumente, nämlich der neuen 52 StA Obb. GL 1477/3, 54 ff.; ein kurzer Auszug gedruckt bei Braunsherger I 716 ff.; ein Auszug der verfassungsgeschichtlich relevanten Partien Anhang VII. über die Autorschaft Braunsherger I 716; der Handschriftenvergleich bestätigt, daß die Korrekturen von Hunds Hand stammen, während ich mich für den Urtext auf Braunsherger berufen muß. 53 StA Obb. GL 1477/3, 55.- Der im SS 1555 amtierende Rektor Benigne de Chaffoy kopierte eine Statutenfassung, die dem Mederertext entspricht (Piquard 223 f.); die Statuten von 1522 dürften also im Sommer 1555 wenigstens offiziell noch in Kraft gewesen sein. Als Rektoratsalter steht bei Chaffoy jedoch, genauso wie in den Statuten von 1556, das 20. statt dem 25. Lebensjahr (Piquard 220 A. 5), was entweder auf eine bereits erfolgte Korrektur oder auf einen Fehler der benützten Vorlage, die dann auch diejenige der Statutenneufassung gewesen sein müßte, zurückgeführt werden kann. Vgl. unten Kap. 7 Anm. 74 und 107. 54 StA Obb. GL 1477/3, 55'; vgl. Anhang VII. 55 StA Obb. GL 1477/3, 58' und 60'; vgl. Anhang VII.
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Statutenfassung und der "Reformation", kaum ein Zweifel übrig. Im gleichen Faszikel des Oberbayerischen Archivs schließt sich an die Relation ein stark korrigiertes Konzept der "Reformation" an, dem das Datum des 19. Dezember 1555 hinzugefügt worden ist56• Prantl hat den Text nach dieser Vorlage gedruckt57 ; eine Reinschrift scheint nicht überliefert zu sein. Die herzogliche Konfirmationsurkunde der neuen Statuten, die im gleichen Faszikel folgt, ist dort wie in den Abschriften des Universitätsarchivs auf den 28. Dezember des eingeenden newen jars der weniger zal1556 datiert58• Prantl löste diese Formel kurzerhand nach 1556 auf. Diese Datierung ist neuerdings59 zugunsten des Jahres 1555 angefochten worden, eine Ansicht, die sich jedoch aus der zitierten Datumszeile, so unklar diese immer bleibt, nicht recht ableiten lassen will. Befragt man das übrige Tatsachenmaterial, so fällt allerdings auf, daß in der Konfirmationsurkunde mehrfach auf die "Reformation" Bezug genommen wird, als ob diese gleichzeitig oder doch jedenfalls nicht ein ganzes Jahr vor den Statuten verabschiedet worden sei60• Das wäre ein Wahrscheinlichkeitsgrund für das Jahr 1555, jedoch bliebe auch dann immerhin eine zehntägige Verspätung der Statutenkonfirmation zu erklären. Auch für eine ganzjährige Verzögerung kann es jedenfalls Gründe mehr oder weniger zufälliger Art gegeben haben; daß sie nicht bekannt sind, wird bei der Lückenhaftigkeit des überlieferten Materials kaum verwundern können. So lassen sich nur einige Indizien anführen, die für das Jahr 1556 sprechen könnten. Wiguleus Hund hat den Gesandtschaftsbericht, wie sich aus mehreren Beobachtungen ergibt, beträchtliche Zeit nach seiner Abfassung korrigiert81 • Als Abfassungsdatum kommt angesichts der StA Obb. GL 1477/3, 73 ff. Prantl li Nr. 71. StA Obb. GL 1477/3, 94 ff.; UA B II 10 und 11; außerdem StB Clm. 27322 I. - Prantl II Nr. 72, 232. 59 Durch Buxbaum. Der Zusatz "der weniger zal" kann m. E. im Zusammenhang mit der Angabe der vollen Jahreszahl (einschließlich Tausender und Hunderter) nur den Sinn haben, daß der Schreiber bei unsicher gewordenem Weihnachtsjahr an die niedrigere der beiden möglichen Jahreszahlen dachte. Im anderen, von Grotefend angegebenen Sinn ist mir die Formel in herzoglichen Kanzleischreiben nie begegnet. 60 Prantl II 211 f., 231 f. 61 Der Urtext der "reformation" hatte (f. 57') vorgesehen, der Theologe Michael Wagner sollte dem Herzog ein "memorial" zustellen, auf Grund dessen der Herzog dem Bischof von Würzburg in Wagners Sache schreiben sollte; es handelte sich um einen Ruf nach Würzburg, den Wagner nur ausschlagen wollte, wenn ihm sichere Aussicht auf den Besitz der Moritzpfarre gemacht würde. Eine Randglosse in der Korrektur vermerkt in Beziehung auf dieses "memorial": "ist von ime nit beschechen unnd also diß schreiben verpliben, wer auch etwan bedencklich gewesen."- Für die Frauenkirche hatte die "reformation" den Plan in Aussicht gestellt, ein Altarbild zu beschaffen, über dessen Herstellung Sirnon Eck mit "maister Hansen von Saltzburg" verhan56
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Länge des Textes ein Zeitpunkt kaum vor, vielleicht nach Mitte Dezember in Betracht, während die Korrektur sicher erst nach dem Jahreswechsel vorgenommen sein kann. Hinsichtlich der Statuten hatte nun der Urtext vorgesehen, sie sollten nach ihrer Konfirmation durch zwei ansehZiche räthe zusammen mit der Reformation nach Ingolstadt gebracht und dort vor versammelter Universität verkündet werden. Hund änderte diese Passage. Die Statuten waren vom Herzog noch nicht konfirmiert worden; sie sollten aber nun, sobald das geschehen sei, nicht mehr durch Räte überbracht, sondern einfach geschickt werden62 • Auch die Übersendung der Reformation stand zu diesem Zeitpunkt noch aus, was zu der Datierung des allein erhaltenen Konzepts nicht in Widerspruch steht. Ob sie der Universität je offiziell zugestellt worden ist, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Sehr wahrscheinlich ist aber die vorgesehene Zustellung von Abschriften an alle Dekane und den Regens des Georgianums unterblieben, weil im anderen Fall im Universitätsarchiv eine dieser Abschriften erhalten sein sollte. Im August des folgenden Jahres (1556) trafen sich Canisius und Schweiker zu neuerlichen Beratungen in Ingolstadt63 • Die Instruktion, die Hund dem Sekretär mitgab, gedenkt ausführlich der ultima reformatio, die bei Beginn des nächsten Semesters erneut vor versammelter Universität verlesen werden und überhaupt strikt befolgt werden sollte64 • Anders als in der Statutenurkunde und vielen späteren Verlautbarungen ist von den neuen Statuten neben der "Reformation" in diesem Schreiben nicht die Rede. Unter allen diesen Umständen wird man Prantls Datierung, die sich übrigens mit derjenigen der nur wenig späteren Kopisten des Univerdein sollte. Dem Urtext zufolge würde Wiguleus Hund Eck dazu "ain patron" zusenden; Hund korrigierte, das sei bereits geschehen und man warte nun auf Ecks Antwort (f. 63') - Über das neuerbaute Siechhaus hatten die Räte von der Stadt eine Baukostenrechnung empfangen; der Korrektur zufolge war inzwischen von der Hofkammer in dieser Sache Bescheid ergangen (f. 67') Ein ähnliches Indiz für den zeitlichen Abstand von Urfassung und Korrektur auch f. 66. 62 StA Obb. GL 1477/3, 55'; vgl. Anhang VII. 63 Braunsherger II 3 ff. (8. 8. 1556) Hund an Schweiker: er solle in Ingolstadt mit dem Kämmerer Agricola und "sonst vertrauten personen" über die jesuitische Kolleggründung verhandeln; wahrscheinlich werde auch Canisius dort sein. 64 Braunsherger II 3 ff. "Summa scribendorum ad universitatem Ingolstadiensem in favorem collegii theologici"; vgl. dort S. 7: "Quare post hasce vacationes iterum praelegi in maiori aula decebit dietarn reformationem, et deinde rector admoneat professores sub gravi poena, ut diligentius lectiones suas praelegant ac nunquam cessent, prout in reformatione satis expressum". - Braunsherger hält diese von ihm als solche interpretierte Instruktion grundlos für eine Rekapitulation eines Schreibens von Canisius an Hund vom 6. 8. 1556. -In den Zusammenhang dieser Beratungen gehören auch zwei weitere Texte (Braunsberger 8 ff. und 12): "Difficultates circa collegium theologicum Ingolstadii" (von Canisius verlaßt) und "responsio ad difficultates nonnullas camerarii" (von Agricola stammend, also "responsio camerarii").
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sitätsarchivs deckt, aufrechterhalten und sich angesichts der fortbestehenden Zweifel mit der Gewißheit begnügen müssen, daß sowohl die Statuten wie die "Reformation" in ihrer endgültigen textlichen Gestalt auf die Arbeit der Visitationskommission und damit auf den Dezember 1555 zurückgehen. Die erneuerten Statuten und die "Reformation" stehen zueinander in einem Verhältnis gegenseitiger Ergänzung, für welches das Nebeneinander von Stiftungsurkunde und Statuten im Gründungsjahr oder auch die geplante Koordination der Nova Ordinatio von 1507 mit der beabsichtigten und in Angriff genommenen Statutenneufassung des gleichen Jahres Beispiele boten. Schon in der Relation der Räte, dann wieder in den Arengen der "Reformation" und der Statutenurkunde wird auf diese komplementäre Beziehung ausdrücklich hingewiesen; die Universität erhält Befehl, beide Ordnungen, die gemeinsam künftig ihren grundgesetzliehen Bestand bilden, strikt zu befolgen65 • Daraus folgt aber, daß sich die "Reformation" mit Gegenständen befassen mußte, die außerhalb und abseits der traditionellen Statutenmaterie lagen. Tatsächlich unterblieben bis auf Ausnahmen inhaltliche Überschneidungen und Wiederholungen. Soweit die "Reformation" über die Angelegenheiten der einzelnen Fakultäten, des Georgianums und des Buchdruckerwesens hinaus die universitet in gemein betreffendt Verfügungen trifft66 , erstrecken sie sich auf Vorlesungs-, Prüfungs- und disziplinarische Verhältnisse und sind für die Verfassungsgeschichte so gut wie ausnahmslos ohne Interesse. Mehr als durch ihren Inhalt interessiert demnach die "Reformation" durch ihre einfache Existenz, also die Tatsache, daß d1e verantwortlichen Räte auf den Gedanken gekommen waren, die Universitätssatzung durch ein Werk landesherrlicher Gesetzgebung zu ergänzen67• Die Idee weist auf fremde Vorbilder, vornehmlich wohl auf die Universität Wien, die soeben im Jahre 1554 ihre zweite große "Reformation" von Kaiser Ferdinand oktroyiert bekommen hatte68 , und so könnte man vermuten, daß der Plan wie der Name der Ingolstädter "Reformation" auf eine Anl'legung Canisius' zurückgingen, wenn nicht, wie oben gezeigt, das Projekt vielmehr schon spätestens aus dem Jahre 1554 65 Prantl II 231: "das die hiervor geschriben lateinische constitutiones decret statut und ordnung, auch die hieneben verfertigt unser reformation" ... Prantl II 199: "Bevelchen darauf bemeldten rector und rath, das sy ob solchen verneuwertten statuten und diser unser reformation mit allem vleis und ernst hallten .. ." 6 6 Prantl II 199 ff. s1 Vgl. Kap. 11 Abschnitt 1. 68 Kink II 373 ff. Buxbaum führt in seinem Anhang einen umfangreichen Textvergleich zwischen Reformation und Statuten Ingolstadts und der Wiener Reformation von 1554 durch; das Ergebnis vermag nicht recht zu überzeugen. Daß die Wiener Reformation in Ingolstadt schriftlich vorlag, will auch Buxbaum nicht annehmen.
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herrührte. Aus dem gleichen Grund scheint die Autorschaft der herzoglichen Räte nicht sicher; vorsichtig heißt es in der Relation, die "Reformation" sei erstellt und dann mit der Universität durchgesprochen worden69. Danach ließe sich vorstellen, daß der Entwurf von der Universität stammte, erst die zahlreichen Korrekturen dann von der Hand der Räte. An der ersichtlich ebenfalls bereits von der Universität vorbereiteten Statutenredaktion fanden die Räte auszusetzen, daß man die Bestimmungen an einigen Stellen under die titel und capita pracht (habe), darundter sy nit gehorig. Nachdem die Relation zunächst berichtet hatte, die Räte hätten Anweisung gegeben, das zu ändern, korrigierte Hund, das sei bereits geschehen70 • Wenn also der Anteil der Räte an der neuen Satzung sehr gering zu veranschlagen ist, so zeugt auch die hauptverantwortliche Revisionsarbeit der Universität von einem überraschenden Mangel an Ideen. Die neue Redaktion begnügt sich im Inhaltlichen fast durchweg mit einer Kopie der Statuten von 1522. Nicht so freilich im Sprachlichen; im Vergleich mit der schlichten Vorlage ist ihr Latein elegant und ambitiös. Für die wenigen sachlichen Neuerungen ist eine Quelle entbehrlich, aber dennoch nachweisbar. Entsprechend der vorherigen Ankündigung hatten die herzoglichen Kommissare Canisius (und neben ihm den Mediziner Hieronymus Leicht) um ein Gutachten zur Universitätsreform gebeten. Das erhaltene Konzept71 wurde später von der Hand des Kämmerers Agricola mit knappen Marginalien versehen, die von Punkt zu Punkt jeweils auf die neuen Statuten oder die "Reformation" verweisen72• Braunsherger hat sich der Mühe unterzogen, die Vorschläge des Jesuiten einzeln in den Statuten und der "Reformation" nachzuweisen, und gelangte zu dem Schluß, daß die Räte beinahe allen seinen Ratschlägen gefolgt seien73 • Canisius zeigte sich in diesem Gutachten stärkstens von den Einrichtungen der Universität Wien, besonders aber von dem egregium exemplum der Wiener "Reformation" von 1554 beeindruckt und empfahl mehrfach deren Nachahmung74 • Seine wohl wichtigste Anregung, auch für Ingolstadt einen Superintendenten zu ernennen, fand freilich vorläufig, vielleicht in Ermangelung einer tauglichen Persönlichkeit, keine Verwirklichung75• Dagegen führte sein zweiter Vorschlag, die Einrichtung von Angarialversammlungen betref69 StA Obb. GL 1477/3, 55' ; vgl. Anhang VII. 70 StA Obb. GL 1477/3, 55; vgl. Anhang VII. 71 SA Obb. GL 1477/3, gedruckt bei Prantl II Nr. 70. 72 Braunsherger I 582 ff.. hat die von Prantl unterschlagenen Marginalien gedruckt. 73 Braunsherger I 585; neuerdings im gleichen Sinne Buxbaum. Vgl. dazu oben Anm. 34. 74 Prantl II 198 § 1, 4, 7, 9. 75 Vgl. Kap. 8 Anm. 74.
III. Reformperiode 1560--62
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fend, zu einem Einschub in den Statuten, der sich auch sprachlich an diese Vorlage häJt76 • Alle anderen Punkte sowie das ganze Votum Leichts sind für die Verfassungsgeschichte ohne Interesse. Für die Univ,ersitätsverfassung sind folgende Punkte der neuen Satzung von größerer oder geringerer Bedeutung: Dem Konzil, das hier durchweg senatus heißt, gehören die ordinarii professores als ständige Mitglieder an, während die unter dieser Bezeichnung nicht begriffenen sive doctores sive licentiati aufgenommen werden können77 • Das Mindestalter der Rektoren wird - Absicht oder Versehen - auf das 20. Lebensjahr herabg·e setzt; die Rektorwahl soll auffälligerweise einstimmig erfolgen78 • An die Stelle der vier "deputati", die bisher die Rechnungslegung des abtretenden Rektors zu kontrollieren hatten, treten nun abwechselnd die Professoren je einer Fakultät70 • Eirie schwerwiegende Verletzung der Stiftungsurkunde stellt die Bestimmung dar, daß in der Gerichtsbarkeit Kapitalsachen nicht mehr an den Bischof von Eichstätt, sondern an den Landesherrn abgegeben werden sollten80 ; diese Änderung könnte nun doch auf die Hand der Räte weisen. So wie die Kommissare in bezug auf die Privilegien berichteten, sie hätten auch nichts anders befunden, als daß sie - wie bisher noch von jedem Fürsten - unverändert bestätigt werden sollten8 \ so kapitulierte der staatliche Reformwille im Jahre 1555 zunächst noch einmal vor der bestehenden Einrichtung der Universität. Da ein Gegenkonzept nicht sichtbar war, begnügte man sich mit Änderungen der Form und des Details. Die beiden Produkte dieses Reformjahres zeugen mit ihrem sterilen Wortreichtum von einer guten Absicht, der gute Ideen nicht zu Gebote standen. Eine solche Idee aber lag seit eben diesem Jahre 1555 bereit: die Superintendenz nach Wiener Muster, wie Canisius sie vorgeschlagen hatte. Mit ihrer Verwirklichung besaß die zweite Reformepoche der Regierung Herzog Albrechts V. nun wirklich einen Gegenstand. 111. Die Reformperiode 1560-62 Die zweite Reformperiode wurde mit der Ernennung Friedrich Staphylus' zum inspector im Mai 1560 eingeleitet82 • Da Protokolle aus diesen Jahren fehlen, lassen sich Ursache und Hergang dieser Ernennung, die Prantl li 215; vgl. Kap. 6 Anm. 97. Vgl. Kap. 6 Anm. 66. Prantl li 215 f.; vgl. Kap. 7 Abschnitt 3 I. 79 Prantl li 216; vgl. Kap. 9 Anm. 34 und Kap. 7 Anm. 28. 80 Vgl. Kap. 10 Anm. 40. 81 StA Obb. GL 1477/3, 55'; vgl. Anhang VII. 82 UA Georg. II/11 I, 100 (27. 5. 1560): " . .. Staphylus commendatus est nomine principis illustrissimi totae nostrae academiae ac omnium actionum inspector constitutus . . ."; vgl. Kap. 8 Anm. 76 ff. 76
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von der Universität anscheinend noch ignoriert wurde, nicht erkennen. Der Plan oder wenigstens die Idee des Amtes stammte, wie erwähnt, aus dem Jahre 1555; in dem soeben aus Wien berufenen Staphylus scheinen di€ herzoglichen Räte den Mann gesehen zu haben, der das Format hatte, ein solches Amt auszufüllen. Im gleichen Sommersemester 1560, unter dem Rektorat des Juristen Romuleus, führte die Universität- gewiß nicht ganz freiwillig- einen computus studiosorum durch, erneuerte nach Auskunft der Matrikel utilissima statu.ta de frequentandis lectionibus und veranstaltete eine große inquisitio in negZigentes83 • Im Januar 1561 wurden Staphylus, der Kämmerer Agricola und Magister Wolfgang Zettel von den Patronen Sirnon Eck und Wiguleus Hund nach München zitiert84 • Agricola, aus Gesundheitsgründen verhindert, sandte seine Rechnungen ein. Staphylus und Zettel folgten der Ladung und bekamen eine sehr ungnädige Strafpredigt zu hören. Nach Meinung der Patrone hätten die Professoren durch ihren Unfleiß den Eid gebrochen, iuxta statuta et reformationem zu leben, und ebenso lasse die Disziplin der Studenten sehr zu wünschen übrig. Da die Statuten und die neue, später vom Herzog konfirmierte Reformation nicht beachtet würden, befahlen Eck und Hund, die Universität möge eine consignatio anfertigen, in der seitens aller Fakultäten die Gründe angegeben würden, warum man Statuten und Reformation nicht befolge oder nicht befolgen könne. Staphylus habe diesen Bericht mit seinem eigenen Gutachten zu versehen und sodann den Patronen zu übersenden, die, nach Ingolstadt kommend, die nötigen Maßnahmen ergreifen wollten, um alles in einen besseren Zustand zu bringen85• ss Matrikel Pölnitz 797 f. UA B III 1 "Relatio actorum Monachü coram magnificis patronis universitatis mense Januario anno LXI" von der Hand Wolfgang Zettels. Eine Abschrift dieses Stückes StB Clm. 27322 I; der Kopist schwankt in einem Nachsatz zwischen den Jahren 1561 und 1562, entscheidet sich aber dann doch für das erstere. 85 UA B III 1: "Tertium causa cuius evocati fuimus est status totius scholae et singulorum collegiorum seu facultatum academiae. Primo iussi sumus a magnificis patronis d. Sirnone Eckio cancellario et Wiguleo Hundio consiliario illustrissimi intimo etc. comparere in curia illustrissimi principis, ubi tria praecipue fuerunt proposita, quae scholae statum concernunt", nämlich der Leseunfleiß der Professoren, die schlechte Disziplin der Studenten und die Höhe der Lebenshaltungskosten. "Postremo nobis exire iussis deliberatum est a magnificis patronis, iterumque nobis intromissis in hanc sententiam conclusum atque decretum: ut cum antiquis statutis et recentiori reformationi Ingolstadii confectae, postea ab illustrissimo principe confirmatae et a nobis receptae non satisfaciat nec articuli et decreta ibi promulgata retineantur, serio nobis impositum est, ut dominis et patribus academicis significaremus, quod singula collegia et facultates causas et rationes demonstrarent, quare decreta et antiquarum constitutionum et novae reformationis aut non serventur aut eo modo, quo proposita sunt, servari non queant, et quare ordinationibus et constitutionibus, quae vel ad totum scholae statum vel ad bonum et 84
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Am 20. Januar 1561, also wenig vor oder nach der Münchener Konferenz, erließ Herzog Albrecht -eine Instruktion für den Superintendenten Staphylus86• Er erhielt unter anderem die Aufgabe, darauf zu achten, daß bei der universitet alenthalben den statuten und der neuen reformation, die wir hievor aufgerichtund nochmalen aufrichten zelassen vorhabens, nachgegangen werde81 • Die Beschwerde der Universität gegen die Erhebung des verheirateten Laien Staphylus zum Oberhaupt ihres klerikalen Rektors trägt das Datum des 4. Februar 156188• Am 16. September des gleichen Jahres warf der Herzog der Universität vor, sie sei dem Befehl der Räte, unnser jüngste reformation der universitet zu beraten und zu begutachten, noch immer nicht nachgekommen; binnen zwei Wochen habe das nun zu geschehen89 • Einen Monat später, am 14. Oktober, bestätigte Albrecht durch seinen Sekretär Erasmus Fend, die underthenigen bedenkhen unserer universitet reformationem belangend habe er erhalten; eine Entscheidung werde zu gelegener zeit folgen 90 • Das Gutachten der Universität ist nicht überliefert. Vier Tage vor dem eben erwähnten Bestätigungsschreiben, am 10. Oktober, hatte sich der Herzog gesondert an die Ingolstädter Jesuiten gewandt und um schriftliche Vorschläge gebeten, qua potissimum ratione res scholae iuvari, enormia tolli, statuta antiqua emendari, aut nova salubria fieri queant. Es gehe nämlich, meinte der Herzog, mit der Universität von Tag zu Tag mehr bergab91 • Die Jesuiten antworteten mit einem vom 18. Oktober 1561 datierten Gutachten92 • Der Senat und alle Universitätsämter sollten von Männern gereinigt oder reingehalten werden, die im Verdacht der Häresie ständen oder nicht frei von Lastern seien. Der Zugang zu allen Ämtern sollte von der Ableistung eines Religionseides abhängig gemacht werden. Man möge die Jurisdiktionsgewalt des Eichstätter Bischofs stärken. Gegen Exzesse der Studenten müsse schärfer eingeschritten werden. Die Karzerhaft sei nicht streng genug. Die freilebenden Studenten sollten in Kollegien gezwungen werden, jeder Student solle einen Stundenplan incrementa singulorum collegiarum pertinent, non satisfaciat nec satisfieri queat. Quae quidem consignatio primo quoque tempore et fieri et magnifico d. Staphylo reddi debet, ut hic adducto suo quoque consilio eam mature ad magnificos d. patronos transmittere queat. Qui tandem quid facto opus in medium consulent et quid scholae nostrae usui et bono esse queat deliberabunt, atque huc venientes cuncta in meliorem statum transferre studebunt." s6 Prantl II Nr. 74; vgl. Kap. 8 Anm. 78. 87 Prantl II 232. 88 Prantl II Nr. 75; vgl. Kap. 8 Anm. 81. 89 UA B 111 1, 16. 9. 1561. 9o UA B 111 1, 14. 10. 1561. 91 Braunsherger 111 682; "(universitas) in peius indies ruit". 9 2 Gedruckt bei Pachtler II 480 ff.
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vorgeschrieben bekommen. Ein Armenkoll~g und eine Universitätsbibliothek seien einzurichten. Schon zu Anfang Oktober 1561 war erneut ein scharfes Mahnschreiben nach Ingolstadt gegangen. Statuten und Mandate würden so nachlässig befolgt, daß der Herzog sich wohl oder übel gezwungen sehe, härter gegen die Delinquenten vorzugehen. Bereits vor einiger Zeit hätten einige Räte cum uberrimis nostris mandatis die Universität visitieren sollen, aber wichtigere Geschäfte seien dazwischen gekommen93 • Erst zu Anfang des Jahres 1562 wurden dann cannzZer und räthe wirklich nach Ingolstadt gesandt94 • Auch Canisius folgte von Augsburg aus einer Einladung der Räte, zu neuerlichen Verhandlungen ad eam universitatem rite reformandam nach Ingolstadt zu kommen95, und ebenso sandte der Bischof einige seiner Räte, um die seit längerem anstehende Frage des Kanonikats endlich zu klären96 • Braunsherger errechnet aus dem Itinerar des Canisius einen Verhandlungstermin zwischen dem 6. und 11. Januar97 ; die Beratungen mit den Bischöflichen waren noch am 17. Januar im Gange98 • Aus den Notizen, die Eck und seine Kollegen darüber anfertigten, geht hervor, daß die eichstättiseben Räte auch beunruhigt um Mitteilung der neuen reformation ersuchten und den Wunsch äußerten, die schul in gueter ordnung zuerhaUen, damit nit neuerung (!) oder mengZ einreißen. Curabuntur ista summa diligentia, antworteten abweisend die Herzoglichen; die "Reformation" wurde der Gegenseite zuegesteZt99 • Am 3. Februar 1562 fertigte Herzog Albrecht diese neue, lateinische Fassung der "Reformation" von 1555 aus100 ; ob an dem schon in Ingolstadt vorliegenden Konzept noch etwas geändert worden ist, bleibt unerkennbar. In einem herzoglichen Schreiben vom April des gleichen Jahres heißt es, auf die ausführliche reZation der Gesandten hin habe der Herzog unnser hievor gegebne instruction ändern lassen; anliegend gehe sie an die Universität zurück101 • Ob damit wirklich die "Reformation" oder nicht vielleicht die Instruktion des Superintendenten gemeint war, bleibt unentscheidbar. Soweit die Daten. Den Ertrag dieser Reformperiode stellen zwei herzogliche Verordnungen dar: die Instruktion für Staphylus vom Januar UA E I 1, 8. 10. 1561. Darauf nimmt ein herzogliches Schreiben vom 18. 4. 1562 (UA B VI 1) Bezug; vgl. unten Anm. 101. o5 Braunsherger III 682. o& Vgl. Kap. 8 Anm. 41 ff. 01 Braunsherger II 682. 98 StA Obb. Gl 1477/4, 10: "Antwurt den Aichstetischen geben Freitags ab Epiphania"; vgl. Kap. 8 Anm. 42. oo StA Obb. GL 1477/4, 9 ff. 1oo Mederer IV Nr. 45. 1o1 UA B VI 1, 18. 4. 1562. OS
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1561 und die erneuerte lateinische Reformation vom Februar 1562. In der nun immer mehr ansteigenden Flut landesherrlicher Rezesse verdienen diese beiden Stücke, die einander gegenseitig voraussetzen und ergänzen, als Dokumente einer echten Verfassungsreform gewürdigt zu werden. Über das erstere wird innerhalb der Geschichte der Superintendenz eingehender zu verhandeln sein102• Die Idee dieses Amtes geht, wie gezeigt wurde, primär auf das Beispiel der Universität Wien zurück. Sowohl der erste Superintendent selbst wie der Text seiner Instruktion kamen direkt aus Wien nach Ingolstadt. Unzweifelhaft bedeutet die Schöpfung dieses Amtes in der Ingolstädter Verfassungsgeschichte eine wichtige Epoche, fand sich doch die Universität in ihrer traditionellen Struktur durch dieses außerhalb ihrer Kontrolle und 'Einflußnahme bleibende, seinem Charakter nach staatliche Organ in ihren Selbstverwaltungsrechten auf das schwerste eingeschränkt und bedroht. Was die "Reformatio" des Jahres 1562 betrifft, so bleibt ihr Verhältnis zu der Reformation von 1555 zu klären. Für Inhalt und Wortlaut ist diese Frage schnell beantwortet: der spätere Text folgt dem früheren in großer Treue, fügt jedoch einen Abschnitt hinzu, durch den die Institution der Superintendenz bestätigt und verewigt wird103• Umso berechtigter erhebt sich die Frage, aus welchem Grunde der Landesherr seiner ersten "Reformation" sieben Jahre später eine fast gleichlautende zweite folgen ließ. Prantl gibt dafür die sich auf den Text von 1562 stützende Erklärung, die Reformation von 1555 sei damals noch nicht "zum Vollzug" gelangt, sondern vergraben geblieben; 1562 heißt es, daß sie sopita atque sepulta jacuit nec executioni fuit data104• Nun kann man diese Stelle entweder so verstehen, daß die "Reformation" gar nicht erst verabschiedet ("zum Vollzug gebracht"), sondern in der herzoglichen Kanzlei liegengeblieben sei, oder aber, daß sie lediglich praktisch nicht "vollzogen", d. h. befolgt worden sei. Daß die letztere Deutung die richtige ist, beweisen die oben angeführten Zitate aus der vorbereitenden Korrespondenz, wo von der Reformation wiederholt als einem in Kraft befindlichen, nur eben von der Universität nicht beachteten Verfassungsdokument gesprochen wird. Schwerlich hätte sich ein Irrtum auf Seiten der Räte so lange halten können. 102
Kap. 8 III.
Mederer IV 297 ("Principio: ..."). Mederer IV 296; Prantl I 282: "kam damals noch nicht zum Vollzug, sondern schlummerte noch und blieb vergraben". -Auch Buxbaum glaubt, daß die Reformation von 1555 verabschiedet worden ist; zum Beweis führt er ein herzogliches Schreiben vom 19. 7.1558 an die Stadt Ingolstadt an, das die Übersendung eines ebenfalls erhaltenen Auszugs der Reformation begleitete (StA Ingolstadt A VI, 92 b, 94 a). 103
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Eine offizielle Fassung der "Reformation" von 1555 ist freilich nicht überliefert, aber das will bei dem Zustand unserer Quellen wenig besagen und gilt übrigens in gleicher Weise für den Text von 1562, der nur in Mederers Druck vorliegt. Als Gründe für das sepulta jacera der ersten Reformation nennt der Herzog 1562 variae subincidentes deliberationes 105• Es scheint danach, daß zunächst bis etwa zum Jahre 1560 die Nachlässigkeit der Univ.ersität- die noch von den Patronen bei den Münchener Verhandlungen allein verantwortlich gemacht wird - dann aber die Errichtung der Superintendenz den "Vollzug" der Verordnung verhinderten. Schon in der Instruktion für Staphylus erklärt ja Herzog Albrecht unmißverständlich, daß die Reformation einerseits hievor aufgericht worden sei, andererseits nochmalen aufgerichtet werden solle106• Der Landesherr scheint also schon damals die Absicht gefaßt zu haben, die Superintendenz in seiner "Reformatio" zu verankern. Aus dem Widerspruch der Universität gegen Staphylus ergaben sich dann die erwähnten Verzögerungen; im Sommer wurde die Reformation der Universität zur Begutachtung vorgelegt, deren bedenckhen erst im Oktober eintrafen, als die Patrone durch andere Geschäfte behindert waren. Damit ist eine Kontinuität zwischen den Entstehungsdaten der "Instructio" und der "Reformatio" hergestellt, - mit ihr aber zugleich eine Motivation für den Erlaß dieser Verordnung selbst. IV. Die restliche Regierungszeit Herzog Albrechts V.
Die zuletzt geschilderten Vorgänge gehören zwar noch in die erste Hälfte der Regierungszeit Herzog Albrecht V.; trotzdem, und obwohl der Kette landesherrlicher Rezesse in den folgenden Jahren noch manches wortreiche Schriftstück angefügt worden ist, fühlt sich die Verfassungsgeschichte berechtigt, den verbleibenden Zeitraum bis zu Albrechts Tod im Jahre 1579 mit einigen Stichworten abzutun. Zu keinem Zeitpunkt verdichtete sich in dieser Periode die nach wie vor häufig genannte und geforderte reformatio der Universität zu einer wirklichen, verfassungsgeschichtlich relevanten Universitätsreform. Die einzelnen Änderungen und Neuerungen, die berichtenswert sind, werden im Zusammenhang mit den entsprechenden Verfassungsaspekten an ihr.em Ort zur Sprache kommen. Bis zu seinem Tod im Jahre 1574 blieb der Kanzler Sirnon Eck der führende Mann der staatlichen Universitätsregierung. Neben ihm gehörte der erfahrene herzogliche Sekretär Erasmus Fend zum Gre105 Mederer IV 296 "ob varias subincidentes deliberationes et impedimenta quamplurima". 106 Prantl II 232.
IV. Restliche Regierungszeit Albrechts V.
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mium der patroni, in dem an die Stelle des für längere Zeit nicht genannten Wiguleus Hund der Jurist Onuphrius Berbinger getreten war107• Nach Eck tauchten im Verkehr mit der Universität neue Namen auf, von denen keiner - derjenige des neuen Kanzlers Christoph Elsenheimer eingeschlossen- mit der Universitätsgeschichte dauerhaft und auf prägende Weise verbunden blieb. Seit 1570 hatte der Staat in dem Inspektor und Vizekanzler Martin Eisengrein einen bevollmächtigten Vertreter in der Universität, der den Auftrag des 1564 verstorbenen Superintendenten Staphylus unter neuem Namen und mit neuen, weitergehenden Kompetenzen fo;tsetzte 108• Für die Universität standen diese Jahre im Zeichen der sich immer mehr verschärfenden Auseinandersetzungen mit den Jesuiten109• Sie betrafen vor allem den Status der Artistenfakultät, zu deren Konzil und Professuren die Patres im Lauf der sechziger Jahre allmählich Zugang gefunden hatten, bevor eine landesherrliche Verordnung vom 30. Januar 1571 ihnen vorläufig das Pädagogium und den Cursus und damit das Übergewicht in der Fakultät zusprach110• Im folgenden Jahr erreichten die Kämpfe der weltlichen Professoren gegen den Orden ihren Höhepunkt und zugleich in der Frage des Senatoreneids und der universitären Gerichtshoheit eine gewisse verfassungsgeschichtliche Relevanz111 • Das Jahr 1573 brachte die vorübergehende Entfernung der Jesuiten von Ingolstadt; schon 1575 aber kehrten sie, nuh auf Bitten der Universität, die wegen der Besetzung der artistischen Lehrstühle bald in Schwierigkeiten geraten war, zurück, um 13 Jahre später die artistische Fakultät vom Herzog ganz und ungeteilt übertragen zu bekommen112• Anläßlich einer umfassenden Vertragsschließung zwischen der Universität und den Patres waren zur Unterstützung Eisengreins im November 1576 die Räte Elsenheimer, Georg Lauther und Fend nach Ingolstadt gekommen. Der Vertrag wurde zusammen mit der bei dieser Gelegenheit erneuerten Instruktion für Eisengrein und einigen weiteren, hauptsächlich wieder den Lesefleiß der Professoren betreffenden Anordnungen in einem recessus reformationis zusammengefaßt, der der Universität am 12. 11. mündlich bekanntgegeben, am 26. 11. dann auch schriftlich zugestellt wurde113• Die Anklagepunkte gegen die Universität Vgl. Kap. 11 Anm. 165. Vgl. Kap. 8 Anm. 87 ff. to9 Vgl. dazu Prantl I 229 ff. uo Mederer IV Nr. 49. 111 Vgl. die 20 Punkte des Provinzials Hoffaeus (Prantl li Nr. 89), darunter Punkt 1, 6, 7, 10, 11 und die folgenden Auseinandersetzungen (Prantl I 237 ff., li Nr. 90-93). Im Ergebnis wurden den Jesuiten eine "gereinigte" Eidesformel und begrenzte Disziplinarkompetenzen konzediert. Über das ältere Problem der jesuitischen Senatssitze vgl. Kap. 6 Anm. 58. 112 Prantl I 244 ff. m Prantl li Nr. 98. 101
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waren dieselben wie eh und je; es wurde von der gesunkenen Frequenz und vom schlechten Ruf der Schule gesprochen, der nicht eben originelle Rezeß als eine communis reformatio gepriesen. Von seiner Befolgung und von der Einhaltung der vetera et nova statuta reformata versprach man sich Besserung und Wiederaufschwung. Nur knapp ein Jahr später ließ Herzog Albrecht dieser Verordnung einen neuen, wie es heißt, persönlich inspirierten Rezeß folgen, als dessen Anlaß die Erfolglosigkeit der bisher veranstalteten merlei visitationen reformationen newe statuta und bevelch angegeben wird114• Um der wieder heftig beklagten Nachlässigkeit der Professoren endlich wirksam zu begegnen, habe der Landesherr die Angelegenheit, trotz der für sich und seine Räte zu erwartenden großen Mühe, nunmehr an sich zu ziehen beschlossen. Dieser Ankündigung folgen verschärfte Bestimmungen über die Kontrolle der Professoren durch Vizekanzler und Kämmerer, welch letzterer seine Gehaltszahlungen künftig mit den vom Vizekanzler zu beglaubigenden neglecta-V.erzeichnissen zu belegen hat. Diese Verzeichnisse und die Kammerrechnungen selbst müssen von jetzt an zur Prüfung regelmäßig nach München eingesandt werden. Der Kammerhaushalt ist von allen illegalen Ausgaben zu befreien; der Herzog behält sich mit der Festsetzung der Gehälter das Etatrecht ausdrücklich vor115• Es braucht kaum betont zu werden, daß dieser Rezeß genausowenig vermochte wie seine Vorgänger, zumindest wenn man seinen Nachfolgern Glauben schenken will. Im folgenden Jahr starb Vizekanzler Eisengrein, um in Albert Hunger einen noch liberaleren bzw. schwächeren Nachfolger zu erhalten. 1579 folgte Herzog Wilhelm V. s.einem Vater im bayrischen Herzogtum. Die Verbindung zwischen beiden Regierungszeiten stellte die Jurisdiktionsaffäre Viereck-Reizner her, in der es der Universität durch ein.e achtenswerte Energieentfaltung gelang, den neuen Landesherrn zum Rückzug und zur formellen Anerkennung ihrer Privilegien zu bewegen116• V. Die Universitätsreform Herzog Wilhelms V.1585-86
Die herzogliche Ungnade, die im Herbstdes Jahres 1585 wie ein Gewitter über die Universität hereinbrach, kam nicht ganz unvorbereitet. Die spätere Untersuchung sollte bestätigen, daß die Professoren dem Herzog Anlaß gegeben hatten, sich schon am 28. Januar 1584 wieder heftig gegen ihren Unfleiß auszulassen, eine sorgfältige Registrierung der neglecta zu fordern und auch den in seiner Aufsichtsfunktion nachlässigen VizePrantl II Nr. 101. Vgl. dazu Kap. 9 Anm. 125. m Vgl. Kap. 10 Anm. 51 ff. 114 11s
V. Universitätsreform Wilhelms V. 1585-86
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kanzler Albert Hunger warnend zu ermahnen117• Der letztere rief nach Eintreffen des herzoglichen Schreibens die Universität zur Beratung zusammenu8, aber außer einer Aufstellung der dies illegibiles, die befehlsgemäß an den Hof gesandt wurde119, scheint das momentane Erschrecken der Professoren kein weiteres Ergebnis gezeitigt zu haben. Im September des gleichen Jahres begab sich der Herzog sogar selbst nach lngolstadt, beunruhigt, wie er verkünden läßt, durch den Verfall und das sinkende Ansehen seiner Schule120• Anläßlich dieser Inspektion, über deren Verlauf keine Nachrichten vorliegen, kam eine neuerliche Reformverordnung zustande, die sich wiederum vornehmlich mit der Vorlesungstätigkeit der Professoren befaßte und die strikte Befolgung des Rezesses von 1577 forderte. Mit Rücksicht auf den Unterrichtsbetrieb sollten die Konzilssitzungen auf lesefreie Tage gelegt werden, in der Zwischenzeit aber Rektor, Vizekanzler und Juristendekan die laufenden Geschäfte führen 121 • Auf Befehl des Herzogs führte der Rektor Peter Stewart im Mai des folgenden Jahres (1585) unter den Studenten eine Untersuchung durch, die wiederum weniger die Disziplin als die Studienverhältnisse zum Gegenstand hatte122• Wenn aber die Universität später an den Landesherrn schrieb, in diesem Sommersemester 1585 habe man mit der würcklichen vollziehungder universitet statuten begonnen123, so war der Adressat weit entfernt, diese Meinung zu teilen. Am 6. August - und dies ist das Anfangsdatum der neuen Reformepoche - schrieb Herzog Wilhelm an seinen Kanzler, seine Geduld mit der Universität sei nun zu Ende. Seine Befehle würden nicht befolgt, ja man antworte ihm neuerdings nicht einmal mehr. Der juristische Professor und Universitätskämmerer Caspar Lagus, bei dem alle Mahnungen verloren seien, solle sofort seines Amtes und seiner Professur entkleidet werden, und was den Vizekanzler Hunger betreffe, so möge auch er sich hiermit für gewarnt ansehen124• Ein im gleichen Ton gehaltenes Schreiben ging auch an Hunger125• Die Visitation vom Herbst 1585 Im Grunde bedurfte es des Anlasses nicht mehr, den die weltlichen Professoren der Artistenfakultät dem Herzog wenige Tage später damit UA B IV 1, 28. 1. 1584; vgl. Kap. 8 Anm. 99. UA B IV 1, Jan. 1584: "Curabit igitur magnificentia vestra hodie ad horam primam plenarium senatum convocari"; vgl. Kap. 8 Anm.lOO. 119 UA D III 8, 77'. 120 Prantl II Nr. 107. 121 Prantl II 320. 122 UA D III 8, 80. 123 StA Obb. GL 1477/4, 177 (18. 10. 1585). 124 StB Cgm. 2205 a, 28 (6. 8. 1585). 1 25 StB Cgm. 2205 a, 30 (6. 8. 1585). 117 118
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lieferten, daß sie gegen den Einspruch der jesuitischen Fakultätsmehrheit einen Kandidaten zum Magister promovierten126 • Mit besonderer Berufung auf dieses Vorkommnis ernannte Herzog Wilhelm am 20. August die Räte Adam Vetter, Ludwig Müller (lic. iur.) und Dr. iur. Johann Liechtenauer zu commissarii und forderte sie auf, sich zu einem baldestmöglichen Zeitpunkt nach Ingolstadt zu begeben. Ihr Auftrag ging dahin, die Durchführung des "jüngsten Rezesses" (also wohl desjenigen vom Vorjahr) zu überprüfen und zu diesem Behuf den Professoren einen ihnen schriftlich mitgegebenen Katalog peinlicher Fragen vorzulegen127• Über die Befragung haben sich mehrere Blätter mit Notizen der commissarii erhalten128• Soweit sie sich entziffern lassen, ist ihr Aussagewert über längere Strecken nicht sonderlich hoch. Nach ihrem Fleiß befragt, versuchten die Professoren, sich selbst nach Möglichkeit reinzuwaschen und andere notfalls zu belasten. Immerhin werden auch bei solchem Verfahren einige Sündenböcke erkennbar, wie der Jurist Georg Everhard und der ohnehin nicht mehr zu rettende Caspar Lagus. In der Artistenaffäre wurde der weltliche Dekan genötigt, die Fakultätskasse an die Kommissare herauszugeben, die sie versiegelten und danach auf besondere herzogliche Anweisung zusammen mit dem Statutenbuch und dem Siegel an die Jesuiten übergaben129• Damit, und mit der Absetzung der schuldigen weltlichen Magister, war die vollständige Übereignung der Fakultät an die Patres, die Herzog Wilhelm am 25. Januar 1588 formell verkündete, bereits praktisch verwirklicht130• Von verfassungsgeschichtlichen Gegenständen kamen die Kammerangelegenheiten zur Sprache. Es zeigte sich, daß sowohl der Kämmerer wie der (Aichacher) Kastner sich seit längerer Zeit zu keiner Rechnungslegung hatten bewegen lassen131 • Nach der Absetzung des Lagus war über das Kämmereramt nicht mehr viel zu sagen; was den Kastner anbetrifft, so war erkennbar, daß auch er angesichtseiner hohen Verschuldung die Untersuchung nicht im Amt überstehen würde. Den Rektoren schließlich wurde durch den Juristen Nikolaus Everhard vorgeworfen, sie hätten in der Gerichtsbarkeit zuviel Macht132 ; 126 StB Cgm. 2205 a, 24 (20. 8. 1585): Herzog an Räte Vetter, Müller und Liechtenauer. 127 StB Cgm. 2205 a, 24: "Demnach haben wir euch zu commissarios erwelt"; es war ohnehin Anlaß, gegen "allerlay eingerißne abusus und mangl" einzuschreiten. 12s StA Obb. GL 1477/3, 112 ff. 129 StA Obb. GL 1477/3, 112 ff.: "Decanus philosophicae facultatis obtulit arcam facultatis, quam nos nostro sigillo praesente munivimus." Vgl. UA D
III 8, 81. 13o 131 132
Mederer IV Nr. 58. Vgl. Kap. 9 Anm. 93. Vgl. Kap. 7 Anm. 47.
V. Universitätsreform Wilhelms V. 1585-86
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der Verfasser der Rektoratsinstruktion von 1577133 blieb auch hier dem Gedanken treu, daß das höchste Amt in seiner Handlungsfreiheit beschränkt sein sollte. Wichtiger für das weitere Geschehen wurde aber das Votum Friedrich Martinis134 ; seiner Meinung nach war die halbjährige Amtsperiode zu kurz, um den Rektoren, die man oft aus not nehmen müsse, die Einarbeitung in ihre Amtspflichten zu erlauben. Wenn aber der Herzog Dispens für die verheirateten Professoren erwirke, so werde die Auswahl der Kandidaten größer. Im übrigen - auch dies in seiner Allgemeinheit ein zukunftsweisender Gedanke - sei die ordnung der Universität gut und könnte nicht besser sein, wenn man sich nur entschlösse, wirklich nach ihr zu leben. Eine Entscheidungsvollmacht besaßen die herzoglichen Kommissare offenbar nicht. Ihr nicht erhaltener Bericht ging an den Herzog, der am 16. Oktober mit Bezugnahme darauf, und immer noch mit großer Ungnade, an die Universität schrieb, er habe jetzt die Erfolglosigkeit aller visitationes, reformationes, neue statuta eingesehen und sei auf andere weg anordnung zethun entschlossen. Dazu bedürfe er der Statuten der Universität und aller Fakultäten, die also in beglaubigter Abschrift an ihn einzusenden seien135• Dieser Befehl versetzte die Universität nun ernstlich in Unruhe. Zwei Tage lang beriet der Senat, was zu tun sei138• Man begehrte auf: so schlecht wie der Herzog meine, seien die Professoren nicht. Man suchte nach Auswegen: alle Professoren wollten sich für die Zukunft zu fleißigem Lesen verpflichten, die neglecta sollten immer gewissenhaft registriert werden. Man resignierte schließlich: die privilegia (?) könnten dem Herzog nicht verweigert werden. Der schon genannte Nikolaus Everhard äußerte die Meinung, der Landesherr habe wohl die Absicht, verschiedene Rezesse und Statuten zu ändern137• Mit dem herzoglichen Befehl hatte sich ein Schreiben gekreuzt, in dem die Universität berichtete, man habe in Befolgung einer (vielleicht von den Kommissaren erteilten) Anordnung den Rektor Peter Stewart für ein weiteres Semester im Amt bestätigt, um die kontinuierliche Fortführung der im Sommer gewonnenen Reformbemühungen zu gewährleisten138. Der Herzog bestätigte diese Wahl am 23. Oktober mit der Ankündigung, er werde nächstens Verfügung treffen, um dieses nothwendige werckh, nämlich die Vollziehung der Rezesse und Statuten, seinerseits zu befördern. Zugleich richtete er in Anknüpfung an die Anregung 133 Prantl II Nr. 100; vgl. Kap. 7 Anm. 48. ut Vgl. Kap. 7 Anm. 52. 1ss UA B IV 1, 16. 10. 1585. 136 UA D III 8, 89 ff., 25. 10. und 26. 10. 1585. 137 UA D III 8, 91: "D. Nicol. putat principem intendere reformare varios recessus et statuta". 1ss StA Obb. GL 1477/4, 177 (18. 10. 1585).
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4. Kapitel: Das spätere 16. Jahrhundert
Martinis an die Univerisität bzw. im besonderen an die theologische und juristische Fakultät die Frage, was man von einer Zulassung von Verheirateten zum Rektorat halte139• Der Senat beschloß, fundationem et reliquas academiae constitutiones daraufhin zu konsultieren140 ; am 5. Dezember verfaßte er zugleich im Namen der Theologen und Juristen ein Gutachten, das sich sehr zurückhaltend äußerte, den Sinn -der bisher gültigen Regelung verteidigte und ihre Abänderung von einem bischöflichen oder päpstlichen Dispens abhängig machte141 . Inzwischen hatte der Rektor Stewart im Verlauf des November dem Herzog gemeldet, man sei dabei, die Statutenkopien und den gleichfalls bestellten catalogus inscriptorum fertigzustellen142. Im gleichen Codex des Oberbayerischen Achivs, der das Befragungsprotokoll und einen Teil der Korrespondenz dieses Jahres überliefert, finden sich neben einer Liste der illustres personae auch mehrere Statutenextrakte, die offenbar im Zusammenhang mit diesen Vorgängen an den Hof gelangt bzw. dort redigiert worden sind143• Bedeutsamer war eine weitere Anordnung, die der Herzog in einem Schreiben vom 28. November bestätigte, nachdem sie also schon früher ergangen sein muß: die inspection unnd observation rerum academicarum wurde dem Vizekanzler Albert Hunger genommen und dem Rektor übertragen144 . In ihr.er Antwort vom 5. Dezember setzte sich die Universität für ihren Vizekanzler ein, sowohl seiner eigenen Verdienste wie des Rektorats wegen, das eines solchen monitor immer dringend bedürfe145, und Stewart selbst schloß sich dieser Bitte in einem eigenen Schreiben an146• Herzog Wilhelm bekräftigte jedoch am 14. Dezember seine Entscheidung und kündigte zugleich an, er wolle sich entsprechend dem Gutachten der Universität in der Rektoratsfrage an den Papst wenden147.
Memorial und Rezeß vom Jahre 1586 Im Januar 1586 wartete die Universität neuerdings auf die Ankunft der herzoglichen commissarii148 . Die Beratungsphase in München war 139 StA Obb. GL 1477/4, 180 (23. 10.1585); mit Ausnahme des Eingangs gedruckt bei Prantl li Nr. 108. uo UA D III 8, 93 (29. 10. 1585). 141 Prantl li Nr. 109; vgl. zum ganzen Problem Kap. 7 Abschnitt 3 III. 142 StA Obb. GL 1477/4, 39 (17. 11. 1585): "Navamus operam diligentem, ut vestra serenitas propediem accipiat singularum facultatum et totius academiae statuta una cum mustriorum personarum hic studentium nominibus. Studiosorum numerus augetur in dies ... " 143 StA Obb. GL 1477/4, 81 ff. und 85. 144 UA EI 1, 28. 11. 1585; vgl. Kap. 8 Anm. 103. 145 UA EI 1, 5. 12. 1585; vgl. Kap. 7 Anm. 54 und Kap. 8 Anm. 104. 146 StA Obb. GL 1477/4, 200 (6. 12. 1585). 147 UA CI 1, 14. 12. 1585; vgl. Kap. 7 Anm. 55 und Kap. 8 Anm. 105 f. 148 Erwähnt in einem Brief Stewarts an den Herzog vom 28. 1. 1586 (StA Obb. GL 1477/4, 43).
