Germanische Sprachen: Ein Vergleichender Uberblick
 3525208499, 9783525208496

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I

Augustin Speyer

Germanische Sprachen Ein historischer Vergleich

Mit 10 Abbildungen und 12 Tabellen

Vandenhoeck & Ruprecht

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2007.

25378

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliograñe, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

ISBN 10: 3-525-20849-9 ISBN 13: 978-3-525-20849-6

© 2007. Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG. Göttingen/ www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige mhriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung mir Lehr- und Unterrichtszweeke. Printed in Germany.

Gesamtherstellung: ® Hub-ert & Co. Gedruckt auf altcrungsbeständigem Papier.

Bayerische

Staatsbibliothek

München

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Inhalt

Abkürzungsverzeichnis...................................................... Orthographische Konventionen

8 10

Vorwort

ı1

1 1 1 l 2

2



2.1

2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5

2.2 2.2.1 2.2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.4 3. 3.1 3.1.1 3.1.2

3.2 3.2.1

Einführung Protogermanisch im indoeuropäischen Kontext Gliederung des Germanischen

Phonologie - Vom Protoindoeuropäischen zum Protogermanischen Konsonanten Vereinfachung von Dorsallauten Erste Lautverschiebung (Grimms Gesetz) Verners Gesetz (und ein bisschen Rhotazismus) Einige weitere Obstruenten betreffende Laut veränderungen Syllabische Sonoranten Vokale Zusammenfall von /af und /o/ Hebung von /el zu /if Prosodie Verlust kontrastiver Wortbetonung Auslautgesetze Zusammenfassung

Phonologie -die Töchter des Protogermanischen Gotisch Auslautverhärtung Allgemeine Verhärtung (Delenition) Was germanischen Konsonanten zustoßen kann Rhotazismus Assimilationen Was germanischen Vokalen zustoßen kann

3.2.2 3.3 3.3.1 Umlaut (Mutation) 3 3 l 1 i~Umlaut im Altenglischen

13 13 16

23 28 29 29

32 34 37 37 37 38 39 39 39 41 43 43 43 44 45 45 47 48 48 49

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6

Inhalt

50 54 54 55 56 56 3.3.3.2 DerEnglischeGreatVowelShift 59 3.3.3.3 Ketten verschiebungen in anderen Sprachen 60 3.3.4 Vokalschwächung..................................................... 61 34 Ein distinktiver Wandel im Hochdeutschen: Die Zweite Laut verschiebung...................................................... 62 66 3.5 Zusammenfassung

3.3.1.2 3.3.2 3.3.2.1 3.3.2.2 3.3.3 3.3.3.1

i-Umlaut im Hoch- und Niederdeutschen Brechung BrechungimNordgermanischen.................................... Brechung im Englischen Vokal verschiebungen im Englischen und Deutschen KettenverschiebungenimDeutschen..............................

4

Morphologie

ı

- Vom Protoindoeuropäischen zum

4.3.2.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.3.5.1 4.3.5.2 4.3.5.3 44

Partizip Präsens Aktiv................................................ Aspekt und Tempus................................................... DieNeuinterpretationdesPeı*fekls................................. DieBildungvonPerfektstämmen.................................. KolIaps des Modussystems.......................................... Diathese Bemerkungen zu den Formen....................................... Personalendungen Das Optativsuffix Weitere Formen Zusammenfassung

67 67 68 72 72 72 74 75 76 77 78 78 79 79 83 85 87 88 88 89 90 9I

5. 5.1 5.1.1 5.1.2 5 I 21

Morphologie -- die Töchter des Protogerrnanischen Das Nomen Das Kasussystem in den germanischen Sprachen Genus und Numerus Der Untergang des Duals

93 93 93 94 94

Protogermanischen...................................................

4.1 4.1.1 4.1.2 4.2 4.2.1 4.2.2 4.3 4.3.1 4.3.1.1

Das Nomen Das Kasussystem...................................................... Genus und Numerus.................................................. Andere deklinierte Wörter........................................... Das Adjektiv Pronomina Das Verb Infinite Formen........................................................ Partizip Präteritum....................................................

4.3.1.2 4.3.1.3 4.3.2 4.3.2.1

Infinitiv

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Inhalt

5.1.2.2 5.2 5.2.1 5.2.1.1

Der Verlust von Genus unterscheidungen Andere deklinierte Wörter Das Adjektiv Steigerung

5.2.1.2 5.2.2 5.2.2.1 5.2.2.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5 5.3.5.1 5.3.5.2 54

Adverbbildurıg Pronomina Demonstrativpronomina............................................. Indefinitpronomina...................................................

6. 6.1 6.1.1 6.1.2

6.2 6.3 6.4

Das Verb

7 94 96 96 96 97

98 98 99 101 101 102 103 103 104

Infinite Formen Aspekt und Tempus Entwicklung der Modi in den germanischen Sprachen Diathese Bemerkungen zudem Formen Personalendungen..................................................... 104 104 Modusmarkierte Formen 105 Zusammenfassung Syntax - Vom Protoindoeuropäischen zum Protogermanischen Syntax des einfachen Satzes lndoeuropäische Syntax Die Verb-Zweit-Beschränkung (V2-constraiııt) Die Nominalphrase Nebensätze Zusammenfassung

107 112

Syntax -- Die Töchter des Protogermanischen Verbsyntax Die Fixierung der V2-Beschränkung in den Einzelsprachen Die westgermanische Verbhebungskonstruktion Wortstellung nichtverbaler Satzteile Die Nominalphrase

$2

l 14 IIS 118 1 19

7 7.I 7.I l 7.I 2 7. l 3 7.2 7.3 7.4

Nebensätze Zusammenfassung

121 121 121 123 126 128 129 131

8

Allgemeine Zusammenfassung

133

-ıı

Leseproben Literaturverzeichnis

Glossar Register

135 142 147 153

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Abkürzungsverzeichni

S

abl.

Ablativ

ie.

indoeuropäisch

akk. Adj.

Akkusativ

dampf.

Imperfekt

Adjektiv

Impv .

Imperativ

ae.

altenglisch

lnd.

Indikation

ar.

altfriesisch

In.

Infinitiv

ahd.

althochdeutsch

lnrog.pr. lmerrogativpronomen

air.

altirisch

IP

inflecrifm phrwfe

ais.

altisländisch

ist.

isländisch

aksl.

altkirchenslawisch

jid.

jiddisch

alem.

alemannisch

Ja.

Jahrtausend

arg.

englisch

k(ent).

anorak.

al norwegisch

Kemp.

kentisch Komparativ

Aor.

Aorist

lat.

as.

altsächsisch

aspir.

aspiriert

luv.

lateinisch Iitauisch luvisch

av.

avestisch

ras.

maskulin

bar.

bairisch

mc.

mercisch

Bed.

Bedeutung

me.

mittelenglisch

burgund. burgundisch

mhd.

mittelhochdeutsch

CP

eomplememiger phrase

mir.

miıtelirisch

den.

dänisch

und.

mittelniederdeutsch

dag.

dagegen

mdl.

minelniederländisch

dal.

Dativ

mwal.

minelwalisisch

Dekl.

Deklination

dl.

niederländisch

deriv.

deriviert

ne.

Dem.pr.

Demonstrativpronomen

Neg. Pol. Negative Polarität

f`ár.

fáröisch

neutr.

neutrum

fem.

feminin

nh.

norıhumbrisch

fnhd.

frühneuhochdeutsch

nhd.

neuhochdeutsch

fränk.

fränkisch

nom.

Nominativ

gen. GG gm.

Genitiv

norw.

norwegisch

Grinıms Gesetz

NP

Nominalphrase

germanisch

Opt.

Opıaıiv

gut.

gotisch

Part.

Partizip

gr.

(alt-)griechisch

Perf.

