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German Pages 877 [876] Year 1899
ALLGEMEINE
RELIGIONSGESCHICHTE
VON
C O N R A D
T O N
O R E L L I
DR. PHLI.. ET TI1EOL., ORD. PROF. DER THEOL. IN BASEL.
Bonn A.
M a r c u s & E. W e b e r ' s 1899.
Verlag.
ÜlM'.i'setziuig'sreclit vorbehalten.
Seinem lieben Freunde, dem
GRAFEN
WOLF
BAUDISSIN
Dr. phil. et theol. und ord. Prof. der Theol. in Marburg i. H.
in Erinnerung an nnvcrgcsslichc, gemeinsam verlebte Studienjahre gewidmet vom
Verfasser.
Vorwort. Die
Bestimmung
soll
den A n f ä n g e r ,
der
Allgemeinen
während
ich ist
dieses
mir
mich, zur
den
Anfänger
der A n r e g u n g
Herausgabe
am
des
eines
ist
jungen
Fach
häufig
H a n d b u c h geäussert w o r d e n ; biet f ü r
Buches
den
Religionsgesehichte
welcher
behandelt habe,
dieses
vorab
eine
bescheidene.
Theologen,
einführen. in
Seit
akademischen
der Wunsch
22
Jahren,
Vorlesungen
nach einem
solchen
auch heute noch ist auf diesem wenigsten
gesorgt.
Daher
habe
Herrn P r o f . Dr. L e m m e F o l g e
Lehrbuches
verstanden,
Es
in das Gebiet
welches
Geich
leistend, das
zur
heutigen theologischen Bildung unentbehrlichste Material enthalten soll,
nicht ohne
auf die v o m Standpunkte christlicher
Erkenntnis
sich zu dessen Beurteilung darbietenden Gesichtspunkte hinzuweisen. Dass ich bei
der Auswahl
b a l d überreichen Gegenstände
Zahl
der aufzuführenden Litteratur
aus der
der Bearbeitungen einzelner Partieen
die dem T h e o l o g e n
z u g ä n g l i c h e r e n Schriften
und
bevor-
z u g t e , r e c h t f e r t i g t sich aus dem angegebenen Z w e c k e des Ganzen. A b e r auch Nichttheologen innerhall) und ausserhalb des Lehrstandes empfinden heutzutage das Bedürfnis die ausscrbiblischen Religionen, legenheit hatte.
nach einer Orientierung
w i e ich
öfter wahrzunehmen
über Ge-
Ich hoffe, die v o r l i e g e n d e Darstellung w i r d auch
ihnen einigermassen dienlich sein können.
Es w a r mein Bemühen,
g e m e i n v e r s t ä n d l i c h zu sein und mit V e r m e i d u n g eines e r d r ü c k e n d e n gelehrten A p p a r a t s doch denen, w e l c h e weitere Belehrung d a f ü r W e g l e i t u n g zu geben.
suchen,
Sachlich w a r ich bestrebt, die V ö l k e r -
religionen nicht zu idealisieren,
ihre Schranken
und F e h l e r
nicht
zu v e r w i s c h e n , aber ebenso auch das dank dem Xoyog aneg/uaTixog über
die
heidnische Menschheit
verstreute,
L i c h t zur Geltung zu bringen. — D i e ich im L a u f e der Jahre Belehrungen
Zahl
aus
nur summarisch abstatten kann. Herrn
fertigung
Pfarrer
Kappcler
des Registers
stammende
der F r e u n d e ,
über den einen und
P u n k t v e r d a n k e , ist eine so grosse, dass ich des
Gott
meinen
welchen andern
Dank dafür
H i n g e g e n sei noch das V e r d i e n s t
in Neunforn ( T h u r g a u ) um
hervorgehoben,
welches
die An-
den Lesern
kommen sein w i r d . Basel,
10. Juni
1899.
Der Verfasser.
will-
Inhaltsübersicht. Einleitung.
Seite
1. 2. 3. 4. 5.
Die Religion im allgemeinen Allgemeine Religionsgeschichte Religion und Kultur Die Einteilung der Religionen Verhältnis der allgemeinen Religionsgeschichte Theologie G. Geschichte der Disziplin
A. Turanische
1 5 13 zur
christl. 19 21
Gruppe.
I. Religion der Chinesen. Kinleitung 1. Die altchinesische Reichsreligion 2. Lao-tse 3. Kong-tse's Leben und Lehre; 4. Spätere Meister f>. Kntwicklung der chinesischen Volksreligion bis auf Gegenwart
28 43 56 62 72 die 80
II. Religionen der Übrigen turanisclien Völker
87
1. Di« mongolisch-tatarischen Religionen 2. Die Finnische Religion 3. Die Japanische Religion
87 97 102
B. Hamitische Familie. Religion der alten Ägypter. Einleitung 1. Selbstdarstellung der Gottheit in der sichtbaren Natur 2. Die vornehmsten Götter der alten Ägypter 3. Historisch-theologische Kritik der ä g y p t . Götterlehre . 4. Leben nach dem Tode. T o t e n k u l t u s
. .
107 130 138 150 156
C. Semitische Familie. I. Religion der Babylonier und Assyrer. Einleitung 1. Götter der Babylonier u n d Assyrer 2. Magie u n d Mantik 3. Sittlichkeit, Frömmigkeit, Kultus 4. Kosmologie u n d mythologische E p e n 5. D e r Zustand nach dem T o d e
164 180 195 205 214 223
Inhaltsübersicht.
IX
II. Iteli gion «ler Phönizier, Kaiiaaniter, Karthager. Einleitung 1. Vorstellungen von der Gottheit 2. Kultus und Frömmigkeit III. Religio» der Aramäer, Ammonitcr, Araber
Seite 227 231 243
Moabiter,
Edomiter, 250
IV. Israel und die Semiten V. Das Christentum VI. Der Maiiichäismus VII. Die mandälsclie Religion VIII. Der Islam. Einleitung 1. Religion der vorislamisehen A r a b e r 2. Muhanniied, sein Leiten und persönlicher Charakter 3. Der Koran 4. Lehre, und Kultus im Islam 5. Ausbreitung und Spaltungen im Islam
2G0 277 279 291
.
.
302 304 323 353 357 374
D. Indogermanische Familie. Einleitung
391
I. Indische Religionen. Einleitung 394 1. Die Religion der vedischen Zeit a) Die, vedischen Götter 402 b) Das Verhältnis der Menschen zu den vedischen Göttern 418 2. Der ältere Brahmanismus 424 a) Die Theologie, des Brahmanismus 420 b) Religiöses Leben im Brahmanisuvus 434 c) Soziales Leben im Brahmanismus , 442 3. Der Buddhismus. a) Leben u n d Wirken des Buddha 448 b) G r u n d z ü g e der L e h r e des Buddha 460 e) Weitere Ausgestaltung der L e h r e u n d des Gemeindelebens 407 a) Dharrna 468 ß) Vinaja 473 d) Spätere Entwicklung u n d A u s b r e i t u n g des Buddhismus 479 e) Buddhismus u n d Christentum 488 4. Der Dschainismus 493 5. Der Hinduismus. a) Allgemeine, Charakteristik 499 b) Die drei H a u p t g ö t t e r und die Religionen des Hinduismus 502 c) Religiöse Sitten u n d Gebräuche des Hinduismus . . 512 d) Die Sikhs . 515 e) Der Brahina-Samadsch 523
X
Inhaltsübersicht.
II. Die p a n i s c h e Religion. Einleitung' 1. A h u r a m a z d a u n d A n g r a m a i n j u 2. Der Katnpf zwischen A h u r a m a z d a u n d A n g r a m a i n j u . . 3. Kultus und Frömmigkeit 4. Theologische Kritik des Parsismus 5. Sekten und Ausläufer der parsischen Religion . . . . III. Die hellenische Religion. Einleitung 1. Die historische Entwicklung der griechischen Religion. a) Vorhomerisehe Zeit l>) Homerische Zeit ei Die llesiodische Dichtung d) Blütezeit des hellenischen Volkstums e) Hellenistische Zeit 2. Die hellenische Gölterwelt 3. Heroen, Theogoni, Schicksal, Unterwelt 4. Kultus, Frömmigkeit, Sitte IV. Die römische Religion. Einleitung 1. Die historische Entwicklung der römischen Religion. a) Die Zeit der ländlichen Gottheiten b) Die erste Zeit des römischen Gemeinwesens . . . . c) Von den T a n i u i n i e r n Iiis zum zweiten ¡»mischen Kriege d) Vom zweiten punischen Kriege bis zum E n d e der Republik e) Unter dem Kaisertum 2. Die Götter u n d Genien der Römer 3. Kultus u n d Sitte V. Die Religion der Kelten VI. Die Religion der Oermanen. 1. Die alte Religion Gerinaniens. Einleitung a) Götter u n d Geister der alten G e r m a n e n b) Kultus u n d Brauch 2. Die nordische Religion. V o r b e m e r k u n g ü b e r das nordische Schrifttum . . . . a) Die nordischen Götter b) Die nordische W e l t a n s c h a u u n g c) Moderne Kritik der nordischen Mythologie d) Kultus u n d Brauch bei den nordischen G e r m a n e n VII. Religion der Slavcn E. Afrikanische Gruppe. Einleitung: Die N e g e r A f r i k a ' s 1. Die Vorstellung des Himmelsgottes 2. Geisterg-laiiben u n d Fetischismus bei den nördl. Negervölkern 3. Kultus u n d religiöser Brauch
Scitc
526 53S 547 55H 559 562 567 577 581 587 588 502 59.') BIG 027 639 G45 G47 649 652 656 661 G74 693
697 701 707 711 713 720 724 727 730 738 745 752 759
Inhaltsübersicht. F. Amerikanische Gruppe.
XI Seite
I. Die wilden Indianer. Einleitung'
770
Die Religion der wilden Indianer
775
II. Die Mexikaner. Einleitung
783
Die Religion der Mexikaner
785
III. Die Peruaner. Einleitung Die Religion der P e r u a n e r
801 803
G. Ozeanische Gruppe. Einleitung 1. Die Australier u n d T a s m a n i e r 2. Die Melanesier 3. Die Mikronesier 4. Die Polynesier
814 815 818 821 823
Schlussbemerkungen. 1. Allgemeinheit der Religion 2. Die F r a g e nach der frühesten Gestalt der Religion 3. Verhältnis der Völkerreligionen zum Christentum .
837 . . 839 . . 84C>
Abkürzungen. BMM. CIS. KAT--
= = =
Basler Missionsmagazin. Corpus Inscriptionum Semiticarum, P a r i s 1881 ft'. Eb. S c h r ä d e r , die Keilinschriften und das Alte T e s t a m e n t , 2. Aufl. Giessen 1883. NKZ. = Neue Kirchliche Zeitschrift, h e r a u s g e g e b e n von G. Holzhauser. 1890 ff. P R E . 1---Ü- - Protestantische Realencyklopädie. 1. 2. 3. Auflage. KHK. = R e v u e de l'Histoire des Religions, Paris 1880 ft'. SBE. = S a c r e d B o o k s of the East, h e r a u s g e g e b e n von Max Müller in Oxford. TLZ. - Theologische Litteraturzeitung, h e r a u s g e g e b e n von H a r n a c k und S c h ü r e r . TSK. = T h e o l o g i s c h e Studien und K r i t i k e n . WPR, = T h e Worlds Parliament of Religions, Chicago 1893, 2 volls. ZDMG. = Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft.
Einleitung.1) 1. Die R e l i g i o n im allgemeinen. Das Wort „ R e l i g i o n " wird in subjektivem und in objektivem Sinne gebraucht. In ersterem verstellt man unter Religion das Verhalten des Menschen zur Gottheit, soweit diese mit unmittelbarer Gewissheit in sein Bewusstsein getreten und f ü r dasselbe Autorität geworden ist. Dieses im Innersten des Menschen wurzelnde Verhältnis wirkt sich im Gefühl, Intellekt und Willen des Menschen aus. Die unmittelbare Empfindnng des Göttlichen spricht sich im Kultus aus, das vernünftige Bewusstsein davon prägt sich aus in Symbolen, Mythen, Lehren u. s. w. Das praktische Bestimmtsein durch das Göttliche tritt zu Tage in Sitten, Rechten, Gesetzen, ethischen Grundsätzen. Die Gesamtheit dieser Lebensäusserungen des religiösen Bewusstseins nennt man R e l i g i o n im o b j e k t i v e n Sinne. Bestimmt man die Religion einfach als das Verhältnis des Menschen zu Gott, so ist der Begriff zu weit gefasst. Alles Endliche, auch Tiere und Pflanzen stehen zu Gott in einem Verhältnis. Aber Religion hat nur der Mensch, bei welchem dieses Verhältnis ein b e w u s s t e s ist. Dies liegt auch schon in dem ursprünglichen Sinne des Wortes religio, das, wie immer man es etymologisch ableite 2 ), ein subjektives Verhalten, bewusste Ehrfurcht vor 1) F. Max M ü l l e r , Vorlesungen über den Ursprung und die Entwicklung der Religion, Strassb. 1880. — D e r s e l b e , Einleitung in die vergleichende Religionswissenschaft, Strassb. 1876. — D e r s e l b e , Essays, 2 Bändchen, Leipzig 1869.— Victor von S t r a u s s u n d T o r n e y , Essays zur AIIg\ Religionswissenschaft, Heidelb. 1879. — J. G. M ü l l e r , Über Bildung und Gebrauch des Wortes Religio, Programm, Basel 1834 und TSK 1835, Heft 1. — J. K ö s t l i n , Art. „Religion" PRE 2 , 12, 638 ff. — A. R é v i l l e , Prolégomènes de l'Histoire des Religions, Paris 1881. 2) Bekanntlich stehen sich gegenüber die Ableitungen C i c e r o s von relegere und diejenige des L a c t a n z von religare. C i c e r o sagt De nat. deorum 2, 28: Qui omnia quae ad cultum deoruin pertinerent, diligenter retractarent et tanquarn relegerent, religiosi dicti sunt ex relegendo, ut eleganter ex eligendo, tanquam a deligendo diligenter, ex intelligendo intelligenter; his enim in verbis omnibus inest vis legendi eadem quae in religioso. Es bedeutet dann religio eigentlich das Wiederlesen, Überlegen, Überdenken, die Bedenklichkeit, Scheu (J. G. Müller) oder das Wiederlesen und fieissige Durchnehmen religiöser Satzungen O r e l l i, R e l i g i o n s g e s c h i c h t e .
1
2
Einleitung1.
dem Göttlichen ausdrückt. In obiger Definition ist aber auch die Beschränktheit u n d der relative Charakter des Verhältnisses zu Gott angedeutet. Religion findet sich auch da, wo der uns Christen b e k a n n t e Gott ein u n b e k a n n t e r ist u n d nur spärliche, sehr g e t r ü b t e Lichtstrahlen seines Wesens ins Bewusstsein der Menschen gefallen sind. Gerade um seiner Unbestimmtheit u n d Allgemeinheit willen ist f ü r diese Seite des Lebens der Menschheit der Ausdruck „Religion" unentbehrlich, so wenig er in den kirchlichen Sprachgebrauch gehört, in welchen er seit der Zeit des Rationalismus etwa eingedrungen ist. Treffender als das lateinische religio drückt jenen allgemeinen Begriff aus das hebräische jir'ath Elohim (Gen. 20, 11), „Furcht der Gottheit", welche auch Heiden zugeschrieben wird u n d auch bei diesen sittlich wirkt (Gen. 42, 18). Doch lässt sich die Unbestimmtheit u n d Relativität, die in dem hebr. Elohim liegt, nicht übersetzen. Nahe v e r w a n d t ist auch das griechische deisidaimonia (Apost. 17, 2 2 ; vgl. 25, 19), Ängstlichkeit vor den unsichtbaren Mächten (Dämonen). Doch wäre mit diesem Worte das Relative zu stark ausgesprochen, als dass wir auch die Gottesfurcht der J u d e n und Christen d a r u n t e r begreifen könnten. Schon aus dem bisherigen geht hervor, dass nicht jedes Bewusstsein vom Überirdischen schon religiös ist oder g a r das Wesen der Religion ausmacht. Es lässt sich (¡in blos verstandesmässiges Bewusstsein von einem Unendlichen, Absoluten, Ewigen denken, das durch Operation des Verstandes gewonnen ist. Ein Philosoph, der auf solchem Wege zu einem Gottesbegriff' gelangt, hat d a r u m noch nicht Religion. Erst dann wird m a n ihm solche nicht absprechen können, wenn dieser Gott, den er durch umständliche logische Arbeit g e f u n d e n hat, m i t u n m i t t e l b a r e r G e w i s s h e i t von ihm e m p f u n d e n und f ü r sein Leben A u t o r i t ä t geworden ist. Nicht selten freilich sind Religionen i n t e l l e k t u a l i s t i s c h geworden; aber durch die einseitige Betonung des Wissens um den Inhalt ihres Glaubens ist jedesmal ihr Leben erstarrt. Darauf folgte etwa eine Reaction, indem ebenso einseitig die p r a k t i s c h e T u g e n d als das wesentliche an der Religion angepriesen wurde, d. h. das Bestimmtsein des Lebens durch die göttliche Norm. Allein so unveräusserlich j e d e r gesunden Religion die Ausgestaltung im sittlichen Leben ist, so ist doch das sittliche Handeln an sich nicht (Köstlin). Dass der Übergang' der Bedeutungen sehr durchsichtig- sei, kann man nicht behaupten. Doch ist diese Ableitung sprachlich immer noch etwas wahrscheinlicher als die des L a c t a n t i u s , welcher (Instit. div. 4, 28) sagt: Hoc vineulo pietatis obstricti deo et religati sumus; unde ipsa religio nomen aeeepit, non, ut Cicero interpretatus est, a rclcgendo. Religion wäre also das Gebundensein, bezw. Sichgebundenwissen, von einer höheren Macht. Der Sinn wäre schön, fast zu logisch. Diese eine Zeit lang ganz fallen gelassene Erklärung findet neuerdings wieder namhafte Vertreter. Dass von religare das Subst. religio gebildet wurde, ist in der That möglich, wie die Beispiele optio, rebellio, internecio, von optare, rebellare, internecare u. a. beweisen.
Die Religion iin allgemeinen.
3
notwendig' religiös. Bekanntlich hat Schleiennachcr der intellektualistischen und der moralistischen Fassung der Religion eine dritte gegenübergestellt'), welche sich noch immer des meisten Beifalls erfreut. Nach ihm ist das Gebiet der Religion das menschliche Gemüt, ihr Wesen ein bestimmtes G e f ü h l , das er n ä h e r als „absolutes Abhängigkeitsgefühl" bezeichnet hat. Sobald m a n unter diesem Gefühl nicht ein blos zuständliches, sondern ein gegenständliches mit objektivem Inhalt versteht, so leuchtet ein, dass damit eine hohe Wahrheit, wenn auch nicht ohne Einseitigkeit, ausgesprochen ist. Liegt es doch in dem Wesen des Absoluten, Göttlichen, dass es nicht von den Kategoriecn des Verstandes erfasst, sondern n u r vom Gemüt e m p f u n d e n werden kann. Gefühle sind die ersten Regungen des Göttlichen im Menschen, und die innigste Art, wie er das Göttliche in sich aufnehmen kann, bleibt bis zuletzt noch Gefühl. Allein darum ist noch nicht die Religion reine Sache des Gefühls oder das blosse Gefühl des Unendlichen, Göttlichen schon Religion. Wir haben das religiöse Gefühl als ein gegenständliches bezeichnet; der Gegenstand, welcher dasselbe hervorruft, muss notwendig ins Bewusstsein treten. Damit ist dem intellektuellen F a k t o r ebenfalls ein konstitutives Recht in der Religion eingeräumt. Ohne dass dieser den göttlichen Inhalt zu erkennen sich bemüht, kommt es zu keiner Religion. Auch ist nicht richtig, dass, wie man nach Schleiermacher meinen sollte, das Mass der Frömmigkeit blos vom Mass der religiösen Empfindung oder Gefühlswärme abhange. Die Frömmigkeit ist auch durch die Erkenntnis Gottes und nicht am wenigsten durch den Gehorsam bedingt, welchen der Mensch der von ihm empfundenen Gottheit leistet. Daher ist auch diese Darstellung, welche wieder die Religion einem bestimmten psychischen Organ zuteilt oder in eine bestimmte Gattung psychischer Funktionen verweist, einseitig. Das richtige ist, dass die Gottheit am Innersten des menschlichen Personlebens offenbar wird und sich deshalb im Gefühl, Intellekt und Willen auswirkt 2 ); dass es verkrüppelte oder doch einseitig entwickelte
1) Siehe besonders seine zweite Rede über die Religion. Die Benennung „absolutes Abhängigkeitsgefühl" erscheint erst später in seiner Glaubenslehre. 2) Vgl. J. T. B e c k s Christi. Glaubenslehre I (Gütersloh 1886), 160: „Diese Darstellungen (allgemeinen göttl. Offenbarungen) einer Liebe erweckenden Güte, einer Furcht erweckenden sittlichen Macht, einer alles beherrschenden intelligenten Macht oder Weisheit in Natur und Geschichte — sie dringen dem Menschen, bevor er sich noch besinnen kann, ins Herz oder wenigstens an das Herz; sie ergreifen durch ihre Vielseitigkeit und Wechsel alle Seiten unseres geistigen Lebens: Gemiit, Gewissen, Willen, Verstand . . . sie ergreifen alle jene geistigen Lebenspunkte des Menschen einheitlich im tiefen Centrum seines persönlichen Lebens als überlegene höchste Macht." Albr. R i t s c h 1, Rechtfertigung und Versöhnung 2 III, 185: „Die geschichtlichen Religionen nehmen alle geistigen Funktionen in Anspruch, das Erkennen für die Lehrüberlieferung, d. h. für die besondere Weltanschauung, das Wollen für den gemeinsamen
4
Einleitung - .
R e l i g i o n s e r s c h e i n u n g e n gibt, bei welchen die eine oder a n d e r e Seite zu fehlen scheint, k a n n die T h a t s a c h e nicht umstossen, dass diese drei Seiten zu einer gesunden E n t w i c k l u n g der Religion notw e n d i g sind. Bei d e r Macht, mit welcher die Gottheit auf das I n n e r e des Menschen einwirkt, k a n n es nun nicht a n d e r s sein, als dass der Mensch d e m Verhältnis, in welchem zu ihr zu stehen er sich bewusst g e w o r d e n , auch n a c h a u s s e n A u s d r u c k giebt. Dies geschieht den G r u n d a n l a g e n des Menschen e n t s p r e c h e n d , auf dreierlei Weise. Die u n m i t t e l b a r e Beziehung des Menschen auf die Gottheit spricht sich unwillkürlich aus in der A n b e t u n g . Die Bezeug u n g Gottes a m Herzen des Menschen lockt von selbst eine Antwort von Seiten des Menschen an das höhere Wesen hervor, dessen er bewusst g e w o r d e n . Ob in blossen A n r u f u n g e n oder zugleich in Opfern, es ist dem Menschen ein natürliches Bedürfnis dieser höheren Macht seine A n e r k e n n u n g auszusprechen, u n d g e r a d e in diesen H u l d i g u n g e n wird seine Vorstellung von der Gottheit u n d seinem Verhalten zu ihr besonders getreu zu T a g e t r e t e n . Allein auch nach theoretischem A u s d r u c k strebt die Religion. D e r Mensch b e s i n n t sich n o t w e n d i g auf den Inhalt seines religiösen Bewusstseins, dessen Gegenstand ihm der ehrwürdigste, wichtigste ist. Aus den religiösen Vorstellungen, Darstellungen u n d L e h r e n , die sich u n t e r M i t w i r k u n g d e r V e r n u n f t gebildet h a b e n u n d vielleicht m ü n d l i c h , vielleicht in Symbolen, vielleicht schriftlich überliefert w e r d e n , wird sich e r k e n n e n lassen, was er sich bei seiner V e r e h r u n g eines höheren W e s e n s d e n k t . E n d l i c h a b e r wird j e d e l e b e n s k r ä f t i g e Religion auf L e b e n u n d Sitte ü b e r h a u p t z u r ü c k w i r k e n . Denn, ist das göttliche Wesen Autorität, j a höchste Autorität f ü r den Menschen, so w i r d das Bestreben w a l t e n , das Leben nach ihrem AVillen oder W o h l g e f a l l e n zu o r d n e n . Also n i c h t blos die kultischen G e b r ä u c h e im e n g e r n Sinn, sondern auch die gesamte L e b e n s o r d n u n g ist ein Gebiet, wo d e r Einfluss d e r Religion herrscht u n d ihre E i g e n a r t sich nachweisen lässt. Sehr häufig w i r d n u n freilich gesagt, auf den untersten Stufen der Religion h a b e diese mit d e r Ethik nichts zu t h u n . E r s t auf einer höheren E n t w i c k l u n g s s t u f e vollziehe sich die V e r b i n d u n g zwischen b e i d e n . Dies b e r u h t auf einer V e r w e c h s l u n g des Sittengesetzes im allgemeinen mit dem, Avas f ü r uns I n h a l t desselben ist 1 ). Von d e r Religion sind gewisse A n f o r d e r u n g e n an Kultus, das Gefühl f ü r den Wechsel der Befriedigung' und Nichtbefriedigung, in welchen Stimmungen siel» das religiöse Leben von den gewöhnlichen Verhältnissen abhebt." Hier ist nur das Wollen einseitig auf die Handlung- nach der Gottheit hin bezogen, während das Handeln nach der Welt hin mindestens ebensosehr in Betracht kommt. 1) So z. B. bei Th. W a i t z , Anthropologie der Naturvölker 2 I (Leipzig 1877) S. 323 f.: „Sittliche Vorstellungen pflegen mit den religiösen Ansichten ursprünglich gar nicht in Verbindung zu stehen. Es mag genügen . . . . nur das eine Beispiel (1er Kanitschadalen zu nennen, denen
Allgemeine Religionsgeschichte.
5
das Verhalten des Menschen unzertrennlich. Die Ethik hat allerdings noch eine andere Quelle in den sozialen Beziehungen und Rücksichten. Aber schon auf einer sehr niedrigen Stufe werden auch diese von der religiösen Autorität getragen, wie der nächste Abschnitt zeigen w i r d ' ) . Wie oben angedeutet worden, dass die drei Geisteskräfte, in welchen das religiöse Leben pulsiert, nicht überall gleich k r ä f t i g davon erfasst werden, so ist hier zu sagen, dass die eine Lebensäusserung auf Unkosten der andern vorherrschen, oder hinter ihnen zurücktreten kann. Es k a n n die Religion vom kultischen Brauch oder von der Lehre oder auch von einer Moral überwuchert und fast absorbiert werden. Man kann im Zweifel sein, ob eine Norm des Glaubens oder eine Einwirkung desselben auf das Leben überhaupt vorhanden war. Doch werden wenigstens Ansätze zur Ausgestaltung der Religion nach diesen Richtungen allen oder Überreste derselben allenthalben sich finden. Der Inbegriff dieser Entfaltung und Lcbensäusserungcn des religiösen Bewusstseins nun nennt man R e l i g i o n im objektiven, oder positiv-historischen Sinn. W a r u m es eine Mehrheit solcher positiven Religionen gibt, wird sich alsbald zeigen.
2. Allgemeine Religionsgeschichte. So nennt man die historische Darstellung des oben bestimmten Verhältnisses zwischen Gott und Mensch, soweit dasselbe als objektive Religion in den einzelnen Teilen der Menschheit Gestalt gewonnen hat. Aus einer Geschichte der Religionen erwächst allmählich eine Geschichte der Religion. Dass das angegebene Verhalten der Menschen zur Gottheit sehr verschiedene Gestalt annehmen musste, lässt sich im voraus denken. Selbst wenn Gott sich allen Menschen in gleicher Weise offenbarte, wären diese sehr verschieden beanlagt, ihn zu erkennen einzig' die Übertretung ihrer abergläubischen Gebräuche als Sünde gilt: Kohle mit dem Messer zu spiessen, Schnee von den Schuhen mit dem Messer abzuschaben u. dgl. halten sie für grosses Unrecht und leiten die Krankheiten als Folg'e davon ab, während die gröbsten Laster ihnen als unverfänglich erscheinen." Also Sünde und Unrecht sind ihnen geläufige Begriffe. Welchen Inhalt sie damit verhindern, ist uns hier gleichgiltig. 1) Vgl. R o b e r t s o n S m i t h , Religion of the Semites (London 1894) S. 53: „So sehen wir, dass die Relig'ion selbst in ihrer rohesten Form eine moralische Macht war; die Mächte, welche Menschen verehrten, standen auf seiten der sozialen Ordnung und des Stammgesetzes, und die Furcht vor den Göttern war ein Motiv, das die Gesetze der Gesellschaft stark inachte, welche zugleich die Gebote der Moral waren." Und S. 267: „In der alten Gesellschaft waren das im sozialen Gottesdienst ausgedrückte religiöse Ideal und das ethische, das Benehmen im täglichen Leben regierende, Ideal völlig übereinstimmend und alle Moral — wie man damals Moral verstand — war geheiligt und bekräftigt durch religiöse Beweggründe und Weihen."
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Einleitung,
u n d zu empfinden u n d in ungleichem Masse willig, sich ihm zu unterwerfen. Auch die Befähigung, ihrem Verhältnis zu Gott äusserlich Ausdruck u n d Gestalt zu verleihen, wäre eine sehr mannigfaltige. Doch haben wir es nicht etwa mit einer Unzahl unzusammenhängender persönlicher Religionen zu thun. Von Religionen spricht man überhaupt erst da, wo eigenartige Gestaltungen des religiösen Lebens bei grösseren, durch nationale Einheit oder doch ethnographische Verwandtschaft oder wenigstens durch geschichtliche v e r b u n d e n e n Komplexen auftreten. Gleiche Sprache, gleiche psychische Anlage, gleiches Klima, gleiche Kulturstufe begünstigen gleiche Gestaltung der religiösen Vorstellungen und Gebräuche. Auch ist zu bedenken, dass die Anforderungen der Gottheit, welche mit so überlegener Macht an den Menschen herantreten, notwendig auch auf seine U m g e b u n g sich erstrecken werden, daher er bestrebt sein wird, seinem Hause, Geschlecht, Stamm, Volk dieselbe, Erkenntnis u n d V e r e h r u n g der Gottheit beizubringen. Immer werden Einzelne ihre lebendigere Empfindung der Gottheit, ihre tiefere Erkenntnis der Offenbarung, ihren heiligeren Eifer für das göttliche Gebot a n d e r n mitteilen und diese sieh ihnen unterordnen, indem sie sich von ihnen unterweisen und belehren lassen. Dies ist auch da geschehen, wo nicht ein einzelnes Genie die Religionsgcnossenschaft so offenkundig in den Augen der Nachwelt beherrscht, dass man von Religionsstiitern reden kann, wie bei einem Mose, Buddha, Muhammed, Zarathustra u. a. Ausserdem wird dieses geistige Besitztum sorgfältig den Kindern und Nachkommen übergeben. So lebt die Religion geschichtlich fort. Dass eine Einheit vorhanden sei in dem religiösen Leben der Generationen, das v e r b ü r g t diese Vererbung. Aber auch an Bewegung und Veränderung, wie sie zu einer „Geschichte" gehören, wird kein Mangel sein. Selbst wenn das von den Vätern Überkommene mit aller Starrheit festgehalten würde, so bliebe es nicht dasselbe; die Tradition würde eine u n v e r s t a n d e n e u n d missverstandene, die religiöse Institution eine tote oder auch ihrem ursprünglichen Sinne entfremdete werden. Überdies werden spätere Geschlechter neue Wahrheitsmomente ihrer Religion entwickeln; vielleicht auch wird den J ü n g e r n die Mangelhaftigkeit oder Unhaltbarkeit ihrer religiösen Vorstellungen und Einrichtungen zum Bewusstscin kommen, sie werden den Bestrebungen eines neuen Propheten aus ihrer Mitte zufallen, der als Reformator oder Neuerer auftritt. Auch sind j a die Grenzen zwischen den einzelnen Religionsgebieten nichts weniger als unübersteiglich. Es finden bereichernde oder zerstörende Einflüsse von aussen Eingang, welche sogar dahin führen können, dass die eine Religion die andere aus ihrem Gebiete v e r d r ä n g t , sei es mit äusserer Gewalt oder durch ihr geistiges Übergewicht. So hat die einzelne Religion ihr Werden u n d Wachsen, ihre Phasen der Entwicklung, ihre Leiden u n d Kämpfe, ihren N i e d e r g a n g und U n t e r g a n g ganz ähnlich wie die einzelne Sprache. Und wie bei den Sprachen zeigen sich bei den
Allgemeine Relig'ionsg'eschichte.
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historischen Religionen solche Gruppen, die man als Familien bezeichnen kann, da die Ähnlichkeit ihrer Glieder näheren gemeinsamen Ursprung verrät. Das Ziel der allgemeinen Religionsgeschichte wäre, nachdem sie den Lebensprozess der einzelnen Religionen durchforscht hätte, dieselben am rechten Ort in die Gesamtentwicklung einzureihen und schliesslich die Gruppen oder Familien aus einem früheren Ganzen abzuleiten. Erst dann hätte man eine erschöpfende Geschichte der Religion. Doch dies liegt in weitem Feld. Statt dessen wird man sich f ü r lange — wenn nicht f ü r immer — mit einer geschichtlichen Darstellung der Religionen begnügen müssen, genauer d e r Religionen, welche der Neuzeit bekannt geworden sind. Erlangen wir so freilich n u r Bruchstücke,, so liegt ein Trost darin, dass gerade die wichtigsten, geistig einllussreiehsten Religionen, welche in der T h a t historische Mächte geworden sind, auch die zuverlässigsten Zeugnisse ihres Daseins hinterlassen haben. Damit ist nicht gesagt, dass die scheinbar unwichtigsten, weil kaum geschichtlich zu nennenden Religionsgebilde der niedrigsten Stämme der Menschheit f ü r unsere Disciplin nicht von hoher Bedeutung wären. Wie für den Philologen die roheste Mundart oft besonders lehrreich ist, so f ü r den Religionsforscher die Vorstellungen und Bräuche der untersten Religionsstufe. Aber hier gerade k a n n am sichersten aus bekannten Gliedern auf unbekannte geschlossen werden, da die Analogie hier am meisten massgebend ist.
3. Religion und Kultur. Unter K u l t u r verstehen wir das Verhältnis des Menschen zur W e l t , soweit diese durch seine vernünftige Thätigkeit bestimmt ist. Zwischen Religion und Kultur besteht nach der Bestimmung des Menschengeschlechts und den Lehren der Geschichte ein Wechselverhältnis, wonach sie sicli gegenseitig bedingen lind befruchten. Eine Entzweiung und Befehdung dagegen tritt zwischen beiden ein, wenn j e n e beiden fundamentalen Bestrebungen des Menschen auseinanderfallen. Es geschieht dies, wo eine Kultur sich zum Selbstzwecke setzt u n d dadurch den höheren Anspruch des Göttlichen verkennt, oder aber, wo eine Religion die Entwicklung der anerschafl'enen Anlage des Menschen hemmen will u n d so seine Weltbestimmung missachtet. Naturgemäss besteht eine enge Wechselbeziehung zwischen dem Verhältnis des Menschen zu Gott u n d demjenigen, in welchem er sich zu der von ihm v e r n ü n f t i g bestimmten Welt befindet. Man nennt die auf letztere gerichtete Geistesarbeit K u l t u r , seit Zschokke das Wort in diesem allgemeinen Sinne in die deutsche Litteratur eingeführt hat. Trotz des üppigen Missbrauchs, welcher mit dem Worte getrieben wird, ist es eben um der Allgemeinheit willen nicht zu entbehren, mit welcher es, subjektiv gebraucht, die ge-
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samte auf die Welt gerichtete, Arbeit des Menschen, und objektiv gemeint, die gesamte Frucht dieser Thätigkcit umfasst. Auch dieser Weltberuf des Menschen nimmt alle, seine Geisteskräfte in Anspruch, den Intellekt, welcher die Wissenschaft erzeugt, den Willen, der die K r a f t zur Erreichung vernünftiger Zwecke in Bewegung setzt in Bearbeitung des Bodens u n d Verwertung der Stoft'c und K r ä f t e ; das Gefühl zur Darstellung des Schönen in der Kunst und Förder u n g der Harmonie im Leben. Fasst man den Begriff der Kultur in dieser Allgemeinheit, so ist dieselbe nicht n u r einem Teil der Menschheit, sondern allen Menschen zuzusprechen, so einleuchtend es ist, dass die E n t f a l t u n g dieser Thätigkeit bei den einzelnen Stämmen und Völkern in sehr ungleichem Masse fortgeschritten ist. Findet mau doch z. B. bei allen Menschen eine Sprache, eine solche aber ist schon ein W e r k der K u l t u r ; wir haben nämlich diese absichtlieh nicht als ein Verhältnis zur Aussenwelt bezeichnet; die Pflege der dem Mensehen innewohnenden K r ä f t e und anerschaffencn Organe gehört auch zur Kultur u n d bildet einen ihrer wichtigsten Teile. Und wie es ohne vernünftiges Bewusstsein wohl zu Naturlauten, nicht aber zu einer Sprache käme, so k ä m e es durch blosse Naturtriebe nicht zu einer Familie oder zu geordneten Stamm Verhältnissen. Wo wir solche finden, ist immer auch ein gewisser K u l t u r g r a d vorhanden. Aber allerdings sind jene Welt- und sclbstbestimmenden K r ä f t e nicht allen in gleichem Masse zugeteilt und werden nicht von allen mit demselben Fleisse benützt. Denn auch hier ist die menschliche Willensfreiheit mit im Spiel; jenem Mangel an Frömmigkeit, den wir die Religion beeinträchtigen sahen, entspricht hier der Mangel an Energie, die Trägheit. Im übrigen ist aus naheliegenden Gründen auch die Kultur das Eigentum einer grössern Gesellschaft, u n d so redet m a n von einer bestimmten Kultur im objektiven, historischen Sinne u n d versteht darunter den Inbegriff der Erscheinungen, in welchen uns die vernünftige Welt- und Selbstbestimmung eines Stammes oder Volkes oder einer Zeit entgegentritt. Denn auch diese Seite des Menschenlebens hat ihre Geschichte, und gerade hier ist die V e r e r b u n g am besten gesichert, der Fortschritt deshalb regelmässiger als auf der religiösen Seite. Wie verhalten sich n u n Religion und Kultur zu e i n a n d e r ? Keinesfalls können zwei Lebensgebiete, welche beide, den ganzen Menschen in Anspruch nehmen, sich völlig gleichgültig bleiben. Da in der Kultur das menschliche Denken, Fühlen, Wollen sich die Welt unterordnet, wie es in der Religion sich u n d die WTelt der Gottheit unterordnet, so w ä r e zu erwarten, dass die Lösung dieser doppelten Aufgabe nach beiden Seiten glcichmässig fortschritte und j e d e r Fortschritt am einen Ort einen solchen am andern mit sich brächte. Diese E r w a r t u n g bestätigt sich in hohem Grade durch die, Geschichte, welche eine stetige W e c h s e l w i r k u n g v o n R e l i g i o n u n d K u l t u r aufweist. Fassen wir zuerst die f ö r d e r n d e n E i n w i r k u n g e n der
Religion und Kultur.
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R e l i g i o n a u f clic K u l t u r ins Auge. Je höher wir ins Altertum hinaufsteigen, desto mehr finden wir clic Kultur von der Religion umfangen und von ihr gewissermassen ausgebrütet. An die Spitze stellen wir das Wort des Schöpfers an die Neugeschaffenen: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie u n t e r t h a n ! " Das ist das älteste Kulturgebot, mehr noch eine Verheissung als ein Gebot zu nennen. Es wäre nicht möglich, knapper und treffender die Kulturaufgabe auszusprechen, an welcher die Menschheit von ihrem ersten Anfang bis auf die Gegenwart unablässig gearbeitet hat, als es hier in einem Gotteswort an die ersten Menschen geschieht. Der erleuchtete Erzähler hat diese ehrenvolle Aufgabe auf eine Willensäusserung Gottes zurückgeführt. Und auch jener Schicksalsspruch Gen. 3, 17 ff. weiss nicht anders, als dass die Arbeit von Gott dem Menschen verordnet ist. Nur mehr wie ein Joch der Knechtschaft als wie ein Vorrecht des Herrn der Welt nimmt es sich jetzt aus (nach dem Sündcnfall): „Im Schweissc deines Angesichts" — sollst du den dorncnreichen Acker bebauen; aber die Bestimmung des Menschen ist dieselbe geblieben. Dass aber auch nach der Anschauung der heidnischen Völker die Arbeit etwas von der Gottheit geordnetes war, haben sie in ihrer religiösen Sprache, der Mythologie, mannigfach bezeugt. Kein Fortschritt in der Kulturgeschichte ist so folgenreich wie der Übergang zum Ackerbau. So lange die Menschen nur der Befriedigung des augenblicklichen Bedürfnisses leben, Beeren pflücken, Tiere schlachten, wenn sie gerade Hunger haben, sonst aber müssig gehen, kann es zu keinem geordneten Dasein in Raum und Zeit kommen. Ganz anders, wenn die Erde bebaut und das Wachstum ihrer Frucht abgewartet wird. Dann gestalten sich fester die Begriffe des Eigentums und des Rechtes überhaupt, dann wird die Beobachtung der Natur, die Messung der Zeiträume, die Anfertigung künstlicher Werkzeuge erforderlich. Was lehren die Mythen der Völker über den Anfang des Ackerbaues? Sie führen ihn einhellig auf die Götter zurück. Osiris hat die Menschen das Feld bewässern und bebauen gelehrt nach der Sage der Ägypter, Demeter that ihnen diesen Dienst nach dem Mythus der Hellenen. In China ist noch heute das Führen des Pfluges ein gottesdienstlicher Akt, den der Kaiser verrichtet. Die Peruaner erzählen, die göttliche Sonne habe zwei ihrer Kinder, Manko Kapak und Mama Ogllo gesandt, um die rohen Menschen den Ackerbau zu lehren u. s. w. Damit ist angedeutet, dass die planmässige und geordnete Arbeit und der Rechtszustand nur unter dem Schutze der Gottheit sich entfalten konnten. Auch die staatliche Ordnung, die politische Gewalt, die Gesetzgebung sind im höhern Altertum überall aufs engste mit dem Glauben an die Gottheit verknüpft. Die ältesten Könige sind Priesterkönige oder geradezu Stellvertreter, ja Incarnationen der Götter in Babylonien wie in Ägypten, in Peru wie auf den Inseln
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der Südsoe, nach Aristoteles und Servius auch im ältesten Griechenland und Italien. Auch in Kanaan begegnet der Priesterkönig Meloliisedek u n d in Israel ist der König der „Gesalbte J a h v e h ' s " . Dies zeigt deutlieh genug, dass bei Entstehung einer geordneten Regierung die Religion stark beteiligt war und ohne diese eine solche sich g a r nicht hätte bilden können. Wie stark bei der Entstehung des nationalen Gemeinbewusstseins die Religion mitwirkte, hat Schelling, mit Recht, wenn auch nicht ohne Übertreibung, hervorgehoben. Die, Religion verleiht aber nicht blos zum menschlichen Dasein die f ü r feste O r d n u n g unentbehrliche Autorität, sie gewährt auch zur mannigfachsten höhern Thätigkeit den Anstoss und das erhabene Ziel. So sind alle; schönen Künste von der Religion hervorgelockt worden. Was hat die Baukunst über den Dienst der blossen Nützlichkeit und Bequemlichkeit hinausgehobenV Es war das Bestreben, der Gottheit eine würdige und erhabene. Wohnung einzurichten, was die schönsten Entwürfe hervorbrachte und die Menge, zu gewaltigen Opfern und Anstrengungen hinriss. Plastik und Malerei gingen aus dem Drang hervor, das Göttliche in edler Symbolik darzustellen. Die ältesten Dichtungen sind fast überall Hymnen an die Gottheit. Mit der Poesie waren dabei die Musik und Mimik eng verbunden. Auch diese beiden, insbesondere die Orchestrik, können ihren U r s p r u n g aus geweihtem Boden nicht verleugnen. Aber auch die Wissenschaften sind aus dem T r i e b erwachsen, das Göttliche zu e r k u n d e n . Die Astrologie, die Mutter der Astronomie, war selber ein Kind des Glaubens, dass die Gestirne, göttliche Wesen seien, welche den Gang der Dinge auf Erden beherrschten, womit das Interesse am Festkalender zusammenhängt. Die Geschichte ferner d a n k t ihre Entstehung dem Bestreben, göttliche Begebenheiten zu überliefern, welche lange vor den menschlichen der Aufzeichnung wert gehalten wurden. Die Schrift selbst, dieses unschätzbare W e r k z e u g der Geistesarbeit, ist aus der religiösen Zeichenmalerei hervorgegangen. Die Medizin, durch praktische Bedürfnisse nahe g e n u g gelegt, war bei vielen Völkern Sache der Priester, welche ü b e r h a u p t alle höhere Bildung vereinigten und pflegten. Die Philosophie cndlich entwickelte sich aus der Theologie. Die F r a g e nach dem höchsten Wesen w a r die erste, welche den denkenden Geist fesselte. Kurz, je weiter wir hinauf gehen, desto mehr finden wir alles höhere geistige Leben im religiösen beschlossen, von diesem umhegt und getragen, aber auch geweckt u n d grossgezogen. Aber die Religion ist nicht nur das, was den Intellekt zuerst umfängt und zur E r f o r s c h u n g der Wahrheit die mächtigste Anregung gibt; sie ist es nicht blos, welche den Sinn f ü r das Schöne am grossartigsten weckt u n d ihm die würdigsten Objekte z u f ü h r t . Ihr dankt der Mensch namentlich auch die Autorität, nach welcher sein moralisches Bewusstsein gut und böse unterscheidet. Welch eine starke unentbehrliche Stütze die Religion f ü r die gesetzliche
Religion und Kultur.
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Ordnung ist, leuchtet ein, sobald man erwägt, dass, wie oben bem e r k t wurde, die Regierungsgewalt ohne religiöse Weihe in der frühesten Zeit gar kein«; Anerkennung g e f u n d e n hätte. Aber weiter beachte man, wie bei den A f r i k a n e r n u n d Polynesiern etwas nicht anders gesetzlich wirksam geschätzt werden kann, als indem man es f ü r W o h n u n g des Fetisches, bezw. T a b u , erklärt. Zwar hat nicht alle Rechtssitte religiösen Ursprung. Man findet z. B. bei tiefstehenden Afrikanern, dass die Sittlichkeit sich f ü r sie erschöpft im T h u n wie die andern, alles ungewöhnliche Gebaren dagegen als Verstoss erscheint. J e d e r baut seine Hütte genau wie der andere, sonst würde man ihm dies übel nehmen. Allein dieses Herdengewissen reicht nicht aus, sobald auch n u r die ersten Sehritte auf dem W e g e zur Civilisation gethan werden. Da muss jede Ordnung, um nicht willkürlich zu scheinen, sondern Ansehen einzuflössen, einen göttlichen Grund oder Ursprung haben, wie wir eben bezüglich der Neger und Ozeanier erinnerten, denen ihr Fetisch und T a b u den religiösen Grund für ihre Verordnungen liefert. Ebenso beachte man, dass bei den alten Germanen und Kelten, also Völkern, welche von der rohen Barbarei soeben auf eine gewisse Bildungsstufe emporstiegen oder gestiegen waren, die Priester durchaus die Verwalter des Rechtes sind. Damit ist deutlich ausgesprochen, dass sich dasselbe auf religiöse Autorität, auf die Gottheit stützen musstc, um Achtung zu finden. Fehlte solche Autorität oder wurde sie erschüttert, so gingen gewöhnlich die Civilisationen rasch zu Grund. Wie förderlich die Religion der Kultur w e r d e n k a n n und soll, das zeigt auch die Geschichte der christlichen Kirche. Die frommen irischen Sendboten, welche das Evangelium nach den Bergthälern der Schweiz brachten, erwiesen sich als hervorragende V o r k ä m p f e r der Kultur, ähnlich die römischen in Germanien. Karls des Grossen Ideal w a r ein „heil, römisches Reich deutscher Nation", d. h. die römische Kultur, vom Christentum angeeignet, u n d dem deutschen Volke zugeeignet. Was f ü r bahnbrechende Dienste die christliche Mission der Neuzeit der Bildung und Civilisation auch bei den rohesten Völkern leistet, liegt vor Augen 1 ). U m g e k e h r t aber ist auch d i e K u l t u r d e r R e l i g i o n f ö r d e r l i c h , j a unentbehrlich wie der Leib f ü r die Seele. Dadurch, dass der Mensch seine Geisteskräfte braucht, wächst er selbst u n d wird auch fähiger, Gott zu erkennen u n d ihm zu dienen. Der L a n d m a n n , welcher auf den wundervoll eingerichteten Haushalt der Natur merken gelernt hat, weiss besser um die Weisheit und F ü r s o r g e seines Gottes als der Wilde, welcher ohne selber zu sorgen u n d zu rechnen, von der Gunst des Augenblicks und vom Zufall lebt, f ü r welchen daher auch das Göttliche n u r in Gestalt von zufällig vorhandenen, willkürlich waltenden Mächten existiert. 1) Siehe G u s t a v W a r n e c k , Die gegenseitigen Beziehungen zwischen der modernen Mission und der Kultur, Gütersloh 1879.
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J e d e r Fortschritt in tler menschlichen Erkenntnis der Welt setzt die Allmacht u n d das harmonische Walten der Gottheit besser ins Licht. Und wie könnte der Mensch seinen Empfindungen, welche die Gottheit in ihm weckt, würdigen Ausdruck geben, wenn die im Menschen schlummernden K r ä f t e nicht erwachten, um das Schöne und Erhabene zu bilden und zu gestalten? Die höheren Religionen setzen überall auch einen nicht unbedeutenden Bildungsgrad voraus und bemühen sich eben deshalb die Völker auf denselben zu erheben, weil sie seiner benötigt sind. Nehmen wir auch hier Beispiele von der bekanntesten, der christlichen Religion. Die grosse Epoche der Reformation liesse sich kaum denken, wenn nicht die Erfindung der Buchdruckerkunst vorausgegangen wäre. Aber auch der Humanismus der Renaissance nmsste vorausgehen, um die Rückkehr zum biblischen Christentum zu ermöglichen. Und wenn die christliche Mission überall, wohin sie kommt, Civilisation einführt und darauf bestellt, den ungebildetsten Stämmen nicht nur sittsame Kleidung und Lebensweise, sondern auch Lesen und Sehreiben beizubringen, so rührt das daher, dass diese Religion, wenigstens in ihrer evangelischen Gestalt, dieser Kulturerrungenschaften zu ihrem eigenen Bestände gar nicht entraten kann. Nach dem Gesagten könnte man denken, diese beiden Seiten des menschlichen Geisteslebens werden sich stets einträchtig entfalten und jeder Fortsehritt auf der einen auch einen entsprechenden auf der andern Seite zur Folge haben. Ist es etwa erst der Neuzeit vorbehalten gewesen, das traurige Gegenteil dieser Harmonie hervorzubringen: einen Zustand gegenseitiger Anklage und Anfeindung, wo Bildung oft nur auf Unkosten der Frömmigkeit und Frömmigkeit nur durch Verzicht auf Bildung möglich s c h e i n t , einen „Kulturkampf", wo Religion und Kultur sich gegenseitig ihr Dasein schmälern, wo nicht untergraben wollen? Keineswegs. Vielmehr kann aus verschiedenen Ursachen ihr friedliches Verhalten zu einander in Z w i e s p a l t Umschlägen u n d in F e i n d s c h a f t ausarten, was freilich auch ein Beweis dafür, dass beide nicht glcichgiltig gegen einander bleiben können. Einerseits nämlich lässt sich denken, dass ein vielleicht sehr intensives, aber wenig geläutertes Gottesbewusstsein den Menschen von seinem Weltberufe zurückhalten will und seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten lahmlegt. Es gibt kulturfeindliche Religionen, wie Buddhismus und Islam. Es gibt auch Fälle, wo eine an sich kulturfreundliche Religion wie das Christentum in einer gewissen zeitlichen Gestaltung so mit einer bisherigen Kulturstufe zusammengewachsen ist, dass von ihren Vertretern dem Fortschreiten zu einer höhern in missverstandenem religiösen Interesse Widerstand entgegengesetzt wird. Anderseits aber kann es vorkommen, dass ein vielleicht sehr expansiver K u l t u r d r a n g den Menschen so absorbiert, dass er d a r ü b e r die Sammlung unter dem Gesichtsp u n k t e des Göttlichen verliert und diese Welt oder sein eigenes
Die Einteilung* der Religionen.
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Ich als Selbstzweck ansieht, statt die von ihm angeeignete Welt wie sich selbst der Gottheit unterzuordnen. Es gibt religionsfeindliche Kulturen und hat sie immer gegeben. Schon in der Genesis sehen wir die von Gott abgewandte Menschheitslinie am schnellsten in der Kultur fortschreiten, und die hohe Kultur des salomonischen Zeitalters brachte f ü r die strenge Jahvehreligion die ernstesten Versuchungen zur Verweltlichung. Auf ganz anderem Gebiete zeigt sich die Gefahr, die von seilen der schönen Kunst der Religion erwachsen kann, im alten Hellas. Das geistesmächtige Heidentum überhaupt verlor sich leicht in seinen Welterfolgen und seiner Selbstschätzung, gegen welche das Bewusstsein der Abhängigkeit von einer höheren Macht kein genügendes Gegengewicht bildete. Welches aber das normale Verhalten zwischen Religion und Kultur sei, d a r ü b e r k a n n gerade im Lichte des Christentums kein Zweifel walten. Oder wären diejenigen im Recht, welche behaupten. das wesentliche oder wenigstens etwas wesentliches an der Lehre Christi sei die Weltfiucht, so dass wir in den Bettelmönchen des Mittelalters oder richtiger in den Einsiedlern der oberägyptischen Wüste seine wahren Nachfolger erblicken müssten? Verwunderlich wäre es doch, wenn der „Menschensohn" die Aufgabe unerfüllt und unbeachtet gelassen hätte, welche der himmlische Vater dem Menschengeschlecht nach den ersten Blättern der hl. Schrift (vgl. auch Psalm 8) gestellt hatte. Bei genauerem Zusehen ergibt sich das Gegenteil: Jesus kam auch hierin nicht um aufzulösen, sondern zu erfüllen. Der Centraibegriff in der Lehre Jesu ist das „ R e i c h G o t t e s " , welches er auf Erden herbeizuführen gekommen ist. Zwar erschöpft sich dieses Himmelreich nicht darin, aber es bringt doch die Verwirklichung jenes Ideals: Die E r d e wird darin den Menschen völlig unterworfen, sie selbst sind Gott vollkommen unterthan. Denn wesentlich gehört dazu die unbedingte H e r r s c h a f t Gottes über die irdische Welt, aber vermittelt durch diis Menschengeschlecht. Nach diesem höchsten Ziel nmss sich des Christen Leben und Streben richten.
4. Die Einteilung der Religionen 1 ). Da es sich um eine geschichtliche Darstellung der Religionen der Menschheit handelt, kann dabei keine Einteilung nach ihrem inneren Wert oder nach ihrer Auffassung der Gottheit oder nach den Erscheinung»- und Lebensformen der einzelnen Religionen massgebend sein u n d die Reihenfolge bestimmen, sondern lediglich der geschichtliche Zusammenhang, soweit sich ein solcher nachweisen lässt. Bei den geschichtlich bedeutendsten Religionen zeigen sich Familienzusammenhänge, ähnlich wie bei den Sprachen, welche 1) Vgl. F. Max M ü l l e r , Einleitung' in die vergleichende Religionswissenschaft 2 (Strnssburg 187(5) S. 94 ff.
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auch für die Bestimmung der religiösen Verwandtschaften die wertvollsten Fingerzeige geben. Wo solche verwandtschaftliche Beziehungen nicht sicher e r k e n n b a r sind, muss einstweilen eine losere Gruppierung nach geographischen u n d kulturgeschichtlichen Gesichtspunkten stattfinden. Die einzelnen Religionen lassen sich nach verschiedenen Gesichtspunkten gruppieren. Der Einzelne wird sie nach seinem subjektiven Werturteil in der Regel einteilen in w a h r e und f a l s c h e Religionen, und seine eigene als die wahre, alle andern als falsche bezeichnen. Allein wenn auch dieses dogmatische Verfahren an seinem Orte berechtigt ist u n d wir keineswegs der unter heutigen Religionsforschern verbreiteten Anschauung huldigen, wonach jede Religion ihr relatives Recht hätte wie die andere, so gut wie jede der Sprachen, von denen auch keine als falsch bezeichnet werden k a n n , so ist doch klar, dass wir durch diese Zweiteilung zu keiner Gliederung des darzustellenden Stoffes gelangen würden. Der gleiche Übelstand w ü r d e sich einstellen bei der Einteilung in n a t ü r l i c h e und g e o f f e n b a r t e Religionen. Man versteht unter den e r s t e m solche, die sich aus den allgemeinen, der kosmischen und der menschlichen Natur innewohnenden Faktoren gebildet haben, während bei den letztern ausserordentliche Offenbarungen der Gottheit ins Leben eingriffen. Diese Unterscheidung füllt insofern mit der obigen zusammen, als die meisten geneigt sein werden, diejenige Religion, die sich ihnen im Unterschied von a n d e r n als wahr erweist, auf ausserordentliche Faktoren zurückzuführen, zumal so ziemlich j e d e Religion solche Entstehung für sich in Anspruch nimmt. Aber ein Urteil wird auch hier nicht von vornherein gefällt werden dürfen, vielmehr erst die unparteiische Vergleichung sämtlicher Religionen zur Entscheidung ü b e r solchen Anspruch befähigen. Auch besteht gerade nach biblischer Anschauung wenigstens kein a b s c h l i e s s e n d e r Gegensatz zwischen Natur u n d Offenbarung. Auch ihr Verhältnis zur K u l t u r ist zwar, wie wir sahen, f ü r die Religionen wichtig genug, aber nach demselben die letztern aufzureihen, würde sich schon deshalb nicht empfehlen, weil dieselbe Religion durch sehr mannigfaltige Kulturstufen sich entwickeln kann. Häufig teilt man den gesamten Stoff zunächst in kulturlose u n d kultivierte Religionen'). F ü r die letzteren ist aber damit noch keine Gliederung gegeben. Der Erscheinungsform der Religion entnommen ist die Einteilung in p e r s ö n l i c h e u n d v o l k s t ü m l i c h e Religionen, d. h. solche, bei welchen ein persönlicher Stifter b e k a n n t ist, u n d solche, die als gemeinsames Erzeugnis ganzer Stämme oder Nationen erscheinen. Zur ersteren Klasse gehören Mosaismus, Zendreligion, Buddhismus, die Lehren des Laotse und Kongtse, Christentum, Islam, zur letztern die ägyptische, brahmanische, griechische, römische, germanische, slavische u n d viele 1) Vgl. z. B. J. G. M ü l l e r Art. Polytheismus PRE 1 12, 33 ff.
Die Einteilung- der Religionen.
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a n d e r e Religionen. Das ist zwar ein Gesichtspunkt, von welchem aus sich gute Beobachtungen anstellen lassen, aber unmöglich lässt sich von da aus ein historischer T e i l u n g s g r u n d gewinnen, ganz abgesehen davon, dass, wie wir schon S. 6 hervorhoben, dieser Unterschied nur ein relativer ist, indem bei der Eildung aller Religionen einzelne Persönlichkeiten hervorragenden Anteil hatten u n d anderseits die sog. Religionsstifter stets au das im Volke schon Vorhandene a n k n ü p f t e n . Bei Muhammed und sonst nicht selten im Morgenland findet man die Unterscheidung von B u c h r e l i g i o n e n und solchen, die k e i n hl. Schrifttum besitzen. Allein so wichtig es für unsere Disziplin ist, ob eine Religion von ihr selbst als kanonisch verehrte schriftliche U r k u n d e n hat, oder wir solche Quellen entbehren müssen, so ist dies doch nicht einmal einer der wesentlichsten Unterschiede, geschweige denn ein Darstellungsprinzip f ü r den Historiker. Wichtiger sind diejenigen Einteilungen, welche vom Inhalt der Religion, näher von ihrer Fassung der G o t t h e i t ausgehen, z. 13. nach der Kategorie der Quantität: P o l y t h e i s m u s und M o n o t h e i s m u s unterscheiden, wobei dann in der Regel für den Parsismus noch der D u a l i s m u s zwischeneingeschoben wird. In die monotheistische Gruppe kämen aber wohl n u r J u d e n t u m , Christentum, Islam, so dass wir abermals f ü r die Masse der polytheistischen Bekenntnisse einer Gliederung entbehrten. Tiefer führen diejenigen Einteilungen, welche das Verhältnis Gottes zur Welt und des subjektiven Bewusstseins zu beiden zu Grunde legen. Von Bedeutung w a r hier namentlich H e g e l , zumal er mit der Entwicklung des Begriffs zugleich den Gang der Gcschichte glaubte getroffen zu haben. Er stellte diese Stufenleiter so d a r : I. Die N a t u r r e l i g i o n , wovon 1. die unmittelbare Religion oder Z a u b e r e i die unterste Stufe bilde; dann kommen 2. die Religionen der S u b s t a n z im Orient: a) die Religion des Masses (China); b) die der Phantasie (Brahmanismus); c) die des Insichseins (Buddhismus); 3. die Naturreligion im Ü b e r g a n g zur Religion der Freiheit: a) die Religion des Guten u n d des Lichts (Parsismus), b) die des Schmerzes (Syrien), c) die des Rätsels (Ägypten). II. Die Religionen der geistigen Individualität, wobei Gott als S u b j e k t erfasst ist: a) Religion der Erhabenheit (Judentum), b) der Schönheit (Griechentum), c) der Zweckmässigkeit oder des Verstandes (Römer). Die oberste Stufe bildet III. die a b s o l u t e Religion, welche beide Ideen (Gott als Objekt u n d Subjekt) versöhnt, das Christentum. Was immer der Wert oder Unwert dieses Systems sei, so viel leuchtet ein, dass dasselbe sich zum Leitfaden einer geschichtlichen Darstellung g a r nicht eignet, da z. B. in der II. Abteilungganz heterogene u n d historisch unzusammenhängende Religionen vereinigt sind. Nicht besser passte aber zu diesem Zwecke z. B. P f l e i d e r e r s religionsphilosophische Einteilung, welche auf dem Verhältnis zur Gottheit nach Freiheit u n d Abhängigkeit basiert ist.
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Einleitung'.
Eine solche Einteilung können wir so wenig als Richtschnur brauchen, als man bei Darstellung der Geschichte der Philosophie erst die realistischen, d a n n die idealistischen Systeme vorführen wird. Sollte eine solche theologische Stufenleiter aufgestellt werden, dann w ü r d e sie sich etwa so gestalten: I. N a t u r b e f a n g e n e ( = heidnische)
Religionen.
1. Verehrung zufälliger N a t u r d i n g e : Fetischismus, z. B. in Afrika. 2. Verehrung zufälliger N a t u r k r ä f t e und Geister: Animismus. Afrika, Amerika, Mongolen u. s. f. .3. Verehrung der Natur nach ihren allgemeinen P o t e n z e n : Polytheismus. Ägypten, Kauaaniter, Babylonier u. s. f. 4. Verehrung der Natur nach ihren allgemeinen Gesetzen: Gestirndienst. Babylonier, Ägypter. 5. Verehrung der Natur als solcher: Pantheismus. Indien, Bralmianismus. 0. Verehrung der Naturauflösung. Buddhismus. 7. Verehrung der physisch-ethischen Macht des Guten. Parsismus. 8. Verehrung der ästhetisch-sittlichen Mächte. Hellenen tum. 9. Verehrung der politisch-sittlichen Mächte. Römer. II. N a t u r f r e i e
Religionen.
1. Verehrung des Übernatürlichen nach seiner Erhabenheit über der Kreatur. Mosaisinus. 2. V e r e h r u n g des Übernatürlichen nach seiner Versöhnung mit der Kreatur. Christentum. 3. Verehrung des Übernatürlichen in seinem Rückfall in die Natur. Islam. Allein schon diese Skizze zeigt, dass auch diese Cliinax nicht als Schema f ü r unsere Darstellung tauglich wäre. Manche Religionen tragen Charakteristisches von verschiedenen Stufen an sich, was geschichtlich sich nicht trennen lässt; manche erheben sich im Laufe der Zeit auf eine höhere Stufe oder sinken auch auf eine tiefere herab. Die einzige erspriessliche Methode ist diejenige, welche das Lebensbild der einzelnen Religion vor uns entstehen und wachsen lässt, so zwar, dass sie in die Gruppe eingereiht erscheint, mit welcher sie geschichtlich vom selben Stamme erwachsen ist. Denn es zeigt sich hier bei den vornehmsten Religionen eine weitgehende Familienähnlichkeit, welche auf nähere Verwandtschaft weist, ganz ähnlich wie bei den Sprachen, bei denen die E n t d e c k u n g von Familien erst zu einer f r u c h t b a r e n Vergleichung g e f ü h r t hat. Von den einzelnen Gliedern eines solchen Stammes wird man zu dem ältesten Gliede aufzusteigen trachten u n d von d a aus d i e ' g e r a d e n u n d die Seitenlinien am besten kennen lernen. Dabei leistet f ü r die Bestimmung des Organismus und seiner Glieder eben die S p r a c h e die schätzbarsten Dienste. Denn in der konkreten Ge-
Die Einteilung der Religionen.
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staltung derselben drücken sich die Beziehungen der Glieder zu einander sicherer und greifbarer aus als in der Mythologie, wo die Gebilde oft schemenhaft und verschwommen sind. Diese p h i l o l o g i s c h - e t h n o g r a p h i s c h e Methode nennt F . Max Müller mit Recht die einzig- richtige, wenigstens für die historische Darstellung der Religionen, mag er immerhin in seinen mythologischen Gleichungen an der Hand der Etymologie oft zu weit gegangen sein. Allerdings ist es einstweilen nicht möglich, den gesamten Stoff unter „Familien" von Religionen zu verteilen. Im eigentlichen Sinne des Wortes sind solche nur nachgewiesen bei der „semitischen" und der „indogermanischen" Gruppe. Aber solche Gruppen, welche unverkennbar nicht nur nach Sprache und Ethnographie, sondern auch nach religiöser Verwandtschaft zusammengehören, finden sich auch sonst. Wo sie fehlen, muss einstweilen mehr der geographische Gesichtspunkt vorherrschen; doch stellt sich dabei in der Regel bald auch die innere Verwandtschaft heraus. Die v o r g e s c h i c h t l i c h e n Probleme sind nicht Gegenstand einer wirklich historischen Darstellung. Was sich in Bezug auf den frühesten Stand der Religion von den geschichtlichen Erscheinungen aus mutmassen lässt, davon soll in den „Schlussbemerkungen" die Rede sein. Wir beginnen unsere Rundschau mit der a l t c h i n e s i s c h c n Religion, welche unter den heidnischen allein einer mehrtausendjährigen ununterbrochenen Existenz unter einem gebildeten Volke sich zu rühmen hat, dabei freilich auch unterschiedliche Phasen durchmachte und verschiedene Religionsbildungen erzeugte. Der primitive Charakter dieser Religion wie der einsilbigen chinesischen Sprache gibt ihr ein Recht auf den ersten Platz. Mit den Chinesen sind aber die mongolischen und übrigen t u r a n i s c h e n Stämme sichtlich verwandt. Wir schliessen deren wenig entwickelte Religionen an und berücksichtigen dabei insonderheit die etwas entwickeltere f i n n l ä n d i s c h c und die aus nationalen Gründen bemerkenswerte j a p a n i s c h e . Von der l i a m i t i s c h e n Familie ist wesentlich nur ein Glied näher bekannt, dieses aber um so merkwürdiger: die a l t ä g y p t i s c h e Religion, welche durch besonders zahlreiche und ausgiebige Monumente nach ihrem mehrtausendjährigen Bestände bezeugt ist. Ein anderes uraltes Centrum geistigen Lebens war B a b y l o n i e u . Hier haben wohl Turanier und Semiten sich frühzeitig gemischt. Von dort ging ein mächtiger Einfluss auf die ganz semitischen A s s y r e r aus, der sich weiterhin über das westliche Asien bis nach K a n a a n erstreckte. Reine S e m i t e n finden wir in den V e r w a n d t e n I s r a e l s , Moab, Amnion, Edom, in den Arabern und Israeliten. Hier wäre also auch die religiöse Entwicklung der Israeliten zu besprechen, welche in das J u d e n t u m ausläuft und im C h r i s t e n t u m ihre Orelli, Religionsßeschiclite. g
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Einleitung'.
V o l l e n d u n g e r l a n g t , w e n n nicht der b e s c h r ä n k t e R a u m dieses H a n d b u c h e s u n d seine B e s t i m m u n g es v e r w e h r t e n , dieser Geschichte der höchsten Religion, die a n d e r s w o zu einlässlichcr Darstellung k o m m t , g e r e c h t z u w e r d e n . I m C h r i s t e n t u m ist ü b r i g e n s d i e s e rein s e m i t i s c h e m B o d e n e n t q u o l l e n e R e l i g i o n b a l d zw e i n e m a n d e r n S t a m m ü b e r g e g a n g e n , d e m i n d o g e r m a n i s c h e n , in w e l c h e m d a s s e l b e seinen eigentlichen T r ä g e r u n d P f l e g e r innerhalb der Menschheit g e f u n d e n h a t . D a g e g e n f o l g t e a u s j e n e m u r s e m i t i s c h e n G r u n d ein Nachtrieb im I s l a m , der übrigens auch V ö l k e r verschiedener R a s s e n u m sein B e k e n n t n i s z u s c h a r e n w u s s t e . Vorher gedenken w i r noch des M a n i c h ä i s m u s , b e i d e m m a n im Z w e i f e l sein k ö n n t e , o b e r s e m i t i s c h e m o d e r a r i s c h e m B o d e n e n t s p r o s s e n sei, überwiegende Anzeichen aber für semitisch-babylonischen Ursprung sprechen, w a s auch von der R e l i g i o n d e r M a n d ä e r gilt, von d e n e n z w a r n u r e i n k ü m m e r l i c h e r R e s t n o c h v o r h a n d e n ist, d e r e n V e r g a n g e n h e i t a b e r in v o r i s l a m i s c h e Z e i t z u r ü c k r e i c h t . V ö l l i g a n d e r s als die S e m i t e n stellt s i c h n a c h i h r e r g e i s t i g e n A n l a g e die grosse i n d o g e r m a n i s c h e F a m i l i e dar, welche von d e n S t r ö m e n I n d i e n s b i s a n die G e s t a d e d e s a t l a n t i s c h e n O z e a n s a u s g e b r e i t e t , die r e i c h s t e F ü l l e u n d M a n n i g f a l t i g k e i t nationalen L e b e n s e n t f a l t e t e , a b e r s p r a c h l i c h u n d g e i s t i g , a u c h in i h r e n R e l i gionen, den nähern oder f e r n e m gemeinsamen Ursprung nicht verleugnet. W i r b e g i n n e n bei d e m östlichsten Gliede dieser F a m i l i e , d e n H i n d u , d e r e n h e i l i g e H y m n e n a l s d a s ä l t e s t e D e n k m a l indog e r m a n i s c h e r Gottesverehrung dastehen, und v e r f o l g e n die m e r k w ü r d i g e Geschichte dieser Religion, welche zum B r a h m a n i s m u s erstarrt, g e g e n welchen der B u d d h i s m u s eine g r u n d s t ü r z e n d e G e g e n s t r ö m u n g bildet, w o r a u f j e n e r B r a h m a n i s m u s als H i n d u i s m u s ohne s t r e n g geschlossene, Einheit sich zu neuem L e b e n aufrafft und bis auf die G e g e n w a r t sich fortpflanzt, nicht ohne dass mancherlei S c h u l e n u n d S e k t e n entstehen u n d auch der bis nach [ n d i e n v o r g e d r u n g e n e I s l a m s e i n e n E i n f l u s s s p ü r e n lässt, w ä h r e n d der Buddhismus aus seinem Stammlande vertrieben, sich besonders der f r e m d e n m o n g o l i s c h e n Rasse b e m ä c h t i g t und sein G e b i e t v o n T i b e t bis n a c h China u n d J a p a n a u s g e b r e i t e t hat. Mit d i e s e n H i n d u d u r c h v i e l e g e m e i n s a m e B a n d e v e r b u n d e n z e i g e n sich die I r a n i e r , w e l c h e m a n mit j e n e n e t w a u n t e r d e m N a m e n „ A r i e r " zusammenfasst, der aber ebensooft auf alle Indogermanen ausgedehnt wird. A u s j e n e m I r a n ist die L e h r e Z a r a t h u s t r a ' s h e r v o r g e g a n g e n , w e l c h e einst das mächtige P e r s e r r e i c h beherrschte, dann aber freilich sank und dem Islam weichen musste, so d a s s n u r n o c h e i n e k l e i n e S e k t e s i c h z u i h r b e k e n n t . In E u r o p a b e g e g n e n u n s d i e j e n i g e n B r ü d e r d e r A r i e r , w e l c h e die antike Welt- u n d K u l t u r g e s c h i c h t e am mächtigsten beeinflusst haben: die G r i e c h e n und R ö m e r , deren Religionen bei allen Ä h n l i c h k e i t e n so v e r s c h i e d e n u n t e r s i c h s i n d w i e d i e C h a r a k t e r e dieser beiden V ö l k e r . A m meisten B e r ü h r u n g mit diesen haben von den ü b r i g e n I n d o g e r m a n e n noch die K e l t e n , die sich immer-
Verhältnis der allg. Religionsgcschichte zur christl. Theologie.
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hin nur zu geringer Civilisation erhoben haben und deren Religion eine Mischung von Bildung und grausamer Roheit darstellt. Noch mehr Barbaren sind die alten G e r m a n e n , deren vorchristliche Götterfurcht u n d Frömmigkeit fast nur aus den Zeugnissen F r e m d e r bekannt ist, während aus etwas j ü n g e r e r Zeit n o r d i s c h e Quellen ein mythenreiches, sinniges Geschlecht erkennen lassen. Fast noch dürftiger als ü b e r die Germanen sind wir über die gleichfalls noch auf niedriger Bildungsstufe befindlichen heidnischen S l a v e n unterrichtet, die Nachbarn der im ersten Teil behandelten finnischen Stämme, so dass mit deren Besprechung unser R u n d g a n g f ü r einmal sich schliesst. Nicht berührt w u r d e von demselben das Innere A f r i k a s mit seinen Negern u n d negerähnlichen Stämmen, welchen wir einen besonderen, wenn auch mehr summarischen Abschnitt widmen, da hier von „Geschichte" kaum die Rede sein k a n n . Nicht viel anders steht es mit den ebenfalls von der übrigen Menschheit isolierten Eingeborenen A m e r i k a s ; n u r dass uns d a ausser den fast kulturlosen Indianerstämmen auch zwei mehr oder weniger civilisierte Staaten b e g e g n e n : M e x i k o und P e r u mit eigenartiger Ausgestaltung der Religionsvorstellungen und -gebrauche. Endlich verdient noch eine Gruppe in O z e a n i e n nähere Berücksichtigung, welcher in ethnographischer und religiöser Hinsicht Merkmale der Zusammengehörigkeit nicht fehlen, so stark auch die Verschiedenheiten der Leute auf den einzelnen Archipeln sind.
5. Verhältnis der allgemeinen Religionsgeschichte zur christlichen Theologie. Die allgemeine Religionsgeschichte ist dem Organismus der christlichen Religionswissenschaft anzugliedern, d a diese ihrer bedarf a) historisch angesehen, indem die Religionsgeschichte die allgemeine Basis aufzudecken strebt, aus welcher auch die biblische Religion hervorgewachsen ist und die Einflüsse, welche von andern Religionen auf dieselbe ausgeübt w u r d e n ; namentlich aber b) in ihrem systematischen Teil, f ü r den dort, wo das Wesen u n d die Wahrheit des Christentums dargelegt werden sollen, eine Vergleichung der anderen Religionen unerlässlich ist; doch auch c) im praktischen Teil, da diese Disziplin mit den F a k t o r e n b e k a n n t macht, welche die missionierende Kirche zu überwinden hat. Soll aber diese Wissenschaft theologisch behandelt werden, so ist dabei der Standpunkt des christlichen Bewusstseins einzunehmen, was anderweitige humanistische oder philosophische Bearbeitungen nicht ausschliesst. Die hier behandelte Disziplin der Allgemeinen Religionsgeschichte hat ein Recht darauf, in den Organismus der christlichen Theologie eingegliedert zu w e r d e n ; denn diese bedarf ihrer, u n d
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nach dem Bedürfnis, nicht nach einem künstlichen Schema sind der Theologie stets ihre Glieder gewachsen. Die historische Theologie, u n d zwar die biblische, sieht sich heute genötigt, die Gotteserkenntnis u n d den Gottesdienst, die uns in der hl. Schrift entgegentreten, nicht mehr blos ftir sich, sondern auch im Zusammenh a n g mit denen verwandter Völker zu behandeln. Die praktische Theologie wird von dem Augenblick an der allgemeinen Religionsgeschichte nicht entraten können, wo sie endlich auch die Arbeit d e r missionierenden Kirche ernsthaft in ihren Bereich zieht. Allein die Hauptader, welche unsere gesamte Disziplin, nicht nur einzelne Pai'tieen derselben, mit dem theologischen Lehrganzen verbindet, geht von der systematischen Theologie 1 ) aus, welche in ihrem apologetischen Teil die dem Christentum eigentümlichen wie die ihm mit andern Religionen gemeinsamen Merkmale hervorheben muss, um seinen einzigartigen Wert ins Licht zu setzen. Sie muss die Religionen unter einander und mit der eigenen vergleichen, um das Wesen u n d den Wert der letztern richtig zu erfassen. Nicht ohne ein gewisses Recht hat Max Müller das W T ort: „Wer eine kennt, k e n n t keine" auf die Religionen ü b e r t r a g e n . Wie die Muttersprache in neuem Lichte erscheint, wenn man ihre verw a n d t e n Mundarten kennt, und sie als Glied eines grossen Ganzen verstehen gelernt hat, so fällt auch auf die einzelne Religion ein überraschend neues Licht, wenn sie nach ihrer Verwandtschaft und Gegensätzlichkeit zu den übrigen angeschaut wird. Die Eigenart eines menschlichen Verhaltens zu Gott wird erst da recht gewürdigt, wo man die andern Verhältnisse vor Augen hat, in welchen Menschen zur Gottheit gestanden haben oder noch stehen. Aus solcher Vergleichung ergibt sich die richtige Schätzung des Eigenwertes der einzelnen Religion. Daher greifen heute der Freigeist und der Apologet zur Religionsvergleichung, um das Christentum herabzusetzen oder zu erheben. F ü r ein begründetes Urteil bildet aber die Religionsgcschichtc die unentbehrliche Voraussetzung. Damit nun, dass wir diese Disziplin f ü r die christliche Theologie in Anspruch nehmen, fordern wir auch ihre Behandlung vom cliristlichcn Standpunkt. Die christliche Theologie ist die wissenschaftliche Aussage des christlichen Bewusstseins. W i r verlangen das Recht, die einzelnen Religionen mit dem Lichte zu beleuchten, welches uns die höhere Offenbarung Christi an die H a n d gibt, und sie am Masse des christlichen Bewusstseins zu messen. Wollte j e m a n d einwenden, es sei unstatthaft, das Ganze nach einem Teil zu beurteilen, das richtige wäre das u m g e k e h r t e Verfahren — dem antworten wir dreierlei: Erstens erkennen wir vollkommen an, dass auch Darstellungen der allgemeinen Religionsgeschichte be1) Vgl. z. B. J. K a f t a n , Wesen der christl. Religion, Basel 1881, S. 1 ff.— P. G l o a t z , Die Heranziehung der Religionsgeschichte zur systematischen Theologie in TSK 67 (1894), 733 fr.
Geschichte der Disziplin.
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rechtigt sind, welche blos von allgemeinen philosophischen, humanistischen, anthropologischen Prämissen ausgehen. Es wird aber bei diesem Gegenstand das religiöse Bewusstsein des Darstellers mehr mitsprechen als er selber meint. Das Müller'sche „Wer eine kennt, kennt keine" lässt sich auch ergänzen durch das andere: „Wer keine h a t , kennt keine." So wenig jemand, der keine Muttersprache hätte, in deren lebendigem Gebrauch er aufgewachsen wäre, das geistige Wesen der Sprache erfassen könnte, ob er gleich tausend Sprachlehren vergliche, so wenig wird jemand das Geheimnis der Religion oder die Bedeutung der einzelnen Religionen enträtseln, der auf diesem Gebiete keine innere Erfahrung hat. — Zweitens sind wir Christen von der Überzeugung durchdrungen, dass das Christentum die absolut wahre oder vollkommenste Religion ist. Gesetzt den Fall, wir haben damit Recht, so leuchtet ein, dass vom Christentum aus, das alle Wahrheitsmomente der übrigen frei von den Irrtümern derselben enthält, der Schlüssel zu deren Verständnis liegen muss. Ohne diesen Schlüssel bliebe in der That das religiöse Leben der Menschheit ein ungelöstes Rätsel. — Drittens aber betonen wir bestimmt, dass der wirkliche, historische Bestand, der vor allem festzusetzen ist, weder durch christliche, noch durch anderweitige vorgefasste Meinungen beeinträchtigt oder umgestaltet werden darf, sondern so treu als möglich wiederzugeben ist. Auch die innere Würdigung dieses Befundes darf nicht ohne weiteres nach einer im voraus feststehenden Theorie vor sich gehen. Es wäre unstatthaft, anderswoher — sei es aus der Philosophie oder Theologie — fertige Lehrsätze über die Religionen und ihre Entwicklung mitzubringen. Also auch die Vorstellungen, welche wir davon aus der Bibel oder den christlichen Anschauungen haben mögen, werden am Thatbestande zu prüfen und nach demselben zu modifizieren sein. Aber es leuchtet ein, dass die Beurteilung des religiösen Lebens der Menschheit im Ganzen und vielfach auch im Einzelnen verschieden ausfallen wird, jenachdcm der Beobachter sich im Besitz der vollen christlichen Wahrheit befindet, oder etwa alle Religion nur als eine Ausstrahlung des menschlichen Gemüts und seiner Phantasie anzusehen gewohnt ist, oder vielleicht auch auf jede objektive Erkenntnis der Gottheit nieint für immer verzichten zu müssen.
6. Geschichte der Disziplin. Die Religionsgeschichte als wirklich allgemeine und nach streng historischen Prinzipien angelegte Disziplin ist jungen Datums; sie gehört erst dem 19. Jahrhundert an. Doch finden sich längst Ansätze dazu, d. h. partielle Darstellungen des Materials. — Schon im Altertum begegnen uns bei Historikern und Geographen, wie H e r o d o t , S t r a b o , T a c i t u s u. a. eingehendere
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Mitteilungen über religiöse Gebräuche und Vorstellungen namentlich eines fremden Volkes, ohne dass Vollständigkeit oder geschichtliches Verständnis des Religiösen von diesen Gewährsmännern gefordert werden könnte. Anders beschäftigen sich mit solchen Gegenständen philosophische Schriften eines P l a t o , A r i s t o t e l e s , C i c e r o u. a. Hier ist das Interesse ein philosophisches, mehr als historisches. Aber auch das rcligionsphilosophische fehlte nicht. Wir werden bei der griechischen Religion die Mythographen kennen lernen, welche in verschiedener Weise die Mythen zu deuten suchten. Am einflussreichsten war E u e m e r o s (aus der kyrenaischcn Schule um 3 0 0 v. Chr.), welcher in einer Schrift (uori nvnyQMprf) die Behauptung durchfährt, die griechischen Götter und Heroen seien von llaus aus historische Persönlichkeiten, hervorragende Könige, Helden, Weise der Vorzeit gewesen, welche sich göttlich verehren liessen oder nach ihrem Tode unter Mitwirkung der Dichter zu Göttern erhoben wurden, nachdem die Erinnerung an ihr irdisches Leben entschwunden war. Dieser „Euhcmerismus", wie man die fortan oft gangbare und beliebte historisierende Deutung nennt, enthält zwar ein Körnchen AVahrheit, da geschichtliche Erinnerungen bei der Mythenbildung mitwirken können, hat aber das religiöse Wesen des Mythus nicht verstanden. Stark überwog dagegen das religiöse Interesse bei den N e u p l a t o n i k e r n , welche die einzelnen Religionen vergleichend durchforschten, um deren gemeinsamen Kern zu finden; unter ihren Vorläufern ist mit Auszeichnung P l u t a r c h zu nennen, der die Überzeugung ausspricht, dass es nicht verschiedene nationale Götter gebe, sondern Eine Vorsehung alles leite; nur die Namen und Verehrungsweisen seien bei den Nationen verschieden. Freilich war dieses ironische Studium der Religionen nicht frei von vorgefassten Meinungen. Nachdem das C h r i s t e n t u m auf den Plan getreten war, setzten sich seine Vertreter mit den übrigen Religionen apologetisch und polemisch auseinander, so J u s t i n u s Martyr, T e r t u I i i a n , A u g u s t i n , O r i g c n e s u. a. Besonders zu nennen ist die aggressive Schrift des J u l i u s Firmieus Maternus: De errore profanarum religionum (zwischen 3 4 3 und 3 4 8 geschrieben), worin die heidnischen Mythen euhemeristisch oder als Umgestaltungen biblischer Erzählungen erklärt und die Formeln der heidnischen Mysterien als Nachäffang von Sprüchen der hl. Schrift bezeichnet werden, schliesslich übrigens der Verfasser die Kaiser zur Zerstörung der Göttertempel und -bilder auffordert. Von A u g u s t i n kommt besonders in Betracht das W e r k : De civitate dei contra paganos, welches die civitas dei in Israel zu der civitas terrena in Parallele stellt und unter letzterer Kategorie eine Art religionsgeschichtlicher Übersicht über die weltlichen Reiche und die falschen Religionen der Hauptvölker gibt 18, 1 ff. Aber schon in den 13 ersten Büchern beschäftigt sieh Augustin hauptsächlich damit, die Überlegenheit des Christentums gegenüber dem Heidentum, namentlich dem römischen, darzuthun. Doch herrscht die
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Polemik zu sehr vor, als dass es zu einer ruhigen historischen Darstellung käme. Eine solche findet man überhaupt weder in der patristischen, noch in der mittelalterlichen oder der reformatorischen Zeit. Ohnehin war mit dem Untergang der heidnischen Religionen das Interesse an ihnen verschwunden; erst die Renaissance brachte die des klassischen Altertums den Abendländern wieder näher. Merkwürdigerweise findet sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. ein wirkliches Beispiel unparteiischer Religionsvergleichung, bei Kaiser A k b a r 1 ) zu Delhi (1542—1605), der an seinem Ilofe Muhammedaner, Brahmanen, Anhänger Zarathustras, Juden, Christen u. a. versammelte und sich ihre heiligen Schriften übersetzen liess, um selber aus jeder Religion wählen zu können, was ihm am besten gefiel. Das Buch, welches die Ergebnisse dieser Religionsverglcichungen enthält, führt den Namen Dabisthan und ist von dem Muhammedaner Mohsan Fani geschrieben; es handelt von zwölf Religionen. Zu diesem eklektischen Werke eines orientalischen Herrschers bildet ein seltsames Gegenstück eine skeptische Schrift eines abendländischen namenlosen Autors, das berüchtigte lateinische Buch: D e t r i b u s i m p o s t o r i b u s 2 ), im Jahr 1598 in Deutschland (oder Kakau) im Druck erschienen. Man hat auf alle namhaften Freidenker jener Zeit geraten, ohne dass eine solche Vermutung über den Verfasser Wahrscheinlichkeit hätte. Die „drei Betrüger" sind Moses, Christus, Muliammed, da dieselben vorgeben, göttliche Offenbarungen empfangen zu haben, während Gott nie Anbetung von den Menschen verlangt habe, sondern alle Religionen das Werk von Priesterbetrug und Berechnung der Regenten seien. So wenig man nach diesen Voraussetzungen irgend ein Verständnis der Religion bei diesem Pamphletisten erwarten darf, so sei er doch hier erwähnt, weil er mit Nachdruck eine gründliche, vollständige und insbesondere unparteiische Vergleichung der Religionen verlangt, deren Kenntnis man nur aus den authentischen Schriften jeder derselben zu schöpfen habe, insonderheit aus dem, was der Religionsstifter gelehrt, ja nicht aus den Berichten solcher, welche dem betreffenden Bekenntnis nicht angehören, also seine Gegner seien. Im 17. Jahrhundert finden sich eigentliche Vorarbeiten zu einer Geschichte der Religionen. Besondere Hervorhebung verdient G e r h . J o h . V o s s i u s , De theologia gentili seu de origine ac progressu idololatriae, Amstel. 1642 und seitdem öfter herausgegeben. In diesem gelehrten Werk findet sich viel von jenem patristischcn Euhemerismus, der die Götter und Halbgötter der Heiden aus biblischen Persönlichkeiten ableitet. Doch haben andere Zeitge1) Siehe über ihn F. Max M ü l l e r , Einleitung in die vergl. Religionsw. S. 20 f. 68 ff. 2) Herausgegeben von E m i l W e l l er, Heilbronn 1876, von demselben mit deutscher Übersetzung schon 1846.
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nossen wie der Abbé B a n i e r , und Peter Daniel H u e t dieser Methode noch weit massloser gefröhnt, worüber näheres bei der griechischen Religion. Auch S a m . B o c h a r t ist in diese verkehrte Bahn geraten, der seine unbestrittenen Verdienste auf dem archäologischen Gebiete hat. Überhaupt ging tüchtige archäologische Arbeit in dieser Periode neben den mythologischen Versuchen her. S p e n c e r suchte dabei die mosaischen Einrichtungen nach Ägypten heimzuweisen, W i t s i u s trat ihm entgegen. Auf Grund der Lichtseiten des Heidentums, die Vossius nicht leugnete, betonten die englischen Deisten die Übereinstimmung aller Religionen in gewissen Grundwahrheiten, an ihrer Spitze H e r b e r t von C h e r b u r y : De religione gentilium errorumque apud eos causis, Lond. 1645. 63. Im 18. J a h r h u n d e r t 1 ) durfte man sich mit häretischen oder gar religionsfeindlichen Ansichten k e c k e r hervorwagen; man fasste die Probleme u n b e f a n g e n e r ins Auge. F ü r die Religionsphilosophie epochemachend waren die Schriften des D a v i d I l u m e : Natural history of religion, Lond. 175;"), und Dialogues eoncerning natural religion, Lond., 2. ed. 1779. Die Bedeutung dieser Schriften ist freilich keine historische, eher in der Tliat eine naturhistorische : Er gibt eine p s y c h o l o g i s c h e E r k l ä r u n g der Religion aus den Affekten des menschlichen Gemüts und lnit so unendlich wahrer als Euemeros oder der Verfasser der Inipostores einen wichtigen Faktor, der bei der Entstehung der Religionen mitwirkte, ins Licht gesetzt, freilich einseitig genug, indem er, der subjektive Idealist, das Objektive, Göttliche ignoriert oder wegzudisputieren glaubt, ohne welches die Religion ebensowenig v e r n ü n f t i g zu erklären ist wie ohne psychische Vorgänge. Auch an der Schwelle des 19. Jahrhunderts, welches unsere Disziplin als solche hervorgebracht hat, stehen zwei Koryphäen der Philosophie als ihre besonderen Gönner: Hegel u n d Schölling! H e g e l war der erste, welcher die Religion in das Leben des menschlichen Geistes systematisch eingliederte. Wir sahen oben 2 ), wie er auch die Religionsgeschichte in ein logisches Schema fasste, in welchem sie sich entfalten soll. Statt der Psychologie Humes ist hier die Logik die treibende F e d e r . Die Religion musste sich mit logischer Notwendigkeit nach ihrem Begriffe so ausleben, wie sie sich geschichtlich darstellt. Wir haben freilich schon oben angedeutet, dass hier wie anderwärts der wirkliche geschichtliche 1) Dass der Gesichtskreis und die Teilnahme für fremde religiöse Sitten und Gebräuche sich erweiterten, davon ist das grosse illustrierte Werk des Bernard P i c a r t ein Beweis: Cérémonies et Coutumes Religieuses de tous les peuples du monde, 7 Bände, Amsterdam 1723 ff. Band 1 (1723) behandelt Juden und katholische Christen, Bd. 2 (1723) die Katholiken, Bd. 3 (1733) Griechen und Protestanten, Bd. 4 (1736) Ang'likaner, Quäker, Anabaptisten, Bd. 5 (1737) Muhammedaner, Bd. 6 (1723) Westindien, Mexiko, Peru, Ostindien, Bd. 7 (1728) Ostindien, China, Japan, Parsi, Afrikaneger. 2) Seite 15.
