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German Pages 759 [784] Year 1992
Germanische Religionsgeschichte
Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Herausgegeben von Heinrich Beck, Herbert Jankuhn f Reinhard Wenskus Band 5
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G_ Walter de Gruyter · Berlin · New York 1992
Germanische Religionsgeschichte Quellen und Quellenprobleme Herausgegeben von Heinrich Beck, Detlev Elimers Kurt Schier
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G_ Walter de Gruyter · Berlin · New York 1992
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Die Deutsche Bibliothek —
CIP-Einheitsaufnahme
Germanische Religionsgeschichte : Quellen und Quellenprobleme / hrsg. von Heinrich Beck ... — Berlin ; New York : de Gruyter, 1992 (Reallexikon der germanischen Altertumskunde : Ergänzungsbände ; Bd. 5) ISBN 3-11-012872-1 ISBN 978-3-11-012872-7
© Copyright 1992 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin 30 Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin 61
Vorwort „Zeitlicher Wandel und örtliche Differenzierung sind die Haupteigenschaften aller kulturellen, mithin auch aller religiösen Erscheinungen", schrieb im Jahre 1913 Karl Helm im ersten Band seiner Altgermanischen Religionsgeschichte (Heidelberg 1913, S. 7). Die Beachtung der zeitlichen und räumlichen Dimension gehört seitdem zu den unabdingbaren Forderungen der germanischen Religionsgeschichtsschreibung. Nicht weniger fundamental ist ein zweites Prinzip: das der Quellenkritik. Um die räumlich und zeitlich definierten Quellen in ihrer religiösen Wertigkeit zu erkennen, bedarf es einer Prüfung ihrer Aussagenmöglichkeiten. Die Tatsache, daß eine germanische Religionsgeschichte kaum auf ersthändigen Quellen (Ritualtexten: Gebeten, Hymnen, heiligen Schriften. Sakramentalen Gegenständen: Tempeln, Bildern etc.) aufzubauen ist, veranlaßte Andreas Heusler von ,Quellen zweiter Hand' oder ,Zeugnissen' zu reden (Kleine Schriften, Bd. 1. Hrsg. H. Reuschel, Berlin 1943, S. 504). Sein strenges Urteil, daß der Mangel an ,Quellen' eine Geschichte der germanischen Religion verbiete, kann nicht davon abhalten, auch eine durch Quellenarmut und Zeugnischarakter bestimmte Überlieferung auf das Phänomen Religion hin zu befragen. Dies kann aber nur unter der methodischen Voraussetzung einer eingehenden Quellenkritik geschehen. In drei Bereichen hätte sie sich zu bewähren 1. Die Unterscheidung von Quellen- und Zeugnissen berührt so elementare Fragen wie die nach dem Religionsbegriff selbst. Was ist unter einer paganen polytheistischen Religion überhaupt zu verstehen? Ist die in der norrönen Überlieferung reich entwickelte mythische Welt der kultischen so scharf gegenüberzusetzen, wie es W. Baetke in zahlreichen Arbeiten zur germanischen Religion getan hat? 2. Quellenkritik gilt es vor allem und stets neu zu üben an einer Überlieferung, die in ihrer wissenschaftlichen Beurteilung dem Wandel unterworfen ist. Neue Methoden und aktuelle Erkenntnisse im Bereich von Archäologie, Geschichte, Namenkunde, Sprach- und Literaturwissenschaft beeinflussen ganz wesentlich die Beurteilung der religiösen Relevanz von Quellen und Zeugnissen. Auch eine Vermehrung einschlägiger Denkmäler, insbesondere im Bereich der frühgeschichtlichen Archäologie, verändert die Sicht und läßt ganz neue Aspekte einer Religionsgeschichte erkennen. Eine Kulttopographie gerät ganz neu in den Blick.
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Vorwort
3. Ein eigenes Problem stellen die fiktionalen Literaturgattungen und die Folklorezeugnisse dar. Von der paganen Zeit sind diese Überlieferungen schon durch einen beachtenswerten zeitlichen Abstand getrennt. Es ist heute sicher nicht das Problem, die von Jacob Grimm in seiner Deutschen Mythologie der norrönen Mythologie an die Seite gestellten Volkssagen, Sitten und Gebräuche auf ihren Quellencharakter (im Blick auf eine pagane Zeit) hin zu untersuchen. Wohl aber könnten diese Überlieferungen u. a. Anlaß zu der Frage sein, in welcher Weise religiöses Gedankengut einen Glaubenswechsel übersteht. Welche Umformungsprozesse vermag ein religiöser Gedanke zu durchlaufen — lassen sich solche Prozesse in einer gewissen Weise systematisieren und generalisieren? Einzubeziehen wäre die noch weitergehende Frage nach einer allgemein-menschlichen religiösen Disposition und ihr adäquater Ausdrucksformen — eine Antwort darauf erlaubte erst, den räum- und zeitbezogenen Horizont zu überschreiten und auch übergreifende Bezüge herzustellen. Die Herausgeber hatten die Absicht, die Diskussion zu solchen Fragen im Umkreis der Quellenproblematik einer germanischen Religionsgeschichte aufzunehmen. Die Werner Reimers-Stiftung bot die Möglichkeit, in- und ausländische Gäste in der Zeit vom 2 8 . 2 . - 3 . 3 . 1990 in Bad Homburg zu versammeln und an exemplarischen Beispielen die Möglichkeiten einer heutigen quellenkritisch reflektierten Religionsgeschichte zu diskutieren. Die Vorträge werden hier publiziert — vermehrt um einige weitere Beiträge, die nicht in Bad Homburg zum Vortrag kommen konnten. Die Beiträge sind in ihrer Abfolge nach Gebieten geordnet. An den Anfang gestellt ist der Artikel von B. Gladigow: Mögliche Gegenstände und notwendige Quellen einer Religionsgeschichte. Es folgen im 2. Teil die Beiträge zur Quellenproblematik archäologischer Funde, der Felsbilder, Brakteaten und Runeninschriften. Die Schrift- und Sprachdenkmäler (3. Teil) werden in der Abfolge antike Überlieferung, Sprache, Namen, Recht, volkskundliche und literarische Quellen behandelt. Der Werner Reimers-Stiftung danken wir für ihre Unterstützung herzlich. Ohne ihre Hilfe wäre die Tagung und die Publikation nicht zu realisieren gewesen. Heinrich Beck
Inhaltsverzeichnis I. Allgemeine Problematik religiöser Quellen und Zeugnisse
1
BURKHARD GLADIGOW
Mögliche Gegenstände und notwendige Quellen einer Religionsgeschichte II. Probleme archäologischer und runologischer Quellen und Zeugnisse
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J A N B E M M A N N UND G Ü D E H A H N E
Ältereisenzeitliche Heiligtümer im nördlichen Europa nach den archäologischen Quellen
29
MICHAEL MÜLLER-WILLE
Zwei regionale Studien
69
DETLEV ELLMERS
Die archäologischen Quellen zur germanischen Religionsgeschichte . . .
95
LUDWIG PAULI
Quellen zur keltischen Religionsgeschichte
118
JOACHIM WERNER
Childerichs Pferde
145
KURT SCHIER
Skandinavische Felsbilder als Quelle für die germanische Religionsgeschichte?
162
KARL HAUCK
Der religions- und sozialgeschichtliche Quellenwert der völkerwanderungszeitlichen Goldbrakteaten
229
E L M A R SEEBOLD
Römische Münzbilder und germanische Symbolwelt
270
KLAUS DÜWEL
Runeninschriften als Quellen der germanischen Religionsgeschichte . . . 336 W I L H E L M HEIZMANN
Lein(en) und Lauch in der Inschrift von Floksand und im Vçlsa Jpáttr
365
Vili
Inhaltsverzeichnis
III. Probleme sprachlicher und literarischer Quellen und Zeugnisse . . . 397 E D G A R C . POLOMÉ
Quellenkritische Bemerkungen zu antiken Nachrichten über die germanische Religion
399
PIERGIUSEPPE S C A R D I G L I
Die drei Seelen der Langobarden. Eine Skizze
413
DIETER TIMPE
Tacitus' Germania als regionsgeschichtliche Quelle
434
WOLFGANG M E I D
Die germanische Religion im Zeugnis der Sprache
486
THORSTEN ANDERSSON
Orts- und Personennamen als Aussagequelle für die altgermanische Religion 508 BENTE HOLMBERG
Uber sakrale Ortsnamen und Personennamen im Norden
541
HERMANN REICHERT
Altgermanische Personennamen als Quellen der Religionsgeschichte . . 552 RUTH
SCHMIDT-WIEGAND
Spuren paganer Religiosität in frühmittelalterlichen Rechtsquellen . . . . 575 KARL-S. KRAMER
Jacob Grimm und seine „volkskundlichen Quellen". Zur Frage der Zeugniskraft von „Sitte und Sage" für die „Deutsche Mythologie" . . . 588 HEINRICH BECK
Die religionsgeschichtlichen Quellen der Gylfaginning
608
R É G I S BOYER
Some Reflections on the Terra-Mater Motive in Old Scandinavian Sources 618 M A R G A R E T CLUNIES ROSS
„Quellen zur germanischen Religionsgeschichte"
633
URSULA DRONKE
Eddie poetry as a source for the history of Germanic religion
656
EDITH MAROLD
Die Skaldendichtung als Quelle der Religionsgeschichte
685
P R E B E N M E U L E N G R A C H T SORENSEN
Freyr in den Isländersagas
720
G R Ò STEINSLAND
Die mythologische Grundlage für die nordische Königsideologie
736
I. Allgemeine Problematik religiöser Quellen und Zeugnisse
Mögliche Gegenstände und notwendige Quellen einer Religionsgeschichte VON BURKHARD
GLADIGOW
0. Vorbemerkung Im folgenden sollen die Versuche und Optionen der Religionswissenschaft, ,ihren' Gegenstand zu bestimmen oder zu gewinnen, zunächst an zwei Traditionslinien vorgestellt werden. Das soll nicht auf dem Wege über eine Geschichte der Definitionen, von ,Religion' geschehen, — das wäre eine unendliche Geschichte1 und ein Vexierspiel —, sondern mit Hilfe der konkreten Vorgaben über Gegenstand, Quellen und Methoden. Die beiden Hauptrichtungen in der Religionswissenschaft, die phänomenologische und die philologisch-historische, haben bis in die 70er Jahre das Feld bestimmt und bestimmen es außerhalb des engeren Fachs immer noch, — zum Nachteil für eine systematische Kooperation zwischen historischen, gesellschafts-wissenschaftlichen und philologischen Disziplinen auf der einen, und Religionswissenschaft auf der anderen Seite.2
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Überblicke über Ziele und Geschichte der Definitionen von Religion bei W. Goudenough, Toward an Anthropologically Usefull Definition of Religion, in: A. W. Heiser (Hg), Changing Perspectives in the Scientific Study of Religion, New York 1974, S. 165 — 184; R. Machalek, Definitional Strategies in the Study of Religion, Journal for the Scientific Study of Religion 16 (1977) S. 395—401; M. E. Spiro, Religion: Problems of Definition and Explanation, in: M. Banton (Hg), Anthropological Approaches to the Study of Religion, London 1968, S. 85 — 126; J. E. Banhardt, The Study of Religion and its Meaning. New Explorations in Light of Karl Popper and Emil Durkheim, Religion and Reason 12 (1977) und schließlich Β. Wahlström, The Indefinability of Religion, Temenos 17 (1981), S. 1 0 1 - 1 1 5 . Ein Plädoyer, beide Richtungen reziprok zu konstituieren, hat aus dem italienischen Kontext heraus R. Pettazzoni vorgelegt; vgl. etwa Aperçu introductiv, Numen 1 (1954), S. 1 — 7, deutsch auch in G. Lanczkowski (Hg), Selbstverständnis und Wesen der Religionswissenschaft, Darmstadt 1974, S. 159 — 167. G. van der Leeuw kann in seiner Phänomenologie der Religion, Tübingen 1970, S. 787 apodiktisch feststellen: „Von einer historischen Entwicklung' der Religion weiß die Phänomenologie nichts (Wach, Rel.-Wiss. 82); von einem .Ursprung' der Religion noch weniger." Zur neueren Diskussion U. Berner, Bemerkungen zum Verhältnis von Religionsgeschichte und Religionsphänomenologie, Göttinger Miszellen
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Burkhard Gladigow
Da es hier um die Aufarbeitung einer, wenn man so will, gestörten Beziehung geht, muß ich etwas weiter ausholen und zugleich wissenschaftstheoretisch etwas präziser zuzugreifen versuchen.
1. Geschichte der Gegenstände 1.1 ,Religion' und Religionen Die Bestimmung des Gegenstandes von Religionswissenschaft ist eng mit der allgemeinen Geistesgeschichte der ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts verbunden, ist selber Teil der Religionsgeschichte dieser Zeit 3 . In dieser Phase der Wissenschaftsgeschichte — zumindest in ihren den dominierenden Strömungen — wird die Frage nach dem Gegenstand der Religionswissenschaft nicht einfach als ,Religion' bestimmt und dann eine Nominal-Definition von Religion vorgeschlagen, sondern Wissenschaft und konkreten Religionen wird ein gemeinsamer ,letzter' Gegenstand unterstellt: der Gott, das Numinose, das Heilige, die Macht. Auf diese Weise, über den vorgegebenen Gegenstand, tritt Religionswissenschaft einerseits in ein affirmatives, andererseits in ein Konkurrenz-Verhältnis zu .Religion': Der .Gegenstand' von ,Religion' und der Gegenstand von .Religionswissenschaft' werden im Rahmen der phänomenologischen Methode' als identisch vorausgesetzt. 4
Das Verhältnis zwischen ,Religion' und .Religionen', von hypostasiertem Allgemeinbegriff und historischem Einzelfall, näher zu bestimmen, liegt in der Konsequenz des Definitionsproblems von Religion, ein Problem, das die Geschichte der Religionswissenschaft begleitet hat. Die Variationsbreite der Lösungen überdeckt fast alle möglichen Konstellationen: „Religion ist wirk-
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18 (1975), S. 57 — 72. Vgl. auf der anderen Seite J. A. Prades, Explication et irréductibilité de la religion. Faut-il vraiment choisir entre Otto et Durkheim?, Studies in Religion 16 (1987), S. 1 4 5 - 1 5 8 . Versuch einer etwas ausführlicheren Darstellung dieses Ansatzes bei B. Gladigow, Religionsgeschichte des Gegenstandes — Gegenstände der Religionsgeschichte, in: H. Zinser (Hg), Religionswissenschaft. Eine Einführung, Berlin 1988, S. 6 — 37. Die allgemeinen Rahmenbedingungen für diese Prämisse sind gut aufgearbeitet bei R. Flasche, Religionsmodelle und Erkenntnisprinzipien der Religionswissenschaft in der Weimarer Zeit, in: H. Cancik (Hg), Religions- und Geistesgeschichte der Weimarer Zeit, Düsseldorf 1982, S. 261—276. Zu den theoretischen Vorgaben H. Seiwert, .Religionen und Religion'. Anmerkungen zu Jacques Waardenburgs Einführung in die Religionswissenschaft, Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 71 (1987), S. 225—230.
Mögliche Gegenstände und notwendige Quellen einer Religionsgeschichte
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lieh nur in den Religionen" (H. Frick, C. H. Ratschow5) ist eine Lösung, die andere sucht umgekehrt die „Religionen in der Religion" (H. Halbfas6); schließlich gibt es noch „Religion außerhalb der Religionen" (H. R. Schiette7). „Religion als Terminus der religionswissenschaftlichen Theoriesprache" (H. Seiwert8) zu etablieren, ist deutlich weniger attraktiv als ,Wesensaussagen'9 über Gott, Welt und Religion zu machen. Der ,Erkenntniswettbewerb' zwischen Religionswissenschaftler und ,religiösem Subjekt' bestimmt die Entwicklung des Fachs vor allem in der Weimarer Zeit und bestimmt die daran anknüpfende phänomenologische Richtung; Rainer Flasche hat dieses ,Prophetie-Syndrom' der Religionswissenschaftler deutlich beschrieben.10 Es sind letztlich christliche Theologen, die diese Konzeption von Religionswissenschaft paradigmenbildend vertreten: N. Söderblom, R. Otto, G. van der Leeuw, F. Heiler; nach außen treten sie freilich als Religionswissenschaftler auf. Die gemeinsame Prämisse aller dieser Ansätze, aber auch vieler nichttheologischer11, ist es, daß Erscheinungen fremder Kulturen, vor allem religiösen Erscheinungen, eine .Bedeutung', ein ,Wesen', ein ,Sinn' zugeschrieben wird, der unabhängig von der Bedeutung ist, die ihnen die jeweiligen Kulturteilnehmer zuschreiben. Was im Blick auf Rituale immerhin noch diskutiert 5
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H. Frick, Vergleichende Religionswissenschaft, Berlin—Leipzig 1940, S. 169; C. H. Ratschow, Methodik der Religionswissenschaft, in: Enzyklopädie der geisteswissenschaftlichen Arbeitsmethoden 9, München 1973, S. 347. H. Halbfas, Religion, Stuttgart 1976, S. 143. H. R. Schiette, Einführung in das Studium der Religionen, Freiburg 1971, S. 158. H. Seiwert (wie in Anm. 4), S. 227. Das ist freilich nicht nur eine Tendenz der Religionsphänomenologie; für die Altertumswissenschaften hat I. Weiler, Von .Wesen', ,Geist' und .Eigenart' der Völker der Alten Welt, in: F. Hampl, I. Weiler (Hgg), Kritische und vergleichende Studien zur Alten Geschichte und Universalgeschichte, Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft 18 (1974), S. 243—291, Material von verblüffender Breite und Naivität vorgelegt. Wie Anm. 4. H. G. Kippenberg, Die Zeit des Gerardus van der Leeuw (1890—1950), in: H. G. Kippenberg, B. Luchesi (Hgg), Religionswissenschaft und Kulturkritik, Marburg 1991, hat recht, wenn er S. 23 ein Parteiergreifen und den prophetischen Ton nicht auf diese Gruppe von Theologen beschränkt sehen will. Trotzdem unterscheiden sich diese Phänomenologen von — beispielsweise — den Ethnologen dadurch, daß sie den (unmittelbaren) Zugriff von Religionswissenschaft auf einen Gegenstand annahmen, der auch der zentrale Gegenstand der jeweiligen Religionen sein sollte. — Die fremden Kulturen oder Religionen werden dadurch gleichsam decodierbar (oder: konsumierbar) gemacht, daß man (vorher) europäische Ontologie oder Theologie exportierte. — Zum nativistischen Schema allgemein E. Hieronimus, Der Traum von den Urkulturen. Vorgeschichte als Sinngebung der Gegenwart? in: ,Themen' C. F. v. Siemens Stiftung Heft XXII (1975); zu nativistischen Strömungen in der Germanistik ders., Von der Germanen-Forschung zum Germanen-Glauben, in: R. Faber, R. Schlesiger (Hgg), Die Restauration der Götter. Antike Religion und NeoPaganismus, Würzburg 1986, S. 2 4 1 - 2 5 7 .
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Burkhard Gladigow
wird („Rituelle Handlungen . . . bedeuten das, was sie nach Aussage des Handelnden bedeuten", E. Leach 12 ), ist für die komplexeren kulturellen Aggregate wie Religionen oder Kulturen durch eine verschiedene Wissenschaften übergreifende Grund-Option gelöst: Kulturen und Religionen haben ein .Wesen', einen ,Geist' einen ,Sinn', den es (nur) zu ,verstehen', zu ,finden', zu entschlüsseln' gilt 13 . Diese Option von der .überzeitlichen Bedeutung' kultureller Erscheinungen liefert über das Medium Wissenschaft jene Rezeptionsbedingungen fremder ,Sinnprodukte', die wohl die europäische Kultur von anderen unterscheiden.
1.2 Theologie und Religionswissenschaft In der Konsequenz der hier vorgestellten theologischen Richtungen der Religionswissenschaft liegt es, daß ,der Gott' oder ,das Heilige' als letzter Gegenstand religionswissenschaftlicher Untersuchungen und eigentliches Ziel der Forschung ausgegeben wird. „Wenn die Religionswissenschaft also in allen Mythen und Riten den lebendigen Sinn des Menschen findet, der seiner Gottheit dient und sie preist . . . , so ist damit das Ziel der Religionswissenschaft die Gottheit", notiert C. H. Ratschow in diesem Zusammenhang 14 und entwirft dann den Religionswissenschaftler als Gottsucher: "Zwiefach gespiegelt also — erstens im Menschen und zweitens in seinem Kult oder Wort oder Religion — nimmt die Religionswissenschaft das Sanctum der Religionen — den Gott — wahr." „Der zentrale Grund (dieser) Möglichkeit von Religionswissenschaft" liegt in Ratschows Entwurf einer „Methodik der Religionswissenschaft", 1973 innerhalb der Enzyklopädie geisteswissenschaftlicher Arbeitsmethoden erschienen, darin, „daß der Erforscher von Religionen ein Mensch sein muß, der von ,seinem' Gotte angetroffen und erfaßt ist." Wenn dann am Schluß dieser Arbeit das „Verstehen" eines Gottes als „Existenzial" entworfen wird, das letztlich gleichbedeutend mit Konversion sei, tauchen gewisse methodologische Probleme auf:" Vor der Gottheit gibt es keine .Objektivität'. Das protestantische Schema ,der' Mensch vor ,seinem' Gott ist als Grundmuster aller Deutungen präsent: Menschen, die sich nach 12
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E. Leach, The International Encyclopedia of the Social Sciences Bd. 13 (1968), S. 525; dazu H. G. Kippenberg, Einleitung: Zur Kontroverse über das Verstehen fremden Denkens, in: H. G. Kippenberg, B. Luchesi (Hgg), Magie. Die sozialwissenschaftliche Kontroverse über das Verstehen fremden Denkens, Frankfurt 1978, S. 9 — 51. Die Entfernung dieses Ansatzes zu Creuzers .Symbolik' ist nicht so groß, wie es der zeitliche Abstand vermuten ließe; das Material der Diskussion bei E. Howald, Der Kampf um Creuzers Symbolik. Eine Auswahl von Dokumenten, Tübingen 1926. C. H. Ratschow (wie Anm. 5), S. 353.