Perfekt

heth.

hethitisch

pgm.

protogermanisch

.

neuenglisch

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9

Abkürzungsverzeichnis pic.

protoindoeuropäisch

sth.

stimmhaft

Pl.

Plural

st.

stimmlos

postved. postvedisch

ugs.

umgangssprachlich

Präs.

Präsens

Uml.

Umlaut

Prt.

Präteritum

vandal.

vandal isch

PS.

Person

Verb.adj. Verbaladjekliv

pwgm.

protowestgermanisch

VG

Verners Gesetz

S.

siehe

vgl.

vergleiche

schwed. schwedisch

VP

Verbalphrase

Sg.

Singular

Wal.

walisisch

Sky.

Sanskrit

Wests.

westsächsisch

so.

Stamm

WS

westsächsisch

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Orthographische Konventionen

Längen werden in der Regel durch übergestellten Strich markiert. Wenn ein Akzent o.ä. über dem entsprechenden Buchstaben steht. wandert der Längungsstrich unter den Buchstaben. Also: ä = langes a, aber á = betontes langes a. Trimoraische Vokale, die sonst mit doppeltem Längungsstrich über dem Vokal dargestellt werden, werden hier durch doppelte Unterstreichung markiert, falls ein anderes Diakritikum über dem Buchstaben steht, werden sie mit einfachem Längungsstrich und Doppelpunkt notiert, z.B. 0, Ö: = trimoraisches 0. Nasales Vokale werden durch einen Haken unter dem entsprechenden Vokal bzw. Tilde darüber gekennzeichnet: q = nasales a, ô = nasales O. Silbische Sonoranten, die sonst in sprachgesehichtlicher Literatur durch einen untergestellten Kreis dargestellt werden, werden hier durch einen untergestellten Punkt notiert, z.B.: m = m, das einen Silbengipfel bildet. Der Asterisk vor einer Form hat in der theoretischen Linguistik eine andere Bedeutung (ungrammatische Form) als in der Sprachgeschichte (erschlossene Form). In diesem Buch d e m der Asterisk zur Kennzeichnung erschlossener Formen, ungrammatische Formen werden mit hochgestelltem X markiert. Phoneme werden in Schrägstrichen geschrieben (z.B. /t/), Oberflächenformen von Lauten in eckigen Klammern (z.B. ltl), Grapherne (also Buchstaben, die ja mit Phonemen nicht deckungsgleich sein müssen) in spitzen Klammern (z.B. ).

*

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Vorwort

Dieses Buch versteht sich als eine knappe vergleichende Übersicht über einige ausgewählte Phänomene der Phonologie, Morphologie und Syntax der germanischen Sprachen, wobei der Schwerpunkt auf den ››altenComparative Germanic Philology« an der University of Pennsylvania erstellt habe. Zu danken habe ich Marga Reis und Donald Ringe für ihre Anmerkungen sowie dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht mir die Annahme des Manuskripts und die Betreuung.

Philadelphia, im Oktober 2006 Augustin Speyer

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1. Einführung

1.1 Protogermanisch im indoeuropäischen Kontext Die Gruppe der germanischen Sprachen umfasst heutzutage alle skandinavischen Sprachen (das heißt: Norwegisch, Dänisch, Schwedisch. Isländisch und Färöisch), das Englische, Deutsche, Jiddische, Plattdeutsche, Friesische und Niederländische, außerdem noch Afrikaans und einige amerikanische Splittersprachen wie Pennsylvanisch (Pennsylvania Durch) als Sprachen, die nur außerhalb Europas (im weiteren Sinne) gesprochen werden. Wenn man sich z.B. Deutsch und Niederländisch oder Dänisch und Schwedisch im Vergleich anschaut, merkt man, dass sich diese Sprachen sehr stark ähneln: Die grammatikalische Struktur ist nicht identisch, aber sehr nahe verwandt, viele Worte lauten gleich oder erkennbar ähnlich in verschiede-

nen dieser Sprachen. Der Grund dafür ist, dass alle diese Sprachen, zusammen mit weiteren, heute ausgestorbenen Sprachen wie dem Gotischen oder Langobardischen, auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgehen. Dieser Vorfahre ist nicht überliefert, da er zu einer Zeit gesprochen wurde, als in der germanischen Welt die Schrift unbekannt war, doch lässt er sich aus den frühesten Schriftzeugnissen germanischer Sprachen hinreichend genau rekonstruieren. Wir bezeichnen diese rekonstruierte Sprache als Promgermaniscll (= Pgm.), oder Urgermanisch. Wir werden nie sagen können, ob das Protogermanische in der von uns heute rekonstruierten Form je gesprochen wurde, die Wahrscheinlichkeit, dass das Germanische, das, sagen wir mal, während des I. Jahrtausends v. Chr. gesprochen wurde, dem rekonstruierten Protogermanischen sehr ähnlich war, ist allerdings sehr groß. Das Germanische ist seinerseits ein Zweig einer größeren Sprachfamilie, dem lııdrıgerıııaızischen, oder, wie es heute meist genannt wird, dem Indoeurrıpäisdıen. Alle indoeuropäischen Sprachen gehen ebenfalls auf einen gemeinsamen Vorfahren zurück, das Protoindoeuropäische (oder Urindogermanisehe). Zu dieser Familie gehören die meisten der heute in Europa gesprochenen Sprachen sowie viele in Indien und Persien gesprochenen Sprachen, in Abbildung l.I ist ein möglicher Stammbaum (nur Hauptzweige) der indoeuropäischen Sprachen abgebildet. Anatolische Sprachen wurden im Gebiet der heutigen Türkei gesprochen. Zum Anatolischen zählt vor allem Hethitisch, daneben weitere Sprachen wie Luvisch und Lykisch. Diese Sprachen sind alle aus dem 2. und l. Jt. v. Chr. bezeugt, sie sind bereits in der Antike ausgestorben.

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14

Speyer, Germanische Sprachen

Abb. l.1: Grober Stammbaum

des Indoeuropäischen

(nach NAKHLEH'D

RINGE und WARNOW (2005))

Protoindoeuropäisch

Anatolisch

Tochañsch

Italo-Keltisch

Germanisch (+ Albanisch)

Griechisch (+ Armenisch)

Balte-Slavisch

Indo-Iranisch

Zentralgruppe

Der tocharische Zweig ist in zwei Sprachen, Tocharisch A und B, überliefert. Diese Sprachen wurden in Oasen am Rande der Wüste Taklamakan in der heutigen chinesischen Provinz Xin-jiang bis etwa ins 12. Jh. n. Chr. gesprochen. lralische Sprachen sind vor allem Latein und seine Nachfolger., die ro-› manischen Sprachen wie Italienisch, Spanisch, Französisch etc., sowie die weniger gut überlieferten antiken Sprachen wie Umbrisch und Oskisch. Die keltischen Sprachen teilen manche Besonderheiten mit den italischen Sprachen, sie sind heute stark im Rückzug begriffen. Das irische und schottische Gälisch, Walisisch und Bretonisch sind im Wesentlichen die einzigen lebenden Vertreter dieser Gruppe. Das Griechische steht relativ isoliert da, wenngleich es eine kurze Zeit nach der Abspaltung vom lndoeuropäischen noch mit dem Armenisehen vereint gewesen zu sein scheint. Die balto-slawisehen Sprachen sind, wie der Name schon sagt, einerseits

die baltischen Sprachen, also Litauisch und Lettisch, früher auch Altpreußisch, sowie die slawischen Sprachen.

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15

l . Einführung

Die indrriranischen Sprachen sind heute die größte Gruppe innerhalb des lndoeuropäischen, sowohl was die Anzahl der Einzelsprachen (über l()0), als auch was die Zahl der Sprecher angeht (über eine Milliarde). Die bekanntesten modernen Sprachen aus diesem Zweig sind Hindi, Urdu und Farsi (also modernes Persisch). Abb. 1.2: Ungefähre Ausbreitung der indoeuropäischen Sprachen um 500 v.Chr.