V. Universitätsreform Wilhelms V. 1585-86
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nunmehr abgeschlossen, und die Räte hatten Auftrag, der Universität die beschlossenen Anordnungen in einem "Memorial" formell bekanntzugeben. Das geschah dann am 17. März 1586149• Die Rektoratsangelegenheit war allerdings zu diesem Zeitpunkt noch unentschieden; erst am 10. April wandte sich der Herzog wirklich in einem Schreiben an den Papst, um am 14. Mai aus Rom einen ablehnenden Bescheid zu erhalten150. Danach übernahm Herzog Wilhelm das "Memorial" seiner Räte mit Ausnahme dieses einzigen Punktes in einem vom 9. Juni datierten Rezeß an die Universität15\ dem am 18. August des gleichen Jahres eine weitere, ergänzende Verordnung folgte 152. Obwohl die Korrespondenz zwischen Universität und Herzog, wenn auch in abnehmender Frequenz, natürlich weiterging, kann dieses Datum als Schlußpunkt der hier dargestellten Reformepoche (zugleich auch des von der vorliegenden Arbeit behandelten Zeitraumes) gelten. Ihre verfassungsgeschichtlich relevanten Ergebnisse faßte der Rezeß vom 9. Juni 1586 abschließend zusammen. Trotz seines relativ geringen Umfangs und der konkurrierenden Vielzahl landesherrlicher Verlautbarungen kann sich dieser Text hinsichtlich seiner Bedeutsamkeit mit den großen Verfassungsdokumenten der früheren Zeit halbwegs messen. Der verfassungsgeschichtlich bedeutsamste Gegenstand des Rezesses war die schon im Vorjahr angekündigte, durch die translatio inspectionis notwendig gemachte und mit ihr im Zusammenhang stehende Reform des Rektorats, die später eingehender zu kommentieren sein wird153. Änderungen im Wahlverfahren, die Einführung eines Gehalts und die Zustellung einer Instruktion waren gemeinsam dazu bestimmt, das Amt in seiner Stellung gegenüber der Universität zu stärken, gegenüber dem Staat aberwirksamer zu binden. Auch die Kammerangelegenheiten, die das Eingreifen des Herzogs nicht zuletzt provoziert hatten, erfuhren eine rigorose Neuordnung. An die Stelle des zuvor abgesetzten Kämmerers Lagus, der als Professor provisorisch wieder bestätigt wurde, trat durch einseitigen staatlichen Ernennungsakt Veit Schober. Zusammen mit Lagus waren auch der Ingolstädter Kastner Schere! und der Regens des Georgianums Turner auf Befehl der commissarii im März unter Arrest gestellt worden, weil ihre Rechnungen sich in einem schlimmen Zustand befanden. Gegen hohe 149 UA B III 1: "Memoriale aller puncten, so den 17. Martij anno 1586 durch die fürstliche abgeordnete herm commissarios herrn Adamen Vettern von der Gilgen zue Kolnpach, herrn Johann Liechtenauer der rechten doctom bede fürstliche rethe, rectom, chamerem und räthen der universitet zu Ingolstatt fürgehalten worden." Der Inhalt deckt sich fast vollständig mit Prantl II Nr. 112; vgl. aber Kap. 7 Anm. 138. 150 Mederer IV 359 und Prantl II 327; vgl. Kap. 7 Anm. 139. 151 Prantl li Nr. 112. 1s2 UA B IV 1, 18. 8. 1586. 153 Kap. 7 Anm. 52 ff.
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4. Kapitel: Das spätere 16. Jahrhundert
Bürgschaft wurde jetzt vom Herzog ein neuer Kastner bestellt und sowol iren fstl. gn. als der hohenschuel verpfiicht; wenn es auch nicht ausdrücklich vermerkt wurde, so war kein Zweifel möglich, daß sich der Landesherr neben der Ernennung der Kammerbeamten auch die ständige Kontrolle der Kammerverwaltung in Gestalt der seit 1577 bestehenden periodischen Rechnungsprüfung vorbehalten würde. Dem Kämmerer wurde - wie zuvor dem Rektor - eine staatliche Amtsinstruktion in Aussicht gestellt154• Grundsätzlich äußerte sich der Rezeß schließlich über die Rechtsgrundlagen und den Charakter des staatlichen Universitätsregiments; der Abschnitt verdient, hier im Wortlaut zitiert zu werden:
Und dieweil sich die academici zu mehrmaln beschwerd, das inen iren privilegiis zugegen allerlay neuerung durch fürstlichen bevelch und recess aufgetrungen worden, ist inen durch fürlesung etlicher articl aus den statutis ausfierlich demonstriert und angedeut worden, ob gleichwol alle regierende fürsten inen yederzeit die statuta zu mehren und zumindern in allen confirmationen vorbehallten, allso das ir fstl. gn. wol, was der hohenschuel zu guetem, anzuordnen zubevelchen macht hetten, sey es doch biss dato nit beschechen, sonder alles aus den alten statutis wolbedechtlich und mit vleis genomen, deme aber so wenig als den statutis selbst gelebt worden .. .155• So wenig die Universitätspolitik Herzog Albrechts V. mit dieser Behauptung zutreffend charakterisiert ist, so sehr kann sie zur Kennzeichnung der neuen Richtung dienen, die Herzog Wilhelm dem staatlichen Universitätsregiment nun zu geben im Begriff war. Die Reform von 1585/86 stellte die Universitätsverfassung in ihrer traditionellen Gestalt, die die Eingriffe der vorangegangenen Periode zwar de facto, aber nicht selbstverständlich und nicht unverfälscht überlebt hatte, in aller Ausdrücklichkeit wieder her. Die translatio inspectionis war ein Akt des Vertrauens gegenüber dieser Verfassung und ihren Organen, die der Staat nun nicht mehr neben seinen eigenen Neuschöpfungen nur duldete, sondern als Partner anerkannte. Diese reformatio unterschied sich von denen Herzog Albrechts V. darin, daß sie weniger eine renovatio als eine restauratio war und zu sein beabsichtigte. Dabei hatte aber der Staat seinen Herrschaftsanspruch gegenüber der Universität nichts weniger als aufgegeben. Das Neue bestand vielmehr darin, daß er sein altes Programm der Hebung und Förderung der Universität durch ein System strenger Reglementierung nicht mehr mit Hilfe zusätzlicher Ämter, sondern unter Benützung und Indienststellung der ordentlichen Universitätsorgane zu erreichen hoffte. Dabei zeigte 154 155
Vgl. Kap. 9 Anm. 132. Prantl li 328.
V. Universitätsreform Wilhelms V. 1585-86
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sich aber, daß diese Organe in ihrer ursprünglichen Gestalt, wie überhaupt die ganze Universität in ihrer stiftungsmäßigen Organisation, sich einer solchen Behandlung durchaus nicht widersetzten; der Staat hatte lediglich die Rechtstitel aufzugreifen und zu realisieren, die er sich bei der Stiftung vorbehalten hatte, ohne sie im ersten Jahrhundert des Bestehens der Universität wirklich wahrzunehmen. Somit zog die Universitätsreform der Jahre 1585/86 in gewissem Sinn die Bilanz des ersten Jahrhunderts der Ingolstädter Universitätsgeschichte. Die Universität stand am Ende dieses Jahrhunderts äußerlich gesehen in fast unveränderter Gestalt da, gereinigt von den institutionellen Experimenten der vergangenen Periode und unbeschädigt von ihren Eingriffen. Und doch hatte sich eine entscheidende Wandlung vollzogen: alle Keime eines "anstaltlichen" Charakters, die stiftungsrechtlich, aber eben nicht praktisch, den Charakter der Universität von Anfang an geprägt hatten, waren jetzt zur Entfaltung gelangt. In dieser, bei aller Festigkeit doch unbeschränkt manipulierbaren Gestalt vermochte die Universität zwei weitere Jahrhunderte absolut- und polizeistaatlicher Administration unbeschadet zu überleben. Das Reformjahr 1585/86 aber stellt insofern die Verbindung her zwischen der Frühzeit und den späteren Abschnitten der Ingolstädter Universitätsgeschichte.
B. Verfassungsgeschichtlicher Teil Fünftes Kapitel
Die Korporation in ihrer Gliederung und Schichtung I. Nationen- und Fakultätengliederung Die eigenartige Doppelgliederung der Pariser Universität hat die Forschung immer wieder zu Erklärungsversuchen angestachelt. Die Daten für die faktische Herausbildung, sodann für die offizielle Anerkennung der Nationen und der Fakultäten sind seit Denifles kritischen Forschungen gesichert; dagegen haben die manchmal eigenwilligen Interpretationen Denifles den jüngeren Untersuchungen nicht immer standgehalten1. Vor allem kann die Auffassung, daß dieser Doppelgliederung ein Verfassungsplan zugrundegelegen habe, demzufolge die Fakultäten für das Unterrichtswesen, die Nationen für disziplinarische Angelegenheiten zuständig gewesen seien, heute als überholt gelten. Wie die inzwischen vollzählig edierten Prokuratorenbücher ausweisen, bildeten die Verwaltung und Verteilung der Schulen und die Promotionen den weitaus überwiegenden Beratungsgegenstand der Nationenversammlungen, während diese exklusiven Magistervereinigungen eine Disziplinaraufsicht über die artistischen Studenten schon deshalb kaum wahrzunehmen vermochten, weil sie sie nicht als Untergebene und schon gar nicht als Mitglieder registrierten2 • Solche Aufgaben wurden den einzelnen Magistern und den Kollegien überlassen. 1 Die Entstehung der Nationen und Fakultäten fällt in das zweite Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts. Fertig organisiert und unter einem gemeinsamen Rektorat zusammengeschlossen begegnen die Nationen 1249; die Dekane der oberen Fakultäten werden erstmals 1267 bzw. 1289 erwähnt. Der Aufstieg des Rektorats an die Spitze der Gesamtuniversität war entgegen Denifles Meinung nicht erst in der Mitte des 13. Jahrhunderts, sondern bereits in den achtziger Jahren des 12. Jahrhunderts im wesentlichen vollzogen (G. Leff, Paris and Oxford Universities 60 ff.). Nach Denifle (Die Universitäten des Mittelalters; Introductio zum Chartularium Bd. 1) und Rashdall ist an neuerer Literatur zu erwähnen: Sorbelli, der die Entstehung der Nationen in Bologna im Detail untersucht, und P. Kibre; für die Frühgeschichte der Pariser Universität G. Post, Parisian Masters as a Corporation 1200-1246 (Speculum 9/1934, 421 ff.); zusammenfassend jüngst G. Leff, Parisand Oxford Universities. 2 Denifle, Universitäten 106; ähnlich Ehrle, I piu antichi statuti clxix. Denifle schloß von der späteren Künstlichkeit der Vierzahl und der Abgrenzung der Nationen auf ihre künstliche Entstehung (S. 92 ff., ähnlich Rash-
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5. Kapitel: Gliederung und Schichtung der Korporation
Umgekehrt waren die oberen Fakultäten nicht zuletzt politische Körperschaften und stellte also das Fakultätsprinzip neben dem Nationenprinzip ein politisches Gliederungsprinzip dar. Die Universität verhandelte und stimmte nach Fakultäten und Nationen, und die Dekane besaßen wie die Prokuratoren im Einberufungs-, Verhandlungs- und Beschlußverfahren statutarisch festgelegte Funktionen. Es muß also dabei bleiben, daß Nationen und Fakultäten einander in Bestimmung und Funktion parallel geordnet waren und sich nur in den erfaßten Personenkreisen voneinander unterschieden, wobei sich für die in den Nationen organisierten, in den oberen Disziplinen noch nicht promovierten Magister der Name Artisten als positive, aber inexakte Klassifizierung anbot. Da weiterhin feststeht, daß die Nationen und ihr Verband, die universitas artistarum, sich vor den Fakultäten mit Einzelvorständen und einem gemeinsamen Oberhaupt sowie mit Siegeln und Statuten als Korporationen straff organisierten3, läßt sich die folgende Kristallisierung der oberen Fakultätskollegien am ehesten als ein Sezessionsakt begreifen, der aber den ursprünglichen, lockeren Gesamtverband der universitas magistrorum Parisiensium nicht sprengte. Was später als eine Fakultätsgrenze verstanden wurde, war damals, vornehmlich also in den Jahren des Mendikantenstreits, die Absonderung eines unter ganz anderen Bedingungen lebenden, in viel stärkerem Maße mit außeruniversitären Instanzen verbundenen Professorenstandes von der grossen Masse der militanten Scholarenschaft, deren gemeinsames Kriterium von Anfang an der Besitz des Magisteriums gewesen zu sein scheint. KurzeZeit nach denAuseinandersetzungenmit denBettelorden,in denen dall I 319, Kibre 27); dagegen mit Recht Stelling-Michaud 123. Die Herausgabe der Prokuratorenbücher und ihre Auswertung (vgl. M. Toulouse; G. C. Boyce) ließ inzwischen, wie G. Leff (S. 56) formuliert, erkennen, daß die Nationen "above all educational associations" waren und daß "their perspective was that of the masters' interests and activities". Die Artistenstudenten traten zu den Nationen erst in dem Moment in Beziehung, wo sie sich dem Bakkalarsexamen ("determinatio") unterzogen; erst jetzt wurde im Zusammenhang mit den Promotionsgebühren und dem Eintrag in das Prokuratorbuch ihre Nationalität interessant und unter Umständen strittig. Das alles beweist, daß die Nationen in ihrem Aufgabenbereich den oberen Fakultäten entsprachen. 3 Etwa seit 1219 begannen die Artisten, getrennt von den oberen Doktoren vorzugehen "and (to) develop within the University a corporation of their own" (Post, Parisian Masters 429); der Vorgang läßt sich aber besser so verstehen, daß die Theologen und Juristen, deren "dependance immediate de l'autorite episcopale" Thurot (S. 13 f.) hervorhebt, sich dem Aktivismus und der strafferen Organisation, die von den jüngeren Magistern ausgingen, nicht anschlossen. Erst durch ihre, zunächst ganz passive Absonderung blieben die "Artisten" (die Bezeichnung ist ja im Grunde negativ) unter sich. Spätestens 1249 ist die Bildung der neuen "corporation within a corporation" (Post 429) abgeschlossen; beträchtlich später setzen sich die Fakultäten Dekane vor. - Die Entstehung der großen, vorstandlosen ("acephala") Gesamtkorporation war spätestens 1215 vollendet (Post 428, wesentlich in Übereinstimmung mit Denifle und Rashdall).
I. Nationen- und Fakultätengliederung
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sich das Artistenrektorat zur Repräsentation der Gesamtuniversität emporschwang, begann auch die Artistenkorporation, sich schärfer gegenüber Außenstehenden abzugrenzen und mit Hilfe des erst von nun an politisch relevanten Regenzprinzips sich der Verfassung der oberen Fakultäten anzunähern, also ihrerseits eine Fakultät zu werden, die aber die Züge einer Studentenkorporation italienischen Stils nie ganz abstreifte4. Ihre Untergliederung in Nationen, die Vierzahl ihrer Stimmen in der Universität und ihr Rektorwahlprivileg wurden von der Universitätsverfassung als fossile Zeugnisse ihres Sondercharakters konserviert. In der Nachfolge der Pariser Universität tendierten diese beiden, historisch zu einer gespannten Einheit verschmolzenen und statutarisch sanktionierten Gliederungsprinzipien in Ermangelung solcher Verklammerungen allgemein zur Trennung voneinander. Für das Bewußtsein der Alternative spricht etwa der folgende Satz aus dem ältesten Erfurter Statutenentwurf: Item quod hec universitas non distinguatur per nationes sed per facultates 5• Mit ähnlicher Klarheit verzichteten die Rostocker Statutengeber auf die Übernahme der Nationen8 • Die Alternative galt nämlich genauso für die Universitäten der italienischen Tradition, zu denen ja Erfurt und Rostock gehörten. Als Mehrfakultätenuniversitäten blieben ihnen die Einführung der in Bologna keine Rolle spielenden Fakultätengliederung in keinem Fall erspart; es war aber die Frage, ob und in welchem Maße dieses Gliederungsprinzip zum organisatorischen Prinzip der Korporation erhoben wurde. Das Fakultätsprinzip barg in sich eine deutliche oligarchische Tendenz. Es unterstellte die Gleichberechtigung der zahlenmäßig äußerst ungleichen Fakultäten zunächst im Anspruch, bald auch in entsprechenden statutarischen Regelungen. Der Anteil des einzelnen Magisters an der Universitätsregierung war unter diesen Umständen rechnerisch genau um soviel geringer als derjenige des oberen Doktors, wie die Artistenfakultät jede der höheren Fakultäten an Mitgliederzahl übertraf1. Die selten verwirklichte Alternative zur Fakultätenverfassung war eine reine Nationenverfassung, d. h. die Ausdehnung der Nationenglie4 Vgl. dazu Kap. 2 Abschnitt 1 sowie den zweiten Abschnitt dieses Kapitels. s Weissenborn II 2. 6 Westphalen 1009 f. rubr. I § 8: "Item matura deliberatione ex certa scientia et evidenti causa ordinavimus, quod in universitate Rostochiensi non debeant esse nationes aliquae". 7 Eine Auszählung der Pariser Rotuli des 14. Jahrhunderts ergibt etwa das Verhältnis 1 zu 4-5 zwischen der Gesamtzahl der oberen Doktoren und den Artistenmagistern (vgl. auch Denifle, Universitäten 122 ff.); diese Relation dürfte auch an den deutschen Universitäten gelten, wobei die Pariser Zahlen wenistens etwa durch zehn zu teilen sind. - Auch an Universitäten, die die Zulassung der Artisten zum Universitätskonzil nicht beschränkten, wurde die Fakultät im Vergleich zu Paris insofern benachteiligt, als das vierfache Stimmrecht der Pariser Artisten in Deutschland nirgends übernommen wurde.
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5. Kapitel: Gliederung und Schichtung der Korporation
derung von den Artisten auf die Gesamtuniversität und deren Organisation von diesem Prinzip her. Eine solche Verfassung trug den Charakter einer Magisterdemokratie mit allenfalls regionalen Bevorzugungen und Benachteiligungen. Sie tritt uns in den Leipziger Statuten von 1410 entgegen. Hatte in Prag die Fakultätengliederung neben den Nationen eine gewisse, wenn auch noch zweitrangige Rolle gespielt, so verschwindet sie durch auffällige Textkorrekturen völlig aus dem Leipziger Statutentext8. In der schon vom Stifter vorgeschriebenen strikten Parität9 besorgten die vier Nationen die Wahl des Rektors und der consiliarii und bestätigten die Beschlüsse der Universität. Wie in Prag waren auch in Wien beide Gliederungsprinzipien in Geltung. Während aber Prag den Nationen den größeren Anteil zuwies, liegt der Akzent in Wien in viel stärkerem Maße auf den Fakultäten. Die Prokuratoren als Vorstände der über die Gesamtuniversität ausgedehnten Nationen besaßen zwar die wichtigen Befugnisse der Rektorwahl und der Assistenz im Rektorgericht, sie waren jedoch nach gerrau festgelegtem Turnus aus verschiedenen Fakultäten zu wählen. In weniger gerrauer Vorschrift wurde ein solcher Fakultätsturnus auch für die Rektorwahl erwünscht. Neben den Prokuratoren und bald vor ihnen besaßen die Dekane wichtige Befugnisse in der Universität10• Damit war die Nationengliederung in ihrem Kern entkräftet und in Richtung auf die Fakultätenparität umgeboten. Eine reine Fakultätenverfassung schufen dann in der Prager Tradition Erfurt und in der WienerNachfolge Köln, beide durch konsequente Elimination der Nationen, ihrer Anteile und ihrer Ämter11 • In Heidelberg gelangte die ur8 In Prag ermittelten Wahlmänner der Nationen den Rektor und die "clavigeri"; aus ihrer Vorschlagliste wählte sich der Rektor seine 8 "consiliarii". Acht weitere "consiliarii" aber entnimmt der Rektor "si opus fuerit" aus Vorschlagslisten der verschiedenen Fakultäten, und die "clavigeri" sollen ebenfalls nicht aus derselben Fakultät stammen; diese beiden letzteren Bestimmungen sind Zusätze zur Bologneser Vorlage (Momumenta hist. univ. Prag. III §§ 2, 9, 10, 11, 13). Sie werden auffälligerweise von den Leipziger Statuten weggelassen: hier gibt es nur mehr die 8 "consiliarii" der Nationen, und die "clavigeri" sollen aus verschiedenen Nationen sein (Zarncke 48 ff. §§ 6 und 11). Hoyer (S. 13 ff.) erklärt diese strikte, schon im 15. Jahrhundert künstlich und konservativ wirkende, dabei bis 1830 bewahrte Nationenverfassung überzeugend aus den Umständen des Prager Exodus. Konzil und Nationen stellen zwei unterschiedliche, aber personell kongruente Gremien dar, die als gemeinsam beschlußfassend in den "conclusa" genannt werden. 9 Zarncke 1: "in consiliis universitatis et examinibus facultatis arcium, in emolumentis ceterisque disposicionibus ... (nationes) per omnia sint aequales". 1 ° Kink II 72 ("itaque semper sint quatuor procuratores quatuor nacionum et quatuor facultatum, vel saltem earum nomine") und 80. Die Versammlung der Universität erfolgte nach Nationen oder Fakultäten (83), aber das letztere Verfahren überwog (86 f.). 11 In Erfurt wählten Wahlmänner der Fakultäten nach einem sonst stark an Prag erinnernden Verfahren den Rektor (Weissenborn I rubr. II § 2), der seine "consiliarii" ebenfalls von den Fakultäten zugeordnet erhält (rubr. VII § 21). - In Köln traten an die Stelle der Wiener Prokuratoren als Rektorwäh-
I. Nationen- und Fakultätengliederung
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sprünglich vorgesehene Nationengliederung gar nicht erst zur Verwirklichung12.
Nationen und Fakultäten in der Ingotstädter Gründungsverfassung So existierten also die Nationen zum Zeitpunkt der Ingolstädter Gründung in Deutschland nur an den Universitäten Wien und Leipzig, und nur an der letzteren prägten sie den Charakter der Verfassung. Überall sonst stellte die Fakultät die Zelle der Gesamtuniversität dar und wurde die Paritätder Fakultäten verfassungsmäßig garantiert. Gerade Wien und Leipzig haben aber die erste Verfassung Ingolstadts bzw. ihren Entwurf direkt beeinflußt, und so nimmt es nicht wunder, in den älteren Redaktionen der Stiftungsurkunde das Projekt einer Nationengliederung vorzufinden13• Ihre Vorlage war, wie gezeigt wurde, die albertinische Urkunde der Universität Wien. Wie dort (in Abweichung von der rudolfinischen Urkunde) umfassen die geplanten Ingolstädter Nationen die gesamte Scholarenschaft; eine Unterscheidung zwischen Magistern und Studenten wird nicht vorgenommen1'. Die Prokuratoren alsNationenvorstände wählen halbjährlich den Rektor. Das Nationenwesen beruhte in Wien nicht mehr auf einer Verfassungsnotwendigkeit, sondern allein auf der Pariser Tradition, die im Falle Ingolstadts sehr viel weniger zwingend war. In der Korrekturphase B'-C fiel das ganze Projekt, ohne daß es je verwirklicht worden war. Für die Verfassung ergaben sich daraus keine Komplikationen. Die Regelung der Rektorwahl wurde den Statuten überlassen, die diese Aufgabe dem Konzil zuschrieben15• Daneben hatten ·die Prokuratoren die ler ("intrantes") Deputierte der Fakultäten, zumeist die Dekane (Bianco I 146, Anhang § 38). - Eine Nationengliederung ganz nach Pariser Vorbild, also nur innerhalb der Artistenfakultät gültig, wählte die Universität Löwen (vgl. L. van der Essen, Les "Nations" estudiantines a l'ancienne Universite de Louvain). Da das Rektorat auch hier von den Artisten getrennt worden war, spielten diese Gliederungen nur bei gewissen Wahlhandlungen in der Fakultät eine mehr und mehr künstliche Rolle. 12 Winkelmann 5. 13 Prantl II 13 f. (Redaktion AB); vgl. Kap. 2 Abschnitt 2. 14 Vgl. Kap. 2 Anm. 67 und Anhang II 1.- Eigene Nationenmatrikeln besaßen auch die deutschen Universitäten nicht. In Wien und Leipzig wurden aber die Studenten im Unterschied zu Paris bereits bei ihrer Einschreibung in den "liber universitatis" einer Nation zugeordnet. Das ändert nichts daran, daß ihre Zugehörigkeit bis zum Erwerb des Magisteriums von ganz passivem Charakter war, wenn die Nationen in der Praxis überhaupt mehr darstellten als Gruppierungen innerhalb des Lehrkörpers, und zwar vornehmlich der Artistenfakultät. - Der unreife Ingolstädter Entwurf spricht von der Teilung der "Schule" in Nationen, ohne weder hier noch bei der Wahl der Prokuratoren und des Rektors eine Unterscheidung von Magistern und Studenten vorzunehmen; auch die albertinische Stiftungsurkunde Wiens hatte den Besitz des Magisteriums von den Prokuratoren und Rektoren nicht gefordert; vgl. aber Kap. 7 Anm. 67. 15 Prantl II 17 Korrektur zu Z. 160 ff. und Mederer IV 59 f.
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5. Kapitel: Gliederung und Schichtung der Korporation
Aufgabe gehabt, Beschwerden der "Studenten" an den Rektor zu bringen; eine ähnliche Verpflichtung findet sich von nun an in der Eidesformel der consiliarW6• Nach der Elimination der Nationengliederung blieb den Statuten von 1472 nur übrig, die Universität nach dem Beispiel der überwiegenden Mehrzahl deutscher Universitäten von der Fakultät als Zelle her zu organisieren. Freilich gewann das Fakultätenprinzip in der ältesten Verfassung ein Gewicht, das von dieser Notwendigkeit her nicht gerechtfertigt scheint. Die krasse zahlenmäßige Ungleichheit der unteren und der oberen Fakultäten im consilium generale, dem allgemeinen Magisterkonzil der Statuten von 1472, zwang um des Paritätsprinzips willen zur Teilung der Versammlung in Fakultätskurien, denen je eine Stimme zugeteilt wurde. Universitätsbeschlüsse wurden als solche der vier Fakultäten bzw. der Mehrheit von ihnen definiert; bei Stimmengleichheit entschied der Landesherr17• Dieses Fraktionsverfahren war alter Tradition entliehen, aber es will sich mit der starken Institutionalisierung des Ingolstädter Konzils nur schlecht vertragen. Die Lösung dieses Widerspruchs brachte die Konzilsreform von 1507 bzw. 1522, indem sie die Parität der Fakultäten aus dem Konzilsverfahren in die Konzilszusammensetzung verlagerte. Nachdem der Anteil der artistischen Konzilssitze demjenigen einer oberen Fakultät angeglichen worden war, wurde das Fakultätsstimmrecht folgerichtig preisgegeben18• Von ängstlicher Sorge um die Gleichberechtigung der vier Fakultäten zeugte in den Statuten von 1472 auch die Bestimmung, daß der honor des Rektorats nach fester Reihenfolge einer Fakultät nach der anderen zukommen sollte; nur ausnahmsweise war es gestattet, eine Fakultät zu übergehen. Dieser Fakultätenturnus10 hat die Verfassungsreform der Jahre 1497-1515 überlebt und prägt, von gelegentlichen Ausnahmen und späteren Milderungen abgesehen, die Ingolstädter Rektorenliste, wiederum nach dem Beispiel vieler anderer deutscher Universitäten, weit über den hier behandelten Zeitraum hinaus. Schließlich hatte bereits die Stiftungsurkunde den einzelnen Fakultäten, die jede traditionsgemäß ihr consilium facultatis und ihren von diesem Gremium gewählten Dekan besaßen, neben der Gesamtuniversität ein besonderes Statutenrecht verliehen. Die Fakultätssatzungen unterlagen der Bestätigung nicht seitens der Universität, sondern allein durch den Landesherrn, der sich dieses Recht inmassen der universitet statutinseinem Stiftungsbrief vorbehalten hatte20 • 18 17
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Prantl II 14 und 18; Mederer IV 68. Mederer IV 60 und 65; vgl. Kap. 11 Anm. 62 f. Vgl. Kap. 6 Abschnitt 3 III. Vgl. Kap. 7 Abschnitt 311. Prantl II 18 Korrektur zu Z. 178 ff.; vgl. Kap. 11 Abschnitt 1 I.
I. Nationen- und Fakultätengliederung
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Universitätseinheit und Fakultätsautonomie Zweifellos geht die Autonomie der Fakultäten in dieser ältesten Universitätssatzung weiter, als für Zusammenhalt und wirksame Regierung der Universität gut war. Die Akten der Folgezeit bezeugen die Nachteile dieses "föderativen" Systems streckenweise sehr plastisch. Dabei entsprach es der Natur der Dinge, daß die Universität kaum jemals mit einer der oberen Fakultäten Schwierigkeiten bekam, immer wieder jedoch mit der Artistenfakultät, die als einzige fähig und versucht war, ein Eigenleben zu entfalten. Wenn die Theologen, Juristen und Mediziner untereinander jegliche Einmischung in die Angelegenheiten der Nachbarfakultät streng vermieden, sich aber wiederholt zur Einflußnahme auf die Artisten gedrängt fühlten, so machte sich in dieser Erscheinung quer durch die Fakultätsgrenzen die Standesschranke geltend, die die doctores superiorum facultatum in corpore von den Magistern der Artistenfakultät trennte. Bei allen Auseinandersetzungen dieser Art waren die Begriffe universitas und superiores facultates synonym, und die Differenzen der Fakultäten immer zugleich solche zwischen den Ständen der Doktoren und Magister, aber auch zwischen der Gesamtuniversität und einer ihrer Gliederungen. Eine Aufsicht über die Fakultäten hatten die alten Statuten der Universität nicht zugestanden. Es konnte aber nicht ausbleiben, daß die Universität in die heftigen Parteikämpfe der Artisten schon frühzeitig hineingezogen wurde, wobei sie, sei es aus persönlichen Sympathien der Doktoren, sei es aus Rechtsgefühl, zumeist den schwächeren antiqui zuneigte und damit den moderni Gelegenheit zu heftigen Protesten gab. Herzog Georg gab Rektor und Konzil im Jahre 1488 ausdrücklich das Recht, sich als ir geordnetrichtermit den Streitigkeiten der Artisten zu befassen21• 1492 aber resignierte die Universität, wohl nicht gan:zl freiwillig, mit einem Beschluß, der den doctores superiorum facultatum strikt verbot, sich in electiones, examinaund negocia der Artistenfakultät einzumischen22. 1511 und in den folgenden Jahren nötigten Illegalitäten der moderni das Konzil erneut zum Einschreiten und zur Beschwerde beim Landesherrn23. 1517 beschwerten sich die Artisten über Einmischungen dev Universität in ihre Konzilswahlen24. Als vollends im Jahr darauf die Auseinandersetzungen um die neue Kollegordnung begannen, bat die Universität den Landesherrn, sie von den artisten sachen genntzlich zu absolvirn25• Wenn Herzog Wilhelm darauf ablehnend erwiderte, das Prantl II 100. Prantl II 101. 2a Vgl. Kap. 3 Anm. 47. 21
22 24
Vgl. Kap. 6 Anm. 39.
25 Prantl II 153; vgl. zum Anlaß unten Anm. 57. 10 Seifert
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5. Kapitel: Gliederung und Schichtung der Korporation
Konzil sei über die gantz universitet gesetztz6 , so scheint Leonhard Eck seinerseits die Spannungen zwischen Universität und Fakultät nicht ganz ungern gesehen zu haben. Im Jahre 1520 befahl er nach einezi neuerlichen Klage der Artisten, quod nulla facultatum superiorum in aliquo facultatem artium oneret. Si vero hoc attentaretur, debeat facul-
tas totis nervis resistere, eoque nihil proficiente, quod tamen non sperat, principem appellarez7•
Dieser Grundsatz, der das Statut von 1492 erneuerte und bekräftigte, gelangte in die Statutenneufassung von 1522. Auch hier wird jeder Fakultät strikt untersagt, sich in die Wahlen, Promotionen und Vorlesungen einer anderen, besonders aber der Artistenfakultät, einzumischen28, wobei mit den oberen Fakultäten wiederum die Gesamtuniversität selbst zur Achtung der artistischen Autonomie verpflichtet war. Universität und Fakultät standen sich somit bis zu einem gewissen Grade als ebenbürtige, gelegentlich auch als vertragschließende29 Partner gegenüber, und die Gesamtuniversität fand häufig genug nur mehr in der landesherrlichen Aufsicht ihre Einheit. Während langer Jahre suchte die Artistenfakultät, ihre Angelegenheiten in direkten Verhandlungen mit dem Patron Eck oder mit dem Landesherrn zu regeln, teilweise, wie bei der Vorbereitung der Fakultätsordnung von 1526, geradezu hinter dem Rücken der Universität30 • Freilich führten Enttäuschungen über unangenehme Entscheidungen des Patrons oder Herzogs die Fakultät nicht selten auch dazu, im Bündnis mit der Universität oder in der Bitte um deren Hilfeleistung ihr Heil zu suchen, so zum Beispiel bei einer strittigen Regenswahl im Januar 1518 und wieder bei Anlaß der Kollegreform des gleichen Jahres31• Diese mangelhafte Integration der Universität war umso weniger notwendig, als mit der Institutionalisierung des Konzils im Gründungsjahr ein beachtenswerter Ansatz in Richtung auf eine straffe Zusammenfassung der Gliederungen gemacht worden war. Den neuen Statuten von 1522 blieb es vorbehalten, ihn auszubauen und die Hoheit der Gesamtheit ohne wesentliche Eingriffe in die Autonomie der Fakultäten besser zu garantieren. Mit der Verkleinerung des Konzils war das 26 Prantl 11 153. 21 UA Georg. 111/22, 47'. 28 Mederer IV 191: "Quare nolumus aliquem etiam superioris facultatis se quomodolibet intromittere de electionibus, promotionibus, lectionibus etc. alterius facultatis et maxime facultatis artium, sed libera sit cuique facultati potestas statuendi, ordinandi et disponendi ea, que ad eam et subditos ejus pertinent, ita tarnen quod nihil per eos attentetur, quod sit in prejuditium universitatis aut statutorem ejusdem." 29 So im Jahre 1522 anläßlich der Überlassung der "stuba maior" des Alten Kollegs als Ratsstube der Universität; vgl. Kap. 6 Anm. 117. so Vgl. unten Anm. 61. 31 Vgl. unten Anm. 57 und Kap. 11 Anm. 138, 145 ff.
I. Nationen- und Fakultätengliederung
147
Fakultätsstimmprinzip fallen gelassen worden, ohne daß die Parität der Fakultäten dadurch beeinträchtigt wurde. Den Fakultäten verblieb ihr Statutenrecht; sein Bereich aber wird strikt auf die Unterrichtsbelange eingeschränkt. Keine Fakultät darf etwas anordnen, quod sit in prejuditium universitatis aut statutorum eiusdem; widrigenfalls wird sie nach vorausgegangener Mahnung von der Universität dem Herzog denunziert32. Die Universität erklärt sich als unum corpus unter einem Haupt, dem Rektor. Im Dekanskonzil erhalten die Fakultäten unmittelbaren Einfluß auf die tägliche Geschäftsführung des Rektors: Das Oberhaupt der Fakultät wird als consiliarius rectoris in die Universitätsverfassung eingebaut33. Eine eigene Gerichtsbarkeit wurde den Fakultäten, d. h. praktisch der Artistenfakultät, auch durch die Statuten von 1522 nicht untersagt, nur sollte sie möglichst mit der Jurisdiktion des Rektors nicht konkurrieren34. Gegenüber der Artistenfakultät, von der her der Universitätseinheit seit jeher allein Gefahren gedroht hatten, gewann die Universität in der Fakultätsneuordnung von 1526 wesentliche Befugnisse der Mitsprache und Kontrolle. Bei ihr lag das Einsetzungsrecht für die neugeschaffenen artistischen Lekturen, und zwei vom Universitätskonzil gewählte superattendentes überwachten den Vorlesungs- und Rechnungsbetrieb der Fakultät35. Während Versuche, auf die Senatorenwahlen der Artisten Einfluß zu nehmen, in den Jahren 1523 und 1524 noch auf heftigen Widerstand der Fakultät gestoßen waren, lag, von dieser Superintendenz her unterstützt, um die Mitte des Jahrhunderts auch das Ernennungsrecht für die artistischen consiliarii universitatis deutlich bei Rektor und Konzil36. Der Anbruch der Jesuitenzeit sollte dann freilich diese Entwicklung zur Universitätseinheit bremsen und die Artistenfakultät wieder auf einen Status weitreichender Autonomie zurückführen. Die Artistenfakultät war auch die einzige, die neben der Universität ein eigenes Zepter besaß, eine deductio für ihren Dekan veranstaltete37 (derjenigen des Rektors vergleichbar), schließlich in der Anfangszeit 32 Vgl. Anm. 28; im Anschluß an den dort zitierten Text heißt es: "nam si super aliquo facultas ab universitate admonita negligens et culpabilis fuerit, tune enim universitas facultatis defectum ad principem deferre potest et debet." 33 Mederer IV 191; vgl. Kap. 6 Anm. 129. 34 Mederer IV 191: "Unde et scholasticum pro aliquo delicto a rectore emendatum non decet a facultate propter illud idem emendari, nisi in adeptione graduum alicui impedimentum praestarent aut a regentia facultatis, eo tarnen casu pecuniariam penam infligere non debent". - Eine "jurisdictio ordinaria" prätendierten alle alten Fakultätsstatuten für die Dekane. as Prantl II Nr. 60. as Vgl. Kap. 6 Anm. 79. 37 Mederer I xxxii. to•
148
5. Kapitel: Gliederung und Schichtung der Korporation
als fraternitas artistarum einen Priester unterhieW8• Rotmar erklärte sich solche auffälligen Besonderheiten mit der Vermutung, die Fakultät sei älter als die Gesamtuniversität89 • In dem gemeinten Sinne, nämlich für die Ingolstädter Verhältnisse, war das freilich eine haltlose Hypothese. Für den gesamteuropäischen Maßstab aber hätte der Annalist auf eine für ihn selbst unvermutete Weise recht gehabt, denn zweifellos stellten die geschilderten Eigenarten Relikte des korporativen Charakters dar, durch den sich die alte universitas artistarum vor ihren Nachbarfakultäten ausgezeichnet hatte. II. Fakultät und Stand: die Artisten Wenn sich die verfassungsgeschichtliche Untersuchung im folgenden näher mit Charakter und Stellung der Artisten beschäftigt, so mag sie damit zunächst den Anschein erwecken, Fakultätsgeschichte, und zwar die Geschichte nur einer unter vier Fakultäten, zu betreiben. Es ist aber unvermeidlich, daß die Verfassung dieser sogenannten facultas, die eben erst im Begriff war, sich von der universitas artistarum zu einer Fakultät im Sinne der facultates superiores zu wandeln, die Universitätsverfassungsgeschichte vorrangig interessieren muß. Die universitas magistrorum et scholarium als der umfassende Verband der an der hohen Schule lehrend und lernend tätigen Personen wurde von zwei Ständen eingerahmt, deren Verfassungsstellung in keiner Weise strittig war und mit kurzen Worten definiert werden kann. Die doctores superiorum facultatum waren im Unterschied zu Bologna und zur älteren Pariser Verfassung an der deutschen Universität nach kurzen Übergangsphasen in Heidelberg und Wien überall politisch vollberechtigte Mitglieder der Korporation, während an der untersten Stufe der scholastischen Hierarchie die studentes in artibus mit gleicher Selbstverständlichkeit, sie aber in Übereinstimmung mit italienischem und Pariser Brauch, überall im Stande der Unmündigkeit und der nur passiven Mitgliedschaft gehalten wurden. Für die breite Mittelgruppe zwischen diesen beiden Extremen hatte die alte Universität die Gruppenbezeichnungen artistae und studentes zur Verfügung, deren erstere in Paris und deren letztere in Bologna mehr oder weniger ausschließlich in Geltung gewesen waren, während in Deutschland aus noch näher zu behandelnden Gründen innerer Wandlungen des scholastischen Studiensystems der Name studentes schon seit früher Zeit im Vordringen begriffen ist. Mit den hinter diesen Ter88 Im Rechnungsbuch der Artisten werden immer die "exposita facultatis artium" von den "exposita fraternitatis artistarum" (vor allem Ausgaben für die "missae" und den "sacerdos" der Fakultät) unterschieden (UA 0 V 1 passim). S9 Mederer I xxxii.
II. Artisten
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mini stehenden Personengruppen muß sich die Untersuchung befassen, wenn sie sich von der Universitätsverfassung ein zutreffendes Bild verschaffen will. Von Fakultätsgeschichte kann dabei im Falle der Artisten so lange nicht die Rede sein, wie deren Verband nur um den Preis besonderer Bevorrechtigungen oder auch Benachteiligungen als eine unter vier Fakultäten in die Universitätsverfassung eingebaut werden konnte. Die Geschichte dieser Sonderbehandlung ist schnell skizziert. Die Universität Heidelberg begann bei ihrer Gründung im Jahre 1386 mit einer dem Pariser Vorbild eng nachgebildeten Verfassung, nach der das aktive und das passive Rektorwahlrecht allein bei den Angehörigen der Artistenfakultät lag. 1393 verloren die Artisten nach längeren Auseinandersetzungen dieses alte Privileg, und gleichzeitig wurde, zunächst für besondere Fälle, ein verkleinertes Konzil konzipiert, in dem alle Doktoren der oberen Fakultäten, aber nur noch drei Magister Sitz und Stimme hatten. 1452 vergrößerte sich der Anteil der Artisten an diesem, inzwischen zum letztbeschließenden Organ aufgerückten Konzil auf fünf Sitze40• Hier findet sich an einem Ort und in einem kurzen Zeitraum eine Entwicklung konzentriert, die von allgemeiner Gültigkeit ist. Das Rektorwahlprivileg der Artisten ist auch von Wien bei seiner ersten Gründung übernommen und bei seiner zweiten fallen gelassen worden41 • Fehlt hier der zweite Teil des Heidelberger Geschehensablaufs, so findet sich dieser allein dafür bei anderen Universitäten, die den Artistenrektor nicht erst übernommen hatten: in Tübingen 1477 und in Ingolstadt. Bei der lngolstädter Gründung war von Vorrechten der Artisten gegenüber den höheren Fakultäten von Anfang an nicht mehr die Rede. Dagegen hatte bereits die Stiftungsurkunde in ihren älteren Fassungen erwogen, die Magister bei der Zusammensetzung des Universitätskonzils den Doktoren nicht gleichzustellen, sondern ihre Konzilsfähigkeit von 40 Winkelmann 5, 53 f., 161; Ritter, Die Heidelberger Universität 93. Die folgenden Untersuchungen zur Geschichte der lngolstädter Artistenfakultät im 15. und 16. Jahrhundert möchten einer noch in Arbeit befindlichen, ausführlichen Fakultätsgeschichte von A. Liess nicht vorgreifen, sondern beschränken sich auf einige verfassungsgeschichtlich relevante Gesichtspunkte. 41 Kink II 18 (Rudolfinische Urkunde: "rectorem supremum, qui eciam sit magister liberalium arcium et nullius facultatits alterius") und 52 (Albertinische Urkunde: "rectorem ... sive arcium sive alterius facultatis professor"). Rektorwähler waren 1384 ebenfalls die Prokuratoren; sie mußten aber nicht mehr wie 1365 Artistenmagister sein, wie auch die Nationen nun nicht mehr nur die "clerici in septem artibus liberalibus legendo vel studendo militantes" umfaßten. Allgemein fiel in Deutschland auch das vierfache Stimmrecht der Artisten in der Universitätsversammlung hinweg: bis zum Ende des 15. Jahrhunderts hatten in Paris die drei oberen Fakultäten und die vier Nationen je eine Stimme besessen (vgl. Bulaeus V 817).
150
5. Kapitel: Gliederung und Schichtung der Korporation
zusätzlichen Bedingungen abhängig zu machen42• Bei den Verhandlun~ gen über eine Konzilsverkleinerung im Jahre 1497 ist ausschließlich von einer Reduktion der artistischen Konzilsvertretung die Rede, und die Konzilsreform der Jahre 1507 bzw. 1522 begrenzte tatsächlich die Sitzzahl der Artisten in drastischer Weise43• Diese noch näher nachzu~ zeichnenden Vorgänge und eine Fülle vergleichbarer Erscheinungen geben allen Anlaß, nach den Ursachen einer Entwicklung zu fragen, in deren Verlauf eine unter den vier klassischen Fakultäten der alten Universität von einer bevorrechtigten zu einer anscheinend nicht weni~ ger unverständlichen benachteiligten Stellung herabsinken konnte. Zu~ sammensetzung und Charakter der Artistenfakultät sind eines der Schlüsselprobleme für das Verständnis der Universitätsverfassung des Pariser Typs und der Wandlungen, denen sie in der spätmittelalter~ liehen deutschen Universität unterworfen wurde. I. Die propädeutische Funktion des artistischen Studiums
Der Versuch, die alte Artistenfakultät nach ihrer Stellung im scho~ Iastischen Schulsystem mit den übrigen drei Fakultäten in einem Schema anzuordnen, begegnet fast unlösbaren Schwierigkeiten. Einer~ seits verwaltete sie seit ihrer Blütezeit im 13. Jahrhundert mit der aristotelischen Philosophie eine den anderen gleichwertige Wissenschaftsdisziplin, andererseits galt sie doch bereits seit der gleichen Zeit als facultas inferior, die den höheren Fakultäten als propädeutische Anstalt vorgelagert war. Der Erwerb des Magisteriums befähigte zur Erteilung artistischen Unterrichts und qualifizierte zugleich zum Antritt eines theologischen, juristischen oder medizinischen Studiums. Diese Feststellung ist allerdings sogleich einzuschränken; im Gesamtrahmen des scholastischen Schulsystems erforderte die Theologie dieses Vorstudium in viel stärkerem Maße als ihre beiden Nachbardisziplinen, weshalb auch die Artisten die Stelle einer zwar unteren, aber hochgeschätzten und unentbehrlichen Fakultät nur in solchen Universitäten erhielten, die nach Pariser Beispiel und im Unterschied zu den italienischen Rechtsschulen dem artistisch-theologischen Studiengang eine zentrale Bedeutung einräumten, wenigstens aber ihn überhaupt besaßen. Das Fehlen aller fachlichen Immatrikulationsbedingungen brachte es mit sich, daß die Artistenfakultäten im Namen auch der oberen Diszi42 Prantl II 17 (Redaktionen AB): "in denselben rate sol ein yeglicher doctor, der wesenlieh in der universitet ist, auch ein yeder, der licentiat und maister der freyen kunst ist und, nachdem er licentiat und maister worden ist, zway jar auf das minst in der universitet offenlieh gelesen hat, geen und gelassen werden". Vgl. Kap. 6 Anm. 28. 4 3 Vgl. Kap. 6 Anm. 36 ff.
II. Artisten
151
plinen neben der Verwaltung ihres eigentlichen Stoffgebiets die sprachliche Ausbildung der Studenten mit übernehmen mußten. Grammatik für Fortgeschrittene, aber auch für rudiores fehlt nirgends im artistischen Angebot an Lektionen und Bursenresumtionen. Mit der Anerkennung des humanistischen Bildungsprogramms wuchsen diesem Sprachunterricht neue große Aufgaben zu, die schließlich die Einrichtung mehrklassiger Pädagogien erforderlich machten. Damit sonderte sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts die höhere Schule vom philosophischen Studium allmählich ab. Bevor es dazu kam, garantierte im Grunde nur der Besitz des Magisteriums einen für den Übertritt ~u höheren Studien ausreichenden Ausbildungsstand. Schon in Paris forderten jedoch nur die Theologen von ihren Studenten diese Qualifikation, und so blieb es im 14. und 15. Jahrhundert auch in Deutschland. Die ältesten theologischen Fakultätsstatuten Ingolstadts (1475) enthielten diese Forderung ebenso wie diejenigen Wiens, Kölns oder Leipzigs4 \ und noch im Jahre 1605, nachdem die Herausbildung des philosophischen Kurses mit seinen drei Fächern Logik, Physik und Metaphysik Differenzierungen erlaubt hätte, be44 Der Promovend muß Magister sein "vel saltem quocunque modo ita doctus": Prantl II 61, entsprechend Kink II 107. In Leipzig wurde ersatzweise für das Magisterium der Besitz der Lizenz oder des Doktorats einer anderen Fakultät anerkannt: Zarnke 547. - Dennoch rangiert in der Prozessionsordnung der Ingolstädter Statuten von 1522 eine Gruppe von "baccalarii in theologia non magistri in artibus": Mederer IV 193, entsprechend schon 1388 in Wien: Kink II 89 ff. Diese Prozessionsordnung von 1522 greift weitgehend auf eine Ordnung des Jahres 1475 zurück (UA D Ill 1, 82): hier gingen zuerst die Artistenscholaren; ihnen folgten in einer Gruppe die artistischen Bakkalarianden zusammen mit den Medizinstudenten ("si qui sunt") und den "juniores scholares juris" (die Statuten von 1522 präzisieren bei den beiden letzteren Kategorien auf ein weniger als zweijähriges Studienalter und setzen sie den artistischen Bakkalarianden vor); als nächste Gruppe folgen 1475 artistische Bakkalare und "scholares juris seniores non baccalarii nec alias qualificati" (1522 gehen wieder Medizin- und Jurastudenten "alias graduati" den artistischen Bakkalaren vor bzw. eben nach); 1522 folgen jetzt nach einer Gruppe kirchlicher Würdenträger und Adliger die medizinischen Bakkalare, dann die juristischen Bakkalare und schließlich die "baccalaurei theologie non magistri artium". "Illustres", Doktoren und Magister werden 1522 nicht weiter unterschieden, während 1475 die Magister noch in einer besonderen Gruppe aufgeführt wurden. - Es fällt auf, daß man den Mangel des Magisteriums nur bei den theologischen Bakkalaren besonders betonte; in den anderen höheren Fakultäten scheint er demnach fast üblich gewesen zu sein. Keine Rede ist von der sonst häufig anzutreffenden Bestimmung, die oberen Bakkalare hätten sich nach ihrem Senium im Magisterium unter den anderen Magistern einzureihen (Kink II 89, Winkelmann 17, Roth, Urkunden 62). Die Auflösung des scholastischen Studiengangs bedingte folglich auch in dieser Beziehung unmittelbar eine Verschlechterung des Status der oberen Studenten, die den artistischen Scholaren mit nur geringem Vorsprung parallel geordnet wurden, während sie früher in der Regel Magister gewesen waren. 1524 jedoch beanspruchten die Irrgoistädter Juristen für ihre Bakkalare Gleichrangigkeit mit den Magistern (Mederer IV 257).
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5. Kapitel: Gliederung und Schichtung der Korporation
standen die Theologen auf der mit dem Magisterium gekrönten Absolvierung des gesamten artistischen Studiums45• Von den Pariser Juristen und Medizinern kann man durch personelle Erhebungen schließen, daß sie das Magisterium nicht selten besaßen; die Fakultätsstatuten forderten es jedoch nicht, und besonders unter den juristischen Studenten und Bakkalaren ist schon im 14. Jahrhundert eine große Gruppe nachweisbar, die in Ermangelung des Magisteriums praktisch außerhalb der universitas magistrorum stand. In Deutschland räumten die Statuten dieser Fakultäten den Magistern im allgemeinen bescheidene Vorteile ein, machten den Besitz des Magisteriums aber wohl nie zur Bedingung für die Zulassung zu ihren Graden. Dem medizinischen Bakkalarianden wurde in Ingolstadt (1472) von drei obligatorischen Studienjahren eines erlassen, wenn er das Magisterium, ein halbes, wenn er das artistische Bakkalariat besaß. Die juristischen Statuten von 1524 honorierten den Besitz des Magisteriums lediglich mit einer gewissen Ermäßigung der Promotionsgebühren46 • Solche Bestimmungen stellten sicher keinen übermäßigen Anreiz für den Studenten dar, vor seinem Fachstudium drei Jahre bei den Artisten in die Schule zu gehen. Auch verlockte der nur für die Artisten geltende Bursenzwang nach Auskunft der Verhandlungsprotokolle von 1507 viele Scholaren, vorzeitig von den Artisten zu den Jurastudenten überzuwechseln, die, wie die immer wiederkehrenden Klagen bezeugen, ein überaus freies und ungebundenes Leben führten. Das wiederholt erwogene Projekt, auch sie in eine Burse zu zwingen, kam nie zur Ausführung, wohl aus Rücksicht auf die gerade in dieser Fakultät stark vertretenen Adligen und Standespersonen. Unter diesen Bedingungen war die Vorbildung der Jurastudenten offenbar miserabel, wovon das Befragungsprotokoll von 1497 einiges zu berichten weiß. In der Praxis war der vorherige Durchgang durch die Artistenfakultät noch im 16. Jahrhundert bei den Theologen die Regel, bei Juristen und Medizinern ein häufiger Fall. Abgesehen von den finanziellen Möglichkeiten, die der Besitz des Magisteriums den oberen Studenten in Gestalt 45 Niemand wird promoviert, der nicht "post absolutum philosophiae cursum ad philosophici magisterii gradum promotus fuerit": Prantl li 359. 46 Prantl li 41 (ebenso Wien: Kink li 161) und Mederer IV 257. In Heidelberg und Tübingen sparte auch der Theologe im Besitz des Magisteriums nur zwei Jahre Fachstudium (Thorbecke, Statuten und Reformationen§§ 46, 69, 91; Roth, Urkunden 257). Für Ingolstadt berechnet Wolff, daß etwa 30 Ofo der juristischen Promovenden im 15. und 16. Jahrhundert Artistenmagister waren; eine Differenzierung dieser Zahl nach kleineren Zeitabschnitten wäre wünschenswert. - In Paris lief der artistische Regens bei Medizinern und Juristen Gefahr, ein Regenzjahr nicht als Studienjahr angerechnet zu bekommen, Seit 1452 akzeptierten die Mediziner von jeweils zwei Jahren, die ein Magister zugleich medizinische Vorlesungen hörte und artistische erteilte, ein Jahr als Studienzeit (Chart. Nr. 2690; vgl. E. Wickersheimer, Commentaires de la Faculte de Medecine de l'Universite de Paris 1395-1516, xix, 90, 138 f., 155,
157, 378).