Mögliche Gegenstände und notwendige Quellen einer Religionsgeschichte
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einem offenen Schema nach Bedarf ihre Götter auswählen, wie in den polytheistischen Religionen der Regelfall 15 , sind auf diese Weise kein Gegenstand für Religionswissenschaft. Unter vergleichbaren religiösen und methodologischen Prämissen hatte Friedrich Heiler für sich sehr viel klarer bekannt 16 : „Alle Religionswissenschaft ist letztlich Theologie, sofern sie es mit dem Erlebnis jenseitiger Realitäten zu tun hat." In Verbindung mit der phänomenologischen Methode erläutert Heiler zwei Seiten später, worin die jenseitigen Realitäten eigentlich bestehen, nämlich in dem (christlichen) Deus absconditus und revelatus, dem man sich auf dem mystischen Wege des Dionysios Areopagita, der kjklike eisodos, zu nähern versucht. Damit ist in programmatischer Weise der Religionswissenschaft die ,Autonomie ihres Gegenstands' und die ,Integrität ihrer Methode' (K. Rudolph 17 ) abgesprochen: Sie wird als eine Spielart christlicher Theologie konzipiert. Man kann so „Gott aus der Religionsgeschichte beweisen" (Söderblom 18 ) oder „die Heilsmöglichkeiten der Heiden nach der Lehre der Kirche" (Heislbetz 19 ) näher bestimmen. Soweit könnte man sich mit der Feststellung begnügen, daß das Theologie der Religion oder Missionstheologie sei, — wenn nicht auch auf einem anderen Wege theologische Optionen in die Religionswissenschaft getragen worden wären und außerhalb einer systematisch reflektierten Wissenschaft noch vertreten werden.
,Das Heilige' Im Rahmen des theologischen Zugangsschemas beginnt während des ersten Weltkriegs mit Hilfe einer spezifischen Konstruktion ,des Heiligen' eine folgenreiche alternative Bestimmung des .wahren Gegenstands' der Religionswissenschaft. An Söderbloms Hinweis anschließend, in allen Religionen spiele
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Dazu am Beispiel des griechischen Polytheismus B. Gladigow, Chresthai theois. Orientierungs- und Loyalitätskonflikte in der griechischen Religion, in: Chr. Elsas, H. G. Kippenberg (Hgg), Loyalitätskonflikte in der Religionsgeschichte. Festschrift C. Colpe, Würzburg 1990, S. 2 3 7 - 2 5 1 . F. Heiler, Erscheinungsformen und Wesen der Religion (1961), Stuttgart 1972 2 , S. 17. K. Rudolph, Das Problem der Autonomie und Integrität der Religionswissenschaft, Nederlands Theologisch Tijdschrift 27 (1973), S. 1 0 5 - 1 3 1 . N. Söderblom, The Living God (1933); deutsch: Der lebendige Gott im Zeugnis der Religionsgeschichte, hg. v. F. Heiler, München 1942. Zu Söderbloms .Evolutionsmodell' H. Biezais, Die Entheiligung des Heiligen, in: H. P. Duerr (Hg), alcheringa oder die beginnende Zeit, Frankfurt 1983, S. 166 ff. J. Heislbetz, Theologische Gründe der nichtchristlichen Religionen, Freiburg 1967.
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Burkhard Gladigow
Heiligkeit (holiness) eine zentrale Rolle 20 , hat Rudolf Otto ,das Heilige' zum bestimmenden Faktor von Religion 21 und damit zum zentralen Gegenstand der an ihn anknüpfenden Religionswissenschaft erhoben. Die Konstitution dieses Begriffs von Heiligkeit und die Substitution ,des' Heiligen22 orientiert sich weitgehend an jüdisch-christlichen Kategorien und transzendentalphilosophischen Prämissen. Obwohl die Konstruktion aus diesen Gründen ungeeignet ist, als universale Kategorie der Religionsgeschichte zu fungieren, hat sie bis zur Gegenwart großen Einfluß sowohl auf die Bestimmung des Gegenstandes von Religionswissenschaft wie — notwenig hiermit verknüpft — die Definitionen von Religion gehabt. Die latente „monotheistische" Option der meisten Definitionen — der Gott, das Heilige, die Macht erscheinen üblicherweise im Singular — verstellt auch den Blick auf polytheistische Religionen, religionshistorisch gesehen der „Normalfair von .Religion' 23 , und verschleiert das Fehlen einer religionswissenschaftlichen Komparatistik 24 . „Religion ist erlebnishafte Begegnung des Menschen mit heiliger Wirklichkeit und antwortendes Handeln des vom Heiligen existentiell irgendwie bestimmten Menschen," definiert G. Mensching 1959 25 (und mehrfach später) und gründet darauf eine Religionswissenschaft, die für ihn fraglos in eine Identität von Religionsphänomenologie und Vergleichender Religionswissenschaft26 mündet. 20
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Nach den Artikeln ,Helig, Helighet' im ,Nordisk Familiebok' von 1909, vor allem im Artikel ,Holiness' in Hastings' Encyclopedia of Religion and Ethics 6 (1913), S. 731 — 741; deutsch auch in C. Colpe (Hg), Die Diskussion um das „Heilige"; Darmstadt 1977, S. 76 — 116. Zu den unterschiedlichen begrifflichen Strategien jetzt C. Colpe, Über das Heilige. Versuch, seiner Verkennung kritisch vorzubeugen, Frankfurt 1990. R. Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen (1917), 35. Auflage 1963, 44. Auflage als Paperback. Ahnherr dieser Tradition, den „Begriff des Heiligen" dem „Gottesgedanken" voranzustellen, ist F. Schleiermacher in seinen Reden über die Religion von 1799 (1., noch anonyme Auflage). Die Diskussion über Vorgeschichte und Rezeptionsgeschichte des Begriffs differenziert zu wenig, ob die herangezogenen Autoren von „Heiligkeit" als Summe entsprechender objektsprachlicher Prädikationen sprechen, wie es mit einer gewissen Präferenz Söderblom tut, oder vom substantivierten Neutrum Singularis „das Heilige", — dessen Plural nie zur Diskussion zu stehen scheint. Zur defizienten Forschungsgeschichte des Religionstyps Polytheismus unten 3.3. In Verbindung mit evolutionistischen Prämissen am Beispiel von E. Arbman kritisiert von G. Widengren, Evolutionistische Theorien in der Religionswissenschaft (1945), in: G. Lanczkowski (Hg), Selbstverständnis und Wesen (wie Anm. 2), S. 96 f. G. Mensching, Die Weltreligionen, Darmstadt o. J., S. 284. Der dritte Teil von G. Mensching, Die Weltreligionen S. 283 ff. trägt ohne weitere Erläuterung die Überschrift: „Vergleichende Religionswissenschaft (Phänomenologie der Religion)." Eine kritische Auseinandersetzung mit Mensching bei W. Baetke, Aufgabe und Struktur der Religionswissenschaft (1952), in: G. Lanczkowski (wie Anm. 2), S. 144 ff., mit sinnvollen Erwägungen für eine zukünftige Komparatistik.
Mögliche Gegenstände und notwendige Quellen einer Religionsgeschichte
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1.4 ,Die Macht' Außerhalb des engeren theologischen Zugangsschemas — aber in der Grundintention immer noch einem eurozentrischen Grundmuster verpflichtet — liegen die Konzepte, die ,Macht' zum zentralen Gegenstand von Religion erheben. Sie stehen in erklärter Verbindung zu manaistischen und dynamischen Strömungen aus der ethnologischen Theoriebildung des 19. Jahrhunderts, die sehr begrenzte Beobachtungen aus Melanesien in die Deutungsmuster Schleiermachers und der Romantik eingefügt hatte. Friedrich Max Müller hatte als erster Codringtons Berichte über den melanesischen Sprachgebrauch von mana als „melanesischen Namen für das Unendliche" vereinnahmt und damit das Verbindungsglied zwischen romantischer Religionstheorie (Religion als „Sinn und Geschmack fürs Unendliche" 27 ) und dynamistischen Strömungen geschaffen 28 . Nach diesen Andeutungen von F. M. Müller vollzieht dann vor allem N. Söderblom die Umsetzung von ,Macht' auf ,Heiligkeit': „Heiligkeit wird als eine geheimnisvolle Kraft oder Wesenheit angesehen, die mit bestimmten Daseinsformen, Dingen, Ereignissen oder Handlungen verbunden ist. Bei den Melanesiern nennt man all das . . . mana." Allen diesen dynamistischen Theorien ist eine Opposition gegen die — eigentlich naheliegende — Interpretation von Machtvorstellungen im Kontext sozialer und politischer Verhältnisse gemeinsam. So schließt Söderblom, gegen Dürkheims Theorien gerichtet, eine Deutung des Heiligen als „Objektivierung und Idealisierung der Gemeinschaft als einer Kraft" ausdrücklich aus 29 . Die Folgen dieser Verbindung von romantischer Religionstheorie 30 , Phänomenologie und dynamistischen Mustern liegen in einer Verschiebung der Darstellungsebenen von den Konstitutionsbedingungen unterschiedlicher Machtvorstellungen hin zur Annahme einer quasi-substantiellen ,Realität' von Macht. „Der Machtbegriff ist auch eine vox media zwischen ,heiliger Substanz' und ,Gott'. . . . Die von Macht erfüllten Gegenstände und Personen haben ein Wesen für sich, das wir heilig nennen", faßt van der Leeuw den § 1 ,Macht' 31 seiner Phänomenologie zusammen. 27
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Zu Schleiermachers Position in der Nach-Aufklärung gut K. Nowak, Schleiermacher und die Frühromantik, Göttingen 1988. Dazu jetzt unter Aufarbeitung der ubiquitären Deutungsmuster B. Gladigow, Naturwissenschaftliche Modellvorstellungen in der Religionswissenschaft zwischen den beiden Weltkriegen, in: H. G. Kippenberg, B. Luchesi (Hgg), Religionswissenschaft und Kulturkritik (wie Anm. 11), S. 1 7 7 - 1 9 2 . N. Söderblom, in: Encyclopedia of Religion and Ethics, ed. J. Hastings, Bd. 6 (1913), S. 732. Den Rückgriff auf die Romantik haben jetzt verschiedene Beiträge des Groninger van der Leeuw-Kongresses genauer analysiert, s. H. G. Kippenberg, B. Luchesi (Hgg), Religionswissenschaft und Kulturkritik (wie Anm. 11). G. van der Leeuw, Phänomenologie (wie Anm. 11), S. 9.
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Burkhard Gladigow
2. Erlebnis und Erscheinung In den gleichen wissenschaftsgeschichtlichen Kontext gehört die viel wiederholte These, Religion sei ,ein Phänomen sui generis'. Rudolf Otto hatte dies zunächst an der Kategorie des Numinosen zu begründen versucht: „Da diese Kategorie vollkommen sui generis ist, so ist sie wie jedes ursprüngliche und Grund-datum nicht definibel im strengen Sinne, sondern nur erörterbar" 32 . In seinem Kielwasser werden die Aussagen zunehmend dogmatischer. ,Das Heilige' und ,der homo religiosus' gehen unter dem Postulat des .Phänomen sui generis' eine feste, teilweise esoterische Verbindung ein. Das Esoterische des Erkenntnisvorgangs hatte bereits R. Otto gegen soziologische und sozialpsychologische Zugriffs weisen 33 herausgestellt. Wer sich nicht auf einen Moment „starker und möglichst einseitiger religiöser Erregtheit" besinnen kann, ist von ihm bereits auf S. 8 des ,Heiligen' von der weiteren Lektüre ausgeschlossen: „Wer das nicht kann, [sc. das Sich-Besinnen] oder wer solche Momente überhaupt nicht hat, ist gebeten nicht weiter zu lesen. Denn wer sich zwar auf seine Pubertäts-gefühle Verdauungs-stockungen oder auch Sozial-gefühle besinnen kann, auf eigentümlich religiöse Gefühle aber nicht, mit dem ist es schwierig Religions künde zu treiben." Mit eher peripheren Variationen gehört auch Mircea Eliade in die Tradition R. Ottos: Im Zentrum von Eliades Theorie von Religion und zugleich im Mittelpunkt seines hermeneutischen Interesses steht das Konzept ,des Heiligen', ein Konzept das im wesentlichen unmittelbar an R. Otto anschließt, andererseits doch gegenüber dem ,Numinosen' Ottos charakteristische Akzentverschiebungen zeigt. Teil des expliziten Rekurses auf Rudolf Otto ist die Erweiterung des Rahmens: Eliade möchte „das Phänomen des Heiligen in seiner ganzen Vielfalt beleuchten und nicht nur seine irrationale Seite ins Auge fassen"; anders als bei R. Otto ist also das „Heilige in seiner Gesamtheit" sein Gegenstand, nicht nur das „Irrationale in seinem Verhältnis zum Rationalen". Ausgangspunkt von Eliades Gesamtentwurf ist die Grundüberzeugung von der kontinuierlichen Selbstoffenbarung des Heiligen: „Das Heilige manifestiert sich". Mit dieser Formulierung und ihren Explikationen ist eine Abgrenzung sowohl gegenüber R. Otto wie van der Leeuw vollzogen: Der Zugriff auf das Heilige erfolgt nicht vorrangig über Gefühl und Erlebnis, wie bei R. Otto, sondern ist möglich, weil sich das Heilige ständig selber offenbart, manifestiert. Wem sich das Heilige offenbart, bleibt merkwürdig 32 33
R. Otto, Das Heilige (wie Anm. 21), S. 7. Zur Verbindung des anti-soziologischen und anti-psychologischen Affekts mit dynamistischen Betrachtungsweisen B. Gladigow, Naturwissenschaftliche Modellvorstellungen (wie Anm. 28).
Mögliche Gegenstände und notwendige Quellen einer Religionsgeschichte
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unbestimmt, der Gesamtduktus von Eliades Darstellungen macht es jedoch deutlich und erlaubt es, Eliade in die hier angesprochene phänomenologische Tradition einzuordnen: „Das" Heilige offenbart sich nicht nur dem jeweiligen religiösen Subjekt in dessen kulturellem Kontext, sondern auch dem Religionphänomenologen selber (— Eliade kann somit auf eine Methodologie verzichten). Ein breiter Katalog an Worten und Begriffen umschreibt und verdeutlicht diese Grundüberzeugung Eliades 34 ; Hierophanien, Kratophanien, Manifestationen, Theophanien, Ontophanien, Verkörperungen, Epiphanien, unter deutlicher Bevorzugung des Neologismus ,Hierophanie'. Noch einmal mit Eliades eigenen Worten: „Wir stehen immer demselben geheimnissvollen Vorgang gegenüber: das ,ganz Andere', eine Realität die nicht von unserer Welt ist, manifestiert sich in Gegenständen, die integrierende Bestandteile unserer natürlichen', .profanen' Welt sind." 35 Von diesem theoretischen Konzepte her wird ein ganz anderer Begriff von ,Heilsgeschichte' entworfen, charakterisiert durch das manichäische Bild vom ,Absturz des Heiligen': „Denn jede Geschichte ist irgendwie ein Absturz des Heiligen, eine Beschränkung und Minderung. Doch das Heilige hört nicht auf sich zu manifestieren, und mit jeder neuen Manifestation nimmt es seine erste Tendenz wieder auf, sich voll und ganz zu offenbaren." 36 Parallel zur ,Dialektik des Heiligen' ist so ein Dualismus von .Heiligem' und ,Geschichte' verkündet 37 , das Heilige ist in der Geschichte ,gefangen', die .Sehnsucht nach dem Ursprung' ist gleichbedeutend mit einem Erlösungsbedürfnis. V Von den Konsequenzen der auf .Wesen' oder .Wahrheit' oder .Ursprung' der Religion ausgerichteten substantiellen Definitionsansätze sind vor allem zwei traditionelle Gegenstands- und Arbeitsbereiche und Religionswissenschaft betroffen: Der Vergleich von Religionen, im Programm einer Vergleichenden Religionswissenschaft' institutionalisiert und Theorien üoer einen kulturellen oder evolutionären Status ,ohne Religion', vor der Offenbarung und nach einer Säkularisierung, der durchaus noch einmal vom ,Untergang' einer konkreten Religion 38 zu unterscheiden ist. 34
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Zu den Grundmustern von Eliades Interpretationen K. Rudolph, Eliade und die „Religionsgeschichte", in: Hans Peter Duerr (Hg), Die Mitte der Welt, Frankfurt 1984, S. 49 — 78. M. Eliade, Das Heilige und das Profane, Hamburg 1957, S. 8. M. Eliade, Schamanismus und archaische Ekstasetechnik, Zürich 1957, S. 8. Dazu in weiterem Rahmen B. Gladigow, „Der Absturz des Heiligen". Epiphanie und inspirierte Interpretation bei Eliade, in: Beiträge zur Geschichte der Religionswissenschaft in Italien und Deutschland (im Druck). Zur Frage von Transformation oder Untergang vgl. die Beiträge bei H. Zinser (Hg), Der Untergang von Religionen, Berlin 1986, insbesondere den Beitrag von C. Colpe, Was heißt „Untergang einer Religion"?, S. 9 — 33.
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— Damit sei diese Traditionslinie der Religionswissenschaft, die vor allem über Mircea Eliade den ,nordamerikanischen Markt' beherrscht, verlassen und nun eine im engeren Sinne philologische Tradition angesprochen, die seit dem 19. Jahrhundert über die Frage nach dem Verhältnis von Mythologie und Religion Grundkonzepte einer nicht am Christentum und monotheistischen Religionen orientierten Religionsgeschichte diskutiert hat.
3. Vergleichende Mythologie und Religionsgeschichte 3.1 Philologie und Mythologie Mit dem Beginn des 19. Jahrhunderts hatte sich, durch Christian Gottlob Heyne angeregt, eine Neubewertung von Mythos und Mythologie 39 durchgesetzt, die nun eine besondere und vielleicht eigenständige Bewertung dieses Mediums propagierte. Mythen sind nicht die errores profanarum religionum oder Verschlüsselungen fremdartiger Weisheit, die erst auf dem Wege der Allegorese entdeckt werden müssen, sondern ein wichtiger Teil des religiösen Lebens der Völker selber, vielleicht der wichtigste. Mythen lassen sich gar, zunächst an den griechischen Mythen durch Karl Otfried Müller programmatisch gezeigt 40 , historisieren und regionalisieren: zugleich kann man mit ihrer Hilfe die Geschichte von Stämmen, ihrer Kulte und Wanderungen zu schreiben versuchen, — dies Karl Otfried Müllers eigentliches Interesse. Die Deutsche Mythologie Jacob Grimms von 1835, nach Wilhelm Grimms Deutschen Heldensagen von 1829 und den Deutschen Sagen von 1816/8, gehört in den gleichen Kontext einer Suche nach einer ,Neuen Mythologie' (dies eine Forderung des sog. Systemprogramms des deutschen Idealismus 41 ), möglichst einer nationalen Mythologie. Am Ende des Jahrhunderts, nach vergleichender Mythologie, Auswertung der ,niederen Mythologie' durch Mannhardt und allegorisierender Naturmythologie, werden Karl Otfried Müllers Ansätze noch einmal virulent: William Robertson Smith, der englische Theologe und Semitist, veröffentlicht 1889 seine Lectures on the Religion of the Semites42, und führt 39
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Dazu W. Burkert, Griechische Mythologie und die Geistesgeschichte der Moderne, in: Entretiens sur l'antiquité classique 26 (1980), S. 159—207. Κ . O. Müller, Geschichte Hellenischer Stämme und Städte I: Orchomenos und die Minyer, Breslau 1820; II/III Die Dorier, Breslau 1824; ders., Prolegomena zu einer wissenschaftlichen Mythologie, Göttingen 1825. Zur Vor- und Folgegeschichte von ,Neopaganismen' R. Faber, R. Schlesier (Hgg), Restauration der Götter, Würzburg 1986. Bereits 1899 ins Deutsche übersetzt: Die Religion der Semiten, Tübingen 1899; zu Smith allgemein T. O. Beidelmann, W. Robertson Smith and the Sociological Study of Religion, Chicago 1974.
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paradigmenbildend vor, wie man durch Vorstellungs- und Glaubenskomplexe hindurch auf Rituale und Institutionen schließen kann. In der gleichen Zeit erscheinen die zweibändige Fassung von Frazers Golden Bough43, William Robertson Smith gewidmet, und Jane Harrisons Mythology and Monuments of Ancient Athens'Mit Hermann Useners und seines Schülers Albrecht Dieterichs Arbeiten schließt sich die Entwicklung zu einem ,Konzept' und Programm zusammen: „Der Umschwung war vollendet", notiert der Zeitgenosse Martin P. Nilsson im Rückblick 45 , „statt der Mythen waren die Riten in den Vordergrund getreten". Eine der wichtigsten Konsequenzen dieser Umorientierung war, daß man nun zwischen Mythologie und Religion scharf zu trennen versuchte, und, beispielsweise von G. Wissowa für den Sonderfall der Römischen Religion vorgeführt 46 , aus einer Religion eine ihr ,fremde' Mythologie gewissermaßen ohne Verlust .herauslösen' konnte. „Völlig auszuscheiden ist für die römische Religionsforschung", konstatiert Wissowa 47 ," eine Art von Überlieferung . . . , die mythologische Dichtung", und etwas später: „Die römische Religion . . . hat mit einem Wort keine Mythologie." Die von Dieterich herausgegebenen Religionsgeschichtlichen Versuche und Vorarbeiten setzen das theoretische Konzept in ein Forschungsprogramm um: Die Religionswissenschaft behandelt vor allem Riten und Kultbräuche und die in ihnen enthaltenen Vorstellungen, den .Glauben', während der Mythos als literarisches Produkt in der Kompetenz der Philologen blieb 48 — lediglich Wilamowitz hat sich mit seinem
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The Golden Bough I, II, London 1890. J. E. Harrison, Mythology and Monuments of Ancient Athens, London 1890; zu J. Harrison allgemein jetzt R. Schlesier, Prolegomena zu Jane Harrisons Deutung der antiken griechischen Religion, in: H. G. Kippenberg, B. Luchesi (Hgg), Religionswissenschaft und Kulturkritik (wie Anm. 11), S. 1 9 3 - 2 3 5 . Geschichte der griechischen Religion 1 (1940), München 1955, S. 10. — Der .Umschwung' nötigt Gelehrte mit anderer Sichtweise zu Erklärungen: „Ich kann also die heute vielfach (besonders seit den Forschungen des Semitisten Robertson Smith) übliche geringe Einschätzung der Mythologie nicht billigen" stellt R. M. Meyer in der Einleitung seiner .Altgermanischen Religionsgeschichte' von 1909, S. 4 fest. Umso erstaunlicher, daß R. M. Meyer auf S. 6 der Einleitung die Bezeichnung .Religionsgeschichte' problematisch erscheint: „Ist es durchaus üblich, von germanischer Religion zu sprechen, so ist dagegen der Ausdruck Religionsgeschichte auf ihre Darstellung noch kaum angewandt worden." Religion und Kultus der Römer, München 1902, 2. Aufl. 1912. Wie Anm. 46, S. 9. So W. Burkert, Griechische Mythologie und Geistesgeschichte der Moderne (wie Anm. 39), S. 179, der in diesem Zusammenhang auf O. Höflers, Kultische Geheimbünde der Germanen, Frankfurt 1934, als „kühnen Vorstoß der rituellen Interpretation" verweist.