Tıchırlsch/\

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Gernanißch

l

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Indo-Iranisch

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16

Speyer. Üermanische Sprachen

Die Stellung des Germanischen innerhalb des Stammbaums ist interessanterweise alles andere als gesichert. Der Stammbaum wurde von NAKHLEH, RINGE und WARNOW aufgrund wahrscheinlicher gemeinsamer Innovatioııen einzelner Sprachen per Computer modelliert; dabei zeigte sich, dass die computergenerierten Bäume, die den Tatsachen am besten entsprechen, die Abspaltung des Germanischen an verschiedenen Stellen vornehmen: zwischen ltalo-Keltisch und Griechisch, zwischen Griechisch und BaltoSlawisch und sogar zwischen Balto-Slawisch und lndo-Iranisch. Diese Situation spricht dafür, dass zwischen den Sprachen der sog. ››Zentralgruppe« lange Zeit einer gewisser Austausch stattgefunden hat, man stelle sich die Situation am besten so vor.. dass diese Sprachen über lange Zeit ein Dialektkontinuum gebildet haben (etwa so wie die romanischen Sprachen von der Appennin- bis zur lberischen Halbinsel im Mittelalter, oder die heutigen festlandskandinavischen Sprachen), dessen nordwestlicher Teil das Protogermanische war.

1.2 Gliederung des Germanischen Der Siedlungsraum der Germanen befand sich gegen Ende des 1. Jt. v. Chr. etwa im Bereich der nördlichen Tiefebenengebiete der heutigen Bundesrepublik Deutschland und des westlichen Teils Polens, sowie in Südskandinavien. Der Siedlungsraum war bereits zu dieser Zeit hinreichend groß, so dass anzunehmen ist, dass das Germanische bereits damals dialektal aufgegliedert war, diese Tendenz wurde durch die Ausbreitung und den Wegzug einzelner Gruppen im Rahmen der sog. >›Völkerwanderung« verstärkt, so dass wir zur Zeit der Spätantike auf alle Fälle drei Dialektgruppen unterscheiden können:



Das Ostgermaııísche: Ursprünglich im südlichen und südöstlichen Skandinavien beheimatet; die lnselnamen Gotland und Bornholm ( < Borgundarholmr) weisen auf Beziehung dieser Plätze zu ostgerma-

nischen Stämmen hin, später an der Ostseeküste, im 4. Jh. n. Chr. siedelten sie im Bereich des heutigen Ungarn, Rumänien und der



Ukraine. Das Nordgermanische: Ursprünglich im Bereich des heutigen Dänemark, Südschwedens und Südnorwegens, dieser Zustand herrschte auch im 4. Jh. n. Chr. Das Westgernıaızische: Ursprünglich im Gebiet des heutigen Niedersachsens, Mecklenburgs und Sachsen-Anhalts, breitete es sich während der späten Republik und frühen Kaiserzeit nach Süden aus, bis

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17

1. Einführung

zur Grenze des römischen Einflussgebietes (nach dem weitgehenden Abzug keltischer Stämme aus dem süddeutschen Raum), im 4. Jh. siedelten Westgerınanen überall nördlich der Alpen

Abb. 1.3: Ungefähre Siedlungsräume der drei germanischen Hauptzweige um 200 v.Chr. und in der Spätantike (nach SCHMIDT 2000: 60).

øı-m

ordge

r-'J

rmane

n

«-/LJ

,au

estgermane

(um 200

Chr.)

n

en n a QTm hi 51g O 'Zoo O da u

'¬.

Westgerrrıanen

(um 200 v . Chr.)

29

?

Q, westg efman" e

zum 300 n. Chr.)

"J Ostgermanen

(um 300 n. Chr.)

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18

Speyer, Germanische Sprachen

Das Ostgermanische gliedert sich in das Gotische (genauer: das Ost- und das Westgotische), sowie weitere Sprachen wie das Burgundische und Vandalische. Ostgermanische Stämme breiteten sich im frühen Mittelalter stark aus. hatten zeitweilig Teile des zerfallenden weströmischen Reiches unter ihrer Herrschaft (die Goten z.B. Norditalien) und wanderten im Verbund mit westgerrnanischen Stämmen bis nach Spanien und Nordafrika. Doch sind sie nahezu überall in der bereits vorhanden Bevölkerung aufgegangen (Spanien, Nordafrika, Italien) bzw. gingen in neu hin zugewanderten Stämmen auf (Balkan, Burgunden in Ostfrankreich) ohne dass ihre jeweilige Sprache nennenswerte Spuren hinterlassen hätte. Die am besten dokumentierte ostgertnanische Sprache ist das Gotische, das wir von der Bibelübersetzung Wulfilas kennen, die teilweise erhalten ist. Von den restlichen ostgermanischen Sprachen ist so gut wie nichts erhalten. Eine ostgermanische Sprache wurde noch im 16. Jh. auf der Halbinsel Krim gesprochen (Krimgotiseh). Das Nord germanische breitete sich im frühen Mittelalter im gesamten skandinavischen Raum aus, ferner in Island und Großbritannien nördlich einer Linie, die etwa von London bis Chester geht (Danelaw), sogar bis Grönland und Nordamerika sind nordgermanische Siedler gekommen, wo sie aber im Wesentlichen in der einheimischen Bevölkerung aufgingen. Nordgermanisch ist in Runeninschriften seit dem 3. Jh. n. Chr. bezeugt. Um 1 100 n. Chr. setzt eine reiche Überlieferung v.a. desjenigen nordgermanischen Dialektes, der auf Island gesprochen wurde, des Altísländischen, ein. Gleichzeitig beginnt auch die weniger umfangreiche Überlieferung des Almorwegischen. Diese beiden Sprachformen sind sich hinreichend ähnlich, so dass man häufig nicht wirklich zwischen ihnen unterscheidet, sondern beide unter einem Begriff wie ››Altnordisc¬h pgm. *ubilaz (vgl. gut. ubils, ahd. bi!

(vgl. helft. huwappas. mir. fel)

> m d . , nhd. übel )

*Ämter ››hundert« G0> *human VG) *human > pgm. *hundq (vgl. gr. hekarón, lat. cenrum)

(gut. h u n d , ae. hundred,

mhd., nhd. hundert)

*swe/åfáhg ››Schwiegermutter *swegrfi vo) *swe }rQ > pgm. *swegrö (vgl. s t . svasráh. lat. socrus. aksl. svekıjy)

(vgl. ae. sweger, ahd.

swígar > mhd. steiger)

Verners Gesetz betrifft alle Frikative, also auch /sl, das der einzige aus dem Pie. überkommene Frikativ ist. Aus Isl wird nach Verners Gesetz [2]. v • 0> *áıez-

z. B. *áyes- ››Metall«

(vgl. gut. aiz, aísl. ein, ae. er, as.. ahd.,

(vgl. Ski. áyas-, lat. es)

md.

er > nhd. Er)

Dieses durch Verners Gesetz neu entstandene [z] unterlief im Nord~ und Westgermanischen einen weiteren Lautwandel, nämlich Rhofazísmus, also den Wandel eines (stimmhaften) s-Lautes zu [r] (s. auch 3.2.1):

lz/ >[r] / V __V Dadurch kann es mitunter vorkommen, dass Formen desselben Stammes sich stark voneinander unterscheiden, je nachdem, wo die Wortbetonung ursprünglich lag (sog. »grammatischer Wechsel pgm. *wröı°~wurt

(vgl. lat. rådíx, Wal. gwraidd)

(vgl. gut. waıirfs. a i s . róı, ae. wyrt, a d . , mlld.., nhd. wurz)

6.: Pie. * p/'lgfšr' >›ValCr pgm~ *fflbér (vgl. got. fadarv aisl. faóir, ae.

