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German Pages [236] Year 2003
PETER CLAUS HARTMANN
Französische Verfassungsgeschichte der Neuzeit (1450- 2002)
PETER CLAUS HARTMANN
Französische Verfassungsgeschichte der Neuzeit (1450-2002) Ein Überblick
Zweite, verbesserte, erweiterte und bis 2002 fortgeführte Auflage
Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Reihe: Grundzüge, Bd. 61, Darmstadt 1985.
Alle Rechte vorbehalten
© 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübemahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Druck: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Gerrnany ISBN 3-428-10820-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §
Vorwort zur 2. Auflage Als die Wissenschaftliche Buchgesellschaft nach völligem Verkauf des Bestandes keine zweite Auflage dieses "Grundzüge"-Bandes mehr herausbringen wollte, zeigte sich der Berliner Verlag Duncker & Humblot erfreulicherweise dazu bereit. Hierfür danke ich ganz besonders Herrn Prof. Dr. h.c. Norbert Simon. Eine große Hilfe war dabei die Förderung der Veröffentlichung durch die Robert-Bosch-Stiftung, der ich für diese Unterstützung herzlich danke. In der neuen, erweiterten Auflage mit etwas abgeändertem Titel wurden kleinere Korrekturen vorgenommen und Formulierungen aktualisiert. Zusätzlich habe ich die Verfassungsentwicklung für die Jahre von 1980 bis 2002 fortgeschrieben, die Tabellen vervollständigt, die Zahl der Tabellen und Grafiken im Anhang verdoppelt und die Auswahlbibliographie ergänzt, erweitert und aktualisiert. So hat sich der Gesamtumfang des Buches um fast 20% vergrößert. 2002 wurden zum ersten Mal die Wahl für die Präsidentschaft und die Nationalversammlung in kurzem Abstand (6 Wochen) abgehalten, um die sich als recht problematisch erweisenden Kohabitationen in Zukunft zu vermeiden. Es war deshalb sinnvoll, die Betrachtungen bis zu diesen Wahlen fortzuführen, da sie einen wichtigen Einschnitt in der französischen Verfassungsgeschichte markieren und offensichtlich die Epoche der Kohabitation beendet haben. Am Schluß bleibt es mir, meiner Schülerin Annette Reese und meinem Schüler Carsten Schneider für die Hilfe beim Einscannen, Schreiben, Formatieren und Ergänzen der Texte und Frau Reese für die Anfertigung der neuen Grafiken und der Ergänzung des Registers zu danken, ferner dem Verlag für die gute Zusammenarbeit. Mainz, im Juli 2002
Peter C. Hartmann
Vorwort zur 1. Auflage Die Verfassungsentwicklung Frankreichs im Zeitraum von 530 Jahren auf engstem Raum zu skizzieren, wie dies die Reihe ,Grundzüge' vorsieht, ist ein schwieriges und gewagtes Unterfangen, dessen Bewältigung nur durch rigorose Konzentrierung des irrunensen Stoffes möglich war. Dies hat zur Folge, daß z. B. interessante Forschungskontroversen nicht berücksichtigt werden konnten und auch die sich anbietende Integrierung des sozialen Bereiches in die Verfassungs- und Institutionsgeschichte unterlassen werden mußte. Das Bändchen soll dem Leser ein möglichst knappes, klares und verständliches - überblickartiges - Bild der historischen Verfassungsentwicklung bieten, weshalb hier im wesentlichen eine Synthese der bisherigen Forschung versucht wird. Dabei verdanke ich besonders viel den Werken von Chantebout, Chapsal, Chevallier, Doucet, Durand, Duverger, Godechot, Goguel, Goubert, Holtzmann, Ludwig, Malafosse, Marion, Mousnier, Ponteil, Remond, Sur und Zürn. Es bleibt mir, den Herren Dr. Rolf Reichardt (Mainz) und Jacques Ziller (Paris) ganz herzlich für ihre Anregungen und Hilfe zu danken; sie haben sich der Mühe unterzogen, jeweils einen Teil des Manuskriptes kritisch durchzusehen. Ferner gilt mein Dank dem Lektorat der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft für seine freundliche Betreuung. Passau, im Herbst 1984
Peter C. Hartmann
Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15
Erster Teil
Das Ancien regime
17
I.
Grundgesetze der Monarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
li.
Königtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . . . . . . . . . . . .
20
III.
Conseil d'Etat (Staatsrat) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
IV. Grands officiers (Großoffiziere der Krone) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
V.
Staatssekretäre und Premierminister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
VI.
Verwa1tungseinteilung, mittlere und untere Behörden . . . . . . . . . . . . . . .
27
VII. Justiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
Ständeversammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
1. Etats generaux (Genera1stände) .. .. . .. .. .. . .. .. .. . .. . .. .. .. . .. ..
38
2. Provinzialstände und ihre Versammlungen . . .. . ... . .. . . ... ..... . .
41
Finanzverwaltung und Staatseinkünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
1. Verwaltung . . . . . .. . .. . . . . .. .. . .. .. . . . . .. .. .. .. . . . .. .. . . . .. . .. . . . .
43
2. Staats.einkünfte . . . . . . . . . . . . . .. . . . . .. .. . . .. .. . .. . . . . . . . . . .. .. . . . . .
44
a) Domänen und Regalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
b) Direkte Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
c) Indirekte Steuern und Zölle . . . .. . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . .
47
Städte und Landgemeinden . .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . . .
51
1. Städte .. . . .. .. . . .. .. .. . .. . .. . . . . .. .. . . .. .. .. .. . . . . . .. . .. . .. .. . . ..
51
VIII.
IX.
X.
8
Inhalt
XI.
XII.
2. Landgerneinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
Kirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
1. Katholische Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
2. Protestantische Kirchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
Das Ende des Ancien n!girne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
Zweiter Teil
I.
Die Epoche der geschriebenen Verfassungen
58
Revolution und Empire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
1. Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 und Verfassung von 1791 . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . . .. .. .. .. .. .. .. .. .. . . . ..
58
Vorgeschichte 58 - Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 59 - Verfassung von 1791 61- Anwendung 63
2. Verfassung des Jahres I (1793) .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. . . .
64
Vorgeschichte 64- Verfassung 65- ,Nicht-Anwendung' 68
3. Verfassung des Jahres III (1795) .. ......... .. .. ........ .. ...... . .
70
Vorgeschichte 70 - Verfassung 70 - Anwendung 74
4. Verfassung des Jahres VIII (1799) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
Vorgeschichte 75 -Verfassung 77 -Anwendung 80
5. Verfassung des Jahres X (1802) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
Vorgeschichte 80 - Verfassung 81 - Anwendung 83
6. Verfassung des Jahres XII (1804) .. .. .. . .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. ..
84
Vorgeschichte 84 - Verfassung 84 - Anwendung 86
li.
Die Entstehung der parlamentarischen Regierung (1814-1870) . . . ..
88
1. Charte constitutionelle (1814) der Restaurationsmonarchie . . . . . .
88
Vorgeschichte 88- Charte von 1814 91- Hundert-Tage-Herrschaft Napoleons und der Acte additionnel 94 - Anwendung der Charte von 1814 96
2. Charte der Juli-Monarchie (1830) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
Vorgeschichte 98 - Charte constitutionelle von 1830 99 -Anwendung 100
3. Verfassung der Zweiten Republik .. .. .. . . . .. .. .. . .. .. .. .. .. . .. . . Vorgeschichte 101 - Verfassung von 1848 103 - Anwendung 104
101
Inhalt 4. Das Zweite Kaiserreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9 106
Vorgeschichte I06 - Verfassung von 1852 I07 - Anwendung, Verfassungsänderungen II 0
III.