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anachronistischen .Glauben der Hellenen' 49 nicht an diese Arbeitsteilung gehalten, — und in einem ganz anderen Sinne W. F. Otto 50 . Dies ist die Konstellation, bei der auch die Entwürfe ,Germanischer Religionsgeschichten' in unserem Jahrhundert regelmäßig vor einem Dilemma stehen: „Der Forscher, der den Versuch wagt, eine altgermanische Religionsgeschichte zu schreiben, muß sich von vornherein klar vor Augen stellen, daß das ihm vorliegende Material hauptsächlich mythologischer, also nicht religionsgeschichtlicher Art ist," schreibt de Vries im Vorwort seiner „Altgermanischen Religionsgeschichte" 51 als ersten Satz. Ähnlich auch Walter Baetke in „Die Religion der Germanen in Quellenzeugnissen" von 1937: „Wenn in der Auswahl das Mythologische ganz zurücktritt, so entspricht das der ja heute wohl allgemein anerkannten Notwendigkeit, grundsätzlich zwischen Religion und Mythologie zu unterscheiden; das ist ja die erste Voraussetzung für ein wirkliches Verständnis auch der germanischen Religion" 52 , und etwas später, „Der eigentliche Gehalt der germanischen Religion liegt im Kult". Mit diesen Optionen ist eine vertrackte Situation entstanden: Vorwiegend mythologische Quellen (bestenfalls) zu einer Religion, deren eigentlichen Gehalt man im Kult sieht! Das Dilemma läßt sich, wenn man so will, bis in die unmittelbare Gegenwart verfolgen: In Eliades religionshistorischer Enzyklopädie von 1986 gibt es einen Artikel zur germanischen Religion von Edgar C. Polomé, der praktisch ,nur' ,Mythologie' im Sinne von de Vries vorstellt, und einen Artikel ,Roman Religion' von R. Schilling und A. Momigliano, der ausschließlich ,das Kultische' bietet 53 . Trotzdem werden beide kulturellen Aggregate, das römische und das germanische, gleichlautend als ,Religionen' klassifiziert!
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Dazu mit einem weiten Bezugsrahmen A. Henrichs, ,Der Glaube der Hellenen': Religionsgeschichte als Glaubensbekenntnis und Kulturkritik, in: W. M. Calder III, H. Flashar, Th. Lindken (Hgg), Wilamowitz nach 50 Jahren, Darmstadt 1985, S. 2 6 3 - 3 0 5 . Zur Einschätzung ist auch W. F. Ottos Skizze ,Der Durchbruch zum antiken Mythos im X I X Jahrhundert (1934), in: ders., Die Gestalt und das Sein, Darmstadt 1959, S. 2 1 1 - 2 2 5 heranzuziehen; zu der philologischen Opposition gegen Creuzer heißt es S. 220: „In dem durch Creuzers Symbolik entfesselten Streite hat die echte Mythenforschung den Todesstoß empfangen." J. de Vries, Altgermanische Religionsgeschichte (1935 — 7), 2. verb. Auflage 1956 — 7, Nachdr. Berlin 1970, S. 1. W. Baetke, Die Religion der Germanen in Quellenzeugnissen, Frankfurt 1937, S. VI. Die römische Religion hat wohl als erste als Paradigma für the ,mere cult acts view' einer Religion gedient; dazu Chr. R. Philipps, The Sociology of Religious Knowledge in the Roman Empire to A. D. 284, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II 16,3, hg. v. W. Haase, Berlin 1986, 2697 f.
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Der methodische Anspruch der im 19. Jahrhundert auftretenen Vergleichenden Religionswissenschaft 54 schien auf den ersten Blick einen Ausweg aus dem Dilemma einer religiösen, meist christlich gefärbten Bestimmung des Gegenstandes der Religionswissenschaft zu bieten. Die Annahme, man könne verschiedene Religionen in ein ähnlich historisch-genealogisches Verhältnis zueinander bringen wie Sprachen, hat über die Comparative Mythologie zwar eine wissenschaftstheoretisch ähnlich orientierte Vergleichende Religionswissenschaft entstehen lassen. An die Stelle einer ausgearbeiteten Theorie des Vergleichs und einer Typologie vergleichbarer Phänomene tritt aber rasch die theologisch inspirierte ,klassische' Religionsphänomenologie, die .religiöse Tatbestände' „sozusagen metaphysisch verdinglicht" hat (J. Waardenbur g 55 ). Auf diese Weise wird die Erzeugung von religionswissenschaftlich verwendbaren Allgemeinbegriffen, Kategorien und Klassifikationen umgangen und durch den virtuos gehandhabten Vergleich ,religiösen' Sinns 56 ersetzt. An diesem wissenschaftsgeschichtlichen und systematischen ,Kreuzungspunkt' fiel eine folgenreiche Entscheidung gegen .Grundbegriffe' 57 und für eine ,platonisierende Wesensschau' 58 . De la Saussayes Rückzug aus dem Anspruchsfeld einer Systematischen Religionswissenschaft, die deskriptive und analytische Grundbegriffe generiert, — ein symptomatischer Bezugspunkt für die Entwicklung der Religionswissenschaft in Mitteleuropa 59 — spiegelt noch in einer anderen Hinsicht die Rahmenbedingungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Im Medium von Evolutionstheorien, die unter dem Anspruch historisch-genetischer Deutungsmodelle auftraten, wurde seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts versucht, das ,Wesen' der Religion über ihren ,Ursprung' zu bestimmen 60 : 54
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Überblick über die Geschichte der Religionswissenschaft E. J. Sharpe, Comparative Religion. A History, London 1975. Eine Comparative Mythology publizierte F. M. Müller in: Chips of a German Workshop, Bd. 2, London 1868, S. 1 — 146. Zu Müllers Hypothesengebäude jetzt Chr. Camporesi, Max Müller: la Malattia del linguaggio e la malattia del pensiero, Firenze 1989. J. Waardenburg, Religionen und Religion. Systematische Einführung in die Religionswissenschaft, Berlin 1986, S. 125. S. oben S. 7 ff. Dieses Defizit versucht jetzt das ,Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe', hg. von H. Cancik, B. Gladigow, K.-H. Kohl, Stuttgart 1988 ff. aufzuheben. Zu einem Vergleich von van der Leeuws phänomenologischer Erkenntnislehre (Phänomenologie der Religion S. 772 ff.) mit Piatons Stufenweg der Erkenntnis B. Gladigow, Religionsgeschichte des Gegenstandes (wie Anm. 3), S. 12 ff. Präzise beschrieben bei F. Stolz, Grundzüge der Religionswissenschaft, Göttingen 1988, S. 222 ff. Überblick bei G. Widengren, Evolutionistische Theorien in der Religionswissenschaft, in: G. Lanczkowski (Hg), Selbstverständnis und Wesen (wie Anm. 2), S. 87 —113.
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die Angebote reichen vom Fetischismus oder Animismus bis hin zum (Ur-) Monotheismus. Die Phasenmodelle sind eurozentrisch orientiert und dienen vor allem dazu, das eigene religiöse Konzept ,historisch' zu legitimieren. Die Evolutionstheorien lassen zu diesem Zwecke programmatisch außer acht 61 , daß .Religion', wie immer man den Begriff faßt, auf den uns historisch erreichbaren Stufen das Ergebnis eines Ausdifferenzierungsprozesses ist, nicht ein definierbares Stadium in einer invarianten Abfolge von Entwicklungsstadien.
3.2 Philologie und Religionsgeschichte In einer kritischen Phase der Geschichte der Religionswissenschaft, in einer Phase, in der ihre Ansprüche auf Selbständigkeit gegenüber den Theologien erst tastend formuliert wurden, hat das Votum eines Mannes, an herausragender Stelle vorgetragen, längerfristige methodologische und institutionelle Konsequenzen gehabt: Adolf von Harnacks Rektoratsrede von 1901 über „Die Aufgabe der theologischen Fakultäten und die allgemeine Religionsgeschichte" 62 verbannte, kurzgesagt, die religionshistorische Behandlung des Christentums in die theologische Fakultät, die der anderen Religionen zu ,ihren' Philologien, also in die Philosophische Fakultät. Die Sprache als „nicht nur die Scheide, darinnen das Messer des Geistes steckt; sie ist viel mehr . . . " , ein nur leicht verändertes Lutherzitat 63 , ist der argumentative Bezugspunkt, von dem aus die Sprache auch zum zentralen Gegenstand jeder Religionsgeschichte wird. Luthers Bibelverständnis und seine ,bildungspolitischen Appelle' gehen also ein in ein bestimmtes Verständnis von .Religion' und die Quellen von Religionen, auch nichtchristlicher Religionen, und führen zu einer klaren Präferenz von ,Text' vor ,Kult'.
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Zum theoretischen Rahmen R. Döbert, Methodologische und forschungsstrategische Implikationen von evolutionstheoretischen Stadienmodellen, in: U. Jaeggi, A. Honneth (Hgg), Theorien des historischen Materialismus, Frankfurt 1977, S. 524—560; Döbert selber hat für die Religionsgeschichte eine invariante Abfolge vorgesehen, R. Döbert, Zur Logik des Übergangs von archaischen zu hochkulturellen Religionssystemen, in: K. Eder (Hg), Die Entstehung von Klassengesellschaften, Frankfurt 1973, S. 330 — 363. Die Aufgabe der theologischen Fakultäten und die allgemeine Religionsgeschichte. Rede zur Gedächtnisfeier des Stifters der Berliner Universität König Friedrich Wilhelm II, in der Aula derselben am 3. August 1901 gehalten von Adolf Harnack, Berlin 1901; wiederabgedruckt in: Reden und Aufsätze, Bd. 2, Gießen 1906, 2. Aufl., 1 5 9 - 1 7 8 . A. Harnack (wie Anm. 62), S. 9; das nicht ausgewiesene Lutherzitat stammt aus M. Luther, An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen (1524), Erlanger Ausgabe Bd. 22, S. 183.
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Eine der Konsequenzen dieser ideengeschichtlichen Option liegt in einer Philologisierung der Religionswissenschaft 64 — eine Zeitlang wird der Begriff der ,Religionsphilologie' propagiert —, die sich hin zu einer Textmystik von den soziologischen, ethnologischen, psychologischen, kulturanthropologischen Rahmenbedingungen von Religionswissenschaft abkoppeln konnte. „Ich verstehe die Sprachen nicht, aus denen die zur Zeit beliebten Wörter, Tabu und Totem, Mana und Orenda, entlehnt sind, halte es aber auch für einen zulässigen Weg, mich an die Griechen zu halten und über Griechisches griechisch zu denken," spottet Wilamowitz in der Einleitung von „Der Glaube der Hellenen" und setzt der Theoriediskussion in der Ethnologie der 20er Jahre sein methodisches Credo entgegen, „über Griechisches griechisch zu denken." „Glaube der Hellenen" heißt sein letztes Werk von 1931/2 und nicht „Religion und Kultus der Athener"; Wilamowitz distanziert sich von jeder „im Gottesdienst geübten Gesellschaftsreligion" 65 und damit von jeder Form soziologischer oder kulturanthropologischer Interpretation. „Das .subjektive Empfindungsleben' ist somit für ihn die ,Hauptsache' an der Griechischen Religion" 66 , — freilich nur die Empfindungen einer angemessenen Oberschicht. „Es fehlen in keiner Gemeinschaft die vielen, deren individuelle Religion die koilia als Gott verehrt . . . Sie gehen uns nichts an, sie sind ja eigentlich Tiere wie der Kyklop," dekretiert Wilamowitz 67 und schließt damit „die Vielen" als Gegenstand der Religionsgeschichte aus. Das verbindet Theologen, Phänomenologen und eine bestimmte Gruppe von Philologen zu einer merkwürdigen Allianz: eine Abneigung, Religion im Blick auf die unterschiedlichen Träger der Religion und ihren Kultus zu interpretieren. Stattdessen wird das religiöse Erlebnis im Text oder am Text gesucht, für die großen Götter zumindest muß man „warm empfinden" (Wilamowitz 68 ), man muß den Glauben an sie in seinem Herzen nachschaffen (Frickenhaus 69 ), wobei die Sprache den „vermittelnden Zugang zu dem zentralen Ereignis 64
Das Luther/Harnack-Zitat von der Sprache als Scheide des Geistes dient noch mehrfach als Argument für .Religionsphilologie'; so etwa bei F. Heiler, Erscheinungsformen und Wesen der Religion (1961), 2. Aufl. Stuttgart 1979, S. 14: „Alle Religionen haben es mit dem göttlichen Wort zu tun, Gott selbst ist das Wort, der Logos. Die moderne Religionswissenschaft ist darum aufs engste mit der Philologie verbunden . . . " Ähnlich G. Lanczkowski, Einführung in die Religionswissenschaft, Darmstadt 1980, S. 40 f.
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Zu „Wilamowitz' lebenslangem Desinteresse gegenüber allem Kultischen" A. Henrichs (wie Anm. 49), S. 291 f. Henrichs (wie Anm. 49), S. 294. Glaube der Hellenen, Bd. 1 (1931), Darmstadt 1959, S. 13 f. - Die koilia sind jene inneren Teile des Opfertieres, die nicht auf dem Altar verbrannt wurden. Glaube der Hellenen (wie Anm. 67), S. 9. Zitiert bei Wilamowitz (wie Anm. 67), S. 9.
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der Religionen" (Ratschow 70 ) gibt: Kurz, es ist der Weg von einer Textmystik zur Schreibtisch-Epiphanie, der hier als methodologischer Bezugspunkt propagiert wird!
3.3 Polytheistische Religionen in der Religionswissenschaft Die auf ,Wesen' und ,Eigenart' gerichteten Erkenntnisinteressen der meist philologisch orientierten Religionshistoriker haben im allgemeinen aus den polytheistischen Religionen eine Ansammlung von Einzelgöttern gemacht, deren jeweiliges Wesen es zu erkennen gilt. Schon das 19. Jahrhundert hatte den Religionstyp ,Polytheismus' nur unter dem Gesichtspunkt Verfall (oder Aufstieg) ,der' Religion behandelt 71 und auf diese Weise eine Verbindung von Polytheismus und komplexen Kulturen nicht in den Blick bekommen. Auch van der Leeuws erfreute Reaktion auf die Folgewirkung von Rudolf Ottos Wirken für eine Wiederentdeckung der .natürlichen Religion' bleibt da, so erstaunlich sie an sich ist, in diesem Gesamtschema 72 : „Was die neueste Religionsgeschichte entdeckt hat, ist nichts Geringeres als das Heidentum. Wir hatten uns allmählich daran gewöhnt, die großen polytheistischen Systeme — die homerischen, vedischen, altgermanischen Religionen — als bloße Folie zu sehen, gegen welche sich die eigentliche Religion — die Religion der Erlösung, des Mysteriums, der Mystik — abhob. . . . Die neueste Religionsgeschichte hat völlig recht darin, daß sie die selbständige religiöse Bedeutung des polytheistischen Heidentums, der Religion der Gestalt und des Seins, vindiziert . . . " Auch
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C. H. Ratschow, Methodik der Religionswissenschaft, in: Enzyklopädie der geisteswissenschaftlichen Arbeitsmethoden 9, München— Wien 1973, S. 378, im Abschnitt 2: Die philologische Orientierung. Als Zitat wiederholt bei G. Lanczkowski, Einführung (wie Anm. 64), S. 40. Zu Ratschows Postulat, daß der Religionshistoriker „von ,seinem' Gott angetroffen und erfaßt" sein muß, s. oben S. 6.
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Kurzer Überblick über die Forschungsgeschichte im engeren Sinne bei A. Breiich, Der Polytheismus, Numen 7 (1960), S. 123 f.; zur Forschungsgeschichte im weiteren Sinne gehört die Behandlung der Mythologie, wozu oben S. 12 ff. Von A. Breiich gibt es die Publikation seiner Vorlesung von 1957/8: II Politeismo. Anno Accademico 1957 — 1958, Edizioni dell' Ateneo, Roma 1958; ebenso von D. Sabbatucci, Il Politeismo, Corso di storia delle Religioni del Anno Accademico 1 9 8 8 - 8 9 , Stle Regina Editrice, Roma 1989.
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G. van der Leeuw, Rudolf Otto und die Religionsgeschichte (1938), jetzt in: G. Lanczkowski (Hg), Selbstverständnis und Wesen (wie Anm. 2), S. 76—86; das Zitat auf S. 84 f. Zu van der Leeuws Ort in der europäischen Geistes- und Wissenschaftsgeschichte vgl. jetzt die Beiträge bei H. G. Kippenberg, B. Luchesi (Hgg), Religionswissenschaft und Kulturkritik (wie Anm. 11).
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hier mündet also die angestrebte Erfassung der großen polytheistischen Systeme im Gefolge von W. F. Ottos Theologie der griechischen Religion 73 in die Erkenntnis von .Gestalt und Sein'!
4. Die Gegenpositionen 4.1 Das ,kulturwissenschaftliche Modell' Die systematische Gegenposition zu der traditionellen Forderung, das ,Wesen' der Religion zu bestimmen, ihre ,Wahrheit' zu enthüllen, ihren ,Ursprung' oder ihren Offenbarungscharakter zu erkennen, liegt in der konsequenten Einbindung in einen ,kulturellen Kontext'. Die letzte Konsequenz dieses ,kultur-wissenschaftlichen Modells' von Religionswissenschaft führt zu einer potentiellen Auflösung des religionshistorischen Gegenstandes in kulturwissenschaftliche Parameter, zu der vanificazione dell' oggetto religioso (D. Sabbatucci 74 ). In diesem Konzept der ,Römischen Schule' ist der topische Vorwurf gegen soziologische oder psychologische Zugriffsweisen, dies sei ,Reduktionismus' 75 , Religion aber sei ein irreduzibles Phänomen sui generis, in ein positiv gewertetes Programm aufgenommen worden: In der konsequenten Überführung in kulturwissenschaftliche Begriffe liege die eigentliche Leistung von Religionswissenschaft (storia delle religioni). Sabbatuccis historische (und systematische) Begründung für dieses Programm beruft sich auch auf eine Analyse des spätantiken, christlichen Religionsbegriffs: Das Christentum habe den Begriff religio in der Weise konstruiert und für sich beansprucht, daß er in Opposition zur gesamten antiken Kultur treten konnte. Auf diese Weise wurde, so Sabbatucci 76 , zum ersten Male ein Religionsbegriff generiert, der ,Religion' zu einem aus ,Kultur' herauslösbaren oder zu ihr in Opposition stehenden Konzept machte. Die grundsätzliche Ablösbarkeit von .Religion' sei eine spätantike, christliche Konstruktion, die es dem Christentum ermöglichen sollte, die gesamte antike Kultur zu übernehmen, das Element .Religion' aber auszutauschen.
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H. Cancik, Dionysos 1933: W. F. Otto, ein Religionswissenschaftler und Theologe am Ende der Weimarer Republik, in: R. Faber, R. Schlesier (Hgg), Die Restauration der Götter (wie Anm. 41), S. 1 0 5 - 1 2 3 . D. Sabbatucci, Kultur und Religion, in: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe 1, S. 4 3 - 5 8 . Zum Problem E. H. Pyle, Reduction and the .Religious' Explanation of Religion, Religion 9 (1979), S. 1 9 7 - 2 1 4 . Wie Anm. 74, S. 48 ff.
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Wenn man Religionen in einem kulturwissenschaftlichen Zugriff als einen besonderen Typ eines kulturspezifischen Deutungs- oder Symbolsystems 77 versteht, d. h. als Kommunikationssysteme mit einem bestimmten Zeichenvorrat 78 und einer Reihe angebbarer Funktionen, verlagern sich die Anforderungen an die Darstellung religionshistorischer Sachverhalte von der ,Erschließung religiöser Wahrheiten' hin zu einer Aufarbeitung der Elemente des Zeichensystems, ihrer Konstellationen und ihrer ,Bedeutungen' für ,Geber' und ,Empfanger'. Zeichen in diesen Sinne sind nicht nur oder vorrangig Wörter und Sätze, sondern natürlich auch optische Zeichen, Ornamente etwa und ,Bilder', nicht zuletzt aber auch konventionalisierte Bewegungsabläufe (Gesten, ,ritualisierte' Bewegungen, Tänze). Von Bedeutung ist, daß diese Zeichen kognitive, emotionale, normative, soziale und kulturelle Prozesse auslösen, steuern und in Relationen zueinander setzen können. Die Leistungen solcher Zeichen- und Deutungssysteme dürfen nicht auf ihre kognitivistischen Leistungen beschränkt werden; Erzeugung und Steuerung von Emotionen, Gefühlen, ,Haltungen' sind von gleicher Bedeutung. Für eine kommunikationstheoretische Konstitution von Religion ist es von zentraler Bedeutung, daß — zumindest für den systemfremden Betrachter — erst die Kenntnis des Gesamtvorrats an ,Zeichen' eine umfassende Analyse ermöglicht 79 : Die Wahl eines bestimmten Rituals ist nur verständlich, und vielleicht sogar .eindeutig', wenn der zur Verfügung stehende Vorrat an Ritualen bekannt ist; die Zuwendung zu einem bestimmten Gott bekommt eine beschreibbare Qualität, wenn die anderen ,nichtangesprochenen' Götter bekannt sind; die Option eines Menschen für eine bestimmte Religion hat eine (rekonstruierbare) 77
Historische Elemente und Positionen dieses Ansatzes haben geliefert: C. Geertz, Religion als kulturelles System (1966), in: ders., Dichte Beschreibung, Frankfurt 1983, S. 44—95; T. Parsons, Gesellschaften (1966), Frankfurt 1975; R. N. Bellah, Religiöse Evolution (1964), in: C. Seyfarth, W. M. Sprondel (Hgg), Religion und gesellschaftliche Entwicklung, Frankfurt 1973, S. 2 6 7 - 3 0 2 ; N. Luhmann, Funktion der Religion, Frankfurt 1977; R. Döbert, Systemtheorie und die Entwicklung religiöser Deutungssysteme, Frankfurt 1973.