II. Artisten
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der Teilnahme am artistischen Lektions- und Promotionsbetrieb erschloß, hielt die Artistenfakultät für die Juristen und Mediziner in ihrem Stoffangebot interessante, wenn nicht unentbehrliche Disziplinen bereit, und zwar, abgesehen von der sprachlichen Vorschulung, für die Juristen Logik und Ethik, für die Mediziner die Physik, für beide schließlich die zur Allgemeinbildung gehörenden Humaniora. Nachdem die Einrichtung des Pädagogiums die artistischen Lektionen von den allgemeinen Vorschulungsaufgaben befreit hatte, waren nur mehr diese Teile des cursus philosophicus für diese beiden Fakultäten von Interesse47. Da aber die Theologen, wie gesagt, die Absolvierung des gesamten Kurses verlangten, hatte sich alles in allem im Vergleich mit früheren Jahrhunderten wenig geändert. Eine ganze Reihe von Aktenvorgängen, besonders aber jede personengeschichtliche Untersuchung bezeugen, daß in Ingolstadt die Artistenmagister, soweit sie an der Universität blieben, beinahe in der Regel ein höheres Studium betrieben und einen höheren Grad erwarben oder anstrebten48. Das gilt sowohl für die Masse der in der Artistenfakultät 47 Vgl. den Vorlesungsplan der Artistenfakultät von 1571, entstanden anläßlich der Übergabe des Cursus und des Pädagogiums an die Jesuiten (Prantl II Nr. 88). Der nach den jesuitischen Vorstellungen gestaltete Kurs wurde, wie auch Eisengrein bei seiner Einführung betonte (Rotmar, Orationes 337 ff.), nur den Aspiranten auf das Magisterium zur Pflicht gemacht, den Juristen aber nahegelegt, auch Logik, den Theologen und Medizinern, auch Physik zu hören. 48 Bei den Verhandlungen von 1507 empfahl der Jurist Rosa den Artisten, ihre Resumtionen so zu legen, daß sie mit den ordentlichen Vorlesungen der Juristen nicht zusammenfielen: "scilicet ut magistri artium liberalium possint ad Superiores facultates et in iure, si volunt, ascendere et proficere" (Prantl II 139). 1493 erhielt der Konventorder Drachenburse von der Fakultät Dispens für die Verlegung seiner Resumtion, "ut lectionem doctoralem in iure audire posset" (UA 0 I 2, xlv). Nach dem Lehrplan von 1519/20 fiel eine artistische Veranstaltung mit der ordentlichen Theologievorlesung zusammen; die Magister des Georgianums durften sich daher einen anderen Termin wählen (Prantl II Nr. 43). Den übrigen Magistern jedoch war eine Änderung der Vorlesungsstunde schon 1517 ausdrücklich verboten worden (UA Georg. III/22, 21); entsprechend versagte die Fakultät nach 1526 Verlegungswünschen zum Zwecke des Besuchs einer oberen Vorlesung verschiedentlich ihre Zustimmung (ebd. 89, 144'). Die "lectores publici" mögen dadurch bei der Verfolgung eines höheren Studiums in Terminschwierigkeiten geraten sein, bevor ihnen 1555 das gleichzeitige Studieren überhaupt untersagt wurde (vgl. unten Anm. 50). Dafür lieferten nun die Präzeptoren den höheren Fakultäten Nachwuchs (vgl. Anm. 68); die Reformation von 1555 befahl ihnen, für ihre daheimbleibenden Schüler Aufseher zurückzulassen, wenn sie in einer oberen Fakultät zur Vorlesung gingen (Prantl II 205). -Eine schöne Apologie dieser Einheit von artistischem Unterricht und höherem Studium lieferte 1546 die Universität Heidelberg. Die Einrichtung eines mehrklassigen Pädagogiums wurde mit der Begründung abgelehnt, für die Magister entstehe dadurch eine zu große Belastung und sie kämen nicht mehr zum Studieren: "dan solte derregentenund preceptoren pedagogii ampt und gescheft allein sein leren und nit auch lernen in den obersten faculteten, so musten ie die oberste facultet mit der zeit ersitzen ohne iunge Setzling" (Winkelmann Nr. 177). - Vgl. übrigens die Gradangaben der artistischen Rektoren (Pölnitz, Matrikel I) sowie im Anhang VIII die Notizen zu den artistischen Konziliaren.
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5. Kapitel: Gliederung und Schichtung der Korporation
lesenden und zu ihren Ämtern gewählten Magister wie im besonderen für die Kollegiaten des Alten Kollegs49 ; die Stipendiaten des Georgianums waren ohnehin zum sukzessiven artistisch-theologischen Studium verpflichtet. Auch die Regenz einer Burse oder des Georgianums war keine Lebensstellung, sondern eine Station auf dem Wege zu den oberen Graden, die zwar wohl von den meisten nicht erreicht, von den wenigsten aber nicht begehrt wurden. Erst die Humanisten entwickelten einen neuen, später auf die Philosophie übergreifenden Standesstolz, der aber gegen das heimliche Minderwertigkeitsgefühl der Artisten nur zögernd Boden gewann. Dafür, daß sich nach 1526 ein Magister mit der Berufung auf eine besoldete Lektur nicht endgültig zufrieden gab, liefert ja ein Vergleich seines Gehalts mit demjenigen eines oberen Professors überzeugende Gründe. 1555 wurde den lectores publici verboten, gleichzeitig in einer anderen Fakultät zu studieren; umgekehrt sollten Studenten höherer Fakultäten künftig nicht mehr auf artistische Lekturen gesetzt werden50• Diese Bestimmung ist immerhin eine Etappe im Aufstieg der Artistenfakultät zu einem den oberen Fakultäten nachgebildeten Lehrkörpergremium; im 16. Jahrhundert jedoch fand dieser Prozeß noch keinen Abschluß. 2. Von der Regenz zum Ordinarienwesen
Der propädeutische Auftrag, den die deutschen Artistenfakultäten im
16. Jahrhundert teilweise an die Pädagogien und Gymnasien weiter-
reichten, hatte Charakter und Bedeutung des artistischen Studiums jedoch auch früher nicht erschöpft. Nicht für alle Scholaren stellte die Beschäftigung mit den artes nur ein Durchgangsstadium auf dem Weg zu den höheren Disziplinen dar, nicht für alle Magister bedeutete die "Regenz", die Lehrtätigkeit in der Artistenfakultät, nur eine finanzielle Basis für das nebenher betriebene höhere Studium. Innerhalb der breiten Masse der Magisterscholaren hatte sich bereits in Paris ein überraschend enger Kern von actu regentes herausgebildet, der schon bald nach der Mitte des 13. Jahrhunderts die Repräsentation der Fakultät für sich allein beanspruchte. Als regens galt, wer sich bei der alljährlichen Verteilung um eine Schule bewarb und an jedem der dies legibiles im Vicus straminis eine Vorlesung hielt; jeder andere Magister nur, wenn er ein legitimum Seifert, Das Ingolstädter Collegium vetus; vgl. dazu unten Anm. 56 f. Prantl li 204: "Dergleichen soll auch kheinem mer gestatt werden, der bei unser universitet in artibus publica lectione und daneben vil oder wenig discipel hatt, sich auff ein facultet zubegeben, noch die so, wie obsteet, neben iren discipeln sich umb ein facultet angenommen, so lanng sy also der facultet neben den discipeln obligen, zu einicher lectur genomen oder gefürdert werden ... " ; entsprechend die Fassung von 1562, Mederer IV 306. 49
50
II. Artisten
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impedimentum vorzubringen vermochte51 • Nachdem seit 1275 in wie-
derholten Statuten auch der Zugang zu den Versammlungen und Wahlhandlungen der Universität vom Besitz dieser Regenz abhängig gemacht wurde 52, während doch um die gleiche Zeit das Artistenrektorat an die Spitze der Universität aufrückte, darf man schlußfolgern, daß die in den oberen Fakultäten studierenden Magister mit den weitgehend entrechteten nonregentes weder gemeint noch getroffen waren, sondern entweder wenigstens zeitweilig die Regenz selbst ausübten oder doch von ihren Auflagen dispensiert wurden. Das wird vornehmlich im späteren 14. und 15. Jahrhundert sichtbar, als die Zahl der in den Rotuli als regentes aufgeführten Namen diejenige der bei den Schulverteilungen der Nationen genannten Magister nicht selten um ein Mehrfaches übertraf. Was für Paris nur indirekt erschlossen werden kann, ist für die deutschen Universitäten eindeutig belegbar. Ob, wie in Erfurt, die Studientätigkeit in einer oberen Fakultät den regens von den üblichen Regenzverpflichtungen befreite, oder ob, wie in Heidelberg, die Kollegiatenmagister sogar gleichzeitig mit dem theologischen cursus artistische Vorlesungen und Disputationen halten mußten53, überall waren höheres Studium und artistische Lehrtätigkeit grundsätzlich miteinander verein51 Chartularium I Nr. 461: "regens", und damit zu allen "actus communes" zugelassen, ist "qui legit qualibet die legibili in scolis in habitu et hora debita, nisi legittimum habeat impedimentum". 52 Chart. I Nr. 461. Es würde hier zu weit führen, die ganze, nicht sehr übersichtliche Sachlage im einzelnen abzuhandeln. Im Unterschied zu deutschen Universitäten findet sich in der riesigen Masse der Pariser Artistenprotokolle keine ganz eindeutige Dispensbestimmung für Studenten höherer Fakultäten, ebenso aber kein einziger Fall, wo einem höheren Studenten der Zutritt zu einer Nation- oder Fakultätsversammlung verwehrt worden wäre. Im 14. und 15. J ahrhundert schloß das kleine Häuflein der "regentes" die übrigen Magister zwar von den "distributiones", sonst aber von keinem "actus" aus. Bei der Aufstellung der Rotuli ging es um die Präsenz am Studium, aber nie um die Regenz; nichtsdestoweniger ergeben sich durch die Auszählung der in den Rotuli als "actu regentes" bezeichneten Magister Zahlen, die diejenigen der in den Prokuratorbüchern registrierten, wirklich eine Schule führenden Magister um ein Mehrfaches übertreffen. Überdies konnte der Großteil dieser "regentes" einen höheren Bakkalarsgrad hinter seinen Namen setzen. Prokuratoren und Rektoren lassen sich häufig als obere Bakkalare erkennen, obwohl die Protokolle im Unterschied zu späterem deutschem Brauch meist nur den Magistertitel angeben, Zeugnis eines noch vergleichsweise intakten Standesgefühls. Seit dem 16. Jahrhundert war dann ein oberer Bakkalarsgrad eine Empfehlung für die artistischen Ämter. 53 Erfurt (Weissenborn II 124): Regens sei, wer "ordinarium suum legit" und "ordinarie disputat", aber mit der Einschränkung "quod non obstante predicto statuto seniores infirmitatibus preventi vel pro senio debiles ac magistri actu laborantes in superiori facultate, ut in theologia legentes cursum biblie vel sentencias, eo tempore, quo huiusmodi laboribus insistunt, actu regentes debent censeri, eciam dato quod nullum actum scolasticum in artibus legendo vel disputando exerceant, ordinariarum disputacionum et quotlibeti visitacionum ac earundem presidenciis tantum exceptis". - Für 1-:Ieidelberg: WinkelmannNr. 76.
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5. Kapitel: Gliederung und Schichtung der Korporation
bar und wurde der artistische Unterricht von Magistern besorgt, die zum größeren Teil bereits einen theologischen oder juristischen Bakkalarsgrad, wenn nicht die Lizenz besaßen. Zugleich verlor der Begriff der Regenz jede schärfere Kontur; regenswar etwa in Ingolstadt jeder von der Fakultät nach seiner Promotion aufgenommene Magister, ohne daß nach der wirklichen Vorlesungstätigkeit, die j,a im Interesse des Betroffenen selbst lag, viel gefragt wurde. Statt dessen gewannen der Besitz eines oberen Grades, der nun auch in den artistischen Fakultätsakten stets vermerkt wird, mehr noch das Dienst- und Rangalter eine größere Bedeutung, beides Kriterien, die zur Unterscheidung der haupt- von den nebenberuflichen Artisten noch weniger taugten als die Regenz.
Die Reform des artistischen Lehrbetriebs Eine echte Kristallisation des artistischen Lehrkörpers bewirkte erst die Einführung des Bestallungs- und Besoldungssystems im 16. Jahrhundert. Die untere folgte darin den oberen Fakultäten mit einigem zeitlichen Abstand, obwohl Ansätze eines Ordinarienwesens auch in ihr weiter zurückreichten. Der eigentümliche Typ des staatlichen Magisterkollegs, in Deutschland zuerst in Prag begründet, von Wien übernommen und später in den meisten Universitäten nachweisbar, hatte die Aufgabe, die Artistenfakultät, zumal in ihrer ersten Zeit, mit einem Stamm von Lehrern zu versorgen, nachdem die verfügbaren Geldsummen und Kanonikate fast ausnahmslos an die oberen Fakultäten gewandt werden mußten54• Die Kollegiatur war eine durch Dotierungsumstände und durch die Analogie des Kollegiatkapitels5S, später natür54 Kollegien dieser Art finden sich außer in Prag und Wien in Heidelberg, Leipzig, Erfurt, Rostock, Tübingen und Ingolstadt; dagegen verkörpert das Ingolstädter Georgianum den erst im 16. Jahrhundert häufigeren Typ eines staatlichen Kollegs zur Ausbildung von Studenten (hier Theologen), ein Gesichtspunkt, der sonst die privaten Stifter bewegte. Das Magisterkolleg diente primär einem Zweck, der für private Stifter uninteressant war: der Finanzierung des Lehrkörpers der Artistenfakultät. In dem erfaßten Personenkreis waren diese Institutionen mit den französischen, englischen und deutschen Privatkollegien durchaus vergleichbar; die Kollegiaten waren Artistenmagister, die in der Regel in einer höheren Fakultät studierten. Während aber private Stifter dieses Studium, d. h. die Ausbildung ihrer Stipendiaten (vorrangig Familienangehörige oder Landsleute) fördern wollten, spielte in den deutschen Staatskollegien neben diesem ebenfalls anerkannten Zweck doch die Lesetätigkeit der Kollegiaten in der Artistenfakultät die erste Rolle. Vgl. Mon. hist. univ. Prag. II 1 Nr. 5; Kink II 62 und passim; Winkelmann Nr. 76 und 110; Roth, Urkunden 378; Oergel, Urkunden zur Geschichte des Collegium majus zu Erfurt (Mitteilungen des Vereins für die Gesch.- u. Altertumskunde von Erfurt 16, 1894, 11 ff.); Seifert, Das Ingolstädter Collegium vetus. 55 Trotz des naheliegenden Vorbilds des Wiener Collegium ducale, weiterhin auch des Prager Collegium Caroli wird in Ingolstadt von neuem deutlich, daß diese Kolleginstitution Ersatz für ein Kollegiatkapitel zu schaffen bestimmt war. Die Sechszahl der Kollegiaturen entsprach genau derjenigen
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lieh auch durch die Tradition erklärbare, verdeckte Professur; von den Stipendien der durch private Stiftung entstandenen Kollegien unterschied sie sich vor allem durch die mit ihr stets verbundene artistische Lehrverpflichtung. Auch in Ingolstadt bildeten die sechs Kollegiaten des Alten Kollegs, die aus der Universitätskammer mit je 40 Gulden im Jahr besoldet wurden und dafür im Unterschied zu ihren Magisterkollegen hörgeldfreie Vorlesungen hielten, den Stamm der artistischen Lehrerschaft56• Daß sie nebenbei, und zwar unter möglichster Vernachlässigung ihrer Fakultätsverpflichtungen, ein höheres Studium betrieben, verstand sich noch von selbst. Nachdem die Artistenfakultät am Beginn des 16. Jahrhunderts infolge guter Frequenz auch ohne finanzielle Zuschüsse sich selbst zu tragen schien, folgte die Kollegreform von 1518 dem Beispiel anderer Universitäten und verwandelte vier der sechs Kollegiaturen aus Professuren der Artistenfakultät in solche der lehrkörperschwachen oberen Fakultäten. Wenn auch das Kolleg selbst und seine Insassen nach wie vor der Artistenfakultät untergeben blieben, so ließ sich doch nun der schon früher einsetzende Verfall der Institution nicht mehr aufhalten. Die klösterliche Lebensform, in Ingolstadt durch keine finanzielle Notwendigkeit gestützt, löste sich auf und entließ eine Reihe artistischer und oberer Professuren, die sich schon nach kurzer Zeit von den übrigen nicht mehr unterscheiden lassen57• Von der späteren Lektur unterschied sich die Kollegiatur einerseits durch die indirekte Besoldungsform, sodann aber durch das Fehlen eines mit ihr verbundenen Stoffkomplexes. Die Umbildung des artistischen Bücherkonglomerats in einen Kanon überschaubarer Einzeldisziplinen, die sich hier nur in der großen Linie überblicken läßt, mußte folglich der für die Artisten vorgesehenen Kanonikate der 1465 vom Papst genehmigten, schließlich aber nicht errichteten Ingolstädter Kollegiatkirche (Mederer IV Nr. 4). In Prag (Mon. hist. univ. Prag. II 1, Nr. 5 und 6) und Wien (Kink li 62) rückten die Kollegiaten auf freiwerdende Kanonikate des jeweiligen Allerheiligenstifts nach. Die Kollegiatur war also ein Ersatzkanonikat; das Leben im Kolleg entsprach etwa demjenigen der Kanoniker. Diese Konstruktion hatte Sinn, wo das Kolleg mit besonderen Einkünften versehen wurde, die erst nachträglich aufgeteilt werden konnten; in Ingolstadt fehlte diese Voraussetzung, so daß man ebensogut sechs artistische Professuren hätte einrichten können. 58 Seifert, Das Ingolstädter Collegium vetus. 57 Prantl II Nr. 42 sowie Seifert, Das Collegium vetus 42 f.; dort auch Vergleichsmaterial zu den Kollegien anderer Universitäten. Nachzutragen wären die vergleichbaren Entwicklungen der Leipziger Kollegien. Schon 1438 wurden hier zwei der zwölf Kollegiaturen des Großen Kollegs für zwei Doktoren der Medizin reserviert, die nicht im Kolleg zu wohnen brauchten und überdies mit dem Ertrag zweier weiterer Kollegiaturen des Kleinen Kollegs, die aber nach wie vor mit Magistem besetzt wurden, dotiert wurden (Zamcke 7). 1502 gingen zwei weitere Kollegiaturen des Großen Kollegs an zwei promovierte Juristen; den Ertrag dieser Kollegiaturen zahlte das Kolleg jährlich an den Herzog, der die frei wohnenden Juristen seinerseits besoldete (Zarncke 28, 33 f .).
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der Einführung des Lektursystems vorausgehen. Hier machten die neuen humanistischen Fächer den Anfang, die später das reformierte Lehrangebot der philosophischen Fakultät zu einem großen Teil bestritten, aber bereits vom Moment ihrer Einführung an durch berufene und direkt besoldete, zunächst ganz außerhalb der Artistenfakultät stehende Lehrer verwaltet wurden58• Auch innerhalb des traditionellen artistischen Lehrstoffs wurden jedoch noch im 15. Jahrhundert bestimmte Komplexe als Zibri formales oder ordinarii vor den übrigen durch besondere Fürsorge und spezielle Vergabeverfahren ausgezeichnet. In Ingolstadt kam es bereits 1476 zur Einführung einer Vorform des späteren cursus philosophicus. Die aristotelische Logik, Physik, Metaphysik und Ethik, einstweilen noch nach den alten Kommentaren gelesen, wurden nicht wie die übrigen Bücher durch Verlosung, sondern durch Wahl je doppelt besetzt. Bezeichnenderweise suchten aber die Statuten noch, einer dauernden Anwartschaft bestimmter Magister auf diese Lektionen vorzubeugen. Sie wurden sämtlich zur gleichen Stunde gelesen, und die Studenten hatten sie in dieser Reihenfolge und in Verbindung mit bestimmten Resumtionen nacheinander im Dreijahreskurs zu absolvieren59• Die seit 1515 unter Leonhard Ecks Leitung durchgeführte neuerliche Fakultätsreform ersetzte die lectiones pubZicae durch Bursenvorlesungen, vervielfachte also den Kurs und unterlegte ihm zugleich die neuen, von Johann Eck angefertigten Aristoteleskommentare. Überdies verschwanden nun vorübergehend Metaphysik und Ethik aus dem Stun5s Die Poeten Konrad Celtis und Jakob Locher-Phi1omusus und die Mathematiker bzw. Astronomen Friedrich Weiß, Johann Engel und Johann Ostermaier waren nicht eigentlich Artisten; sie erscheinen nie in artistischen Fakultätsämtern; die Beratungen von 1507 befaßten sich ausführlich mit ihrer Lokation (Bauch 78 f.); von den Artisten wurden sie traditionell ungern gesehen. Zu dieser Beobachtung paßt die Ausdrücklichkeit, mit der 1508 in Wittenberg die Humanisten den Artisten zugezählt wurden: "omnes ingenuarum disciplinarum magistros, eciamsi humanas literas professi fuerint, appellamus artistas" (Friedensburg, Urkundenbuch Nr. 26). 59 Mit Recht konnte Eisengrein 1571 bei der Einführung des jesuitischen "cursus philosophicus" darauf hinweisen, daß er ganz ähnliche Vorschriften schon in den alten Akten der Artistenfakultät gefunden habe (Rotmar, Orationes 337 ff.). Die Ordnung von 1476 gedruckt bei Prantl II Nr. 11, die noch klarere Neufassung von 1478 ebd. Nr. 15. Zu den "libri ordinarii" gehörten bestimmte Resumtionen, für die ebenfalls ein "pastus" erhoben wurde. 1481 wurde statuiert, daß der Lektor eines "Ordinarius" anschließend im folgenden Jahr nicht wieder gewählt werden dürfe (UA 0 I 2, xii). Von 1487 datiert die Bestimmung, daß die 4 "libri ordinarii" (Ethik und Metaphysik wurden je nur ein Semester lang gelesen) angesichts der starken Konkurrenz der Magister jeweils durch Wahl doppelt zu besetzen seien (UA 0 I 2, xix); von 1492 an wurden die in dieser Weise vorgenommenen Lektionenverteilungen immer registriert: Wahl von 8 Lektoren für die "libri ordinarii", Verlosung der übrigen Bücher (UA 0 I 2, xliii ff.). 1480 beschloß die Fakultät, daß jeder Student jeweils nur eine dieser Lektionen besuchen und während des Semesters nicht wechseln dürfe (ebd. f. x').
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denplan, um der humanistischen Rhetorik als obligatorischem Fach Platz zu machen60• Der starke Frequenzrückgang seit den zwanziger Jahren, dem die Bursen ausnahmslos zum Opfer fielen, zwang dann zum Rückgriff auf die Form der lectio publica. Zugleich mußte man nun auch bei den Artisten zur Einführung der Hörgeldfreiheit schreiten, die wiederum die Besoldung des artistischen Lehrkörpers unerläßlich machte. In der großen Fakultätsreform von 1526 trafen sich diese beiden Entwicklungslinien, die finanzorganisatorische und die lehrplangeschichtliche, um das Gesicht der alten Artistenfakultät total zu verändern. Fünf von der Fakultät mit Beteiligung der Universität bestellte Lektoren, dazu ein für den grammatischen Anfangsunterricht zuständiger paedagogus, wurden aus einer Fakultätskasse besoldet, in die neben den Promotionseinnahmen eine jährliche Zahlung der Universitätskammer in Höhe von 75 Gulden floß 61 • Daneben wurden die alten Sprachen und die 60 Die in den 1517 angefertigten, später verabschiedeten Fakultätsstatuten (Prantl II Nr. 43) erscheinende Ordnung, wurde in den vorangegangenen Jahren Schritt für Schritt eingeführt. Die bisherigen "lectiones in collegio factae" wurden als unnütz und zeitraubend abgeschafft; an ihre Stelle traten "exercitia in collegiis et contuberniis", die auch als "resumtiones" und "lectiones ordinariae" bezeichnet wurden. Die Fakultät bestimmte den Stundenplan und die Gebühren und bestätigte die von den Konventaren gewählten "lectores" oder "magistri resumentes" (UA Georg. 111/22, 39'). Die Studenten durften keine Vorlesung "extra contubernia" hören; Magister, die in keiner Burse wohnten, durften keine Vorlesung halten, auch nicht in einer Burse (ebd. f. 23, 30, 34'). Diese riskante Neuordnung setzte also voraus, daß alle Studenten und Magister in den Bursen wohnten, und daß es überdies genügend fähige Lehrer gab, um in jeder Burse den geforderten Unterricht in Rhetorik, Logik und Physik durchführen zu können. Daher häufen sich in diesen Jahren die Statuten gegen "extraordinarie stantes". Die Hörgeldeinnahmen einer Burse wurden unter der Lehrerschaft gleichmäßig verteilt; die Studenten zahlten für jedes Semester eine Pauschaltaxe. - Obwohl es für eine direkte Orientierung dieser Ingolstädter Reform am "modus Parisiensis" (vgl. dazu Codina Mir 53 ff.) keinen Beleg gibt, ist die Analogie nicht zu übersehen: hier wie dort Rückzug des artistischen Unterrichts in die "Kollegien", mit dem Unterschied, daß die Ingolstädter (und überhaupt deutschen) Bursen ausschließlich Artistenstudenten aufnahmen, und zwar in der Regel auf der Grundlage eigener Pensionszahlung. Analog ist auch die Beibehaltung der Fakultätsaufsicht über den Kolleg-(Bursen-)Unterricht, und schließlich wohl auch der für Paris noch näher zu untersuchende, für Ingolstadt sogleich zu skizzierende Vorgang der nicht unbedingt räumlich zu verstehenden Rückwanderung der engeren philosophischen Fächer auf die Fakultätsebene. Ingolstadt nimmt hier insofern eine Sonderstellung ein, als das völlige Verschwinden der Bursen und die erst viel später vorgenommene Einrichtung des jesuitischen Pädagogiums einen kontinuierlichen Übergang der Kollegien (Bursen) in Gymnasien, wie ihn Codina Mir für Paris aufweist, nicht zuließ. 61 Prantl II Nr. 60. Prantl (I 202) mißverstand, jeder der sechs Lektoren habe die Summe von 75ft. erhalten: dagegen nicht nur der Wortlaut des entsprechenden Senatsbeschlusses (UA Georg. 111/22, 82 ff., 19. 1. 1526), sondern auch die Nachweise in den Rechnungen der Universitätskammer (UA GG IV a 2) und der Artisten (UA 0 V 1). Die Gehälter der ersten Lektoren bewegten sich zwischen 10 und 14 Gulden (UA 0 V 1, 163). Es handelte sich freilich um sehr bescheidende Summen, aber die Lektoren hatten erstens teilweise noch
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Mathematik mit unterschiedlicher Kontinuität weiterhin von Professoren gelehrt, die der Herzog bestellte und die Universität besoldete, ohne daß sie mit der Fakultät etwas zu tun hatten. In dieser Form erhielt sich der artistische Lehrbetrieb, bis 1571 den Jesuiten der nach ihren Vorstellungen gestaltete cursus philosophicus (Logik, Physik, Metaphysik) und das nun in Klassen aufgegliederte paedagogium übergeben wurden. Einige Jahre blieb den weltlichen Professoren in Rhetorik, Poesie und Griechisch noch ein Betätigungsfeld übrig, dann übernahmen die Patres 1588 die Gesamtfakultät62•
Die Veränderungen des artistischen Lehrkörpers Die beschriebenen Wandlungen implizierten für die Masse der Artistenmagister eine Serie existenzieller Veränderungen. In der Anfangszeit bestand das gremium der Artistenfakultät aus bis zu etwa 30 Magistern, die sich jährlich an den Lektionsverlosungen beteiligten und zu denen die sechs Kollegiaten gehörten. Die Konventaren der etwa sechs von der Fakultät approbierten Bursen63 , die gelegentlich wohl andere Pfründen (Kollegiaturen, Regenz des Georgianums u. a.), hielten zweitens wie alle anderen Magister ihre "discipuli" und brachten überdies sehr bald auch die Promotionseinnahmen ganz in ihre Hände. Die Leistungen der Universitätskammer flossen mit den übrigen Einnahmen der Fakultät in der Kasse des Fakultätskämmerers zusammen; die Lektorengehälter lagen in den Siebziger Jahren schon bei 40--70 Gulden. Erhaltene Rechnungen des Kämmerers Wolfgang Zettel (der die Fakultätskasse gleichzeitig mit der Universitätskammer verwaltete) weisen für diese Zeit Gesamteinnahmen in Höhe von etwa 200 Gulden aus; mehr als die Hälfte davon stammte von den Promotionen (StA Obb. GL 1479/64). Zettel führt unter den Ausgaben nie mehr als zwei bis drei Lektorengehälter, aber auf diese Zahl war ja damals schon die Zahl der weltlichen Lektoren (die Jesuiten lasen ohne Sold) zusammengeschmolzen, von denen wahrscheinlich noch der eine oder andere als "lector universitatis" durch die Universitätskammer besoldet wurde. Die Lekturen wurden später verschiedentlich neu abgegrenzt, vereinigt oder auf neue Bücher festgelgt; am Ende blieb es doch bei zwei Philosophieprofessuren (Physik und Ethik), zwei Dialektikprofessuren (Aristoteles und Caesarius) und der Rhetorikprofessur, wozu sich 1549 eine Fakultätslektur für Griechisch gesellte. Daneben erhielten, in den Kammerrechnungen ausgewiesen, Einzelgehälter aus der Universitätskammer ein Mathematiker, ein Hebraist, ein weiterer Humanist ("lectio poetica") und ein weiterer Philosoph, dessen Stelle aus einer Kollegiatur hervorgegangen war. Sie alle hießen im Unterschied zu den "lectores facultatis" "lectores universitatis"; es scheint, als habe sich dieser besoldungstechnische Unterschied bis zur Jesuitenzeit erhalten (UA GG IV a 2). 62 Mederer IV Nr. 49, Prantl II Nr. 88; Mederer IV Nr. 58. Zur jesuitischen Pädagogik, allerdings ohne stärkere Berücksichtigung der bei der Artistenfakultät verbleibenden Fächer und ohne die nötige Grenzziehung ihnen gegenüber, vgl. Codina Mir; die Quellen neu ediert bei Lukacs. Wichtig scheint hier die Abhängigkeit nicht nur des Pädagogial-, sondern auch des jesuitischen Philosophiekurses vom "modus Parisiensis"; vgl. etwa Lukäsc 8 A. 15 sowie 616 ff. 63 Bereits die Fakultätsstatuten von 1472 verlangten, daß jeder Student in einer Burse wohnte, ausgenommen Bürgersöhne und Wohlhabende, die
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magistri conregentes bei sich aufnahmen, hatten neben ihren organisa-
torischen auch bestimmte Lehraufgaben und werden daher nur selten auch öffentlich gelesen haben. Zu diesem Kreis gesellten sich nach der Gründung des Georgianums (1494) 6' , eines staatlichen, durch private Zustiftungen ergänzten Kollegs für Theologiestudenten, der Regens mit denjenigen Stipendiaten, die das artistische Magisterium bereits besaßen. Die Reform von 1515-1519 brachte die Bursen auf den Höhepunkt ihrer Bedeutung. Lectio und resumtio fielen nun in Bursenveranstaltungen zusammen, für die jeder Konventor eine Reihe von magistri resumentes aufnahm und aus den vorgeschriebenen pauschalen Hörergebühren entlohnte65 • Der philosophische Kurs zog sich in die Bursen zurück; für die Magister, die sich wie bisher aus ihm ernähren wollten, wurden anstelle der nun abgeschafften Lektionenverlosung der Eintritt in eine Burse und die Übernahme einer ihrer Lekturen zur Notwendigkeit. Auch das Georgianum wird für seine jüngeren Stipendiaten einen solchen Lehrkurs veranstaltet haben. Die nach dieser Neuordnung in der Artistenfakultät nicht eigentlich mehr verwendbaren Kollegiaturen des Alten Kollegs wurden folgerichtig durch die beschriebene Kollegreform von 1518 den oberen Fakultäten zugewendet. Die Einführung der Lekturen im Jahre 1526 revolutionierte das gremiumder Artistenmagister wiederum von Grund auf. Von den eben noch für obligatorisch erklärten Bursen ist nicht mehr die Rede; da es sich mit einer Ausnahme um gemietete Räume gehandelt hatte, brachte der Frequenzschwund im Verein mit dem neuen Zeitgeist sie unauffällig zum Verschwinden. An ihrer Stelle erscheinen neben den besoldeten Lektoren, die auch ihrerseits nebenbei von dieser Einnahmequelle Gebrauch machten, die praeceptores, die sich von der Logierung und sich einen eigenen Hauslehrer halten konnten, sowie die zum Famulat gezwungenen Armen (Mederer IV 78, 88). Es handelte sich um gemietete Räumlichkeiten, für die der von der Fakultät approbierte Regens (Konventor) dem Hauswirt einen durch herzogliche Verordnung begrenzten, notfalls durch eine gemischte Taxationskommission überprüften Mietzins zahlte. Den Wirten war verboten, an nicht approbierte Magister zu vermieten. Der Regens verlangte von seinen Burseninsassen eine Zahlung, die neben der Miete auch den gemeinsamen Unterhalt und das Einkommen des Regens selbst erbringen mußte (vgl. UA 0 I 1, 5 f.). Die Fakultät regelte das Bursenleben mit den obligatorischen Resumtionen und Disputationen. - An sich gestattete dieses System ohne weiteres die Neueröffnung oder Schließung einzelner Bursen; die Konstanz der etwa 5 Namen (Lilien-, Drachen-, Adler-, Sonnen- und Pariser Burse) läßt aber auf eine gewisse Beständigkeit auch im räumlichen Sinne schließen. 1488 kaufte die Fakultät zusätzlich ein eigenes Haus, die Engelburse, deren Regens seinen Mietzins an die Fakultätskasse zahlte (UA 0 I 2, xxv'). Alle Bursen sind nur bis 1526 nachweisbar. - Vgl. auch Rotmars rein historische Kenntnisse: Mederer I xxxiii f. 64 A. Schmid, Geschichte des Georgianums; Prantl II Nr. 27. 65 Vgl. oben Anm. 60. 11 Seifert
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Unterrichtung von discipuli ernährten, im Unterschied zu den alten Bursenkonventaren aber auf kleinerem Fuß und mit größerer Selbständigkeit. Die Fakultät versuchte, sie unter Kontrolle zu halten, begrenzte die Zahl der zulässigen Schüler, schrieb ihnen Disziplinargesetze vor und verpflichtete sie zum Besuch der lectiones publicae66 • Zentrum des artistischen Studienbetriebs wurde nach der Auflösung des Alten Kollegs das Georgianum, in dem zeitweilig auch die öffentlichen Vorlesungen stattfanden und in das man die Präzeptoren mit ihren Schülern zu ziehen suchte67. Aus dem um den Kern der lectores, bald professores publici, gescharten gremiumder Präzeptoren rekrutierte sich der Nachwuchs der oberen Fakultäten; das Präzeptorat übernahm in dieser Hinsicht die Funktion der alten Regenz, nachdem den Lektoren seit 1555 ein gleichzeitiges höheres Studium formell nicht mehr gestattet war. Die Jesuiten machten den Präzeptoren schon seit den sechziger Jahren mit ihrem Kolleg, bald auch mit ihrem Pädagogium gefährliche Konkurrenz68. Nachdem die ganze Fakultät der Gesellschaft übergeben worden war, konnten arme Externenmagister wohl nur noch als Hauslehrer adliger Studenten ihre höheren Studien finanzieren. 3. Die Formierung der Ordinarienfakultät
Seit 1526 gab es also in der Ingolstädter Artistenfakultät eine enge, von den übrigen Magistern scharf abgehobene Gruppe hauptamtlicher Professoren. Gleichzeitig mit dieser Reform wurde auch die Fakultätsverfassung vom Ordinarienprinzip her neu konstruiert. Bemühungen um eine Restriktion des ausgedehnten Körpers der universitas artistarum in Richtung auf eine facultas nach dem Beispiel der oberen Fakultäten hatten sehr früh in der Artistenfakultät selbst begonnen. An den deutschen Universitäten begegnet schon im 15. Jahrhundert beinahe 66 Die Reformation von 1555 beschränkte die Zahl der Diszipel auf 5, die Reformatio von 1562 ging auf 8-10 herauf (Prantl li 203, Mederer IV Nr. 45). Die Fakultätsordnung von 1539 (Prantl li Nr. 62) verbot den Präzeptoren, selbst Vorlesungen zu halten, und verpflichtete sie, ihre Schüler zu den "lectiones publicae" zu schicken (ebenso dann die Reformation von 1555: Prantl II 206).
67 So die Reformationen von 1555 und 1562 (Prantl li 205, Mederer IV 306); den Präzeptoren wurde freie Wohnung zugesagt, wofür sie die strenge Kollegordnung hätten befolgen müssen. - 1526 war das Georgianum zum "locus Ordinarius" für alle "lectiones publicae" bestimmt worden, 1539 zogen die Vorlesungen wieder ins Alte Kolleg zurück (Prantl li Nr. 60 und 62). 68 1561 beschwerten sich die Präzeptoren, daß die Jesuiten ihnen Ihre Schüler wegfingen; die Fakultät unterstützte diese Klage mit dem Argument, arme Magister fänden im Präzeptorat eine Existenzgrundlage, durch die zugleich "ad maiora et ampliora studia, praecipue tarnen theologica, hoc pacto aditus illis praebebatur. Fuit enim hoc quasi seminarium quoddam praeteritis annis, unde summarum professionum doctores tandem prodibant" (UA Georg. 111/22, 167'). 1571 wurde den Präzeptoren nahegelegt, ihre Schüler zu den Jesuiten ins Pädagogium zu schicken (Mederer IV Nr. 49).
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überall ein über die traditionellen Kriterien des Magisteriums und der Regenz hinaus verkleinertes Artistenkonzil, zu dem die Magister nicht mehr unterschiedslos Zugang besaßen. Wien forderte 1384 ein zweijähriges, Prag 1390 ein vierjähriges, Leipzig 1409 ein zweijähriges, 1420 ein dreijähriges und 1471 ein sechsjähriges Magisterium für die Konzilsfähigkeit innerhalb der Fakultät, um nur einige Beispiele zu nennen69 • In allen diesen Fällen war der Artistenmagister in der Universität noch mit Selbstverständlichkeit konzilsberechtigt. Ähnlich ging Ingolstadt von der Zulassung aller magistri universitati incorporati im Gründungsjahrsechs Jahre später (1478) zur Beschränkung des Fakultätskonzils auf die magistri quatuor annorum über70 • Dreißig Jahre lang, bis zur Nova Ordinatio von 1507, war ein Magister, der diese Bedingung nicht erfüllte, nicht mehr in der Fakultät, wohl aber in der Unh ersität zum Konzil zugelassen. Diese Restriktion des Fakultätskonzils wurde durch die universitäre Konzilsreform von 1507 überholt71 • Mit der Neuordnung der Fakultät im Jahre 1526 erfuhr aber nun auch ihr Konzil eine weitere, einschneidende Verengerung. Seinen Kern bildeten künftig die sechs Lektoren gemeinsam mit den Kollegiaten, die sich durch Kooptation weiterer Mitglieder bis zur Gesamtzahl von zehn Mitgliedern ergänzen durften72• Nun hatten die Kollegiaten-Lektoren neuen Typs schon 1524 Dispens von ihrer Konzilspflicht in der Fakultät erlangt, und da die artistischen Kollegiaturen teilweise mit Fakultätslekturen vereinigt und überhaupt im Aussterben begriffen waren73, blieben 1539 als ständige Konziliare nur mehr die sechs Lektoren übrig. Da von der Erlaubnis, zusätzliche Mitglieder hinzuzuziehen, offenbar kaum Gebrauch gemacht wurde, setzte sich das artistische Konzil nach dem Beispiel der oberen Fakultäten nur mehr aus besoldeten Lektoren zusammen; nur in seiner Mitgliederzahl war es 69 Kink II 183; Monumenta bist. univ. Prag. I 93; Zarnck:e 305 ff., 385. In Erfurt sind 1412 zunächst alle Magister nach dem "biennium" zugelassen, bei Uneinigkeit wird aber das Konzil auf die "magistri actu regentes" und die "magistri quatuor annorum" beschränkt (Weissenborn II 147). - In Köln waren 1398 noch alle Magister zur Fakultätsversammlung zugelassen, der Dekan aber mußte vier Jahre Regenz hinter sich haben. 1522 wurde von den Mitgliedern des Konzils der zweijährige Besitz des Magisteriums verlangt (Bianco I Anhang 59 ff., 294). - Greifswald ließ nur "magistri quatuor annorum" zu (Kosegarten II 297 ff.), ebenso Freiburg (Schreiber I 42 ff.). 70 Mederer IV 70; Prantl II 88, 104, 154; daneben waren bis 1539 noch die Kollegiaten konzilsberechtigt, von einer weiteren Dispensklausel abgesehen. - Die Kollegiaten als die Prominenz unter der artistischen Lehrerschaft galten auch an anderen Universitäten ohne weitere Bedingung als konzilsfähig; vgl etwa Weissenborn II 151, Kosegarten II 297 ff. ("Collegiati vero sunt de essentia consilii"). 11 Vgl. Kap. 6 Anm. 36. 72 Prantl II Nr. 60. -Ganz ähnlich auch in Heidelberg: Thorbeck:e, Statuten und Reformationen §§ 102 bzw. 108. 73 Vgl. Seifert, Collegium vetus 49 ff. sowie Kap. 6 Anm. 54.
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jedem oberen Fakultätskonzil noch immer leicht überlegen. Der naheliegenden Möglichkeit, diese artistischen Lektoren nun in der Universitätsverfassung den oberen Fakultäten gleichzuordnen, stand der Wortlaut der Statuten von 1522 entgegen, in denen sich noch vor der Fakultätsreform die Universitätsverfassung für lange Zeit fixiert hatte. Damit war aber die Oligarchiebildung innerhalb des "Gremiums" der Fakultät noch immer nicht am Ende angelangt. Schon seit den vierziger Jahren trat bei Vakanz einzelner artistischer Lekturen der Fall immer häufiger ein, daß das Fakultätskonzil mit der artistischen Senatsvertretung zahlengleich war und deshalb auf die statutengemäße Senatorenwahl verzichten konnte74 • Nachdem im Jahre 1567 der numerus senarius im Fakultätskonzil wiederhergestellt worden war, wird in der gleichzeitig bestätigten Senioratsverfassung innerhalb dieses Sechserkonzils eine neue Oligarchiebildung sichtbar75• Die vier priores seniores, die sich aus den Sechs durch Kooptation unter Berücksichtigung des Seniums ergänzten, behielten sich wichtige Fakultätsgeschäfte wie die Dekanwahl und die Besetzung der Senatssitze, ebenso die bedeutende Einnahmequelle der Promotionen, vor. Zwei posteriores seniores wurden zu den übrigen negocia hinzugezogen und alternativ an den Promotionen beteiligt. Unterhalb der sechs seniores bestand das alte gremium der als Präzeptoren tätigen, politisch seit 1526 entmündigten einfachen Magister fort. In fast unveränderter Form wurde diese Fakultätsverfassung von den Jesuiten übernommen und noch in deren Statuten von 1649 bestätigt76• 4. Stellung und Geltung der Artisten an der Universität
Die wissenschaftsgeschichtlichen Entwicklungen, die diesem überraschend allgemeingültigen Gestaltwandel der Artistenfakultät vorausgingen, können hier nur angedeutet werden. Zur Zeit der Ingolstädter Gründung bezeichnete das Magisterium, dem ein artium schon nicht mehr angefügt werden mußte, einen Grad unterhalb der oberen Fakultätsgrade, so wie es etwa in der Stiftungsurkunde die stehende Formel doctor licentiaten und maister bezeugt. Die in der Matrikel den Rektoren beigegebenen Epitheta schwanken, aber es scheint sicher, daß z. B. ein clarissimus niemals einem Artisten, sondern zuerst nur den Juristen und nach ihrem Vorbild auch bald den Theologen und Medizinern vor den Namen gesetzt wurde. Die Artisten waren zu besonderer, häufig als lästig empfundener Tracht verpflichtet, die auch der Lizentiat einer oberen Fakultät nicht ablegen durfte, solange er als Mitglied der Fakultät 74
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Vgl. Kap. 6 Anm. 53 ff. und Anhang VIII. UA 0 I 4,1 ff.; vgl. Kap. 6 Anm. 57. UAB II 19.
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gelten und an ihren Einkünften teilhaben wollte77 • Bekannt ist die Geringschätzung, die die Humanisten vornehmlich den artistischen Graden entgegenbrachten und die von der breiten Öffentlichkeit übernommen wurde; nicht die Bakkalarsgrade, aber das Doktorat der oberen Fakultäten vermochte sich dagegen als geachteter Grad zu behaupten. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts gibt es aber Anzeichen dafür, daß die Artistenfakultät den Tiefpunkt ihres Ansehens und ihres Selbstgefühls hinter sich gelassen hatte. Die Trennung der philosophisch gereinigten aristotelischen Philosophie von der sprachlichen Vorschulung, die Aufnahme des humanistischen Bildungsguts und der Aufstieg des artistischen Lehramts zur Besoldungswürdigkeit konnten nicht verfehlen, dem dieserart reformierten Studium und seinem krönenden Abschluß, dem Magisterium, eine steigende Reputation einzubringen. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts ließ der Ingotstädter Philosophieprofessor Veit Amerbach seinen Sohn Georg nach eigenen Thesen über das "philosophische Doktorat" disputieren. Die in Deutschland verbreitete Auffassung, das Magisterium sei ein Grad zwischen dem artistischen Bakkalariat und dem oberen Doktorat, wird für den Niedergang des philosophischen Studiums verantwortlich gemacht und heftig bekämpft. Die propädeutische Ausbildung der Theologie-, Jura- und Medizinstudenten könnten die Minderschulen besorgen; das mit den oberen Doktoraten gleichrangige Magisterium aber sei, oder solle sein, die Krönung einer vornehmen Wissenschaft, der es im Unterschied zu den anderendreiennicht auf ein facere, sondern auf das intelligere, auf Weisheit und Lebenslehre, ankomme. Um sie vor dem drohenden Untergang zu retten, dürften es die Fürsten an sachkundiger Berufungspolitik und vor allem an Geldmitteln nicht fehlen lassen78 • 77 Vgl. Kap. 6 Anm. 42 ff. Für die Formel der Stiftungsurkunde und analog der Statuten vgl. Prantl li 11 f. und Mederer IV 58 f.; hier ist "licentiati" zweimal zwischen "doctores" und "magistri" eingeschoben worden. 78 V. Rotmar, Tomus primus orationum Ingolstadiensium, Ingolstadt 1571, 351' ff. " . . . satis est mediocrem habere tantum linguae atque dialecticorum praeceptorum cognitionem ad omnes alias doctrinas et studia"; " ... Ionge falluntur ij, qui somniant summum gradum in philosophia cum sua doctrina destinatum esse a nostris maioribus ad alias professiones". "Sed curare debebant etiam principes, antiquarum exemplo, ut non per egestatem aut famem cogerentur a sua professione deficere liberalium disciplinarum et philosophiae doctores, ac invitare ad eam colendam praemijs et honoribus alios". Die heutige Inflation der Titel sei für ihr Ansehen verderblich; mit höheren Anforderungen seien aus leeren "tituli" wieder echte "ordines" zu machen. Analoges gelte für die Ausbreitung des Universitätswesens: besser wenige gut dotierte Universitäten, "in uno regno sufficeret una vel altera schola pontificia vel imperatoria sicut olim". Die Gleichrangigkeit des Magisteriums wird aus römischem und kanonischem Recht bewiesen; interessant die nicht nachprüfbare Behauptung (S. 364'), vor 30 Jahren habe es in Ingolstadt über diese Frage einen Streit gegeben, der durch päpstliche Entscheidung zugunsten der Artisten beigelegt worden sei. - Auch von Albert Hunger, Vizekanzler von 1578 bis 1604, ist eine Rede "in laudem magisterii philosophici" überliefert, die aber
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5. Kapitel: Gliederung und Schichtung der Korporation
1562, unter dem Rektorat Martin Eisengreins, der sich schon in Wien zum Verteidiger des höchsten Grades der artes aufgeworfen hatte und sich in der Ingolstädter Matrikel als artium liberalium et philosophiae doctor bezeichnen ließ 70 , beschloß die Universität Ingolstadt, daß den Artistenmagistern nomen, honor, titulus ac privilegia generalia doctorum zuteil werden sollten80• Bezeichnenderweise wurde in der Fakultät sofort die Meinung laut, man solle doch dabei zwischen den professores und den übrigen magistri vulgares einen Unterschied machen. Zehn Jahre später beschloß der Senat, den artium magistri philosophiaeque doctores bei öffentlichen Veranstaltungen einen distinctum a caeteris studiosis locum in der Nähe der artistischen Professoren einzuräumen81• Die eingefrorene Universitätsverfassung freilich hat diesen Wandlungen nach 1522 nicht mehr Rechnung getragen. Noch in den Statuten von 1642 rangieren die artium magistri mit ihren Wahlsenatoren deutlich hinter den persönlich konzilsberechtigten professores trium principalium facultatum 82 • Zu dieser Stagnation hat ohne Zweifel der Übergang der Fakultät in die Hände der Jesuiten beigetragen, denen nichts ferner lag, als der Philosophie zur Gleichberechtigung mit der Theologie zu verhelfen, und die ihr Fach überdies um die ihm etwa seitens der Juristen entgegengebrachten Sympathien brachten. Außerdem war die Universität nun daran interessiert, den Anteil der jesuitischen Fakultät an der Universitätsregierung höchstens auf dem Stand zu halten, den die Artisten bei Beginn der Jesuitenperiode erreicht hatten. Dies weiter zu verfolgen, würde Rahmen und Reichweite der vorliegenden Untersuchung jedoch überschreiten. 111. Die übrigen Stände der Korporation
Die Teilung der universitas in vier Fakultäten mag vom Standpunkt des modernen Universitätswesens plausibel erscheinen. Es liegt aber hier der interessante Fall vor, daß die historische Untersuchung nicht einem anscheinenden Paradoxon zur Begreifbarkeit verhelfen, sondern umgekehrt eine anscheinende Selbstverständlichkeit zunächst einmal als bei gelegentlicher Bezugnahme auf Amerbach ausschließlich die ehrenhafte Etymologie des Begriffs "magister" herausstellt (A. Hunger, Grationes li, 1615, 221 ff.). 79 L. Pfleger, Martin Eisengrein; dort S. 7 ff. der Bericht über Eisengreins in Wien gehaltene "Oratio de summo gradu". 80 UA Georg. III/22, 169' (4. 8. 1562), zitiert bei Mederer I 274. 81 UA 0 I 4, 30 (25. 4.1572): "in senatu academico conclusum fuit, ut in posterum liberalium artium magistri philosophiaeque doctores in publicis actibus distinctim a studiosis caeteris locum obtinerent atque in superioribus subselliis artium professoribus proximi assiderent"; die "professores artium" hatten sich danach von den übrigen "studiosi" schon weit entfernt. 82 Prantl li 391.
III. Stände der Korporation
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das Paradoxon wiederherstellen muß, das mit besserem Recht der Sachlage entspricht. Die Fakultätsgliederung der alten Universität war aber in hohem Maße paradox, weil sie qualitativ und quantitativ völlig inkommensurable Einheiten unter dem Begriff der facultates zusammenbzw. einander gleichordnete. Während sich die oberen Fakultäten an einer Universität von der Größe Ingolstadts, solange sie nicht vorübergehend einmal ganz ausstarben, aus je einem bis höchstens vier Mitgliedern zusammensetzten, war die Artistenfakultät auch noch in der landesstaatlichen Kleinuniversität eine umfängliche Vereinigung, deren Mitgliederzahl diejenige der oberen Fakultäten zusammengenommen um das Drei- und Vierfache übersteigen mochte. Unvergleichbar wie die Mitgliederzahl war das durchschnittliche Lebensalter von Magistern und Doktoren: hier der häufig bejahrte, ausnahmslos aber reife Mann, dort in der Mehrzahl der Fälle der noch junge, nicht selten halbkindliche Scholar, der bei frühem Studienbeginn mit 18, 16 selbst 14 Jahren zur höchsten Würde der artes gelangen konnte. Unvergleichbar schließlich die Lebensform der Artisten und der oberen Doktoren: hier der besoldete, bürgerlich lebende, saturierte Lehrer, dort der sich von Promotions- und Hörgeldern mehr oder weniger mühsam ernährende, gleichzeitig lehrende und lernende Magisterscholar. Der großen und unruhigen Vereinigung der artistae innerhalb der Universitätsverfassung Status und Anteil einer Fakultät zu verleihen, war angesichts der Zahlenverhältnisse eine Benachteiligung, angesichts des Unterschieds in Alter und Qualifikation eine unverdiente Ehrung und im Ausgleich dieser Gesichtspunkte also, wenn man will, eine gerechte Lösung; eine Lösung jedoch, die sich ganz und gar nicht von selbst verstand, sondern in ihrer ausgeklügelten Spitzfindigkeit etwas von dem scholastischen Geist verrät, den sie zu organisieren beauftragt war. Es wurde aufgezeigt, wie es der facultas artistarum in einem längeren Prozeß innerer Umwandlung allmählich gelang, in die ihr vorgegebene Fakultätsform hineinzuwachsen oder besser, zu schrumpfen. Für die früh-neuzeitliche Universitätsverfassung ist aber noch immer in weitem Maße damit zu rechnen, daß die Artisten nicht nur eine Fakultät, sondern einen Stand darstellten, dem in der Universität ein bestimmter Rang mit seinem Recht zugeordnet wurde. Solange es einen Aufstieg von den artes zu den höheren Fakultäten gab, war das der Rang von schon bewährten, aber noch nicht voll promovierten Scholaren. Es wird notwendig sein, die neuen Grenzen zu bestimmen, die die Artistenschaft unter Voraussetzung der eingetretenen Wandlungen des Studiensystems in Deutschland umschrieben. Da die traditionell unmündigen Studenten der artes nach wie vor kein Problem darstellten, ist eine solche Grenzziehung nur nach oben - gegen die facultates superiores - und nach der Seite - gegenüber den nicht-artistischen Studenten dieser oberen
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5. Kapitel: Gliederung und Schichtung der Korporation
Fakultäten - nötig. In beiden Fällen verläuft die Grenze der facuLtas artium in Deutschland anders als in der Pariser Verfassung. 1. Die Doktoren
Die doctores superiorum facultatum bildeten über die Fakultätsgrenzen hinweg einen geschlossenen, den artistae übergeordneten Stand von vollpromovierten und vollberechtigten Mitgliedern der universitas. Das gilt für Ingolstadt wie für die deutsche Universität im allgemeinen, wobei von frühen Ausnahmen hier nicht mehr die Rede zu sein braucht. Im Unterschied zum Artistenmagister hatte ein oberer Doktor in seiner Fakultät angesichts der von Anfang an bestehenden Hörgeldfreiheit und der relativ geringen Zahl der Promotionen nur dann eine Existenzgrundlage, wenn er vom Staat eine Besoldung empfing, also zum professor ernannt wurde. Schon die Ingolstädter Stiftungsurkunde hatte für alle drei oberen Fakultäten dotierte Lehrstühle geschaffen, denen in früher Zeit gelegentlich geringer besoldete, zumeist mit Lizentiaten besetzte Lekturen zur Seite gestellt wurden. Zunächst wurde diese letztere Kategorie nach Kriterien des Stundenplans als lectio oder professura postmeridiana von den vollbesoldeten professurae matutinae oder antemeridianae unterschieden. Das schon zeitig den Professoren beigeordnete ordinarius scheint vorläufig über Besoldung und regelmäßige Lesetätigkeit hinaus nichts auszusagen, da ihm sein Pendant noch fehlt. Erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts begegnet in Vitus Schober als Nachfolger der seit alters her in der Juristenfakultät angestellten Institutisten ein ausdrücklich so genannter professor extraordinarius83 • Er war jedoch genauso in der Fakultät und in der Universität senatsfähig und mithin vollberechtigt wie seine Vorgänger auf halbbesoldeten Lekturen, obwohl die Universität seit 1522, schärfer noch seit 1556 die Ordinarieneigenschaft als Bedingung der Vollmitgliedschaft formuliert hatte84• Für nichtbesoldete Doktoren also gab es in den oberen Fakultäten wenn auch formell, so doch materiell keinen Platz. Daraus folgte das gleich noch gesondert zu besprechende Phänomen, das die Lizenz als eine Art Wartegrad besonders in der theologischen und juristischen Fakultät selbständige Bedeutung gewann. Einheimische Artisten, die die Doktorpromotion auch ohne Aussicht auf eine Berufung riskierten, hatten neben der Auswanderung die Möglichkeit, in der Artistenfakultät als Lehrer zu verbleiben und sich damit einen Anteil an den artistischen Hör- und Prüfungsgeldern, eventuell auch den Besitz einer Kol83 84
UA D III 8, 46.