Die Dritte Republik und das Vichy-Regime (1870 bis 1944)
115
1. Dritte Republik (1870-1940) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
115
Vorgeschichte der Verfassung 116 -Grundgesetze von 1875 121 -Anwendung 123
2. Vichy-Regime (1940 - 1944)
128
Vorgeschichte 128- Verfassung des Etatfranr;ais 129- Anwendung 130
IV.
V.
Die Vierte Republik (1945-1958) .......... . .. . ... . ... . ... . . . . .....
132
1. Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . . . . .. . . . . . .
132
2. Verfassung vom 27. Oktober 1946 . . . . . . . . . . . .. .. .. . . . . . . . . . . . . . .
134
3. Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
139
4. Die Parteien und ihre Grundpositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
140
5. Die politische Entwicklung bis 1956 . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . .
141
6. Die krisenreichen letzten Jahre . . . .. .. .. . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . .. . . .
143
Die Fünfte Republik (seit 1958) . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .
144
1. Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
144
2. Verfassung vom 4. Oktober 1958 . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . .
147
3. Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
153
Der rechte Block !53 - Die Linke 155
4. Anwendung der Verfassung und Verfassungsänderungen . . . . . . . . .
158
Die Ära de Gaulle 158- Kompetenzerweiterungen für den Staatschef und Verfassungsänderung von 1962 (Direktwahl des Präsidenten) 160 - Die Amtszeiten von Pompidou und Giscard d'Estaing 161 - Der Sieg des Sozialisten Mitterrand 163 - Reformen der Linken nach 1981 164 Schwierigkeiten der Regierung Mauroy 1984 und die Einführung des Verhältniswahlrechts 1985 165 - Dezentralisierung 166 - Ausweitung der Befugnisse des Staatspräsidenten von 1962 bis 1986 167
5. Die Epoche der Kohabitationen (1986-2002) Erste Cohabitation: Mitterrand- Chirac; Wiedereinführung des Mehrheitswahlrechts 169- Linke Regierung 170- Zweite Cohabitation: Mitterrand - Balladur 172- Präsidentschaft Jacques Chiracs und die rechtsliberale Regierung Juppe 172 - Dritte Cohabitation: Chirac - Jospin 1997 bis 2002 174
169
Inhalt
10 6. Die Wahlen von 2002
176
Präsidentschaftswahlen 176 - Übergangsregierung Raffarin 178 - Parlamentswahlen vom Juni 2002 179- Zweites Kabinett Raffarin 181
Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
184
1. Gesamtdarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . .. .. .. . . . .. .. ..
184
2. Ancien regime . .. . . .. .. . .. . . . . . . . .. .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . .
184
3. 1789-2002 . . ........ . ········ ... .. ... ·········· .. ....... . . .. .. .
190
Anhang....................... . . . . .................. . . ... ................ . .
199
1. Entwicklung der Verfassungsstruktur ( 1450- 2002) . . . . . . . . . . . . . .
200
2. Staatsoberhäupter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
205
3. Leitende Minister bzw. Ministerpräsidenten (Auswahl) . . . . . . . . . .
206
4. Tabelle: Parlamentswahlen von 1848-1914, Zahl der Mandate . .
212
5. Tabelle: Parlamentswahlen von 1919-1936, Zahl der Mandate . .
214
6. Tabelle: Parlamentswahlen von 1945- 1973, Zahl der Mandate . .
215
7. Tabelle: Parlamentswahlen von 1978-1997, Zahl der Mandate . .
216
8. Grafik: Parlamentswahlen der Fünften Republik 1958 - 1981, Zahl der Mandate . . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . .. . . . . .. .. . . . . . .. .. . . . . 217 9. Grafik: Parlamentswahlen der Fünften Republik 1986-1997, Zahl der Mandate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. . . . . . 219 10. Grafik: Ergebnisse der jeweiligen Stichwahlen der Präsidentschaftswahlen der V. Republik von 1965 bis 2002 . . . . . . . . . . . . . . . 223 11. Grafik: Parlamentswahlen von 2002, Zahl der Mandate (im Vergleich zu 1997) .. . . . . . . .. .. . . . .. . . . .. . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . 224 12. Einteilung in Departements und Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
226
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
228
Abbildungsverzeichnis
Abb.
1: Verwaltungseinteilung nach Generalitäten bzw. Intendanzen . . . . .
31
Abb.
2: Zuständigkeitsbezirke der Parlamente bzw. Cours Souveraines mit Jahr der Installierung dieser Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
Abb.
3: Zur Funktion der Generalstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
Abb.
4: Steuer-, Abgabenwesen und soziale Gruppen im Ancien regime .
50
Abb.
5: 1791 - Verfassungsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
Abb.
6: 1814- Verfassungsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
Abb.
7: Dritte Republik- Verfassungsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
123
Abb.
8: Vierte Republik - Verfassungsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
138
Abb.
9: StärkederParteien 1945-1962 .................................
157
Abb. 10: Fünfte Republik (nach 1962)- Verfassungsstruktur . . . . . . . . . . . . . .
159
Abkürzungsverzeichnis CD CDP
Centre Democrale
CDR
Comite de Defense de Ia Republique
Centre Democratie et Progres
CDS
Centre des Democrales Sodaux
CNIP
Centre National de Iodependants et Paysans
DC EG ENA
Democratie Liberale Europäische Gemeinschaft Ecole Nationale d' Administration
EVG
Europäische Verteidigungsgemeinschaft
FN
Front National Federation Nationale des Republicains Iodependants
FNRI GPRA MDC
Gouvernement Provisoire de Ia Republique Algenenne Mouvement des Citoyens
MRG
Mouvement des Radicaux de Gauche
MRP
Mouvement Republicain Populaire
OAS PC(F)
Parti Comrnuniste (Fran~ais)
PDM
Progres et Democratie Modeme
PR
Parti Republicain Parti Radical Sodaliste
PRS PS PSA PSU RGR RI
Organisation de I' Armee Secrete
Parti Socialiste Parti Sodaliste Autonome Parti Socialiste Unifie Rassemblement des Gauches Republicains Republicains Iodependants
RPF RPR
Rassemblement du Peuple Fran~ais
SFIO
Section Fran~aise de !'Internationale Ouvriere
UDF UDR
Union pour Ia Democratie Fran~aise Union des Democrates pour Ia Republique
UDSR
Union Democratique et Socialiste de Ia Resistance
UFD
Union des Forces Democratiques
Rassemblement pour Ia Republique
Union pour Ia Defense de Ia Republique
Abkürzungsverzeichnis UGS
Union de Ia Gauche Socialiste
UMP
Union pour Ja majorite presidentielle
UNR
Union pour Ja Nouvelle RepubJique
URP
Union des Republicains de Progres
13
Einleitung Wenn wir uns mit der Entwicklung der französischen Verfassung in ihren Grundzügen von etwa 1450 (Ende des Hundertjährigen Krieges) bis heute beschäftigen, so ist hervorzuheben, daß dieser Zeitraum von mehr als 550 Jahren durch einen markanten Einschnitt zweigeteilt ist, nämlich durch die Französische Revolution. In der ersten Periode, die vom Renaissancekönigtum bis zur Revolution reicht, kannte Frankreich keine formell-rechtliche Verfassung mit Verfassungsurkunde oder Staatsgrundgesetz, sondern nur eine materiellrechtliche, die aus zahlreichen geschriebenen oder ungeschriebenen Grundgesetzen bestand, die sich im Laufe der Jahrhunderte durch eine lange Tradition aus rechtsverbindlichem Herkommen gebildet haben. Trotz aller Kontinuität präsentiert sich die Verfassungsgeschichte in diesen Jahrhunderten als eine langandauernde Evolution, die von Zeit zu Zeit durch starke Anstöße vorangetrieben wurde. Man denke an die großen Leistungen Heinrichs IV. für die Erneuerung des Königtums, die Bedeutung der Kardinäle Richelieu und Mazarin für die Ausbildung des ,Absolutismus', die Wirkung des Dreißigjährigen Krieges, der Fronde und der Kriege Ludwigs XIV. auf die Entwicklung der Institutionen und des Finanzsystems. Roland Mousnier spricht in diesem Zusammenhang sogar von einer Verfassungsrevolution unter Ludwig XIV. Ebenso waren die Reformversuche des 18. Jahrhunderts im Rahmen der sich verschärfenden Systemkrise im späten Ancien regime für die Entwicklung von großer Wichtigkeit, als die Verfassungsdiskussion um sich griff und man schon eine geschriebene Konstitution forderte. Die zweite Periode, die von der Revolution bis heute reicht, ist die Epoche der geschriebenen modernen Verfassungen. Mit der ersten Verfassung der Revolution begann das Zeitalter des Konstitutionalismus in Frankreich und, von dort ausgehend, später auch in Europa. Von nun an artikulierte sich die Verfassung jeweils in einer Verfassungsurkunde, die die Rechtsgrundsätze über Idee, Form, Aufbau und Wirksamkeit des Staates, über Umfang und Grenzen der Staatsgewalt, über die Zuständigkeit der Staatsorgane, die Rechte und Pflichten der Staatsbürger usw. erschöpfend und mit der Garantie der Unverletzlichkeit zusammenfaßt
16
Einleitung
In diesen über 210 Jahren kannte Frankreich nicht weniger als 15 Verfassungen und hatte damit in dieser Zeit die meisten Konstitutionen in Buropa und in der Welt. Errechnen wir den Durchschnitt, so wurde in Frankreich etwa alle 14 Jahre eine neue Verfassung eingeführt, obwohl jede dieser Konstitutionen für einen längeren Zeitraum konzipiert worden war. Kommen wir zunächst zur ersten Epoche, zur Zeit des Ancien regime im weiteren Sinne, dessen Verfassung geprägt war durch das jahrhundertealte Herkommen, durch eine dauerhafte Tradition.