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E. Leach, Kultur und Kommunikation, Frankfurt 1978; zum theoretischen Rahmen H. Reimann, Kommunikationssysteme. Umrisse einer Soziologie der Vermittlungs- und Mitteilungsprozesse, 2. Aufl. Tübingen 1974. Eine Religionssemiotik ist erst im Entstehen. Einen sehr allgemeinen Überblick gibt J. Waardenburg, The Language of Religion and the Study of Religions as Sign Systems, in: L. Honko (Hg), Science of Religion. Studies in Methodology, Leiden 1979, S. 441—457; auf bestimmte Fragestellungen bezogene Beiträge von theologischer Seite lieferten G. Schiwy, Zeichen und Bedeutung. Die Chance der Religionen in semiotischer Hinsicht, in: R. Volp (Hg), Chancen der Religion, Gütersloh 1978, S. 2 4 4 - 2 5 3 und O. Davidsen, Der Status der Religionssemiotik als autonomer Wissenschaft, Linguistica Biblica 49 (1981), S. 71 — 84. Die wichtige Frage nach dem Verhältnis religiöser Darstellungsebenen zueinander behandelt F. Stolz, Hierarchien der Darstellungsebenen religiöser Botschaft, in: H. Zinser (Hg), Religionswissenschaft (wie Anm. 3), S. 55 — 72.
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,Bedeutung', wenn die ihm zur ,Wahl stehenden' anderen Kulte oder Religionen bekannt sind. Eine Beschreibung der synchron existierenden Wahlmöglichkeiten an Ritualen, Göttern, Religionen 80 bindet jede wissenschaftliche Beschreibung an den historischen Kontext, die Benutzer- oder Trägergruppe, ihre Wünsche und Ziele und präzisiert das historisch Konkrete und wissenschaftlich Faßbare gegenüber der Leerformel vom homo religiosus, der sich überall in gleicher Weise zeigt.
4.2 Religion als Symbolsystem Von anderen Deutungssystemen lassen sich religiöse Deutungssysteme vor allem dadurch unterscheiden, daß ihr Geltungsgrund 81 von den ,Benutzern' auf unbezweifelbare, kollektiv verbindliche und autoritativ vorgegebene Prinzipien zurückgeführt wird. Diese können in einer Berufung auf Alter und Tradition liegen, auf Setzung und Stiftung durch angebbare Personen, in einer Übereinstimmung mit einer kosmischen Ordnung oder einem Weltgesetz, — vielleicht auch einfach im verkündeten Zusammenhang von ,Tun und Ergehen', von Konformität und Erfolg. Unverkennbar ist eine Tendenz, die Verbindlichkeit des Zeichenssystems mit der Verbindlichkeit seiner Inhalte zu verknüpfen. Religiöse Symbolsysteme sind daher nicht einfach ,auszuwechseln', davor schützt sie eben jener ,historische Kontext', ohne den auch eine wissenschaftliche Erfassung nicht möglich ist: Paulus' Opponenten in Ephesos sind nicht die ,Theologen', sondern die Silberschmiede, die Artemis-Devotionalien herstellen; die Folgen eines ,Atheismus' würden, wie Aristophanes dem Euripides vorwirft, die Kranzflechterinnen tragen, deren Umsatz sich halbierte. Daß Religionen immer auch ökonomische Komponenten oder Substrukturen haben, erscheint üblicherweise nur in polemischer Umgebung; auch Religionshistoriker übersehen dabei, daß religiöse Institutionen, wie alle anderen kulturellen Institutionen von längerer Dauer in einem ökonomischen Kontext stehen, eine Finanzverfassung 82 besitzen, ohne die sie nicht auf längere Sicht existieren 80
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Wahlsituationen in der griechischen Religion und ihre Konflikte sind dargestellt bei B. Gladigow, Chresthai theois (wie Anm. 15). Dazu H. Seiwert, ,Religiöse Bedeutung' als wissenschaftliche Kategorie, Annual Review for the Social Sciences of Religion 5 (1981), S. 5 7 - 9 9 . Eine ,Religionsökonomie' als religionswissenschaftliche Teildisziplin ist ein Desiderat der Forschung. Daß religiöse Institutionen auch eine Finanzverfassung haben (müssen) und Religionen auch ökonomische Prozesse steuern, lag außerhalb des Interesses der phänomenologischen Tradition in der Religionswissenschaft. Als Beispiele für religionsökonomische Arbeiten, die Teil eines die wirtschaftlichen Bedingungen der römischen, christlichen Religion
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Burkhard Gladigow
können. Daß Handelswege regelmäßig auch Transportwege für Kulte waren, Religionen gewissermaßen typische .Zuladung' eines ,profanen' Warenverkehrs sind 83 , sei an dieser Stelle wenigstens angedeutet. Eine Kulttopographie, die die historisch konkreten Religionen und ihr Funktionieren im Auge hat, darf auf eine Berücksichtigung von Verkehrsverbindungen nicht verzichten.
4.3 Geltungsgrund und Ausschließlichkeit Der mögliche, programmatische Ausschluß ,anderer' Symbolsysteme, traditionellerweise unter dem Stichwortpaar Toleranz/Intoleranz verhandelt, liegt in der Konsequenz ihrer kollektiven Verbindlichkeit, die gleichzeitig eine Fülle sozialer und politischer Implikationen hat. Die polytheistischen Religionen zeigen freilich sehr deutlich, daß Systemkonkurrenzen .zugelassen' sind, zum .Zeichenvorrat' gehören, und eine ,Arbeitsteiligkeit' unterschiedlicher Kulte selbstverständlich ist 84 , sofern nicht ein sozialer und politischer Grundkonsens angegriffen erscheint. Dann kann es freilich als Verbrechen gelten, .neue Götter einzuführen' 85 , und für einen Verfassungsentwurf opportun erscheinen, Privatkulte zu verbieten 86 . Die andere Möglichkeit einer Kontrolle liegt in einem Deutungsmonopol: Für politisch relevante Sachverhalte tritt zwischen Symbolsystem und Applikation eine Schicht von Spezialisten, die die Deutungen festlegen und kontrollieren. Das Interesse, .andere' Symbolsysteme oder Teile davon auszugrenzen, und die Mechanismen, dieses in eine Praxis umzusetzen, verlagern sich in komplexen Kulturen deutlich auf Spezialisten. Pragmatische Grenzen für die Zahl von Göttern in einem Pantheon beispielsweise, können von den Spezialisten mit einem ,Sinn' versehen werden: Weitere Götter sind .andere' Götter, diesen anderen Göttern aber werden gemeinsame Eigenschaften zu-
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und des Islam behandelnden Kapitels sein müßten, seien genannt: G. Bodei Giglioni, Pecunia fanatica. L'incidenza economica dei templi laziali, Rivista Storica Italiana 1977, S. 33 — 76; D. Metzler, Ökonomische Aspekte des Religionswandels. Die Enteignung der heidnischen Tempel seit Konstantin, Hephaistos 3, 1981, S. 27 — 40; R. D. McChesney, Waqf in Central Asia. Four Hundred Years in the History of a Muslim Shrine, 1480—1889, Princeton 1991. Eine köstliche Szene bei Philostrat, Vita Apollonii 5,20, die gewissermaßen die umgekehrte Relation anspricht, sei wenigstens kurz angesprochen: Apollonios geriet, so wird berichtet, mit einem Schiffseigner, der Götterstatuen von Piräus nach Ionien transportieren sollte, in Streit, weil dieser ihn nicht, d. h. keine .profane Beiladung' mitnehmen wollte. Die Szene gerät zu einem kleinen Exkurs über Menschen, „die von ihren Göttern leben". B. Gladigow (wie Anm. 15). Vgl. etwa Piaton, Apol. 24 B; Xenophon, Memorabilien 1,1,1. Zur Rechtslage O. Reverdin, La religion de la Cité Platonicienne, Paris 1945, S. 228 ff. Platon, Nomoi 910 b f .
Mögliche Gegenstände und notwendige Quellen einer Religionsgeschichte
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geschrieben, die dem Gemeinwesen nicht zuträglich sind. In solchen konkreten, historisch faßbaren Prozessen einer Selbstreferentialität entstehen Theologien 87 , können theologische Dogmatiken entstehen: Ein Gott ist seinem Wesen nach gut, er ist unveränderlich und in jeder Hinsicht vollkommen (Piaton 88 ). Die Theologie, auch diese Theologie .beschreibt' nicht ,das Wesen' der zeitgenössischen Götter, sondern stellt Postulate auf, interpretiert mit einem Kontrollinteresse, grenzt .andere' Götter aus. Auch dieser Typ von Selbstreferentialität einer Religion ist, trotz aller reflektierter und abstrakter Aussagen, keine religionswissenschaftliche Metaebene, sondern selber Teil des Objektbereichs, Objektsprache.
5. Konsequenzen für mögliche Gegenstände von Religionswissenschaft 5.1 Rekonstruktion in einer Metasprache Die bisher übliche, in den meisten Wissenschaften übliche, Beschreibung und Erklärung religiöser Sachverhalte geschieht auf sprachlichem Wege, im Medium Sprache. Es ist nicht zu übersehen, daß das Beschreibungs- und Rekonstruktionsmedium ,Sprache' kognitivistische, deutende Funktionen von Religion als beiden Medien gemeinsam mögliche Leistungen privilegiert. Diese Tendenz wird nocheinmal verschärft, wenn eine (Selbst-)Interpretation durch Spezialisten (Theologen) zum Ausgangspunkt der Darstellung und Analyse einer Religion gemacht wird, — was wiederum am leichtesten möglich ist, da die ,theologische (oder mythologische) Innenperspektive', sprachlich ausformuliert, meist gut zugänglich ist. Gegen diese ,theologisierenden' Optionen der Religionswissenschaft muß eingewandt werden, daß die affirmative und systematisierende ,Innenperspektive' einer Religion (noch) nicht religionswissenschaftliche Metaebene ist, grundsätzlich genauso Gegenstand von Religionswissenschaft ist wie ,einfaches' rituelles Alltagshandeln. Deutungsmonopole und Deutungsinteressen binden auch die Tätigkeiten jener religiösen Spezialisten an einen, ihren historischen Kontext, sie liegen auf der gleichen Objektebene wie etwa die Logik einer Ritualsequenz. Im Blick auf die Ausgangsvoraussetzungen, daß Sprache das bevorzugte Medium von Wissenschaften, zumal Geisteswissenschaften ist, ist es nicht 87
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Im Blick auf diese Fragestellung sind die Beiträge bei H. v. Stietencron (Hg), Theologen und Theologien in verschiedenen Kulturkreisen, Düsseldorf 1986, geschrieben. Platon, Politela 379a; zur Interpretation B. Gladigow, Mythologie und Theologie, in: Η v. Stietencron (Hg), Theologen (wie Anm. 87), S. 70 ff.
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verwunderlich, daß die sprachlich fixierten Elemente von Religionen im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Das hat wissenschaftspraktische Gründe — eine getanzte Kosmogonie ist schwer in einer Anmerkung unterzubringen — aber auch ideologische: „Die Sprache ist die Scheide, darinnen das Messer des Geistes steckt" 89 , — nicht der Tanz, nicht die Musik, nicht das Bild, nicht die Architektur, schon gar nicht der Geruch. Für alle diese aus dem primären Interesse ausgeschlossenen Kommunikationsformen ließe sich für viele Kulturen ein elaborierter Code aufweisen — Aufgabe einer ,Religionsästhetik' 90 —, auch für ,Geruch': Jedes Opfer wird in der Antike beispielsweise von einer Sequenz unterschiedlicher Gerüche begleitet, vom ,Dunst' des versprengten Wassers, über den Geruch verbrannter Gerste und verschiedener Räucherwaren bis hin zum ,Bratenduft' des abgeschlossenen Rituals. Unbestritten bleibt natürlich, daß sich die Quellenlage für jene Religionen dramatisch verschlechtern, für die sich keine sprachlich fixierten Quellen finden lassen.
5.2 Organisationsformen und ,Träger' der Kulte Eine genauere Bewertung des konkreten Funktionierens einer polytheistischen Religion ist einerseits nicht ohne eine Kenntnis der Träger einzelner Kulte möglich, andererseits nicht ohne eine komplementäre Vorstellung darüber, welche Kulte in einer bestimmten Religion existieren. In welchem Verhältnis steht ein Pantheon aus einer Vielzahl von Göttern zu individuellen Präferenzen einzelner Personen 91 oder der kultischen Situation einer bestimmten, abgegrenzten Religion? Eine so postulierte regionale Religionsgeschichte ist wahrscheinlich näher an einer .historischen Realität' als es — beispielsweise — pauschale Aussagen über griechische, römische oder germanische Religiosität sind. Eine Kulttopographie, wie sie vor allem archäologische Arbeiten zu sakralen Zentren ermöglichen könnten, liefert ein wichtiges Ausgangsmaterial für das Verhältnis von ,religiösem Markt' in einer bestimmten Region und seinen Benutzern.
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S. oben 16 ff. S. H. Cancik, H. Mohr, Religionsästhetik, in: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe 1, S. 1 2 1 - 1 5 6 . Am Beispiel der griechischen Religion diskutiert bei B. Gladigow, Chresthai theois (wie Anm. 15).
Mögliche Gegenstände und notwendige Quellen einer Religionsgeschichte
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5.3 Kulttopographie und regionale Religionsgeschichte Mit einer Kulttopographie können Aussagen über die Organisationsformen und die Träger von Kulten verbunden sein: Welche Schichten verehren bestimmte Götter, bzw. in welchen Vergesellschaftungsformen wird ein Kult konkret organisiert und ausgeübt? Eine feste Verbindung von Tempel und Kultbild hat für die altmediterranen Religionen eine grundsätzliche neue Qualität religiösen Lebens erbracht 92 : Der Übergang von der transportablen, meist in einer Mehrzahl erscheinenden Statuette zum großen ortsfesten Kultbild, wie er sich etwa in Griechenland im 8. vorchristlichen Jh. vollzogen hatte, läßt sich auch als Ausdruck einer Etablierung von Herrschaft beschreiben. Das an den Ort gebundene und von einem kultischen Apparat versorgte Kultbild unterliegt, zumindest auf dem Wege über die Grundherrschaft, der Kontrolle eines politischen Führers. Der Zugang zu Kultort und Tempel ist kontrollierbar — bis hin zu Abschrankungen um das Kultbild — und kann gegebenenfalls mit Abgaben verknüpft werden. Spuren dieses, hier nur skizzierten Paradigmenwechsels haben sich im griechischen wie im westsemitischen Bereich in einem doppelten Opfersystem erhalten: Zur griechischen Kultpraxis gehört eine zweifache Konzeption des Opfers: Einerseits wird dem Gott im Tempel, vor dem Kultbild geopfert, er wird rituell .gespeist'; andererseits wird ihm auch vor dem Tempel geopfert, sein Anteil am blutigen Opfer gegeben. Der eine Opfervorgang findet grundsätzlich im Tempel, vor dem Kultbild statt, der andere auf einem Altar im Freien, ohne Kultbild, und zwar durch ein Verbrennen des Götteranteils am geschlachteten Tier. Hier verbinden sich also politische, soziologische, juristische, architektonische, ökonomische, ikonographische und rituelle Perspektiven; eine religionshistorische Analyse von Opfer, Kultbild und Tempel kann für keine der Religionen, die diese Institutionen besitzen, auf die angesprochene Kombination von Perspektiven verzichten.
5.4 Pantheon und Einzelkulte Als methodisches Modell für das Schreiben einer Religionsgeschichte stünden eigentlich nur Geschichten der Offenbarungsreligionen zur Verfügung, klagt M. P. Nilsson im Vorwort zu seiner monumentalen griechischen Religionsgeschichte 93 . Damit sind gleich zwei Probleme angesprochen: Die Geschichte 92
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Dazu B. Gladigow, Präsenz der Bilder — Präsenz der Götter. Kultbilder und Bilder der Götter in der griechischen Religion, Visible Religion IV/V (1985/6), S. 1 1 4 - 1 3 3 . M. P. Nilsson, Geschichte der griechischen Religion (wie Anm. 45), S. 1.
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einer Religion läßt sich dann am ehesten schreiben, wenn die Tradition dieser Religion selber unter der Kontrolle von Spezialisten liegt, — wie es bei den monotheistischen Buchreligionen in der Regel der Fall ist. Zum anderen wird durch Nilssons Bemerkung schmerzlich bewußt, daß es bisher keine systematische Darstellung des Polytheismus als Religionsform, keine „Morphologie des Polytheismus" gibt. Angelo Brelich hatte eine solche Morphologie geplant, ist aber zu deren Ausführung nicht mehr gekommen 94 . Der traditionelle Darstellungsmodus einer polytheistischen Religion, nämlich möglichst viele Götter nacheinander aufzuzählen, ist sicher einem antiken mythographischen Handbuch näher als einer modernen Religionsgeschichte. Eine polytheistische Religion ist, wie die Franzosen, vor allem Vernant 95 und Detienne 96 , immer betont haben, eben mehr als die Summe der den einzelnen Göttern zuzuordnenden ,Einzelreligionen'. Zum „Systemcharakter" eines Pantheons gehört ein mehrdimensionales Netz von „Kulten" und „Religionen" 97 , das sich je nach Ort und individuellem Zugang ändert, ,Zuglinien', spezifische Strukturen bekommt. Der „offene", sowohl regionalisierbare wie individualisierbare Zugang zu Göttern scheint ein Charakteristikum polytheistischer Religionen 98 zu sein. Für eine realisierbare Darstellung ergibt sich daraus das Problem, zwischen bloßem „Götterkatalog" und einer Überfülle individueller Zugänge eine praktikable Mitte zu finden. Regionale Religionsgeschichten, d. h. Analysen der religiösen Verhältnisse bestimmter, auf definierte Personengruppen bezogener Lebensräume, scheinen hier ein erster wichtiger — und gangbarer Weg zu sein.
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Es gibt von diesem Vorhaben lediglich die Veröffentlichung des ,Corso', s. oben Anm. 71. J.-P. Vernant, Mythe et Société en Grèce ancienne, Paris 1974, S. 106. Weitere Diskussion der Darstellungsbedingungen eines polytheistischen Systems bei B. Gladigow, Rez. W. Burkert, Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 235 (1983), S. 1 - 1 5 . M. Detienne, L'invention de la mythologie, Paris 1981. Es kann auch für ein polytheistisches System sinnvoll sein, zwischen Kulten und Religionen zu unterscheiden: Unter ,Kult' wird dann die Verehrung eines Gottes verstanden, der einen begrenzten, definierten Bereich von Wirklichkeit .abdeckt'; unter .Religion' im Unterschied dazu die Verehrung eines Gottes, der eine Mehrzahl von Lebensbereichen ,abdeckt' (Beispiele: Zeus-Religion, Dionysos-Religion, aber Hermes-Kult). Vgl. komplementär dazu A. Momigliano, The Disadvantages of Monotheism for a Universal State, Classical Philology 81 (1986), S. 2 8 5 - 2 9 7 .
II. Probleme archäologischer und runologischer Quellen und Zeugnisse
Ältereisenzeitliche Heiligtümer im nördlichen Europa nach den archäologischen Quellen 1 VON J A N BEMMANN UND G Ü D E H A H N E
Zwei regionale Studien VON M I C H A E L M Ü L L E R - W I L L E
1. Einleitung In den zurückliegenden 25 Jahren wurde der Erforschung und Interpretation von Befunden und Funden mit einem vermutlich religiösen Hintergrund in der Ur- und Frühgeschichte verstärkte Aufmerksamkeit entgegengebracht. So gab es in Skandinavien und Mitteleuropa allein acht Kongresse und Tagungen, die sich vornehmlich mit Opfergaben und Opferplätzen beschäftigten; Gräber als religionsgeschichtliche Quelle traten dabei in den Hintergrund. Den Auftakt bildete im Oktober 1968 das Symposium über „Vorgeschichtliche Heiligtümer und Opferplätze in Mittel- und Nordeuropa" in Reinhausen 2 , im August 1980 wurde in Genf ein Kongreß mit dem Thema „Le sacrifice dans l'antiquité" ausgerichtet 3 , im Oktober 1983 ein „Opfer"Kolloquium in Münster 4 ; im April 1984 fand in Isegran, Frederikstad in Norwegen „The first Nordic, interfacultive conference covering archaeology, history of religion, and nordic philology and literature" statt 5 , die Sitzung der Arbeitsgemeinschaft Bronzezeit widmete sich bei der Jahrestagung des West- und Süddeutschen Verbandes für Altertumsforschung im Juni 1984 in
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Die Autoren nahmen an dem Symposium nicht teil. Ihr Beitrag geht auf eine A n r e g u n g von Prof. Müller-Wille zurück. J a n k u h n 1970. Reverdin u. Grange 1981. Frühmittelalterliche Studien 18, 1984. Steinsland 1986.