V gl. Kap.
6 Anm. 63 ff.
III. Stände der Korporation
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legiatur oder der Regenz des Georgianums zu erhalten85• Gelegentlich begegnet in den Listen der artistischen Dekane oder Universitätskonziliare ein bereits promovierter Theologe, Jurist oder Mediziner, allerdings immer nur auf kurze Zeit. Besaß der solcherart Promovierte eine Pfründe wie eine der beiden Universitätspfarreien oder eines der kleineren Benefizien, so wurde seine Fakultätszugehörigkeit mit dem Promotionsakt zweifelhaft88 ; nur im Zusammenhang mit regelmäßiger Lesetätigkeit öffnete die Doktorwürde den Zugang zu einem der oberen Fakultätskollegien. Damit sind wir aber wieder am Ausgangspunkt des Gedankengangs. Doktoren ohne Professur gab es in den oberen Fakultäten mit vorübergehenden Ausnahmen nicht, wohl aber Professoren ohne Doktorgrad. Mithin implizierte der sprachliche Übergang von den doctores zu den professores odrinarii, wie ihn die Statuten zwischen 1472 und 1556 vollziehen, zwar eine Akzentverschiebung, nicht aber eigentlich eine sachliche Veränderung. Bisher hatte der inneruniversitäre Akt der Promotion im Zusammenwirken mit der inneruniversitären Bedingung des ordinarie legere die Vollmitgliedschaft in der Korporation nach sich gezogen, jetzt trat an ihre Stelle der staatliche Akt der Bestallung; beide Kriterien aber fielen, wie in der Anfangszeit der Universität, so auch noch am Ende des Berichtszeitraums, in der Regel zusammen. 2. Die Lizentiaten
Die obere Begrenzung des artistischen Fakultätskörpers erfuhr in der Frühgeschichte der deutschen Universität eine leichte, aber nicht unwesentliche Verschiebung. In Paris galt die Zugehörigkeit zur Fakultät und damit die Artisteneigenschaft bis zur Doktorpromotion in einer höheren Fakultät; selbst dann mußte sie nicht unbedingt erlöschen87• Dagegen wird in Caen 1439 statuiert, daß der Bakkalar schon mit dem Erwerb der Lizenz in die obere Fakultät hinüberwechsle88• In Deutschland ist der Gebrauch schwankend, wobei aber eine gewisse Tendenz festzustellen ist, die oberen Lizentiaten aus der artistischen Fakultät zu entlassen. Eine solche Entwicklung entsprach der Logik der 85 So etwa Johann Plümel, der zwanzig Jahre lang theologischer Lizentiat blieb, um sich seine Kollegiatur zu erhalten; vgl. Seifert, Collegium vetus 38. f. sowie unten Anm. 101. 86 Vgl. Kap. 6 Anm. 50 und Kap. 7 Anm. 183. 87 Das bekannte Zitat von Johannis Parvis "un theologien est de la faculte des arts jusqu'a ce qu'il ait le bonnet sur la teste" in Auctarium I xx. 1341 schloß die Artistenfakultät den theologischen Dekan aus (Denifle 125). Vgl. auch Ehrle, I piu antichi statuti, clxiv. 88 Fournier III 152 ff. § 5: "omnes bacchalarii, sive in theologia vel in iure canonico aut civili seu medicina, si magistri fuerint in artibus, reputabuntur de artium facultate, quousque ad licentiam pervenerint".
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5. Kapitel: Gliederung und Schichtung der Korporation
Dinge. Allgemein lagen die Gebühren für die Doktorpromotion in den oberen Fakultäten so hoch, daß sie für unbemittelte Scholaren nicht leicht zu erschwingen waren. Neben der billigeren Promotion im Ausland (besonders in Italien) bot sich der Ausweg an, sich vorläufig mit der Lizenz zu begnügen und auf die Verleihung einer Pfründe oder aber auf die Berufung auf einen besoldeten Lehrstuhl zu warten. Häufig übernahm in den Berufungsverträgen die staatliche Seite die Kosten der Promotion, die nun in kürzester Zeit nachgeholt werden konnte. Dieses Verfahren ist aus der Basler Gründungsgeschichte bekannt89 ; in Ingolstadt wurde 1472 Johann Permeter von Adorf allerdings noch als Sententiar berufen und im Jahr danach auf staatliche Kosten promoviert90 • Später wurden mehrfach juristische Lizentiaten zu Professoren ernannt und sofort zur Promotion nach Italien beurlaubt91 . Der gleiche Vorgang ereignete sich 1508 in der gerade vakanten theologischen Fakultät mit Johann Pettendorfer, der auf eine mit der Frauenpfarre verbundene Professur berufen, im folgenden Jahr in Ferrara die Doktorwürde erwarb92; die Ursachen freilich lagen hier anders als in der Juristenfakultät, in der Promotoren wohl immer vorhanden waren. Diese Umstände führten dazu, daß der Grad des Lizentiaten in den oberen Fakultäten selbständige Geltung gewann, während er bei den Artisten kaum jemals abgelöst vom Magisterium erwähnt wird. Der Lizentiat aber, als vollausgebildeter und nur auf seine Berufung wartender Theologe, Jurist oder Mediziner, war nicht mehr mit der gleichen Selbstverständlichkeit artista wie in der älteren Universität. Lizentiaten sind häufig auch ohne folgende Doktorpromotion mit Lehraufträgen, selbst ordentlichen, betraut worden, und sie gehörten in diesem Fall zur oberen Fakultät. Blieb andererseits eine solche Berufung aus, so mußte der Lizentiat interessiert sein, weiterhin als Artist zu gelten, um sich den Zugang zu den emolumenta der Fakultät oder den Besitz einer Kollegiatur nicht zu versperren. Auch in diesem Fall jedoch hob er sich als potentieller Doktor deutlich von den einfachen Artisten ab. Während sich das Pariser Klassifikationsprinzip noch in Prag und Heidelberg wiederfindet98, galten in Wien theologische und juristische ss G. Kisch, Die Anfänge der Juristischen Fakultät der Universität Basel 39 ff., z. B. Nr. 10 und 11. Do Vgl. Kap. 2 Anm. 126. 91 Z. B. Gabriel Baumgartner 1478, Johann Rosa 1483 (UA EI 1). 92 Mederer I 80 nach Georg. III/11 I. 93 Prag (Mon. hist. univ. Prag. I 98): "quod nullus graduatus de facultate artium debeat poni ad rotulum juristarum nisi fuerit doctor in iure canonico". - Heidelberg (Winkelmann 31 ff.): der Dekan muß "simplex magister in artibus, in alia facultate nondum birretatus" sein; ebenda S. 16 (1387): kein Lizentiat hat ein Stimmrecht in seiner oberen Fakultät "nisi inceperit in eadem".In Wittenberg wurde 1508 statuiert: "omnes . .. magistras ... appellamus artistas, donec doctorandi licenciam adepti fuerint, nisi forte doctoratu aut docto-
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Lizentiaten als Mitglieder ihrer oberen Fakultäten, ebenso später in Wittenberg94 • In Ingolstadt gestalteten sich die Dinge äußerst unübersichtlich. Die theologischen Fakultätsstatuten von 1475 veränderten den entsprechenden Abschnitt ihrer Wiener Vorlage dahingehend, daß neben Scholaren und Bakkalaren auch Lizentiaten nur in casu paucitatis zum Konzil zugelassen wurden95 • Ebenso schlossen die medizinischen Statuten von 1472 und die juristischen Statuten von 1524 die Lizentiaten von ihren Fakultätskonzilen aus96 • Dem entsprach die anfängliche Praxis, daß sich die obere Lizenz mit dem Besitz einer artistischen Kollegiatur vertrug97• Nachweislich haben sich höhere Lizentiaten am Vorlesungsund Prüfungsbetrieb der Artistenfakultät häufig beteiligt. In den allgemeinen Statuten von 1472 hingegen wurden die Lizentiaten neben Doktoren und Magistern als eigene Gruppe für konzilsfähig erklärt, was sich erübrigt hätte, wenn sie als Artisten betrachtet worden wären98 • Der Ausdruck doctores licentiati et magistri, der auch sonst häufig begegnet, zeugt von der besonderen Position, die dem Lizentiatenstand zwischen Doktoren und Magistern eingeräumt wurde; in dem besonderen Zusammenhang der alten Statuten mit ihrem in Fakultätskurien aufgegliederten Konzil mußte er bedeuten, daß die Lizentiaten nicht der artistischen, sondern ihrer jeweiligen höheren Fakultät zugeordnet wurden. Die spätere Praxis jedoch scheint das Gegenteil zu bezeugen. Vielleicht richtete man sich im konkreten Fall nach den gegebenen Umständen, also etwa danach, ob ein Lizentiat noch seine artistische Kollegiatur besaß oder sonst in der artistischen Fakultät tätig blieb, ob er überhaupt aus der universitätseigenen oder einer auswärtigen Fakultät hervorgegangen war, oder ob er vielleicht das Magisterium gar nicht besaß; schließlich vor allem danach, ob er bereits mit einer Lektur in der oberen Fakultät betraut war. Die Nova Ordinatio (1507) ließ die Lizentiaten im Kreise der konzilsfähigen Personen unerwähnt99 ; in den Statuten von 1522 erscheinen sie randi licencia adepta adhuc stipendiis artisticis militaverint"; zwei Jahre später wurde interpretiert, das "donec" sei inklusiv zu verstehen (Friedensburg, Urkundenbuch Nr. 26 und 27). o4 Kink I1 96, 136, 138. 95 Prantl II 56. 96 Prantl II 39 und Mederer IV 240. 97 Seifert, Collegium vetus 38 f., bes. Anm. 20; vgl. auch unten Anm. 101. 98 Mederer IV 59; vgl. auch oben Anm. 77. Die Anm. 93 wiedergegebene Wittenberger Bestimmung dürfte ungefähr auch für Ingolstadt zugetroffen haben: die Lizenz und selbst der Doktorgrad einer höheren Fakultät führte so lange nicht zum Austritt aus der Artistenfakultät, wie der Promovierte noch im Besitz eines artistischen Stipendiums (worunter neben Kollegiaturen usw. auch die schlichte Lese- und Promotionstätigkeit zu verstehen wäre) verblieb. 99 Vgl. Anhang V.
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wieder, jedoch nur, soweit sie in ihrer höheren Fakultät ordinarie lasen100• Inzwischen hatte sich die Problematik durch die Kollegreform vom 1518 kompliziert. Die Zugehörigkeit der Kollegiaten älteren Typs zur Artistenfakultät hatte nie einem Zweifel unterlegen, auch wenn sie es inzwischen zur Lizenz oder gar zum Doktorat in ihrer Studienfakultät gebracht hatten. Bezeichnend dafür ist ein längerer Streit, der im Jahre 1497 zwischen der Artistenfakultät einerseits und den theologischen Lizentiaten Johann Plümel und Leonhard Arnold andererseits ausbrach. Beide besaßen artistische Kollegiaturen, beanspruchten aber bei Prozessionen und Veranstaltungen einen Platz unter den Theologen. Die Artistenfakultät stellte sich dagegen auf den Standpunkt, Plümel und Arnold seien (eben in ihrer Kollegiateneigenschaft) Untergebene ihres Dekans, vor dem sie folglich nicht den Vorrang haben könnten, und sperrte ihnen für die Dauer der Auseinandersetzung ihre emolumenta. Im Jahre 1503 bestimmte schließlich ein Schiedsspruch, daß Plümel, der den Streit allein bis zum Ende ausgefochten hatte, solange dem Dekan nachzutreten habe, wie er an den Einkünften der Fakultät, wozu auch der Besitz der Kollegiatur zu rechnen ist, teilhaben wollte101 • Da der Kollegiat naturgemäß daran interessiert war, seine Pfründe erst im Tausch gegen eine obere Professur aufzugeben, finden sich höhere Lizentiaten in den Kollegiatenlisten schon frühzeitig recht zahlreich. Noch scheint es üblich gewesen zu sein, mit der Doktorpromotion bis zur Resignation auf die Kollegiatur zu warten, aber schon 1510 begegnet auch der Fall, daß ein Kollegiat den juristischen Doktorhut erwarb und dennoch fünf weitereJahreseinen Kollegplatz behauptete102• Die durch das Reskript von 1518 in Lehrstühle der oberen Fakultäten verwandelten Kollegiaturen aber konnte die Artistenfakultät nicht auf die Dauer unter ihrer Botmäßigkeit halten, wenn die Reform auch diese Lösung zunächst im Auge hatte103• Im Laufe einer heftigen Auseinandersetzung gelang es den neuen Kollegiaten in den Jahren 1522 und 1523, ihre Zugehörigkeit zur Fakultät bis auf unbedeutende Formalitäten zu lösen104 • Die endgültige Trennung wurde aber erst möglich, nachdem sich das Kolleg in den dreißiger Jahren aufzulösen begann, um die Kollegiaturen als normale, von der Kammer besoldete Lekturen zu entlassen105• Von nun an ging auch die Durchsetzung der Fakultät mit Lizentiaten und Doktoren oberer Fakultäten zurück. 1570 wird berichtet, Albert Hunger, damals noch Lizentiat, bedürfe dringend eines staatlichen Ge100 101 102 103 10 4 105
Mederer IV 185; vgl. Kap. 6 Anm. 72 ff. Mederer I 56 ff. Christoph Tengler, Dr. iur. 1510, Kollegiat 1504-14. Seifert, Collegium vetus 47 ff. Seifert 47 ff. sowie unten Kap. 6 Anm. 43 ff. Seifert 49 f.
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halts: dagegen schliessen ine die artisten auß irer facultet, allso das er derselben aceidentaUen cariert, unnd hatt doch ex facultate theologica auch nichts106• Anders lagen die Dinge nach wie vor, wenn ein Graduierter einer oberen Fakultät eine artistische Lektur innehatte. 1579 wurde Sebastian Knab, obwohl zum juristischen Doktor promoviert, unter die Artisten eingeordnet, solange er seine Ethikprofessur versehe107• 3. Die Studenten
Nach allem Gesagten kann nun die viel diskutierte Frage nach dem Status der Studenten in der alten Universität schärfer formuliert werden. Was die nichtgraduierten scholares der Artistenfakultät betrifft, so trug ihre Mitgliedschaft in der Korporation überall einen rein passiven Charakter, ohne daß dieses Prinzip jemals und irgendwo in Zweifel gestellt oder eingeschränkt worden wäre. Somit bleibt nur die Rolle der oberen studentes und innerhalb dieser Gruppe diejenige der adligen Studenten einer genaueren Untersuchung würdig. Es handelt sich dabei um eben den Personenkreis, der die Universitäten vom Typ Bolognas konstituierte. In der Mehrfakultätenuniversität des Pariser Typs dagegen teilte sich die obere Studentenschaft in zwei Gruppen gänzlich unterschiedlichen Rechts: diejenigen, die zuvor das artistische Studium absolviert hatten und dadurch zur universitas magistrorum gehörten, und alle anderen, die das Magisterium nicht besaßen und damit zu jeder Teilnahme an der Universitätsregierung disqualifiziert waren. Diese letzteren studentes waren nach ihrem Alter, ihrer Reife, weniger wohl nach ihrem Bildungsstand, nicht so sehr mit den artistischen Scholaren als mit den Magistern vergleichbar, neben denen sie in ihrer oberen Fakultät unter den gleichen Bedingungen studierten. Hinsichtlich ihrer Rechte jedoch waren sie den minderjährigen Artistenschülern in keiner Weise überlegen, wenn man davon absieht, daß es der Universität nicht gelang, sie in Bursen zu zwingen. Solche studentes waren in der theologischen Fakultät kaum, bei den Juristen dagegen schon in Paris sehr stark vertreten, und ihr Anteil wuchs noch in dem Maße, wie die artistische Vorschulung in Deutschland am Ausgang des Mittelalters weiter an Ansehen und Verbindlichkeit einbüßte. Es ist wichtig zu sehen, daß das Problem der studentischen Rechte hier und nur hier seinen Ursprung hat: nicht also darin, daß das Prinzip der Magisteruniversität (die ja gerade in Paris wesentlich zugleich eine Scholarenuniversität war) selbst zweifelhaft geworden wäre, sondern in dem Umstand, daß die Wandlungen des Studiensystems ihren Umfang einschränkten und einen Teil ihrer früheren Mitglieder 106
101
HStA Jesuitica 1748, 198 ff. (15. 6. 1570). Prantl II Nr. 102.
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freigaben. Nicht zufällig ist es gerade bei den Juristen, also in der Fakultät, die auf die Qualifikation des Magisteriums am frühesten und gründlichsten verzichtete und die nach der Zahl ihrer Studenten der Artistenfakultät am nächsten stand, mancherorts zu Unruhe und Aufruhr, in Prag sogar zur Sezession gekommen108• Zum Universitätskonzil hatten diese (wie alle anderen) studentes wohl nirgends in Deutschland Zutritt. Wo sich das Gremium, wie in Wien und Köln, provisorisch erweitert, bekennt es sich ausdrücklich zur Gültigkeit des alten Prinzips 109• Die Zulassung von Lizentiaten und Bakkalaren der oberen Disziplinen ist aber in Wien, Köln, Heidelberg und Erfurt110 eher als eine Modifikation der Fraktionsbildung, kaum als eine wirkliche Ausdehnung des Kreises der Berechtigten anzusehen. Die schwache Besetzung der oberen Fakultäten veranlaßte die Statutengeber, Lizentiaten und Bakkalare von der Artistenfraktion {zu der sie sonst gehört hätten) provisorisch in die Stimmkörper der oberen Fakultäten zu versetzen. Neben diesem unangefochtenen Magisterkonzil scheint vor allem in Prag und seiner Nachfolge, also in der "italienischen Tradition", eine Vollversammlung aller Universitätsangehörigen als Rektorwahlversammlung nicht ausgeschlossen. Weder in Prag noch in Erfurt oder Leipzig gestatten zwar die Statuten eine klare Anschauung der Verhältnisse; das italienische Texterbe verhindert sichtlich eine eindeutige Definition der universitas magistrorum, und es mag sein, daß es auch ihre klare Verwirklichung gehemmt hat111 ; obwohl die Vorstellung, daß unter den 108 Vgl. die Sezession der Prager Juristen 1372 und die Rebellion der Juristen Basels 1462 (Tomek 25 ff., Vischer 100 ff.). Im gleichen Licht muß wohl das Ausscheren der Pariser juristischen Bakkalare aus der Rotulusordnung gesehen werden (Chart. IV Nr. 1790). Interessant auch der Birettstreit, der Ende des 15. Jahrhunderts an der Heidelberger Universität zwischen den juristischen Bakkalaren und den Artistenmagistern ausbrach: der landesherrliche Entscheid ging davon aus, daß die Juristenstudenten "merito censentur artium magistris longe inferiores", die Juristenbakkalare aber gemäß alter Übung den Magistern gleichzustellen seien (Winkelmann Nr. 102, 144, 146 sowie S. 44). - 1487 forderte in Paris der Dekan der Kanonisten gleiche Rechte für seine "baccalarii non magistri" mit den Artistenmagistern; sie wurden bewilligt, sofern die Bakkalare wenigsten 5 Jahre (Adlige drei Jahre) studiert hätten (Auctarium Ill 636). Vgl. auch oben Anm. 46. 109 Kink II 83: Bakkalare werden zugelassen "donec magistri et doctores sufficienter multiplicentur"; ebenso in Köln (Bianco II § 46). Grundsätzlich solle es sein wie in Paris "ubi solum doctores et magistri intrant congregacionem". 110 Erfurt läßt Lizentiaten ins Konzil "donec ternarius numerous birretatorum (in jeder Fakultät) sit completus" (Weissenborn I rubr. V§ 1); für Heidelberg oben Anm. 93. Vgl. über den Fakultätenturnus Kap. 7 Abschnitt 3 II. 111 Die Prager Statuten sagen nichts über die Zusammensetzung der Wahlversammlung; im Zusammenhang mit dem Wahlgeschehen steht aber verräterisch ein "deficientibus magistrorum probationibus", als ob es selbstverständlich war, daß Einwände gegen den Gewählten nur von Magistern vorgebracht werden konnten(§ 1).
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scholares oder supposita auch die minderjährigen Artistenschüler Rektorwähler gewesen seien, wenig Wahrscheinlichkeit beanspruchen kann. In Prag ist ein Magisterkonzil erst klar für das Jahr 1392 nachweisbar, wenngleich seine Herausbildung sicherlich noch hinter das Entstehungsjahr der Statuten (1384) zurückdatiert werden kann112• Ob neben dem consiliumeine Gesamtversammlung als Wahlgremium existierte, bleibt ungewiß. Dieselbe Unsicherheit ist für Erfurt gegeben, wo zwar nur birretati konzilsfähig sind, aber tota universitas den Rektor wählen soll113• Unzweifelhaft jedoch ist diese Gesamtversammlung aller Universitätsangehörigen, wo sie etwa in aktiver Rolle erscheint, Übergangsphänomen auf dem Wege zu einer streng umschriebenen, allein berechtigten Magisterversammlung. Das gilt auch für Ingolstadt. Hier war das Universitätskonzil bereits durch den ersten Entwurf der Stiftungsurkunde als ein Magisterkonzil projektiert worden; die späteren Korrekturphasen bis zur Endfassung der Statuten hin hatten zwar an der Zusammensetzung dieser Versammlung einiges geändert, die Ausschließung von Studenten aller Art jedoch nicht rückgängig gemacht. Während aber dieses consilium generale nach den Statuten auch die potestas statuendi besaß, werden in der Einleitung derselben Statuten als Autoren neben doctores, licentiati, magistri, baccalarii auch reliqui studentes genannt114• Außerdem entwirft diese älteste Statutenfassung unterhalb des consilium generale eine Versammlung aller supposita mit letztinstanzliehen Entscheidungsbefugnissen115• Dagegen liegt die Rektorwahl beim consilium generale. Wenn man sich entschließt, diese auffälligen Passagen wörtlich und nicht als eine für die Praxis folgenlose Verirrung der Statutenautoren zu nehmen, so wird man in ihnen den Ausdruck der spezifischen Gründungssituation sehen müssen, in der die zahlenmäßige Schwäche des Lehrkörpers und die Autorität ungraduierter, zum Teil ehrenhalber Vgl. Kap. 6 Anm. 5. Weissenborn I rubr. II § 1 und rubr. V§ 1; vgl. Kap. 6 Anm. 6. 114 Mederer IV 58. Diese Formel ist aber (vgl. Anhang I) erst in der Korrektur des Statutenentwurfs eingetreten für "nos rector N. totumque consilium etc.". Offenbar waren die Statutengeber darauf aufmerksam geworden, daß nicht eine Instanz als statutengebend auftreten konnte, die von den gleichen Statuten erst eingesetzt wurde. Die Korrektur unterstellte nun, daß nur die Gesamtkorporation sich eine Verfassung geben konnte, durch die sie zugleich ihre Rechte an das Konzil abtrat; für die Wahl der neuen Formel mögen also eher theoretische Erfordernisse als der praktische Hergang der Statutengebung maßgeblich gewesen sein. In den Statuten von 1522 (Mederer IV 186) nennt sich bereits das Konzil als statutengebende Instanz ; allerdings handelte es sich hier auch formal nur mehr um eine Verfassungsrevision, nicht also wie 1472 um einen gleichsam urvertraglichen Akt der Korporationsbildung. 115 Vgl. ausführlicher Kap. 6 Anm. 13 ff. 112
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5. Kapitel: Gliederung und Schichtung der Korporation
immatrikulierter Standespersonen der kompromißlosen Formierung einer universitas magistrorum im Wege standen. Schon die herzogliche Eröffnungsadresse vom 2. 1.1472 war an alle Doktoren, Lizentiaten, Magister, Bakkalare, Studenten und dignitate, statu, eminencia fulgentes adressiert worden116• In der Matrikel erscheinen in der Zeit vom 18. 3. bis zum 23.7.1472 neben 38 Magistern und 10 Doktoren immerhin 22 Personen, die als domini bezeichnet werden, fast ausschließlich kirchliche Würdenträger und wahrscheinlich zum größeren Teil reife Männer: Vertreter des bayerischen Klerus, denen ihre Kapitel wohl auf Drängen des Herzogs Auftrag und Erlaubnis gegeben hatte, die neue Gründung mit ihrer Anwesenheit zu schmücken117• Im weiteren Verlauf wird diese Gründungssituation ihre Wirksamkeit eingebüßt haben. Spätestens in den Statuten von 1522 hatten die studentes, und zwar die artistischen sowohl wie diejenigen der höheren Fakultäten, jedes aktive Wahl- und Stimmrecht in der Universität eingebüßt. Kollektiv figurierten sie lediglich noch als "Umstand" beim Rektoratswechsel118 und als Auditorium einer allsemesterliehen Versammlung, in der der Rektor sie zu Disziplin und guter Sitte ermahnte und ihnen die Statuten vorlesen ließ119. Aus der Frühzeit sind gelegentlich studentische Gesuche an den Herzog um Berufung bestimmter Professoren berichtet, die manchmal sogar berücksichtigt wurden120• Bei der Befragung von 1497 äußerte sich ein schuller über Fleiß und Tüchtigkeit der Professoren121. Auch Disziplinverstöße nahmen gelegentlich in Gestalt von Aufläufen und Petitionen kollektive Formen an und zwangen einmal sogar den Senat, die polizeiliche Unterstützung der Städter in Anspruch zu nehmen122• All diese Vorfälle sind kulturgeschichtlich zweifellos interessant, verfassungsgeschichtlich jedoch ohne Relevanz. Eine Enklave studentischer Beteiligung am politischen Leben der Korporation stellte das passive Rektorwahlrecht dar, das in späterem Zusammenhang dargestellt werden wird123• Auch hier ist nun freilich von einer Wählbarkeit der studentes als solcher nur ausnahmsweise und mit Einschränkungen die Rede. Innerhalb der großen Gruppe der Nichtgraduierten beanspruchte und erlangte aber nun der studentische Adel einen Sonderstatus. 116 Mederer IV Nr. 10. 117 Matrikel Pölnitz I 7 ff. sowie Prantl II 37 f . 11s Vgl. Kap. 7 Anm. 208 ff. 110 Mederer IV 64 und 189. 120 UA EI 1; Prantl I 93. 121 Vgl. Kap. 3 Anm. 11 ff. (Georg Sinzenhofer); das "schuller" im Protokoll (HStA NKB 10, 130 ff.) ist ein Nachsatz von anderer Hand; der Stand Sinzenhofers ist mir nicht erkennbar. Vgl. Prantl I 103. 122 UA D III 4, 106 ff. 123 Kap. 7 Anm. 77 ff., 93 ff.
III. Stände der Korporation
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Auch an anderen Universitäten war schon im frühen 15. Jahrhundert die Ausschließung der Studenten durch die Heranziehung kirchlicher Benefiziaten und Dignitäre gemildert worden124• In der Ingolstädter Gründungsperiode darf man diesen klerikalen Adel, wie gesagt, hinter den überraschend in aktiver Rolle auftretenden studentes vermuten, ohne daß es dafür letztlich Beweise gäbe. Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts tritt aber neben dem kirchlichen nun der Laienadel in solchen Zusammenhängen in Erscheinung- und bald auch in den Vordergrund; Indiz dafür, daß er sich jetzt erst in stärkerem Maße am Studium beteiligte. In Ingolstadt fand eine ratio nobiLitatis et beneficiorum erstmals in einer Prozessionsordnung von 1475 Berücksichtigung, und zwar bezeichnenderweise nur unter den juristischen Studenten125• Bei der Befragung von 1497 spielte eine Sonderstellung, d. h. Bevorzugung des Adels in den "Lokationen" der Artisten eine größere Rolle. Briester und adel oder auch detaillierter edeHeut, doctor sone (!) briester und münich sollten nach den Vorstellungen der meisten Votanten den sonst nach der Leistung lozierten Promeventen fürgesetzt werden126• Entsprechend verordnete die Nova Ordinatio das jeder nach derzeit, darinn er intituliert ist, locirt wurde, außgeschiden die edlen unnd beneficiaten; den möcht man ein höherestat gebenn, wie auch anderstwo geschicht121• In der Prozessionsordnung der Statuten von 1522 wird der einfache Adel unmittelbar hinter den Bakkalaren und vor den älteren Studenten der höheren Fakultäten eingestuft, während die Wustres der dem Rektor folgenden Gruppe der Doktoren und Magister beigesellt werden128• Entsprechend hoch sind die sorgfältig nach den verschiedenen geistlichen und weltlichen Ständen aufgegliederten Immatrikulationsgebühren129• Bei öffentlichen Veranstaltungen war dem Adel bis zum baro herab ein Platz zur Linken des Rektors vorbehalten, während der niedere Adel mit den übrigen Studenten gleichgestellt wurde130• Rang- und Präzedenzstreitigkeiten begannen zumal im späteren 16. Jahrhundert eine größere Rolle zu spielen und ganze Aktenfaszikel zu füllen. Für die Verfassungsgeschichte sind sie nur als Hintergrund jenes später darzustellenden Adelsrektorats131 von Interesse, das man auf Vgl. Kap. 7 Anm. 96 ff. UA D III 1, 82: "De scolaribus autem juris qualificatis habeatur ratio nobilitatis et beneficiorum et ordinum". Vgl. über diese Prozessionsordnung oben Anm. 44. 126 HStA NKB 10, 133, 135' und öfter. 127 StB Clm. 1619, 78. 128 Mederer IV 193; die einfachen "nobiles" wurden dagegen den oberen Bakkalaren im Rang gleichgeordnet. 129 Mederer IV 196. 1ao Vgl. das Pedellstatut Anhang XIII. 1a1 Kap. 7 Abschnitt 3 II. 124 125
12 Seifert
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5. Kapitel: Gliederung und Schichtung der Korporation
Grund aller dieser Umstände nicht ohne sorgfältige Abgrenzung in den Zusammenhang des allgemeinen Studentenproblems stellen sollte. Die Bevorrechtigung des studentischen Adels stellte eine Konzession dar, die die in ihrem Selbstgefühl erschütterte scholastische Aristokratie der deutschen Kleinuniversitäten einer mehr und mehr aristokratisierten Umwelt zu machen für gut hielt, und somit ein Zeugnis dafür, daß der orbis academicus seine Geschlossenheit verlor, um sich nach der Welt hin zu öffnen. Das merkliche Vordringen des "Brotstudiums" gehört ja in den gleichen Zusammenhang. Am Status der Studentenschaft in der Universität änderte sich damit im ganzen gesehen nichts. Ihr Ausschluß von der Regierung der Korporation härte im gleichen Maße auf, eine Absurdität und ein Ärgernis zu sein, wie die Universität sich von einer Magister- zu einer Professorenuniversität entwickelte. Schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist dieser Prozeß in Ingolstadt abgeschlossen. Die parallele Situation des in den oberen Fakultäten studierenden Magisters und des Nichtgraduierten führte nicht dazu, daß der erstere den letzteren in den Stand der Vollberechtigung hinaufhob, sondern daß der studens den Magister ohne Professur zu sich auf den Stand der lediglich passiven Mitgliedschaft herabzog. Was das akademische Gradsystem nicht vermocht hatte, vollbrachte das staatliche Bestallungswesen: eine durch alle Fakultäten hindurchgehende, unverwischte Polarisierung des Lehrkörpers auf der einen und der nun erst mit dem modernen Sprachgebrauch faßbaren Studentenschaft auf der anderen Seite.
Sechstes Kapitel
Das Konzil (Senat) I. Der Ort des Konzils im Verfassungsschema Die Selbstverwaltung der mittelalterlichen Universität war regelmäßig auf drei Ebenen organisiert. Die Basis der Korporation wurde von der Versammlung aller Vollberechtigten mit verfassunggebender Befugnis und letztinstanzlieheT Entscheidungsgewalt eingenommen; an der Spitze stand das Rektorat mit unterschiedlich weitgehenden exekutiven, administrativen und jurisdiktioneilen Kompetenzen. Zwischen Basis und Spitze schoben sich in wohl allen Verfassungen weitere, mittlere Organe, teils als provisorische Behelfsämter, teils schon als feste Institutionen; häufig mit nur locker skizzierter, gelegentlich schon mit sorgfältig umschriebener Befugnis. Aus der Pariser Tradition gelangten auf dieser mittleren Verfassungsebene die Prokuratoren und die Dekane nach Deutschland, an der Mutteruniversität mit je eigenen, unterschiedlichen Verfassungsaufgaben ausgestattet. Nebeneinander finden sie sich- in nicht durchweg scharfer Kompetenzscheidung- in den Statuten Wiens1 • Die Preisgabe der Nationengliederung und infolgedessen des Prokuratorats hinterließ dann in der Verfassung dieser Tradition eine Lücke; in sie rückte in Köln das Dekanat ein, das, ohnehin unentbehrlich, in Deutschland allgemein einen merklichen Bedeutungsgewinn erfuhr2 • Bologna besaß auf jener mittleren Verfassungsebene nur die consiZiaTii, die sich in seiner Tradition in Prag, Leipzig und Erfurt wiederfinden. Von den sechzehnBologneserund Prager Konziliaren übernahm indessen Leipzig nur jene acht, die aus den Vorschlagslisten der Nationen stammten, Erfurt nur die anderen acht von den Fakultäten vorgeschlagenen consiZiaTii3 • 1 Kink li 80: Die Prokuratoren führen die Nationenversammlungen durch, sitzen dem Rektor "in causis universitatis pro sua nacione" bei, lassen aber den Dekanen "in congregacionibus, iudiciis et aliis publicis actibus universitatis" den Vorrang; übrigens sollen auch sie selbst möglichst aus verschiedenen Fakultäten stammen (vgl. Kap. 5 Anm. 10). 2 Vgl. unten Abschnitt IV sowie Kap. 5 Anm. 10 ff. 3 Vgl. Kap. 2 Anm. 55 und 59 und Kap. 5 Anm.11.
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6. Kapitel: Konzil (Senat)
Aus diesen zunächst nur locker institutionalisierten und pluralisch benannten Instanzen der mittleren Verfassungsebene begannen sich im 15. und 16. Jahrhundert in Deutschland feste Organe zu kristallisieren. In der italienischen Tradition entwickelte Erfurt 1447 sein consiHum secretum, während die Pariser Linie in Wien, Tübingen und Ingolstadt (1522) das consilium decanicum hervorbrachte4 • Eine Konzilsbildung fand aber ebenfalls auf der unteren Verfassungsebene statt. Ansätze für eine Institutionalisierung der Magisterversammlung waren mit der Fixierung des Einberufungsrechts und des Tagungsverfahrens schon verhältnismäßig früh gemacht worden. Entscheidend aber wirkte in dieser Richtung erst die Beschränkung der Zulassung, also die feste Umgrenzung der Mitgliedschaft der regierenden Versammlung. Die Pariser Magisterversammlung hatte sich noch als die universitas selbst empfunden. Diese Selbstverständlichkeit wurde, wahrscheinlich nicht zuletzt durch den italienischen Einfluß, in Deutschland erschüttert. In Prag nennt sich die Magisterversammlung, die sich erstmals zu Anfang der neunziger Jahre des 14. Jahrhunderts deutlicher erkennen läßt, nicht mehr universitas, sondern consilium universitatis5 ; in Leipzig wird als beschließendes Organ eine generalis convocatio magistrorum universitatis genannt, und Erfurt unterscheidet von der congregatio die Magisterversammlung als consilium universitatis0 • Die italienische Tradition zeigte sich vorerst allein anfällig, wie für den studentischen Anspruch überhaupt, so für die Empfindung, daß die regierende Versammlung der Magister genauerer statutenmäßiger Bestimmung und Rechtfertigung bedürfe. In Wien und Köln blieb die Magisterversammlung, von Zweifeln unangefochten, noch die universitas selbst. So auch zunächst in Heidelberg; hier aber sollte sich ein Repräsentativgedanke neuer Prägung und in seinem Gefolge ein consilium neuer Art herausbilden: das beschränkte Magisterkonzil, durch das nun auch die Gesamtheit der Magister nur mehr vertreten wurde7 • Überall in Deutschland befand sich also in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die volle Beschlußgewalt über die Angelegenheiten der 4 Weissenborn I rubr. II § 10 und 111 § 9. Kink II 84, 86 ff. - Tübingen erst 1537 (Roth, Urkunden 211). 5 In den Statuten von 1384 wird neben der "congregatio" oder "universitas" und dem Konziliargremium ein "consilium universitatis" genannt. Im Jahre 1391 ergeht ein Schiedsspruch in der Frage der Konzilszusammensetzung: in Zukunft sollen zum Konzil "omnes magistri, doctores cuiuscunque facultatis" Zugang haben, was offenbar gegen Versuche einer weiteren Verengerung gerichtet ist. Der Schiedsspruch beruft sich auf alten Brauch: "sicut a principio studii fuit observatum" (Mon. hist. univ. Frag. Ill 16 f.). - 1392 heißt es noch schärfer: "quod nullus intret consilium universitatis antedictae, nisi sit magister vel doctor alicuius facultatis antedictae" (ebendaS. 19). 6 Weissenborn I rubr. V§ 5, Zarncke 55. 7 Winkelmann 53, 161; vgl. auch unten Anm. 28 f.
I. Ort im Verfassungsschema
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Gesamtuniversität in den Händen einer Magisterversammlung, die sich teils noch als die Universität selbst, teils schon weniger unschuldig als ein dieselbe repräsentierendes "Konzil" verstand. Über dieser Basis der Selbstverwaltung waren auf der mittleren Verfassungsebene die verschiedenen Dekans- und Konziliargremien im Stadium der Kristallisation begriffen; auch sie verfestigten sich zu "Konzilien". Unterhalb jener Basis aber war die Gesamtversammlung aller Universitätsangehörigen einschließlich der Studenten, die tota universitas, vielleicht in der Bologneser Tradition noch für eine begrenzte Zeit an der Rektorwahl beteiligt, im übrigen aber überall auf die Rolle eines passiven Auditoriums reduziert8• Die Gründungsbestimmungen Nur von diesem Gesamtbild her wird die Ingolstädter Verfassung von 1472 verständlich; nur auf diesem Hintergrund zeigt sich ihre ganze Ungewöhnlichkeit, nur vor ihm läßt sie sich andererseits erklären. Die Stiftungsurkunde hatte in ihren älteren Fassungen einen gemainen rat vorgesehen, für den ein zweijähriges Magisterium als Mindestqualifikation gelten sollte. Diese Beschränkung der Mitgliedschaft fiel zwar in der Korrekturphase B'-C hinweg; dafür wurde dem Gremium jedoch in der Redaktion C eine genauere Definition seiner Kompetenzen mit auf den Weg gegeben: derselb rat (sol) macht haben, statut und ordnung in den sachen die universitet berürnd zumachen9• Die Gründungsstatuten folgen diesem Entwurf getreulich. Das consilium generale, wie der gemaine rat übersetzt wird, erhält volle Macht zu beschließen und zu statuieren, was immer nach ius commune und consuetudo in seine Zuständigkeit gehöre10• Solche Bestimmungen ergeben zusammen mit der Namensgebung und der zunächst geplanten Zulassungsbeschränkung das Bild einer auffälligen Institutionalisierung der regierenden Versammlung. Dieses Konzil war nicht mehr die lockere Zusammenkunft eines mehr oder weniger genau bestimmten Personenkreises, sondern vom ersten Moment an ein Organ. Mit der universitas galt es als nicht identisch; die Universität sol ainen gemainen rat haben schreibt der Stiftungsberief, und: quod universitas nostra debeat habere generale consilium - die Statuten. Die letzteren übernahmen aus der Stiftungsurkunde für ihr Konzil den Namen und die Kompetenzdefinition, erweiterten aber- nachdem die Korrekturphase B'-C den Weg dafür freigemacht hatte - die Mitgliedschaft auf etiam magistri in artibus, also auf einen Personenkreis, s Vgl. auch Kap. 5 Abschnitt III. v Prantl II 17. to Mederer IV 59.
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6. Kapitel: Konzil (Senat)
der sich mit der congregatio universitatis der Pariser Tradition genau deckte11 • Ihren besonderen Charakter erhielt diese Regelung der Mitgliedschaft aber eben dadurch, daß sie bewußt und ausdrücklich zu einem Stand der Dinge zurückkehrte, der schon nicht mehr als selbstverständlich empfunden wurde. Darüberhinaus galt dieses Konzil den Statutengebern auch nach seiner Erweiterung als ein enges, beschränktes Gremium, das die Gesamtuniversität repräsentierte, ohne mit ihr identisch zu sein. So wurde etwa der Rektor verpflichtet, jede konzilsfähige Person auf ihren Antrag hin binnen drei Tagen unter Vereidigung aufzunehmen12• Das Ingolstädter Konzil von 1472 war also eine Magistervollversammlung alter Art in ungewöhnlich stark institutionalisierter Gestalt. Unterhalt dieses Konzils jedoch sahen die alten Statuten eine Versammlung der Gesamtuniversität (omnia supposita) vor, bei der die letzte Beschlußgewalt in größeren Angelegenheiten lag13• Zu ihr hätten also nicht nur diejenigen Studenten der oberen Fakultäten gehört, die das artistische Magisterium nicht besaßen, sondern auch die minderjährigen Schüler der Artisten und die nichtstudentischen Universitätsangehörigen. Die Statuten erlauben die Einberufung dieser Vollversammlung nur in schwerwiegenden Angelegenheiten und bei Zustimmung der Mehrheit des consiHum generale. Eine solche Bedingungskonstruktion begegnet in ganz ähnlichem sprachlichen Gewand auch in den Statuten anderer Universitäten, dort jedoch ausnahmslos für die Beziehung zwischen einem engeren Konziliargremium und der Magistervollversammlung14• Eine parallele Relation bei unterschiedlichen Größen! Bezieht man in diese Beobachtung die früher festgestellten Besonderheiten des Ingolstädter consilium generale - seine starke Institutionalisierung, seine scharfe Kompetenzdefinition, seinen von Anfang an repräsentativen Charakter - ein, so ergibt sich die Folgerung, daß dieses Konzil, obwohl seiner Zusammensetzung nach eine Magistervollversammlung, auf der mittleren Verfassungsebene angesiedelt war. Vgl. aber zum Begriff des "magister actu regens" in Paris Kap. 5 Anm. 52. Mederer IV 59. Mederer IV 62: "at si cause qualitas poposcerit, de assensu, ut premittitur, tocius consilii vel majoris partis omnia supposita universitatis in unum convocare et rem, pro qua convocata sunt, in consultacionem ponere, et quid ab omnibus vel a majori parte conclusum fuerit, eo modo quo poterit execucioni mandare". 14 Vgl. dazu Wien (Kink II 84): "nec (rector) aliquam congregacionem faciat, nisi super articulis notabilibus consultis de omni congregacione facienda quatuor procuratoribus". Prag und Leipzig (Mon. hist. univ. Prag. 111 § 13, Zarncke § 11): "Si tarnen esset consulendum de re multum ardua, rector universitatis congregabit consilium universitatis super re illa, et quod ibi diffinitum fuerit, illud servetur per rectorem". Vgl. auch Fournier I 467 ff. § 9 (Toulouse) und Malagola § 11 (Bologna), wo es allerdings um die Genehmigung von Vollversammlungen durch die "consiliarii" geht. 11
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I. Ort im Verfassungsschema
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Dazu stimmt, daß die sonst üblichen mittleren Organe in den Statuten von 1472 fehlen 15• Die Dekane erhielten keine Funktion in der Gesamtuniversität zugewiesen, Prokuratoren waren nach der Preisgabe der Nationen nicht mehr vorhanden, die Leipziger Nationenkonziliare konnten ebenfalls nicht ohne weiteres übernommen werden. Nun fällt aber auf, daß die Mitglieder des consilium generale in den Statuten consiliarii oder persone consiliares heißen und daß sie eidlich unter anderem versprechen, dem Rektor in seinem Gericht beizusitzen16• Da überdies unter den Kompetenzen des Konzils neben den zu erwartenden Termini statuere, ordinare, diffinire auch ein überraschendes exequi auftaucht17, ergibt sich der zwingende Eindruck, daß dieses consilium generale die institutionalisierte Gesamtheit von consiliarii im üblichen Wortverständnis vorstellen sollte. Diese eigentümliche Verwechslung ist also dadurch entstanden, daß die Statuten für ihr Konzil Namen, Charakter und Verfassungsort aus der Stiftungsurkunde übernahmen, seine dazu passende Zusammensetzung aber veränderten. Die Magistervollversammlung kam dadurch auf die mittlere Verfassungsebene zu stehen, und für die untere Ebene des traditionellen Verfassungsschemas blieb nur eine Versammlung übrig, die nirgends sonst eine vergleichbare Funktion besaß, hier aber unter dem Zwang der vorausgegangenen Manipulationen an die Basis der Selbstverwaltungshierarchie gelangte: die Gesamtheit der supposita. Diese Erklärung bewahrt vor der Gefahr, den betreffenden Statutenabschnitt ganz wörtlich zu nehmen. Es ist sehr zu bezweifeln, daß eine Versammlung aller Universitätsangehörigen in dieser Funktion tatsächlich aus den Statuten heraus in die praktische Existenz getreten ist. Andere Bestimmungen, wie vor allem die allseitige Zuständigkeit des consilium generale, widersprachen dem Anspruch der Gesamtversammlung, deren Einberufung außerdem von der Zustimmung des dazu schwerlich bereiten Magisterkonzils abhing18• 15 Mit Ausnahme der beiden "clavigeri" und der nicht näher bezeichneten "assessores" des Rektorgerichts: Mederer IV 61 und 64. Vgl. dazu Kap. 9 Anm. 37 und Kap. 10 Anm. 94. 16 Mederer IV 59 und 63; ebd. 68 das "juramentum consiliariorum universitatis", darin u. a.: "promitto et juro, quod si oportunum extiterit, cum rectore et vicerectore sedebo in judicio et sentencias . . . juvabo promulgare". Die zweite Verpflichtung, zu helfen "ut cause studentum (sie!) .. sine captione exequentur", entspricht auffällig der Aufgabe der ursprünglich vorgesehenen Prokuratoren (Prantl II 14). "Consiliarii universitatis" heißen später auch die artistischen Wahlsenatoren (vgl. unten). Auffällig ist in den alten Statuten auch die häufige Nennung des Konzils oder der "consiliarii" in den Disziplinarvorschriften: etwa Mederer IV 63. 17 Mederer IV 59. 18 In den frühen Universitätsbeschlüssen findet sich einmal die Formel "tota conclusit universitas", aberBeweiswert hat sie wohl nicht: Prantl II 48.
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6. Kapitel: Konzil (Senat) Die weitere Entwicklung
Demconsiliumgenerale aber blieb eine doppelte Entwicklung zu absolvieren. Einerseits sollte es sich hinsichtlich seiner Zusammensetzung beschränken, andererseits, hinsichtlich seines Verfassungsorts, auf die untere Ebene, an die Basis der Selbstverwaltungshierarchie, gelangen. Diese Entwicklung ist in der Statutenredaktion von 1522 abgeschlossen. An der Stelle des consilium generale erscheint nun in enger Anlehnung an den Tübinger Sprachgebrauch ein consilium totum studium generale repraesentans, ein repräsentatives Konzil, für das alternativ erstmals die moderne Bezeichnung senatus gebraucht wird. Für dieses auf die Doktoren und eine vierköpfige Artistenvertretung beschränkte Gremium wird die Definition seiner Zuständigkeit und Vollmacht aus dem alten Statutentext übernommen; es besitzt also wie das Generalkonzil omnimoda potestas ordinandi, statuendi, decernendi et exequendi einschließlich der Rektorwahl, ohne daß ihm aber im Unterschied zu jenem in Gestalt einer Versammlung aller supposita eine weitere Instanz mit überlegener Kompetenz unter- oder besser übergeordnet bliebe19• Die ungewöhnliche Passage der alten Statuten gerät nun in Wegfall. Von einer Vollversammlung der Universität ist zwar beiläufig die Rede, irgendwelche Rechte werden ihr jedoch nicht eingeräume0 • Das Konzil hat mit seinem Namen auch seinen Platz in der Verfassung geändert, und da zwischen ihm und dem Rektor das Dekanskonzil neu entstanden ist, so ergibt sich eine neue Dreizahl der Instanzen, für die das Beziehungsschema der alten Statuten nahezu unverändert übernommen werden kann. Der Übergang der Universität Ingolstadt zum Kleinkonzil des Heidelberger und Tübinger Musters wird im detaillierten Hergang sogleich zu verfolgen sein. Für den jetzigen Zusammenhang genügt die Beobachtung, daß die Statuten von 1522 den Rektor diesem verengerten Konzil gegenüber in die gleiche Beziehung setzen, die 1472 zwischen ihm und der Gesamtversammlung (omnia supposita) statuiert worden war. Die häufige und leichtfertige Berufung des Konzils wird ihm untersagt, um die Konziliare nicht übermäßig zu belästigen und die Lektionen nicht zu stören. Sed rector vel sua auctoritate exequatur, aut, si opus fuerit, quatuor decanorum utatur consilio, ardua autem et magna ad patres referat, et hoc si duobus decanis unacum rectore referre deberi videbitur1• An die Stelle des alten Konzils, auf die mittlere Verfassungsebene, in die Vgl. im einzelnen unten Abschnitt li. Mederer IV 187 (Statuten 1522): "Interdicimus porro rectori sub pena arbitraria sindicatus, ne universitatem ipsam sub debito obedientie convocet, nisi ejusdem consilii aut quatuor decanorum assensu, aut arduitas negotii hoc expeteret." Von Befugnissen dieser Versammlung aber ist nicht mehr die Rede. 21 Mederer IV 186. tu 20
I. Ort im Verfassungsschema
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Rolle des interimistisch geschäftsführenden und die Konzilseinberufung genehmigenden Organs, ist somit das consilium decanorum gerückt. Die Sprunghaftigkeit dieser Veränderung wird am folgenden Schema klar: Ingolstadt 1472 Rektor consilium generale (3) omnia supposita
(1) (2)
Ingolstadt 1522 (Heidelberg, Tübingen) (1) Rektor (2) consilium decanorum (3) consilium repraesentans (omnia supposita)
Wien
(Erfurt, Köln,
Leipzig u. a.) (1) Rektor (2) consistorium (consiliarii, consilium secretum) (3) congregatio magistrorum (omnia supposita)
Die mittlere Ebene des traditionellen Dreierschemas hatte sich 1472 an der gleichen Stelle befunden, wo in Wien, Köln, Frag, Leipzig, Erfurt usw. die Basis der korporativen Selbstverwaltung gelagert war: bei der Gesamtheit der Magister. Im Jahre 1522liegt nun die untere Ebene nicht nur höher als die mittlere Ebene von 1472, sondern auch höher als die untere Ebene in der Mehrzahl der deutschen Universitätsverfassungen. Das Dreierschema erscheint also - unter Bewahrung des üblichen Beziehungssystems - gleich um zwei Stufen nach oben verschoben: reichte es in der Gründungsverfassung auffällig unter alle Norm in der schola~ stischen Hierarchie hinab, so ist es nunmehr, wenn auch in Übereinstimmung mit Beideiberg und Tübingen, umgekehrt bedeutend höher angeordnet als in der noch immer typischen deutschen Universitätsverfassung. Der oligarchische Charakter des Heidelberger Verfassungstyps, jene außerordentliche Verengerung der korporativen Basis, wird in Ingolstadt angesichts der - freilich wohl nur in der Theorie - exzessiv demokratischen Ausgangsposition von 1472 doppelt deutlich. Das Schema ordnet das neue Kleinkonzil auf halber Höhe zwischen der unteren und der mittleren Instanz des Vergleichstyps Wien ein. Mit der congregatio magistrorum verband das consilium repraesentans der Umstand, daß es die unterste und letztinstanzliehe Versammlung war, der weniger wichtige Angelegenheiten durch ein engeres geschäftsführendes Gremium abgenommen wurden; sein Platz im Verfassungssystem war also der gleiche. Seine Zusammensetzung hingegen, also die Tatsache, daß es, 1507 auf höchstens 15 Mitglieder fixiert und wenig später weiter verkleinert, die universitas magistrorum repräsentierte, ohne mehr mit ihr identisch zu sein, erinnerte eher an jene jeweils neunköpfigen Gremien, die in Wien, Leipzig, Erfurt usw. die mittlere Verfassungsebene besetzt hielten. Diese Verfassungskonstruktion der Statuten von 1522 ist für die Ingolstädter Universität durch die beiden folgenden Statutenredaktionen
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6. Kapitel: Konzil (Senat)
hindurch bis ans Ende des 18. Jahrhunderts gültig geblieben. Dieneuere Landshuter und Münchner Universitätsverfassung scheint sich jedoch nicht direkt an sie angeschlossen zu haben. Der "Akademische Senat" steht zwar bereits seit seiner Einführung am Beginn des 19. Jahrhunderts dem consilium repraesentans hinsichtlich seiner Zusammensetzung nahe, insofern das moderne Wahlsenatorenprinzip jenes Verfahren fortsetzt und zugleich auf alle Fakultäten erweitert, mit dem im 16. Jahrhundert die artistische Senatsvertretung ermittelt worden war22 • Was aber an diesem Vergleich nicht stimmt, ist wiederum der unterschiedliche Verfassungsort der beiden Gremien. Schon die Satzung des Jahres 1802 besaß unterhalb ihres engeren Senats eine Plenar-Versammlung der Ordinarien, bei der die Befugnisse der Rektorwahl und der Letztentscheidung in wichtigen Angelegenheiten verblieben und die als Nachfolgegremium des älteren Konzils verstanden wurde23• Da auch das Dekanskonzil vorläufig erhalten blieb2\ nahm der "Akademische Senat" eine neue, vierte Verfassungsebene zwischen dem alten consilium repraesentans und dem consilium decanicum ein. Schon im Jahre 1804 aber wurde das Decanicum abgeschafft, und zugleich scheint das Plenum schon im Sinne der heutigen Verfassung auf die Rektorwahl beschränkt worden zu sein25 • Der Senat rückte damit auf eine mittlere Verfassungsebene, die freilich hinsichtlich der auf ihr gelagerten Kompetenzen mit der älteren Verfassungsmitte nicht mehr ohne weiteres vergleichbar ist. Begreift man den "Akademischen Senat" als Nachfolgegremium des consilium repraesentans, so hat er im Vergleich zu diesem die Befugnis der Rektorwahl an eine größere Versammlung abtreten müssen. Sieht 22 Die Verfassungen von 1802 und 1804 setzten den Senat aus ständigen (von der Kuratel erkannten) und wechselnden Beisitzern zusammen. Als letztere fungieren 1802 der Rektor und drei Dekane, 1804 dann vier abwechselnd aus den acht Sektionen gewählte Wahlsenatoren. Seit 1827 wählten die ordentlichen und außerordentlichen Professoren je zwei Senatoren aus jeder Fakultät (einen für die staatswirtschaftliche Fakultät) aus dem Kreis der Ordinarien (Permaneder 466, 521, 537; Prantl I 720).- Nach der Satzung von 1965 setzte sich der akademische Senat aus Rektor, Prorektor, einem Mitglied des Verwaltungsausschusses, den Dekanen sowie je einem Wahlsenator aus dem Kreis der planmäßigen Professoren jeder Fakultät und insgesamt zwei Wahlsenatoren der apl. Professoren und Privatdozenten zusammen. 23 Fermaneder 521 f.: "Statt der bisherigen Plenar-Versammlung (soll) nach dem Beispiele anderer Universitäten ein engerer Senat theils aus wechselnden, theils aus ständigen Beisitzern der Fakultäten zusammengesetzt werden" (§ 2). Der bisherige Senat wurde demnach als Ordinarienplenum verstanden (wirklich hatte die Restriktion der philosophischen Senatsvertretung bereits zu Mederers Zeit nicht mehr bestanden, Mederer I xxx); bei ihm verblieben (§ 8) die Angarialien, die Rektorwahl, die Verhängung von Relegationen und die Entscheidung über wichtige Angelegenheiten, die durch Mehrheitsbeschluß des Senats vor das Plenum gebracht werden konnten. 24 Fermaneder 521. 25 Fermaneder 538 § 6.- Von Befugnissen des Plenums ist in der Verfassung von 1804 nicht mehr die Rede.