Erster Teil
Das Ancien regime Im Gegensatz zur Wahlmonarchie des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, aber ähnlich wie die großen weltlichen Territorien in Deutschland, war Frankreich bis zur Französischen Revolution eine Erbmonarchie mit männlicher Erbfolge. Die Struktur dieser Erbmonarchie war sehr verschieden von der des Reiches, das sich zu einer Fürstenrepublik mit monarchischer Spitze entwickelte. Wurden im Reich die Partikularkräfte immer mächtiger und die monarchische Spitze immer schwächer, so kannte Frankreich nach der Beendigung des Hundertjährigen Krieges eine entgegengesetzte Entwicklung. Die zentrale monarchische Gewalt wurde immer stärker, überstand die gefährlichen vorübergehenden Schwächungen in den Religionskriegen im 16. Jahrhundert und wurde zur ,absoluten' Monarchie, d. h. diese Monarchie war dem Anspruch nach absolut, einem Anspruch, der sich vom göttlichen Recht ableitete und der im Zuge der Rezeption des römischen Rechts gefestigt wurde. In der Praxis wurde dieser Absolutismus allerdings, wie gerade neuere Forschungen zeigen, durch zahlreiche Faktoren abgeschwächt und durchbrachen: durch die Privilegien von Provinzen, Städten, Korporationen, Ständen, durch das Herkommen, durch die später zu behandelnden Grundgesetze des Königreichs und einfach durch die immense Weite des Raumes im Zeitalter des Pferdes, der schlechten Wege, Kommunikationsprobleme sowie durch die Schwierigkeit, bei ungenügendem Verwaltungsapparat, die Ausführung der königlichen Befehle und Gesetze zu überwachen. All dies ließ den Lokalgewalten viel freie Initiative, alles wurde mit starker Anpassungsfähigkeit, Passivität, manches schlecht oder gar nicht ausgeführt. Dieser Kontrast zwischen dem hohen Anspruch und dem allbekannten, weitverbreiteten Ungehorsam war ein Grundzug des französischen Ancien regime. In der Praxis erfaßte und reglementierte jedenfalls diese ,absolute' Monarchie das Leben des einzelnen Untertanen viel weniger als die heutige Fünfte Republik das Leben ihrer Staatsbürger. 2 Hartmann
18
1. Teil: Das Ancien regime
Der ,absolute' König war auch, so wie die Stände und Untertanen, an die Grundgesetze, die lois fondamentales, des Königreiches gebunden, die aus der Tradition, dem Herkommen, erwachsen waren.
I. Grundgesetze der Monarchie Bei diesen Grundgesetzen (lois fondamentales) handelt es sich um eine Gewohnheitsverfassung, die aus einzelnen, in verschiedenen Jahrhunderten entstandenen, geschriebenen oder ungeschriebenen fundamentalen Gesetzen bestand. Diese nur materiell-rechtliche Verfassung schränkte die Macht des Königs ein und ermöglichte im Laufe der Zeit die Durchsetzung der neuzeitlichen Konzeption, die den ,Staat' als ,res publica' ansah. Folgende sechs lois fondamentales, die allerdings nie genau fixiert wurden, sind hier hervorzuheben: I. Die loi salique. Sie legte seit 1316 bzw. 1328 die rein männliche Erbfolge in Primogenitur fest und schloß die weibliche aus. Nachfolger auf dem Thron wurde somit immer der älteste nächste Verwandte in männlicher Linie und in legitimer Ehe. Dies galt selbst dann, wenn der Thronfolger nur Cousin 21. Grades des verstorbenen Königs war, wie Heinrich IV. Dieses Grundgesetz sicherte den dauerhaften Bestand des Königreiches, da es Thronstreitigkeiten ausschloß und somit zur Erhaltung der inneren Ruhe und des Friedens nach außen hin beitrug. Es gab keinen französischen Erbfolgekrieg in dieser Zeit!