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Jan Bemmann und Güde Hahne
Regensburg dem Problertlfeld „Hortfunde" 6 . In Uppsala folgte 1985 ein Symposium unter dem Titel „Gifts to the Gods" 7 , im gleichen Jahr im November befaßte sich eine Tagung in Halle (Saale) mit „Religion und Kult in ur- und frühgeschichtlicher Zeit" 8 , die Arkeologidagarna im Januar 1989 in Lund hatten sich das Thema „Arkeologi och Religion" gestellt 9 , den sicherlich nur vorläufigen Abschluß bilden die in diesem Band abgedruckten Aufsät2e des Symposiums „Quellen zur germanischen Religionsgeschichte". Die Aufsatzsammlungen in den Kongressen geben einen hervorragenden Überblick über Stand und Schwerpunkte der Forschung 10 . Die Beiträge der Ur- und Frühgeschichte bestanden — was den hier interessierenden Zeitraum betrifft — in der Präsentation von neu ausgegrabenen Opferplätzen und Zusammenstellungen von Opferniederlegungen, geordnet nach dem Ort der Handlung (z. B. Quellopfer) oder nach den geopferten Gegenständen (z. B. Tongefaße, Waffen). Im Vordergrund stand dabei die Interpretation der Opferhandlung bzw. der gefundenen Gegenstände und deren Funktion; der Bedeutung des Platzes, an dem die Aktivitäten stattfanden, wurde insgesamt wenig Beachtung geschenkt. Ziel dieses Beitrages soll es deshalb sein, aus der archäologisch bekannten Bandbreite von Opferplätzen, d. h. allen Orten, an denen Opfer dargebracht wurden, die Stätten herauszufiltern, die so gut ausgegraben und dokumentiert wurden, daß sie mit einiger Sicherheit als Heiligtümer angesprochen werden können. Die Interpretation der einzelnen Opfergaben in den Heiligtümern kann dabei vernachlässigt werden, da für viele Fundgruppen Untersuchungen vorliegen 1 1 . Gemäß der Aufgabenstellung des Symposiums wird der keltische und provinzialrömische Bereich ausgeklammert, und aus Gründen der Materialfülle erfolgt eine Beschränkung auf die vorrömische Eisenzeit und die römische Kaiserzeit. Unberücksichtigt bleiben Opferhandlungen und Plätze in Verbindung mit Totenkult und Grabstätten 12 . 6
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Die Beiträge sind abgedruckt im Archäologischen Korrespondenzblatt 15, 1985, 17 — 65; 163-206. Linders u. Nordquist 1987. Schiette u. Kaufmann 1989. Larsson u. Wyszomirska 1989. Der Forschungsstand in Großbritannien zur Interpretation der Hort- und Opferfunde läßt sich den engagiert geschriebenen und inspirierenden Büchern von Merrifield (1987) und Bradley (1990) entnehmen. Weiterhin sind die Beiträge eines 1989 in Oxford abgehaltenen Kongresses zu nennen (Garwood u. a. 1991). Zu Opfern mit Tongefäßen: Becker 1970; 1971; Harck 1984a. Zu Tierknochen: BehmBlancke 1965; Jankuhn 1967. Zu Menschenopfern: Struve 1967; Beck 1970; Jankuhn 1980; Munksgaard 1984; Sellevold u.a. 1984, 2 4 1 - 2 4 4 ; Ström 1986. Zu Waffen: Fabech 1987; 1989; Lonstrup 1988. In Damp, Kr. Rendsburg-Eckernförde, könnte dies der Fall sein: Ahrens 1966.
Ältereisenzeitliche Heiligtümer im nördlichen Europa
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Ein Heiligtum ist eine Kultstätte, die dem Kult einer oder mehrerer Gottheiten dient 13 . Als Kultort können mit einem Heiligtum Liturgien, Opfer, Segnung, Anbetung genauso verknüpft sein wie Prozessionen, Tänze und andere rituelle Handlungen. Der heilige Ort ist von seiner profanen Umwelt abgegrenzt, sei es durch natürliche Hindernisse, durch errichtete oder nur im Wissen der Menschen verankerte Schranken. Ein Tempel in seiner primären Funktion als ein dem Gott/den Gottheiten errichtetes eigenes Haus kann Bestandteil eines Heiligtums sein, muß es aber nicht. Ein Heiligtum kann Ausgangspunkt einer größeren menschlichen Siedlung werden, die dann den Charakter einer Kultmetropole gewinnt 14 , was sich einerseits in Wallfahrten niederschlägt und Auswirkungen auf die Infrastruktur hat, andererseits in Verbindung mit dem Asylrecht und dem heiligen Frieden zu einer besonderen wirtschaftlichen Funktion des Platzes führen kann 15 . Als Hilfsmittel zur Lokalisierung von Heiligtümern stehen die schriftliche Überlieferung, Ortsnamen, Bilddenkmäler und Bodenfunde zur Verfügung. Obwohl Tacitus mehrere Heiligtümer nennt und teilweise beschreibt, konnte bisher keiner dieser Orte entdeckt werden. Die gleiche Diskrepanz zwischen schriftlich überlieferten und archäologisch identifizierbaren Heiligtümern hat Müller-Wille 16 für die Slawen und Skandinavier eindrucksvoll herausgestellt. Die Datierung der Ortsnamen in den hier interessierenden Zeitraum ist umstritten. Auswertbare Bilddenkmäler stehen erst am Ende der Römischen Kaiserzeit und in der Völkerwanderungszeit zur Verfügung. Die Entscheidung, ob ein Heiligtum vorliegt, muß also mit Hilfe rein archäologischer Kriterien getroffen werden. Nach Colpe 17 gibt es drei Kriterien, die Fundstellen als Heiligtümer identifizieren: 1. Die Kontinuität der heiligen Stätte, die oft über einen Religionswechsel hinaus erhalten bleibt. Sie läßt sich nachweisen aus Anhäufungen von Niederlegungen spezifischer Art, Beibehaltung auffälliger Grundrisse oder Lagen und bis zu einem gewissen Grad aus allem, was sich in einer aus Alltagsumständen nicht mehr erklärbaren Weise über Zeiten hin wiederholt, in denen es in anderer Hinsicht Kontinuitätsbrüche gegeben hat. 2. Die Kategorie der Entdeckung. Heiligtümer werden nicht geplant, sondern der Ort für ein Heiligtum wird entdeckt, d. h. es kann überall ein
" Hauck 1988, 80. 14 Lanczkowski 1985, 673. 15 Thrane 1988, 194 vermutet dies für Gudme auf Fünen. 16 Müller-Wille 1989, 12; 21. 17 Colpe 1970, 31 ff.
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Jan Bemmann und Güde Hahne
Heiligtum gewesen sein, nicht nur an Orten von heute noch besonderer Anziehungskraft (Felsformationen, Moore/Seen, Höhlen, Quellen etc.). Für die Endeckung können archäologisch nicht nachweisbare Gründe vorliegen. 3. Der Symbolismus des Außergewöhnlichen, der sich durch topographische Besonderheiten nachweisen läßt. Dieses Kriterium muß nicht mit den beiden anderen gekoppelt sein, kann also für sich ein Heiligtum anzeigen. Als zusätzliches Erkennungsmittel, das aber nicht definierend für ein Heiligtum ist 18 , tritt der Nachweis von Opfergaben und Handlungen hinzu. Die Ausführungen von Colpe zeigen, daß es viele Heiligtümer gegeben haben muß, sich aber nur ein Bruchteil archäologisch nachweisen lassen wird. Ohnehin können nur die Heiligtümer mit archäologischen Mitteln identifiziert werden, die Spuren im Boden hinterlassen haben und deren Interpretation durch entsprechende Begleitfunde und Befunde ermöglicht wird. So zutreffend die Kriterien von Colpe sicherlich sind, lassen sie sich doch nur bedingt in der archäologischen Praxis anwenden 19 , weil jedes der drei Kennzeichen für sich auch ausreicht und es heilige Stätten ohne Kontinuität gibt. Wir möchten daher die Plätze vorstellen, auf denen a) Opferhandlungen 20 über einen längeren Zeitraum nachweisbar sind und die deponierten Funde nach einem bestimmten Ritus behandelt und niedergelegt wurden (Kontinuitätskriterium), b) eine besondere topographische Situation gegeben ist (Symbolismus des Außergewöhnlichen), c) Baulichkeiten wie z. B. Einhegungen 21 , Uferbefestigungen, Stege, Brücken u. ä. vorhanden sind (Kontinuitätskriterium) und d) eine die Gottheit symbolisierende Figur 22 entdeckt 18
Durch Opferhandlungen entsteht kein Heiligtum, es muß vorher vorhanden sein. In einem Heiligtum muß nicht geopfert werden.
" Maier 1973, 647. In Anlehnung an die Kriterien v o n Colpe arbeiten für den polnischen Bereich Makiewicz u. Prinke 1980. 20
A u f die Problematik, unter welchen Umständen ein Depotfund als Opferfund bezeichnet werden kann, gehen wir an dieser Stelle nicht ein, sondern übernehmen die v o n Stjernquist 1962/63; Kirchner 1968; Colpe 1970, 35 ff.; Geißlinger 1983; Pauli 1985; Torbrügge 1985 a; und Torbrügge 1985 b erarbeiteten Erkenntnisse. Einen lesenswerten Überblick zur Problematik der Auswertung und Interpretation der Hortfunde gab jüngst Bradley (Bradley 1990, 1—42). Entscheidend für die Interpretation der Depotfunde ist die Fundstatistik, die nach den verschiedenen Kriterien: Zusammensetzung, Topographie, Erhaltungszustand, Behandlung, Vergleich zu Grab- und Siedlungsinventaren, Anzahl und Fundumstände (irreversibel oder reversibel niedergelegt) — eine Unterscheidung zwischen Hortfunden mit sakralem und profanem Hintergrund ermöglicht.
21 22
De Vries 1956 I, 3 7 3 - 3 7 5 ; Ström 1975, 2 1 5 - 2 1 7 . Daß Tacitus in Kap. 9 der Germania auf die Germanen konventionelle Gedanken der antiken Philosophie überträgt, ist seit langem bekannt. (Lange 1967, 181 ff.; Hauck 1982, 178; Bringmann 1989, 71 ff.). Auch aus Norwegen liegt inzwischen eine anthropomorphe Holzfigur vor. (Johansen 1981). Wenig bekannt sind die Figuren aus Ejsbol. (Orsnes 1988, 109, Taf. 215).
Ältereisenzeitliche Heiligtümer im nördlichen Europa
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wurde. Die Merkmale orientieren sich an den archäologischen und schriftlichen Quellen des Untersuchungszeitraumes und Gebietes und sind daher keinesfalls übertragbar oder zu verallgemeinern. Aufgrund der archäologischen Quellenproblematik 23 müssen nur a) und b) zwingend, c) sollte und d)
Abb. 1. Ältereisenzeitliche Heiligtümer im nördlichen Mitteleuropa und südlichen Skandinavien. Nähere Erläuterungen siehe Text
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Es fehlen weitestgehend großflächige Untersuchungen von Opferplätzen, vor allem der Randbereich und die unmittelbare Umgebung wurden häufig vernachlässigt, so daß oft nur die Opfergaben und Reste der Opferhandlungen geborgen wurden, Hinweise auf Einhegungen u. ä. aber fehlen. Leider sind auch gerade einige der interessantesten Fundplätze nicht oder nur in Vorberichten publiziert. Hinzu kommen die üblichen archäologischen Quellenprobleme wie schlechte Erhaltungsbedingungen für organisches Material, fehlende oberirdische Befunde, Repräsentativität u. a. m. „Die Natur archäologischer Denkmäler schränkt ihre inhaltliche Mitteilung sofort und nachdrücklich ein. Zur Ansicht stehen nur noch materielle Restbestände aus einer Vorstellungswelt, die in Wahrheit spirituell begründet ist." (Torbrügge 1985 a, 7).
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Jan Bemmann und Güde Hahne
kann vorhanden sein. Mit diesen Charakteristika erfassen wir Zumindestens diejenigen Heiligtümer, auf denen kontinuierlich geopfert wurde oder die durch ihren Baubefund auffallen. Sicherlich bleiben dadurch viele Plätze unberücksichtigt, hinter denen sich Heiligtümer verbergen könnten. Dennoch haben wir uns für diese schematische Vorgehensweise entschlossen, weil es so möglich ist, wenigstens einige Plätze sicher anzusprechen. Außerdem umgehen wir mit dieser Ansprache die leidige Unterteilung in große und kleine Opferplätze 24 , die eine Klassifikation und Interpretation sowohl der einzelnen Plätze als auch der Opferhandlungen eher behindert als fördert. Ausgewählte Beispiele von Opferstätten des germanischen Siedlungsbereiches von Südschweden bis Mitteldeutschland und Polen (Abb. 1) sollen — in grober chronologischer Abfolge vorgestellt— einen Einblick geben in die Vielfalt der Heiligtümer und Opfergaben.
2. Ausgewählte Beispiele Torfstecher zerstörten 1948 im Aukamper Moor bei Braak in Holstein einen auf einem herausragenden Torfbuckel gelegenen Brandplatz von etwa 12 m Durchmesser zur Hälfte 25 . In der 50 bis 70 cm starken Brandschicht wechselten flache Komplexe aus stark zerglühten, meist zersplitterten, faust- bis doppelfaustgroßen Steinen mit Bändern aus völlig mit Holzkohlestaub durchsetztem, feinkörnigem Steingrus, in denen regelmäßig Bruchstücke stark zersetzter Tongefäßscherben nachgewiesen werden konnten. Den Platz umgab im Westen und Norden eine zwei bis drei Meter breite grabenartige Eintiefung, die im Westen bis zu zwei Meter, im Norden 50 bis 80 cm tief war. In dem Graben lag eine in mehrere Stücke zerdrückte 178 cm lange Astgabel. Ein Ende war angespitzt, alle Nebenäste abgetrennt und die Ansatzstelle sorgfältig geglättet. Die Keramik legt eine Datierung in den Beginn der älteren vorrömischen Eisenzeit nahe. Nach Hingst wurde auf dem Platz mehrmals Feuer entfacht, vermutlich Steine und Tongefaße in das Feuer geworfen und der Platz wiederholt eingeebnet. Die beiden bekannten anthropomorphen Holzfiguren (ein Mann und eine Frau) kamen 50 bis 70 m von dieser Stelle entfernt zutage, sollen aber nach einer 14 C-Untersuchung 24
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Exemplarisch durchgeführt bei Zimmermann 1970, 52 f. Anm. 1. Die Unterscheidung richtet sich nicht nach der Bedeutung der Plätze, die sich in der Anzahl der Opferhandlungen und in den Baulichkeiten widerspiegeln kann, sondern nach der Fundmenge und dem Materialwert. Menschenopfer — mit Sicherheit die höchsten Opfer — zählen nach Zimmermann daher zu den kleinen Moorfunden. Schwabedissen 1949, 6 4 - 6 5 ; 68; Hingst 1967.
Ältereisenzeitliche Heiligtümer im nördlichen Europa
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gleichaltrig mit dem Brandplatz sein26. An einer weiteren Stelle wurden Holzgeräte beobachtet. Der Fundplatz liegt in einer während der vorrömischen Eisenzeit dicht besiedelten Landschaft. Im Jahre 1859 wurde in einem Torfstich bei Possendorf in Thüringen ein großer, stark abgenutzter und wiederholt reparierter Kupferkessel 20 Fuß tief gefunden 27 . Ringsum standen sieben Gefäße, dahinter oder im Kreis der Gefäße lag eine anthropomorphe Holzfigur mit eingesteckten Armen. Im Kreis soll außerdem noch ein zwei Fuß langer Kalkstein in Form eines Vogelkopfes gelegen haben. In der Nähe fand sich eine große Eiche, 23 bis 35 cm entfernt ein menschliches Gerippe. Der Kessel wird von Peschel in den Zeitraum vom 4./3. Jh. v. Chr. — 2./1. Jh. v. Chr. und das einzige erhaltene Tongefäß in das Ende des 2. Jh. oder die erste Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. datiert. Eine Benutzung des Platzes über einen längeren Zeitraum läßt sich nicht nachweisen. Es könnte sich auch um die rituelle Vergrabung oder Bestattung von Kultgerät handeln. In diesem Zusammenhang dürfen die Goldhörner von Gallehus, der Kessel von Gundestrup, die Wagen von Dejbjerg und der Depotfund von Havor nicht unerwähnt bleiben, da sie schon des öfteren als verstecktes oder geopfertes Kultgerät gedeutet wurden. Die beiden 1639 und 1734 gefundenen, nur wenige Meter voneinander entfernt liegenden, um 400 n. Chr. hergestellten Goldhörner von Gallehus, Südjütland, wurden vor der Deponierung vorsätzlich in unterschiedlichem Grad zerstört28. Der ebenfalls beschädigte Kessel von Gundestrup, wurde 1891 im nördlichen Jütland in einem kleinen Torfmoor entdeckt29. Die Bildplatten und ein Randfragment lagen auf dem Kesselboden, es fehlt ein Griff, eine vermutete achte äußere Platte und der größte Teil des Randes. Die Platten zeigen beträchtliche Abnutzungsspuren, Verbeulung und Beschädigung, die sich größtenteils durch eine gewaltsame Demontage des Kessels erklären lassen. Das Moor war zum Zeitpunkt der Deponierung begehbar und trocken, der Kesselboden wurde auf der Oberfläche niedergesetzt, das Moor wuchs langsam über den Kessel. Trotz dieser obertägigen Deponierung spricht die Zerlegung dafür, daß der Kessel möglichst nicht gesehen werden sollte, er sollte nicht als Kultgerät zur Schau gestellt werden. Hachmann betrachtet den Kessel als gallisches Produkt spätaugustäischer Zeit; seiner 26 27 28
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Struve 1975, 88 f. Peschel 1989 mit der älteren Literatur. Zuletzt Milthers 1985, die insbesondere auf am Horn von 1639 vorgenommene Veränderungen und Reparaturen hinweist. Zuletzt Hachmann 1990 mit umfangreicher Literaturliste.
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Jan Bemmann und Giide Hahne
Meinung nach wurde der Kessel während der älteren Kaiserzeit in Jütland deponiert. Im Dejbjerg-Moor, Nordjütland, wurden 1880 und 1883 Stücke von zwei zerlegten Prunkwagen gefunden, deren Teile grob sortiert in fünf mehr oder weniger deutlich begrenzten Anhäufungen lagen 30 . Bei der nordöstlichsten Konzentration befand sich Keramik aus der späten vorrömischen Eisenzeit und der älteren Römischen Kaiserzeit, außerdem Reste, die als Markierungsstaken und Holzgeflecht zur Begrenzung des Deponierungsortes angesprochen werden. An der Fundstelle führte möglicherweise eine Furt vorbei. Vom selben Fundplatz stammen außerdem vier Wagenachsen eines jüngerkaiserzeitlichen Typs. Auf eine längere Benutzung der beiden im 1. Jh. v. Chr. hergestellten Prunkwagen vor ihrer aus der mitgefundenen Keramik erschlossenen Niederlegung im 1. Jh. v. Chr. weisen verschiedene Gebrauchsspuren hin. Diese beiden Prunkwagen wurden im Gegensatz zu den gleichzeitig benutzten Wagentypen nicht von Ochsen, sondern von Pferden gezogen. Im Gegensatz zu den oben genannten Funden gehört der Depotfund von Havor nicht zur Gruppe der irreversibel niedergelegten Hortfunde, auch zeigen die Funde keinerlei Spuren von Zerstörung oder Beschädigung 31 . In der Wallinnenseite einer zum Zeitpunkt der Deponierung um 100 n. Chr. bereits aufgelassenen, runden Befestigung auf Gotland stieß man 1961 während einer planmäßigen Ausgrabung auf einen, von einem Stein bedeckten, fabrikneuen römischen Bronzeeimer, in dem eine bronzene Weinkelle mit Sieb, drei innenverzinnte Bronzekellen, zwei durch einen Lederriemen an einen Bronzering befestigte Bronzeglocken und ein außergewöhnlicher goldener Ring von 24 cm Durchmesser lagen. Der Fund wird aufgrund des Ringes „der eher zu einem Götterbild als zu einem Menschen paßt" 32 als Tempelschatz gedeutet. Von Interesse ist auch noch eine Tonscherbe aus der Burg mit einer Reliefdarstellung eines Halsringes vom Torques-Typ; Hauck rekonstruiert hierzu ein Kopfgefäß 33 . Nach Stjernquist 34 müssen die Goldhörner von Gallehus, der Gundestrupkessel und die Wagen von Dejbjerg nicht geopfert worden sein, es könnte sich auch um in einer gefahrdrohenden Situation versteckte Kultgegenstände handeln 35 . Auf den Hortfund von Havor trifft diese Interpretation sicherlich 30
Becker 1984; Schovsbo 1987, 2 7 - 3 1 ; 240; Harck 1988, 9 8 - 1 0 0 ; Petersen 1888.
31
Nylen 1962; Moberg 1977, 1 0 3 - 1 0 4 ; Grimlund-Manneke u. Manneke 1979; Hauck 1982, 1 7 9 - 1 8 3 ; Hagberg 1984, 77.
32
Stenberger 1977, 278.
33
Hauck 1982, 181, Abb. 1.
34
Stjernquist 1962/63, 41.
35
Ein gutes Beispiel hierfür ist der während des Dreißigjährigen Krieges vergrabene Fund mit Kirchengerät aus dem M o o r von Geel-Royum. (La Baume 1952, 45). Zum Problem von Kultgegenständen in Versteckfunden: Pauli 1985, 197 f.