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Verlauf mit dem logischen Prozess nicht zusammenfallen will. Die Handbücher der Hegel'schen Schule leiden an diesem Zwang, der dem Stoffe um des Systems willen angethan wird. Ganz anders hat Hegels Eivale, S c h e l l i n g , sich mit dem Gegenstande zurechtgefunden. In seinen Vorlesungen über die Mythologie 1 ) stellt auch er die Religionsgeschichte als einen einheitlichen Prozess dar, nur ist es von ferne kein subjektiver, sondern ein objektiver theogonischer Prozess. Der Mythus ist durchaus religiös zu fassen; er ist das notwendige Produkt der göttlichen Potenzen, welche zuerst in der Natur weltbildend aufgetreten sind und nun im Menschengeist geschichtsbildend auftreten, woher der Schein einer Beziehung des religiösen Bewusstseins auf die Natur entstehe. Dem Hume'schen Subjektivismus ist hier ein ebenso einseitiger Objektivismus entgegengestellt, der auch der Ergänzung und Läuterung bedarf, um über den Pantheismus hinauszukommen. So anregend aber diese Philosophen auch nach seite der Religionsgeschichte hin wirkten, so hätte doch diese Wissenschaft nicht einen so bedeutenden Aufschwung im 19. Jahrhundert nehmen können, wenn nicht eine Reihe von anderen, mehr realistischen Faktoren hinzugekommen wären, um ihren Gesichtskreis zu erweitern und ihre Methode auszubilden. Vor allem thaten sich der Altertumsforschung neue weite Gebiete auf und die Sprachwissenschaft vermittelte den Schlüssel zu den Quellschriften der entsprechenden Religionen. Das Sanskrit wurde entdeckt und damit die ältesten Schriftdenkmäler der Hindu verständlich gemacht. Die Ägyptologie schritt seit der Auffindung des Steines von Rosette (1799) unaufhaltsam vorwärts. Etwas später glückte die Lesung der persischen Achäinenideninschriften in Keilform, an welche sich nach Jahrzehnten die der assyrischen reihte. Aber auch das chinesische Schrifttum war den Europäern unterdessen vertraut geworden, und man konnte es unternehmen, die hl. Schriften aller alten Kulturvölker zusammenzustellen. Nicht zu vergessen ist, dass dank den neu erfundenen Verkehrsmitteln die entlegenen Erdstriche nahegerückt und viel bereist wurden, so dass man auch mit den unkultivierten Völkern der Gegenwart in Berührung kam wie nie zuvor und ihre noch lebenden Religionen studieren konnte. Unter den Reisenden waren es aber namentlich die M i s s i o n a r e , welche die Kenntnis der fremden Völker und. ihrer Religionen mächtig förderten. Der zu Anfang des 19. Jahrhunderts ungleich stärker als früher erwachte Missionseifer ist daher auch ein wichtiger Faktor, der zum Aufschwung oder zur Entstehung der heutigen Disziplin beigetragen hat. Man hat den christlichen Missionaren oft die nötige Bildung zum Studium der Völker, an denen sie arbeiten, und das Verständnis der heidnischen Religionen abgesprochen. Allein es liegt auf der Hand, dass diese Männer, welche 1) Nach seinem Tod herausgekommen in den Ges. Werken, 2. Abt., 1. 2 (Stuttg-, 1856. 57).
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lange J a h r e unter solchen fremden Stämmen zubringen, viel Zuverlässigeres über deren geistiges Leben und äusseres Treiben berichten können, als solche Reisende, die sich nur kurz bei ihnen aufhalten und oft nur oberflächlich mit ihnen in Berührung treten. Heute sind die hohen Verdienste vieler Missionare um Sprachwissenschaft, Ethnographie und Keligionskunde allgemein anerkannt. Haben sie doch mancherorts der Wissenschaft in meisterh a f t e r Weise die Bahn gebrochen, und Gebiete zugänglich gemacht, welche sonst zum Teil bis heute völlig u n b e k a n n t wären. Aber auch in Ländern wie China und Indien, welche heutzutage von vielen durchforscht werden, nehmen die Arbeiter der christliehen Mission, der evangelischen und der katholischen, eine ehrenvolle Stellung ein. Wir heben aus der neueren Litteratur noch eine Anzahl von W e r k e n heraus, welche annähernd die gesamte Religionsgcschichte behandeln. Friedrich C r e u z e r s Symbolik, 4 Bde., Leipzig und Darmstadt (von 1812 an) o. Aufl. 1887—42 nennen wir, obwohl sie sich namentlich mit griechischen und italischen Mythen bel'asst, darum, weil der Verf. dieselben mit der ihm sonst bekannten Mythologie in Zusammenhang setzt. Seine leitenden Gesichtspunkte (ursprünglich monotheistische Urreligion, starke Sehnsucht der Heiden nach Erlösung, religiöse Bedeutung der Mythen) haben viel Anfechtungen erlitten, sie sind aber nicht ohne Wahrheit u n d in der letzten Auflage vorsichtiger verwertet. Das Material ist natürlich gänzlich veraltet. Ebenso bei E. C. B a u r , Symbolik und Mythologie, 2 Teile, Stuttgart 1824/25. A d o l f W u t t k e , Geschichte des Heidentliums (in Beziehung auf Religion, Wissen, Kunst, Sittlichkeit und Staatslcben), 2 Bde., Breslau 1852/53, behandelt die Naturvölker mit Einschluss von Mexiko und Peru und das Geistesleben der Chinesen, J a p a n e r und Indier. Das Hegeische Schema thut der geschichtlichen Darstellung etwas Eintrag. Doch ist das Material, soweit es damals zugänglich war, vom Verf. sorgfältig gesammelt und vou entschieden christlichem Standpunkte beurteilt. O. P f l e i d e r e r , Geschichte der Religion (2. Teil seiner „Religion, ihr Wesen und ihre Geschichte") Leipzig 1869 — ist mehr religionsphilosophisch, enthält aber manches Lehrreiche in geschichtlicher Hinsicht; vergl. demselben Religionsphilosophie auf geschichtlicher Grundlage, Berlin 1878. Geistreich, a b e r sorgfältig zu p r ü f e n sind E d u a r d v o n H a r t m a n n s 1 ) Reflexionen ü b e r die einzelnen Religionen u n d den Entwicklungsgang der Religion im allgemeinen. Ein schätzbares Hülfsmittel f ü r diese Studien bot die von E. Max Müller ins W e r k gesetzte Sammlung heiliger Bücher in englischer Sprache: S a c r e d B o o k s of the East. Von C. P. T i e l e erschien Berlin 1880 (2. Aufl. 1887) ein 1) E d u a r d v o n H a v t m a n n , Das religiöse Bewusstsein der Menschheit im Stufengang' seiner E n t w i c k l u n g , Berlin 1882.
Geschichte des Disziplin.
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Kompendium der Religionsgeschichte, deutsch von F. W. T. W e b e r , mit guter Angabe der Litteratur, aber in einer für das Verständnis oft allzu k n a p p e n F a s s u n g und von der Theorie des Verf. stark beeinilusst. Von d e m s e l b e n erscheint gegenwärtig eine Geschichte der Religion im Altertum bis auf Alex. d. Gr., deutsch herausg. von G. G e h r i e h ; Bd. I Gotha 1895/96 behandelt Ägypten, Babylonien, Assyrien u n d Vorderasien (mit Einschluss von Kanaan und Israel);" Bd. II, 1 (1898) die Iranischen Völker. C h a n t c p i e d e l a S a u s s a y e , Lehrbuch der Keligionsgcschichtc, 2 Bde., F r e i b u r g 1887/89, war bisher aus der Gegenwart der einzige vollständige Versuch einer Darstellung des Gegenstandes in deutscher Sprache,, ein überaus verdienstliches und sachkundiges W e r k , das allerdings oft mehr die Geschichte der F o r s c h u n g und eine Umschreibung der wissenschaftlichen F r a g e n gibt als gerade ein lebendiges Bild der betreffenden Religion. Anders ist dies in der 2. Auflage 1896/97 geworden, wo jedoch einzelne wichtige Abschnitte andern Gelehrten zugeteilt sind. Erwähnt sei auch die kompendiarische, aber lebendige Darstellung von G e o r g e R a w l i n s o n , The Religions of the Ancient World, London 1882; ferner die Skizze von B r u n o L i n d n e r in Zöcklers l l a n d b . der theol. Wissenschaften, Band III (München 1890), S. 593 ff. Unter den Zeitschriften, welche diesem Gebiete gewidmet sind, verdient die Pariser Revue de l'histoire des religions (seit 1880, jetzt von J . R e v i l l e herausgegeben) besonders g e n a n n t zu werden. Ein deutsches „Archiv f ü r Religionswissenschaft" hat unter der Leitung von Ths. A c h e l i s (Bremen) seit 1898 (Freib. Lcipz. Tüb.) zu erscheinen begonnen. Anzeichen, welche die erhöhte Teilnahme der Gegenwart an der Religionsvergleichung bekunden, bilden der im J a h r 1893 in Chicago abgehaltene Religionskongress (the world's parliament of religions), dessen Akten in 2 Bänden erschienen sind, u n d der erste „Religionswissenschaftliche Congress", der Ende August 1897 in Stockholm tagte.
A. Turanische Gruppe. I. Religion der Chinesen. Einleitung'. Das L a n d d e r C h i n e s e n 1 ) nimmt einen grossen Teil des südöstlichen Asien ein. Genauer ist ihr eigentliches Gebiet abgegrenzt im Norden durch die gegen die Tataren aufgerichtete „Chinesische Mauer", im Westen durch die Gebirge von Tibet, im Südwesten durch Gebirge, die es von Birma und Annani scheidcn, obwohl hier die Grenze stets weniger bestimmt war, im Süden und Osten durch das Meer, so zwar, dass die grossen Inseln Hainau und Pekan oder Formosa dazu gehörten. Die letztere, welche die Chinesen übrigens erst seit 1683 n. Chr. besassen, verloren sie neuerdings (1895) an die J a p a n e r . Allein von altersher dehnten die Chinesen ihren Einfluss und ihre Oberhoheit noch viel weiter aus über Tibet im Westen, einen grossen Teil von T u r k e s t a n (das sie jedoch mit der Zeit aufgeben mussten), die Mongolei und Mandschurei im Norden, sowie zeitweise über Korea. Auf das heutige China, das lange nicht mehr die grösste Ausdehnung hat, rechnet man noch immer ungefähr 4 Millionen Q.-K. mit c. 360 Millionen Bewohnern. Dieses Land ist von ansehnlichen Gebirgen und mächtigen Strömen durchzogen. Unter den letztern, wclche mit ihrem vielverzweigten Flussnetz die Hauptadern des Verkehrs bilden, sind hervorzuheben der Hoang-ho (gelbe Fluss) im Norden, der J a n g tse-kiang, welcher die Mitte des Reiches durchströmt, und der Si-kiang im Süden. Durch zahllose Kanäle wurde der Bewässerung u n d Schiffahrt nachgeholfen. Auch die Meeresküste ist mancherorts zugänglich und zum Verkehr einladend. Anderseits dienten die hohen Gebirge und unwegsamen Sandwüsten, welche das Land umgeben, ihm zum Schutz, wenn sie es auch nicht immer gegen die Einfälle fremder Stämme zu sichern vermochten. Der Kultur günstig ist auch das Klima. Die T e m p e r a t u r ist zwar im Sommer 1) F. von R i c h t h o f e n , China, 2 Bde., 1877. 82.
Das Volk der Chinesen. eine hohe, kann aber durchschnittlich doch z. B. im Vergleich mit der Indiens als eine gemässigte bezeichnet werden. D a s V o l k d e r C h i n e s e n , das nach ihrer Überlieferung ursprünglich aus „hundert Familien" bestand, die ron Nordwesten kommend sich erst um den „gelben Fluss" niederliessen, dann nach Süden sich ausbreiteten, gehört nach seiner physischen Constitution der mongolischen Rasse an, von welcher im nächsten Abschnitt die Rede sein wird. Es zeigt sich aber physiologisch und sprachlich deutlich unterschieden von den benachbarten Tataren, Mongolen, Mandschu u. s. w., mit welchen es immerhin durch erkennbare verwandtschaftliche Beziehungen verknüpft ist. Die Chinesen sind ein kleiner Menschenschlag, von gelblicher Hautfarbe, mit rundem Gesicht, vorstehenden Backenknochen, niedriger Stirn, kleinen Nasen, schwarzen, eigentümlich geschlitzten Augen, dünnem Bartwuchs, straffem, schwarzem Haar. Als „das schwarzhaarige Volk" bezeichnen sie sich selbst schon im hohen Altertum. Sie fanden in China die M i a o vor, ein ungeschlachtes Tatarenvolk, das sich vor ihnen ins Gebirge zurückzog, dort aber Jahrtausende lang sich neben ihnen erhalten hat. Die Chinesen selbst waren von jeher ein intelligentes, friedliebendes, ungemein arbeitsames, nüchternes Volk, massig im Genuss von Nahrung und Getränken, verständig, praktisch, erfinderisch. Dagegen verraten sie wenig Einbildungskraft und Idealismus. Ihre Gelehrten sind Virtuosen an Gedächtnis, aber nicht eben grosse Denker. Auf dem Gebiet des Nützlichen leisten sie ungleich grösseres als auf dem der Kunst. Was sie von Kunst haben, lässt Anmut und Zierlichkeit nicht vermissen, wird aber leicht kleinlich, ängstlich, handwerksmässig. Bei aller Rührigkeit haben sie sichs übrigens stets zur Tugend gerechnet, in Denk- und Lebensweise die Alten nachzuahmen, was natürlich nicht ausschliesst, dass auch bei ihnen Neuerungen eindrangen und mancher Wechsel sich vollzog. Die zähe Ausdauer der Chinesen in Landbau und Industrie und ihre pietätvolle Anhänglichkeit an die überkommenen Grundsätze, namentlich in Bezug auf das Familien- und Staatsleben, wovon unten die Rede sein wird, haben ihnen die Kraft verliehen, die umliegenden Ländereien urbar und die dort ansässigen Barbarenhorden sich dienstbar zu machen und auch solche Völker, von denen sie selbst unterjocht wurden, sich in kurzer Zeit zu assimilieren. Zu ihren Nationalfehlern gehören Verschlagenheit, Tücke, Aberglauben. Auch die tatarische Grausamkeit kommt nicht selten zum Vorschein. D i e G e s c h i c h t e d e r C h i n e s e n 1 ) verliert sich im Dunkel einer sagenhaften Vorzeit, wo meist patriarchalische Kaiser, die den Spätem als Inbegriff der Tugend und Staatsweisheit galten, regiert 1) Vgl. G ü t z l a f f s Geschichte des chines. Reiches, herausg. von Karl Fr. Neumann, Stuttg. u. Tiib. 1847. — J. E. R. K ä u f f e r , Gesch. von Ostasien, 3 Bde., Leipz. 1858-60. — J. H. P l a t h , Die Völker der Mandschurey, 2 Bde., Gött. 1830. 31.
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haben sollen. Als solche werden aus der Urzeit genannt Fohi, Schinnong, Hoangti, welchen schon wichtige Erfindungen (Schrift, Ackerbau und dgl.) beigelegt werden. Schon etwas greifbarer sind die drei grossen Monarchen, welche die spätere Chronologie vorn Jahr 2356 v. Chr. an auf dem Kaiserthrone sich folgen lässt: J a o , der erste derselben, gilt als unübertroffenes Vorbild eines tugendhaften und weisen Herrschers. Ihm folgte nach seiner Anordnung S c h ü n , den er aus der Niedrigkeit empor gehoben hatte, auf diesen Jii, von welchem, da (angeblich gegen seinen Willen) die Kaiserwiirde nun erblich wurde, die erste Dynastie: H i a sich ableitete, welche 2204—1765 regiert haben soll. Mit der Herrschaft des sagenhaften Jao stellt in Zusammenhang die Überlieferung einer gewaltigen Überschwemmung des Landes. „Die Flut bedeckte Berge und Hügel und bedrohte den Himmel mit ihren Gewässern." (Schu-king I, 3, 11). Namentlich dem J ü als Minister des Jao wird das Verdienst zugeschrieben, dass er diese ungeheure Flut ableitete, indem er durch grossartige Regulierung die Flüsse des Reiches in ihr Bett leitete und zugleich die Wälder ausrottete und den Boden urbar machte. Dass dies innerhalb weniger Jahrzehnte geschehen sein soll, kennzeichnet die legendarische Färbung des Ganzen. Unmöglich ist es nicht— nach dem Wortlaut, der bei jener Überschwemmung nicht blos auf einen kulturlosen Zustand, sondern auf eine Katastrophe deutet, ist es sogar wahrscheinlich —, dass die Chinesen gleich so vielen andern Völkern die Erinnerung an eine vorhistorische Flut in ihr Land mitbrachten und sie diesem anpassten, wo von altersher durch Kanalisierung den Überschwemmungen musste vorgebeugt werden. Doch enthält ihre Überlieferung den Zug nicht, dass diese Flut ein Gericht über gottlose Menschen war; das ganze Interesse haftet an der Ableitung derselben durch den Kulturherocn Jii 1 ). Trotz der riesenhaften Ausdehnung, welche die Sage den Werken dieses Herrschers gegeben, ist seine Gestalt schon besser bezeugt als die seiner Vorgänger. Legge nennt ihn den ersten historischen Kaiser der Chinesen. Was Jao und Schün betrifft, so mögen sie gleichfalls historische Personen sein. Doch haben wir uns ihre Herrschaft viel beschränkter zu denken, als die Sage sie darstellt. Eine Spur findet sich noch an einer Stelle des Schu-king, wo Jao einmal als Fürst von Tao und Tang erscheint, der über das Land Ki (nördl. vom gelben Fluss) herrschte, während er freilich anderswo im selben Buche schon als Alleinherrscher über 10 000 Staaten figuriert2). Nach allen Anzeichen haben wir uns die Wiege des chinesischen Reiches östlich und nördlich vom gelben Fluss zu denken. Dort hatte sich dieses Volk, das vermutlich von Nordwesten eingewandert war, zuerst sesshaft niedergelassen und überschritt erst langsam den Hoang-ho, noch rings umgeben von Wildnissen und barbarischen Stämmen. 1) Vgl. L e g g e in der Einl. zum Schu-king S. 74 ff. 2) L e g g e ebenda S. 60 f.
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Die Hia-Dynastie behauptete sich nicht auf der Höhe ihres Begründers. Manche Glieder derselben werden genannt, die das Gegenteil eines weisen Regiments führten. Namentlich der letzte der Reihe, Kie, galt späterhin als abschreckendes Beispiel eines Tyrannen und Wüstlings auf dem Throne. Es folgte die S c h a n g oder J i n - D y n a s t i e (1765—1121), begründet von dem frommen und glücklichen Tschlnng Thang und endend mit dem elenden Tscheu-sin oder Scheu. Die Tscheu-Dynastie (1122—255 v. Chr.) eröffneten Wun-wang (der Zusatz wang: König) und sein Sohn W u - w a n g , beide vielgepriesen, z. B. in den Liedern des Schi-king. In seinem Lande Tscheu führte König Wen (f 1134) ein Musterregiment. Er brachte durch blosses Zureden die westlichen und nördlichen Barbaren, gegen die er im Dienst seines Kaisers ausgezogen war, zur Unterwerfung. Die meisten chinesischen Fürsten huldigten ihm freiwillig aus Bewunderung für seine hohe Persönlichkeit und die Trefflichkeit seiner Einrichtungen. Doch hütete er sich wohl, gegen seinen Oberherrn, den verachteten Scheu, etwas zu unternehmen. Erst sein Sohn Wu fühlte sich veranlasst, denselben endlich zu stürzen und wurde so Gesamtherrscher (vom J . 1121 an). Er richtete auch in seiner neuen Residenz (Hao) höhere und niedere Schulen ein. Ihm folgte sein Sohn Tschlnng 1114—1077, unter der Vormundschaft seines weisen Oheims, des H e r z o g s v o n T s c h e u . Dieser hochgesinnte Fürst, welcher seine geniale staatsmännische Begabung uneigennützig in den Dienst der Dynastie stellte, kann als der eigentliche Begründer ihrer Macht angesehen werden. Das Rcich war ein Lehenreich, indem der Kaiser, welcher selber die Mitte desselben regierte, die umliegenden Provinzen seinen Verwandten verlieh, die Oberhoheit über diese Fürsten und Länder aber sich vorbehielt. Dieses System hatte schon unter den früheren Herrschern sich gebildet, gelangte aber unter dieser Dynastie zu seiner vollsten Ausgestaltung. Auf die ruhmvollen Anfänger der Tscheudynastie, welche einen Höhepunkt der chines. Geschichte darstellen, folgten zwar noch einzelne einsichtige und kraftvolle Herrscher, doch wurden solche immer seltener. Manche Kaiser waren der Spielball der Intriguen ihrer Minister und Weiber, manche launische und grausame Despoten, welche das Volk aussogen. Bei der Schwäche des politischen Zusammenhanges blieb es oft den einzelnen Fürsten überlassen, die von Norden und Westen heranrückenden Barbaren zurückzuweisen. Die Lehenträger waren oft in Fehde mit einander verwickelt und machten sich nicht selten selbständig, indem sie die vorgeschriebenen Huldigungsbesuche in der Hauptstadt unterliessen. Die stetige Zunahme der umliegenden Fürstentümer an Zahl und Macht schwächten die Gewalt des Kaisers, dessen in der Mitte liegendes Herrschaftsgebiet sich nicht vergrösserte, schliesslich dermassen, dass seine Hausmacht daran zu Grunde ging. Schon zu Lebzeiten des Kong-tse fand dieser Weise schlimme politische Zustände vor, die er durch Erinnerungen ans Altertum und
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Hinweis auf dessen erhabene Vorbilder f ü r das Staatswesen zu bessern suchte, ohne doch den Fall der Dynastie damit aufhalten zu können. Einen tiefen Einschnitt in die ehines. Geschichte machte die kurze Herrschaft der T s i n - D y n a s t i e (255—206 v. Chr.). Der tliatk r ä f t i g e , aber auch in hohem Masse gewaltthätige Fürst von Tsin, der sich nachher den Namen Schi-hoang'-ti (höchster Souverän) 1 ) beilegte, begann den Bau der berühmten „Chinesischen Mauer", um seinen Staat gegen die Barbaren (Hunnen) zu schützen und erweiterte d a n n rasch seine Oberherrschaft über das ganze Reich. Verhängnisvoll wurde aber f ü r die altchinesiselie Litteratur und K u l t u r seine Feindschaft gegen die von Kong-tse a n e r k a n n t e n kanonischen Bücher, die er (mit Ausnahme des magischen Ji-king) v e r b r e n n e n liess, weil die E r i n n e r u n g an die alten Lehensverhältnisse, welche die Gelehrten ihm als Norm entgegenhielten, seiner Absicht zuwiderlief, eine u n u m s c h r ä n k t e Despotie über das ganze Reich auszuüben. Auf die V e r b r e n n u n g der Bücher folgte auch eine blutige Verfolgung der Gelehrten von der Schule des Kong-tse. Allein diese gewaltsame U n t e r d r ü c k u n g des altchinesischen Wesens war so vorübergehend wie das Herrscherhaus, von dem sie ausging. Es k a m mit Liöu-pang, einem begabten und glücklichen Herrscher, der Ordnung zu schaffen wusste, die II a 11 - Dynastie zur höchsten W ü r d e (206 v. Chr. bis 263 11. Chr.). Diese liess es sieh angelegen sein, mit den Gelehrten auf gutem Fuss zu steheil und die Wissenschaft zu pflegen, wie denn auch der genannte Herrscher selbst, obwohl ein Mann der kühnen That, nicht der Theorie, in seiner Hauptstadt (Lo-jang) nach dem Vorbild der alten Regenten eine Akademie gründete. Auch unter seinen Nachfolgern w a r e n die Kongtseaner meist bevorzugt, wiewohl auch die Taoisten als ihre Rivalen zuweilen ihnen den V o r r a n g abliefen. Unter den Herrschern der Han-Dynastie, besonders unter dem Kaiser Wu-li, wurden die Schätze der alten Litteratur wieder hervorgesucht u n d mit Liebe gepflegt. Es war das goldene Zeitalter der Gelehrten. Auch bei diesem und den folgenden Herrscherhäusern wiederholte sich die Erscheinung, dass die durch einen energischen Regenten gegründete Hausmacht bald wieder in Verfall geriet. Die Unsicherheit der Erbfolge, die Vielweiberei, die Intriguen der Eunuchen, die ain Hofe einen weitreichenden Einfluss sich erschlichen, das wechselnde Verhältnis des Kaisers zu den Lehenfürsten — all das machte den Thron zum Mittelpunkt und Zielpunkt eines unausgesetzten Ränkespiels. Das Misstrauen verliess die Herrscher Chinas nie, u n d durch Hinmordung ihrer Verwandten und oft ihrer treuesten Minister und Feldherrn b r a c h t e n sie der eigenen F u r c h t zahllose Opfer. Sic selbst waren ebenso selten r e g i e r u n g s k u n d i g als kriegstüchtig. Unterdessen lebte aber das Volk oft lange Zeit 1) S. über die Bedeutung und den Gebrauch von Ti SBE III p. XXVII (Einl.).
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ruhig, und wurde vom Wechsel der Regierungen nicht allzu stark berührt. Als Förderer der litterarischcn und wissenschaftlichen Bestrebungen verdient unter den Kaisern besonders T a i t s o n g (626 bis 648) von der T a n g - D y n a s t i e (618—907 n. Chr.) genannt zu werden, auch sonst einer der tüchtigsten und glücklichsten Herrscher, unter welchem das chinesische Reich auf dem Gipfel der Macht stand. Mit dem Verfall dieser Dynastie Hand in Hand ging die Erhebung der K h i t a n , eines tatarischen Stammes, der in Liatong und der Mandschurei hauste und ein ausgedehntes Reich gründete, welches die ganze Mandschurei und Mongolei umfasste und dank der Uneinigkeit der chinesischen Fürsten sich sogar über das nördliche China erstreckte, so dass zeitweilig der chinesische Kaiser sich als Vasall der Hoheit seines „Jüngern Bruders", des Chans der Khitan, unterwerfen musste. Auch die S u n g - D y nastie, unter welcher geistig Bedeutendes geleistet wurde, wusste sich der einfallenden Tataren nicht zu erwehren. Das Reich der Khitan bestand bis 1125, wo es durch die J u - t c h i n , chinesisch K i n , eine andere tatarische Horde, zertrümmert wurde, die ihr „goldenes Reich" (1115—1234) an dessen Stelle aufrichteten. Diese wurden für die Chinesen ebenso bedrohlich und unterwarfen sich vorübergehend weite chinesische Gebiete. Etwa 100 Jahre später rissen die M o n g o l e n , ein westlich wohnender turanischer Stamm, unter Dschingischan (f 1227) die Macht an sich und unterwarfen bald (1280) auch China, über welches sie die Herrschaft beinahe 90 Jahre behaupteten. Dann wurden sie durch die Chinesen (Ming) vertrieben (1368) und mussten sich darauf beschränken, die östliche Tatarei sich botmässig zu erhalten, was ihnen noch auf einige Zeit gelang. Die innern Zustände des chinesischen Reiches wurden übrigens von diesen Fremdherrschaften viel weniger umgestaltet, als man denken sollte. Die Überlegenheit der chinesischen Kultur, die Zähigkeit des chinesischen Arbeitsfleisses und der alten chinesischen Volkssitte nötigten die siegreichen Barbaren, nicht nur das unterworfene Volk bei seiner Lebensart und seinen Einrichtungen zu belassen, sondern auch selber dessen Gesittung und Religion bis auf das ausgebildete Ceremoniell sorgfältig anzunehmen. Der erste Khitanfürst, der als chinesischer Kaiser gilt (Apaokhi), baute Tempel dem Kongtse, Laotse und Fo und diente selber dem erstgenannten, während er seine Frau und Kinder in die Tempel der letztern schickte. Die Kin zwangen zwar die ihnen unterworfenen Chinesen, tatarische Kleidung anzulegen und das Haupt zu scheren; aber auch der Begründer ihrer Macht, Agoutha, liess sich, nachdem er sich als chinesischen Kaiser erklärt (1115) und die Residenz der Mitte eingenommen hatte, die Ceremonienkleider der Khitan, ihre Instrumente, Bücher u. s. w. schicken, und seine Nachfolger Hessen alle chinesischen Staatseinrichtungen fortbestehen und ahmten sie nach. Aber auch die mongolische Invasion hat, obwohl ja dieses ' Orelli, Keligionsgesc.Mchte. 3
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Volk d u r c h seine m e r k w ü r d i g e n Züge nach dem Westen mit den verschiedensten Nationen u n d Religionen in B e r ü h r u n g g e k o m m e n u n d seine H e e r h a u f e n sehr gemischt w a r e n , Chinas Lebenssitte nicht wesentlich g e ä n d e r t . Auch die religiösen Verhältnisse des L a n d e s blieben sich u n t e r den von m e h r e r e n Konfessionen u m w o r b e n e n mongolischen Oberherren wesentlich gleich. Der Stifter der mongolischen J u e n - D y n a s t i e (Hupilai, Chubilai) scheint f ü r seine Person dem heimischen Schamanismus ergebeil g e b l i e b e n zu sein. E r liess auch den Islam wie das Christentum in seinem Reiche frei gew ä h r e n u n d v e r f o l g t e n u r den Buddhisten zulieb die Taoisten. A b e r er wie die bedeutendsten Kaiser seines H a u s e s b e s t r e b t e n sich dem Volke zu zeigen, dass sie es bei seinen a n g e s t a m m t e n G e b r ä u c h e n zu belassen wünschten. I m m e r h i n b e k a m e n die sonst so abgeschlossenen, selbstgenügsamen Chinesen in dieser Zeit etwas m e h r Respekt vor den F r e m d e n des Westens u n d sahen sich veranlasst, ihre Astronomie, K r i e g s k u n s t und S t a a t s v e r w a l t u n g aus deren E r f a h r u n g e n zu verbessern u n d zu bereichern. Das chinesische Nationalbewusslsein blieb a b e r den Mongolen g e g e n ü b e r lebendig, u n d als die H e r r s c h e r dieses Stammes in Ü p p i g k e i t u n d Misswirtschaft verfielen, e r w a c h t e es z u r T h a t . Ein vielverzweigter B e f r e i u n g s k r i e g w u r d e g e g e n sie g e f ü h r t und end i g t e siegreich. Die Mongolen mussten das L a n d verlassen. Der im Westen so f u r c h t b a r a u f t r e t e n d e T a m e r 1 a n , der dort dem Islam sich e r g e b e n hatte, starb in dem A u g e n b l i c k , wo er sich a u f m a c h t e , um dem P r o p h e t e n das g ö t z e n d i e n e r i s c h e China zu Füssen zu legen. Die alte O r d n u n g w i e d e r völlig herzustellen u n d das Reich u n t e r einer einheitlichen und d a u e r h a f t e n einheimischen H a u s m a c h t w i e d e r zu k r ä f t i g e n , w a r d e r m u s t e r h a f t e K a i s e r I l o n g w u , ein aus dem gemeinen Volk e m p o r g e s t i e g e n e r Seharenf ü h r e r des Befreiungskrieges, d e r rechte Mann. E r g r ü n d e t e die. M i n g - Dynastie, die von 1368 bis 1644 den T h r o n Chinas inne hatte u n d eine Anzahl b e d e u t e n d e r R e g e n t e n h e r v o r b r a c h t e , wenn a u c h die T y r a n n e n u n d Scheusale in dieser F a m i l i e u n d die blutigen W i r r e n u n d Spaltungen u n t e r ihrer H e r r s c h a f t k e i n e s w e g s fehlten. Unterdessen bereitete sich eine neue Invasion von Seiten nordischer B a r b a r e n vor. Es w a r e n diesmal die M a n d s c h u , ebenfalls ein t a t a r i s c h e r Stamm, d e r von den Sitzen d e r alten J u t c h i n in der Mandschurei h e r k a m u n d , von einem chinesischen F e l d h e r r n im K a m p f w i d e r einen glücklichen Rebellen ins L a n d g e r u f e n , l a n g s a m , a b e r sicher, sich des g a n z e n Reiches b e m ä c h t i g t e . S c h u n t s c h i (1644—1661) w a r der erste chinesische K a i s e r aus diesem S t a m m , d e r 1651 das g a n z e chinesische Reich seinem Szepter unterworfen sah. Der eigentliche politische Leiter, welcher p l a n m ä s s i g diese bis auf die G e g e n w a r t bestehende t a t a r i s c h e O b m a c h t in China b e g r ü n d e t e , w a r A m a w a n g , d e r Oheim u n d b e w ä h r t e R a t g e b e r des Kaisers. So u n g e s c h l a c h t ü b r i g e n s diese nordischen B a r b a r e n den feinen Chinesen v o r k o m m e n mochten, so k l u g u n d
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massvoll zeigten sie sich im allgemeinen, nachdem sie sich erst die Oberhoheit gesichert hatten. Im Angriff k ü h n und todesverachtend, gegen Feinde unbarmherzig grausam, behandelten sie die ihnen huldigenden Chinesen nicht schlechter, j a vielfach besser, als sie es von ihren eigenen Fürsten gewohnt waren. Zwar die tatarische T r a c h t und namentlich die Sitte, den Kopf kahl zu scheren und den übriggelassenen Haarschopf in einen Zopf zusammenzubinden, mussten sich die Chinesen trotz ihrer Abneigung Aber die bestehenden Institutionen wurden auch gefallen lassen. von den Mandschu-Herrscliern geachtet und gepflegt. Im Mandarinenstand waren die Eingeborenen zahlreicher vertreten als die Fremdlinge, so dass das Volk allmählich beinahe vergass, dass seine Oberherren der von ihm stets bekämpften Völkergruppe angehören. Die Mandschu führten im Kriege an, legten tatarische Besatzungen in die wichtigem Städte, blieben aber stets eine kleine Minderheit. So ists im wesentlichen bis heute geblieben. Nur bei einiger Übung lassen sich noch Chinesen und Mandschuren unterscheiden; die letztern sind stärker gebaut und zeigen m e h r Bartwuchs. Dass die wiederholte unsanfte Berührung und Vermischung mit tatarischen Elementen nicht ohne Einfluss auf die politischen u n d religiösen Anschauungen der Chinesen geblieben ist, lässt sich im voraus vermuten. Im allgemeinen aber siegte das Beharrungsvermögen der chinesischen Kultur über diese Eindringlinge. Auch der nähern B e r ü h r u n g u n d Beeinflussung seitens der E u r o p ä e r hat sich China m e r k w ü r d i g lange und zähe zu erwehren gewusst, obwohl es von den missionierenden u n d merkantilen Bestrebungen derselben eifrig umworben wurde. Die P o r t u g i e s e n hatten sich schon im 16. J a h r h u n d e r t an der Küste festgesetzt u n d eine dauernde Niederlassung in Macao gegründet. Spanier u n d H o l 1 ä li d e r folgten ihnen, von denen die letztern eine Zeit lang (1620—1662) auf der Insel Formosa festen Stand genommen haben. Auch Frankreich, noch mehr E n g l a n d strengte sich a n , für seine P r o d u k t e ein Absatzgebiet in China zu finden und dessen wertvolle Erzeugnisse (namentlich Thee) an Europa zu vermitteln. Leider wurde von der ostindischen Compagnie namentlich das für die Chinesen verhängnisvolle Opium eingeführt, u n d als die chinesische Regierung die Einfuhr dieses Giftes verbot, die letztere von der englischen Regierung mit Waffengewalt erzwungen im sogenannten Opiumkrieg (1840—42), der immerhin das Gute bewirkte, dass dem Handel freiere Bahn geschaffen wurde, indem 5 Häfen (darunter Kanton) dem Handel aller Nationen sich dadurch erschlossen. Doch mussten England und F r a n k r e i c h in den J a h r e n 1857—60 die den Europäern zugestandenen Rechte aufs neue durch kriegerische Eingriffe sichern. Die R u s s e n haben öfter versucht, friedliche Beziehungen mit China anzuknüpfen. Mehr Erfolg hatte ihr gewaltsames Vordringen in die Mandschurei, von der sie einen bedeutenden Teil an sich gezogen haben.
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Religion d e r Chinesen.
Einleitung'.
Unterdessen fand noch eine ernsthafte Schilderhebung gegen die regierende Mandschu-Dynastie Tsing statt, die sog. T a i p i n g R e v o l u t i o n , welche 1849 ihren A n f a n g nahm und bis gegen das J a h r 1866 dauerte, schliesslich aber (unter Mitwirkung E n g l a n d s und Frankreichs) u n t e r d r ü c k t wurde. Das Eigentümliche dieser E r h e b u n g war, dass ihr Haupt, Ilung-Siutsuen, einerseits der regierenden Familie gegenüber die altchinesische Nation vertrat, anderseits durch christliche Ideen der Missionare mit befruchtet war. Der nationale Gegensatz gegen die Mandschu wurde und wird bis heute durch geheime Gesellschaften wie die „zur Wasserlilie", „zum reinen Thee", der „Bund der Dreieinigkeit" (womit Himmel, Erde, Mensch gemeint sind) geweckt und genährt, welche zu Zeiten eine bedeutende politische Macht entfalten. Den stärksten Stoss erhielt das Reich der Mitte durch den kecken Angriffskrieg J a p a n s im J a h r e 1894/5. Von diesem Volk, das einst bei China in die Schule gegangen war, durch Aneignung moderner Kultur u n d Kriegskunst weit überflügelt, wurde das kolossale Reich zu Wasser und zu Land vollständig besiegt und musste sich demütigende Bedingungen gefallen lassen. Um das enorme chinesische Gebiet nicht ganz von einem konkurrenzfähigen mongolischen Staat abhängig werden zu lassen, legten sich europäische Grossmächte ins Mittel u n d ernteten zum Dank d a f ü r Zugeständnisse der in ihrem Selbstvertrauen völlig erschütterten Regierung, welche f r ü h e r ganz u n d e n k b a r gewesen wären. Den Löwenanteil bei der friedlichen Besetzung chinesischer Ländereien erlangte Russland, welches durch eine Eisenbahn die Mandschurei in seine Sphäre gezogen u n d Port Arthur besetzt h a t : Deutschland erhielt gelegentlich (1897/98) pachtweise die Bucht von Kiautsehau, England den H a f e n von Wei-hai-wei u. s. f. Damit ist das ungeheure chinesische Reich endlich dem abendländischen Verkehr und Einfluss weit aufgeschlossen. Besonders bedeutsam aber ist dabei, dass das so selbstbewusste, auf seine einzigartige Grösse stolze Chinesentum die gewaltige Überlegenheit der abendländischen Geistesarbeit einzusehen begonnen hat, was notwendigerweise auch auf die Beurteilung der religiösen F r a g e zurückwirkt. Die K u l t u r d e r C h i n e s e n muss schon um 2000 v. Chr., wo das Volk zuerst in deutlicherWeise geschichtlich hervortritt, eine verhältnismässig hohe gewesen sein und ist als eine von diesem Volksstamm selbständig erzeugte anzusehen. Der Feldbau beschäftigte den grössten Teil der emsigen Landesbewohner, welche ausgedehnte Wildnisse erst wegsam gemacht und zu fruchttragenden Gefilden umgewandelt haben und den Pflug stets in Ehren hielten. Den oft unter Wasser stehenden Ländereien gewannen sie ihre Hauptnahrung, den Reis, ab, der Theestaude das beliebteste Getränk, den mit Maulbeerblättern genährten Seidenraupen den kostbaren Bekleidungsstoff. Nicht der Waffengewalt, sondern seiner friedlichen Arbeit u n d guten Gesittung dankte das Volk seine grössten Eroberungen u n d die in der Geschichte beispiellos dastehende
Kultur der Chinesen.
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lange Dauer seines Keiehes. Nur ungern liess es sich durch den Krieg in seiner nützlichen Lebensweise stören. Es war und ist keine kriegerische Nation, wenn es auch zu Zeiten nicht zu verachtende Tapferkeit bewiesen hat. Auf die Ausländer machte es einen friedlichen Eindruck. Plinius nennt die Chinesen Seres mites (Ilist. nat. 6, 20). Bardesanes (bei Eusebius, Praep. evang. 6, 10 p. 274) rühmt von ihnen, freilich mit starker Idealisierung der Wirklichkeit: „Bei den Serern ist es Gesetz, niemanden zu morden, nicht Unzucht zu treiben, nicht zu stehlen, keine Götzen anzubeten, u n d in jenem Lande von grösster Ausdehnung sieht man keinen Tempel, kein unkeusches Weib, keine, die im Rufe des Ehebruchs steht, keinen Dieb, der vor Gericht geschleppt wird, keinen Mörder und Gemordeten. Denn weder hat des feurigscheinenden Ares Gestirn, wenn es mitten am Himmel steht, j e m a n d unfreiwillig dazu gebracht, den Mann mit dem Eisen zu töten, noch Kypris, mit Ares zusammentreffend, bei jenen jemanden genötigt, einem f r e m d e n AVeibe sich zuzugesellen, obgleich tagtäglich Ares am Himmel steht, und zu j e d e r Stunde an jedem T a g e Serer geboren w e r d e n . " — Die Chinesen selbst waren sich auch stets dessen bewusst, dass sie ihre Grösse geistig-sittlicher Überlegenheit verdankten, wie es z. B. Prinz Sie von Tschao in einer Rede ausspricht: „Das Reich der Mitte ist das Land, wo vollkommene Aufk l ä r u n g und vielseitige Kenntnis heimisch ist, wo die 10000 Dinge, Güter u n d Kostbarkeiten gesammelt werden, wo Weise u n d Höchstweise lehren, wo Menschlichkeit u n d Gerechtigkeit sich verbreiten, wo Dichtkunst, Bücher, Gebräuche und Musik üblich sind, wo ausserordentliche Geisteskraft, Talente und Fähigkeiten sich erproben, wohin die fernen Gegenden blicken u n d deren Bewohner gehen, und nach dem die Barbaren bei ihren Handlungen sich richten" x ). Ein ausserordentliches Ansehen genossen daher in China stets Bildung und Gelehrsamkeit. Schulen begegnen uns schon unter den drei ersten Dynastieen. Nur wer wohl geschult und gebildet war, f a n d E i n g a n g in den Beamtenstand, die Klasse der Mandarinen. Vom achten J a h r an lernte man Schreiben, Rechnen u n d die häuslichen Gebräuche. Im fünfzehnten J a h r sodann trat man in eine höhere Schule und lernte da die Riten und Musik der alten Weisen u n d die Gebräuche, die auf den Kaiser u n d das Verhältnis von F ü r s t und Unterthan Bezug haben. Die sich da auszeichneten, kamen in die Distriktsschulen, die Elite derselben w u r d e in die untere Akademie der Hauptstadt aufgenommen. Hier erhielten sie den Titel Tsao-sse u n d wurden, nachdem sie dem Kaiser vorgestellt So hoch man aber worden, an untere Beamtenstellen befördert. das Wissen schätzte, wertete man die Bildung nicht blos nach dem Gedächtnis, sondern auch nach dem Charakter u n d der Ausbildung des ganzen Menschen. Nach dem Tscheu-li 2 ) sah man auf 1) Sse-ki, B. 43, fol. 24. 2) B. 3, fol. 3 4 - 4 6 und B. 9, fol. 46.
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Religion der Chinesen.
Einleitung.
die sechs T u g e n d e n : "Wissen, Menschenfreundlichkeit, Weisheit, W a h r h a f t i g k e i t , Treue gegen den F ü r s t e n , Einträchtigkeit; ferner auf die Erfüllung der sechs Pflichten: kindliche Ehrerbietung, Bruderliebe, freundliches Betragen gegen die f e r n e m männlichen und weiblichen Verwandten, T r e u e gegen die Freunde, Mensehenliebe oder Barmherzigkeit; und die sechs Wissenschafteil und Fertigkeiten: die Ceremonien, Musik, Bogcnschiessen, Wagenlenken, Schreiben, Rechnen. Man examinierte noch nicht nach dem späteren System, sondern befragte die Lehrer um ihr Urteil über die Tüchtigkeit der Kandidaten, und verschmähte auch nicht das Urteil des Volkes über deren Leistungen u n d Betragen einzuholen. — Über die Anschauungen von Staat und Familie, welche der ganzen Kultur der Chinesen zu Grunde liegen, wird bei der Darstellung ihrer Religion die Rede sein, da diese Grundanschauungcn religiöser Art sind und ihre Pflege sogar den Hauptinhalt chinesischer Religiosität ausmacht. — Die formale Trägerin dieser ganzen Kultur war u n d ist die chinesische S c h r i f t , die von diesem Volke selbständig gebildet wurde und bei ihm von den frühesten erk e n n b a r e n Zeiten an im Gebrauch stand, unterdessen allerdings gewisse Wandlungen erfahren hat. Es ist ursprünglich eine Bilderschrift, welche sich dann zur Wortschrift, bezw. da alle Wörter einsilbig, zur Silbenschrift gestaltete, so zwar, dass die verschiedenen Mundarten des Reichs dadurch ausgedrückt, oder aus ihr gelesen werden können. Der Ursprung der Schrift wird auf den mythischen Kaiser Fohi zurückgefülirt; der Kaiser allein hatte das Recht, die Charaktere im Lauf der Zeit zu verbessern. Die heute üblichen stammen etwa aus dem A n f a n g unserer Zeitrechnung. Trotz ihrer Weitläufigkeit und Schwierigkeit (Zahl der Zeichen 5 0 — 1 0 0 0 0 0 , wovon etwa 2—3000 gebräuchlicher!) ist sie den Chinesen so lieb und mit ihrer nationalen Grösse so verwachsen, dass ihre Ersetzung durch das Lepsius'sche Alphabet selbst in den christlichen Missionsschulen ernstliche Bedenken nicht hat überwinden können. — Nur beiläufig sei noch daran erinnert, dass die Chinesen in Wissenschaft und Technik frühe eine nicht zu verachtende Höhe erstiegen und durch manche Entdeckungen den Europäern sogar zuvorgekommen sind. So kamen sie von sich aus zur Erfindung des Kompasses (Magnetnadel) 1 ), des Papiers, der Buchdruckerei (schon 953 n. Chr.), des Schiesspulvers, des Branntweins (aus Reis oder Hirse bereitet), des Papiergeldes, bezw. Ledergeldes (119 v. Chr.) u. s. w. Aus der überaus umfänglichen und reichhaltigen L i t t e r a t u r dieses Volkes ragt eine Schriftensammlung hervor, welche als k a n o n i s c h gilt und sich des höchsten Ansehens erfreut. Diese heiligen Bücher der Chinesen enthalten zwar nicht Offenbarungen und geben sich auch nicht f ü r inspiriert aus. Der Inhalt ist nur zu einem kleinen Teil Religionslehre im heutigen Sinn. Aber diese 1) Vgl. L e g g e , zu Sehu-king, II, p. 535 ss.
Kanonisches Schrifttum der Chinesen.
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Bücher enthalten eben authentische Kunde über das gepriesene und heilig gehaltene Altertum und sind deshalb von K o n g t . s e empfohlen worden. Ivongtse ist der Sammler dieser Schriften gewesen, soweit sie über seine Zeit zurückreichen, und hat sich auch an deren Redaktion beteiligt. Eine der Schriften ist ganz von ihm verfasst, manches aber erst später durch seine Schüler hinzugekommen. Den ersten Rang nehmen die fünf K i n g ein 1 ): Das erste dieser fünf ist der J i - k i n g 2 ) , das Buch der Wechsel oder Wandlungen. Es enthält 64 symbolische Strichfiguren u n d dazu gehörige Erklärungen. Zu Grunde liegen acht Trigramme, bestehend aus j e drei horizontalen, parallel über einander gezeichneten Linien, welche entweder ungebrochen oder in der Mitte durchbrochen sind. Diese Grundfiguren werden auf' den mythischen Kaiser Fohi z u r ü c k g e f ü h r t . Sie wurden sodann zu 64 Hexagrammen (aus je 2 Trigrammen) zusammengesetzt und diese mit kurzen E r k l ä r u n g e n versehen, angeblich vom König Wen, als derselbe sich im Gefängnis befand. Zu jede.)' einzelnen Linie dieser Figuren sind wieder besondert' E r k l ä r u n g e n beigesetzt, welche dessen Sohn, dem Herzog von Tscheu, zugeschrieben werden. Die Mannigfaltigkeit der Figuren beruht lediglich auf der verschiedenen Zahl u n d Stellung der ungebrochenen und gebrochenen Linien. Erstere entsprechen u n g e r a d e n Zahlen u n d drücken im allgemeinen das starke, männliche, himmlische Prinzip aus, letztere hangen mit geraden Zahlen zusammen und stellen das schwache, weibliche, irdische d a r . Die Lehren, welche aus den Figuren herausgelesen werden, sind moralischer, psychologischer, politischer und pädagogischer Art, u n d haben bald ermutigende, bald warnende Tendenz, daher die einzelnen H e x a g r a m m e bei der Divination als günstig oder ungünstig angesehen wurden. Das für einen bestimmten Fall geltende wurde durch H a n d h a b u n g der Stengel des Schi-krautes herausgefunden (s. unten S. 45). Dem Kongtse, welcher die bisher a n g e f ü h r t e n Bestandteile des J i k i n g als längst überlieferte vor sich hatte, werden die weitern Glossenreihen von der Tradition zugeschrieben, die j e n e 64 Figuren und ihre Erklärungen noch weiter erläutern. So 1) k i n g bedeutet eigentlich die Einschlagsfäden eines Gewebes, dann den (authentischen, kanonischen) T e x t (vgl. textus). 2) Der J i - k i n g bietet als eine magische. Schrift von heterogener Zusammensetzung- den Übersetzern ausserordentliche Schwierigkeiten. Ins L a t e i n i s c h e übertrug' ihn zu Anfang des 18. Jahrh. der Katholik P. R e g ' i s , dessen Übersetzung' erst Jul. Mo hl 1834 herausgab. E n g l i s c h e Übersetzung- von Mac O l a t c h i e (Shanghai 1876). Beide übertrifft bei weitem die gleichfalls englische, auf langjährigen Studien beruhende von J. L e g g e in SBE Band XVI (188_'). — Aber auch die katholische Ausgabe der chinesischen Klassiker zeugt von eminenter Sprachkenntnis: Cursus litteraturae Sinicae neomissionariis acconimodatus auetore P. A n g e l o Z o t t o l i S. J. e missione Nankinensi, Chnng-Hai 1879—1882. Vol. III: Studium canonicorum: Liber carminum (si king). Liber annalium (su king). Liber mutationum (ji king). Rituum mcmoriale (Ii ki).
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Religion der Chinesen.
Einleitung.
viel ist sicher, dass Kongtse sich in den letzten J a h r e n seines L e b e n s mit Eifer dem Studium dieses Buches g e w i d m e t h a t . Docli sind j e n e Glossen teilweise aus E r i n n e r u n g e n seiner Schüler geflossen, teilweise ü b e r h a u p t nicht auf K o n g t s e s U n t e r r i c h t zurückz u f ü h r e n . — Da die V e r f o l g u n g der Tsin sich nicht auf dieses Hilfsbueh d e r Magie erstreckte, so ist der T e x t des J i k i n g besser e r h a l t e n als der der übrigen altehinesischen Bücher. 2) S c h u - k i n g 1 ) . So heisst das Buch d e r G e s c h i c h t e o d e r d e r geschichtlichen Dokumente. Schu bedeutet eigentlich „ S c h r i f t " , d a n n spezieller: aufgezeichnete geschichtliche Memoranden. Dem entspricht d e r Inhalt des Buches, das k e i n e s w e g s eine f o r t l a u f e n d e Geschichte des chinesischen Reiches, j a ü b e r h a u p t w e n i g e r Erz ä h l u n g e n von Begebenheiten bietet, als vielmehr eine Keihe von schriftlich a u f b e w a h r t e n D e n k w ü r d i g k e i t e n , u n d zwar meist Reden d e r alten Pürsten u n d S t a a t s m ä n n e r , welche sie bei b e s t i m m t e n Anlässen, wie Regierungsantritten, Belehnungen d e r Vasallen u n d sonstigen Staatsaktionen gehalten h a b e n , u n d welche sich fast i m m e r u m die rechte Kunst des R e g i e r e n s bewegen u n d die T u g e n d e n eines weisen Regenten beleuchten. Die darin a u f t r e t e n d e n F ü r s t e n verteilen sich ü b e r einen e n o r m e n Z e i t r a u m vom alten K a i s e r J a o bis in die zweite H ä l f t e des 7. J a h r h u n d e r t s v. Chr., wobei freilich m a n c h e Generationen ohne V e r t r e t u n g bleiben. W a s die Authentie dieser K u n d g e b u n g e n d e r Grossen betrifft, so ist dieselbe u m so zweifelhafter, j e e n t l e g e n e r die V e r g a n g e n h e i t , aus d e r sie datiert sind. Nach d e r Ü b e r l i e f e r u n g seiner Schule hat K o n g t s e solche Schu gesammelt, ü b e r a r b e i t e t u n d seinen J ü n g e r n ü b e r g e b e n . Allein seine S a m m l u n g , w e n n er ü b e r h a u p t eine solche k a n o n i s c h a b g e g r e n z t hat, ist nicht ohne Zuthaten u n d grosse Verluste geblieben, indem die U n t e r d r ü c k u n g durch den B e g r ü n d e r d e r Tsin-Dynastie (212 v. Chr.) dieses W e r k s t a r k b e s c h ä d i g t h a t 2 ) . Dasselbe ist von grosser Wichtigkeit f ü r die K u n d e d e r altchinesischen religiösen A n s c h a u u n g e n , w e n n es a u c h als Geschichtsquelle höchst l ü c k e n h a f t u n d in Bezug auf die f r ü h e r n Perioden u n z u v e r lässig ist. E r g ä n z t wird es in letzterer Hinsicht d u r c h die sog. B a m b u - B ü c h e r , eine c h r o n i k a r t i g e , bis z u m E n d e des 4. J a h r t a u s e n d v. Chr. (Hoangti) z u r ü c k g f ü h r t e Geschichte des chinesischen Reiches mit N e n n u n g vieler R e g e n t e n n a m e n u n d chronologischer Daten3). 3) S c h i - k i n g 4 ) , das Buch d e r P o e s i e , eine k a n o n i s c h 1) Vom S c h u k i n g gab James L e g ' g e den c h i n e s i s c h e n Text mit e n g l i s c h e r Übersetzung und Kommentar heraus in den C h i n e s e C l a s s i c s Band III, Teil I u. II, Hongkong und London 1865. — Ders e l b e e n g l i s c h in SBE, Band III, Oxford 1879. Chinesisch und lateinisch Z Ott o l i , s. oben. 2) Siehe das Nähere bei L e g g e , Chinese Class. III, 1 Einleitung. 3) Siehe das Nähere ebenda Einleitung S. 105 ff. 4) Der S c h i k i n g wurde von P. L a c h a r m e (um 1733) ins Lat e i n i s c h e übersetzt (von Jul. M o h 1 1830 herausgegeben), welche unge-
Kanonisches S c h r i f t t u m der Chinesen.
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gewordene poetische Anthologie, enthält 305 Gedichte und Lieder, welchc nach der Überlieferung Kongtse (um 483) aus einer viel grösseren Zahl von vorhandenen (man nennt 3000) auswählte. Legge glaubt allerdings nachweisen zu können, dass dieser eifrige F r e u n d der alten Lieder nicht der Urheber dieser Sammlung sei, welche er vielmehr im wesentlichen schon vorgefunden und nur zum Studium angelegentlich empfohlen habe. Allein sein Anteil an der Bildung des poetischen Kanons scheint bedeutender gewesen zu sein. Jedenfalls ist derselbe seit Kongtse mit Sorgfalt überliefert worden und hat auch den Bücherbrand von 212 v.Chr., der ihn mit betraf, mit Ausnahme von wenigen heute fehlenden Nummern überlebt, da diese Lieder sich dem Gedächtnisse leicht einprägten. Sie stammen fast alle aus der Zeit der Tscheu-Dynastie. Nur die 5 am Schluss stehenden Oden sind älter: aus der Periode der Schang oder J i n . Die übrigen sind teilweise in der frühesten Zeit der Tscheu (Ende des 12. J a h r h u n d e r t s v. Chr.) entstanden, teilweise später bis hinab zu König T i n g (606—586). Der Inhalt ist im Vergleich mit den ältesten Hymnensammlungen anderer Völker selten ein religiöser, was doch wohl auf Rechnung des Sammlers, bezw. Kongtses zu setzen ist. Nur um den Ahnenkultus bewegt sich eine grössere Zahl dieser Lieder, wenige um andere Opferfeste. Auch diese auf den Kultus bezüglichen aber sind zum kleinsten Teil an die Gottheit, bezw. die Ahnen gerichtete H y m n e n ; vielfach schildern sie nur die betreffenden Aufzüge und Gebräuche. Die meisten dieser kanonischen Schi sind profanen Inhalts. Sie geben Stimmungsbilder aus dem altchinesischen Privatleben u n d Staatsleben; es sind Familiengedichte, Königslieder, Kriegslieder. Besungen wird Regententugend, Tapferkeit, Frauenschönheit, Gattenliebe, Bruderliebe u. s. w. Doch wird auch häufig über Verfall der guten Sitten geklagt. F ü r Kenntnis der Volkssitte und Volksstimmung ist das Liederbuch wichtig. Auch von der Art der Ahnenverehrung erhält man hier die lebendigste Vorstellung, und einige alte Oden der Könige W u und Tschhing zeigen dabei erhebenden Ernst, wenn sie sich auch den hebräischen Königsliedern von fern nicht an die Seite stellen lassen.
n ü g e n d e Übersetzung' den poetischen d e u t s c h e n Versuchen R ü c k e r t s (1833) u n d J o h . C r a m e r s (1844) zu G r u n d e lag. M a s s g e b e n d ist die c h i n e s i s c h - e n g l i s c h e A u s g a b e von L e g g e als B a n d lV d e r Chinese Classics (1871), welcher d e r s e l b e 1878 a u c h eine p o e t i s c h e e n g l i s c h e f o l g e n liess. Endlich h a t d e r s e l b e 1879 in SBE, B a n d III, S. 275 ff. T h e Religious P o r t i o n s of the Shih K i n g mit b e a c h t e n s w e r t e r Einleitung - h e r a u s g e g e b e n . Chinesische u n d lateinische A u s g a b e von Z o t t o l i s. oben S. 39. Meisterhaft in T r e u e der N a c h a h m u n g u n d künstlerischer G e s t a l t u n g des d e u t s c h e n T e x t e s ist die poetische B e a r b e i t u n g von V i c t o r v o n Ö t r a u s s : Schi-king - , d a s k a n o n i s c h e L i e d e r b u c h d e r Chinesen, H e i d e l b e r g 1880 (mit lehrreicher Einleitung). E i n e im 17. J a h r h u n d e r t a n g e f e r t i g t e Ü b e r s e t z u n g ins M a n d s c h u h a t H. C. v o n d e r G a b e l e n t z 1864 t r a n s s c r i b i e r t h e r a u s g e g e b e n .
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Religion der Chinesen.
Einleitung
4 ) L i - k i 1 ) , d e r C e r e m o n i a l k o d e x . Li d r ü c k t d a s D e c o r u n i a u s , w i e es im K u l t u s , a b e r n i c h t m i n d e r im t ä g l i c h e n L e b e n , im sozialen Umgang- u n d in d e r P o l i t i k e i n z u h a l t e n ist, die d e r pietätvollen G e s i n n u n g e n t s p r e c h e n d e H a n d l u n g s - u n d L e b e n s w e i s e . E s sind d r e i S a m m l u n g e n v o n s o l c h e n S a t z u n g e n (Li) e r h a l t e n : a) I i i ; b) T s c h e u l i 2 ) , f r ü h e r T s c h e u K w a n g e h e i s s e n = d a s offizielle B u c h d e r T s c h e u , w e l c h e s i h r e S t a a t s e i n r i c h t u n g ' b e s c h r e i b t ; es wird dem Herzog von Tscheu zugeschrieben, stammt aber eher aus den letzten Zeiten dieser Dynastie, ci D e r L i k i , die u m f a s s e n d s t e , v i e l s e i t i g s t e S a m m l u n g von L e b e n s r e g e l n , ist allein k a n o n i s c h g e w o r d e n . Kr m a g z w a r S t ü c k e e n t h a l t e n , w e l c h e ä l t e r s i n d a l s d a s M a t e r i a l d e r b e i d e n a n d e r n Li, ist a b e r g r ö s s t e n t e i l s erst u n t e r d e r H a n d y n a s t i e e n t s t a n d e n , als m a n die a l t e n E r i n n e r u n g e n u n d D e n k m ä l e r s a m m e l t e . E r uml'asst n i c h t e t w a bloss Kultisches u n d Politisches, sondern bestimmt a u c h das Verhalten im P r i v a t l e b e n n a c h M a s s g a b e d e r sozialen P f l i c h t e n bis auf die A n s t a n d s r e g e l n u n d I l ü f l i c h k e i t s r ü c k s i c h t e n , weicht' d e n C h i n e s e n so w i c h t i g sind, d a s s sie zu d e n u n e r l ä s s l i c h e n Ü b u n g e n d e r P i e t ä t g e r e c h n e t w e r d e n . A m m e i s t e n R a u m n e h m e n im L i k i d i e T r a u e r g e b r ä u c h e ein, w a s zu K o n g t s e s V o r l i e b e f ü r d i e s e l b e n s t i m m t . D i e s e r h a t ü b e r h a u p t d e m Li hohe B e d e u t u n g f ü r die C h a r a k t e r b i l d u n g b e i g e l e g t , u n d m a n c h e A b s c h n i t t e d e s L i k i g e h e n auf i h n als d e n g e i s t i g e n V a t e r z u r ü c k , w e n n a u c h die R e d a k t i o n m e i s t e i n e s p ä t e r e ist. 5) T s c h ü n - t s i e u = „ F r ü h l i n g u n d H e r b s t " , e i n e v o n I v o n g t s e verfasste Chronik des F ü r s t e n t u m s Lu, seines Heimatlandes, welche sich ü b e r die J a h r e 7 2 2 — 4 8 1 v. Chr. e r s t r e c k t . E s ist d a s e i n z i g e d i e s e r W e r k e , d a s K o n g t s e z u m e i g e n t l i c h e n V e r f a s s e r h a t , zug l e i c h a b e r f ü r die R e l i g i o n s w i s s e n s c h a f t d a s u n b e d e u t e n d s t e . N a c h d i e s e n f ü n f K i n g w e r d e n in z w e i t e r L i n i e als k a n o n i s c h a n g e s e h e n die v i e r S c h u , d . h. „ S c h r i f t e n " , w a s e i n e Abk ü r z u n g f ü r „ S c h r i f t e n d e r v i e r W e i s e n " . Iis s i n d d i e s : 1) L ü n - j ü 3 ) , „ G e s p r ä c h e " d e s K o n g t s e m i t s e i n e n S c h ü l e r n , eine reichhaltige S a m m l u n g von Aussprüchen des Meisters, welche in d e r R e g e l in d e r F o r m v o n A n t w o r t e n a u f F r a g e n d e r J ü n g e r gegeben sind. 2) T a - h i o 4 ) , d i e g r o s s e L e h r e , h o h e S c h u l e — e i n e A r t Methodik, dem Tsang-sin zugeschrieben, der den K e r n von K o n g t s e 1) L i - k i von James L e g g e e n g l i s c h herausgegeben mit kritischer Vorrede SBE Bd. XXVII u. XXVIII. 1885. Chines, u. latein. Ausgabe von Z o t t o l i s. oben. 2) T s c h e u - I i f r a n z ö s i s c h herausg. von E. B i o t , Le Tcheou-li ou Rites de Tcheou, 2 Bde., Paris 1851. 3) L ü n - j ü , von J. L e g g e c h i n e s i s c h und e n g l i s c h herausg e g e b e n in den Chinese Classics Bd. I (1861) unter dem Titel: Confucian Analects. 4) Ta-hio, von L e g g e herausg. ebenda S. 219 ff. unter dem Titel: The great Learning-. — Die Schrift Tahio bildet zugleich einen Teil des Liki; s. SBE XXVIII S. 411 ff.
Die altchinesischc Keichsreligion.
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überkommen und mit Erläuterungen versehen habe, jedenfalls eine alte Lehrschrift dieser Schule aus dem 5. Jahrh. v. Chr. o) T s c h o n g - J o n g 1 ) oder „Lehre von der Mitte", eine spekulative Ausführung kongtseanischer Maximen, von Kong-Keih = T s e - t s c , einem Enkel des Kongtse, verfasst. zwischen 450 und 400 v. Chr. 4) Werke des M e n g - t s e 2 ) , des angesehensten Vertreters der Kongtse'schen Schule, der freilich mehr als ein Jahrhundert nach dem Meister gelebt hat.
1. Die altchiiiesische K e i c h s r e l i g i o n s ) (vor der Zeit der grossen Lehrer). Der Chinese kennt von uraltersher nur E i n e n eigentlichen G o t t . Derselbe heisst T i = Herr, S c h a n g - t i = höchster Herr, oder auch unbestimmter Thian, T i - e n = Himmel'). Diese Namen sind keine Appellativa für Gottheiten, sondern ausschliesslich Benennungen für das höchste Wesen 5 ). Der allumspanncnde, allbestimmende, allgütige H i m m e 1 ist bei diesem wie bei so manchen Völkern in frühester Zeit schon die Erscheinung gewesen, an welcher die Vorstellung eines höchsten, beseelten, bewussten Wesens einen sinnlichen Anhaltspunkt fand. Dieser überirdische Geist sieht, hört und wirkt alles und ist an sich „ohne Laut und Geruch", unkörperlich und unabbildbar. Er umfasst alle Menschen mit gleicher Liebe, vergilt das Gute mit Segen und straft das Böse, waltet also nicht willkürlich oder parteiisch, sondern nach sittlicher Norm als eine persönlich lebendige, moralische Weltordnung. 1) T s c h o n g - j o n g bildet ebenfalls einen Teil des Liki. C h i n e s e n g l . Avisgabe von J . L e g g e , Chinese Classies, Bd. I (1861) S. 246 fF. — V o n d e m s e l b e n e n g l i s c h SBE XXVIII, S. MO ff. — D e u t s c h e Ü b e r s e t z u n g u. E r k l ä r u n g von Heinhold v. P l ä n c k n e r , Leipz. 1878. 2) M e n g - t s e ' s W e r k e , c. h i n e s.-en g l . A u s g a b e von J . L e g g e , Chinese Classies Bd. II (1861). S. dort in der Einl. N ä h e r e s ü b e r die Geschichte dieser B ü c h e r . Von demselben bloss engl. 1875. — F r a n z ö s i s c h e L b e r s e t z u n g von S t a n i s l a s J u l i e n schon 1824—29 (Paris). — E. F a b e r s. u n t e n . 3) Siehe die chinesischen H a u p t q u e l l e n u n d d e r e n A u s g a b e n oben S. 39—43. Vgl. d a z u J . H. P l a t h , Religion lind Cultus d e r alten Chinesen 1862. — J . H a p p e l , Die altchines. Reichsreligion vom S t a n d p u n k t der v e r g l e i c h e n d e n Religionsgeschichte. — V. v. S t r a u s s , Schiking, Einl. — A. R e v i l l e , L a Religion Cliinoise, 2 Bde., Paris 1889. — C. d e H a r l e z , L e s Religions de la Chine, L e i p z i g 1891. — C l i a n t e p i e , Religionsgeschichte 2 , S. 50 ff. 4) Zuweilen a u c h H o ä u g - t i e n Schang-ti, d. h. „höchster H e r r s c h e r des obersten Himmels". Vgl. de H a r l e z , S. 31. 5) T i wird allerdings auch übertrag-en auf die mythischen H e r r s c h e r d e r Urzeit u n d d a n n von 221 v. Chr. an auf lebende Kaiser, a b e r nicht weil es u r s p r ü n g l i c h appellativ „ H e r r " b e d e u t e t e , s o n d e r n weil dem Kaiser göttlicher C h a r a k t e r sollte z u g e s p r o c h e n w e r d e n . Vgl. L e g g e SBE VII, p. X X I I I - X X I X (Einl.).
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Die altchinesische Reichsreligion.
Die Erhabenheit und Einheit bilden die Charakteristika des chinesischen Gottesglaubens; beide Eigenschaften sind wie ein Erbe aus der Urzeit der Menschheit. Es fehlt nämlich bei den alten Chinesen eine polytheistische Mythologie. Die Gottheit ist hier in den mythologischen Prozess fast g a r nicht eingegangen. Der Gottesbegriff ist einheitlich geblieben. Aber allerdings hängt damit auch ein Mangel der chinesischen Religion zusammen, der sich immer mehr steigerte. Die unmittelbare lebendige Anschauung des Göttlichen in Natur und Menschenleben ging ihnen bald verloren. Ihr erhabener Himmelsgott ist für ihr Auge nicht ins Endliche, Menschliche eingegangen, sondern blieb in u n n a h b a r e r und bald unfruchtbarer Höhe schweben. Ihr Theismus wurde mehr und mehr ein abgeblasster Deismus. J e älter die uns erhaltenen Denkmäler der Zeit vor Kongtse sind, desto mehr Beziehung zur überirdischen Macht findet sich noch darin. V. v. Strauss hat darauf aufmerksam gemacht, dass in einem der ältesten Lieder des Sehiking 1 ), der höchste Herr (Gott) dreimal den König Wen unmittelbar anredet, was die spät e m Ausleger in nicht geringe Verlegenheit setzte, da sie sich ein Reden Gottes zum Menschen nicht mehr vorstellen k o n n t e n : Der Herr, der sprach zu König' Wen: „Fern sei dir Abfall, Gegenwehr Und fern Gelüsten und Begehr!" Der Herr, der sprach zu König - Wen: „Die lichte Tugend halt ich wert, Die gross Getön und Färbung gern entbehrt, Die niemals Leidenschaft noch Laune nährt Die unerkannt und unverstanden Nur nach des Herrn Gebot verfährt." Der Herr, der sprach zu König Wen: „Ins Land des Feindes sollst du gehn, Sollst deine Brüder dir gesellen, Sollst deine Hakenleitern nehmen, Samt Sturmgerät und Wagentürmen, Die Mauern Ts'hungs damit zu stürmen."
Diese Aufträge Gottes an den König lassen sich formell noch mit den Worten vergleichen, die Gott zu Abraham sprach. Allein sie stehen auch im ältesten chinesischen Schrifttum vereinzelt da. In der Regel wird das Wollen und Walten des Himmels nur mittelb a r erkannt, vor allem durch Naturereignisse und -erscheinungen. Die in jenem Lande besonders gewaltsam auftretenden Landplagen wie Dürre, Hungersnot, Erdbeben, Überschwemmung, Wirbelsturm (Taifun), Seuche u. dgl. wurden in China von jeher u n d werden bis auf den heutigen T a g als K u n d g e b u n g e n des zürnenden Himmels angesehen; ebenso nahm man allerlei Vorzeichen wahr in 1) III, 1, 7.
V. v. S t r a u s s S. 7 u. 403 ff.
Orakel und Offenbarungen des Himmels.
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Sonnen-und Mondfinsternissen 1 ), zufälligen Begegnungen, T r ä u m e n 2 ) u. s. f. Als eigentliche 0 r a k e 1, die inan bei Unternehmungen befragte, benützte man p u und s c h i . Ersteres ist die Schildkrötenschale 3), welche man ins Feuer brachte, um aus den so auf ihr entstandenen Zeichnungen auf günstigen oder ungünstigen Willen der Gottheit zu schliessen. Schi bezeichnet ein Kraut, mittelst dessen ebenfalls bedeutsame Figuren gewonnen wurden. Man betrachtet als das Schikraut gewöhnlich die „gemeine Schafgarbe". Legge bestimmt es SBE III, 145 als Achillea millefolium, dagegen XVI, 40 als Ptarmica Sibirica. Man nahm mit 49 Schi-Stengeln je 3 Manipulationen vor, um eine Linie eines Hexagramms zu bestimmen, also im ganzen 18 Manipulationen, um die Figur zu vollenden, welche dann nach dem Jiking (s. oben S. 39 f.) gedeutet wurde. Das Schiorakel hängt also von altersher mit jenen Strichfiguren zusammen. Pu und Schi gaben nicht eigentliche Aufschlüsse über die Zukunft, sondern günstige oder ungünstige Antwort auf Konsultationen über ein Unternehmen. Jedenfalls schon unter der Tscheu-Dynastie, wahrscheinlich aber schon früher (nach dem Schuking schon unter Schün) gab es am Hofe auch eigene Beamte für Zeichendeutung und -Veranstaltung. Übrigens erkennt man leicht, dass der praktische Verstand dabei nachhalf. So empfiehlt Schün (Schuking II, 2, 18), günstig ausgefallene Orakelproben nicht zu wiederholen, woraus wohl hervorgeht, dass man die ungünstigen nicht selten wiederholte, bis sie nach Wunsch ausfielen, was heute noch in China gesehen werden kann. Vgl. auch die im Schuking gegebenen Ratschläge für den Fall, dass Schildkröte und Schikraut unter einander oder mit der Meinung der Grossen und der Stimme des Volkes nicht übereinstimmen, V, 4, 25—31. Unzweifelhafter aber als durch solche Orakel erkannte man in Bezug auf die Vergangenheit den Willen Gottes im Gang der G e s c h i c h t e , da alle Begebenheiten durch ihn bestimmt und gewissermassen sanctioniert sind. Und in Hinsicht auf gegenwärtig zu treffende Entscheidungen legte man nicht geringes Gewicht auf die S t i m m u n g cles gemeinen V o l k e s , mit welcher sich nicht in Widerspruch zu setzen den Herrschern oft empfohlen wird. Vox populi, vox dei! Da nun aber der oberste Gott und Herrscher weder wie der Gott Abrahams oder Moses sich unmittelbar und lebendig offenbarte, noch auch mythologisch sich entfaltete, also im Leben sich nicht persönlich wahrzunehmen gab, j a immer mehr sich aus der sichtbaren Welt zurückzog, so traten von selbst die hier so wenig 1) Vgl. z. B. Schiking II, 4, 9. 2) Solche wurden vom Hofweissager nach technischen, besonders astronomischen Regeln ausgelegt. Schiking II, 4, 5 (SBE III, 349 f.) ir, 4, 6. 3) Die äussere Schale des Tiers wurde erst abgelöst, die innere, auf welcher die Muskeln desselben sich abzeichnen, mit schwarzer Tinte bestrichen und darauf ans Feuer gebracht, durch dessen Hitze die bedeutsamen Zeichnungen hervorgebracht wurden.
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Die altchinesische Reichsreligion.
als bei andern turanischen Völkern fehlenden G e i s t e r , D ä m o n e n , A h n e n g e i s t e r u . s . w . in den Vordergrund. Die Natur fasste man nicht unbeseelt auf. Den verschiedenen Gebieten der sichtbaren Welt wurden Schutzgeister zugeschrieben. Vor allem der Erde als der dem Himmel entsprechenden niedrigen Zone. Eine gewisse mythologische W e n d u n g und zugleich eine Entartung des reinen, erhabenen chinesischen Gottcsglaubens zeigt sich darin, dass von der Tscheu-Dynastie an mit dem Himmel als oberstem Gott nicht selten die Erde als ergänzendes göttliches Wesen verbunden wird, so zwar, dass das Verhältnis zwischen beiden als Urbild des Ehebundes gilt 1 ). Aber auch Sonne, Mond, Planeten, sowie einzelne Sternbilder, die vier Weltgegenden, Gebirge, Wälder, Quellen, Flüsse, Meere u. s. w. sind nicht ohne einen sie beseelenden Schutzgeist gedacht. Auch gibt es einen solchen für Regen und Dürre, für Wanderstrassen und W a n d e r u n g u. dgl. m. Diese Geister sind aber an sich alle gut gesinnt gedacht, im Unterschied von denen der Schamanen. Auch sind sie alle dem Himmelsgott., dem „höchsten H e r r n " , untergeordnet und es haftet ihrer Macht Endlichkeit und Beschränktheit an. Ohne seinen Willen können sie nichts thun. Zwar nehmen sie am Ergehen der Menschen wirksamen Anteil, so dass man sich durch Anrufungen und Opfer ihrer Gunst zu versichern trachtet. Aber sie vermitteln im Grund nur den Willen des Himmels, seine Gnade und Ungunst nach den Gesetzen, welche jener gegeben hat. Dies gilt nun auch von den jedem Haust.', voran dem Kegentenhaus, besonders wichtigen A h n e n g e i s t e r n . Man hat in China von jeher an das Fortleben der Verstorbenen geglaubt, die verehrten Ahnen dachte man sich zum Himmel aufgestiegen, wo sie noch Anteil nehmen am Ergehen ihrer Familien und sogar auf deren Schicksale einwirken. Die grossen Kaiser sind dort wieder mächtig und unigeben von ihren getreuen Vasallen. Sie senden Segnungen oder Züchtigungen ü b e r ihre Nachfolger auf Erden. Von jenen Naturgeistern sind übrigens die Ahnengeister nicht streng geschieden. Grosse Menschengeister erscheinen wie die erstem als Herren ülier ein ganzes Lebensgebiet, wie Feldbau, Pferdezucht, Krieg u. s. w. Dagegen ist die Untero r d n u n g unter Schangti, den „höchsten H e r r n " , hier vollends einleuchtend. Der K u l t u s besteht hier wie überhaupt bei den alten Völkern wesentlich im O p f e r . Zweck der Opfer ist, die B i t t e an die Himmlischen zu bekräftigen, der D a n k s a g u n g Ausdruck zu geben u n d U n h e i l a b z u w e n d e n 2 ) , im allgemeinen a b e r Verehrung zu bekunden. Dagegen das Sühnopfer, das auf tieferer Empfindung des Missverhältnisses zwischen dem heiligen Gott und der sündigen Menschheit beruht, findet sich kaum. Wohl a b e r werden die regelmässigen Opferfeste als die Schule gepriesen, in 1) Li Ki XXIV, 11 (SBE XXVIII, 265). 2) Li Ki IX, a, 28 (SBE XXVII, 448).
Altchinesischer Gottesdienst und Ahnendienst.
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welcher die verschiedenen Klassen der Menschen nicht nur Ehrfurcht vor der Gottheit, sondern auch vor ihren Vorgesetzten lernten und ihr Pflichtgefühl gegen die Untergebenen geweckt werde '). Der Opferdienst gipfelte in dem vom Kaiser dem höchsten G o t t dargebrachten Opfer. Es entspricht nämlich dem, was über das Zurücktreten der Gottheit aus dem täglichen Leben bemerkt wurde, dass nur der Oberherr des Reiches (kraft eines besondern Privilegiums auch cler Fürst von Lu) 2 ) dem Herrn des Himmels opfern durfte. Dies geschah zur Zeit der Sommer- u n d Wintersonnenwende, wohl auch zu Anfang des Frühlings und Herbstes, und zwar unter freiem Himmel, da der Gott des Himmels nicht in Tempeln verehrt wurde. Das Hauptopfer bestand in einem Stier. Auch Huldigungen an die E r d e waren damit verbunden. Religiösen Charakter hatte auch der Brauch, wonach der Kaiser mit seinen Ministern einmal jährlich ein Gottgeweihtes Stück Land eigenhändig pflügte, dessen E r t r a g zum Opfer verwendet wurde, während die Kaiserin mit ihren Hofdamen Seidenraupen besorgte, deren Erzeugnis zur Anfertigung kultischer Gewandstücke diente. Zugleich wurde durch jenen feierlichen und öffentlichen Akt ein Zeugnis von der grundlegenden Bedeutung des Feldbaues f ü r das Reich abgelegt und ein zur Arbeit aufmunterndes Beispiel gegeben 3 ). Der Kaiser opferte ferner den S c h u t z g e i s t e r n der vier Himmelsgegenden, der Berge, Flüsse u. s. f., und diesen durften nun auch die einzelnen L a n d c s f ü r s t e n opfern, soweit die Geister ihrer Provinz angehörten 4 ). Auch diese Opfer wurden auf Altären unter freiem Himmel dargebracht. Am meisten aber wurden Hoch und Niedrig durch den A h n e n k u 11 u s in Anspruch genommen. Denn hierzu war nun vom Kaiser bis zum geringsten Unterthan jeder berechtigt und verpflichtet. In jedem Hause war den abgeschiedenen Ahnen ein besonderes Heiligtum (ohne Bildnisse oder Bildsäulen) eingeräumt, wo man ihnen Blumen aufstellte und an gewissen Tagen Speisopfer darbrachte, was der Hausvater unter Mitwirkung seiner Gattin tliat. Den Ahnen meldete m a n alle wichtigeren Familienereignisse und feierte in ihrer Halle Familienfeste, z. B. die Verleihung des Männerhuts an den J ü n g l i n g im 20. J a h r , wodurch er zum Erwachsenen erklärt wurde und wozu die Verleihung der Nestelnadel an das Mädchen im 15. ein Seitenstück bildete. Man verehrte in der Regel die sechs letzten Ahnen und den ältesten, von dem man wusste, und zwar unter neuen Namen. W u r d e n die Lebenden im Rang befördert, so wurde auch der der Verstorbenen erhöht. Bei fürstlichen Familien war die Ahnenhalle
1) 2) 3) XXVIII, 4)
Li Ki Li Ki Li Ki 231). Li Ki
XXI, 2, 20 (SBE XXVIII, 231). XXI r, 29 (SBE XXVIII, 253); VII, 2 (SBE XXVII, 372 f.). IV, 1, 1, 13 (SBE XXVII, 254 f.). Vgl. XXI, 2, 20 (SBE XXII, 5 (SBE XXVIII, 239). I, 2, 3, 4 (SBE XXVII, 116).
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Die altchinesische Reichsreligion.
ein besonderes Gebäude, wo die wichtigsten Staatshandlungen vollzogen wurden. Die K a i s e r hatten sieben solche Ahnentempel, die Reichsfürsten fünf, die Grossen drei, die übrigen Beamten einen. Das Opferfest zu E h r e n der Ahnen nahm von Stufe zu Stufe höhern Glanz und Pomp an. Das kaiserliche Ahnenfest bildete den Höhepunkt. An dem durch die Vorzeichen als günstig bezeichneten T a g e erschien, nach sorgfältiger V o r b e r e i t u n g durch F a s t e n und andere Riten, der K a i s e r im vorgeschriebenen Ornat mit seiner Gemahlin und seinen Nebenfrauen sowie den Reichsfürsten. Durch die K l ä n g e der Musik wurden die Ahnengeister h e r b e i g e r u f e n ' ) und am E i n g a n g unter endlosen V e r b e u g u n g e n begrüsst. Es wurden ihnen T r a n k s p e n d e n ausgegossen ; W e i n c aus R e i s und Hirse). Der K a i s e r selbst führte den Opferstier herbei und tötete ihn. Auch eine Menge a n d e r e r T i e r e (Schafe und Schweine) wurden geschlachtet. Dann liess man siclis an der Opfermahlzoit wohlschmecken, versäumte a b e r nicht, den Ahnen ihren Anteil hinzustellen. Obwohl man von ihrer unsichtbaren G e g e n w a r t ü b e r z e u g t war, hatten sie doch auch einen sichtbaren V e r t r e t e r in der V e r s a m m l u n g , den S c h i ( R ü c k e r t : „ T o t e n k n a b c " ) , einen K n a b e n aus dem k a i s e r l i c h e n Haus, womöglich E n k e l des K a i s e r s , der mit dem G e w a n d des Ahnherrn angethan, als S p r e c h e r der Ahnen verehrt wurde und in ihrem Namen für die empfangenen E h r e n e r w e i s u n g e n und die Bewirtung dankte, und dafür Glück und Gesundheit in Aussicht stellte. Der S c h i k i n g enthält m a n c h c Lieder, welche bei diesen Anlässen gesungen wurden. Die F e i e r war von unzähligen Cercmonien begleitet, lief aber in ein heiteres und fröhliches Gastmahl aus. E i n e n Priesterstand oder ein eigentliches Priesteramt g a b es nicht. Alle diese Opfer wurden u n m i t t e l b a r vom Hausvater darg e b r a c h t unter Mitwirkung seiner Hausgenossen, worin man auch eine F o r t s e t z u n g ältester m e n s c h l i c h e r Zustände sehen d a r f (V. v. Strauss). Das Opfermaterial war ein sehr m a n n i g f a l t i g e s und umfasste so ziemlich alles, was den Menschen zum Unterhalt diente. Doch sollten nach einer R e g e l k e i n e weiblichen T i e r e d a r g e b r a c h t werden 2 ). Vornehmste Opfertiere sind Stier, W i d d e r , E b e r 3 ) . A b e r auch K ä l b e r , F e r k e l , Vögel, F i s c h e und zugerichtete Speisen wurden d a r g e b r a c h t mit starken G e t r ä n k e n , ebenso Seidenstoffe u. dgl. — D a g e g e n waren Menschenopfer der chinesischen Religion f r e m d . Auch bei andern V ö l k e r n findet Analogieen die in der altchine1) Vgl. Li Ki VII, 1, 1 0 - 1 2 (SBE X X V I I , 3 7 0 - 3 7 2 ) . 2) Li Ki IV, 1, 1, 17 (SBE X X V I I , 256). Auch die Farbe derselben wurde beachtet. Die Hia-Dynastie soll schwarze, die Jin sollen weisse, die Tscheu rote Opferstiere vorgezogen haben. Li Ki X I I , 17 (SBE X X V I I I , 35). Beim Ahnenopfer der letztern war jedenfalls der Slicr rot, aber beim Opfer an die Feldgeister g'elb mit schwarzem Maul (Schiking' III, 3, 6). 3) Eine Darbringung dieser dreie durch den Kaiser s. Li Ki IV, 1, 2, 9 (SBE X X V I ! , 259).
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Kultus und Frömmigkeit der alten Chinesen.
sischen L i t t c r a t u r v e r e i n z e l t d a s t e h e n d e T o d e s w e i h e d e s H e r z o g s v o n T s c h e u , d e r sich bei s c h w e r e r E r k r a n k u n g seines B r u d e r s , des K ö n i g s W u w a n g , d e m H i m m e l z u m E r s a t z o p f e r a n b o t , i n d e m er u n t e r f e i e r l i c h e r A n r u f u n g d e r „drei K ö n i g e " (der A h n e n d e s Reg e n t e n h a u s e s ) an dessen Stelle zu s t e r b e n sich b e r e i t e r k l ä r t e . W u g e n a s a l s b a l d , ohne dass d e r H i m m e l d a s g r o s s m ü t i g e O p f e r a n n a h m l ). Auch d a s L e b e n d i g b e g r a b e n von Menschen b e i m T o d eines F ü r s t e n 2 ) ist nicht chinesische, s o n d e r n t a t a r i s c h e Unsitte, die a l l e r d i n g s im s p ä t e m China zuweilen e i n d r a n g , im a l t e n dag e g e n n u r im s t a r k t a t a r i s c h b e v ö l k e r t e n S t a a t e T s i n v o r k a m . Bei d e n religiösen F e i e r l i c h k e i t e n spielte die M u s i k eine g r o s s e Rolle, w e l c h e zu d e n ä u s s e r l i c h e n F o r m e n n a c h dein e i g e n e n Bevvusstsein d e r Chinesen d a s beseelende E l e m e n t b i l d e t e , d e n Verk e h r mit d e n Ü b e r i r d i s c h e n v e r m i t t e l t e u n d die H a r m o n i e z w i s c h e n H i m m e l u n d E r d e herstellte , 1 ). Die b l i n d e n M u s i k a n t e n h a n d h a b t e n d a b e i m a n c h e r l e i Schlag-, Saiten- u n d B l a s i n s t r u m e n t e , wie T r o m m e l , Glocke, K l i n g s t e i n , L a u t e , P f e i f e , Flöte, Orgel u. s. w., n a c h d e r e n T a k t die B e w e g u n g e n u n d V e r b e u g u n g e n bald l a n g s a m e r , b a l d r a s c h e r vor sich g i n g e n . Auch im t ä g l i c h e n L e b e n s c h r i e b m a n d e r Musik eine hohe B e d e u t u n g f ü r B i l d u n g des C h a r a k t e r s u n d S t i m m u n g des G e m ü t e s zu. W i r finden d a h e r die e r n s t h a f t e s t e n chinesischen W e i s e n sowohl vor ihren S c h ü l e r n als in d e r E i n s a m keit h ä u f i g z u r L a u t e s i n g e n d . in W i r g e h e n ü b e r zur altchinesischen F r ö m m i g k e i t Sitte und Leben. E s m a g b e i m ersten A n b l i c k s c h e i n e n , als ob d a s a l t c h i n e s i s c h e L e b e n im Vergleich m i t dem a n d e r e r Völker des A l t e r t u m s w e n i g K u n d g e b u n g e n religiöser E m p f i n d u n g e n aufwiese. U n d so viel ist r i c h t i g , dass d a s I n t e r e s s e d e r v e r s t a n d e s nnissigen Chinesen von j e h e r s t a r k d e m diesseitigen L e b e n zug e w a n d t w a r . J e n e r A u g e n s c h e i n ist freilich ohne Zweifel a u c h d a d u r c h h e r v o r g e r u f e n , dass wir ihre alten S c h r i f t e n in d e r Gestalt ü b e r k o m m e n h a b e n , wie sie a u s den H ä n d e n d e s f ü r d a s eigentlicli Religiöse w e n i g e m p f ä n g l i c h e n K o n g t s e u n d s e i n e r S c h u l e h e r v o r g e g a n g e n sind '). Allein a u c h so noch wird m a n , w e n n m a n die ältesten Z e u g n i s s e v o n d e n A n s c h a u u n g e n d e s Volkes n ä h e r bet r a c h t e t , ü b e r r a s c h t v o n d e m hohen Masse von P i e t ä t , w e l c h e s d e m Volke e i g e n w a r u n d i h m eine s o g a r ä n g s t l i c h e S c h e u einfiösste v o r j e d e m Verstoss g e g e n die M a j e s t ä t des H i m m e l s u n d seine u n v e r l e t z l i c h e n Gesetze. Die E r h a b e n h e i t d e r G o t t e s a u f f a s s u n g hat a u c h h i e r a u f die Moral h e b e n d u n d k r ä f t i g e n d e i n g e w i r k t . Die P i e t ä t g e g e n die O r d n u n g e n d e s H i m m e l s gilt als G r u n d t u g e n d u n d ä u s s e r t sich wie in d e r E i n h a l t u n g d e r eigentlich religiösen 1) Siehe die ausführliche Beschreibung dieses Weiheaktes Scliuking V, 6. 2) Schiking I, 11, 6. Vgl. auch Li Ki II, 2, 2, 15 (SBE XXVII, 181 f.). 3) Vgl. den J o Ki (Traktat über Musik) im Li Ki Buch XVIi (SBE XXVIII, 92 ff.). 4) Vgl. S. 41 die Bemerkung zum Schiking.
Orelli, Religionsgcscliichte.
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Die altchinesische Ueiclisrclig'ion.
Gebräuche, so insbesondere in Erfüllung der Pflie,hten gegen Angehörige und Obrigkeit. Wir haben hier eine religiös begründete Moral, welche freilich mit der Zeit die Religion selbst beinahe absorbierte, j e mehr der Mensch hinter den göttlichen Ordnungen dieses Lebens die Gottheit selbst aus den Augen verlor. Man kennt in China von alters her f ü n f s o z i a l e G r u n d v e r h ä l t n i s s e , in welchen die Pietät sich bethätigen soll: 1) Eltern und Kinder, 2) Mann und Weib, 3) ältere und jüngere Brüder, 4) Freunde, 5) Obrigkeit und Unterthanen. Als das erste Grundverhältnis kann das z w i s c h e n V a t e r (oder Eltern) u n d K i n d e r n angesehen werden, da dieses auch der ursprünglich patriarchalischen Kegierungsgewalt zu Grunde liegt. Kein anderes Volk hat in dieser Hinsicht die Pietät so weit getrieben wie die Chinesen, womit ihre zähe Anhänglichkeit an das Überlieferte zusammenhängt. Ihren Erzeugern erwiesen sie zeitlebens die grösstc Ehre. Der Sohn blieb auch in vorgerückteren J a h r e n seinem Vater gegenüber unselbständig und hatte sich unbedingt dem elterlichen Willen zu unterwerfen. Nur mit Einwillig u n g der Eltern durfte er heiraten und w a r in der Wahl der Gattin von ihnen abhängig. Auch sein Weib trat in dieses Abhängigkeitsverhältnis zu seinen Eltern und konnte entlassen werden, wenn es sich ihnen nicht fügte. Mann und Weib hatten bei Lebzeiten der Eltern kein besonderes Eigentum. Starb der Vater, so galt die Mutter als Trägerin dieser Autorität, der man zu kindlichem Gehorsam verpflichtet war. Schon von den alten Kaisern werden r ü h r e n d e Beispiele von Ehrerbietung gegen die Eltern erzählt, u n d die Armen wurden darum am meisten bedauert, weil sie ihre Eltern nicht ernähren konnten. Nichts beklagen die im Felde liegenden Krieger so sehr, wie dass sie ihrer betagten Eltern sich nicht annehmen können. Dass mit dem Tode der Ellern dieses Band nicht als abgeschnitten galt, sondern nur an die Stelle der Bedienung der Lebenden ein Totenkultus trat, sahen wir oben. Dem Kaiser waren drei J a h r e der T r a u e r um den Tod des Vaters vorgeschrieben, den Unterthanen ein J a h r ; doch wurde dreijährige Trauerzeit später allgemein. Auch wurde diese Vorschrift so streng eingehalten, dass die Kaiser sich während dieser Zeit sogar von ihren Staatsgeschäften zurückzogen. Ebenso waren dem T r a u e r n d e n manche Entbehrungen auferlegt und weisse Trauerkleider vorgeschrieben. Der Verstorbene empfing nun unter seinem neuen Ehrennamen die Ovationen der Ahnenhalle und galt als der gute Genius des Hauses in F r e u d e und Leid. Die Eltern ihrerseits schätzten die Kinder hoch als die künftigen T r ä g e r ihres Namens und Pfleger ihres Andenkens, aber freilich die Knaben als die eigentlichen Stammhalter ungleich höher als die Mädchen, deren Geringschätzung schon im Schiking II, 4, 5 (Ende) einigermassen hervortritt, im modernen China aber sogar zu häufiger Aussetzung g e f ü h r t hat. Das Verhältnis von M a n n u n d W e i b betreffend, zeigen die
Familienpflichten der alten Chinesen.