Die loi salique zeigt auch, daß die Krone damals in Frankreich kein Erbstück war; denn der König konnte dariiber nicht, wie ein Privatmann über seinen Besitz, frei verfügen. Nicht von ungefähr wurden in Frankreich die Testamente der Könige jeweils für ungültig erklärt, da sie deren Nachfolger, die absolute Souveräne waren, verpflichtet und in ihrem Absolutheitsanspruch beschränkt hätten. Das markanteste Beispiel für eine solche Nichtigkeitserklärung eines königlichen Testaments findet sich 1420. Damals hatte Karl VI. im Vertrag von Troyes den englischen König zu seinem Erben erklärt. Dieser Vertrag wurde vom Pariser Parlament (höchstes Gericht, vgl. Kap. VII) annulliert, da - so die Begründung - das Königtum ein öffentliches Amt und kein frei zu vergebendes Erbstück sei. Auch die Testamente Ludwigs XIII. und Ludwigs XIV. wurden vom gleichen Parlament für ungültig erklärt. Wenn der legitime König minderjährig oder regierungsunfähig war, wurde eine Regentschaft bestellt. Wer das Recht besaß, die Regentschaft
I. Grundgesetze def_ Monarchie
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auszuüben, das war jedoch, besonders im 16. Jahrhundert, noch nicht voll und ganz festgelegt, es blieb zwischen der Königinmutter und dem ältesten prince du sang (Prinz von Geblüt), d. h. Prinz der königlichen Familie, umstritten. Hier spielten die Machtverhältnisse gegenüber testamentarischen Festlegungen die wesentliche Rolle und entschieden im allgemeinen zugunsten der Königinmutter (Catharine de Medici, Marie de Medici und Anne d' Autriche). Wie wir sehen, waren Frauen zwar vom Königtum, nicht aber von der Regentschaft ausgeschlossen. 2. Ein weiteres Grundgesetz der französischen Monarchie war das Prinzip der serments du sacre, d. h. der zwei Eide, die der König bei seiner Salbung leisten mußte, einen den Bischöfen gegenüber und einen dem christlich-katholischen Volk Frankreichs gegenüber. Den französischen Bischöfen versicherte der König, er werde ihre Privilegien, Gesetze und Rechtsprechung achten und sie verteidigen. Dem Volk hatte er zu versprechen, den Frieden zu erhalten, Raub und Ungerechtigkeiten zu verhindern, als Richter Recht und Barmherzigkeit walten zu lassen und die Häretiker auszurotten. lnfolge dieses Eides war es Brauch, daß jeder Untertan durch Bittschriften direkt an den König appellieren konnte. Dieser war es außerdem seinem Volk schuldig, sein tägliches Leben vor aller Augen in der Öffentlichkeit zu führen. Er wurde öffentlich geboren, speiste öffentlich usw. 3. Der Beginn der Großjährigkeil des Königs wurde durch eine Laifondamentale auf das 14. Lebensjahr, d. h. den Tag nach dem 13. Geburtstag, festgelegt, ein im Vergleich zu Deutschland recht frühes Alter. Die Erklärung der Großjährigkeit erfolgte, mit einer Ausnahme 1563, in einem sogenannten lit de justice (= feierliche Sitzung des Parlaments unter persönlichem Vorsitz des Königs) im Pariser Parlament. 4. Ein anderes Grundgesetz, durch ein Edikt vom April 1403 verkündet und im Dezember 1417 bestätigt, stellte fest, daß der legitime Thronfolger sofort und eo ipso nach dem Tode des Vorgängers mit vollem Recht und mit aller Machtfülle ausgestattet (pleno jure ac potestate) König wurde, und zwar unabhängig von Salbung und Krönung. Das Gesetz kam in der Formel zum Ausdruck, die die Kontinuität der königlichen Funktion symbolisierte: Le Roi est mort, vive le Roi (Der König ist tot, es lebe der König). Eine Folge dieser Kontinuität war, daß die ordonnances (Ordonnanzen= Erlasse) des verstorbenen Königs nach dessen Tod ohne ausdrückliche Bestätigung gültig und daß die mit auswärtigen Mächten geschlossenen Verträge in Kraft blieben, wenn sie der neue König nicht ausdrücklich aufkündigte. In der Praxis übernahm auch der neue König die Schulden seines Vorgängers. 2*
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1. Teil: Das Ancien regime
5. Als weiteres Grundgesetz- es wurde 1566 und 1579 bestätigt- galt die Unveräußerlichkeit der königlichen Domänen. Dieser Grundsatz wurde im internationalen Rahmen sogar auf das ganze Königreich ausgedehnt. Der König konnte nämlich keinen Landstrich und keine Provinz Frankreichs ohne ausdrückliche Zustimmung des Volkes, d. h. der Generalstände, ans Ausland abtreten. 6. Schließlich sei noch als letztes Grundgesetz le principe de catholicite, das Prinzip der Katholizität des französischen Königtums, erwähnt. Diese Frage wurde beim Tode Heinrichs III. (1589) besonders aktuell, da sein Nachfolger, Henri de Navarre, Protestant war. Die Generalstände proklamierten 1577 und 1588 die Katholizität des Souveräns als französisches Grundgesetz. Wirklich endgültig anerkannt und bestätigt wurde dieses Prinzip aber erst durch den Übertritt Heinrichs IV. zum katholischen Glauben im Jahre 1593. Diese sogenannten Grundgesetze Frankreichs in der Zeit des Ancien regime zeigen, daß der französische König in keinem Bereich mehr Privatperson mit Privatleben und persönlichem Eigentum war, sondern voll und ganz in seiner königlichen Funktion aufging.
II. Königtum Die französische Monarchie wurde durch den jeweiligen König verkörpert. Er galt als weltlicher Stellvertreter Gottes auf Erden und besaß - so die Theorie der Zeit - seine Befugnisse unmittelbar von Gott und war deshalb nur diesem allein verantwortlich. Er bildete, so schreibt Roland Mousnier, mit seinem Volk einen Leib, dessen Haupt er repräsentierte. Das französische Königtum wurde damals somit von drei charakteristischen Merkmalen geprägt: l. Es war, wie etwa auch das Kaisertum des Alten Reiches, christlich, d. h. katholisch. Der Roi tres chretien (Allerchristlichste König), wie sein Titel lautete, par Ia grace de Dieu Roi de France (von Gottes Gnaden König von Frankreich), hatte seine Macht in den Dienst der Kirche zu stellen und den rechten Glauben zu verteidigen. Mit der Königswürde war 2. die oberste Lehensherrschaft in Frankreich verbunden und 3. schließlich handelte es sich, wie erwähnt, um ein ,absolutes' Königtum. Dabei setzte sich unter dem Einfluß der italienischen Renaissance und aufgrund der politischen Entwicklung immer stärker die moderne Konzeption des Staates als abstraktes und einheitliches
III. Conseil d'Etat (Staatsrat)
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Gebilde gegenüber den früheren föderativen und lehensrechtlichen Vorstellungen durch .. Der französische König verkörperte also die Staatsspitze, er war der Souverän seines Landes. In seiner Person konzentrierten sich die drei Gewalten, die nach moderner Staatsauffassung getrennt sein sollten: die Judikative, die Legislative und die Exekutive. Im Prinzip übte er diese drei Gewalten in unbegrenzter Kompetenz aus. Er war somit oberster Gerichtsherr des Landes, höchster Gesetzgeber, Staatsoberhaupt und ,Regierungschef' in einer Person. In der Praxis mußte er natürlich diese Fülle der Kompetenzen an seine Richter, Staatssekretäre und Beamten delegieren. Diese übten ihre Funktionen aber nur von Königs Gnaden aus. Die Gesetze trugen im Prinzip die Unterschrift des Königs, wurden vom Kanzler mit dem königlichen Siegel versehen und von den Parlamenten registriert. Dabei stand dem König aber immer das absolute Recht der Entscheidung zu. In der Praxis hing jedoch das Ausmaß dieser absoluten Stellung und Herrschaft des Königs - abgesehen von den schon erwähnten zeitbedingten einschränkenden Faktoren - weitgehend von dessen Persönlichkeit ab, seiner Willensstärke, Fähigkeit und Durchsetzungskraft, seinem Fleiß und seiner Intelligenz, wie dies die unterschiedlichen Beispiele des Herrschafts- und Regierungsstils eines Heinrich III., Heinrich IV., Ludwig XIII. oder eines Ludwig XIV., XV. oder XVI. zeigen. Der König regierte im Prinzip durch den Staatsrat. Wenn er mit einem Minister, Staatssekretär oder dem controleur generat des finances zusammen tagte, so war der König ,en son conseil'. Obwohl seine Beschlüsse gültig und seine Anordnungen unanfechtbar waren, bildete er im Prinzip seine Willensentscheidungen im Staatsrat und seinen verschiedenen Sektionen aus, denn jeder königliche Entschluß mußte die Form eines arret du conseil, d. h. eines Ratschlusses oder Urteils des Staatsrates annehmen, der in Gestalt einer lettre patente (offenes Kanzleischreiben) versandt wurde.