Ältereisenzeitliche Heiligtümer im nördlichen Europa
37
zu, aber aufgrund der vorsätzlichen Demontage und Beschädigung der Stücke erscheint dieses für die anderen Fundkomplexe wenig wahrscheinlich. Vielmehr wurden vermutlich — aus welchem Grund auch immer — nicht mehr benutzbare Kultgegenstände entsprechend den religiösen Vorschriften beseitigt. In einem Tunneltal auf Seeland befindet sich das Moor von Rappendamib. Die Fundstelle wurde von Torfarbeitern entdeckt und vom Nationalmuseum 1941 und 1942 untersucht. Auf einer Fläche von 60 χ 8 m lagen in sieben Gruppen, im gleichen Moorhorizont, Fundkomplexe. Der Ausgräber Georg Kunwald nimmt an, daß diese Depots dicht am Rand des zuwachsenden Sees, zum Teil an Bäumen, niedergelegt wurden. Die Komplexe A—C und das Skelett einer 30 — 35 Jahre alten Frau, vermengt mit Schädel und Beinknochen eines Pferdes, lagen auf einer Schicht von Zweigen und waren teilweise von Zweigen bedeckt. Die Deponierungen bestehen zum überwiegenden Teil aus Rädern und Radbruchstücken (40 Exemplare), darunter manche nicht gebrauchsfähige, die anscheinend für die Opferhandlung hergestellt wurden. Nur unter Schwierigkeiten lassen sich vier Räder auswählen, die sich so ähnlich sind, daß sie zu einem Wagen gehören könnten. Hinzu kommen drei Wagenachsen und drei Pflugschare, einige unbestimmbare Holzgeräte und eine große Zahl grober, kaum bearbeiteter Holzstücke. Zwischen den Hölzern oder einzeln fanden sich Knochen vom Rind und Pferd, auch Holzgegenstände lagen vereinzelt — verschleppt oder weggeschwemmt — im Moor. Ob die in einer Konzentration liegenden, wahrscheinlich vollzähligen, Skeletteile von vier Schafen mit zum Teil zur Markentnahme gespaltenen Knochen ebenfalls zu dieser Deponierungsgruppe gehören, läßt der Ausgräber offen. Pollenanalytisch wird der Fund in die Eisenzeit datiert, zwei der Pflugschare gehören zu einem Typ, der aufgrund von 14 C-Daten in die jüngere Bronzezeit und vorrömische Eisenzeit gesetzt wird und für drei Wagenräder aus Rappendam weisen 14 C-Daten in den Zeitraum vom 1. Jh. v. Chr. bis 2. Jh. n. Chr. Am Rappendamer Seeufer wurden vermutlich über einen längeren Zeitraum hinweg vorwiegend Wagenteile — mit Vorliebe Räder — und landwirtschaftliche Geräte, Haustiere (Mahlzeitreste und bestimmte Körperteile) sowie eine Frau geopfert. Holger Friis vom Vendsyssel Historiske Museum untersuchte den Platz VabrogârP7 in Nordjütland 1941, er grub in einem 10 χ 20 m großen Gebiet 36
Kunwald 1970a und 1970b; Schovsbo 1987, 2 0 8 - 2 1 2 .
37
Becker 1970, 1 5 0 - 1 5 3 .
38
Jan Bemmann und Güde Hahne
und hatte damit den Platz nahezu vollständig erfaßt, wie eine Nachuntersuchung 1947 zeigte. In dem kleinen Kesselmoor fanden sich die Objekte direkt auf dem Sandboden, unter einer 70 cm dicken, offenbar ungestörten Torfschicht. Der Fund besteht aus Keramik und Tierknochen, abgesehen von einem Kamm aus Hirschhorn. Insgesamt wurden Scherben von 114 Tongefäßen entdeckt, durchweg gröbere Ware. In die Böden der meisten Gefäße sind Löcher geschlagen worden. Die Mehrzahl der Gefäße enthielt Tierknochen, manchmal auch Steine — bis zu 25 Stück in einem Gefäß. Auch neben den Gefäßen fanden sich (verlagerte?) Tierknochen, außerdem fünf Feuerböcke aus Ton. Die Tierknochen stammen von mindestens 11 Hunden, ca. 11 Schafen, einigen Rindern und Pferden. Außer bei den Hunden, von denen mehrere vollständige Schädel gefunden wurden, waren die Knochen stark fragmentiert und verstreut. Alle Funde gehören wahrscheinlich der älteren Kaiserzeit an. In den Jahren 1943 und 1944 wurde im „Langemose" zwischen Bukkerupis und Sollested auf Fünen Torf gestochen, wobei an über 40 Stellen in einem 60 χ 25 m großen Gebiet Tongefäße, manchmal zusammen mit Tierknochen, zum Vorschein kamen. Daraufhin wurde eine Ausgrabung eingeleitet, die an weiteren 15 Stellen Deponierungen von Tongefäßen erbrachten. In 14 Fällen wurden neben dem Gefäß sämtliche Extremitätenknochen einer Kuh einschließlich Schulterblätter und Beckenknochen gefunden, die unversehrt waren. In mindestens 13 Fällen fanden sich neben den Knochen Stricke sowie ein Holzpflock, manchmal lag der Strick so dicht um die Knochen gewickelt, daß das Fleisch vor der Deponierung abgelöst worden sein muß. In einigen Fällen war der Strick außerdem am Henkel des Gefäßes befestigt. An 12 verschiedenen Knochendeponierungen konnten zoologische Untersuchungen vorgenommen werden. Es handelt sich um Knochen sowohl älterer als auch jüngerer Kühe, nur ein Knochen vom Schwein und sehr wenige Pferdeknochen sind vertreten. Die Gefäße sind der älteren Kaiserzeit zuzurechnen. Keinerlei Eingrabungen und keine Bedeckung ließ sich feststellen, trotzdem waren die Deponierungen ungestört, so daß an irgendeine Art von Schutzvorrichtung gedacht werden muß. Soweit bei Ausgrabungen beobachtet, sind hier während der älteren Kaiserzeit auf der Mooroberfläche meist Bündel von Gliedmaßenknochen einer Kuh zusammengeschnürt neben einem Tongefaß deponiert worden, manchmal an einem Holzpflock befestigt, selten mit dem Henkelgefaß verbunden. Das Fleisch wurde vor der Deponierung von den Knochen gelöst.
38
Albrectsen 1944 und 1945; Becker 1970, 1 5 7 - 1 5 9 .
Ältereisenzeitliche Heiligtümer im nördlichen Europa
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In Bad Pyrmont, Niedersachsen, ließ Rudolph Ludwig, ein Geologe und Quellenfachmann, 1863 für eine Neufassung der Quelle den Bereich um den Brodelbrunnen ausschachten39. Auf der Baugrubensohle, etwa in einer Tiefe von 3,75 m, lagen auf einer Fläche von 9 Quadratfuß in einer 2'/2 Fuß mächtigen Schicht — offenbar unter den Wurzeln einer umgestürzten Linde — bei einer der Quellen zahlreiche Altertümer. Es handelt sich um eine einzigartige provinzialrömische emaillierte Kelle, drei römische Denare, einen Spiralfingerring, zwei hölzerne Schöpfgefäße, Fruchtkerne und ca. 300 Fibeln verschiedener Typen und unterschiedlichen Alters. Die Funde stammen aus dem Zeitraum von den letzten Jahrzehnten vor Christi Geburt bis zum 4-/5. Jh. Ein Schwerpunkt scheint am Ende des 2. Jhs. und in den ersten Dritteln des 3. Jhs. zu liegen. Dieser Fundkomplex gehört sicherlich zur Gruppe der Heiligtümer mit Quellenverehrung und bezeugt eine Kontinuität der Deponierungssitte durch fünf Jahrhunderte. Siedlungsfunde aus der Umgebung fehlen, so daß erst nach Abschluß der Bearbeitung der Funde feststeht, ob ein lokales Heiligtum vorliegt oder die Menschen aus entfernteren Gebieten zu dieser Heilquelle kamen, um hier zu opfern. In einem Moor bei Buc^ek40 in Pommern wurden 1886 und 1888 und auch schon früher weit über 1800 Perlen (wenig Glas oder Fayence, hauptsächlich Bernstein), unbearbeiteter oder zerbrochener Bernstein, einige Metallgegenstände, viele Tonscherben und Feuerstein entdeckt. Weder Tier- noch Menschenknochen kamen zum Vorschein. Unter den Metallgegenständen befanden sich ausschließlich Schmuck- und Trachtbestandteile sowie drei Denare. Die Funde stammen zum überwiegenden Teil aus einer tiefer gelegenen Torfschicht. Schwere Gegenstände waren bis auf den festen Untergrund abgesunken. Die Stücke lagen sowohl in größerer Zahl dicht beisammen als auch oft vereinzelt mehrere Meter voneinander getrennt. Es ist nicht mehr zu entscheiden, ob die zahlreichen Baumstämme, das bearbeitete Holz und die beobachteten Brandreste zu Baulichkeiten und Feuerstellen gehörten. Die erhaltenen Materialien — Tongefäße wurden nicht in die Museen eingeliefert — datieren in die Stufen B2 bis C2. Die fünf Fibeln stammen ausschließlich aus der Stufe B2. Es scheint hier ein Heiligtum in einer Siedlungskammer vorzuliegen, in dem über einen langen Zeitraum verschieden zusammengesetzte Opfer an unterschiedlichen Stellen im Moor niedergelegt worden sind. 39
Articus 1981/83; Andraschko u. Teegen 1988; Teegen 1989.
40
Geißlinger 1 9 8 1 ; Makiewicz 1988, 94.
40
Jan Bemmann und Glide Hahne
Im Kesselmoor von Käringsjön in Westschweden wurde 1941 ein durch Torfabbau oft gestörter Opferplatz fast vollständig ergraben 41 . Der Platz, der keinerlei Kulturschichten oder Siedlungsspuren aufwies, war rundum von einer eigenartigen Konstruktion aus Ästen, Buschwerk und Steinen umgeben. Durch gefällte Bäume, die in den See gefallen waren, und dazwischen gelegte Äste, Zweige und Steine war eine Art Plattform errichtet worden, auf der man an den See herantreten konnte. Sowohl auf der Konstruktion und zwischen den Stämmen als auch davor im See fanden sich etliche Gefäße, Holzteile, Bündel von Flachs und viele Steine. In den Boden einiger Gefäße waren Löcher geschlagen worden. Untersuchungen der Gefaßinhalte ergaben Spuren einer tierischen, fettigen Substanz. Bei den Holzobjekten handelt es sich größtenteils um Ackerbaugeräte, die nach Arbman wohl auch Opfergaben darstellen, zum Teil aber auch unabsichtlich in den See gelangt sein könnten. Die Gefäße, fast alle sind der Gebrauchskeramik zuzurechnen, datieren nach Becker in das 2. bis 5. Jh. n. Chr. 42 . Dieser Opferplatz unterscheidet sich wesentlich von den großen Waffenopferplätzen, auch wenn sich aufgrund der Moorsäure weder Knochen noch Eisen erhalten konnten 43 , er wird als heiliger Platz der bäuerlichen Bevölkerung der Umgebung angesehen. Von 1960 bis 1962 konnte Berta Stjernquist ein Quellheiligtum bei Röekillorna44 in Schonen vollständig untersuchen. Vom Neolithikum bis zur römischen Kaiserzeit wurde diese mit Wasser gefüllte Senke genutzt. In und neben der Quelle kamen rund 6000 Knochenfragmente zu Tage, 4000 ließen sich bestimmen: mit 31% bzw. 30% dominieren Pferd und Hund, weiterhin sind Schaf/Ziege, Rind und Schwein vertreten. Die Knochen stammen sowohl von alten als auch von jungen Tieren. Die 44 Menschenknochen ließen sich mindestens drei Individuen zuweisen, zwei Erwachsenen und einem Kind. Die Tierknochen sind teilweise gespalten, um das Mark zu nutzen und werden auch als Mahlzeitreste angesprochen. Andererseits kommen Knochenkonzentrationen vor mit unversehrten Extremitätenknochen des Pferdes und vollständigen Hundeskeletten. Stjernquist führt dies auf den besonderen Stellenwert von Pferd und Hund zurück, Hunde wurden offenbar nicht gegessen. Da die Senke lange offenstand und daher Funde aus verschiedenen Zeitstufen
41
Arbman 1945.
42
Becker 1970, 160.
43
Hagberg, 1967, II, 78.
44
Stjernquist 1962/63, 4 2 - 4 9 ; 1964, 1 8 0 - 1 8 4 ; 1970, 8 7 - 9 5 , Taf. 4; 1987, 1 5 0 - 1 5 6 ; 60-65.
1989,
Ältereisenzeitliche Heiligtümer im nördlichen Europa
41
in derselben Schicht liegen, kann eine Datierung der Knochen nur in einzelnen Fällen vorgenommen werden. Stjernquist barg außerdem zahlreiche Geräte unterschiedlicher Zeitstellung, die zur Tötung von Tieren und zur Zubereitung einer Mahlzeit gedient haben können. Auf Speisenbereitung deuten auch die Schlag- und Mahlsteine, verkohlte Holzstücke, durch Feuer beschädigte Steine und die gespaltenen Knochen. Auf der Innenseite fragmentierter Gefäße aus dem Frühneolithikum, der jüngeren Bronzezeit und der Eisenzeit wurden fetthaltige organische Stoffe festgestellt. Möglicherweise sind dies Reste von Lebensmitteldeponierungen in Gefäßen. Eine Fibel der vorrömischen Eisenzeit gehörte nach Stjernquist zu dem Gewand eines geopferten Menschen. Mit Röekillorna liegt ein über einen langen Zeitraum hinweg immer wieder aufgesuchtes Quellheiligtum in einer dicht besiedelten Landschaft vor, in dem sich Tier- und Menschenopfer sowie Spuren von Mahlzeiten nachweisen lassen. Das während der Opferhandlungen benutzte Gerät wurde anschließend zerstört und im Heiligtum zurückgelassen. Das Heiligtum von Otalq^ka1* in Polen lag zur Zeit seiner Benutzung im Zentrum einer Flußschleife auf beiden Ufern (Abb. 2). Witold Bender grub den Platz von 1964 bis 1971 aus, die abschließende Publikation steht noch aus. Aufgrund von Torfabbau ist der Nordwesten und Südosten der Anlage zerstört. Am rechten Flußufer befanden sich drei in einer Reihe liegende Herde (A), umgeben von einer bis zu 80 cm mächtigen Schicht aus Verbrennungsrückständen und von Scherben zerschlagener Tongefäße. In der Nähe fanden sich ein Hakenpflug, ein Spinnwirtel, zwei Wetzsteine und zwei Holzgeräte. Westlich der Herde standen zwei Holzbänke (M). Das Areal um die Herde von ca. 30 bis 40 m 2 faßte eine Reihe von Pflöcken, vermutlich Reste eines Flechtwerkzaunes, ein. Entlang des Flusses erstreckte sich ein 2,5 bis 3 m breites Steinpflaster (B). In einer künstlichen Bucht (C) nördlich dieses Pflasters lagen Bruchstücke von über 20 Gefäßen und Tierknochen. Unmittelbar am linken Flußufer befand sich ein kreisrunder Steinhaufen (D) von 6 m Durchmesser und bis zu 60 cm Stärke, am Rand kamen Keramikbruchstücke, Tierknochen und Holzreste zum Vorschein. Ostlich der Steinpackung lagen auf einer Fläche von 4 m 2 in einer Fundkonzentration (G) zwei vollständige Tongefäße und weitere Scherben, Tierknochen, vier lange Holzstangen mit spitzen Enden und ein Wagenradteil. Weitere Befunde wurden entlang eines Südwest —Nordost verlaufenden, 10 m langen und 15 cm breiten Steges (H) entdeckt. Südlich des Steges waren zehn Holzpflöcke 45
Makiewicz 1988, 8 3 - 9 3 und 1989, 2 6 1 - 2 6 7 .
42
Jan Bemmann und Güde Hahne
Abb. 2. Heiligtum von Otaljzka, Woi. Radom. I Flußiauf in der Phase I (Benutzungszeit des Heiligtums); Phase II (bis zur modernen Gewässerkorrektion); III heutiger Flußiauf. — A Feuerstellen; Β Steinpflaster; C Fundanhäufung am Fluß (Knochen, Keramik); D Steinhaufen; F, Pfostenkonstruktion; F Schicht Holzreste (teilweise bearbeitet); G Fundanhäufung im Topf (Keramik, Knochen, Holz); H. Holzsteg; J Rostkonstruktion (Plattform); Κ Eichenstumpf; L Pfosten und kleine Pfähle; M Holzbänke. Nach Makiewicz 1988
und Pfosten in zwei Reihen so eingeschlagen worden, daß sie einen rechten Winkel bildeten (E). In ihrer Mitte lag ein großer Stein, ein Holzgefaß auf einem Brett und Tongefäße. Nordwestlich Schloß sich eine 50 cm mächtige Schicht (F) aus bearbeiteten und unbearbeiteten Holzresten an, in der sich in unterschiedlicher Tiefe elf vollständige, auf Holzunterlagen gesetzte und mit
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Holzstücken bedeckte Tongefäße, ein Spinnwirtel, ein keulenförmiger Holzgegenstand, Tierknochen und faustgroße Steine befanden. Dicht am Steg lag ein Eisenmesser. Den Abschluß der Anlage bildete eine ovale Holzkonstruktion (J) von ca. 10 m 2 Größe, vermutlich ein Rost, auf und in dem Steine, mehr als zehn sekundär zerbrochene Tongefäße und bearbeitete Holzgegenstände entdeckt wurden. Der einzige Bronzefund, eine Entenfibel, sowie ein Knochenkamm und Glasgefäßscherben stammen ebenfalls aus diesem Bereich. Gegenüber dieser Konstruktion, auf der anderen Seite des Steges, lag ein mächtiger Eichenstamm (K). Die gefundenen Tierknochen lassen sich nach Makiewicz in zwei Gruppen .aufteilen: a) Ansammlungen meistens stark zerkleinerter, zerschlagener und angesengter Knochen verschiedener Skeletteile repräsentieren Mahlzeitreste, b) Demgegenüber stehen Reste, die ausschließlich Schädel und Extremitätenknochen umfassen. Die erste Gruppe dominiert am rechten Flußufer — bei ihr wurden ausschließlich Gefäßscherben gefunden —, die zweite Gruppe am linken Flußufer. Bei diesen Knochen befanden sich öfters Komplexe ganzer Gefäße, die häufig auf Holzunterlagen standen, zum Teil in speziellen Konstruktionen. Soweit die prozentuale Auswertung diese Rückschlüsse überhaupt zuläßt, dominieren Rinder (40,7%) und Wildvögel (20,3%), weniger häufig sind Schaf/Ziege (16%), Hirsch und Reh (11,9%), Schwein (7,6%) und Pferd (3,2%) vertreten. Wildvögel, d. h. Knochen der Stockente, kommen ausschließlich in den Anlagen G und J vor. Obwohl aus den bisherigen Publikationen nicht hervorgeht, ob lagen gleichzeitig benutzt wurden, oder der Platz eine allmähliche rung erfuhr, läßt sich festhalten, daß hier ein ausgebautes, in der Kaiserzeit und frühen Völkerwanderungszeit aufgesuchtes Heiligtum in dem vereinfacht gesprochen auf dem rechten Ufer gefeiert und linken geopfert wurde.
alle AnErweitejüngeren vorliegt, auf dem
In Thüringen im Kreis Mühlhausen liegt nahe der beiden Ortschaften Oberund Niederdorla in einer Senke einer der interessantesten Opferplätze der Germania Libera (Abb. 3) 46 . Aus den bisher publizierten Vorberichten läßt sich entnehmen, daß sei 1947 das Moor abgetorft wurde. Seit 1948 kamen erste Funde zutage und von 1957 bis 1964 wurde das Moor einschließlich der Randbereiche vollständig untersucht. Überreste aus der Zeit vom 6. Jh. v. Chr. bis in das 10./11. Jh. n. Chr. kamen ans Tageslicht. Opferhandlungen lassen sich mit Sicherheit bis in die Völkerwanderungszeit hinein nachweisen. Kreisförmig um das Heiligtum herum lagen mehrere Siedlungen. Das Heiligtum von Oberdorla enthält eine große Anzahl von Opferstellen unterschiedlicher Benutzungsdauer. Die älteren Befunde liegen im Süd- und Südostteil, mit Beginn der mittleren Kaiserzeit im Zuge eines Seerückganges
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Abb. 3. Heiligtum von Oberdorla, Kr. Mühlhausen. Lage des Moores „Rieth", Nach BehmBlancke 1957
mehr im Westteil (Abb. 4). Im See und entlang des West-, Süd- und Südostufers konnten für zahlreiche Opferstellen — teilweise mit anthropomorphen Holzfiguren unterschiedlicher Ausprägung — Umhegungen durch Stocksetzungen oder Flechtwerkzäune entdeckt werden (Abb. 5). Demnach wechselt auf diesem sicherlich ein Jahrtausend lang kontinuierlich genutzem Platz die Stelle der religiösen Handlung. Bei aufgegebenen Opferstellen wurden Einfriedungen und Idole manchmal zerstört oder einfach dem Verfall preisgegeben 47 . Eine Holzfigur wurde absichtlich umgestoßen. Günter BehmBlancke unterscheidet auf dem Opferplatz zwischen Moor-, See-, Seeuferund Quellopfern. Nach seinen Vorstellungen haben sowohl größere Menschengruppen, z. B. eine Dorfgemeinschaft oder ein Verband von Dorfgemeinschaften, als auch Familien oder Einzelpersonen geopfert. Unter den Funden dominieren Tierknochen von mindestens 334 Individuen, Menschenknochen von mindestens 40 Individuen und Tongefäße. Oft 46
47
Behm-Blancke 1957; 1958; 1960; 1961; 1965; 1^71; Teichert 1974; Behm-Blancke 1976, 3 6 7 - 3 7 1 ; Seyer 1983, 254f.; Behm-Blancke 1989, 1 7 3 - 1 7 6 . Behm-Blancke 1971, 948.