(vgl. Ski. píléh, gr. patšr' lat. purer etc.)

feder, ahd. fader. mhd., nhd. v-)

Der dritte Laryngal (möglicherweise ausgesprochen als [X""]) und evtl. der zweite (171]?) sind in einem bestimmten Fall möglicherweise als eigenständige Laute erhalten geblieben, und zwar zwischen Sonorant und /w/ (Cowgills Gesetz):

{h 3, (h2)}

-> k

I[+son,+cons]_w

Beispiele: Pie. *nhjmë »uns zwei« -) *nhjwe (vgl. s t . avá-m. gr.

na
pgm. *unkwé, Dat. *unkwís (gut. ugkis. ais. økkr' ae. uns), ahd. unken)

Pie. *g"'ih.;wós ››lebendig pgm. k"'ik"'az (vgl. gut. qius, aisl. kvikr, ae. (wie, ahd. quer, mhd. k(w)ek > nhd. keck, Quecksilber; quicklebendig)

Pie. *dayh2wér >›Schwag6r pgm. *taikwér -9 taikuraz (vgl. ae. tâcor. ahd. zeihur > mhd. zeiger)

uvvuuuı. ı

2. Phonologie

37

2.1.5 Syllabische Sonoranten Sonoranten konnten im Pie. als Silbengipfel verwendet werden (wie auch in einigen heutigen Sprachen, z.B. Deutsch laufen [laufn], Kroat. krk ››Hals« etc.). In indoeuropäischer Literatur werden solche syllabischen Sonoranten mit einem Kreis unter dem Buchstaben als Diakritikum notiert (hier stattdessen mit Punkt, also m, n,.l, .r). Im Pgm. wurde vor solche Sonoranten ein epenthetischer Vokal /u/ eingeschoben.

Ø > u / C _ [ + Son,+cons]C Beispiele:

Pie. *ndër ››Unter pgm. *wurmt »Wurm, Schlange« (vgl. gut. waárms, ae. warm, ahd., nhd. Wurm)

ı

I i

Pie. syllabische Sonoranten erhalten einen Stützvokal lu/ im Germanischen, er wird vor dem Sonoranten eingefügt.

2.2 Vokale Ich konzentriere mich hier auf die zwei auffiilligsten Veränderungen, nämlich den Zusammenfall langer bzw. kurzer nichthoher hinterer Vokale und die Hebung von le/.

2.2.1 Zusammenfall von lal und lol Der Kontrast zwischen /af und /ol wurde aufgegeben. Das Ergebnis dieses Zusammenfallen war von der Vokallänge abhängig: Kurzes /ol und /al Helen in /al zusammen, langes lo/ und langes /af in langem In/.

I0/, la/ > lal /Ö/, In/ > Öl

I

ı ¦

uvvuuuı. ı

38

Speyer. Germanische Sprachen

Beispiele mit kurzem Vokal: Pie. *konk- ››hängen«

> pgm. *hanhanq

(vgl. heth. gånki, skt. sankate »sorgt Sich«)

(vgl. ae. hon, gut., ahd. h a h a , mhd. hohen)

Pie. *ghóstis ››Fremder, Gast« > pgm. *gastiz (vgl. lat. hoslis, aksl. gas?)

(vgl. gut. gast, ae. giest, ahd., nhd. Gast)

dagegen: Pie. *kátus ››Kampf«

> pgm. *habuz

(air. eafh. l v . katawumallis ››Kläger«)

(vgl. ae. heal›u-. aisl. Kriegsgott Hpör)

Beispiele mit langem Vokal: Pie. *swädıís ››angenehm, süß pgm. *mélib (b)> *mı'li,b (vgl. heth. milit, gr. méliros (gen.))

(vgl. gut. miliß, ahd. nıilitou >

nhd. Mehltau)

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39

2. Phonologie

Tautosyllabisch : Pie. *deywós ››Gott«

> pgm. =ı=teiwaz (b)> *tíwaz ›› Kriegsgott«

(vgl. skl. dëváh, lat. deus)

(vgl. ae. 'Uwes-dag ››Dienstag«)

Die Veränderung in a) muss derjenigen in b) vorausgegangen sein. Beispiele: Pie. *bhéresí »du trägste pgm. *berezi (a)> *berizi (b)> *birizi (ygl. skt. bhárasí, aksl. bereši)

(vgl. ae. birst, ahd. bírís, nhd. gebierst)

Pie. *sëg"es- ››Macht pgm. *segez (a)> *segiz (b)> *sigiz (skl. sáhah, av. hazô, gr. Schein »haben«)

(vgl. gut. Sigis, aisl. sigr, a d .

Sigi > nhd. Sieg)

2.3 Prosodie 2.3.1 Verlust kontrastiver Wortbetonung

Das Germanische hat einen einheitlichen Wortakzent auf der ersten Silbe des Stammes entwickelt, aber erst, nachdem das vernersche Gesetz seine Wirkung getan und betonungsabhängige Allophone erzeugt hatte. Daher : Pie. *bhréhgtër > Pie. *phgfšr >

pgm. *bnjêr pgm- *fflbšf

VG)

*fair

Akzcnıvcrschicb.>

*fáöfif

Als Konsequenz erodierte der hintere Teil des Wortes. Dieser Prozess ist in den so genannten ››Auslautgesetzen« beschrieben:

2.3.2 Auslautgeseıze Die Auslautgesetze lassen sich im Prinzip zusammenfassen: Alles, was am Ende des Wortes steht, wird erst abgeschwächt und dann fallengelassen. Daraus resultieren letztlich z.B. die Endungslosigkeit des heutigen Englischen und Skandinavischen sowie die ››schwachen« Endsilbenvokale im Deutschen. Die Gesetze im Einzelnen sind im Folgenden in sehr schematischer Form aufgeführt:

l

.› m > n

/ ._#

Jeder Nas al am Wortende wird zu In/.

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40

Speyer, Germanische Sprachen

Beispiel: Pie. *tóm ››den« (Dem.pr., Akk. Sg. mask.) - in zeitlichem Sinn »zu der Zeit«:

*/um

> pgm.

(z.B. gut. l›an, ais. lJá.

(z.B. lat. um)

ahd., nhd. den)

als normale Pronominalform (z.B skt. Tanz, gr. Ton): später im Pgm. mit der Erweiterung -ÖN > pgm. *l›anQ (z.B. gut.

Jana,

ae. Tone.

a d . hanne > nhd. dann)

Dieser Wandel fand vor den folgenden Änderungen statt, die z.T. in einem ›>counterfeeding« Verhältnis mit ihm stehen:

2.› Vn >

V[+ nasal] / _# Eine Sequenz von Vokal und /nf wird zu einem nasalen Vokal vereinfacht. Die Evidenz dafür ist durch andere Prozesse zunichte gemacht, nur aus manchen Runeninschriften können wir schließen, dass ein einfacher Vokal in solchen Fällen am Wortende stand, in denen wir vom Pie. herkommend einen Nasa! erwarten würden. Pie. *wlkw()m »Wolf (Akk.sg.)« -) *wlpom > *wulpon > *wulfq (vgl. Runisch -wulafa; die Ergebnisse von *-Ö und *-Q sind nicht identisch im NW-Germanischen)

3.)

Vl- hoch] > Ø

/_# Nichthohe Vokale (also la/, le/, In/) Helen am Wogende weg. Das sollte später zum Verschwinden der meisten Deklinationsendungen führen. Beispiel: Pie. Paradigma von *wo*~d- ››wissen« pie. pgm., vor Ausl.g.3 w

ı

Sg. 1 Wóyd'h2 2 Wóyd"'th2 3 wóyd-e ı

pgm., nach Ausl.g.3 Pl. Sg.