111. Conseil d'Etat (Staatsrat) Beim conseil d'Etat (Staatsrat) handelte es sich um die höchste Beratungsstelle des Königs und gleichzeitig das oberste Verwaltungsgremium des Königreiches. Der Staatsrat war ursprünglich aus dem mittelalterlichen conseil du Roi hervorgegangen und wurde im 15. und 16. Jahrhun-
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1. Teil: Das Ancien n!gime
dert auch als conseil prive und conseil etroit bezeichnet. Erst unter Heinrich III. setzte sich der Nameconseil d'Etat durch. Seine Zusammensetzung war im Laufe der Jahrhunderte recht unterschiedlich, seine Aufgaben äußerst vielfältig. Deshalb kam es mit der Zeit, besonders ab 1563, zu Abspaltungen verschiedener spezialisierter Sektionen bzw. Räte mit reduzierter Teilnehmerzahl. Trotzdem existierte rechtlich und in der Fiktion nach wie vor bis zum Ende des Ancien regime nur ein Conseil, dessen Erlasse ausnahmslos arrets des königlichen Staatsrats (conseil d'Etat du Roi) waren. Im Prinzip war der König immer zugegen (in seiner Abwesenheit präsidierte symbolisch sein Sessel), in der Praxis nahm der König, besonders seit Ludwig XV., immer seltener am Rat teil. Bei der Entwicklung des Staatsrates und seiner verschiedenen Sektionen ist, wie Mousnier unterstreicht, ein zunehmender Bedeutungsverlust vor allem im 18. Jahrhundert zu verzeichnen, als die Räte immer weniger tagten und die eigentliche Leitung der Verwaltung immer mehr von der neu entstehenden Zentralbürokratie der Ministerien an sich gezogen wurde. Von den im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts entstandenen zahlreichen Sektionen des Staatsrates seien hier nur die wichtigsten genannt, die sogenannten conseils de gouvernement (Räte der Regierung), die im allgemeinen im appartement des Königs, im Repräsentationsstockwerk seiner jeweiligen Residenz, abgehalten wurden. 1. Derconseil secret (oder conseil d'en haut) ist am ehesten mit unserem modernen Ministerrat oder Ministerkabinett vergleichbar. Er behandelte die wichtigen Regierungsfragen und besonders die Außenpolitik. Hier wurden alle bedeutenden Staatsangelegenheiten beraten, über Krieg und Frieden entschieden, hier berichteten die Staatssekretäre und Minister über ihren besonderen Bereich, hier wurden die Depeschen (Berichte) der französischen Gesandten und Botschafter verlesen, hier beriet man über die zu verfassenden Antwortschreiben, die Instruktionen sowie über die Verträge und Allianzen, die mit auswärtigen Mächten abzuschließen waren. Dieser Conseil, der in Anwesenheit des Königs abgehalten wurde, fand unter Ludwig XIV. jede Woche am Sonntag, Mittwoch und manchmal am Donnerstag und am Montag statt. Er behielt als einziger Conseil bis zum Ende des Ancien regime eine große Bedeutung und tagte bis zur Revolution 120- bis 130mal im Jahr.
Wie setzte sich dieser Conseil zusammen? Er blieb nach der Abspaltung der Sektionen auf einen ganz kleinen Personenkreis beschränkt und bestand nur aus dem König selbst und den ministres d'Etat. Dieser Rang wurde nur durch die Einladung des Königs zur Teilnahme an diesem Conseil verliehen und war keineswegs mit der Funktion des einem heuti-
III. Conseil d'Etat (Staatsrat)
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genMinistervergleichbaren secretaire d'Etat verbunden, selbst nicht mit der des secreraire d'Etat des affaires hrangeres. Der Conseil blieb also zahlenmäßig sehr klein: drei bis vier ministres d'Etat unter Ludwig XIV. und sieben im Jahre 1789. Der bekannte Jacques Neckerdemissionierte z. B. 1781 als Leiter der französischen Finanzen zum Teil deshalb, weil er nicht die angestrebte Teilnahme am Conseil erreichen konnte. Wie im Ancien regime üblich, WO überall die Gewalten und Machtbefugnisse vermengt und verflochten waren, mußte auch dieser hauptsächlich politische conseil d'en haut gerichtliche Funktionen ausüben. 2. Ein weiterer Conseil, der sich gegen 1650 abspaltete, war der conseil des depeches: Er beschäftigte sich mit der inneren Verwaltung des Königreiches, d. h. Rechtsfragen, Kirchenangelegenheiten, Fragen der Gemeinden, öffentlichen Arbeiten. Auch dieser politische Conseil sprach gleichzeitig Recht. Im 17. und 18. Jahrhundert fand er jeweils am Samstag, im Prinzip in Anwesenheit des Königs statt; er setzte sich aus dem garde des sceaux (Großsiegelbewahrer), den Staatsministern (ministres d'Etat) und den Staatssekretären (secrhaires d'Etat) sowie zwei Staatsräten (conseillers d'Etat) zusammen. Die anfallenden Probleme wurden dort von den maftres des requetes (vortragenden Räten) stehend vorgetragen, während die Mitglieder des Rates saßen. Dieser Conseil verlor im Laufe des 18. Jahrhunderts stark an Gewicht und tagte nur noch etwa 50mal im Jahr. 3. Von besonderer Bedeutung ist auch der conseil royal des finances (königlicher Finanzrat), der sich schon im 16. Jahrhundert als eigene Sektion des Staatsrates gebildet hatte. Nach dem Sturz des Oberfinanzintendanten Fouquet im Jahre 1661 wurde der conseil des finances unter Ludwig XIV. jeweils am Dienstag, im Prinzip in Anwesenheit des Königs, abgehalten. Ende des 18. Jahrhunderts bestand er aus dem garde des sceaux, den damals sieben Staatsministern (ministres d'Etat), einem secreraire d'Etat, der nicht Minister war, und aus zwei conseillers d 'Etat (Staatsräten). Dort wurden alle Finanzangelegenheiten behandelt. Da die Finanzen praktisch alle politischen Angelegenheiten tangieren, gab es viele Überschneidungen mit dem oben erwähnten conseil des depeches. In der Praxis gewann aber im conseil des finances der controleur gene-
rat, der französische ,Finanzminister' im modernen Sinne, der durch
seine Fachleute alle Entscheidungen vorbereiten ließ, aufgrund seiner Kompetenz beherrschenden Einfluß. Dadurch verlor der Rat zunehmend an Bedeutung, bis er kurz vor der Revolution fast nicht mehr in Aktion
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1. Teil: Das Ancien regime
trat. Im Jahre 1787 kam er nur noch zu sieben oder acht Sitzungen zusammen. Andere Sektionen des Staatsrates, wie etwa der conseil du commerce oder der mit geistlichen Angelegenheiten betraute conseil de conscience waren schon vor der Revolution verschwunden. Die Funktionen und die Entscheidungen dieser Ratssektionen wurden immer mehr von den Staatssekretären, den Bürokratien der Ministerien und von Kommissionen wahrgenommen, die neben dem Conseil und zunehmend anstelle des Conseil im Auftrag des Königs die zentrale Verwaltung des Königreiches leiteten. Diese Staatssekretäre hatten aber nicht nur die Sektionen des Conseil mehr und mehr aus ihren Funktionsbereichen verdrängt, sondern auch die Großoffiziere der Krone - von Robert Holtzmann als die "alten Staatsminister" Frankreichs bezeichnet -, die hier vor den immer wichtiger werdenden Staatssekretären kurz behandelt werden sollen.