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Hallstattzeit H allstatWLatènezeit
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Latènezeit
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Spâtlatènezeit frühe römische Kaiserzeit mittlere römische Kaiserzeit späte römische Kaiserzeit Völkerwanderungszeit I Völkerwanderungszeit II
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Heiligtum mit Einhegung \
Heiligtum Konzentration von Opferfunden
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Zaun Völkerwanderungszeit II ergänzter Zaun
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Seeufer
Abb. 4. Heiligtum von Oberdorla, Kr. Mühlhausen. Chronologie und Chorologie der Nutzung. Nach Behm-Blancke 1989
im Zusammenhang mit den Knochen deponierte Hämmer, Äxte und Keulen, die als Kultgeräte angesprochen werden, dienten vermutlich zur Tötung der Opfer und wurden teilweise unbrauchbar gemacht. Weiterhin wurden entdeckt: landwirtschaftliche Geräte, Radteile, Fischreusen, Flachsbündel, bear-
46
Jan Bemmann und Güde Hahne
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Abb. 5. Heiligtum von Oberdorla, Kr. Mühlhausen. Sakralgehege am Rand des Kultsees mit Phalluspfahl, weiblichem Astgabelidol, Tier- und Menschenopfern und Fackelresten. Nach BehmBlancke 1976
beitete Hölzer, Steine und Zimmermannsgeräte. Mit mindestens 114 Individuen dominieren Rinder unter den Opfertieren, gefolgt von mindestens 54 Hunden, 21 Schafen, 14 Ziegen und 29 Schafen oder Ziegen, 24 Pferden, 22 Schweinen und einer Katze. Deutlich seltener wurden Wildtiere geopfert: am häufigsten ist der Rothirsch mit mindestens fünf Individuen vertreten, außerdem gibt es Überreste von mindestens vier Rehen, zwei Wisenten, einem Ur,
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47
zwei Wildschweinen, mindestens zwei — höchstens fünf — Wölfen, einem Fuchs, zwei Fischottern, einer Seeschildkröte und Hechtschädeln. Mindestens 35 Haus- und Wildvögel dreizehn verschiedener Arten wurden ebenfalls entdeckt. Das Schlachtalter der Haustiere, die Opferzwecken dienten, unterscheidet sich nicht wesentlich von dem der Tiere aus germanischen Siedlungen, die für Nahrungszwecke geschlachtet wurden. Unter Rinder-, Pferde- und Schweineknochen sind männliche und weibliche gleich oft vertreten, unter den Ziegen und Schafen überwiegend weibliche Tiere gegenüber männlichen im Verhältnis 2:1. Bevorzugt geopfert wurden unbeschädigte Knochen der Vorder- und Hinterextremitäten sowie isolierte Schädel. Vollständige Skelette, Rippen und Wirbel waren als Opfergaben in relativ geringer Anzahl vorhanden. Über die ganze Grabungsfläche verstreut lagen aufgeschlagene Tierknochen, die als Reste von Opfermahlzeiten gedeutet werden. Behm-Blancke beobachtete in Oberdorla fünf unterschiedliche Arten der Tierknochendeponierung: a) Aufgeschlagene Tierknochen, die regellos über den ganzen Opferplatz verstreut liegen, b) Unbeschädigte, vollzählige, sorgfaltig vom Fleisch gelöste, 2u einem großen Haufen gesammelte und am Seeufer deponierte oder vergrabene Knochen von einem oder von mehreren Haustieren, meist von Rind, Schaf oder Ziege. Der oder die Schädel fanden sich auf der Knochensammlung oder waren auf einen Pfahl gesteckt worden, c) Bei umgestürzten Opferstangen niedergelegte oder mit einem Seil fest zusammengeschnürte Extremitätenknochen eines Haustieres ohne Schädel, d) Im See vergrabene oder versenkte Schädel und Extremitätenknochen eines Haustieres, die vermutlich von auf eine Stange gehängten Fellen mit Gliedmaßen und Kopf stammen, e) Isolierte Tierschädel, von denen einige ursprünglich auf Stangen steckten, andere auf den Boden gelegt oder im See versenkt wurden. Leere Ton- und Holzgefäße, Tierknochen oder einen dunklen Bodensatz enthaltende, unversehrt deponierte Gefäße konnten ebenso geborgen werden, wie über eine größere Fläche verstreute Scherben von Tongefäßen. Nach Behm-Blancke hatten Ton- und Holzgefäße verschiedene Funktionen: a) Während des Rituals wurden sie z. B. als Blut- oder Wasserbehälter benutzt, b) Sie dienten zur Zubereitung und Aufbewahrung der aus den aufgeschlagenen Markknochen gekochten Opferbrühe und der Opfermahlzeiten für die Kultgemeinde, c) Sie stellten Behälter für Teile des Opfertieres dar, die der Gottheit angeboten werden sollten. Die im Kult benutzten Gefäße wurden vermutlich zertrümmert, um sie profaner Verwendung zu entziehen. In Oberdorla, dem am längsten benutzten Heiligtum, gibt es trotz Bevölkerungsverschiebungen und kultureller Veränderung Kontinuität. In Oberdorla sollte es einmal möglich sein, den Wandel sowie die Kontinuität und die Vielfalt der Opfersitten exemplarisch zu studieren.
48
Jan Bemmann und Gíide Hahne
In dem langen schmalen, durch einen Flußlauf gebildeten Moorzug von Rislev48 auf Seeland wurden während der Ausgrabungen in den Jahren 1941 — 1944 einige Artefakte, hunderte von Tierknochen von mindestens 29 Individuen, zwei fast vollständige menschliche Skelette sowie einige weitere menschliche Knochen geborgen. Weiterhin kamen Steine, Zweige und Äste zum Vorschein, die durchweg in einer höheren Schicht als die Knochen lagen — die Funde waren mit diesen Zweigen zugedeckt. Unter den Tierknochen dominiert das Pferd, es sind 12 Individuen mit Schädel und Extremitätenknochen vertreten. Niemals war der Schädel für sich, sondern immer mit den Beinknochen und Schwanzwirbeln niedergelegt worden. Beide Geschlechter sind vertreten sowohl ältere als auch jüngere Tiere. Knochen von mindestens sieben Rindern wurden gefunden, auch hier beide Geschlechter, Kälber und ältere Tiere. Weiterhin drei Hundeskelette, zwei nahezu komplett, zwei weibliche und ein männliches Tier. Knochen von fünf Schafen konnten zwei alten, einem jüngeren und zwei Lämmern zugewiesen werden. Nur ein Schaf war mit allen Knochen vertreten, von den übrigen wurden wiederum nur Kopf und Beine niedergelegt. Hinzu kommen noch Knochen von drei Schweinen. Bei allen Tierknochen handelt es sich ganz offensichtlich um Rückstände von Mahlzeiten — ausgenommen die Hunde, die nicht verzehrt worden sind. Die Knochen von Rindern und Schweinen waren zerhackt oder gesplittert, auch die fehlenden Teile sprechen für eine Mahlzeit vor der Opferung. Die menschlichen Knochen fanden sich weit über das Ausgrabungsgebiet verstreut. Sie konnten mindestens vier Individuen zugeordnet werden: spärliche Reste eines unbestimmbaren Individuums, zwei Frauen, ein Kind. An den Knochen zeigten sich keinerlei Spuren von Gewaltanwendung. 14CDatierungen zweier Skelette ergaben Daten von 380 bzw. 225 — 335 v. Chr. Anthropologische Untersuchungen zeigten, daß es sich um in Dänemark zur Eisenzeit ungewöhnliche Typen handelt, sie sind schwerer und kräftiger als die bekannten einheimischen. Wenn hier Menschenopfer vorliegen, entstammen die Opfer wahrscheinlich nicht der einheimischen Bevölkerung 49 . Die Artefakte — ein Gefäß, weitere Scherben, ein Spinnwirtel und vier Holzobjekte — kamen im nördlichen Teil der Ausgrabungsfläche zum Vorschein. Die Funde lagen in verschiedenen Schichten, zuunterst die menschlichen Skelette. Die Ausgräber denken an eine Reihe von Deponierungen, wobei die Menschenopfer die frühesten darstellen. Für einige Funde ist gleichzeitige Niederlegung sicher, so fanden sich die Knochen eines Menschen vermischt mit denen eines Pferdes, die Artefakte lagen zusammen mit Kno48 49
Balslev-Jorgensen 1961; Ferdinand 1961. Mehl 1961; Troels-Smith 1961. Sellevold u. a. 1984, 248.
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chen eines Rindes, eines Schafes, eines Hundes und zweier Pferde. Dieser Fund datiert nach der Keramik und dem Spinnwirtel in die jüngste Kaiserzeit und beginnende Völkerwanderungszeit. Zwei weitere Rinder fanden sich in der Nähe zweier Pferde. Nach moorbotanischen Untersuchungen 50 lag der Opferplatz in einem verhältnismäßig dicht besiedelten Gebiet, das durch Viehweide und Roggenanbau landwirtschaftlich genutzt wurde. Auch die Funde sprechen für den Opferplatz einer bäuerlichen Gemeinschaft. Wie oft hier geopfert wurde, ist nicht zu sagen, da nur der Komplex mit den Artefakten datiert werden kann. Auch ist nicht feststellbar, zu welcher Opferung die Astdecke gehört, ob sie für ein früheres Opfer errichtet wurde, oder für ein späteres als eine Art Plattform, von der aus die Objekte ins Moor gesenkt wurden. Im südlichen Teil des von Höhenrücken umgebenen Vimose51 auf Fünen fanden sich beim Torfstechen immer wieder Altertümer. 1848 wurden zum erstenmal Funde in das Nationalmuseum in Kopenhagen eingeliefert. 1859 fand die erste systematische Ausgrabung unter der Leitung von Christian Frederik Herbst statt, die etwa 1400 Funde erbrachte. 1865 leitete Conrad Engelhardt eine größere Ausgrabung, wobei er etwa 3000 m 2 untersuchte, ca. 2200 Gegenstände wurden geborgen. Die Grenzen der Fundkonzentrationen wurden nicht überall erreicht. Eine kleinere Ausgrabung 1931, bei der nur einzelne Holzfragmente zutage kamen, zeigte, daß beim Torfstechen der Großteil der Gegenstände verschwunden sein muß. Eingeliefert und ausgegraben wurden Waffen, Fibeln und Schmuck, Schnallen und Gürtelzubehör, Werkzeug, Gefäße, Geräte aus Holz und Tierund Menschenknochen. Die Objekte sind vor der Niederlegung zerstört worden, einige weisen Spuren der Verbrennung auf. Vieles wurde in Bündeln niedergelegt, teilweise in Textilien eingewickelt. Die Fundtypen sprechen für zwei Opferungen von Heeresausrüstungsteilen in der älteren und beginnenden jüngeren Kaiserzeit. Während der vorrömischen Eisenzeit sind wiederholt Gefäße deponiert worden. Fraglich ist, welcher Opferung die Menschen und Tiere (Pferd, Schwein, Rind, Schaf/ Ziege) zuzurechnen sind, vielleicht gehören sie zu den Opfern der vorrömischen Eisenzeit. Auch die hölzernen landwirtschaftlichen Geräte und Gefäße aus Holz können nicht datiert werden. Das bekannteste Heiligtum in der Germania libera ist sicherlich das Thorsberger Moor in Angeln, weil die Interpretation der geborgenen Funde intensiv 50 51
Troels-Smith 1961. Engelhardt 1869; Ukjaer 1975.
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diskutiert wurde 52 . Die Untersuchung des Moores fand von 1858 bis 1861 statt, vereinzelte Nachgrabungen erfolgten bis 1895. Mehr als 1600 Objekte wurden geborgen. Eisengegenstände haben sich aufgrund der Moorsäure nur in den seltensten Fällen erhalten. Neben Heeresausrüstungsteilen (Pferdegeschirr, Waffen, Kleidung und Trachtbestandteile) fanden sich in einer tieferen Schicht im Moor etwa 200 Ton- und Holzgefaße, die zum allergrößten Teil aus der Zeit vom 1. Jh. v. Chr. bis 1. Jh. n. Chr. stammen, nur wenige datieren in das zweite vorchristliche und das zweite nachchristliche Jahrhundert. Die Zeitstellung der ebenfalls entdeckten Heuharke und der Wagenteile ist nicht bekannt. Von den Heeresausrüstungsteilen wird angenommen, daß sie von drei Deponierungen stammen: einer im zweiten Jahrhundert, einer zweiten — bestehend aus 95% der Funde — in der ersten Hälfte des 3. Jhs. und einer dritten in der ersten Hälfte des 4. Jhs. Die Ausrüstungsgegenstände wurden vor der Niederlegung gewaltsam zerstört und teilweise in Bündeln versenkt. Vom Südufer des Moores führte eine aus eingerammten Pfosten und quergelagerten Pfählen und Reisig errichteten Brücke zur Fundkonzentration im nördlichen Teil des Moores. Der Fundort liegt in einer dicht besiedelten Landschaft. Über ca. 200 bis 300 Jahre lang wurden im Thorsberger Moor Tongefäße mit unterschiedlicher Häufigkeit deponiert, bis in der Zeit vom 2. bis 4. Jh. n. Chr. zu drei Anlässen am Randes des Moores Heeresausrüstungsteile gewaltsam zerstört und anschließend nach einem bestimmten Prinzip versenkt wurden. Das Illemose53, auf Fünen bildet den nördlichen Teil eines langgestreckten Moorzuges. 1845 kam hier der berühmte Kessel von Rynkeby 54 aus der vorrömischen Eisenzeit zum Vorschein, in dessen Nähe in mehreren Jahren Speerspitzen und ein Schwert. Seit 1846 wurde in dem Moor Torf gestochen, während der folgenden Jahre fanden sich immer wieder Waffen sowie Tierund Menschenknochen, vor allem im nördlichen Teil des Illemose. Hier führte daher 1893 das Nationalmuseum Kopenhagen eine Untersuchung durch, in deren Verlauf Waffen und Geräte sowie Knochen zum Vorschein kamen. Wegen ansteigenden Grundwassers mußte die Grabung abgebrochen werden, so daß davon auszugehen ist, daß nur ein Teil des tatsächlich Vorhandenen in das Museum gelangte, zumal die Funde in tief gelegenen, ungestörten Schichten entdeckt wurden. Die Waffen sind größtenteils stark beschädigt und verbogen. Daneben fanden sich etliche Tierknochen vom Rind, Schwein, Hund und vor allem Pferd, darunter ein fast vollständiges 52 53 54
Raddatz 1957; 1970; 1987 a; 1987 b; Ilkjaex u. Lonstrup 1982; Lonstrup 1984. Neergaard 1892, 3 0 9 - 3 1 0 ; Kjœr 1901, 26ff. Petersen 1888, 3 8 - 4 0 mit Abb. 1.
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Pferdeskelett, als auch menschliche Schädel und Knochen von mindestens vier Individuen 55 . Die Waffentypen lassen an eine einmalige Niederlegung in der jüngeren Kaiserzeit denken. Die Knochen können nicht datiert werden, ihre Zugehörigkeit zu dem Waffenopfer läßt sich nicht nachweisen. In dem Kesselmoor von KragehuP6 auf Fünen kamen beim Torfstechen seit Mitte des 18. Jahrhunderts Funde zum Vorschein, darunter soll ein Wagen gewesen sein, der bei seiner Auffindung jedoch zerfiel, 1864 und 1865 führte Conrad Engelhardt an der einzigen Stelle, die noch nicht durch Torfabbau gestört worden war, Grabungen durch. Hierbei wurden etliche Objekte entdeckt. Es handelt sich um Waffen, persönliches Zubehör, einen Messerschaft mit Runeninschrift sowie einen Bronzekessel. Die Stücke sind vorsätzlich zerstört worden, einige wiesen Brandspuren auf, der Kessel war zusammengedrückt. Engelhardt beschreibt eine gewisse Eingrenzung des Platzes durch in den Boden gesteckte Speere. Obwohl die Gegenstände scheinbar ungeordnet niedergelegt worden waren, gibt es doch einzelne Deponierungen von Stücken gleicher Art, die auf gleichzeitige Opferung schließen lassen. So sind einmal 12—13 Pfeilschäfte zusammenliegend aufgefunden worden, einige Lanzenspitzen wurden zu einem Knäuel zusammengebogen, an einer begrenzten Stelle kamen etliche Schäfte von Lanzen und Speeren, darunter 30 mit Entrelac-Verzierung zutage. Bei einer weiteren Grabung Engelhardts 1870 fand sich neben weiteren Waffen ein Paar Ledersandalen. Abgesehen davon wurden abseits der Waffenfunde am Rande des Moores unverzierte Gefäße und Scherben entdeckt 57 . Mehrere Gefäße waren von Steinen umgeben und mit Tierknochen gefüllt, dabei soll es sich um Rinder-, Schafs- und Pferdeknochen handeln. Nach diesen Deponierungen von Tierknochen und Gefäßen der vorrömischen Eisenzeit und älteren römischen Kaiserzeit, sind — offenbar an anderer Stelle — im Moor von Kragehul wiederholt Waffen geopfert worden. Fundumstände und Waffentypen sprechen für vier Niederlegungen, drei im Laufe der jüngeren Kaiserzeit und eine etwa in der Mitte des 5. Jhs. Seit 1901 kamen im 28 000 m 2 großen Skedemosse58 auf Öland während derFeldarbeiten immer wieder Funde zum Vorschein; erste kleine Suchschnitte wurden bereits 1928 und 1930 angelegt. Im Jahre 1959 begann Ulf Erik Hagberg mit Ausgrabungen, die er bis 1964 fortführte. Gefunden wurden 55 56 57 58
Sellevold u. a. 1984, 67. Engelhardt 1867. Becker 1970, 1 4 4 - 1 4 6 . Hagberg 1967; Boessneck u. a. 1968; Beskow-Sjöberg 1977; Ilkjaer 1984, 8 8 - 9 0 .
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Reste von Waffen, Schwertscheidenbeschläge, Gürtelschnallen und -beschläge, Reitzeug, Werkzeug, Tier- und Menschenknochen, Goldarmringe. Fibeln und Keramik fehlen. Der Platz lag im Uferbereich eines Sees, der später verlandete. Seit 1680 wird das Moor kultiviert, es ist also leicht vorstellbar, daß vieles verlorengegangen ist. Dazu kommen die insbesondere für Eisen schlechten Erhaltungsbedingungen im sauren Moor. Die Gegenstände wurden vor der Opferung vorsätzlich zerstört und teilweise verbrannt. Nach der Lage im Moor zu schließen, fand vor der Niederlegung eine gewisse Sortierung statt. So fanden sich Waffen in Bündeln, Zaumzeugketten, Feuerschlagsteine, Gürtelteile oder die goldenen Armringe in gesonderten Anhäufungen. Die Stücke sind sowohl vom Ufer als auch vom Boot aus versenkt worden. Die Geschlossenheit mancher Fundgruppen läßt auf mehrere große Niederlegungen schließen, die nach den Fundtypen im 3. Jh., Ende des 4. Jhs. sowie zweimal im 5. Jh. stattfanden. Eine große Menge von Tierknochen ließ erkennen, daß vor allem Pferde und Rinder geopfert worden sind, weiterhin Schaf/Ziege und Schwein. Außerdem sind in geringer Anzahl Hund und diverses Wild vertreten. Oft lagen die Knochen durcheinander; gespaltene Röhrenknochen sprechen für Mahlzeitreste. Insbesondere bei den Pferden konnten Ansammlungen von Schädel und Extremitätenknochen beobachtet werden. Nur wenige 14C-Daten liegen vor, danach sind die Tierknochen in der Zeit vom 5. Jh. v. Chr. bis 190 + 70 n. Chr. deponiert worden. Die Menschenknochen stammen von mindestens 50 Individuen, es sind sowohl Männer als auch Frauen, sowohl junge als auch alte Menschen vertreten. Nur eine 14C-Datierung liegt vor; 530 + 65 n. Chr. Damit könnte ein Zusammenhang mit dem jüngsten Waffenopfer gegeben sein. Die übrigen Menschenknochen sind nicht zu datieren, so daß im Einzelfall nicht zu entscheiden ist, ob sie zu einem der Waffenopfer gehören, oder als einzelne Menschenopfer zu verstehen sind. Im Skedemosse, das sich im Zentrum einer ausgedehnten Siedlungslandschaft befindet, wurden offenbar in der vorrömischen Eisenzeit und älteren Kaiserzeit Tiere geopfert, eventuell auch Menschen. Ab dem 3. Jh. n. Chr. bis gegen Ende des 5. Jh. erfolgten mehrmals Heeresausrüstungsdeponierungen, wobei die letzte auch Menschenopfer umfaßt haben kann. Nicht beantwortet werden kann die Frage, wie lange Tiere und ab wann Menschen geopfert worden sind. Von 1955 bis 1964 konnte Orsnes die Deponierungen im Moor von Ejsbel59 in Nordschleswig vollständig freilegen. In den zur Zeit der Opferhandlungen 59
0rsnes 1984; 1986; 1988.
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offenen See gelangten nach 0rsnes in der Zeit um 300 n. Chr. die Ausrüstungsteile eines Heeres von ca. 200 Kriegern, von denen 60 Schwert und Gürtel trugen und neun beritten waren. Um 400 n. Chr. erfolgte eine kleinere Opferung von Teilen einer Heeresausrüstung, darunter drei prachtvolle Schwerter mit Beschlägen und Schnallen sowie Teile eines Bootes. Die Gegenstände der beiden Niederlegungen wurden gewaltsam zerstört, verbogen, zerschlagen, teilweise verbrannt und anschließend an verschiedenen Stellen zusammen mit Steinen in den See hinausgeworfen. Das Ufer war in Höhe der beiden voneinander getrennt liegenden Deponierungen mit Holzpfosten befestigt. Zu den Opferungen gehören auch Knochen und Keramik, die aber nicht im gleichen Moment wie die eigentlichen Opfergaben in den See geworfen wurden, sondern vermutlich Speise und Trank enthielten, die die Opfernden während der langwierigen Opferhandlungen zu sich nahmen. Die Tierknochen sollen Mahlzeitreste eines Kultfestes darstellen. Ein 78 cm hohes menschenförmig zurechtgehauenes Holzstück lag am Ufer in Höhe der nördlichen Niederlegung. Unmittelbar südlich der jüngeren Deponierung fand sich ein 120 cm hohes S-förmiges Holzstück, dessen eines Ende tierkopfförmig gestaltet war und unmittelbar in der Nähe kam ein vier Meter langes, stark verwittertes, gegabeltes Ast- oder Stammstück mit zerschlagener Keramik zutage, an dem keine Bearbeitungsspuren mehr festgestellt werden konnten. Älter als die beiden Deponierungen sind eine Pflugschar, ein Gefäß aus der vorrömischen Eisenzeit (Per. II) und einige Tierknochen, jünger sind zwei Gefäße aus dem 11. Jh. sowie weitere Tierknochen. Seit 1842 fanden Torfstecher im Kesselmoor von Hedelisker60 in Mitteljütland vor allem Waffen. 1886 kamen bei einer ersten Ausgrabung mit Tau umwikkelte Steine und Scherben zum Vorschein. Wichtigste Entdeckung war ein zwei Meter breiter Brandplatz von ca. 2 cm Stärke, auf dem zwischen Holzkohle verbrannte Schaf- und Menschenknochen, Bruchstücke von mindestens drei Gefäßen und zwei Messern entdeckt wurden. Weitere in der Nähe des Platzes gefundene Tierknochen stammen vom Pferd, Schwein und Schaf, dazu kommen vier beieinander liegende Hundeskelette. Eine weitere Grabung folgte 1902, nachdem 1892 ein Holzbogen, ein Gladius und ein Bronzesieb entdeckt worden waren. Die Nachuntersuchung ergab nur einige Gefaßscherben und mehrere zugespitzte Pfahle, aber auch die Erkenntnis, daß die Stücke auf der Gyttjaschicht unter den Torfschichten lagen. Auch eine Nachgrabung von 1976 erbrachte keine weiteren Funde. Die bekannten Waffen und Trachtbestandteile sind seit 1842 ins Museum eingeliefert und nicht im Rahmen einer Untersuchung entdeckt worden. Die 60
Boye 1860, 5 7 - 6 1 ; Müller 1907, 1 2 1 - 1 2 7 .