-1

Pl. w

w

Sg.

wid-mé wait-a wid-té (wid-r)

PL wir-me

weis-ta

wis-te

wait~e

wir~;ıt

ı

wart

w i r > witum

warst wart

wist witpt > witunt

4.) t > Ø /V_#, wenn Vokal unbetont /tl schwand am Wortende. wenn ein Vokal direkt vorausging. Dies passierte nur in mehrsilbigen Wörtern (da nur hier der letzte Vokal unbetont

sein konnte).

uvvuwuı. ı

41

2. Phonologie

Beispiele: Pie. Opt. 3.sg. *-oyd

> pgm. *-air > *-at (vgl. gut. baírai, ae. here)

(vgl. s t . bháret) Ü'

Der (im Pie. mobile) Akzent wird im Pgm. auf die erste Staınrnsilbe festgelegt. Als Folge davon werden die rechten Enden der Wörter abgeschwächt und erodieren schließlich.

2.4 Zusammenfassung Das Protogerınanische war in seiner frühesten Phase einigen Lautveränderungen unterworfen, durch die es sich vom Protoindoeuropäischen und damit auch den anderen indoeuropäischen Zweigen deutlich ausdifferenzierte. Einer der wichtigsten Lautwandelkomplexe

war das grimmsche Gesetz in Verbindung mit dem vernerschen Gesetz. Das grirnmsche Gesetz (andere Bezeichnung: Erste Lautverschiebung) betraf alle Verschluss laute: stimmlose Verschlusslaute wurden zu Frikativen, stimmhafte Verschluss laute zu stimmlosen und stimmhafte behauchte Verschluss laute zu stimmhaften unbehauchten. Alle Frikative, sowohl die durch das grimmsche Gesetz neu entstandenen als auch das ererbte /s/, wurden stimmhaft realisiert, wenn sie zwischen zwei Vokalen bzw. Sonoranten standen, und wenn der Vokal vor dem Karikativ keine Betonung trug (Verners Gesetz). Dadurch entstanden mitunter Allomorphe in einigen Paradigmata (››grammatischer Wechsel«), da der Akzent zu der Zeit, als das vernersche Gesetz wirksam war, noch mobil war und daher manche Formen desselben Paradigmas die Bedingungen für das vernersche Gesetz erfüllten und folglich stimmhafte Frikative ausbildeten, manche dagegen nicht. Frikative konnten auch entstehen, wenn ihnen ein is/ oder /tl folgte, unabhängig von Grimms Gesetz. Eine Klasse von Frikativen, die das Pie. aufgewiesen hat, nämlich dorsale Frikative (in der indogermanistischen Literatur in der Regel als ››Laryngale« bezeichnet), sind im Protogermanischen verschwunden, allerdings unter Hinterlassung von Spuren. So pflegten /xl und IX`"/ (oder , ) ein benachbartes /el zu einem [a] bzw. [o] abzutönen, bevor sie verschwanden, wenn sie nach einem Vokal standen, wurde dieser außerdem gelangt. Syllabische Sonoranten, die im Pie. nicht selten vorkamen, erhielten im Pgm. einen Stützvokal /u/, der vor dem Sonorant eingefügt wurde.

uvvuvuı. ı

42

Speyer, Germanische Sprachen

Die Veränderungen. die im Vokalismus eintraten, sind ziemlich zahlreich und unübersichtlich, in diesem Abschnitt konzentrierten wir uns auf einige wenige charakteristische Prozesse. nämlich die Hebung von /el zu li/. wenn der Vokal in einer unbetonten Silbe stand bzw. wenn ein /il folgte (damit haben wir den Anfang des i-Umlauts im Germanischen). sowie den Zusammenfall von la/ und /o/: Kurzes la/ und /kurzes lo/ Helen in kurzem /af zusammen, langes /ä/ und langes /Öl Helen in langem /Öl zusammen. Im Verlaufe des Protogermanischen wurde der (im Protoindoeuropäischen mobile) Wortakzent auf die erste Silbe des Wortstammes festgelegt. Das geschah erst, nachdem Verners Gesetz gewirkt hatte. Als Folge der Festlegung des Akzents auf den vorderen Teil des Wortes wurden die hinteren Segmente des Wortes bereits im Verlauf des Protogermanischen abgeschwächt: Wortfinale Nasale wurden zu einem unmarkierten Nas al In/, der dann später mit dem ihm vorausgehenden Vokal zusammen einen Nasalvokal bildete, nichthohe Vokale am Wortende wurden abgestoßen, ebenso ein /t/, wenn das Wort mehrsilbig war.

uvvuuuı. ı

Phonologie - Die Töchter des Protogermanischen

Dieses Kapitel versteht sich nicht als eine erschöpfende Auflistung aller Lautwandel in allen germanischen Sprachen. Nur wenige wurden ausgewählt, entweder, weil sie in mehreren Einzelsprachen stattgefunden haben, oder, weil sie zwar nur in einer Sprache stattgefunden, aber das Phoneminventar dieser Sprache nachhaltig verändert haben. Gotisch wird gesondert behandelt, einfach deshalb, weil sich im Gotischen vergleichsweise wenig seit dem Pgm. geändert hat, wenn man von der Weiterführung von Prozessen, die bereits im Pgm. ihren Anfang genommen haben, also vom Zusammenfall von *e und *i und Erosionseffekten in den Endsilben, ferner Ausgleichung von durch das Vernersche Gesetz bedingten Alternationen etc. absieht. Zwei weitere Wandel werden im Folgenden beschrieben.

3.1 Gotisch 3.1.1 Auslautverhärtung Eine der wenigen bedeutsamen Veränderungen im Gotischen betrifft pgrn. stimmhafte Reibelaute (also ß, Ö, z, aber nicht y); Diese wurden am Wortende stillos (= ››verhärtet«). Als phonologische Regel kann man das so darstellen:

[+ kam, + sth] > [- sth] / _# Man erinnere sich, dass stimmhafte Frikative zwei Quellen haben: Entweder sie gehen auf pie. stimmhafte aspirierte Obstruenten zurück (Erste Laurverschiebung), oder sie sind Allophone der ebenfalls durch die Erste Laut verschiebung entstandenen stimrnlosen Frikative (Verners Gesetz). Stimmhafte Frikative, ungeachtet ihrer Herkunft, werden in den meisten späteren germanischen Sprachen (außer z.B. Ae. und As.) in stimmhafte Obstruenten verwandelt. Wenn solche Laute am Wortende nun im Gotischen als Frikalive erscheinen (stillos wegen Auslautverhärtung) ist das Evidenz dafür, dass sie zumindest im Gotischen noch relativ spät als Frikative realisiert wurden, auf jeden Fall noch zu der Zeit, als Auslaut verhärtung im Gotischen zu wirken begann.

uvvuvuı. ı

44

Speyer, Germanische Sprachen

Pgm. *gaß››ich gab« > gut. gar(vgl. Inf. gib an) Pgm. *ga-waó »ich verband« > gut. gawal9 (vgl. lief. ga-wídan) Pgm. *rikwiz ››Finsternis« > gut. riss (vgl. Gen. riqíz-isl) ABER: Pgm. *garóaz ››Haus gut. gards (nicht garlJs)

(Y war vermutlich schon ein Verschlusslaut, als die Auslautverhärtung eintrat, oder es wurde statt geschrieben, weil letzteres Graphem schon durch /hl belegt war.) Auslaut verhärtungen kommen auch in anderen germanischen Sprachen vor. Das moderne Deutsch hat z.B. eine synchrone Regel, die alle stimmhaften Obstruenten am Wortende stillos macht. Dabei entstehen Kontraste innerhalb des Paradigmas, wie z.B. [tag] (Nom. Sg.) gegenüber [la:ga] (Nom. Pl.). Eine ähnliche Regel muss bereits das Mittel hochdeutsche besessen haben, da genau dieser Kontrast dort häufig orthographisch wiedergegeben ist: Mhd. Mc : tage.