IV. Grands officiers (Großoffiziere der Krone) Die Großoffiziere haben im Laufe der Zeit fast alle ihre Funktionen verloren. Es zeigt sich hier ein Grundzug des französischen, aber auch europäischen Ancien regime, den wir auch bei der Verwaltungs- und Gerichtseinteilung wiederfinden werden: Dieses Regime schaffte bestehende Ämter oft nicht direkt ab, sondern kreierte neue Posten und Institutionen, die die alten überlagerten. Die letzteren verkümmerten dann meist mit der Zeit und wurden zu reinen Ehrenämtern oder Ehrentiteln. Das gilt für das Amt des Oberst-Kämmerers (grand chambrier), das allerdings schon 1545 abgeschafft worden war, das Amt des grand chambellan (Oberstkammerherm), der den grand chambrier ersetzte, des Mundschenken (bouteiller), des grand-echason (Erzmundschenken) u. a. Roger Doucet reiht für das 16. Jahrhundert auch die marechaux de France (Marschälle Frankreichs), den l'amiral de France und den grand maftre de France, der die Diener und Bediensteten des Hofes unter sich hatte, unter die Großoffiziere ein, die jedoch ihrer Funktion nach nicht mit Ministern vergleichbar waren. Wirklich von Bedeutung blieben im Ancien regime nur noch zwei weitere Großoffiziere, der connetable und der chancelier (Kanzler). Der connetable, der Würde nach sogar der erste Großoffizier und Vertreter der Person des Königs, fungierte als Oberbefehlshaber der königli-
V. Staatssekretäre und Premierminister
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chen Armee und spielte deshalb eine große Rolle. Im 15. Jahrhundert kam es mehrmals vor, daß sich ein connetable gegen den eigenen König erhob. Deshalb schaffte Ludwig XIII. unter dem Einfluß Kardinal Richelieus 1627 dieses Amt ab, nachdem der Posten schon von 1488 bis 1513, von 1527 bis 1538 und von 1567 bis 1593 nicht besetzt worden war. Der Kanzler (chancelier) war der einzige der ,alten Minister', der bis zum Ende des Ancien n!gime eine reale Bedeutung behielt. Er fungierte als Chef der königlichen Kanzlei und bewachte im allgemeinen das Staatssiegel, war formal der Chef der Justiz, Präsident der Gerichte und Vorsitzender des Staatsrates, wenn der König abwesend war. Ganz allgemein galt er als der vornehmste und erste Beamte der Krone. Aber in der Praxis verlor er mehr und mehr an Kompetenzen und Einfluß, der noch im 16. Jahrhundert besonders groß gewesen war. Schon im 17. Jahrhundert ist er nicht mehr kraft seines Amtes eo ipso Mitglied des conseil secret und des Finanzrates, sondern nur, wenn er vom König mit Verleihung des Titels ministre d'Etat (Staatsminister) eigens dazu eingeladen wurde. Er verlor die Kompetenz, die Provinzintendanten zu ernennen, die Verwaltung der Forsten zu leiten und an der Militäradministration teilzunehmen. Außerdem hatte er ohne Diskussion die lettres patentes, die die Finanzangelegenheiten betrafen, mit dem Siegel zu versehen, und zwar schon aufgrund einer Unterschrift des Generalkontrolleurs. Aber selbst in seinem ureigensten Bereich, der Justiz, mußte er die Befehle des Königs entgegennehmen, die ihm von einem commis (Schreiber) überbracht wurden. Die Macht und die Regierungsgewalt gingen, wie erwähnt, immer mehr auf die Staatssekretäre, die ,neuen Staatsrninister', und ihre Bürokratien über.
V. Staatssekretäre und Premierminister Im späteren Mittelalter gewannen mit der Zeit unter den Sekretären des Königs die Finanzsekretäre eine besondere Bedeutung. Unter Heinrich II. wurde 1547 ihre Zahl auf vier festgelegt. Sie beteiligten sich damals führend in weiten Bereichen der Staatsverwaltung. Seit etwa 1557 nannten sich diese Finanzsekretäre Staatssekretäre und gewannen auf Kosten der alten Großoffiziere immer mehr Macht. Da die Staatssekretäre meist aus der noblesse de rohe (Robenadel = Amtsadel) und dem Bürgertum stammten und im Gegensatz zu den Großoffizieren absetzbar waren, wurden sie zum wichtigen und nützlichen Werkzeug des ,absoluten' Monarchen.
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1. Teil: Das Ancien regime
Schon im 16. Jahrhundert setzte eine Spezialisienmg der Staatssekretäre ein. Am I. Januar 1589 legte Heinrich III. die Einteilung in Ressorts fest. Der damalige Staatssekretär Ruze wurde zuständig für die maison du Roi und die Kriegsangelegenheiten, Revol für die Außenpolitik. Die Bereiche Inneres, Kultus, Handel, Marine und öffentliche Arbeiten wurden zunächst von den zwei übrigen Staatssekretären gemeinschaftlich verwaltet. Unter Kardinal Richelieu übernahm dann meist der dritte Staatssekretär den Bereich Kultus, der vierte die Marine. Die restlichen Bereiche der Verwaltung wurden gemeinsam besorgt. Obwohl es bis zur Revolution noch unabgegrenzte Aufgabenkreise gab, sprach man, besonders seit dem 18. Jahrhundert, im allgemeinen von den vier Staatssekretären, nämlich dem secretaire d'Etat des affaires etrangeres (Außenminister), dem secretaire d'Etat de la guerre (Kriegsminister), dem secritaire d'Etat de la marine (Marineminister) und dem secritaire d'Etat de la maison du Roi. Sein Ressort umfaßte im wesentlichen die Angelegenheiten des königlichen Hauses, aber auch die des Klerus und die innere Verwaltung. Zum Kanzler und den vier Staatssekretären kam - allerdings erst seit Colbert (1660 -1683) - noch als sechster Kollege der Inhaber des Finanzressorts, der controleur general des finances (Generalkontrolleur) hinzu. Vor Colbert gab es, wie wir noch sehen werden, mehrere Leiter der Finanzverwaltung nebeneinander. Diese sechs Ressortchefs konnten, wie erwähnt, alle den begehrten Titel ministre d'Etat (Staatsminister) verliehen bekommen, aber nur durch ihre Berufung in den conseil secret. Es gab jedoch auch Kanzler und Staatssekretäre, die nicht ministre wurden, z. B. der Kanzler Baucherat (1685 -1699) oder Jacques Necker am Ende des Ancien regime. Im Prinzip waren diese sechs Ressortchefs gleichberechtigt; das gemeinsame Oberhaupt und der Chef der Regierung war der König. Wenn die königliche Zentrale jedoch schwach war oder koordiniert werden mußte, so wurde für die notwendige oberste Leitung und Einheit durch die Ernennung eines Premierministers gesorgt, der zu den sechs ,Ministern' hinzutrat, z. B. die Kardinäle Richelieu und Mazarin im 17. Jahrhundert oder Kardinal Fleury (1726 - 1743) und Maurepas (1774-1781) im 18. Jahrhundert. Gab es keinen Premierminister, so wurde der Generalkontrolleur mehr und mehr zum wichtigsten Staatssekretär, mit dem der König zusammenarbeitete und der zum "Motor des Königreiches" (Mousnier) wurde, wie etwa Colbert unter Ludwig XIV. Die Autorität dieses Chefs der Finanzverwaltung steigerte sich noch angesichts der enormen finanziellen
VI. Verwaltungseinteilung, mittlere und untere Behörden
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Schwierigkeiten am Vorabend der Revolution, so daß er zum Quasi-Premierminister wurde. Man denke an die dominierende Rolle eines Turgot, Calonne, Lomenie de Brienne oder Necker. Der Generalkontrolleur entschied nicht nur die Finanzangelegenheiten des Königreiches, oft sogar alleine, er ernannte auch die meisten Intendanten der Provinzen. Nach dieser knappen Skizze der Verwaltungsspitze Frankreichs im Ancien regime soll im folgenden ein kurzer Blick auf die Verwaltungseinteilung und auf die mittleren und unteren Administrationsbehörden geworfen werden.