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altern Lieder, dass der gesellige Verkehr zwischen beiden Geschlcchtern in der frühem Zeit noch viel freier war, als später, wo die kanonischen Regeln eine absolute Trennung der Geschlechter bezweckten, welche sich freilich nur bei den höhern Klassen der Bevölkerung durchsetzen liess. Der Jüngling heiratete durchschnittlich mit dem dreissigsten, die Jungfrau mit dem zwanzigsten Lebensjahr. Um Verwandtenehen zu vermeiden, sollte man kein Weib mit demselben Geschlcchtsnamen wählen 1 ). Werbung und Trauung gingen unter mancherlei Förmlichkeiten vor sich. In der Ehe war das Weib völlig vom Manne abhängig und ihm unterthan. Das Ursprüngliche war die Monogamie, die überhaupt prinzipiell bestehen blieb. Der hohe Wert, den man auf Nachkommenschaft legte, namentlich des Alinendienstes wegen, führte aber dazu, dass man sich bei Kinderlosigkeit der Gattin eine Nebenfrau zugesellte, deren Stellung in der Familie gleichfalls rechtlich geordnet war. Vollends die Leidenschaften der Fürsten führten zu zahlreich besetzten Harems. Auch das den Chinesen anfänglich fremde EunuchenUnwesen fand gegen das achte Jahrhundert v. Chr. Eingang und stiftete an den Höfen viel Elend, unter dem das ganze Reich zu leiden hatte, da diese tückischen Verschnittenen oft grosse Macht erlangten, die sie selten zum Wohl der Herrscher und Unterthanen gebrauchten. Im übrigen ist die Stellung der Frau im altchinesischen Reiche keine unwürdige gewesen. Davor bewahrte sie schon die Ehrfurcht, welche man der Mutter zollte. Die treue Liebe der Gattin zu „ihrem hohen Herrn" wird in manchen Volksliedern des Schiking besungen, häufiger als die bräutliche Liebe, welcher die strenge Sitte wenig Spielraum vergönnte. Edle und bedeutende, echt weibliche Frauen treten da und dort in der Geschichte auf, während bei den benachbarten Tataren nur amazonenhafte Heldinnen von sich reden machen. Nach dem Tod cles Gatten konnte sich die Witwe wieder verheiraten; doch wird das Verharren in der Trauer an ihr besonders gepriesen 2 ). Die g e s c h w i s t e r l i c h e n Verhältnisse sind ebenfalls durch den Gesichtspunkt der pietätvollen Unterordnung beherrscht. Die j ü n g e r n B r ü d e r sollen gegen die ä l t e r e n Ehrfurcht beweisen, diese aber j e n e mit Liebe behandeln. Überhaupt wird Ehrfurcht vor dem A l t e r oft eingeschärft. „Man soll einem Mann, der doppelt so alt, als man selbst ist, dienen wie seinem Vater, einem der zehn J a h r e älter, wie seinem ältern Bruder, einem der fünf J a h r e älter, seinen Respekt damit bezeugen, dass man sich etwas zurückhält, wenn man hinter ihm g e h t " 3 ) . Sah man einen ältern Mann auf der Strasse etwas tragen, so sollte man ihm die Last abnehmen; trug man selber etwas und konnte nicht beides fassen, so sollte man das schwerere auf sich nehmen. Ein Mann mit grauen 1) Li Iii I, 1, 3, 6 (SBE XXVII, 78). 2) Vgl. z. B. Schiking I, 10, 11. 3) Li Ki I, 2, 4 (SBE XXVII, S. 68).
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Die altchhiesische lteichsrcligion.
I l a a r e n sollte überhaupt nichts tragen, auch nicht mit Einer Hand 1 ). Vom fünfzigsten Lebensjahr an wurden die Alten in steigendem Masse von der Obrigkeit bewirtet und von den Kaisern geehrt" 2 ). Schon den alten Herrschern rühmte man nach, sie hätten bei ihren Mahlzeiten den Gästen auf die H a a r e und Zähne gesehen, d. h. sie genau nach dem Alter gesetzt. Das Verhältnis zwischen F r e u n d e n und Genossen, das durch Aufrichtigkeit und Treue normiert sein soll, wird seltener mit Vorschriften bedacht. Das schöne Lied des Schiking, II, 1, 4, welches (ein chinesisches Seitenstück zu Psalm 1«}3) die Bruderliebe feiert, stellt diese höher als Freundesliebe, weil Brüder einander treuer sind in der Not. Es schliesst dasselbe: Sind W e i b u n d K i n d e r hold v e r b u n d e n , D a s ist wie Hart' u n d L a u t e n k h i n g , U n d w e r d e n B r ü d e r Eins e r f u n d e n , Gibts F r e u d u n d E i n t r a c h t lebenslang'. Mach Eins die deines H a u s e s sind, So hast du F r e u d an W e i b u n d Kind. D e m t r a c h t e nach, d r a u f sei gesinnt. Wirst sehn, dass also sichs befindt 3 ).
Die grösste Bedeutung aber fürs allgemeine Leben erlangte die chinesische Pietät durch ihre Bestimmung des Verhältnisses des H e r r s c h e r s z u d e n U n t e r t h a n e n. I n d e r den letztern angewiesenen Stellung zu ihrem Kegenten vereinigte sich die Ehrf u r c h t vor dem Himmel und die den Eltern entgegengebrachte. Denn wie den Gipfel der väterlichen Gewalt, so stellte der Herrscher die himmlische, göttliche Obmacht auf Erden dar. Der Vereinigung der politischen Macht in Einer Hand (des Kaisers) war durch diese religiöse Vorstellung der Chinesen k r ä f t i g Vorschub geleistet. Wie es nur Einen Himmel gibt und nur Eine Sonne am Himmel, so auch nur Einen obersten Herrscher auf Erden. Dieser aber soll so wenig willkürlich schalten und walten, als es der überirdische höchste Herrscher (Schang-ti) thut. Sein Vorbild sei „der Himmel", dessen Vertreter und Organ er auf Erden ist, damit er seine Gesetze zur Ausführung bringe. Die Unterthanen haben nicht nur mit Resignation sich in den Willen des Herrschers zu fügen, sondern auch mit kindlicher Ehrf u r c h t ihm zu gehorchen. Seine Gesetze erliess der Kaiser patriarchalisch, in der Form väterlicher Belehrungen, und auch seine strengsten Strafen sollten als väterliche Züchtigungen aufgenommen werden. F ü r den Fall jedoch, dass ein Herrscher sich nicht an die heiligen Ordnungen des Himmels kehrte, und gegen die Gebote der Gerechtigkeit und guten Sitte verstiess, waren amtliche Censoren da, welche die ernste Pflicht hatten, ihn zu mahnen und zu warnen. Die Geschichte zeigt Beispiele, wo unerschrockene 1) Li Ki III, 5, 15 (SBE XXVII S. 244). 2) Li Ki III, 5, 1 ff. (SBE XXVII, S. 240 ff.). 3) V. v. S t r a u s s , Schiking- S. 259 f.
Regen ton tilgend.
Unsti'rblichkeitsglaube.
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Beamte sieh nicht scheuten, einem despotischen Kaiser Vorstellungen dieser Art zu machen, obwohl ihnen dies leicht das Leben kosten konnte. Auch werden m e r k w ü r d i g e r Weise die Herrscher nicht selten ermahnt, auf die Volksstimme zu achten, der man den Willen des Himmels entnehmen könne. Namentlich aber w u r d e es in erster Linie auf Missstände in der Regierung bezogen, wenn der Himmel sein Missfallen durch erschütternde Naturereignisse und Landplagen zu erkennen gab. Auch selbstbewusste Herrscher demütigten sich in solchen Fällen, tliaten öffentlich Busse und besserten ihren Wandel. Geschah dies nicht, so war das Volk berechtigt aufzustehen u n d dem Kaiser den Gehorsam zu versagen. So war der Absolutismus seiner Herrschaft doch wesentlich gemildert durch eben jene religiösen Anschauungen, auf welche seine hohen Rechtsansprüche sich gründeten. Als erste Regententugend galt tiefste Ehrfurcht gegen Gott und die Ahnherrn. Demütige Bekenntnisse der eigenen Unfähigkeit und UnWürdigkeit vernimmt man nicht selten aus dem Mund hoher Fürsten in ihren Liedern und Gebeten. Natürlich soll der Regent die ihm obliegenden Gebräuche und Ceremonien, besonders die mit der Verehrung des Himmels und der Geister zusammenhangenden, aufs sorgfältigste pflegen und vollziehen. Tn Bezug auf die Regierung wird ihm in den alten Ermahnungen des Schuking besonders empfohlen: die Unterthanen nach den Gesetzen des Himmels zu behandeln, die Schuldigen mit Ernst, aber mit Mass zu bestrafen; gegen die unvorsätzlich schuldig Gewordenen Nachsicht zu ü b e n ; dem niedrigen Volke, besonders den Witwern und Witwen und Kindern, liebende Fürsorge angedeihen zu lassen; die T u g e n d h a f t e n , nicht die Harten, Grausamen und T r ä g e n , zu Amt und Ehren zu befördern, Mass zu halten im Genuss und in Liebhabereien, wie J a g d , T r u n k u. s. w. F e r n e r wird dem Fürsten fleissige Arbeit nach dem Vorbild des Landmannes anempfohlen. Durch Ausübung dieser Tugenden sorgt der Fürst f ü r die Ruhe und Wohlfahrt des Volkes; denn dieses wird sein musterhaftes Verhalten von selbst nachahmen und so der Himmel dem Lande wohlwollend sein und seine Gunst bezeigen. Von nicht geringem Einfluss auf Lebensauffassung und Sitte war, wie aus Obigem erhellt, der a l t c h i n e s i s c h e U n s t e r b l i c h k e i t s g l a u b e '). Die Fortdauer des Menschen nach dem Tode stand diesem Volke gerade in der ältesten Zeit fest und wurde genährt durch Erzählungen von Erscheinungen der Verstorbenen im T r a u m u n d sonst. Beim Tode fällt wohl, wie der Augenschein lehrt, der Leib der Erde anheim, a b e r die eigentliche Persönlichkeit lebt fort, indem sie sich zu einer höhern Region emporschwingt. Der Ahn als überlebender heisst kuei 2 ), 1) Vgl. J. H. P l a t h in ZDMG XX (1866) S. 471-484. 2) Dieser Ausdruck wird freilich auch von der zur Erde zurückkehrenden animalen Seele gebraucht.
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Die altehinesiselie Rciclisrelig'ion.
w ä h r e n d schin, als allgemeine B e n e n n u n g f ü r Geist, auch die Nat u r g e i s t e r umfasst, welche ü b r i g e n s von den Ahnengeistern nicht s t r e n g geschieden w e r d e n , indem auch letztere gelegentlich als Vorsteher von Elementen erscheinen. Man w a r t e t e bei einem Todesfall drei T a g e , ob d e r Geist nicht wieder in den Leib z u r ü c k k e h r e , wozu man ihn feierlich aufforderte. Dann b e g r u b man die Leiche. Von der Person des Toten a b e r sagte m a n : „ E r ist a u f g e s t i e g e n " u n d meinte damit, dass er in den lichten Himmel sich erhoben h a b e , wo er mit den f r ü h e r V e r s t o r b e n e n vereinigt, einen seiner irdischen Stellung e n t s p r e c h e n d e n R a n g einnehme. Von d e r hilfreichen Teiln a h m e , welche diese A h n e n g e i s t e r ihren N a c h k o m m e n angedeihen lassen, wenn diese in k i n d l i c h e r E h r f u r c h t ihrer g e d e n k e n , war oben die Rede. Aber auch das Gegenteil, ein richterliches Einschreiten d e r himmlischen Ahnen g e g e n e n t a r t e t e Enkel, erwartete man. D a g e g e n ist m e r k w ü r d i g , dass von einem Gericht ü b e r die V e r s t o r b e n e n , d. h. von einer V e r g e l t u n g d e s B ö s e n n a c h d e m T o d e , n i r g e n d s die Rede ist. T i e l e erinnert freilich d a r a n , dass die uns zugänglichen Quellen f ü r K e n n t n i s der altchinesischen Religion sämtlich durch die H ä n d e Kongtses u n d seiner Schule g e g a n g e n sind und hält es, im Blick auf die sehr a u s g e b i l d e t e Vergeltungslehre d e r Tao-sse, f ü r wahrscheinlich, dass die E r i n n e r u n g e n d a r a n von j e n e n Ü b e r a r b e i t e r n ausgemerzt seien. Allein schwerlich t r a t j e n e r V e r g e l t u n g s g l a u b e in der alten Religion i r g e n d n a c h d r ü c k l i c h hervor. Bei dem naiven Optimismus, welcher sie kennzeichnet, mochte man die Vergehen f ü r durch den T o d g e s ü h n t ansehen u n d wollte sich seine abgeschiedenen Angehörigen n i c h t a n d e r s denn als selig vorstellen. Auch sonst ist die Uns t e r b l i c h k e i t s h o f f n u n g der alten Religion nicht bestimmt ausgebildet. Z. B. wird nicht a u s d r ü c k l i c h gesagt, dass das Fortleben im J e n seits ein e w i g e s sei. U n d es fehlt nicht ganz an abweichenden Vorstellungen, wie z. B. dass die V e r s t o r b e n e n sich unter der E r d e befinden 1 ), u n d an Zweifeln in Betreff des F o r t l e b e n s d e r A h n e n , wenn m a n sich von ihnen im Stich gelassen sah 2 ). Zur Zeit des K o n g t s e w a r e n diese Zweifel bei den Gebildeten gewiss schon s t a r k v e r b r e i t e t , u n d abgesehen von den Tao-sse, welche einem phantastischen Geister- u n d U n s t e r b l i c h k e i t s g l a u b e n huldigten, sah sich das chinesische Volk s p ä t e r von einer bestimmten H o f f n u n g aufs J e n s e i t s verlassen, w a s viel dazu beitrug, dem Buddhismus (seit 6 5 n. Chr.) E i n g a n g zu verschaffen, der d a r ü b e r bestimmte Aufschlüsse zu h a b e n nieinte. A b g e s e h e n davon w u r d e , da doch g e r a d e die g e r e c h t e V e r g e l t u n g des Guten u n d Bösen zu K o n g t s e s W e l t a n s c h a u u n g n o t w e n d i g gehörte, von seiner Zeit an bis auf die G e g e n w a r t die A u s k u n f t beliebt, die bei Lebzeiten eines Menschen vermisste V e r g e l t u n g vollziehe sich an seiner N a c h k o m m e n s c h a f t 3 ) . 1) P l a t h a. a. O. S. 477. 2) P l a t h a. a. 0. S. 478f 3) SBE XVI, S. 47.
Rückblick auf die allcliinesische Reiclisreligion.
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Darüber kommt noch der berühmte volkstümliche T r a k t a t „über die Handlungen und ihre Vergeltung'" 4 ) nicht hinaus, dessen Grundg e d a n k e ist, dass alle guten und bösen Thaten der Menschen von den guten und bösen Geistern belohnt oder bestraft werden. Die begangenen Unthaten haben Verkürzung des Lebens zur Folge, und zwar j e nach ihrer Schwere um 12 J a h r e oder 100 Tage. Solche Fehltritte, die nicht in dieser Weise gesühnt werden konnten, werden an den Kindern geahndet. Dagegen kennt diese Schrift wenigstens jenseitige Belohnungen : Wer 300 gute W e r k e thut, wird ein „Unsterblicher der Erde", wer 1300 vollbringt, ein „Unsterblicher des Himmels". W e r f e n wir noch einen R ü c k b l i c k auf die im vorherigen skizzierte Reichsreligion des alten China. Ist ihre einheitliche F a s s u n g der Gottheit als uralt anzusehen, oder haben diejenigen recht, welche auch hier den Animismus als die früheste erkennbare Stufe der Religion wahrzunehmen glauben? J e höher man hinaufsteigt, desto mehr dominiert der souveräne Himinelsgott. Die Geister (schin) sind zwar von Anfang an vorhanden, aber sie treten samt der mit ihnen verbundenen Magie mehr und mehr in den Vordergrund, nach allem Anschein unter dem Einfluss teils der vorchinesischen Landesbewohner, der Miao, teils der eingedrungenen Tataren. Das ursprünglichste scheint gerade die Verehrung des alles, auch die Geisterwelt, unendlich überragendeu Schangti, während schon unter den Tscheu dieser mehr zurücktrat hinter dem P a a r e : Himmel und Erde, zu welchem sich die Geister von Sonne, Mond u n d Sternen gesellten, die auch hohe Ehren empfingen 2 ). Der altchinesischen Reichsreligion muss man eine gewisse Erhabenheit und einen nicht zu verachtenden Wahrheitsgehalt zusprechen. Ihre Stärke liegt eben in der Einheit u n d Erhabenheit des Gottesbegriffs und in der moralischen Bestimmtheit des göttlichen Wesens. Von da aus geht ein einigender und reinigender Einfluss auf das Menschenleben aus. Die Einheitlichkeit und moralische Bestimmtheit der Weltauffassung f ü h r t e zu besonderer Pflege der sozialen Verhältnisse, nicht nur der Familie, sondern auch des Volks- u n d Staatslebens. Überall w u r d e dieselbe „Pietät" gegen die Ordnungen des Himmels gefordert. Dagegen wird die Gottheit zu wenig nach ihrer Übernatürlichkeit und Unabhängigkeit von der Welt erkannt. Dass Gott die Welt erschaffen habe, davon verlautet in den älteren Denkmälern nichts. Die Gottheit ist mehr der Inbegriff der W e l t o r d n u n g und des Weltregiments, als dass die Welt um ihretwillen da wäre. Daher fliessen denn auch die Natur- und Menschengeister mit ihr zusammen u n d verdrängen
1) Dieser taoistische Traktat aus (leni 15. Jalirli. l). Chr. gehört in China zu den verbreitetsten Schriften. Er ist c h i n e s , und f r a n z . hera u s g e g e b e n von St. J u l i e n , Le livre des récompenses et des peines, Lond. 1835, und e n g l , von L e g g e SB E Bd. XL, S. 235 ; Herodot 2, 37; Diodor 1, 73.
Die ägyptische. Priesterschaft.
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s c h o n , d a s s d e r P r i e s t e r A m o n s a u c h n a c h d e r K ö n i g s k r o n e griff', f r e i l i c h n u r i m ä t h i o p i s c h e n S t a a t s w e s e n sein I d e a l l ä n g e r e Zeit h i n d u r c h verwirklichen konnte. — Die priesterlichen Ä m t e r w a r e n n i c h t e i n f a c h e r b l i c h , w i e B e r o d . 2. 37. 1 4 3 : D i o d . 1, 7 3 ann e h m e n , s o n d e r n es m u s s t e d i e S t u f e n f o l g e d e r s e l b e n v o n u n t e n durchlaufen werden. Die F r a g e , ob auch P r i e s t e r i n n e n f u n g i e r t e n , v e r n e i n t z w a r H e r o d . 2, 3 5 ; a b e r f ü r B e j a h u n g s p r e c h e n a n d e r e A u t o r e n u n d e n t s c h e i d e n d d i e ä g y p t i s c h e n D e n k s c h r i f t e n u n d Abb i l d u n g e n , w e l c h e z e i g e n , d a s s a u c h F r a u e n , b e s o n d e r s die W e i b e r u n d T ö c h t e r d e r K ö n i g e u n d P r i e s t e r , h e i l i g e Ä m t e r h a t t e n , nam e n t l i c h im D i e n s t d e r G ö t t i n n e n . — Die P r i e s t e r w a r e n in i h r e r g a n z e n L e b e n s w e i s e e i n e r s t r e n g e m Z u c h t u n t e r w o r f e n a l s die Laien. U n o r l ä s s l i c h w a r f ü r sie d i e B e s c h n e i d u n g , während d i e A l l g e m e i n h e i t d i e s e s B r a u c h s bei d e n a l t e n Ä g y p t e r n z w e i f e l h a f t i s t 1 ) . N a c h H e r o d . 2, 37 w u r d e d i e s e l b e als e i n e Ü b u n g d e r K e r n i g k e i t a n g e s e h e n (xadaoiönjTO? en-exe.v) ä h n l i c h w i e d a s v ö l l i g e A b s c h e r e n d e r H a a r e , also g a n z wie bei d e n H e b r ä e r n . D a s s dies e l b e ein d e n f e i n d l i c h e n D ä m o n e n g e b r a c h t e s O p f e r v o m e i g e n e n B l u t , u r s p r ü n g l i c h e i n e M i l d e r u n g d e r C a s t r a t i o n s e i 2 ) , lässt sich a u s Z e u g n i s s e n d e r h i s t o r i s c h e n Zeit n i c h t n a c h w e i s e n ; die A n a logie afrikanischer Völker k a n n d a f ü r a n g e f ü h r t w e r d e n . Die ä g y p t i s c h e n P r i e s t e r h a t t e n n a c h I i c r o d o t 2, 37 j e d e n d r i t t e n T a g a l l e s H a a r , b e s o n d e r s B a r t u n d A u g e n b r a u e n a b z u s c h e r e n - , n u r in d e r T r a u e r Hessen sie d a s H a a r w a c h s e n . Zweimal jeden T a g u n d j e d e N a c h t h a t t e n sie W a s c h u n g e n v o r z u n e h m e n . Sie t r u g e n l i n n e n e G e w ä n d e r u n d S c h u h e von S c h i l f r o h r ( P a p y r u s ) . Kleid u n g e n von H a a r e n u n d H ä u t e n v e r u n r e i n i g t e n d e n P r i e s t e r . ( N u r i m O s i r i s d i e n s t k o m m e n bei g e w i s s e n A u f z ü g e n L e o p a r d e n felle vor.) A u c h b e s t i m m t e S p e i s e v e r b o t e g a l t e n f ü r sie. Sie d u r f t e n weder Schweine- noch Schaffleisch noch Fische geniessen, d a g e g e n K a l b f l e i s c h u n d G ä n s e . D i e S a u b o h n e s o l l t e n sie als u n rein nicht einmal ansehen3). W e i n d u r f t e n sie ( w i e d e r K ö n i g ) m i t Mass t r i n k e n . H ä u f i g h a t t e n sie zu f a s t e n u n d sich zu k a steien, g e l e g e n t l i c h s o g a r 4 2 T a g e l a n g , u m d i e 4 2 T o d s ü n d e n los zu w e r d e n . H e i r a t e n sollten d i e P r i e s t e r n u r E i n W e i b , w ä h r e n d s o n s t d e n Ä g y p t e r n bei p r i n z i p i e l l e r M o n o g a m i e N e b e n f r a u e n g e r i n g e m Grades gestattet waren. N ä c h s t d i e s e r P r i e s t e r k a s t e g e n o s s in d e r s p ä t e r e n Z e i t d a s meiste Ansehen der K r i e g e r s t a n d . Es w a r d a s w e n i g e r ein K r i e g s a d e l , d e r bloss in e i n e m L e h e n V e r h ä l t n i s z u m K ö n i g g e s t a n d e n h ä t t e , als ein S o l d a t e n s t a n d , d e r d e n K r i e g s d i e n s t zu l e i s t e n 1) Vgl. E b e r s , Äg. u. die BB. M. 278 ff. R i e h m , Hdwb. S. 169. 2) So M e y e r , Gesch. des Alt. I, 72. 3) So nach Herod. 2, 37. Vgl. auch Porphyr, de abstinentia 4, 6 ff. und dazu R o b e r t s o n S m i t h , Religion of the Semites (1894) S. 301 f., der daran erinnert, dass das offizielle ägyptische Ceremoniell, z. B. die Speisegesetze aus der Vereinigung - abweichender lokaler Satzungen erwachsen sei.
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Ä g y p t i s c h e Religion.
Einleitung.
hatte gegen ein gewisses Ackerinass, dessen N u t z n i e s s u n g ihm zuk a m . Nach Diodor 1, To sollen die K r i e g e r wie die Priester j e ein Drittel des L a n d e s besessen h a b e n ; n a c h Herod. 2, 168 besass j e d e r K r i e g e r als Ehrensold 12 auserlesene und s t e u e r f r e i e ngovoat. Allein dieser Besitz w a r keinesfalls ein so ständiger u n d so v e r b ü r g t e r wie bei den P r i e s t e r n 1 ) . In d e r alteren Zeit spielten die Krieger ü b e r h a u p t eine u n t e r g e o r d n e t e Rolle. Da die Ä g y p t e r selbst wenig kriegerisch b e a n l a g t w a r e n , haben schon die P h a r a o n e n des Alten Reiches ihre Kriege meist mit b a r b a r i s c h e n (besonders libyschen) Söldnern g e f ü h r t 2 ) ; auf den lvriegsbildern des mittleren Reiches erscheinen auch Semiten im ägyptischen Heer. Durch die Invasion der Hyksos u n d die K ä m p f e mit denselben zu A n f a n g des Neuen Reiches n a h m das ä g y p t i s c h e Heerwesen u n d die Kriegslust einen gewaltigen A u f s c h w u n g . Nach Herodot konnten die K r i e g e r f a m i l i e n um die Mitte des 5. J a h r h u n d e r t s noch 400 000 .Mann stellen. Die D e n k m ä l e r zeigen eine ziemlich vorgeschrittene K r i e g s k u n s t , keine Reiter, a b e r seit den H y k s o s viele Wagenk ä m p f e r , B e l a g e r u n g s m a s c h i n e n wie den S t u r m b o c k , S c h u t z d ä c h e r u. s. w. I l a u p t w a f f e ist der Bogen, d a n e b e n sind Spiess, Streitaxt, k u r z e s Schwert, b e s o n d e r s ü b l i c h ; auch das bei den benachb a r t e n Asiatenstämmen g e b r ä u c h l i c h e Wurfholz (Bumerang) k o m m t vor, das bei seiner Grösse u n d Dicke wohl auch als Keule geb r a u c h t w u r d e ; zum Schutz dienten Schild u n d H e l m 3 ) . Ausser den P r i e s t e r n u n d K r i e g e r n n e n n t Strabo die erw e r b e n d e , a r b e i t e n d e Menge ohne n ä h e r e U n t e r s c h e i d u n g , w ä h r e n d A n d e r e H a n d w e r k e r v e r s c h i e d e n e r Zünfte, A c k e r b a u e r , H i r t e n , J ä g e r unterscheiden. Die v o r n e h m e n Kasten w a r e n ü b r i g e n s k e i n e s w e g s so abgeschlossen wie in Indien. N u r von den besonders verachteten Schweinehirten sagt Herodot 2, 47, sie hätten n u r u n t e r eina n d e r g e f r e i t ; sonst m a g das Connubium nicht ausgeschlossen gewesen sein. I m m e r h i n hatte das ständische u n d berufliche Leben der Ä g y p t e r eine grosse Stabilität. In der Regel g i n g die B e s c h ä f t i g u n g des V a t e r s auf den Sohn ü b e r . Diodor (1, 74) berichtet sogar, es sei v e r b o t e n gewesen, einen a n d e r n Beruf als den des Vaters zu e r w ä h l e n . U n d aus einer m o n u m e n t a l e n Ins c h r i f t geht beispielsweise hervor, dass das Amt eines königlichen Baumeisters d u r c h 2 3 G e n e r a t i o n e u bei derselben Familie geblieben ist! W a s das F a m i l i e n l e b e n betrifft, so ist b e k a n n t , dass die F r a u eine f ü r das orientalische A l t e r t u m ausserordentlich hohe, freie und w ü r d i g e Stellung e i n n a h m . Monogamie- b e s t a n d prinzipiell zu Recht, w e n n gleich K e b s w e i b e r neben d e r eigentlichen Gemahlin bei den Grossen, z u m a l beim K ö n i g (nicht a b e r bei den 1) Vgl. Herod. 2, 141. 2) S i e h e den N a c h w e i s bei W. M a x M ü l l e r , A s i e n u. s. w., S. 2 ff. 48. 3) S i e h e das N ä h e r e bei W. M a x M ü l l e r a. a. O. S. 6 ff.
Die ägyptische Kultur und Schrift.
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Priestern!) geduldet wurden. Die Gesehwisterehe galt als unanstössig und w a r gerade, bei hochstehenden Familien nicht selten. Die Verbindung von Gatte und Gattin überdauert den Tod. Wie neben dem regierenden König gewöhnlich seine Gemahlin abgebildet wird, so sind sie im Totengemach, wo sie mit einander bestattet worden, vereinigt dargestellt. Im Leben bewegte sich die „Herrin des Hauses", wie die F r a u öfter heisst, unverschleiert und ungehemmt. Bei der Thronfolge g i n g das E r b e in E r m a n g e l u n g männlicher Nachkommen auf die Töchter über. Die Söhne werden öfter nach der Mutter zubenannt („Sohn der . . .") als nach dem Vater. Auf Kindererziehung und Schule wurde viel Sorgfalt verwendet. Auf den Schulbänken sass der Sohn des armen Schreibers neben dem vornehmer Eltern. Man Stacheitc den Ehrgeiz auf alle Weise an und half mit dem Stocke nach, da „des Knaben Ohren auf dem Kücken sitzen". Die K u l t u r der Ägypter war in der frühesten bisher durch Denkmäler belegbaren Zeit, d. Ii. mindestens 3000 J a h r e v. Chr., schon eine ausserordentlich hohe. Erst die neuesten F u n d e in Abydos und Negada haben so auffällig primitivere Kunst- der Lebensformen zu Tage gefördert, dass man diese Gräber erst einem f r e m d e n eingedrungenen Volke zuschreiben wollte. Sie stellen aber die Kulturstufe der ersten Dynastieen und f r ü h e r e r Zeit dar, welche von der der 4. Dynastie noch recht verschieden war. Aber schon damals zeigen sich die Ägypter im Besitz einer von ihnen selbst e r f u n d e n e n , d a h e r primitive Bestandteile aufweisenden, und doch schon komplizierten, daher eine längere vorausgegangene Entwicklung verratenden S c h r i f t 1 ) , die freilich in jener frühesten Zeit weit spärlicher gebraucht wurde als späterhin. Im weitern Verlauf lassen sich drei Schriftarten unterscheiden, die neben einander im Gebrauch w a r e n : 1) die hieroglyphische, 2) die hieratische, 3) die demotische. Clemens AI. nennt sie ygäii/urta
hooykvcpiy.d,
leganyA
u n d ¿TuoToj.oyortfptxu,
während Herodot,
der wie Diodor die beiden ersten als /od zusammenfasst, die vulgäre Schreibung ö^ftozixd nennt. Die h i e r o g l y p h i s c h e Schrift ist die älteste, die eigentliche Schrift der Denkmäler, die monumentale. Sie zeigt noch stark den Ü b e r g a n g von naiver Abbildung zu rationellem phonetischem System. Die h i e r a t i s c h e ist durch Vereinfachung d a r a u s entstanden u n d beruht auf einem f ü r kursive Schreibung auf Papyrus, Leder u. s. f. geläufigeren Alphabet (rein phonetisch, Lesung von rechts nach links). Wie der Name besagt, war auch dies eine religiösen Zwecken dienstbare Schrift, und wie man durch die hieroglyphische nicht die Umgangssprache, sondern immer die älteste Priestermundart ausdrückte, so liegt dieselbe auch der hieratischen Schrift zu Grund. Die letztere ist 1) Siehe Näheres über die Hieroglyphenschrift und ihre Entzifferung bei E b e r s , Äg. u. die BB. M. S. 1 ff. und bei R i e h m , Hdwb. Art. Egypten.
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Ägyptische Religion.
Einleitung.
schon 30ÜU J a h r e v. Chr. g e b r a u c h t w o r d e n u n d hat die Herrs c h a f t d e r P h a r a o n e n überlebt. Die U m g a n g s s p r a c h e , die sich von j e n e r alten heiligen Sprache schon f r ü h e e n t f e r n t hatte, war d u r c h priestcriiche O r d n u n g von der S c h r e i b u n g ausgeschlossen, bis im 8. J a h r h u n d e r t sich ein neues Alphabet d a f ü r bildete, die d e m o t i s e h e Schrift, in der die hieratische noch v e r e i n f a c h t erscheint (Lesung von r e c h t s nach links). Die demotische Schrift w u r d e bis tief ins 3. J a h r h u n d e r t n. Chr. g e b r a u c h t , doch k a m in christlicher Zeit die Sitte auf, das Ä g y p t i s c h e mit griechischen U n c i a l b u c h s t a b e n zu schreiben, d e n e n man 6 oder 7 demotische b e i f ü g t e . So entstand die k o p t i s c h e Schrift. Mit d e r H i e r o g l y p h e n s c h r i f t w a r der ä g y p t i s c h e Geschichtschreiber Manetho (s. oben S. 111) noch v e r t r a u t . In der christlichen Zeit verloren die Ä g y p t e r selber den Schlüssel dazu und so musste sie seit A n f a n g dieses J a h r h u n d e r t s mühsam wieder entziffert w e r d e n , was in n e u e r e r Zeit soweit g e l u n g e n ist, dass die I n s c h r i f t e n mit Sicherheit gelesen w e r d e n . Diese auf Säulen u n d Stelen, an T e m p e l w ä n d e n , in G r a b k a i m n e r n , auf S a r k o p h a g e n u. s. w. zahlreich g e f u n d e n e n I n s c h r i f t e n sowie die in dem trockenen Boden Ä g y p t e n s trefflich erhaltenen P a p y r u s r o l l e n bilden eine reiche, über J a h r t a u s e n d e sich verteilende L i t t e r a t u r u n d gew ä h r e n vor allem der Keligionsgeschiclne wertvolle Ausbeute, da die höhere Sphäre des ägyptischen Lebens, welche sich in diesen D e n k m ä l e r n verewigte, stark von religiösen A n s c h a u u n g e n beh e r r s c h t u n d durchzogen war. Die heiligsten Schriften w e r d e n dem Gott Tliot (Hermes) zugeschrieben. Nach a n d e r e r Version hätten Osiris und Isis dasjenige von Thots Schriften, was den Menschen zu wissen f r o m m t e , aufgezeichnet. W i r sahen in des S ä n g e r s H a n d ein solches „hermetisches" Buch mit H y m n e n auf die Götter, deren viele erhalten sind. Besonders wichtig ist religionsgeschichtlich das nach Lepsius sog. T o t o n b u c h , ein Sammelw e r k von Formeln, Gebeten, Beschwörungen u. ä., welche sich auf den Zustand nach dem T o d e beziehen, und dem Toten häutig mit ins G r a b g e g e b e n w u r d e n , damit er nicht vergesse, die richtigen S p r ü c h e zu g e b r a u c h e n . Der Inhalt wie die S p r a c h e sind oft unv e r s t ä n d l i c h dunkel, wie dies bei magischen Schriften nicht selten. Der K e r n s t a m m t aus hohem Altertum, später sind zu verschiedenen Zeiten u n d an verschiedenen Orten neue P a r t i e e n u n d Zusätze beigesellt w o r d e n . Die vollständigste H a n d s c h r i f t liegt im T u r i n e r Museum, ein P a p y r u s mit hieroglyphischen (nicht hieratischen) C h a r a k t e r e n 1 ) . Den T e x t e i n e r f r ü h e r e n Zeit (18.—2U. Dynastie) hat Ed. Naville kritisch ermittelt u n d h e r a u s g e g e b e n 2 ) . Aber 1) Diesen erst aus der 26. Dynastie stammenden Papyrus hat L e p s i u s (Leipz. 1842) herausgegeben. 2) D a s ä g y p t i s c h e T o d t e n b u c h der 18.-20. Dynastie aus Urkunden zus. gestellt und lierausg. von..E. N ä v i lle, 2 Folio-Bde. mit Einl. Berlin 1886. Beide Ausgaben ohne Übersetzung. — Desgleichen The Book of the Dead, Facsimile of the Papyrus of Ani in the Brit. Museum, Lond. 1890.
Ägyptische Kultur.
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schon die von der Pyramidenzeit an vorhandenen G r a b i n s c h r i f t e n der Pharaonen sind f ü r die Mythologie sehr ausgiebig, u n d auch de sonstigen Aufzeichnungen zum Ruhm dieser Herrscher tragen dazu manches bei, sind aber wie eine Anzahl P a p y r u s h a n d s c h r i f t e n besonders wichtig f ü r die G e s c h i c h t e , die sich, wie wir oben gesehen, an deren Hand mehr oder weniger vollständig beschreiben lässt. Nicht zu vergessen ist dabei freilich, dass die ägyptische Gesehichtschreibung, namentlich die monumentale, durchaus offiziellen Charakter trug und mit Rücksichtslosigkeit verschwieg oder ausmerzte, was dem dynastischen oder nationalen Prestige hinderlich schien. Auch die von den Priestern gepflegte H e i l k u n d e ist litterarisch reichlich bezeugt. Ein Denkmal derselben ist der nach seinem Herausgeber sog. P a p y r u s Ebers, dessen Abfassung der genannte Gelehrte in die Mitte des 16. J a h r h . v. Chr. (c. 15(32) verlegt, indem er nachweist, dass die Medizin damals eine Höhe inne hatte, welche sie in s p ä t e m J a h r h u n d e r t e n nicht zu behaupten vermochte. Dieses medizinische Handbuch zeigt in der T h a t eine f ü r diese Zeit erstaunliche Fülle von Beobachtungen und E r f a h r u n g e n . Doch fehlen dabei nicht die mythisch-magischen Hüllen, von welchen die Heilkunde der Ägypter so wenig sich zu befreien wusste, als ihre Philosophie von mythologischer Symbolik. Die besten Heilmittel werden auf die Götter zurückgeführt, welche sie selber mit Erfolg an sich angewandt haben. Auch empfangen diese Medicamente vielfach ihre wirkende K r a f t durch Beschwörungsformeln, da als Kern mancher Krankheit ein böser Dämon angesehen wird. Die W e r k e der ägyptischen B a u k u n s t erwecken noch immer staunende Bewunderung der Nachwelt. Allerdings überrascht sie mehr durch die Grösse der Anlage, die Masse des verwendeten Stoffes und auch durch ihre Regelmässigkeit als durch die Anmut ihrer Bauten. Allein wenigstens eine m e r k w ü r d i g entwickelte Technik beweisen gerade die Bauwerke aus dem Alten Reiche. Dahin gehören vor allem die P y r a m i d e n , sämtlich schon im Alten Reiche erbaut. Man zählt ihrer c. 70; doch sind die meisten vom Sande verschüttet; die bekanntesten 3 grossen stehen bei Giseh. Sie waren erbaut zu Ehren des Chuf'u, Chafra u n d Menkara. Ihre Bestimmung war, den Leichnamen der Könige zu einem sichern Bergungsort zu dienen. Sie stehen daher in einiger E n t f e r n u n g von den Städten auf dem etwas erhöhten felsigen Plateau, das sich westlich längs des Nils hinzieht. Die eigentlichen G r a b k a m m e r n linden sich im Innern dieser Steinkolosse. Nicht n u r gegen die Fluten des Nils waren sie hier geschützt, sondern auch gegen den ewig nivellierenden Staub der Wüste. Der Menschengeist hat alles gethan, um hier der alles vernichtenden Macht des Todes ein Ziel zu setzen und den mit grosser ärztlicher Kunst gegen die Verwesung geschützten Leichnam unversehrt zu erhalten, was als wesentliche Bedingung eines ungetrübten Fortlebens nach dem Tode angesehen ward.
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Ägyptische Religion.
Einleitung'.
Die T e m p e l der Ä g y p t e r 1 ) z e i c h n e t e n sich d u r c h weitläufige, a b e r s t r e n g s y m m e t r i s c h e A n l a g e u n d r e i c h e n S c h m u c k aus. Sie b i l d e t e n in d e r Regel ein oblonges V i e r e c k , zu dessen n a c h Osten b l i c k e n d e r F r o n t (Schmalseite) m a n auf e i n e r von zwei Reihen S p h i n g e n g e b i l d e t e n Allee g e l a n g t e . Vor j e n e r F a s s a d e s t a n d e n etwa zwei Obelisken u n d kolossale Götter- u n d K ö n i g s b i l d e r . Die F a s s a d e selbst b i l d e t e rechts u n d links von d e r n i e d r i g e r e n Eing a n g s p f o r t e ( T h ü r e u n d H o l z w e r k von Akazienholz), ü b e r w e l c h e r das Symbol der Uräusschlangc (Sonnengottheit) angebracht war, ein n a c h oben p y r a m i d a l sich v e r j ü n g e n d e r H o c h b a u mit flachem D a c h . In diesen P y l o n e n b e f a n d sich die S c h a t z k a m m e r . Durch d e n H a u p t e i n g a n g g e l a n g t e m a n in einen weiten i n n e r e n Hof, d e r u n b e d a c h t u n d s e i t w ä r t s mit A r k a d e n e i n g e f a s s t w a r , w ä h r e n d die H i n t e r w a n d d u r c h einen d e m ersten e n t s p r e c h e n d e n H o c h b a u g e b i l d e t w u r d e . D u r c h diesen g e l a n g t e m a n nicht selten in einen zweiten ebenso g r o s s e n u n d g l e i c h g e s t a l t e t e n Hof, h i n t e r welchem erst d e r lichtlose Naos, das A d y t o n , oft a u s einem Monolith gebildet, l a g . Diese allcrhciligstc Kapelle enthielt kein S t a n d b i l d des Gottes; solche w a r e n in einem ä u s s e r e n R a u m a u f g e s t e l l t , h i n g e g e n ein S y m b o l von ihm, allenfalls auch ein hl. T i e r . U m d a s Ganze l a g ein e b e n f a l l s oblonger, viereckige] - I l o f r a u m , mit B a u m r e i h e n bepflanzt, e t w a a u c h einen v i e r e c k i g e n W a s s e r t e i c h e n t h a l t e n d . Die g r o s s e n T e m p e l w ä n d e w a r e n n a c h aussen wie n a c h innen mit b u n t e n A b b i l d u n g e n bemalt, welche meist die Siege eines P h a r a o n e n ü b e r seine Feinde, d a r s t e l l t e n . Dit: vor d e m E i n g a n g d e r T e m p e l häufig a u f g e s t e l l t e n „ O b e l i s k e n " trugen vergoldete Ilieroglypheninschriften und waren e b e n f a l l s E m b l e m e des Sonnengottes, wie sie d e n n a u c h den Sonnenstrahl d a r s t e l l e n . J e d e r hatte seinen b e s o n d e r e n N a m e n u n d einen e i g e n e n P r i e s t e r . Auch die S p h i n g e n , j e n e kolossalen Monolithg e b i l d e d e r a l t ä g y p t i s c h e n P l a s t i k , welche wie W ä c h t e r vor den H e i l i g t ü m e r n g e l a g e r t sind, stellen den j u g e n d l i c h e n S o n n e n g o t t d a r : R a H a r m a c h i s , den Gott d e r a u f s t e i g e n d e n , die F i n s t e r n i s ü b e r w i n d e n d e n Morgensonnc. Es sind ¡Mischgebilde mit Löwenleib u n d Mannes- o d e r W i d d e r k o p f . AVenn m e n s c h l i c h g e f o r m t , ist d a s A n g e s i c h t das a u g e n s c h e i n l i c h g u t g e t r o f f e n e P o r t r a i t des regierenden Königs. Im U n t e r s c h i e d v o n den C h e r u b i n i d e r H e b r ä e r , die m a n etwa d a m i t v e r g l i c h e n hat, sind es ü b r i g e n s k e i n e dienenden W e s e n , s o n d e r n A b b i l d u n g e n des höchsten H e r r s c h e r s . Die ä g y p t i s c h e P l a s t i k , w e l c h e g a n z im Dienst d e r Religion steht, z e i g t ü b e r h a u p t noch ein s t a r k e s V e r w a c h s e n s e i n mit d e r S y m b o l i k . So w e r d e n d i e Götter h ä u f i g mit tierischen E m b l e m e n , j a g e r a d e z u m i t T i e r k ö p f e n , w e n n a u c h mit wesentlich menschlicher Gestalt a b g e b i l d e t . Auch die b i l d e n d e K u n s t w a r ü b r i g e n s 1) Vgl. die Beschreibung bei Strabo 17, 1. Erhalten sind noch die Tempel von Dendera und E d f u in Oberägypten aus der griechisch-römischen Zeit.
Ägyptische Kultur.
Quellen.
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strengen Vorschriften u n t e r w o r f e n . N u r w e n i g e W e r k e des Bildh a u e r s sind u n s e r h a l t e n , welche u n b e f a n g e n u n d u n g e z w u n g e n die N a t u r n a c h a h m e n (wie d e r S c h r e i b e r im L o u v r e u n d d e r Scheicliel-beled im Museum zu Bulak, ebenso m e r k w ü r d i g e r w e i s e auch die A b b i l d u n g e n des häretischen K ö n i g s Chunaten u n d d e r Seinigen zu T e l l - A m a r n a ! ) ; in d e r Regel ist alles in den archaistischen T y p u s g e z w ä n g t , welcher die freie K u n s t in Fesseln g e l e g t hat. Auch so jedoch sind die g e s c h i c k t e B e h a n d l u n g des Materials u n d die Feinheit d e r P o r t r ä t i e r u n g zu b e w u n d e r n . Die H a l t u n g d e r Statuen d a g e g e n ist z w a r würdevoll, a b e r steif u n d w e n i g a n m u t i g . Die M a l e r e i steht h i n t e r der Plastik z u r ü c k . E s fehlt an Schatten u n d P e r s p e k t i v e . D a g e g e n hat die T e c h n i k auch hier einen seltenen T r i u m p h e r r u n g e n , indem die F a r b e n auf den W a n d g e m ä l d e n der G r a b k a m m e r n sich u n v e r w ü s t l i c h e r h a l t e n h a b e n . Auch sind diese Malereien u n s c h ä t z b a r in a r c h ä o l o g i s c h e r Hinsicht, indem die m a n n i g f a c h s t e n Bilder aus dem L e b e n d a r a u f mit grosser P ü n k t l i c h k e i t sich v e r e w i g t finden. Die M u s i k w u r d e gleichfalls nicht v e r n a c h l ä s s i g t . Sie f a n d auch im K u l t u s reichlich V e r w e n d u n g . J e d e m Gott dienten m ä n n l i c h e und weibliche S ä n g e r c h ö r e . Von I n s t r u m e n t e n h a t t e m a n besonders G u i t a r r e u n d H a r f e , Flöten, P a u k e n , sowie das metallene Sistrum, das z. B. von den Isispriesterinnen geschüttelt w u r d e . Das H a n d w e r k u n d K u n s t h a n d w e r k w u r d e in den verschiedensten Zweigen mit Meisterschaft b e t r i e b e n , e n t g i n g allerdings doch nicht der V e r a c h t u n g von Seiten d e r G e l e h r t e n 1 ) . Jene W a n d m a l e r e i e n stellen den W e b e r , G e r b e r , T ö p f e r , Schuster, Schmied, Glasbläser u n d viele a n d e r e G e w e r b e d a r . An Q u e l l e n fehlt es nach dem Obigen d e r ä g y p t i s c h e n Religionswissenschaft n i c h t : dieselben sind vielmehr in stetiger V e r m e h r u n g begriffen. Neben diesen inländischen, m o n u m e n t a l e n und litterarischen treten a l l e r d i n g s die a u s l ä n d i s c h e n an W e r t zur ü c k ; doch sind namentlich die griechischen an i h r e m Ort n i c h t zu v e r a c h t e n . Unter diesen seien wenigstens g e n a n n t H e r o d o t , der das L a n d selbst bereiste u n d sich vieles, freilich von zweifelhaftem W e r t e , von den dortigen P r i e s t e r n u n d d e m Volke erzählen liess. Von dem griechisch s c h r e i b e n d e n Ä g y p t e r M a n e t h o (Anf a n g des 3. J a h r h . v. Chr.), von welchem F r a g m e n t e bei a n d e r e n Autoren erhalten sind, w a r oben die Rede. D i o d o r u s S i c u l u s handelt in Buch I von Ä g y p t e n , das er ebenfalls aus eigener Ans c h a u u n g k e n n t ; er hat a u c h den verloren g e g a n g e n e n H e k a t a e o s von A b d e r a benutzt, welcher das L a n d u n t e r Ptolemäos I sah u n d ü b e r die Philosophie d e r Ä g y p t e r schrieb. Von P l u t a r c h k o m m t besonders in B e t r a c h t die Schrift De Iside et Osiride 2 ). E r zeigt sich in ä g y p t i s c h e n Verhältnissen b e w a n d e r t u n d folgt häufig dem Manetho. D a g e g e n sind die Schriften d e r eigentlichen Neuplato1) Vgl. M a s p e r o , Geschichte der morgenl. Völker S. 118 ff. 2) Ausgabe von P a r t h e y mit deutscher Übersetzung, Berlin 1850. O r e l I i , Religrionsgescliichte.
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Ägyptische Religion.
niker mit grosser Vorsicht zu benutzen, da sie ihre eigenen Spekulationen den Ägyptern unterschieben, z. B. die berühmte Schrift: Hermes Trismegistos. Manches findet sich bei Strabo, Einzelnes bei Tacitus, Plinius, Ammianus Marcellinus, Seneca, sowie bei den Kirchenvätern, besonders C l e m e n s Alexandrinus, Orígenes, Augustin.
1. Selbstdarstellung der Gottheit in der sichtbaren Natur. Charakteristisch f ü r die R e l i g i o n 1 ) der Ägypter ist der von A n f a n g bis zu Ende ihrer Entwicklung stark hervortretende Ausdruck ihrer Naturbefangenheit. Sinnenfällig stellt sich dem Ägypter die Gottheit dar in einzelnen Naturerscheinungen, Gestirnen, Himmel und Erde, namentlich aber auch in gewissen T i e r e 11. Und während dies bei andern Religionen nur auf einer naiven Kindheitsstufe das gewöhnliche ist, bleibt es ein hervorstechender Zug der ägyptischen auch dann noch, wie sie längst eine hochgebildete, historische Religion geworden ist. Freilich ist das Verhalten des Bewusstseins zu solchen Göttererscheinungen zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Schichten der Bevölkerung ein recht verschiedenes gewesen. Anders verhielt sich dazu der vorgeschichtliche Ägypter, welcher unier andächtiger Versenkung in die Natur die Kundgebung, j a Erscheinung einer erhabenen Gottheit darin erblickte, anders später der nachdenkende Priester, in dessen Gedankensystem diese Phänomene nur ein symbolischer Ausdruck von Begriffen waren, die er von jenen wohl unterschied; anders wieder das gemeine, abergläubische Volk noch in der griechisch-römischen Zeit, das diese Bestien ohne. Zusammenhang mit der geistigen Welt als unverstandene Götter anstaunte und sich ihrer Gunst zu versichern trachtete. Aber sie alle begegneten sich in dieser Verehrung von Naturphänomenen, welche ihre Religion als unveräusserliche Eigenheit durch die J a h r t a u s e n d e festgehalten hat. Diese N a t u r e r s c h e i n u n g e n gehören, wie bei allen Völkern, vor allem der himmlischen Sphäre an. Von der G e s t i r n w e l t tritt in der ägyptischen Religion stets die S o n n e unvergleichlich hervor als das eigentlich göttliche Wesen am Himmel, das Licht u n d Lebeu spendet. Nicht die Sonnenscheibe als physisches Phänomen wurde im Grund göttlich verehrt, aber die Gottheit vor allem in ihr verkörpert geschaut. Der Tageslauf der Sonne, 1) Ausser den S. 107 genannten Werken seien zur Religion der Ägypter angeführt: H. B r u g s c h , Religion und Mythologie der alten Ägypter, 2. Aufl., Leipz. 1891. — V. v o n S t r a u s s und T o r n e y , Der altägyptische Götterglaube, 2 Bde., Heidelberg 1889. 91. — A. W i e d e i n a n n , Die Religion der alten Ägypter, Münster 1890. — Gaston Masp é r o , Etudes de Mvthologie et d'Archéologie Egvptiennes, 2 vols. Paris 1893. — C. P. T i e l e , Gesch. der Rel. im Alt., B d ' l , Gotha 1895. — H. 0. L a n g e bei P. D. C h a n t e p i e de la S a u s s a v e , Religionsgeschichte, 2. Aufl. (1897).
Die Gottheit in der Natur.
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ihr sieghaftes Aufgehen am Morgen, ihr K a m p f mit den finstern Wolken und Dünsten bis zum Untergang im Westen, worauf sie als ein neuer Genius und doch derselbe ihren Kreislauf wieder eröffnet, geben unerschöpfliche Motive zur Vorstellung und Darstellung der lichten Gottheit und ihres Wirkens auf Erden. Seltener wurden auch die Wandelungen der Sonne im Jahreslauf mythologisch verwertet 1 ). Der Sonnengott heisst Ra, Tum. Letzteres ist seine Benennung in Anu = hebr. On = Heliopolis in Unterägypten. Aber auch Osiris, Horos, Hathor u. a. Gottheiten stehen zur Sonne in naher Beziehung, wovon das nähere später. Der M o n d tritt hinter der Sonne sehr zurück, figuriert aber neben ihr als das andere Auge des Gottes und kommt besonders in Betracht als Gott der Zeit, des Masses, so personifiziert in Thot. Auch Chons und andere Götter und Göttinnen haben mit diesem Gestirn Zusammenhang; dagegen gehören Isis und Hathor, deren Geweih man gewöhnlich auf die Mondstrahlen bezogen hat, vielmehr zur solaren Gruppe. Die S t e r n e finden weniger mythologische Verwendung. Doch werden sie auch mit Gottheiten kombiniert, namentlich der Sothisstern, Sirius, Stern der Hathor, dessen Frühaufgang um die Zeit der Sonnenwende die Nilschwelle ankündigt und das altägyptische J a h r beginnt. Aber auch der N i l s t r ö m zieht göttliche Verehrung auf sich, was bei seiner geheimnisvollen Herkunft und insbesondere wegen seiner eigentümlich befruchtenden Kraft, die ihn zum Lebenserzeuger und Segenspender für das ganze Land macht, nicht befremden kann. Als Gottheit heisst er Häpi. In Osiris fliesst dieses feuchte befruchtende Prinzip mit dem des Lichtes zusammen. Besonders merkwürdig ist aber in Ägypten die Verwendung der T i e r e zur Vertretung der Gottheit. Dieser Tierkultus reicht so weit hinauf als man die Geschichte verfolgen kann. Eingehende und zusammenhängende Beschreibungen desselben haben wir allerdings erst aus später Zeit, da er besonders dem Volksglauben angehörte 2 ). Abzuweisen ist die Vorstellung, als wäre diese Verehrung lebendiger Tiere aus der hieroglyphischen Symbolik hervorgegangen (Roth). Eher kann man sagen, dass sie einer analogen Apperception ihre Entstehung verdankt wie j e n e Bilderschrift. Die alten Ägypter hatten ein geübtes Auge für die Wahrnehmung des Geistigen in sinnlichen Erscheinungen, daher sie auch geschickt waren das Geistige im konkreten Bild auszudrücken. Aus j e n e r Apperception, die mit sinnlichen Bildern das Geistige zusammenschaut, ist der Kultus der Tiere, aus dieser Kunst das Geistige in Bilder umzusetzen, die Zeichenschrift hervorgegangen. 1) Das findet zwar nicht statt bei den Mythen der eigentl. Sonnengötter Ra und Tum, welche sich vielmehr auf den Tagesumlauf beziehen, aber bei Osiris wenigstens in der späten Gestalt des Mythus Plut. de, Iside c. 39. Vgl. aber auch Hathor und Hör B r u g s c h , Mythol. S. 120f. 2) Vgl. Herodot 2, 65—76; Diodor 1, 83—90; Strabo 17, 3 8 - 4 0 ; Plutarch, de Iside 71—77.
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Ägyptische Religion.
D e n n a l l e r d i n g s gilt die V e r e h r u n g von A n f a n g a n nicht d e m T i e r in seiner bloss ä u s s e r l i c h e n , z u f ä l l i g e n E r s c h e i n u n g , so d a s s u r s p r ü n g licher F e t i s c h i s m u s v o r l ä g e , s o n d e r n d e r g e i s t i g e n K r a f t , d e m P r i u z i p , d a s sich in d e m s e l b e n darstellte, wie die W a h l der hl. T i e r e s c h l a g e n d d a r t h u t , welche b e r e i t s von e i n e r t i e f e r e n Auffassung der Natur Zeugnis ablegt. Nur unterschied man gerade im h ö h e r n A l t e r t u m n i c h t scharf zwischen d e m S y m b o l u n d seiner g e i s t i g e n B e d e u t u n g . Man sah im T i e r die Gottheit sich spiegeln g l e i c h w i e die S o n n e in den R e g e n t r o p f e n ( P l u t a r c h ) . W a r u m m a n a b e r g e r a d e in der T i e r w e l t die V e r k ö r p e r u n g g ö t t l i c h e r K r ä f t e s a h ? Die blosse N ü t z l i c h k e i t e i n z e l n e r hl. T i e r e e r k l ä r t dies nicht, obwohl schon im A l t e r t u m diese; E r k l ä r u n g beliebt w a r 1 ) . Man v e r e h r t e nicht alle n ü t z l i c h e n T i e r e , wohl a b e r aucli schädliche. Bei letztern k ö n n t e a l l e r d i n g s A b w e n d u n g s k u l t u s s t a t t l i n d e n ; a b e r m e h r e r e von den am höchsten g e h a l t e n e n sind w e d e r n ü t z l i c h noch s c h ä d l i c h . Das Moment d e r N ü t z l i c h k e i t ist z w a r insofern nicht g a n z zu v e r w e r f e n , als solche w o h l t h ä t i g e T i e r e d a s Leiten b e d i n g e n . A b e r nicht weil sie d e m Menschen dienlich sind, s o n d e r n weil sie h e r r s c h e n d e Mächte in E r i n n e r u n g r u f e n , w e r d e n diese T i e r e göttlich v e r e h r t . W i r sehen vorzugsweise, solche heilig g e s p r o c h e n , in d e n e n die. N a t u r k r a f t o d e r d a s N a t u r g e s e t z sich am s t ä r k s t e n u n d d e u t l i c h s t e n v e r a n s c h a u licht. Das T i e r stellt einerseits die N a t u r k r a f t u n d d a s N a t u r g e setz u n r e f l e k t i e r t , d a h e r g e t r e u e r d a r als d e r Mensch, a n d e r s e i t s in b e s t i m m t e r a u s g e p r ä g t e n T y p e n , h l e r s t e r e r Hinsicht v e r e h r t d e r Mensch im T i e r die u n b e w u s s t e , n a c h sichern Gesetzen w a l t e n d e N a t u r , in l e t z t e r e r b e w u n d e r t er die m a n n i g f a l t i g e N a t u r k r a f t , z. B. Z e u g u n g s k r a f t im Stier u. s. w. 2 ). Man hat wohl v e r m u t e t , d a s a u s s e r o r d e n t l i c h s t a r k e H e r v o r t r e t e n des T i e r d i e n s t e s in dieser Religion h a b e d a r i n seinen Urs p r u n g , dass die alten Ä g y p t e r d e n s e l b e n im L a n d e v o r g e f u n d e n h ä t t e n , wie e r j a a f r i k a n i s c h e n N e g e r v ö l k e r n in gewissen F o r m e n 1) Vgl. Herodot 2, 75; bes. aber Diodor 1, 87; Cicero, (le natura dcorum 1, 36. 101. 2) Das Erstere hat besonders C r e u z e r hervorgehoben, Symbolik II, ^06: „Der naive, die Natur betrachtende Mensch findet in den Tieren so viel Regelmässiges, so viel Normales und Bestimmtes in ihrem T h u n ; er erkennt u n d verehrt andächtig in diesen Erscheinungen das Gesetz der Natur. Kultiviert sich nun eine solche Ansicht, so kann sie sich zu einer Art von Philosophein steigern. Die Priester konnten z. B. in den Tieren sogar das Höhere und Allgemeinere erblicken und die Idee dabei gedacht haben von dem b e w u s s t l o s e n S e i n in d e r N a t u r . " H e g e l dagegen (Vorlesungen über Philosophie der Religion I, 235 f.) betont das Selbständige, dem Menschen Undurchsichtige, Geheimnisvolle an den Lebensäusserungen des Tiers. D u n c k e r mehr in obigem Sinn: „Man muss annehmen, dass das Vorwalten einer bestimmten Eigenschaft, eines bestimmten Verhaltens in den Tiergattungen, dies einfache, sich stets gleiche, instinktive Leben der Tiere diese Auffassung der Ägypter herbeigeführt hat, denen ein festes und unverändertes Thun, ein stabiles und typisches Wesen das Höchste war."
Göttliche Verehrung' von Tieren.
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vertraut ist. Sie hätten sieh dann dem Gebrauch der Eingeborenen hierin anbequemt, zugleich aber ihre höheren religiösen Vorstellungen (Sonnenkult u. s. w.) festgehalten. So wäre ihre Nationalreligion aus verschiedenen Wurzeln zusammengewachsen. Allein f ü r diese Hypothese fehlen alle sicheren Anhaltspunkte. Dagegen ist zur E r k l ä r u n g weiterhin die Thatsacho. beizuziehen, dass wir fast bei allen Völkern in frühester e r k e n n b a r e r Zeit dem Zoomorphismus und der Zoolatrie begegnen, d. h. einer Phase, wo die Götter nicht nur in Tiergestalt abgebildet, sondern auch im konkreten Tier geschaut werden. Es brauchte selbst bei Griechen und Körnern eine gewisse Entwicklung des geistigen Lebens, ehe ihnen die schlechthinige Erhabenheit des Menschen über der Tierwelt voll zum Bewusstsein kam. Erst nachdem dies geschehen, hörte jener Zoomorphismus auf, oder das Tier blieb einfaches Attribut, begleitendes Symbol des Gottes. Gewiss ist auch der ägyptische Tierkult ein Erbe aus solcher Zeit, wo man, seiner Menschenwürde noch wenig bewusst, der unvernünftigen Natur noch andächtiger gegenüber stand. Nur, dass dieses E r b e aus einer vorgeschichtlichen Periode nicht dem Anthropomorphismus oder der abstrakten Spekulation späterer Zeit hat weichen müssen, wie es anderswo der Fall war, sondern sich mit jenen allezeit gut vertragen hat. Die Religion jener vorgeschichtlichen Periode, in welcher der Tierkult vorherrschte, denke man sich aber j a nicht als blossen „Animismus" in dem Sinne, als hätte man eigentliche Götter damals überhaupt nicht gekannt, sondern nur eine bunte Menge von Dämonen und Geistern verehrt. Vielmehr besteht die Naivetät j e n e r frühen Stufe eben darin, dass man auch den grössten, mächtigsten Gott, wie den des Himmels oder der Sonne in einem Tiere verkörpert zu sehen keinen Anstand nimmt. Die am höchsten verehrten Tiere der alten Ä g y p t e r wie der Sperber, Bennu, Stier u. a., vom Skarabäus nicht zu reden, sind uralte Zeugen f ü r eine allgemein und gross aufgefasste Naturgottheit. Dass man daneben die Welt mit untergeordneten Genien und Geistern aller Art bevölkert glaubte, ist richtig; manche Tiere vertreten auch solche Hülfsfiguren im Geisterreich. Dass die ägyptische Mythologie und der Kultus sich dieser überreichen Verwendung des Tierischen nie entschlagen haben, vielmehr dasselbe im Laufe der J a h r t a u s e n d e immer wieder in den Vordergrund der religiösen Übung getreten ist, beweist freilich einen hohen Grad von Naturbefangenheit dieser Religion und ihrer Gottesauflf'assung. Zwar ist die geistlose Tieranbetung, wie sie die Griechen und Römer, später auch die Kirchenväter, verspottet haben als eine E n t a r t u n g anzusehen, wozu j e n e n 1) Die athenischen Komiker A n t i p h a n e s , A n a x a n d r i d e s u . a . verhöhnten die Ägypter, welche, Tiere anbeteten, welche, inan aufessen sollte. Vf>-1. bes. auch J u v e n a l , Sat. 15. — C l e m e n s AI. (Paedag. IV, c. 2) vergleicht jene Frauen, die nur ihr Äusseres schmücken, nicht ihre Seele, mit den prächtigen ägypt. Tempeln, in deren innerstem Gemach eine Katze, ein Krokodil, eine Schlange oder sonst ein garstiges Tier sein Wesen treibe.
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A u f g e k l ä r t e n d e r Schlüssel fehlte. Allein ohne V e r k e n n u n g u n d V e r l e u g n u n g des ethischen Moments der göttlichen E r h a b e n h e i t , welches doch auch diesem Volke schon f r ü h zum Bewusstsein gek o m m e n war, Hesse sich das V e r h a r r e n u n d Ü b e r w u c h e r n tierischer V o r s t e l l u n g s f o r m e n auf diesem Gebiete nicht d e n k e n ; d a h e r die e i n s c h n e i d e n d e Kritik Köm. 1, 2 3 den K e r n p u n k t der Sache trifft. W a s die A r t der V e r e h r u n g der hl. T i e r e anlangt, so w a r sie z u m Teil örtlich b e g r e n z t u n d bestimmt, i n d e m die einzelne Stadt oder d e r Gau sein besonderes T i e r hatte. Z. B. zu T a c h o m p s o w u r d e d a s Krokodil, in Bubastis die Katze, in Kynopolis der H u n d , zu T h e b e n d e r W i d d e r , in Lykopolis d e r Wolf v e r e h r t . Diese Vers c h i e d e n h e i t in d e r H e i l i g h a l t u n g k o n n t e sogar gelegentlich bis zu blutigen F e h d e n f ü h r e n , indem z. B. in d e r römischen Zeit die Bewohner d e r Stadt O x y r y n c h u s an den Bewohnern von Kynopolis, die ihren heiligen Fisch assen, durch Abschlachten von H u n d e n sich r ä c h t e n , worauf K r i e g zwischen ihnen a u s b r a c h 1 ) . Die Vere h r u n g g i n g a b e r auch ü b e r die Bezirksgrenzen hinaus. Wenn der Bock von Mendes starb, w a r T r a u e r im ganzen G a u ; wenn d e r Apisstier s t a r b , im ganzen L a n d . Auch Ibis, s c a r a b a c u s sacer, Katze, S p e r b e r hielt man in g a n z Ä g y p t e n heilig. Wie d e r Apisstier zeigt, liebte m a n es, ein bestimmtes E x e m p l a r d e r hl. G a t t u n g r e p r ä s e n t a t i v zu v e r e h r e n . Diese e r k o r e n e n T i e r e w u r d e n d u r c h ihre P r i e s t e r sorgsam v e r p f l e g t ; ein Stück L a n d w a r ihnen geh e i l i g t , dessen E r t r a g zu ihrem U n t e r h a l t d i e n t e 2 ) . Die vers t o r b e n e n hl. T i e r e w u r d e n einbalsamiert u n d mumisiert. Viele solche Mumien von Stieren, K ü h e n , S c h a k a l e n , H u n d e n , Geiern, K a t z e n , K r o k o d i l e n u. s. w. sind g e f u n d e n w o r d e n . Endlich hatte oft a u c h d a s einzelne H a u s sein T i e r , meist einen Vogel oder eine Katze, die als H a u s g o t t gehalten u n d nach i h r e m Ableben mumisiert u n d u n t e r den Mitgliedern d e r F a m i l i e bestattet w u r d e n . Die T ö t u n g eines hl. T i e r e s galt als schweres V e r b r e c h e n . Diodor (1, 83) erzählt, dass selbst w e r u n a b s i c h t l i c h einen Ibis o d e r eine K a t z e tötete, s t e r b e n musste u n d von d e r e n t r ü s t e t e n Menge oft ohne R i c h t e r s p r u c h a u f s g r a u s a m s t e getötet w u r d e . Sogar ein Mitglied d e r römischen G e s a n d t s c h a f t , welche m a n a u f s rücksichtsvollste zu b e h a n d e l n beflissen w a r , h ä t t e n die Behörden, d a es u n a b s i c h t l i c h eine K a t z e tötete, nicht vor d e r E a c h e des Volkes zu schützen v e r m o c h t . U n d Herodot (2, 66) s a g t : W e n n eine K a t z e im H a u s e sterbe, s c h n e i d e n sich alle H a u s b e w o h n e r die Augenb r a u e n a b . Bei F e u e r s b r ü n s t e n sei m a n n u r auf R e t t u n g d e r K a t z e n b e d a c h t ; w e n n diese d e n n o c h im F e u e r u m k o m m e n , g e b e es grosse T r a u e r . Die h a u p t s ä c h l i c h v e r e h r t e n T i e r e seien hier a u f g e z ä h l t : Der S t i e r, speziell das u n t e r dem N a m e n hapi (griech. ämg) v e r e h r t e 1) Plutarch, de Iside c. 72. Uber das Verhältnis dieses Falles zu dein von Juvenal, Sat. 15 erzählten, siehe P a r t h e y ' s Ausgabe S. 269 ff. 2) S. Näheres bes. Diodor 1, 83.
Der Apis-Stier.
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einzelne Exemplar, nach dem Glanben der Ägypter von einer durch einen Lichtstrahl vom Himmel (Herodot)') oder Mondstrahl (Plutarch) 2 ) befruchteten Kuh geworfen, galt recht eigentlich als Incarnatiou der befruchtenden Gottheit. Man erkannte ihn an gewissen Merkmalen: Er musste von schwarzer Farbe sein, aber auf der Stirne ein weisses Viereck zeigen, auf dem Rücken einen adlerartigen Flecken, im Schwanz zweifarbige Haare, unter der Zunge einen käferförmigen Wulst 3 ). Hatte man ein entsprechendes Exemplar gefunden, so wurde er zuerst auf 40 Tage nach Nilopolis geführt, wo er auch für die Weiber zugänglich war, die sich ihm dort vorstellten, während er sonst ihren Blicken entzogen blieb. Darauf wurde er auf ein Boot gebracht, das ihn in einem vergoldeten Gehäuse nach Memphis führte, wo er im Tempel des Ptah seine lebenslängliche Residenz erhielt 4 ). Dort wurde er aufs beste verpflegt und von angesehenen Männern gefüttert; man schmückte seine Lagerstätten aufs schönste und gesellte ihm die stattlichsten Kühe bei. Auch an Salben und Weihrauch liess man es ihm nie fehlen. Starb er, so trauerte das ganze Land, bis ein neuer Apis gefunden war. Den verendeten mumisierte man und bestattete ihn mit ungeheuerem Aufwand 5 ). Beigesetzt wurden die Apisleichen im Serapeion, d. h. Osiris-Apis-Tempel unweit Memphis, in der Nähe des heutigen Sakkara, wo derselbe samt den grossartigen unterirdischen Gängen wieder aufgefunden ist, in welchen zu beiden Seiten Nischen in den Fels gehauen sind, in denen die kolossalen Sarkophage stehen. Das älteste dieser Gräber weist auf Amenophis III (18. Dyn.). Ramses II (19. Dyn.) hat diesen Gräberpalast erweitert, ebenso Psammetich I. Bis jetzt sind gegen 70 solche Grabstätten aufgedeckt, wovon allerdings nur die wenigsten unversehrt waren. In diesem Stier wird die göttliche Z e u g u n g s k r a f t verehrt, die er verkörpert. Er ist schwarz, wie der fruchtbare Boden Ägyptens. „Seine ungeheure Zeugungskraft und -lust brütet dumpf in ihm wie in dem schwarzen Boden Ägyptens die nimmer ruhende Triebkraft" (Ebers). Auf den befruchtenden Einfluss des Lichtes deutet das über seine Empfängnis Gesagte, sowie seine bedeutsamen lichten Flecken auf dunkelm Grund. Er wird auch mit der Sonnenscheibe zwischen den Hörnern abgebildet, ebenso mit der Uräusschlange. Damit, dass er das männliche, Leben schaffende Prinzip darstellt, stimmt überein sein Aufenthalt bei P t a h , dem Gotte des schöpferischen Anfangs, sowie seine nahe Beziehung zum Gott 0 s i r i s , mit welchem er sogar identisch gesetzt wird. Schon die Denkmäler reden vom Gott Osiris-Apis. Plutarch") sagt: „Den 1) 2) 3) 4) 5) 6)
Herod. 3, 28. De Iside c. 43. Herodot 3, 28. Diodor 1, 85. Vgl. z. B. Diodor 1, 84 Ende. De Iside c. 42.
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Apis h a l t e n sie f ü r ein b e s e e l t e s B i l d des O s i r i s " u n d an e i n e r a n d e r n S t e l l e l ) : „ D i e m e i s t e n P r i e s t e r s a g e n , Osiris lind Apis seien e n g m i t e i n a n d e r v e r f l o c h t e n , indem sie uns b e r i c h t e n , und b e l e h r e n , m a n h a b e den Apis als ein w o h l g e s t a l t e t e s B i l d d e r S e e l e des Osiris a n z u s e h n . " D i o d o r : „ E i n i g e s a g e n , die S e e l e des Osiris sei b e i s e i n e m S t e r b e n in den Apis ü b e r g e g a n g e n und a u f d i e s e W e i s e v e r h a r r e er b i s j e t z t n a c h seinen E r s c h e i n u n g e n b e i den N a c h goborenen 2).u E i n e A r t D o p p e l g ä n g e r h a t t e d e r Apis in d e m S t i e r M n e v i s (MvEÜ'ig), w e l c h e r im S o n n e n h e i l i g t u m zu On (Heliopolis) g e h a l t e n w u r d e , n a c h g e w i s s e n A b b i l d u n g e n ein w e i s s e r S t i e r , n a c h P l u t a r c h (de I s i d e c. 3 3 ) d a g e g e n schwarz, und im O n u p h i s , dem s c h w a r z e n , w i d e r h a a r i g e n , s t r u p p i g e n S t i e r d e r S t a d t H e r m o n t h i s (Aelian). W e s e n t l i c h d a s s e l b e P r i n z i p wird v e r k ö r p e r t g e s c h a u t u n d v e r e h r t im B o c k o d e r W i d d e r 3 ) zu Mendes und im W i d d e r zu T h e b e n (Herodot). A n d e r e r A r t ist, was den V o g e l I b i s (threskiornis religiosa) verehrungswürdig machte. Dieser weisse Vogel von würdevoller Haltung und leichtem F l u g verzehrte nicht nur das U n g e z i e f e r a m Nil, s o n d e r n e r s c h i e n auch j e d e s m a l , wenn das S t e i g e n des S t r o m e s b e g a n n , so dass man ihn als den g u t e n G e n i u s d i e s e r N a t u r e r s c h e i n u n g ansah, w e l c h e r die r e c h t e Zeit d a f ü r angab. D e s h a l b w a r e r dem T h o t , d e m Gott des Zeitniasses und d e r S c h r i f t z e i c h e n heilig, w e l c h e r s e h r häufig g e r a d e z u mit Ibiskopf" e r s c h e i n t . E b e n f a l l s mit d e r Nilscliwelle in V e r b i n d u n g steht d e r V o g e l B e n n u , P h ö n i x , eine Art K e i h e r mit zwei l a n g e n F e d e r n am H i n t e r k o p f , a r d e a c i n c r e a ( L e p s i u s ) o d e r p u r p u r e a ( W i e d e m a n n ) , in w e l c h e m m a n die L e b e n s k r a f t d e r S e l b s t v e r j ü n g u n g zu e r k e n n e n g l a u b t e , so d a s s man ihn mit Osiris in Z u s a m m e n h a n g b r a c h t e . U n d z w a r w u r d e e r b e s o n d e r s zu Heliopolis v e r e h r t . H e r o d o t (2, 7 3 ) e r z ä h l t als S a g e d e r B e w o h n e r d i e s e r S t a d t , n a c h j e 5 0 0 J a h r e n k o m m e ein g r o s s e r V o g e l , rot- u n d g o l d f a r b i g u n d b r i n g e die Ü b e r r e s t e s e i n e s V a t e r s aus A r a b i e n , um sie im H e i l i g t u m des S o n n e n g o t t e s zu b e s t a t t e n . N a c h P l i n i u s H. N. 1 0 , 2 ; vgl. 13, 9 , u. a. w a r die E r z ä h l u n g die, dass d e r P h ö n i x , w e n n e r 5 0 0 J a h r e alt g e w o r d e n , s i c h a u f e i n e m von i h m s e l b s t g e r ü s t e t e n S c h e i t e r h a u f e n von S p e z e r e i e n v e r b r e n n e u n d sich d a n n w i e d e r e r z e u g e , w o r a u f e r die Ü b e r r e s t e seines a l t e n L e i b e s n a c h Heliopolis b r i n g e . D i e r e g e l m ä s s i g e W i e d e r k e h r des B e n n u n a c h e i n e m h a l b e n J a h r t a u s e n d b e z e i c h n e t ihn als V e r t r e t e r e i n e r a s t r o n o m i s c h e n P e r i o d e . Die M o n u m e n t e s a g e n f r e i l i c h n o c h n i c h t s von e i n e m solchen Zeit1) De Iside c. 29. 2) Diodor 1, 85. 3) Vgl. die grosse Stele des Ptolemäus Philadelphus zu Mendes, welcher König der Sohn des hl. W i d d e r s heisst. Dieser selbst wird genannt: „Der Herr der Stadt Mendes, der grosse Gott, das Leben des Ra, der Begattende, der Fürst der jungen Frauen, der einzige Gott, die Ur-Mannskraft der Götter und Menschen" u . s . w . B r u g s c h in d. Ztschr. für äg. Sprache, 1875, S. 33 ff.
Die heiligen Tiere
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räum, doch ist schon dort der Bennu Symbol der aufgehenden Morgensonne, daher Zeichen der Auferstehung, und schwebt auf Abbildungen aus Flammen gen Himmel. Auch wandelt sich die Seele des Verstorbenen mit Vorliebe in einen Bennu, d. h. nimmt seine Gestalt an 1 ). Auch der S p e r b e r (iega£, ion. igt]!;), nach Herod. 2, 65 eines der heiligsten Tiere, hat astralen Charakter; er gehört als siegreich auffliegendes Tier dem Gott Horos an. Der S k a r a b ä u s (scarabaeus sacer), eine Ägypten eigentümliche Käferart, galt dagegen als Repräsentant der männlichen Urzeugung, da man glaubte, er pflanze sich ohne Weibchen fort, und man an ihm wahrnahm, dass er seine Eier in eine Mistkugel legte, welche 28 Tage unter der Erde bleibe, bis die Jungen daraus hervorgehen. So glich er dem weltschaffenden Gott, der nach weit verbreiteter Anschauung ein Weltei erzeugt, als dessen Schalen Himmel und Erde sich aufthun. Der Skarabäus ist deshalb dem Ptah, dem Gott des schöpferischen Anfangs, heilig. Er erscheint unendlich häufig auf den Denkmälern. Auch die Gräber sind mit künstlich gebildeten Skarabäen besät. Die K a t z e , dem Sonnengott Ra als Kater, seiner Tochter Bast als weibliches Tier heilig, wurde besonders in Heliopolis und Bubastis verehrt. Katzenmumien sind aber auch in Theben und sonst gefunden worden. Die Reinlichkeit des Tieres, das nichts schmutziges an sich duldet, scheint den Anlass gegeben zu haben, dass man es als lichtfreundliches Wesen dem Sonnengottc beigab; auch die Veränderung seiner Pupillen nach dem Grade des Lichts mochte merkwürdig genug scheinen. Der hl. Kater des Ra zu Heliopolis wird in einer Inschrift aus dem 4. Jahrh. v. Chr. beschrieben: „Dein Kopf ist der Kopf des Sonnengottes. Deine Nase ist die Nase des Tliot, des zweimal grossen Herrn von Hermopolis. Deine Ohren sind die Ohren des Osiris, welchcr hört die Stimme aller, die ihn anrufen. Dein Mund ist der Mund des Gottes Tum, des Herrn des Lebens; er hat dich bewahrt vor allem Schmutze. Dein Herz ist das Herz des Ptah, er hat dich gereinigt von allem bösen Schmutz an deinen Gliedern. Deine Zähne sind die Zähne des Gottes Chunsu (des Mondgottes). Deine Schenkel sind die Schenkel des Gottes Horos, des Rächers seines Vaters Osiris, welcher vergolten hat dem Set das Böse, das er jenem bereitet." Das K r o k o d i l dagegen wurde nur in gewissen Landesteilen verehrt, so in Arsinoe (Krokodilopolis, südlich von Theben), Theben, am Mörissee, während man es anderwärts als typhonisch verabscheute und verfolgte. Wie die heiligen Exemplare gepflegt wurden, erzählen Herodot (2, 69) und Strabo (p. 811). Der Gott, welchem dieses Tier gehörte, war Sebek. Der Grund seiner Verehrung wird darin liegen, dass es neben dem Hippopotamos, der auch in gewissen Gegenden verehrt wurde, das charakteristische Tier des hl. Nilstroms war, daher geeignet, die Kraft 1) Vgl. W i e d e m a n n schr. 1878, S. 89 ff.
über die S a g e vom Vogel Phönix, Äg. Zeit-
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Ägyptische Religion.
d e s f e u c h t e n E l e m e n t s d a r z u s t e l l e n , in w e l c h e m es h a u s t e . Von S c h l a n g e n w u r d e n verschiedene Arten heilig gehalten, besonders u n s c h ä d l i c h e ( H e r o d . 2, 74). A l s g u t e , w o h l t h ä t i g e G o t t h e i t f ü h r t die Schlange den Namen K n u p h . Sie stellt b e s o n d e r s d i e Heilk r a f t d a r . D a b e i k o m m t d i e h e i l s a m e W i r k u n g d e s W a s s e r s in B e t r a c h t , w e l c h e s die S c h l a n g e d a r s t e l l t , a b e r a u c h die H ä u t u n g d e r S c h l a n g e , w e l c h e m e d i z i n i s c h v e r h e i s s u n g s r e i c h ist. Man t r u g R i n g e , A r m s p a n g e n u . d g l . in S c h l a n g e n f o r m als A m u l e t t e g e g e n s c h ä d l i c h e E i n f l ü s s e . E i n K a k o d ä m o n ist d a g e g e n d i e m y t h i s c h e S c h l a n g e A p e p (Apophis), in w e l c h e r die F i n s t e r n i s u n d d i e s c h ä d lichen Dünste, die das Sonnenlicht b e k ä m p f e n oder auch das verd e r b l i c h e M e e r w a s s e r , sich l e b e n d i g d a r s t e l l e n . Die G e i e r w a r e n d e r G ö t t i n Mut (s. u n t e n S. 147) h e i l i g , a n g e b l i c h w e i l es v o n d i e s e r Tierart keine männliche Exemplare gebe. Der Hundskopfaff'e (xvvoyJcpa/.og), dem Thot heilig, d e r S c h a k a l (aus einem n a h e l i e g e n d e n G r u n d e ) als A n u p u ( A n u b i s i , w e l c h e r d i e T o t e n g e l e i t e t . Auch Kuh, Kind, H u n d , Löwe, Wolf, Ichneumon, der Fisch Oxyr y n c h u s u. a. T i e r e s i n d g ö t t l i c h e r E h r e t e i l h a f t i g g e w o r d e n . W i e in d e r T i e r w e l t , so s a h m a n a u c h in d e r P f l a n z e n w e l t g ö t t l i c h e L e b e n s ä u s f e r u n g e n , d a die P f l a n z e n a m e i n f a c h s t e n u n d reinsten die Samenkräfte der N a t u r zur A n s c h a u u n g bringen. Doch sind die heiligen Pflanzen spärlicher. Dahin gehört namentlich d i e L o t o s b l u m e (wie in I n d i e n ) ä g y p t . s e s c h n i , e i n e W a s s e r lilie, d i e b e i m A u f g a n g d e r S o n n e ü b e r d e m W a s s e r e r s c h e i n t u n d sich e r s c h l i e s s t , d a g e g e n bei S o n n e n u n t e r g a n g sich w i e d e r u n t e r d e m W a s s e r v e r s t e c k t ( F a r b e r o t o d e r blau). D i e P f l a n z e ist also v o m L i c h t e sichtlich a b h ä n g i g ; z u g l e i c h b e w e g t sie sich i m f e u c h t e n , f r u c h t b a r e n E l e m e n t des Süsswassers. Sie s c h l i e s s t a u s s e r d e m d a s G e h e i m n i s d e r B e f r u c h t u n g in sich, ist „ G e b u r t s - u n d H o c h z e i t s s t ä t t e von Osiris u n d I s i s " . H o r o s w i r d d a r g e s t e l l t d e m Lotosk e l c h e e n t s t e i g e n d ; Osiris a u f d e m L o t o s b l a t t e w i e B r a h m a b e i d e n Indiern. Die Göttinnen f ü h r e n meist ein Szepter mit Lotosblume. A u c h d i e P a l m e g i l t a l s h e i l i g ; d a s s sie w i e d e r o b e n e r w ä h n t e "Vogel d e n N a m e n b e n n u f ü h r t ( v g l . d e n D o p p e l s i n n v o n v. Die Griechen n a n n t e n I s t a r als L i e b e s g ö t t i n gewöhnlich Aphrodite, als ernste Gottheit H e r a . 2) Vgl. z. B. die Inschrift A s u r b a n i p a l s : Menant a. a. 0 . p. 254. 3) F r i e d r . D e l i t z s c h , Assyrische L e s e s t ü c k e S. 34 ff.; L e n o r m a n t , Magie 4 1 5 f. 4) Assyrische V e r s i o n : Sin (Mondgott),
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Babylonisch-assyrische Religion: Die Götter.
dischen Wechsel d e r J a h r e s z e i t e n , setze ich fest (die Dinge) ein j e g liches zu seiner Zeit. F ü r m e i n e n B r u d e r , die Sonne, setze ich fest die periodische W i e d e r k e h r d e r Jahreszeiten, setze ich fest (die Dinge) ein jegliches zu seiner Zeit. Mich hat mein Vater, der L i c h t s p e n d e r 1 ) , f e s t g e s e t z t ; ich setze fest die periodische W i e d e r k e h r der J a h r e s z e i t e n . In d e n e r n e u e t e n Himmeln setze ich fest die periodische W i e d e r k e h r der J a h r e s z e i t e n , setze ich fest (die Dinge) ein j e g l i c h e s zu seiner Zeit. Heilig ist meine Herrlichkeit-), e r h a b e n nieine P r a c h t ; als F r u c h t s p e n d e r i n in der H ö h e steige ich empor. H e r r i n des Himmels, bin ich die Göttin der A b e n d d ä m m e r u n g . H e r r i n des Himmels, bin ich die Göttin der M o r g e n d ä m m e r u n g u. s. f.
Ausser den genannten g a b es noch manche untergeordnete Götter oder Geister, wie dies bei der üppigen mythologischen Phantasie, welche schon den alten Sumeriern eigen war, nicht anders zu erwarten ist. Ein assyrisches Täfelclien setzt die Zahl der höchsten Götter auf sieben, die der grossen Götter Himmels und der Erde auf 5U, die der Geister des Himmels auf o(J0, die der Geister der E r d e aut'üUO 3 ). Allein bei der Grosszahl derselben ist ihre Unterordnung, d. h. nur relative Göttlichkeit stets dem Volke; bewusst gewesen, und wir sahen schon, dass es auch f ü r die frühesten nichtsemitischen Babylonier über all den Geistern eine oberste Gottheit und zwar Hinnnelsgottheit Ana gab, zu welchem sich ergänzend der gute Geist der Tiefe gesellte.
Betrachten wir die einzelnen Hauptgottheiten, so ergibt sich, dass sie (ähnlich wie in Ägypten) anfänglich in ihrer Besonderheit n u r lokale V e r e h r u n g genossen, indem jede Stadt ihr Heiligtum hütete, in welchem sie wesentlich nur e i n e Gottheit mit deren weiblicher E r g ä n z u n g , die stets etwas sekundäres ist, verehrte. So diente man in Ur dem Sin (Uru ki) und der N a n a ; in Larsa dem Samas (Utu) mit seinem Sohn N e r g a l ; in Sippar dem Samas u n d der Anunit, in Erech dem Anu und der N a n a ; in Nippur dem Bei u n d der Bilit, sowie dem Sohn derselben A d a r ; in Eridu dem Ea und seiner Gattin D a u k i n a ; in Babylon dem Marduk (auch Bei genannt) und der Z a r p a n i t ; in Borsippa dem Nebo, der hier die Nana zur Gattin hat, u. s. w. Die Art, wie diese Spezialgottheiten verehrt werden, zeigt, dass man nach der Weise des Kathenotheismus ihnen alle Gewalt beilegte. (Vgl. beispielsweise das oben S. 182 ff. angeführte Lied an den Mondgott.) Dies ist aber möglich gewesen, weil man in dieser speziellen Fassung die Gottheit überhaupt zu verehren sich bewusst war. In Sonne u n d Mond z. B. betete man nicht das endliche Wesen an, sondern die Erscheinung der unendlichen Gottheit. Mond u n d Sonne waren ursprünglich 1) Assyr. N a n n a r . 2) Assyr. V e r s i o n : In d e r H ö h e ist m e i n e H e r r l i c h k e i t . 3) L e n o r m a n t , Magie S. 131.
Entstehung' des Polytheismus.
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Erscheinungsformen des Himmelsgottes 1 ). Lehrreich ist auch z. B. die Vorstellung, wonach der sichtbare Mond nur die (Königs-) Mütze oder Krone des Gottes ist 2 ). Dass die solare Gottheit sich vervielfältigte, indem sie unter verschiedenen Namen, an verschiedenen Orten und mit verschiedenen Attributen verehrt wurde, zeigte sich oben, wo wir sahen, dass Adar und Nergal, wohl auch Marduk auf die Sonne zurückgehen. Nur ist diese dabei nicht als endliches Phänomen gemeint. Ebenso wird man nicht glauben, dass von dem Leuchtkörper des Venussterns in seiner endlichen Gestalt die unifassenden Ideen ausgingen, als deren Trägerin Istar erscheint. Jene allgemeine Naturmacht hat nur in jenem Stern ihren sinnfälligen Ausdruck gewonnen 3 ). Aber allerdings hat auch hier die Bindung der Gottesvorstellung an etwas sinnliches eine Beschränkung ihrer Machtsphäre und Minderung ihres Gehalts zur Folge gehabt, indem diese endlichen Vorstellungen die Ergänzung durch andere herbeiriefen, welche man zunächst als weibliche Ehehälfte, Sohn u. dgl. ihnen zugesellte. Dazu kam (wie in Ägypten) das Bedürfnis, auch die ebenfalls besonderten Gottheiten anderer Städte anzuerkennen, wodurch die Zahl der Götter sich erheblich vermehrte. Im babylonischen und im assyrischen Reiche wurden auf diese Weise eine ganze Reihe von Göttern anerkannt und auch die Aufnahme von ausländischen war nicht ausgeschlossen. Selbst erbeutete Götterbilder, welche man in die siegreiche Stadt verpflanzte, verloren dadurch nicht alle Bedeutung, sondern wurden als nunmehr verbündete Mächte angesehen. Aber trotzdem ging die Einheit der Auffassung nicht ganz verloren, welche durch die semitische Anlage begünstigt werden inusste. Man brachte die konkurrierenden Götter in eine gewisse Ordnung, nicht ohne ihnen eine oberste Gottheit vorzusetzen. Dabei bediente man sich der bedeutsamsten Zahlen, vor allem der Dreizahl und der Sieben, dann auch der Zwölfzahl. Wir begegneten zwei Triaden, welche die ältesten Götter in Beziehung zu einander setzten: Anu,Bel, Ea, und Mond, Sonne, Bin-Ramman (an Stelle des letztern auch etwa Istar). Die Siebenzahl gewann man durch Kombination dieser 1) Vgl. H o m m e l , Geschichte S. 254. 2) J e n s e n , Kosmologie S. 104. 3) Vgl. G e i z e r , Äg. Ztschr. 13, 133 f.: „Mit völligem Recht sagt E. Curtius: ,Wie will man es wahrscheinlich machen, dass der Äther das ursprüngliche Objekt einer volkstümlichen Anbetung g e w e s e n sei? Aber auch der Mond ist es nicht, so w e n i g die ephesische Artemis oder die syrische Göttin selbst der Mond w a r e n ; vielmehr ist der Mond das Sinnbild der natürlichen Fruchtbarkeit, des üppigen Erdsegens.' Es ist evident, dass die Theosophie der chaldäischen Priester in dem sichtbaren Gestirn Dilbat nicht das W e s e n der Gottheit erkannte, sondern nur deren glanzvolle Manifestation. Man wird sich vergeblich bemühen, die einzelnen Gestalten der akkadischen Geisterreligion auf reine Naturpotenzen zu reduzieren. Wie könnten sonst Dilbat, Samas und Adar in ein mystisches kv xal .Tay zusammenfiiessen, wenn sie in der Tliat nichts als der Venusstern, die Sonne und der Planet Saturn wären?" O r c l l i , Religionsgcscliichte.