II. Zusammensetzung
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man ihn aber in der Nachfolge des consilium decanicum, so hat er einen gewaltigen Zuwachs an Kompetenzen erfahren. Diese Vergleichsschwierigkeit macht deutlich, daß die moderne26, auch die Münchner Universitätsverfassung nicht so sehr die HeidelbergTübingen-Ingolstädter Tradition fortsetzt als diejenige Wiens, Kölns oder Erfurts, wo unterhalb repräsentativer Konzilsgremien eine Magisterplenarversammlung zwar schon früh viel von ihrer älteren Bedeutung verloren, das Recht der Rektorwahl aber immer bei sich behauptet hatte. Bildungen von der Art des Wiener consistorium und des Erfurter consilium secretum sind hinsichtlich ihrer Verfassungsfunktion die direkten Vorläufer der modernen "Kleinen Senate", während die ältere Kleinkonzilsverfassung dort, wo sie wie in München die einheimische Tradition darstellte, den modernen "Großen Senat" 27 auf die Rolle einer Wahlversammlung zu beschränken vermochte.
II. Die Konzilszusammensetzung Die Organbildung an der Basis der Magisterkorporation, also die Entwicklung der congregatio magistrorum (als der universitas selbst) zum consilium universitatis, war in erster Linie an die Verengerung des Kreises mitsprache- und stimmberechtigter Personen, d. h. an die Herausbildung eines Kriteriums der Konzilsfähigkeit gebunden, das über das Artistenmagisterium als ursprüngliche Zulassungsbedingung hinausging. Die beiden Nachteile der alten Magisterversammlung, ihre Größe und ihr umständliches Fraktionsverfahren, hängen auf untrennbare Weise zusammen; ohne zahlenmäßige Verengerung des Gremiums war eine durchgreifende Verfahrensreform nicht denkbar, wenn anders das Gleichgewicht der Fakultäten als Grundprinzip der Universitätsverfassung gewahrt bleiben sollte. Aus dem gleichen Grunde und mit der gleichen Notwendigkeit mußte die Konzilsverkleinerung auf eine einseitige Verminderung der artistischen Sitzzahl hinauslaufen. Erst wenn die Zahl der artistischen consiliarii durch drastische Reduktion derjenigen einer höheren Fakultät angenähert, wenn also die Fakultätenparität, statt im Konzilsverfahren, in der Konzilszusammensetzung verankert war, konnten mit dem alten Fraktionssystem alle Reste jener itio in partes abgestreift werden, die den Zusammenhalt, die Einheitlichkeit der Versammlung untergruben. So war also die Mitgliederbeschränkung Voraussetzung für den Übergang vom Fraktions- zum Einzelstimmprinzip, und dieser wiederum die Bedingung für die Integration der regierenden Versammlung zu einem diskussions-und arbeitsfähigen Organ. 26 27
A. Kluge, Die Universitätsselbstverwaltung 27 ff. und 128 ff. Kluge 128 ff.
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6. Kapitel: Konzil (Senat)
Der hier skizzierte Weg war in Deutschland erstmals von Heidelberg beschritten worden, und die nach Tübingen weitergereichte Heidelberger Tradition ist es denn auch, die in Ingolstadt im Jahre 1507 zum Zuge kommt. Die Heidelberger Universität hatte bei ihrer Gründung mit dem Pariser Großkonzil begonnen. Bereits 1393 wurde aber festgesetzt, daß bei Uneinigkeit dieser Versammlung ein verkleinertes Gremium in Aktion treten sollte, in dem neben den Doktoren der oberen Fakultäten nur noch drei deputati facultatis arcium per eam pro consiliis studii assignati einen Sitz hatten. 1452 wurde der Anteil der Artisten in diesem inzwischen zu einer Monopolstellung aufgestiegenen Kleinkonzil auf fünf Personen erhöht28• Diese Regelung wurde von der Universität Tübingen bei ihrer Gründung- fünf Jahre nach Eröffnung der Ingolstädter Schule- übernommen. Die Statuten von 1477 gewähren neben dem Dekan nur weiteren vier Magistern Zugang zum Gremium der repraesentantes, folgen also Heidelberg genau in der Größe der artistischen Senatsfraktion2~.
Die Gründungsverfassung Die Problematik des Großkonzils älterer Art tritt in der Ingolstädter Gründungsperiode auf recht kennzeichnende Weise in Erscheinung. Die Erstfassung der Stiftungsurkunde hatte vorgesehen, die Mitgliedschaft im gemainen rat auf die Doktoren und - von den Artisten - auf diejenigen Magister und Lizentiaten zu beschränken, die nach ihrer Promotion zway jar auf das minst in der universitet offenlieh gelesen hätten30• Diese Bestimmung hätte die Regelung, die an verschiedenen Universitäten für die Zulassung zum artistischen Fakultätskonzil in Geltung war, auf das Universitätskonzil übertragen. Sie wurde in B'-C vielleicht einfach aus dem Grunde fallengelassen, weil eine neugegründete Universität über "zweijährige" Magister naturgemäß nicht verfügte. Nach der Streichung dieses Abschnitts überließ die Stiftungsurkunde die Organisation der Konzilszusammensetzung den Statuten, die das Restriktionsprinzip nun in aller Ausdrücklichkeit preisgaben. Der Wortlaut dieser Statutenbestimmung zeigt deutlich, daß die Statutengeber das Problem, das den Stifter beschäftigt hatte, nicht ignorierten, sondern aus bestimmten Gründen trotzdem von seinem Plan abweichen zu müssen glaubten: Deinde volumus ut doctores et licentiati omnium faculta-
tum, ac etiam magistri in artibus, qui membra universitatis nostre et in matricula eiusdem intitulati ac incorporati sint, eidem consilio tan28 Winkelmann Urkundenbuch 5, 53 f., 161; Ritter I 121. Vgl. auch unten Anm. 51. 20 Roth, Urkunden 42. 30 Prantl II 17.
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quam persone consiliares interesse et ... vota sua dare possint et debeant31.
Die Zulassung aller Magister zum Universitätskonzil war, wie gesagt, nicht neu, sondern entsprach zu diesem Zeitpunkt noch der allgemeinen Regel, von der nur Heidelberg eine Ausnahme machte. Neu war, daß diese Zulassung nicht mehr selbstverständlich und stillschweigend geschah. Der zitierte Satz zeigt, daß die allgemeine Regel, vielleicht unter dem Einfluß Heidelbergs, problematisch geworden war. Tatsächlich folgte ja schon fünf Jahre später Tübingen dem Heidelberger Vorbild, während Ingolstadt sich 1507 dieser Reihe anschließen sollte. Der Grund, warum 1472 eine ähnliche Regelung noch einmal unterblieb, ist unschwer zu erraten. Die Zahl der Magister war im Sommer 1472 doch noch so begrenzt, daß die Ausschließung eines Teils von ihnen weder notwendig noch leicht durchführbar erscheinen mußte. Auch in anderer Beziehung dehnen ja die alten Statuten das Mitspracherecht auf einen unerhört weiten Personenkreis aus, während in gleicher Weise die ältesten artistischen Fakultätsstatuten darin von ihren Vorbildern abwichen, daß sie die Bedingung eines gewissen Seniums für die Zulassung zum Fakultätskonzil nicht übernahmen32• 1478 aber forderte die Artistenfakultät dann doch ein vierjähriges Magisterium von ihren consiliarii33• Spätestens von diesem Moment an wurde die Universitätsverfassung in diesem Punkt absurd, indem die Artistenfraktion im Universitätskonzil umfangreicher war. als das Artistenkonzil, ein junger Magister also bedeutend eher in die erstere als in die letztere Versammlung gelangte. Ähnlich muß die Lage übrigens in Wien, Erfurt und Leipzig gewesen sein, wo ebenfalls die Fakultät, nicht aber die Universität mehr als nur das einfache Magisterium für die Zulassung zu ihren Konzilen verlangten.
Die Konzilsreform (1497-1522) Zu dieser Widersinnigkeit gesellten sich die schon erwähnten anderen Nachteile der Großkonzilsverfassung: die eklatante zahlenmäßige Ungleichheit der Fakultätsfraktionen und das umständliche Fraktionsverfahren, das in dieser Situation die Parität der Fakultäten gewährleisten mußte. Das alles wirkte zusammen, um schon gegen Ende des Jahrhunderts den Gedanken einer Konzilsreform aufkommen zu lassen. Bei den Beratungen von 1497 wurde er eingehend diskutiert. Johann Permeter von Adorf als Rektor regte an, neben dem großen ein kleines Universitätskonzil zu schaffen; sein Fakultätskollege Georg Zingel griff diesen 31 Mederer IV 59. 32 Mederer IV 70: "omnes magistri universitati incorporati". 33 Prantl II 88, allerdings mit DispensklauseL
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Vorschlag auf und erklärte, für den engeren rat solle die gleiche Zulassungsbedingung gelten wie für das Fakultätskonzil34• Das hätte also bedeutet, daß Magister nur nach vierjähriger Regenz aufgenommen worden wären, womit das Restriktionsprinzip der älteren Fassungen der Stiftungsurkunde noch verschärft worden wäre. Der Kollegiat Johann Eckental schloß sich dieser Idee an, wollte es aber bei einer dreijährigen Regenz als Kriterium bewenden lassen. Einen anderen Beschränkungsmodus brachte J ohann Rosa, Professor der juristischen Fakultät, in Vorschlag: dem Konzil sollten alle besoldeten Lehrkräfte (so von der camer sein), dazu von den Artisten der Dekan, die theologischen Lizentiaten und Bakkalare sowie die Bursenkonventaren angehören - also ein sehr vorsichtiger Plan, der immer noch eine starke Artistenfraktion übriggelassen hätte. Hieronymus de Croaria, soeben aus Tübingen berufen, wollte alle die so lesen in den hohen faculteten (also wohl einschließlich der Bakkalare und Lizentiaten), den Artistendekan und abwechselnd je drei Kollegiaten in den kleinern rat aufnehmen, was der Tübinger Regelung entsprochen hätte. Dagegen plädierte der juristische Lizentiat Johann Ramelspach für die Aufnahme aller Kollegiaten. Ein sehr viel größeres Konzil schwebte dem Artistendekan Leonhard Gans vor; außer allen so besoldnet waren zu der universitet, wozu von den Artisten immerhin schon die sechs Kollegiaten sowie der Poet und der Mathematiker gehörten, wollte er noch weitere acht bis zehn Magister aufnehmen lassen, wodurch sich nach seiner nicht recht begreiflichen Rechnung eine Gesamtzahl von 33 Konzilsmitgliedern ergeben hätte. Die übrigen Votanten, soweit sie sich zu der Frage äußerten, schlossen sich entweder einem der genannten Vorschläge an oder begnügten sich mit einem unbestimmten Ja oder Nein35• Wenn also die Pläne zum Teil recht erheblich voneinander abwichen, so stieß doch der Gedanke der Konzilsverkleinerung als solcher kaum auf Widerstand, auch nicht in den Reihen der zahlreichen befragten Artisten, die ja die einzigen Betroffenen einer solchen Regelung sein sollten. Diese befremdliche Beobachtung mag sich damit erklären, daß der überwiegende Teil der Befragten ältere Magister waren, denen nach den meisten Plänen die Konzilsmitgliedschaft verblieben wäre; sie zeugt aber wohl auch von der sachlichen Überzeugungskraft des neuen Gedankens. Die Nova Ordinatio von 1507 entschied sich angesichts dieser Einhelligkeit für eine recht einschneidende Lösung, indem sie im ganzen nur sechs Artisten im Universitätskonzil beließ, nämlich außer dem Dekan in dieser Reihenfolge zwei Kollegiaten, den Poeten (Jakob 3'
35
Prantl 11134, 135; vgl. auch Anhang IV. HStA NKB 10, 133' ff.; vgl. Anhang IV.
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Locher-Philomusus), den Astronomen (Johann Ostermaier) und den Regens des Georgianums. Da aber der Poet und der Astronom-Mathematiker im Grunde genommen außerhalb der Artistenfakultät standen, so waren im engeren Sinn nur vier Artisten konzilsfähig und damit hinsichtlich der Zahl schon der Stand der Dinge erreicht, der dann in den Statuten von 1522 verankert wird36• Dagegen hat sich die Bindung der Konzilsfähigkeit an Professur (Kollegiatur) und Amt (Regenz des Georgianums), wenn sie die Beratungen des Jahres 1507 überhaupt überlebt hat, nicht bis in die zweite Statutenredaktion hinein erhalten. Vielleicht geht die dort erscheinende Regelung, wonach die drei artistischen Konzilsvertreter (neben dem Dekan) durch Wahlhandlung der Fakultät ermittelt wurden, auf die "Reformatio" des Jahres 1515 zurück, die in den Akten als Werk der Ratskommission Eck-Ilsung-Aventin mehrfach erwähnt wird37 • Seit dem Frühjahr 1516 jedenfalls wählte die Artistenfakultät, und zwar von nun an regelmäßig, zusammen mit dem Dekan und seinen zwei assessores in jedem Semester auch drei consiliarii für das Universitätskonzil, so wie es die im folgenden Jahr (1517) hergestellten Statuten vorschreiben38•
Der Kampf um die artistischen Senatssitze Aus diesem Verfahren entstanden in der Folgezeit die heftigsten Konflikte zwischen Fakultät und Universität. Durften nämlich die oberen Fakultäten mit der zahlenmäßigen Beschränkung der artistischen Konzilssitze wohl zufrieden sein, so kam es ihrerseits sehr bald zu Versuchen, auf die Wahl der Fakultät mit dem Ziel Einfluß zu nehmeni bestimmte, besonders tüchtige oder gar in der Universität beamtete Personen für das Universitätskonzil zu gewinnen. Naturgemäß ließ sich die artistische Fakultät bei ihren Wahlen nicht allein von solchen gemeinnützigen Gesichtspunkten leiten. Ende 1517 beschwerte sich die Fakultät zum erstenmal über einen Einmischungsversuch der Doktoren bei Leonhard Eck; der Patron möge sie in ihrem Recht schützen, ut (facultas) ... consiliarios suos ad conaa StB Clm. 1619, 78'. Vgl. Anhang V.
Med. IV 185. Vgl. oben Kap. 3 Anm. 57 f. UA Georg. III/22, 14' (1. 5. 1516). Vgl. Anhang VIII die Liste der artistischen Senatoren. 1529 wurde der Wahlvorgang so beschrieben: "in consiliarios vero desumpti sunt ex minori consilio ad consilium universitatis etc." (ebd. 99'). Am 28. 10. 1516 wurden drei "consiliarii universitatis" gewählt mit dem Zusatz: "hoc tarnen adiecto, si una persona excreverit in consilio, ut iunior cedat" (f. 20). Diese Befürchtung erklärt sich so, daß gleichzeitig ein Artist Prorektor war. Später wurde durch einen solchen Fall die Konziliarwahl nicht berührt. 37
38
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silium universitatis pertinentes eligat et non ipsi doctores 38 • Eck gab jedoch keine Antwort. Drei Jahre später entzündete sich der Konflikt von neuem, und zwar besonders an der Person Georg Schwebermaiers, der bereits seit mehreren Jahren Kämmerer und damit, nicht einmal unbedingt nach dem Rektor, der wichtigste Beamte der Universität war. Als einfacher Magister, der es bis zu seinem Lebensende nur zum theologischen Bakkalar brachte, konnte Schwebermaier nur als Delegierter der Artisten in den Senat gelangen, wo er aus naheliegenden Gründen unentbehrlich war. In den Listen der consiliarii fehlte er jedoch gelegentlich40. Aus diesem Grunde veranlaßte Eck im Oktober 1520 bei der Fakultät, daß Schwebermaier und neben ihm auch der derzeitige Regens des Georgianums Johann Schröttinger zusammen mit dem Dekan ständige Mitglieder des Universitätskonzils sein sollten, während der vierte consiliarius aus dem Kreis der Bursenkonventaren oder der Fakultätskonziliare zu wählen sei. Die Fakultät fügte sich propter . .. bonum pacis hac vice cum protestacione, nahm sich aber vor, den Patron besser zu informieren41 • In der Folgezeit komplizierte sich diese Problematik durch die Kollegreform von 151842. Da das herzogliche "Rescriptum" den Status der neuen Kollegiaten-Lizentiaten in der Universitätsverfassung zu regeln versäumt hatte, blieb es dem Lauf der Dinge überlassen, hier zu Lösungen zu gelangen, die der verwickelten Sachlage entsprechend nicht einfach zu finden waren. Der in einer der höheren Fakultäten Vorlesungen haltende Kollegiat blieb im Bewußtsein der Zeitgenossen ein Artist, ob er nun die Doktorwürde erwarb oder nicht, denn das Kolleg unterstand nach wie vor der Botmäßigkeit der Fakultät und ihres Dekans. Sicher hätte es nahegelegen, diese Lektoren durch herzogliche Verfügung von sich aus für senatsfähig zu erklären; da eine solche Verfügung jedoch ausblieb und die Universität ihrerseits kein Interesse bekundete, ihr Konzil zu erweitern, so blieb diesen, gegenüber den einfachen Magistern deutlich erhobenen Kollegiaten in den Senat nur der Weg über sv UA Georg. 111/22, 24 (29. 12. 1517): .,facultas ordinavit, doctor Leonhardus de Eck precandus sit, ut facultatem in suo privilegio conservet, videlicet illo ut . . . consiliarios suos ad consilium universitatis pertinentes eligat et non ipsi doctores; licet hoc magistro curie propositum fuit, nullum tarnen ad hoc dedit responsum". 40 So im WS 1517/18; trotzdem nahm er am 26. 12. 1517 (.,ad consilium petitus") an einer Sitzung teil (UA D III 4, 18), vgl. auch Anhang VIII. 41 UA Georg. III/22, 48' (28. 10. 1520): .,De consiliariis vero universitatis controversia fuit, nam de mente domini doctoris Eckii de Wolfs Eck est, quod semper decanus pro tempore existens in eodem consilio sit, ... magistri Georgius Sehebeimair et Johannes Schrotting novi collegii regens, sed pro quarto eligatur unus ex dominis conventoribus vel ex consilio facultatis; in quo item domini conventores minus contenti fuerant, propter tarnen bonum pacis hac vice cum protestacione assenserunt, donec magistrum curie lacius informent." 42 Vgl. oben Kap. 5 Anm. 57.
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die artistische Delegation, d. h. über die Wahl eines gewiß von mißgünstigen Gefühlen nicht freien Fakultätskonzils. Kein Zweifel, daß eine solche Diskriminierung nicht im Sinne der Kollegreform war. Seit dem Jahre 1522 finden wir die neuen Kollegiaten gegen den zähen Widerstand der Fakultät bemüht, ihre Artisteneigenschaft, die in Gestalt von Kleidervorschriften, Konzilszwang und Unterordnung unter den Dekan in handgreiflicher Weise lästig war, abzustreifen. Beinahe gleichzeitig begann ihr Kampf um eine feste Anwartschaft auf einen Sitz im UniversitätskonziL Zur gleichen Zeit, als die neuen Statuten den Artisten vier Vertreter im Universitätskonzil zubilligten, waren somit der Begriff der Artistenfakultät, ihre Abgrenzung gegenüber den höheren Fakultäten und ihre Stellung in der Gesamtuniversität problematischer denn je. Im Oktober 1522, als die Statuten eben zur endlichen Bestätigung an den Herzog nach München abgegangen waren, wurde die Auseinandersetzung durch das Verlangen der beiden Kollegiaten Johann Schröttinger und Matthäus Luchs ausgelöst, in Zukunft als ständige Konziliare (persone fixe) zu gelten. Beide waren als Lizentiaten der theologischen bzw. der juristischen Fakultät kraft herzoglichen Reskripts auf Kollegiaturen und Universitätslekturen gelangt, und sie begründeten ihren Anspruch einerseits mit dem Hinweis auf diese ihre Stellung, andererseits damit, daß sie im vergangeneo Semester als Artistenvertreter im Senat gewesen seien, nun aber die Fakultät vorhabe, andere an ihrer Stelle zu wählen43• In der folgenden Auseinandersetzung lag das Unrecht weder auf Seiten der Kollegiaten mit ihrem durchaus verständlichen Anspruch, noch bei der Fakultät, die ihre Senatssitze und ihr Wahlrecht zu behaupten suchte, sondern bei der Universität und ihrem Patron, die sich darauf versteiften, Schröttinger und Luchs nur in ihrer fragwürdigen Artisteneigenschaft im Senat zu haben. Leonhard Eck kam den beiden mit der Anordnung zu Hilfe, daß generell diejenigen Kollegiaten, die vom Herzog zu Lektoren in einer oberen Fakultät ernannt würden, usque ad deputatum numerum semper sint persone fixe in consilio universitatis. Da zudem für den Kämmerer Schwebermaier die besondere Regelung getroffen wurde, daß er als senior et plus expertus auf Lebenszeit consiliarius sein sollte, war die Zahl der in der Verfügung der Fakultät stehenden Senatssitze erreicht 43 UA D III 4, 103 f. (10. 10. 1522): (Schröttinger und Lutz) "petierunt certiores fieri super eo, quod ad tempus usque huc consiliarios universitatis gesserint, dominus Joh. Schröttinger ut unus ex electis per facultatem artisticam, dominus Matheus vero ut decanus eiusdem facultatis. Quoniam autem ex rescripto illustrissimi nostri principis lectores universitatis facti sunt, quid turn ipsis veniat faciendum, ubi facultas artium statuto tempore alios consiliarios ex facultate ut antea eligere presumat, ut supra in proximo consilio".
13 Seifert
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und ihr Wahlrecht praktisch aufgehoben; nur über das Dekanat konnte ein Magister noch, wenn er nicht zu diesen persone fixe gehörte, in das Universitätskonzil gelangen44 • Die Fakultät erhob gegen die Anordnung sofort Protest und ordnete eine Gesandtschaft zu Eck ab, die die Antwort zurückbrachte, der Patron wolle nichts ändern, sei aber bereit, mit den Magistern zu diskutieren. Darauf fügte sich die Fakultät für diesmal, erklärte aber nichtsdestoweniger, an ihren Ansprüchen festzuhalten. Beim nächstfälligen Termin im Frühjahr 1523 wurde die Wahl der consiliarii zunächst aufgeschoben; dann aber beugte sich die Fakultät einem neuerlichen Befehl Ecks, wenn auch wiederum nur provisorisch und vorbehaltlich des Versuchs, den Patron oder den Herzog besser zu unterrichten45 • Im Herbst 1523 wurde die Wahl ein weiteres Mal verschoben. Wenig später aber zeigte sich die Universität zum Nachgeben bereit. Die Artistenfakultät unterwarf sich einer amabilis compositio des Senats, die bestimmte, daß die beiden Lizentiaten in Zukunft nicht mehr die artistischen Sitze beanspruchen, sondern als Angehörige ihrer jeweiligen oberen Fakultät in das Konzil gelangen sollten. Der Fakultät wurde das Recht, durch freie Wahl über die ihr zustehenden vier Sitze zu verfügen, ausdrücklich zurückgegeben48 • 44 UA D III 4, 104 (10. 10. 1522): "Desuper volente et scribente domino Leonardo Egkio universitatis patrono, placuit etiam dominis de consilio universitatis, ut, quandocumque contingat licentiatos ex dominis collegiatis et ita de facultate arcium esse Ieetores in universitate, quod illi usque ad deputatum numerum semper sint persone fixe in consilio universitatis, quemadmodum et dicti domini licentiati fixi permaneant unacum domino magistro Georgio Schbebermayr tamquam seniore et plux experto, quousque vixerit. Electo itaque eiusdem facultatis decano, qui etiam consiliarium universitatis exhibet, ... ipsa facultas artistica unacum tribus predictis tribus suas personas in dicto universitatis consilio habeat." 45 UA Georg. III/22, 66 (16.10. 1522): " ... proponebatur dominis, quod dominus Eckius magister curie vellet deinceps duos licentiatos dominum Johannem Schrottinger et d. Matheum Lutz et cum eis d. Georgium Schwebe1mair tamquam seniorem et expertum semper ... fixosmanerein consilio universitatis." Die Betroffenen verlassen das Konzil, das beschließt: "non velle in hoc consentire, sed velle propterea legatos mittere ad" L. Eck. "Qui reversi nuntiarunt Eckium non in illo proposito nihil velle mutare; velit tarnen, cum Ingolstadium veniret, cum dominis super illo disputare. Protestabatur tune vicedecanus d. doctor Nicolaus Apell nomine facultatis, quod inclita facultas velit illam continuationem dominorum licentiatorum et magistri Georgii Schwelmair pati per illam mutationem, sed perhocnon velit in aliquo derogare iuri facultatis artium." Dennoch wurden am 28. 10. neben Luchs (der im WS 1522 Rektor war) und Schröttinger zwei weitere Magister gewählt, nicht Schwebermair (f. 66'). Am 1. 5. 1523 wurde die Konziliarwahl vertagt, am 1. 7. 1523 schließlich beschlossen: "tolerare iussa" Ecks "donec vel Eckius vel princeps illustrissimus noster informaretur" (f. 69). 46 UA Georg. III 22, 70': Am 26. 10. 1523 wurde die Wahl aufgeschoben und eine Gesandtschaft zu Eck gesandt, die erklären sollte: "si doctores et licentiati nobis preciperent subsellia consilii universitatis, attamen nostrum consilium parum vel nihil curarent neque decanum ut caput eorum noscere vellent".
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So vernünftig und naheliegend diese Lösung war, so fand in ihr die Person Georg Schwebermaiers keine Berücksichtigung, der zwar Kollegiat, aber nicht Lizentiat und Lektor einer oberen Fakultät war und dennoch nach einer mehrjährigen Amtszeit als Kämmerer zu den erfahrensten und am schwersten zu entbehrenden Universitätsmitgliedern zählte. Ein Jahr nach jener Schiedsregelung verlangte deshalb der Rektor Marstaller namens des Senats und mit Berufung auf die Anordnung Ecks von 1522, die Fakultät möge einen ihrer gewählten Konziliare zurückziehen und dafür Schwebermaier als persona fixa ins Konzil entsenden. Die Fakultät widersprach mit der legitimen Begründung, jener Befehl Ecks sei von ihr nie anerkannt worden und obendrein durch den Schiedsspruch von 1523 überholt. Im übrigen wolle die Fakultät in Zukunft bei der Wahl ihrer consiliarii gern auf die Wünsche der Universität Rücksicht nehmen47• Die Universität war diesmal unnachgiebig und suspendierte vorläufig alle artistischen Konziliare mit Ausnahme des Dekans und Schwebermaiers. Die Fakultät entgegnete wiederum sehr vernünftig, warum die Universität Schwebermaier, wenn sie auf ihn solchen Wert lege, unbedingt als artistischen consiliarius und nicht in irgendeiner anderen Eigenschaft berufen wolle. Im übrigen blieb sie dabei, ihre Wahl nicht zurückzunehmen und sich nicht selbst ihrer Freiheiten berauben zu wollen. Eck wurde zur Entscheidung angerufen, er scheint aber nicht -Am 3. 11. 1523 (f. 72) wurde den Artisten ein Beschluß des Senats mitgeteilt: alle in einer anderen Fakultät Promovierten seien künftig nicht mehr "loco artistarum, sed quivis in sua facultate ubi promotus" Senatoren. Das Dekanatsbuch fährt fort: "Dein processimus ad priscinam nostram electionem consiliariorum universitatis, quia domini de universitate amplius nolebant nobis precludere viam, quin possemus tres ad libitum ex nostris in consiliarios eligere." Am 4. 11. 1523 wurde dieser Beschluß auch in das Senatsprotokoll (UA D III 4, 158) eingetragen: "Primo quod supradicti domini sedeant in consilio universitatis non ut electi de facultate artistica, sed ut doctores et licentiati superiorum facultatum, et non sedeant sub decano; possint etiam desuper dominus decanus et facultas artium alios tres magistros ex gravioribus tarnen iuxta statutum eligere." 47 UA Georg. III/22, 78' (7. 11. 1524): "Eodem die proposui facultati ex mandato rectoris domini Leonardi Marstaller et consilii universitatis, quod facultas debeat amovere unum ex tribus consiliariis tune a facultate electis et loco eius recipere magistrum Georgium Schbebelmair ut personam fixam in consilio universitatis ex decreto edicto." Vgl. auch UA D III 4, 190. Die Fakultät ließ darauf erwidern: "illam electionem esse legitimam, et quod facultatem illud decretum haud liget, cum facultas artium numquam in istud consenserit, postquam aliud pactum seu concordia deinde cum dominis licentiatis Johanne Schrottinger et Matheo Lutz intervenerit, qua libera electio trium personarum ex gravioribus tarnen ad consilium universitatis una cum decano libere concessa est facultati artium; preterea quod prefatum decretum de fixa persona eligenda pugnet cum statutis universitatis per illustrissimum principem Guilelmum confirmatis. Debeant itaque prefatis dominis supplicare, ut illam electionem iam ratam habeant propter opprobrium, quod amovendae personae possit suboriri. Ceterum in futurum velit facultas eas personas eligere, quae consilio universitatis minime essent displiciturae". 13•
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geantwortet zu haben. Beim nächsten Termin, im Frühjahr 1525, wurde Schwebermaier gewählt, aber ausdrücklich nicht als persona fixa, sondern als ordentlicher Delegierter. Auch in den folgenden Jahren bis zu seinem Tod im Jahre 1530 begegnet Schwebermaiers Name mit nur einer Ausnahme immer unter den artistischen consiliarii, und so fand denn dieser Streit eine stille Erledigung48•
Konvergenz von Fakultätskonzil und Senatsfraktion der Artisten Während die Regelung der artistischen Senatsvertretung von den Statuten von 1522 unverändert an die folgenden Redaktionen von 1556 und 1642 weitergereicht wurde, schafften innere Veränderungen der artistischen Fakultätsverfassung bald nach den geschilderten Auseinandersetzungen der frühen zwanziger Jahre den Problem- und Konfliktstoff, der in ihr beschlossen gelegen hatte, unauffällig aus der Welt. Die Fakultät hatte ihr eigenes Konzil bereits im Jahre 1478 durch die Forderung vierjähriger Regenz als Zulassungsbedingung drastisch eingeschränkt, zu einem Zeitpunkt also, wo, wie erinnerlich, noch jeder einfache Magister Zugang zum Universitätskonzil besaß. Die Konzilsreform von 1507 überholte diesen Prozeß der "Oligarchiebildung" innerhalb der Fakultät, indem die artistische Sitzzahl im Universitätskonzil weit hinter die Kopfzahl des Artistenkonzils zurückging. Unschwer wird man in dieser Diskrepanz die Ursache der dargelegten Auseinandersetzungen erblicken. 48 Am 13. 11. 1524 (UA D III 4, 190) beschloß der Senat "iuxta decretum magistrum Georgium habere pro una persona fixa in consilio, ideo quotienscumque consilium vocetur, tantum decanus facultatis unacum magistro Georgio vocandi sunt, donec facultas iuxta decretum ab universitate factum suas personas ad consilium universitatis eligat." Die Artistenfakultät entgegnete am 15.11. (UA Georg. III/22, 79): "Velit enim facultas illud grato animo acceptare et in futurum eligere optime placentes universitati. Preterea si consilium universitatis non velit in hanc petitionem condescendere, debeant dicere magistro Georgio Schbebermair, quod non debeat interesse universitatis consilio tamquam a facultate artium ad hoc deputatus, sed (si velit) possit ut alicunde vocatus interesse; verum tarnen ego ut decanus queam interesse huic consilio a rectore vocatus." Der Senat gab dem unterhandelnden Artistendekan am gleichen Tag folgenden Bescheid (ebd. f. 79'): "quod domini de universitate non propterea non acceptarent illam electionem facultatis eo, quod displicentiam haberent in his personis electis, sed quod fixum velint habere in suo consilio magistrum Georgium Schbebelmair. Desuper conclusit facultas, quod debeam domino rectori in privato respondere, facultaiem non velle immutare suam electionem, cum sit conformis statutis universitatis; sed potius se velle stare sententiae clarissimi doctoris Leonardi de Eck de Wolffseck, ut quicquid is in hac re sit definiturus, velit facultas pro definito !labere et non se ipsam suis privilegiis privare." Die Fakultät beschloß, eine Gesandtschaft zu Leonhard Eck senden; das Verhalten der Universität sei "contra statuta, et hoc citra consensum dominationis sue(!)". - Am 1. 5. 1525 wählte die Fakultät unter anderen auch Georg Schwebermaier "non ut persona fixa, sed liberis suffragiis ad hoc selecta" (f. 80). Vgl. auch die Konziliarliste Anhang VIII.
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Die innere Umgestaltung der Fakultät und ihres Konzils waren aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen, sondern traten Mitte der zwanziger Jahre erst in ihre entscheidende Phase. Die Fakultätsneuordnung von 1526 statuierte gleichzeitig mit der Einführung der besoldeten artistischen Lekturen, daß das Fakultätskonzil künftig aus den sechs Lektoren und den Kollegiaten bestehen solle, die weitere Magister bis zur Zehnzahl kooptieren dürften. In der Ordnung von 1539 sind die Kollegiaten verschwunden, im übrigen aber bleibt die neue Konzilszusammensetzung und die Höchstkopfzahl zehn erhalten49 • Von diesen sechs bis höchstens zehn Personen durften also vier ins Universitätskonzil, nämlich der Dekan und jeweils drei gleichzeitig mit ihm gewählte consiliarii universitatis. Noch in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bürgerte sich der Brauch ein, den Exdekan im nächsten Semester zum Konziliar zu wählen, wohl um eine gewisse Stetigkeit der Vertretung zu erreichen. Von dieser consuetudo her konnte sich der Grundsatz bilden, daß die Bekleidung des Dekanats Bedingung für die Aufnahme in den Senat sei, der sich also unter dem Eindruck humanistischer Reminiszenzen als Exmagistratsgremium verstand. 1548 wurde der soeben zum Frauenpfarrer präsentierte theologische Bakkalar Georg Theander vom Konzil gegen den Einspruch der Artisten kooptiert, welche letzteren die Meinung vertraten expectandum esse
donec eligeretur in decanum artium, tune enim per se venturum in consilium50• Im gleichen Jahr äußerte der Rektor in ähnlicher Streit-
49 Prantl li 179, 184. Vgl. oben Kap. 5 Anm. 72 f.- Am Vorabend der neuen Fakultätsordnung, im Januar 1526, nahmen an einer artistischen Konzilssitzung 11 Magister teil. Von ihnen wurden fünf zu Lektoren gewählt, zwei weitere waren Kollegiaten. Rein quantitativ war also der Bruch von 1526 nicht allzu eklatant (UA Georg. III/22, 86). Glaubt man den Argumenten der Artisten in den Verhandlungen mit L. Eck in den Jahren 1520-22, so war das Angebot an Magistern und besonders an Konventaren schon früher beträchtlich zurückgegangen. Vgl. dazu oben Kap. 5 Anm. 63 und meinen Aufsatz: Das Ingolstädter Collegium vetus. 50 UA D III 4, 529: "Consensum est etiam, ut m. Georgius Theander reciperetur in consilium fieretque particeps laborum. Nam et alii omnes precessores sui consiliarii fuissent", und f. 536 (12. 10. 1548). - Ebenda f. 676 (Okt. 1551): "Propositum est regentem novi collegii recipiendum in consilium universitatis m. Joan. Spreterum. Sed renuerunt artiste dicentes se habere statutum servandum et certurn numerum admittere illud statutum neque licere Spreterum in consilium assumi." Daran knüpft sich die Frage, ob Frauenpfarrer und Regens von Amts wegen und über das artistische Sitzkontingent hinaus als senatsfähig betrachtet wurden. Rotmar (Mederer I xxviii) erklärt sie für rektorabel, was im Ergebnis auf dasselbe herausgekommen wäre, weil der Rektorwahl die Senatsaufnahme folgen mußte (vgl. Kap. 7 Anm. 88 ff. und die dort vorgenommene Untersuchung der Rektorliste). In den vorgenannten Fällen beugten die Artisten einer solchen Regelung dadurch vor, daß sie Theander (WS 1548) und Spreter (SS 1552) jeweils zum Dekan wählten und dadurch konzilsfähig machten. Theander ist bis zum WS 1553 (wo die Liste endet) immer unter den artistischen "consiliarii" genannt; erst im September 1554 wechselte er durch seine Doktorpromotion in die theologische Fakultät über (UA Georg.
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6. Kapitel: Konzil (Senat)
sache: Credo neminem in consilium nostrum passe eligi, nisi prius decanus fuerit 51 • Die Vierzahl der artistischen Wahlsenatoren erhöhte sich praktisch auf fünf, wenn im vergangenen Semester ein Artist zum Rektor gewählt worden war. So erwähnen die artistischen Protokolle für das Wintersemester 1545/46 neben dem Dekan und drei gewählten consiliarii den gleichzeitig im Rektorat erscheinenden Oswald Arnsperger, der tum temporis ex alia causa erat de consilio universitatis52• Damit aber waren die Mitgliedszahlen der Senatsvertretung und des Fakultätskonzils so weit einander angenähert, daß von Schwierigkeiten in der Art der berichteten Konflikte in den Akten von nun an nicht mehr die Rede ist. Bereits im Wintersemester 1535/36 konnte sich die Fakultät eine besondere Senatorenwahl ersparen; consiliarii universitatis wurden omnes de con:;ilio facultatis magistri tune existentes. Ebenso heißt es zwei Jahre später, Konziliare seien omnes qui sunt de facultate artistica53 • Da schon damals für mehrere Jahre, endgültig seit 1546, auf die Wahl von assessores verzichtet wurde, muß das Artistenkonzil nur noch vier, höchstens fünf Mitglieder gehabt haben, von denen jeweils einer zum Dekan, die übrigen zu consiliarii gewählt wurden. Im Wintersemester 1548/49 war der Artist Erasmus Wolf Rektor, weshalb die Fakultät neben dem Dekan Theander propter paucitatem nur weitere zwei consiliarii aufzubringen vermochte und den dritten Senatssitz vorläufig unter Wahrung ihres Anspruchs unbesetzt lassen mußte54• Vom Sommersemester 1554 an schließlich hören die namentlichen Senatorenwahlen gänzlich auf. Consiliariorum prior mansit ratio, 111/11 I, 88). -
Nach Einführung der Senioratsverfassung waren seitens der Artisten solche Manipulationen nicht mehr möglich; da Frauenpfarrer und Regentes ohne Doktorgrad einer höheren Fakultät in der Rektorliste weiterhin häufig vertreten sind (vgl. Kap. 7 Anm. 91 f.), muß man annehmen, daß sie von Amts wegen entweder rektorabel oder senatsfähig waren, d. h. mit oder ohne vorangehende Rektorwahl in den Senat gelangten. Nach dem Wortlaut der Statuten von 1556 war weder das eine noch das andere eigentlich legal; die Satzung von 1522 hatte wenigstens die Rektorwahl von Nichtsenatoren gestattet. 51 UA D 111 4, 538.- Schon im SS 1542 bezeichnete das artistische Dekanatsbuch die Wahl des abtretenden Dekans zum "consiliarius" als "consuetudo" (UA Georg. 111/22, 134, ähnlich auch f. 149). Die Konziliarliste (Anhang VIII) bestätigt, daß man schon seit früher Zeit gewohnheitsrechtlich so verfahren ist. s2 UA Georg. 111/22, 143'. ss UA Goerg. 111/22, 117', 123'. 54 UA Georg. 111/22, 149 (5. 11. 1548): "et quoniam ego (der als Prodekan wirkende Erasmus Wolf) licet indignus eo tempore eram rector academiae, potuissent domini extra me alium tertium in universitatis Consiliarem eligere, si plures adfuissent collegae; verum propter paucitatem nemo alius electus est. Voluerunt tarnen id ius servartum (sie!) iri, ut si progressu temporis plures futuri essent, ut hoc dimidio anno, unum adhuc addere possent."
Il. Zusammensetzung
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numerus et ordo, heißt es im Dekanatsbuch. Im folgenden Semester wurden kurz caeteri collegae neben dem Dekan nominiert. Im Sommer 1556 unterblieb die Senatorenwahl propter paucitatem dominorum de facultate artium, 1563 wurde nicht gewählt, quia nostrum tantum quinque tune temporis erant in consilio; meistens begnügte man sich mit der Bemerkung, mit den consiliarii universitatis werde nichts geändert55. Unter diesen Umständen hätte man erwartet, daß die 1556 hergestellte Neufassung der Universitätsstatuten die Beschränkung der artistischen Vertretung aufgegeben und die Professoren der Fakultät für senatsfähig erklärt hätte. Das geschah jedoch nicht, und sogar die Statuten von 1642 behielten das alte Wahlsenatorensystem bei. Man wird darin nicht nur ein Symptom von Verknöcherung und Gedankenlosigkeit zu sehen haben. Die Universität Heidelberg, die Ingolstadt in der Begrenzung der artistischen Sitzzahl vorangegangen war und deren Artistenfakultät in der Zwischenzeit die gleichen inneren Wandlungen durchgemacht hatte, ließ 1558 und wieder 1580 tatsächlich alle fünf bzw. sieben professores publici von Amts wegen in ihren Senat, nur um 1588 wieder zu der alten Regelung zurückkehren; denn wenn auch der artistische Professor neuen Typs für senatsfähig gelten konnte, so war doch dadurch die Notwendigkeit nicht berührt, die Stärke der Fakultätsfraktionen im Senat annähernd gleich zu halten und ein Übergewicht der Artisten zu verhindern56. Die Senioratsverfassung (1567)
In jenen längerwährenden Perioden, in denen wegen der Vakanz von Lekturen das Fakultätskonzil mit der Senatsdeputation deckungsgleich war, bildete sich eine persönliche Anwartschaft auf den Senatssitz heraus, die sich auch in Zeiten der Vollbesetzung der Fakultät zu be55 UA Georg. III/22, 160' (SS 1554): "consiliariorum prior mansit ratio, numerus et ordo"; f. 161' (1955): "consiliarii ceteri collegae"; f. 162' (1556): "propter paucitatem dominorum de facultate de consiliariis et assessoribus nulla facta est mentio"; f. 165' (1559): "de consiliariis et assessoribus consuetudo pristina est observata nec aliqua mutatio inducta"; f. 166' (1560) : "consiliarii manent priores domini quatuor"; f. 170' (1563): "de consiliariis turn omnio nihil dieturn est , quia nostrum tantum quinque turn temporis erant in consilio". 56 Thorbecke, Statuten und Reformationen,§§ 1 bzw. 3 der drei großen Verordnungen. 1558 wurden zum Senat zugelassen der Dekan, der Regens des Contuberniums und die 5 "professores publici" der Artisten. 1580 waren es 7 "professores publici", alle mit Senatssitz ("perpetui consiliarii universitatis"). In den Statuten Johann Casimirs von 1588 dann die Begrenzung auf insgesamt vier gewählte "professores publici", darunter den Dekan; es sei ungebräuchlich und ungerecht, daß die "inferior facultas" den anderen im Senat an Stimmenzahl überlegen sein sollte.
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6. Kapitel: Konzil (Senat)
haupten trachtete. Am vorläufigen Endpunkt dieser Entwicklung stand die Senioratsverfassung, die im Jahre 1567 von der Fakultät nicht neu eingeführt, sondern erneuert und bekräftigt wurde. Die artistischen Senatssitze waren jetzt in den permanenten Besitz der vier dienstältesten Professoren übergegangen, die sich zugleich innerhalb des Sechserkonzils als ein engeres Komitee konstituiert hatten. Da auch das Dekanat unter diesen vier seniores rotierte, wurde dem Wortlaut der Universitätsstatuten Genüge getan. Die beiden übrigen Konzilsmitglieder (posteriores ex sex senioribus) waren an allen Beschlußfassungen des Fakultätskonzils beteiligt und standen zum Nachrücken auf eine freiwerdende Stelle unter den quatuor priores seniores bereit, die sich durch Kooptation ergänzten57 • Das Recht der Fakultät, ihre Senatsvertretung selbst zu bestimmen, hatte inzwischen die Form eines Präsentationsrechts angenommen, dem gegenüber Rektor und Senat offenbar ein gewisses Einspruchsrecht besaßen. Die Keime dieses universitären Einsetzungsrechts lagen in der statutarischen Aufnahmeprozedur beschlossen; seiner Entfaltung hatten die Auseinandersetzungen der Jahre 1518-24 und schließlich die Kämpfe um die Eidespflicht der Jesuiten den Weg geebnet. Da aber der Senatssitz längst an den Besitz einer Lektur geknüpft war und die Vergabe der Lekturen unter Mitwirkung der Universität erfolgte, so war auch von dieser Seite her die neue Praxis gestützt. Bei der Übergabe der Fakultät an die Jesuiten im Jahre 1588 blieb die Sachlage im wesentlichen unverändert. Bisher auf insgesamt zwei Senatssitze beschränkt58, nahmen die Patres nun die volle artistische 57 UA 0 I 4, 1 (3. 7.1567): Mag. Friedrich Landau wurde in der Fakultät aufgenommen. "Deinceps magnifico domino rectori praesentatus est, ut posthac tamquam senior ex quator senioribus magistris philosophiae nostrae facultatis intersit senatui et concilio universitatis ... Et itaque per me decanum magnifico domino rectori praesentatus, ut ipsum tamquam senatorem in posterum ad consilium universitatis vocet, quod promisit se facturum."- f. 3: "Quatuor priores seniores de philosophica facultate, prout hactenus semper observatum est, continui consiliarii universitatis maneant nec ullis examinibus excludantur. Decanatus ad illos secundum ordinem devolvatur nec mutatio ulla attentetur . . . Si quis seniorum decesserit vel discesserit, aliquis e posterioribus duobus in locum ipsius ad senatum praesentetur. Ratio quoque senii observetur." Vgl. auch oben Kap. 5 Anm. 75. 58 Durch herzogliche Verordnung von 1571 (Mederer IV Nr. 50). Das Problem der jesuitischen Senatsmitgliedschaft war erstmals 1564 aufgetaucht, als die Patres eine Anzahl philosophischer Lehrstühle in ihren Besitz gebracht hatten. Im Dezember dieses Jahres beschwerte sich der Senat, die Jesuiten beanspruchten unter Mißachtung des Senioratsprinzips alle artistischen Senatssitze für sich, und zwar als "non personarum, sed societatis loca"; es bestehe die Gefahr, daß sie es bis zur Stimmengleichheit oder gar -mehrheit mit den weltlichen Professoren im Senat brächten, zumal gleichzeitig zwei Theologen seit 1556 vom Orden gestellt wurden (Prantl II Nr. 83). Durch herzoglichen Entscheid wurde das Senium in der Fakultät für verbindlich erklärt (Prantl I 230 f.). 1567 einigten sich auf dieser Basis die weltliche und die jesuitische
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Senatsfraktion in Besitz. Die jesuitischen Fakultätsstatuten von 1649 kennen vier consiliarii senatus academici, die allein das aktive Dekanwahlrecht besitzen. Da das passive Wahlrecht nun aber bei allen Professoren liegt, wird ein Modus geschaffen, um dem jeweiligen Dekan seinen statutengemäßen Senatssitz zu reservieren59 • Zu einer vollen Deckungsgleichheit von Fakultätskonzil und Senatsfraktion ist es also in der artistischen Fakultät vorläufig nicht gekommen, wenn auch die letztere deutlich auf dem Weg war, die Fakultätsgeschäfte gänzlich an sich zu ziehen. Da andererseits die im Vergleich mit den höheren Fakultäten größere Anzahl der artistischen Lehrstühle einer Verknüpfung der einzelnen Professur mit einem Senatssitz im Wege stand, wahrte die Artistenfakultättrotz der Ersetzung des Wahlsenatoren- durch das Senioratsprinzip im Kreise der übrigen Fakultäten eine gewisse Sonderstellung60 •
Die Konzilsvertretung der oberen Fakultäten Die Doktoren der oberen Fakultäten waren sowohl von der Erstfassung der Stiftungsurkunde wie von den alten Statuten generell für konzilsberechtigt erklärt worden, soweit sie membra universitatis und in Fakultätsfraktion (UA 0 I 4, 1 ff.), aber nach einem neuerlichen Konflikt im gleichen Jahr schieden die Jesuiten zunächst einmal aus dem Fakultätskonzil aus (Prantl I 231 f.) . Anläßlkh der probeweisen Übernahme von Cursus und Pädagogium durch die Jesuiten im Januar 1571 wurde beschlossen, die aktuelle Vierzahl der jesuitischen Senatoren (2 Theologen und 2 Artisten) nicht zu überschreiten; eine Universitätsbeschwerde erwirkte einen entsprechenden, vom 17. 2. 1571 datierten herzoglichen Rezeß (Mederer IV Nr. 50, Prantl I 232 f., 236), der zugleich bestimmte, daß jeweils nur zwei der vier Jesuiten zu den Senatssitzungen berufen werden müßten; in der Artistenfakultät verfügte die Gesellschaft jetzt über zwei Konzilssitze, schon im folgenden Jahr aber über die Konzilsmehrheit (Prantl II Nr. 91). Nach ihrer vorübergehenden Entfernung von der Universität (1573) und ihrer schließliehen Rückkehr (1576) wurde durch den Herzog bestimmt (Prantl II Nr. 98, 26. 11. 1576), daß von den Jesuiten zwei Theologen und ein Philosoph in den Senat zugelassen seien. 1585 übernahmen die Patres die Lehrstühle der drei abgesetzten weltlichen Professoren und damit de facto die Gesamtfakultät. Vgl. auch Kap. 4 Anm. 11. 59 UA B II 19: "Quatuor ex facultate erunt in senatu academico iuxta constitutionem serenissimi principis Alberti et serenissimi principis Guilielmi; et quamvis hoc ita sit, nun est tarnen necesse, nisi omnes vocentur." (cap. V § 1) Wird der Dekan nicht aus dem Kreis der "consiliarii" gewählt, die nur das aktive Wahlrecht monopolisieren, so tritt ihm für die Dauer seiner Amtszeit einer der "consiliarii" seinen Senatssitz ab (cap. V § 5). 60 In einem anderen Sinn erfuhren auch die artistischen Senatoren im Senat eine gewisse Sonderbehandlung. Am 23. 2. 1571 begründete die Universität in einem Schreiben an den Herzog ihre Abneigung gegen jesuitische Senatoren damit, daß man "deren weldtlichen artistischen beysitzer anzall gar nit empörn" könne. Für Gesandtschaften zum Statthalter, Stadtrat oder -richter, für Inventuren, Vormundschaften usw. seien die Patres nicht zu gebrauchen. Die Juristen "in solchen gemain und ringschetzigen sachen" zu beanspruchen, gebühre sich nicht (von den Theologen ganz zu schweigen), die Mediziner seien oft durch Krankenbesuche verhindert. (HStA Jesuitica 1448, 218 f.)