VI. Verwaltungseinteilung, mittlere und untere Behörden Zunächst ist festzuhalten, daß das Verwaltungssystem und die Verwaltungseinteilung Frankreichs damals äußerst komplex und kompliziert waren. Die verschiedensten Verwaltungsgliederungen, die historisch gewachsen waren, überlagerten sich, existierten nebeneinander und manchmal gegeneinander. Es gab überall so viele Ausnahmen von der Regel, daß französische Historiker oft den Satz zitieren: La regle, SOUS l'ancien regime, c'est l'exception (Der Regelfall im Ancien regime-das ist die Ausnahme). Das Land war je nach Verwaltungszweig und Zuständigkeitsbereich auf die verschiedenste Weise gegliedert: in Provinzen bzw. bailliages, gouvernements, Intendanzen, Generalitäten, in pays d'elections (Gebiete ohne Provinzialstände), pays d 'etats (Provinzen mit Provinzialständen) und pays conquis, für die Erhebung indirekter Steuern in pays de grande gabelte, de petite gabeile und andere, in Bezirke der greniers a sel, d. h. Salzmonopolverkaufszentren, ferner in die Geltungsbereiche der obersten Gerichte: der Parlamente von Paris, Rouen usw., in die Gebiete, wo das Gewohnheitsrecht galt (der Norden) und wo das römische Recht Geltung hatte (der Süden); schließlich ist noch an die Einteilung in kirchliche Diözesen zu denken, die auch für die staatliche Verwaltung von Bedeutung war. Alle diese Verwaltungseinteilungen überlagerten sich, wie gesagt, im Laufe der historischen Entwicklung und geben ein relativ unübersichtliches Bild. Trotzdem wollen wir versuchen, etwas Klarheit in dieses Dickicht zu bringen. Zunächst ein Blick auf die Einteilung in Provinzen und die Verwaltungseinheit Provinz (province), die jeweils aus bailliages-Distrikten
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1. Teil: Das Ancien regime
(Bereiche eines bailli, eines königlichen Beamten) bzw. SeneschallDistrikten bestand. Beim Begriff province handelte es sich um eine allgemeine Bezeichnung für eine Verwaltungseinheit oder einen bis zu einem gewissen Grad in sich geschlossenen Landesteil mit gleichen Gewohnheiten, Sitten, Mentalitäten und Traditionen. Im späten Mittelalter fungierten als wichtigste Verwaltungsbeamte in den Provinzen meist baillis (bzw. Seneschalle), die direkt dem König unterstanden, deren Verwaltungsbezirke (bailliages), wie erwähnt, nur jeweils einen Teil einer Provinz umfaßten. Das galt noch zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Sie hatten bis dahin allerdings schon ihre finanziellen Befugnisse an die receveurs abtreten müssen. Im 15. Jahrhundert wurden ihre richterlichen Funktionen den lieutenants übertragen, so daß sie damals noch ihre administrativen und militärischen Funktionen innehatten. Nachdem das Amt des bailli käuflich geworden war und jeweils wenigen adeligen Familien vorbehalten blieb, wurde es - typisch für das Ancien regime- zwar nicht abgeschafft, aber immer mehr seiner Funktionen entkleidet. Im Laufe des 16. Jahrhunderts mußten die baillis praktisch alle Befugnisse an die Gouverneure, die ursprünglich militärische Befehlshaber waren, abtreten. Als Verwaltungseinheiten existierten die Provinzen offiziell im Ancien regime nicht mehr. Sie traten ganz hinter die gouvernements, die generalites, die ressorts judiciaires zurück, mit denen sie sich oft nicht deckten. Selbst die assernblies provinciales von 1787 bedeuteten keine administrative Wiedererweckung der Provinzen; denn sie entsprachen nicht diesen aus dem Mittelalter stammenden Provinzen. Wichtiger wurde, wie gesagt, die nicht selten mit der Provinz zusammenfallende Einheit gouvernement, ein jedenfalls gegenüber einem bailliage-Distrikt viel größerer Bezirk. Theoretisch blieb das gouvernement im Frankreich des Ancien regime die Hauptverwaltungseinheit, die nominell bis zuletzt unter dem Gouverneur stand. Im 16. Jahrhundert handelte es sich um zugleich militärische, administrative, gerichtliche und kirchliche Distrikte. Der Gouverneur hatte vor allem militärische und politische Aufgaben; seine Position verlor aber seit dem 17. Jahrhundert für das eigentliche Verwaltungsleben Frankreichs stark an Bedeutung. Die Zahl der gouvernements nahm mit der Zeit immer mehr zu. Zunächst, im 16. Jahrhundert, wurden nur die Teile des Königreiches zu gouvernements, die von militärischer Bedeutung waren. Laut R. Doucet existierten am Anfang des 16. Jahrhunderts nur elf gouvernements, nämlich die von Bourgogne, Bretagne, Champagne et Brie, Dauphine, Guyenne, lle-de-France, Languedoc, Lyonnais, Normandie, Picardie,
VI. Verwaltungseinteilung, mittlere und untere Behörden
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Provence. Am Ende des Jahrhunderts waren es zwölf. Ihre Zahl wurde im Laufe der Zeit wesentlich erhöht. Im Jahre 1776 gab es schon 39 gouvernements, davon 18 von der ersten Kategorie: comte de Bourgogne, duche de Bourgogne, Bretagne, Champagne, das Dauphine, Elsaß, Flandem und Hennegau, Guyenne, Ile-de-France, das Languedoc, Lothringen, das Lyonnais, Metz und Verdun, Navarra und Bearn, Normandie, Picardie, die Provence, Roussillon. Dazu kamen 21 gouvernementszweiter (nach Größe oder militärischer Bedeutung geringerer) Kategorie: Angoumois, Anjou, Artois, Aunis, Auvergne, Berry, das Boulonnais, Bourbonnais, Donnezan und Andorra, Foix, Le Havre, Limousin, Maine et Perche, Marche, Nivernais, Orleanais, Poitou, Saintonge, Sedan, Toul, Touraine und schließlich seit 1768 Korsika. Aufgrund der schlechten Erfahrungen mit den Gouverneuren in den Religionskriegen, in deren Verlauf sie gefährliche Rivalen der königlichen Gewalt wurden, hat das Königtum besonders im 17. Jahrhundert alles getan, um die Gouverneure zu entmachten. Im 18. Jahrhundert waren die Gouverneursposten dann im wesentlichen nur noch gut bezahlte Ehrenämter für königliche Prinzen, Marschälle und lieutenants generaux des armees, die nicht in ihren gouvernements residierten, sondern meist am königlichen Hof lebten. Die wirkliche Autorität war im 17. und spätestens 18. Jahrhundert längst auf die Intendanten übergegangen. Der ihnen jeweils unterstehende Verwaltungsbezirk, die intendance (Intendanz) fiel der Sache nach wie auch begrifflich -bis zur Synonymität- bald mit der generalite, dem Steuerbezirk, zusammen, obwohl eigentlich nur in den Verwaltungsbezirken, die keine Provinzialstände besaßen, also den pays d'elections, solche generalites im eigentlichen Sinne existierten, jedoch weder in den anderen Gebieten, den pays d'etats, wo es Provinzialstände gab, noch in den pays conquis, die einen besonderen, noch zu skizzierenden Status besaßen. Die Intendanten waren im 17. und 18. Jahrhundert die Regierungsvertreter par excellence, bis zu einem gewissen Maße schon vergleichbar mit den späteren Präfekten. In der zweiten Hälfte des Ancien regime wurden die Intendanten die Schlüsselfiguren der Verwaltung, die aktivsten Instrumente der allmählichen Zentralisation und Unifikation des Königreiches. Ihr offizieller Titel lautete: Intendant de justice, police et finances, Commissaire departi dans les generalites du royaume pour l 'execution des ordres du Roi (Intendant der Justiz, Polizei und Finanzen, Kommis-