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Babylonisch-assyrische Religion: Die Götter.
beiden Drciheiten, zu welchen etwa Istar sich gesellte oder Asur hinzutrat; namentlich aber durch Einordnung von Mond und Sonne in den Kreis der 5 Planeten, mit deren jedem man allmählig einen der Hauptgötter verschmolz. W ä h r e n d nämlich Istar und Ncbo stets mit ihren Planeten Venus u n d Merkur scheinen verbunden gewesen zu sein, sind die ursprünglich solaren Gottheiten Adar, Ncrgfil, Marduk erst späterhin an die ihrigen: Saturn, Mars, J u p i t e r gebunden worden 1 ). Die letztgenannte Heptade (Mond, Sonne, 5 Planeten) wurde mit der schon von uralters her (nach den Mondphasen?) siebentägig .angenommenen Woche kombiniert, was übrigens in verschiedener Weise geschah, so dass die wohl mehr astrologische als populäre Verteilung der Planeten auf die sieben Wochentage schwankte, wie die Reihenfolge dieser Planeten. Doch ist die letztere am häufigsten: Mond, Sonne, Jupiter, Venus, Saturn, Mars, Merkur 2 ). Hieraus ist durch leicht ersichtliche Umstellung die später übliche Folge entstanden: Sonne, Mond, Mars, Merkur, Jupiter, Venus, Saturn, welche von den Babyloniern durch Vermittlung der Aramäer auf die Römer u n d von diesen auf die Germanen ü b e r g i n g 3 ) . Aber auch die Zwölfzahl bot sich den astronomisch gebildeten Chaldäern leicht zur Fixierung des Göttersystems dar. Die zwölf Hauptgötter, „Gebieter der Götter", wie sie Diodor (2, .'>()) nennt, werden nicht immer völlig gleich aufgezählt; namentlich ist hervorzuheben, dass in den assyrischen Aufzeichnungen der nationale Gott A s u r 4 ) an die Spitze des Systems tritt, welcher in der babylonischen Mythologie fehlt. Aber wesentlich ist es immer dieselbe Reihe, gebildet aus den zwei Triaden u n d den 5 Planeten, wobei jedoch neben Istar Bilit selbständig erscheint. So auf dem Obelisk Salmanassars II") worden a u f g e z ä h l t : 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.
A s u r , grosser Herr, König- über die Gesamtheit der grossen Gölter. A n u , König- der göttlichen Igigi und göttlichen Anunnaki. B e i , der Erhabene, Vater der Götter, Erzeuger. E a , König der Tiefe, Lenker des Schicksals. S i n , König- der Kronen, erhabenen Glanzes. B i n , der Ungestüme, Überreiche, Herr der Kanäle. S a m a s , Richter Himmels und der Erde, Regierer des Alls. M a r d u k , Herold(?) der Götter, Herr der Empfängnis(?). N i n i p , Führer der göttlichen Abgalli und göttlichen Anunnaki. N e r g a l , der Riesenhafte, König im Streit. N u s k u , Träger des glänzenden Szepters, erhabener Gott (?).
1) J e n s e n , Kosmologie 139 ff. 2) II R 48; III R 57. J e n s e n , ebenda S. 100. 132 f. 3) Vgl. über Planetenfolge und babylonische W o c h e S c h r ä d e r , TSK 1874 S. 343 ff.; L ö t z , Quaestiones de historia sabbati, Lips. 1883; L. T h o m a s , Le Sabbat Primitif, Genève 1892, p. 54 ss. 4) Sumer. wird derselbe Ausar geschrieben. Nach D e l i t z s c h , Parad. 254 wäre Ausar erst Name der Stadt und des Landes gewesen, dann umgelautet in Assur. Sodann wäre es Gottesname geworden mit Umwandlung in Asur. Nach Andern wäre es umgekehrt erst Name des Gottes (der „Gütige", „Heilbringende") gewesen, was wahrscheinlicher. 5) Nach Frd. D e l i t z s c h , Chald. Gen. S. 2G8.
Magie und Mantik
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11. B e l t i s , Gemahlin des Bei, Mutter der grossen Götter. 12. I s t a r , die Älteste des Himmels und der Erde, mit vollendetem Heldenantlitz. Abgesehen davon, dass sie Asur nicht kennen, welcher offenb a r zu der schon in Babylonien abgeschlossenen Zwölfzahl hinzukam, wie er denn aucli im Kalender nur den Schaltmonat erhielt, war das babylonische System vom assyrischen nicht verschieden. Mard u k nimmt zuweilen statt der siebenten schon die f ü n f t e Stelle ein 1 ). Dass ü b e r den zwölf babylonischen Göttern, entsprechend dem Asur, I l u gestanden habe (gleich dem vorderasiatischen El), als Obergott der Babylonier 2 ), bestätigt sich nicht, da das regelmässig appellativ f ü r Gott gebrauchte ilu als Eigenname auf diesem Boden nicht sicher nachzuweisen ist. Dagegen dominiert auch hier stets eine bestimmte Gottheit, z. B. in der H a u p t s t a d t : Bel-Marduk mit Istar.
2. Magie und Mantik 3 ). D i e M a g i e u n d M a n t i k der Babylonier, welchc die Hauptquelle abergläubischer Vorstellungen f ü r viele Völker bis ü b e r das Mittelalter hinaus gewesen ist, verlangen eine nähere Berücksichtigung. Was zunächst die M a g i e anlangt, so w u r d e bereits erwähnt, dass dieselbe in der vorsemitischen Religion der Sumerier und A k k a d c r wurzelte, in welcher ein üppiger Geister- u n d Dämonenglaube wucherte. Auch als die babylonische Staatsreligion zu einer erhabeneren Auffassung der Gottheit gelangt war, lebte dieser Geisterglaube und die damit verbundene Magie fort u n d ging von d a auch zu den Assyrern und zu weiterliegenden Völkern über. Die Zauberformeln sind bezeichnender Weise ursprünglich alle in der sumerischen Sprache abgel'asst u n d haben sich meist auch in dieser erhalten, doch so, dass eine assyrische Übersetzung, welche sie verständlich machte, daneben gesetzt wurde. Das Wesen dieser Magie ist die willkürliche, d. h. nicht ethisch vermittelte Unterordn u n g göttlicher K r ä f t e unter menschliche Zwecke. Dieselbe ist n u r möglich, wenn das Göttliche selbst als ein willkürlich und in Vereinzelung in der Welt waltendes gefasst wird, wie es in der altbabylonischen Religion der Fall war, wo die Geister einander vielfach entgegengesetzt wirken und nun der Mensch darnach trachtet, 1) Die Götter haben im System auch ihre heiligen Zahlen, und zwar folgende: Anu (30, Bei 50, Ea 40, Sin 30, Samas 20, Ramman 6, Marduk 11, Istar 15, Ninip 50, Nergal 14, Nusku (Nebo = Merkur) 10. Lötz (Quaest. de hist. sabbati p. 28 macht darauf aufmerksam, dass die Addition für die erste Triade 150 ergibt, ebenso für Mond, Sonne und die 5 Planeten 150. Bin = Ramman steht ausserhalb dieser Rechnung (»/so der Gesamtsumme 300), Die untergeordneten Dämonen werden durch Bruchzahlen ausgedrückt nach Lenormant, Magie S. 24 f. 2) So z. B. S c h r ä d e r , KAT 2 10 f. 3) Das Hauptwerk darüber ist: François L e n o r m a n t , Die Magie und Wahrsagekunst der Chaldiier, deutsch Jena 1878,
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Babylonisch-assyrische Religion: Magie.
bei den wohlthätigen gegen die verderblichen Schutz zu finden, was auf äusserlichem, mechanischem Wege geschehen k a n n . Die schädlichen Geister und Dämonen haben ihren Aufenthalt besonders in der Wüste, im unwirtlichen Gebirg, im Meer, in den Sümpfen. Sie werden empfunden in Gestalt gewisser ausdörrender Winde, welche dem Land Verderben bringen. Sie führen in der Natur die Missverhältnisse und Plagen herbei: Trockenheit, Überschwemmung, Misswachs, Erdbeben u. dgl. Sie treten aber auch den einzelnen Menschen nahe, besonders in Gestalt der Krankheit. Namentlich der Aussatz (bösartige Geschwüre) ist eine von ihnen herrührende W i r k u n g ; Pest und Fieber sind gefürchtete Dämonen; insbesondere aber wird die „Krankheit des Hauptes", d. h. der Irrsinn, hier wie bei andern Völkern als Besessenheit, d. Ii. Einwohnung eines Dämons erklärt. Aber auch anderes Missgesehick wie U n f r u c h t b a r k e i t der Gattin, Missgeburt, plötzlicher Tod u. dgl. werden auf einen übelwollenden Dämon zurückgeführt. Diese Dämonen sind zahllos, werden aber in verschiedene Klassen gruppiert. Häufig findet dabei die Siebenzahl Verwendung. So gibts eine böse Sieben von Geistern in der himmlischen Sphäre, Söhne des Ana (gewissennassen das Widerspiel der sieben guten planetarischen Götter), welche dem Monde hart zusetzen (sei es bei wirklichen Finsternissen, sei es beim N e u m o n d ' ) u n d auch sonst den Lauf der Planeten stören, nachdem sie schon bei der Wcltentstelmng erbitterte Kämpfe gegen die ordnende Macht geführt haben. Sieben andere sehr gefürchtete Geister sind die Maskim („Schiingenleger"), welche im Erdinnern hausen und gleichfalls die Ordnung des Kosmos stören und auch den Menschen argen Schaden antliun. Diese sind aber noch von vielen andern Dämonen angefochten, die zum Teil mit Namen g e n a n n t werden. Man lebt daher in beständiger Angst vor solchen Unholden. Nicht selten werden diese auch von boshaften oder zornigen Leuten den Menschen durch Verwünschungen, bezw. Anwünschungen des Übels auf den Hals geschickt. Der Fluch von Vater, Mutter oder Feind, der böse Blick, womit gewisse Leute bezaubern können, die Hexenkünste ruchloser Zauberer, welche geheime Formeln sprechen und T r ä n k e eingeben, bringen ihre Opfer leicht in die Gewalt des Dämons. Dementsprechend geht die E n t z a u b e r u n g vor sich durch Reinigungsceremonien und namentlich Besprechung mit bestimmten Formeln, von welchen manche erhalten sind. Lenormant a. a. 0 . S. 4 f . gibt u. a. folgende Beispiele: Beschwörung. I. Den bösen Gott, den bösen Dämon, Den Dämon der Wüste, den Dämon der Berggipfel, 1) IV R 5. Vgl. S m i t h , Chald. Gen. S. 99 f. — L e n o r m a n t , Magie S. 25 ff. — J e r e m i a s , Izdubar S. 60 f. — J e n s e n , Kosmologie S. 39.
Magische
Beschwörungen.
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Den Den Den Den
Däinoit des Meeres, den D ä m o n des Sumpfes, bösen Genius, den gewaltigen Uruku, durch sich selbst bösen Wind, bösen Diimon, der den K ö r p e r befällt, der den K ö r p e r er schiittert, Geist des Himmels, beschwöre ihn! Geist der E r d e , b e s c h w ö r e i h n ! II,
Den Dämon, der sich des Menschen bemächtigt, den Dämon, der sich des Menschen bemächtigt, Den Gigim, der das Üble thut, den bösen Dämon, Geist des Himmels, beschwöre ihn! Geist der Erde, b e s c h w ö r e i h n !
III.
Die kedescheth 1 ) mit widerspenstigem Herzen, welche das Heiligtum im Stich lässt, Die kedescheth des Gottes Ana 2 ), die ihren Dienst nicht versieht am Abend des unvollzähligen Monats, Den Hierodulen, der unzuverlässig sich nicht a u f seinen Posten begibt, D e r seine Brust nicht zerfleischt, der seine Hand nicht zerreisst, Der Geist des Himmels, beschwöre ihn! Geist der Erde, beschwöre ihn!
IV.
W a s nimmer verlässt, was schädlich wirkt, W a s sich ausbreitet, die b ö s a r t i g e Geschwulst 3 ), Die geisselnde Geschwulst, die um sich greifende Geschwulst, die fressende Geschwulst, die . . . . Geschwulst, Die wuchernde Geschwulst, die bösartige Geschwulst, Geist des Himmels, beschwöre sie! Geist der Erde, beschwöre sie!
VI.
Den, der das gefertigte Ebenbild bezaubert 4 ), Das böse Antlitz, den bösen Blick, Den bösen Mund, die böse Zunge, Die böse Lippe, das schädliche Gift, Geist des Himmels, beschwöre sie! Geist der Erde, b e s c h w ö r e sie!
XII.
Den Frost, der die E r d e erstarren macht, Die übermässige Hitze, die des Menschen Haupt springen lässt, Das böse Geschick . . . . Welches unversehens dem Menschen ein Ziel setzt, D e n bösen Durst, Vorboten des H a u c h e s der Pest, Geist des Himmels, beschwöre sie!
Geist der Erde, b e s c h w ö r e sie!
In solchen eintönigen F o r m u l a r e n , w e l c h e g e n a u n a c h d e m alten W o r t l a u t zu s p r e c h e n w a r e n , k a m es b e s o n d e r s aut' d i e N e n n u n g d e r N a m e n a n : E i n e r s e i t s w u r d e n die u n h o l d e n G e i s t e r mit N a m e n u n d Z u n a m e n d a r i n b e s c h o l t e n , a n d e r s e i t s d e r hilfr e i c h e Gott h e r b e i g e r u f e n . U n d z w a r sind es g e w ö h n l i c h der Geist des H i m m e l s u n d d e r d e r E r d e , w e l c h e a m S c h l u s s a u f g e f o r d e r t w e r d e n , j e n e z u b a n n e n ; z u r V e r s t ä r k u n g w e r d e n e t w a in der F o r m einer Litanei noch andere Götter beigesellt5). Insbe1) Gemeint ist die weibliche Hierodule. 2) Assvr.-semit. F o r m : Anu. 3) Nr. V und V I I — X I g e b e n ähnliche B e s c h w ö r u n g e n für a n d e r e leibliche Uebel. 4) Dadurch, dass man j e m a n d in effigie den B e z a u b e r u n g s - C e r e monien unterwarf, erlangten diese W i r k u n g a u f seine P e r s o n . 5) L e n o r m a n t , Magie S. 17.
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Babylonisch-assyrische Religion: Magie.
s o n d e r e a b e r wird häufig ein beliebter, hilfreicher Vermittler zwisclicn Menschen u n d Göttern a n g e s p r o c h e n , dessen Name g e s c h r i e b e n w i r d : S i l i k - m u l u - k l i i 1 ) . Derselbe lieisst des Ozeans E r s t g e b o r n e r , d e r Sohn des Gottes Ea. In den assyrischen T e x t e n stellt statt seiner M a r d u k . W o er nicht Macht g e n u g hat, u m den feindlichen B a n n zu brechen, w e n d e t er sich an seinen V a t e r E a 2 ) . Zwieges p r ä c h e zwischen beiden bieten m e h r e r e Beschwörungsformeln. Das s t ä r k s t e Mittel, das a b e r die Menschen nicht a n z u w e n d e n sich u n t e r s t e h e n d ü r f e n , ist „ d e r grosse N a m e " , d e r höchste N a m e , den E a allein k e n n t u n d seinem Sohne mitteilt. Vor diesem den Menschen u n b e k a n n t e n N a m e n Eas b e u g t sich alles, was im Himmel u n d auf E r d e n ist. auch die Götter u n d die v e r d e r b l i c h e n Maskim 3 ). Eine u m f ä n g l i c h e Sammlung' m a g i s c h e r Spriichc enthielt die Bibliothek A s u r b a n i p a l s ; darin sind drei Abteilungen zu unters c h e i d e n : 1) B a n n s p r ü c h e gegen böse Geister, 2) g e g e n K r a n k h e i t e n , 3) H y m n e n . Bei der B e s p r e c h u n g von Besessenen, bezw. K r a n k e n , bei welchen m a n B e i l a d u n g mit einem bösen Dämon vermutete, w u r d e häufig das Gegenteil erficht, der E i n z u g holder, w o h l t h ä t i g e r Geister, da deren G e g e n w a r t allein eine B ü r g s c h a f t g e w ä h r t g e g e n die W i e d e r k e h r d e r bösen Dämonen. B e s c h w ö r u n g s f o r m e l n b r a u c h t m a n nicht blos z u r E n t f e r n u n g der letztern, sondern auch zu d e r e n F c r n h a l t u n g . Sie dienen p r o p h y l a k t i s c h g e g e n bösen Blick und alle A r t e n von B e z a u b e r u n g u n d S c h ä d i g u n g e n d u r c h die D ä m o n e n . A b e r nicht bloss g e s p r o c h e n e Sprüche, sondern auch g e s c h r i e b e n e sind w i r k s a m . Ein solcher T a l i s m a n mochte aus einem b e s c h r i e b e n e n Streifen T u c h e s bestehen, den m a n auf das Kleid heftete, oder aus einem h a r t e n Stein, den m a n an sich t r u g , oder aus einem a n d e r n Stoff. H ä u f i g g a b m a n ihm plastisch ein b e d e u t s a m e s A u s s e h e n : Götterbilder wie die Mischgestalten, die vor den T e m p e l n u n d P a l ä s t e n l a g e r n , u n d als W ä c h t e r d e r s e l b e n g e d a c h t sind, halten feindliche Geister u n d Gewalten f e r n . Ebenso hatte m a n an d e r Schwelle der H ä u s e r u n d in denselben k l e i n e r e Idole zu diesem Zweck. Besonders eigentümlich ist a b e r , dass m a n diesen Talism a n e n oft die F o r m des zu v e r t r e i b e n d e n oder a b z u w e h r e n d e n D ä m o n s g a b . W i e m a n c h e B e s c h w ö r u n g e n das s c h r e c k l i c h e Aussehen u n d d a s böse T h u n u n d T r e i b e n desselben a u s m a l e n , so soll e r bei plastischer D a r s t e l l u n g gewissermassen d u r c h sein eigenes Bild a b g e s c h r e c k t w e r d e n , w e n n er sieht, d a s s m a n ihn 1) Vgl. L e n o r m a n t , Magie S. 30. 2) Z i m m e r n — Vater, Sohn und Fürsprecher in der babylonischen Gottesvorstellung, Leipz. 1896 — hat zu Ea und Marduk noch Nusku oder Bilgi als dritten gesellt und die Frage aufgeworfen, ob nicht diese Trias mit der christlichen von Vater, Sohn und Paraklet verwandt sei. Siehe aber dagegen J e n s e n , TLZ 1897, S. 3 ff., wo die Grundlosigkeit einer solchen Annahme aufgedeckt ist. 3) Vergleiche den bei den spätem Juden und Arabern im Schwange gehenden Aberglauben an magische Wirkungen des Gottesnamens (Schern e ham phöräsch), der aus Babylonien stammen mag.
Mag'ie u n d Mantik
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kennt und durchschaut. Diese Dämonen werden als missgestaltete Ungeheuer abgebildet mit phantastisch kombinierten Köpfen und Gliedmassen, welche ihre Schlechtigkeit und Verderblichkeit symbolisieren. Ein solches Bild z. B., das die schreckliche Pest darstellt (Namtar, masc.), soll auf den entblössten Unterleib des Kranken gelegt werden unter entsprechender Beschwörung. Ein anderes (im Louvre aufbewahrt), das den versengenden Westwind in Gestalt eines Ungeheuers symbolisiert, trägt einen Ring am Hinterkopf, um an der Thiire oder am Fenster des Hauses aufgehängt zu werden und diesen bösen Wind fernzuhalten. An den Bauten (z. B. am Schloss Asurbanipals) wurden auch einander bekämpfende Ungetüme abgebildet, gleichsam zur Verkörperung der Beschwörung: „Dass die bösen Dämonen ausfahren, dass sie sich gegenseitig anfallen mögen!" Der Unterschied der weissen und schwarzen Magie, wie man ihn im Mittelalter machte, ist insofern schon in Chaldäa vorhanden, als zwar alle uns erhaltenen Sprüche dem dämonischen Unwesen mit Hilfe der guten Geister und Götter zu wehren bestimmt sind, aber darin die Existenz einer diabolischen Schwarzkunst, welche die Menschen bezaubert und quält, vorausgesetzt wird. Dieselbe ist verpönt und verabscheut. Man traut aber gewissen Zauberern und namentlich auch Zauberinnen (Hexen) zu, dass sie dieselbe aus Bosheit zum Schaden der Menschen ausüben. Als symbolische Handlungen, welche die bösen bezaubernden Sprüche begleiten, erscheinen namentlich das Schürzen eines Knotens, das Eingeben von Zaubertränken (wobei Gift eine Rolle spielen mochte), das Besprechen und Behandeln des künstlichen Bildnisses eines Menschen. Immerhin gehen die wohlthätige und die verderbliche Magie in einander über, indem auch die wohlmeinende furchtbare Verwünschungen enthält, gegen die Feinde, die Verrücker eines Grenzsteins u. dgl. gerichtet. Die M a n t i k d e r B a b y l o n i e r . Zur Zeit als das babylonische Reich eine festere politische Einheit erlangt und zugleich unter dem Einfluss der Priesterschule eine gemeinsame Civilisation und Staatsreligion sich gebildet hatte, zu deren Erzeugung die verschiedenen Völker und Städte beigetragen (c. 2000 v. Chr.), da erlosch zwar die bisher geschilderte altsumerische Magie nicht, sondern sie blühte fort. Aber sie erfreute sich doch nur geringem Ansehens als die mehr einer technischen Ausbildung fähige W a h r sagekunst. Nachdem man von uralters her auf mancherlei Omina aufmerksam geachtet und auch der Kunst sich beflissen hatte, durchs Los u. dgl. Orakel zu erlangen, haben die „Chaldäer" (wie bei Griechen und Römern die babylonische Priesterklasse hiess) die Mantik immer technischer ausgebildet, namentlich nach der astronomischen Seite. Hatten Mond- und Sonnendienst von jeher ihre Heiligtümer in Babylonien gehabt, und war die Verehrung des Venussterns im Zusammenhang mit der Göttin Istar ebenfalls uralt, so wurden mehr und mehr die nun ebenfalls mit
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Babylonisch-assyrische Religion: Mantik.
H a u p t g ö t t e r n in V e r b i n d u n g g e b r a c h t e n fünf P l a n e t e n als d i e e i g e n t l i c h e n S c h i c k s a l s s t e r n e a n g e s e h e n , was sieh bei i h r e r stets w e c h s e l n d e n S t e l l u n g u n t e r d e n ü b r i g e n leicht b e g r e i f t . A b e r a u c h die M o n d p h a s e n u n d d e r S o n n e n l a u f , die F i x s t e r n e u n d K o m e t e n w u r d e n von d e n B a b y l o n i e r n s o r g f a l t i g e r s t u d i e r t als von i r g e n d einem a n d e r n Volke, stets in d e r Meinung, d a s s m a n es hier m i t h i m m l i s c h e n , wie auf d i e i r d i s c h e N a t u r , so auf das Leben u n d Schicksal d e r Menschen m ä c h t i g e i n w i r k e n d e n Gewalten zu tliun h a b e ; d a h e r A s t r o n o m i e u n d Astrologie, d. h. N a t u r f o r s c h u n g u n d deren Ausdeutung durch den Aberglauben unzertrennlich verbunden w a r e n . D a s I n t e r e s s e bei den auf den O b s e r v a t o r i e n g e p f l o g e n e n B e o b a c h t u n g e n d e r S t e r n e , W i n d e , W o l k e n u. s. f. w a r kein rein w i s s e n s c h a f t l i c h e s , s o n d e r n religiös b e s t i m m t . Der A b e r g l a u b e n a h m a b e r auf diese W e i s e s y s t e m a t i s c h e G e s t a l t an u n d w u r d e zu e i n e r W i s s e n s c h a f t . E s zeigte sich, d a s s die Gestirne, a u c h d i e s c h e i n b a r unr e g e l m ä s s i g sich b e w e g e n d e n , eine w u n d e r b a r e O r d n u n g einhielten u n d deren L a u f bis auf die V e r f i n s t e r u n g e n u. dgl. sich v o r a u s b e r e c h n e n liess, die G e w a l t e n also, w e l c h e d u r c h dieselben wirksam g e d a c h t w u r d e n , in s y s t e m a t i s c h e r F o l g e diese W i r k u n g e n ausübten. Der geordnete Zusammenhang der Welt wurde durchschaut u n d das, w a s m a n h e u t e N a t u r g e s e t z n e n n t , w a h r g e n o m m e n . A b e r n i c h t als geistlose N a t u r fasste m a n d a s All auf, s o n d e r n als ein Z u s a m m e n w i r k e n von m a n c h e r l e i , z u m Teil e n t g e g e n g e s e t z t e n K r ä f t e n u n d g e i s t i g e n Mächten, welche i m m e r h i n von einer h ö c h s t e n Macht b e h e r r s c h t sein m u s s t e n . Den Menschen g e g e n ü b e r n a h m a b e r diese Macht e b e n u m i h r e r G e b u n d e n h e i t a n die N a t u r willen den C h a r a k t e r e i n e r f r e m d a r t i g e n N o t w e n d i g k e i t an. P h i l o c h a r a k t e r i s i e r t t r e f f e n d diese W e l t a n s c h a u u n g 1 ) : „Die C h a l d ä e r s c h e i n e n sich im U n t e r s c h i e d von a n d e r n Menschen bes o n d e r s u m die N a t i v i t ä t s t e l l e r e i b e m ü h t zu h a b e n , i n d e m sie die i r d i s c h e n D i n g e mit d e n s p h ä r i s c h e n u n d die h i m m l i s c h e n m i t d e n i r d i s c h e n in Z u s a m m e n h a n g b r a c h t e n , u n d w i e d u r c h Musik d e n a b g e m e s s e n s t e n E i n k l a n g d e s Alls n a c h w i e s e n , d u r c h die Gemeins c h a f t u n d S y m p a t h i e d e r G l i e d e r u n t e r e i n a n d e r , die r ä u m l i c h zwar getrennt, aber ihrer Verwandtschaft nach nicht gesondert seien. Diese v e r m u t e t e n , dass diese s i c h t b a r e W e l t allein existiere, i n d e m sie e n t w e d e r selber Gott sei, o d e r in sich Gott t r a g e als die Seele von allem. I n d e m sie a b e r d a s S c h i c k s a l (si/iaQ/uév?;) u n d d i e N o t w e n d i g k e i t (aváyy.i]) v e r g ö t t e r t e n , e r f ü l l t e n sie d a s m e n s c h l i c h e L e b e n m i t v i e l e r Gottlosigkeit, i n d e m sie l e h r t e n , als ob es a b g e s e h e n v o n d e n s i c h t b a r e n D i n g e n ü b e r h a u p t k e i n e Ursache v o n e t w a s g ä b e , s o n d e r n d e r U m l a u f d e r S o n n e u n d des Mondes u n d d e r a n d e r n G e s t i r n e g u t e s u n d w i d e r w ä r t i g e s j e d e m d e r W e s e n zuteilte." 1) P h i l o , De migratione Abr. 32. sit 20 und de Abrah. 15.
Vgl. auch Quis rerum div. her
Diodor über die Weltanschauung- der Chaldäer.
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W a s bei Philo die Schicksalsmacht ist, clic alles bestimmt und harmonisch leitet, das nennt D i o d o r u s Sic. (2, 30) göttliche Vorsehung. Er sagt nämlich: „ D i e Chaldäer behaupten, die Natur der W e l t sei e w i g und habe w e d e r zu A n f a n g einen Ursprung gehabt, noch w e r d e sie späterhin dem U n t e r g a n g anheimfallen. D i e Ordnung und Ausschmückung des Universums aber sei durch e i n e gewisse göttliche Vorsehung (noovoia.) g e w o r d e n und die einzelnen V o r g ä n g e am Himmel vollziehen sich jetzt nicht zufällig o d e r willkürlich, sondern nach einem bestimmten und fest beschlossenen Dekret der Götter. Da sie aber lange Zeiten hindurch die Gestirne beobachtet und die Bewegungen und K r ä f t e eines j e d e n genauer als alle Menschen kennen gelernt haben, so sagen sie den Menschen vieles, was sich begeben soll, voraus. Die meiste Beachtung und K r a f t aber teilen sie den fünf Sternen zu, welche Planeten genannt werden, welche j e n e gemeinhin die Dolmetscher nennen, besonders aber dem, welcher bei den Hellenen den Namen K r o n o s führt, den sie als den bedeutsamsten, der die meisten und grössten Vorzeichen gebe, Sonne(nstern) heissen ' ) ; die v i e r andern benennen sie ähnlich w i e unsere Sternkundigen nach Mars, Aphrodite, Hermes, Zeus. Dolmetscher nennen sie dieselben darum, weil während die andern Sterne nicht umherschweifen, sondern in geordneter Bahn denselben Umlauf haben, diese allein ihre eigene Bahn haben und so das Zukünftige anzeigen, indem sie den Menschen die Absicht der Götter dolmetschen. Einige derselben sollen durch ihren Aufg a n g , andere durch ihren U n t e r g a n g und einige durch ihre F a r b e vorbedeutend sein für die, welche genau darauf achten wollen. Zuweilen nämlich sollen sie Windstürme anzeigen, zuweilen ausserordentliche Regengüsse oder Trockenheiten, zuweilen auch das Erscheinen von Kometsternen oder auch Sonnen- und Mondfinsternisse und Erdbeben und überhaupt alle die aus der umgebenden Sphäre hervorgehenden nützlichen und schädlichen Umstände, nicht nur für die V ö l k e r und Gegenden, sondern auch für K ö n i g e und b e l i e b i g e gemeine Leute. Unter die B e w e g u n g dieser (Planeten) seien 30 Sterne gestellt, welche sie die ratgebenden Götter heissen: die Hälfte derselben blicke auf die über der Erde befindlichen Gegenden, die andere H ä l f t e auf die unter der Erde, indem sie sowohl das, was die Menschen treiben, als auch was im Himmel geschieht, beaufsichtigen; alle 10 T a g e aber w e r d e v o n den obern gleichsam als Bote einer der Sterne an die untern abgesandt, v o n den unter der Erde befindlichen aber ebenso einer an die o b e r n ; und diese B e w e g u n g sei ihnen bestimmt und nach einem e w i g festen Kreislauf vorgezeichnet. Ü b e r den Göttern aber g e b e es Gebieter, 12 an der Zahl, deren j e d e m sie einen Monat und eins der 12 sog. T i e r k r e i s b i l d e r zuteilen Jeder der Planeten habe seinen eigenen L a u f und wechselnde und mannigfache Geschwindigkeit und Zeitdistanz. Sehr v i e l aber tragen diese Sterne 1) S. oben S. 187.
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Babylonisch-assyrische Religion: Mantik.
gutes und schlimmes zu den Geburten der Menschen bei und aus ihrer Beschaffenheit und Beobachtung lasse sich hauptsächlich erkennen, was den Menschen zustossen werde. Nicht wenigen Königen haben sie nach ihrer Aussage gewahrsagt Auch gemeinen Leuten sagen sie das Künftige so zutreffend voraus, dass die, welche es erfahren haben, sich wundern über das Geschehene und es für übermenschlich halten. Ausser dem Tierkreis unterscheiden sie 24 Sterne, von denen die Hälfte den nördlichen, die Hälfte den südlichen Gegenden zugeteilt seien, und von diesen rechnen sie die, welche gesehen werden, den Lebenden zu, die unsichtbaren den Gestorbenen, und nennen sie Richter über alles. Unterhalb aller der bisher genannten bewege sich der Mond, indem er des Gewichtes wegen der Erde am nächsten sei und seinen Lauf in der kürzesten Zeit vollende, nicht wegen der Schnelligkeit der Bewegung, sondern wegen der Kürze des Kreises. Dass er fremdes Licht habe und Verfinsterungen unterworfen sei wegen des Erdschattens, sagen sie ganz ähnlich wie die Hellenen. In betreff der Sonnenfinsternis aber bringen sie äusserst schwache Darlegungen vor und wagen nicht die Zeiten dafür genau zu bestimmen." — Man gewinnt hieraus eine Vorstellung von dem Stand der allerdings mit Aberglauben versetzten astronomischen Kenntnisse der „Chaldäer". Wenn andere griechische und lateinische Autoren dieselben weit geringer taxieren, und ihnen z. B. kindische Vorstellungen von der Entstehung der Mondfinsternisse zuschreiben, so ist nach Lenormant S. 445 f. wahrscheinlich, dass Berosus, auf den sie sich dabei berufen, aus älteren Quellen, speziell vielleicht aus dem unter Sargons (I) Namen aufbewahrten astrologischen Hauptwerk geschöpft habe. Man stellte Kalender auf, worin nach dem Stand der Gestirne die für Einzelnes geeigneten und ungeeigneten Tage angemerkt waren 1 ). Wie die Gestirne wurden aber auch die Erscheinungen der A t m o s p h ä r e in mantischem Interesse genau beobachtet und aufgezeichnet. Auch hier fehlte nicht eine objektive Basis, sofern gewisse Erscheinungen wie Wolken, Winde u. dgl. als Vorzeichen für die Witterung sich auswiesen und daher von den Observatorien aus sorgfältig beobachtet wurden. Aus den Erfahrungen dieser Art stellte man gewisse Regeln zusammen ähnlich unsern Kalenderregeln in Bezug auf Fruchtbarkeit des Jahres u. dgl. Nur blieb man bei solchen in der Gesetzmässigkeit der Natur mehr oder weniger begründeten Vorhersagungen nicht stehen, sondern bezog die Zeichen der Natur auch auf das menschliche Geschehen. Dass dabei den B l i t z e n besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde, kann nicht befremden. Die Chaldäer unterschieden Blitze, die aus den Planeten kämen (besonders dem Mars) und solche, die vom Gott der Luftregion (Bin) stammten. Nach Plinius (hist. nat. 2, 43 1) Erhalten ist ein solcher Kalender für den Schaltnionat Elul IT: IV R 32. 33. S. L ö t z , Quaest. de hist. sabbati p. 39 ss.
Mantische Träume.
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vgl. 79. 81) hätten sie nur den aus den drei Planeten Jupiter, Saturn, Mars kommenden Blitzen weissagende Bedeutung beigelegt, die in der Atmosphäre entstandenen dagegen als zufällig angesehen. Mit der babylonischen verwandt ist jedenfalls die etruskisclie Fulgurallehre, in welcher nach Plinius elf verschiedene Blitzarten von Göttern, namentlich Planetengottheiten abgeleitet wurden (Plinius, hist. nat. 2, 52, 53) 1 ). Allein die Wahrsagekunst kannte noch eine Menge anderer Omina ausser diesen astralen und atmosphärischen. Offenbar ging schon in der altsumerischcn Religion mit der dort herrschenden Magie Hand in Hand eine phantastische Mantik, zwar nicht im eigentlichen Sinne dieses Wortes, als ob aus prophetischer Begeisterung Wahrsprüche geflossen wären, sondern so, dass man aus allerhand Äusserungen der unvernünftigen Natur Vorzeichen entnahm und namentlich auch bedeutsame Zeichen künstlich veranlasste, d. h. Auspizien veranstaltete. Den T r ä u m e n , d. h. den Kundgebungen der Seele im unbewussten oder halbbewussten Zustand legte man prophetische Bedeutung bei, wie es das Buch Daniel voraussetzt und die Denkmäler reichlich bestätigen. Im Gilgames-Epos wird die Handlung gewöhnlich durch Träume in Bewegung gesetzt, worin die Götter den Menschen Weisungen für die Zukunft erteilen 2 ). Dem alten babylonischen König Gudea wird im Traum der Grundriss zum Tempelbau vorgezeichnet 3 ). Ebenso sind in der spätem Geschichte Träume von grösster Wichtigkeit gewesen"1). Man pflegte auch die bei den Ägyptern und Hellenen übliche ineubatio (eyxot/utjois), indem z. B. nach Jamblichus 5 ) die Frauen sich in den Tempel der Zirpanith begaben, um dort einen divinatorischen Traum zu haben, welchen sie sich dann von den dortigen Deutern auslegen liessen 6 ). Es gab aber in Assyrien wie in Babylonien auch Seher, welche vielleicht durch künstliche Mittel erregt, prophetische Träume hatten. Jenes Weib, das nach Herodots Beschreibung (1, 81) im obersten Gemach des Turmtempels von Babel mit dem Gotte nächtlicherweile eingeschlossen blieb, war vermutlich eine solche Seherin, welche Traumorakel spendete. Eine ebenfalls zu allen Zeiten in Babylonien und den davon abhängigen Ländern ausgebeutete Quelle von Enthüllungen über 1) Vgl. L e n o r m a n t S. 457 ff. 2) A. J e r e m i a s , Izdubar S. 12. 3) Z i m m e r n , D a s Traumgesicht Gudea's, Zeitschr. für Assvr. III, 232 ff. 4) Beispiele von hoher politischer Bedeutung', welche Träumen beigemessen wurde, siehe oben S. 189 f. und bei L e n o r m a n t S. 498 ff. Vgl. Jereni. 27, 9 f.; 23, 32. 5) Babylon, ap. Phot. Biblioth. cod. 94, S. 75, Ausg-, v. B e c k e r . 6) Ein Gebet um einen solchen Traum im Heiligtum des BelMarduk ist wohl das L e n o r m a n t S. 497 f. angeführte Bussgebet. Diese Deutung- ist von Z i m m e r n (Bab. Busspsalmen) bezweifelt, aber auch nach seiner Übersetzung S. 100 f. wohl die richtige.
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Babylonisch-iissylische Religion: Mantik
rlie Zukunft bildete die N e k y o m a n t i e . Wie die Bewohner dieses Landes schon im frühesten erkennbaren Stadiuni ihrer Entwicklung von Geistern Abgeschiedener sich verfolgt und gequält glaubten, so lag es nahe mit diesen Geistern absichtlich in Verbindung zu treten, um Auskunft über Verborgenes zu erhalten. Die Zauberer vermochten durch magische Sprüche diese Geister aus der Erde heraufzubeschwören; man vernahm dann die Stimme des Abgeschiedenen aus dem Leibe des Beschwörers, syyaoTgt/iw&og, gewöhnlich Ttvdcov genannt. Letzteres war eigentlich Name jenes Geistes, der als zu befragender so heisst (Apostelg. 15, 16); dann des Beschwörers selbst. Ganz entsprechend ist das hebr. ob (Lev. 20, 27) ein solcher Wahrsagegeist (sumer. Wort: ubi), dann der Beschwörer (1 Sam. 28, 9), welcher genauer ba'al öb heisst 1 Sam. 28, 7. Auch jid'öni, der wissende, schicksalskundige, wird dafür, wie es scheint, ziemlich synonym gebraucht, Lev. 20, 27. Der öb oder jid'öni genannte Geist im Beschwörer bildete das Medium, durch welches die Toten heraufbeschworen wurden (1 Sam. 28, 8), daher Deut. 18, 11 die Befragung der Toten von der des Dämons unterschieden ist. — Jos. 29, 4 redet der öb gedämpft, mit Flüsterstimme, aus dem Grabe, ist also hier wohl die Stimme des Toten selbst'). Von Babylonien aus mag sieh dieses Unwesen über manche andere Länder verbreitet haben, wiewohl die alten Völker alle leicht von sich aus darauf kamen und auch unter den modernen der Spiritismus reichlich Anhänger findet. Doch entzog sich dieses Gebiet wissenschaftlicher Regelung und scheint in der spätem Zeit nicht als ebenbürtige und völlig legitime Weise, den Willen der Götter zu erforschen, gegolten zu haben 2 ). In besonderm Masse zogen als ominöse Erscheinungen die Aufmerksamkeit auf sich M i s s g e b u r t e n , abnorme Gestaltungen von Menschen und Tieren, welche man nach genau vorgeschriebenen Regeln beurteilte, die zum Teil erhalten sind. Da gerade bei der Geburt, wie oben bemerkt, der Einfluss der göttlichen Gestirne besonders mächtig gedacht wurde, so begreift sich, dass man aus solchen ungewöhnlichen Gestaltungen den Willen der Schicksalsgötter glaubte lesen zu können 3 ). Auch die Beobachtung des Gebarens gewisser T i e r e , Vögel, Schlangen, Hunde u. s. f. wurde noch in späterer Zeit nicht verschmäht 4 ). Ebenso das L o s e n mit Stäben, bezw. Pfeilen, welches Ezechiel (21, 26) für die Zeit Nebukadnezars bezeugt, den er am Scheidewege mit Pfeilen losen lässt, welchen Weg er einschlagen, bezw. welche der feindlichen Städte er zuerst angreifen soll. Die Pfeile wurden, mit Inschriften versehen, in einem Köcher ge1) Vgl. O r e l l i , Alttestamentl. Weissagung S. 22. Dass die Totengeister zirpend, piepend und gurrend sich vernehmen liesscn, zeigt Jos. 8, 19. Dasselbe werden wir von den Polvnesiern hören. 2) L e n o r m a n t S. 517. 3) Beispiele siehe bei L e n o r m a n t S. 478 f. 4) Vgl. L e n o r m a n t S. 467 ff.
Mantische Hülfsinittel.
Sittlichkeit.
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schüttelt, und der zuerst herausgefallene g a b die Entscheidung. Diese Lospfeile mögen in Zusammenhang stehen mit den (gewöhnlieh acht) Pfeilen, die sich auf assyrisch-babylonischen Abbildungen in den Händen der vornehmsten Glücksgötter Marduk und Istar finden 1 ). An derselben Stelle erwähnt der israelitische Prophet als zweites Orakel die Teraphim, puppenartige Götterbilder, die man also im Feld mit sich führte, ohne dass ersichtlich wäre, wie man diesen Figuren Vorzeichen a b g e w a n n ; drittens Leberschau. Bestimmtere Auskunft geben einzelne a u f g e f u n d e n e T h o n f r a g m e n t e über die E i n g e w e i d e s c h a u der babylonischen Opferpriester, wonach sehr ausführliche Regeln bestanden, nach welchen Form u n d F a r b e der Eingeweide bei verschiedenen Tieren verschieden zu beurteilen waren-). Diese K u n d e hat von Babylonien aus ihren Weg zu den vorderasiatischen Völkern und von da zu den Hellenen und Kölnern gefunden. Die letztgenannten empfingen sie zunächst von den Etruskern. Die F r a g e , wie ein so scharfsinniges Volk, dessen Beispiel so begabte u n d ebenfalls hoher Bildung teilhaftige Völker nachfolgten, in diesem „Fetischismus des Zufalls" befangen bleiben konnte, auch nachdem seine Religion sich rationeller a b g e k l ä r t hatte, ist dahin zu beantworten, dass eben die oben angegebene chakläische Weltanschauung, nach welchcr alles Dasein in einem unlöslichen Zusammenhang steht, keinen Zufall duldet u n d im scheinbar Zufälligsten die sichersten Symptome für die Bestimmung der ungewissen Zukunft zu sehen g l a u b t .
3. Sittlichkeit, Frömmigkeit, Kultus 3 ). Auch die babylonisch-assyrische Kultur ist nicht entstanden, ohne dass eine gewisse sittliche K r a f t und Zucht das Volk geschickt gemacht hat, dieselbe zu erzeugen. In der naturalistischen Religion selber a b e r lag auch eine Quelle der Sinnlichkeit u n d Sittenverderbnis, von welcher ein unheilvoller Einfiuss auf diese 1) In den von K n u d t z o n herausgegebenen assyr. Gebeten an den Sonnengott (s. oben S. 184) spitzt sich die Anrufung des Priesters häufig zu einer Anfrage auf Ja oder Nein z u : Ob die Feinde einen Angriff w a g e n werden? Ob Asurbanipal g e n e s e n werde? Ob Samassumukin nach Babel gehen soll? u. s. w. Durch welches Mittel die Antwort erzielt wurde, ist nicht angegeben. 2) Beispiele siehe bei L e n o r i n a n t S. 452 f. 3) Am wichtigsten sind für die Bestimmung des zwischen Mensch und Gottheit bestehenden Verhältnisses die Gebets- und Beschwörungssammlungen: Heinrich Z i m m e r n , Babylonische Busspsalmen, Leipz. 1885 (in D e l i t z s c h und H a u p t , Ass. Biblioth. VI). — D e r s e l b e , Die Beschwörungstafeln Surpu, Leipz. 1896 (ebenda XII). — Leonard W. K i n g , Babylonian Magic and Sorcery; The prayers of the lif'ting of the band, London 1896. — J. A. K n u d t z o n , Assyrische Gebete an den Sonnengott, Leipz. 1893. - K. L. T a l l q u i s t , Die assyrische Bexchwörnng'sserie Maqlü, Leipz. 1894.
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Babylonisch-assyrische Religion: Sittlichkeit.
Völker ausging. Doch spricht sich im U m g a n g mit den Gottheiten vielfach ein ernstliches, inniges Verlangen nach Erlösung aus, wobei Sünde und Unrecht als Ursache des auf dem Unglücklichen lastenden Bannes e m p f u n d e n werden und ein entwickeltes Pflichtgefühl zu tage tritt. Doch wird das Verhalten zu der überirdischen Macht nie ein w a h r h a f t sittliches, weil die Magie stetsfort zu ihrer Besänftigung in Anspruch genommen wird. Der Kultus war nach Zeit, Ort und Handlung durch pricsterliche Satzung geregelt. Es ist bezeichnend, dass die ältesten babylonischen Könige, ähnlich übrigens wieder die Herrscher des neubabylonischen Reiches, sich Statthalter der Götter (patesi, iSakku) nennen, und der assyrische Herrscher zugleich der Hohepriester war. Nur auf göttlicher Autorität hat eine feste menschliche sich aufbauen können. Sehr f r ü h e sehen wir auch bei den Babyloniern feste Rechtsanschauungen entwickelt, welche auch in schriftlich aufgezeichneten Gesetzen niedergelegt worden sind, von denen man freilich erst F r a g m e n t e g e f u n d e n hat. Es sind sumerische T e x t e mit assyrischer Übersetzung 1 ). Das Familienrecht erscheint darin besonders fest geordnet. Die gesetzliche Stellung der Ehefrau zeigt sie zwar dem Eheherrn streng untergeordnet, aber keineswegs seiner Willkür preisgegeben. Sie geniesst vielmehr ihm und den Kindern gegenüber ein gesetzlicli geschütztes Ansehen. Das Ehcreclit ist ein ziemlich ausführliches. Ein dem Gemahl untreues Weib wird in aller F o r m Verstössen und mit einer diesbesagenden U r k u n d e auf dem Rücken ihrem Vater heimgeschickt. Völlig rechtlos ist erst die öffentliche Ilure, die aucli bei ihren Eltern keine Aufnahme mehr finden soll. Über die Sklavin hat der Besitzer Gewalt, und es gilt als eine Gunst, wenn er sich mit ihr verbindet. Die freie und legitime Gattin aber soll als Ehefrau und Mutter in Ehren gehalten w e r d e n ; sie besitzt sogar ihr besonderes Eigentum. Doch hat in dieser Hinsicht die sinnlich-naturalistische Religion einen entsittlichenden Einfluss ausgeübt. Die litterarischen Denkmäler lassen keinen Zweifel darüber bestehen, dass die Prostitution weiblicher Hicrodulen zu den gottesdienstlichen Gepflogenheiten der Heiligtümer gewisser Gottheiten, besonders der Istar von Erech, gehörte. Die Nachtseite des Heidentums tritt hier schwarz hervor. W a s es von seinen eigenen Göttern u n d Halbgöttern erzählte, konnte es nicht ernstlich verurteilen. Und wenn es sie durch das Laster zu ehren meinte, musste dieses auch im täglichen Leben unverfänglich scheinen. Herodot erzählt sogar, j e d e babylonische J u n g f r a u habe sich im hl. Hain der Aphrodite-Mylitta (d. h. Istar Bilit) einmal einem F r e m d e n preisgeben u n d so der Göttin ihren Tribut zahlen müssen 2 ). 1) Vgl. H ü m m e l , Geschichte S. 382 ff. — L e n o r m a n t , Magie S. 357 ff. 2) Siehe Herodot 1, 199 u. vgl. den apokryphischen Brief Jeremiä 43. Eine harmlosere Sitte preist Herodot 1, 1 a l s die weiseste der Baby-
Die babylonischen Busspsalmen.
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Die biblischen Propheten schildern die Babylonier als ein üppiges, verweichlichtes, allen Genüssen, welche ihnen der Welthandel zuführte, ergebenes Geschlecht, und so sind sie in der Tliat durch ihren Reichtum, den natürlichen des Landes und den von ihren Heeren geraubten, geworden. Nicht wenig hat aber dazu ihre sinnlich-naturalistische Auffassung der Gottheit beigetragen. Die Assyrer haben sich länger ihre Energie und Strammheit bewahrt. Sic waren ebenso tapfere Krieger wie tüchtige, sorgfältige Verwalter, entgingen aber auch ihrerseits auf dem Gipfel ihres Ruhmes nicht der entnervenden Genusssucht und der Zügellosigkeit, welche durch ihre Religion mehr entfesselt als gebändigt wurde. Um so mehr verdient Beachtung, dass uns schon in altbabylonischen Texten ein schmerzlicher Ernst und eine tiefe Empfindung des Elends entgegentritt, und noch mehr, dass dieses Elend auf die Entzweiung des sündigen Menschen mit der Gottheit zurückgeführt wird, so dass hier doch eine ethische Wirkung der Religion sich äussert. Zwar gehört es zum Charakter der eigentlichen Magie, wie sie oben beschrieben worden, dass ihr Verhalten zum Göttlichen und ihr Verfahren nicht ethisch vermittelt ist. Doch hat man sich von Anfang an den Gegensatz von wohlthätigen und schlimmen Geistern nicht ohne allen ethischen Hintergrund zu denken. Schon in den magischen Beschwörungsformeln zeigt sich, dass der Zauberbann, der besonders in Krankheit sich äussert, namentlich durch S ü n d e und Vergehungen der Menschen herbeigeführt wird, daher die Bitte um Abhilfe zugleich auf Erlangung von V e r g e b u n g gerichtet ist, und wenn man auch auf äusserliche Manipulationen und Rccitationen sein Vertrauen setzte, so tritt doch in etwas spätem Klagegebeten stark das Bcwusstsein hervor, dass aufrichtige R e u e die Vorbedingung der göttlichen Hilfe und Heilung sei. Die Krankheiten und ähnliche Übel werden dabei als Züchtigungen betrachtet, die dem Menschen um seiner Sünde, seines Unrechts, seiner Gottlosigkeit willen auferlegt worden; ob auch von bösen Geistern bewirkt, sind sie von den Göttern verhängt, welche diese damit beauftragt haben. Daher ist die Vorbedingung der Heilung in solchen Fällen die Aussöhnung mit den Göttern. Unter den Hymnen und liturgischen Stücken, welche uns erhalten sind, nehmen diese B u s s p s a l m e n , wie man sie nach Analogie der, theologisch angesehen, von ihnen allerdings sehr verschiedenen hebräischen genannt hat, eine hervorragende Stelle ein. Sie sind babylonischen Ursprungs und meist in bilinguer (sumerischer und assyrischer) Form erhalten. Allein der Schluss, den man daraus gezogen hat, dass sie nichtsemitischer Herkunft sein lonier: dass sie die heiratsfähigen Mädchen eines Orts jährlich einmal versteigerten. Die schönsten wurden zum höchsten Preis an reiche Bewerber verabfolgt. Aus dem Erlös wurde den nicht Begehrten, Hässliclicn eine Aussteuer mitgegeben, indem man sie dorn mindest Fordernden zusprach.
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Babylonisch-assyrische Religion: Busspsalmen.
müssten, ist deshalb übereilt, weil die semitischen Babylonier ger a d e f ü r Kultuszwecke sich mit Vorliebe der altbabylonischen Sprache bedienten. Vollends unberechtigt war die Vorstellung, dass das Sündengefühl der Hebräer akkadisch-sumerischen Ursprungs sei, da doch das gemeinmenschliche Bewusstsein der Sündhaftigkeit bei den Semiten original genug' sich äussert u n d seine Läuterung und Vertiefung eine F r u c h t der biblischen Offenbarung gewesen i s t ' ) . Wahrscheinlich ist aber mit den meisten Assyriologen anzunehmen, dass die in diesen babylonischen Bussliedern ausgeprägten ethisch-religiösen Anschauungen semitischen Ursprungs sind, natürlich nicht von den Hebräern entlehnt, aber aus ursemitischem Boden erwachsen, während die mehr magische Auffassung der Beseitigung des Gegensatzes zur Gottheit, die in andern babylonischen Gebeten herrscht, sumerischen Charakter hat. Dass bei den Israeliten jene semitische Auffassung sich wesentlich vertiefte und reinigte, wird die Vergleicliung der Busspsalmen beider Nationen unschwer ergeben. Bei den Babyloniern haben sich umgekehrt reinere Anschauungen mit schamanischen Vorstellungen der Sumerier vermengt. Das Alter der altbabylonischen Bussgebete lässt sicli nicht genau bestimmen. Doch dürften einzelne vor 2000 v. Chr. anzusetzen sein 2 ). Nur bei wenigen tritt ein historischer Hintergrund zu Tage, eine Zeit des Nationalunglücks, wo am nächsten liegt, an die Eroberung und U n t e r d r ü c k u n g durch Elam (c. 2300) zu denken. So heisst es in einein solchen Liede (Übersetzung von Zimmern) 3 ): Bis wann, meine Herrin, soll der gewaltige Feind dein Land aufreiben? In deiner erlauchten Stadt Erech ist Verschmachtung ausgebrochen. In E-Ulbar(?), dem Hause deines Orakels wird Blut wie Wasser vergossen. In allen deinen Landen hat er Feuer angelegt über sie hingegossen wie Weihrauch (?). O meine Herrin, g'ar sehr bin ich an Unglück gebunden. Meine Herrin, du hast mich umringt, in Schmerzen hast du mich gebracht. Der mächtige Feind wie ein einziges Hohr hat er mich niederu. s. f. getreten.
Angerufen ist hier die Göttin Istar von Erech. An eine Göttin wenden sich auch sonst diese Gebete mit Vorliebe, meist an Istar oder auch Anunit. Häufig sind die Gebete dialogisch gestaltet, so dass die Stimme des lustrierenden u n d fürbittenden 1) Noch mit etwas mehr Schein von Recht liess sich sagen, der „Parallelismus Membrorum", den die Babylonier mit den Hebräern einigermassen gemein haben, während andere Semiten ihn nicht aufweisen, sei von jenen übernommen. Doch ist auch diese rhythmische Form dem Hebräer so ureigen, dass dies höchst unwahrscheinlich. 2) H o m m e l versetzt diese Lieder im allgemeinen zwischen 2500 und 2000. 3) IV K 19 Nr. 3. Z i m m e r n , Busspsalmen S. 74 ff.
Babylonische Bussgebete.
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Priesters mit der des Büssers abwechselt. Wie im obigen Hymnus d a s Nationalunglück wohl den besiegten König zu seiner Klage veranlasst, so häufiger persönliches Leiden und Missgeschick, besonders Krankheit. Man empfand also diese als Strafe eines Gottes und wandte sich an diesen, um den Fluch loszuwerden. So z. B. IV R 6 1 ; Nr. 1 (Zimmern S. 87 ff.) spricht der Priester: Durchbrich seine Kette, < >ffne seine Bande,
löse seine Fessel! seiner Gebundenheit . . .
Krankheit, Seuche, Ungemach, Fieber Haben ihn aufgerieben, schwach ist sein Seufzen. Hinschlachtung (?), Ungemach, Schrecken, Druck Haben ihn zu Fall gebracht, haben verstummen lassen seine Wehklage. Gesündigt hat er, schmerzvoll weint er jetzt vor dir. Sein Gemüt ist uninachtet, zitternd steht er vor dir. Krgriffen ist er, einen Thränenstrom lässt er jetzt gleich einer Regenwolke hervorquellen. Gleich einem Strandläufer presst er Schreie hervor. Seine Ergebung spricht er aus unter Seufzen. Was hat gesonnen, geplant meines Herrn Knecht? Offenbaren möge sein Mund was ich nicht weiss. Auf diese Aufforderung zur Beichte spricht der Leidende: Viel sind meiner Sünden, Dieser Bann möge weichen,
die ich gesündigt allesamt. hinausg-ehn in die Einöde!
worauf die Fürbitte aufs neue beginnt. findet sich die Zusage: Mein Thun will ich dir sagen, Mein Reden will ich dir erzählen,
Anderswo (Zimmern S. 86)
mein Thun, das doch unsagbar ist. mein Reden, das doch unerzählbar ist.
Der Schluss fehlt leider. Aber gründlich wird die Ethik des Leidenden in den Beschwörungsgebeten Surpu 1 ) gemustert, welche so lieissen von der „Verbrennung" symbolischer Gegenstände, welche dabei vorkam. Man sieht also, dass die Anwendung der Magie die ethische Betrachtungsweise nicht ausschloss. Da befragt der Priester die Gottheit über den Leidenden, der unter seinem Bann seufzt: Hat er Vater und Sohn entzweit? Sohn und Vater entzweit? Mutter und Tochter entzweit? Tochter und Mutter entzweit? Schwieger und Schnur entzweit? Schnur und Schwieger entzweit? Bruder und Bruder entzweit? Freund und Freund entzweit? Genossen und Genossen entzweit? Hat er einen Gefangenen nicht freigelassen? 1) Z i m m e r n , Die Beschwörungstafeln Surpu, s. oben S. '205. 2) Bei Z i m m e r n a. a. O. S. 3 ff. O l e i i i , Rcligionssescliichte.
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Babylonisch-assyrische Religion: Bussgebete.
Einen Gebundenen nicht gelöst ? Einen Eingekerkerten das Tageslicht nicht erblicken lassen ? Einem Gefangenen „nimm ihn gefangen" ? Einem Gebundenen „binde ihn" zugesprochen? Ists etwa eine Sünde wider einen Gott? Ein Vergehen wider eine Göttin? Hat er einen Gott gekränkt . . . eine Göttin verachtet? Ists Versündigung wider seinen Gott, Verfehlung wider seine Göttin? Gewaltthat wider den „Ahnherrn", Hass gegen den älteren Bruder? Hat er Vater und Mutter verachtet, die ältere Schwester beleidigt? Im Kleinen gegeben, im Grossen verweigert? Zu Nein Ja, zu Ja Nein gesagt? Unlauteres gesprochen, Ungehorsames, Frevelhaftes gesprochen . . . . Falsche Wage gebraucht Falsches Geld gegeben, rechtes Geld nicht genommen? Einen rechtmässigen Sohn enterbt, einen unrechtmässigen eingesetzt? Falsche Grenze gezogen, rechte Grenze nicht ziehen lassen ? Grenze, Mark und Gebiet verrückt? Hat er seines Nächsten Haus betreten? Seines Nächsten Weib sich genaht ? Seines Nächsten Blut vergossen? Seines Nächsten Kleid geraubt? Hat er aus seiner Gewalt einen Mann nicht entlassen ? Einen braven Mann aus seiner Familie vertrieben ? Eine wohlvereinte Sippe zersprengt? Gegen einen Vorgesetzten sich erhoben? War er mit dem Munde aufrichtig — im Herzen falsch? Mit dem Munde voller J a — mit dem Herzen voller Nein? Ists wegen aller Ungerechtigkeit, auf die er sann, Um Gerechte zu verfolgen, zu Verstössen, Zu vernichten, zu vertreiben, zu Grunde zu richten, Gewalt aufzurichten, aufzuhetzen . . . Zu freveln, zu rauben, rauben zu lassen, Mit Bösem sich zu befassen? Ist lose, unflätig sein Mund, Trügerisch, widerspenstig seine Lippen? Hat er unlauteres gelehrt, ungeziemendes unterwiesen ? Folgte er Bösem auf der Spur ? Überschritt er die Grenze des Rechts? Hat er unlauteres begangen, Mit Zauberei, Hexerei sich befasst? Ists wegen des argen Unrechts, das er gethan, Wegen der vielen Sünden, die er begangen? Wegen einer Gemeinschaft, die er aufgelöst, Einer wohlgeordneten Schar, die er zersprengt? Ists wegen allem, womit er seinen Gott und seine Göttin verachtet? Hat er mit Herz und Mund versprochen, aber nicht gehalten? Durch ein Geschenk den Namen seines Gottes missachtet? Etwas geweiht, gelobt, aber es zurückbehalten? Etwas geschenkt . . . aber es gegessen ? Hat er ein rechtmässiges Speisopfer abgeschafft, Seinen Gott und seine Göttin wider sich erzürnt? Erhob er sich in einer Versammlung, sprach Unheilvolles? Gelöst werde er, wodurcli er auch immer gebannt ist! Dieser in seiner Art dem des Totenbuches 1 ) oder Hiob 31 vergleichbare Beichtspiegel gibt eine getreue Vorstellung von der babylonischen Ethik, welche demnach keine geringen Anforde1) Siehe oben S. 160.
Babylonische Bussgebete.
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rangen stellte. Wegen Übertretungen derselben ist der Zorn der Götter zu erwarten. Das schliesst nicht aus, dass man denselben durch magische Mittel beschwichtigen kann, wobei aber bussfertige Gesinnung sicherlich vorausgesetzt ist. Lehrreich ist auch ein langes Gebet unter den „Busspsalmen" aus der Bibliothek Asurbanipals 1 ), worin die Stellen vorkommen: Dass meines Herrn Herzens Zorn sieh besänftige! Dass der mir unbekannte Gott sich besänftige ! Die mir unbekannte Göttin sich besänftige! Die Sünde, die ich begangen, kenne ich nicht. Die Missethat, die ich begangen, kenne ich nicht. Einen gnädigen Namen möge mein Gott nennen! Einen gnädigen Namen möge meine Göttin nennen! Einen gnädigen Namen möge bekannter und unbekannter Gott nennen! Einen gnädigen Namen mög'e bekannte und unbekannte Göttin nennen! Reine Speise habe icli nicht gegessen, Klares Wasser habe ich nicht getrunken. Das Leid von meinem Gott, unvermerkt ward es meine Speise. Das Ungemach von meiner Göttin, unvermerkt trat es mich nieder! Der Schluss l a u t e t : Die Menschheit ist verkehrt und hat kein Einsehen! Die Menschen, so viele einen Namen nennen, was verstünde ihrer einer? Mögen sie Gutes oder Böses thun, kein Einsehen haben sie. O Herr, deinen Knecht, stürze ihn nicht! In die Wasser der Hochflut geworfen, fasse ihn bei der Hand! Die Sünde, die ich begangen, verwandle in Gnade! Die Missethat, die ich verübt, entführe der Wind! Reiss entzwei meine Schlechtigkeiten wie ein Gewand! Mein Gott, meiner Sünden sind siebenmal sieben, vergib meine Sünden! Meine Göttin, meiner Sünden sind siebenmal sieben, vergib meine Sünden! Bekannter, unbekannter Gott u. s. w. Vergib meine Sünden, so will ich in Demut vor dir mich beugen. Dein Herz, wie das Herz einer Mutter, die geboren, erheitere es sich! Wie eine Mutter, die geboren, wie ein Vater, der ein Kind gezeugt, erheitere es sich! Dieses Gebet zeigt ein besonders intensives Sündenbewusstsein, das nur die allgemeine Unkenntnis und Fehlbarkeit der Menschheit als Milderungsgrund für seine Beurteilung anführen kann. Anderseits ist dem Beter die besondere Verschuldung, die ihm das besondere Unglück zugezogen hat, nicht bewusst. Ebenso weiss er nicht, ob ein ihm bekannter oder unbekannter Gott diesen Fluch über ihn verhängt hat. Unter dem unbekannten Gott ist nicht ein solcher zu verstehen, von dem man überhaupt keine Kunde hätte, sondern ein solcher, der nicht der seinige ist, in dessen Dienst er steht. Auch andere Gebete zeigen nämlich, dass der Einzelne in der Kegel einen bestimmten Gott als s e i n e n Gott kennt, dem eine entsprechende Göttin als s e i n e Göttin zur Seite steht. Andere Gottheiten stehen ihm ferner, sind für ihn „unbekannte". Zwar einen „monotheistischen Zug" (Zimmern) kann man auch im zuletzt 1) IV R. 10.
Z i m m e r n , Busspsalmen S. 61 ff.
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Babylonisc.li-assyrische R e l i g i o n : K l a g e g e b e t e .
a n g e f ü h r t e n G e b e t nicht finden, das d i e U n t e r s c h r i f t t r ä g t : „Busspsalm von 65 Zeilen, T a f e l für j e d w e d e n G o t t " . Nicht einmal M o n o l a t r i e herrscht hier. A l l e r d i n g s ist v o n B e d e u t u n g das Bed ü r f n i s des E i n z e l n e n , i m Dienst eines b e s t i m m t e n Gottes zu s t e h e n ; allein das schliesst nicht aus, dass er, w i e o b i g e s Beispiel lehrt, g e g e b e n e n F a l l e s auch a n d e r e a n r u f t . In d e m G e b e t I V R 29 N r . 5 ( Z i m m e r n S. 9) w i r d f ü r ihn, da sein Gott und seine Göttin i h m zürnen, die b a r m h e r z i g e H e r r i n ü b e r alles ( I s t a r ? ) a n g e g a n g e n . A n d e r s w o r u f t d e r B e t e r eine g a n z e R e i h e v o n G ö t t e r n mit ihren G ö t t i n n e n an, sie m ö g e n sein G e b e t d e r Istar v e r k ü n d i g e n und vermitteln1). In e i n e m G e b e t an A n u n i t heisst e s : Vor dem tapfern Helden, Sainas, deinem geliebten Gemahl, vertritt mich (?), A u f dass ich ein Leben ferner T a g e vor dir wandeln möge. Mein Gott bricht vor dir in W e h k l a g e aus, dein Herz beruhige sich! Meine Göttin spricht •/.u dir (lebete, dein Gemüt besänftige sich! I ) c r tapfere Held, Gott Anu, dein geliebter Gemahl, möge mein Gebet dir v e r k ü n d i g e n ! D i e hier a n g e r u f e n e A n u n i t 2 ) ist d i e Göttin ( I s t a r ) v o n Sippara, d e r Sonnenstadt, d a h e r G e m a h l i n des d o r t i g e n Sonnengottes, mit dem Anu kombiniert war. E i g e n t ü m l i c h ist a b e r , dass nach d e r v o r l i e g e n d e n Ü b e r s e t z u n g sie a n g e f l e h t w i r d , den B e t e r v o r Sanias zu v e r t r e t e n und a n d e r s e i t s ihr G e m a h l A n u als F ü r s p r e c h e r v o r ihr a n g e r u f e n w i r d . I n e i n e m oben c i t i e r t e n B u s s g e b e t w i r d d e r Gott a n g e f l e h t , er m ö g e sich durch E a zur M i l d e b e s t i m m e n lassen; anderseits lieisst es d o r t : „ E r l e u c h t e sein A n g e s i c h t , b e f i e h l ihn seinem Gotte, seinem S c h ö p f e r " s ) . A u c h d i e I n t e r c e s s i o n d e r G e i s t e r w i r d gelegentlich erbeten4). Dass in diesen K l a g e g e b e t e n , w e l c h e g e w i s s u r s p r ü n g l i c h aus H e r z e n s n o t g e b o r e n w a r e n , m ö g e n sie auch späterhin als blosse l i t u r g i s c h e F o r m e l n g e b r a u c h t w o r d e n sein, das ethische M o m e n t nicht f e h l t , sollte aus o b i g e n P r o b e n e i n l e u c h t e n 5 ) . Dass d u r c h w e g äussere N o t , U n g l ü c k , b e s o n d e r s K r a n k h e i t zu solcher Busse t r i e b , schliesst nicht aus, dass das G e w i s s e n des L e i d e n d e n durch solche H e i m s u c h u n g e n w i r k l i c h g e w e c k t u n d ein a u f r i c h t i g e s Sündenbewusstsein b e i ihm v o r h a n d e n w a r . D i e S e l b s t d e m ü t i g u n g d e r B e i c h t e , d e r e n W i c h t i g k e i t d a b e i betont w i r d , ist ein B e w e i s d a f ü r , dass m a n zur E r h ö r u n g n i c h t e t w a bloss m a g i s c h e F o r m e l n o d e r äusser1) Z i m m e r n S. 34 f.; ähnlich S 80. 2) Z i m m e r n S. 53. 3) Z i m m e r n S. 89. 4) Z i m m e r n S. 79. 5) Die Bemerkung Ed. M e y e r s , Gesch. des Altertums S. 178, urteilt darüber zu geringschätzig. Nach der anderen Seite übertreibt T i e l e (Gesch. d. Rel. I, 214): „Die Religion Israels, wie sie durch die Propheten des 8. Jahrhunderts und der späteren Zeit geschaffen wurde (so spät erst?) überragt die babylonische an Reinheit und Erhabenheit der Anschauung freilich bei weitem. A b e r der Geist, welcher sich bei den Propheten so herrlich offenbart, redet dann und wann (Beispiele wären erwünscht!) auch in den religiösen Liedern Babels und Assurs."
Gebet und Kultus.
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liehe Ceremcmien nötig erachtete, sondern eine reuevolle Gesinnung unerlässlich schien, und diese Reue ist nach allem eine schmerzlich empfundene gewesen. Anderseits freilich tritt der Minderwert dieser Erzeugnisse bei Vergleichung mit den hebräischen Psalmen in jeder Hinsicht hervor, welcher eben in der Verschiedenheit der beiden Religionen begründet ist. Der Mangel an Einheit in der Auffassung des Göttlichen zeigt sich in dem ratlosen Tasten nach einem Helfer und Fürsprecher, und der Naturalismus im Wesen der Gottheit macht ein ungetrübtes sittliches Verhalten zu ihr unmöglich, verhindert auch eine stärkere Betonung und tiefere Erfassung des Ethischen; daher denn freilich auf die Herzensstellung des Reuigen wenig eingegangen wird und man den Eindruck hat, als sollten die Menge der Worte, die Länge der Litanei, die Beschwörung aller erreichbaren Mächte die Gottheit erweichen und den bösen Bann brechen. Noch weit stärker aber tritt der Unterschied von den biblischen Psalmen hervor, sobald die von den Betern erflehten Segnungen verglichen werden. Davon, dass dem Menschen die Gemeinschaft mit seinem Gott das höchste und seligste ist, was ihn auch im Unglück tröstet, kann hier keine Rede sein, wo vielmehr langes Leben, Befreiung von nationalem und persönlichem Unglück und Leiden das einzige Ziel der inständigsten Bitten bilden, das Göttliche also keinen den Menschen voll befriedigenden Selbstwcrt hat, sondern nur als Mittel zum Zweck vom Betenden begehrt wird. Das schliesst nicht aus, dass dieses Volk lebhafter als viele andere den Zusammenhang von Schuld und Schicksal empfunden und ihm oft rührenden Ausdruck verliehen hat. In Betreff des K u l t u s war von dem magischen Ceremoniell und den im Interesse der Mantik vorgenommenen Veranstaltungen bereits die Rede. In Bezug auf den eigentlichen Götterdienst sind bis jetzt zusammenhängende, ausführlichere Verordnungen oder Beschreibungen nicht zu Tage gefördert worden. Was von Festen, Opfern, Fasten, Reinigungen u. dgl. gelegentlich verlautet, lässt auf die sonst im Altertum gewöhnlichen Formen schliessen. Dass die Babylonier und Assyrer ihre Götter plastisch in Kolossen von Stein und auch Metall abzubilden liebten, wurde schon bemerkt. Dass man diesen Statuen Speisopfer hinstellte, wie die apokryphische Schrift von Bei und dem Drachen voraussetzt, bestätigt sich durch kalendarische Vorschriften. Die Bilder der Götter wurden bei festlichen Anlässen auch nicht selten in Prozession herumgetragen. Öfter ist die Frage erörtert worden, ob die Babylonier und Assyrer wie die siebentägige Woche so auch die Feier des siebenten Tages als Ruhetag mit den Hebräern gemeinhätten 1 ). Der S. 202 angeführte Kalender zum Schaltmonat Elul II, der hauptsächlich 1) Vgl. Friedr. D e l i t z s c h bei S m i t h , Chald. Gen. S. 300. — S c h r ä d e r , K A T 2 S. 18 ff. — und besonders G. L ö t z , Quaestiones de Historia Sabbati, Lips. 1883. — Louis T h o m a s , Sabbat Primitif 1892, p. 55 ss.
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BabyloJiisch-assyrisclie Religion.
Sabbat.
f ü r König u n d P r i c s t e r s c h a f t a n g i b t , welche T a g e l u r ihre Verr i c h t u n g e n g ü n s t i g oder u n g ü n s t i g seien, v e r z e i c h n e t f ü r den 7., 14., 21., 28. (allerdings a u c h f ü r den 19.) Monatstag, dass der K ö n i g kein g e b r a t e n e s Fleisch essen, seine K l e i d e r nicht wechseln, kein weisses G e w a n d anziehen, (den T a g über) k e i n S p e n d o p f e r b r i n g e n , auf keinen W a g e n steigen, keine k ö n i g l i c h e n W e i s u n g e n erlassen soll; ähnlich sollen die P r i e s t e r feiern u n d die Magier ihre B e s c h w ö r u n g e n zur H e i l u n g von K r a n k e n u n t e r l a s s e n ; der K ö n i g soll (erst) am Abend seine Opfer d a r b r i n g e n . Ähnlich wie f ü r diesen wird dies auch f ü r die a n d e r n Monate gegolten h a b e n . Manche h a b e n g e g l a u b t , diese T a g e seien g e r a d e z u als „ b ö s e " ') bezeichnet u n d j e n e s Feiern d e r V e r r i c h t u n g e n deute auf „dies a t r i " . Damit hat m a n in V e r b i n d u n g g e b r a c h t , dass nach der zuletzt üblichen u n d auf a n d e r e Völker ü b e r g e g a n g e n e n O r d n u n g der W o c h e der 7. T a g dem U n g l ü c k b e d e u t e n d e n P l a n e t e n Saturn g e w e i h t w a r . Allein das letztere k a n n nicht wohl d e r G r u n d der E n t l a s t u n g des j e siebenten T a g e s sein, da f ü r denselben a n d e r n Göttern zu opfern vorgeschrieben ist. Dazu k o m m t , dass in einem S y l l a b a r das W o r t s a b b a t u v ( = hebr. schabbäth) mit um nfleh libbi, d. h. „ T a g d e r Ruhe des H e r z e n s " e r k l ä r t w i r d , woraus h e r v o r g e h t , dass m a n diesen T a g nicht f ü r c h t e t e , s o n d e r n seine R u h e als eine positive Wohlthat zu schätzen wusste. I m m e r h i n scheint dieser 7. T a g eine Art B u s s t a g der Könige u n d Priester g e w e s e n zu sein. U n d es zeigt sich diese Ü b u n g sehr verschieden von d e r h e b r ä i s c h e n , nicht n u r weil die siebentägige W o c h c dabei vom N e u m o n d an ger e c h n e t w u r d e , statt u n a b h ä n g i g vom Mond d u r c h s J a h r zu laufen, sondern auch weil eine ähnlich tief ins Volksleben e i n g r e i f e n d e religiöse Sitte wie bei den Israeliten hier nicht nachzuweisen ist. Im Gegenteil zeigen die K o n t r a k t t ä f e l c h e n , von welchen eine ansehnliche Zahl g e r a d e von diesen Monatstagen datiert sind, dass das geschäftliche Leben an denselben n i c h t stillestand. Vielleicht galt i h r e Beobachtung mehr nur für Regierung und Priesterschaft. Immerhin ist ein genetischer Z u s a m m e n h a n g zwischen b a b y l o n i s c h e m u n d hebräischem B r a u c h wahrscheinlich.
4. Kosmogonie und mythologische Epen 2). Auf dem Boden von Ninive (Palast A s u r b a n i p a l s ) h a t m a n Ü b e r r e s t e einer reichen mythologischen L i t t e r a t u r g e f u n d e n , welche 1) S c h r ä d e r , KAT 2 S. 19. Diese Übersetzung ist jedoch zweifelhaften Rechtes. 2) Vgl. George S m i t h , Chaldäische Genesis, deutsch von H. und Friedr. D e l i t z s c h , Leipz. 1876. — S c h r ä d e r , Die Keilinschriften und das AT 2 , Giessen 1883. — P. J e n s e n , Die Kosmologie der Babylonier, Strassburg 1890. — Alfred J e r e m i a s , Izdubar-Nimrod, Leipz. 1891. — Friedrich D e l i t z s c h , Das babylonische Weltschöpfungsepos, Leipz. 1896. — Vgl. auch Hermann G u n k e l , Schöpfung und Chaos, Göttingen 1895 (darin eine Übersetzung des bab. Schöpfungsepos von II. Zimmern).
Babylonische Kosmogonie.
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über Wcltentstehung, die grosse Flut und ähnliche urzeitliche Episoden sich verbreitet, und sich als mit den darauf bezüglichen biblischen Überlieferungen nahe verwandt ausweist: Zunächst begegnen solche über die W e l t b i l d u n g . B e r o s u s 1 ) hat am Anfang seiner babylonischen Geschichte eine Kosmogonie gegeben, welche den aus verschiedenen Stämmen zusammengekommenen Bewohnern Babyloniens, die erst ohne Ordnung wie die Tiere zusammengelebt hätten, von einem eigenartigen Wesen, Namens Oannes, das ihnen die Kultur brachte, sei mitgeteilt worden. Dieses Wesen wird beschrieben als eine aus Mensch und Fisch komponierte Gestalt 2 ). An der babylonischen Küste des erythräischen Meeres sei es aufgetaucht und habe über T a g mit den Menschen verkehrt, sie über Schrift und Wissenschaft, Städtebau und Ländervermessung und Ackerbau belehrt, ihnen alle Erfindungen der Kultur anvertraut und auch ein Werk über Staatenbildung übergeben. Bei Nacht sei dieses Fischwesen wieder untergetaucht, ohne Speise genossen zu haben. Dieser Oannes nun (nicht mit Gott Anu, sondern mit Ea, dem Gott der Tiefe gleichzusetzen) habe sie über die Entstehung der Welt folgendermassen unterrichtet: Vor der Entstehung dieser Welt gab es eine Zeit, wo alles Finsternis und Wasser war. Diese belebten sich mit phantastischen Missgestalten: Menschen mit zwei und vier Flügeln und zwei Köpfen, Ziegenhörnern, Pferdefüssen; ebenso Stiere mit Menschenköpfen, Pferde mit Hundsköpfen u. dgl. mehr nach Art der im Tempel des Bei aufbewahrten Bildnisse. Über alle diese Wesen herrschte ein Weib namens Homoröka (Omorka), was chaldäisch Thalatth 3 ), griech. d-äXaooa heisse. Der Gott Bei spaltete dieses Weib mitten entzwei und machte aus der obern Hälfte den Himmel, aus der untern die Erde und stellte Sonne, Mond und Sterne, insbesondere auch Planeten am Himmel auf. Jene Mischgestajten, welche Luft und Licht nicht ertragen konnten, kamen um. Bei aber befahl einem der Götter, ihm den Kopf abzuhauen 4 ) und aus der Mischung des dabei geflossenen Blutes mit der Erde Menschen und Tiere zu bilden. D a m a s c i u s 5 ) sagt über die Kosmogonie der Babylonicr, sie hätten über den ersten Anfang geschwiegen, und an die Spitze der Entwicklung zwei Wesen gestellt Tav&s und 'Anaacov, deren Gemahl. Jene sei Mutter der Götter. Sohn der beiden sei Mwvjuig, 1) B e r o s i Fragm. ed. M ü l l e r 1.4.7. — L e n o r m a n t , Essai de Commentaire des Fragments Cosmogoniques de Berose, Paris 1871. 2) Eine Abbildung dieses Wesens siehe z. B. bei Smith, Chald. Gen. S. 40. Vgl. oben S. 182. 3) 6aXax& im Blick auf die folgende Erklärung, vielleicht blosser Schreibfehler für Gavard = Tävat, Tämat, Tiamtu, Meer. — S c h r ä d e r , K A T 3 S. 13. 4) Ob dieser Zug sich wirklich so bei Berosus fand, oder ob es sich um das Blut des Ungeheuers handelte, darüber siehe Zweifel bei Gunkel S. 20 f. 5) De primis prineipiis c. 125.
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Babylonisch-assyrisclic Religion: Kosmogonic.
die sichtbare Welt (in Wirklichkeit vielmehr das Urwasser, mummu). Aus demselben P a a r gehen hervor die Götter Aap) und Aa%6? (so zu lesen statt ¿layj], Aayog), es ist das Götterpaar Lachmu u n d L a c h a m u , ferner Kiooaoij und Hoowgog (die Götter Kisar u n d Ansar, welche der untern und obern Kegion, Erde und Himmel entsprechen), aus diesen die d r e i : Mro?, "Ikhvog und (die Trias Anu, In-lil = Bei, Ea); als der Sohn des Mo? und der Anvxij sei Brjlog geboren, den sie f ü r den Demiurgen halten. Die beiden Urprinzipien entsprechen dem O Y . O T O Q und V Ö C D Q bei Herodot, der assyr.-bab. Tiamat (Meerestiefe, hebr. tehöm) und Apsu (Abgrund). Aus den Keilinschriften ergibt sich nun, dass in Assyrien, bezw. Babylonien, woher man diese Mythen hatte (ohne dass damit ihr nichtsemitischer U r s p r u n g bewiesen wäre), verschiedene Darstellungen des Weltanfangs in Ansehen standen. Am bekanntesten ist ein solcher aus der Bibliothek Asurbanipals, von dem umfängliche Fragmente erhalten sind, die genügen, um die Verwandtschaft mit Berosus einerseits und der Bibel anderseits zu. konstatieren 1 ). In diesem babylonischen Schöpfungsepos ist d e r auch auf alten Abbildungen häufig dargestellte Kampf zwischen M a r d u k ( = Bei des Berosus) und Tiämat ( = Omorka des Bcr. als Drache-) abgebildet) einlässlich erzählt. Die letztere erscheint als Gebärerin des Alls, aus welcher zuerst die Götter h e r v o r g i n g e n : Zuerst Lachmu und Lachamu, dann Anschar und Kischar, d a n n die Trias Anu, Bei, Ea, ferner des letztern Sohn Marduk, und die übrigen Götter, namentlich auch der Feuergott Gibil. Die U r mutter Tiamat will diese Götter vertilgen, wahrscheinlich weil sie ihre Alleinherrschaft durch deren Walten gefährdet sieht. Sie sammelt um sich die f u r c h t b a r e n Götter und Geister der Finsternis, zu deren Haupt sie den Kingu erhebt, dem sie die Schicksalstafeln an die Brust h e f t e t : „Dein Befehl werde nicht gebeugt, fest stehe dein Ausspruch." Um die bedrohten Götter zu retten, s a n d t e Ansar gegen die wütende Tiamat zuerst den Gott Anu, der a b e r vor ihr erschrak und u m k e h r t e , dann mit demselben Misserfolg einen anderen Gott; endlich aber den Bei Marduk, welcher sich als Preis die Herrschaft ü b e r alle Götter ausbedingt und d a n n den furchtbaren Kampf mit dem chaotischen Ungeheuer w a g t . Er hieb den Leib der Tiamat mitten entzwei, „gleich einem Fisch", indem er aus der obern Hälfte den Himmel, aus der untern den Bau der E r d e herstellte. Er schloss die ü b e r dem Himmel wie die unter der E r d e befindlichen Wasser ab u n d sonderte so auch Festland und Meer. Besonders lesbar ist die Stelle, welche dem
1) S m i t h a . a . O . S. 61 ff. — S c h r ä d e r , KAT 2 S. 2ff. — J e n s e n , Kosmologie S. 263 ff. — G u n k e l - Z i m m e r n , Schöpfung und Chaos S. 401 ff.; Fr. D e l i t z s c h a. a. 0. S. 92 ff. 2) Vgl. die Abbildungen bei Smith a. a. 0. S. 90.
Babylonische, Kosmogonie.
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4. Tagewerk der Bibel Gen. 1, 14 ff. entspricht 1 ). Die Verwandtschaft mit diesem Bericht ist hier am offenkundigsten. Merkwürdig ist aber, dass der babylonische Bericht viel künstlicher und komplizierter ist als der biblische, indem er die Sternbilder des Tierkreises, den Nord- und Südpol, die Planeten, die verschiedenen Mondphasen namhaft macht, während die Erzählung der Genesis eine kindlich naive und primitive Weltbetrachtung zeigt, so dass sie gewiss nicht aus dem vorliegenden künstlichen Entwicklungsstadium der babylonischen Sage durch Vereinfachung geflossen ist 2 ), sondern mit dieser auf eine bedeutend ältere semitische Überlieferung zurückgeht. Die theologische Verschiedenheit zwischen beiden Darstellungen leuchtet ein und die Vergleichung dient am besten dazu, die hohe geistige und sittliche Erhabenheit des doch so kindlich naiven biblischen Schöpfungsberichts ins Licht zu setzen. Es scheint auch nicht einheitlich die ganze Schöpfung auf Bei = Marduk zurückgeführt zu sein 3 ). Doch lässt sich darüber schwer urteilen, da der Abschnitt, der von Erschaffung des Festlandes, dessen Bekleidung mit Pflanzen und der Bevölkerung der Welt mit Tieren sowie von der Erschaffung des Menschen handeln musste, noch nicht gefunden ist. Bemerkenswert ist anderseits das stark monarchische Prinzip, das in diesem Epos bei der Auszeichnung Marduks vor allen Göttern zu tage tritt. Nach der Besiegung der bösen Mächte hat er die allmächtigen Schicksalstafeln, die Kingu trug, an sich genommen. Schon vor dem Kampf huldigten ihm die Götter, damit er ihnen helfe: ,,Du bist der Höchstgeehrtc unter den grossen Göttern, dein Regiment ist ohne gleichen, dein Wort ist Anu. Von Stund an wird nicht gebeugt dein Befehl, Erhöhen und Erniedrigen sei deiner Hand Werk. Fest sei die Rede deines Mundes, unwidersetzlich dein Wort, niemand unter den Göttern soll deinen Bereich überschreiten. . . . Marduk, du, unser Rächer, dein sei das Königtum über das ganze All allzumal Dein Regiment, o Herr, habe den Vorrang unter den Göttern. Vernichten und Schaffen — sprich, so gescheh es!" Und den Schluss dieses im engern Sinn babylonischen Epos bilden Huldigungen an Bel-Marduk von Seiten der Götter und Geister wie von seinem Volke zu Babel. Erwähnt sei noch, dass J e n s e n 4 ) den Ursprung dieser Kosmogonie aus dem solaren Charakter des Marduk erklärt: Als die Frühsonne, welche siegend aus dem Ostmeer ( = tiämat) emporsteigt, ist er der Lichtbringer am Weltmorgen, der Himmel und 1) S m i t h a. a. 0. S. 68 f. — S c h r ä d e r , KAT 2 S. 15 f. — J e n s e n , Kosmol. S. 289 ff. — G u n k e l - Z i m m e r n a. a. 0. S. 414. — Friedr. Del i t z s c h a. a. 0. S. 108 f. 2) Gegen J e n s e n , welcher die vorliegenden assyrischen Texte „den Prototyp der biblischen Legenden" nennt, Kosmologie S. 304. 3) Vgl. J e n s e n , Kosmol. 292 ff. — Friedr. D e l i t z s c h a. a. 0. S. 110. 4) Kosmologie S. 307 ff.
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Babylonisch-assyrische Religion: Mythische Epen.
Erde scheidet, erst jenen, dann diese aus dem Chaos hervortreten liisst. Bekanntlich hat schon J. G. Herder 1 ) die biblische Darstellung von Gen. 1 so aufgefasst, dass der Weltanfang nach Analogie des Sonnenaufgangs dargestellt sei, wobei dann freilich die dazu wenig passende Einteilung in sechs „Tagewerke" spätere Zuthat sein müsste. In Bezug auf das Alter des besprochenen babylonisch-assyrischen Weltbildungsmythus gehen die Ansichten noch weit auseinander. Dass er Übersetzung aus einem sumerischen Text sei (Smith u. A.), wird mit starken Gründen bezweifelt 2 ), u n d S a y c e 3 ) meint sogar, es dürfte diese Version relativ späten Ursprungs sein, vielleicht nicht vor dem 7. Jahrhundert entstanden. So viel ist gewiss, dass die Juden nicht erst im babylonischen Exil diese Weisheit der Babylonier sich angeeignet haben, was u. a. jene unnatürliche Annahme der Entstehung des Primitiven aus dem Künstlichausgebildeten erforderte. Viel mehr Wahrscheinlichkeit hat es, dass Abrahams Geschlecht schon um 2000 die Grundzüge dieser altsemitischcn Überlieferung nach Westen mit sich nahm '), welche durch die Israel zuteilgewordenen Offenbarungen geläutert wurden, während sie bei den Babyloniern durch mythologische Phantasie und Gelehrsamkeit weitergebildet worden sind. Nicht anders wird es sich mit der Paradiesesgeschichte vom Fall des Menschen und ähnlichen Urgeschichten der Genesis verhalten. Dass dieselben lange vor dem Exil Eigentum der Hebräer gewesen sind, kann nicht bezweifelt werden, da sie dem jalivistischen Erzähler der Genesis angehörten. Sie stammen aber ebenfalls aus Babylonien. Zwar hat man noch keine sichere Spur von der Geschichte des Sündenfalls auf den Denkmälern gefunden 5 ). Aber das Material jener Geschichtc ist gut babylonisch: heilige Bäume, dämonische Schlange, Kerubim u. s. f. Die Lage des Paradieses hat man zwar mit Unrecht im Innern Babyloniens gesucht 6 ). Doch stehen mit jenem Gottesgarten jedenfalls dessen beide Hauptströme, Euphrat und Tigris, in Verbindung, und die gleich zu besprechenden babylonischen Sagen legen die Vermutung nahe, dass es ursprünglich in der überaus fruchtbaren Gegend am Ausgang dieser Ströme gedacht wurde. Besonders nahe berühren sich biblische und babylonische Berichte in der Schilderung einer S i n t f l u t , deren nächster Schauplatz wiederum Chaldäa, das Land der Überschwemmungen, wird gewesen sein. Dass die Babylonier diese Überlieferungen besassen, 1) J. G. H e r d e r , Älteste Urkunde des Menschengeschlechts 1774. 2) S. J e n s e n , Kosmologie S. 263 ff. 3) S a v c e , Alte Denkmäler im Lichte neuer Forschung S. 19... 4) Denkbar ist jetzt allerdings auch, dass sie diese babvl. Überlieferungen in Kanaan vorfanden, und zwar lange vor der assyr. Zeit. 5) Das Bildchen bei S m i t h , Chald. Gen. S. 87 reicht nicht hin, um deren Vorhandensein zu beweisen. 6) Friedr. D e l i t z s c h , Wo lag das Paradies? 1881.
Die grosse Flut.
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wusste man schon vor Entzifferung der Keilinschriftcn aus Berosus. Dieser berichtet 1 ): 432 000 Jahre nach dem Regierungsantritt des ersten babylonischen Königs Aloros sei dem 10. dieser Könige, X i s u t h r o s der Gott Bei im Schlafe erschienen und habe ihm geoffenbart, es werde am 15. des Monats Daesios durch ungeheure Regengüsse eine Überschwemmung des Landes erfolgen, weshalb er alle Schriften in der Sonnenstadt Sippara vergraben und für sich und seine Verwandten und Freunde ein Schiff von 9000 Fuss Länge 2 ) lind 1200 Fuss Breite erbauen soll, in welches er auch Vicrfüsser und Vögel aufzunehmen habe. Beim Eintreffen der Flut waren sie geborgen. Als die Wasser sich verliefen, liess Xisuthros zweimal Vögel ausfliegen, allein sie kehrten zurück, das zweite Mal mit Schlamm an den Füssen, das dritte Mal kehrten sie nicht wieder. Das Fahrzeug war auf einem Berge gestrandet; Xisuthros trat mit seinem Weibe, seiner Tochter und dem Baumeister des Schiffes heraus, verehrte die Erde, opferte den Göttern und verschwand mit den Seinigen. Seine Gefährten hörten nur noch seine Stimme, welche ihnen zurief, er sei zum Lohn für seine Frömmigkeit mit Weib und Tochter sowie jenem Baumeister zu den Göttern entrückt worden; sie sollten aus dein Armenierland nach Babylon zurückkehren und die vergrabenen Bücher holen. Sie befolgten die Weisung und bauten viele Städte und Tempel, insbesondere Babylon wieder auf. Vom Schiff des Xisuthros seien in den gordyäischen Bergen noch lange Überreste zu sehen gewesen. Eine genauere Darstellung ist jetzt aus den Keilinschriftcn bekannt. Dieselbe war in das 12 teilige Epos aufgenommen, welches den Heros G i l g a m e s , bisher gewöhnlich I z d u b a r oder Gi§tubar umschrieben 3 ), feiert, der wahrscheinlich dem bibl. N i i n r o d Gen. 10, 8 ff. entspricht. Er mag ein König der Vorzeit gewesen sein, berühmt wegen kühner Heldenthaten in Krieg und Jagd, wurde aber dann vergöttert und mit dem Sonnengott in Beziehung gesetzt, der sein Schutzherr war. Der Name trägt im Epos das Götterzeichen. In einem Beschwörungsgebet wird er für einen Kranken angerufen als „gewaltiger König, Richter der Erdgeister" und zu ihm gesagt: „Der Sonnengott hat Szepter und Entscheidung deiner Hand vertraut" 4 ). Auf den Sonnenheros weist wohl auch die Zwölfzahl der epischen Gedichte über ihn, die den zwölf Zeichen des Tierkreises entsprechen werden. Im 11. Stück (vgl. das Zeichen des Wassermannes?) wird ihm die Geschichte der grossen F l u t erzählt vom Helden derselben, S i t n a p i s t i m (auch Samasnapisti 1) Abyd. Fragm. 1. 2 ed. M u e l l e r . B e r o s i Fragm. 5. 2) So nach Euseb.; nach Sync. 5 Stadien = 3000 Fuss. 3) Die Lesung G i l g a m e s ist von P i n c h e s durch ein Syllabar festgestellt worden im Babylonian and Oriental Record 1890 p. 264. Vgl. auch A. J e r e m i a s , Izdubar S. 1 f. Einen babylonischen Sagenkönig Gilgamos kennt auch Aelian, Hist. anim. 12, 21. 4) J e r e m i a s , Izdubar S. 3.