3.1.2 Allgemeine Verhärtung (Delenition) Nach dem Wandel in 3.1.1 wurden die stimmhaften Frikative Mund Ö möglicherweise zu Verschlusslauten im Gotischen.

[+ kont, + sth] > [- kont] Allerdings ist die Evidenz dafür nicht schlüssig. Als ein mögliches (schwaches) Argument für diesen Wandel könnte man anführen, dass im gotischen Schriftsystem nicht zwischen stimmhaften Frikativen (wo man sie erwarten würde) und stimmhaften Verschlusslauten unterschieden wurde. Das gotische Alphabet ist allerdings nichts weiter als eine leicht angepasste Version des griechischen Alphabets. Im 4. Jh. n. Chr., als die Goten das System übernommen hatten, war die Aussprache des Griechischen schon nahezu auf dem Stand des heutigen Griechischen. Das galt insbesondere für die ehemalig stimmhaften Verschlusslaute Y, ô , die im Griechischen des 4. Jh. n. Chr. als Reibelaute ausgesprochen wurden (wie z.B. die Schreibung von lat. [ v ] mit i n Griechischen in z.B. lat. Veneri > gr. klar zeigt). Folglich machten die Goten, als sie das griechische Alphabet an ihre Sprache anglichen, vielleicht nur deshalb keinen Unterschied zwischen stimrnhaften Verschluss- und Reibelauten, weil das griechische Alphabet diesen Kontrast nicht kannte. Die Goten fügten nur sehr sparsam fremde Buchstaben hinzu und achteten dabei darauf, dass die Gesamtzahl der Buchstaben gleich blieb, da sie die Buchstaben auch als Zahlzeichen benutzten.

er,

uvvuvvı. ı

3. Phonologie

45

Aus diesem Grund können wir nicht sicher sagen, ob das in z.B. ››sieben« als [b] oder [ß] oder [v] ausgesprochen wurde. Deshalb sollte man vorsichtig sein, wenn man allgemeine Verhärtung im Gotischen nur aufgrund orthographischer Evidenz postuliert. Einen Hinweis, dass gut. tatsächlich als [v] ausgesprochen wurde, bietet die Schreibung lateinischer Wörter, z.B. lat. November im Kalenderfragment, das als erscheint.

3.2 Was germanischen Konsonanten zustoßen kann 3.2.1 Rhotazismus In der Geschichte der nord- und westgermanischen Sprachen fand ein Lautwandel mit der Bezeichnung Rhorazismus statt. Dabei handelt es sich allgemein um einen Wandel von stimmhaftem /z/ zu einem (alveolaren) [r]. Dieser Lautwandel ist nicht gerade einer der häufigsten, kommt aber vor, z.B. im Lateinischen oder, vor weniger langer Zeit, in einigen Sprachen auf dem Balkan, u.a. dem Rumänischen. Ich führe ein lateinisches Beispiel an: Pie. *genes, Gene;-es (Nom., Gen.) ››Art, Abstammung« > lat. genus, Gene;-is

Rhotazismus ist sicherlich keine gemeinsame Innovation des ganzen nordwestgermanischen Gebietes, sondern fand im Nord- und Westgermanischerı unabhängig voneinander statt. Das kann man klar sagen, da es folgende Regel im Altisländischen gibt: *at > á I _r, und diese vor dem Rhotazismus stattgefunden hat. Da diese Regel im Westgermanischen nicht vorkommt, muss sie eine Innovation des Nord germanischen sein, Rhotazismus muss demnach nach der Aufspaltung entstanden sein. Rhotazismus wurde zwischen Vokalen bzw. Sonoranten überall in nordund westgermanischem Gebiet durchgeführt:

z

>

r

__

I V {V; [+ stimmhaft]}

Beispiele: Pgm. *lang-iz-Q ››länger« > ais. lengre, as. lengira, a r . lengera, ahd. fengiro > nhd. länger (vgl. ohne Rhotazismus gut. sped-iz-a ››später

r

/V

_ {V;

[+ sth]; # }

Das entspricht etwa einer unkonditionierten Regel, die alle /z/ zu /rl wandelt, da /z/ sowieso nur in Verners-Gesetz-Kontexten erscheinen kann: Z

>

r

Beispiele: Pgm. *kalläs »du rufst« Pgm. *grabiz ››du gräbst«

> ais. kalla > ais. *grafir > *gregor > grefr

(vgl. gut. grabs, ahd. grebis > nhd. gräbst)

Pgm. *armaz ››Arm aisl. *armer > arm

(vgl. gut. arms, as., ae., ahd., nhd. arm/arm)

Pgm. *sangwaz >›Gesang«

> ais. *sangwar > *söngwar > söngr

(vgl. gut. saggws, as., ahd., nhd. sang)

Dass das Gotische am Rhotazismus nicht teilhat, wird üblicherweise dadurch erklärt, dass die Wirkung des Rhotazismus erst einsetzte, als sich das Ostgermanische bereits abgespalten hatte. Auf der Grundlage von Ausnahmen zu Verners Gesetz im Gotischen wurde jedoch angenommen, ob eine Tendenz zum rhotazieren eines stimmhaften /z/ schon im Protogermanischen bestanden hat, sogar bevor Vemers Gesetz zur Wirkung kam (WOODHOUSE 1998). Vgl. die Gegendarstellung in BERNHAROSSON 2001.

Unklar ist, ob Rhotazismus grundsätzlich alle /zl sowohl im Nord- als auch im Westgermanischen betroffen hat (also die gleiche unkonditionierte Regel überall gegriffen hat), dass sie aber im Westgermanischen am Wortende dadurch verhindert wurde, dass dort Auslautverhänung stattgefunden hat und somit die Rhotazismusregel ››ausgeblutet« wurde. Dagegen spricht allerdings, dass z.B. das heutig ge Englische keine Auslaut verhärtung kennt. ı

q=

ı

Rhotazisınus Betroffen: I2/ (durch Verners Gesetz entstanden). Vor an : Iz./ wird zu [r], im Nord germanischen: Überall, im Westgermanischen: Nur, wenn ein Vokal folgte.

uvvuuvı. ı

3. Phonologie

47

3.2.2 Assimilationen Assimilationen gehören zu den häufigsterı Lautwandeln überhaupt. Im germanischen Bereich sind sie besonders häufig im Altisländischen, unter anderem deshalb., weil hier die Vokale in dramatischer Ausmaß Apokope und Synkope zum Opfer fielen (die Evidenz aus Runeninschriften datiert das auf das 8. Jh. n. Chr.). Die Sprache war daher reich an Konsonantenanhäufungen, die zur Assimilation geradezu einluden. Die wichtigsten Assimilationen sind die, die /r/ betreffen, da durch diese Allomorphe in die Paradigmen eingeführt werden konnten: Viele Endungen, die vor Rhotazismus /z/ lauteten (eine der beliebtesten pgm. Endungen), werden nun als [r] ausgesprochen, dass dieses [r] notwendig mit anderen Konsonanten in Berührung kommt, ist klar, da die Vokale in Endsilben synkopiert, also entfernt worden waren. Das /r/ wurde vermutlich alveolar, also als »Zungen-r« (wie im heutigen Italienisch. z.B ausgesprochen. Eine alveolare Aussprache von /rl liegt nahe, weil es sich ausschließlich in alveolarem Umfeld assimilierte. Die Assimilation wäre in diesem Fall dann auf Fälle beschränkt, in denen die zu assimilierenden Segmente schon »irgendwie ähnlich« sind, hier, indem sie das Artikulationsort-Merkmal teilen.