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Gegenstände sind vor der Deponierung vorsätzlich zerstört worden, in das Sieb wurde ein unbearbeiteter Stein gedrückt, der Griff des Siebes um den Stein herumgebogen. An zwei voneinander getrennten Anlagen wurde im Moor von Hedelisker geopfert. Die Datierung des Brandplatzes und der Tierknochen ist unbekannt. Gladius und Sieb datieren in den Beginn der römischen Kaiserzeit, die Waffen wurden offenbar bei zwei Gelegenheiten während der jüngeren Kaiserzeit deponiert. Im 5. Jh. gelangte eine kreuzförmige Fibel in das Moor. In einer hügeligen Landschaft Schonens mit vielen kleinen Mooren liegt die kesseiförmige Senke von Hassle-Bösarp, in der seit Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder vorgeschichtliche Objekte beim Torfgraben gefunden worden waren 61 . Aus Hassle-Bösarp oder einem Moor der Umgebung sollen auch stein- und bronzezeitliche Gegenstände zum Vorschein gekommen sein. 1962 erfolgte unter der Leitung von Berta Stjernquist eine Probeuntersuchung, die auch die Abhänge rund um das Moor erfaßte. In einer Tiefe von 180 bis 200 cm zeigte sich eine deutliche Fundschicht, darüber hinaus verstreute Funde in verschiedenen Schichten. Neben Waffen, Gürtelteilen, Sattelbeschlägen und Gefäßen fanden sich Knochen von Menschen, Pferden (Mindestindividuenzahl 4), Hunden (MIZ 3), Rindern (MIZ 5), Schafen (MIZ 4), Schweinen (MIZ 3), einem Huhn und einer Katze, bearbeitete Äste und Steine sowie eine Reuse. Mehrere Stücke weisen Anzeichen vorsätzlicher Zerstörung auf. Insgesamt ist das Fundmaterial gering, die Flächen der Grabungen begrenzt, so daß spezielle Angaben zur Niederlegung nicht möglich sind. Mit Hilfe von w C-Untersuchungen, Pollenanalyse und archäologischer Datierung wurde versucht, den oder die Zeitpunkte der Niederlegungen zu ermitteln. Die 14 C-Untersuchung an einem bearbeiteten Holzstück aus 125 cm Tiefe ergab ein Datum von 1005 n. Chr. Durch die Pollenanalyse konnten in Tiefen von 200 bis 170 cm zwei Leithorizonte festgelegt werden, die in die Zeit von 200 n. Chr. und 650 n. Chr. zu datieren sind. Zwischen beiden Horizonten lagen die Fundschichten. Durch archäologische Datierung gelang es schließlich, diesen kaiserzeitlich-völkerwanderungszeitlichen Komplex in zwei Niederlegungen zu trennen. Eine ist der späten Kaiserzeit zuzuweisen, eine weitere der Völkerwanderungszeit. Die Reuse datiert in die Steinzeit. Die menschlichen Knochen stammen von zwei Individuen, einem zehnjährigen Mädchen und einem unbestimmbaren Individuum von ca. 25 Jahren. Diese Knochen wurden größtenteils in höheren Schichten als die Metall- und Holzobjekte gefunden, ihre Zugehörigkeit zu den Waffenopfern ist nicht gesichert, aber möglich, zumal beim Torfstechen menschliche Rippen 61
Stjernquist 1973.
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mit einer dazwischensteckenden kaiserzeitlichen Speerspitze gefunden worden waren 62 . Die Pferde sind hier offenbar als Ganzes geopfert und nicht verzehrt worden, die übrigen Tiere sind wohl teilweise lebend in den See getrieben —, teilweise geschlachtet und während der Opferhandlungen verspeist worden. Im Zusammenhang mit den Grabungen im Moor erfolgte auch eine Untersuchung der Umgebung. Nördlich des Moores wurde dabei auf einer Anhöhe ein großes eisenzeitliches Gräberfeld entdeckt, Tonscherben weisen in die Völkerwanderungszeit. Nordwestlich von Skanderborg in Ostjiitland liegt das Tal der Illerup A 63 (Abb. 6). Nachdem 1950 bei Drainagearbeiten in einem von mehreren verlandeten Seen in diesem Tal vorgeschichtliche Objekte gefunden wurden, begann Harald Andersen vom Museum Moesgârd mit Ausgrabungen, die bis 1956 andauerten. Er untersuchte rund 750 m2, die etwa 1250 Funde erbrachten. Die Grenzen dieser Fundkonzentrationen wurden nicht erreicht. Daher
Abb. 6. Heiligtümer im Tal der Illerup  , A m t Skanderborg. 1 Vaedebro; 2 Foerlev Nymolle; 3 Illerup Adal. Nach verschiedenen Autoren
62
Stjernquist 1973, 45.
63
Andersen 1951; 1956; Ilkjser und Lonstrup 1983; Ilkjœr 1984; 1990.
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nahmen J0rgen Ilkjaer und Jörn Lonstrup 1975 erneut die Grabungen im Illerup Âdal auf, die seitdem jährlich stattfanden. Bis 1985 hatten sie auf 40 000 m 2 mehr als 15 000 Fundstücke geborgen. Noch immer ist aber der Plat2 in seiner gesamten Ausdehnung nicht erfaßt, Magnetometeruntersuchungen ergaben, daß die Objekte in einem Gebiet von ca. 80 000 m 2 verteilt liegen. Gefunden wurden Waffen, persönliche Ausrüstungsteile von Kriegern, Pferde und Reitausrüstung sowie Werkzeuge. Leder und Textilien konnten sich in dem stark basischen Moor nicht erhalten. Bereits Andersen hatte nach seinen Ausgrabungen auf mehrere Deponierungen geschlossen, seine damaligen Ergebnisse sind durch die neuen Ausgrabungen bestätigt worden. Nach Waffentypen, nach der Verteilung zusammengehöriger Bruchstücke diverser Artefakte im ehemaligen See und nach geschlossen niedergelegten Fundgattungen konnten zwei Areale unterschieden werden, die von den Ausgräbern mit Platz 2 [neuerdings Dep. A + B] und Platz 1 [neuerdings Dep. C] bezeichnet werden 64 . Platz 2 erstreckt sich über den gesamten ergrabenen Bereich und umfaßt mehr als 10 000 Stücke. Dies sind Waffen, persönliches Zubehör, Pferde und Pferdegeschirr, Werkzeug und einzelne Knochen eines Rindes. Wie in Vimose und Thorsberg sind auch hier Gegenstände mit Runeninschrift zutage gekommen. Die Objekte sind vor der Niederlegung gewaltsam zerstört und sortiert worden. Es fanden sich Anhäufungen von persönlicher Ausrüstung, von Teilen des Pferdegeschirres, von Waffen oder auch von Edelmetallgegenständen und Münzen. Nach der Lage der Funde im ehemaligen See ließ sich erschließen, daß ein Teil der Stücke vom Ufer aus in den See hinausgeworfen, andere vom Boot aus versenkt worden sind. Ilkjaer und Lonstrup gehen nach Uberprüfung der Fundtypen davon aus, daß Platz 2 sich aus zwei aufeinanderfolgenden Opferhandlungen [A + B] in der Zeit um 200 n. Chr. zusammensetzt. Platz 1 [Dep. C] umfaßt ein relativ kleines Gebiet in Ufernähe, dieser Platz ist offenbar vollständig erfaßt worden. Er erbrachte nur ein paar hundert Objekte. Die Stücke sind vor der Deponierung verbrannt worden. Holz hat sich daher nicht erhalten. Edelmetall ist zerschmolzen. Nach ihrer Lage zu urteilen, wurden alle Gegenstände vom Ufer aus in den See geworfen. Auffallend ist, daß vor allem Waffen gefunden wurden, persönliche Ausrüstungsteile der Krieger nur selten. Ebenso wären nach der Zahl der gefundenen Schwerter mehr Scheidenbeschläge zu erwarten. Feuerschlagsteine fehlen fast völlig. Nicht auszuschließen ist, daß diese fehlenden Teile einer Heeresausrüstung an einer anderen, bislang nicht erfaßten Stelle im Moor 64
Ilkjaer 1990, 25 f.
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deponiert worden sind. Die vorhandenen Fundtypen lassen auf eine Niederlegung in der Zeit um 400 n. Chr. schließen. 1983 fanden sich etwas entfernt von den Funden von Platz 2 Waffen und ein Messer, insgesamt sechs Teile, die in die Zeit um 500 n. Chr. datiert werden [Dep. D] 65 . Der Messerschaft ist entrelacornamentiert wie Speer- und Lanzenschäfte aus Kragehul und Nydam. Im Tal der Illerup  ist um 200 n. Chr. zweimal die vollständige Ausrüstung eines Heeres geopfert worden, vor der Deponierung wurden die Gegenstände zerstört. Nach einer gewissen Sortierung wurden sie teils vom Ufer, teils vom Boot aus im See versenkt. Um 400 n. Chr. fand erneut eine Opferung von Heeresausrüstung statt. Vor der Niederlegung wurden die Gegenstände verbrannt und dann vom Ufer aus in den See geworfen. Persönliche Ausrüstungsteile fehlen fast völlig. Auf einem relativ kleinen Gebiet wurde ein Bruchteil dessen, was Platz 2 erbrachte, deponiert. Um 500 n. Chr. erfolgte wiederum eine Niederlegung von Waffen. An der Stelle, wo die Illerup A in den Moss0 mündet, wurden in einem Moor seit 1945 bei mehreren Gelegenheiten an verschiedenen Stellen (Illerup mose, Vgedebro und Vsedebro Nord) 66 vorwiegend Menschenknochen angetroffen. Im Illerup mose kamen 1945 beim Torfstechen in ca. 1 m Tiefe bearbeitete Holzgegenstände, eine Wagenachse, ein Bronzering sowie Tierund Menschenknochen von mindestens drei Individuen, einem maturen Mann und zwei unbestimmbaren, zum Vorschein. Ein 14C-Datum (75 v. Chr.) setzt den Fund in die jüngere vorrömische Eisenzeit. An der von Harald Andersen 1957 — 58 untersuchten Fundstelle Vœdebro lagen in 1,5 m Tiefe Menschenknochen, einige Tierknochen, Tongefäße der älteren Kaiserzeit, Waffen, darunter ein bemalter Holzschild, Holzteile und Holzpfähle. Die Menschenknochen gehören zu einer Gruppe von 25 bis 30 Männern (mindestens 26 Individuen), darunter vier Juvenile, die einen gewaltsamen Tod fanden und vielleicht sofort oder erst Jahre später ins Moor gelangten. Es waren große robuste Männer und einige von ihnen hatten Narben von schweren Verletzungen aus überlebten Kämpfen. Zwei 14C-Daten (85 n. Chr., 20 v. Chr.) machen ihre Deponierung im gleichen Zeitraum wie die Gefäße wahrscheinlich. Nicht weit entfernt traf Andersen in Vadebro Nord über eine Fläche verteilt Menschenknochen an, die von wenigstens sechs Individuen, darunter zwei unbestimmbare, drei Männer, und ein großes Kind, stammen. Nach den 65 66
Ilkjœr 1984, 86. Andersen 1957; 1959; Christensen 1967; Sellevold u. a. 1984, 67; 139; 2 4 5 - 2 4 8 ; Schovsbo 1987, 233.
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beiden 14C-Daten (60 n. Chr., 70 n. Chr.) zu schliessen, gelangten sie in dem gleichen Zeitraum wie die anderen Skelette in das Moor. In nur vier bis fünf Kilometern Entfernung von dem berühmten Waffenopferplatz in Illerup Àdal liegt dieser hochinteressante Fundplatz, der allem Anschein nach in den beiden Jahrhunderten um Christi Geburt benutzt wurde. Da die archäologische Publikation der Funde noch aussteht, entzieht er sich vorläufig einer umfassenden Deutung. Nachdem schon beim Torfstechen während des Krieges in Foerlev Nymelle67 Tongefäße und Holzgegenstände entdeckt worden waren, untersuchte Harald Andersen im Sommer 1960 die Fundstelle. In einem kleinen Probeschnitt deckte er vier Fundkonzentrationen auf. Eine bestand aus einem Steinhaufen, unter dem sich ein 3 m hoher, als Frauenfigur gedeuteter, gegabelter Baumstamm befand. Auf diesem Steinhaufen lagen zwei Flachsbündel und Tongefäßscherben. Die anderen Fundstellen bestanden aus zerbrochenen Tongefäßen und vielen meistens gespaltenen Knochen vom Rind, Ziege/Schaf, Pferd, Hund und Hase sowie ein Schulterblatt eines Menschen mit Spuren von Gewalteinwirkung. Außerdem fanden sich fünf skiförmige Holzstücke unbekannter Funktion und eine 50 cm lange Holzkeule. Die Gefäße gehören der vorrömischen Eisenzeit an, die des vierten Platzes sind eindeutig jünger als die anderen. Der Ausgräber nimmt an, daß jeder Platz aus einer einzelnen oder einigen wenigen Opferungen besteht. Zur Zeit der Niederlegungen soll das Moor ein offenes Gewässer gewesen sein, auch der Steinhaufen befand sich vermutlich im Wasser. Augenscheinlich wurde hier ein Ausschnitt eines bedeutenden, über einen längeren Zeitraum benutzten, Opferplatzes untersucht. Auffällig ist seine Nähe zum Waffenopferplatz von Illerup und den Menschenfunden von Vaedebro (Abb. 6). Diese Konzentration von heiligen Stätten an der Illerup A läßt vermuten, daß der Fluß als Ganzes oder das ganze Tal für heilig gehalten wurde. Bei Oster-Sottrup auf der Sundeved-Halbinsel in Südjütland fanden in einem vermoorten, zur Zeit der Deponierungen offenen See, dem Njdamer Moor, von 1859 bis 1863 Ausgrabungen unter der Leitung von Conrad Engelhardt statt68. Die Ausgrabungen wurden 1984 wieder aufgenommen und werden seit 1989 jährlich fortgeführt. Zutage kamen ca. 2500 gewaltsam zerstörte, verbogene, zerschlagene durch Hiebe unbrauchbar gemachte Ausrüstungsgegenstände eines Heeres (Waffen, Reitzeug, Geräte und Trachtbestandteile), 67 68
Andersen 1961; Becker 1970, 162 f. Engelhardt 1865; Kjœr 1902; Hahne u. Bemmann 1988; Petersen 1987; 1989; 1991.
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zu denen auch Pferde und drei Boote gehören. Nach dem derzeitigen Forschungsstand lassen sich in Nydam vier Opferungen von Heeresausrüstungsteilen nachweisen: eine im 3. Jh. n. Chr., eine zweite in der ersten Hälfte des 4. Jhs. n. Chr., eine dritte vermutlich um 400 n. Chr., zu der auch die drei Boote zählen, und eine vierte, bestehend aus dem Nydam-II- und dem NydamIII-Fund sowie weiteren 1989 und 1990 geborgenen Objekten, in den ersten Dritteln des 5. Jhs. n. Chr. Die Gegenstände wurden zum Teil in Bündeln deponiert, einzeln in den See geworfen oder im Uferbereich in den sumpfigen Grund gesteckt. Vermutlich gleichzeitig mit den Altertümern gelangten Steine in den See. Besondere Einrichtungen des Platzes wie Uferbefestigungen oder Einhegungen wurden bisher nicht entdeckt, was mit einer fehlenden Untersuchung des Moorrandbereiches zusammenhängen könnte. Die Übersicht über Heiligtümer soll nicht abgeschlossen werden, ohne ein Monument vorzustellen, das vom Ausgräber und Bearbeiter als Kultplatz gedeutet wird: die Archsumburg auf Sylt 69 . Das von 1972 bis 1978 zur Hälfte untersuchte, aus Sodenpackungen auf bisher ungenutztem, verheidetem Boden errichtete, kreisrunde Erdwerk mit einem äußeren Durchmesser von 80 m weist mehrere Bauphasen auf, jedoch blieb die wiederholt erweiterte Ringmauer für Verteidigungszwecke völlig ungeeignet. Die mehrphasige Innenbebauung weicht deutlich vom bisher bekannten Bild aus Siedlungen ab. Eine erste Phase besteht aus radial am Wall angeordneten 4 —5 m langen, 3 m breiten, meist zweischiffigen in Leichtbauweise errichteten Flechtwandhütten, die mehrfach erneuert wurden, eine kleine, vermutlich nie benutzte Herdstelle besaßen und unter den bekannten klimatischen Verhältnissen kaum als Wohnung oder häufig genutzter Arbeitsplatz geeignet sind. Der normalerweise in Siedlungen zu erwartende Abfall war nicht vorhanden, entweder wurde er erst gar nicht produziert oder sorgfältig beseitigt. Es gibt keine Indizien für einen längeren Aufenthalt oder gar wirtschaftliche Tätigkeit in den Hütten. In einer zweiten Phase, in der die Mauer zum ersten Mal verstärkt wurde, errichtete man ähnliche Hütten aber mit Wänden aus Sandsoden und größeren Herdstellen. Die letzte Phase weist keine Innenbebauung mehr auf, sondern lediglich drei Schächte und 18 sogenannte Steingruben. Die drei in der Aufsicht rundlichen, bis zu 2,4 m tiefen Schächte besaßen keine stützenden Einbauten, enthielten weder Keramik noch Knochen und wurden bei oder kurz nach Abschluß der Schachtanlage zum Teil verfüllt. Eine Funktion als Brunnen ist schon allein aufgrund der Schachtform auszuschließen. Zwei Schächte sind durch Dächer aus Holzknüppeln abgedeckt, ein dritter durch eine mehrschichtige Findlingspackung. 69
Harck 1984, 3 4 7 - 3 4 8 ; 1990.
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In der Mitte einer der Schächte mit Holzdach stand der Rest eines senkrechten Pfahles von 30 cm Durchmesser. Die 18 Gruben mit Steinen wurden nach Harck anscheinend jeweils in einem Zug ausgehoben, mit faust- bis kopfgroßen Gerollen gefüllt und verdeckt. Auch hier ist eine Brunnenfunktion auszuschließen. Die Anlage besitzt im Norden einen ein Meter breiten mehrmals umgebauten Durchgang, dessen Seiten durch Holz, Soden oder Steine abgestützt und der schließlich von einem megalithischen Kriechgang abgelöst wurde. Der Durchgang weicht um 7° von der auf den geographischen Nordpol ausgerichteten geographischen Achse durch den Mittelpunkt des Erdwerkes ab. Der Kriechgang wurde anscheinend kurz nach seiner Errichtung schon wieder verfüllt. Das für einen normalen Zugang untaugliche Tor und der Kriechgang weisen keine Nutzungsspuren auf. Das Fundmaterial besteht fast ausschließlich aus Tongefäßen (Vorratsbehältern und Kleingefaßen); bearbeitete Knochen und Hölzer, Metallteile sowie Steingeräte sind Ausnahmen, Gerätschaften des Haus- oder Handwerkes und der Landwirtschaft fehlen, auch Tierknochen kommen nur äußerst selten vor. Im Zentrum der Anlage fehlt jegliche Bebauung, eine Siedlungsschicht ist nicht vorhanden. Die Archsumburg wurde nur während weniger Jahrzehnte in der Mitte oder zweiten Hälfte des 1. Jhs. n. Chr. genutzt. Harck sieht in der Archsumburg eine abgegrenzte Anlage, innerhalb der während der älteren Phase in „Pseudobauten" Opfer mit Gefäßen in unterschiedlicher Größe und Funktion aufbewahrt und später Trankopfer in überdachten Schächten und steingefüllten Gruben dargebracht wurden. Die kurze Benutzungsdauer ist besonders merkwürdig, da die dazugehörige Siedlung weiterbestand, wenn auch in die Zeit der Burgbenutzung der Wechsel von den über den ganzen Geestkern verstreuten Mehrbetriebssiedlungen der älteren Kaiserzeit zu den an Zahl geringeren Großgehöften der jüngeren Kaiserzeit stattfand. Das Erdwerk wurde aufgelassen, als die Großgehöfte entstanden. Der Archsumburg stellt Harck die Anlage in Traïlbanken, Südwestjütland, und die Tinnumburg auf Sylt zur Seite.
3. Zusammenfassende Auswertung Zusammenfassend ergibt sich (Abb. 7), daß hauptsächlich Menschen, Tiere und Gefäße geopfert wurden, sehr oft sind die deponierten Knochen und Scherben im Zusammenhang mit den Opferhandlungen (Mahlzeiten) zu sehen. Neben Heeresausrüstungsteilen wurden in den Heiligtümern vor allem Geräte geopfert, ferner einzelne Waffen, Schmuck und Trachtzubehör, Wagen
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