6. Kapitel: Konzil (Senat)
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die Matrikel eingeschrieben waren61 • Die Einschränkung, die diese Regelung im Lauf der Zeit erfuhr, ist weit weniger augenfällig und scheint überdies für den hier behandelten Zeitraum kaum eine praktische Bedeutung gehabt zu haben. Herzog Albrecht IV. nannte in seiner Nova Ordinatio (1507) die "Doktoren" als Mitglieder des reformierten Konzils, wiederum ohne anscheinend jemand auszuschließen. Es fällt aber auf, daß in dieser Aufzählung nur die je zwei Theologen und Mediziner und die vier Juristen genannt werden, die zur Zeit besoldete Lehrstühle innehatten, also wie es gelegentlich heißt - die professores stipendiati62• Nicht mehr die erfolgreiche Promotion und die anschließende Erfüllung der zur Regenz gehörigen Auflagen verlieh also die Konzilsfähigkeit, sondern der Akt der Bestallung durch den Staat. Die Statuten von 1522 scheinen gegenüber diesem Prinzip wieder inneruniversitäre, akademische Kriterien zur Geltung zu bringen, wenn sie von den Doktoren für die Aufnahme ins Konzil ein ordinarie legere forderten63• Auch dies bedeutet zunächst gegenüber den alten Statuten, wo eine solche Bedingung fehlt, eine Verschärfung, zugleich eine Annäherung an den Brauch der Fakultäten, die von ihren Konzilsmitgliedern mit der Akturegenz von Anfang an eine ähnliche Leistung gefordert hatten. Vergleicht man nun aber diese Statutenbestimmung von 1522 mit dem unausgesprochenen Prinzip der Nova Ordinatio, so ergibt sich überraschend, daß sie ihm gegenüber eine neuerliche Restriktion des Konzilsumfangs bedeutete. Früher ist dargelegt worden, daß ein nicht besoldeter Doktor in den oberen Fakultäten keine finanzielle Existenzgrundlage besaß, daß also der lesende Doktor in der Regel ein bestallter Professor war64 • Es blieb sich deshalb gleich, ob man für die Aufnahme in den Senat ein actu legere, wie die älteren Fakultätsstatuten, oder ein Stipendium habere forderte, wie es (in ähnlicher Form) erstmals zusätzlich die juristischen Statuten von 1524 verlangten65• Beide Kriterien besagten wenigstens in der Praxis dasselbe. Dagegen stellten die ordinarie legentes unter den actu legentes oder stipendiati nur eine Teilgruppe dar, und die Beschränkung der Konzilsfähigkeit auf sie hätte also die gleichfalls besoldeten und wirklich lesenden extraordinarii ausgeschlossen. Die Nova Ordinatio hatte den extraordinarie lesenden Institutisten unter den Konzilsmitgliedern noch auf61 62
Mederer IV 59. StB Clm. 1619, 78'.
Mederer IV 185. Vgl. Kap. 5 Abschnitt III. 65 Mederer IV 239: "nonnisi doctores in altero jurium publice et actu (quod dicitur) legentes quique ad legendi munus a principe nostro sint ordinati". aa
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geführt, und gleichfalls ist in den Fakultätsstatuten eine Benachteiligung dieser Professoren in Beziehung auf die Fakultätskonzile nirgends verzeichnet. Unter solchen Umständen könnte man versucht sein, an der Formel der Universitätsstatuten von 1522 (doctores et licentiati ordinarie legentes) herumzudeuteln und das Partizipialattribut z. B. nur auf die licentiati zu beziehen. Dagegen spricht nicht nur der sorgfältige Charakter dieser Statutenredaktion, sondern vor allem die Tatsache, daß die Statuten von 1556 in aller Eindeutigkeit nur mehr den professores ordinarii einen Anspruch auf einen Senatssitz zubilligen, während allerdings aUi harum facultatum sive doctores sive licentiati nach dem Belieben der Versammlung aufgenommen werden können66 • Es muß der fakultätsgeschichtlichen Forschung überlassen werden, das Aufkommen und die Vermehrung der professores extraordinarii in den oberen Fakultäten genauer zu verfolgen. Die Universitätsverfassung, daran kann jetzt kein Zweifel mehr sein, gab ihnen jedenfalls schon seit der zweiten Statutenredaktion einen benachteiligten Status. Dennoch findet sich auch nach 1556 kein Hinweis dafür, daß den Extraordinarien in der Praxis der Zugang zum Senat versperrt worden wäre. Veit Schober etwa wurde als professor extraordinarius 1582 in den Senat, aber erst drei Jahre später in das juristische Fakultätskonzil aufgenommen, obwohl bei Juristen wie Theologen ein entsprechendes Zulassungskriterium in den Fakultätsstatuten fehW 7• Wenn daher 1584 Peter Stewart seine Aufnahme in den Senat damit begründete cum antea receptus sit in coHegium theologicum, so war damit über seine Professoreneigenschaft hinaus, die ihm den Weg ins Fakultätskonzil ohnehin öffnete, nicht eigentlich eine zusätzliche Bedingung erfülW8• Eine gewisse Sonderstellung scheint die medizinische Fakultät eingenommen zu haben, deren Lehrkräfte auch ohne oder mit nur geringer staatlicher Besoldung in der praktischen Krankenbehandlung eine Existenzmöglichkeit besaßen. Nachdem schon im Jahre 1520 im Senat mehrfach über Aufnahme oder Ausschluß einzelner Mediziner verhandelt worden war69 , ordnete der Herzog im Juni 1526 an, in Zukunft habe Prantl 11 214. StA Obb. GL 1477/3, 119'; UA D 111 8, 46. 68 UA D 111 8, 73. 69 Am 19. 5. 1520 schrieb Herzog Wilhelm an die medizinische Fakultät, Wolfgang Peisser habe altershalber für sich Panthaleon Brunner als Ordinarius substituiert; er erhalte aber weiter sein Gehalt und sei auch allein mit Georg Beheim (Boemus) im Universitätskonzil (UA N I 1). Die Universität verstand das so, daß Brunner aus dem Konzil zu entfernen sei, schob aber eine Entscheidung hinaus (UA D 111 4, 55). Auch als Beheim am 3. 6. den Vollzug der herzoglichen Anordnung forderte, erwirkte er keinen Beschluß (ebd. f. 56'). Wenig später aber muß Brunn~r suspendiert worden sein, denn am 11. 7. befahlen "consiliarii principis" umgekehrt, ihn wieder "ut Ieetorern ordinarium" 66 67
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6. Kapitel: Konzil (Senat)
das Universitätskonzil selbst zu entscheiden, wen von den Medizinern es als ständiges Mitglied betrachten wolle und wen nichf0 • Darauf entschied die Universität, Wolfgang Peisser und Wolfgang Offelein seien von nun an personae fixae, die beiden anderen Doktoren Hieronymus Leucht und Leonhard Fuchs aber wenigstens vorläufig nicht. Nur als Dekane durften sie noch jeweils für die Dauer ihrer Amtsführung im Senat sitzen71 • Möglicherweise war eine so starke Besetzung der medizinischen Fakultät eine Ausnahme; aus späterer Zeit sind jedenfalls ähnliche Regelungen nicht überliefert. Die Lizentiaten waren von den alten Statuten als besondere Gruppe neben Doktoren und Magistern für konzilsfähig erkärt worden, während die Fakultätsstatuten der oberen Fakultäten sie unter den Mitgliedern der Fakultätskonzile übereinstimmend nicht nannten. In anderem Zusammenhang ist gezeigt worden, daß die Lizentiaten in der Praxis anfänglich durchweg der Artistenfakultät zugerechnet wurden und wohl auch im Senat zur artistischen Fraktion gehörten, allerdings nur soweit sie sich noch am Unterrichts- und Prüfungsbetrieb der Artisten beteiligten und nicht vom Herzog mit einem besonderen Lehrauftrag in ihrer oberen Fakultät betraut worden waren72• Als das- zuvor aus finanziellen Gründen kaum mögliche - besoldete extraordinarie legere aufkam, stellten die Lizentiaten den Hauptanteil an jener Gruppe der lectores ordinarii, zu der auch, aber nicht allein, die Lektoren der Kollegreform von 1518 gehörten. ins Konzil aufzunehmen (f. 63). Die Universität verfuhr so, stellte aber Beheim frei, dagegen zu protestieren. Die Aufnahme Brunners hatte nämlich zur Folge, daß nun Beheim aus dem Konzil ausgeschlossen wurde, wogegen er am 17. 7. wiederum protestierte (f. 64). Am 9. 9. befahl daraufhin Herzog Wilhelm, Beheim bis zur endgültigen Entscheidung der Angelegenheit wieder ins Konzil zu laden (UA N I 1). Das Konzil beriet darüber am 17. 9., beschloß aber, dem Befehl nicht nachzukommen, weil er womöglich nicht vom Herzog persönlich ausgegangen sei (UA D III 4, 68). Beheim befand sich übrigens mit Peisser in einem Streit um seine Vorlesungsstunde; das Konzil befahl ihm, dem älteren Peisser die Vorwahl zu lassen. Am 24. 9. schärfte in Abwesenheit Wilhelms Herzog Ludwig der Universität nochmals ein, Beheim in ihr Konzil aufzunehmen (UA N I 1). Der Ausgang der Sache ist unbekannt, weitere ergebnislose Verhandlungen UA D III 4, 69, 71. 70 UA D 111 4, 223 (10. 6. 1526): Der Herzog schreibt "quod universitatis consilium haberet facultatem disponendi, que persone ex dominis medicis debeant essse fixe in consilio. Desuper domini de universitatis consilio ita fieri disposuerunt, primo quod dominus doctor Wolfgang Offelein habeatur pro una persona fixa consilii, et sie duo ex dominis medicis sedeant in consilio universitatis, videlicet d. doctor Wolfang Peisser et idem d. doctor Offelien." Hieronymus Leicht und Leonhard Fuchs "non habeantur pro personis consilii, donec forte occasio cum tempore se aliter obtulerit ... Sed qui decanatus officio preficitur, non sit durante officio de consilio exclusus." 71 Vgl. vorige Anm.- Am 14. 2.1533 wurde Johannes Feldmüller auf Anordnung Ecks "ut Ieetor ordinarius eiusdem facultatis" in den Senat aufgenommen (UA D 111 4, 329). 72 Vgl. oben Kap. 5 Abschnitt III.
III. Verfahren
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Die Nova Ordinatio nannte die Lizentiaten unter den Konzilsmitgliedern nicht; in den Statuten von 1522 erscheinen sie in der Gruppe der doctores et licentiati ordinarie legentes. Der oben geschilderte Streit um die Lizentiaten Schröttinger und Luchs erklärt sich demnach so, daß die beiden als Kollegiaten, d. h. als Stipendiaten der Artistenfakultät, einen Sonderstatus innerhalb des weiteren Kreises von besoldeten und ordentlich lesenden Lizentiaten der oberen Fakultäten einnahmen. Als ordinarie legentes wären sie nach dem Wortlaut der Statuten auch ohne Doktorpromotion konzilsberechtigt gewesen; die besondere Art ihrer Besoldung, also der Besitz einer Kollegiatur als Professur sui generis, stempelte sie aber als Artisten ab, die eben nur als Artisten, also über die der Artistenfakultät zustehenden Sitze in den Senat gelangen konnten. Die Statuten von 1522 forderten von allen lectores ordinarii den Nachweis ihrer Doktorpromotion, eine dem oben zitierten Ausdruck licentiatus ordinarie legens widersprechende Bestimmung73• Wenn sie sich durchsetzte (was eine Spezialuntersuchung prüfen müßte), so blieb für den Lizentiaten allein das extraordinarie legere übrig, und wirklich erwähnen die Statuten von 1556 die licentiati nur noch in der den professores ordinarii gegenübergestellten Gruppe74 • 111. Das Konzilsverfahren
Aufnahme Seit der artistischen Fakultätsreform von 1526 setzte sich das Universitätskonzil ausschließlich aus vom Herzog berufenen und besoldeten Lehrkräften zusammen. Für die Vertretungen der oberen Fakultäten hatte das, wie gezeigt, von Anfang an gegolten; für die artistische Fraktion galt es nun insofern, als sie zwar vorläufig noch durch Wahl, aber von und aus dem nur noch aus besoldeten Lektoren bestehenden Fakultätskonzil bestimmt wurde. Dieser Umstand hatte schwerwiegende Folgen. Hatte bisher die Universität mit dem Promotionsakt zugleich über die Zusammensetzung ihres Konzils entschieden, so trat nun an die Stelle der Gradvergabe, also eines inneruniversitären Geschehens, als Qualifikationsakt die staatliche Berufung und Bestallung, bei der die Universität von Anfang an kein gesetzliches Mitspracherecht besaß75 • Damit wurde ihr aber zugleich 73 Mederer IV 194: " ... ordinariam quoque lectionem nullus, etiam a principe presentatus perficere attentet, nisi prius coram rectore universitatis legittimis argumentis se in eadem professione insignitum docuerit." u Prantl II 214. 7 :; Wohl aber in der Praxis konsultiert wurde ; vgl. darüber Kap. 11 Anm. 69 ff.
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6. Kapitel: Konzil (Senat)
die Verfügung über die Zusammensetzung ihrer regierenden Versammlung aus den Händen genommen. Die Entwicklung vom Magister- zum Professorenkonzil hatte unvermeidlich zur Folge, daß das landesherrliche Präsentationsrecht von den Lehrstühlen auf die statutarisch mit ihnen verbundenen Senatssitze übergriff. Obwohl die Konzilszusammensetzung von Beginn an und unabhängig von den Änderungen, denen sie im Lauf der Zeit unterlag, statutenmäßig fixiert und dem Belieben der konzilseinberufenden Instanz (des Rektors) entzogen war, schrieben doch die Statuten von der Erstfassung an zusätzlich ein formelles Aufnahmeverfahren vor, das der Konzilsberechtigte zu durchlaufen hatte. Die Berufung einer persona qualificata lag danach zunächst in der Kompetenz des Rektors, der zugleich verpflichtet wurde, alle Berechtigten binnen einer Dreitagesfrist zu berufen76. Seit 1522 war dem Rektor diese Aufgabe - und damit das Recht, über die Qualifikation eines Bewerbers zu entscheiden, - stillschweigend entzogen und befand sich nun, auch praktisch nachweisbar, beim Konzil selbst, das sich also im Rahmen der statutarischen Bestimmungen durch Kooptation ergänzte77• Der neu auf eine lectio ordinaria Berufene stellte einen Antrag auf Aufnahme, über den die Versammlung durch regelmäßig in den Protokollen verzeichneten Beschluß entschied. Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts verstand diesen Aufnahmeakt als eine Standeserhöhung: der Bewerber wurde zum senator ernannt bzw. in den ordo senatorius aufgenommen78. Während die oberen Doktoren sich mit seltenen Ausnahmen persönlich bewarben, wurden die artistischen Senatoren dem Senat von der Fakultät präsentierf9. Solange das Wahlrecht der Artistenfakultät funktionierte, war dieser Präsentationsakt verbindlich; was jedoch, wie früher gezeigt, nicht ausschloß, daß die Universität gelegentlich Einspruch erhob. Seit Ende der vierziger Jahre, nach dem Verschwinden der Delegiertenwahl, wurden auch die artistischen Senatoren auf Dauer 76 Mederer IV 59 (1472). 77 Vgl. auch Kap. 7 Anm. 13 ff. 78 UA D III 7, 218' (1569): "Hoc die ex mandato illustr. nostri princ1p1s recepti sunt in senatorium ordinem universitatis etc." 295 (1579): " ... praestit juramentum senatorium et fuit confirmatus senator". 79 Z. B. UA D 111 7, 284' (1576): "Fuit per artisticam facultatem in locum m. Antonii Balduini m. Halleros societatis Jesu praesentatus in senatum academicum, dummodo in proximo concilio praestet soliturn juramentum". Ebenso f. 280' und öfter. Einen Sonderstatus genossen seit 1571 in dieser Beziehung die Jesuiten. Nachdem sie schon 1564 die von ihnen innegehabten Senatssitze als "societatis loca" erklärt hatten (vgl. Anm. 58), forderte 1571 der Provinzial Hoffaeus für den "superior" das Recht, die jesuitischen Senatoren nach Belieben zu ernennen; entsprechend ordnete der Herzog am 16. 12. 1572 an (Mederer IV Nr. 51, Prantl II Nr. 89, 90, 92).
III. Verfahren
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ernannt; nach wie vor ermittelte die Fakultät ihre Vertreter jedoch selbst und präsentierte sie dem Senat, der sie in der Regel widerspruchslos akzeptierte. Mit dem gleichen Verfahren wurden die artistischen Lekturen besetzt und damit ja de facto bereits eine Vorentscheidung über die artistische Senatsfraktion getroffen. Der Billigung eines Aufnahmeantrages bzw. einer Präsentation schloß sich, im Protokoll regelmäßig vermerkt, die Vereidigung des neuen Senators an80• Die alte, ziemlich unverändert in den späteren Statutenredaktionen erhaltene Eidesformel verpflichtete zu Treue gegenüber dem Landesherrn, zu Gehorsam, Rat und Hilfe gegenüber dem Rektor und zur Geheimhaltung. Die Mitsprache des Staates wäre durch die statutenmäßigen Bestimmungen ausreichend in indirekter Form, nämlich in Gestalt des Professorenberufungsrechts, gewährleistet gewesen; sie trat aber darüber hinaus in direkter Form in Erscheinung. Freilich mischte sich der Staat seit der Ära Leonhard Eck vielfältig und bis ins einzelne in die Angelegenheiten der Universität ein, ohne auf die von ihm selbst gezogenen Grenzen seiner Zuständigkeit ängstlich achtzugeben. Wenn aber jetzt in den Konzilsprotokollen immer wieder von Anweisungen des Herzogs oder des Patrons die Rede ist81 , diese oder jene Person ins Konzil aufzunehmen oder aus ihm zu entfernen, so wird man darin nicht einfach Übergriffe zu sehen haben, sondern den Ausdruck der Tatsache, daß die Aufnahme in die regierende Versammlung mit der Berufung auf eine Professur zu einem Akt verschmolzen war, der naturgemäß nicht mehr in erster Linie von der Universität und ihren Selbstverwaltungsorganen vollzogen werden konnte. Es wird jetzt durchweg in einem Atemzug berichtet, daß ein Neuberufener vor dem Konzil erscheint, sein Berufungsschreiben vorweist und in das Gremium aufgenommen wird82• Die ausdrückliche Ernennung zum Konzilsmitglied (Senator) durch den Staat hat auf den ersten Blick einen pleonastischen Zug an sich; sie mochte aber dazu dienen, den Status des Berufenen eindeutig zu klären, insofern neben dem Lehrfach und der Besoldungshöhe auch der Senatorenrang zum Indiz der vollen Ordinarieneigenschaft geworden war. Einerseits durch die Bestimmungen der Statuten, andererseits durch die landesherrlichen Anweisungen gebunden, wurde also die Entscheidungskompetenz des Konzils über seine eigene Zusammensetzung ganz in den Bereich der Formalitäten zurückgedrängt. Vor der Jahrhundert80
Vgl. vorige Anm.; ebenso schon früher regelmäßig in UA D III 4
f. 27, 28, 91).
(z.
B.
81 Vgl. die oben Anm. 69-70 zitierte Angelegenheit der medizinischen Senatsvertretung, sowie UA D III 4, 55, 63, 68, 87, 116. 82 Z. B. UA D III 4, 100 (1522): ein Berufener stellt sich mit seinem Präsentationsschreiben vor und "accipiatur ad consilium et omnes honores ut lector ordinarius".
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6. Kapitel: Konzil (Senat)
mitte kam es nur selten vor, daß ein Berufener die Erfüllung dieser Formalitäten (also vor allem die Eidesleistung, bei der Berufung auch den Nachweis des akademischen Grades) verweigerte und die Universität damit zum Widerstand reizte83. Erst die Jesuiten widersetzen sich der Vereidigung hartnäckig und beschworen damit einen langanhaltenden Konflikt herauf, in dessen Ergebnis ihnen schließlich eine besondere Eidesformel zugestanden wurde84.
Einberufung Die Einberufung des Konzils (consilium convocare, später senatum cogere) lag zunächst in der Kompetenz des Rektors. Neben ihm war auch der Kämmerer berechtigt, Ratsversammlungen über die speziellen Kammerangelegenheiten zu veranstalten; sie unterschieden sich eine Zeitlang als consilia camerae auch in ihrer Zusammensetzung von den consilia universitatis, fielen aber spätestens seit der Mitte des 16. Jahrhunderts wieder mit ihnen zusammen, sodaß etwa in der Instruktion für Staphylus (1561) und in der Rektoratsinstruktion {1577) Rektor und Kämmerer nebeneinander als einberufende Instanzen genannt werden85. Um diese Zeit war auch der Inspektor (Vizekanzler) ausdrücklich berechtigt, die Dekane und die Professoren nach seinem Belieben vor sich zu laden und also Konzilssitzungen zu veranstalten; wenigstens Albert Hunger scheint aber auch dann, wenn die Initiative von ihm ausging, die formelle Einladung dem Rektor überlassen zu haben86• Während die alten Statuten den Rektor in allen Angelegenheiten auf die Konsultation des Konzils verwiesen hatten, wurde ihm von der zweiten Satzungsredaktion (1522) nahegelegt, die Senatoren nicht zu häufig und bei nichtigen Anlässen zu bemühen. Für die tägliche Geschäftsführung stand ihm von jetzt an das consilium decanorum zur Verfügung, von dessen Zustimmung auch in causae arduae die Einberufung der Plenarsitzung abhängig gemacht wurde 87. 83 1548 weigerte sich der neuberufene Jurist Zoannetti, sich zu immatrikulieren, .,dixit se habere mandatum principis de hoc non faciendo, donec ill. princeps vel magnificus d. ab Eck aliter statuat, deinde se paraturn esse vel universitati vel rectori vel etiam puero iurare". Das Konzil verweigerte ihm die Aufnahme, mußte aber auf ein Schreiben Ecks hin vorläufig nachgeben (UA D III 4, 538). 84 Prantl I 237 ff. und li Nr. 89: die Auseinandersetzungen um das 20 Punkte-Programm des Provinzials Hoffaeus, darin§ 1 die Frage der Eidespflicht. Der herzogliche Entscheid von 1572: Mederer IV 335 ff.; darin 339 die .,gereinigte" Eidesformel. 85 Prantl li 233 (.,so offt auch ain rector oder camerer ein consistorium hellt") und II 306 f. 86 Prantl li 303 und 304; vgl. oben Kap. 4 Anm. 118 sowie Kap. 8 Abschnitt III. 87 Mederer IV 186; vgl. oben Anm. 20 f. und unten Abschnitt IV.
III. Verfahren
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Für die Einladung konnte sich der Rektor eines Pedells bedienen. Ein Konzilsbeschluß von 1503 verlangte, quod expost convocaciones fiant per zedulam, durch eine schriftliche Einladung also, auf der zugleich der Anlaß bzw. die Tagesordnung angegeben werden konnte88 • In solchen Bestrebungen zur Einschränkung und Formalisierung des rektoralen Ladungsrechts, für die schon die Frühgeschichte der europäischen Universität verschiedentlich Analogien liefert89 , bekunden sich Beweggründe, die mit dem immer gleichzeitig geäußerten, umfassenden Mitspracheanspruch des Konzils anscheinend kollidieren, wenigstens solange der Alleinentscheidung des Rektors die wichtigeren Gegenstände nicht bereits unmißverständlich vorenthalten waren. Wie alle übrigen Mandate des Rektors konnten die Konzilsladungen mit unterschiedlicher Dringlichkeit ergehen, zunächst also unter Androhung einer Geldstrafe, dann sub debito obedientie, im äußersten Fall wohl auch - denn die Senatoren hatten sich eidlich zur Befolgung der Ladungen verpflichtet- sub pena periurii90 • 1503 wurde statuiert, daß alle Sitzungen· sub pena certa anzukündigen seien91 • Für Nichterscheinen bei einer Ladung ohne präzise Strafandrohung setzten die Statuten von 1522 eine Geldbuße fest, die mit vier Groschen wenig über der allgemeinen ersten Kontumazialstrafe lag. Die Hälfte dieser Buße hatte zu zahlen, wer im Zuspätkommen das schon 1503 als Grenze des Erlaubten festgelegte "akademische" Viertel überschritt und dadurch den Beginn der propositio des Rektors versäumte92• 88 UA D III 1, 458' (1502) Vorschlag der theologischen Fakultät: "Item placet quod convocacio debeat fieri per cedulam". Dazu f. 467 die Beschlußfassung: "Item quod expost convocaciones fiant per zedulam sub pena certa et compareant infra spacium unius quartalis hore et condatur super hoc decretum." 89 Vgl. oben Anm. 14 ff. 90 UA D III 4, 56 (1520): "sub pena duorum florenorum"; f.103 (1536): "Istud consilium convocatum fuit sub debito obediencie et hoc propter certas causas". UA D III 7, 96': "In isto consilio iterum convocati fuerunt domini, pauci tarnen venerunt ... Concluserunt in alterum diem hora prima omnes sub debito obediencie esse convocandos"; f. 96' : "Ad hoc consilium omnes domini de universitate vocati sunt sub debito obediencie et venerunt praeter qui habebant legittimam excusationem" (1536). 91 Vgl. oben Anm. 88. 92 Mederer IV 186: " ... qui tardius post convocationis tempus advenerit, ... duobus grossis puniatur. Tarde venire dicitur, qui quartali hore lapso et propositione per rectorem incepta et completa prima supervenerit ..." -Das unpünktliche Erscheinen oder gänzliche Fehlen der Konziliare wird häufig beklagt. 1517 verweigerte Johann Eck die Annahme des Rektorats u. a. mit der Beschwerde über die "mala administratio rei publice ipsius universitatis, quam multi ex consiliariis parum considerant, ex eo sepius pro necessitate eiusdem vocati vix vel tarde compareant" und gab erst nach, als alle versicherten "debito tempere ad vocationem eiusdem ratione universitatis comparere velle" (UA D III 4, 11). Vgl. die Beispiele Anm. 90.
14 Seifert
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6. Kapitel: Konzil (Senat)
Trotz solcher Bestimmungen war der Besuch der Sitzungen nicht selten so schwach, daß die Versammlung sich propter penuriam dominorum vertagen mußte; zum nächsten Termin wurde dann sub debito obedientie geladen93• Die Folge war, daß besonders seit den dreißiger Jahren convocationes decanorum repraesentantium totum consiliumdie Plenartagungen immer mehr ersetzten. Im Widerstreit des politischen mit dem privaten Interesse neigten die Senatoren dazu, dem letzteren, also ihrer Bequemlichkeit (die allerdings mit dem ausdrücklich vorgegebenen Gemeininteresse, Störungen des Unterrichts möglichst zu vermeiden, zusammenfiel) den Vorrang einzuräumen. Beide Motive, Schonung der Senatoren wie des Vorlesungsbetriebs, nennen die Statuten von 1522, denen das interimistisch geschäftsführende Dekansgremium seine Sanktionierung verdankt, als Motiv für die Einschränkung der Senatstagungen94 • Schon 1539 war eine Plenarsitzung des Senats zur außerordentlichen Veranstaltung geworden, die mit der Dringlichkeit einer anstehenden Sache begründet wurde95 • In den Konzilsprotokollen erscheinen auch bei gewöhnlichen Ratssitzungen in den Anwesenheitslisten nicht selten nur die Namen der Dekane. Trotzdem hielt man es 1569 erneut für notwendig zu statuieren: non ita frequenter consilia esse convocanda; Gerichtssachen habe der Rektor bis zur Schlußphase selbst zu erledigen, überhaupt den Senat mit Kleinigkeiten nicht zu belästigen98• Auf eine Anregung Canisius' zurückgreifend, führten die Statuten von 1556 die Angarialversammlungen ein: vierteljährliche stata consilia, die neben einer umfassenden Inspektion der Professoren und Studenten hinsichtlich ihrer Disziplin und ihres Fleißes die Aufgabe zugewiesen bekamen, de gravioribus quibusque negotiis, quae vel totam academiam vel cameram respiciunt zu beraten. Alle Senatoren wurden verpflichtet, diesen Tagungen fleißig beizuwohnen97• Die Reformation von 1562 93 UA D Ill 7, 94' (1536): "In isto consilio propter penuriam dominorum nihil actum fuit, sed solum conclusum, ut vocentur omnes in crastinum sub debito obedientie". Vgl. Anm. 90. 94 Mederer IV 186: "Non autem temere consilium convocetur neque ob leviusculas causas, quod et consiliariis grave et molesturn et interdum scolasticis in lectionibus detrimentosum". 95 UA D III 7, 136 (1539): "Ad istud consilium omnes doctores vocati fuerunt, pariter omnes magistri consiliarii propter arduitatem negocii ..."Aus den Anwesenheitslisten geht z. B. in UA D Ill 7 für die dreißiger und vierziger Jahre hervor, daß an den zumeist "consistoria" genannten Versammlungen nie mehr als acht, häufig fünf und weniger Mitglieder teilnahmen, und zwar in wechselnder Zusammensetzung. 96 UA D III 7, 230 (1569): " ... conclusum est non ita frequenter concilia esse convocanda, sed lites forenses apud dominum rectorem, cui adiungatur aliquis ex jurisconsultis, esse expediendas usque ad sententiam difinitivam exclusive, et si quid incidat gravius, referendum ad totum senatum". 97 Prantl li 215.
III. Verfahren
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empfahl zwar mit Rücksicht auf den Unterrichtsbetrieb eine Beschränkung auf höchstens eine bis zwei.solcher Versammlungen im Jahr; dennoch erhielten sie sich unter diesem Namen bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts 98• Ihre Einrichtung deutet wieder darauf hin, daß die Plenarsitzungen des Senats inzwischen zur Ausnahmeerscheinung geworden waren. Im Jahre 1577 bestimmte die Instructio pro rectore, der die Kontrolle und Fesselung des Rektorats besonders am Herzen lag, Senatssitzungen sollten alle drei Wochen über causae graviores veranstaltet werden99 • Dagegen mußte im Jahre 1585 der Herzog beanstanden, die Senatssitzungen seien häufig so schwach besucht, daß von Minderheiten Beschlüsse gefaßt würden, an die die Gesamtheit dann gebunden sei. In Zukunft war Beschlußfassung nur noch bei Vollzähligkeit gestattet100• Diese beiden Daten sind geeignet, das ganze Dilemma zu bezeugen, in dem sich die traditionelle Universitätsverfassung am Ende unserer Berichtsperiode befand. Das ausgeklügelte System der Gewaltenteilung und Kompetenzscheidung mußte in dem Moment versagen, wo die kleine Gruppe der regierenden Professorenschaft insgesamt in Korruption und Lethargie versank. Wieviel der Staat, unnachsichtiger Kritiker dieses Zustands, ihn mit seinem hemmungslosen Reglementieren mitverschuldet hat, das zu untersuchen gehört in einen anderen Zusammenhangl01 •
Tagungsverfahren Über die Funktionsweise des älteren, bis zur Reform von 1507 bestehenden Großkonzils ist bereits in anderem Zusammenhang das wichtigste gesagt worden102• Die Statuten von 1472 ,bestimmten im einzelnen, daß omnes persone dicti consilii, que de eadem facultate sunt, unam dumtaxat vocem habeant, und zwar sowohl bei der Rektorwahl wie in omnibus et singulis eciam aliis actibus et causis in dicto consilio tractandis et diffiniendes. Ausdrücklich wird angeordnet, daß alle die Universität betreffenden Angelegenheiten im Konzil per dictas quatuor facultates aut maiorem partem ipsarum facultatum zu entscheiden seien, bei Stimmengleichheit aber der Entscheidung des Landesherrn anheimfielen. Dem Rektor stand neben der Einberufung der Versammlung die Tagungsleitung zu, was die Vorlage einer Tagesordnung (causam convocacionis exponere) implizierte103• Mederer IV 300 und 301. Prantl li 307. 1oo B IV 1 (4. 2. 1585). 101 Vgl. unten Kap. 11. 1o2 Vgl. oben Abschnitt I und li sowie Kap. 5 Anm. 18. 103 Mederer IV 62. -Die alte "itio in partes" ist ebenfalls gut in den Statuten Wiens (Kink li 83, 86) und Kölns (Bianco li § 49) erkennbar. Für Frag ein 98 99
14•
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6. Kapitel: Konzil (Senat)
Einige wenige Konzilsprotokolle, die sich von der Jahrhundertwende in den Konsistorialakten erhalten haben, illustrieren den statutengemäßen Ablauf einer solchen Konzilstagung älteren Typs. Sie begann mit der Vorlage der zu beratenden Fragen durch den Rektor (rector in medium proposuit); daran anschließend legten die einzelnen Fakultäten der Reihe nach ihre Meinungen dar, und zwar so, daß verschiedene Tagesordnungspunkte nicht gesondert, sondern in einem Zug behandelt wurden. So heißt es etwa in einem Protokoll: facultas arcium
interlocuta super primo articulo conclusit quod .. .; super secundo dicit quod .. .; super tertio dicit quod ... etc. 104•
Die Reihenfolge der Befragung war umgekehrt wie beim Turnus der Rektorwahl und bei der Rangordnung der Universität überhaupt: die Artisten begannen, ihnen folgten Mediziner, Juristen und Theologen. Diese nicht von den Statuten vorgeschriebene Gewohnheit ist sicherlich nicht Ausdruck einer Bemühung um ausgleichende Gerechtigkeit, sondern der höheren Wertung des Letztvotums105• Daß die Dekane die Votanten ihrer Fakultät waren, wird von den Statuten nfcht ausdrücklich bestimmt, geht aber aus den Protokollen hervor und lag ohnehin in der Natur der Sache106• Nun muß allerdings nach der propositio und vor der Abgabe der Fakultätsvoten eine Phase der deliberatio angesetzt werden, in der die einzelnen Fakultätsfraktionen sich intern auf ihre Stimmabgabe einigten. Wenn diese Beratung nicht schon vor der Konzilssitzung stattgefunden hatte, was eine frühe Bekanntgabe der Tagesordnung voraussetzen würde, so mußte die Konzilssitzung in der Beratungsphase in Teilversammlungen nach der Art "conclusum" vom 1391 (Mon. hist. univ. Prag. III 17); es sei zu verfahren "illo modo sicut a principio studii, videlicet per inductionem seu voces singulorum, fuit observatum". In Erfurt sagt der alte Statutenentwurf sehr klar (Weissenbom II 5): "Item serventur consilia sicut hactenus sunt servata, si tarnen non esset plena concordia, tune fiat conclusio secundum facultates et quelibet facultas faciat unam vocem tantum". In Heidelberg wurde umgekehrt und mit besserer Logik bei "discordia" vom Fakultäts- zum Einzelstimmverfahren übergegangen (Winkelmann 53). In Leipzig läßt sich das Verfahren nicht genau erkennen; die Beschlußformeln lauten: "conclusum in generaU convocacione magistrorum ... per quatuor nationes approbatum" (Zarncke 55, 57 etc.). Würzburg, das 1587 seine ersten Statuten in enger Anlehnung an Ingolstadt verfaßte (vgl. Kap. 2 Anm. 72), griff unter unbekanntem anderseitigem Einfluß auf ein striktes Fraktionssystem mit "itio in partes" zurück, obwohl es die Konzilszusammensetzung des Ingolstädter Senats getreu übernahm (Wegele II Nr. 70 tit. 8). 1o4 UA D III 1, 458, 461 ff., 466, 470, 474. 1os Vgl. unten Anm. 110. 106 UA D III 1, 81' (1475): "Ad mandatum domini rectoris collegialiter congregati quatuor facultatum doctores et magistri ipso domino rectore presidente in stuba maiori collegii universitatis Ingolstatensis pro utilitate rei publice ibidem universitatis dicte tractatum habentes ac votis hincinde a prefatis facultatum doctoribus et magistris collectis ac per eorum decanos recitatis primo decanus facultatis aricum pro facultate sua votum expressit .. ."
III. Verfahren
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der klassischen itio in partes auseinanderfallen. Auch in diesem Fall war eine ausführliche und geruhsame Diskussion schwerlich denkbar, von einem straffen Ablauf der Gesamtsitzung ganz zu schweigen. Eine Abstimmung erübrigte sich. Nachdem die Fakultäten ihre Meinungen vorgebracht und begründet hatten, oblag dem Rektor die wichtige Aufgabe, diese vier Voten zu einem Konzilsbeschluß zusammenzufassen (concludere)107• Das mußte umso leichter sein, je präziser die vorgelegten Fragen formuliert waren; man begreift aber auch, daß bei komplizierter Fragestellung und differenzierteren Voten die Einflußmöglichkeiten des konkludierenden Rektors beträchtlich waren. Mit der Konzilsreform von 1507 änderte sich dieses Verfahren von Grund auf. Die Reform des umständlichen und schwerfälligen Tagungsverfahrens war das Hauptmotiv für die Verkleinerung des Gremiums; die notwendige Verfahrensreform zog also die Reform der Konzilszusammensetzung gleichsam nach sich. Herzog Albrecht begründete die Einführung des engeren rats ausdrücklich damit, daß ein großes Konzil nicht so geheim, aber auch nicht so beschliesslich und fürderlieh hanndeln mag als ein rat darinn minder personn send. Im gleichen Atemzug mit der Beschränkung der Artistensitze auf sechs konnte nun die Anordnung ergehen, die Konzilsmitglieder sollten hinfuran nicht nach der faculteten, sonnder nach anzal irer person den rat beschliessen, auch der merer theil auß inen die volg deß rathschlags haben108• Erst mit der Aufhebung des Fakultätsstimmprinzips konnte die regierende Universitätsversammlung aus einer Zusammenkunft von Einzelkörperschaften zu einem wirklichen Organ zusammenwachsen, das den Prozeß der Meinungsbildung durch Meinungsaustausch aus den Fakultätsfraktionen in sich hineinzog, um damit den vielfachen, auch administrativen Aufgaben gerecht zu werden, die ihm die Nova Ordinatio nach dem Beispiel der alten Statuten zuteilte. Rector und zugeordneter rat waren nach Herzog Albrechts Vorstellung die jederzeit zusammen tätige, kollektive Spitze der Universität. Unverändert blieb, wie die Statuten von 1522 zeigen, die Aufgabe des Rektors im neuen consilium repraesentans. Nach der Vorlage der Tagesordnung (articulos proponere) erteilte er den einzelnen Senatoren zur Abgabe ihres Votums das Wort; auch jetzt mag noch die Meinungsäußerung mit der Stimmabgabe zusammengefallen sein. Für die Rednerliste galt ein ordo, unter dem man sich mangels genauerer Unterrichtung eine Synthese aus Rangordnung der Fakultäten und Dienst107 108
Mederer IV 62 und die oben Anm. 104 zitierten Protokolle. StB Clm. 1619, 79; vgl. Anhang V.
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6. Kapitel: Konzil (Senat)
alter der Professoren vorstellen kann109• Die Reihenfolge der Fakultäten war jedoch in den Beratungen von 1507 umgekehrt worden, sodaß jetzt die Theologen zuerst und die Artisten zuletzt aufgerufen wurden110. Nur ausnahmsweise und mit Erlaubnis des Rektors oder des Nächstvotanten war es gestattet, außer dieser Reihe zu sprechen. Wer einem Redner ins Wort fiel, wurde mit einer Geldstrafe belegt. Senatoren, die von einem Verhandlungsgegenstand persönlich betroffen waren, hatten sich vorübergehend zu entfernen111• Nach Abschluß dieser, Diskussion und Abstimmung zusammenfassenden Phase des Votierens oblag dem Rektor die wichtige Aufgabe, die wohl schon vorher von ihm registrierten Einzelmeinungen zu einem Konzilsbeschluß zu integrieren (vota singulorum colligat ..., iuxta deliberata concludat ad pluralitatem votorum)112• Hatte der Rektor vor 1507 in seiner Fakultätsfraktion gestimmt, so besaß er nun das Letztvotum und zugleich das Recht, mit ihm im Falle der Stimmengleichheit, deren Wahrscheinlichkeit sich durch Vermehrung der Stimmenzahl ohnehin stark verringert hatte, den Ausschlag zu geben. Das landesherrliche Enscheidungsrecht von 1472 fiel damit stillschweigend hinweg, das ius concludendi des Rektors implizierte von nun an ein ius grati-
ficandi113.
Die Bedeutung der conclusio war mit der Einführung der Einzelvoten eher noch gestiegen. Da die Statuten von der Möglichkeit ihrer Anfechtung nichts wissen, war dem Ermessen des Rektors offenbar ein weiter Spielraum gegeben. Das Notariatsstatut von 1522 definiert, als conclusum habe zu gelten, was der Rektor ex pluralitate votarum per notarium consilii publice in consilio lectum dicit esse conclusum11'. Was den Notar betrifft, so war er von dem Moment an eine unentbehrliche persona consilii, wo die Protokollführung zur festen Einrichtung geworden war. Ob das vor den neunziger Jahren des 15. Jahr109 Mederer IV 186: "Nullus preterea consiliariorum ... alterius votum interrumpat .. . Sed dum ordo eum tetigerit, citra cujusque injuriam sententiam suam super in consultationem proposito modeste proferat. Potest tarnen de rectoris licentia aut ejus quem ordo tangit favore aliquid cum modestia, si ita visum fuerit, preter ordinem afferre." 110 Prantl I 105 nach dem verlorenen Protokollband UA D III 2. 111 Mederer IV 187: "Cavemus preterea, si res in consultationem posita alicuius consiliarii existat aut ei sanguinis nexu seu affinitate juncti, quod talis tempore deliberationis secedat." 112 Mederer IV 188 f. -So auch in den Protokollen: "proposuit vicerector ... tria puncta etc. Desuper conclusum etc." (UA D III 4, 4: 1516) oder: "convocato consilio universitatis collegit dominis rector in votis quod etc." (f. 10,
1517).
113 Mederer IV 186: "Decernat autem rector id, quod a majori parte consilii percepit decernendum, aut si paria vota concurrerint, in quam partem declinandum decreverit, ea potior habeatur ... " Vgl. die alten Statuten Mederer IV 60 und 65. 11 4 UA D III 4, 104.
Ill. Verfahren
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hunderts, aus denen unsere frühesten Konzilsprotokolle überliefert sind, noch nicht der Fall war, muß offen bleiben. Im 16. Jahrhundert beschränkten sich die Protokolle zumeist auf die Registrierung der conclusa; nur ganz selten wurden die Einzelvoten aufgezeichnet115• Verfahrensunterschiede je nach Art und Wichtigkeit des Gegenstandes kannte das Konzil nicht, wenn man davon absieht, daß zur Publikation bestimmte decreta vor der Verabschiedung häufig von einer eingesetzten Kommission redigiert wurden, während man die Formulierung einfacherer conclusa wohl dem Notar überließ. Was schließlich die Statutengebung betrifft, so unterschied sie sich von den übrigen Beschlußfassungen durch die größere Sorgfalt, die man an sie wandte, dann allerdings auch durch die ihr unentbehrliche herzogliche Konfirmation116• Den neuen kollegialen Charakter der regierenden Ratsversammlung nach ihrer Reform im Jahre 1507 illustriert ein Statut, das außerhalb der offiziellen Satzung im November 1522 über die Einrichtung von familiaria colloquia in der soeben neu eröffneten Ratsstube verabschiedet wurde. Um pax und amicitia, deren sich die Universität zur Zeit erfreue, zu bewahren, wurde festgesetzt, daß in dem erwähnten Raum an allen Feiertagen zwanglose Zusammenkünfte bei Trank und Spiel stattfinden sollten, zu denen alle Konzilsmitglieder zu erscheinen hätten. Vor Beginn des geselligen Teils, an dem auch die Mitglieder des Artistenkonzils teilnehmen durften, sollten vor dem zunächst allein versammelten Senat (reliqui domini . .. paululum moram faciant) Rektor und Kämmerer die anstehenden Fragen zu Beratung und Beschlußfassung vorlegen ut sie pluralitas consiliarum evitari et omnia in tranquillo regimine conservari possent111• Die Verständigung im klein gewordenen, nicht selten durch Fehlen einzelner Mitglieder noch zusätzlich verengerten Kreis der Konziliare war bequem geworden und bedurfte immer weniger der formellen Veranstaltung118. In der zweiten Jahrhunderthälfte bürgerte sich der Brauch ein, daß der Rektor eine schriftliche Anfrage zirkulieren ließ, auf der die Senatoren ihr Votum vermerkten. Solche Umlaufprotokolle haben sich in den Akten recht zahlreich erhalten; die Statuten von 1642 erlaubten diese Methode (per schedam) nicht sine urgentissima causa und bestanden im allgemeinen auf dem persönlichen Erscheinen UA D III 4, 232 (1526), 238 f. (1527), 263 (1528). m Vgl. oben Kap. 2 Abschnitt I und besonders unten Kap. 11 Abschnitt I. 117 UA DIll 4, 116 ff.; vgl. Anhang IX. 118 Auch bei voller Besetzung des Senats ein selten eintretender Fall betrug die Zahl der Anwesenden noch höchstens zwölf. Aus den Protokollen (UA D III 4) ergeben sich aber folgende Zahlen: 1517-9 und 11; 1526- 11; 1527- 9; 1528- 10; 1530- 10. An den Konsistorien nahmen sogar bedeutend weniger Personen teil, nämlich selten mehr als fünf, nie mehr als sieben (UA DIll 7, 1 ff. für die Jahre 1535 ff.). 115
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6. Kapitel: Konzil (Senat)
der Senatoren119• Da aber die Häufung der Senatssitzungen und ihr schwacher Besuch immer wieder beklagt worden waren, überrascht es nicht, das Einholen der vota per circulum in sacco noch im Jahre 1748 staatlicherseits als grundsätzlich legal bestätigt zu finden 120• Tagungsort des Senats war anfangs, und auch später nicht selten, das Haus des Rektors, seit 1522 normalerweise die stuba consiliaris des Alten Kollegs.
IV. Das Dekanskonzil Zwischen Magisterplenum und Rektorat besaß die Leipziger Verfassung, textliche Vorlage der ältesten Ingolstädter Statuten, acht consiliarii, die vom Rektor aus Vorschlagslisten der Nationen ernannt wurden und ihm generell bei der Ausführung der Konzilsbeschlüsse, im besonderen bei der Rechtsprechung assistieren sollten121 • Wenn Ingolstadt auf dieses mittlere Gremium überraschenderweise gänzlich verzichtete, so muß die Ursache dafür weniger in dem Umstand gesehen werden, daß die Statuten von 1472 eine Nationengliederung nicht mehr kannten und also die Nationenkonziliare Leipzigs nicht einfach kopieren konnten. Schon Prag hatte neben den acht consiliarii der Nationen acht weitere aus Vorschlagslisten der Fakultäten besessen, und in seiner Nachfolge beschränkte sich das nationenlose Erfurt auf Übernahme dieser letzteren. Ingolstadt hätte sich dieser, auch ohne Textvorlage naheliegenden Lösung anschließen oder auch dem nicht weniger plausiblen Beispiel Kölns folgen können, wo bei der Adaption der Wiener Verfassung durch eine ebenfalls nationenlose Universität die Dekane alle Funktionen übernommen hatten, in die sie sich in Wien mit den Prokuratoren teilten122• Der Ingolstädter Verzicht auf Organe dieser Art erklärt sich wohl am besten damit, daß man in den zunächst bescheidenen Verhältnissen der Gründungszeit ein engeres Gremium oberhalb des Magisterkonzils entbehren zu können glaubte und in der Verfolgung dieses Gedankens das consilium generale neben seinen legislativen Kompetenzen auch mit Funktionen ausstattete, die anderswo jenen mittleren Konziliargremien vorbehalten waren. Das Konzil tritt oberhalb der Gesamtuniversität 119 Prantl II 395: " . .. si omnino aliqua causa vel intercessio id suadere videatur, (rector) senatores universitatis praesentes (et non per schedam sine urgentissima causa) ea de re consulat et ex ipsorum arbitrio ... " 120 Mederer IV 452. 121 Zarncke 53 § 11 "De modo eligendi consiliarios et iudiciales". "Consiliarii autem nacionum assistant rectori ad prosequendum et explendum, quod ei dictaturn est in consilio universitatis". Die Vorlage: Mon. bist. univ. Prag.
III 10 f. § 13.
122 Kink II 79 f. und Bianco 6 ff. (vgl. dort bes. § 38 und 51 mit der Wiener Vorlage).
IV. Dekanskonzil
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selbst auf die mittlere Verfassungsebene. Seine Mitglieder, mißverständlich consiliarii geheißen, verpflichten sich eidlich, den Rektor bei der Rechtsprechung und sonst zu beraten. Darüber hinaus sollen nach Leipziger Vorbild je zwei Konzilsvertreter die Schlüssel zur archa verwahren und bei der Rechnungslegung des alten Rektors anwesend sein123• Schon bei seiner ersten Einberufung im Herbst 1472 muß aber das consilium generale eine zahlenmäßige Größe erreicht haben, die es an der Ausübung seiner statutenmäßigen exekutiven Funktionen hinderte. Bei der Bestellung von assessores für sein Gericht hatte der Rektor statutengemäß die Wahl unter den Konzilsmitgliedern. Noch vor Ende des Jahrhunderts scheint nach Auskunft der Gerichtsprotokolle der Brauch aufgekommen zu sein, die vier Dekane in diese Funktion zu berufen124• Tatsächlich bot sich ja in Ermangelung jeglicher Konkurrenz dieses einzige ständige Amt neben dem Rektorat für die Übernahme bestimmter Funktionen in der Universitätsverfassung an. In der italienischen Tradition erschienen die Dekane zuerst in Erfurt in der Eigenschaft von Universitätskonziliaren. Besser noch war die Ausgangsbasis des Dekanats in der Verfassung des Pariser Typs. In Paris selbst noch stark im Schatten des Prokuratoramts, immerhin aber schon mit der Befugnis versehen, die Fakultäten zur Universitätsversammlung einzuberufen, spielen die Dekane in Wien neben den Prokuratoren eine bedeutende Rolle, um schließlich in Köln auch deren Befugnis gänzlich an sich zu ziehen125• Der Rückgriff auf das Dekanat lag, wie gesagt, auf der Hand, und es überrascht deshalb nicht, in Ingolstadt schon früh Ansätze für die Konstituierung der Fakultätshäupter zu einem Organ zu registrieren. Neben den erwähnten Vorformen eines aus Rektor und Dekanen bestehenden Konsistoriums begegnet etwa im Jahre 1475 eine Prozessionsordnung, die von den Dekanen ex commissione tocius universitatis verabschiedet wurde 126• Die Nova Ordinatio (1507) übersah solche Keime einerneuen Organbildung, sei es, daß das neue Kleinkonzil in den Augen der Verfasser ein Zwischengremium erübrigte, oder daß das Modell Tübingen, wo die Dekane erst in den Statuten von 1537 an die Stelle der älteren vier consiliarii traten, diesmal ausfiel127• Wenn deshalb das Dekanskonzil in Mederer IV 61; vgl. oben Anm. 15 ff. Vgl. Kap. 10 Anm. 97. Vgl. Anm. 122. 126 UA D III 1, 482. 127 Roth, Urkunden 44 (1477): " ... quod rector noviter electus post factam electionem mox petat sibi assignari consiliarios, qui eidem, etiamsi non petierit, adiungantur quatuor ..."; dagegen ebenda S. 211 (1537): "assessores 123
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6. Kapitel: Konzil (Senat)
der Satzung von 1522 in weitgehend institutionalisierter Gestalt verankert wird, so findet darin - ein sonst nicht eben häufig zu fällendes Urteil!- eine eigenständige Ingolstädter Verfassungsentwicklung ihren vorläufigen Abschluß. Schon in den letzten Jahren vor der Verabschiedung der zweiten Statutenredaktion werden die Belege dafür, daß die Versammlung der Dekane die Rolle eines allseitig zuständigen mittleren Verfassungsorgans übernommen hatte, in den Protokollen zahlreich. Das Gremium spricht Karzerstrafen aus, kündigt einem Studenten die Privilegien, behandelt eine Streitsache mit den Bürgern, untersucht eine Regenswahl in der Artistenfakultät, führt eine inquisitio über libeHi famosi durch und vieles andere mehrm. Die Statuten von 1522 geben diesem Status, den sich das Dekanskonzil in der Praxis erobert hatte, ihre rechtliche Sanktion. Die Dekane werden zu consiliarii (rectoris) tam in juditiaZibus quam aZiis agendis ernannt128• Alle weniger wichtigen Angelegenheiten soll der Rektor mit ihrem Rat entscheiden (quatuor decanorum utatur consilio), Wichtigeres nur mit ihrer Einwilligung vor den Senat bringen. Für längere Zeit darf sich der Rektor nur decanorum scientia et consilio aus der Universität entfernen, ebenso auch der Pedell. Die Dekane sind die Zensurbehörde, die über die Aufführung von Theaterstücken und die Ausstellung von Prognostiken entscheidet, sie bewahren die Schlüssel zum Archiv und erteilen die Erlaubnis für die Benützung von Hörsälen130• 1529 übertrug das Konzil ihnen auch die allsemesterliehe Revision der Akten131• In solcher Vielfalt der Zuständigkeit konstituierte sich das neue Organ oberhalb eines Universitätskonzils, dessen Umfang gleichzeitig gegenüber der alten Verfassung rigoros beschränkt worden war. Wenn das Notariatsstatut von 1522 die Definition bringt, daß die Dekane in causis petenti rectori statim, ubi creatus fuerit, adiunguntur ab universitate prioris semestris rector et decani quatuor professionum". 128 UA D II 4, 19, 32, 37, 42, 45, 60, 121. 129 Mederer IV 191: "Gerat autem unusquisque in sua facultate tamdiu decanatum, quo ad rector in suo offitio perseveraverit, cujus et consiliarius sit tarn in juditialibus quam aliis agendis". Vgl. auch S. 186.- Die juristischen Fakultätsstatuten von 1524 bestätigten diese Formulierung (Mederer IV 240): "Quoniam quelibet facultas decanum ordinet in primum et precipuum illius (sc. rectoris) consiliarium ..." 1ao Mederer IV 189, 195, 196. 1 31 Vgl. unten Kap. 8 Anm. 158.- 1566 (?) bat ein Student um Dispens von den Beschränkungen für Hochzeitsfeiern, und zwar erstens um die Erlaubnis, mehr Gäste zu laden, und zweitens, mehr Geschenke zu empfangen. Darauf schrieb der Rektor in einem Umlauf an die Senatoren: "Quorum alterum cum non ignorem per rectorem una cum quatuor decanis expediendum, alterum vero ad plenum concilium referendum esse, neque tarnen aeque arbitrer ob tarn levem rem eamque solam dominationes vestras convocandas esse, visum est mihi faciendum ut in scriptis earum vota explorarem" (UA D XIII 1).