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Babylonisch-assyrische Religion: Sintflut.
gelesen) oder A d r a h a s i s , was jedoch umgekehrt H a s i s a d r a scheint gelesen worden zu sein nach der bei Berosus erhaltener. Form Xisuthros. Dessen Erzählung 1 ) ist auch theologisch interessanter als die des Berosus: Auf Bels, des den gottlosen Menschen zürnenden Gottes, Rat beschliessen die Götter, den Flutsturm über die Erde kommen zu lassen. Ea, der menschenfreundliche Gott, w a r n t den Sitnapistim und heisst ihn das Rettungsschiff bauen. Beim Andringen der F l u t donnerte Ramman, Nabu und Marduk gingen voran, Ninip liess Sturm hinterdrein folgen. „Nicht sah der B r u d e r seinen Bruder, nicht wurden erkannt die Menschen im Himmel. Die Götter fürchteten sich vor dem Flutsturin, sie flüchteten, stiegen empor zum Himmel des Anu. Die Götter waren gleich Hunden . . . niedergekauert am Damm (?) des Himmels. Es schrie Istar wie eine Gebärende, es rief die hehre, die Schönstimmige: „„Dieses Volk ist wieder zu Lehm geworden was ich gebar, wo ist es? Wie Fischbrut füllt es das Meer."" Die Götter weinten mit ihr über die Anunnaki. Die Götter sassen gebeugt unter Weinen, ihre Lippen waren zusammengepresst." Die Überschwemmung, zu deren Herbeiführung die Wassergottheiten der Tiefe mit denen der Atmosphäre wetteifern, entsteht durch eine Springflut vom Meer her und gleichzeitige gewaltige Regengüsse, was auch die Meinung des biblischen Berichts ist, wie aus Gen. 7, 11; 8, 2 erhellt 2 ). Die Dauer der Flut ist im babylonischen Bericht kürzer als im biblischen, wo sie nach der kleinsten Berechnung bis zur Aussendung der Vögel 40 T a g e dauert 3 ), während im keilschriftlichen Text sie 7 T a g e zunimmt, 7 T a g e das Schiff auf dem Berge sitzt, worauf die Aussendung der Vögel (Taube, Schwalbe, Rabe) beginnt, nach welcher die Tiere herausgelassen werden und die Menschen ebenfalls aus dem Schiffe treten. Sitnapistim erzählt weiter: „Ich richtete einen Altar zu auf der Höhe des Berggipfels; je 7 Gefässe stellte ich auf; unter sie breitete ich Calmus, Cedernholz u n d Blitzkraut. Die Götter sogen ein den wohlriechenden Duft, wie Fliegen sammelten sich die Götter über den Opfernden. Als darauf die Göttin Istar herzukam (rief sie aus): „„Diese Götter! Bei meinem Halsschmuck werde ich nicht vergessen, diese T a g e werde ich erwägen, in Zukunft nicht vergessen! Die Götter mögen hinangehen an die Spende, aber Bei soll nicht hinangehen an die Spende, weil er unbesonnen gehandelt und meine Mensch]) Vgl. S m i t h , Chald. Gen. S. 222 ff. — P. H a u p t bei Schräder, K A T 2 S. 55 ff. — J e r e m i a s , Izdubar S. 32 ff. — S a y c e , Alte Denkmäler S. 31 ff. — P. H a u p t , Das babylonische Nimrodepos, Leipz. 1891. — J e n s e n , Kosmologie S. 368 ff. 2) Vielleicht auch Gen. 6, 17; 7, 6 mijjäm statt majim zu lesen nach J. D. Michaelis? — J e r e m i a s , Izdubar S. 37 f. 3) So wird gewöhnlich der jahvistische Bericht verstanden, aber mit zweifelhaftem Recht, da fraglich ist, ob die 40 T a g e Gen. 7, 17 mit den 8, 6 erwähnten identisch sein können.
Die grosse Flut.
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heit dem Gericht tiberantwortet h a t . " " Als darauf der Gott Bei herankam und das Schiff erblickte, stutzte er, von Zorn wurde er erfüllt gegen die Götter und die I g i g i : „ „ W e l c h e Seele ist entronnen? Kein Mensch soll dem Gericht e n t r i n n e n . " " Da that Ninip seinen Mund auf und sprach, sagte zu dem streitbaren Bei: „ „ W e r ausser Ea hat die Sache angerichtet? . . . " " Da that Ea seinen Mund auf und sprach zu dem streitbaren Bei: „ „ D u bist der streitbare Führer der Götter. Warum hast du so unbesonnen gehandelt, dass du einen Flutsturm erregtest? Auf den Sünder lass fallen seine Sünde, auf den Frevler lass fallen seinen Frevel. Lass dich erbitten, dass er nicht vertilgt werde Anstatt dass du einen Flutsturm erregest, mögen Löwen kommen und die Menschen vermindern; anstatt dass du einen Flutsturm erregest, möge eine Hungersnot eintreten und das Land verheeren; anstatt dass du einen Flutsturm erregest, möge der Pestgott kommen und die Menschen vermindern. Ich habe ihm nicht mitgeteilt den Beschluss der grossen Götter, einen Traum nur sandte ich Adrahasis, und er verstand den Beschluss der Götter." Da kam Bei zur Vernunft, stieg hinauf in das Innere des Schiffes, fasste meine Hand und hob mich empor, hob auch mein W e i b empor und legte ihre Hand in meine, wandte sich zu uns, trat zwischen uns und segnete uns: „ „ B i s h e r war Sitnapistim ein Mensch, jetzt soll Sitnapistim und sein W e i b gleich Göttern erhaben sein; wohnen soll Sitnapistim in der Ferne, an der Mündung der Ströme. Da entführten sie uns, an der Mündung der Ströme liessen sie uns wohnen."" W i e einen Gerechten, der bei der allgemeinen Flut gerettet wird, so kennt bekanntlich auch die biblische Überlieferung einen solchen, der ohne zu sterben, entrückt wird, nur dass dort Noah und Henoch verschiedene Personen sind, während sie hier in Xisuthros vereinigt erscheinen. Das selige Gefilde, wo er wohnen sollte, dachte man sich ostwärts an der Mündung der Ströme (Euphrat und Tigris), wo vielleicht auch die ursprüngliche L a g e des biblischen Paradieses zu suchen 1 ). Bedeutsam ist, dass auch hier in der altbabylonischen Darstellung die Flut als ein Gericht über die sündige Menschheit erscheint, also moralisch motiviert ist. Doch kontrastiert um so mehr der Zwiespalt der babylonischen Götter bei dieser Katastrophe mit der biblischen Darstellung, wo die verschiedenen Schicksalswendungen auf Entschliessungen des
1) Die ursprüngliche Meinung der Beschreibung Gen. 2 ist dann, dass dort vier Ströme zusammenkommen, nicht entspringen, was allerdings im heutigen Text nicht mehr deutlich. Es leuchtet aber ein, dass die üppigste Landschaft am untersten Stromlauf sich besser zu solchem Gottesgarten eignet, als die unwirtliche Gebirgsgegend Armeniens, wo ihr Ursprung liegt. Zu beachten ist auch, was von der Lebenspflanze, die dort zu finden, unten verlautet. Dies erinnert an den Lebensbaum im biblischen Paradies; die Skorpionwesen, die den W e g dahin ver legen, an die Kerubim Gen. 3, 24.
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Babylonisch-assyrische Religion: Gilgames.
Einen selben Gottes zurückgeführt sind, nicht zu reden von der kläglichen Mitleidenschaft, in welche die Götter bei der babylonischen Erzählung dieses Unglücks hereingezogen werden. Dass die biblischen Versionen (Jahvist und Elohist) nicht direkt aus d i e s e r babylonischen abzuleiten sind, leuchtet übrigens ein. Die G i l g a m es legenden, in deren Cyklus dieser Flutbericht als Episode eingeflochten ist, haben auch sonst religionsgeschichtliches Interesse. Smith glaubte, dieselben seien schon c. 2000 v. Chr. niedergeschrieben worden. Jedenfalls finden sich Szenen daraus schon auf altbabylonischen Siegelcylindern abgebildet, wie später in assyrischen Skulpturen. Sie stellen den Helden dar als eine riesenmässige, athletische, äusserst muskulöse Gestalt mit ausgeprägten, mannhaften Gesichtszügen, reichen Locken und üppigem Bartwuchs, wie er mit Löwe und Schlange oder einem ungeheuerlichen Stiere kämpft. Die von ihm handelnden 12 Tafeln (Bibliothek Asurbanipals) erzählen, wie dieser junge Held, dessen ursprünglicher Wohnsitz das von Feinden (Elam?) bezwungene Uruk-Erecli war, auf eigentümliche Weise einen Genossen seiner Abenteuer und Kämpfe gewann an E a b a n i (Sohn der Ea, eig. Ea bildete), einem haarigen Gesellen mit Ochsenfüssen und Ochsenschwanz und Hörnern auf dem Kopf. Dieses faunartige, mit den Tieren mehr als mit den Menschen vertraute Wesen zeigt sieh ebenso stark in seinen sinnlichen Begierden als kundig der Geheimnisse und siegreich im Kampfe mit Ungeheuern und Tyrannen. Mit diesem Kampfgenossen vereint, erschlug Gilgames den Zwingherrn Humbaba, der nach seinem Namen elamitischer König in Babylonien war, also Vertreter dieser Fremdherrschaft, von welcher in der Einleitung S. 172 die Rede war. Gilgames wird als Sieger König zu Uruk und herrscht über Gesamtbabylonien. Nun wirbt um seine Liebe die Göttin dieser Stadt, I s t a r . Sie erfährt aber von seiner Seite eine entschiedene Abweisung, obwohl sie ihm als ihrem künftigen Gemahl Reichtum und Ehre ohne Mass versprochen hat. Er hält ihr dabei vor, wie sie die zahlreichen Opfer ihrer Liebschaften stets wehrlos und unglücklich gemacht habe. Ergrimmt über die ihr widerfahrene Schmach, steigt sie zum Himmel hinauf und klagt dieselbe ihrem Vater Anu, der auf ihre Bitte einen göttlichen Stier schafft, welcher sie rächen soll. Allein Gilgames und Eabani ziehen gegen diese Bestie aus und erlegen sie, worauf sie dem Gott Samas ein Dankopfer bringen. Oft abgebildet ist die Szene, wo Eabani den Stier am Kopf und Schwanz festhält, während Gilgames ihm die Waffe in die Kehle stösst. Die darob höchlich erzürnte Istar sprach von der Stadtmauer von Uruk herab einen feierlichen Fluch über Gilgames '). Dieser Fluch 1) Dass die nachher zu besprechende Höllenfahrt der Istar hieher gehöre, da sie zum Hades hinabsteige, um dort Rächer zu linden, nachdem die himmlischen Götter ihr nicht hatten helfen wollen, wie S m i t h u. A. wollten, ist nicht wahrscheinlich, da in diesem Gedicht keinerlei
Gilgames und Eabani.
Totenkultus.
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wurde erfüllt durch ihre Mutter Anatu, welche den Gilgames mit schwerer Krankheit (Aussatz?) schlug. Sein Elend wurde vermehrt durch den plötzlichen Tod seines Gefährten Eabani. Gilgames wandert nun durch die Wüste nach jenem fernen Eiland, wo Sitnapistim, sein Ahnherr, weilt, um dort Heilung zu erlangen. Der Weg dahin ist von zwei Ungeheuern (Smith 211) bewacht, halb Skorpionen halb Menschen, welche die Sonne bei ihrem Aufgang und Untergang bewachen. Nachdem er noch zu Schiff über grosse Wasser gelangt war, fand er den Gesuchten, und dieser erzählte ihm die oben besprochene Geschichte von der grossen Flut. Dann liess er ihn, seiner Bitte entsprechend, an einen Reinigungsort fahren, wo er von seinem Aussatz völlig rein gewaschen wurde. J a er wies ihm auch die ersehnte Pflanze, eine Art Stechdorn, welche unerschöpfliche Lebenskraft gewähre. Gilgames wurde ihrer habhaft und brachte sie glücklich ins Schiff. Während er aber auf dem Rückweg durchs Land an einem Brunnen trank, entglitt sie ihm in die Tiefe, wo eine dämonische Schlange sie alsbald weghaschte. Nach Uruk zurückgekehrt, veranstaltete er aufs neue eine Trauerfeier um seinen geliebten Freund Eabani. Die Krankheit des Sonnenhelden und seine Genesung und Heimkehr wird auf die periodische Abnahme des Sonnenlichts und seine Verjüngung, in der es wiederkehrt, gehen. Auch der Gegensatz zu Istar, der sich durchs Ganze zieht, entbehrt nicht eines astralen Charakters.
5. Der Zustand nach dem Tode Der Tote wurde bei Babyloniern und Assyrern, wie das eben angeführte und manche andere Beispiele zeigen, schmerzlich beklagt unter dem Gesang von Trauerliedern und mit Begleitung von Trauennusik, sowie Verbrennung von Spezereien und Ausgiessung von Trankopfern. Auch lange Verstorbenen brachte man mit zerrissenem Gewand solche Klageopfer unter Bussgebeten und erhoffte davon eine Erleichterung ihres Schicksals. Der Leichnam wurde begraben, nicht verbrannt, und auf ein ehrenvolles Begräbnis das grösste Gewicht gelegt. Wer kein Grab erlangt, dessen Seele irrt ruhelos umher. Daher man die Leichen von Verbrechern und leidenschaftlich gehassten Feinden schändet und den Raubvögeln preisgibt. An diese Bergung des entseelten Körpers im Sehoss der Erde schliesst sich die Vorstellung an, dass die Seele Beziehung auf diese Absicht zu erkennen ist. Das Hinabfahren der Istar zur Unterwelt hat vielmehr einen astronomischen Anlass in dem Unsichtbarwerden ihres Planeten, und wohl ein psychologisches Motiv im Verlangen der Liebesgöttin nach dem verstorbenen Geliebten (Thammuz). 1) Litteratur s. bei A. J e r e m i a s , Die babylonisch-assyrischen Vorstellungen vom Leben nach dem T o d e S. 1 u. 4.
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Babylonisch-assyrische Religion: Totenwelt.
nach dem Tod in die Unterwelt hinabfahre, welche im Innern der Erde gedacht ist 1 ). Werden doch dieselben Zeichen (Ideogramme) für Grab und Unterwelt gebraucht. Das Erdinnere erscheint gemeinhin als Aufenthaltsort der abgeschiedenen Seelen, was nicht ausschliesst, dass es im fernen Osten ein Land der Seligen gibt, wie sich oben gezeigt hat. Am anschaulichsten schildert diese Unterwelt das mythologische Gedicht, welches die H ö l l e n f a h r t d e r I s t a r erzählt 2 ), welches beginnt (Übs. Jeremias): Nach dem Lande ohne Heimkehr, dem Lande . . . . Richtete Istar, die. Tochter Sin's (des Mondgottes) ihren Sinn, Nach dem Hause der Finsternis, dem Sitze IrkallaV), Nach dem Hause, dessen Betreter nicht mehr herauskommt, Nach dem Pfade, dessen Hingang' nicht zurückführt, Nach dem Hause, dessen Betreter (Bewohner) dem Lichte entrückt ist, Dem Orte, da Staub ihre Nahrung, ihre Speise Kot, Da Licht sie nicht schauen, in Finsternis wohnen, Da sie gekleidet sind wie Vögel in ein Flügelgewand, Auf Thür und Riegel Staub sich breitet. Als Istar zum Thore des Landes ohne Heimkehr gelangt war, Sprach sie zum Wächter des Thores: Wächter des Wassers, öffne dein Thor, Offne dein Thor — eintreten will ich! Wenn du nicht öffnest, ich nicht eintreten kann, Werde ich zertrümmern die Thür, den Rieg-el zerbrechen, Werde zertrümmern die Schwellen, aufreissen die Thüriliigel, Will heraufführen die Toten, dass sie essen und leben, Zu den Lebendigen sollen sich scharen die Toten.
Der Wächter meldet der Königin der Unterwelt Allatu die Ankunft ihrer Schwester Istar, welche schadenfroh die Einwilligung zu ihrem Eintritte gibt. Der Wächter spricht zu ihr: „Tritt ein, meine Herrin, Kutu (die Unterwelt) möge jauchzen, Der Palast des Landes ohne Heimkehr möge deiner Ankunft sich freuen!"
Beim ersten der sieben Thore der Unterwelt nimmt er ihr ab die grosse Krone von ihrem Haupte und antwortet auf ihre befremdete F r a g e : So sei es die Übung nach dem Willen der Gebieterin der Unterwelt; ebenso muss sie beim zweiten Thor das Geschmeide von ihren Ohren lassen, beim dritten die Kette von ihrem Nacken, beim vierten den an der Brust getragenen Schmuck, beim fünften den Gürtel mit Edelsteinen von ihren Hüften, beim sechsten die Spangen von Händen und Füssen, endlich beim siebenten die letzte Umhüllung von ihrem Leibe. Allatu ergrimmt, wie sie die Istar sieht und befiehlt ihrem Diener Namtar (Pestgott) sie zu schlagen mit Krankheit an den Augen, Hüften, Füssen, am Herzen und am Kopf. 1) Siehe das Genaueste darüber bei J e n s e n , Kosmologie S. 215 ff. 2) E. S c h r ä d e r , Die Höllenfahrt der Istar, Giessen 1874. — S m i t h - D e l i t z s c h , Chald. Genesis 198 ff. 313 ff. — A. J e r e m i a s , Vorstellungen S. 10 ff. 3) Beiname der Göttin der Unterwelt, Allatu.
Die babylonische Totenwelt.
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Allein die Oberwelt kann der Istar, die hier als Liebesgöttin erscheint, nicht entraten. Nach ihrer Fahrt in den Hades wollen Menschen und Tiere sich nicht mehr paren. Die Götter trauern um ihren Weggang. Samas klagt vor seinem Vater Sin und vor Ea. E a aber sendet ein hiezu geschaffenes Wesen Uddusunämir, dass es Istar befreie durch Beschwörung mit dem grossen göttlichen Namen und Besprengung mit dem Lebenswasser, das in der Tiefe der Totenwelt seinen wohlverwahrten Quellort hat. Die Göttin Allatu ist zwar höchlich erzürnt über diese Wendung und verwünscht den Boten Udduiuniimir, muss aber gehorchen. Istar wird mit dem Lebenswasser besprengt und kehrt aus den Thoren der Unterwelt zurück, wo sie am ersten ihr Leibgewand, am zweiten ihre Hand- und Fussspangen wiedererhält u. s. w. Der Sehluss des Gedichtes ist dunkel. Er scheint eine Aufforderung an einen um seine Schwestcr Trauernden zu enthalten: Er möge sich an Istar und ihren Jugendgeliebten Thammuz wenden mit Gebeten und Opferspenden, um die Befreiung der Verstorbenen aus der Unterwelt zu erlangen. Der Hades ist in dieser Dichtung 1 ) charakterisiert als ein ummauerter, mit festen Thoren und Riegeln verschlossener Ort 2 ). E r ist zwar reich an Eingängen, da die Menschen auf mancherlei Wegen hineinkommen, aber ohne Ausgang, da die Toten in der Regel nicht wiederkehren. Dunkel ist der Ort, weil unter der Erde gedacht; Licht und Leben sind ohnehin verwandte Vorstellungen. Schön ist dargestellt, wie beim Eingang in diese Sphäre alles und jedes Schmuckwerk und Kleid muss zurückgelassen werden. Die Insassen sind schattenhafte, schwebende Wesen, daher wie befiedert. Ihre Speise ist Staub, nach einer andern Stelle 3 ) Aas, ihr T r a n k (ebenda) stehendes WTasser, d. h. nichts ernährendes und belebendes. Sie sind an Augen und Gliedern, Haupt und Herz mit Krankheit geschlagen, d. h. die Funktionen ihrer Sinne und Gliedmassen stille gestellt. So ist es, ähnlich wie in der volkstümlichen Vorstellung der alten Hebräer vom Schcöl, eine fast ganz negative Auffassung des Daseins nach dem Tode. Das Sein der Menschen hört dabei zwar nicht auf, verdient aber kaum den Namen eines Daseins, jedenfalls nicht eines Lebens. Doch ist die Wiederherstellung des Lebens und Rückkehr der Toten in die Welt nicht schlechthin unmöglich, wie nicht nur Istars eigenes Beispiel beweist, sondern auch ihre Drohung, dass sie die Pforten zertrümmern und die Toten befreien und auf die Erde zurückkehren lassen könnte. Dass in vereinzelten Fällen solche Geister, freilich ohne wahres Leben, zurückkehren, ist auch die Voraussetzung der Magie, welche 1) Vgl. in Betreff der Bedeutung- derselben S. 222 Anm. 1. 2) Vgl. die „Pforten der Untenveit" oder des Todes bei den Hebräern Jos. 38, 10; Hiob 38, 17; Psalm 107, 18 und noch Matth. 16, 18. 3) IV R 49 Nr. 2. — H a u p t , Niinrod-Epos 16-19. Orelli, Koligionsgescliichto. 15
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Babylonisch-assyrische Religion: Totenwelt.
mit vampyrischen Totengeistern zu tliuii hat 1 ), lind der Mantik, wo, wie wir sahen, Abgeschiedene zur Konsultation heraufbeschworen w e r d e n . Es findet sieh aber auch im tiefen Grunde des Totenreichs eine Quelle des Lebenswassers, welche von den Mächten der Unterwelt ängstlich gehütet wird. Wer von den Toten dieses Wasser trinkt oder damit begossen wird, der empfängt wieder Leben wie Istar selbst. Aber nur ein gewaltiges Götterwort, insbesondere Eas, k a n n ihnen diese Wohlthat zuwenden. Lehrreich f ü r die altbabylonischen Vorstellungen vom Schicksal der Toten ist auch, was bei der Klage des Helden Gilgames um seinen verstorbenen Gefährten Eabani (12. Tafel des Epos) verlautet. J e n e r j a m m e r t d a r ü b e r , dass sein (auf eine rätselhafte Weise umgekommener) guter Freund nicht mehr das Leben gemessen könne, aber auch nicht von Ncrgal (Kriegsgott) sei weggerafft worden, in welchem Fall er mit den in der Schlacht gefallenen Helden an einem bessern Ort Aufnahme gefunden hätte, sondern der Erde, dem trostlosen Land der Finsternis, anheimgefallen sei. Durch Fürbitte sucht er zu erlangen, dass sein F r e u n d von da versetzt werde nach dem Aufenthaltsort der Seligen, die mit den Göttern wohnen, ruhend auf wonnigen Lagern und an köstlichem Mahl sich erquickend 2 ]. Allein weder Bei noch Sin vermögen diese Bitte zu gewähren. Nur Ea v e r m a g das, und dessen Sohn, der hilfreiche Gott Marduk, vermittelt es, dass Eabanis Genius oder Dämon, sein Unsterbliches, aus der Unterwelt befreit emporsteigt. Am .Schluss jenes Epos wird in einem Zwiegespräch zwischen Gilgames u n d dem aus dem öden Ort der Schatten glücklich erlösten Eabani die Seligkeit der in der Schlacht Gefallenen und ehrenhaft Begrabenen geschildert, dagegen das unglückliche Los derer beklagt, die unbestattet auf dem Felde liegen bleiben: Auf einem Ruhepolster ist gelagert, reines Wasser trinkend, Wer in der Schlacht getötet ward — du sahst es! Ja, ich sali es: Sein Vater und seine Mutter halten sein Haupt Und sein Weib [kniet] an seiner Seite. Wessen Leichnam auf dem Felde lieg't, Du sahst es! Ja, ich sah es: Dessen Seele hat nicht Kühe in der Erde. Wessen Seele keinen hat, der für sie sorgt, Du sahst es! Ja, ich sah es: Die Hefe(?) des Bechers, die Überbleibsel des 3 Essens, Was auf die Strasse geworfen ist, geniesst er ).
1) L e n o r m a n t , Magie S. 511 f. 2) Angeführt wird auch eine Stelle aus WAI ITT, 66 von L e n o r m a n t , Magie 510 f. S a y c e , Denkmäler 199, wo die Hede sei von dein Lande des silbernen Wolkengewülbes, wo Segensgüter sind zu ihrer Nahrung und süsse Lust sie zu beseligen, wo ist Einhalt des Kummers und des Jammers. Allein es ist noch zweifelhaft, ob liier überhaupt vom Zustand der Seligen die Rede. 3) A. J e r e m i a s , Izdubar S. 42 f.
Babylonische Vorstellungen vom Zustand nach dem Tode.
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Die Frage, wo jene Seligen weilen, beantwortet die Sage von Sitnapistim, welche ein Paradies an der Mündung der Ströme, im fernen Osten, auf einem Eiland jenseits der „Wasser des Todes" kennt. Doch ist die Vorstellung nicht an jenen Ort gebunden. Iis scheinen auch andere Stätten f ü r diesen Aufenthalt gegolten zu haben. Jenes Los ist immerhin nur ausnahmsweise den Irdischen beschert. Im Allgemeinen werden Grosse und Kleine, Hohe u n d Niedrige, Gute und Böse die Beute der Unterwelt. Und wenn Diogenes Laert. (de vit. philosoph., prooem.) behauptet, die Chaldäer hätten an eine schliessliche Auferstehung der Toten geglaubt, so m a g dies auf blos hypothetischer Verallgemeinerung solcher Fälle wie die angeführten beruhen. Auch die E r w a r t u n g einer Vergeltung des Guten u n d Bösen zeigt sich — trotz j e n e r Ansätze der Unterscheidung eines verschiedenen Ausgangs — wenig ausgebildet. Überhaupt blieb, wie A. J e r e m i a s richtig hervorhebt, die Vorstellung vom Jenseits mehr der Volksphantasie überlassen, als dass die systematisierende Priesterweisheit sich ihrer angenommmen hätte. Die Religionslehre der letztern w a r im Unterschied von der ägyptischen viel mehr dem Diesseits zugewandt, in welchem der Schwerpunkt aucli des geistigen und religiösen Lebens lag und f ü r welches man sich der Gunst der Götter zu vergewissern suchte.
II. Religion der Phönizier, Kanaaniter, Karthager1). Einleitung. Westwärts von den Hethitern und den Aramäern wohnten die P h ö n i z i e r , wie sie bei den Klassikern heissen, während ihr 1) Zu dieser Gruppe sind besonders zu vergleichen: G. G e s e n i u s , Scripturae Linguaeque P h o e n i c i a e M o n u m e n t a P. I—III, Lips. 1837. — C o r p u s I n s c r i p t i o n u m S e m i t i c . i r u m P. I s., Paris 1881 ss. — Friedr. M ü n t e r , Religion der Karthager, 2. Aufl., Kopenhagen 1821. — F. C. M o v e r s , D i e P h ö n i z i e r , bes. Bd. I 1841 (diese beiden Darstellungen enthalten viel Material, sind aber sonst veraltet). — 0. M e i t z e r , Gesell, der Karthager, Bd. I, Berlin 1879. — K. B. S t a r k , Gaza und die philistäische Küste, Jena 1852. — Richard P i e t s c h m a n n , Geschichte der Phönizier, Berl. 1889. — George R a w l i n s o n , History of Phoenicia, London 1889. — Graf W. B a u d i s s i n , Studien zur semit. Religionsgeschichte I. II, Leipz. 187fi. 78. — P. S c h o l z , Götzendienst und Zauberwesen bei den alten Hebräern und den benachbarten Völkern, Regensb. 1877. — Friedr. B ä t h g e n , Beiträge zur semit. Religionsgeschiclite, Berlin 1888, — Robertson S m i t h , Lectures on the Religion of the Semites, new edition, Lond. 1894. — Archäologisches bei E. R e n a n , Mission de
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Phönizier, Kanaaniter, Karthager:
Einleitung'.
semitischer Name K a n a a n lautet: „ N i e d e r l a n d " w e i l sie ursprünglich an der niedrigen phönizischen Küste Fuss gefasst hatten, ehe sie auch in die palästinischen Tliäler und Gebirge vordrangen. Schliesslich wurde der Name Kanaan auf das ganze westjordanische Paliistina übertragen. Die Bevölkerung dieses Kanaan war nach manchen Anzeichen eine stark gemischte. Sprachlich war ein semitischer Stamm (die Kmoriter?) massgebend. Die Sprache der Phönizier ist ebenfalls eine rein „semitische", vom Hebräischen, der „Sprache Kanaans", nur dialektisch unterschieden. Das Volk aber wird von der Bibel wohl mit ethnographischem, nicht bloss politischem Grund nicht zu den Semiten, sondern zu den Hamiten gerechnet. Gen. 10, 6. 15 f.; vgl. 9, 25 ft'. Nach Herodot (1, 1; 7, 89) wissen die Phönizier selber davon, dass sie vom erythräischen Meere (dem persischen Golf) nach ihrer Küste gezogen seien, womit übereinstimmt, dass nach Strabo (16, p. 766) die Bewohner der Inseln Tyros (oder Tylos) und Aradus in jenem Golf die phöniz. Städte gleichen Namens als ihre Kolonieen ausgaben und dass sie ähnliche Tempel aufzuweisen hatten wie die Phönizier -). Schon zu Anfang des i3. J a h r t a u s e n d s v. Chr. müssen sie sich am mittelländischen Meere niedergelassen haben, wenn anders nicht ganz aus der Luft gegriffen ist, was die Priester dem Herodot erzählten, dass nämlich die E r b a u u n g de:- Stadt T y r u s und ihres ilcraklestempels vor 2800 J a h r e n geschehen sei, also vielleicht 2750 v. Chr.; denn schon in frühere Zeit fällt die Gründung, der später von T y r u s überflügelten Hauptstadt S i d o n . Auch die Städte G e b a l (assyr. Gublu, ägypt. Kupnu : ! ), bei den Griechen Byblus) und A r v a d reichten ins hohe Altertum zurück. Die Phönizier haben sich von dieser Küste aus, wo eine Reihe von Buchten zur Schifffahrt einluden und das benachbarte Gebirge das beste Material für den Schiffbau lieferte, sehr bald aufs Meer hinausgewagt u n d sind die eifrigsten Seefahrer der alten Welt geworden. Im Zusammenhang damit entfaltete sich bei ihnen eine reiche städtische Kultur, wobei die einzelnen Städte in relativer Selbständigkeit sich zu Bündnissen zusammenschlössen, u n d die Phenicie, Paris 1864. — T i e l e - G e h r i c h , Gesch. der Rel. im Altert. I, 219 ff. — Fr. J e r e m i a s bei Chantepie, Religionsgesch. S. 221 ff. — Ed. M e y e r in Roschers Lex. Art. Astarte, Baal, Melqart, Moloch. — Graf B a u d i s s i n , P R E 3 Art. Astarte, Atargatis, Baal. 1) So heisst das Land nicht im Geg'ensatz zu Aram, aber wahrscheinlich zu Amor, dem Amoriterland. W. Max M ü l l e r , Asien u. s . w . 208 ff. 2) W. Max M ü l l e r , Asien u. s. w. S. 229 rät, auf Nicht-Semiten in Palästina zu verzichten, da die ägyptischen Abbildungen für ganz Syrien und Palästina, abgesehen von den Hethitern, nur den semitischen T y p u s wiedergeben. Dies hindert ihn aber nicht, bei den Philistern eine nichtsemitische Einwanderung anzunehmen, und S. 293 weist er auf die Unsicherheit jenes archäologischen Argumentes hin, da die oberägyptischen Künstler hier nicht zuverlässig seien. 3) Vgl. W. Max M ü l l e r , Asien S. 188 ff.
Die Phönizier.
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mächtigste derselben, erst Sidon, dann meist T y r u s die Oberhoheit inne hatte, oline dass es bei der engen Begrenzung der Küste und dem wenig kriegerischen Sinn der Bewohner zur Bildung einer politischen Grossmacht kam. Seine hohe Bedeutung hatte dieses Volk vielmehr als das bewegliche Bindeglied der alten Welt. Die Phönizier vermittelten zwischen Ägypten, dessen Erfindungen sie auszubeuten wussten, u n d Babylonien, dessen Kultur sie dem Westen zugänglich machten. Zwar die meisten Erfindungen, die m a n ihnen gemeinhin zuschrieb (Alphabet, Glasfabrikation u. a.), waren nicht ihre Leistung; aber ihr Verdienst bleibt es, dass sie diese Entdeckungen zum Gemeingut der Mittelmeervölker machton. Auch waren sie ebenso fleissig, geschickt und geschmackvoll in der Industrie wie rührig im H a n d e l ' ) . Die Metalle und KleidungsStoffe, die sie auf ihren Handelsfahrten eintauschten, w u r d e n in T y r u s und Sidon kunstreich verarbeitet. Aus dem fernher von Nord und West geholten Eisen bereitete man vorzügliche Waffen, aus dem afrikanischen Elfenbein kostbare Geräte. Die einheimische Purpurschnecke lieferte reichlich verwendeten Farbstoff. Noch mehr als späterhin die Araber und noch später die J u d e n waren diese Phönizier durch ihren meist zu Wasser gepflogenen Handelsv e r k e h r bei allen im Altertum zugänglichen Völkerschaften bek a n n t e und unentbehrliche Leute. Das 27. Kapitel des Propheten Ezechiel gibt uns unter dem sprechenden Bild eines grossartig ausgerüsteten Meerschiffes eine Darstellung vom Reichtum des W e l t m a r k t e s zu T y r u s , wo die Erzeugnisse und Bewohner aller Zonen zusammentrafen. Dieser Handelssinn v e r b u n d e n mit grossem Gewerbefleiss führte zur Ansammlung ungeheuern Reichtums 2 ) in den Hauptstädten und zu einem üppigen Leben der Grossen u n d Reichen, während die zahllosen Sklaven, welche zur E r w e r b u n g solcher Schätze nicht am wenigsten beitragen mussten, hart g e n u g behandelt wurden. Auch waren diese Phönizier, so wenig man ihrer entraten konnte, bei allen Völkern, mit welchen sie verkehrten, wegen ihrer vor keinem Betrug sich scheuenden Gewinnsucht und ihrer grausamen Härte v e r r u f e n 3 ) . Wie sie überall auf Menschenraub und Sklavenhandel ausgingen, zeigen z. B. Odyss. 15, 4 1 3 ff., Herodot 1, 1; vgl. Joel 4, 6 (hebr.). Verglichen mit den Ägyptern, Assyrern u n d Israeliten zeigen die Phönizier keinen idealen Zug. Sie waren und blieben nach allen Zeugnissen ein der niedrigen Sinnlichkeit ergebenes Volk. Dem entspricht ihre Religion, welche trotz aller Kultur eine abstossende Roheit behalten hat.
1) 2) auferlegt lyrischen n a r d a. 3)
Vgl. E. A r c h i n a r d , Israël et ses Voisins (Genève 1890) S. 73 ff. Dies beweisen auch die hohen Tribute, welche diesem Land werden konnten. Z. B. forderte Tiglatpilesar II von einem König 150 kikkar Gold ( = 52 Millionen Frankeil). Archia. 0 . S. 99. Vgl. z. B. Horn. Odyss. 14, 288 f.
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Phönizier, Kanaanitcr, Karthager: Einleitung.
In K a n a a n , wo die Bevölkerung zwar auch mit Vorliebe der städtischen Kultur sich zuwandte, immerhin vor ihrer Verd r ä n g u n g durch Israel den Landbau betrieb, w a r der geistige und religiöse Zustand etwas anders als in den rein phönizischen Seestädten des Nordens. Im Vergleich mit den frisch eingedrungenen Israeliten zeigten die Bewohner sich fortgeschrittener in der Bildung, Baukunst, Kriegskunst und vielem a n d e r n : sie haben daher auch nicht ermangelt, auf die israelitischen Eroberer, deren naturwüchsiger K r a f t und theokratischer Begeisterung sie erlegen waren, einen weit und nur allzu tiefgehenden Einfluss auszuüben. Wir erkennen ihre Gesittung und Religion wieder an den in Israel herrschend gewordenen Gebräuchen, welche den Charakter des durch Gottes Offenbarung am Sinai geheiligten Volkes vielfach entstellten und daher von den T r ä g e r n dieser Offenbarung lebhaft b e k ä m p f t , aber erst im Lauf der J a h r h u n d e r t e überwunden wurden. Politisch zerfielen diese Kanaaniter in viele unter einander nur lose v e r b u n d e n e Stämme, welche wie die Jebusiter meist an einem städtischen Gemeinwesen ihren Mittelpunkt hatten und monarchisch regiert waren. Vgl. das Verzeichnis von .'51 von Josua besiegten Königen Jos. 1:2, 7—24. Ein Teil derselben wird unter dem allgemeinern Namen Emoriter befasst, z. B. Jos. 10, f>. Zu unterscheiden von den Kanaanitern sind die H e t h i t e r (1 Kön. 10, 2 9 ; 2 Kön. 7, 6), von welchen S. 171 die Rede war. Aber auch die P h i l i s t e r , im Südwesten Palästinas an der Küste niedergelassen, nehmen ethnographisch eine Sonderstellung ein. Während die K a n a a n i t e r zur Zeit der israelitischen E i n w a n d e r u n g längst das Land innegehabt haben müssen, zeigen sich bei den Hebräern noch deutliche Erinnerungen an das Eindringen der Philister. Und zwar sind sie nach Deut. 2, 23; Am. 9, 7 von Kaphtor (Kreta) ausgegangen, wobei sie vielleicht ihren W e g über die ägyptische Küste nahmen, da sie Gen. 10, 13. 14 von Kasluchim (Cassiotis) hergeleitet sind. Möglicherweise sind auch zwei Einw a n d e r u n g e n zu unterscheiden. Jedenfalls lässt ihr offensives Vorgehen gegen das erstarkte Israel erkennen, dass sie noch abgehärteter u n d kriegstüchtiger waren als die Kanaaniter. Politisch hatten sie nach der Weise der letztem einen Städtebund (dazu gehörten Gaza, Asdod, Askalon, Gath, Ekron) mit monarchischer Verf a s s u n g und gemeinsamem Bundesgott. Ihre Abstammung ist zwar streitig, und man hat in ihnen schon Arier erkennen wollen. (Hitzig kombinierte ihren Namen mit dem der Pelasger.) Allein nach allem Anschein sind sie doch den Kanaanitern oder den Aramäern verwandt, als ein weiter nach Westen v o r g e d r u n g e n e r u n d dort von arischem (hellenischem) Einfluss nicht u n b e r ü h r t gebliebener Zweig 1 ). Dies bestätigt namentlich auch ihre Religion,
1) A n d e r s W. Max M ü l l e r a. a. 0 . S. 387 ff., d e r die Philister f ü r die P u r a s a t i der äg'vpt. D e n k m ä l e r hält: dieses S e e r ä u b e r v o l k a u s Süd-
Die Karthager. Vorstellungen von der Gottheit.
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welchc dieselben Grundzüge aufweist wie die phönizische, daneben auffällige Berührungen mit dem Osten (Babylonien), aber auch Beziehungen zum hellenischen Westen hatte. Die Phönizier haben aber auch bei ihren Handelsfahrten eine Menge Kolonieen an der asiatischen und afrikanischen Küste sowie auf den griechischen und italischen Inseln und Gestaden, bis über die Säulen des Herakles hinaus (Gades in Spanien, vgl. das bibl. Tarsis) angelegt, wohin sich ihre Religion verpflanzte und von wo Weihgcschenke an die heimischen Heiligtümer gesandt wurden. Die bedeutendste dieser Niederlassungen war bekanntlich K a r t h a g o , dessen vornehmste Bevölkerung sich von Tyrus herleitete, wie denn auch diese Stadt von jener durch alljährlich übersandte Opfergaben als Mutter geehrt wurde. Diese Verwandtschaft wird wie durch die semitische Sprache der Karthager, so durch ihre wesentlich phönizische Religion und Gesittung vollauf bestätigt. Die Denkmäler karthagischen Ursprungs sowie die sonstigen Nachrichten über die Religion dieses Volkes dienen daher zur Bereicherung unserer Kenntnis dieser Gruppe, ebenso aber auch zahlreiche auf Cypern, Sizilien, Sardinien und an andern von Phöniziern und Karthagern besiedelten Küsten gefundene Denksteine. Als l i t t e r a r i s c h e Q u e l l e zur Religionskunde Kanaans und Phöniziens kommt hauptsächlich das A l t e T e s t a m e n t in Betracht. Was von M e n a n d e r s aus Ephesus Schrift „Phoenicica" bei Josephus und Clemens AI. erhalten ist, bietet wenig Ausbeute. Ferner H e r o d o t , S t r a b o u. a., auch der Afrikaner Appulejus (2 Jahrh. n. Chr.).
1. Vorstellungen von der Gottheit. Was nun die R e l i g i o n der Phönizier (Karthager) und der vorisraelitischen Bewohner Kanaans anlangt, so sind sie nach der Bibel Polytheisten: sie dienten den Baalen und Astarten. Allein nähere Untersuchung zeigt, dass nicht nur am einzelnen Ort, z. B. in der einzelnen Stadtgemeinde ursprünglich Ein Hauptgott verehrt wurde, in der Regel mit seiner weiblichen Nebenfigur, die seine Ausstrahlung ist, sondern dass auch die an den einzelnen Stätten verehrten Hauptgottheiten auffällig ähnliche Züge aufweisen, so dass sie sich leicht als Vervielfältigungen eines Haupttypus, und zwar eines solaren, bezw. eines Himmelsgottes erkennen lassen. Der Umstand, dass die Gottheit bei diesen Stämmen in der Regel nicht nach einer Naturerscheinung, sondern nach ihrer Würde im allgemeinen benannt wurde als El (Gott), Baal (Herr), Adon (Gebieter) u. s. f., erleichterte es, dass die partikularen Besonderungen der Gottheit wieder zu einer einheitlichen Vorstellung zusammengefasst westkleinasien (Lvkien) und den ägäischen Inseln hätte im 11. Jahrh. die Küste Kanaans erobert, aber, weil nur eine Minderzahl der Bevölkerung bildend,5,sich dieser in Sprache und Sitte anbequemt.
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Phönizier, Kanaauiter, Karthager: Die Gottheit.
w e r d e n k o n n t e n . D a s s d i e g e l ä u f i g s t e n G ö t t e r n a m e n w i e Baal, A s t a r t e , d a n n a u c h Kamill an, D a g o n , N e b o u. a. mit d e n hei B a b y l o n i e r n u n d A s s y r e r n g e f u n d e n e n i d e n t i s c h sind, lässt sich d a r a u s e r k l ä r e n , dass d e r b a b y l o n i s c h e Einfluss auf diese L ä n d e r a m M i t t e l m c e r n a c h d e n A m a r n a b r i e f e n schon s e h r f r ü h e rnuss ein s t a r k e r g e w e s e n sein, o d e r a b e r so, dass diese B e n e n n u n g e n d e r G ö t t e r d i e s e n W e s t s e m i t e n mit den östlichen von f r ü h e r h e r g e m e i n s a m w a r e n . E i n Gott wie N e b o k a n n endlich a u c h von W e s t e n n a c h Osten g e w a n d e r t sein 1 ). Erhabenheit- u n d Sinnlichkeit- sind ü b r i g e n s bei d e r phönizisch-kanaanit-isehcn G ö t t e r a u f f a s s u n g e i g e n t ü m l i c h v e r e i n i g t , wie auch ihr K u l t u s u n t e r einem F i r n i s s von f e i n e r K u l t u r b a r b a r i s c h e Hoheit v e r r ä t . Die a l l g e m e i n s t e 2 ) u n d v e r b r e i t e t s t e B e z e i c h n u n g d e r Gottheit ist B a a l 3 ) . Da dieses W o r t auch im p r o f a n e n S p r a c h g e b r a u c h stets ü b l i c h w a r , m u s s t e seine a p p e l l a t i v c B e d e u t u n g : I n h a b e r von etwas, G e w a l t h a b e r ü b e r etwas, H e r r , stets im Bewusstsein l e b e n d i g b l e i b e n . A b e r n i c h t in d e m S i n n e b r a u c h t e die religiöse S p r a c h e d a s W o r t stets a p p e l l a t i v , dass es i m m e r eine G a t t u n g von W e s e n b e z e i c h n e t e , w i e e t w a w e n n h e b r ä i s c h e A u t o r e n von „ d e n B a a l e n " r e d e n . D a s s Baal im S i n g u l a r eigentlich n u r tun einzelnes N u m e n im U n t e r s c h i e d von a n d e r n als I n h a b e r eines b e s t i m m t e n O r t s , b e s o n d e r s e i n e r O a s e , b e z e i c h n e , wobei 111 d e m W o r t e selbst die B e s c h r ä n k t h e i t u n d V e r e i n z e l u n g dieses W e s e n s l ä g e 4 ) , ist i r r i g . V i e l m e h r ist d e r a l l u m f a s s e n d e Baal, der H i m m e l s g o t t u n d H e r r y.ar' t^oyjjv, älter als die einzelnen L o k a l g o t t h e i t e n , die seine M a n i f e s t a t i o n e n u n d Besonderungen darstellen. Als a l l g e m e i n e r u n d h ö c h s t e r Gott ( N e b e n b u h l e r v o n J a h v e l i ) licisst er h e b r ä i s c h mit Artikel h a b b a ' a l . Z w a r k o m m t 1) Dieselbe F r a g e erhebt sich in Bezug auf die südlichen Araber (Hhn.jaren), die einen mit Istar zusammenhängenden Gottesnamen Athtar haben, ebenso einen Gott Sin wie die Assyrcr. 2) Das eigentliche seniit. Wort für Gott EI findet sich zwar auch hier neben Elon oder Alon (Bäthgen S. 301). aber meist nur als Gattungsname, selten als eigentliche Benennung' Gottes in Eigennamen, wo es dann synonym mit Baal. Gen. 14, 18 steht es mit näherm Attribut f ü r den höchsten Gott, den auch ein Abraham als den seinigen anerkennen konnte. El G a b a l heisst der Sonnengott von Emesa, der analog wie Baal durch Spitzsäulen dargestellt und mit Knabenopfern verehrt wurde (Scholz, Götzendienst S. 143), welchen grausigen Dienst Kaiser Heliogabalus erneuerte (Scholz ebenda S. 189). 3) Dies die phönizisch-kanaanitische Form; syrisch Be'el; vgl. assyr. Bei (mit Ausfall des s>)- — LXX unterscheiden den babylon. Bei {Rrj). od. BrjXos) vom kanaanit. Baal, gehen aber diesen in Zusammensetzungen auch mit Bisl od. BeL In Palinyra und sonst findet sich aucli die Aussprache Bol in Zusammensetzungen, wie Aglibol, der neben Malakbel Hauptgott von Palmyra. B ä t i l g e n , Beiträge S. 84. 4) Siehe gegen diese neuerdings beliebte Meinung B a u d i s s i n , P R E 3 II, 325 f. Derselbe deutet S. 340 an, dass man einen Zusammenhang des phönizischen Baal mit dem babylonischen Bei (in seiner doppelten Gestalt) schwerlich abzuweisen berechtigt ist. Für einen solchen spricht schon die hüben und drüben wohlbekannte Astarte.
Baal.
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er auf den Inschriften nicht ohne näheres Attribut oder Genetiv vor. Allein die zahllosen mit Baal zusammengesetzten Personenn a m e n 1 ) beweisen, dass dieses Wort f ü r sich allein genügte, um eine bestimmte Gottheit zu bezeichnen, und zwar k a n n bei der Allgemeinheit des Ausdrucks nicht ein einzelner Baal neben andern gemeint sein, sondern eben nur der Baal schlechthin, den man über den einzelnen Besonderungen nicht aus dem Bewusstsein verloren hatte. Formell sind diese Namenbildungen nicht a n d e r s zu erklären, als wenn ein Israelit seinen Sohn Ischba'al 2 ) nannte, indem er mit „dem H e r r n " eben J a h v e h meinte, d e r in älterer Zeit unverfänglich ba'ali „mein H e r r " angerufen w u r d e 3 ) , so gut wie a d ö n a j „mein Gebieter", bis der Gebrauch dieses Namens wegen der leicht möglichen Beziehung auf den ganz a n d e r s gearteten Gott der Kanaaniter verdächtig wurde. Eben um seiner ursprünglichen und nie ganz vergessenen Allgemeinheit willen konnte der vorzugsweise mit dem Namen Baal bezeichnete Gott der Phönizier und Kanaaniter sich aufs mannigfaltigste besondern, wie denn auch die Griechen ihn mit den verschiedensten Namen wiedergeben. Manche Neuere haben in ihm einen ursprünglichen Sonnengott gesehen (J. G. Müller, Schräder u. A.). Allein jedenfalls mit Kecht findet Schlottmann, ohne den solaren Charakter zu bestreiten, in ihm die vielgestaltige erzeugende N a t u r k r a f t , welche sich in den solaren Erscheinungen nicht erschöpft. Und es d ü r f t e mindestens ebenso richtig u n d seinem ursprünglichen Wesen entsprechender sein, wenn man ihn als I l i n n n e l s g o t t bezeichnet. So lässt ihn noch das phönizische Epitheton erkennen B a a l S a m e r n , B e e l a d ^ v (bei Sanchuniathon) = xvgtog ovgavov (Philo Byblius). Eine phönizische Grabinschrift' 1 ) beginnt DSU) bsab dem Gebieter, dem „Herrn des Himmels" ; eine sardinische Yotivtafel ebenso, a b e r mit kontrahierter F o r m L e bassamcm 5 ). Die palmyrenischen Inschriften geben die Form J212 baal samin 6 ). Augustin bezeugt als bei den Puniern geläufigen Gottesnamen baal samen 7 ), und in der T h a t schwört bei Plautus Poen. 5, 2. 67 der Punicr Hanno „gune bal s a m e m " , bei der Hoheit (^li«) des Himmelsbaals. Verwandt mit dieser Ben e n n u n g ist die des Baal räm, des erhabenen B. auf neuphönizischen
1) Z. B. Baaljathon oder Baliton, Baal spendet; Baalsama, B. erhört; Baaläamar, B. behütet; Asaibal = Asrubal = Asdrubal, Hilfe Baals; Inibai, A u g e Baals oder: mein A u g e ist Baal? u. s. f. S. ein Verzeichnis bei S c h o l z , Götzend. S. 168 ff. Geradeso bildeten die Babylonier Eigennamen mit ihrem obersten Gotte Bei. Auch Baal konnte demnach zum Eigennamen (des Hauptg'ottes) werden. 2) 1 Chron. 8, 33. 3) Hos. 2, 18 f. 4) CIS I, p. 30. 5) CIS I, p. 183. 6) d e V o g ü e , Syrie Centrale I Nr. 16 u. 73. 7) Quaest. 16 in Jud.
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Phönizier, Kanaanitor, Karthager: Die Gottheit.
Inschriften 1 ). Auch der Höhenkultus der Phönizier und Kanaaniter führt, wie wir sehen werden, auf eine himmlische Gottheit. Als Himmelsgott aber wurde der Baal namentlich in der s o l a r e n Gestalt geschaut, auf welche bestimmter andere Epitheta weisen. So heisst er B a a l c h a m m ä n fEn -J>a unzähligemal auf karthagischen und auch sonst auf nordafrikanischen, maltesischen und sizilianischen Inschriften; d. i. der Glut ausstrahlende, Baal solaris 2 ). Die judäischen chammänim, Sonnensäulen (Jes. 17, 8 u. sonst), vielleicht den ägyptischen Obelisken ähnlich, sind Embleme dieses Gottes wie die Äscheren solche der Astarte. Eine eigentliche Abbildung desselben findet sich z. B. über einer afrikanischen Inschrift 3 ), wo er als männliche Gestalt mit Strahlen um das Haupt dargestellt und ausserdem weiter oben die Sonnenscheibe mit menschlichem Gesicht angebracht ist 4 ). Die ausgebreiteten Arme halten zwei grünende Bäumchen. Bei einer andern ebenfalls dieser Gottheit geweihten Inschrift 5 ) ist eine ähnliche Gestalt zu sehen, deren Arme in eine riesige Weintraube und in einen Granatapfel auslaufen, wodurch sie ebenfalls als Spenderin des fruchtbaren Wachstums, das ihre Strahlen hervorrufen, gekennzeichnet ist. Die Wohlthätigkeit des Gottes wird auch durch die vielen Inschriften bezeugt, welche für empfangene Wohlthaten danken oder seine Segnungen erflehen. Dass der im benachbarten Baalbek (griech. Heliopolis) verehrte Baal Sonnengott war, ist unzweifelhaft; nur stammen allerdings die Nachrichten über sein dortiges Heiligtum aus sehr später Zeit. Mit dieser Verehrung des Baal als Sonnengottes wird es zusammenhängen, dass die Zarthager und auch die Tyrier zu Zeiten den Apollodienst bei sich aufnahmen. Höchst wahrscheinlich haben sie eben in dem griechischen Sonnengott nur eine nationale Modifikation ihres eigenen Gottes erkannt. Z. B. haben die Karthager aus Gela (Sizilien) eine kolossale Apollostatue entführt und sie den Tyriern als Trophäe geschickt, welche dieselbe im Tempel ihres Hauptgottes Herakles, d. i. Melkart (der dem Baal Chamman entspricht) aufstellten, dann aber während der Belagerung der Stadt durch Alexander, da sich das Gerede bildete, der Apollo wolle die Stadt verlassen, mit einer goldenen Kette an den Altar des
1) S c h o l z , Götzendienst S. 139. Dieses Baal-räm erscheint auch als Personenname. S. ebenda S. 168.2) G e s e n i u s , Monum. p. 170 ss., wo jedoch die Kombination mit dem äg.vpt. Amon, die bei ungenauer Schreibung des chammän nahelag, abzuweisen. Dass dieser Gott nicht von der S o n n e n s ä u l c , sondern diese nach ihm benannt ist, leuchtet ein. Die Säule strahlte keine Wärme aus, hiess also nach dem Gotte chammän. 3) G e s e n i u s ebenda tab. 21. 4) Auch in Phönizien fand R e n a n eine Säule mit dem Bild des Baal, von dessen Haupt Strahlen ausgehen (Mission en Phcnicie p. 92 tab. 32 Nr. 2). 5 ) j G e s e n i u s a. a. 0. Numid. IV, tab. 23.
Baal.
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Herakles fesselten 1 ). — F e r n e r weiss Cicero 2 ) von einer aus Agrigent durch die K a r t h a g e r g e r a u b ' e n , von Myron verfertigten Apollostatue. — Bei der Zerstörung Karthagos durch die Römer wurde eine solche (aber schwerlich dieselbe!) Kolossalstatue des „Apollo" von 1000 Talenten Goldes Gewicht durch die Truppen zertrümmert 3 ). Eine damals erbeutete Apollostatue wurde von den Siegern in Rom g e g e n ü b e r dem Circus aufgestellt* 1 ). Doch f r a g t sich in Bezug auf die letztern Fälle, ob es sich wirklich um Bilder des griechischen oder eines karthagischen Gottes handelt, dem die Ausländer diesen Namen gaben 5 ). So verhält sichs gewiss mit dem Apollo von Utica, dessen Tempel die Phönizier nach Plinius") schon 1178 J a h r e vor seiner Zeit gebaut haben sollen. An Apollo, welchem die Fliege heilig war, erinnert auch B a a l - z e b ü b , d. i. der Fliegenbaal bei den Philistern zu Ekron 2 Kön. 1, 2. 3. 16. Er heisst so als der sommerliche Sonnengott, dem dieses Tier heilig ist, während der Gedanke an die Abwehr der Fliegen (vgl. Zeus äjiofivtog) sekundär sein wird. Jedenfalls war er Orakelgott, u n d wahrscheinlich wurden seine Vorzeichen aus dem Benehmen der Fliegen erschlossen. Dass er auch Heilgott war, lässt sich aus dem an obiger Stelle erzählten Fall nicht sicher folgern, doch ist es nicht unwahrscheinlich. Von den rabbinischen J u d e n w u r d e später aus diesem Gott der schlimmste der Dämonen gemacht 7 ) und zugleich sein Name in B e c l - z e b u l umgelautet, was den Mistgott bedeutet, wenn die Verwandlung des b in 1 nicht blos der lautlichen Erleichterung zu liebe geschehen ist. Nach seiner sozialen und politischen Seite heisst der Gott bei den Kanaanitern, von denen ihn die Sichemiten in der Richterzeit übernommen hatten, B a a l - b e r i t h Rieht. 8, 3 3 ; 9, 4 vgl. Vs. 46 El-berith. Damit wird nicht sein Bundesverhältnis zum Volke, sondern sein schirmendes Verhalten zum Bund der Menschen unter einander a u s g e d r ü c k t 8 ) . Er ist der Schutzgott eines kanaanit.ischen Städtebundes, einer Eidgenossenschaft, vielleicht auch „der Gott, bei welchem Verträge geschlossen oder Vertragsopfer gebracht werden" (Nöldeke ZDMG 42, 478). — Der Ortsname B a a l - g a d 9 ) lässt auf einen Glücksbaal schliessen, der dort am Fusse des H c n n o n verehrt worden wäre 1 0 ). Dagegen B a a l - t a m a r (Rieht. 1) Gurtius 4, 15; Plutarch, Vita Alexandri M. c. 24. 2) Cicero in Verr. 4 8 93. 3) Appian. Pun. c. 127. 4) Plutarch, Titus c. 1. 5) Vgl. J. H. M o r d t m a n n , ZDMG 32, 552 ff. ß) Plinius, Hist. nat. 16, 79. 7) Einen sprachlichen Erklärungsversuch dafür gibt R i e h r n im Bibl. Hdwb. Art. Beelzebub. 8) Vgl. B a u d i s s i n , P R E 3 II, 334. 9) Jos. 11, 17; 12, 7; 13, 5. 10) V°'l. den Glücksgott Jes. 65, 11 und die syrische Gad-Tyche ZDMG 31, 99. Siehe unten J3. 253.
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Phönizier, Kanaaniter, Karthager: Die Gottheit.
20, 33) „Palmcnbaal" erinnert an das oben über die befruchtende Wirksamkeit des Gottes Gesagte. Eine Abart des Gottes wurde unter dem Namen B a a l P e f t r auf moabitischcm Gebiet mit wollüstigem Kultus verehrt, an dem sich die Israeliten schon in frühester Zeit beteiligten 1 ). Steht auch Num. 25, 2 nicht ausdrücklich, dass bei der Festfeier dieses Baal der unzüchtige U m g a n g sei gepflogen worden, so kann doch, da die Moabiterinnen ihre lüsternen Buhlen dazu einladen, kaum ein Zweifel sein, dass dies die Meinung ist 2 ). Dagegen ist nicht nachzuweisen, dass dieser sinnliche und unsittliche Kultus im Namen Peör a u s g e d r ü c k t sei, den die liabbinen „Entblössung" u. dgl. deuten wollten. Es scheint dieser Baalskult einer bestimmten Gegend eigen gewesen zu sein, wo das Gebirge Peör u n d der Ort Beth Peör lagen. Beide sind wohl nach dem Gotte benannt, doch könnte beim Berge auch das umgekehrte der Fall sein. Auch bei andern Ortsnamen kann man im Zweifel sein, ob eine Spezialität des Gottes dem Ort oder oh der Ortsname dem (¡Ott die Spezialbenennung gegeben hat: Baal-IIamon, B. Chazor, B. Salisa, B. Perazim, B. Meön u. s. w. Doch ist hier meist letzteres anzunehmen. Anders verhält sichs mit B a a l Z e p h ö n oder Zaphon, dessen Heiligtümer weit auseinander liegen. Vgl. den Ort am roten Meer Ex. 14, 2 mit dem im Stamme Gad Jos. 13, 27 und dem karthagischen Personennamen "O^Tai', Diener des Zaphon 3 ). Mit dem griechischen Namen Typhon ist es schwerlich identisch, wie Kenan meinte. Eher bedeutet es den Baal des Nordens, der auf dem Götterberg im äussersten Norden (Jes. 14, 13) seinen Sitz hat (Bäthgen). Da diese an sich allgemeine und vielseitige Gottheit, welche man Baal nannte, sich örtlich und qualifikativ so mannigfach besonderte, erklärt sich leicht, wie von einer wirklichen Mehrheit von Baalen gesprochen werden konnte, was natürlich nicht leicht im Kultus, aber um so häutiger von Seiten der F r e m d e n (hier der Hebräer) geschah. Man hat mit innerm Kecht die verschiedenen Marien mit ihren lokalen Attributen im römischen Kultus verglichen' 1 ). Der Baal von T y r u s führte speziell den Namen M e l k a r t , d. i. melek kereth, König der Stadt, offenbar eigentlich ein Beiname, der seine politische Bedeutung aussprach. Ihm galten jene Huldigungen der Karthager. Wie das Königshaus von T y r u s , so rühmten sieh die vornehmsten Familien Karthagos von ihm abzu1) Nutn. 25, 3. 5; 31, IC; Deut. 4, 3; Jos. 22, 17. 2) Anders K a u t z s e h , Die Ächtheit der lnoabitisclien Altertümer, 1876, S. 74 f. Analog- ist aber das Hos. 4, 14 gezeichnete Treiben. 3) CIS I, p. 342; vgl. 127 f. 4) R e n a n vergleicht auch mit den verschiedenen Tempeln, welche die unterschiedenen Baale oder Astarten in derselben Stadt haben konnten, die Pariser Kirchen Notre Dame des Victoires, Notre Dame de Bonne Nouvelle etc.
Melkart.
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stammen 1 ). Zwei maltesische Stelen 2 ) sind geweiht n i p ' i ü r 'jsiiib I S bi>3 „unserm Gebieter, dem Melkart, dem Baal von T y r u s " . Dem entspricht in der darunterstehenden griechischen W i d m u n g : ' H o n y . X e t 'igyrjyhet. Auch Philo Bybl. identifiziert den tvrisehen Melkart ausdrücklich mit Herakles 3 ). Da letzterer Sonnengott ist, bestätigt sich auch von dieser Seite der solare Charakter des tyrischen Melkart, mit welchem man übrigens nach dem oben (S. 234 f.) Gesagten auch den Apollo v e r w a n d t ansah. F e r n e r ist zu beachten, dass nach M c n a n d e r ' ) der König Hiram von T y r u s (Zeitgenosse Salomos) angefangen h a b e , die Auferstehung des Herakles in einem bestimmten Monat zu feiern. Das geht auf die Neubelebung der bis zur Wintersonnenwende abgestorbenen Sonne. Die Selbstv e r b r e n n u n g des Herakles wurde durch Scheiterhaufen symbolisch dargestellt. J e n e r König Amilkas, der nach Herodot 7, 1G7 sich auf einem Scheiterhaufen v e r b r a n n t e und dem die Karthager opferten, scheint der historisierte Melkart zu sein. Dass man diesen auch dort verehrte, zeigen die vielen mit diesem Gott zusammengesetzten karthagischen Personennamen, wie Abdmelkart, Germelkart (Schützling des M.), Hamilkar, Himilkar ( = m p b a TIN, Bruder, Freund des M.) 5 ). Derselben Gottheit galten anderweitige pliönizische Tempel des „Herakles", z. B. ein solcher auf Thasos im ägäischen Meer. Der thasischo Herakles kehrte, wohl etwas gräzisiert, wieder nach T y r u s zurück u n d erhielt dort einen besondern Tempel' 1 ). Auch zu Gades hatten die Phönizier ihrem Herakles-Melkart ein berühmtes Heiligtum g e b a u t ; ebenso wurde er verehrt in Tarsus, auf Sizilien (Heraklea = Rus Melkart, Vorgebirge des M.), Malta und anderswo. Abgebildet ist er auf Münzen von Gades mit jugendlichem männlichem Kopf und den Abzeichen der Keule u n d Löwenhaut. Seine Embleme im Kultus sind zwei Säulen. Im Haupttempel zu T y r u s waren dieselben, nach der angegebenen Stelle bei Herodot, von Gold und S m a r a g d . Dass der himmlische Sonnengott auch das Meer beherrschend, j a darin wohnend gedacht wurde, s. Baudissin, Studien II, 174 f. — U e b r i g e n s kommt bei den Phöniziern auch das einfache milk, König, als Benennung Gottes vor u n d steht in diesem Sinn in manchen Eigennamen 7 ). Die Bedeutung ist analog wie bei Baal zu erklären. Sie hat sich dann zu der einer bestimmteren Stammgottheit verdichtet, z. B. bei den Ammonitern, die ihren Gott nach dem Alten Testament Milkom oder Molek nannten, wobei aber die letztere Vokalisation wohl Zuthat der Schriftgelehrten ist, welche auf boschet
1) 2) 3) 4) 5) 6) 7)
Virgil, A e n . 1, 729; Silius Italicus, P u n i c a 1, 87. CIS I p. 151 s. Vgl. a u c h H e r o d o t 2, 44; 2 Makkali. 4, 19 f.; Diodor, Sic. 20, 14. Bei Josephus, Ant. 8, 5, 3. S. S c h o l z , Götzendienst S. 200 f.; B ä t h g e n , Beiträge S. 21. Herodot 2, 44. Vgl. B ä t h g e n , B e i t r ä g e S. 37 ft".
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Phönizier, Kanaaniter, Karthager: Die Gottheit.
( S c h a n d e ) h i n w e i s e n wollten. Vielleicht hiess d e r ammonitische Gott a u c h e i n f a c h h a m m e l e k , o d e r m e l e k , v g l . Zeph. 1 , 5 . Die I d e e des E r s t e r b e n s u n d W i e d e r a u f l e b e n s d e r göttlichen N a t u r k r a f t p r ä g t sich n a m e n t l i c h a u c h im A d o n i s m y t h u s aus. Die g r i e c h i s c h e n u n d r ö m i s c h e n A u t o r e n k e n n e n e i n e n phönizischen Gott A d o n i s. Dieses A d o n ist g a n z ähnlich wie Baal eigentlich Appellativ, d e n H e r r n u n d G e b i e t e r b e z e i c h n e n d , d a h e r bèi den H e b r ä e r n stets u n b e d e n k l i c h z u r U m s c h r e i b u n g von J a l i v e h g e b r a u c h t . Bei d e n P h ö n i z i e r n v e r d i c h t e t e sich die V o r s t e l l u n g z u d e r eines b e s t i m m t e n Gottes, w ä h r e n d es i m G r u n d eine b e s t i m m t e Erschein u n g s f o r m d e r a l l g e m e i n e n Gottheit (Baal) ist. So w u r d e Adon o d e r A d o n i (griech. "Aöcovig) ein n o m e n p r o p r i u m f ü r einen von Baal, M e l k a r t u . s. f. u n t e r s c h i e d e n e n Gott. L o k a l ist die phönizisclie S t a d t B y b l u s (Gebäl) d e r S t a m m s i t z des A d o n i s k u l t u s , v o n wo er n a m e n t lich a u c h , n a c h C y p e r n ü b e r g i n g 1 ) . E r v e r e i n i g t in sich Schönheit, J u g e n d k r a f t u n d Minne, w i r d a b e r v o n e i n e m f e i n d l i c h e n E b e r getötet u n d von d e n W e i b e r n b e w e i n t 2 ) . E r stellt also d a s u n t e r widerw ä r t i g e n Einflüssen e r s t e r b e n d e ü p p i g e göttliche N a t u r l e b e n d a r , d a s sich ü b r i g e n s w i e d e r v e r j ü n g t . Die F r a g e , ob u r s p r ü n g l i c h d a s a b n e h m e n d e S o n n e n l i c h t o d e r die v e r s c h m a c h t e n d e V e g e t a t i o n diese I d e e n a h e l e g t e , ist m i t B a u d i s s i n 3 ) im e r s t e m S i n n e z u - b e u r t e i l e n . Doch t r a t (ähnlich wie in Ä g y p t e n ) m i t d e r Zeit m e h r die l e t z t e r e V o r s t e l l u n g in d e n V o r d e r g r u n d , w e l c h e n a m e n t l i c h bei d e n Griec h e n v o r h e r r s c h t e . U m d e r i n n e r n V e r w a n d t s c h a f t d e r I d e e willen v e r s c h m o l z d e r phönizische A d o n i s m y t h u s u n d - k u l t u s sich m i t d e r Zeit einerseits m i t d e m gleichfalls n a c h V o r d e r a s i e n v o r g e d r u n g e n e n 4 ) T h a m m u z - D i e n s t u n d a n d e r s e i t s m i t d e m des ä g y p t i s c h e n Osiris, d e r j a n a c h d e r j u n g e n Gestalt des M y t h u s als L e i c h e e b e n nach der phönizischen Stadt Byblus gekommen u n d dort von der k l a g e n d e n Isis g e f u n d e n w o r d e n sein soll. Mit A d o n i s v e r w a n d t , g e w i s s e r m a s s e n ein D o p p e l g ä n g e r v o n ihm, ist E s m u n , d e r Heilgott, w e l c h e r die v e r j ü n g e n d e L e b e n s k r a f t d a r s t e l l t . I n d e r grossen S a r k o p h a g i n s c h r i f t 5 ) des K ö n i g s v o n Sidon, E s c h m u n a z a r (d. i. E s c h m u n h a t geholfen), b e r i c h t e t dieser, d a s s e r m i t s e i n e r Mutter A m m a s t a r t d e m Baal, d e r A s t a r t e u n d dem Eschmun Tempel errichtet habe. Auch andere Phönizier b e n a n n t e n sich n a c h d i e s e m Gott, d e r w i e in Sidon n a m e n t l i c h a u c h in B e r y t o s v e r e h r t w a r . W e g e n s e i n e r H e i l k r a f t , w e l c h e die 1) Vgl. über die N a m e n s f o r m ' B a t h g e n , Beiträge S. 42 ff. und über die Adonismythen, die uns nur in gräzisierter Form erhalten sind, S c h o l z , Götzendienst S. 218 ff. 2) L a m p r i d i u s , Heliog. 7: Salambonam etiam omni planctu et jactatione Syriaci cultus exhibuit, geht auf das zum Beweinen ausgestellte Adonisbild. Salambo oder Salambas ist - -V« abs, Bildnis des Baal. Robertson S m i t h a. a. 0 . S. 412. 3) B a u d i s s i n , Studien II S. 188. 4) Vgl. Ezech. 8, 14. 5) C1S I p. 13 ss. Siehe dort die Litteratur zu dieser Inschrift p. 12.
Esmun. Reseph.
Astarte.
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Kranken anriefen, nennen ihn die griechischen Inschriften Asklepios, die lateinischen Aesculap 1 ). Auch er wurde in Karthago, auf Cypern und in anderen Kolonieen verehrt, wo er ebenfalls in zahlreichen Eigennamen begegnet wie Abdeschmun, Eschmunsillek (E. lässt frei ausgehen) u. s. f. 2 ). In Karthago, wo er einen berühmten Tempel hatte, war er besonders angesehen. Der Gott R e s e p h , dessen Name in Personalbenennungen auf Oypern vorkommt und auf einer Inschrift aus Citium 3 ) Reseph Chez lieisst, R. mit dem Pfeile, ist nach der hebräischen Bedeutung des Wortes sp~) (Flamme) zu schliessen, Blitzgott, Gewittergott. Er kommt auch in Ägypten vor in der Form Raspu und ist dort als asiatischer Gott abgebildet 1 ). Nach Ed. Meyer 5 ) wäre er wie die Göttin Anath (s. unten) hcthitischer Gott gewesen und diesem feindlichen Volk von den Ägyptern zur Zeit der 18. und 19. Dynastie entlehnt worden. Der anscheinend semitische Name ist jedoch diesem Ursprung nicht günstig. Die Gottheit spiegelt sich nun aber bei diesen Völkern regelmässig in einem weiblichen Gcgenbilde wieder. Der am nächsten liegende Name B a a l a t , welcher bei den Assyrern so gangbar geworden (Bilit, Beltis) wird seltener dafür gebraucht. Immerhin lieisst auf der Inschrift eines Königs von Gebal 6) die Göttin von Gebal (Byblus) Sic n die Herrin, die Baalat von Gebal". buhlte mit Adonis-Thammuz 7 ) und wurde als Liebesgöttin mit Unzucht gefeiert nach Lucian (de dea Syr. c. 6), der von einem grossen Heiligtum dieser 3 'Acpgoöin] BvßXir] weiss. —• Hie und da kommt auch eine M i l k a t als weibliche Ableitung von milk vor 8 ). Der gewöhnliche, bei all diesen Völkern verbreitete Name der Göttin ist jedoch A s t a r t e 9 ) , lautlich und auch dem Wesen des Numens nach der assyrischen Istar entsprechend. Nur ist auch sie, dem vielgestaltigen Baal analog, eine dea multiforxnis (Appulejus). Denn auch das weibliche Götterwesen hat sich lokal und nach sonstigen Attributen mannigfach besondert. In der Regel List es das weiblich empfangende, fruchtbare Prinzip wie Baal das männlich befruchtende. Und wie Baal in der Sonne seine vornehmste Erscheinung hat, so ist bei diesen vorderasiatischen Völkern Astarte meist lunaren Charakters 10), indem dem Monde ein starker Einfluss 1) CIS I p. 188. 2) Vgl. B ä t h g e n , B e i t r ä g e S. 45 f. 3) CIS I p. 36 ff. 4) Vgl. die A b b i l d u n g e n e b e n d a p. 38 und o b e n S. 150. 5) ZDMG 31, 719. Vgl. a u c h ZDMG 32, 557. 6) CIS I p. 1 ss. 7) Vgl. B a u d i s s i n , Studien I, 301 f. 8) B ä t h g e n , B e i t r ä g e S. 40. 9) D i e s die phönizische Aussprache. Im AT. liest m a n 'aschtoret, ob mit Recht? Vgl. B a u d i s s i n , PKE 8 II, 149. 10) So überhaupt in Vorderasien. A u c h die „Himmelskönigin", welche abgöttische F r a u e n der Israeliten v e r e h r t e n , w a r Mondgöttin. S. m e i n e n Komm, zu Jer. 7, 18 u n d 44, 17.
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Phönizier, Kanaaniter, K a r t h a g e r : Göttinnen.
auf die F r u c h t b a r k e i t zugesprochen wurde, während wir bei den Babyloniern und Assyrern diese Göttin stets mit dem Planeten Venus verbunden fanden. Sie wurde als Göttin der animalen F r u c h t b a r k e i t in Kanaan mit Kuhhörnern dargestellt 1 ) (vgl. IsisHathor), was sich bei einer lunaren Göttin um so besser begreift — während Baal-Moloch in Stiergcstalt oder mit Stierkopf symbolisch erscheint. Sie heisst 1 Kön. 11, 5. 8 3 ; 2 Kön. 23, 13 Göttin der Sidonier, d. h. Phönizier. Gerade in Sidon aber w a r sie die. Ilauptgöttin und Schutzgöttin der Stadt. Die Inschrift Eschmunazars berichtet, dass dieser König von Sidon und seine Mutter, welche Ammastart (Magd der Astarte) hiess, dieser Göttin einen Tempel gebaut haben. Mehrere sidonisehc Könige führen den Namen Abdastart (Bodastart), Verehrer der A. Ähnlich war es in T y r u s , wo immerhin Mclkart den Vorrang hatte. Z. B. war der Vater der israelitischen Königin Isebel, Ithobal, ein Priester der Astarte zu T y r u s 2 ) . Auch in Karthago genoss sie V e r e h r u n g ; dort dominierte jedoch die Göttin Tanit (s. unten). Besonders m e r k w ü r d i g ist, dass ein sidonischer Tempel der Astarte mit dem Zunamen bsn DU3, Name des Baal, geweiht war 3 ). Darin spricht sich das Bewusstsein wesentlicher Einheit dieser beiden Gottheiten aus, so zwar, dass die Göttin das sekundäre ist, eine Offenbarungsform, in welcher die Gottheit (Baal) den Menschen näher tritt. Die so häufige, auch in Israel bekannte Unterscheid u n g einer unnahbaren, verborgenen und einer offenbaren Gottheit, welche beide verwandt, ja im Grunde Eins sind, findet sich hier in geschlechtlicher Form. (ranz ähnlich heisst Tanit „Angesicht des Baal", wie wir sehen werden. Baal und Astarte wurden auch sehr häufig auf Einem Altar verehrt. Ihr Symbol heisst A s c h e r a u n d ist ein aufgerichteter Baum, entweder mit frischen Zweigen, nach Art der Pfingstmaien, oder kahl u n d d ü r r e geworden. Diese Äscheren werden von vielen (z. B. Archinard) als phallische Symbole der Liebesgöttin angesehen. Wahrscheinlicher stellen sie, wie die grünen Bäume, unter denen man am liebsten Altäre errichtete, das göttliche Naturleben dar 4 ). Aschera kommt im A. T. aber auch als Wechselname der Göttin Astarte selbst vor 5 ). Dass dies nicht auf Irrtum beruht, wie man behauptet hat, sondern das Wort eigentlich Benennung einer verwandten Göttin ist (ganz analog wie jenes chammän), geht aus den Monu1) Vgl. den Ortsnamen 'Asteroth karnajim, (Ort der) z w e i g e hörnte(n) A. Gen. 14, 5, n a c h Deut. 1, 4 in Basan. 2) Vgl. Josephus contra Apion. 1, 18 mit Ant. 8, 13, 2. 3) Nach der Esehmunazarinschrift CIS I, p. 18. G e g e n D i l l m a n n , der lesen will: „Himmelsastarte des Baal", siehe B a t I l g e n , B e i t r ä g e S. 267. 4) Vgl. Robertson S m i t h , Rel. of the Semites, 1894, S. 456 f. 5) Siehe 2 Kön. 23, 4; 1 Kön. 15, 13; 2 Chron. 15, 16 und die allerdings a n g e f o c h t e n e Stelle 1 Kön. 18, 19.
Astarte.
Anath.
Tanit.
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menten hervor 1 ). Dagegen war es verfehlt, wenn man in Aschera im Unterschied von der gestrengen jungfräulichen Astarte die holde Liebesgöttin erkennen wollte. Diese Doppelseitigkeit ist zwar bei diesen Völkern auch vorhanden, entspricht a b e r keineswegs dem Gebrauch j e n e r beiden Nainen. W i e Baal-Melkart (Herakles) einerseits huldvolle, hilfreiche, lebenspendende Gottheit ist und auf der andern Seite gefürchtet und mit blutigen Opfern versöhnt wird, so lässt der Kultus der Astarte bald eine mannhafte oder jungfräuliche, kriegerische Gottheit erkennen, bald die der Lust und Liebe. In der Bibel ist oft im Plural von Astarten die Rede — vorausgesetzt, dass es nicht pluralis eminentiae sein soll 2 ) — , was ganz analog zu erklären wie der Plural be'älim, nämlich aus den örtlichen und qualitativen Besonderungen der weiblichen Gottheit, während die „Äscheren" auf die symbolischen Repräsentanten der Göttin gehen, wie übrigens auch bei den „ B a a l e n " die Bilder zur Multiplikation des Numens beigetragen haben. Zweier Doppelgängerinnen der Astarte ist noch besonders zu gedenken. Eine altpalästiuensische Göttin ist ' A n a t h , von der sich Spuren in Personen- und Ortsnamen erkennen lassen 3 ). Fraglich ist, ob dieselbe mit der a s s y r i s c h - b a b y l o n i s c h e n Anatu identisch sei 1 ). Ed. Meyer glaubt, sie sei vielmehr hethitisclien Ursprungs und wie der Gott lieseph (s. oben) von diesem Volke zu den unter der 18. und 19. Dynastie mit ihm im K a m p f liegenden Ä g y p t e r n übergegangen. J e d e n f a l l s wurde Antfat oder Anta in Ägypten verehrt, und zwar wird sie mit Helm, Schild und Lanze, sowie mit einer S t r e i t a x t in der Linken abgebildet. Sie ist also Kriegsgöttin und entspricht der Istar in dieser Fassung, oder der gestrengen jungfräulichen Astarte, daher sie die Griechen mit Athene gleichsetzen, was auch lautlich nahelag. So auf einer bilinguen cyprischen I n s c h r i f t 5 ) wird die W i d m u n g DTI N::>R „der Anath, der K r a f t des L e b e n s " wiedergegeben mit 'A&t]vü 2.aoTsiga Nixij. Mit diesem Namen klingt zusammen der der Göttin T a n i t . Der Name ist dunkel, auch die Aussprache unsicher. So ( T n t ) heisst auf den Inschriften die Schutzgöttin von K a r t h a g o . Auf unzähligen (bis j e t z t über 2 0 0 0 ! ) hier gefundenen Votivtafeln ist sie neben Baal Chamman genannt, so zwar, dass sie v o r a n s t e h t . 1) Die Amarnatafeln nennen Abd Asirta oder Abd Asratum, Knecht der Aseliera. Siehe überhaupt B a u d i s s i n , PRE 3 , II, 158. 2) S c h l o t t m a n n , ZDMG 24, 650. 3) Vgl. den Personennamen Rieht. 3, 31; 5, 6 und die Ortsnamen Beth 'Anath in Naphtali Jos. 19, 38; Rieht. 1, 33 und Anathoth in Benjamin Jerem. 1, 1 u. s. f. Siehe B ä t i l g e n , Beiträge S. 53. Auch die philistäische Stadt Anthedon (später Agrippias) in der Nähe von Gaza, welche in Böotien eine Namensschwester hat, ist zu vergleichen, R e l a n d , Palaestina, Norimb. 1716 p. 424. 4) Siehe gegen diese Annahme Ed. M e y e r , ZDMG 31, 716 ff. 5) CIS I, p. 114. O r e l l i , Religionsgeschichte,
1(>
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Phönizier, Kanaaniter, Karthager: Die Gottheiten.
Gewöhnlich beginnt die Widmung: -jon hvzb -¡-iNbi bsa fD n:nb nan? d. h. „der Herrin Tanit, dem Angesichte Baals und dem Gebieter Baal Chamman". Merkwürdig ist hier, dass einerseits die Göttin voransteht, offenbar als die zu den Menschen in näheres Verhältnis getretene Schirmherren der Stadt, anderseits derselben doch eine sekundäre Stellung zu Baal angewiesen wird, als dem „Angesicht" desselben, d. h. der Erscheinung seines Wesens. Formell erinnert diese Verwendung des „Angesichts" an Exod. 33, 14 f. wie die obige des göttlichen „Namens" an Exod. 23, 21. Die ursprüngliche Einheit der Gottheit, die sich erst zu männlicher und weiblicher Besonderheit entfaltete, wird auch hinterher wieder hergestellt durch Wechsel des Geschlechts, d. h. Übertragung der weiblichen Attribute auf clie männliche Gottheit und umgekehrt der männlichen auf die weibliche, sowie geradezu durch Gleichsetzung der Namen. Z. B. erscheint auf einer afrikanischen Inschrift 1 ) ein Priester des Esmun AStart, was nur heissen kann, dass man einen Esmun mit den Attributen der weiblichen Gottheit kannte, der das männliche und das weibliche Prinzip in sich vereinigte, ein Seitenstück zu dem lA(pQoönog der Griechen, dem Venus almus der Iiömer. Auch Astar Kcmos in der Mesa-III schrift Zeile 17 scheint so erklärt werden zu sollen, dass es Astarte mit den Prädikaten des männlichen Gottes Kemosch, der die moabitische Sondergestalt des Baal ist, sein soll, also eine kriegerische Astarte. Nur ist hier im Unterschied vom vorigen Fall die weibliche Gottheit vorangestellt. Eine Komposition der erstem Art ist dagegen Milk Astart 3 ). Im erstem Fall wird das Männliche, im letztern das Weibliche überwiegend gedacht worden sein, wie die bildlichen Darstellungen bald einen verweiblichten Mann, bald ein vermännlichtes Weib (Venus barbata) erkennen lassen. Mit diesem Wechsel der Naturen hing es zusammen, dass Priesterinnen in Mannskleidung mit Waffen ihrer Göttin und Priester in Frauenkleidung ihrem Gott oder auch ihrer Göttin dienten, was Deut. 22, 5 untersagt wird. Aber auch Gottheiten gleichen Geschlechts werden, ähnlich wie in Ägypten, öfter einander gleichgesetzt, um auszudrücken, dass sie im Grund nur verschiedene Auflassungen ein und derselben Macht seien. So wurden auf Cypern Esmun-Melkart, Esmun-Adonis, Adonis-Osiris verehrt, was uns bei der oben angegebenen Verwandtschaft der zusammengekoppelten Götter sich so leicht erklärt, wie wenn in Karthago von einem Milk-Baal oder Milk-Osir die Rede ist 4 ).
1) CIS 2) Vgl. S. 256. Eine jerilen vor. 3) CIS 4) Vgl.
I, p. 328. S c h l o t t m a n n , ZDMG 24, 649ff. — B ä t h g e n , Beiträge männliche Form in»?, 'athtar, kommt nur bei den HimI, p. 33. die treffliche Abhandlung von B ä t h g e n , Beiträge S. 253 ff.
Kultus und Frömmigkeit.
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2. Kultus uud Frömmigkeit. Die Eigenart dieser Gottheiten lernt man am besten aus ihrem K u l t u s kennen. Sie erweisen sich durch denselben überall als Naturgottheiten, d. h. ihr Wesen wird nicht wahrhaft ü b e r der N a t u r erhaben vorgestellt, sondern in die Sinnlichkeit hei'abgezogen u n d bleibt einer w a h r h a f t übermenschlichen ethischen W ü r d e bar. Zwar sind es nicht, wie bei den Ariern, einzelne Naturerscheinungen, mit welchen die Götter nahezu identifiziert würden. Auch der Sonnenbaal behält allgemeineren u n d geistigeren Charakter, als dass er j e mit der Sonne als Phänomen identisch gedacht wäre. Allein die ethische Weihe macht sich bei diesen Göttern wenig bemerklich und lässt sich oft ganz vermissen. Wenn auch die sittliche Seite der Religion hier so wenig als in Babylonien gänzlich fehlt, so stellen die Gottheiten dieser Phönizier, Karthager u. s. w. doch meist nur jene übermächtige, unverstandene, aber tief e m p f u n d e n e Naturgewalt dar, welche bald den Menschen mit Wohlthaten überschüttet, bald ihn seiner Güter beraubt, j a sein Leben zürnend vernichtet. Jenachdem das eine oder das andere überwiegt, nimmt der Kultus einen lasciven oder einen unmenschlich grausamen Charakter an. Zwar ist die Abbildung der Gottheiten, wobei man sie in Tier- oder Menschengestalt darstellte, bei diesen Völkern üblich. A b e r ihre Bildnerei war meist eine rohe, wobei die symbolische Bedeutung die Hauptsache war, auf die Form wenig Mühe verw a n d t wurde und eine ideale Auffassung g a r nicht zu plastischer A u s p r ä g u n g kam, wo nicht griechischer Einfluss veredelnd einwirkte, was bei dem regen Verkehr mit diesem Volk an den Küsten bald d e r Fall war. Ein beliebtes Bild der männlichen Gottheit (Baal, Melkart) scheint die Stiergestalt gewesen zu sein, während die weibliche mit Kuhhörnern figurierte. Man pflegte zum Zeichen d e r Verehrung solche Bilder zu küssen 1 ). Gewiss älter als solche Götterbilder sind aber bloss symbolische Embleme, welche die Gegenwart des Gottes andeuteten. Man errichtete einen Stein, eine Mazeba an Stellen, wo m a n das Walten der Gottheit erfahren hatte 2 ). Und wie man zur Vergegenwärtigung des Sonnengottes steinerne Säulen (chammänim) aufrichtete 3 ), so pflanzte m a n zu Ehren der Göttin jene Bäume auf, welche das f r u c h t b a r e Leben versinnbildeten, die Äscheren 4 ). Der Ort der A n b e t u n g waren Anhöhen, Berge u n d Hügel. Manche heilige Berge begegnen in und um Kanaan, wie Karmel, 1) Vgl. 1 Kön. 19, 8; Hos. 13, 2. Es ist wohl Fusskuss gemeint. 2) Vgl. Genes. 28, 18. 22. 3) S. oben S. 234 und vgl. Jes. 17, 8; 27, 9; 2 Chron. 34, 4. Am kostbarsten waren die zwei Säulen des Melkart-Herakles in Tyrus, die eine aus lauter Gold, die andere aus Smaragd. Herodot 2, 44. 4) S. oben S. 240.
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Phönizier, Kauaaniter, Karthager: Der Kultus.
H e r m o n L i b a n o n -'), Nebo, Sinai u. s. f. und ungezählte heilige Anhöhen, bämötn, welche dem Kultus dienten und zum grössten Teil durch die Israeliten von den Kanaanitern übernommen worden waren. Diese verehrten auf ihren Höhen, wo erst mit der Zeit u n d nur zum Teil T e m p e l mit Bildern errichtet wurden, ursprünglich die Gottheit unter freiem Himmel, also sieher eine himmlische Gottheit, der man sich in der Höhe näher fühlte und dort auf einem primitiven Altar Opfer brachte. Mit Vorliebe geschah das „unter g r ü n e n B ä u m e n " , d. h. wo ein riesiger Baum oder eine stattliche Baumgruppe, etwa durch eine Quelle getränkt, Schatten und Kühlung bot, zugleich aber die Anwesenheit des segnenden Naturgottes veranschaulichte. Dass auch sonst die Quellen vorzugsweise als Stätten desselben geehrt wurden, versteht sich leicht, da im Morgenlande, vollends in der Wüste, das Dasein einer Quelle so sichtbar alles Wachstum bedingt. Unrichtig ist es, wenn man neuerdings etwa meint, den Fetischismus, und zwar Steinkultus als die ursprüngliche Religion dieser „Semiten" nachweisen zu können. Vielmehr hatten solche Steine, die an sich nichts weniger als geeignet waren die Gottheit, wie man sie sich dachte, darzustellen, connneniorative Bedeutung und wiesen auf' die sehr hoch gehaltene Heiligkeit des bestimmten Ortes. Und wenn auch zwischen den Steinen selbst und dem Nunien, das sich d a offenbarte, eine Beziehung angenommen wurde, die vielfach in Fetischismus ausartete, so hat sich doch nicht aus diesem eine höhere Religionsstufe entwickelt, sondern er war die letzte Stufe der Versinnlichung, auf die man gelegentlich herabsank. Wie, Graf Baudissin 3 ) nachgewiesen hat, standen die heiligen Bäume, Quellen, Gewässer u. s. w. mit überirdischen, astralen Gottheiten in Verbindung. Derselbe lässt P R E 3 II, 329 die Möglichkeit offen, dass der Gott Baal an einzelnen Stätten eine von seinem sonstigen Charakter als Hinimelsgott unabhängige tellurische Bedeutung gehabt habe und beide Seiten erst später zusammenwuchsen. Aber natürlicher bleibt doch die Annahme, dass man überall die Fruchtbarkeit eines Erdfieckens mit dem alles befruchtenden Himmel in Zusammenhang brachte. Bemerkt sei noch, dass Baal = Melkart (Moloch) nicht eigentlich Feuergott, sondern Sonnengott ist; denn das irdische F e u e r wurde nicht, göttlich verehrt. Vom Kultus, wie ihn die vor Israel in Palästina wohnenden, Land bau treibenden, nachher durch die Israeliten aufgesogenen Kanaaniter pflegten, geben uns biblische Schilderungen ein Bild, welche von israelitischen Gebräuchen und Unsitten reden, die sie j e n e n abgelernt hatten. Man ersieht daraus, dass der Baal als Spender der F r u c h t b a r k e i t und des J a h r e s e r t r a g e s gefeiert w u r d e in lustigen Ernte- und Winzerfesten. Dabei k a m die F r e u d e , 1) Rieht. 3, 3. 2) CIS I, 24 ss. 3) B a u d i s s i n , Studien II, 145 ff.
Naturkultus.
Menschenopfer.
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welcher der heiligende Eifer wahrer Gotteserkenntnis fehlte, zu ungezügeltem Ausdruck. Der feurige Wein des Landes floss reichlich, und mit der Völlerei ging Unzucht im Schwang. Dies waren aber nicht blos Ausschreitungen, wie sie auch bei Festen von ursprünglich ernstem Charakter in Israel und in der Christenheit vorkommen konnten; sondern in der schrankenlosen Hingabe an den Naturgcnuss gab sich der Mensch an die Gottheit hin, welche als ungeheiligte N a t u r k r a f t gedacht, wurde. Dies beweist der Umstand, dass man ihr durch Wollust und Unzucht geradezu zu dienen meinte, wie wir solches schon in Babylonien fanden. Die weiblichen Hicrodulen (kedesoth, mit kädös, heilig, nächstverwandt!) waren solche, die sich zu Ehren der Gottheit den Männern preisgaben und den d a f ü r empfangenen Lohn ihr weihten. Erzählte man doch von Astarte selbst, sie habe sich in T v r u s zehn J a h r e lang preisgegeben 1 )! Ebenso prostituierten sich Männer um Lohn, der dem Heiligtum zufiel 2 ). Aber so üppig diese Naturfeste waren, so fehlte doch auch die finstere Seite im Kultus nicht. Die himmlische Gewalt, welche man in der Sonne verehrte, konnte auch versengend wirken und vernichtend werden. Demselben Gott Baal = Melkart oder Chamman, von welchem Phönizier und Karthager die Segnungen der Natur ableiteten, o p f e r t e n s i e M e n s c h e n in grosser Zahl, um seinen Zorn, den eine Schuld ihrerseits erweckt haben musste, zu besänftigen, bezw. eine erkannte oder unbekannte Schuld zu sühnen. So war es besonders in den phönizischen Städten und in Karthago üblich. Wenn Unglück über die Stadt T y r u s kam, in Gestalt einer Seuche oder Dürre oder eines feindlichen Heeres u. dgl., fasste man das als Äusserung der Ungnade des Stadtgottes Melkart, u n d dieser Zorn war n u r blutig zu beschwichtigen durch Opferung der liebsten Kinder, u n d zwar mussten es eigene, vornehme, womöglich einzige Kinder sein, nicht etwa gekaufte 3 ). W ä h r e n d der Belagerung der Stadt durch Alexander d. Gr. verlangten einige Tyrier, dass man die durch die Perserkönige unterdrückten Kinderopfer wieder einführe und so den wegen ihrer Unterlassung zürnenden „Saturn" begütige und die Eroberung der Stadt a b w e n d e (Curtius 4, 3). Ebenso bei gefahrvollen Unternehmungen, Eröffnung eines Feldzuges, G r ü n d u n g einer Stadt, einer neuen Kolonie w u r d e nach dem Zeugnis des Klitareh 4 ) etwa ein Menschenopfer gebracht, ebenso nach errungenem Sieg weihte man die schönsten Gefangenen dem Opfertod. Aber auch an gewissen alljährlich wiederkehrenden
1) Epiphan. Opp. II, 107. 2) Sie heissen kedeschim oder keläbim (Hunde); vgl. Deut. 23,18 f.; Apoc. 22, 15. - CIS I, p. 95. 97. 3) . D i e Phönizier opferten bei "rossen Unfällen, im Kriege, bei Dürre oder Seuchen das am meisten geliebte Kind dem Kronos nach vorhergegangener Abstimmung" Porphyrius de. abstin. lib. II c. 56 p. 201. 4) Vgl. bei M ü n t e r , Rel. der Karthager S. 21.