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1. Teil: Das Ancien regime
sar, entsandt in die Generahtäten des Königreiches zur Ausführung der königlichen Befehle). Was waren die Aufgaben der seit dem 16. Jahrhundert eingesetzten und im 17. und 18. Jahrhundert immer mächtiger werdenden Intendanten? Man kann sagen, daß sie praktisch alle politischen Bereiche umfaßten: die Finanzangelegenheiten der jeweiligen generalite oder intendance, Fragen der Landwirtschaft, Industrie und des Straßenwesens, des Handels, der Bergwerke, Ernährung, Gesundheitswesen, öffentliche Ordnung, Rekrutierung der Truppen, Truppeneinquartierungen, Militärlieferungen, Miliz, Truppenbesoldung, Kirchenfragen, höhere Schulen, Universitäten, Aufsicht über die Gemeinden. Außerdem zählte zu den bedeutendsten Aufgaben der Intendanten die Rechtspflege einschließlich der Rechtsprechung; denn sie repräsentierten die höchste königliche Justiz und standen neben bzw. über den gewöhnlichen Gerichten. In den generalites im Inneren Frankreichs wurden die Intendanten vom controleur generat ('Finanzminister') ernannt, in den Grenzgebieten vom secretaire d'Etat de la guerre (Kriegsminister). Rekrutiert wurden die meisten Intendanten aus dem Personal der maftres des requeres. Sie kamen im allgemeinen aus bürgerlichen Familien der magistrature (Verwaltungsbeamten- und Richterstand), konnten also keine hohe Abstammung nachweisen und waren - für das Frankreich des Ancien regime eine Besonderheit -immer absetzbar; denn ihre Ämter waren nicht käuflich. Die meisten intendances oder generalites waren verwaltungstechnisch in elections unterteilt. Für diese Unterverwaltungsbezirke ernannten die Intendanten selbst ihre Vertreter, die subdelegues, die dort ihre Verwaltungsgeschäfte führen mußten. Die Zahl der Intendanzen, die meist im 16. Jahrhunden geschaffen worden waren, erhöhte sich im 17. und 18. Jahrhundert, bis schließlich ganz Frankreich in intendances eingeteilt war. Deren größter Teil gehörte zu den pays d'elections, so Alen~on (seit 1636 intendance), Amiens (seit 1636 intendance), Auch (seit 1716), Bordeaux (seit 1542), Bourges, Caen, Chiilons (je seit 1542), Grenoble (seit 1542), Limoges (seit 1558), Lyon und Montauban (je seit 1542), Moulins (seit 1557), Orleans (seit 1558), Paris, Poitiers, Riom (je seit 1542), La Rochelle (seit 1594), Rouen (seit 1542), Soissons (seit 1595) und Tours (seit 1542). Im Westen und vor allem im Südosten besaßen die intendances - auch noch im 18. Jahrhundert - Provinzia1stände. Deshalb galten die Intendanzen von Montpellier und Toulouse - beide waren meist unter einem Intendanten vereinigt - , ferner die von Aix, Dijon, Rennes (oder Nantes)
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22 Aix 23 Dijon 24 Grenoble 25 Montpellier 26 Toulouse 27 Nantes (Rennes)
pays d'etats (Intendanzen)
Abl:i. 1: Verwaltungseinteilung nach Generalitäten bzw. Intendanzen (nach G. Durand, Etatset Institutions. XVIe-xvm• siecles, Paris 1969, S. 98, 99)
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März 1973
Juni 1981
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März 1978
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Groupe d'Union pour Ia Democratie francaise 114 membres
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Groupe socialiste (S) 196 membres
Groupe communiste (C) 32 membres
Deputes n'appartenat ä aucun groupe (NI) 9
Groupe du Rassemblement pour Ia Republique (RPR) 147 membres
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Groupe du Front national (FN) 35 membres
Französische Wahlen 1986 577 membres
9. Grafik: Parlamentswahlen der Fünften Republik 1986-1997, Zahl der Mandate (nach offizieller Hornepage der Assemblee (Entwurf A. Reese))
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Groupe du Rassemblement pour Ia Republique (RPR) 127 membres
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Groupe de !'Union duCentre (UDC) 34 membres
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Deputes n'appartenat ä aucun groupe (NI) 39
Französische Wahlen 1988 575 membres
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Groupe socialiste (S) 258 membres
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Groupe de !'Union pour Ia Democratie francais et du Centtre (UDF) 2 13 membres
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Groupe du Rassemblement pour Ia Republique (RPR) 245 membres
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Groupe socialiste (S) 52 membres
Französische Wahlen 1993 577 membres
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Groupe du Rassemblement pour Ia Republique (RPR) 134 membres
Groupe Radical, citoyen, vert (RCV) 33 membres
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Groupe dei'Union pour Ia Democratie francaise (UDF) 107 membres
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Groupe socialiste (S 242 membres
Groupe communiste (C) 34 membres
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Französische Wahlen 1997 577 membres
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Jacques Chirac 2002 1995 1988
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55,20%
10. Grafik: Ergebnisse der jeweiligen Stichwahlen der Präsidentschaftswahlen der V. Republik (nach "Le Monde" vom 07. 05. 2002)
o-
N
N
w
(IQ
§
> 0
übrige Linke 16 (darunter 3 Grüne)
UDF 22
21
(nach "Le Monde" vom 18. 06. 2002)
11. Grafik: Parlamentswahlen von 2002, Zahl der Mandate (im Vergleich zu 1997)
UMP 369
(1Q
§
:::;
::;
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.j:>.
N
N
248 - - - - -
PS
35
PC/ NI (non inscrit) 5
~
RCV (Radical, citoyen, Vert) 31
Parlamentswahlen von 1997 (Vergleich)
I
/
_
\_ RPR 135
'-
67
UDF-Alliance
DL 43
Vl
N N
(1Q
~
"§::r
226
Anhang
12. Einteilung in Departements und Regionen
(nach Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 7, Mannheim
19 1988,
S. 526, 527)
Anhang
227
Größe und Bevölkerung (1982)
Amtl. Nr. 75 77 78
Region Dipartement 1 ile-de-France. Paris Seine-et-Mame . Yvelines . .
AmiI.
Region
Fläche
Erw. (in
Amtl.
Region
1000)
Nr
Dipanement 1
(km 2)
1000)
Nr.
DCpartement 1
(km2)
. . 12012 105 .5915 . 2284 \804 176
10073 2176 .887 1196
54 55 57
Hautes-PyrCnCes . Tarn. Tarn-et-Garenne
. 4464 . 5758 . 3718
. . 228 .339 . 190
88
. 2320 . .. . 717 - .. . 200 .. I 007 .. .. 396
65 81 82
.988
Lorraine. . 23 547 Meurthe-et-Moselle .5241 Meuse .. 6216 Moselle . .. 6216 Vosges . .... 5874
19
Limousin .. ...... . . 16942 Correze.. . . . .... 5857
.. . . 24 1
. 236 245
.. 1324 1194
67
Bas-Rhin.
Creuse . Haute-Vienne .
. . . . 5 565 . 5 520
. 140 . 356
. .. .92\
68
Haut-Rhin.
. . I 566 .. ..916 .. .650
23 87
.. I 246
.. . .302
25
Doubs
. . . 5 234
..289 .544
39 70 90
Jura. Haute-Saöne
.4999 . .. 5360
Territoire de Belfort .... 609
1084 .. . .417 ...243 .. 232 . . . . 132
Pays de Ia Loire. . . . 32 082 Loire-Atlantique . . 6 8 I5
01 07 26 38 42 69 73 74
. .. 43698 Rhöne-Aipe.s. Ain . 5762 ArdCche.. . ..... . . .. 5 529 Dröme . ........ .. . . 6 530 Isere. . . .. ..... .... 7 431 l