IV. Dekanskonzil
219
non multum prejuditialibus pro consilio reputantur132 , und wenn die convocationes decanorum repraesentantium totum consilium in den Protokollen immer häufiger an die Stelle der Plenarsitzungen treten133, so muß man bedenken, daß der Senat selbst, der hier die Fülle der täglichen Entscheidungen von sich weg auf die Dekane delegierte, ein kaum mehr als zehnköpfiges Gremium war, gegenüber einer immerhin in die Hunderte gehenden Mitgliedszahl der Gesamtuniversität. Diese Überlegung macht die ganze Entfernung sichtbar, die die Ingolstädter Verfassung von 1522 von den Ausgangsformen der universitas magistrorum an der Wende des Hochmittelalters trennt. Wenn die Überwindung großkonziliarer Verfassungsformen zum Zuge der Zeit gehörte und etwa auch in der Entwicklung der Staatsbehörden manche Parallele findet, so hat Ingolstadt mit der gleichzeitigen Sanktionierung des repräsentativen Senats und des diesen repräsentierenden Dekanskonzils ihm gleich doppelt Tribut gezollt. Fortan ist es ein an zwei Händen abzählbarer Personenkreis, der sich an der äußersten Spitze der scholastischen Hierarchie mit dem ganzen, noch verfeinerten institutionellen Aufwand der alten Universität in einem dreischichtigen Verfassungssystem organisiert. Die Statuten von 1556 änderten an der 1522 umrissenen Kompetenz des Dekanskonzils, in dem der Rektor den Vorsitz führte, nichts. Die Rektoratsinstruktion von 1577 bestätigte die Unterscheidung von res graviores, die vor den Senat gehörten, und allen übrigen Geschäften, die der Rektor in dem vierzehntägig zusammentretenden consistorium quatuor decanorum zur Verhandlung bringen sollte134• Für den Annalisten Rotmar, der wenig später schrieb, bestand die universitas geradezu aus Rektor und Dekanen: Universitas ex rectore et quatuor
decanis constat135•
Die Nebenregierung des Inspektors und Vizekanzlers, dem seine Instruktion ein Dreierkomitee von HUfsbeamten zugeordnet hatte, vermochte dem Dekanskonzil nichts Bemerkbares anzuhabenm; erst unter Herzog Maximilian bekam das Gremium in dem neugeschaffenen Ausschuß der seniores eine ernsthaftere, jedoch wohl ebenfalls nicht dauerhafte Konkurrenz 137• Noch im Jahre 1769 bestätigte eine herzogliche Vgl. Anhang XII. Z. B. UA D III 7, 147'. m Prantl II 307. 13> Mederer I xxix. 13s Vgl. unten Kap. 8 Anm. 91. 13 7 Vgl. Kap. 9 Anm. 103 und 141.- Die .,seniores" erhielten 1598 (bei Einrichtung dieses Ausschusses) neben der Aufsicht über die Kammer, auf die sich später ihre Zuständigkeit beschränken sollte, auch die .,inspectio der artisten facultet" anvertraut; auf Einspruch der Jesuiten beschränkte der Herzog wenig später diesen Auftrag auf die Kontrolle des Rechnungswesens und des Georgianums (UA B IV 1, 6. 11. und 24. 12. 1598). Da dem Vizekanzler Eisen132
m
220
6. Kapitel: Konzil (Senat)
Verordnung das consilium decanicum, im besonderen als erste Gerichtsinstanz, aber wenige Jahre später trat es diese letztere Funktion an ein neugeschaffenes, aus den juristischen Ordinarien und den Senioren aller Fakultäten bestehendes consilium judiciale ab138• Die Universitätsverfassung von 1802 behielt das Decanicum neben dem engeren Senat in seinerneuen Form zunächst bei, aber zwei Jahre darauf wurde. es dann gemeinsam mit dem Judiciale endgültig abgeschaffe 39• Nachdem der Senat durch Einführung eines letztentscheidenden und rektorwählenden Professorenplenums wieder auf die mittlere Verfassungsebene heraufgerückt war- die seiner Zusammensetzung zufolge im Grunde schon dem Konzil von 1522 gebührt hätte - übernahm er die Funktionen des Dekanskonzils. Freilich ist die unmittelbare Ursache für dessen Aufhebung darin zu suchen, daß die Fakultäten in ihrer traditionellen Gestalt im Jahre 1804 durch "Sektionen" ersetzt wurden. Daß aber die Abschaffung des Dekanskonzils der Logik des neuen Verfassungssystems entsprach, wird durch die Tatsache bezeugt, daß die Dekane es zwar in der Folgezeit wieder zu ständiger Senatsmitgliedschaft, nicht aber zur Konstituierung eines eigenen Gremiums gebracht haben.
grein 1576 der Kämmerer sowie zwei weitere Doktoren als "socii ac coadiutores" beigeordnet worden waren (Prantl II 304) und andererseits die Vizekanzler Hunger, Stewart und Menzel jeweils als "seniores" der Artistenfakultät zu jenem Kammerausschuß gehörten, konnte der Eindruck entstehen, es handle sich um das gleiche Gremium, und die "seniores" oder "camerales" seien die Gehilfen des Vizekanzlers; so etwa in einem herzoglichen Schreiben vom 12. 12. 1613: da immer "aus den dreien höhern faculteten theologica, juridica und medica einer dem procancellario tanquam senior pro assistente adiungirt" werde (vielleicht ist auch "procancellario" Schreibfehler für "camerario") (StA Obb. GL 1478/18 a). Die beiden Gremien hatten aber deshalb nichts miteinander zu tun, weil die "coadiutores" nicht nach dem Prinzip der Fakultätsrepräsentation bestimmt worden, und ihre Kompetenzen allgemeiner waren als diejenigen der "seniores". 1ss Prantl I 623, 669. 1s9 Fermaneder 521 und 538.
Siebentes Kapitel
Das Rektorat I. Rechte und Pflichten Ihre Macht und Geschlossenheit symbolisierte die universitas magistrorum et scholarium im Rektorat. Das höchste Amt der Korpora-
tion bleibt für lange Zeit das einzige, das über skizzenhafte Umrisse hinaus zu fester Gestalt gelangt. Das Rektorat hatte immer den doppelten Auftrag, nach innen die Hoheit der Allgemeinheit gegenüber den Sonderinteressen der Einzelnen und der Teile zur Geltung zu bringen, nach außen aber Platz und Rang zu demonstrieren, die die Universität für sich selbst in der Hierarchie der Welt beanspruchte. Der Rektor ist das Haupt der Universitas, wie sie selbst als ein Körper begriffen wird: ein corpus politicum, misticum1• Die vier Fakultäten bilden una tantum universitas et unum corpus indivisibile, und dieser Körper hat nur ein Haupt, unum tantum caput, den Rektor2• Die Einheit des Körpers setzt die Einzigkeit des Hauptes voraus, sie kann nicht ohne diese sein. Der Rektor steht der Gemeinschaft vor wie das Haupt den Gliedern, sicut caput membris; er darf sie regieren (regere, gubernare), sie haben ihm zu gehorchen3 • Theoretische Aussagen dieser Art stützten sich auf die Tegere-Etymologie, standen aber auch ersichtlich unter dem Einfluß des mittelalterlichen Staatsdenkens, das in auffälligem Gegensatz zu einer stark genossenschaftlich und widerstandsrechtlich geprägten Praxis immer dem monarchischen Prinzip den Vorzug zu geben neigte4 • Fournier 111 45 § 1 und 102 ff. § 12. Weissenborn I 6: .,sit una tantum universitas et unum corpus indivisibile et unum tantum caput". 3 Fournier 111 45: .,ut ex ipsis (sc. facultatibus) et capite fiat unum corpus politicum et ut non sit pluralitas principatuum, quod ex ipsis et ab ipsis eligatur unum caput sive rector" (Nantes). - Alcocer Martinez 329 ff. § 3: .,sie in regimine politico omnia ad unum rectorem referenda sunt" (Valladolid). - Fournier III 47 ff.: .,(rector) toti universitati presidebit sicut caput membris" (Bordeaux)- Fournier 111 340 ff. § 3, Weissenborn I 6. 4 Vgl. F. Kern, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht, 1914. In späthumanistischer Manier rühmt die 1567 gedruckte .,Oratio de rectoratu academico" des Ethikprofessors und nachmaligen Kämmerers Wolfgang Zettel den königlichen Glanz des höchsten Universitätsamts, seine aus Fürstenhand empfangenen .,ornamenta" und .,privilegia", .,ut sunt sceptra, quae rectori academico 1
2
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7. Kapitel: Rektorat
Ein Rektorat von autoritativem Charakter gehörte gleichsam als Pendant zu einer noch unausgebildeten, mangelhaft institutionalisierten Universität mit entsprechend starkem demokratischen Einschlag. Die Macht des Rektors manifestiert sich in der Pracht seines Auftretens. Er trägt, wohl zuerst in Italien, aber bald überall in Europa, den pelzgefütterten Umhang (pellis de vario, varii foderata, caputium foderatum de variis) als Zeichen seiner Würde. Die Ingolstädter Statuten schreiben ihm ein solches Kleidungsstück im Wert von 6 Gulden vor, das er sich aus eigenen Mitteln beschaffen muß, und es soll einen drei Finger breiten Pelzsaum aufweisen5 • Der Kleidung entsprach der Aufzug. Der Rektor sollte in der Öffentlichkeit nicht allein, sondern stets in ehrenhafter Begleitung auftreten. Bei offiziellen Veranstaltungen schritten ihm die Pedelle oder einer von ihnen mit dem Universitätszepter voran8 • Solcher festa sceptri nennen die Ingolstädter Statuten von 1522 fünf im Jahr; acceptis sceptris mußte sich der Pedell mit seinem Gehilfen im Hause des Rektors einstellen und ihm sodann auf dem Weg zur Kirche voranschreiten. Erschien der Rektor bei einem actus publicus, so ging der Pedell ihm mit dem Zepter sechs bis acht Schritte voraus und verkündete mit lauter Stimme titulum rectori merito attribuendum1 • Schon im ersten Jahr der Ingolstädter Universität findet sich dieser Titel magnificus in der Matrikel und in den Protokollen; in den Statuten taucht er erst 1522 auf. Der Rektor teilte ihn allerdings mit den fürstlichen Räten, später auch mit dem Superintendenten8 • Ein alter, in Paris schon im 14. Jahrhundert belegter Brauch wurde 1522 mit der deductio rectoris aufgenommen, dem feierlichen Geleit für den Neugewählten; 200 Jahre später befahl der Kurfürst der Universität, diese Veranstaltung nicht in Vergessenheit fallen zu lassen9 • et patribus scholasticis ordine incedentibus, comitante tota caterva scholastica, in pompis publicis praeferuntur. Quod plane regium est". Der Redner zitiert den "usus sigilli grandioris; caerae rubrae, annulorum et huiusmodi ... deductiones et comitatus plane regij, qui a patribus et caetu scholastico fieri solent". Vgl. unten Anm. 49. 5 Mederer IV 64 f. Vgl. dazu Pölnitz, Denkmale und Dokumente 73 f. 6 Vgl. das Ingolstädter Pedellstatut UA D III 4, 109; Anhang XIII. Ähnliche Vorschriften auch in den Statuten anderer Universitäten. 7 Pedellstatut 1522, vgl. Anhang XIII. 8 UA D III 1, 3 (9.11. 1472); Matrikel Pölnitz I 21; Mederer IV 209. P. Lehmann (Eine historisch-terminologische Wanderung 11) datiert das Aufkommen des Titels zu spät. Für die Anrede der Patrone und Superintendenten vgl. Kap. 8 Anm. 83 und Kap. 11 Abschnitt II. 9 Mederer IV 193 f., 449 ff.; außer nach der Rektorwahl fanden die "deductiones" an den fünf Hauptfesten statt. - In Paris wurde der neugewählte Rektor von den Magistern seiner Nation nach Hause begleitet, wo er sie anschließend mit Wein und Gewürzen bewirtete.
I. Rechte und Pflichten
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Der Rektor hatte Vorrang vor allen anderen Universitätsangehörigen; aliquis non possit precedere rectorem, sagen die Statuten Bolognas10• Dieser Anspruch wird bald auch gegenüber Außenstehenden erhoben; so war es in Bologna gemeint, und so wurde es in Paris zum Brauch. Der Ingolstädter Stiftungsbrief räumte dem Rektor bei Prozessionen einen Platz hinter den beiden Stadtpfarrern ein, wobei aber zu bedenken ist, daß sich der Ehrenplatz - wie die Prozessionsordnungen bestätigen nicht an der Spitze, sondern am Ende eines Festzuges befand11• Gegen Ende des 16. Jahrhunderts stritt der Ingolstädter Rektor mit dem herzoglichen Statthalter um die Präzedenz und konnte sie mit Unterstützung des Fürsten in allen Universitätsveranstaltungen für sich behaupten12• So herrschaftlich freilich das Rektorat, besonders in Bologna und sonst in Italien, äußerlich auftrat, so wenig absolut war doch hier wie in Paris die wirkliche Macht des Rektors. Seine jurisdiktionellen und exekutiven Befugnisse mußte er überall mit anderen, zugleich beratenden wie kontrollierenden Instanzen teilen; legislative Kompetenzen hat er nie und nirgends besessen.
Rechte gegenüber dem Konzil In allen wichtigeren politischen Angelegenheiten zur Konsultation des Senats und zur Beiziehung der Dekane verpflichtet, erschöpfte sich die politische Bedeutung des Rektorats weitgehend in den Rechten, die ihm die Geschäftsordnung des Konzils übrigließ. Dazu gehörte in erster Linie das Einberufungsrecht, seit alters her ein unbestrittenes, allgemein aber durch verschiedene Bedingungen und Modalitäten in seiner Wirksamkeit eingeschränktes Monopol des Rektors13• Wie anderswo stritten auch in Ingolstadt das Interesse an der Kontrolle der rektoralen Amtsführung und die Trägheit der Senatoren miteinander, so daß die Statuten, schwankend, ob die Eigenmächtigkeit des Rektors oder die Malagola 55 (1432); vgl. auch Malagola, Monografie 1 ff. Prantl 11 27; vgl. zu den Prozessionsordnungen Kap. 5 Anm. 52. 12 Prantl II 376 und 405 (1605 und 1663). Ein Gutachten herzoglicher Räte aus dem Jahre 1599 zugunsten des Rektors und ein diesem Gutachten folgender landesherrlicher Befehl in UA B IV 1. 13 Ein allgemeines Ladungsrecht der Magister, wie es ähnlich in Paris vor dem Aufkommen des Rektorats üblich gewesen sein muß, zeigen die alten Statuten Montpelliers: "quilibet magister possit facere congregationem, nisi illas que fiunt per fidem, quas solus faciat cancellarius" (Fournier II 8). Zunächst scheint also dem Oberhaupt der Universität die befehlsmäßige, verbindliche Ladung reserviert worden zu sein, dann aber die Einberufung überhaupt. In Paris erhoben zeitweise die Prokuratoren den Anspruch, die Versammlung der "facultas artium" einzuberufen, setzten sich aber damit nicht durch.- über die Beschränkungen des rektoralen "ius convocandi" vgl. oben Kap. 6 Anm. 85 ff. 10
11
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7. Kapitel: Rektorat
Häufung der Senatssitzungen als das größere Übel anzusehen sei, dem Rektor die Konsultation des Senats zur Pflicht, nicht aber zu einem beliebig benutzbaren Recht machten14• In der Konzilstagung selbst stand dem Rektor das mit dem Ladungsrecht eng verwandte ius proponendi zu: die Vorlage der Tagungsordnungspunkte, durch deren Formulierung auf die spätere Beschlußfassung ein gewisser Einfluß ausgeübt werden konnte. Nach der Beratungs- und Abstimmungsphase oblag dem Rektor das wichtige ius concludendi, bei dessen Handhabung er zwar statutenmäßig an die pluralitas votorum gebunden war, das aber durch keine formelle Anfechtungsmöglichkeit eingeschränkt war. Seit den Statuten von 1522 besaß der Rektor schließlich ein mit seinem Letztvotum verbundenes, zuvor ausdrücklich dem Landesherrn reserviertes ius gratificandi15• Diese formellen Rechtstitel sagen wenig über den wirklichen Einfluß der Rektoren auf die regierende Versammlung, der weniger von dem Amt, als von der Persönlichkeit dessen abhing, der es gerade bekleidete. In den Konzilsprotokollen ist von den Rektoren seit der Konzilsreform am Beginn des 16. Jahrhunderts fast nur noch aus Anlaß der allsemesterlichen Wahlhandlungen, fast nie dagegen im Zusammenhang mit der jeweiligen Verhandlung und Beschlußfassung die Rede. Selbst mit der Ausführung von conclusa, so etwa mit der Führung bestimmter Verhandlungen, wurden kaum je die Rektoren, sondern zumeist einzelne Senatoren betraut. Man wird diese zunächst auffällige Erscheinung am besten so erklären können, daß der Rektor mit den laufenden Gerichtsgeschäften so vollauf ausgelastet war, daß sich seine Inanspruchnahme für die eigentlich politischen Zwecke als unmöglich oder doch untunlich erwies. Außerdem tat sicher je länger je mehr der Ausschluß der coniugati vom Rektorat im Zusammenspiel mit den übrigen Wahlmodalitäten und der kurzen Amtsperiode das Seine, die dem Amt gegenüber gehegten Erwartungen und Ansprüche gedämpft zu halten. So nahm Petrus Canisius 1550 das Rektorat nur ungern an, weil, wie er Loyola schrieb, der Rektor sich angesichts seiner Überlastung mit vielfältigen Aufträgen und seiner halbjährigen Amtszeit mit der Reform des Studiums und der Religion gewöhnlich nicht befassen könne16• Dennoch blieben die Statuten von der Erstfassung bis zu den späteren Redaktionen dabei, dem Rektor die Ausführung der Konzilsbeschlüsse und damit die eigentlich exekutive Gewalt in der Universität anzuvertrauen17• Mederer IV 62 und 186; vgl. eingehender Kap. 6 Anm. 89 ff. s Mederer IV 65 und 185; vgl. Kap. 6 Anm. 113 und Kap. 11 Anm. 62 f. 16 Braunsherger I 338; vgl. unten Anm. 44. 17 Mederer IV 62 und 186: "rector quoque ea (sc. consilii conclusa) fideliter exequatur". 14 1
I. Rechte und Pflichten
225
Rechte gegenüber den supposita Der Katalog der Pflichten, den Canisius, allerdings wohl noch weniger aus eigener Erfahrung als auf Grund einer Statutenlektüre, für das Rektorat zusammenstellte, umfaßt die Einschreibung der Studenten, die Nötigung der Schuldner, die Anhörung von Klagen der Bürger und Mädchen gegen die Scholaren, die Verhängung von Arresten, die Ergreifung von Betrunkenen und Nachtschwärmern, schließlich: avere iL prima luogo nelli convitti, congregazioni et promozioni18• Die Liste enthält fast ausschließlich jurisdiktioneHe und repräsentative Aufgaben; vollständig ist sie freilich nicht, wenn auch der unerfreuliche Gesamteindruck, den sie vermittelt, im ganzen zutreffen mochte. Will man die buntgewürfelten Kompetenzen des Rektorats auf eine Formel bringen, so wird man sagen dürfen, daß es zwar nicht über die Universität als Ganzes oder ihre regierende Versammlung, wohl aber über ihre einzelnen Mitglieder, die supposita universitatis, eine echte Gewalt besaß. Als Verwalter der Matrikel besorgte der Rektor die Aufnahme in den Verband der Universität und erteilte gegebenenfalls Auskunft über die Mitgliedschaft einer Person, während Austritt (renuntiatio) und Ausschluß (exclusio und relegatio) aus der Universität nicht in seine Kompetenz fielen19• Über die konkreten Gebote und Verbote der Statuten, deren Wahrung und Ausführung dem Rektor anbefohlen war, hinaus mußten sich alle Immatrikulierten dem Rektor eidlich zu Gehorsam (in licitis et honestis) und zur Befolgung seiner Ladungen und Mandate verpflichten20 • Die engere Gerichtsbarkeit, die der Rektor als iudex wahrnahm, ging über die Disziplinargewalt bruchlos in der allgemeinen und umfassenden Aufsichtsfunktion auf21 • Im besonderen hatte der Rektor Disziplin, Lebenswandel und Lernfleiß der Studenten zu kontrollieren. Zu den präzisen Verpflichtungen jedes Neugewählten gehörte der unverzügliche Erlaß eines allgemeinen Disziplinarmandats22 • Im weiteren Sinn war auch der statutarische Auftrag, zu bestimmten Festen Gottesdienste zu veranstalten und für ihren regen Besuch und ihre ungestörte Durchführung zu sorgen, ein Teil jenes umfassenden Mandats, das die Statuten von 1522 in dem Grundsatz formulierten: rector omnia pro utilitate studii et subditorum disponat 23 • 1s 19 20 21 22
2a
Braunsherger I 338. Vgl. Kap. 10 Abschnitt III. Prantl II 18, Mederer IV 210. Vgl. Kap.10 Anm.117. Mederer IV 189. Mederer IV 188.
15 Seifert
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7. Kapitel: Rektorat
Über den Unterrichtsbetrieb führte der Rektor, erstmals 1522 in den Statuten ausgesprochen, eine Aufsicht, die ihm später der Superintendent abnehmen sollte. Zusammen mit dem Kämmerer hatte er bei Amtsbeginn die neglecta der Professoren zu registrieren und die vorgeschriebenen Geldabzüge zu verhängen24 • Die Studenten waren verpflichtet, dem Rektor Vorlesungszeugnisse ihrer Professoren beizubringen; für die discipuli der Artisten besorgten diese Aufgabe die praeceptores. Regelmäßige Studientätigkeit war eine Bedingung und notfalls ein Indiz der studentischen Eigenschaft25 • Den Senatoren nahm der Rektor ihren Amtseid ab; auch sie wareneinzeln - verpflichtet, den Ladungen des Rektors Folge zu leisten. In der Konzilstagung erteilte und entzog der Rektor das Wort, gebot Streitenden Schweigen, genehmigte Änderungen der statutarischen Rednerliste28 • Neben der Matrikel verwaltete der Rektor das kleine Siegel und das Sekret, während das sigillum maius unter Verschluß der Universität gehalten wurde. Ohne Billigung des Senats durfte er lediglich litterae universitati non praejuditiales, quibus persona tertii non laeditur mit dem Sekret siegeln27 •
Haushalt und Honorar In Konkurrenz zur Kammer, mit der er von Amts wegen nichts zu tun hatte, führte der Rektor seinen eigenen kleinen Haushalt, dessen Einnahmenseite von den Immatrikulations-, den Straf- und Siegelgeldern bestritten wurde. Über sie war der Rektor verpflichtet, nach Amtsende vor seinem Nachfolger und einem Ausschuß des Senats Rechnung abzulegen. Diese computatio oder ratio universitatis fehlt in keiner der Universitätssatzungen. Man darf annehmen, daß es sich dabei um unbeträchtliche Summen handelte, umso mehr, als der prozentuale Anteil des Rektors an den Einnahmen, der bei der computatio abgezweigt wurde, recht hoch war28 • Angesichts der vielfachen Mühen und auch Ausgaben, die das Rektorat seinen Trägern abverlangte, hielt man eine finanzielle Entschädigung für gerecht, zumal das Interesse am Amt nach Möglichkeit wachgehalten werden mußte. Die alte Universität wählte den Weg, Mederer IV 189. Mederer IV 194. 2s Mederer IV 185 f. 27 Mederer IV 190 und UA D III 4, 104 (vgl. Anhang XII). 28 Mederer IV 61 und 188. Vgl. auch Braunsherger I 364, Canisius an Loyola (30. 4. 1551) : ,.Postquam hoc (sc. rectoratus) munus deposui . . ., reddenda fuit accepti et dati ratio. Pecuniam numerarunt, quam pro more solvunt, rectori; sed constante r negavi me accepturum quicquam . . ." 24
25
II. Bedeutung
227
den Rektor prozentual an seinen Amtseinnahmen zu beteiligen und so den Amtseifer mit dem materiellen Interesse in Verbindung zu bringen. Bologna teilte seinen Rektoren die Hälfte der Strafgelder zu, während in seiner Tradition Prag einen Modus erfand, der in Deutschland weite Verbreitung fand: der Rektor bekam je ein Drittel von den Straf-, den Immatrikulations- und den Siegelgebühren, seinen drei ordentlichen Einnahmequellen. Eine Ausnahme bedeutete die Tübinger Regelung, derzufolge der Rektor auch an den Promotionseinnahmen beteiligt wurde29 • Der Ingolstädter Rektor erhielt nach den alten Statuten nur ein Viertel der Strafgelder sowie die bei den Studenten beschlagnahmten, dem Rektor auszuliefernden Waffen. 1522 wurde dann das Honorar beträchtlich erhöht; zusätzlich zu der Hoffnung auf die Krone der Gerechtigkeit verhießen die Statuten dem Rektor ein Drittel der Immatrikulations-, die Hälfte der Straf- und die gesamten Siegelgebühren. Für die beschlagnahmten Waffen mußte er laut Anordnung Herzog Albrechts IV. von 1508 den Wächtern pro Stück 21 Pfennig zahlen30• Auch dieser ungewöhnlich hohe Anteil, der in den Statuten von 1555 und 1642 erhalten bleibt, ist später als unzureichend empfunden worden, wobei freilich zu beachten ist, daß der Kämmerer von Anfang an ein Gehalt bezog. Der Rezeß vom Juni 1586 stellte die beiden höchsten Beamten der Universität mit einem Honorar von je 50 Gulden einander gleich31• II. Die Bedeutung des Rektorats in ihren Wandlungen Die Ingolstädter Gründungsverfassung verfuhr bei der Ausstattung des Rektorats mit theoretischer Kompetenz äußerst zurückhaltend. Hier ist es das Universitätskonzil, dessen Zuständigkeit und Machtfülle mit Ausdrücken umschrieben wird, welche die Statuten andernorts dem Rektorat vorbehalten. Bei ihm, dem consilium generaLe, liegt die volle und allseitige Autorität, nicht nur zu statuieren, wie es der Regel entsprochen hätte, sondern auch alles und jedes anzuordnen, zu entscheiden und auszuführen. Der Rektor wird nicht, wie in vielen anderen Statuten, caput studii genannt, sondern caput consilii universitatis und somit 29 Malagola 13 § 11; Mon. hist. univ. Prag. III 9 f. § 8 und 10; Roth, Urkunden 47. 30 Mederer IV 65 und 190: "rectori enim rempublicam diligenter amplectenti et magistratum fideliter administranti justus judex coronam justitie reponet, ad hoc nos ei tertiam partem intitulatorum (pauperibus demptis) largimur, addimus et penarum medietatem etc." 31 Prantl II 329. Das erstemal bezog schon Peter Stewart für sein Rektorat im WS 1585 dieses Gehalt (Pölnitz Matrikel WS 1585).
228
7. Kapitel: Rektorat
potissima pars dieses Gremiums. Eine Kompetenztrennung zwischen dem Rektorat und dem auf der mittleren Verfassungsebene angesiedelten Konzil wird beinahe in keiner Beziehung vorgenommen: überall erscheinen Rektor und Konzil als kollektiv entscheidende und kollektiv ausführende Leitung der Universität32• Von noch größerer praktischer Wirkung mußten die Rektorwahlbestimmungen sein, auf Grund deren sich die Rektorenliste zu drei Vierteln aus den jederzeit an zwei Händen abzählbaren Professoren der drei oberen Fakultäten zusammensetzte. Beides, die geringe Machtfülle und die Fakultätenparität, mußten im Zusammenwirken das Rektorat zu einem Werkzeug der oberen Professorenschaft degradieren, mit allen daraus resultierenden Folgen praktischer Korruption und institutioneller Ohnmacht. Unter diesen Umständen überrascht es nicht zu sehen, daß Bemühungen zur Hebung und Verselbständigung des Rektorats besonders von landesherrlicher Seite ihren Ausgang nahmen. Aus begreiflichen Gründen war der Staat daran interessiert, innerhalb der Universität eine eindeutig und personell verantwortliche Instanz als Partner sich gegenüber zu haben, wobei die Fesselung des Rektorats - rechtlich an das Konzil, soziologisch an die Professorenschaft - vor allem und immer wieder unter dem Gesichtspunkt gesehen wurde, daß sie das Amt zu einer effektiven Kontrolle der Professoren und ihres Leseeifers untauglich machte.
Bindungen an den Staat Gegenüber dem Landesherrn waren die Ingolstädter Rektoren über ihre Professoreneigenschaft und die darin beschlossene Abhängigkeit hinaus vom Gründungsjahr an zur Leistung eines formellen Treueids verpflichtet, - mit gewissen Einschränkungen ein Novum in der deutschen Universitätsgeschichte33• Das Rektorat stand damit von Anfang an rechtlich zwischen der Universität, die es repräsentierte, und dem Staat, den es in der Universität vertrat. Freilich darf die letztere Bindung für die Frühgeschichte nicht überschätzt werden; noch war das Rektorat mit einem staatlichen Auftragsorgan durchaus nicht vergleichbar. Die Rektorwahl war von staatlicher Einflußnahme für mehr als ein Jahrhundert frei. Die seltenen, vom Herzog aus besonderem Anlaß Mederer IV 62 ff. ("De jurisdictione et officio rectoris"), vgl. Anhang I. Prantl II 17: "Item ein yeder rector . .. sol ... vor den erwellern offenlieh zu gott und den heiligen swern, uns und unsern obgemelten erben und nachkamen getrew und hold zesein, unsern unser erben und nachkamen und derselben universitet frumen zefürdern schaden zewarnen und sein ambt nach lautt diser unser freyhait und der universitet statut zuverwesen, alles getrwlich und ungeverlich." Vgl. Kap. 11 Anm. 57. 32 33
li.
Bedeutung
229
verfügten Amtsverlängerungen34 wie auch das bis 1522 bestehende herzogliche Entscheidungsrecht bei unentschiedenem Wahlausgang hatten weder den Sinn noch den Erfolg, eine staatliche Mitsprache bei der Besetzung des Amts wirksam zu garantieren. Absetzungen gewählter Rektoren durch den Landesherrn sind niemals vorgekommen. Dazu mußte sich der Umstand, daß die stark unter staatlicher Aufsicht stehenden causae camerae den Rektoren praktisch von Anfang an, grundsätzlich seit den Statuten von 1522 entzogen waren, günstig auf die Unabhängigkeit des Amts auswirken. Nicht weniger wichtig scheint, daß die Rektoren kein Gehalt von der Kammer, also letztlich vom Staat, bezogen, sondern im Geist der Tradition anteilmäßig an den Einnahmen beteiligt wurden, die ihnen aus ihrer Amtsführung zuflossen und folglich dem Staat gegenüber keine Verpflichtung mit sich brachten. Natürlich reichen die rechtlichen Verhältnisse nicht aus, die praktische Beziehung zwischen Rektorat und Staat vollkommen zu beschreiben. Als Gehaltsempfänger des Staates oder als Bewerber um staatliche Gunst hatte der Professor auch im Besitz der Rektorwürde keine echte Unabhängigkeit gegenüber dem Landesherrn. Stärker als der rechtlichinstitutionelle Schutz vermochte seine schmale Machtbasis, seine Einbettung in die Solidarität des Professorenkollektivs und die daraus folgende Anonymität das Amt vor staatlichem Zugriff bewahren. Eben an diesem Punkt setzte dann auch die staatliche Kritik an. In ihrer Denkschrift von 1488 forderten die herzoglichen Räte, daß tüchtige Rektoren gewählt werden sollten und nit ainfeltig, die durch ander geregirt werden und an derselben nichts thüren thun; sind auch zu zeiten mer straffwirdig dandie studenten35•
Reformbestrebungen vor der Mitte des 16. Jahrhunderts Bei den Beratungen von 1497 kam die Kritik am Rektorat aus zwei verschiedenen Richtungen. Solange das Konzil selbst in seiner Zusammensetzung nicht über das Magisterium hinaus eingeschränkt war, hatte auch das Rektorat noch eine gewisse, durch die Artisten repräsentierte demokratische Note und entzog sich einer völligen Besitzergreifung durch die oberen Professoren. Aus deren Kreis wurde denn auch durch den Juristen Rosa ein Votum abgegeben, das sich gegen die Artistenrektoren richtete; Rosa forderte, das ain rector allein nit hanndel, sonnder alweg sein beysitzer zu ime verordent, mit dem er hanndeln soll; und das rector sein antwort, so zu zeiten einer rector von den maistern würde, das der selb sein antwort durch einen doctor alls beysitzer gäb. Mit einer 34
as
WS 1474 Johann Mainberger und WS 1488 Sixtus Tucher. Prantl II 98 f.; vgl. Kap. 3 Anm. 8,
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7. Kapitel: Rektorat
solchen Bindung an die - vornehmlich juristischen - Doktoren, für die sachlich manches vorgebracht werden konnte, vertrug sich andererseits eine Stärkung der Oberhoheit dieses kontrollierten Rektorats über die Fakultäten, d. h. in Ingolstadt immer: die Artisten; und sonnderlich, fuhr Rosa fort, das ain rector mit sambt den reten der universitet über all facultet und gebrechen derseLben zehanndLen macht haben sollen36• Die Gegenseite- nach der Interessenkonstellation sowohl die Artisten wie auch der Staat - konnte gegen die Oligarchisierung des Amtes geltend machen, daß ein von den Professoren okkupiertes Rektorat seinen Amtspflichten gegenüber diesen selben Professoren nicht mehr gewachsen sei. So beklagte der Artistendekan Leonhard Gans: die rectores straffen ungLeich, etaich sehen durch die finger zu, das ine mass gegeben werde; item das wenig doctores sein, die das rectorat aufrichten können, unnd sey zubesorgen, das viL practicn gemacht werde, rector zemachen, die nach irem wiUen sein37• Die Interessenlage war also derart, daß die doctores eine stärkere Bindung des Rektorats an Kontrollinstanzen und zugleich eine Autoritätsstärkung gegenüber den Fakultäten, d. h. den Artisten wünschten; die Artisten ihrerseits jedoch ein von den Doktoren unabhängiges Rektorat bei weitgehender Autonomie der Fakultäten. Der Professorenstandpunkt implizierte eine stärkere Integration der Gesamtuniversität und hatte darin einen progressiven Aspekt, während die Artisten eher an dem zugleich monarchisch-demokratischen wie föderalistischen Verfassungstypder Vergangenheit festzuhalten geneigt sein mußten. Führt man in dieses Schema nun auch noch den Interessenstandpunkt des Landesherrn ein, so teilte dieser den Wunsch der Artisten nach Emanzipation des Amtes aus der Verfügungsgewalt der Professoren, mit den letzteren wiederum das Interesse an einer eindeutigen Oberhoheit der Gesamtuniversität über die Fakultäten. Die Nova Ordinatio Herzog Albrechts IV. (1507) ging denn auch von dem Wunsch aus, daß in allweg ein geschickhte person, die dem stannde vorzuseinn weiß unnd ein ansechenn hab, rector sei38• Diesem Ziel sollte die Beschränkung des passiven Wahlrechts auf das verkleinerte Konzil gelten, während zugleich die Verlängerung der Amtsperiode das Rektorat auch von dieser Seite her zu stärken bestimmt war39• Andererseits nennt die Ordinatio den Rektor bei der Zuteilung von Kompetenzen immer in einem Atemzug mit seinen verordneten räthen, von deren Mitwirkung und Zustimmung er in jeder Beziehung abhängig gemacht wird. 36 37 38
ae
HStA NKB 10, 134; vgl. Kap. 3 Anm. 10 ff. HStA NKB 10, 138'. StB Clm. 1619, 79; vgl. Anhang IV. Vgl. unten Anm. 155.
II. Bedeutung
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Damit war - abgesehen von der veränderten Konzilszusammensetzung - an der verfassungsmäßigen Stellung des Rektorats nichts zum besseren gewendet. In dieser Beziehung brachten erst die Statuten von 1522 einen merklichen Fortschritt. Die allseitige Zuständigkeit des Konzils wird hier zwar in den alten Formulierungen aufrechterhalten, aber der Rektor heißt nun doch indirekt Haupt der Universität•• und besitzt in allen Angelegenheiten, die die Gerichtsbarkeit und die Ordnung in der Universität betreffen, die summa rerum. Anders als in den alten Statuten erscheint das Konzil nicht mehr als ständige Begleitung des Rektors, dem vielmehr ausdrücklich nahegelegt wird, die Versammlung nicht leichtfertig und aus geringfügigem Anlaß zu bemühen: sed rector vel sua auctoritate exequatur, aut, si opus fuerit, quatuor decanorum utatur consilio41 • Wenn sich also jetzt das Rektorat vom Konzillöste und größere Selbständigkeit gewann, so war ihm im Dekanskonzil ein Organ von verfassungsmäßiger Kontroll- und Beratungsfunktion in die neue Unabhängigkeit mitgegeben. Diese Beschränkung der Rektormacht aber entsprach vollauf dem allgemeinen Stand der Dinge an der frühneuzeitlichen Universität. Schon seit dem 14. Jahrhundert war die Leitung der Universität überall kollektiv mit personeller Spitze. Unter unterschiedlichen Bezeichnungen hielten zahlenmäßig enge Gremien alle wichtigen Kontroll- und Entscheidungsfunktionen in ihrer Hand, während außerordentliche Angelegenheiten und die Statutengebung bei der Magisterversammlung verblieben. Dabei ist freilich immer zu bedenken, daß die Instanzengliederung in einer Universität von der Größe Ingolstadts von rein technischer und nicht von soziologischer Bedeutung war. Die an Zahl das Dutzend kaum je überschreitenden Mitglieder des repräsentativen Konzils teilten nach gewissen Spielregeln die Ämter der Korporation unter sich auf, während sie die Verfassunggebung in corpore besorgten. Es konnte diesem Kreis regierender Professoren natürlich nicht schwerfallen, zusätzliche Kompetenzen von sich weg auf ein Amt zu delegieren, zu dem sie selbst die alleinige Anwartschaft besaßen. Zur gleichen Zeit, als die Statuten von 1517/1522 dem Führungsamt eine gegenüber der Gründungsverfassung stärkere Stellung zu geben bemüht waren, hatte mit dem Patronat Leonhard Ecks für das Rektorat eine Periode des praktischen Abstiegs und Bedeutungsverlusts schon begonnen. Die Kompetenzen, die Eck im Namen des Staates der Universität entzog und an sich brachte, waren nicht zuletzt Kompetenzen des Rektorats42 • In seinem Verfügungsbereich eingeschränkt, mußte es 40 Mederer IV 187: "Ne autem collegium acephalum sit, rectorem eligat ... "; vgl. Anm. 2 und 4. 41 Mederer IV 186. 42 Vgl. Kap. 11 Abschnitt II.
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7. Kapitel: Rektorat
durch die Allmacht des Patronats auch moralisch untergraben werden. Diese Entwicklung schlug sich naturgemäß nicht in statutarischen Regelungen nieder, aber sie wird aus den Protokollen indirekt mühelos erkennbar. Sicherlich hat auch die Institution des Adelsrektorats im gleichen Maße, wie sie den äußeren Prunk des Amtes bestimmungsgemäß steigerte, zu dieser Einbuße an realer Bedeutung beigetragen43 •
Bedeutungsverlust unter Albrecht V. Als Herzog Albrecht V. Ende der fünfziger Jahre nach einer Instanz Ausschau hielt, die unabhängig und stark genug wäre, sowohl über die Disziplin der Studenten wie über den Lesefleiß der Professoren eine wirksame Aufsicht zu führen, mußte ihm, ebenso wie dem reformeifrigen Jesuitenpater Petrus Canisius, dieses Rektorat mit seiner kurzen Amtsperiode und seiner Bindung an die Professorenoligarchie von vornherein disqualifiziert erscheinen44 • Anders als 1507 ging darum die Universitätsreform im Jahre 1560 mit der Errichtung einer besonderen Superiotendenz am Rektorat vorbei, um es- anscheinend endgültigin politischer Bedeutungslosigkeit versinken zu lassen45• Wenn die Konzilsprotokolle schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Existenz eines Rektorats fast nur aus Anlaß der allsemesterlieh wiederkehrenden Wahlhandlungen zu erkennen geben, so scheinen die Rektoren von nun an ganz auf ihre repräsentativen - und allerdings auch jurisdiktionellen Pflichten zurückgedrängt worden zu sein. So darf es wohl zunächst als ein Versuch der Selbstbesinnung verstanden werden, wenn der Senat am 13. März 1575 dem Juristen Nikolaus Everhard junior den Auftrag erteilte, eine Instruktion auszuarbeiten, secundum quam rector in posterum regimen suum dirigere possit46 • Erst zweieinhalb Jahre später, kurz vor dem Tode des Inspektors Eisengrein, wurde das Produkt dieser Statutenkompilation verabschiedet. Noch bei der sechs Jahre später stattfindenden Inquisition ging Everhards Sorge ersichtlich dahin, das zwar politisch längst entmachtete, in der Gerichtsbarkeit aber noch immer weitgehend autonome Amt stärker unter der Kontrolle des Senats zu halten47• Ganz die gleiche Absicht verfolgte seine Vgl. unten Abschnitt III. Braunsherger I 338: "De modo ehe quanto alla riformazione del studi et religione, il Rettore, avendo da durare solamente un mezzo anno, communemente non s'intromette". Vgl. Kap. 4 Anm. 36. 4 s Vgl. Kap. 8 Abschnitt III. 4 8 UA D III 7, 272 {13. 3. 1575); das fertige Werk Prantl II Nr. 100. 47 StA Obb. GL 1477/3, 112: "sey ein mangl inn der jurisdictio sunderlich bey den rectorn, dann sy inen mehr als in die instruction zulesen zuaigne. Do man dem rector nach der instruction zehandeln bevelh, wer disem fürkhomen." {Randbemerkung: "Notarius hat die instructio.") In diesem Zusammenhang verdient ein Konzilsprotokoll vom 8. 5. 1569 Interesse {UA D III 7, 221'): "Vice43
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li. Bedeutung
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Rektoratsinstruktion von 157748 • Es erübrigt sich, im einzelnen alle Bereiche aufzuführen, in denen dem Rektor die Alleinentscheidung untersagt und die Konsultation des Senats oder wenigstens des Dekanskonzils zur Pflicht gemacht wird. Numquam solus rector dispenset, solus rector non remittat, rector solus nulli concedat ist der ständige Refrain dieser Instruktion, die sich im übrigen in der Wiederholung statutarischer Bestimmungen erschöpft. Wohl im Gefolge dieser Instruktion weisen die Statuten von 1642 in dem sonst beinahe unverändert aus der Satzung von 1556 übernommenen Wortlaut eine kleine Veränderung auf: die summarerum besitzt der Rektor nun nur noch post plenum senatum universitatis49 • Bedenkt man die schwierige Lage, in der sich die Universität in der Regierungszeit Herzog Albrechts V. einerseits gegenüber den vordringenden Jesuiten, andererseits gegenüber dem Staat und seinem neuen Aufsichtsamt befand, und stellt man darüber hinaus die Verdienste in Rechnung, die sich gerade Everhard, der Verfasser der Rektoratsinstruktion, in den Selbstbehauptungskämpfen der Universität erwarb50, so wird man die Motive, die dem Wunsch nach weiterer Fesselung des Rektorats zugrunde lagen, nicht verkennen. Nachdem mit Everhard selbst ein großer Teil der fähigsten, zumal der juristischen Professoren infolge der Klerikatsbedingung zum Rektorat keinen Zugang hatten und das höchste Amt, wie gerade die Befragung von 1585 wieder bestätigt5 ', nicht selten untauglichen Leuten überlassen mußten, konnte es in ihren Augen wie auch im Gemeininteresse nicht darum gehen, das gesunkene Amt mit neuer Machtfülle auszustatten, sondern es im Gegenteil noch stärker als bisher unter der Kuratel des Senats zu halten.. rector (sc. Christian Kripper) quaesivit, num si a 4 decanis aut toto consilio aliquid conclusum sit, liceat rectori aut vicerectori ab eo recedere aut aliquid remittere vel immutare... Super hac re fuit conclusum, - ea quae per quatuor decanos aut in frequenti consilio semel fuerint conclusa, sine illorum consensu nullo modo esse mutanda aut remittenda, sed plane eorum sententiae esse standum." 48 Prantl II Nr. 100. 49 Prantl II 393. Angesichts dieser Sachlage mutet Wolfgang Zettels (oben Anm. 8 zitierte) "oratio de rectoratu" in ihrer Tendenz erstaunlich an. Für den humanistischen Festredner des Jahres 1567 enthält das "nomen rec-' toris" noch immer "divinum et maiestatis plenum quiddam", ist der Rektor "veluti parens, patronus atque propugnator scholarium", weist die Rektormacht mit dem "regium imperium" eine gewisse Verwandschaft auf. Auch bei Zettel steht freilich dem Rektor wie ein königlicher Rat der Senat zur Seite, dessen "sententia instar oraculi et numinis rata et firma habetur". So wird man diesen Panegyrikus der stilistischen Ambition und etymologisierenden Gelehrsamkeit des Redners zugutehalten, der dennoch Anlaß gesehen haben muß, gegen die Meinung zu Felde zu ziehen, das Rektorat sei eine bloße, leere Titelwürde. 5o Prantl I 229 ff., 241 ff. 51 Vgl. die folgende Anmerkung sowie unten Abschnitt IV.
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7. Kapitel: Rektorat
Die Rektoratsreform von 1585/86 Eine Lösung dieses Knotens war nur von einer grundlegenden Rektoratsreform zu erwarten. Wenn Everhard bei der Befragung von 1585 wiederum Bedenken gegen die noch zu große Selbständigkeit der Rektoren vorbrachte, so befand sich sein Kollege Friedrich Martini zu ihm nicht in Widerspruch, wenn er in seinem Votum stattdessen die Möglichkeit andeutete, durch eine Änderung der Rektorwahlbestimmungen und durch Verlängerung der Amtsperiode die Universitätsspitze umgekehrt wieder zu stärken52• Da sich die Unzufriedenheit des Landesherrn zu dieser Zeit besonders gegen den Vizekanzler Albert Hunger gewendet hatte, fielen diese Anregungen bei den herzoglichen Räten auf fruchtbaren Boden. Die bisher vom Vizekanzler wahrgenommene inspection unnd observation rerum academicarum wurde im November 1585 durch landesherrliche Verordnung dem Rektorat übertragen, das zugleich durch eine ganze Reihe von Reformen für die Erfüllung der neuen Aufgaben befähigt werden sollte53• Überraschenderweise machte die Universität, mit dem bisherigen Regiment des Vizekanzlers Hunger zufrieden, einesteils aus Solidarität mit dem Gemaßregelten, andererseits aber auch aus grundsätzlichen Erwägungen, Bedenken gegen diese Regelung geltend. In einer Bittschrift für Hunger vertrat sie am 5. 12. 1585 die Meinung, das selten ein rector sive clericus sive secularis sein würdt, der nicht . . . eines solchen monitoris bedürffen möcht, und daß man daher das Vizekanzellariat als kontrollierende und "anmahnende" Instanz neben dem Rektorat am besten beibehalten sollte5'. Der Herzog blieb aber in seiner Antwort dabei, das unnsere universitet hinfüran merers tails durch vleis und fürsichtigkait aines yeden ordenliehen rectoris laut habender statutten unnd ertaiLter instruction bis zu unnser weiterer anordnung hinfüran guberniert unnd zum bessten verwalltet werde, dann wir solches fürnemlich seiner person unnd ambt zugehörig sein genuegsames wissen tragen55 • Die gleichzeitig mit der translatio inspectionis angekündigten Reformmaßnahmen, die die sachlichen Einwände der Universität allein entkräf52 StA Obb. GL 1477/3, 112': Friedrich Martini: "Sagt, man mueß offt ein rectorem aus nott nemen, der nit vil taug; bis man einen abricht, so sey das halb jar forhbei; mainet, ir f. gn. sollen per dispensationem sovil verrichten, das auch die, welche verheirat, rectores sein mechten." 53 Vgl. Kap. 4 Anm. 141 und Kap. 8 Anm. 103 ff. 54 UA E I 1. Vgl. Kap. 8 Anm. 104.- Auch der Rektor Stewart setzte sich in einem Schreiben vom 6. 12. 1585 für Hunger ein (StA Obb. GL 1477/3, 200), mit Berufung auf das "seltsam nachgedenckhen", das der herzogliche Beschluß, "solche mühe dem rectorat auf(zu)setzen", in der Universität hervorgebracht habe. Stewart faßte die "translatio inspectionis" als Übertragung von Hungers auf seine Person auf. 55 UA C I 1 (14. 12. 1585).
II. Bedeutung
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ten konnten, begannen noch im Herbst 1585, um durch den herzoglichen Rezeß vom Juni 1586 abschließend zusammengeiaßt zu werden56• Die Bemühung um die Zulassung verheirateter Professoren zum Rektorat, die noch im besonderen Zusammenhang darzustellen sein wird, scheiterte freilich an den Bedenken der Universität selbst und schließlich am Widerspruch der Kurie57• Zwei andere Reformen der Rektorwahl aber lagen in der Reichweite des Staates: künftig hatte die Wahl durch geheime Abstimmung zu erfolgen, und der Herzog beanspruchte für sich ein Bestätigungsrecht, das eine universitäre Anzeigepflicht implizierte. Im Oktober 1585 sandte die Universität nach der Verlängerungswahl Peter Stewarts zum erstenmal eine Wahlanzeige an den Landesherrn58• Im folgenden Semester wurde genedigem befelch gemeß die Wahl Wilhelm Everhards angezeigt, die Herzog Wilhelm nach fast zwei Monaten billigte59 , und im Oktober 1586 wiederholte sich der Vorgang bei der Wahl des Vizekanzlers Albert Hunger. Auch diese Anzeige beantwortete der Herzog zustimmend, des genedigen versechens, er werde allem unnd jedem, was sein instruction und ambt ausweist, vleissig und unnderthenig nachkhomen60• Schon vorher hatte der Rezeß vom Juni 1586 diese Praxis mit der Formulierung bestätigt, daß künftig jederzeit ein tauglicher rector . . . erwöllt und allsbald iren fstl. gn. nambhafft gemacht werden solle61 • Um dem Übel der zu kurzen Amtsperiode abzuhelfen, trafen die Räte die vorsichtige Verfügung, fähige Rektoren dürften künftig für ein weiteres Semester im Amt bestätigt werden. Nach den vielleicht noch bewußten Erfahrungen mit der Nova Ordinatio schreckte man vor einer grundsätzlichen Änderung der Amtsperiode, die bei untauglichen Rektoren auch Risiken mit sich gebracht hätte, zurück. Kraft der neuen Bestimmung wurde im Herbst 1585 der Rektor Peter Stewart im Amt bestätigt; in den folgenden Jahren aber blieb wieder alles bei dem schon bisher geübten, in gesondertem Zusammenhang noch darzustellenden Brauch62 • Das Rektorat konnte die Superintendenz nicht um ihre außerordentlichen Befugnisse beerben und gleichzeitig ihre außerordentlichen Verpflichtungen gegenüber dem Staat als Erbe ausschlagen. Vielleicht Prantl II Nr. 112. Vgl. unten Anm. 137-140. 58 StA Obb. GL 1477/4,177 (18. 10. 1585). sa Die Wahlanzeige der Universität StA Obb. GL 1477/4, 209 (29. 4.1586): "das haben e. f. d. derselben genedigen befelch gemeß wir in underthenigkayt berichten sollen." Die herzogliche Antwort vom 19. 6. 1586 ebenda f. 213. 6o UA B IV 1 (21. 11. 1586). 61 Prantl II 330 f. s2 Vgl. unten Abschnitt IV. 56
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7. Kapitel: Rektorat
war es eine Ahnung von diesem Zusammenhang, die die Universität zum Widerstand gegen die translatio inspectionis bewegte. Dem Rektor wurde nunmehr als Amtsinstruktion ein extract aus den statutis von Staats wegen zugestellt, der sich zwar ausnahmslos an die Bestimmungen der Satzung hielt, das Werk universitätseigener Verfassungsgebung aber in eine staatliche Dienstanweisung umdeutete 63 • Die Rektoren wurden bei ihrer Bestätigung angewiesen, ihr vleissig und unnderthenig nachzukommen. Nimmt man hinzu, daß dem Rektor nun anstelle der bisherigen Sporteln ein. festes Gehalt in Höhe von 50 Gulden. ausgesetzt wurde6\ so rundet sich das Bild ab. Die Rektoratsreform von 1585/86 erscheint dann als eine wichtige Etappe im Verstaatlichungsprozeß der Universität im allgemeinen wie ihres Führungsamts im besonderen. Von der Universität und ihrem Selbstverwaltungsrecht her gesehen, stellte· freilich die grundsätzliche Bestätigung der Rektoratsverfassung nach den Gefahren der vorausgegangenen Jahrzehnte einen Erfolg dar. Faßt man diese beiden Aspekte zusammen, so ergibt sich der Eindruck einer grundsätzlichen Richtungsänderung der staatlichen Universitätspolitik: von den Bestrebungen zur Umgehung und "Einklammerung" 65 der traditonellen Universitätsorgane unter der Regierung Herzog Albrechts V. zu ihrer Indienststellung und akzentuierten Umdeutung in staatliche Subalternbehörden.