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Phönizier, Kanaaniter, Karthager: Der Kultus.
Festtagen brachte man ein solches Sühn- oder Reinigungsopfer 1 ). Dass bei den K a r t h a g e r n diese Unsitte ganz besonders blühte und zwar während der ganzen Dauer der karthagischen Geschichte in eher zunehmendem als abnehmendem Masse, erhellt aus zahlreichen unverdächtigen Zeugnissen 2 ). Auch hier sollten die liebsten Kinder geopfert werden. Als die Karthager (berichtet Diodor in der Hauptsache wohl zuverlässig) von Agathokles besiegt wurden, schrieben sie es dem Umstände zu, dass man nicht mehr wie in älterer Zeit die Blüte der eigenen Jugend, sondern fremde, zu diesem Behuf gekaufte und gemästete Knaben dem „Kronos" geopfert habe (was an Mexiko erinnert). Die Untersuchung habe ergeben, dass einige Kinder von den Eltern auf die Seite gebracht •worden. Da nun Agathokles vor den Mauern von Karthago erschien, habe man beschlossen, zur alten Sitte zurückkehrend, 200 Knaben aus dem vornehmsten Adel zu opfern. Ausserdem gaben sich noch 300 (Erwachsene?) freiwillig den Tod, um als Sühnopfer zu dienen 3 ). Die Mütter hatten den Kinderopfern ohne Klage und Seufzen beizuwohnen; das Jammern der Kinder wurde durch Trommeln und Pfeifen übertönt. Die Todeszuckungen auf ihrem Antlitz wurden als vergnügtes Lächeln gedeutet, woher das berüchtigte „sardonische Lachen" abgeleitet wird. Die Todesarten waren ohne Zweifel verschieden. Nach der rabbinischen Tradition war der Moloch ein eisernes Bild mit Stierkopf, dem man die Kinder in die Arme legte, nachdem diese durch eingelegtes Feuer glühend geworden. Ähnliches verlautet von solchen Statuen, die als Glühofen dienten, aus Afrika und andern Kolonieen. Biblische Stellen 4 ) führen dagegen darauf, dass man die Kinder erst mit dem Messer abschlachtete (wohl schon um das Blut zu gewinnen), und dann den Leichnam verbrannte. So wird es in der Regel auch mit den Erwachsenen gehalten worden sein. Dass die Punier auch mit ihren Kindern so verfuhren, zeigen einige Inschriften 5 ), wonach dieselben mit dem Messer durchbohrt und dann als Brandopfer dargebracht wurden. Das „Hindurchgehenlassen der Kinder durchs Feuer für den Molech", welches öfter den Israeliten verboten oder vorgeworfen wird, haben die Rabbinen, z. B. D. Kimchi, Maimonides, Levi ben Gerson u. a. (nach Analogie der mit Sachen vorgenommenen Reinigung durch Feuer, Num. 31, 23), von einer blossen Weihe durch Hindurchführen zwischen zwei Scheiterhaufen verstehen wollen. Allein es lässt sich . der Ausdruck schwerlich anders verstehen als Jerem. 7, 31, wo vom Verbrennen der Kinder die Rede, öder an den oben angeführten Stellen, wo von ihrer 1) M o v e r s , Phönizier I, 301 f. 2) Siehe dieselben bei M ü n t e r , Religion der Karthager S. 17 ff. 3) Diodor. Sic. 20, 14. 4) Vgl. Gen. 22, 10; Ezech. 16, 20f.; 23, 39. 5) Bei G e s e n i u s , Monum. Numid. VI. VII. VIII, p. 448s., 453. — B a u d i s s i n , Jahve et Moloch, Lips. 1874, p. 41. — A r c h i n a r d , Israël etc. p. 233.
Menschenopfer und kultische Tänze.
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Absclilachtung die Rede ist. Vgl. besonders Ezech. 23, 37, wonach dieses durchs Feuergehenlassen dem Abgott die Kinder „zum Krasse" liefert'). Dass solchen grauenhaften Verirrungen, um derentwillen namentlich die K a r t h a g e r bei den andern Völkern berüchtigt waren, eine tiefe und edle, aber missleitete religiöse Empfindung ursprünglich zu G r u n d e lag, zeigen biblische Erzählungen wie die von Isaaks Opferung oder die der Tochter J e p h t a s ; ebenso Stellen wie Micha (i, 7. Das Menschenopfer ging von dem Bewusstsein aus, dass man das Kostbarste der Gottheit zu weihen habe, u n d was war einem Vater oder einer Mutter teurer als das leibliche, das erstgeborene, das einzige Kind! Ein tiefes Schuldgefühl (vgl. Micha 6, 7), das alle g e r i n g e m Gaben als unzureichend zur Sühnung empfand, oder ein edler Trieb der Hingabe des eigenen Fleisches und Blutes zur Rettung des ganzen Volkes oder Gemeinwesens ivgl. J e p h t a s Beispiel, der einen Hausgenossen dem Tode weiht), oder eine schrankenlose Verehrung der Gottheit, die sich nicht g e n u g thun konnte (Abraham), mochten versucht sein, sich in dieser ungeheuerlichen Weise zu äussern. Allein es setzt das immerhin eine noch wenig entwickelte Gotteserkenntnis oder einen dieselbe verfinsternden Fanatismus voraus. Bei den Israel umgebenden Heidenvölkern erklären sieh diese kalten Blutes durch alle Phasen der Kulturentwicklung hindurch gepflogenen Greuel aus der niedrigen Vorstellung, die. man von der immerhin sehr intensiv empfundenen Gottheit hatte. Das Ethische machte sich bei diesen Menschenopfern, soweit wir sehen, äusserst wenig geltend. Man sah in dem Gott nur die feindliche Macht, welche ein Opfer verlangte, um beschwichtigt zu werden. So schob man ihr, die natürlichen Gefühle erstickend, ein unschuldiges Kind in den Rachen. An irgend eine ethische Versöhnung dachte man dabei kaum. Auch fand dabei die tierische Grausamkeit im Menschen Nahrung und mochte sich an solchem Schauspiel weiden. Auch die wilden T ä n z e 2 ) der Hierodulen und ihr tolles Gebaren zeigen, dass man sich bei diesem Kultus zu einem Taumel aufregte, in welchem die natürlichen Gefühle erstarben. Die Geschichte des Elia, 1 Kön. 18, erzählt von dem Treiben der 450 „Propheten" des Baal (und der 400 der Astarte) deren Kultus die tyrische Königstochter in Ephraim heimisch gemacht hatte. Sie heissen „Propheten" wegen ihres mantisch aufgeregten Treibens, wodurch sie den Baal herbeizurufen und die Menge f ü r ihren Gott zu begeistern suchen. Bei ihren mit wildem Geschrei ausgeführten Tänzen um den Altar ritzten sie sich mit Messern blutig (Vs. 28), um den Gott zu erweichen oder die Menge zu fanatisieren. Man 1) Molech. 2) Tanzes"
Vgl. G e s e n i u s , Thesaurus p. 985. — R i e h m , Bibl. Hdwb. Art. — A r c h i n a r d a. a. 0 . S. 234 f. In einigen Inschriften kommt Baal Marköd, der „Baal des vor.
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Phönizier, Kanaaniter, Karthager: Der Kultus.
hat sich diese Chöre n a c h Art d e r heutigen D e r w i s c h e vorzustellen, weiche sich ebenfalls d u r c h Geheul u n d T a n z in eine Art Ekstase h i n e i n s t e i g e r n , in w e l c h e r sie g e g e n Schmerz unempfindlich w e r d e n u n d d a s Volk d u r c h u n e r h ö r t e Leistungen in E r s t a u n e n setzen. Auch d e r weiblichen Gottheit diente m a n mit solchem s t r e n g e n K u l t u s . Z w a r v e r t r i t t sie an sich dem s t r e n g e n Gemahl (Baal, Melkart u. s. f.) g e g e n ü b e r das mildere Prinzip, e n t s p r e c h e n d dem Monde mit seinem s a n f t e m Licht, sowie dem W a c h s t u m u n d Leben in d e r irdischen N a t u r . A b e r sie weist hier wie in Babylonien n e b e n ihrer erotischen Gestalt auch eine g e s t r e n g e , enthaltsame, j u n g f r ä u l i c h e auf. U n d wie sie gleich dem Baal-Melkart, Molech u. s. f. mit Menschenopfern sich v e r e h r e n liess, so auch mit blutigen Geisselungen, S e l b s t e n t m a n n u n g und sonstiger Selbstpeinigung. Die m ä n n l i c h e n K e d e s c h e n , welche ihr dienten, w a r e n meist Verschnittene in W e i b e r k l e i d e r n , welche ähnlich das Land durchziehen mochten, wie die C i n ä d e n b a n d e n der syrischen Göttin, von deren T r e i b e n Movers n a c h Lucian (de Dea Syra") folgendes Bild entw i r f t : „Der B a n d e v o r a n g i n g ein T r o m p e t e r , d e r ihre Ankunftin den D ö r f e r n , an den Meierhöfen oder auch in den Gassen einer' Stadt mit seinem Blasinstrumente, einem g e w u n d e n e n Horn in d e r Gestalt einer Schlange, a u s p o s a u n t e . Ihm folgten in phantastischem! A u f z u g e die bettelnden P r i e s t e r und Gallen 1 ) mit ihrem Magister., d e r Esel, w e l c h e r das verschleierte Symbol d e r Göttin samt denn Bettelsack t r u g , in der Mitte. Sie waren in b u n t f a r b i g e , schmutzige'. F r a u e n g e w ä n d e r gekleidet, Gesicht und Augen gleichfalls n a c h F r a u e n w e i s e bemalt, den Kopf mit gelben leinenen oder s e i d e n e n T u r b a n e n u m w u n d e n ; a n d e r e trugen weisse Kleider, v o r n mit d e r roten, h e r a b h ä n g e n d e n Clava g e s c h m ü c k t . Die A r m e w a r e n b i s zur Schulter a u f g e s t r e i f t ; grosse Schwerter u n d Beile, auch d i e Geissei, d a n n K l a p p e r n , P f e i f e n , Cyinbeln oder T y m p a n e n in d e n H ä n d e n , zogen sie m e h r tanzend als g e h e n d u n t e r dem Schall einer wilden Musik ihre Strasse. An einem Meierhofe a n g e k o m m e n , stellen sie ihre Gaukeleien an. Ein misshelliges Geheul eröffnet die Szene. D a n n fliegen sie wild d u r c h e i n a n d e r , das H a u p t tief zur E r d e g e s e n k t , a b e r in Kreisen sich h e r u m d r e h e n d , so dass d a s aufgelöste H a a r d u r c h den Kot schleift; d a b e i zerbeissen sie sich zuerst die A r m e u n d z e r s c h n e i d e n sie zuletzt mit ihren zweischneidigen S c h w e r t e r n . D a n n b e g i n n t eine n e u e Szene. E i n e r von ihnen, d e r es in der Käserei allen z u v o r t h u t , f ä n g t u n t e r Ächzen u n d Stöhnen an zu prophezeien (N3:n~ wie die Baalspriester 1 K ö n . 18, 2 9 ) ; e r k l a g t sich öffentlich seiner b e g a n g e n e n S ü n d e n an, die er d u r c h die Z ü c h t i g u n g e n des F l e i s c h e s n u n bes t r a f e n will, n i m m t die k n o t i g e Geissei, welche die Gallen zu t r a g e n pflegen, zerschlägt den Kücken, z e r s c h n e i d e t sich mit S c h w e r t e r n , bis das Blut von d e m v e r s t ü m m e l t e n K ö r p e r h e r u n t c r 1) Das Wort schnittene?
ist gallach,
der Geschorene, hier
vielleicht Ver-
D e r Kultus.
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trieft. Das E n d e vom Ganzen ist eine K o l l e k t e . E i n i g e werfen ihre Kupfer-, wohl auch Silbermünzen in den vorgehaltenen Schoss, andere bringen W e i n , Milch, K ä s e , Mehl herbei, was sie g i e r i g zusammenraffen, in dem dazu bestimmten S ä c k e l neben der Göttin dem Esel auf den R ü c k e n legen, dann bis zum nächsten D o r f oder Landhaus weiterziehen, wo das ganze Ceremoniell aufs neue wiederholt wird. Am Abend in der H e r b e r g e angekommen, entschädigen sie sich durch einen S c h m a u s und allerlei Ausgelassenheiten, auch unnatürliche L a s t e r von den blutigen Kasteiungen des T a g e s " 1 ) . Dass der K u l t u s bei diesen Völkern ein mit der Zeit gesetzlich wohl g e o r d n e t e r war und bestimmte Satzungen ü b e r P r i e s t e r k l e i d u n g , Opferritus u. dgl. bestanden, erhellt aus manchen Notizen. Doch sind uns nur wenige F r a g m e n t e solcher Priesterordnungen erhalten, vor allem die Opfertafel von Marseille 2 ), eine im alten Massilia g e f u n d e n e Steintafel, welche j e d o c h in K a r t h a g o besehrieben zu sein scheint, so dass sie als R e g l e m e n t für die massiliensische Kolonie oder sonstwie dorthin g e w a n d e r t wäre. Sie gibt den T a r i f , der die A b g a b e n regelt, welche bei j e d e m Opfer den Priestern zu entrichten waren. E s erhellt daraus, dass das gewöhnlichste Opfermaterial aus Rindern, Schafen, B ö c k e n und Ziegen sowie aus Vögeln bestand. Auch Hindinnen beliebten die Phönizier zu opfern 3 ). Unterschieden werden kalil (das Ganzopfer), und Selem (Dankopfer). Ausserdem kommt saw'at vor, ein Bittoder Sühnopfer. Dass diese Naturreligion trotz der oberflächlichen Kultur, welche sich mit ihrem Dienste verbunden hatte, keinen w a h r h a f t veredelnden und heiligenden Ein flu ss auf diese V ö l k e r ausüben konnte, wird n i e m a n d b e f r e m d e n . E s prägte sich dabei j e n e niedrigstehende C h a r a k t e r b i l d u n g und Gesinnung aus, die wir S. 2 2 9 als dieser V ö l k e r g r u p p e besonders eigen bezeichnen mussten. Die teils entnervende, teils abstumpfende W i r k u n g dieses Kultus a b e r hat j e n e ungünstigen Charakteranlagen noch v e r s c h l i m m e r n und zur Degradation d e r V ö l k e r mächtig beitragen müssen. Letztere ist denn auch trotz aller materiellen Blüte rasch eingetreten, und zu einer e h r f u r c h t g e b i e t e n d e n Höhe vermochten sich weder die Phönizier noch die K a r t h a g e r aufzuschwingen. Sie dienten zwar als ein B i n d e g l i e d der alten W e l t mit ihrer rührigen W a n d e r l u s t und ihrem Handelstrieb, vermochten a b e r religiös e r n s t e r n und sittlich k r ä f t i g e r n V ö l k e r n nicht lange zu widerstehen. W i e die Kanaaniter, trotz i h r e r Überzahl und ihrer Überlegenheit in Hinsicht auf weltliche Bildung, den eindringenden Israeliten erlagen, so die üppigen, weichlichen K a r t h a g e r den g e s t r e n g e n , pietätvollen 1) M o v e r s , P h ö n i z i e r I, 6 8 1 — 6 8 3 . Ü b e r die freiwillige K a s t r a t i o n , welche diese Gallen in einem A n f a l l heiliger R a s e r e i an sich v o l l z o g e n , s. ebenda S. 6 8 4 f. Vgl. a u c h S c h o l z , Götzendienst, S. 323 ff. 2) Siehe ü b e r dieselbe C1S I p. 217 ss. 3) D a s s V'K als H i r s c h a u f der Opfertafel z u lesen sei, wird v o n R e n a n bestritten.
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Arainäer, Ammoniter, Moabiter, Edomiter, Araber.
Römern. Es erfüllte sich an dieser Völkergruppe jener Fluch Noahs, Genes. !), 25 ff'., weil die dort typisch gezeichnete rohe Pietätlosigkeit und schmutzige Sinnlichkeit ihr trauriges gemeinsames E r b e war. Das Gegenbild zu dem ruchlosen Kanaan ist in j e n e r E r z ä h l u n g der fromme Sem, zu welchem Jahveh in ein Eigentumsverhältnis tritt. Im stärksten Kontrast zum kanaanitischen Unwesen steht nun in der That, was von religiöser Entwicklung von einem Zweige dieses Stammes ausgegangen ist. Trotz sprachlicher und geographischer, geschichtlicher und religionsgeschiehtlicher naher Berührungen zwischen beiden gibt es in der alten Welt keinen stärkern Gegensatz als den zwischen llam-Kanaan und Sem-Israel.
III. Religion der Aramäer, Ammoniter, Moabiter, Edomiter, Araber 1 . Zu der semitischen Gruppe, welche den Typus dieses Stammes am reinsten bewahrt hat, gehören namentlich die mit den Hebräern nächst verwandten Völkerschaften, welche in der Bibel von Terach abgeleitet werden. Dass die semitische Abstammung nicht einfach aus der Sprache gefolgert werden kann, wurde schon erinnert. Haben doch häufig Mischungen der Bevölkerung und damit verb u n d e n auch Sprachentausch stattgefunden. Dagegen kann die nahe Verwandtschaft der Hebräer mit einem grossen Teil der nordöstlich von ihnen ansässigen Syrer (Aramäer) und südlich hausenden Arabern (Ismael, Midian), sowie mit den nächst benachbarten Edomitern, Moabitern, Ammonitern nicht in Zweifel gezogen werden. Die hebräischen Nachrichten darüber sind um so unverdächtiger, d a die Israeliten mit den meisten dieser Völker (Midian, besonders a b e r Edom, Moab, Ammon), fast immer auf gespanntem Fusse lebten. Auch in r e l i g i ö s e r Hinsicht zeigen diese Völker Ähnlichkeit mit der vorhergehenden Gruppe, sind aber noch näher unter sich verwandt. Bei den Aramäern tritt allerdings, der politischen Zerfahrenheit, aber auch dem Umstand zufolge, dass uns alte Quellen fehlen, nirgends ein bestimmt abgegrenzter und ausgestalteter Götterglaube u n d -dienst hervor. Doch ist ihre ursprüngliche Stammreligion nach Analogie derjenigen der Ammoniter, Moabiter, Edomiter u n d 1) Siehe ausser den S. 227 f. angeführten Schriften: Joatinis S e l d e n i De Dis Syris Syntagmata, ed. Beyer, Lips. 1668. — Fr. B u h l , Geschichte der Edomiter, Leipz. 1893. — Vgl. die Artt. der bibl. Wörterbb. über Ammon, Moab, Edoin, über letzteres bes. B a u d i s s i n PRE 3 , V, 162 ff.
Die Götter der Aramäer.
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Araber zu denken, so nämlich, dass die Gottesverehrung um einen Stammgott concentricrt war, der sich bald geschlechtlich differenzierte und lokal besonderte, indem eine Mehrheit von Göttern nicht unzulässig schien. Dieser Stannngott trug den Charakter einer Natur- und vielfach willkürlichen Schicksalsmacht an sich. Doch w a r er nicht, ohne sittliche Attribute u n d diente, bei den Israel nächstverwandten Stämmen einer reineren Frömmigkeit und Sittlichkeit zur Stütze. — Bei den A r a b e r n ist nach den ältesten inschriftliclien Denkmälern ebenfalls eine erhabenere Gottesauffassung anzuerkennen, welche dem heidnischen Polytheismus weichen musste, aber wohl nie ganz von demselben v e r d r ä n g t wurde. Der nordwestliche Zweig dieser Semiten sind die A r a m ä e r , welche zu beiden Seiten des obern Euphrat, im eigentlichen Mesopotamien und in Syrien sich ausgebreitet haben und hier mit a n d e r n Völkern wie den Hethitern, Assyrern, Babyloniern in m a n n i g f a c h e Berührung kamen. Ihre ursprünglich nomadischen Stämme wuchsen nie zu einer politisch vereinigten Nation zusammen. Einige kleinere Königreiche der Aramäer sind aus der Bibel bekannt, so Aram-Damaskus und das davon südlich gelegene Arain Zoba. Bei dieser politischen Zerfahrenheit waren sie um so mehr auch dem religiösen Einliuss der in Vorderasien abwecliBelnd herrschenden Nationen ausgesetzt, und wie von Babylonien und Assyrien aus sich frühe eine gemeinsame Kultur über diese Länder ausbreitete, so zeigte bald auch die Religion in Vorderasien überall dieselben Grundzüge mit wenig geistiger Originalität im einzelnen und mannigfachem Synkretismus aus babylonischassyrischen, arabischen, ägyptisch-hellenischen Elementen. Im allgemeinen herrscht auch liier der semitische Baal 1 ), in Syrien H e i genannt, und eine mit diesem Gott geparte, ihn oft in den Schatten stellende Göttin. In der israelitischen Überlieferung findet sich Genes. 31, 5 3 die E r i n n e r u n g an einen vom Gott des Stammvaters Abraham unterschiedenen, mit ihm aber ohne Zweifel nahe verwandten Gott Nahors, des Ahnherrn der aramäischen Vettern; ebenso daran, dass die in Israel noch lange spukenden T e r a p h i m 2 ) aus Aram importiert worden seien Genes. 31, 19 flf.; vgl. 35, 2. Ein altsyrischer Göttername ist I l a d a d , nach welchem manche syrische Könige ihren Namen tragen, Hadadezer (iry - n " ) auf den assyr. Keilinschr. Dad'idri, und Benhadad, keilinschr. Bir d a d d a ; Peschita: Barhadad. Dagegen zeigt der Name Chazael (irNrn) 2 Köu. 8, dass daneben auch die allgemeinste semitische Gottesb e n e n n u n g El üblich war 3 ). Die Vermutung, dass statt H a d a d : 1) Vgl. auch El Gabal, oben S. 232 Anm. 2 und zum Gebrauch von Bei ebenda Anm. 3. 2) S. oben S. 205. 3) Josephus Ant. 9, 4, 6 meint naiver Weise, die Syrer hätten Könige dieses Namens zu Göttern gemacht.
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Religion der Aramäer.
H a d a r zu lesen sei 1 ), hat sich als unrichtig erwiesen 2 ). Der Name H a d a d ist a b e r etymologisch noch nicht aufgehellt. Macrobius Saturn. I, 23, 17 f. hält ihn wohl mit Recht für einen Sonnengott, indem er sagt: Accipe quid Assyrii ( = Syri) de Solis potentia opinentur. Deo enim, quem summum maximumque venerantur, Adad nomen dederunt. Ejus noniinis interpretatio significat „unus u n u s " 3 ). Hunc ergo ut porentissimum adorant deum; sed subjungunt eidem deam nomine Adargatin omnemque potestatem cunctarum verum his duobus attribuunt simulacrum Adad insigne cernituv vadiis inclinatis, quibus monstvatuv, vim caeli in vadiis esse solis, qui demittuntuv in tervam. Bäthgen (Beitv. S. 68) hält ihn dagegen für einen Donnevgott vom St. n n kvachen (des Donners). Wenn er eigentlich Himmelsgott') im allgemeinen war, so lässt sich beides vereinigen. Der Ortsname Hadad Rimmon, Sacli. 12, 11, weist diesen Götternamen in Verbindung mit einem zweiten auf, welcher ohne Zweifel identisch ist mit dem assyrischen Rammän "'), und ist vielleicht nur irrtümlich von den Masoreten anders vokalisicrt. Dieser Rammän (Riinmön) ist ebenfalls Gewittevgott, also ein Doppelgänger von Hadad, mit welchem er wieder wird identifiziert worden sein. Jenes von Macrobius erwähnte weibliche Seitenstück zu Hadad, A t a r g a t i s , avam. nny i n ? Atav Ate (nach cinev ]ialinyven. Inschrift), bei Ktesias . IfgxeiM geheissen ('Alar-atö), ist nach der ersten Hälfte ihres Namens die bekannte Atav") = Astar = Istar. Dunkel ist die zweite Hälfte der Zusammensetzung: ~n". Ansprechend vermutet Bäthgen, es sei der lydische Attes, eine männliche, aber vevweiblichte Gottheit, mit dev die Atav daher identifiziert wurde. Ein Atargateion (Tempel der Atargatis) zu Karnion ( = Asteroth Karnajim) kommt 1 Makk. 5, 43; 2 Makk. 12, 26 vov. Die Göttin war also an diesem Ovt Nachfolgevin und Erbin der alten Astarte. Atargatis hatte einen hoch bevühmten Tempel in Hievapolis in Syvien (syr. Bambyke oder Mabug); ebenso war Damaskus ein Hauptsitz ihrer Verehrung. Nicht minder war ihr Heiligtum zu Askalon ein Wallfahrtsort f ü r Nahe und Ferne. Am letztern Ort lief die Göttin in einen Fischschwanz aus, war also dem Bild des männlichen Gottes Dagon ähnlich, von dem dasselbe galt. Dagegen in Hievapolis, wo dies nicht dev Fall, stand ihr Tempel an einem fischveichen See, und in Syrien überhaupt waren ihr die Fische heilig und durften nicht genossen werden. Die 1) B a u d i s s i n , Studien I, 312 ff. 2) Ed. M e y e r , ZDMG 31, 734 ff. — B ä t h g e n , Beiträge 67. 3) Unrichtige Etymologie: cliad-chad. 4) Die halb arain. Form •pr (baal-sänien) findet sich in Palmvra: Philo Bybl. schreibt Bee).aautp>. 5) S. oben S. 188. 6) Auch Atar-samain beg-egnet auf assyr. Inschriften als Göttin eines nordarabischen Stammes. Die Form ist aber aramäisch, wie Bäthgen erinnert.
Aramäische Götter.
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d a r ü b e r u m l a u f e n d e n M y t h e n 1 ) sind s e k u n d ä r e Phantasiegebilde, w e i c h e sie a u c h m i t d e r h a l b m y t h i s c h e n G e s t a l t d e r S e m i r a m i s in Verbindung bringen. D e r F i s c h g e h ö r t i h r zu als S y m b o l d e r F r u c h t b a r k e i t (schnellen V e r m e h r u n g ) und Bewohner des fruchtb a r e n Elements; ebenso die T a u b e n wegen ihres anschmiegenden minnigen Wesens. W e s e n t l i c h d i e s e l b e G ö t t i n w i r d a u c h die „ s y r i s c h e G ö t t i n " g e n a n n t , in K l e i n a s i e n die g r o s s e t G ö t t e r mutter, die p h r y g i s c h e G ö t t e r m u t t e r C y b e b e , O y b e l e , U r a n i a , A p h r o d i t e u. s. w. D e r K u l t u s d e r s e l b e n ist g e r a d e in S y r i e n ein s e h r l a s e i v e r und entsittlichender gewesen, Alles, w a s in B a b y l o n i e n u n d Phönizien oder K a n a a n oder auf Oypcrn von unzüchtigem Treiben b e i m K u l t u s v e r l a u t e t , k a m im g r ö s s t e n M a s s s t a b a n d e n o b e n genannten Verehrungsstätten der Atargatis, beim Kultus der von d i e s e r Göttin a b z u l e i t e n d e n A p h r o d i t e a u f C y p e r n u n d a n d e r s w o vor. E b e n s o findet sich h i e r die w i l d e L e i d e n s c h a f t bis z u r u n natürlichsten G r a u s a m k e i t und Selbstmisshandlung gesteigert bei d e n z u E h r e n d e r G ö t t i n sich k a s t r i e r e n d e n G a l l e n u n d i h r e m tollen u n d l a s t e r h a f t e n G e b a r e n , w o v o n o b e n S. 2 4 8 f. d i e R e d e war. A u c h die. M y t h e n 2 ) , w e l c h e d i e E n t s t e h u n g d i e s e r G e b r ä u c h e erzählen wollen, sind E r z e u g n i s s e einer zuchtlosen E i n b i l d u n g s k r a f t , welche durch keine Schranke der Ehrfurcht davon abgehalten wird, a u f d i e G o t t h e i t e n die s c h i m p f l i c h s t e n A u s s c h r e i t u n g e n m e n s c h l i c h e r L e i d e n s c h a f t zu ü b e r t r a g e n . E i n s y r i s c h e r Gott, u r s p r ü n g l i c h n u r e i n e b e s o n d e r e B e n e n n u n g d e r G o t t h e i t ist a u c h (1er bei d e n P h i l i s t e r n v e r e h r t e M a m a s , v o m s y r i s c h e n m a r , H e r r , n i a r a n , „ u n s e r H e r r " , also e i g . s y n o n y m mit a d o n . b a a l u. ä. E i n p r ä c h t i g e r T e m p e l zu G a z a w a r d e m M a m a s g e w e i h t , w e l c h e r d o r t als v o n K r e t a g e k o m m e n e r (Zeug Kytjtayevi'is) galt. A u c h i m H a u r a n f a n d m a n e i n e I n s c h r i f t , wo M a r n a s als G o t t e s n a m e f i g u r i e r t 3 ) . Sehr häufige Spuren finden sich in S y r i e n v o n V e r e h r u n g d e r G l ü c k s g ö t t i n , G ä d - T y c h e ' j , in w e l c h e r d e r g u t e G e n i u s d e r e i n z e l n e n S t ä d t e w e i b l i c h p e r s o n i fiziert u n d n i c h t s e l t e n z. B. a u f M ü n z e n a b g e b i l d e t w u r d e . So h a t t e z. B. G a z a e i n T y c h e o n , H e i l i g t u m d e r T y c h e , w i e e i n Marnion, Heiligtum des Marnas. Der ursprünglich männliche Glücksg o t t G a d ( B a a l G a d ) s c h e i n t m i t d e r Zeit z u r w e i b l i c h e n T y c h e g e w o r d e n z u sein, w a s n i c h t b e f r e m d e n k a n n , d a d i e w e n i g p e r s ö n l i c h e S c h i c k s a l s m a c h t in i h m v e r e h r t w u r d e 5 ) . Als Glücksgott w u r d e G a d m i t d e m P l a n e t e n J u p i t e r k o m b i n i e r t . N a c h J e s . 6 5 , 11 w u r d e n d i e s e m Gott T i s c h o p f e r ( L e k t i s t e r n i e n ) g e r ü s t e t , e b e n s o
335 ff.
1) S. dieselben z. B. bei S c h o l z , Götzendienst S. 305 ff. 2) S. dieselben z . B . bei S c h o l z , Götzendienst S. 305 f., 327 ff., 3) S. B ä t h g e n , Beiträge S. 66. 4) Vgl. oben S. 235. 5) Vgl. B ä t l i g e n , Beiträge S. 7G ff.
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Religion der Moabiter und Ammoniter.
seiner Möni, der Schicksalsgöttin, welche man in dem Planeten Venus schaute 1 ): Als zwei nahe zusammengehörige Völkerschaften begegnen uns M o a b i t e r und A m m o n i t e r , beide ostwärts von Kanaan wohnend, die ersteren mehr südlich am toten Meer, die letztern weiter nördlich oder nordöstlich um ihre Hauptstadt Kabbath Ammon. Ihre Mundart war von der hebräischen nur wenig abweichend, wie sich namentlich bei den Moabitern nachweisen lässt, von welchen ein grösseres Schriftdenkmal, die S i e g e s s t e l e des K ö n i g s Mesa aufgefunden ist 2 ), während die massenhaften Funde von moabitischen Altertümern, die einige Jahre später auftauchten, und deren Echtheit Schlottmann u. a. verteidigten, sich als Fabrikat von Fälschern ausgewiesen haben 3 ). Bei der religionsgeschiclitlichen Wichtigkeit der Mesainschrift setzen wir den grössten Teil derselben nach der Vervollständigung und Übersetzung von Smend und Socin hierher: (1) Ich bin Mesa, der Sohn des Kömosmelek, der König von Moab aus (2) Dibon. Mein Vater war König über Moab 30 Jahre, und ich wurde König (3) nach meinem Vater, und ich habe hergerichtet dies Heiligtum dem Kemos in Kirchah für die Rettung des Mesa. (4) Denn er rettete mich von allen den Königen und liess mich meine Lust sehen an allen meinen Feinden. Omri, (5) der König von Israel, der bedrückte Moab lange Zeit; denn es zürnte Kßmos auf sein (6) Land. Und dann folgte ihm sein Sohn, und auch der sprach: Ich will Moab bedrücken; in meinen Tagen sprach er solches. (7) Aber ich sah meine Lust an ihm und an seinem Hause, und Israel ging auf ewig zu Grunde. Und Omri nahm ein das ganze Land (8) Medeba, und es (d. h. Israel) wohnte darin seine Tage und die Hälfte der Tage seines Sohnes, 40 Jahre, und zurück (9) brachte es Kömos in meinen Tagen; und ich baute Baalme'on und legte darin den Teich (?) an, und ich baute (10) Kirjatain. Und der Mann von Gad wohnte im Lande Atarot von Urzeit her, und es baute sich der König von (11) Israel Atarot; und ich kämpfte gegen die Stadt und nahm sie ein, und ich brachte um alle Leute aus (12) der Stadt, ein Schauspiel für Kömps und für Moab; und ich brachte zurück von dort den Altaraufsatz Dödah's (?) und schleppte (13) ihn vor Kemos in Krijot; ich siedelte darin an den Mann von Siran (?) und die Männer von 1) S. meinen Kommentar zu,Jes. 65, 11. 2) Der Mesastein, zuerst 1868 von Missionar F. A. K l e i n gesehen, stand beim alten Dibon (jetzt Dhlbhän), einer moabitischen (früher von Gaditen bewohnten) Stadt, etwa 4 Stunden östl. vom toten Meer, und meldete die Thaten dieses Königs (Anfang des 9. Jahrh. v. Chr.). Die ansehnlichsten Bruchstücke sind jetzt im Louvre in Paris.- Die beste Darstellung der Inschrift geben R. S m e n d und A, S o c i n , „Die Inschrift des Königs Mesa von Moab", Freiburg i. B. 1886. 3) Vgl. E. K a u t z s c h und A. S o c i n , Die Echtheit der moabitischen Altertümer geprüft, Strassb. u. Lond. 1876. Ferner die Mitteilungen von K a u t z s c h in der Beilage zur Allg. Augsb. Ztg. 1876, Nr. 193.
Die Inschrift Mesa's.
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(14) Hochreith (?). U n d Kemos sprach zu m i r : Geh, n i m m Nebo Israel ab, u n d ich (15) g i n g in der Nacht u n d k ä m p f t e d a g e g e n vorn A n b r a c h des M o r g e n g r a u e n s bis zum Mittag und n a h m (16) es ein u n d tötete sie alle, TOOL) an Männern u n d an K n a b e n und W e i b e r u n d Mädchen (17) u n d S k l a v i n n e n (?); denn Astar Ivömos hatte ich es g e w e i h t ; und ich n a h m von dort die Altar(18)aufsätze J a h v e l i ' s und schleppte sie vor Kemos. U n d der König von Israel baute (19) J a h a s u n d lag darin, da er wider mich stritt, u n d es v e r t r i e b ihn KOnios vor mir, u n d (20) ich nahm von Moab 200 Mann, alle seine H ä u p t l i n g e , u n d ich f ü h r t e es hinauf g e g e n J a h a s und n a h m (21) es ein, um es zu Dibon h i n z u z u f ü g e n . . [folgen noch 13, zum Teil d e f e k t e Zeilen]. Es erhellt aus dieser I n s c h r i f t , dass K e m o s von Moab als sein nationaler Gott oder S t a m m g o t t angesehen wurde, dem es seine Macht, seine Siege, seine R e t t u n g vor den F e i n d e n v e r d a n k t e . Dabei ist eine gewisse Analogie mit J a h v e h , d e m Gott Israels, nicht zu v e r k e n n e n . Ganz mit ähnlichen Worten, wie biblische Erzähler berichten, J a h v e h h a b e seinem L a n d e gezürnt, sein Volk den F e i n d e n preisgegeben, so hören wir hier von Kemös, dass so l a n g e er Moab z ü r n t e , der feindliche K ö n i g Israels Gewalt ü b e r dasselbe hatte, d a s s er d a n n sein Volk rettete u n d den König seine Lust sehen liess am U n g l ü c k seiner F e i n d e . Die K r i e g s g e f a n g e n e n wurden d e m Kemösch zu E h r e n getötet (Zle. 11 f.), ebenso Zle. 1(5 n a m e n t l i c h auch die e r b e u t e t e n W e i b e r u n d K i n d e r dem Astar Kemos. Vgl. den Cherem (Blutbann) d e r H e b r ä e r zu Zle. 17. Die Altaraufsätze d e r besiegten Gottheiten, speziell J a h v e h ' s , w u r d e n als Beutestücke ins Heiligtum des S t a m m g o t t e s geschleppt (wie die Bundeslade von den Philistern). Man beachte auch, dass Zle. 14 der Gott z u m König s p r i c h t : „Geh, nimm Nebo Israel a b . " Ebenso heisst es noch Zle. 3 2 : „ U n d es sprach zu m i r K e m o s : Zieh hinab, k ä m p f e gegen H o r o n a i n . " Dies mochte d u r c h Orakelzeichen geschehen oder d u r c h T r ä u m e , wobei immerhin auch V e r m i t t l u n g durch W a h r s a g e r w a h r s c h e i n l i c h im Spiele w a r . Bei aller äusserliclien Ähnlichkeit mit biblischen F o r m e n tritt a b e r d e r U n t e r s c h i e d zwischen beiderlei Religion deutlich g e n u g h e r v o r . Der Zorn des Gottes Kemos ü b e r sein Volk ist nicht ethisch motiviert, ebensowenig das E i n t r e t e n s e i n e r Gunst. Die Gottheit waltet unberechenb a r willkürlich. Das stolze Ich a b e r des menschlichen Siegers tritt selbstherrlich h e r v o r wie nie auf biblischem Gebiet. Dass dieser K e m o s Moabs Volksgott w a r , bestätigen nicht bloss m a n c h e E i g e n n a m e n , die ihn a u f w e i s e n , wie Kömos-Melek (Inschrift Zle. 1), K a m u s n a d b i keilinschriftl. = K6mos n a d a b (K. ist f r e i g e b i g ) 1 ) u. a., s o n d e r n es wird auch d u r c h m a n c h e biblische A n g a b e n a u s d r ü c k l i c h b e z e u g t 2 ) . Der Name dieses Gottes ist ety1) S c h r ä d e r , KAT 2 S. 288, 22. Vgl. auch B ä t h g e n , Beitrüge S. 13. 2) Moab heisst Volk des Kemos Num. 21, 29; Jer. 48, 46 und Vers 7. 13. Vgl. auch 1 Kön. 11, 7. 33; 2 Kön. 23, 13.
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Religion der Moabiter und Ammoniter.
mologisch nicht aufgehellt; er selbst aber ist als eine der Modifikationen des Baal anzusehen, jenes solaren Himmelsgottes, der besonders auch als verderbliche Macht gefürchtet und mit blutigen Opfern beschwichtigt wird. Lehrreich ist 2 Kön. 3, 27, wo eben jener König Mesa in seiner grössten Bedrängnis seinen erstgeborenen Sohn und Thronerben auf der Stadtmauer diesem Gott zum Opfer bringt und dadurch selbst nach dem israelitischen Volksglauben eine "Wendung des Schicksals verursacht. Ebenso zeigte sich oben, dass man dem Kemos, diesem kriegerischen Gott zu Ehren Gefangene abschlachtete. Dies ist Zle. 16 f. der Inschrift von Astar-Kömos gesagt, in welcher Zusammensetzung wohl eine Verschmelzung dieser männlichen mit einer weiblichen Gottheit erscheint1), wobei die voranstehende weibliche dominieren dürfte, so dass zu übersetzen wäre: der Astar-Kömos. Damit hängt wohl zusammen, dass dieser Gottheit namentlich auch Weiber und Kinder geopfert wurden. Dass auf moabitischem Gebiet die Kultusstätte des Baal-Peor lag, sahen wir oben. Allein dieser Gottesname und Kultus scheinen mehr geographisch als national bedingt gewesen zu sein und die Machtsphäre des Kemos innerhalb des Moabiterstammes nicht begrenzt zu haben. Auch von einem Nebodienste verlautet nichts, wiewohl der moabitische Ort dieses Stammes Offenbarungsstätte jenes babylonischen Gottes gewesen sein kann. Man sieht, diese Stämme zeigen noch deutlich den Übergang von einer natürlichen Einheit zur Mehrheit der Gottesidee. Den Stamm selber interessiert nur sein Gott, der ihm die Gottheit schlechthin ist, und erst im friedlichen oder feindlichen Zusammentreffen mit andern Völkern wird er eine wirkliche Mehrheit inne. Doch gibt er selbst im Fall des Unterliegens die Superiorität des feindlichen Gottes nicht zu: der eigene Gott hat nur ungnädig seine Hilfe versagt; sonst wären die Feinde nicht übermächtig geworden! Dies zeigt deutlich, dass man nicht meint, einen in seiner Macht beschränkten Partikulargott zu verehren, sondern in seinem Stammgott ein Wesen von unendlicher, unbeschränkter Machtfülle zu kennen glaubt, dem die andern Götter, welche auftauchen, nicht ebenbürtig sind. Der Gott der A m m o n i t e r heisst Milkom 1 Iiön. 11, 5 . 3 3 ; 2 Kön. 23, 13 2 ). Er ist eine Weiterbildung des einlachem phönizischen Gottesnamens Milk („König"), bei den Israeliten auch Molek3), wie 1 Kön. 11, 7 der Ammonitergott genannt wird, sonst der mit diesem identische in Israel verehrte Abgott, welchem zu Ehren Kinder verbrannt wurden 4 ). Die jüdische Haggada schildert das eherne Molekbild menschenähnlich, mit Ochsenkopf und aus1) Vgl. B ä t h g e n , Beiträge S. 255 f. und oben S. 242. 2) Vgl. auch zu Jerem. 49, 1. 3 und zu Zeph. 1, 5 und siehe oben S. 237. 3) Siehe über die Form oben S. 237 f. 4) Lev. 18, 21; 20, 2. 5; 2 Kön. 23, 10; Jer. 32, 35.
Moabiter.
Ammoniter.
Edomiter.
257
gebreiteten Armen, in welche die Kinder gelegt worden seien, nachdem man im Hohlraum der Statue Feuer eingelegt und sie glühend gemacht hatte. Dass die Ammoniter ihrem Milkom Menschenopfer brachten, ob auch vielleicht nur in Zeiten der Not und Gefahr, oder wenn ausländischer Einfluss dieser Unsitte Vorschub leistete, ist nicht zu bezweifeln. Von einem solchen Naturgott — offenbar ist ja auch dieser Milkom oder Molek kein anderer als Baal-Melkart in neuer, nationaler Besonderung — konnte ein heiligender Einfluss auf das Volk nicht ausgehen. Es haben denn auch weder die grausamen (Arnos 1, 13) Ammoniter noch die grosssprecherischen (Jerem. 48, 29 f.) Moabiter irgend eine Spur höheren geistigen oder edlern religiösen Lebens hinterlassen. Das schliefst freilich nicht aus, dass auch bei ihnen, wie wir es gleich bei Edom finden werden, zu Zeiten eine reinere Gotteserkenntnis und bessere Lebensweisheit gedeihen mochte. In den Erinnerungen, welche die Israeliten über den Ursprung und die frühere Entwicklung dieser Stämme aufbewahrt haben, spricht sich aus, dass sie zwar vom selben würdigen Stamme wie Abraham ausgegangen, aber von Anfang an sich stark mit ihrer kanaanitischen Umgebung eingelassen und von ihr viel heidnische Unsitte angenommen haben. Noch näher als die eben genannten Stämme war mit Israel E d o m verwandt, ein südlich von Kanaan in meist öden Wohnsitzen hausendes Jägervolk, das immerhin nicht ohne eine gewisse Kultur zu denken ist und namentlich durch seine Spruchweisheit berühmt war'). Bei diesen Edomitern scheinen verschiedene Gottesnamen 2 ) gangbar gewesen zu sein nach den Eigennamen der Könige zu schliessen, die bald mit Baal 3 ), bald mit Malik 4 ), bald mit kaus, kös 5 ) gebildet sind. Ein mit letzterm ähnlich klingender Name, den Josephus als idumäisch erwähnt, (Ant. 15, 7, 9) Ko£?., ist davon zu unterscheiden, und mit dem arabischen Gewittergott kozeli 6 ) zu identifizieren. Allein diese Benennungen können doch nur auf wesentlich denselben Gott bezogen worden sein, der im allgemeinen einheitlich in Edom verehrt wurde, auf die Himmel und Erde regierende höchste Gewalt, welche freilich diesem Volke sich nicht so herrlich und heilig geoffenbart hatte, wie dem israelitischen Brudervolk, aber immerhin nicht ohne ernstern, sittigenden Einfluss auf das Leben scheint geblieben zu sein. Das Buch Hiob wenigstens, dessen weisester Redner Elipbas jedenfalls ein Themaniter, also Edomiter ist (mag man nun das Land Uz, welchem der Schauplatz der Geschichte angehört, in Edoms Nachbarschaft oder im Hauran suchen), lässt erkennen, dass der Schöpfer Himmels 1) Obadja Vers 8; Jer. 49, 7. Vgl. das Buch Hiob. 2) Gegen S t a d e , der Edom selbst als ursprüngl. Gottesnamen fasst, s. B ä t h g e n , Beiträge S. 10. Vgl. aber auch oben S. 150. 3) So Baal chanan Genes. 36, 38. 4) So Malikräm in assyr. Inschr. KAT 2 S. 150. 5) Assyr. ka-us = oip KAT 2 S. 150 u. 613. B ä t h g e n , Beitr. S. 11. G) B ä t h g e n ebenda. Vgl. ZDMG 32, 563 f. O r e l l i , Keligionsgescliiclite.
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Religion der Edomiter und Araber.
und der Erde, der Lenker aller menschlichen Geschicke, diesem Volke bekannt war, der sich in Natur und Geschichte dem kontemplativen Sinn der "Weisen erschloss und mit den Frommen in ein näheres Verhältnis sich einliess, die sich von dem bei diesen Nomadenstämmen häufigen Gestirndienst rein hielten und an dem unsichtbaren, überirdischen Gott festhielten. Zwar ist hier die Religion dieser ausserisraelitischen Bruderstämme offenbar idealisiert, aber es musste dieselbe doch solcher idealer Auffassung einigermassen fähig und würdig sein. Von Bilderdienst der Edomiter verlautet denn auch nichts ausser 2 Chron. 25, 14. Vielleicht hat derselbe nur zeitweilig Eingang gefunden. Ganz ähnlich haben wir uns die alte Religion der auf der Sinaihalbinsel und im Norden der a r a b i s c h e n Halbinsel niedergelassenen, mit Israel verwandten Stämme (Midian, Ismael, Keniter u. "s. w.) zu denken. Aber auch die S ü d a r a b e r haben nach monumentalen Überresten, auf deren religionsgeschichtliche Bedeutung B o m m e l 1 ) aufmerksam gemacht hat, in der frühesten erkennbaren Zeit eine nicht zu verachtende Höhe des Gottesbewusstseins innegehabt. Die betreffenden Inschriften im minäischen und sabäischen Dialekt reichen an den Anfang des ersten Jahrtausends v. Chr. zurück. Die frühesten von den sabäischen Königen, welche sich erst nicht Könige, sondern mukarrib oder inakrub (Priesterfürsten) nannten, stammenden mögen aus dem 10.—8. Jahrh. v. Chr. herrühren; noch früher setzen Ed. Glaser und Hommel die des Königreichs Main an. Die in den minäischen angerufenen Gottheiten sind A t h t a r (sprich: Astar) = babvl. Istar, aber ein männlicher Gott; W a d d (Gott der Liebe), en-karih (Gott des Hasses), in Hadramaut besonders Sin (der babyl. Mondgott), Sohn des Athtar u. a. m. Hier herrschte also Polytheismus. Hommel macht aber geltend, dass in den minäischen Personennamen in der Regel nicht diese- Götternamen, sondern einfach ilu erscheint, selten etwa Wadd oder Athtar, abgekürzt Atht. Er schliesst daraus auf eine weiter zurückliegende Zeit, wo die von aussen (Babylonien) importierten Götter noch nicht verehrt wurden, sondern die Gottheit schlechthin, ilu. Von dieser Gottheit sagen jene Eigennamen grosses und mannigfaltiges aus: Iii wahaba, „mein Gott hat gegeben". Iii jada'a, „mein Gott ist (all)wissend". Iii cazza, „mein Gott ist mächtig". Iii padaja, „mein Gott hat erlöst". Iii sami'a, mein Gott hat erhört" u. s. f. Ebenso mit umgekehrter Wortstellung: Jadhkur ilu, „Gott gedenkt" u. s. w. Merkwürdig für das Verhältnis zwischen Gott und Menschen ist ferner, dass der Gottesname häufig durch Verwandtschaftsbezeichnungen umschrieben ist, deren Gebrauch eine innige Beziehung zur Gottheit voraussetzt, besonders durch
1) Fr. H o m m e l , Die Altisraelitische Überlieferung, München 1897, S. 75 ff.
Araber. Israel.
Christentum.
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abi 1 ), z. B. Abi amara, „mein Vater gebietet", Abi sami'a, „mein Vater hat erhört" u. s. f., ebenso mit 'ammi, mein Oheim ( = Vormund, Beschützer), ebenso chäli (mein Oheim, speziell Bruder der Mutter), dädi, mein Vetter, achi, mein Bruder. Ferner wird statt Gott gesetzt sumhu, „sein Name". Diese Zusammensetzungen mit ammi, chali u. s. f. sowie mit sumhu sind am häufigsten in den minäischen und ältesten sabäischen Inschriften, werden dagegen späterhin selten; sie deuten also auf den frühesten Besitzstand der Religion, der kein geringer gewesen sein kann, da sie einen erhabenen und doch mit den Menschen in innigem Verhältnis und Verkehr stehenden Gott erkennen lassen. Es ist hier auch daran zu erinnern, dass die „Königin von Saba" Salomo besuchte, um seine Weisheit zu hören 2 ), was voraussetzt, dass ähnliche Weisheit, die nicht ohne allen religiösen Charakter zu denken ist, in ihrem eigenen Lande Pflege fand. Auch ist zu beachten, dass die Israeliten sich bewusst waren, ihre Spruchweisheit nicht als ein ausschliessliches Besitztum ihres Volkes ansehen zu dürfen, sondern sie in gewissem Sinn als ein Gemeingut mit den verwandten Stämmen pflegten, daher sie sich nicht scheuten, aucli Sprüche nichtisraelitischer Weiser in ihre Sammlungen aufzunehmen, wie die Überschriften Sprüche Sal. 30, 1; 31, 1 bcweisci) 3), oder in deren Namen zu lehren, wie das Buch Hiob zeigt, von welchem oben die Rede war. Von dem, was wir erst aus nachchristlichen Quellen über das arabische Heidentum erfahren, wird später die Rede sein. Der theologisch wichtigste Zweig dieser Gruppe aber, der i s r a e l i t i s c h e , der sich als der lebensfähigste und fruchtbarste in der ganzen Religionsentwicklung erwiesen hat, kann und soll in diesem Buche nicht behandelt werden, da es nicht möglich wäre, ihm den nach seiner Bedeutung schuldigen Raum zu gewähren. Würde doch seine Darstellung nicht nur die gesamte alttestamentliche Entwicklung, sondern nicht minder die als Frucht und Krone daraus hervorgegangene Entstehung des C h r i s t e n t u m s , sowie dessen ganze Entfaltung in der Missions- und Kirchengeschichte bis auf unsere Tage umfassen müssen, Gebiete, welche in mannigfachster Weise von jeher bearbeitet worden sind, so dass es an Darstellungen derselben nicht mangelt. Hier möchten wir nur mit einigen Hülfslinien andeuten, wie diese Gebilde sich in den Entwicklungsgang des gesamten religiösen Lebens einordnen, zugleich aber von den übrigen Religionen sich charakteristisch 1) Diese Erscheinung' ist von Wichtigkeit für die Erklärung1 der hebräischen Eigennamen Abinadab, Abieser, Amminadab, Achinadab u. s. w. 2) 1 Kön. 10, 1 ff. 3) Das nordarabische Königtum Massa Sprüche 31, 1 (vgl. Gen. 25, 14) ist auch durch die assvrischen Inschriften bezeugt. Siehe Sayce. Higher Criticism(1895) S. 479 f.
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Die semitische Völkerfamilie.
abheben und den Höhepunkt bilden, welchem die andern gewissermaassen zustrebten, ohne ihn zu erreichen, von wo aus wir sie daher wahrhaft überschauen und ihren Wert beurteilen können.
IV. Israel und die Semiten1). Als die im engsten Sinn semitische Gruppe, welche den semitischen Typus am reinsten erhalten hat, sind die soeben aufgezählten, mit den Hebräern nächstverwandten syro-arabischen Völkerschaften zu betrachten, welche in der Bibel (wie Israel selbst) von Terach abgeleitet werden. Zu den Semiten gesellen sich aber auch die Assyrer und (teilweise) Babylonier (Chaldäer). Die. Meisten rechnen dahin hauptsächlich um der Sprache willen, aber im Widerspruch mit den biblischen Angaben auch die Phönizier und (sämtliche) Kanaanäer und die Karthager. Es kann jedoch die semitische Abstammung nicht untrüglich aus der Sprachgemeinschaft abgeleitet werden, indem vielfach Mischung der Bevölkerung und Sprachentausch stattgefunden haben. Dagegen die Verwandtschaft der Hebräer mit den Arabern, sowie den ihnen benachbarten Völkerschaften Edom, Ammon, Moab und einem grossen Teil der nordöstlichen Syrer (Aramäer) kann nicht in Zweifel gezogen werden, und die hebräische Tradition darüber ist um so unverdächtiger, da Israel mit manchen dieser Völker (Midian, bes. aber Edom, Moab, Ammon) fast nur in feindliche Berührung gekommen ist. Bloss hypothetischen Wert haben die Aufstellungen über den ursprünglichen W o h n s i t z dieser Semiten. A. S p r e n g e r 2 ) und Eb. S c h r ä d e r 3 ) haben darzuthun versucht, dass das Stammland aller Semiten, die Chaldäer, Assyrer, Aramäer, Kanaanäer mit inbegriffen, die a r a b i s c h e H a l b i n s e l gewesen sei, und manche 1) Vgl. ausser den S. 227 f. und 250 angeführten Schriften von B a u d i s s i n , .Robertson S m i t h , W e l l h a u s e n , T i e l e , B ä t h g e n u. s. f. besonders auch E. R e n a n , Histoire générale et système comparé des Langues Sémitiques, Paris 1855 (mehrmals abgedruckt). — B. S t a d e , Gesch. des Volkes Israel, 2 Bde., Berlin 1887. 88. — R. K i t t e l , Gesch. der Hebräer, 2 Bde., Gotha 1888—92; und besonders A. K ö h l e r , Bibl. Gesch. A. T., 3 Bde., Erlangen 1875—1893. — P. S c h o l z , Götzendienst und Zauberwesen bei den alten Hebräern, Regensb. 1877. — James Rob e r t s o n , Die Alte Religion Israels vor dem 8. Jahrh., Stuttg. 1896. — Fritz H o m m e l , Die altisraelit. Überlieferung- in inschriftl. Beleuchtung, München 1897. — Ernst S e l l i n , Beiträge zur israelit. u. jüd. Religionsgeschichte I, II, Leipz. 1896. 97. 2) Leben und Lehre des Mohammad I, 241 ff. — Derselbe, Die alte Geographie Arabiens als Grundlage der Entwicklungsgeschichte des Semitismus 1875. 3) ZDMG 27, 397 ff.
Urheimat und religiöse Anlage der Semiten.
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Neuere haben dem beigepflichtet 1 ). Allein die eingehender von Schräder hiefür angeführten Argumente dünken uns nicht zwingend, und der Hergang der Auswanderung, wie er ihn darstellt, wenig wahrscheinlich. Der starke Abstand, der in sprachlicher und religiöser Hinsicht die arabischen Semiten von allen andern trennt, ist der Herkunft dieser letztern aus Arabien nicht günstig. Dass die Araber in Sprache und Sitte den Semitismus am reinsten erhalten haben, lässt sich auch so erklären, dass dieser semitische Zweig schon in sehr früher Zeit sich von Norden oder Osten her auf jener Halbinsel festgesetzt hat und in diesem abgeschlossenen Lande seinen semitischen Typus am reinsten bewahren und ausbilden konnte 2 ). Will man mit Sprenger besonderes Gewicht darauf legen, dass die nomadisch gewöhnten Semiten sich nur in der Wüste denken lassen, so gibt es hiefür geeignete weite Strecken auch am Euphrat, und man braucht nicht bis nach dem Nofüd im innern Arabien hineinzugehen. Der noch erkennbare Zusammenhang der Semiten mit den Ariern erhebt es zur Gewissheit, dass auch die arabischen Semiten von Norden hergekommen sind. Genes. 11, 10, wo Arpachsad als semitischer Ahnherr erscheint, würde nach herkömmlicher Erklärung auf das Land Arapachitis nördlich von Assyrien, nordöstlich vom obern Tigris führen als einen frühern Sitz der Semiten. Allein jene Gleichung Arpachsad = Arapachitis ist mehr als zweifelhaften Rechtes. Hommel ^ erklärt jenes Wort = Ur Kasdim mit dazwischen getretenem ägyptischem Artikel pa. Cheyne 4 ) löst den Namen in zwei auf: „Arpak und Keschad". Alle nähern Vermutungen in Betreff der Urheimat der „Semiten" gehen über den sichern Boden der Geschichte hinaus. Wichtiger ist für uns die r e l i g i ö s e Anlage dieses semitischen Stammes, der, wie schon der alte Noah-Spruch andeutet (Genes. 9, 26), in religionsgeschichtlicher Hinsicht die höchste Bedeutung erlangen sollte, und aus dem die drei grossen monotheistischen Religionen, Judentum, Christentum, Islam hervorgegangen sind. E . R e n a n 5 ) hat versucht, die semitische Rasse zu charakterisieren und dabei auch ihre religiöse Bedeutung aus ihrer natürlichen Besonderheit abzuleiten. Die Bedeutung der Semiten liegt nach Renan weder in der politischen Geschichte noch in der Philosophie, noch in der Kunst, sondern eben ausschliesslich in der Religion: In der Geschichte haben sie kein Geschick für Staatenbildung be1) Z. B. Ed. M e y e r , Gesch. des Altertums I, 208. 2) Nur die Südaraber, Himjaren, zeigen, wie wir sahen, merkwürciig'e religiöse Berührungen mit den ihnen geographisch nahen Babyloniern. Das bab. Istar erscheint bei ihnen in der männlichen Form Athtar. Ebenso haben sie den Mondgott Sin. Hier ist wohl Einfluss von aussen anzunehmen. 3) H o m m e l , Altisr. Überlief. S. 293 f. 4) Siehe bei H o m m e l S. 296. 5) Histoire générale etc. s. vorige Seite.
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Charakteristik der Semiten.
wiesen und kein grösseres Reich zu Stande gebracht. Durch ihre Vielweiberei auf einer niedrigen Stufe der Gesellschaftsordnung zurückgehalten und wegen des Mangels an Unterordnung der Einzelnen auch keiner grossen Machtentfaltung im Kriege fähig, sind sie bei den primitivsten Staatsformen stehen geblieben. Zur Philosophie mangelte ihnen die objektive Beobachtungsgabe und die Fähigkeit der Abstraktion, des reinen Denkens. Was z. B. die Araber von Philosophie hatten, war rein bei den Griechen geborgt. In der Kunst stehen die Semiten hinter den Ariern weit zurück. Nur die Musik erfreute sich bei ihnen stets liebevoller Pflege. Für die objektivierenden Künste, Architektonik, Plastik, Malerei zeigten sie keine Anlagen. In der Poesie besassen sie kein Epos und kein Drama, sondern nur Lyrik, Psalmen und symbolisierende Spruchdichtung. Allein um so mehr waren sie begabt, mit sicherm Instinkt, durch natürliche Intuition, die Gottheit zu entdecken und überall zu erkennen. Sie sind das Volk Gottes. Jene Zersplitterung der Gottheit, welche die Mythologie darstellt, ist bei ihnen nicht, eingetreten. Dafür waren sie zu wenig ideal gerichtet. Ihr nüchterner Verstand, ihr Mangel an Phantasie, die Monotonie ihrer Wüste machten sie zu Monotheisten. Nicht die Reife des Nachdenkens, sondern eben ihr natürlicher Instinkt trieb sie zu dieser Religionsform, da sie keinen Sinn für die Mannigfaltigkeit besassen, sondern nur für die Einheit. Ihre besondere Geistesanlage prägte sich am genialsten in der Prophetie aus, in der Vision. Dabei waren sie in der Religion notwendig fanatisch und intolerant, eben weil sie ausser ihrem Einen Gott einen andern nicht ertragen konnten. Renan selbst musste freilich sofort erkennen, dass diese Schilderung nicht auf alle die Völker passe, welche in der Bibel von Sem abgeleitet sind oder von der neuern Forschung diesem Stamme zugewiesen werden. Um von den organisationslustigen, gewerbsfleissigen Phöniziern nicht zu reden, die wir auch nicht als Semiten betrachten, tritt uns ein noch stärker von dieser Beschreibung abweichendes Bild in dem nach Blut und Sprache zweifellos semitischen Volk der kriegerischen Assyrer entgegen mit seiner grossartigen Reichsbildung und -Verwaltung und einem unleugbaren Talent für Baukunst und Bildnerei. Renan half sich aber so, dass er aus dieser Völkergruppe einen nomadischen Zweig ausschied, welcher allein den semitischen Rassencharakter treu und rein bewahrt hätte, während die mehr politischen Zweige der Semiten sich zu sehr mit fremder Kultur berührten und bereicherten, als dass sie diesen Typus noch rein darstellten. Er schränkt diesen echt semitischen Zweig auf die Völkerschaften ein, aus denen Judentum, Christentum und Islam hervorgingen, die „syroarabischen" Stämme mit Einschluss der Israeliten. In dieser Begrenzung lässt sich Renans psychologische Charakteristik des Semitismus schon besser hören, und ist nicht zu leugnen, dass darin viel Zutreffendes gesagt ist. Auch wird man
Eelig'iöse Anlage und Bedeutung der Semiten.
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der Annahme nicht abgeneigt sein, dass dieser Zweig in der That das semitische "Wesen im allgemeinen reiner erhalten habe als andere. Zweifellos richtig ist sodann, was man freilich längst wusste, wie es denn schon Gen. 9, 26 angedeutet ist, dass diese Völkergruppe weder in ihren Leistungen auf dem Gebiete des Staates noch auf denen der Wissenschaft (Naturkunde, Philosophie) noch auch in der schönen Kunst hervorragen, dass sie dagegen einer unvergleichlichen Mission für die r e l i g i ö s e Entwicklung der Menschheit sich rühmen darf. Mag auch Renan die Geistesarmut der Semiten übertrieben haben — dass sie hinter den edelsten arischen Völkern auf jenen Kulturgebieten zurückstehen, ist nicht zu leugnen, und auch das ist nicht zu verkennen, dass die grossartige Einheitlichkeit ihrer Gottesauffassung mit ihrer weltlichen Beschränktheit in einem gewissen historischen Zusammenhang steht. Gerade ihre Armut befähigte sie, sich um so einheitlicher auf das Göttliche zu koncentrieren, da sie weniger als andere in Gefahr standen, in den zerstreuenden Welteindrücken sich zu verlieren. Es fiel ihnen leichter als den objektiver beobachtenden und dialektisch begabteren Ariern, mit Übergehung der Mittelursachen die Welt in unmittelbarer Abhängigkeit von Gott zu schauen, statt bei den Mittelgliedern des Kausalnexus der Dinge stehen zu bleiben. Gleichwohl war es unrichtig, wenn aus dem Monotheismus ein blosses Erzeugnis semitischer Rasseneigentümlichkeit gemacht werden wollte oder gar ein weiterer Mangel, der dieser Rasse anhafte, als ob die Kenntnis Eines Gottes eine niedrigere Geistesstufe bekundete im Vergleich mit einer ausgebildeten Mythologie! Vielmehr zeigt die Geschichte, dass die Naturanlage der Rasse zur Entstehung und Bewahrung des Monotheismus nicht ausreichte; noch viel weniger lässt sich aus ihr allein die erhabene Stellung erklären, welche die biblisch-semitische Gotteserkenntnis innerhalb der Religionsgeschichte einnimmt. Es zeigt sich nämlich, dass die streng einheitliche Auffassung der Gottheit gar kein durchgängiges Merkmal der semitischen Völker ist, nicht einmal wenn wir bei den letztern nur an den engen, von Renan gezogenen Kreis denken. Die Araber sowohl als die Hebräer zeigen einen starken, zeitweise übermächtigen Hang zur Vielgötterei bis hinab zum Fetischdienst. Und auf die geistige Aristokratie darf man sich, wie Max Müller1) mit Recht hervorhebt, nicht berufen, wenn man vom natürlichen Instinkt einer Rasse spricht; denn ein solcher müsste sich gerade in den Ungebildeten, im gemeinen Volk am unmittelbarsten und sichersten zeigen. Wohin aber der natürliche Trieb auch in dem „Volke Gottes" y.ar' e^oyjjv ging, zeigt die Geschichte des stetsfort sich wiederholenden Abfalls Israels vom Einen, wahren, geistigen Gott, wobei es immer wieder zu dessen Verehrung im Bild und damit notwendig zur Vielgötterei herabsank. Schon vor Abraham war der Stamm nach deutlichen Spuren in solche Abwege hinein1) Essays I : Über den semitischen Monotheismus.
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Religiöse Charakteristik der Semiten.
geraten. Anderseits sahen wir auch die Chinesen lind Ägypter,, sowie die nichtsemitischen Babylonier von einem einheitlichem. Gottesglauben herkommen, und bei den Ariern wird sich dasselbe ergeben. Gleichwohl ist nicht alles Einbildung, was man von n a t ü r licher Anlage der Semiten zum Monotheismus gesagt hat. N u r genügte diese Anlage nicht, um einen wahrhaft monotheistischen Gottesglauben hervorzubringen, wofern nicht durch besondere g e schichtliche Offenbarungen dieselbe geweckt, entwickelt und b e w a h r t wurde. Diese Anlage ist teils mehr negativer Art: Mangel ani E i n b i l d u n g s k r a f t , welche die Einheit des Gottesbegriffes hätte: stören können, Mangel an analytischer und dialektischer B e g a b u n g , welche leicht ü b e r zwischenliegenden Ursachen den obersten U r heber k a n n vergessen machen; dazu eine gewisse kunstlose Einfachheit der Sprache, welche den Ursinn der Wörter viel g e t r e u e r erkennen lässt u n d im Gedächtnis bewahrt als bei den Ariern, deren schillernde, vieldeutige Sprachen zur Entstehung der Mythenund Götterwelt nicht wenig beigetragen haben. Als positive Eigenschaft der Semiten kommt ausserdem namentlich in Betracht eine gewisse energische Koncentration des Lebens und Strebens, welche zwar dasselbe auch in den Dienst geringer Güter stellen k a n n , aber im Dienste des höchsten Gutes das grösste leistet. Der Boden, aus welchem die alttestamentliche Religion Israels hervorgegangen ist, war ein Semitismus, welcher einen überweltlichen Gott kannte, der freilich leicht in die Natur herabgezogen werden und zu einer Mehrheit sich spalten konnte, wie dies vor und nach A b r a h a m bei allen mit ihm verwandten Stämmen m e h r oder weniger eintrat. F r a g t man nun, wie es in Israel allein zum bleibenden Besitz eines einheitlichen, wahrhaft ü b e r der N a t u r erhabenen Gottes kommen konnte, so ist aus der Bibel die Antwort zu e n t n e h m e n : Durch O f f e n b a r u n g des lebendigen Gottes a n einzelne Fromme, u n d zwar besteht die Form dieser Offenbarung in unmittelbarer Einsprache des göttlichen W o r t e s , des reinsten und wahrsten Ausdrucks, in weichein der Geist sich äussert, u n d unterscheidet sich so wesentlich von den mannigfachen Medien, durch welche die Völkerwelt K u n d g e b u n g e n der Gottheit zu erlangen trachtete u n d glaubte 1 ). Eben diese geheimnisvolle F o r m , in welcher später Gott unmittelbar zu seinen erkorenen W e r k z e u g e n und durch dieselben redete, nimmt die einstimmige Überlieferung dieses Volks schon bei A b r a h a m an, bei welchem ein erster Ansatz zur Bildung der spezifischen biblischen Religion auf semitischem Boden stattfindet. Ein weiterer Fortschritt k n ü p f t sich an die ebenfalls prophetische Person des M o s e , durch welchen die abrahamische Stammesreligion eine nationale wird. Und die weitere Erhaltung, Selbstreinigung u n d F o r t b i l d u n g dieser Religion vollzieht 1) Siehe darüber v. O r e l l i , Die alttest. Weissagung von der Vollendung des Gottesreiches, Wien 1882, S. 15 ff. und PRE 2 Art. Weissagung.
Die Religion Abrahams.
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sich meistens durch prophetische Organe, welche die göttliche Wahrheit und den reinen Willen J a h v e h s immer wieder den entarteten Vorstellungen u n d Gebräuchen entgegensetzen. Die abrahamische Religion beginnt zwar nicht — wie etwa der Islam — mit dogmatischer F o r m u l i e r a n g der Einheit Gottes, aber mit so lebensmächtigen Bezeugungen einer e i n z i g a r t i g e n , geistigen, in der Welt souverän waltenden und auf ihre Verehrer ethisch wirkenden Gottheit, dass neben ihrem Dienst jede Verehrung anderer Wesen als Untreue erscheinen musste. Nun sahen wir zwar, dass auch andere, besonders semitische Völkerschaften nur Einem Gotte d i e n t e n , und insofern ist der Unterschied zwischen ihnen und den Patriarchen Israels nicht sehr in die Augen fallend. Allein der Geist der Offenbarungen, welche letztere empfingen, war von Anfang an ein edlerer, höherer, reinerer. Von Abbildungen dieses Gottes findet sich in der patriarchalischen Zeit keine Spur, und wo die Teraphim vorkommen, spricht sich das Bewusstsein aus, dass diese Versinnlichungen von göttlichen Mächten etwas von einem anderen Stamme Importiertes, in Abrahams Haus eigentlich Verbotenes seien 1 ). Dergleichen Spuren von Heidentum zeigen n u r , dass der abrahamische Glaube ausarten konnte, wie es zweifellos bei Amnion, Moab und auch Edom geschehen ist und auch in Israel nach der Unart der menschlichen Natur geschehen musste, wenn nicht die Erkenntnis des wahren Gottes durch besondere Erfahrungen und fortgesetzte Offenbarungen immer wieder aufgefrischt wurde, so dass sie gegen den natürlichen H a n g zur Anpassung des Göttlichen an die sinnlichen und selbstsüchtigen Triebe der Menschen sich siegreich behauptete. Der im Himmel wohnende Gott Abrahams, der in seinen Offenbarungen durch keine Landesgrenzen beschränkt war, wurde vor Altären unter freiem Himmel angebetet. Wo geheiligte Steine vorkommen (Gen. 28, 18), sollen sie n u r die Offenbarungsstätte des himmlischen Gottes kennzeichnen. Diesen Kultus aus dem Glauben an Steinfetische abzuleiten ist ein um so unberechtigteres Unterfangen, als auch die verwandten Stämme (die Araber eingeschlossen) nicht mit Fetischdienst, augefangen haben, aus welchem überhaupt nirgends eine höhere Religion sich entwickelt. Aber auch nicht so verhält es sich, dass der Gott der Israeliten von Haus aus durch die engen Grenzen des Stammes beschränkt gedacht worden wäre. Dies ist nicht einmal bei jenen übrigen Stämmen das ursprüngliche. Vielmehr w a r diesen in der frühesten Zeit ihr Stamm ihre Welt, in welcher u n d f ü r welche sie lebten, weshalb auch nur die Bedeutung der Gottheit für ihren Stamm sie interessierte; es w a r die einzige, von der sie wussten. Erst durch die Berührung mit a n d e r n Stämmen und Völkern, welche anderswie benannte und besondertc Götter verehrten, wurden sie zur Annahme mehrerer Götter genötigt, ohne jedoch willig einem 1) Vgl. Genes. 31, 19 ff.; 35, 2. 4.
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Die früheste Religion Israels.
a n d e r n Gott die Ebenbürtigkeit mit dem ihrigen zuzuerkennen, dessen Superiorität sie nach K r ä f t e n festhielten. Zu jener unfreiwilligen V e r m e h r u n g der Götter kam dann noch j e n e r unwillkürliche Trieb, die überirdische Macht irdisch zn symbolisieren und das Symbol zu vergöttlichen. So kam es bei ihnen schliesslich zu Fetischismus u n d damit notwendig zu Polytheismus. Was nun speziell die H e b r ä e r anlangt, so hat ihnen seit Abraham, d. h. seit sie sich als selbständigen Stamm wussten, die Einzigartigkeit ihres Gottes festgestanden, und diese musste auch theoretisch zur Einheit führen. Zwar haben auch sie die E r f a h r u n g gemacht, dass ü b e r andere Völker andere Götter herrschten, und so können auch die T r ä g e r der wahren Gotteserkenntnis empirisch von andern Göttern reden und ihnen einen relativen Machtbesitz zuschreiben, a b e r in eben jenen Aussprüchen, welche man für ihre Anerkennung anderer Gottheiten geltend macht, wird die Unvergleichlichkeit ihres Gottes, seine Superiorität über alle andern aufs stärkste betont, welche konsequent ausgedacht dazu führen musste, den andern die Gottheit überhaupt abzusprechen. J e n e empirische Auffassung, die andern Göttern ein relatives Dasein und eine gewisse Macht zugesteht, und diese konsequent prinzipielle linden sich daher zeitlich nicht bloss nach einander, sondern auch neben einander, weil die eine die andere richtig verstanden nicht ausschliesst. Eben deshalb ist es aber auch nicht zutreffend, wenn man neuerdings es liebt, clen ältern Israeliten (und zwar noch weit über Mose hinaus) nicht Monotheismus, sondern „Monolatric" zuzuschreiben. Letzterer Begriff wird schon der ältesten erkennbaren Phase, der vormosaischen, nicht gerecht. Wir verweisen in Betreff dieser F r a g e n namentlich auf B a u d i s s i n 1 ) u n d B ä t h g e n 2 ) , von denen der Letztere auch aus den Eigennamen der Israeliten, die im Unterschied von den Personennamen der oben behandelten Völker nirgends auf mehrere Götter schliessen lassen, nachweist, dass wir uns die Israeliten, soweit unsre Nachrichten von ihnen zurückreichen, nicht als Polytheisten zu d e n k e n haben, sowie er den m e r k w ü r d i g e n Umstand hervorhebt, dass das Hebräische f ü r „Göttin" nicht einmal ein W o r t gebildet hat, woraus sich ergibt, dass die bei den übrigen Semiten d u r c h g ä n g i g e geschlechtliche Differenzierung der Gottheit bei diesem Volke nie stattgefunden hat. Die Geschichtlichkeit der religiösen Entwicklungsstufe, welche durch den Namen Abrahams gekennzeichnet wird, können wir hier nicht näher darthun. Ebensowenig ist hier der Ort, die neuerdings bestrittene historische Realität des M o s a i s m u s zu erhärten, wo der Eine, geistige, daher bildlose, heilige, d. h. ü b e r aller 1) Studien zur serait. Relig'ionsgesch. I, 46 ff.: Die Anschauung des A. T. von den Göttern des Heidentums. 2) Beiträge zur semit. Relig'ionsgesch.: Der Gott Israels und die Götter der Heiden.
Mosaische Religion: Jahveh.
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K r e a t u r und ihrer Unreinigkeit erhabene Gott unter dem Namen J a h v e h 1 ) der Gott der zu einem nationalen Ganzen vereinigten Stämme wurde. Immerhin sei bemerkt, dass dieselbe namentlich auch durch die u n a n f e c h t b a r e n einstimmigen Zeugnisse der Propheten gestützt wird. W e n n in neuerer Zeit häufig die Vorstellung sich finden lässt, als w ä r e der ethische Monotheismus etwas, was erst diejenigen Propheten, deren Schriften wir besitzen (man denkt dabei in erster Linie an Arnos, da man Joel viel später anzusetzen pflegt), den ethischen Monotheismus in Israel eingeführt, so widerstreitet dem die ganze Haltung des Arnos und Hosea selbst, die nichts weniger als eine neue, höhere Lehre von Gott proklamieren wollen, vielmehr all das kanaanitisclie Unwesen in Leben und Kultus als einen unverantwortlichen Abfall von der höhern Stufe, die man unter Mose innegehabt, anklagen, und die Kenntnis des heiligen Gottes, cler souverän in Natur und Geschichte waltet, als etwas Selbstverständliches voraussetzen. Aber auch die Zeugnisse der historischen Bücher f ü r die Geschichtlichkeit einer am Sinai erfolgten grundlegenden Offenbarung des heiligen Gottes Jahveh unter Mose können nur durch tendenziöse Skeptik entwertet werden. Bei der schöpferischen Gestaltung des israelitischen Volkstums, die Mose im Namen des neu offenbar gewordenen Gottes vollzog, ist gar nichts anderes denkbar, als dass er auch den gesamten Kultus und den rechtlichen Brauch des Jahvehvolkes nach dem Gesichtspunkt dieser Offenbarung ordnete. Nahm er doch äusserlich eine ähnliche Stellung ein wie Muhammed zu Medina, als der Mann Gottes, der in allen solchen Dingen die oberste, untrügliche Autorität darstellte und bei jedem Anlass um Thora, d. h. Mitteilung des göttlichen Willens, angegangen wurde. Dass er dabei nicht gänzlich neue Formen des Gottesdienstes und Lebens einführte, sondern die vorgefundenen semitischen Gebräuche verwendete, lehrt die Vergleichung der israelitischen mit denen verwandter Stämme. Allein diese gottesdienstlichen Formen haben
1) In diesem Namen prägt sich nach der authentischen Erklärung Exod. 3, 14 eben diese schlechthinige Erhabenheit aus. Alle andern Erklärungen sind teils notorisch unrichtig, teils unbeweisbar und daher wertlos. Ebenso verhält sichs mit den Vermutungen, welche diesen Gottesnamen von andern Stämmen ableiten oder in ihm einen ursprüng - lichen Naturgott (Feueigott oder Gewittergott) sehen wollen, wie z. B. S m e n d , Lehrb. der alttest. Religionsgesch. 1893, S. 21, K a v s e r - M a r t i , Theol. des A . T . 2 S . r>8. Siehe Ed. K ö n i g , Hauptprobleme S / 2 9 ff. James R o b e r t s o n , Die alte Rel. Isr. S. 191 ff. Vgl. auch Herrn. S t r a c k , Kurzgef. Kommentar I, 182. — H o m m e l (Altisr. Überl. S. 101. 11 225 f.) ist der Meinung, ein unverständlich gewordener altsemitischer Gottesname Ja oder Ai, Jah, Jahu sei von Mose zu Jahveh erweitert worden und habe dadurch jenen bestimmten Sinn erlangt, den Exod. 3, 14 angibt. (Die Form sei mehr arabisch als hebräisch, weil die Hebräer damals noch diese Mundart redeten.) Dafür spricht, dass schon der ägypt. König Thutmes III. (16. Jahrh.) eine Stadt Baitija (Haus des Ja) kennt. W. Max M ü l l e r , Asien etc. S. 312 f.
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Heidnische Einflüsse auf die Religion Israels.
durch Beziehung auf Jahveh neuen, tieferen Inhalt und höhere Weihe empfangen und auch die von Mose aufgenommenen, bezw. beibehaltenen Bräuche wie ßeschneidung, Reinigkeitssatzungen, Speisegesetze u. dgl. stehen mit dein ethischen Prinzip der Jahvchreligion in unverkennbarem Zusammenhang und dürfen daher nicht einfach aus dem Sinn heidnisch arabischer oder kanaanitischer oder gar polynesischer (Tabu u. dgl.) Gebräuche gedeutet werden, wie es neuerdings beliebt geworden ist. In Betracht zu ziehen ist jedoch, dass seit der E i n w a n d e r u n g Israels in K a n a a n und der Niederlassung in diesem Lande eine starke Versetzung der mosaischen Religion mit kanaanitischen Elementen stattgefunden hat. Musste schon ein Mose gegen den natürlichen H a n g des Volkes zu sinnlichem Kultus kämpfen, so begreift sich um so mehr, dass die mit Kanaanitern gemischten, unter sich wenig zusammenhangenden Stämme und Splitter von Stämmen von jenem im Lande längst eingerichteten, ihnen an Kultur überlegenen Volk vieles angenommen haben. Sie übernahmen von diesem die heiligen Stätten, an welche sich teilweise auch f ü r sie geheiligte Erinnerungen knüpften. Zugleich aber nahmen sie leicht auch deren sinnliche Symbole und üppigen Naturkult an. Mit dem Namen Baal, der als Ehrenname für J a h v e h auch von den Hebräern anfänglich ohne Arg gebraucht wurde, schlich sich bald auch das unheilige Wesen des so benannten kanaanitischen Naturgottes in ihre Vorstellungsweise, ihren Kultus und ihr ganzes Leben ein. Der Höhendienst, in welchem die Israeliten ihrem Jahveh zu huldigen gewillt waren, w u r d e dem Baaldienst der bisherigen Inhaber dieser Heiligtümer nur allzu ähnlich, u n d die heidnischen Gewohnheiten, die sich von alters her an diese knüpften, dauerten trotz der B e k ä m p f u n g durch Propheten u n d einzelne strenger gesinnte Könige bis zum Exil fort. Dazu kamen ausländische Kultusformen u n d Unsitten, welche von den Nachbarn u n d den mit Israel im Lauf der Zeit in feindliche und freundliche B e r ü h r u n g getretenen Grossmächten her nur zu leicht Eingang fanden. Ein Niedergang von der durch Mose im Volke massgebend gewordenen religiösen Erkenntnis prägt sich vor allem im B i l d e r d i e n s t aus, d. h. in der Verehrung des übersinnlichen Gottes, J a h v e h , unter der Gestalt einer K r e a t u r , besonders des Stiers 1 ), wogegen schon Mose zu kämpfen hatte (Exod. 32)-). In Kanaan 1) Im A. T. ist dafür durchgängig der Ausdruck 'Egel, Kalb gebraucht. Es kann aber kaum einem Zweifel unterliegen, dass Stierbilder gemeint sind (vgl. Psalm 106, 20), welche um der Verjüngung des Massstabs willen von den Verehrern des geistigen Gottes spottweise „Kälber" genannt werden mochten. 2) Den Nachweis dafür, dass die mosaische Offenbarung den Bilderdienst prinzipiell ausschloss, siehe bei Ed. K ö n i g , Hauptprobleme und vgl. dazu James R o b e r t s o n , Alte Rel. Isr. S. 150 ff. Beide Schriften haben überhaupt die moderne Vorstellung, als ob die Selbstentwicklung
Der Bilderdienst.
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finden wir beim Volke Israel den Bilderdienst bald wieder in der Richterzeit, zwar nicht sicher bei Gideon (Eicht. 8, 27) 1 ), aber jedenfalls zu Dan (Rieht. 17), wo freilich über die Gestalt des Gottesbildes nichts verlautet. Dagegen ist bekannt, dass Jerobeam I solchc Stierbilder zu Dan und Bethel errichtete und damit diese Stätten zu Mittelpunkten des israelitischen Kultus machte. Streitig ist, ob die Stiergestalt dieser Idole auf ägyptischen Einfluss zurückzuführen oder von den Kanaanitern abzuleiten oder angestammte althebräische Gottesdarstellung gewesen sei. Gegen die letztgenannte, von manchen Neuern 2 ) vertretene Anschauung spricht, dass in der patriarchalischen Zeit bei Israel keine Spur davon zu finden ist. Auch wird nirgends das goldene Kalb als eine Entlehnung aus Kanaan bezeichnet. Gegen die erste (durch Ezech. 20, 7 f.; 23, 3. 8 nahegelegte) Ansicht lässt sich einwenden, dass man in Ägypten lebendige Stiere, nicht plastische, zu verehren pflegte, sowie dass dem hebräischen Sprachgebrauch die Verwendung von Stierhörnern u. dgl. zum Ausdruck der Kraft sehr vertraut war. Sicher ist, dass mit dem erhabenen, geistig-ethischen Gott vom Sinai, den Mose verkündete, eine solche nur die physische Macht und Zeugungskraft ausdrückende Abbildung im Widerspruch stand, weshalb von den erleuchteten Vertretern der mosaischen Religion dieselbe nirgends anerkannt wurde, während sie der sinnlichen Neigung des Volkes stets willkommen war. Direkt bekämpft wurde dieser Kultus von den Propheten Arnos und noch mehr Hosea, welche darin eine unverantwortliche Verschuldung, weil einen Abfall vom Bunde mit Jahveh unter Mose finden. Aber auch wo kein eigentliches Bild auf der Opferhöhe stand, waren die Altäre mit Mazeben, Steinsäulen und Äscheren 3 ), den Sinnbildern der vorisraelitischen Gottheiten, des männlichen und des weiblichen Naturgottes, versehen. Die Sinnbilder des kanaanitischen Naturdienstes wurden also in den israelitischen Jahvehdienst aufgenommen und dieser so mit dem Baaldienst verschmolzen. Mit den Symbolen nahm man aber auch die sinnlichen Gewohnheiten dieses Kultus an, Üppigkeit aller Art, Unmässigkeit, Unzucht, wie die Rügen derselben Propheten beweisen. Um so leichter konnte der Versuch gemacht werden, an Stelle Jahvehs geradezu den p h ö n i z i s c h e n B a a l zu setzen, was Isebel, die Gattin Ahabs, eine tyrische Prinzessin, Tochter des Königs und vormaligen Astarte-
iler kanaanitischen Naturreligion zum Jahvismus wissenschaftlich nachg e w i e s e n wäre, gut widerlegt. Siehe auch die Litteratur zur speziellen Frage bei K ö n i g S. 1 ff. 1) Bestritten wird dies von K ö n i g a. a. 0 . S. 62, K ö h l e r , Lehrb. d. bibl. Gesch. A T s II, 89. Vgl. auch O e t t l i im Kurzgef. Kommentar z. d. St. 2) Vgl. z. B. D i l l m a n n zu Exod. 32, 4 , B a u d i s s i n , P ß E * VII, 395 f. 3) S. oben S. 240. 243.
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Heidnische Einflüsse auf die Religion Israels.
priesters Ethbaal, zielbewusst ins Werk setzte 1 ), deren Unterfangen jedoch an dem Widerstand des grossen Propheten Elia scheiterte. Der religiöse Synkretismus und die Huldigungen an auswärtige Gottheiten hörten aber damit nicht auf. Ahabs Sohn Ahasja wandte sich in seinem körperlichen Leiden an den Gott zu Ekron, Baal-Zebub 2 ) um Auskunft. Aus Arnos 5, 26 3 ) geht hervor, dass man unter der nachfolgenden Dynastie Jehus in Israel planetarische Gottheiten der Assyrer verehrte, deren Bilder in Prozession umhergetragen wurden. In unmittelbarer Form lag übrigens die Versuchung zum Gestirndienst den Semiten seit der nomadischen Zeit nahe 4 ) und es fanden daher sowohl Sonnen- als Mond- und Sterndienst immer wieder leicht Eingang. Im Reiche Juda war es namentlich König A h a s 5 ) , der teils aus Kleinglauben, teils aus Wohlgefallen an den heidnischen Kulten solche einführte. Der Chronist (2 Chr. 28, 22 f.) berichtet, er habe, als er von den Syrern geschlagen worden, deren Götter verehrt in der Hoffnung, dass sie ihm dadurch günstiger würden. Vielleicht ist. damit der Sonnenkultus gemeint, für welchen er nach 2 Kön. 23, 11 f. heilige Rosse und Wagen hielt, die ohne Zweifel bei Prozessionen figurierten6). Auch die Opferung seines Sohnes an den Sonnen-Feuer-Gott (2 Kön. 16, 3; 2 Chr. 28, 3) kann damit in Zusammenhang stehen. Doch hatte er dafür ein näheres Vorbild an der altkanaanitischen, u. a. bei den Ammonitern und Moabitern herrschend gebliebenen Unsitte. Den Tempel Jahvehs auf Zion behandelte Ahas mit pietätloser Willkür, wie der 2 Kön. 16, 10 ff. erzählte Zug beweist, wonach er nach dem Muster eines Altars, den er zu Damask gesehen hatte, einen neuen Hauptaltar vor dem Tempel errichten liess, indem er den alten bei Seite schob. Da jener Aufenthalt in Damask eine Huldigung vor Tiglat pilesar (II) zum Zweck hatte, so ist auffällig, dass der König sich den Kultus des damals eben besiegten Damaskus zum Vorbild genommen haben soll. Manche meinen daher, es sei der tragbare (vielleicht dreieckige) assyrische Altar gewesen, den jener Herrscher mit sich führte. Allein der Wortlaut Vs. 10 scheint zu verlangen, dass jener Altar ständig zu Damaskus war; es dürfte daher mehr nur ästhetisches Wohlgefallen gewesen sein, was den König zur Nachahmung desselben trieb. Jedenfalls aber haschte er in seiner religiösen Haltlosigkeit nach möglichst vielen und sinnlichen Kultusformen und schreckte dabei vor den schlimmsten Greueln des Heidentums nicht zurück. Während er zuletzt das innere Heiligtum Jahvehs auf Zion rücksichtslos zuschloss (2 Chron. 28, 24; 1) Art. Elia 2) 3) 4) 5) 6)
Vgl. A r c3 h i n a r d , Israël et ses Voisins S. 51 ff. — v. Orelli, in PRE . S. oben S. 235. — 2 Kön. 1, 2 ff. S. meinen Komm. z. d. St. Vgl.Hiob 31, 26 f.; Deut. 4, 19; 17, 3. Vgl. K ö h l e r , Gesch. II, 2, 228 ff. A r c h i n a r d a. a. 0. 218 £f. Vgl. auch die Sonnenuhr des Ahas Jes. 38, 8; 2 Kön. 20, 11.
Hiskia.
Manasse.
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vgl. 29, 3. 7), b e g ü n s t i g t e er an allen E c k e n d e r S t a d t polytheistischen Bilderdienst u n d sanktionierte, wie schon b e m e r k t , d u r c h sein eigenes Beispiel die K i n d e r o p f e r , welche f o r t a n im I l i n n o m t h a l e am F u s s d e r H a u p t s t a d t d a r g e b r a c h t w u r d e n . W e l c h e r Gottheit, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Das Volk d a c h t e an Baal-Moloch, scheint a b e r a u c h J a h v e h mit diesem verschmolzen zu h a b e n 1 ) . Seit seiner U n t e r w e r f u n g u n t e r Assur wird d e r K ö n i g namentlich auch assyrischen K u l t u s der Planeten-Gottheiten a u f d e m Dache seines Söllers (2 Kön. 23, 12) gepflogen h a b e n . Z w a r folgte u n t e r Ahas' Sohn, H i s k i a , eine Art Reformation, w o r i n die Idole ( d a r u n t e r a u c h ein S c h l a n g e n b i l d , Nechustän, welchem g e r ä u c h e r t w u r d e in E r i n n e r u n g an N u m . 21, 9) vernichtet, der T e m p e l g e r e i n i g t , die ü b r i g e n K u l t u s s t ä t t e n entweiht wurden. Allein schon dessen Sohn u n d N a c h f o l g e r M a n a s s e leistete w ä h r e n d seiner l a n g e n R e g i e r u n g dem H e i d e n t u m , das im V e r b o r g e n e n fortgelebt hatte, allen e r d e n k l i c h e n Vorschub, so d a s s die d e m Götzenwesen g e w e i h t e n Altäre w i e d e r a u f g e r i c h t e t u n d selbst im T e m p c l g e b ä u d e auf Zion aufgestellt w u r d e n 3 ) . Gehörte dies zum alten H e i d e n t u m des L a n d e s , so w u r d e n a u c h a u s w ä r t i g e Gottheiten wieder a u f g e n o m m e n , n a t ü r l i c h vor allem assyrischb a b y l o n i s c h e . Auch die K i n d e r o p f e r im Hinnomthal bluteten a u f s neue u n d w u r d e n vom F e u e r des Baal-Moloch v e r s c h l u n g e n . A u c h hiebei ist assyrischer Einfluss nicht a u s g e s c h l o s s e n 3 ) . Jedenfalls r ü h r t von diesem die V e r e h r u n g des „ g a n z e n H i m m e l s h e e r e s " 4 ) , wobei namentlich an die Schicksalssterne wird zu d e n k e n sein 5 ), w ä h r e n d beim eigentlichen Sonnendienst s y r i s c h e r U r s p r u n g (s. oben) wahrscheinlicher ist. Die t r e u e n P r o p h e t e n , welche g e g e n solche Greuel ihre Stimme erhoben, s t a r b e n d e n Zeugentod B ). Es versteht sich, dass auch j e t z t mit d e m K u l t u s d e r N a t u r g ö t t e r sinnliche Fleischeslust wie G r a u s a m k e i t ihren E i n z u g hielten, sowie das m a n n i g f a l t i g e Z a u b e r w e s e n u n d a n d e r e r A b e r g l a u b e . Die Sinnlichkeit u n d U n g e b u n d e n h e i t solchen Gottesdienstes, welche dem fleischlichen Sinn des Volkes m e h r z u s a g t e n als d e r n ü c h t e r n e , strenge J a h v e h d i e n s t , e r k l ä r e n d e n Reiz, den er ausübte, u n d sein i m m e r e r n e u t e s E i n d r i n g e n auch in Zeiten, wo g e i s t e s m ä c h t i g e P r o p h e t e n J a h v e h s d a w i d e r Zeugnis a b l e g t e n . Dazu k a m e n in d e r 1) Jerem. 7, 31; Ezech. 20, 26. Anders K ö h l e r , Gesch. II, 2, 146. 2) 2 Kön. 21, 7; 23, 6; 2 Chron. 33, 7. Dieses „Bild der Aschera" = Astarte ist zu unterscheiden von den „Äscheren", d. h. symbolischen Pfählen der Göttin, welche gewöhnliche Zugabe der Baalsaltäre waren. Siehe oben S. 269. 3) Vgl. B ä t h g e n , Beiträge S. 238. Gegen die Beschönigungen, welche Stade, Smend u. a. diesem Treiben angedeihen lassen, siehe K ö h l e r . Gesch. II, 2, S. 273 f. 4) 2 Kön. 21, 3. 5; 23, 4 f. 11 f.; 2 Chron. 33, 3. 5. 5) 2 Kön. 23, 5 sind Sonne, Mond und die Tierkreisbilder und das ganze Himmelsheer g'enannt. 6) Dies ergibt sich aus Kombination von 2 Kön. 21, 26; 24, 4 mit Jerem. 2, 30.