I.) Jedes auf Rhotazismus zurückgehende /r/ wurde vor /dl und /nl vollständig assimiliert (d.h. dass diese Assimilation wohl schon vor dem Rhotazis-› mus stattgefunden hat)

Beispiele: Pgm. *razdö ››Sprache«

> ais. *rardo > rödel

(vgl. gut. razda, ae. reord)

Pgm. *raznq ››Haus«

> ais. * a m > rann

(vgl. gut. rann, ae. i m )

2.›

Jedes Ir/ (inklusive derer, die durch Rhotazismus entstanden waren) wurden vollständig assimiliert nach /s/, II/, In/.

Beispiele: Pgm. *stainaz ››Stein«

> aisl. *sfainar > * s t a r r > s t e i n

(vgl. gut. stars, ae. stån, ahd., nhd. Stein)

Pgm. *wísaz ››weise aisl. *wísar > *wísr > víss

(vgl. gor. on-weis ››unkundig * s t ö r > still ››Thron«

(vgl. gut. stols, as., ae. sröl. ahd., rnhd. sruol > nhd. Stuhl)

uvvuvuı. ı

48

Speyer. Germanische Sprachen

3.) Nach doppeltem /nl ist die Assimilation nur teilweise und regressiv. Die meisten Beispiele sind am Wortende, aber der Wandel fand in allen Stellungen statt. Beispiele: Pgm. *man was > mannuz (belegt b. Tacitus) > *mannur > *mann > ais. maór ››Mann *annarumr > *annrum > *aôrum > ais. pörum »den anderen« (Dat.Pl (vgl. as. öder. ahd., nhd. ander)

Eine weitere Assimilation betrifft die Nasale: Vor stimmlosen Verschlusslauten verlieren sie ihre nasale Qualität. Da bereits früher in der Geschichte eine Teilassimilation stattgefunden hatte, in der sie homorganisch mit den folgenden Verschluss lauten wurden, ist das Ergebnis in allen Fällen ein verdoppelter Verschlusslaut.

_ [-kont, aOrı]

[+ rasa, dOrt]

> [aOrı] I

[- kont, + nasal, dOrt]

> [- nasal]/

_ [-kaM, -sth, dOrt]

Beispiele: Pgm. *kampjg ››Kämpfer ais. *Kampf > kuppi

(ae. cempa, ahd. k e m p f , und., nhd. Kempe)

Pgm. *drinkanq ››trinken«

> aisl. drekka

(gut. drigkan, ae. drincan, as. denken. ahd. ırinkan > mhd., nhd. trinken)

3.3 Was germanischen Vokalen zustoßen kann 3.3.1 Urnlaut(Mutation) Der Umlauf ist im Wesentlichen eine teilweise Fernassimilation eines Vokals durch einen Vokal (oder Halbvokal) der Folgesilbe. Schematisch:

so' V

ıß xi V

uvvuvuı. ı

3. Phonologie

49

Das Nordgermanische ist besonders reich an Umlauten. Im Alt isländischen gibt es drei Umlaut-Typen: • i-Umlaut (regressive Ausbreitung des [+ vorne]-Merkmals) • u-Umlaut (regressive Ausbreitung des [+ gerundet] und des [-tief]Merkmals) • a-Urnlaut (regressive Ausbreitung des [- hoch]-Merkmals) Beispiele: i-Umlautz aisI. framr, ››vorWärts aisl. holpinn ››geholfen«

In den westgermanischen Sprachen wie Ahd. und Ac. spielt eigentlich nur der i-Umlaut eine wesentliche Rolle.

3.3. I .I i-Umlauf im Altenglischen Im Altenglischen hatte der i-Umlaut bereits alle hinteren Vokale (d.h. alle mit dem Merkmal [- vorne]) erfasst, bevor die schriftliche Überlieferung einsetzt (d. h. gegen 700 n. Chr.). Ferner waren zu der Zeit bereits die Auslöser des Umlauts, also die li/s und /j/s in der Folgesilbe, entweder ganz verschwunden, zu [9] abgeschwächt oder doch zumindest am Verschwinden. Nebentönige vordere Vokale hielten sich in Süd- und Mittelengland bis ca. 740, im Norden länger (vgl. BRUNNER l965:32, 69). Das heißt, dass wir das Umfeld, das für den Umlaut verantwortlich war, in den meisten Fällen nur durch Vergleich mit anderen germanischen Sprachen erschließen können. im späteren Altenglisch, genauer, im Westsächsischen und Ker tischen, wurde [Ø]1 der i-Umlaut von /o/, zu [e] entrundet (BRUNNER 1965:75,

Mo1*rAuscH 2002).

uvvuuuı. ı

50

Speyer, Germanische Sprachen

Beispiele: a > e I w:

Pgm. *wakjanq (gut. wakjan) Ae. hol ››Gesundheit« + - a n

> ae. weecan ››aufwecken«

ä > §: > ae. hgjan ››heilen« o > Ø ( > e): Pie. *ulisšn > pgm. *uhsg > *ohsg (nach Wandel O > a !) > ae. oxa ››Ochse exen Selten. da pgm. *o > a. ››Neue« In/s (s. 3.3.4) pflegen nicht in umlautendem Umfeld zu stehen, s. 3.3.4. Der den beschriebene Wechsel setzte sowieso erst nach Umlaut ein. Ö> Q (

> ê): Ae. dem ››UrteiI« + - a n > daran ››urteilen y: Ü> y

(vgl. ne. deem)

Ae. burg ››Burg, Stadt es: e > eo: > in:

Mc. fearu = Wests. rare »ich gehe« Angl., Kent. meotod = Wests. metod >>Glück

beta > ab.

bei bei bo:t bo:t

>

bi:t9 bi:t

>

bu:l abu:t

>

bsıt

>

abbaut

Die oberen Beispiele sind zu lesen: »X > Y« =: >›ca.1400 > ca. l 50'0 /elf und /o:/ > /ou/. Gleichzeitig wurde der Nukleus der neu entstandenen steigenden Diphthonge ZU iaı/ bzw. /aU/ erniedrigt. Ferner begann /e:l mit li:/ zusammenzufallen, obwohl dieser Prozess in vielen britischen und nordamerikanischen Dialekten noch nicht durchgeführt ist. Great Vowel Shift

CF'

Zeitraum: IS. Jh. w

Vorgang: Alle Langvokale werden eine Stufe höher realisiert (z.B. /ë/ > IT/, /ô/ > /ü/, /ä/ > IN:/), die alten hohen Vokale werden diphthongiert: /í/ > /al/, /ü/ > au. ııı-

3.3.3.3 Kettenverschiebımgen in anderen Sprachen Ketten verschiebungen von Vokalen sind durchaus nicht auf Englisch und Deutsch beschränkt. Im Niederländischen ereignete sich z.B. eine weitreichende Verschiebung der Vokale, die ich hier Schematisch wiedergebe (AWEDYK and HAMANS 1989):

I

ı

ı:

\ ëı

§9 4

aı: Und im Schwedischen und Ostnorwegischen gab es eine Verschiebung der hinteren (gerundeten) Vokale, von denen der höchste schließlich in Richtung Zentrum ausweichen musste (HAUGEN 1970. LABOV 1994:l30f.). l

ü: 4 y: e: ø:

†"= *)°. a;1a=

uvuuvvı. ı

61

3. Phonologie

3.3.4 Vokalschwächung Eine Folge des Wechsels des Wortakzentes an die stamminitiale Position im Protogermanischen war, dass die Vokale weiter hinten im Wort sukzessive geschwächt wurden, d.h. nach und nach ihre distinktiven Merkmale aufgaben. Das klang bereits bei der Diskussion über den Umlaut an: Man kann eine Umlautung als einen Schritt hin zur Schwächung und Neutralisation des betroffenen Vokals interpretieren, da er ein eigenes Merkmal aufgibt (z.B das [- vorne]-Merkmal) und dafür das eines benachbarten Vokals übernimmt. Dies ist einsichtig für unbetonte Vokale (und funktioniert nur, solange die Vokale grundsätzlich noch ››voll« sind), die Regel hätte sich dann verselbstständigen müssen und wäre irgendwann auch auf betonte Vokale angewandt worden. Die nächsten Schritte wären, dass unbetonte Vokale immer mehr ihrer distinktiven Merkmale verlieren und irgendwann nicht einmal mehr Merkmale irgendwelcher benachbarten Vokale übernehmen, sondern unmarkierte Standardwerte annehmen. Der unmarkierte Standard ist i.d.R. ziemlich zentral, so etwas wie ein ››Schwa« [9]. Der letzte Schritt wäre schließlich, den nonkontrastiven Vokal ganz aufzugeben und zu validieren. Schwächungspfad: voller Vokal > assimilierter Vokal > neutraler Vokal > kein Vokal

Je nach Position sind die Vokale in verschiedenem Maße betroffen. Die Grundregeln sind: Je weiter weg von der betonten Silbe der Vokal ist, desto mehr wird er geschwächt. Der 2., 4., 6. etc. Vokal eines Wortes mit Betonung auf dem 1. Vokal ist anfälliger für Schwächung als der 3., 5., etc. Vokal (aus rhythmischen Gründen, ein Beispiel wäre ahd. forahana :› mhd. forhel

.

››Forelle Ø (pgm. *dagaz > aisl. dagr) - diverse Umlautregeln

- wenigstens

dreifache Qualitätsunterscheidung

Silben erhalten

in unbetonten

vuvuvuı. ı

62 Ahd.:

Mhd.:

Speyer, Germanische Sprachen

- ursprüngliche

Endkonsonanten und kurze Endsilbenvokale > Ø (pgm. *dagaz > ahd. mc) - Primärumlaut - sonst keine Schwächung - Synkope vieler unbetonter Vokale (v.a. geradzahlige) - Sekurıdärumlaut Reduktion aller Endsilbenvokale und vieler unbetonter Vokale zu Schwa /al Bsp.: ahd. fiırihuílôn > mhd. verhüllen

-

Ae.:

pgm. *herfönô > ahd. herzun > mhd. herzen - ursprüngliche Endkonsonanten und kurze Endsilbenvokale > Ø (pgm. *dagaz > ae. dmg)

- Synkope

vieler unbetonter Vokale (v.a. geradzahlige) Bsp.: hätte »ich hieß«, vgl. gut. haimda - Spätere. Tendenz, Endvokale und viele unbetonte Vokale zu la/ zu reduzieren Bsp.: Aelfric (~l000): drehten, vgl. ahd. truhfin, Caedmon's hymne (~735): drycti »Herr« Diese Tendenz ist im Mittelenglischen voll durchgeführt, später werden wortfinale I9/s regelmäßig apokopiert.

3.4 Ein distinktiver Wandel im Hochdeutschen: Die Zweite Lautverschiebung Die Zweite ( = Hochdeutsche) Lautverschíeburıg ist eine Folge von Lautwandeln, die Obstruenten betreffen. Auf den ersten Blick sieht die Zweite Lautverschiebung der Ersten recht ähnlich. Ihr Wirkungsbereich ist jedoch im Vergleich zur Ersten stark eingeschränkt, sowohl lokal, insofern als nur ein Verhältnismäßig kleiner Bereich des gesamtgermanischen Sprachgebietes betroffen ist, als auch hinsichtlich ihrer Durchführung: • Nicht alle Obstruentenklassen sind gleichermaßen betroffen: Nur stimmlose Obstruenten (die zu der Zeit vielleicht bereits aspiriert waren. wie im heutigen Deutsch) sind dem Wandel ganz unterworfen, stimınhafte nur zum Teil. Nicht alle Artikulationsorte sind gleichermaßen betroffen, insgesamt sind Koronale viel weiter ››fortgeschritten Kölschjans ››Gans«.)

uvvuvuı. ı

64

Speyer. Germanische Sprachen

Weitere Beispiele: Pgm. *plegan ››pflegen ahd. phlegan (NB: ahd. = [pf]) Got. tiuhan ››ziehen har-an) ››Hase« das Nom./Akkf Allomorph generalisiert, aber bei z.B. pgm. aus-an (auz-an > auf-un) ››Ohr« das weniger spezialisierte Allomorph (ahd. Ära). Die n-Stämme waren die häufigsten konsonantischen Stämme im Pgm.,

und die Klasse war sogar noch produktiv: Viele Nomina, v.a. Feminin, wechselten in diese Klasse. Das Wort für ››Zunge 2). Der Dual ist bekanntlich in allen heute gesprochenen germanischen Sprachen mit denn Plural zusaımnengefallen, und vermutlich ging der Dual bereits im Pgm. zurück. Die Tatsache, dass das Gotische den Dual nur sehr inkonsequent markiert (nur an Verben in der l. u. 2. Person, nie an Nornirıa außer den Personalpronomina der l. und 2. Ps. Nom. wir, Gen., Dat. ugkis »wir zwei« und Nom. *jut, Gen.. Dat. igkís »ihr Zwei pgm. nasjandiz > gut. nasjandi., »des Retters« (Kausativ der Wurzel Vnes »sicher heimkommen«, vgl. gr. neísrhai »heimkommen«, skt. násate »sich nähern«)

[in Germanischen zeigen sie ihr originales konsonantisches Deklinationsmuster nur, wenn sie substantiviert

sind (darum dieses Bsp.), sonst folgen sie der stark-/schwach-Unterscheidung wie andere Adjektive auch.

4.3.2 Aspekt und Tempus 4.3.21 Die Neuinterpretarion des Perfekts Das Pie. hatte drei Aspektstämme, den imperfektiven (oder durativen oder ››Präsens«-) Stamm, den perfektiven (oder ››Aorist ››Ich bin weggegangen« > »Ich ging weg«). Das passierte auch im Pgm. Das solchermaßen neugebildete Präteritum kam in direkte Konkurrenz mit den zwei aus dem Pie. ererbten Vergangenheitsformen, dem Imperfekt und dem Aorist. Der Konkurrenzkampf war bald entschieden: Unangefochtener Sieger war das neue Präteritum, der Aorist verschwand spurlos, der Imperfekt konnte sich in Resten in der Ver-

gangenheit des Wortes tun und dem schwachen Präteritalmorphem -re halten (s.u.).

Beispiel: Pie. Wurzel *g"'em- »treten « lınpf.: *gppmsker »ging (= trat wiederholt)« Aor.: *gwémet ››trat† > † (tatsächl. Quelle des Präs.)

Perf.: *gwe-guvótne ››Steht pgm. * k a m »er kam« (vgl. gut. qimun, qam, a d . quer an, quam)

Aber SO müssen nun auch Präterita von Wurzeln gebildet werden, die bisher keinen Stativ ausgebildet hatten, z B. weil ihre Bedeutung sich nicht stati-

uvvuvuı. ı

80

Speyer. Germanische Sprachen

vieren ließ. Mit den meisten einfachen Wurzeln ist das kein Problem, da sie ablauffähig sind. Beispiel: Postpie. *bhe-bIıónde »er band « (vgl. skt. babándha)

> pgm. band (vgl. gut., ae. band. ais. hart, ahd. ban! > nhd. band)

Einige Perfekte behielten ihre alte, Stative Bedeutung bei. Daraus entwickelten sich die in allen germanischen Sprachen vorkommenden PräterituPräsenria. Beispiel: Pie. *ne-mógh-e - »er ist fähig« (vgl. aksl. Präs. mogçet", air. do-formaig »es kommt da.zu«, mochte ››mächtig