111. Die Zulassungsbedingungen 1. Alter und Grad
An anderer Stelle ist ausführlich gezeigt worden, daß die lngolstädter Universität wie alle anderen deutschen Universitäten der Zeit eine "Magisteruniversität" in dem Sinne war, daß Scholaren unterhalb des artistischen Magisteriums am politischen Leben der Korporation grundsätzlich nicht beteiligt waren66 • Dieser unbezweifelbare Tatbestand wird durch den Sprachgebrauch .der Quellen, vor allem durch den. Terminus scholaris, verschiedentlich entstellt und ist deshalb immer wieder verkannt worden. Vornehmlich die Rektorwahl und die ihr dienenden statutarischen Regelungen haben zu solchen Mißverständnissen vielfach Anlaß gegeben. 63 Prantlll .328. StA Obb. GL 1477/4; 81 ff.: "Officii rectoris compendiilm ex statutis academicis collectum" ; dabei könnte es siclr wohl um den zitierten "Extrakt" handeln. 64 Prantl II 329. 65 Ähnlich Kluge, Die Universitätsselbstverwaltung 61. 66 Vgl. Kap. 5 Abschnitt III.
111. Zulassungsbedingungen
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Die QualifikationsformeL von 1472 Es sei hier kurz erinnert, daß eine obere Grenze für die Wählbarkeit zum Rektorat, wie sie in Paris und Bologna in Gestalt der Ausschließung der oberen Doktoren gezogen und in der Nachfolge dieser beiden Universitäten in Frankreich verschiedentlich nachgeahmt worden ist, in Deutschland allgemein nach kurzen Übergangsperioden in Wien, Heidelberg und Basel fallengelassen wurde. Was die Mindestqualifikation betrifft, so boten Paris und Bologna zwei anscheinend einander entgegengesetzte Formeln an, die jedoch sachlich auf durchaus miteinander vergleichbare Zustände hinausliefen: Bologna fordert die Vollendung des 24. Lebensjahres, später überdies ein fünfjähriges Studium von seinen Rektoren, Paris aber das magisterium in artibus67 • Die drei wichtigsten Rektoratsbedingungen der italienischen "Scholarenuniversität", nämlich das 25. Lebensjahr, der Klerikat und die eheliche Geburt, werden in Paris von den cursores der theologischen Fakultät gefordert, die immerhin nach dem Erwerb des artistischen Magisteriums ein fünfjähriges Theologiestudium hinter sich haben mußten68• Aus dieser Tatsache wird deutlich, daß die Pariser Rektoren mit dem Magisterium zwar einen Grad besaßen, der in den italienischen Rechtsuniversitäten nicht zur Verfügung stand, im übrigen aber den "Studentenrektoren" Bolognas in jeder Beziehung vergleichbar waren. Wo in Deutschland das Magisterium als Bedingung der Wählbarkeit zum Rektorat in den Statuten fehlt, braucht darum von seiner Unterschreitung durchaus nicht die Rede zu sein. Die Frager Statuten ersetzen im Statutentext Bolognas den Ausdruck scotaris durch persona, welcher Begriff die Doktoren ein-, die "Studenten" aller Art aber zunächst nicht ausschließt. Ebenfalls von Bologna jedoch wird das Mindestalter von 24 Jahren übernommen, welches die Studenten der artistischen Fakultät wohl in ihrer großen Mehrheit disqualifizierte, dazu sicherlich auch einen nicht geringen Prozentsatz der Magister selbst69 • So könnte also in 67 Frühestens in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts dann in Paris wesentlich strengere Bedingungen: ein sechsjähriges Magisterium oder der Bakkalarsgrad einer oberen Fakultät; vgl. Kap. 2 Anm. 15. Bereits vorher wird sich diese Regelung gewohnheitsrechtlich herausgebildet haben. 68 Chartularium Univ. Parisiensis II 697: "quod nullus admittatur ad lecturam cursuum in biblia, nisi attigerit vicesimum quintum etatis sue . annum et juraverit, quod credit esse de legitimo matrimonio procreatus". Zum Vergleich die Prager Rektoratsqualifikation: "qui ... 25. annum aetatis suae adtigerit et de legitimo thoro procreatus existat" (Mon. hist. univ. Prag. 111 1). Der Pariser "cursor" mußte aber nach dem unentbehrlichen Erwerb des Artistenmagisteriums, für den das Statut Robert von Cour9ons von 1215 das 21. Lebensjahr vorgeschrieben hatte (Chart. I Nr. 20), weitere sechs Jahre Theologie gehört haben. 69 Mon. hist. univ. Prag. 111 1. Weder später in Ingolstadt noch in Prag oder Leipzig finde ich aber je den Fall erwähnt, daß ein Magister aus Altersgründen nicht Rektor werden konnte.
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7. Kapitel: Rektorat
Prag von einer Erweiterung des passiven Wahlrechts nur im Hinblick auf jene Gruppe oberer Studenten gesprochen werden, die das Magisterium nicht besaßen: von ihnen aber gehörte der stärkste und aktivste Teil, die Juristen, im Jahre 1384 nicht mehr zur Universität70 • In Wien und Köln, auch in Erfurt, fehlt sowohl die italienische wie die Pariser Mindestqualifikation für das Rektorat in den Statuten. Wir erkennen aber in Wien recht deutlich, in Köln mit völliger Klarheit, daß sich die universitas magistrorum für die Statutengeber auch in dieser Hinsicht von selbst verstand71 • Für Erfurt kann man es nur vermuten, aber auch hier hat der Begriff der ydoneitas, wie die Rektorlisten zeigen, den Magistergrad in der Regel impliziert72• Teils mit italienischer Formel, teils mit stummer Selbstverständlichkeit blieb die deutsche Universität auch mit dem passiven Rektorwahlretch im allgemeinen oberhalb der Schranken, die ihr von ihren beiden ausländischen Modellen in textlicher Verschiedenheit und sachlicher Analogie vorgezeichnet worden waren. Man kann solche Selbstverständlichkeit, vielleicht aber auch Unkenntnis des Problems vermuten, wenn in den älteren Fassungen des Ingolstädter Stiftungsbriefs weder bei der Nationenteilung und der Prokuratorenwahl noch in den Bestimmungen über die Rektorwahl eine Unterscheidung zwischen Magistern und Vgl. Tomek 25 f. In Wien hatte die albertinische Stiftungsurkunde das Magisterium als Bedingung des passiven Rektorwahlrechts aus der rudolfinischen Urkunde nicht übernommen (Kink II 18, 52): wählbar ist "sive arcium sive alterius facultatis professor aut alias membrum universitatis". Entsprechend wird auch in den Statuten der unbestimmte Ausdruck "suppositum" verwandt (Kink II 80). An anderer Stelle verbieten aber die Statuten den Magistern (und zwar nur ihnen) die Anzettelung von "conspiraciones" bei den Wahlhandlungen (Kink II 79).- In Köln schwört der Rektor seinen Eid "in presentia magistrorum", trägt einen "habitus doctoralis vel magistralis" und verliest sein Rektorbuch (hier fällt der letzte Zweifel) "coram aliis magistris" (Bianco I Anhang §§ 40, 42, 43). So die Statuten von 1385. Ganz klar bestimmte dann ein Einzelstatut von 1389, "quod nullus possit esse intrans vel etiam rector, nisi sit in sua vel alia facultate birretatus, prout haec et alia in statutis desuper factis plenius continetur" (Bianco I 147). - Genauso dann die alten Statuten Löwens: "in aliqua facultate birretatum" (van Hove § II 4). 72 Weissenborn I rubr. II 3: "in rectorem eligi debet aliquis de intytulatis et iuratis, qui sit persona ydonea que universitati proficua reputatur". - Der älteste Statutenentwurf freilich enthielt den Zusatz "et qui adminus fuerit studens per annum" (Weissenborn II 3). Kleineidam (S. 207) schreibt, auch die Studenten hätten in Erfurt das aktive und passive Wahlrecht besessen, findet aber in den Rektorlisten außer den Professoren ebenfalls nur "angesehene Kanoniker" und Adlige. Vgl. dazu unten Anm. 97. - Klar in Erfurts Nachfolge die Statuten Rostocks: "in rectorem eligi debet aliquis de gremio consilii universitatis stipendiatus" (Westphalen § II 3). Eine noch engere Begrenzung in Tübingen: "quod videlicet talis quatuor annorum magister sit, licentiatus vel doctor, aut saltim alias precipue nobilitatis vel dignitatis"; hier also ebenfalls das unten genauer zu besprechende Adelsrektorat (Roth, Urkunden 43). Daß der Rektor wenigstens Magister sein müsse, war mit der gleichen Ausnahme auch in Heidelberg von Anfang an klar. 10 71
III. Zulassungsbedingungen
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Scholaren vorgenommen wird73 • Erst die Statuten, diese aber schon in ihrem ältesten Entwurf, bringen überhaupt Vorschriften für die Wählbarkeit zum Rektorat, die in ihrer Deutlichkeit ein interessantes Phänomen aufweisen. Zunächst heißt es, der Rektor solle ex doctoribus, licentiatis aut magistris de eodem consilio existentibus gewählt werden. Dieser Bestimmung schließt sich aber im weiteren die Rektoratsqualifikation der Bologneser Tradition an, die Ingolstadt auf dem Weg über Prag von Leipzig her übernommen hat, darunter die Forderung des 25. Lebensjahres74 • Die Begegnung der beiden Verfassungstraditionen in diesem Abschnitt der Ingolstädter Statuten macht deutlich, daß die italienische Formel derjenigen von Paris nicht etwa nachstand, sondern sie im Gegenteil verschärfte. Es war ja durchaus nicht die Regel, daß ein magister artium das geforderte Alter mitbrachte, um von den übrigen Bedingungen (wie Klerikat und Zölibat) nicht zu reden75 • Die Bindung an die Konzilsmitgliedschaft hatte zur Folge, daß das passive Rektorwahlrecht im gleichen Maße Beschränkungen erfuhr wie die Konzilszusammensetzung selbst. Hatte im Jahre 1472 der Besitz des Magisteriums noch automatisch für einen Konzilssitz qualifiziert, so war seit der Konzilsreform von 1505 ein Magister nur noch dann zum Rektor wählbar, wenn er zu den Abgeordneten der Artistenfakultät im Senat gehörte. Die Nova Ordinatio bestand darauf, daß der Rektor nur aus den Mitgliedern des verengerten Konzils genommen werden dürfe78 , und dasselbe galt mit gleich anzuführenden Einschränkungen auch für die folgenden Statutenredaktionen von 1522 und 1555.
Bedingte Zulassung höherer Studenten (1486) Für "Studentenrektoren" im Sinne des üblichen Mißverständnisses war nach dem Wortlaut der alten Statuten durchaus kein Raum. Im 73 Prantl 11 13 ("die genannt schul sol auch in vier tail getailt und vier nation durch solch taylung zugeaignet werden") und 14 ("der vier nation yedlich sol ... einen procurator erwellen ... Item die vier procurator der obgeschriben vier nation sollen all halb jar von der gantzen universitet wegen ... ainen rector der universitet auch auff die obgemelten zeit erwellen, der sy dann darzu ungeverlich nutz und gut sein beduncket ... "). 74 Mederer IV 59 f.; vgl. unten Anm. 126. 75 Das Alterskriterium (vgl. auch Anm. 69) ist schon in den Statuten von 1522 (Mederer IV 187) von den übrigen Bedingungen getrennt worden und scheint sich hier nur mehr auf Rektoren zu beziehen, die weder Senatoren noch "illustres" waren (vgl. Anm. 85); das war logisch gedacht, insofern Senatoren mit Selbstverständlichkeit diese Bedingung erfüllten, Adelsrektoren aber von allen Bedingungen befreit waren. In den Statuten von 1556 ist die Gruppe der nichtsenatorischen Rektoren verschwunden; das Alterskriterium ist jetzt zu den "illustres" gerückt und wohl eben aus diesem Grund auf das 20. Lebensjahr ermäßigt worden (Prantl 11 215); so steht es auch in den Statuten von 1642 (Prantl 11 393). Vgl. aber Anm. 104. 76 StB Clm. 1619, 78: "Item das füran der rector auß denen, so in der universitet rattegehören .. . gewelt werde ..."
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7. Kapitel: Rektorat
April 1486 jedoch wandte sich die Universität mit der Bitte um Bestätigung eines neuen Rektorwahlstatuts an den Herzog. Das Statut selbst ist nicht erhalten, aber die Matrikel berichtet anläßlich der folgenden Rektorwahl relativ ausführlich über seinen Inhalt77• Danach wurde angesichts der geringen Zahl von Personen, die in einigen Fakultäten für das Rektorat geeignet waren, vorgeschlagen und am 28. 4. 1486 auch vom Herzog genehmigF8 , daß scholares unter bestimmten Bedingungen (certis modis et limitationibus) zu Rektoren gewählt werden dürften. Das Statut verfolgte den Zweck, die Nachteile des statutengemäß praktizierten Fakultätenturnus zu reparieren, diente also der Entlastung der permanent mitgliedsschwachen oberen Fakultäten79 • Für sie konnten nach der neuen Regelung Personen gewählt werden, die den Doktorgrad und damit die Mitgliedschaft in der betreffenden höheren Fakultät noch nicht besaßen. Diese Interpretation des wie immer mißverständlichen Begriffs scholaris und zugleich die Art der geforderten Bedingungen werden uns von den Quellen nicht gegeben, lassen sich aber mit einiger Zuverlässigkeit aus der Matrikel erschließen. Nach Eintreffen der herzoglichen Bestätigung für das neue Statut wurde mit geringer Verspätung für die an der Reihe befindliche juristische Fakultät am 29. 4. 1486 der Graf Joachim von Öttingen zum Rektor gewählt; ob defectum clericatus et sufficientis etatis gab ihm die Universität den Theologieprofessor und Vizekanzler Georg Zingel als Prorektor bei80 • Öttingen ist der erste und vorläufig einzige Adelsrektor der Ingolstädter Universität. Sein Rektorat scheint die seit dem Jahre 1515 gültige Regelung vorwegzunehmen, hebt sich aber von ihr in einem 77 Pölnitz Matrikel SS 1486: " ... fuit decretum, quod de cetero alioquin etiam de facultatibus in reetores eligi possint seolares eertis modis et limitationibus alias ad partem eoneeptis, in seripturam redaetis et ill. domino duci Georgii (sie!) ete. ad eonfirmandum transmissis, quapropter a die ipsa donec prineeps eonsuleretur eleetio novi reetoris in suspenso stetit usque in diem antepenultiman mensis predicti ( = Apr. 28) in qua principe eonsentiente rite et eanoniee in rectorem eleetus est primus de faeultate iuridica (quam tune ordo tangebat) scolaris, videlieet generosus dominus Joachim comes in ötting .. ." 78 Das herzogliche Antwortschreiben zitiert H. Grauert in einem im UA aufbewahrten ungedruckten Manuskript über aie Rektorwahl nach der verlorenen Archivaliengruppe UA D I 0 (26. 4. 1486): "ewr furnemen und gutbedüngken ein statut des rectorat unserer universitet zu lngolstadt antreffend ... und soverr solich furnemen derselben unserer universitet zu eren und nutz dienet, so lassen wir das unserstans geschehen und geben das dismals zue bis auf unser widerrufen". 79 Pölnitz Matrikel SS 1486: " ... ponderato per concilium universitatis, quod quibusdam ex quatuor facultatibus propter paucitatem personarum in eisdem eligibilium in universitatis rectores difficile sit ipsas ordine statutario continuato tociens onerari munere reetorali ..." 80 Pölnitz Matrikel SS 1486 (Forts. von Anm. 79) : "et per universitatem ob defectum clericatus (auf Rasur) et sufficientis etatis (Randzusatz) sibi datus vicarius . .."
Ill. Zulassungsbedingungen
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wesentlichen Punkte ab. Während die späteren Adelsrektoren allein als Träger ihres Namens gewählt wurden, gelangte Öttingen als Student der juristischen Fakultät zum Rektorat81 • Bei der folgenden Rektorwahl im Oktober 1486 wurde, wiederum vigore novi statuti, Magnus Airnschmalz gewählt, der zwar als Magister ohnehin zum Kreis der wählbaren Personen gehörte, diesmal aber die an der Reihe befindliche medizinische Fakultät vertrat, an der er, noch ohne Grad, studierte. Ihm wurde kein Prorektor beigegeben82• Daraus scheint sich zu ergeben, daß die zitierten limitationes des Statuts die Wahl eines Prorektors für solche Rektoren zum Inhalt hatten, die, abgesehen von der ordentlichen Zugehörigkeit zur entsprechenden Fakultät, auch die übrigen statutarischen Eignungsbedingungen nicht erfüllten. Das Statut von 1486 bedeutete so zunächst (vgl. das Rektorat Airnschmalz) eine Modifikation des Fakultätenturnus innerhalb des Konzils. Darüber hinaus wurde aber (vgl. das Rektorat Öttingen) der Kreis der Wählbaren um Studenten der oberen Fakultäten erweitert, die das Magisterium und damit die Konzilsmitgliedschaft nicht besaßen. Adlige Scholaren waren wohl in dieser neu zugelassenen Personengruppe einbegriffen, ohne daß sich die neue Regelung ausdrücklich auf sie bezog. Damit betraf das Statut einen Stand, dessen Stellung in der deutschen Universitätangesichts seines ständigen zahlenmäßigen Wachstums in steigendem Maße problematisch war. Es ist früher darauf hingewiesen worden, daß die Formel der universitas magistrorum diese Gruppe notwendig, aber ungerechtermaßen ausschloß, die in Deutschland vor allem in den juristischen Fakultäten von Anfang an in unruhige Erscheinung trat. Das spätere Adelsrektorat hat diesen höheren Scholaren im Grunde nicht Gerechtigkeit widerfahren lassen, sie aber ihrer natürlichen Führer beraubt und damit ihren Widerstand paralysiert83 • Das Statut von 1486 wurde von Herzog Albrecht V. im Jahre 1507 wieder aufgehoben. Die Nova Ordinatio bestimmte, daß der Rektor auß denen, so in der universitet ratte gehören, und durch dieselben zu wählen sei. Ausdrücklich distanzierte sich die Verordnung (und nit wie bißhäre geschechen) von der früheren Praxis84• Der Unterschied zu dieser ergab sich aber zunächst dadurch, daß mit der Einschränkung der Konzilsmitgliedschaft auch der Kreis der wählbaren Personen empfindVgl. über die Illustres-Rektoren den nächsten Abschnitt. Pölnitz Matrikel WS 1486: Magnus Airnschmalz ,.artium magister, facultatis medicine scholaris, vigore novi statuti, quo conceditur, quod etiam scolares limitationibus in eodem statuto contentis intervenientibus in rectorem eligi possent." Vgl. auch Mederer I 31 und 33 mit vorsichtig aufzunehmendem Kommentar. 8 3 Vgl. zum Problem der Studentenrechte Kap. 5 Abschnitt Ill. 84 Vgl. oben Anm. 76 und Anhang V. 81 82
16 Seifert
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7. Kapitel: Rektorat
lieh beschränkt wurde. Darüber hinaus kann vermutet werden, daß die Nova Ordinatio bei dieser Formulierung das Statut von 1486 mit seiner bedingten Zulassung der scholares im Auge hatte, in jedem Fall aber dieses Statut, da sie selbst keinerlei Dispensklausel enthielt, der Sache nach aufhob.
Die spätere Rechtslage Auch in den Statuten von 1522 heißt es grundsätzlich, daß unus ex consilio zu wählen sei. Dieser klaren Bestimmung folgt aber nun wieder eine Klausel, die das Bild unscharf macht: gegebenenfalls dürfe zur Entlastung der consiliarii auch alius vir maturus ac gravis ex ea facultate quam ordo tangit gewählt werden85. Da die illustres noch gesondert für wählbar erklärt werden, mußten damit in den oberen Fakultäten entweder nicht ordinarie lesende Doktoren und Lizentiaten, oder Bakkalare und Studenten gemeint sein, in der Artistenfakultät aber, da das Magisterium schwerlich unterschritten werden sollte, Magister über das normale Sitzkontingent hinaus. In den Statuten von 1556 fehlt diese Dispensklausel wieder; dafür ist aber eine ähnliche für die Zulassung zum Senat hinzugekommen. Neben den automatisch senatsfähigen professores ordinarii dürfen andere Doktoren und Lizentiaten der höheren Fakultäten in das regierende Gremium kooptiert werden- und mithin auch zu Rektoren gewählt werden86. Im Vergleich zu 1522 ist der Kreis der außer den Ordinarien und den vier Artisten wählbaren Personen damit schärfer begrenzt; scholares auch im weiteren Sinn scheinen auszuscheiden. Dagegen berichtet Valentin Rotmar, der für seine Abfassungszeit (die siebziger Jahre) Vertrauen verdient, das passive Wahlrecht zum Rektorat besäßen neben den Professoren und den Wustres der Regens des Georgianums und der Frauenpfarrer, beide von Amts wegen und auch ohne Professur, dazu scholares eminentiores, vitae integritate et morum gravitate commendabiles 87 • Durch die in Kraft befindliche Universitätssatzung wäre eine solche consuetudo nicht gedeckt gewesen; eine Untersuchung der Rektorliste muß zeigen, ob und in welcher genaueren Bedeutung sie wirklich im Schwange war. Seit dem Sommersemester 1516 liegen die Namen der artistischen consiliarii universitatis in einer nur gelegentlich lückenhaften Liste bis 85 Mederer IV 187: "Eligatur autem unus ex consilio ... , nisi universitatis consilium illustres scholasticos honorandos censeat ... aut consiliarios exonerare volens alium virum maturum ac gravem ex ea facultate quam ordo tangit eligendum duxerit, quod consilium facere poterit, dummodo electus vicesimum quintum annum aetatis attigerit et statum ac decentiam rectoris servet." 86 Prantl II 214 und 215. Zur Konzilszusammensetzung nach den Statuten von 1556 vgl. oben Kap. 6 Anm. 66. 87 Mederer I xxvi f.
III. Zulassungsbedingungen
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über die Jahrhundertmitte hinaus vor88 • So wie die Professoren der oberen Fakultäten können nun zunächst alle diejenigen artistischen Rektoren aus der Betrachtung ausgeschlossen werden, deren Senatsmitgliedschaft für das jeweils vorausgehende Semester nachweisbar ist. Es handelt sich dabei, um dies vorauszuschicken, um die überwiegende Mehrzahl der Artistenrektoren, woraus sich schlußfolgern läßt, daß immer vorläufig abgesehen von den illustres- der Rektor in der Regel aus den Mitgliedern des Konzils gewählt wurde. Unter den Ausnahmen sind weiter diejenigen Fälle auszuscheiden, wo im vorausgegangenen Semester die Namen der artistischen Senatoren fehlen. Danach bleiben bis zum Jahre 1555 gerade drei Rektoren übrig, diekraftder Dispensklausel der Statuten von 1522 gewählt worden sein könnten: im SS 1539 Sebastian Link, Professor und Konziliar der Artistenfakultät, im vorangegangenen Semester aber nicht consiliarius universitatis - er wurde als praeceptor Oswald Ecks zu dessen Prorektor gewählt; Oswald Arnsperger, lic. theol. und Frauenpfarrer, nach drei Rektoraten im WS 1542 Prorektor eines Barons von Schwarzenburg, jetzt erstmals nicht unter den Senatoren des Vorsemesters, ebenso dann bei seinem fünften Vollrektorat im SS 1546; als dritter schließlich im WS 1555 Josef Schütz, Magister und Regens des Georgianums. Während bei Arnsperger seine Zugehörigkeit zur Artistenfakultät nicht mehr ganz klar war, kann bei Schütz nicht mehr unbedingt auf die artistische Konziliarliste gebaut werden, so daß auch diese beiden Fälle nicht eindeutig sind89 • Vgl. oben Kap. 6 Anm. 38 ff. und Anhang VIII. Sebastian Link war jedoch seit 1538 Rhetoriklektor und also in der Universität grundsätzlich senatsfähig. - Oswald Arnsperger gab 1539 die Regenz des Georgianums ab und wurde 1540 Frauenpfarrer; 1544 promovierte er zum Dr. theol. und wurde in das theologische Fakultätskonzil aufgenommen (UA Georg. III/11 I, 82'). In der Artistenfakultät bekleidete er noch im gleichen Jahr und später die Funktion eines "examinator" und sogar noch 1547 als Dr. theol. das Dekanat. Sein Prorektorat von 1542 müßte turnusgemäß der theologischen Fakultät zugerechnet werden; bei seinen späteren Rektoraten ist eine klare Entscheidung nicht mehr möglich. Es scheint demnach, daß Arnsperger weiter zur Artistenfakultät gehörte und in ihr tätig war, aber ohne Umweg über ihre Konziliarwahl in den Senat gelangte. Vgl. die artistische Konziliarliste Anhang VIII. Arnspergers Nachfolger auf der Frauenpfarre, der Bakkalar Georg Theander, beantragte 1548 seine Aufnahme in den Senat mit der Begründung: "Nam et alii omnes precessores sui consiliarii fuissent" (UA D III 4, 529). Dem Antrag wurde unter Protest der Artisten stattgegeben (vgl. Kap. 6 Anm. 55). Bei der wenig später folgenden Konziliarwahl wählten aber die Artisten, vielleicht aus List, Theander zu ihrem Dekan und setzten damit ihren Standpunkt durch. In den folgenden Jahren erscheint Theanders Name bis 1554 (als er promovierte und in das theologische Fakultätskonzil aufgenommen wurde) unter den artistischen "consiliarii universitatis". Auch für die Regenten des Georgianums gibt es ähnliche Vorgänge. In Konkurrenz mit Theander hatte schon 1548 der Regens Erasmus Wolf Ansprüche geltend gemacht (vgl. Kap. 6 Anm. 56). Im Oktober 1551 wurde im Senat beraten: "Pro.:. positum est regentem novi collegii recipiendum in consilium universitatis 88 89
16•
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7. Kapitel: Rektorat
Schon vor 1555 hatten die Konziliarwahlen der Artistenfakultät aufgehört; nicht viel später wird die Senioratsverfassung praktisch in Übung gekommen sein. Erst seit 1567 jedoch sind die seniores - und mit ihnen die artistischen Senatoren- regelmäßig verzeichnet90• Unter diesen Umständen wird die Zahl der nicht eindeutig identifizierbaren Artistenrektoren beinahe naturgemäß größer. Vor 1567 erregen den Verdacht, nicht aus dem Konzil gewählt worden zu sein, im SS 1562 der Moritzpfarrer Martin Eisengrein (bei seinem folgenden Rektorat 1564 m. Joan. Spreterum. Sed renuerunt artiste dicentes se habere statutum servandum et certurn numerum admittere illud statutum neque licere Spreterum in consilium admitti." Im folgenden Sommer (1552) wurde Spreter zum Dekan gewählt, darauf konnte er im WS 1552 auch zum Rektor gewählt werden.Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß Frauenpfarrer und Regens bestrebt waren, von Amts wegen in den Senat zu gelangen, daß sie aber vor 1555 noch regelmäßig der artistischen Senatsdeputation angehörten und fast ausnahmslos aus ihr heraus zu Rektoren gewählt wurden. 90 Vgl. Kap. 6 Anm. 57 ff. Zum folgenden: Martin Eisengrein war im SS 1562 mag. art. und Moritzpfarrer; der Turnus gibt keine Auskunft. - Georg Lauther, später über lange Jahre Präsident des Geistlichen Rats, war 1561 zum mag. art. promoviert, 1562 in der Nachfolge Theanders zur Frauenpfarre gelangt; Rektor wurde er im WS 1562 nach Eisengrein und vor einem Juristen. - Christian Kripper war mag. art. seit 1552, Regens seit 1562; Rektor SS 1564 und SS 1565. - Im WS 1564 wurde Eisengrein, inzwischen lic. theol. und Professor, eindeutig als Theologe zum Rektor gewählt. - Albert Hunger war bei seinem ersten Rektorat im SS 1568 noch ,.professor philosophiae naturalis", also Artist, seit 1570 dann Theologieprofessor. Nach ihm wurde im WS 1568 Sebastian Haydlauf (lic. theol. und Frauenpfarrer) gewählt; die an der Reihe befindlichen Juristen hatten keinen Kandidaten. Erst nach seiner Wahl wurde Haydlauf am 11. 12. 1586 in den Senat aufgenommen (UA D III 7, 216'); seine Fakultätszugehörigkeit bleibt unklar, aber da er keine theologische Professur hatte, galt er wohl als Artist. - Der Griechischprofessor Johann Lyresius war am 11. 12. 1568 in den Senat aufgenommen worden, bevor er im SS 1570 zum Rektor gewählt wurde.- Der Frauenpfarrer Jakob Feucht (bac. theol.) wurde im SS 1571 für die artistische Fakultät gewählt (UA D III 7, 251'), deren Senatsfraktion er aber wohl nicht angehörte. Er muß gleichzeitig oder wenig später die theologische Lizenz erworben haben, denn schon im nächsten Jahr empfing er in Rom zugleich die Würden eines Doktors und Baroberger Weihbischofs. Vgl. über ihn J. G. Hierl in Pastoralblatt des Bistums Eichstätt 66 (1919) 30-44. Der Moritzpfarrer Caspar Frank (mag. art.) wurde im SS 1573 für die Artistenfakultat zum Rektor gewählt; bei seinem zweiten Rektorat im SS 1579 war er Theologieprofessor, zuvor von der theol. Fak. am 12. 7. 1578 in den Senat präsentiert worden (UA D III 7, 288'). Bartholomäus Vischer hatte 1577 von Rudolf Clenck mit der Regenz des Georgianums auch die theologische ,.lectio casuum conscientiae" übernommen, konnte also, obwohl erst lic. theol., als Theologe gelten ; gewählt wurde er für die juristische Fakultät. - Der Frauenpfarrer Bartholomäus Scholl war bei seiner Rektorwahl theologischer Lizentiat, nicht Professor; das gleiche gilt für den Regens Johannes Cholin. - Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Pfarrer und die Regentes wohl als solche wählbar waren. Nach den Statuten von 1556 hätten sie erst in den Senat aufgenommen, dann gewählt werden sollen; wie der Fall Haydlauf zeigt, war aber die praktische Reihenfolge der Akte gelegentlich umgekehrt. Da aber die Aufnahme in den Senat der Rektorwahl spätestens folgen mußte und zugleich wohl als definitiv angesehen wurde, war das Endergebnis letztlich das gleiche. Insofern wurde ein Regens oder Pfarrer immer nur bei seiner ersten Wahl als ,.extraconsiliarius", später aber als Senator zum Rektor gewählt.
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theologischer Professor), im WS 1562 der Frauenpfarrer Georg Lauther (mag. art.), dann im SS 1564 und im SS 1565 der Regens des Georgianums Christian Kripper (mag. art.). Nach 1567 fehlen unter den artistischen seniores folgende Artistenrektoren: im WS 1568 der Frauenpfarrer Sebastian Haydlauf (lic. theol.), im SS 1569 wieder Regens Kripper, im SS 1571 der Frauenpfarrer Jakob Feucht (bac. form.), im SS 1573 der Moritzpfarrer Caspar Frank (mag. art.), im WS 1577 der Regens Bartholomäus Vischer (lic. theol., schon im folgenden Semester als Theologieprofessor genannt), im WS 1578 als Prorektor des Grafen Montfort dessen praeceptor Martin Brenner (mag. art.), im WS 1580 und SS 1581 der Frauenpfarrer Bartolomäus Scholl (lic. theol.), erst im WS 1594 dann wieder der Regens Johannes Cholin (lic. theol.). Aus dieser Aufstellung ergibt sich also mit einiger Wahrscheinlichkeit, daß entsprechend den Angaben Rotmars sowohl die Regentes des Georgianums wie die Frauenpfarrer von Amts wegen das passive Rektorwahlrecht besaßen, dazu wohl auch die Moritzpfarrer, von denen Rotmar aber behauptet, sie seien immer zugleich professores ordinarii91 • Der von Rotmar ebenfalls vorgesehenen Gruppe der scholares dagegen könnte allenfalls jener praeceptor Brenner angehören92• Will man also Rotmars zum Teil bestätigte Behauptung mit dem Wortlaut der Statuten in Einklang bringen, so muß man annehmen, daß die beiden Universitätspfarrer und der Regens des Georgianums in der Regel dem Senat angehörten, auch wenn sie nicht zu den seniores, früher den Wahlsenatoren der Artisten, gehörten und keine höhere Profes~ sur innehatten. Von ihnen abgesehen beschränkte sich der Senat bei seinen Wahlhandlungen auf die ordentlichen Professoren der höheren Fakultäten und die vier Artisten, die dem Senat statutengemäß als feste Mitglieder angehörten. 2. Das Adelsrektorat
Erst seit Wiederauffindung der Nova Ordinatio ist ein vom 22. 4. 1515 stammendes herzogliches Schreiben verständlich geworden, die Antwort auf einen nicht erhaltenen Brief der Universität, in dem (wie der Herzog rekapituliert) von wegenn der wal aines kunfftigs rectors, die ir durch
unnser genedig zuelassen, unvergriffen weylunnd unnsers lieben herrn und vatters seligen aufgerichteT ordnung zu thun vorhettet angefragt worden war. Ohne Präjudiz für die Nova Ordinatio und zu förderung 91 Mederer I xxviii; dagegen sprechen die Fälle Eisengrein (SS 1562) und Frank (SS 1573). Vgl. die vorige Anm. 92 Vgl. unten Anm. 111.
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7. Kapitel: Rektorat
unnd guetem aufnemen unnser universitet gestattet Herzog Wilhelm auf das maZ aine freye waZ aines khunfftigen rectors zuthun93 • Worum die Universität gebeten hatte und was ihr erlaubt wurde, zeigt die folgende Rektorwahl vom 23. 4. 1515. Gewählt wurde Friedrich Markgraf von Brandenburg unter Beiordnung des Theologieprofessors Balthasar Hubmaier als Vizerektor. Mit Herzog Ernst von Bayern, Markgraf Wilhelm von Brandenburg, Martin Graf Öttingen und Karl Schenk von Limburg folgten, immer unter Beiordnung professoraler Prorektoren, vier hochadlige Rektoren in ununterbrochener Reihe. In der Folgezeit ging diese Frequenz stark zurück. In den zwanziger Jahren fehlen illustres-Rektoren ganz, um nach gelegentlichem Auftauchen in den folgenden beiden Jahrzehnten erst gegen Ende der fünfziger Jahre wieder sehr häufig zu werden. Nach leichtem Rückgang bleibt die Frequenz dann, abgesehen von einem Anstieg zu Anfang der achtziger Jahre, ungefähr gleichmäßig. Die Statuten von 1522 hatten die Regelung von 1515 übernommen: auch jetzt sollte wie 1472 im allgemeinen unus ex consilio gewählt werden, es sei denn, das Konzil wolle adlige Studenten ehren, denen aber ein Prorektor beigegeben werden müsse94 • Die Nova Ordinatio von 1507 hat also mit der Einschränkung des passiven Rektorwahlrechts auf das verkleinerte Universitätskonzil ebensowenig dauernde Geltung erlangen können, wie mit der Einführung der ganzjährigen Rektoratsperiode. Dennoch bedeutet die Regelung von 1515, die dann von den späteren Statuten übernommen wird, nicht einen Rückgriff auf das Statut von 1486. Die Zulassung des Hochadels zum Rektorat hatte nicht den Sinn und nicht den Erfolg, die Professoren von der Last häufiger Wiederwahl zu befreien. Die ganze Bürde der Amtsführung lag auch unter den Adelsrektoren auf den Schultern der aus dem Konzil im Turnus gewählten professoralen Prorektoren. Entsprechend galt der Fakultätsturnus nicht wie 1486 auch für die 93 UA D II 1 (22. 4. 1515) Herzog Wilhelm an die Universität: "Wir habenn eur schreiben unns wiz gethan von wegenn der wal aines kunfftigs rectors, die ir durch unnser genedig zuelassen unvergriffen weylennd unnsers lieben herrn und vatters seligen aufgerichter ordnung zuthun vorhettet etc. innhallts vernomen. Darauff Iassenn wir uch zu furderung unnd guetem aufnemen unnser universitet genediglich zue, auf das mal ain freye wal aines khunfftigen rectors zuthun, doch wollen wir in allweg vermellte unnsers lieben vatters ordnung damit nit becrennckt habenn, sonnder das es furs unvergriffen dises unnsers genedigen vergönnen wie sölh ordnung in dem fall vermag dabey gehallten werde." Von der Hand des Notars ist auf dem Brief vermerkt: "Literae pro libera electione rectoris non obstante ordinatione ducis Alberti. Et desuper electus est illustrissimus princeps dux Fredericus marchio Brandenburg. et prepositus Herbipolensis in vigilia beati Georgii 1515." 94 Mederer IV 187: "nisi universitatis consilium illustres scholasticos honorandos censeat, adhibito tarnen prorectore".
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Scholarenrektoren, die vielmehr ohne Rücksicht auf ihre Studienrichtung ausschließlich ihres Namens und der Ehre wegen gewählt wurden, die sich die Universität von solchen Rektoren versprach. Es bleibt sehr die Frage, ob dieses Adelsrektorat, mit dem Ingolstadt unter den deutschen Universitäten nicht allein stand, als Erbstück oder Relikt der italienischen Scholarenuniversität verstanden werden darf. Gegen diese häufig vertretene Auffassung95 spricht die Tatsache, daß ebenso wie in Ingolstadt auch in Heidelberg und Wien ein älteres Magisterwahlrecht erst nachträglich durch die Zulassung vornehmer Studenten erweitert wurde. Die Universität Heidelberg beschloß schon im Jahre 1393, daß durch Mehrheitsbeschluß der Magisterversammlung Scholaren hervorragenden Standes (notabilis status aut condicionis) zu Rektoren gewählt werden dürften, von welcher Freiheit aber die Universität bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts nur ganze zweimal Gebrauch machte96• In Erfurt erscheinen seit Ende des 14. Jahrhunderts Nichtgraduierte, zumeist kirchliche Würdenträger, in den Rektorlisten; die Statuten ließen viri pollentes dieser Art sogar in das Magisterkonzil97. Das Institut der extranei rectores in Freiburg scheint frühen Datums zu sein, denn schon in den sechziger Jahren des 15. Jahrhunderts wurden mehrfach Vertreter des Hochadels zu Rektoren gewählt98 • In der Wiener Matrikel erscheinen adlige Rektoren zum erstenmal am Anfang des 16. Jahrhunderts99• Das direkte Vorbild für Ingolstadt ist aber wahrscheinlich auch in diesem Fall in Tübingen zu suchen, wo die Statuten von 1477 bestimmten, der Rektor müsse, wenn nicht Doktor, Lizentiat oder Magister, saltim alias precique nobilitatis vel dignitatis sein100• Während hier - wie schon in Heidelberg und Erfurt - kirchlicher Rang und weltlicher Adel, dignitas und nobilitas, einander gleichgeordnet wurden, hatte Ingolstadt, und mit ihm die Universität der beginnen95 Kaufmann II 54 und Rashdall II 281; dagegen schon Stadlbauer 16 f. Vgl. allgemein zu dieser Frage Stein 55. 96 Winkelmann 53; Thorbecke, Die älteste Zeit 45 f. ; Matrikel Toepke I. Auch die großen Reformationen des 16. Jahrhunderts behalten das Adelsrektorat bei: Thorbecke, Statuten und Reformationen§§ 3-5. 97 Weissenborn I 7. Der älteste Statutenentwurf (Weissenborn II 1 ff.) verlangte von den Rektoren: "ltem rector eligatur de intytulatis et iuratis (quicumque de consilio universitatis fuerit aut alias persona ydonea) et qui ad minus fuerit studens per annum". - Vgl. Abe, Zur Geschichte der Erfurter Universitätsrektoren 6, Kleineidam 207 sowie oben Anm. 72. - In Greifswald wurde 1462 der erste Adelsrektor gewählt: ein zehnjähriger Herzog von Stettin, dem man natürlich einen "coadiunctus" beigab (Kosegarten II 181). 98 Metzger, Beamten- u. Wirtschaftsorganisation der Universität Freiburg 18 f., Bauer, Frühgeschichte der theologischen Fakult ät Freiburg 32. 99 Matrikel 11/1, WS 1501 und SS 1503. Zu fehlen scheint das Adelsrektorat dagegen in Köln und Löwen. too Roth, Urkunden 43.
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den Neuzeit schlechthin, nur mehr den weltlichen Hochadel allein im Sinn, ob er geistlichen Standes war oder nicht. Nichtadlige Dignitäre finden sich in der Ingolstädter Rektorliste, im Unterschied etwa zu Erfurt, nicht mehr. Auch ohne direkte Anknüpfung an die italienische Tradition mochte es für die Universität in der aristokratischen Umwelt des ausgehenden Mittelalters naheliegen, ihr höchstes Amt mit den Namen vornehmer Familien zu schmücken und dadurch im allgemeinen Ansehen zu heben. Es unterliegt jedenfalls keinem Zweifel, daß mit Ausnahme Basels adlige Studenten in Deutschland nirgends als Vertreter der Studentenschaft, sondern eben als Träger ihres Namens nach dem Belieben eines Magister- oder Professorenkonzils zum Rektorat gelangten.
Das professorale Prorektorat Ihren vollkommensten Ausdruck findet aber diese Synthese des Repräsentationsinteresses mit dem Prinzip der Professorenuniversität in jenem Institut des professoralen Prorektorats, das in Ingotstadt im Unterschied zu den älteren Universitäten wie Erfurt, Heidetberg und noch Tübingen von Anfang an mit dem Adelsrektorat verbunden war. Ältere, fremde Beispiele für eine solche Regelung sind, wie gesagt, selten. Jedoch wurde in Freiburg- wenn auch nicht klar ist, von welchem Zeitpunkt an - dem rector extraneus aus dem Konzil ein vicarius beigegeben, der die Geschäfte führte, während dem Adelsrektor sogar der Zugang zum Konzil verwehrt blieb101 • Freiburg wäre ein denkbares Muster für Ingolstadt, nachdem in Tübingen erst die Statuten von 1537 ein Prorektorat in der Theorie vorsahen; praktisch finden sich Adelsrektoren in Tübingen ohnehin erst sehr viel später102• In Ingotstadt gehörte das Prorektorat offenbar bereits zu den certae limitationes, unter denen das Rektorwahlstatut von 1488 scholares für wählbar erklärte. So wurde dem ersten und vorläufig einzigen Scholarenrektor, dem Grafen Öttingen, ob defectum clericatus oder sufficientis etatis, wie die Matrikel schwankend schreibt (auch ein ob defect?J,m gradus wäre denkbar), der Theologieprofessor Zingel per universitatem als vicarius beigegeben103• Nach der Wahlordnung von 1515, wie sie dann in den Statuten von 1522 erscheint, waren die Scholarenrektoren grund101 Vgl. Anm. 98. Für Greifswald ist aus dem Jahre 1462 zusammen mit dem ersten Adelsrektor zugleich ein "coadiunctus" erwähnt; vgl. Anm. 97. "Adiuncti" ordnete im 16. Jahrhundert auch die Universität Heidelberg ihren Illustres-Rektoren bei: Thorbecke, Statuten und Reformationen§§ 3-5. 102 Roth, Urkunden 209: "illustribus ... adiungatur quasi pro rectore vel ipse prioris semestris rector vel alius vir bonus, gravis, doctus ex senatoribus consilii universitatis huius". Vgl. auch Matrikel Hermelink. 1oa Vgl. oben Anm. 80.
III. Zulassungsbedingungen
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sätzlich von den allgemeinen Rektoratsbedingungen (Klerikat, Zölibat, Mindestalter) ausgenommen, dafür aber das Prorektorat zur stehenden Einrichtung erklärt (adhibito prorectore) 104 • Nun geben die Matrikeleintragungen und Konzilsprotokolle in der ersten Zeit vor, die Abordnung eines Prorektors geschehe auf Wunsch oder wenigstens zu Gefallen des Adelsrektors. Im Jahre 1515 nahm Markgraf Friedrich, der Matrikel zufolge, die Wahl nur nach langem Zögern und unter der Bedingung an ut universitas sue illustrissime dominationi constitueret vicarium105• Dem Herzog Ernst von Bayern wurde ein Prorektor bestellt, ne sua illustris dominatio negociis ... molestaretur106. Markgraf Wilhelm, Rektor des Wintersemesters 1516, übernahm das Amt obtento tamen eiusmodi officii vicegerente, quem
sua illustrissima gratia postulabat107•
Daß es aber nicht im Belieben des Gewählten stand, sich einen Prorektor nach seinem Geschmack auszuwählen oder gar auf ihn zu verzichten, stellte das Wahlprotokoll des Sommersemesters 1517 fest. Nach der Wahl des Grafen Öttingen beschloß das Konzil quod eidem sit dandus
vicerector et ex consilio unus et de ea facultate, qua sors electionis pro illo tempore resideret, dummodo illustres persone non adessent. Grundsätzlich sollte der Scholarenrektor ad accipiendum vicerectorem quem voluerit optionem haben; ihm wurde jedoch nahegelegt, einen Doktor aus der an der Reihe befindlichen (der theologischen) Fakultät, und zwar eben genau den vom Konzil bestimmten Johann Eck, zu wählen und keinen anderen108•
Der folgende Adelsrektor, ein Schenk von Limburg, ließ nach erfolgter Wahl das Konzil zur Bestimmung eines Prorektors zusammenrufen, weil 104 Mederer IV 187: das "nisi illustres scholasticos" schließt sich den für die ordentlichen Senatsrektoren genannten Bedingungen an, wodurch diese letzteren offenbar für die "illustres" nicht gelten sollten. Rotmar behauptet dagegen, auch von den "illustres" sei der Klerikat gefordert worden (Mederer I xxvi); vgl. dazu unten Anm. 135. Erst die Statuten von 1556 forderten von den "illustres" die Vollendung des 20. Lebensjahres (Prantl II 205); die 1472 noch von den Rektoren schlechthin, 1522 nur mehr von den nichtsenatorischen und nichtadligen Rektoren geforderte Altersbedingung war jetzt bei gleichzeitiger Abschwächung von 25 auf 20 Jahren zu den "illustres" gerückt. Praktisch wurde diese Bedingung bei der Wahl von "illustres" durchaus nicht beachtet. Vgl. Anrn. 74. 1o5 Matrikel Pölnitz ISS 1515. 1os Matrikel Pölnitz ISS 1516. 101 Matrikel Pölnitz I WS 1516/17. 108 UA D III 4, 11 (24. 4. 1517): "Insuper concluserunt domini, quod eidern sit dandus vicerector et ex consilio unus et de ea facultate, qua sors electionis pro illo ternpore resideret, durnrnodo illustres persone non adessent, et clarissirnus dorninus Joannes Eckius theologie doctor eidern delegatus est in vicegerentern. Illo rnedio dornini de universitate velint corniti Martino ad accipiendurn vicerectorern, quern voluerit, optionern dare, sed tarnen quod is instigetur ad acceptandurn unurn ex facultate theologica doctorern, praefaturn videlicet et nullurn aliurn . . ."
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7. Kapitel: Rektorat
er bei vier täglichen Vorlesungen das Amt unmöglich selbst verwalten könne. Die Versammlung bestimmte den Juristen Michael Marstaller, der vices dicti domini Karoli de Limperg de officio rectoris gerere deberet109. Im Frühjahr 1519, bei der Wahl des Grafen Leuchtenberg, wiederholten sich die Vorgänge von 1517: dem Grafen wurde die Wahl überlassen, sich einen Vertreter zu bestimmen, aber unter der Bedingung
quod neminem preter sequentem eligeret et eundem ex facultate iuridica que pro eo tempore electionem habuerat. Daraufhin wählte sich Leuchtenberg den Juristen Georg Hauer zum vicarius110•
Danach läßt sich zusammenfassen, daß den Adelsrektoren nur pro forma ein freies Wahlrecht zugestanden wurde. Daß sie wählten, aus welcher Fakultät sie wählten und gelegentlich auch, welchen Professor aus dieser Fakultät sie zu ihrem Prorektor machten, wurde ihnen vom Senat vorgeschrieben. Möglicherweise durften sie über den Kreis der Senatoren ausnahmsweise hinausgehen; im Jahre 1539 und wieder 1578 wählte der Senat den Hauslehrer (praeceptor) zum Prorektor des Adelsrektors, wahrscheinlich auf dessen persönlichen Wunsch111• Dieser Brauch scheint zeitweise nahe daran gewesen zu sein, eine Regel zu werden; in den Jahren 1576/77 aber nahm der Senat dann zweimal ausdrücklich von einer solchen, zunächst erwogenen Prorektorwahl Abstand, und so blieben die beiden zitierten Fälle in der Rektorenliste Ausnahmen112• 109 UA D 111 4, 17 (23. 10. 1517): Der gewählte Adelsrektor Schenk von Limburg "fecit dominos de consilio universitatis vocari et eisdem proposuit de vicegerente sibi eligendo, quoniam singula negocia propter lectiones quatuor dietim audiendas et alia minime expedire possit. Desuper conclusum, quod clarissimus d. doctor Michael Marstaller legum ordinarius vices dicti domini Karoli de Limperg de officio rectoris gerere deberet." 110 UA D 111 4, 36 (25. 4. 1519): " . .. et sue illustri dominationi optio oblata fuit, quemcumque vellet in vicegerentem sibi eligere deberet, st... bant (unleserlich) enim domini electores, quod neminem preter sequentem eligeret et eundem ex facultate iuridica, que pro eo tempore electionem habuerat." 111 Sebastian Link für Oswald Eck (den Sohn des Patrons) und Martin Brenner für Graf Wolfgang von Montfort. Beide Prorektoren waren Magister, aber nicht "consiliarii universitatis". Vgl. oben Anm. 89. 112 Im SS 1574 wünschte der gewählte "illustris"-Rektor Markgraf Philipp von Baden selbst ("certis ex causis") "administrationem negotiorum academicorum ... a se et praeceptore suo ... amotam". Der im WS 1576 gewählte Graf Leuchtenberg konnte nach Aussage der Matrikel "iurisdictioni scholasticae nec per aetatem ... nec ob dignitatem ducalern praeesse"; der Präzeptor, den der Senat zu wählen erwog, lehnt ab, um nicht bei seiner "institutio" behindert zu sein. Ebenso wurde im SS 1577 bei der Wahl eines Grafen Fugger dessen Präzeptor verschont, um Fugger und die Seinen nicht zu belästigen ("onerare"). Alle diese Angaben nach der Matrikel unter den entspr. Semestern. Prantl (I 466) erwähnt einen Senatsbeschluß aus dem Jahre 1656, demzufolge zu Prorektoren von Adelsrektoren nicht mehr die Rektoren des jeweils vorangegangenen Semester ernannt, sondern ordentliche Neuwahlen vorgenommen werden sollten. Übrigens hört um die Zeit dieses Beschlusses die Adligenwahl überhaupt auf. Im 16. Jahrhundert ist ein entsprechender Brauch nicht häufig nachzuweisen, nämlich im SS 1574, im WS 1576, im SS 1583 und im SS 1588; wenigstens ebenso häufig wurde umgekehrt verfahren und ein Prorektor im folgenden Semester zum Vollrektor gewählt (vgl. unten Anm. 162 f .).
III. Zulassungsbedingungen
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Ein Adelsrektor ohne Prorektor kommt in der Ingolstädter Rektorenliste mit einer Ausnahme nicht vor113• Die geschilderten Vorgänge zeigen, daß die professorale Universitätsregierung durch die Adelsrektorate nicht im geringsten tangiert wurde: durch die Prorektorate hindurch setzte sich der Fakultätenturnus fort und blieb die faktische Universitätsregierung unangefochten im Kreise der Konzilsprofessoren. So weit wie in Freiburg scheint freilich die Fernhaltung der Ehrenrektoren von aller Geschäftsführung in Ingolstadt nicht gegangen zu sein114• Markgraf Friedrich zum Beispiel, der erste illustris-Rektor der jüngeren Periode, führte nach dem Abgang seines Prorektors Balthasar Hubmaier die Geschäfte selbst bis zum Ende seiner Amtszeit, zur großen Zufriedenheit des Konzils115• Sein Bruder Markgraf Wilhelm wird 1516 als Teilnehmer einer Konzilssitzung genannt118• Graf Georg von Montfort wurde 1571 praestito prius senatorio juramento in den Senat aufgenommen, reichlich einen Monat nach seiner Wahl117• Im Sinne des Instituts lag auch, daß etwa Herzog Ernst von Bayern in seiner Amtszeit gelegentlich als Vertreter der Universität gegenüber seinem regierenden Bruder in Erscheinung trat118• Den erstaunlichsten Fall stellt aber wohl das Rektorat des Schenken von Limburg im WS 1517 dar. Es ergab sich nämlich, daß der ihm beigeordnete Professor Marstaller kein Kleriker sei und also nicht über Kleriker zu Gericht sitzen könne. Darauf beschloß das Konzil kurzerhand, daß Marstaller omnia extrajudicialia
debita videlicet et similia expediat, in judicialibus vero et erga clericos prefatus dominus Karalus de Limperg officium per se ipsum expedire debet, et ut idem doctor Michael non precise nomen vicerectoris sed assessoris aut coadjutoris propter obstaculum predictum habeat119•
113 Im SS 1555 wurde der "nobilis" Benigne de Chaffoy, ein Burgunder, gewählt, dessen Rektorbuch Piquard aus der Stadtbibliothek Besan