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Heidnische Einflüsse auf die Religion Israels.
Kegel a u c h politische G e s i c h t s p u n k t e , w e l c h e d i e R e g e n t e n z u r „ B u h l e r e i " m i t den f r e m d e n Göttern, eigentlich a b e r mit d e n m ä c h t i g e n R e g e n t e n , die u n t e r ihnen s t a n d e n , a n t r i e b e n . N o c h e i n m a l , u n d g r ü n d l i c h e r als i r g e n d e i n e r seiner Vorg ä n g e r hat d e r f r o m m e K ö n i g J o s i a mit d e r h e i d n i s c h e n u n d halbheidnischen Religionsübung aufgeräumt und namentlich auch die z w e i d e u t i g e n O p f e r h ö h e n a b g e t h a n , u m allen Gottesdienst in d e m g e r e i n i g t e n T e m p e l zu J e r u s a l e m zu k o n e e n t r i e r e n . Doch v e r m o c h t e a u c h diese R e f o r m a t i o n nicht in die T i e f e zu d r i n g e n u n d d e n a n g e b o r e n e n Sinn des V o l k e s u n d seiner Grossen u m z u w a n d e l n , so d a s s n a c h s e i n e m f r ü h e n , f ü r d a s L a n d so u n g l ü c k lichen T o d e u n t e r den letzten v i e r R e g e n t e n , u n t e r d e n e n d a s l l a u s J u d a n o c h seine E x i s t e n z fristete, j e n e s H e i d e n t u m w i e d e r m ä c h t i g auflebte. Dies g e h t n a m e n t l i c h a u s d e n S c h i l d e r u n g e n der P r o p h e t e n J e r e m i a u n d Ezechiel h e r v o r . E z e c h . 8, 8 ff. g i b t eine D a r s t e l l u n g des h e i d n i s c h e n U n f u g s , wie e r in d e n heiligen T e m p e l hallen selbst u m die letzte Zeit vor der Z e r s t ö r u n g g e t r i e b e n w u r d e : Man r ä u c h e r t in einer K a m m e r eines T h o r w e g e s d e n an die W ä n d e g e m a l t e n Idolen i s r a e l i t i s c h - k a n a a n i t i s c h e r H e r k u n f t (Stier u. dgl.) sowie allerlei a n d e r n F i g u r e n von v i e r f ü s s i g e n u n d k r i e c h e n d e n Bestien. Dies wie die g a n z e V e r e h r u n g s w e i s e e r i n n e r t an Ä g y p t e n . D a J a h v e h d a s L a n d v e r l a s s e n zu h a b e n schien (8, 1 2 ) , n a h m m a n seine Zuflucht zu allen m ö g l i c h e n N o t h e l f e r n . In e i n e m a n d e r n T h o r des Vorhofs sitzen W e i b e r , d e n b a b y l o n i s c h e n Gott T l i a m m u z b e w e i n e n d . I m i n n e r n Vorhof stehen, d e m H e i l i g t u m d e n R ü c k e n k e h r e n d , P r i e s t e r , w e l c h e die a u f g e h e n d e Sonne a n beten u n d d a b e i g r ü n e Reiser a n die Nase h a l t e n , w a s a u d a s p a r s i s c h e B a r s o m e r i n n e r t , d a s m a n bei A n r u f u n g von Lichtgottheiten v o r d e n Mund hielt. So stellte d e r J a h v e h g e h e i l i g t e T e m p e l einen S a m m e l p l a t z von f r e m d e n , a b g ö t t i s c h e n Religionsgebräuchen d a r . U n d n o c h ins E x i l n a h m e n die J u d e n i h r e h e i d n i s c h e n Vors t e l l u n g e n u n d G e w o h n h e i t e n mit. So m u s s J e r e m i a wie einst in d e r H e i m a t , so noch in d e r ä g y p t i s c h e i l V e r b a n n u n g es r ü g e n , dass die E r a u e n d e r „ H i m m e l s k ö n i g i n " o p f e r t e n , wobei F e u e r ang e z ü n d e t u n d K u c h e n in g e w i s s e r F o r m , w a h r s c h e i n l i c h m o n d l'örmig, g e b a c k e n w u r d e n ' ) . Es ist mit diesem E h r e n n a m e n wohl die v o r d e r a s i a t i s c h e A s t a r t e als Mondgöttin g e m e i n t 2 ) . Als Göttin d e r L i e b e u n d weiblichen F r u c h t b a r k e i t w a r ihre G u n s t d e n F r a u e n b e s o n d e r s e r w ü n s c h t . E s w u r d e a b e r ü b e r h a u p t G l ü c k u n d Wohlf a h r t von i h r a b g e l e i t e t . E b e n s o b e z e u g t D e u t e r o j e s a j a , dass im b a b y l o n i s c h e n E x i l die J u d e n k e i n e s w e g s v o m G ö t z e n d i e n s t u n d d e m d a m i t v e r b u n d e n e n U n w e s e n sich rein e r h i e l t e n . 1) Vgl. Jereni. 7, 18 und 44, IG ff. und dazu meinen Aufl. 2. Die Kuchen heissen hebr. mit einem Fremdwort womit das griech. yavävcc;, ¿aßöive; zusammenhängt. 2) Vgl. Atar-Samain in den Inschrr. Asurbanipals als nordarab. Stammes der Kedarener genannt (Schräder KAT -
Kommentar, kawwanim, Göttin eines S. 414).
Religion Israels vor und nach dem Exil.
27;)
Allein g e g e n ü b e r dieser paganisierenden U n t e r s t r ö m u n g hat sich seit Mose stets die wahre Religion, welche sich von ihm abl e i t e t e , in erleuchteteren Gliedern des Volks mehr o d e r weniger rein erhalten. Im Mittelpunkt der T h e o k r a t i e b e f a n d sich ein H e i l i g t u m , dessen Priesterscliaft das mosaische E r b e am treuesten b e w a h r t e , und vom prophetischen Geiste erfüllte M ä n n e r haben d a s s e l b e nicht nur von E n t a r t u n g e n und Entstellungen i m m e r w i e d e r gereinigt, sondern auch durch eben j e n e n Geist, aus dem e s g e b o r e n war, fortgebildet, b e r e i c h e r t , vertieft und vergeistigt. S i e waren die berufenen O r g a n e der F o r t e n t w i c k l u n g d e r Israel zu teil gewordenen Offenbarung. Ihnen d a n k t e man auch die W e i s s a g u n g e n , durch welche sie die V e r g a n g e n h e i t und Gegenw a r t wie namentlich die Zukunft im L i c h t e dieser Offenbarung des wahren Gottes e r k e n n e n und die Geschichte ihres V o l k s und d e r V ö l k e r als zielstrebige E n t w i c k l u n g auffassen lehrten, w r elche in der unbegrenzten H e r r s c h a f t dieses Gottes über die W e l t ihren Abschluss finden werde. Dass die gesamte Religionsgeschichte zu dieser durch die J a h r h u n d e r t e mannigfaltig laut werdenden und doch innerlich einheitlichen Z u k u n i t s v e r k ü n d i g u n g kein Analogon aufweist, haben wir anderswo g e z e i g t 1 ) . A b k l ä r e n d w i r k t e das b a b y l o n i s c h e E x i l , in welchem der S t a m m J u d a J a h r z e h n t e lang von seinem Lande samt dessen Lokalheiligtümern und Bildern isoliert, einen Prozess der V e r g e i s t i g u n g s e i n e r Religion d u r c h m a c h t e , so dass, als nach dem E i n t r i t t der P e r s e r h e r r s c h a f t die eifrigsten V e r e h r e r J a h v e h s nach der Heimat z u r ü c k k e h r t e n , die Gemeinde einheitlichere S i n n e s a r t hatte und d e r V e r s u c h u n g zum Götzendienst, welche ohnehin nicht m e h r so v e r l o c k e n d war, nicht weiter zum Opfer gefallen ist. Nur zeigte die so g e r e i n i g t e R e l i g i o n s g e m e i n d e nicht mehr die alte Urwüchsigkeit des nationalen Geistes, sondern eine ä n g s t l i c h e , gesetzl i c h e P i e t ä t , welche einseitig das Alte zu k o n s e r v i e r e n b e d a c h t war. Nicht als hätten nicht schon längst heilige Gesetze ü b e r Kultus, R e c h t und Sitte auch schriftlich bestanden, wie neuerdings e t w a mit s t a r k e r Ü b e r t r e i b u n g behauptet wird. A b e r die Religion g i n g nun mehr und m e h r in pietätvoller Ü b u n g der überlieferten Satzungen auf. Diese gesetzeseifrige R i c h t u n g mündete in den P h a r i s ä i s m u s aus, w e l c h e r sich ü b e r das g e m e i n e V o l k hochfahrend erhob, w ä h r e n d die v o r n e h m e r e n , insonderheit die Angehörigen der P r i e s t e r k a s t e , dem verweltlichten Sadduzäismus huldigten und beim E s s e n i s m u s auch f r e m d a r t i g e W e l t a n s c h a u u n g und A s k e s e im J u d e n t u m E i n g a n g fand. P a r s i s c h e r Einfluss a u f die religiösen Vorstellungen der J u d e n ist zwar in j e n e r n a c h e x i l i s c h e n P e r i o d e nicht zu l e u g n e n , doch betrifft er mehr die formale Ausbildung gewisser V o r s t e l l u n g e n , z. B. der Angelologie, als dass er das W e s e n der J a h v e h r e l i g i o n 1) Die alttestam. Weissagung 1 von der Vollendung des Gottesreichs, S. 47 ff. und P R E 8„ X V I , 740 f.
Orelli, Religionsifesehichte.
jg
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Das Judentum: Pharisäer, Sadduzäer, Essener.
alteriert hätte. Auch ist es eine Übertreibung, wenn man etwa die Figur des Satans aus dem Parsismus abgeleitet hat, welche vielmehr auf israelitischem Boden erwachsen ist. Das Gleiche gilt von der Messiasidee und der Auferstehungslehre. Dagegen ist richtig, dass in .nachbiblischer Zeit das Judentum in seiner talmudischen Haggada wie der Geisterlehre so der Eschatologie des Parsismus viel entlehnt hat 1 ). In den letzten Jahrhunderten vor Christus hatte das Judentum um so schwerere Kämpfe mit dem Hellenismus zu bestehen, der mit seiner Sprache und überlegenen Weltbildung auch Palästina überflutete und auf den Judaismus national und religiös zersetzend wirken musste. Damals bildete sich die seit Esra unter den Juden vorherrschende gesetzliche Tendenz noch einseitiger aus durch den Gegensatz gegen alles Heidnisch-Griechische in den C h a s i d i m und den spätem P h a r i s ä e r n 2 ) , die zur Zeit Jesu als die strengreligiöse, d. h. überlieferungstreue Partei erscheinen, während die freisinnigere, mehr von politischen Interessen beherrschte, gegen den Hellenismus tolerantere Partei der S a d d u z ä e r in der höhern Priesterschaft ihre Stütze hatte 3 ). Siehe über diese beiden Parteien Josephus, Bell. Jud. 2, 8, 14; Ant. 18, 1, 2 ff. 4 ). Ausführlicher schildert derselbe 2, 8, 2 ff.; Ant. 18, 1, 5 einen eigenartigen religiösen Orden, die E s s e n e r 6 ) , über welche auch Philo 0 ) berichtet. Obwohl diese Genossenschaft auf die jüdische Geschichte äusserst wenig Einfluss ausgeübt hat, so ist sie religionsgeschichtlich interessant, weil sie eine Einpfropfung fremder religiöser Anschauungen auf dem Boden des Judentums darstellt. Dieser asketische Orden der Essener 7 ), welcher zur Zeit des Philo und Josephus etwas über 4000 Glieder zählen mochte, lebte über Palästina zerstreut, namentlich auf dem Lande und besonders zahlreich in der Wüste von Engedi am Toten Meer. Seine Abzeichen waren Axt, Schürze, weisses Gewand. Zu den Grundsätzen gehörten Gütergemeinschaft und Verwerfung der Sklaverei 1) Siehe den Nachweis von A. K o h u t , „Was hat die talmudische Eschatologie aus dem Parsismus aufgenommen?" ZDMG 21 (18G7), 552—591. 2) Der Name Perüschim (Mischna) oder Perischin (aramäisch) kommt seit der Makkabäerzeit vor und bedeutet: die Abgesonderten, in dem Sinn, dass sie von dem eindringenden hellenischen Heidentum und dem davon angesteckten gemeinen Volk, 'am haarez, sich ängstlich absonderten. 3) Darauf deutet auch der Name Sadduzäer. Denn die Zaddukim sind wohl die von Zadok abstammenden; vgl. die „Söhne Zadoks" bei Ezechiel, d. h. die vornehme jernsalemische Priesterschaft. 4) Näheres über beide und ihr Verhältnis zu einander bei W e l l h a u s e n , Die Pharisäer und die Sadduzäer 1874 und besonders S c h ü r e r , Neutestamentliche Zeitgeschichte 3 II, 380 ff. 5) S c h ü r e r a. a. O. II, 556 ff. Siehe dort die Litteratur. 6) P h i l o , De vita contemplativa und Quod liber sit quisquis virtuti studet. Vgl. auch P l i n i u s , hist. nat. 5, 17. 7) Die Erklärung des Namens ist noch streitig. S. S c h ü r e r a. a. 0 . S, 559 f.
Die Essener.
275
u n d des Handels, zu den Lebensgewohnheiten fleissige Arbeit, Massigkeit 1 ), Cölibat und beschauliche Gemütsruhe, was sich bei den gemeinsamen Mahlzeiten, die Josephus beschreibt, darstellt. Besonderes Gewicht wurde auf die Reinigkeitssatzungen gelegt, welche häufige Waschungen u. dgl. vorschrieben. Wer in den Orden trat, hatte ein mehrjähriges Noviziat durchzumachen und dann einen f u r c h t b a r e n Eid abzulegen (während sie sonst das Schwören als eine H e r a b s e t z u n g der W a h r h a f t i g k e i t verwarfen), in welchem er sich zur Geheimhaltung der ihm anzuvertrauenden Lehre (wozu namentlich Engelnamen gehörten), verpflichtete. Der Sittlichkeit u n d dem frommen Sinn der Essener stellen Philo uncl Josephus die besten Zeugnisse, aus. Liessen sieh diese Gebräuche zur Not aus der jüdischen Religion ableiten, so wäre dieser Orden doch jedenfalls eine sektenartige Ausgestaltung gewisser Maximen des jüdischen Gesetzes mit Vernachlässigung der andern. Allein es ist nicht zu bezweifeln, dass die gesamte Anschauung von Gott und Welt, welche diesen Regeln zu Grunde lag, von f r e m d e m Religionswesen beeinflusst war. Dies ergibt sich, wenn Josephus seine Nachrichten nicht ganz aus der Luft gegriffen hat, schon daraus, dass sie der aufgehenden Sonne Anbetung d a r b r a c h t e n und vor deren lichtem Glanz die Unreinigkeit ängstlich v e r b a r g e n , sowie aus ihrer Anthropologie, welche den Leib als Gefängnis der Seele auffasste, in welchen sie 'durch Sinnlichkeit herabgezogen worden sei, und aus welchem sie w i e d e r befreit werden müsse, um im lichten Äther unsterblich zu wohnen, während der Leib vergehe, die bösen Seelen a b e r in einem finstern, kalten Winkel bleiben. Hier stossen wir auf einen Dualismus zwischen (physischem) Licht u n d D u n k e l , u n r e i n e r Materie und gutem Geist. Von da aus erklärt sich auch jener y a n z e Dualismus, der das Leben dieser Eingeweihten durchzieht u n d dem Israeliten von Haus aus ganz fremd ist, das Vermeiden d e r Ehe, die Weltflucht, die E n t s a g u n g gegenüber erlaubten Genüssen wie Salben mit Öl u. s. f., die Scheu vor Blutvergiessen wohl auch bei Tieren, endlich die ganze Absonderung von der übrigen Gemeinde mit Geheimlehren u. dgl., welche der alttestamentlichen Frömmigkeit widerspricht. Anderseits zeigen spezifisch jüdische Gebräuche wie eine gesteigerte Sabbatheiligung, die Weiheg a b e n an den Tempel u. a., dass wir es nicht eigentlich mit einer f r e m d e n Religion zu tliun haben, sondern diese Frommen meinten mit ihren von aussen ihnen zugekommenen Ideen u n d Gebräuchen am reinsten ihre angestammte Religion erkannt zu haben u n d auszuüben. 1) Die zuverlässigen Gewährsmänner sagen nichts davon, dass Fleisch- und Weingenuss verboten gewesen seien. Doch folgert man dies wohl mit Recht aus der Gesamttendenz des Ordenslebens sowie daraus, dass die Essener das blutige Opfer verwarfen und nur unblutige Weihegaben zum Tempel schickten.
276
Das J u d e n t u m : Essener.
Nachchristliche Zeit.
Von welcher f r e m d e n Religion her der Essenismus befruchtet w a r , d a r ü b e r liisst sich s t r e i t e n . Zwar der Buddhismus kann nicht e r n s t l i c h a l s Q u e l l e in B e t r a c h t k o m m e n , e h e r d e r P a r s i s m u s m i t seiner Lehre vom guten göttlichen Licht, seiner Angelologie u . s . w . Doch k ö n n t e m a n höchstens an i n d i r e k t e n Einlluss desselben d e n k e n . Die O r d e n s g e s t a l t dieser Sekte e r i n n e r t an d e n auch aus d e m Orient (Ägypten) inspirierten Pythagoraismus. Mit d e m l e t z t e r n ist d i e Ä h n l i c h k e i t bei d e m E s s e n e r t u m , w i e Z e l l e r 1 ) n a c h g e w i e s e n h a t , e i n e so g r o s s e , d a s s e i n e g e w i s s e V e r w a n d t s c h a f t k a u m a b g e lehnt werden kann. Selbstverständlich kann aber der griechische P y t h a g o r a i s m u s nicht das Vorbild d e r E s s e n e r g e w e s e n sein; d a f ü r sind auch ihre a n d e r w e i t i g e n , geistigen V e r s c h i e d e n h e i t e n zu gross. E h e r k ö n n e n beide v o n d e r s e l b e n Quelle b e f r u c h t e t sein, einem mystis c h e n O r d e n o d e r e i n e r s p e k u l a t i v e n R e l i g i o n s g e n o s s e n s c h a f t . Diej e n i g e n u n , die am meisten den E s s e n e r n entspricht, sind die M a n d ä e r 2 ; , e i n e n i c h t a u s d e m P a r s i s m u s , s o n d e r n a u s d e r altbabylonischen Religion h e r v o r g e g a n g e n e Gemeinde, die wir freilich e r s t a u s s p ä t e r e r Z e i t k e n n e n , wo sie v o n J u d e n t u m u n d C h r i s t e n tum beeinfiusst war. Mandäiselie Ideen und Gepflogenheiten haben s i c h o f f e n b a r s c h o n in v o r c h r i s t l i c h e r Z e i t n a c h "Westen v e r b r e i t e t u n d a u c h i n s J u d e n t u m e i n g e n i s t e t bei d i e s e n E s s e n e r n , w e l c h e i m ü b r i g e n f r o m m e I s r a e l i t e n sein w o l l t e n . Das Christentum, welches an keine dieser Sonderrichtungen sich a n s c h l o s s , s o n d e r n o r i g i n a l a u s d e m M a r k d e s S t a m m e s d e r i s r a e l i t i s c h - j ü d i s c h e n R e l i g i o n h e r v o r g e g a n g e n ist, s t e l l t d i e h ö c h s t e Blüte u n d reife F r u c h t dieser Religionsentwicklung dar. Nach A u s s c h e i d u n g d e s C h r i s t e n t u m s ist d a s J u d e n t u m n i c h t m e h r f ä h i g gewesen, etwas wahrhaft Neues zu erzeugen3). U m so s t a r r e r w u r d e bei der E r s c h ö p f u n g , j a dem völligen Verschwinden des p r o p h e t i s c h e n G e i s t e s , d e r d i e s e R e l i g i o n e r z e u g t u n d l e b e n d i g erhalten hatte, die gesetzliche Tradition festgehalten. Das Studium d e r Schrift, namentlich d e r Thora, welches schon z u r Zeit Christi als die h ö c h s t e R e l i g i o n s ü b u n g bei d e n P h a r i s ä e r n galt, v e r b l i e b den J u d e n auch nach der Zerstörung des jerusalemischen Tempels u n d d e m d a m i t v e r b u n d e n e n A u f h ö r e n des O p f e r d i e n s t e s als ein h o h e s V o r r e c h t d e r h i e f ü r G e b i l d e t e n , u n d w u r d e nocli m e h r als zuvor der Mittelpunkt, u m den Frömmigkeit und Gelehrsamkeit sich b e w e g t e n . Das längst kanonisch gewordene Gesetz wurde dabei mit einem besondern Zaun schützend u m g e b e n , der talmudischen Überlieferung, welche nach langer mündlicher Fortpflanzung in v e r s c h i e d e n e n S t a d i e n schriftlich a u f g e z e i c h n e t w u r d e 4 ) . Der 1) Z e l l e r , Philosophie d e r G r i e c h e n 3 (1881) III, % S. 277 ff. und Theolog. J a h r b ü c h e r 1856 S. 401 ff'. 2) Siehe d e r e n Besprechung' u n t e n S. 291 ff. 3) Ü b e r die nachbiblische Geschichte des J u d e n t u m s siehe bes. J. M. J o s t , Geschichte des J u d e n t u m s , 3 Bde., L e i p z i g 1857, 58, 5i). — P r e s , s e i in P R E 2 VII, 22411'.: Israel, Geschichte, nachbiblische. 4) Vgl. P r e s s e ! , P K E 1 XII, 470 ff., Art. R a b b i n i s m u s . — S t r a c k ,
Der Talmud.
Das Christentum.
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s c h r i f t g e l e h r t e , t h o r a b e f l i s s e n e P h a r i s ä i s m u s h a t der w e i t e r n E n t w i c k l u n g des J u d e n t u m s seinen S t e m p e l a u f g e p r ä g t . S e i n Geist liat d i e s e s e r s t a u n l i c h e W e r k des T a l m u d e r z e u g t , w e l c h e s ebenso d u r c h s e i n e n S c h a r f s i n n in d e r B e h a n d l u n g des S c h r i f t b u c h s t a b e n s w i e d u r c h seinen Mangel a n g e i s t i g e m V e r s t ä n d n i s des S i n n e s d e r hl. S c h r i f t ü b e r r a s c h t . D i e s e s G e s e t z , das m a n c h e Obs e r v a n z e n e n t h ä l t , w e l c h e a u c h n a c h d e r Auflösung des j ü d i s c h e n S t a a t e s n o c h a u s g e ü b t w e r d e n k o n n t e n , hat das ü b e r alle K u l t u r l ä n d e r v e r s p r e n g t e V o l k fortan b e h e r r s c h t u n d sein r e l i g i ö s e s I n t e r esse a b s o r b i e r t , a b e r a u c h seinen n a t i o n a l e n T y p u s ihm e r h a l t e n trotz a l l e r B e r ü h r u n g e n mit den v e r s c h i e d e n s t e n V ö l k e r n . E r s t in unserin J a h r h u n d e r t h a t die e u r o p ä i s c h e Civilisation, w e l c h e den J u d e n G l e i c h b e r e c h t i g u n g g e w ä h r t u n d sie in die c h r i s t l i c h e n Nationen e i n g l i e d e r t , die a l t e n Ü b u n g e n e r n s t l i c h e r g e f ä h r d e t , a l s die g r a u s a m s t e n V e r f o l g u n g e n zu tliuu v e r m o c h t e n , u n d so e i n e s t ä r k e r e A m a l g a m i e r u n g d e r I s r a e l i t e n mit den L a n d e s b e w o h n e r n v e r a n l a s s t . E i n e R e a k t i o n g e g e n diesen P r o z e s s stellt d e r h e u t i g e „ Z i o n i s m u s " dar, w e l c h e r das N a t i o n a l b e w u s s t s e i n d u r c h A n s t r e b e n p o l i t i s c h e r U n a b h ä n g i g k e i t im a l t e n L a n d d e r V e r h e i s s u n g n e u zu b e l e b e n sucht. W ä h r e n d so d e r p h a r i s ä i s c h e G e s e t z e s g e i s t das j ü d i s c h e V o l k g e f a n g e n g e n o m m e n u n d zum g r o s s e n T e i l b i s h e u t e n i c h t m e h r aus seinen F e s s e l n e n t l a s s e n hat, ist die V e r b i n d u n g , w e l c h e es um die Zeit d e r E n t s t e h u n g des C h r i s t e n t u m s in A l e x a n d r i e n m i t g r i e c h i s c h e r Philosophie und Bildung eingegangen war, und wovon n o c h die P h i l o s o p h i e e i n e s P l o t i n , die T h e o l o g i e e i n e s P h i l o , a b e r auch e i n i g e „ a p o k r y p h i s c l i e " a l t t e s t a m e n t l i c h e S c h r i f t e n wie die „ W e i s h e i t S a l o m o s " Z e u g n i s g e b e n , ohne n a c h h a l t i g e n Einfluss a u f das J u d e n t u m g e b l i e b e n , d a s dem H e l l e n i s m u s g e g e n ü b e r sich a u f die D a u e r a b l e h n e n d v e r h a l t e n hat.
V. Das Christentum. In B e z u g a u f d a s C h r i s t e n t u m , d e s s e n D a r s t e l l u n g d e r gesamte historische und der systematische Teil der christlichen Theologie z u r A u f g a b e h a b e n , b e s c h r ä n k e n w i r u n s a u f e i n i g e w e n i g e Leitsätze: D a s C h r i s t e n t u m h a t s i c h n i c h t für e i n e v ö l l i g n e u e R e l i g i o n a u s g e g e b e n , s o n d e r n e r k l ä r t sich für die w a h r e , v o l l e A u s b i l d u n g d e r p r o p h e t i s c h - i s r a e l i t i s c h e n R e l i g i o n , wie sie von A b r a h a m und Mose b i s zum E r l ö s c h e n des p r o p h e t i s c h e n G e i s t e s sich e n t w i c k e l t P R E - ' X V I I I , 297 ff'., Art. Thahmid. — S c h ü r e r a. a. 0 . — Ferd. W e b e r , System der altsynagogalen palästinischen Theologie, Lpz. 1880; 2. Aufl. 1897.
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Das Christentum.
hat. Ja, es macht hei seinem ersten massgebenden Auftreten seine Berechtigung und Geltung davon abhängig, dass es zu den dort gegebenen Offenbarungen sich wie die Krone des Baumes zum Stamm verhalte bezw. davon, dass Jesus der Christ sei. Das wahrhaft und wesenhaft Neue, was Jesus von Nazaret bringt, ist nach seinem Wort die E r f ü l l u n g des von Mose und den Propheten Geweissagten und Vorabgebildeten. Diese Erfüllung besteht aber im Kommen seiner Person, in welcher das „Reich Gottes", dieser Inbegriff der prophetischen Verheissungen, auf die Erde gekommen ist, und durch welche ausschliesslich der Anteil an diesem Reich, dieses höchste Gut, den Menschen vermittelt wird. Mehr als irgend eine andere Religion ist darum die christliche an die P e r s o n ihres Stifters gebunden und hat an ihr ihren charakteristischen Inhalt, wie anderswo näher dargelegt wurde 1 ). Durch die Person und das Werk Jesu Christi wird das Verhältnis der an ihn Glaubenden zu Gott ein neues (Versöhnung, Rechtfertigung, Innewohnen des hl. Geistes); ebenso bewirkt dieser Glaube an ihn eine neue Gemeinschaft mit den andern Gläubigen. Da dieser Glaube eine tief innerliche Bedingung der Zugehörigkeit des Einzelnen zu dieser Gemeinschaft ist, so ist das Christentum auch insofern von Haus aus eine p e r s ö n l i c h e Religion, welche in ihrer Herzensstellung zu Christo gleichartige Individuen umfasst, so zwar, dass die Unterschiede des Alters und Geschlechts, des Standes und Bildungsgrades sowie auch der Nationalität diese Gleichartigkeit nicht hindern und neben ihr nicht in Betracht kommen. Person und Werk Christi gehen nach ihrer Bedeutung über das Volk der Juden hinaus und zielen auf die ganze Menschheit ab. Durch Christum ist die nationale jüdische Religion in eine u n i v e r s a l e umgewandelt worden, welche in einem Mass wie keine andere erobernd auftrat. Der Buddhismus bietet zwar liiezu eine Analogie, insofern er den nationalen Brahmanismus, aus dem er hervorgegangen, zu einer auf persönliche Geistesart gegründeten Religion umwandelte, welche ebenfalls missionierend auftrat und universale Geltung anstrebte. Allein schon äusserlich angesehen, ist trotz der ungeheuern Ausdehnung, welche auch diese Buddhagemeinschaft gewann, der Unterschied in die Augen fallend, dass das Christentum geistig ungleich bedeutendere und unter sich verschiedenartigere Völker sich zu eigen machte und bei diesen eine unvergleichlich reichere Entfaltung fand als die Buddhalehrc, deren innere Verschiedenheit vom Christentum wir später darthun werden. Vom semitischen Stamm ging letzteres hauptsächlich auf die arischen Völker über, deren Geisteswelt es völlig umgestaltete; von ihnen aus aber dringt es unaufhaltsam mit unverkennbarer innerer Überlegenheit unter allen Himmelsstrichen siegreich gegen die heidnischen Religionen vor, wie die Missionsgeschichte lehrt. Aller1) C. v. 0 r e 11 i, Christus und andere Meister, Rektoratsrede, Basel 1893.
Das Christentum. Der Manichäismus.
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dings fehlt es, wie die Kirehengeschichte genugsam zeigt, auch beim Christentum nicht an Ausartungen u n d Entstellungen seines ursprünglichen Wesens und Charakters. Allein diesen gegenüber haben je und j e wieder Reformationen stattgefunden, welche die Religion reinigten und verjüngten. Darin äussert sich eine unverwüstliche Lebenskraft, welche diese Religion vor dem geistigen u n d äusserlichen Absterben bewahrt. Während das Christentum mit der alttcstamentlichen Religion sich nicht nur geschichtlich verwachsen, sondern wesensverwandt weiss, verhält es sich gegen die sämtlichen ausserbiblischen „heidnischen Religionen" im allgemeinen ablehnend. Zwar finden die ersten und kompetentesten Zeugen der christlichen Wahrheit auch bei den Völkern noch deutliche Spuren der Offenbarungen des Einen, wahren Gottes in Natur, Geschichte u n d Gewissen, an welche sie gelegentlich anknüpfen. Aber die einzelnen historischen Religionen gelten ihnen mit gutem Grund nicht als elementare Vorstufen f ü r das Christentum, sondern als Vorbildungen u n d Verzerrungen der göttlichen Wahrheit durch Verirrung u n d Schuld der Menschen.
VI. Der Manichäismus'). Eine eigenartige f ü r die Religions- und Kirchengeschichte bedeutsame Religionsbildung trägt nach ihrem Schöpfer, dem wenig bekannten M a n i , einem im 3. J a h r h u n d e r t n. Chr. in Babylonien geborenen Perser, den Namen M a n i c h ä i s m u s . Dieses Lehrsvstem weist zwar manche Ähnlichkeit mit dem P a r s i s m u s auf, wie denn auch Mani es besonders auf Persien abgesehen hatte, wo er aber den Tod fand. Doch scheinen die Grundzüge seiner streng d u a l i s t i s c h e n Anschauung b a b y l o n i s c h e r H e r k u n f t zu sein, wie denn manches an die alte babylonische Mythologie erinnert. Von einer babylonischen Gemeinde ausgegangen, als deren Nachfolger man die s p ä t e m Mandäer ansehen k a n n , hat Mani deren Ideen selbständig systematisiert und darein parsische, aber namentlich auch j ü d i s c h e und c h r i s t l i c h e Ideen und Figuren verwoben, um seine Universalreligion zu bilden, welche 1) Besonders zu beachten: F. Chr. B a u r , Das manichäische Religionssvstem, Tübingen 1831 (jetzt grossenteils veraltet). — G u s t a v F l ü g e l , Mani, seine Lehre und seine Schriften. Aus dem Fihrist . . . Text nebst Übersetzung, Kommentar u. Index, Leipz. 1862. — Fr. S p i e g e l , Eran. Altertutnsk. II, 195—232. — K. K e s s l e r , Untersuchungen zur Genesis des manichäischen Religionssystems, 1876. — D e r s e l b e , Man! oder Beiträge zur Kenntnis der Religionsmischung im Semitismus, Bd. I, Lpz. 1882. — D e r s e l b e , PRE - Art. Mani, Maniehäer. Siehe dort auch sonstige Litteratur.
Der Manichäismus: Quellen.
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die Wahrheiten aller Bekenntnisse enthalten sollte. Bei ihrem spekulativen und streng asketischen Charakter konnte freilich diese Lehre nirgends volkstümlich werden. Doch hat der Manichäismus gerade unter den Ernsteren und Gebildeten in verschiedenen religiösen Gemeinschaften vielen Anklang gefunden und bildete für diese Religionen (insbesondere das Christentum) ein gefährliches, zersetzendes Element, das unter dem Schein einer gewissen Übereinstimmung und Vergeistigung ihr wahres "Wesen völlig zu zerstören drohte. Was die Q u e l l e n betrifft, aus welchen wir diese Lehre zu schöpfen haben, so sind es lauter sekundäre, da Mani selbst zwar manche Schriften und Briefe verfasst hat, diese aber samt denen seiner Anhänger verloren gegangen sind. Nur Bruchstücke davon finden sich in den Berichten morgenländischer und abendländischer Gewährsmänner. Die m o r g e n l ä n d i s c h e n verdienen in Bezug auf den ursprünglichen Manichäismus, der uns hier angeht, den Vorzug, da sie diesem geographisch näher stehen und die Muhainmedaner, von welchen sie stammen, weniger polemische Tendenz zeigen als die Christen. Am wichtigsten ist hier das Zeugnis des F i h r i s t e l U l u m i (Verzeichnis der Wissenschaften) von Abulfaradsch Muhammed Ibn Ischaak e n - N e d i m , der gewöhnlich Ibn Abi Jakub e l - W a r r a k ( = Papierhändler) genannt wird 1 ). Seine Angaben haben um so mehr Gewicht, da er selbst früher Anhänger des Mani war und dessen Schriften wie solche seiner Schüler benützen konnte. Sein Buch ist im J. 987—88 n. Chr. zu Bagdad geschrieben. Später hat al-Schahrastäni (f 1153 n. Chr.) in seinem für den Islam wichtigen Buch über die Religionsparteien 2 ) die Manawija (Manichäer) ebenfalls behandelt, etwas minder ausführlich und zuverlässig. — Diese beiden Autoren sind die wichtigsten. Unter den a b e n d l ä n d i s c h e n Quellen seien genannt die sog. A c t a disputationis Arclielai et Manetis 3 ), nach Kessler 4 ) um das Jahr 320 verfasst. Von besonderem Wert für die abendländische Gestalt des Manichäismus sind die Schriften A u g u s t i n s , der ja 9 Jahre lang der Sekte sich angeschlossen hatte und später öfter Anlass fand sie zu bekämpfen. Aber auch manche andere Kirchenväter wie Epiphanius (adv. liaer. 66), Cyrill von Jerus., Photius u. a. haben sich einlässlich mit diesen gefährlichen Häretikern beschäftigt. Die abendländischen Quellen leiten die Lehre des Mani von zwei Vorgängern ab. Ein gewisser S c y t h i a n u s aus Arabien habe die heidnisch-griechische Litteratur und Weltbildting in Ägypten (zu Hypsela in der Thebais) kennen gelernt und nach um1) 2) 3) 1873, S.
F l ü g e l s A u s g a b e des betr. Stückes s. v o r i g e Seite. Deutsche Übersetzung v o n H a a r b r ü c l t e r , I S. 285—291. Siehe darüber H. v. Z i t t v i t z in K a l i n i s ' Ztschr. für liist. Theol. 467—528. 2 4) PKE IX, 22G.
Abendländische Quellen über Mani.
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fassenden Studien die Lehre von den zwei Prinzipien aufgestellt. Er sei auch nach Jerusalem gereist, wo er sich mit der Lehre der damals lebenden Apostel v e r t r a u t machte und habe fleissig f ü r sein System disputiert, ohne jedoch viel auszurichten, obgleich er magische Künste zu Hilfe nahm, die er in Indien und Ägypten erlernt hatte. Bei einem solchen Versuch, wo er durch magische K r a f t gewisser Namen, die er anrief, schweben wollte, fiel er vom Dache und starb. In Ägypten hatte er eine schöne Buhlerin geheiratet. Da sein einziger Schüler T e r e b i n t h u s diese Gattin seines Meisters nicht zur F r a u nehmen wollte, floh er mit dessen Büchern und Geheimnissen und Schätzen nach Persien, wo er sich „Budda" nannte. Dort disputierte er mit den Mithrapriestern ohne Erfolg trotz seiner Magie, bei deren Gaukelkünsten auch er vom Dache herabstürzte. Seine Schriften aber kamen so in den Besitz eines Sklaven des alten Weibes, bei dem er wohnte. Dieser Sklave sei C u b r i c u s gewesen, „der sich auch M a n e s n a n n t e " . Er versuchte den kranken Sohn des Königs von Persien zu heilen. Da dies misslang, kam er ins Gefängnis, wohin ihm seine Schüler die hl. Schriften der Christen aus Jerusalem brachten, die er studierte u n d in seiner Lehre mit verwendete. Freigeworden ging er nach der Festung Arabion (unbekannt) am Flusse Stranga (unbekannt). Er disputierte in K a s k a r mit einem Christen namens Marcellus, unterlag ihm aber, ebenso einem P r e s b y t e r Trypton zu Diodori Vicus. Diesem stand der Bischof Archelaos bei, der schon der Disputation zu K a s k a r beigewohnt hatte, u n d von dem jene „Acta" herrühren sollen. Manes entfloh nach der F e s t u n g Arabion; dort wurde er bald vom Perserkönig gefangen genommen und hingerichtet. Diese Erzählung der Acta, mit welcher die Abendländer meist übereinstimmen, ist fast ganz ungeschiehtlieh; dies gilt namentlich von der gesamten Vorgeschichte dieser Lehre, wovon die Morgenländer nichts wissen. Baur u n d Spiegel haben mit Recht die Geschichtlichkeit des Scythianus (nach Spiegel Übs. aus SakjaBuddha?) und Terebinthus verworfen. Kessler erkennt in dem e r s t e m den aus Scvthien (für Medien) gekommenen Vater des Mani (siehe unten) und im e r s t e m das Appellativum tarbltha, Zögling. Auch jene Disputationen sind erdichtet. Richtig ist nur, dass Mani zu Kaschkar, wohin er einen Brief gerichtet hat, Beziehungen hatte. (Kaschkar heisst einmal Südchaldäa von Wasith bis gegen Basra, sodann aber auch der ältere Teil der Stadt Wasith selbst.) Viel glaubwürdiger ist, was der F i h r i s t anscheinend aus guten Quellen erzählt. Nach ihm w a r M a n i *) der Sohn eines 1) Der Naine M a n i ist nicht durchsichtig'. Ist er iranisch oder aramäisch-semitisch? Die Form „Manichäer" würde eher auf Manik oder Mauich führen. K e s s l e r identifiziert ihn mit Maua, dein Namen eines Lichtgeistes bei den Mandäem. Dann wäre, was nicht unwahrscheinlich, Mani der später angenommene Ehrenname. K e s s l e r findet den ur-
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Dor Manichiiismus: Lebensg'eschichte Maui's.
F u t t a k Bäbek ben Abi B a r z ä m oder F ä t e k (griech. llmF.y.tog), aus dem b e r ü h m t e n persischen Geschlecht d e r C h a s k a n i e r s t a m m e n d , der in I l a m a d a n ( E k b a t a n a ) wohnte, a b e r n a c h Ktesiphon ausw a n d e r t e , wo ihm Mani g e b o r e n w u r d e , f ü r dessen Mutter verschied e n e Namen g e n a n n t w e r d e n : Meis oder Utliakim o d e r a u c h Mar M a r j a m ; sie s t a m m t e aus dem H a u s e der Asänier (— A s c h g h a n i e r , Arsaciden, d e r einstigen H e r r s c h e r f a m i l i e ?). Der V a t e r Mani's erscheint als dessen V o r l ä u f e r . Erst besuchte er in Ktesiphon den Götzentempel wie die a n d e r n ; eines T a g s a b e r v e r n a h m er eine göttliche Stimme, die ihm d a s Fleischesson, W e i n t r i n k e n u n d den U m g a n g mit seiner F r a u verbot. Darauf zog er weiter s ü d w ä r t s zu den M u g h t a s i l a h , die in d e r L a n d s c h a f t Mesene a m u n t e r n T i g r i s wohnten. Der N a m e dieser Sekte b e d e u t e t die s i c h W a s c h e n d e n , T a u f e r . Es w a r e n D u a l i s t c n , die zwei entgegengesetzte Prinzipien aufstellten, ein männliches und ein w e i b l i c h e s , und d a b e i die G e s t i r n e v e r e h r t e n . Sie können als die V o r g ä n g e r d e r M a n d ä e r betrachtet, w e r d e n . Erst nach seinem Anschluss an diese S e k t e w u r d e ihm d e r K n a b e Dessen M a n i (im J a h r 215/1(5 n. Chr. n a c h Birüni) g e b o r e n . Mutter hatte schon vor seiner G e b u r t b e d e u t u n g s v o l l e T r ä u m e u n d E m p l i n d u n g e n , z. B. dass das Kind ihr zeitweilig in die L u f t entr ü c k t werde. Besonders wohlgestaltet w a r d e r K n a b e n i c h t ; er litt an einem e i n w ä r t s g e d r e h t e n Fuss. Schon im 12. L e b e n s j a h r e hatte er göttliche O f f e n b a r u n g e n , wobei der vom K ö n i g der P a r a d i e s e zu ihm g e s a n d t e E n g e l Eltaum ihm befahl, sich von j e n e n „ T ä u f e r n " z u r ü c k z u z i e h e n u n d enthaltsam zu leben. Dem 2 4 j ä h r i g e n b e f a h l derselbe Engel als P r o p h e t a u f z u t r e t e n u n d die ihm d u r c h j e n e n O f f e n b a r u n g s e n g e l g e w o r d e n e L e h r e zu v e r k ü n d i g e n . E r that dies hauptsächlich in Persien, f ü r welches Reich er seine Reform in erster Linie bestimmt g l a u b t e 1 ) , hat a b e r seine missionierenden W a n d e r u n g e n viel weiter nach T u r k e s t a n und Indien (u. China?!) a u s g e d e h n t . Nach l a n g j ä h r i g e n W a n d e r u n g e n k e h r t e er nach Persien z u r ü c k , wo bereits G e m e i n d e n seiner A n h ä n g e r b e s t a n d e n . E r wusste die Gunst des Prinzen Feroz, eines B r u d e r s S c h a p u r s I (241—272), zu gewinnen, d e r ihn seinem B r u d e r vorstellte u n d z w a r an dem T a g e , wo dieser zum ersten Male Audienz gab. Dabei sei von Mani's Schultern ein Licht wie von L a m p e n ausgestrahlt, was einem P a r s e n besondern E i n d r u c k m a c h e n musste. Der König, d e r gegen den N e u e r e r von v o r n h e r e i n misstrauisch sein musste, scheint d u r c h den Z a u b e r seiner Persönlichkeit gefesselt w o r d e n zu sein, a b e r nicht f ü r lange. E r musste n a c h e r fliehen, l a g a u c h einmal im Gefängnis. S c h a p u r s Nachfolger, H o r m i z d I, scheint ihm sprüng'l. Personennamen in jenein Cubricus, was aus dem arab. Männernamen Schuraik entstanden sei. 1) Das schliesst nicht aus, dass er sich als den Propheten Babyloniens vorstellte, aus welchem Lande er nach Persien kam. Siehe unten.
Person und Mission Mani's.
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günstiger gewesen zu sein, regierte aber nur ein J a h r . Dagegen Bahrain I machte ihm, wohl durch die Priester Zarathustras bewogen, bald den Prozess u n d liess ihn in seiner Residenz Gundcschapur kreuzigen; die Leiche wurde geschunden 1 ) und die mit Stroh ausgestopfte Haut vor einem Stadtthor aufgehängt, das noch lange den Namen „Thor des Mani" führte. Gleichzeitig brach eine heftige Verfolgung über seine Anhänger herein. Sein T o d wird durch gute Quellen ins J a h r 276/277 gesetzt. Er erreichte also ein Alter von 60 J a h r e n . Leider reichen die auch unter sich widersprechenden Nachrichten der bessern Gewährsmänner nicht hin, von dem äusserlichen L e b e n s g a n g dieses merkwürdigen Mannes ein irgendwie zusammenhängendes Bild zu geben. Vollends ü b e r seinen persönlichen Charakter u n d seine Religiosität, wie sie sich im U m g a n g mit seinen Schülern und mit F r e m d e n zu erkennen geben mussten, verlautet so viel wie nichts. Jedenfalls war er ein geistig bedeutender und von seiner Mission d u r c h d r u n g e n e r Mann, da er schwerlich aus blossem Ehrgeiz allen Mühsalen der Reise u n d allen Gefahren seiner Thätigkeit trotzte. Er g a b sich f ü r „den Gesandten des wahren Gottes" aus, und zwar sei er der letzte und grösste der Reihe von Gottgesandten, welche schon da gewesen. Wie Buddha nach Indien, Zaraduscht nach Persien, Jesus in die griechischen Länder, so sei er nach Babylonien geschickt worden. Er g a b sich f ü r den von J e s u s verheissenen Paraklcten aus, was er a b e r nur den Christen g e g e n ü b e r getlian haben wird, w ä h r e n d er sich wohl den Parsen anders vorstellte. Seine universal angelegten U n t e r n e h m u n g e n u n d sein System zeigen das Bestreben, die partikularen Volksreligionen zu einer Weltrcligion zusammenzufassen, die deren Wahrheiten geläutert und auf die höchste Fürkenntnisstufe erhoben wiedergäbe. Seine H e r k u n f t aus Persien und sein Aufwachsen in Babylonien lassen verstehen, dass namentlich parsische und babylonische Religionsideen in seinem System massgebend wurden, u n d dass er auch das Christentum besonders berücksichtigte, e r k l ä r t sich leicht daraus, dass dieser Glaube in Mesopotamien wie a n d e r w ä r t s als eine k r ä f t i g erobernde Macht eingedrungen war, mit welcher der Stifter einer universalen Religion äusserlich und geistig rechnen musste. Indische, bezw. buddhistische Einflüsse, die übrigens jedenfalls nur untergeordnete Bedeutung hatten, sind bei den Beziehungen, welche Mani auch zu diesem Lande anzuknüpfen suchte, leicht d e n k b a r . Wie sich diese verschiedenen Elemente zu einander verhalten, k a n n nur die genaueste P r ü f u n g seiner Lehre erkennen lassen. Das L e h r s y s t e m Mani's ist im wesentlichen folgendes: Wie im Parsismus stehen sich bei ihm zwei Grundwesen unverträglich 1) Dass er lebendig geschunden worden sei, ist unrichtige christliche Tradition, vielleicht daraus entstanden, dass man ihm die Ehre des Kreuzestodes nicht gönnte.
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Der Manichäismus: Lehrsystem.
gegenüber. Der D u a l i s m u s ist aber bei ihm konsequenter durchgeführt. Während nliinlieh nach der Lehre Zarathustras Licht und Finsternis zwar von jeher sind, aber der Gegensatz nicht ewig dauert, erklärt Mani auch in Bezug auf die Zukunft die beiden Wesen für gleich ewig; das Licht kann nach ihm die Finsternis so wenig vernichten wie umgekehrt. Dagegen sind die beiden von einander grundverschieden in der Substanz, der Seele, dem Thun, und verhalten sich im Räume zu einander wie eine Person zu ihrem Schatten 1 ). „Zwei Wesen bilden den Urzustand der Welt, das eine Licht, das andere Finsternis, welche in scharfer Absonderung von einander stehen. Das Urlicht heisst auch der Erste, Herrliche; es ist Gott; er wird auch „König der Paradiese des Lichtes" genannt. Beide Wesen sind mit Sinnen begabte Kräfte, sie hören und sehen; sie haben beide zweimal fünf Glieder, in welchen sich ihre gegensätzliche Natur auswirkt. Die fünf körperlichen Glieder des Lichtwesens sind: Sanftmut, Wissen, Verstand, Geheimnis, Einsicht; die fünf geistigen: Liebe, Glaube, Treue, Edelsinn, Weisheit 2 ). Wie Gott selbst mit seinen Gliedern, so sind auch der „Lichtäther" und die „Lichterde" anfangslos. Jedes dieser beiden hat wieder fünf Eigenschaften oder „Glieder", der Lichtäther Sanftmut, Wissen, Verstand, Geheimnis und Einsicht, also dieselben wie der Leib Gottes. Die Glieder der Lichterde sind: der leise Lufthauch, der Wind, das Licht, das Wasser, das Feuer. Diese Lichterde ist nicht mit unserer Erde zu verwechseln; sie enthält aber deren lichte Elemente, vereinigt alle Annehmlichkeiten derselben ohne ihre Schattenseiten und wird als ein Paradies beschrieben. Die Glieder sind Kräfte. Der leise Luftliaucli z . B . ist „das-Leben der Welt", die Seele der Lichtwelt. Dieser steht die Welt der F i n s t e r n i s gegenüber, welche auch ihre fünf Glieder hat: Nebel, Brand, Glühwind, Gift, Dunkel. Auch die Finsternis hat einen Luftkreis und eine Erde; diese ist voller Schrecknisse, finsterer Abgründe, giftiger Quellen, Sümpfe u. dgl. Die beiden Reiche des Lichts und der Finsternis grenzen an einander, so dass die oberste Stelle der Finsternis die unterste der Lichtwelt berührt; nach der andern Seite sind beide unbegrenzt. Zum Thun der Finsternis gehört das Böse, das Verderben, der Schaden, die Trübsal, die Verwirrung, die Unterbrechung, die Verschiedenheit. Aus dieser innern Bewegung der finstern Materie ging der Satan, Iblis 3 ) oder Kadim 4 ) genannt, hervor, der seiner Substanz nach mit dem Lichte gleich ewig ist, nicht aber seiner Person nach, die erst in der Zeit entstand. Da die Finsternis im 1) S c h a h r a s t a n i - H a a r b r ü c k e r I, 285 f., wo nur die Ansicht der Mag-ier nicht ganz richtig angegeben scheint. Wenigstens die orthodoxen wussten nichts von einem Entstehen der Finsternis. 2) Anderwärts ist von 12 Gliedern gesprochen. 3) I b l i s ist die arabische Form aus Siäßolos, im Koran gewöhnlich. 4) K a d i m , der Alte, Vorzeitliche, wird im Islam als Umschreibung Gottes gebraucht.
Der Urkainpf zwischen Licht und Finsternis.
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U n t e r s c h i e d v o m L i c h t e d i c h t ist, w i r d d e r S a t a n g r e i f b a r e r ges c h i l d e r t als die lichten Wesen, u n d z w a r e r i n n e r t die B e s c h r e i b u n g an d e n b a b y l o n i s c h e n D r a c h e n : E r h a t d e n Kopf eines Löwen, d e n L e i b eines D r a c h e n , Vogelflügel, F i s c h s c h w a n z , v i e r Füsse. Mit d e r E n t s t e h u n g des S a t a n s k o m m t erst S t ö r u n g d e s G l e i c h g e w i c h t s z w i s c h e n Licht uncl F i n s t e r n i s . E r s t w ü t e t er nach r e c h t s u n d links, d a n n a u c h n a c h oben u n d d r i n g t so feindlich in d a s L i c h t r e i c h ein, weil es ihm w i d e r w ä r t i g ist, n a c h a n d e r n D a r s t e l l u n g e n , weil e r V e r l a n g e n d a r n a c h t r ä g t . Z w a r h ä t t e n schon die n i e d r i g e r e n L i c h t m ä c h t c den Angriff' a b w e h r e n k ö n n e n ; allein d e r H e r r d e r P a r a d i e s e will sich selbst d a r a n b e t e i l i g e n ; e r e r z e u g t ein "Wesen, d a s d i e F i n s t e r n i s b e k ä m p f e n soll, den U r m e n s c h e n . Dieser ist a b e r n i c h t m e n s c h e n ä h n l i c h z u d e n k e n ; er ist eine V e r e i n i g u n g d e r L i c h t s u b s t a n z e n wie d e r Satan eine A u s g e b u r t d e r finstern K r ä f t e ist. Dieser U r m e n s c h g e b r a u c h t im K a m p f e mit, d e m Satan die G l i e d e r d e r L i c h t e r d e als R ü s t u n g : er hüllt sich in den leisen Lufth a u c h u n d in d a s b r e n n e n d e Licht wie in einen M a n t e l ; d a r ü b e r zieht er d a s "Wasser an u n d zuletzt d e n b l a s e n d e n "Wind; d a s F e u e r ist seine Schutz- u n d T r u t z w a f f e , Schild u n d L a n z e . I h m tritt d e r S a t a n e n t g e g e n , g e r ü s t e t mit d e n G l i e d e r n d e r F i n s t e r n i s , R a u c h , B r a n d , D u n k e l , G l ü h w i n d , Nebel. Nach l ä n g c r e m K a m p f e u n t e r l a g d e r U r m e n s c h , d e r Satan v e r s c h l a n g von seinem Lichte u n d u m r i n g t e ihn mit finstern E l e m e n t e n . Da s a n d t e d e r K ö n i g d e r P a r a d i e s e den F r e u n d des U c h t e s (den spiritus v i v e n s n a c h d e n Acta) zu s e i n e r Ililfe a b . Dieser b e f r e i t e den U r m e n s c h e n , der, in die Höhe g e h o b e n , zu einem Gott w u r d e . Die Acta e r z ä h l e n , d e r l e b e n d i g e Geist sei, von drei a n d e r n M ä c h t e n b e g l e i t e t , m e h r m a l s in die F i n s t e r n i s h i n a b g e s t i e g e n u n d habe die d o r t i g e n A r c h o n t e n heraufgeholt und am Firmamente gekreuzigt. Die h i m m l i s c h e n Mächte stellen sich den m ä n n l i c h e n Dänionen g e g e n ü b e r als s c h ö n e F r a u e n u n d v o r d e n weiblichen als schöne M ä n n e r d a r , um sie zu ü b e r w ä l t i g e n u n d die von ihnen g e r a u b t e n Lichtteilchen zu b e f r e i e n . Dies e r i n n e r t s t a r k an die J a t u u n d P a i r i k a des A v e s t a ; n u r d a s s d o r t die finstern D ä m o n e n sich d a s v e r f ü h r e r i s c h e Aussehen g e b e n . Da gewisse Lichtteile des U r m e n s c h e n , a n dessen R ü s t u n g d i e A r c h o n t e n g e f r e s s e n h a t t e n (Acta), in d e r G e w a l t d e r F i n s t e r n i s g e b l i e b e n sind, so m i s c h t e n sich dieselben mit d e r F i n s t e r n i s , u n d so e n t s t a n d u n s e r e W e l t mit i h r e r D o p p e l n a t u r . Der Qualm m i s c h t e sich mit d e m leisen L u f t h a u c h , d a s F e u e r mit d e m B r a n d , d a s L i c h t mit d e r F i n s t e r n i s , d e r G l u t w i n d mit d e m r e i n e n W i n d , d a s h i m m l i s c h e W a s s e r mit d e m finstern Nebel. D a h e r sind u n s e r e E l e m e n t e wie L u f t , W a s s e r , F e u e r u. s. w. sowohl w o h l t h u e n d als s c h ä d i g e n d . Da stieg d e r U r m e n s c h in den A b g r u n d h i n a b u n d s c h n i t t die W u r z e l n d e r fünf d u n k e l n G e s c h l e c h t e r ab, d a m i t sie k e i n e n Z u w a c h s m e h r e r h i e l t e n . Ein E n g e l zog die v e r m i s c h t e W e l t m a s s e dahin, w o die finstere E r d e a n d a s L i c h t r e i c h g r e n z t . H i e r s c h w e b t n u n u n s e r e W e l t . Die Geister d e s L i c h t s allein s c h u f e n die j e t z i g e W e l t a u s d e n g e m i s c h t e n E l e m e n t e n mit d e m
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Manichiiismus: Entstehung' der Welt lind Menschheit.
Zwcck, die Ausscheidung der Lichtelcmcnte herbeizuführen, was j a das letzte Ziel ist, da eine Aufhebung der Finsternis nicht möglich. Ein Engel hält den oder die (10) Himmel; ein anderer trägt die Erde, genauer die 8 Erden. J e d e r Himmel hat 12 Thorc mit weiten Vorhallen. Während bei Zaratlmstra auch der böse Geist Geschöpfe aut' Erden hervorbringt, schuften also hier nur die guten Engel. Während aber nach Zaratlmstra die Himmel mit Sonne und Mond rein geblieben sind, werden hier auch die Himmel aus gemischten Elementen geschaffen, immerhin aus den möglichst rein gebliebenen. Sie dienen dazu das Lieht zu läutern und auszuscheiden, und zwar reinigt die Sonne das Licht, das sich im Besitz der heissen, der Mond dasjenige, das in der Gewalt der kalten Teufel gewesen ist. Zu diesen Gestirnen führt die „Säule des Lobpreises" die Lichtteile empor, die so heisst, weil unter guten Worten u n d W e r k e n namentlich auch Lobpreisungen sie daran aufsteigen. Sonne, Mond und andere Gestirne sind Schifte, die dieses aufsteigende Licht nach vollzogener L ä u t e r u n g in die höhere Kegion befördern. AVenn einst nur noch ganz wenig Licht wird in der Mischung geblieben sein, so dass die Gestirne; es nicht mehr ausscheiden können, lässt der Engel, der den Himmel hält, los, dass dieser auf die Erde stürzt. Alles mischt sich und gerät in einen Brand, der 1468 J a h r e dauert. Dabei entweichen die letzten Lichtteilchen. Die Finsternis kehrt in ihr Grab zurück, das mit einem Steine verschlossen wird. Nach der Weltbildung wird A d a m , der Mensch, erzeugt und zwar von einem Archon (bösen Dämon; gemeinsam mit ;"> weiblichen Unholden, und zwar einem Stern (die „Sternin" der Syrer'/), der „ d r ä n g e n d e n Gewalt", Habgier, Sinnenlust und Sünde. Der Mensch ist also das Produkt böser Geister, denen auch sein Leib gehört, was nicht ausschliesst, dass in ihm Licht aus dem Urmenschen wohnt. Aus einer zweiten Begattung j e n e r Dämonen ging „das schöne Weib", Ilawvva (Eva) hervor. Diese ist nun weit sinnlicher als Adam, es überwiegen in ihr die materiellen Elemente und schlimmen Gelüste. Da in diesen beiden Menschen das Licht so kläglich von der finstern Macht geknechtet war, baten die fünf Liclitengel die höhern Geister, dass man j e m a n d e n zu ihnen sende, der sie erlöse u n d durch Offenbarung der Erkenntnis u n d Gerechtigkeit befreie. Da wurde ihnen I s a 1 ) gesandt, den ein Gott begleitete. Sie ergriffen die Archonten, welche die beiden Geschöpfe bewachten, und befreiten und belehrten diese. Die weitere Entfaltung der Menschheit wird an der Hand des biblischen Stammbaums, aber mit Verunstaltung desselben nach den Grundsätzen des Systems gegeben. Die grösste Sünde der Menschen ist die Fortpflanzung, da durch diese die Gefangenschaft der Lichtteile verlängert wird. Eva hat denn auch nicht von Adam, sondern von einem Dämon den Kain geboren, Abel geht 1) Arabische Form für Jesus.
S t e l l u n g des Manicliaisnius zur Bibel.
Ethik
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aus d e r V e r b i n d u n g K a i n s mit seiner Mutter hervor. D u r c h Z a u b e r e i v e r f ü h r t e E v a den A d a m , dass auch, er sich mit ihr v e r b a n d , w o r a u s S c M t h i l (Seth) h e r v o r g i n g . Die S c h l a n g e des P a r a d i e s e s w a r ein E n g e l , weil sie die ersten Menschen ermunterte, v o n dem heilsamen B a u m e der E r k e n n t n i s des Guten und Bösen z u essen. D a g e g e n J a h v e h , der es ihnen v e r b i e t e n wollte, w a r ein Archont. A d a m , A b e l u n d alle, welche an der rechten Lehre festhielten, k a m e n ins P a r a d i e s , E v a , Ivain u. a. sinnlich sündige Menschen in die Hölle. A u c h Noah und A b r a h a m w a r e n grosse Propheten. D a g e g e n Mose w a r ein W e r k z e u g der Finsternis und das Alte Testament wird verworfen. Echte Propheten w a r e n d a g e g e n die B u d d h a , Zarathustra, der „Messias", Paulus. Mani soll h i n z u g e f ü g t haben, es k o m m e noch das S i e g e l der Propheten im Lande der A r a b e r , w a s die M u h a m m e d a n e r natürlich auf ihren Propheten beziehen. Das W o r t d ü r f t e auch von ihnen herstammen, w e u n nicht e t w a Mani mit j e n e m Siegel sich selber g e m e i n t hat. Seine Stellung zu Jesus ist u n k l a r . Wohl heisst j e n e r Gesandte Gottes, der z u r B e l e h r u n g und B e f r e i u n g des ersten Menschenpares auf die E r d e g e s a n d t w u r d e , I s a ; allein das ist ein überirdisches W e s e n ohne menschliche Realität. Ein im Fleisch g e k o m m e n e r Sohn Gottes d a g e g e n konnte bei der manichäischen A u f f a s s u n g der Körperlichk e i t keine A u f n a h m e finden. Der L e i b des „ M e s s i a s " , den Gott g e s a n d t hat, musste Schein g e w e s e n sein und am w e n i g s t e n konnte er leiden und sterben. An seiner Stelle sei ein Mensch, „ d e r Sohn d e r armen W i t w e " u n d z w a r ein schlechter, der J e s u W e r k hindern wollte, also ein T e u f e l g e k r e u z i g t w o r d e n . G l e i c h z e i t i g mit dem „Sohn der W i t w e " w a r aber der göttliche Jesus auf E r d e n . Die occidentalen Manichäer nennen „ J e s u s patibilis" die Gesamtheit der in der K ö r p e r w e l t , den Pflanzen u. s. f. eingeschlossenen Lichtsubstanz, die da leidet und sich nach E r l ö s u n g sehnt. Dies ist offenbar eine g a n z andere E r l ö s u n g als die, w e l c h e das Christentum bringt. A u c h die neutestamentlichen Schriften sind in der T h a t nach Mani kritisch z u sichten, d a sie viel j ü d i s c h e s enthalten, w a s v o n den j u d e n c h r i s t l i c h e n A n h ä n g e r n J e s u herrühre. A u c h die A p o s t e l g e s c h i c h t e ist unecht, w e l c h e j a die A n k u n f t des „ P a r a k l e t e n " erzählt. Die A n f o r d e r u n g e n f ü r das L e b e n , w e l c h e Mani aufstellte, sind so streng, dass n u r w e n i g e sich a n s c h i c k e n mochten ihnen z u D a h e r hat Mani (ähnlich wie der B u d d h a ) neben seinen genügen. „ W a h r h a f t i g e n " (siddikün) oder V o l l k o m m e n e n auch blosse „ H ö r e r " oder K a t e c h u m e n e n zugelassen. D e r v o l l k o m m e n e Manichäer hatte sich des F l e i s c h e s , W e i n e s u n d j e d e r Geschlechtslust z u enthalten. E r w a r mit einem dreifachen s i g n a c u l u m verschen, d e m s. oris, Siegel, d. h. V e r s c h l u s s des M u n d e s : d u r f t e k e i n e unreinen Speisen essen und k e i n e unreinen W o r t e sprechen. Das s. m a n u s oder manuum hinderte ihn an j e d e r H a n t i e r u n g , w o d u r c h schädliche K r ä f t e des W a s s e r s oder F e u e r s entfesselt w e r d e n , auch am B r e c h e n der Früchte, die er selber ass. Das s. sinus erinnerte ihn an das
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Der Manichätsmus: Kultus.
Nach dem Tode.
U n s t a t t h a f t e d e r g e s c h l e c h t l i c h e n B e g i e r d e n . Auch sollte sein H e r z v o n H e u c h e l e i , etwa H i n n e i g u n g zu a n d e r n B e k e n n t n i s s e n frei b l e i b e n . Die blossen „ H ö r e r " d a g e g e n d u r f t e n heiraten und h a t t e n n u r 10 G e b o t e o d e r V e r b o t e a l l g e m e i n e r e n Inhalts zu b e f o l g e n : Sie d u r f t e n k e i n e Götzen a n b e t e n , m u s s t e n vor L ü g e , Geiz, T ö t e n l e b e n d e r W e s e n , H u r e r e i , D i e b s t a h l , B e t r u g , Z a u b e r e i , heimlichem A n s e h l u s s a n a n d e r e B e k e n n t n i s s e u n d Gleichgültigkeit sich f r e i e r h a l t e n . So u n t e r s c h i e d sich ihre L e b e n s w e i s e nicht allzusehr von d e r j e n i g e n d e r Christen o d e r M u h a m m e d a n e r . Hoch v e r e h r t e n sie die V o l l k o m m e n e n . Z a h l r e i c h w a r e n f ü r alle die F a s t t a g e , die V o l l k o m m e n e n n ä h r t e n sich a u c h sonst n u r k ü m m e r l i c h u n d ungenügend. O p f e r b r a c h t e n die M a n i e h ä e r n i c h t ; h i n g e g e n w a r e n i h n e n regelmässig«; G e b e t e in g r o s s e r Zahl v o r g e s c h r i e b e n ; sie h a t t e n 4 mal täglich n a c h e i n e r W a s c h u n g zu beten u n d d a b e i n a m e n t l i c h Mani selbst a n z u r u f e n als den P a r a k l e t e n , den F ü h r e r , d e n G e s a n d t e n d e s Lichts, die W u r z e l der E r l e u c h t u n g , den Bauin, d e r g a n z H e i l u n g ist u. s. f., d a n n den grossen Gott und V a t e r der L i c h t e r mit seinen H e e r s c h a r e n '). Das einzig«; Fest der M a n i e h ä e r , von d e m m a n K u n d e hat, u n d d a s ihr grösstes war, f ü h r t e d e n N a m e n 1 3 e m a (f>i]/i"), R e d n e r b ü l m e , z u r E r i n n e r u n g an Mani's Hinr i c h t u n g : Ein leer s t e h e n d e r L e h r s t u h l , zu welchem fünf S t u f e n h i n a u f f ü h r t e n , w a r das S y m b o l seiner G e g e n w a r t . Die f ü n f Stufen e n t s p r e c h e n d e n fünf G r a d e n d e r Weihe. Ü b e r den „ W a h r h a f t i g e n " s t a n d e n n ä m l i c h noch 1) die L e h r e r als Söhne der S a n f t m u t , 2) die D i e n e n d e n oder A u s ü b e n d e n als Söhne des Wissens, ,'») die, P r e s b y t e r als Söhne d e s V e r s t a n d e s . Dann erst k a m e n 4) die, Wahrhaft,igen als Söhn«; des G e h e i m n i s s e s u n d endlich ;">) die blossen „ Z u h ö r e r " als Söhne d e r E i n s i e h t . In d e r L e h r e vom Schicksal des Menschen n a c h d e m T o d e n ä h e r t sich Mani w i e d e r s t a r k d e m Z a r a t l r a s t r a . Scheidet eine d e r v o l l k o m m e n m a n i c h ä i s c h e n Seelen a u s d e m Leben, so s e n d e t ihr d e r U r m e n s c h einen L i c h t g o t t in Gestalt „des leitenden W e i s e n " (Isa) e n t g e g e n sowie d r e i a n d e r e G ö t t e r mit W a s s e r g e f ä s s , Kopfb i n d e , K r o n e u n d L i c h t g l a n z . Mit ihnen k o m m t eine J u n g f r a u , ä h n l i c h der Seele des W a h r h a f t i g e n . Z w a r k o m m e n a u c h die T e u f e l d e r H a b g i e r , d e r S i n n e n l u s t u n d a n d e r e h e r b e i ; sie w e r d e n a b e r v o n d e n g u t e n G e i s t e r n v e r j a g t . Diese n e h m e n d a n n die g u t e n Seelen u n d b e k l e i d e n sie mit dem himmlischen G e w a n d , K o p f b i n d e , K r o n e s a m t L i c h t g l a n z ; sie g e b e n ihr d a s W a s s e r g e f ä s s in d i e H a n d u n d f ü h r e n sie auf d e r Säule des L o b p r e i s e s h i n a u f z u m Mond, d a n n z u r Sonne, zum U r m e n s c h e n , endlich zum h ö c h s t e n L i c h t im P a r a d i e s e , wo die Seele w i e d e r so rein ist, wie vor d e r V e r m i s c h u n g 2 ) . Der K ö r p e r bleibt liegen, d a m i t Sonne, Mond u n d 1) Siehe, das Nähere bei K e s s l e r P R E 2 IX, 242, wo auf die Ähnlichkeit dieser Hymnen mit den mandäischen und zuletzt den altbabylonischeu hingewiesen ist. 2) Dies alles ist ganz ähnlich wie im Parsismus, nur fehlt das Gericht nach dem Tode.
Manichäismus, Pavsisrmis Und altbabylonische Religion.
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Lichtgötter die Kräfte, d. i. Wasser, Feuer und den sanften Luftliauch ihm entziehen; diese Teile erheben sich zur Sonne und werden dort zu einem Lichtgott neu gestaltet, während der Eest des Körpers, der ganz Finsternis ist, in die Hölle geworfen wird. Die „Hörer", jene untere Klasse der Manichäer, welche auch die Kämpfenden" heissen, werden ebenfalls durch lichte Genien den Teufeln entrissen, bleiben aber ohne Kleider und Kronen. Sie bleiben menschenähnlich, der Angst und dem Schrecken zugänglich, bis ihr Licht endlich befreit wird und sie nach langem Irren an den Sammelort der Wahrhaftigen gelangen und ihre Kleider anziehen dürfen. Die Nichtmanichäer dagegen, welche „die sündigen Menschen" heissen, erfahren nach dem Tode von den ihnen begegnenden guten Geistern keine Hilfe. Ihre Seele irrt unter Peinigungen in der Welt umher bis zum grossen Weltbrand, wo alles Mischwesen aufhört. Dann kommt sie in die Hölle. Vergleichen wir den Manichäismus mit dem System Zarathustras, so zeigen sich nicht nur mancherlei frappante Berührungen in einzelnen Figuren und Vorstellungen, sondern auch eine analoge Gesamtauifassung der Welt als eines Kampfplatzes und ihrer Entwicklung als eines mit wechselndem Erfolg geführten Krieges zwischen dem Lichtgeist und dem Fürsten der Finsternis. Allein eine starke innere Differenz durchzieht diese ganze Auffassung in den beiden Systemen. Die Verteilung der Sphären an die beiden feindlichen Mächte ist eine verschiedene, und der Ausgang des Ringens ist ebenfalls ein anderer hier wie dort. Im Parsismus endigt das wohlgefügte Weltdrama mit einem vollständigen Triumph des Lichtes und die Menschen erfreuen sich als auferstandene eines seligen Lebens. Im manichäischen System verläuft der Prozess zwar auch nicht resultatlos, indem nach der Lehre Mani's das Licht zuletzt völlig aus der Finsternis ausgeschieden wird (was einzelne seiner Anhänger übrigens bestreiten) und die vollkommen geläuterten Menschenseelen ins Lichtreich aufgenommen werden. Allein dieses Fortleben ist ein weniger ausgesprochen persönliches als beim Parsismus mit seiner Auferstehungslehre. Auch tritt das Ethische noch mehr hinter dem Physischen zurück als im Parsismus. Alles Materielle gilt eben dem Mani als unrein, höchstens mit Lichtelementen gemischt. Damit hängt zusammen seine ganz pessimistischasketische Stellung zum Leben, welche dem Parsismus völlig fremd, ja entgegengesetzt ist. Man denke z. B. daran, dass es nach parsischer Lehre ein Verdienst ist, Kinder zu haben, nach dem Manichäismus eine Schuld. Nur wäre ein Umschlagen der parsischen Anschauung zur manichäischen an sich keineswegs undenkbar; hat doch der vedische lebenslustige Optimismus sich auch in den brahmanischen Spiritualismus und Pessimismus verwandelt. Allein der Zusammenhang, in dem Mani's Lehre (wie sein Leben) mit Babylonien steht, seine Berührung mit den dortigen Täufern, seine Anlehnung an die altbabylonische Mythologie (Satan = Drache) die Verwandtschaft seines Systems mit der ältesten (ophitischen) O r e l l i , Religionsgeschichte.
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Der Manichäismus.
Mazdak.
Gnosis und mit den s p ä t e m Mandäern m a c h e n wahrscheinlich, dass er seinen s t r e n g e r e n Dualismus u n d d a m i t die Seele seiner L e h r e d o r t h e r h a t t e . Die altbabylonische Religion ist freilich von diesen S y s t e m e n noch weit e n f e r n t , und es ist d u n k e l , wie weit d e r e n prinzipielle u n d systematisch dualistische A n l a g e h i n a u f r e i c h t . Auch die F r a g e bleibt noch offen, ob nicht dieser babylonische Dualismus schliesslich v e r w a n d t ist mit dem System Zaratlmstras, d e r von W e s t e n her die Impulse zu seiner systematischen G e s t a l t u n g d e r iranischen Lehre e m p f a n g e n haben k ö n n t e 1 ) . Eine Volksreligion zu w e r d e n , w a r d e r Manichäismus nicht ang e l e g t . Nicht sein Kultus, sondern seine Lehre, mit welcher e r sich r ü h m t e die tiefsten Geheimnisse aufzuhellen, hat besonders; Gebildete u n d geistig A u f g e w e c k t e ihm z u g e f ü h r t . In Pcrsien v e r folgt, zogen sich die Manichäer teils nach T u r k e s t a n , teils n a c h I r a k z u r ü c k . In Babylon residierte n a c h Mani's A n o r d n u n g i h r „ I m a m " , d. h. das O b e r h a u p t des Ordens. Der erste in der R e i h e dieser H ä u p t e r w a r nach Mani's eigener V e r o r d n u n g ein gewisser' Sis (Sisinius). Manichäer finden sich im M o r g e n l a n d noch im 11. J a h r h u n d e r t , ebenso a b e r trotz aller V e r f o l g u n g e n , die sie auch dorn, zu e r d u l d e n hatten, im A b e n d l a n d , wohin sich die Sekte bald a u s g e b r e i t e t hatte, so in Italien, N o r d a f r i k a , Gallien, Hispanien. Ausl ä u f e r von ihnen sind gewisse Sekten, b e s o n d e r s die K a t h a r e r in S ü d f r a n k r e i c h (11., 12. Jahrh.), wie auch d e r N a m e zeigt, da die, Glieder des Manichäerordens sich von j e h e r gern als die „ R e i n e n " bezeichneten. Im Orient findet man sie; w i e d e r in den P a u l i c i a n e r n , a r m e n . Arevordik = S o n n e n a n b e t e r (7—12. J a h r h . ) und den Bogomilen. Auch die Zähigkeit, mit d e r sich diese L e h r e b e h a u p t e t e , beweist, dass sie in a u s n e h m e n d e m G r a d e im S t a n d e war, das B e d ü r f n i s n a c h E r k l ä r u n g der Welträtsel, wie es j e n e Zeit e m p f a n d , zu befriedigen. Ein I r r l e h r e r g e r i n g e r e n Schlags als Mani t r a t später in P e r s i c n auf, M a z d a k aus Istachr. Es g e l a n g ihm das V e r t r a u e n des sasanidischen H e r r s c h e r s Kobäd ben P^eroz (490—531) zu gew i n n e n , den er d u r c h ein v o r g e b l i c h e s W u n d e r getäuscht h a b e n soll, i n d e m er eine menschliche Stimme aus dem F e u e r s p r e c h e n liess. Seine sozialen L e h r e n w a r e n dazu a n g e t h a n , die H e f e des Volkes zu entzücken. Allein um so grösser w a r die Missstimmung, welche sich g e g e n dieses Unwesen im g a n z e n L a n d e erhob u n d d e m K o b ä d , d e r eine Zeit lang g e f a n g e n gesetzt w u r d e , beinahe den T h r o n kostete, clen er jedoch mit f r e m d e r Hilfe w i e d e r zu g e w i n n e n wusste. Seitdem b e k a n n t e er sich nicht m e h r offen zu Mazdaks Lehre. Diesen h a b e K o b a d s N a c h f o l g e r N u s c h i r w a n ( 5 3 1 — 5 7 8 ) töten lassen. Nach Schalirastani 2 ) stimmte er in vielem mit Mani's Lehre überein, n u r b e h a u p t e t e j e n e r , das Licht h a n d l e mit Absicht u n d freier Wahl, die F i n s t e r n i s d a g e g e n ohne P l a n 1) Dies nimmt K e s s l e r an bei J u s t i , Gesch. d. a. Persien S. 185. 2) S c h a h r a s t a n i - H a a r b r ü c k e r I, 291.
Die mandäische Religion.
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und nach dem Zufall. Das Licht sei wissend, sinnenbegabt, die Finsternis unwissend, blind; die Vermischung' sei zufällig und ohne Plan, nicht mit bestimmter Absicht und freier Wahl entstanden, und ebenso gehe die Befreiung nur nach dem Zufall, nicht nach freier Wahl vor sich. Seine praktischen Grundsätze, welche das Reich in Aufruhr brachten, waren folgende: „Es untersagte aber Mazdak dem Menschen Widerspruch, Hass und Kampf; und da das Meiste davon seine Ursache in den Frauen und Glücksgütern habe, so liess er die Frauen frei und gab die Glücksgüter preis, und liess die Menschen daran gemeinschaftlich teilnehmen, wie am Wasser, dem Feuer und der Weide." Es begreift sich, dass die auf Güter- und Weibergemeinschaft hinzielenden Bestrebungen des Königs, der die Vorrechte des Adels aufhob und in der That auch die Gemeinschaft der Wreiber gestattete, den gesunden Sinn seines Volkes empörten und ein Ende mit Schrecken nahmen.
VII. Die mandäische Religion1). Eine mit der manichäischen verwandte Religionsmischung tritt uns in den hl. Büchern der alten Mandäergeineinde entgegen. Der ausserordentliche Wert, den sie der Taufe beilegen, lässt diese Mandäer als Nachkommen der schon vor Mani bekannten, einst sehr ausgebreiteten „Taufbeflissenen" erscheinen. Dieselben haben ihre angestammten babylonischen Ideen mit parsischen, jüdischen und judenchristlichen Elementen versetzt und mittelst derselben phantastische Darstellungen von Weltbildung und Geisterkampf aufgestellt. Auf die Kenntnis dieser Geheimnisse wurde das grösste Gewicht gelegt, und die gnostische Richtung der alten Mandäer ist für die Kirchengeschichte bedeutsam. Doch fehlt in ihren Lehren, wie sie heute vorliegen, jede systematische Konsequenz, und sogar die Einheit in den Grundanschauungen ist mit der Zeit verloren gegangen. Im Koran werden wir Sabicr (Taucher, Täufer), genannt linden, welchen Muhammed, der selber olt „Sabier" gescholten wurde, als Anhängern einer verhältnismässig reineren Gotteserkenntnis und Besitzern heiliger Bücher neben Juden und Christen 1) L i t t e r a t u r : I g n a t i u s a J e s u , Narratio originis, rituum et errorum Christianorum Seti Joannis, Romae 1652. — P e t e r m a n n , Art. Mandäer P R E 1 . — M. N. S i o u f f i , Etudes sur la religion des Soubbas ou Sabéens, Paris 1880. — Siehe besonders K. K e s s l e r , Art. Mandäer P R E 8 (1881) und W i l h . B r a n d t , Die Mandäische Religion, Leipz. 1889. — D e r s e l b e , Mandäische Schriften aus der grossen Sammlung heiliger Bücher, genannt Genzâ oder Sidrê Rabbâ, Göttingen 1893. — Vgl. D e r s e l b e , Jalirbb. für prot. Theol. Bd. XVIII.
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Mandäische ß e l i g i o n : Bio, heiligen Schrifterl.
Duldung gewährte, u n d von Mani hörten wir schon, dass er in einer Gemeinde von „ T ä u f e r n " (Mughtasilah) seine K n a b e n j a h r e zubrachte. Nun findet sich heute noch eine kleine Sekte, welche als Überbleibsel dieser einst in Babylonien weit verbreiteten T a u f religion anzuseilen ist. Dieselbe besitzt auch noch einen Rest von h e i l . B ü c h e r n , die in einem eigenartigen babylonisch-somitischen Idiom 1 ) abgefasst sind. Die Zahl der noch vorhandenen Handschriften ist bei der kleinen Glaubensgenossenschaft noch eine verhältnismässig beträchtliche, da es für verdienstlich galt, die hl. T e x t e abschreiben zu lassen. Doch ist keine älter als das 16. Jahrhundert. Die Texte selbst sind aus altern und j ü n g e r n Bestandteilen gemischt; die ältesten Stücke reichen wohl in die Sasanidenzeit hinauf und ruhen auf noch altern Grundlagen. 1) Das bedeutendste dieser hl. Bücher führt den Titel G i n s f i , d. i. Schatz oder S i d r ä R a b b ä d. i. das grosse Buch 2 ). Es besteht aus zwei ungleichen Hälften, die nach der rechten und linken Seite, benannt sind. Die umfänglichere rechte (jamimä) enthält den Hauptbestand der Lehre. Die linke (semälä) ist den Toten gewidmet und bietet namentlich Gebetsformeln f ü r die Begräbnisse.. F e r n e r ist zu n e n n e n : 2) K o l a s t a 3 ) , „Oesänge und Vorträge ü b e r die T a u f e und das Aufsteigen", nämlich der Seele nach dem Tode., daher auch „Buch der Seelen" genannt. — 3) S i d r ä d ' J a h j a . , d. i. Buch Johannis des Täufers, aucli D'rasche d'malke (Vorträgeder Könige) genannt. — 4) A s f ' a r M a l w ä s c h e , Anweisungem astrologischer Art, besonders f ü r Nativitätsstellerei. — 5) Der sog. D i w a n , das Ritual für Sühnungen enthaltend. Die Darstellung der mandäischcn Religionslehre ist deshalb sehr schwierig, weil der Inhalt der heiligen Bücher kein einheitlicher ist, sondern im selben Buche abweichende Lehren u n d Systeme neben einander stehen, welche nach einander a u f g e t r e t e n sind. Die ursprünglichen babylonischen Vorstellungen sind durch den Einfluss des J u d e n t u m s , Parsismus, Christentums und Islam hindurchgegangen und haben sich stark aus diesen Religionen bereichert, wenn auch die mandäische Gemeinde diese selbst bald feindselig abstiess. Es gibt im Sidra Rabba Partieen, welche einen erhabenen Monotheismus zu lehren scheinen, wobei freilich d e r Einfluss der biblischen Religionen nicht selten sogar im Wortlaut
1) Siehe die bahnbrechende Mandäische Grammatik von Theod. N ö l d e k e , Halle 1875. 2) T e x t a u s g a b e von P e t e r m a n n : Thesaurus s. Liber Magnus, v u l g o „Liber Adami" appellatus, opus Mandaeorum summi ponderis, descripsit et ed. H. Petermann, Lipsiae 1867. Eine vollständige, zuverlässige Übersetzung fehlt noch. Veraltet und unzuverlässig ist die lateinische Matth. N o r b e r g s : Codex Nasaraeus, liber Adami appellatus I—III, Londini Gothorum 1815. — Nahezu einen Viertel des Ganzen bietet W. B r a n d t in deutscher Übertragung. S. o b e n : Mand. Schriften 1893. 3) Autographiert und herausgegeben von Dr. J. E u t i n s : , Stuttgart 1867.
Verhältnis des Mandaismus zum Christentum.
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sich kundgibt, und andere, wo man sich in die babylonische Göttcrund Geisterwelt zurückversetzt glaubt. So viel ist gewiss, dass man diese „ J o h a n n e s c h r i s t e n " , wie die Mandäer früher meist (nach Johannes, dem Täufer) genannt wurden, nicht mehr als eine entartete jüdische oder christliche Sekte (etwa gar als die von Johannes im Jordan Getauften, aber nicht zu Christo Bekehrten) betrachten darf, wie noch Petermann that, sondern dass sie eine von diesen Religionen wie auch vom Parsismus von Haus aus unabhängige Religion, freilich in stark alteriertem Zustand, darstellen. Das T a u f e n , welches in ihrer Religion eine so grosse Rolle spielt, dass es ihnen den Namen Subba (Plural von Säbi) eintrug, werden sie schon vor ihrer Berührung mit Juden und Christen geübt haben. Auffällig ist ja allerdings, dass sie den Fluss, in welchem sie dieses Untertauchen vollziehen, J o r d a n nennen, ja jedes fliessende Wasser, auch in der Ober- und Unterwelt, mit diesem Namen bezeichnen. Allein eben wenn das Taufen die wichtigste Handlung ihres Kultus war, musste bei nachheriger, vielleicht nicht immer unfreundlicher Berührung mit den Christen der Täufer im Evangelium ihre besondere Verehrung gewinnen. Zeigen sie doch überhaupt eine starke Neigung, Elemente, die. sie in andern Religionen vorfanden, mit der ihrigen zu amalgamieren, was sie nicht hinderte, gegen diese Bekenntnisse, sobald sie unbequem wurden, aufs schärfste zu polemisieren. Auch in ihren kosmogonischen Systemen finden wir an hervorragender Stelle fast lauter biblische Namen, wie Adam, Noah, Seth, Enosch, Abel u. s. f., die natürlich den Juden oder Christen entlehnt sind. Auch der Name N a s o r ä e r 1 ) , den die Mandäer im Munde Anderer häufig führten und der dazu beigetragen hat, dass man sie für eine judenchristliche Sekte hielt, weist wenigstens auf Zusammenhang mit einer solchen. Der Name M a n d ä e r dagegen lässt tiefer in das Wesen ihrer Religion blicken. Er ist abzuleiten von Manda', Wissen, Erkenntnis. Diese Religion zeigt nirgends einen nationalen Charakter. Ihr Kern sind die Mysterien, in welche nur die Priester eingeweiht werden. Das Wissen um die übersinnlichen Dinge, die Namen der Geister und ihren Ursprung verleiht göttliche Macht in der Ober- und Unterwelt. So weit die Menschen dieses Wissen nötig haben, ist es ihnen von der Gottheit geoffenbart worden. Die schlichten Gemeindeglieder haben nur die Ceremonien zu verrichten und die moralischen Gebote einzuhalten, um ihren Seelen das Aufsteigen in die Welt des Lichtes zu sichern. Nach dem oben angedeuteten Sachverhalt ist es nicht möglich ein konsequentes Lehrsystem des Mandaismus nach Analogie des manichäischen zu entwerfen. Die Nebenordnung und Mischung 1) Die Mandäer liebten diese Bezeichnung- ebenfalls. Heutzutage nennen sie nur noch die durch Tugenden hervorragenden Glieder der Gemeinde Nasoräer.
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Mandäische Religion: Gotteslchre.
verschiedenartiger Anschauungen macht das mandäische Lehrbuch zu einem schwer zu entwirrenden Knäuel von cmanatistischen und dualistischen Vorstellungen, welche teilweise auch monotheistische Deutung zulassen. Die heutigen Mandäer wollen Monotheisten sein und meinen darin mit ihren hl. Büchern in Einklang zu stehen. In der That enthält das Ginsa manche Partieen, wo die Gottheit in erhabener Einheit verehrt wird. Sogleich im Anfang des rechten Ginsa lesen wir 1 ): „Gepriesen seist du, Herr, mit reinem Herzen, Herr aller Wesen! Gepriesen bist du und gesegnet und hochgefeiert und verherrlicht und beständig ist der Gott der Wahrheit, dessen Macht ausgedehnt ist und der kein Ende hat! Reiner Glanz und grosses, unvergängliches Licht! Ein Barmherziger und Erbittlicher und Versöhnlicher und ein Erbarmer und Erretter aller Gläubigen und eih Erhalter aller Guten, stark und weise, und ein Wisser und ein Seher und ein Unterscheider und ein Herrscher, der über jegliches Ding herrscht. Herr aller Lichtwesen, der oberen und der mittlem und der untern, das grosse Antlitz der Herrlichkeit, der nicht gesehen und nicht begrenzt wird, der keinen Mitberechtigten an der Krone und keinen Genossen an der Herrschaft hat" . . . „Einer ist der Lichtkönig in seinem Reich, und es existiert kein Grösserer denn er und ist Keiner der mit ihm Krieg machte" . . . . Ist diese Gotteslehre sicher nicht ohne Einfluss der biblischen Religionen und des Islam herrschend geworden, so zeigt sich dagegen in andern Stücken des Lehrbuchs die Gottheit ganz anders in die Endlichkeit und den Werdeprozess herabgezogen; und wie die erhabene Einheit, so lässt sich der ethische Gehalt dabei vermissen. Um so üppiger wuchert müssige Spekulation über den Ursprung und Zusammenhang der Welten. Diese Theogonieen und Kosmogonieen, Höllenfahrten und Prophetengeschichten bieten wenig Tieferes; sie sind mehr Exempel für die Irrgänge einer armseligen Phantasie. Jener erhabene Gott, dessen Preis wir oben vernahmen, der Lichtkönig, heisst auch „der Vater aller 'Utre" 2 ), d. h. der lichten himmlischen Wesen. Er hat diese ins Dasein gerufen und ebenso einen Gesandten namens H i b i l S i w a (auch Gabriel), den er mit der Weltbildung beauftragt. Dieser erhöht den Himmel und verdichtet die Erde; er bildete Adam und Hawa, welchen die ebenfalls von ihm ins Dasein gerufenen Feuerengel huldigen sollten. Einer derselben widersetzte sich u. s. w. Hier ist die Anlehnung an die rabbinische Theologie offenkundig. Allein anderwärts begegnet eine wesentlich andere Voraussetzung und eine kompliziertere Darstellung der Anfänge: Im Anfang war P i r a r a b b a , wohl der grosse Abgrund 3 ), im Pira (in 1) W. B r a n d t , M. Schriften S.. 5 ff. 2) Singular 'uträ, Reichtum. 3) Die Deutung ist unsicher; siehe B r a n d t , Mand. Rel. S. 23.
Himmlische Wesen und Unterwelt.
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sich selbst), A j a r , der Äther, im Ajar und Mänä rabba, der grosse Geist 1 ). Aus diesem letzten, persönlicher als die andern gedachten Urwesen entströmte der „grosse Jordan", Jardena rabba, welcher die Himmelswelt beseelt 2 ). Aus Mana rabba ist auch das „ E r s t e L e b e n " hervorgegangen, aus welchem dann ein weiteres Leben und ein neuer Jordan entströmte. Auch ungezählte c Utre gehen vom Ersten Leben aus, der vornehmste unter ihnen heisst A b a t u r , d. h. Vater der 'Utre. Das „Erste Leben", mit dessen Anrufung die Traktate regelmässig beginnen, scheint die Stelle Gottes bei der Verehrung einzunehmen, während der grosse Mana über der Welt und der Verehrung der Menschen erhaben und unzugänglich, nur für die obersten Emanationen sichtbar bleibt und allerdings auch von den Seelen der frömmsten Mandäer einmal nach dem Tode geschaut werden darf. Das „Zweite Leben" führt auch den Namen Juschamin (hebr. Jeho-schamajim). Statt Hibil Siwa heisst das hilfreiche Mittelwesen anderswo M a n d a d ' h a j e , d . i . Lebensgeist, genauer Lebenserkenntnis. Auch der Urmensch oder „Erste Mensch" gehört der himmlischen Sphäre an. Manda d'haje (von Kessler mit Marduk verglichen) erscheint nachher auf Erden in verschiedenen Inkarnationen, zuerst in den drei Brüdern Hibil (Abel), Schitil (Seth) und Anusch (Enosch). Besonders der erste, der gewöhnlich den Beinamen Siwa trägt, und der letztgenannte vertreten die Stelle des Manda d'haje auf Erden. Über die U n t e r w e l t werden wir namentlich durch die Erzählung von den Höllenwanderungen des Hibil Siwa 3 ) unterrichtet. Unter den himmlischen Lichtsphären war eine ungeheuere Leere. Auf dem Grund derselben befand sich schwarzes Wasser, dort begann das Reich der Finsternis. Der höchste Gott Mana war beunruhigt durch die von dem wachsamen Manda d'haje ihm überbrachte Meldung, dass ein finsterer Dämon über die Grenze hinausrage, also wohl einen Einfall in das Reich des Lichtes plane. Deshalb sandte er den Hibil Siwa, den Sohn des Manda d'haje, nachdem er ihn mit hohen göttlichen Kräften ausgestattet hatte, in die Unterwelt hinab. Er erzählt selbst, wie es ihm auf dieser Fahrt erging. Er gelangte zuerst zu den schwarzen Wassern, dem Reich der Rüliä 4 ), wo er Jahrtausende verweilte, dann tiefer hinab in das Reich des Sartaj Sartanaj und seiner Gattin Ammamet, dann wieder nach langem Aufenthalt weiter hinab in das Gebiet des Hag und der Mag (Gog und Magog!), darauf in das noch tiefer 1) Siehe ebenda. 2) K e s s l e r kombiniert die altbabylonische Trias: Anu (Himmel) Bei (Luft?), Ea (Wasser) mit den mandäischen Urwesen: Pira, Ajar, Mana, neben welch letzterm regelmässig' sein Ebenbild, D'mütha erscheint, das der Dam kina (Daukina) entspreche. 3) W. B r a n d t , M. Schriften S. 137 ff. 4) Rüha ist von der hebr. ruach (Geist), Genes. 1, 2 entnommen, welche über den Wassern brütet wie Ruha an den schwarzen Wassern. Die nachherige Kombination mit dem hl. Geist s. unten.
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Mandäische Religion: Kosmogonie.
liegende Eeich des Gaf und der Gafan, der grossen Riesen der Finsternis, die aus den schwarzen Wassern entstanden sind; sodann in die Welt des Anatan und der Kin. Sind dies eine Art Vorhöllen, so gelangt Hibil S. nun erst zu den Thoren der tiefsten Finsternis, und findet da zuerst das Reich des Kriegers S'düm, dann das Giv's des Grossen, und endlich kommt er in die unterste Hölle, wo Krün, „der grosse Fleischberg" haust, der ihn zur Hälfte verschlingt, aber wieder herausgeben und sich unterwerfen muss, da seine Eingeweide dabei zerschnitten worden. Der Gesandte aus der Lichtwelt verlangt von ihm einen Freibrief, und nachdem er den geheimen Namen der grossen Finsternis, der auf Krüns Siegelring stand, in Erfahrung gebracht, wandert er wieder rückwärts durch die verschiedenen unterirdischen Regionen, und weiss durch Verstellung, indem er sich in die Gestalt dieser Dämonen verwandelt, sogar mit einer Tochter dieser Sippe sich zum Schein vermählen lässt, ihr ihre Geheimnisse, besonders das ihres Ursprungs abzulocken und schliesst jedesmal das Thor der Region, die er verlässt, mit Schloss und Siegel zu. Die Ruha, welche mit dem schlimmsten der Teufel, U r, schwanger war, weiss er von ihrem Geschlechte wegzubringen. Wie er schliesslich zum grossen Mana und dessen Ebenbild zurückkehrt, und diese über die Geheimnisse der Finsternis aufklärt, sind jene hoch erfreut, und der grosse Mana spricht zu ihm: „O Hibil Jawar, Aschkanda 1 ), Verborgener, dem die Hand seines Vaters aufgelegt worden ist, und den wir uns gleich gemacht haben: Wenn wir dies nicht gethan hätten und du nicht die Sache geordnet hättest, so w ä r e n wir, d e r K r a f t d e s Ur u n d s e i n e r M u t t e r n i c h t g e w a c h s e n g e wesen"2). Die Erschaffung der irdischen Welt und der Menschen aber wii'd in diesem mythologischen Zusammenhang nicht einfach auf den höchsten Gott und seinen Gesandten zurückgeführt, wie oben, sondern geschieht durch einen Demiurgen von niedrigerer Herkunft. Wie nämlich Abatur aus der obern Welt auf die schwarzen Wasser der Tiefe herabschaute, da entstand in diesem trüben Element sein Abbild, sein Sohn P t a h i l . Diesen heisst Abatur, trotzdem er von Hibil S. davor gewarnt wird, die schwarzen Wasser dicht werden zu lassen. Er thut dies und spannt das Firmament auf. Allein Ruha bethört ihn, so dass er die Hilfe von sieben bösen Geistern annimmt, die sie geboren hat. Diese sieben helfen ihm den Leib des Adam bereiten, können ihn aber nicht aufstellen und ihm kein Leben einhauchen, bis im Auftrage des „Ersten Lebens" Hibil, Schitil und Anusch dem Adam den Lebensgeist brachten und ihn aufrichteten, damit er nicht blos eine Kreatur des Ptahil sei. Hibil Siwa belehrte auch Adam und Hawa über den grossen Gott und 1) Diesen Titel, im Klerus den Diakonen bezeichnend, führt Hibil S. häufig. 2) W. Brandt, Bland. Schriften S. 171.
Schlimme Dämonen und Weltkatastrophen.
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hiess sie sich auf der Erde vermehren und die Waschungen vollziehen. Ptahil wird von seinem Vater Abatur in eine tiefere Region Verstössen, wo er bis zum Weltgerichte harren muss. Dann wird ihn Hibil S. wieder erhöhen und zum K ö n i g der 'Utre machen, nachdem er ihn getauft hat. Jener Erzteufel Ur, das verzehrende höllische Feuer, ist von Hibil S. gefesselt und mit 7 eisernen und 7 goldenen Mauern umringt worden. Von ihm hat aber seine Mutter Ruha, die Mutter aller Unwahrheit und Unreinigkeit, Ketzerei und Zauberei, erst 7, dann 12 Dämonen auf einmal geboren. Jene Sieben wollte Hibil S. erst vernichten; doch verschonte er sie, weil sie nicht so greulich waren wie die Riesen, die er in der Unterwelt gesehen. Er iiberliess ihnen, dass sie den Lauf der W e l t regieren, indem er ihnen W a g e n gab, auf welchen sie in ihrer feurigen Rüstung am Himmel hinfahren 1 ). Sie verführen die Menschen zur Anbetung. Ihre Namen sind: 1) Schamesch (Sonne); auch Adunaj nach dem Namen des alttestamentlichen Gottes genannt, ebenso El El und Kädüsch. Dieser Archont verführt die Menschen zu Hochmut, Schlemmerei und Abgötterei und schickt auch Gesandte wie den Messias an sie. — 2) Der Planet Venus, Rülia d'kudschä nach der Benennung des hl. Geistes in der svr. Bibel, ebenso Estera ( = Istar) und Libat (aus Dilbat) genannt, Geist der Hurerei und Zauberei. — 3) Der Planet Merkur, Enbu (Nebo) und mit Vorliebe „der betrügerische Messias" genannt. — 4) Der Mond, Sin oder Sira, auch Sawriel. — 5) Der Planet Saturn, Kewan, bringt K l a g e und Weinen über die Menschenkinder. — 6) Der Planet Jupiter, Bil. — 7) Der Planet Mars, Nirig (aus Nergal). Die Dauer der sichtbaren Welt ist auf 480 000 Jahre bestimmt. Die Entwicklung der Menschen wurde durch drei grosse Katastrophen gestört, welche durch böse Geister verursacht sind, die dem Menschen übel wollen. Zuerst wird das Menschengeschlecht „durch Schwert und Pest'' vernichtet bis auf Räm und sein W e i b Rüd, von welchen die Menschheit sich wieder ausbreitet. Später wird sie durch eine Feuersbrunst hinweggetilgt. Übrig bleiben Schurbaj und Scharhabiel. Schon 466000 Jahre waren seit der Weltschöpfung verflossen, als eine grosse Flut nur den Nu (Noah) übrig liess. Bei allen diesen Katastrophen sind die Seelen der Umgekommenen mit Einer Auffahrt zum Himmel emporgestiegen, weil sie die erste Lehre rein bewahrten und getreulich hielten. 6000 Jahre nach Nu trat in Abrähim ein falscher Prophet auf, der den Adunaj (die Sonne) verehrte. Ein solcher war auch Mischa (Mose), welcher die T r ä g e r der wahren Religion (Pharao und die Ä g y p t e r ) bekämpfte. Auch Salomo wird unter dem Namen Schlimun bar David hervorgehoben als ein Despot, dem die bösen Dämonen dienten. Schon die Gründung der Stadt Jerusalem, Uraschlam 1) Ginsa I, 171 f.; vgl. S. 188ff.; vgl. auch S. 85 f.
auch
I, 51. — W . B r a n d t ,
M. Schriften
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Mandäischo Religion: Stellung zu Christus.
( = „Ur hats vollendet") war ein Werk der Ruha und ihrer bösen Sieben. Ein Gesandter des Adunaj, also Verführer, ist auch Jesus, Jischu Mschichä, der oben mit dem Planeten Merkur kombiniert erschien. Ihm ging der wahre Prophet, J a l i j a (Johannes) voraus, Sohn des Skarja und der Enischbai (Elisabeth). Der sog. Messias kam in heuchlerischem Sinn zu Jalija und begehrte scheinbar aus Demut die Taufe. Jahja liess sich täuschen und taufte ihn. Nach Vollendung seiner Mission kehrte der von den Juden getötete Jahja in das Lichtreich zurück. Während der falsche Messias, ein Wesen von feuriger Natur, auf der Erde war, trat auch Anusch 'Utra, jener jüngere Bruder des Hibil Siwa, als heilender Wunderthäter in Jerusalem auf, nachdem auch er sich von Jahja hatte taufen lassen. Sein Kleid war aus Wasserwolken gebildet und nicht körperlich 1 ). Jenen falschen Messias Jesus brachte er durch seine Anklage ans Kreuz. Er predigte die wahre Religion und kehrte dann wieder in die Lichtwelt zurück, nachdem er von Jerusalem 360 wahre Propheten ausgesandt, die Stadt selbst aber zerstört und die Juden zerstreut hatte, zur Strafe dafür, dass sie den Jahja getötet hatten. Die Mandäer scheinen von den Christen bedrängt worden zu sein. Sie erzählen sogar, diese hätten sie ganz ausgerottet, allein 60,000 Mandäer seien aus der Welt des Pharao auf die Erde ge1) Vgl. Ginsa I, 28f.; B r a n d t , M. Schriften S. 47 f.: „Sodann wird der Messias in einer andern Gestalt geoffenbart, feuerbekleidet und mit Feuer angethan, und Grossthaten zeigt er im Feuer. (Dies ist vielleicht aus der Verklärungsgeschichte Mark. 16, 12 geflossen.) Und auf Feuer ist sein Wohnsitz . . . und er spricht zu euch: Kommt und stellt euch zu mir, und ihr werdet nicht gebraten werden! Aber glaubt ihm nicht; denn mit Zauberei und Falschheit Wenn er euch drängt, so sprecht zu ihm: wir sind dein! In euerm Herzen aber sollt ihr ihn nicht bekennen und nicht verleugnen die Rfede eures Herrn, des hohen Lichtkönigs. Denn dem lügnerischen Messias ist das*'Verborgene nicht offenbar. Und er spricht: Ich bin Gott (Alaha), der Sohn Gottes (Alahas), den mein Vater hergesandt hat — und spricht zu euch: Ich bin der erste Gesandte; ich bin Hibil Siwa, der von der Höhe gekommen ist. Aber bekennt ihn nicht! Denn er ist nicht Hibil Siwa, Hibil Siwa ist nicht feuerbekleidet, und Hibil Siwa wird in jenein Zeitalter nicht geoffenbart. Hingegen Enosch 'Utra kommt und geht nach Jerusalem. Wie mit einem Kleide von Wasserwolken bekleidet, einem Körper ähnlich geht er, und nicht mit einem körperlichen Kleid bekleidet, und Hitze und Zorn sind nicht in ihm. Und er geht und kommt in den Jahren des Pilatus, des Königs der Welt. Enosch 'Utra kommt in die Welt mit der Kraft des hohen Lichtkönigs. Er heilt Kranke und macht Blinde sehend und reinigt Aussätzige und richtet Zerschlagene und Zerstossene auf, dass sie gehen und macht Stumme und Taube reden und gibt Toten das Leben und macht von den Juden eine Anzahl gläubig, und zeigt ihnen, dass da ist Tod und ist Leben und ist Finsternis und ist Licht und ist Irrtum und ist Wahrheit, und bekehrt Juden zum Namen des hohen Lichtkönigs." Vgl. auch Ginsa I, 54 ff.; B r a n d t , M. Schriften S. 89 ff. — Im Buche des Jahja heisst es: „Hütet- euch vor dem Gott-Zimmermann! Dem Zimmermann gebührt die Axt, aber kein Weihrauch". (PRE 2 IX, 213.)
Sittlichkeit und Frömmigkeit.
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kommen, so dass die Gemeinde nicht ausstarb. Noch weit drückender wurde das Joch des Islam. Als den letzten falschen Propheten nennen sie denn auch A h m a t bar Bispad (Muhammed), der Falsches verkündigt und „den ganzen Stamm der Seelen irreführt"'). Als Beschirmer der Rechtgläubigen gegen dessen Anschläge und die des Chalifen Ali weilte Anusch in der Nähe. Die lebende Menschheit wird 4—5000 Jahre nach Ahinat durch einen furchtbaren Sturm vertilgt werden. Doch wird dann die Erde nochmals für 50 000 Jahre durch ein Par aus der Oberwelt bevölkert. Zuletzt aber wird sie von Ur verschlungen, der daran zerplatzt und in den Abgrund stürzt. Alle finstere Welt vergeht dabei, und es bleibt nur das Lichtreich, das ewig dauert. Die s i t t l i c h e n Verpflichtungen des Mandaismus, welche besonders im „Buche des J a h j a " enthalten sind, sind die bei den semitischen Stämmen gewohnten. Streng verboten sind Mord, Ehebruch, Diebstahl, Unehrlichkeit beim Versprechen mit Handschlag, Lüge. Zuweilen treten aus der Bibel stammende Gebote auch im Wortlaut unverkennbar hervor: z. B. „O, ihr Gläubigen und Vollkommenen, alles, was euch selber verhasst ist, das thut auch euern Nächsten nicht a n " 2 ) . Getadelt wird öfter das Spotten über die leiblichen Gebrechen Anderer; auch die Versöhnlichkeit gegen solche, von denen man Unrecht erlitten, eingeschärft. Die Kinder sollen ihre Eltern mit Ehrfurcht, die Gatten ihre Gattinnen mit Liebe behandeln. In die Ehe zu treten ist Pflicht, und zwar soll man sich nicht mit Andersgläubigen verheiraten. Man schreibt gewöhnlich den Mandäern grundsätzliche Vielweiberei im Interesse starker Vermehrung der Seelen zu. Allein wenn es auch an Ermahnungen zum Heiraten nicht fehlt 3 ), so ist doch nirgends die Vielehe unzweideutig gelehrt, sondern es lassen sich jene Aufforderungen auch monogamisch verstehen 4 ). Die heutigen Mandäer haben nicht mehr als zwei Frauen. Auch die Sklaven werden durch wohlthätige Bestimmungen des Gesetzes geschützt. Besonders häufig wird empfohlen Almosen zu geben, doch so, dass man nicht davon rede: „wenn ihr gebt mit eurer Eechten, sagt es nicht eurer Linken; wenn ihr gebt mit eurer Linken, sagt es nicht eurer Rechten" 5). Hungrigen soll man Speise, Durstigen Trank, Nackten Kleidung schenken, die Gefangenen um Geld loskaufen. Dagegen wird die Askese verworfen. Die christlichen Asketen, welche sich der Ehe enthalten, sind den Mandäern ein Greuel. Werden doch die Männer, welche keine Weiber und die Weiber, welche keine Männer suchen, mit der Hölle bedroht! Auch das Fasten ist eine untergeordnete Übung. Zwar haben die Mandäer 1) 2) 3) 4) 5)
B r a n d t , Mand. Schriften S. 49. Ginsa I, 21; B r a n d t , M. Schriften S. 36. Vgl. Ginsa I, 67 ff". B r a n d t , Mand. Schriften 119 ff. Siehe B r a n d t , Mand. Religion S. 85 f. Ginsa I, 15. B r a n d t , M. Schriften S. 28.
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Mandäischc Religion: Kleruâ und Taufe.
einige Fasttage; aber öfter wird zu geistigem öder sittlichem Fasten ermahnt: Die Augen sollen fasten, indem sie nicht nach Verbotenem oder Unreinem sehen, die Ohren, indem sie nicht an den Thiiren horchen, der Mund, indem er nicht Lügen spricht, das Herz, indem es keine bösen Gedanken hegt u. s. f. 1 ). Singen und Tanzen sind verboten, weil sie mit böser Lust zusammenhangen, also aus der Hölle stammen. Aber auch die Totenklage ist verwerflich, da die Seelen der Verstorbenen dadurch nur geängstigt und in ihrem Aufsteigen zum Lichte gehindert werden 2 ). Dagegen soll man ein besonderes Gebet (masaktä = Aufsteigen) für sie verrichten, eine Art Seelenmesse. Der K l e r u s weist verschiedene Grade auf. Wer dazu gehören soll, muss schon als Knabe (man wählt dieselben unter den Kindern der Kleriker) in die Lehre der Priester treten, worin er 12 Jahre zu verbleiben hat. Vom 19. Lebensjahr an kann er zum S c h k a n d ä , Diakonus, ordiniert werden. Nach einem Jahr wird der Schkandä zum T a r m i d ä (Talmida = Jünger), Priester, mit welcher Weihe nicht nur eine Taufe, sondern deren viele verbunden sind 3 ). Ein höherer geistlicher Grad ist der des G a n s i b r ä , eig. Wardein, Schatzhüter, wohl vom Ginsa, dem hl. Kanon so genannt. Es ist der Bischof der Gemeinde. Auch diese Weihe empfängt der Ordinand unter manchen Taufen. Ausserdem hat er durch Erklärung der schwierigsten Stellen aus den hl. Büchern vor der ganzen Priesterschaft sich als zu seinem Amte befähigt auszuweisen. — Eine bloss ideale Würde ist die des Riseh amma = Volkshaupt, d. h. des obersten Führers der Gemeinde, des Patriarchen oder Papstes. Es habe nur 2 Träger dieses Amtes gegeben: 1) den Pharao und 2) Adam abu-l-Farasch — beide aus der obern Welt gekommen — . Zu geistlichen Würden werden auch Frauen zugelassen, doch in untergeordneter Stellung. Die wichtigste Kultushandlung ist die T a u f e . Sie hat im Jordan, d. h. in einem fliessenden Wasser durch Untertauchen zu geschehen. Nicht nur einmal wird sie am Kinde bei der Aufnahme in die Gemeinde vollzogen, sondern bei jeder Gelegenheit, wo eine Verunreinigung angenommen ist, wiederholt. Auch findet jährlich ein ötägiges' Tauffest statt, wo auch die Besprengung mit Wasser ihre Stelle hat. Ein bei diesen Handlungen oft wiederkehrender, nicht genügend aufgeklärter Ausdruck ist kuschtä, was sonst „Geradheit", „Wahrheit", „Ehrlichkeit" bedeutet. Die himmlischen Geister reichen einander kuschtä; ebenso der Priester den Täuflingen; es scheint die aufrichtige Gemeinschaft zu sein. Der Täufling streckt seine Hand nach dem Flusse, um sie von den Himmlischen zu empfangen. 1) B r a n d t , Mand. Schriften S. 29 u. 72. 2) Brandt, Mand. Schriften S. 33 f., 67 f. Auch Trauer und Totenklage stammen von den Dämonen, ebenso die Mahlzeiten auf den Gräbern. 3) Siehe Näheres bei K e s s l e r , PRE 2 IX, 213f.
Kultus und Ausbreitung der mandäischen Gemeinde.
3Ol
Eine symbolische Verkörperung' des himmlischen Lebens, welches dem Gläubigen zu teil wird, sind P e h t ä und M a m b u h ä , von denen ersteres ein kleines, rundes Stück ungesäuertes Brot ist, nach besonderer Vorschrift zubereitet und geweiht. Der Priester rcicht sie den Getauften, Reinen zum Genuss als eine Art Himmelsspeise. Denn auch die Bewohner der Lichtwelt geniessen solche. Die Mambuhä ist ein Trunk Wasser, welchen der Priester aus geweihtem Fläsclichen zu trinken gibt. Bei gewissen Ceremonien wird auch Wein beigemischt. So ähnlich dies der christlichen Eucharistie sieht, so ist doch nach allem Anschein dieses sakramentale Brot und Wasser iclit aus dem christlichen Gebrauch, sondern aus heidnisch naturalistischer Anschauung abzuleiten. Von F e s t e n der Mandäer sei erwähnt: der S o n n t a g , den sie wie die Christen feiern, was wohl aus dem Christentum geflossen; ferner ein H i m m e l f a h r t s f e s t zur Feier der Rückkehr des Hibil Siwa in die Lichtregion; es beginnt am 15. des ersten Frühlingsmonats und dauert 5 Tage; ferner ein Fest zu Ehren der im roten Meer untergegangenen Ä g y p t e r (!): endlieh das ebenfalls 5tägige T a u f f e s t im Sommer, wo besonders viel gebadet wird. Die mandäischen T e m p e l sind klein und unansehnlich und werden nur von den Priestern und Administranten betreten. Eine Thüre steht- nach Süden offen: die Anbetung richtet sich nach Norden, weil dort, der Sitz der Gottheit liegt. In der Umgebung des Tempels muss fliessendes Wasser für die Taufen zu finden sein. — Im heiligen Buche ist W e i s s als Farbe der Kleidung den Verehrern der Lichtgottheit vorgeschrieben. Die Priester wenigstens mussten ganz in Weiss gekleidet, sein und während der Iii. Handlungen einen langen Olivenstab (oft für ein Kreuz gehalten) in der Hand tragen 1 ). Weiss war überhaupt ihre Lieblingsfarbe. Doch mussten sie dieselbe den Muhammedanern überlassen und tragen jetzt gewöhnlich braune Kutten mit weissen Streifen und auf dem Kopf ein buntes, mit einem Strick zusammengebundenes Tuch. Die mandäische Gemeinde muss einst weit verbreitet gewesen sein. Wenigstens rühmte sie sich später, unter den Abbasiden 400 Gotteshäuser in Babylonien gehabt zu haben; ihr Oberhaupt residierte damals zu Bagdad. Noch im 17. Jahrhundert sollen sie 20 000 Familien stark gewesen sein. Heute sind es nach Petermann nur noch etwa 1500 Seelen, welche über die Gegend südlich von Bagdad am Euphrat und Tigris sowie das persische Chusistan zerstreut sind. Sie sind meist Handwerker. Ihre Priester sind unwissend, und kaum versteht noch einer das mandäische Idiom ihrer hl. Schriften, da sie nur noch arabisch, bezw. persisch 1) Ginsa I, 25 u. 47 f.; B r a n d t , M. Schriften S. 42 u. 81. „Kleidet euch in Weisses und ziehet Weisses an, nach dem Bilde der Kleider des Glanzes und der Anzüge des Lichts; und setzet weisse Kopfbiiiden auf, nach dem Bilde der prangenden Kronen, und bindet (weisse) Gürtel um . . , und leget gespaltene Schuhe an, und nehmt Stäbe in eure Hände, wie die Stäbe der lebenden Wasser, welche die 'Utre nehmen am Lichtort."
302
Mandttische Religion. — Islam: Einleitung.
spreclicn. Sie stellen also den kümmerlichen, untergehenden Rest einer mehr als tausendjährigen, einst einflussreichen Glaubensgenossenschaft dar. Ihre Religion ist ein seltsames Mischgebilde. Die Grundanschauungen geben sich als b a b y l o n i s c h zu erkennen. Doch weicht das Ganze stark ab von der altbabylonischen Staatsreligion, wie sie jetzt aus den Monumenten abzunehmen ist. Die Planeten samt Sonne und Mond, welche im altbabylonischen Priestersystem so hoch gehalten wurden, sind ja hier zu unholden Dämonen geworden. Man sagt wohl, der Mandaismus stelle im Gegensatz zum Priestersystem die babylonische Volksreligion dar. Allein dann fiele um so mehr auf, dass die mandäische Religion nirgends ein nationales Gepräge aufweist. Ihre Entwicklung aus dem altbabylonischen Glauben lässt sich einstweilen nicht ununterbrochen nachweisen. Jedenfalls ist die Lehre des Ginsa erst unter starker Berührung mit Judentum und Christentum sowie auch mit dem Parsisnms entstanden. Auf dem Boden des Mandaismus ist das strenger dualistische System des Mani aufgewachsen, mit welchem die Verwandtschaft zu Tage liegt. Aber auch die christliche oder pseudochristliche G n o s i s , deren Name nicht zufällig mit Manda sich deckt, hat ihre ersten Wurzeln in diesem Boden getrieben 1 ).
VIII. Der Islam. Einleitung. Das Stammland des Islam ist die ausgedehnte a r a b i s c h e H a l b i n s e l (von den Eingebornen dscliezirat el 'Arab gelieissen), welche westlich durch das rote, südlich durch das arabisch-indische Meer, östlich durch den persischen Meerbusen abgegrenzt, im Nordwesten durch die Landenge von Suez mit Afrika (Ägypten), im Norden durch die "VVüste mit Syrien und den Eupliratländern zusammenhängt. Dieses über 2 Millionen Q.-Kilom. (gegen 50000 Q.-Meilen) umfassende, aber nach seiner Natur stets wenig bevölkerte Land (man rechnet heute 4—5 Millionen Bewohner) wurde seit Ptolemäus von den Geographen in drei Teile geteilt: Arabia Petraea (von der edomit. Hauptstadt Petra) im Nordwesten, die Sinaihalbinsel mitumfassend, Arabia felix (ein schon früher üblicher Name, der im Gegensatz zur Wüste besonders die Küstenstriche am arab. Meerbusen bezeichnete, vorzüglich El Jemen) und Arabia deserta, den meist wüsten übrigen, wenig bekannten Rest in sich 1) Vgl. Wilhelm A n z , Zur Frage nach dem Ursprung des Gnostizismus. Leipzig 1897.
Arabien und seine Bewohner.
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begreifend. Im Gegensatz zu diesen willkürlichen Benennungen der Alten lehnt sieh der heutige geographische Sprachgebrauch an den einheimischen. So heisst die ziemlich bergige mittlere Gegend der Halbinsel En-Nedschd, die westliche Küste El Ilidschäs, der südliche Teil der letztem El Jemen (das Mittagland), die mittlere Südküste Hadramaut, ferner der Südosten 'Oman, die Ostküste El Hasa. Es fehlt zwar nicht an Gebirgen, welche teils das Land gegen die Meere hin abgrenzen (besonders im Nordwesten), teils im Nedschd sich erheben. Aber das Ganze ist äusserst wenig bewässert lind den weitesten Raum nehmen wellige, sandige Steppen ein (En-Nofüd heisst man dieses Wüstenland), die sich höchstens im Frühjahr mit einer dünnen Rasendecke überziehen, welche den bescheidenen Ansprüchen der wandernden Hirten genügen, während in der trockenen Jahreszeit, wo die Wadis versiegen, nur die Oasen und die Gebirgsabhänge ausgiebigeres Wachstum (Palmen, Getreide) darbieten. Fruchtbarer und reich an geschätzten Produkten ist der Jemen. Die B e v ö l k e r u n g ist. s e m i t i s c h e n Ursprungs und hat sich in dem abgeschlossenen Lande verhältnismässig unberührt und original in Sprache und Sitte entfalten können. Gleichwohl sind nicht alle Araber rein semitischen Stammes. Gen. 10, 7 wird ein Teil der Südaraber von Ham-Kuseli abgeleitet, und es zeigen sich in der That Spuren davon, dass diese mehr städtisch kultivierten Bewohner der Südküste stark von aussen beeinflusst und mit fremden Elementen vermengt waren. Um so reiner erhielt sich der semitische Schlag im Innern Arabiens. Die Bewohner haben sich nie wesentlich über die nomadische Lebensweise erhoben. Sie blieben in Stämme, Geschlechter und Familien geteilt wie in der patriarchalischen Zeit, ohne selbst in ihren lose gebauten und zusammenhängenden Städten zu einem festgegliederten Gemeinwesen oder Staat zusammenzuwachsen'). Unübertrefflich charakterisiert die Kulturflucht und Fehdesucht des Beduinen der Gottesspruch Gen. 16, 12, wo Ismael, der eine nordarabische, Israel nächst verwandte Sippe darstellt, ein „Wildesel von einem Menschen" heisst; „seine Hand wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn". An dem unbändigen Freiheitssinn der Beduinen des Hidschäs waren die Bemühungen der auswärtigen Reiche (Babylonier, Perser, Ägypter, Römer, Byzantiner) sich das innere Arabien zu unterwerfen gescheitert, während die an Syrien und Persien grenzenden Striche sich in Abhängigkeit von den persischen und römischen Herrschern befanden, und in Jemen Könige regierten. Neben der Viehzucht (besonders Schafe und Kamele), war ein wenig Ackerbau fast die einzige friedliche Beschäftigung der unabhängigen Araber, wozu unter günstigen Umständen der Handel 1) Vgl. Well h a u s e n , Skizzen IV, 1711'.
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Der Islam: Einleitung.
kam, den einzelne Stämme nach dein Ausland betrieben, während im Binnenland zu gewissen Jahreszeiten die Messen einen mächtigen Anziehungspunkt bildeten, an welchen die verschiedenen Stämme sich friedlich vereinigten. Fast endlos spielten sonst blutige Fehden, besonders durch die Pflicht der Blutrache unterhalten, zwischen den Stämmen und Stammteilen. Doch wurden dieselben mit einer gewissen ritterlichen Mässigung ausgefochten, so dass das kampflustige Volk sich trotzdem nicht aufrieb. Auch die äusserst ungünstigen Bodenverhältnisse vermochten seine Lebenskraft nicht zu erschöpfen im Lauf der Jahrtausende 1 ). Die Schwierigkeit der Beschaffung des Unterhalts, die ihm jedenfalls grosse Genügsamkeit und Abhärtung auferlegte, scheint seine Widerstandsfähigkeit nur gestählt zu haben, so dass mehr als einmal von dieser unwirtlichen Halbinsel mächtige Überschwemmungen nach den verschiedenen Erdteilen ausgegangen sind. Der arabische Menschenschlag, der in Afrika wie in Mesopotamien, in Syrien wie in Spanien begegnet, aber am reinsten sich in Arabien erhalten hat, zeigt edeln, mittelhohen Wuchs, hagern, aber kräftigen, muskulösen Körperbau, die Schädelbildung der weissen oder kaukasischen Rasse, gebräunte Hautfarbe, die in Afrika dunkler wird, schwarzes Haar, dünnen Bartwuchs. Auch der geistige Charakter weist in ausgeprägtem Masse die semitischen Eigentümlichkeiten auf: scharfen Verstand, Nüchternheit, Erregbarkeit des Gefühls, subjektive Lebensauflassung, Familiensinn, Gastfreundschaft und sehr entwickeltes Gefühl für die Solidarität des Stammes. Die Intelligenz zeigt sich bei den Beduinen trotz ihrer Vernachlässigung der materiellen Kultur sehr entwickelt, ihre Sprache übertrifft an Reichtum und Feinheit der Ausbildung die der übrigen semitischen Zweige weit. Ihre alte Poesie, welche Minne und Heldentum feiert, überrascht durch die mit der Einfachheit, ja Ärmlichkeit der Umgebung und der Lebensverhältnisse merkwürdig kontrastierende Fülle von Mannigfaltigkeit der subjektiven Auffassung und Stimmung, welche auch den sprödesten Gegenstand zu beseelen und ihm immer neue Seiten abzugewinnen weiss. Auch hier erschöpft sich freilich wie bei den übrigen Semiten die Poesie in der Lyrik.
1. Religion der vorislamischen
Araber2).
Die Religion der Araber vor dem Islam liegt uns nicht in zeitgenössischen litterarischen Denkmälern vor, sondern wir haben 1) T y p i s c h ist für die über ihm waltende Vorsehung', was Gen. 21, 15 ff. erzählt wird. 2) V g l . besonders A . P . C a u s s i n de P e r c e v a l , Essai sur l'histoire des A r a b e s avant l'Islamisme (3 vols.), Paris 1847—48. — L u d o l f K r e h l , Über die Religion der vorislaniisclien A r a b e r , L e i p z . lSii.'i. - R o b e r t s o n S m i t h , Kinship and M a r r i a g e in early A i a b i a Cambr. l. — l) 4. Siehe oben S. 553. Siehe oben S. 553 f.
O r « U i , Religionsfreschichte.
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Parsismus: Kritik. Die Zervaniten.
in den Nirang-Ceremonien! Das Gewissen erschöpft sich in der Warnung vor jeder Berührung mit unreinen physischen Stoffen, besonders mit allem Toten; aber was innerlich die Seele verunreinigt, kommt selten zur Sprache. Daher denn auch die ebenso unvernünftigen wie unbilligen Gesetze, welche schwere Verbrechen nicht schwerer, sondern oft leichter bestrafen als blosse Verstösse gegen die Eeinigkeitsregeln. Dass der wahre Adel des nacli Gottes Bild geschaffenen Menschen nicht erkannt wurde, zeigt sich darin, dass zwischen dem Menschen- und Tierreich kein tieferer Unterschied erkannt wird. Nicht nur mythische Stiere und Hunde erfahren mindestens so hohe Ehre wie der Mensch, sondern auch die irdischen Hunde stehen in den religiösen Texten in der Regel vor den Menschen, und werden besser geschützt als diese Kurz, auch diese Religion verleugnet bei allen Lichtblicken, die wir in ihr antreffen, nicht die N a t u r b e f a n g e n h e i t d e s H e i d e n t u m s . Sie zeichnet sich aber vor den andern aus durch e r h a b e n e r e A u f f a s s u n g d e r G o t t h e i t und e r n s t e r e , z u t r e f f e n d e r e A n sicht vom W e l t l e b e n , als einem Kampf z w i s c h e n dem Göttlichen und W i d e r g ö t t l i c h e n , wobei jenes zuletzt t r i u m p h i e r t . Deshalb fehlt es auch nicht an merkwürdigen formellen Berührungen mit den rein monotheistischen Religionen des Judentums und Christentums und auch des Islam, welche Ähnlichkeiten teils durch Verwandtschaft der Ideen, teils durch Entlehnung entstanden sind. Entlehnung ist ja nur da möglich, wo eine gewisse Verwandtschaft vorausgesetzt wird.
5. Sekten und Ausläufer (1er parsisclien Religion. Schahrastani führt verschiedene Sekten oder Schulen der Magier (Parsen) neben den Zarathustriern an: so die Z e r v a n i t e n . Wir sahen oben, dass zervana akarana, die unendliche Zeit, als eine Abstraktion dem Zarathustra geläufig war. Eine über dem Dualismus stehende Gottheit von beherrschender Bedeutung für die Religion machte er nicht daraus. Dies geschah dagegen von den Zervaniten, welche die beiden Prinzipien von Zervan ableiten als dem ersten Wesen, das aus dem Licht hervorgegangen war. Zervan wünschte einen Sohn zu bekommen. Da dies nicht geschah, zweäfelte er an der Realität der Welt. So erhielt er zwei Söhne eugleich. Ahura M. war die Frucht des Wunsches, Ahriman die Frucht des Zweifels. Nach dieser Sekte sind also Ahura M. und Angra M. nicht von Ewigkeit her. Ausserdem scheinen die Zerva1) Es gilt als schweres Verbrechen, dieses wachsame Tier Ahura M.'s nicht gut zu füttern oder zu schlagen oder gar zu töten. Vendidad 13 stellt eine lange Reihe strenger Strafbestimmungen dafür auf.
Die Gajomarthier. Mithradienst.
563
niten die Gestirnlehre stark in das System hereingezogen zu haben. Die Bilder des Tierkreises galten dabei als wohlthfitige Mächte, die Planeten als feindliche. Genauer unterscheiden andere Darstellungen nach babylonischem Vorbild: Saturn und Mars seien das grosse und das kleine Unglück, Jupiter und Venus das grosse und das kleine Glück. Als eine andere Schule oder Partei der Magier nennt Schahrastani die G a j o m a r t h i e r , so benannt nach dem im Avesta wohlbekannten Gajonmrt 1 ). Diese lehren, Jazdan (Ahura M.) sei ohne Anfang, Ahriman aber entstanden. Jazdan habe gedacht: Wenn ich einen Gegner hätte, wie würde der beschaffen sein? Dieser Gedanke sei ein schlechter, mit der Natur des Lichts nicht harmonisierender gewesen; so sei daraus Ahriman und die Finsternis entstanden. Dann wird die Geschichte des Kampfes zwischen dem guten und bösen Geiste und die des Urmenschen Gajomart wie im Avesta und sonst erzählt. Handelt es sich bei diesen Gruppen mehr um verschiedene schulmässige Ausgestaltungen des Systems, so hat doch auch die Volksreligion beträchtliche Umgestaltungen und Trübungen erfahren. Wir sahen, dass der Anähita-Kultus nicht ohne fremdartige Züge sich breit machte. Keiner der früheren Naturgötter aber hat sich so vorgedrängt und das zarathustrische System zeitweilig so in den Schatten gestellt, wie M i t h r a . Mithra erscheint zwar noch nicht in den Inschriften des Darius und Xerxes, wohl aber in denen des Artaxerxes II neben Ahura M. und Anahita und in denen Artaxerxes III allein neben Ahura M. Dass die Perser häufig beim Mithra schwuren, bezeugen die griechischen Klassiker 2 ). Das lässt sich zwar aus seiner oben beschriebenen Bedeutung als Wahrheits- und Rechtsgott leicht erklären, zeigt aber doch, wie wichtig dieser Gott dem Volksbewusstsein war. Nicht minder bedeutsam ist, wenn Plutarch 3 ) Mithra den Mittler zwischen Ahura M. und Angra M. nennt. Eigentlich ist der Mittelraum zwischen diesen beiden V a j u , der leere Raum, Luftraum. Luft. Aber da eben diese vom Lichte durchdrungen wird, konnte Mitlira als Mittler angesehen werden. Jedenfalls beweisen die griechischen Berichte, dass ihm weitgehende Ehre erwiesen wurde. Von dem Historiker Duris (340—276) z. B. hat Athenäus die Notiz, dass dem Perserkönig an Einem Tage des Jahres, wo man dem Mithra opferte, gestattet war, sich zu berauschen und zu tanzen. Dieses Fest, M i t h r a g a n , von dem auch Strabo u. a. sprechen, wurde besonders hoch gehalten. So hat zeitweise, besonders unter den Arsakiden, M i t h r a s i c h z u m h ö c h s t e n , v e r e h r t e s t e n G o t t e m p o r g e s c h w u n g e n und damals, z u r Z e i t des I'ompejus, drang der Mithrakult auch ins r ö m i s c h e R e i c h ein 1) Siehe oben S. 548. 2) Xenophon, Plutarch. Siehe W i n d i s c h ' m a n n , Mithra S. 55 f. 3) Siehe die Stelle oben S. 560.
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Parsismus: Mithradienst.
und hat sich hier noch behauptet, als dieses fremdartige, parthischc Wesen bei der Herstellung des reineren Mazdaismus durch die Sasaniden schon wieder hatte weichen müssen. Unter Trajan und Commodus war dieser Mithradienst, mit dem M y s t e r i e n verbunden waren, in Rom förmlich eingeführt und offiziell anerkannt; besonderer Pflege aber erfreute er sich unter J u l i a n , der ihn dem Christentum entgegensetzte. Auch nachdem (im Jahre 377 n. Chr.) die Grotte des Mithradienstes in Rom zerstört worden war, wurde er noch mancherorts im römischen Reiche weiter gepflegt. Die Kirchenväter haben viel Anlass ihn zu bekämpfen. Monumente zu Ehren des Mithra finden sich nicht nur in Italien, sondern auch in Frankreich und Deutschland. Zu beachten ist aber, dass dieser Mithra, während er so als gepriesenster Gott herrschte, eine Wandlung durchgemacht hat, die ihn noch mehr seinem ursprünglichen Charakter entfremdete. Während er von Haus aus ein vom Sonnengestirn wohl unterschiedener Licht-Gott war, wurde er mehr und mehr mit der S o n n e identifiziert. So erscheint er auf den Münzen des skythischen Königs Kanerki als Helios 1 ) und die lateinischen Inschriften lauten gewöhnlich: Deo soli invicto Mithrae, während er seltener noch von der göttlichen Sonne unterschieden wird. Den siegreichen Helden feiern mythische Sagen, die sich auf den Sonnenlauf beziehen. Diese wurden wohl auch in den M y s t e r i e n dargestellt, welche etwa seit dem J . 70 v. Chr. in Europa eindrangen. Nur Eingeweihte hatten Zutritt, und es verlautet, dass diesen Weihen peinvolle Proben vorausgingen: durch Feuersqual, Kälte, Hunger, Durst, Geisselung und andere Bussübungen nmsste man hindurchgehen, um durch solche Abhärtung ein rechter „ S t r e i t e r M i t l i r a s " zu werden, tapfer und wohlbewehrt wie der Gott selbst. Bei der Weihe selbst wurden dem Adepten kleine Brote und eine Schale mit Wasser oder Honig und ein Sinnbild der Auferstehung gereicht. Mehrfach bezeugt ist aber, dass bei diesem unheimlichen Kultus auch Menschen getötet wurden. An den heimischen Parsismus erinnert es, dass die Mysterien in lichtlosen Höhlen oder Grotten stattfanden, da das Feuer dabei verehrt wurde. Auffällig ist, dass nach dem Zeugnis Herodots 2 ) sowie des Berosus und Plutarch die Perser auch eine w e i b l i c h e G o t t h e i t Namens M i t h r a verehrt haben sollen. Herodot nennt sie Urania; es sei die assyrische Mylitta, die arabische Alilat. Da im Avesta und den einheimischen Quellen keine Spur von einem weiblichen Mithra zu finden ist, handelt ee sich hier ohne Zweifel um die Göttin Anahita, welche dem Mithra beigesellt werden mochte. 1) Im Neupersischen bezeichnet mihr (aus mithra) geradezu die Sonne. 2) Herodot 1, 131.
Verdrängung des Parsismus.
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Zur Zeit des K y r u s und Darius hat es scheinen können, als sollte der Parsismus Weltreligion werden. Dies ist kein unvollziehbarer Gedanke, da diese Religion kein ausschliesslich nationales Gepräge hatte, sondern ganz wohl a u f andere Völker sich übertragen liess, wie die Erfahrung gezeigt hat. Allein die Niederlagen des X e r x e s im Kampfe mit Griechenland und der S i e g Alexanders des Grossen über das Perserreich entschieden anders und gaben der politischen Bedeutung der Gemeinde Zarathustra's einen schweren Stoss, von dem sie sich nie mehr ganz erholen konnte. Wohl haben nach Jahrhunderten die Sasaniden, für welche Thron und Feueraltar solidarisch verbunden waren, dieses Be* kenntnis noch einmal rücksichtslos zu Ehren gebracht. König Schapur I I wollte sogar das Christentum ausrotten, und verfolgte die Christen aufs grausamste. Allein das Schicksal des Perserreichs wie seiner Religion war besiegelt, als die eroberungslustigen B e k e n n e r des I s l a m in erster Begeisterung diese ihnen an Bildung und Kriegskunst weit überlegene Grossmacht niederwarfen und die F a h n e des Propheten überall im Lande aufpflanzten. Zwar gab es noch im 10. J a h r h u n d e r t an j e d e m grösseren Ort auch Feuertempel und Magier; und im 12. hat sie Schahrastani auch noch gut gekannt. Aber mehr und mehr verschwand der Glaube Zarathustra's und machte dem lebenskräftigeren Glauben an Allah Platz, der trotz seiner verschiedenen Herkunft doch auch manche Berührungspunkte mit dem bisherigen bot. Nur kümmerliche Reste der alten Religion haben sich in J e z d und K e r m a n erhalten; man zählt dort noch etwa 5 0 0 0 Seelen, die sich dazu bekennen. Andere wanderten aus und eine nicht zu verachtende Kolonie von P a r s i 1 ) hat sich bis heute a n d e r W e s t k ü s t e I n d i e n s e r halten, wohin sie vor dem Druck der fremden Religion geflohen sind. Man schätzt sie auf 8 5 0 0 0 Seelen. Sie wohnen in Gudscharat, die meisten aber in B o m b a y . Sie haben das Verdienst, die alten heiligen B ü c h e r des Avesta wenigstens teilweise erhalten zu haben, und zwar in der alten „Zend"-Sprache, deren sich die Priester noch beim Gottesdienste bedienen, ohne sie freilich zu verstehen. Sie haben aber auch die Traditionen bewahrt und lesen die hl. Bücher in einer nach dem Pehlewi-Text angefertigten Übersetzung ins Gudscharati. B e i ihnen findet man noch die alten F e u e r t e m p e l , welche von vermummten Priestern in weissem Gewände bedient werden, wie die alten, von Aasvögeln umkreisten Dakhma's oder „Türme des Stillschweigens", wie sie genannt werden. Hier leben noch die alten Riten und B r ä u c h e . Der K n a b e wird noch immer mit dem hl. Gürtel und Hemd angethan und man hütet sich wie einst 1) Über die h e u t i g e n P a r s i gibt Auskunft D o s a b h a i F r a m j i K a r a k a , History of the Parsis including their manners etc. (2 voll. 1884). Vgl. über sie auch Max Müller, Essays Bd. I, wo noch andere Schriften moderner Parsi genannt sind, und WPR II, Seite 898—920.
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Parsisinus: Die heutigen Parsi.
das Wasser oder das Feuer, die Luft oder die Erde zu verunreinigen. Die Priester waren bis vor kurzem unwissende Leute und die Gemeinde beobachtete zwar sorgfältig die alten Gebräuche, wusste aber über die Lehre wenig Bescheid. Erst als das missionierende Christentum in gefährliche Nähe kam, hat man den Laien einen Katechismus in Gudscharati in die Hand gegeben, welcher die Hauptlehren in moderner Fassung enthält. Unterdessen hat sich diese durch den Handel wohlhabend gewordene Kolonie auch auf eine achtbare Stufe der Bildung erhoben. Die Folge davon war, dass bei einer Partei derselben auch eine liberalere Anschauung in Bezug auf die alten Gebräuche sich Bahn brach. Namentlich nahm diese Anstoss an den Nirang-Ceremonien, während die konservativere bei den Satzungen und Lebensgewohnheiten der Väter verharrt. In Bezug auf die Lehre sind jetzt die geistigen Führer der Gemeinde erklärte Monotheisten. Irrigerweise legen sie auch den Avesta rein monotheistisch aus, wie sie auch mit Unrecht behaupten, der Gebrauch des Nirang werde dort noch nicht gelehrt. Ihr eben erwähnter Katechismus gibt eine höchst einfache Glaubens- und Sittenlehre: E i n G o t t , S c h ö p f e r H i m m e l s u n d d e r E r d e , von dem die heil. Bücher des Zarathustra unfehlbare Kunde geben; Beobachtung der mazdajanischen R i t e n und S i t t e n g e b o t e ; A u f e r s t e h u n g und g e r e c h t e s G e r i c h t am l e t z t e n T a g e . Chantepie hebt hervor, dass sie sieh mit dieser einfachen Dogmatik eigentlich stark dem Islam genähert haben. Doch ist der Geist ihres Glaubens und Lebens ein anderer, wie auch die Formen des Kultus ihre Eigenart bewahrt haben. Sie werden gelehrt, b e i m G e b e t d e n B l i c k a u f e t w a s g l ä n z e n d e s , Feuer, Sonne, Licht zu richten, verwahren sich aber dagegen, dass sie das Feuer anbeten; vielmehr sei dasselbe nur ein Abglanz der Gottheit, an dem sich ihre religiösen Gefühle entzünden. Gegen das Christentum verhalten sie sich ganz ablehnend und polemisieren gegen die christliche Lehre einer Versöhnung durch Stellvertretung. In jenem Katechismus heisst es u. a.: „Wenn jemand sündigt in dem Glauben, dass ein Anderer ihn erlösen kann, so werden der Betrogene und der Betrüger am Tage Rastä Khez verdammt werden . . . Es g i b t k e i n e n E r l ö s e r . in jener andern Welt wird euch vergolten werden nach euern Handlungen . . . Eure Handlungen und Gott selbst sind eure Erlöser. Er gibt und er vergibt. Wenn ihr eure Sünden bereut und euch bessert, und der grosse Richter euch seiner Vergebung wert findet, oder euch gnädig sein will, so kann und will er allein euch erlösen." — Diese „ F e u e r a n b e t e r " , wie man sie trotz ihres Protestes nennt, sind eine friedliche, fleissige und häuslich solide Gesellschaft, welche sich allgemeinen Ansehens erfreut. Wenn sie trotz ihrer Vereinsamung so lange bei ihrem Glauben geblieben ist, so lässt sich das ähnlich erklären wie bei den Juden in der Zerstreuung, nämlich daraus, dass die nationale Sonderexistenz dieser Flüchtlinge auf ihrem besondern Glauben beruht und dass
Die Griechen.
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dieser Glaube in einem System von heiligen Gebräuchen und Satzungen verkörpert ist, welche auch in der Zerstreuung ein festes, einigendes Band bilden.
III. Die Hellenische Religion. Einleitung1). Der indogermanische Stamm, von welchem die arischen Bewohner Indiens und die Iranier sich abgezweigt haben, weist noch weit reichlichere Ausladungen im Westen auf. Zu ihm gehören im Süden Europas die Griechen und Italiker, im Norden die LettoSlaven und Germanen, in Mitteleuropa (von der obern Donau und dem Rhein bis nach Britanien) die Kelten und andere für die Kultur minder bedeutende Völker wie die Thraker, Ulyrier u. a. Vom Ursitz dieser Völkersippe und ihren religiösen Stammbegriffen war schon oben S. 392 f. die Rede. Mit den Italikern weisen die Griechen noch nähere Verwandtschaft auf als mit den übrigen Indogermanen, haben also wohl mit ihnen länger zusammen gelebt. Von der Zeit ihrer Einwanderung in Griechenland wissen die Griechen selbst nichts mehr, während ihnen bewusst ist, dass in diesem Lande bedeutende Wanderungen ihrer Stämme stattgefunden haben, wobei diese im allgemeinen vom Norden (Epirus, Thessalien) nach Süden vordrangen. Aus diesen Verschiebungen erklärt sich das Vorkommen derselben Ortsnamen in verschiedenen Landesteilen. Von einem fremden Volke, welches die Griechen auf diese Weise unterjocht oder vertrieben hätten, wissen sie nichts mehr. Wohl brauchen sie von den frühesten Bewohnern des Landes den dunkeln und verschieden gedeuteten Namen P e l a s g e r . Aber derselbe Herodot, der diese Barbaren nennt und ihnen vermutungsweise eine nichtgriechische Sprache zuschreibt, nennt doch an derselben S t e l l e 2 ) diejenigen Hellenen, welche bei jenen Wanderungen ihre Wohnsitze nicht wechselten, pelasgische, was darauf führt, flass die ersten griechischen Stämme, die sich im Lande festsetzten, so genannt wurden und der Name weiterhin von dem vor den berühmten Wanderungen liegenden Stadium der nationalen Entwicklung gebraucht 1) Vgl. E . C u r t i u s , Griechische Geschichte, 6. Aufl., 3 Bde., Berl. 1887—89. — Max D u n c k e r , Geschichte des Altertums Bd. V — I X (1888). — E d u a r d M e y e r , Gesch. des Altert. Bd. II, Stuttgart 1893. — G. F. H e r t z b e r g , Geschichte von Hellas und Rom, Bd. I, Berlin 1879 (bei W . Oncken). — D e r s e l b e , Griechische Geschichte, Halle 1884. — R o t h W e s t e r m a y e r , Griechische Geschichte, 4. Aufl., München 1891. — J a k o b B u r c k h a r d t , Griechische Kulturgeschichte, Bd. I u. II, Basel 1898. 2) Herodot 1, 5 6 - 5 8 .
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Griechische Religion: Einleitung.
wurde, so dass z. B . die Städte, die schon früher blühten, als „pel a s g i s c h e " galten. Im übrigen trug wohl ursprünglich ein einzelner griechischer Stamm den Namen Pelasger, der dann auf das Gesamtvolk übertragen wurde, wie es in etwas spätem Perioden mit den Stammnamen „Achäer" und „Hellenen" geschehen ist. Nach Mittelgriechenland und in den Peloponnes sind also die einzelnen Stämme nach allen Anzeichen von Norden aus Mazedonien, Epirus und Thessalien eingewandert. Allein auf welchem Wege sie in diese Länder gelangt sind, ist dunkel. In einer Zeit sodann, die noch jenseits der vom Licht der Geschichte beleuchteten Periode liegt, erfolgte von den Seehäfen Griechenlands aus eine umfassende Ansiedelung der hellenischen Stämme (Äoler, Jonier, Dorier) auf den Inseln (Lesbos, Kykladen, Sporaden, Kreta) und an der kleinasiatischen Küste. Hier fanden die Griechen überall schon besiedeltes und wohlbevölkertes Land, und der Austausch, den sie hier mit östlichen Völkern wie den Karern, Phöniziern u. a. pflogen, wurde auch für die griechische Religion bedeutsam, welche übrigens schon früher durch die zu Handelszwecken an den griechischen Küsten niedergelassenen Phönizier mit orientalischen Elementen bereichert worden war. So finden wir denn an der Schwelle der historischen Zeit das Volk der Hellenen rings um das ägäische Meer gelagert, über welches die politisch zersplitterten, in eine Menge kleiner Staaten und Gemeinwesen zerfallenen Bruderstämme regen Verkehr mit einander unterhalten. Das griechische Mutterland selbst, diese vom Meer beinahe zerrissene, von hohen Gebirgen durchzogene und von tiefen Buchten zerklüftete Halbinsel, war für die Entfaltung des individuellen Stammlebens ebenso günstig wie für politische Centralisation und Machtentfaltung ungeeignet. So führen denn die einzelnen Stämme und Städte ihr Sonderleben, sie sprechen ihre eigenartigen, gegenseitig oft schwer verständlichen Dialekte und hegen ihre eigentümlichen Kulte und mythologischen Vorstellungen. Aber gerade das trennende Meer wird für sie eher ein verbindendes Element, welches sie auch mit den fernen Kolonieen zusammenbringt, und ohne staatlichen Verband sind sie sich doch trotz aller Unterschiede bewusst, Brüder zu sein, welche dieselbe Sprache sprechen und denselben Göttern dienen. Das schöne, doch nicht üppige Stammland und das zu Unternehmungen stets einladende Meer, welches so reiche Anregungen zu bieten hatte, haben denn auch viel dazu beigetragen, die herrlichen Anlagen zu entwickeln, mit welchen das V o l k der Griechen von Natur ausgerüstet war. Wohl sind Temperament, Begabung und Charakter bei den einzelnen Stämmen verschieden gewesen; allein gewisse Züge finden sich bei allen, und die hohe Bedeutung, welche dieses Volk zwar nicht in der Sphäre der Religion, wohl aber in derjenigen der Kultur erlangt hat, dankt es seiner glücklichen Beanlagung. Leiblich und geistig allseitig gut, massvoll und harmonisch ausgestattet, ist es vor allem ein äusserst ge-
Geistige Anlage des Volkes.
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wecktes, für alle Eindrücke der Aussenwelt empfängliches und dabei seine geistige Individualität behauptendes Volk. Leicht erregbar in seinen Empfindungen und leidenschaftlich in deren Äusserung, durchdringt es zugleich die Welt mit allen seinen Geistes- und Seelenkräften und macht sie sich so zu eigen. Die nach dem Meere hin offenen Städte Griechenlands sind nicht nur Ausgangspunkte der folgenreichsten Ausdehnung des Stammes gewesen, sondern auch Mittelpunkte eigentümlichen geistigen Lebens geworden, welches nicht minder auch an manchen von den Hellenen besetzten Punkten der asiatischen Küste und auf den Inseln aufblühte. Hier waltet nicht asiatisches Streben nach Gewaltherrschaft über die Welt; hier wird nicht nach phöniziseher Weise der Weltverkehr nur zur Steigerung des materiellen Wohlstandes und Genusses ausgebeutet; wohl aber wird das i d e a l e Gebiet mit epochemachendem Erfolg angebaut. Auch die fremden Einflüsse, denen dieses Volk sich gerne hingibt, vermögen seine ideale Eigenart nicht zu stören. Ausländische Bildungs- und Religionselemente nimmt es nicht auf, ohne sie umzugestalten und seiner eigenen Vorstellungs- und Gedankenwelt harmonisch einzugliedern. Mit scharfem Verstand denkt der Hellene die Dinge durch und lernt es bald, von aller fremden Autorität befreit, den Gedanken auf sich selbst zu stellen. Seine Phantasie belebt das All, verliert sich aber nicht ins Ungeheuerliche, sondern führt alles auf das Ebenmass der eigenen Empfindung zurück. Diese seine ideale Harmonie weiss er seinem Heldengesang wie seinen Bauten und Marmorgebilden aufzuprägen. Als der Herr der Schöpfung macht er alles seinem Geiste unterthan. Mit andern Worten, er vollbringt in unerreichter Weise jene Kulturaufgabe, welche nach dem in der Einleitung S. 7 ff. Gesagten dem Menschen von seinem Schöpfer gestellt ist. Die menschliche Selbst- und Welterkenntnis, aber auch die geistige Weltherrschaft des Menschen ist damit in hohem Masse gefördert worden. Doch hängt mit diesen ungemeinen Leistungen auch der Mangel zusammen, von welchem das Griechentum nicht freizusprechen ist. Über seinem frohen Schaffen und Geniessen der Welt vergisst der Hellene leichter als der Hindu oder Parse, dass dieses menschliche Leben nicht Selbstzweck ist. Vom Kulturdrang absorbiert, entschwindet ihm nicht selten das lebendige Bewusstsein jener völligen Abhängigkeit von einer Macht, welche verlangt, dass der Mensch ihr all sein Werk unterordne. Bald zufrieden mit einer seinem menschlichen Fühlen zusagenden Harmonie, möchte er jenen tiefen Zwiespalt vergessen, welcher das sündige Menschenkind von der heiligen Gottheit trennt und welchen zu überwinden andere Völker mit tragischem Ernst und heroischem Kraftaufwand gerungen haben. Zwar ist auch das hellenische Volksleben mit all seinen schönen Künsten und muntern Spielen mehr von der Religion beeinflusst, als es oberflächlichem Blicke scheinen mag. Wir haben
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Griechische Religion: Einleitung.
schon in der Einleitung darauf hingewiesen, dass die Kunst der Griechen des übermenschlichen Ideals nicht entraten konnte, dass ihre Architektur wie ihre Poesie (man denke an das Drama) von religiösen Motiven durchzogen, ja grossenteils durch solche hervorgebracht sind. Dasselbe Hesse sich vom Volksleben und Staatswesen nachweisen. Ohne die mannigfachen heiligen Stätten und Kulte, ohne Orakel und gottgeweihte Spiele hätten sich die einzelnen Freistaaten nicht bilden und entfalten und das nationale Leben nicht einheitlich erhalten bleiben können. Ohne den panhellenischen Zeus, den Vater der Götter und Menschen, dem sie alle seit Menschengedenken dienten, hätten sich die Hellenen nicht trotz aller Zersplitterung als Ein Volk gefühlt. Aber diese Religion selbst hat sich ganz dem natürlich menschlichen Gefühl angepasst und geht zuletzt fast ohne Rest in den Interessen des irdischen Lebens auf, welches sie durch ideale Motive verschönert. Dass schon in der früheren Zeit die Nation bei weitem nicht so stark " vom Verhältnis zum Unsichtbaren beherrscht und erfüllt war wie die Semiten oder die Indier oder Parsen, davon ist schon die bescheidene Stellung der Priester ein Anzeichen und ebenso, was damit zusammenhängt, d a s F e h l e n heiliger Bücher. Die Q u e l l e n , aus welchen die Kenntnis der althellenischen Religion zu schöpfen ist, fliessen deshalb spärlich, und es muss dieselbe auf indirektem Wege gewonnen werden. Die Hauptquelle für die früheste Zeit ist das alte Epos, H o m e r , wo freilich der mythologische Stoff von den Dichtern mit andern als religiösen Absichten ist verwendet und gestaltet worden, so dass nur mit Vorsicht aus dem Erzählten auf die ernsthaften religiösen Vorstellungen von den Göttern und das Verhältnis der Menschen zu ihnen geschlossen werden darf. Die ältesten Hymnen, welche denen des^Rigveda entsprochen hätten, und auch in Hellas nicht fehlten, sind verloren. Die sog. „ h o m e r i s c h e n Hymnen" sind jünger als das homerische Epos und teilweise weniger unmittelbare Anrufungen an die Götter, an die sie gerichtet sind, als Erzählungen von Mythen, die mit epischer Breite ausgeführt werden. Ebenso sind die dem O r p h e u s zugeschriebenen L i e d e r spätem Ursprungs. Bauliche Monumente, Grabmäler, Tempel und plastische Gebilde, Götterstatuen, Vasen mit mythologischen Abbildungen, welche zum Teil aus sehr früher Zeit vorhanden sind, geben allerdings manchen Wink; desgleichen Inschriften, welche priesterliche Ordnungen oder mantische Regeln oder Orakelsprüche oder sonstige religiöse Kundgebungen enthalten. Aber eine eigentlich heilige Litteratur ist weder in der frühern noch in der spätem Zeit gesammelt und aufbewahrt worden. H e s i o d s Werke sind gelehrte Arbeit ohne alle kanonische Autorität. Indirekt lässt sich für die geschichtliche Zeit manches den weltlichen Autoren entnehmen, 6 den Historikern ( H e r o d o t , T h u k y d i d e s u. s. w.), den Philosophen (bes. P i a t o , auch A r i s t o t e l e s ) und den Dich-
Der Mythus.
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tern, namentlich P i n d a r und den T r a g i k e r n . Eine eigene Schriftcngattung bildet die M y t h o g r a p h i e , welche seit Hesiod in verschiedenem Geist betrieben wurde. Die Mythen wurden nämlich bald nicht nur gesammelt, sondern auch kritisch erörtert. Ein solcher Mythograph war jener E n e m e r o s , von dem in der Einleitung S. 22 die Rede war; sein Buch ist aber nur in Fragmenten erhalten. Von A p o 11 o el o r (Mitte des 2. Jahrh. v. Chr.) stammt eine noch vorhandene Darstellung der griechischen Mythologie. Unter den Jüngern haben namentlich P l u t a r c h und S t r a b o schätzbares Material hinterlassen. Aber auch dem Spötter L u c i an (2. Jahrh. n. Chr.) verdankt man eine Menge mythologischer Einzelheiten. Was den M y t h u s 1 ) selbst betrifft, so hat er sich bei den Hellenen besonders reich entwickelt. Zwar fanden wir ihn schon bei den Ägyptern, Babyloniern, Phöniziern und fast überall anderswo auch — man denke an das indische Epos und die Purana — ; ebenso wird er uns bei den Italikern und namentlich bei den nordischen Germanen begegnen. Allein die reichste Fülle dieser poetischen Einkleidung des Göttlichen in menschliche Gestalt bietet Hellas, und zwar nicht zufällig. Denn wir werden sehen, dass die menschliche Gestaltung der Gottheit zum Charakteristischen dieser Religion gehört. „ M y t h o s " bezeichnet eigentlich einfach ein „Wort", daher auch Kunde, Erzählung, Sage, geheimnisvolle Legende. Den Inhalt bildet besonders häufig eine N a t u r e r s c h e i n u n g oder ein Naturvorgang, wobei aber die erscheinenden und treibenden Mächte als göttliche empfunden sind. Eine regelmässige Naturerscheinung, welche täglich oder jährlich wiederkehrt (Aufgang und Untergang der Sonne oder ihr Jahreslauf, jährliches Steigen und Fallen des Nils) oder ein unregelmässig eintretender Naturvorgang (Ungewitter, Erdbeben) werden dabei in eine G e s c h i c h t e umgesetzt, d. h. in ein einmaliges Erlebnis handelnder und leidender göttlicher Wesen. So lesen wir z. B.. dass der buhlerische Pan um die Liebe der Pitys warb, dass aber sein eifersüchtiger Nebenbuhler Bóreas die Pitys von einem Felsen stürzte, wobei sie sich in eine Fichte verwandelte. Hier ist offenbar Bóreas der ungestüme Nordwind, Pan dagegen (nach Max Müller) ein liebenswürdiger, gelinde buhlender Wind, weshalb Pan auch der Geliebte der Nymphe Echo und der Svrinx (Schilfrohr, vom Wind zum Tönen gebracht) genannt wird. Die Pitys dagegen ist die von beiden umworbene Fichte. Wenn es von ihr heisst, sie sei zuletzt zur wirklichen Fichte verwandelt worden, so wird damit die ursprüngliche Identität des Phantasiegebildes mit der Erscheinung, von welcher es entnommen worden, wiederhergestellt, gleichwie von der Syrinx erzählt wird, sie sei, vor Pan fliehend, in den 1) Siehe bes. P e t e r s e n bei Ersch und Gruber und Max Müller, Essays, Bd. II.
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Griechische Religion: Einleitung.
Fluss Ladon gestürzt, wo sie in ein Schilfrohr verwandelt wurde. Die Phantasie ist damit am Ausgangspunkt ihres Fluges wieder angelangt. Solche Naturmythen sind gerade bei den Griechen die häufigsten. Doch kann auch ein k u l t u r g e s c h i c h t l i c h e r oder h i s t o r i s c h e r Prozess zu einer solchen „Erzählung" werden oder eine e t h i s c h e Wahrheit oder ein k u l t i s c h e r Vorgang (so die Konkurrenz des Athene- und Poseidonkultus in Attika in dem Mythus vom Wettstreit, dieser beiden Götter) darin verkörpert sein. Endlich sind Mischungen dieser Gebiete nicht selten. Auf einen Naturmythus können historische Erinnerungen wie ethische Lehren sich aufgepfropft finden. Überhaupt werden die ursprünglich meist sehr einfachen Mythen mit der Zeit zu einem ganzen Gewebe erweitert, indem der Erzähler Züge aus verschiedenen Dichtungen kombiniert und mythische Gebilde, deren Entstehung und Bedeutung ihm meist schon nicht mehr durchsichtig ist, mit einander verbindet. Auch liebt es der Volkssinn, dem Mythus lokale Stützpunkte zu geben. Die rätselhafte Mythologie hat schon den Scharfsinn der alten Weisen auf die Probe gestellt. Diese phantastischen Gebilde waren für nüchterne Denker unverständlich. Man trachtete daher schon im Altertum darnach, ihnen einen vernünftigen Sinn abzugewinnen. Dabei verfuhr man auf verschiedene Weise. Vielfach, und nicht ohne Grund, wurden die Mythen aus d e r N a t u r erklärt. So von A n a x a g o r a s aus Klazomenae und M e t r o d o r u s aus Lampsakus, welcher selbst die Heroen auf Elemente und Naturkräfte deutete, z. B. Agamemnon auf den Äther. Daran anknüpfend haben Pherekydes aus Syros, die Eleaten, Heraklit, Empcdokles ihre Philosophie mit der mythischen Theogonie in Zusammenhang gebracht und Naturpotenzen mit Götternamen belegt. Eine andere, oft naheliegende, anderwärts aber um so weniger thunliche Erklärung war die e t h i s c h - a l l e g o r i s c h e . Z. B. T h e a g e n e s aus Rhegium, der älteste Erklärer Homers (2. Hälfte des 6. Jahrh. v. Chr.), fasste die Götter als ethische Allegorieen: Athene ist nach ihm die Klugheit, Ares der Unverstand, Aphrodite die Begierde, Hermes die Rede. Und der Kyniker Diogenes meinte, Medea habe nicht durch Zaubermittel, sondern durch Gymnastik den Patienten oder alten Leuten ihre Säfte erneuert. Ähnlich X c n o p h o n (Mem. 1, 3, 7): Die Verwandlung der Gefährten des Odysseus in Schweine sei auf das Übermass von Speise und Trank zurückzuführen, das sie genossen haben. Das Kraut, das Hermes dein Odysseus zur Bewahrung vor diesem Schicksal bringe, sei die Warnung des Verstandes. Ähnlich erklärt T h c o p h r a s t (Schüler des Aristoteles): der Feuerraub des Prometheus habe darin bestanden, dass dieser, ein Weiser, den Menschen die Philosophie brachte. Dies führt zur euemeristischen Methode über, welche schon vor Euemeros von H e r o d o r u s von Heraklea gehandhabt wurde,
Erklärungen der Mythen.
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n a c h dessen E r k l ä r u n g z. B. Prometheus ein s k y t h i s c h e r K ö n i g g e w e s e n sein soll, den seine U n t e r t h a n e n gefesselt hätten, weil e r den verheerenden Fluss Actos nicht abzuleiten vermochte. Herakles leitete ihn a b und befreite den K ö n i g . — E u e n i e r o s selbst (um 3 0 0 v. Chr.), aus Messana (Sizilien) gebürtig, machte eine Entd e c k u n g s r e i s e nach dem indischen Ozean und behauptete nachher, er h a b e dort auf einer Insel, die er P a n c h ä a nannte, in einem T e m p e l des Zeus T r i p h y l i o s auf e i n e r goldenen S ä u l e hieroglyphische Inschriften gefunden, deren E r k l ä r u n g e r in einer IEQU uvuytjaqpr'i betitelten S c h r i f t zum besten g a b . Da die P r i e s t e r ihm den Inhalt erklärten, stellte sich heraus, dass diese Inschriften von den ältesten Königen der Insel handelten. Mit nicht geringem Staunen aber nahm er wahr, dass dies die allenthalben verehrten Götter waren. So war Uranos der erste König, der ein mildes, g ü t i g e s R e g i m e n t führte und sich dabei mit S t e r n k u n d e a b g a b , weshalb er schliesslich mit dem Himmel verwechselt wurde. Er war verheiratet mit einem W e i b e Hestia, von welchem er K i n d e r b e k a m : Pan, Kronos, Rliea, Demeter. Sein N a c h f o l g e r in der H e r r s c h a f t war Kronos, vermählt mit Iihea, welche ihm Zeus, H e r a und Poseidon g e b a r . Zeus folgte seinem V a t e r auf dem T h r o n und nahm sielt drei F r a u e n : H e r a , Demeter, T h e n n s . Hera g e b a r ihm die K u r e t e n , Demeter die Persephone und Tlieniis die Athene. V a t e r Zeus durchzog fünfmal erobernd die W e l t mit seinen Begleitern, den ü b r i g e n (menschlichen) Olympiern, und Hess sich mit ihnen göttliche E h r e erweisen, um seine H e r r s c h a f t über dio unterjochten V ö l k e r desto besser behaupten zu können. Zuletzt sei er nach der Insel P a n c h ä a g e k o m m e n u n d h a b e dort seinem Grossvater Uranos einen Altar und sich selbst einen T e m pel errichtet, in welchem eben Euemeros j e n e Inschrift gefunden haben wollte. E n d l i c h kehrte Zeus nach K r e t a z u r ü c k , wo er zu Knossos starb und b e g r a b e n wurde. Überhaupt m a c h t Euemeros für die Menschlichkeit der Götter geltend, dass an manchen Orten ihre G r ä b e r gezeigt würden. Viel tiefer haben die Mystiker die Mythen aufgefasst, so die O r p h i k e r und später die N e u p i a t o n i k e r , welche ihre L e h r e als den tiefern Sinn des Piatonismus ausgaben, a b e r morgenländische Spekulation zu Hilfe nahmen. Zu diesen gehört P l u t a r c h ( E n d e des 1., A n f a n g des 2 . J a h r h . n. Chr.), ein F r e u n d der K a i s e r T r a j a n und Hadrian, später Archon und P r i e s t e r des Apollo in seiner V a t e r s t a d t Chäronea. S e i n e r Auffassung der Mythen liegt die Voraussetzung zu Grund, dass wie allen Menschen dieselbe Sonne scheine, so E i n höchstes W e s e n Alles geordnet habe und r e g i e r e , das nur u n t e r verschiedenen Namen von den V ö l k e r n v e r e h r t werde. Diesem wahren Gotte seien ebenfalls reale, lebendige, göttliche Mächte untergeordnet, d a r u n t e r auch böse Dämonen, welche n e b e n den guten in die Menschenwelt eingreifen. Diese untergeordneten, doch göttlichen W e s e n seien es, die im Polytheismus als Götter v e r e h r t werden. Zeus, wie e r vom V o l k e verehrt
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Griechische Religion: Einleitung.
wird, ist nach Plutarch j e n e r wahre Gott; wie er dagegen in der Mythologie erscheint, ist er die feurige warme Kraft, Hera die feuchte, aber auch die Erde, Phöbus Apollo die Reinigkcit und Heiligkeit des göttlichen Wesens. Ähnliche Tendenz, zum Teil mit mehr systematischer Ausführung, zeigen P 1 o t i n , P o r p h yr i u s , J a m b l i c h u s , P r o k l u s u. a. Nachdem in der Renaissance das griechische Altertum den Abendländern wieder vertraut geworden, erneuerten sich unter ihnen die verschiedenen Auffassungen des Mythus, mit welchen schon die Alten vorangegangen waren. So blühte jetzt erst recht der E u e m e r i s m u s , und zwar leitete man mit Vorliebe die heidnischen Götter von Persönlichkeiten der ältesten b i b l i s c h e n Geschichte ab 1 ). Auch der sonst so sachkundige, um die Archäologie hochverdiente Theologe S a m u e l B o c h a r t bezahlte hierin dem Geiste seiner Zeit Tribut, besonders in seinem Werk Plialeg et Canaan -). Hier erkennt er in Saturn keinen andern als Noah, im Gott Amnion = Jupiter den Cham, Sohn Noalis, in Poseidon = Neptun den Japhet, in Bacchus den Bar Clius, Sohn des Kusch, also Nimrod. Put ist gleich Apollo Pythius, Kanaan = Mcrkurius u. s. f. Besonders einflussreich waren auch die Schriften des Abbé B a n i e r 3 ) , welcher ganz in der Weise des alten Euemeros in Zeus einen alten König von Kreta sah, in Bacchus einen erobernden König u. s. f. Am weitesten giüg in der bei Bochart gekennzeichneten Richtung der Franzose Peter Daniel H u e t (später Bischof in Avranches) in seiner demonstratio evangelica (Paris 1679), wo er nachweist, dass so ziemlich die ganze heidnische Mythologie aus Mose und seinen Schriften geflossen sei. Den Mose selbst findet er überall wieder, so im Adonis der Phönizier, im Marnas der Philister, in Osiris der Ägypter, aber auch in Apis, Horos, Ptah, im Zoroaster der Perser, im Proteus, Perseus und vielen andern griechischen Figuren, während die Göttinnen meist Zerrbilder der Gattin oder der Schwester Mose's sind. Weniger einseitig ist G. J . V o s s i u s 4 ) , der zwar auch manches euemeristisch ableitet, so den Hephästos aus dem Schmied Tubal Kain, Aphrodite aus Naama, der Tochter Lamechs u. s. w., zugleich aber manche heidnische Gottheiten aus der Verehrung der Natur erklärt, indem die Menschen den Geschöpfen statt dem Schöpfer ihre Verehrung zugewandt haben. 1) Vorangegangen waren hierin schon die alexandrinischen Juden (Aristobul), welche die edlern Auffassungen der Gottheit, die ihnen etwa bei griechischen Philosophen begegneten, von Mose ableiteten; durch Orpheus und Musäos seien sie den Griechen von dort übermittelt. Ähnlich dann C l e m e n s AI., E u s e b i u s und andere Kirchenväter. 2) Samuel B o c h a r t i Geographia Sacra seu Phaleg et Canaan. Editio quarta proc. Petrus de Villemandi. Lugd. Bat. 1707. 3) Explication Historique des Fables par Mr. l'abbé B***, Paris 1711 und à la Haye 1715, 3 Bde. Dann besonders Mythologie ou les Fables expliquées, Paris 1738; auch ins Deutsche übersetzt. 4) Siehe Einleitung S. 23.
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Im 18. und zu Anfang des 19. Jahrhunderts haben namentlich die deutschen Gelehrten Chr. G. H e y n e (f 1812), Joh. Gottfr. J a k . H e r m a n n 1 ) (f 1848) und Joh. Heinr. V o s s (f 1826) diesen Fragen Aufmerksamkeit geschenkt. Sie sahen freilich in den Mythen nichts Religiöses, sondern älteste Geschichte und Philosophie mit didaktischer oder ethischer Tendenz oder ein rein poetisches Spiel. Dass man mit der didaktischen, sei es philosophischen und naturwissenschaftlichen oder ethischen Deutung nicht weit kam, lässt sich denken. Mehr Schein hatte die rein poetische Auffassung für sich. Es wäre dann der Mythus eine ausgeführte Metapher, wobei menschliches Leben und Empfinden beständig in die Natur hineingetragen würde, aber auf dem Wege bewusster Fiktion. Damit ist aber der religiöse Charakter des echten Mythus verkannt, welcher aus der unwillkürlichen Wahrnehmung der Gottheit in der Natur hervorgeht und mit dem Kultus in lebendigem Zusammenhange steht. Dass dann freilich die Dichtung sich der mythischen Gebilde auch bemächtigt und die Kunde von ihnen aus blosser Lust zum Fabulieren weiter ausgesponnen hat, soll damit nicht geleugnet werden. Hatte S c h ö l l i n g 2 ) jener Verkennung des wahren Mythus gegenüber nachzuweisen geglaubt, derselbe sei ein notwendiges Produkt der von der Gottheit beeinflussten menschlichen Gemüter, so trat auch der von Sc h e l l i n g angeregte Fr. C r e u z e r 3 ) von 1806 an eifrig für eine s y m b o l i s c h - r e l i g i ö s e Bedeutung des Mythus ein, welche von einer reineren, monotheistischen Urreligion Zeugnis ablege, zu welcher sich die spätem Religionen wie gebrochene Lichtstrahlen zu dem vollen Lichtquell der Sonne verhalten. Zugleich setzte Creuzer die griechisch-römische Mythologie mit der morgenländischen in Verbindung. Dabei berief er sich namentlich auf die Orphiker, welche ihre Weisheit von Asien, besonders Indien und Ägypten her erhalten hätten. Diese Aufstellungen weckten heftigen, sogar leidenschaftlichen Widerspruch (besonders von J . H. Voss), und Creuzer selbst hat in der letzten Ausgabe seiner Symbolik seine Darstellung modifiziert, ohne seine Grundanschauungen aufzugeben. Seine Meinung ging zuletzt dahin, die älteste griechische Religion sei elementare Naturverehrung gewesen; zu diesen rohen Anfängen seien aber morgenländische Elemente aus Ägypten, Libyen, Pliönizien u. s. w. gekommen, welche die materielle Substanz der 1) G. H e r m a n n , De mythologia Graecorum antiquissima 1817 und De historiae Graecae primordiis, Lips. 1818. Seine Ansicht: Der Mythus ist bildliche Darstellung einer Idee oder auch physischen Erkenntnis. Das Volk hat diese ihm von den Priestern bildlich gebotene Belehrung eigentlich genommen. So entstand der Mythus. Die theogonischen Mythen aber sind das Werk der Dichtung zur Ausfüllung der Lücken, welche die Geschichte offen lässt. 2) Siehe oben in der Einleitung S. 25. 3) Friedrich C r e u z e r , Symbolik und Mythologie der alten Völker, bes. der Griechen, Lcipz. u. Darmstadt 1810—12, 3. Aufl. 1837—43, 4 Bde.
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Griechische Religion: Einleitung.
griechischen Religion abgaben, während der hellenische Geist sie durchdrang. Auch Philipp B u t t m a n n 1 ) w a r , ohne Creuzers Annahme einer reineren Urreligion zu teilen, darauf bedacht, den griechischen Mythus nicht in seiner Vereinzelung, sondern in Zusammenhang mit Asien (Indien) zu verstehen. Er leitete ihn übrigens von der kindlich naiven Betrachtung der Sonne, des Mondes, Feuers u n d anderer wirksamen Wesen ab. Dass diese Wesen wie in menschlicher Geschichte handelnd erscheinen, rührt von der Naivität der Auffassung und der Beschränktheit der Sprache her. Eine einschneidende Reaktion gegen das Bestreben alle bekannten Religionen zu kombinieren ging von K. O t t f r i e d M ü l l e r 2 ) aus, welcher gegen die Ableitung der griechischen Mythen von auswärts Stellung nahm. Diese sind nach ihm niemals f r e m d e n Ursprungs, sondern aus dem nationalen Boden mit innerer Notwendigkeit hervorgewachsen. Einzig bei den orphischen Gedichten und Weihen konnte auch er nicht umhin, ausländische (phrygische) Einflüsse anzuerkennen. Um die Aufhellung lokaler Zusammenhänge hat sich K. 0 . Müller in hohem Grade verdient gemacht. In anderer Hinsicht ist die Wissenschaft durch die neue E n t d e c k u n g der frühen Beziehungen der griechischen Religion zum Osten auf entgegengesetzte Bahn gewiesen worden. Noch sei hier F. M a x M ü l l e r erwähnt, der namentlich den Einfiuss der S p r a c h e auf die Mythenbildung betont und dabei ein nicht unwichtiges Moment, freilich mit starker Übertreibung, hervorhebt. Gewiss sind manche mythische Züge aus Volksetymologie oder Kombination von homonymen Gegenständen u. dgl. entstanden; a b e r viel zu weit geht er, wenn er die Auffassung des Feuers u n d a n d e r e r Phänomene als belebter Wesen daraus ableiten will, dass der kindliche Mensch bei der A r m u t der Sprache diesen Dingen Handlung, Empfindung u. s. w. habe zusprechen müssen, woraus das Missverständnis erwachsen wäre, dass man sie f ü r beseelt hielt! 3 ) Im allgemeinen dagegen hat sich neuestens die Erkenntnis Bahn gebrochen, dass d e r e c h t e M y t h u s r e l i g i ö s e n U r s p r u n g h a b e u n d ein unwillkürlicher Ausfluss der n a t u r b e f a n g e n e n Auffassung der Gottheit sei, im übrigen eine sekundäre Bildung oder Wucherung der Religion darstelle. So sagt E d u a r d M e y e r (Gesch. des Alt. II, 48): „Der H a u p t f e h l e r der vergleichenden Mythologie wie jeder speziellen Mythenforschung ist, dass bei ihr d i e Religion und ihr wichtigstes Element, der Kultus, durcha u s z u k u r z k o m m t . Die Mythologie ist ein Appendix der Religion so gut wie die Theologie, nicht die Hauptsache."
1) Ph. B u t t m a n n , Mythologus, Berlin 1828, 2 Bde. 2) K. O. M ü l l e r , Prolegomena zu einer wissenschaftlichen Mythologie, Gött. 1825. 3) F. M. M u e l l e r , Physical Religion, London 1891.
Vorhomerische Zeit.
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1. Die historische Entwicklung (1er griechischen Religion. a) V o r h o m e r i s c h e
Zeit.
Indem wir die Entwicklung der hellenischen Religion nach ihren Hauptphasen skizzieren, beginnen wir mit der vorhomerischen Periode. Wir verstehen darunter die Zeit vor der Entstehung der nach Homer benannten Dichtungen, welche letztere etwa vom J a h r 1000 v. Chr. an zu setzen sein wird. Konnte man sich früher kaum getrauen, diese Zeit als eine geschichtliche zu behandeln, so haben die Ausgrabungen der letzten Jahrzehnte, welche zuerst von H e i n r i c h S c h l i e m a n n unternommen wurden und zu Hissarlik (Troja), Mykenä, Tiryns, Orchomenos u. a. bedeutende bauliche Überreste zu Tage förderten, dieser Vorzeit wieder eine greifbare Gestaltung verliehen. Auch die Religionsvergleichung hat unterdessen manches gelernt, was zur Bestimmung der frühesten hellenischen Religion mit Nutzen verwendet werden kann. Schon bei genauerer Prüfung der homerischen Gedichte musste man zu dem Schlüsse kommen, dass die dort ganz antliropomorphisch dargestellten, mit ihrem Naturelement nur noch lose zusammenhängenden Götter auf eine Zeit zurückweisen, wo diese in innigerer Verbindung mit der Natur geschaut wurden und denen der bisher behandelten Arier gleichartig waren. Kein Zweifel kann in der That darüber bestehen, dass die Griechen schon aus der Zeit ihres Zusammenlebens mit den übrigen indogermanischen Stämmen gewisse religiöse Grundanschauungen mitgebracht haben, die ihnen nie verloren gegangen sind. Da ist vor allem die sämtlichen griechischen Stämmen eigene Verehrung des Z e u s ( = sanskr. djaus!) zu nennen, welchen sie als ihren obersten Gott nach Griechenland gebracht und stets festgehalten haben. Schon als sie noch wandernde Jäger- und Hirtenvölker waren, verehrten sie diesen G o t t d e s H i m m e l s , der Regen spendet und Blitze sendet, als d a s h ö c h s t e W e s e n , dem auch s i t t l i c h e H o h e i t nicht abging. Die Identität des Namens mit dem indischen Wort für „Himmel", wclches sonst den Griechen verloren gegangen ist, verbürgt den uralten Besitz dieser Gottheit. Natürlich war auch ihnen Zeus nie identisch mit dem sichtbaren Himmel; aber wie andere alte und älteste Völker schauten sie des höchsten Gottes erhabene, ruhige Majestät wie sein Zürnen am lichten oder wolkigen Himmel. Sie verehrten ihn in vorhomerischer Zeit ohne Tempel und ohne Bild auf den hohen Berggipfeln. Äusserst lehrreich ist aber, dass dieser allbeherrschende Gott v o n d e n einz e l n e n S t ä m m e n z u g l e i c h als ihr b e s o n d e r e r S c h u t z g o t t v e r e h r t wurde und so trotz seiner Allgemeinheit sich mannigfaltig besonderte. Die einzelnen Königsgoschlechter betrachten ihn O r e l l i , Religionsgeschichte.
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Historische Entwicklung der griechischen Religion.
als ihren Ahnherrn, die verschiedenen Landschaften, auf deren höchstem B e r g e er thront, als ihren Schutzgott, der ihre besondern Interessen vertritt. Wie aber in Indien uncl Iran es nicht bei Einem Gotte blieb, sondern die naturalistische F a s s u n g der Gottheit unerschöpflich neue Götter erzeugte, so verehrten auch die ältesten Hellenen schon eine Fülle von göttlichen Wesen, die immerhin dem erhabenen Vater der Götter und Menschen nicht gleichkamen. Den Ashvin des R i g Veda entsprechen die D i o s k u r e n , eine Lichtgottheit wie diese ist auch H e l e n a . Helios (Sonne) und Selene (Mond) wurden als Götter angesehn, aber auch schon A p o l l o n (Lichtgott) und H e r m e s (Luft-, Wind-Gott), H e s t i a (Feuer) als Göttin. Dem Himmelsgott entspricht eine Göttin der E r d e (Gäa, Demeter, Hera) und ein Gott der T i e f e (Pluton). Die Elemente galten als göttlich, besonders auch das Wasser; einzelne F l ü s s e genossen eigentliche Verehrung. Die Genien der Bäche wurden als N y m p h e n hochgehalten. Auch die Musen gehören von Haus aus zu diesem Geschlecht der Wassernymphen. Die Göttin des Waldes und der J a g d ist A r t e m i s . Im Meer waltet P o s e i d o n , ursprünglich eine Abzweigung des Himmelsgottes (vgl. Varuna als Meergott). Vielleicht gab es auch schon ehe die Einwirkungen aus dem Morgen lande begannen, eine Güttin der L i e b e (Aphrodite) und einen Gott des berauschenden F e u e r t r a 11 k e s (Dionysos; v g l . Sorna?). Überhaupt aber wurde alles Naturleben als Äusserung göttlicher K r a f t angesehen. Wie nahe auch die eigentliche Götterwelt sieh mit der Natur berührte und mit ihr zusanunengeschaut wurde, zeigt die in alter Zeit häufige Kombination der Götter mit T i e r g e s t a l t c n . So stellte man sich Apollo (auch Zeus) in Wolfsgestalt v o r 1 ) , Artemis als Bärin oder Hindin, Hera als K u h , während Zeus gelegentlich Stiergestalt annimmt; Pan dachte man sich bocksgestaltig, Athene als Eule. Verschiedene Gottheiten, namentlich Athene auf der Akropolis zu Athen, wurden in Gestalt einer lebendigen Schlange verehrt, welche daselbst hauste. Apollo verwandelte sich in einen Delphin, Zeus gelegentlich in einen Schwan u. s. f. Dass es verkehrt wäre, hieraus zu schliessen, man habe ursprünglich das Göttliche bloss in der niedrigen Sphäre der Tierwelt gesucht, leuchtet ein, da j a die Licht- und Himmelsgotthciten schon zum Urbesitz des Volkes gehörten. Möglich wäre, dass es den Zoomorphismus erst in Griechenland vorgefunden und dort auf seine Götter übertragen hätte. Mit der Zeit hat auch die Berührung mit dem Orient zu dieser Annäherung der Tiere an die Götter beigetragen. J e d e n f a l l s aber beweist die frühe Annahme einer besonderen Verwandtschaft zwischen beiden Sphären, dass man die Gottheit ungeschieden von der Natur als das diese beseelende Wesen und Leben auffasste. Auch als der Anthropomorphismus siegreich durch1) Über den Nauien Avxsioç s. unten S. 599.
Vorhomerische Zeit.
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gedrungen war, wirkte jene Ideenassoziation immer noch • nach und äusserte sich wenigstens so, dass die ihr verwandten Tiere als einer Gottheit heilig, zugehörig galten und auch als Symbol für sie verwendet wurden. So blieb das Pferd dem Poseidon, die minnige Taube der Aphrodite heilig u. s. f. — Aber auch zu gewissen P f l a n z e n , besonders B a u m a r t e n , stehen die Gottheiten in naher Beziehung. So wohnt Zeus in einer Eiche zu Dodona (vgl. die germanische Eiche des Donnergottes), Athene in einem Ölbaum auf der Akropolis, Apollo im Lorbeer, auch in einer Palme auf Delos u. s. f. — Auch N a t u r s t e i n e waren heilige Symbole und Denkzeichen der Gegenwart eines Gottes, lange ehe man Kunstbilder von einem solchen anfertigte. Höchstens bezeichnete man eine solche Denksäule mit groben Andeutungen von menschlichem Gesicht und Gliedmassen. Schon in dieser „vorhomerischen" Periode jedoch sind starke E i n w i r k u n g e n d e s O r i e n t s auf hellenische Lebensweise und Gedankenwelt nachgewiesen worden, welche nicht erst durch die nach den Inseln und asiatischen Gestaden vorgedrungenen griechischen Kolonisten vermittelt sein können, sondern auf Niederlassungen der P h ö n i z i e r in Hellas zurückzuführen sein werden. Die Griechen mögen eben erst die östlichen Küsten dieses Landes eingenommen haben, als jenes regsame Handelsvolk an geeigneten Plätzen daselbst sich festsetzte, um seine Jagd auf Purpurschnecken aucli an diesen ausgiebigen Gestaden zu betreiben. Sie haben denn auch den Hellenen die babylonischen, hcthitischen, ägyptischen Kulturelemcnte vermittelt, welche in jenen Bauten von Mykenä und anderswo uns entgegentreten. Aus diesen Berührungen erklären sicli aber auch unverkennbar morgenländisclie Mythen und Lokalkulte, die sich nocli in spätere Zeit erhalten haben. Dahin gehört vor allem die thebanische Sage von Kail mos. Selbst wenn die Gleichsetzung des Kadmos mit Baal Melkart unrichtig und Kadmos bloss aus der Burg Kadmeia abstrahiert sein sollte, so ist doch der semitische Ursprung dieses uralten Namens ausser Zweifel und es würde gerade diese Annahme zu der weitern führen, dass jene Burg ursprünglich nicht eine hellenische, sondern phönizische Niederlassung war. Ebenso sind in Attika unleugbare Spuren von einstiger Besiedelung durch die Phönizier in Sage und Mythus anzutreffen. Zwar lässt sich bezweifeln, dass die Amazonen, welche Theseus überwand, eigentlich die männlich gekleideten und bewaffneten Jungfrauen im Dienste der kriegerischen Astarte (Duncker) oder „die Priesterinnen der hcthitischen Gottheit" (Sayce) seien, da die berittenen, streitbaren Amazonen eher bei nordischen Barbaren ihr reales Gegenbild finden. Aber eine andere Partie der T h e s e u s s a g e gehört liieher. Dieser Heros erlegt jenes Ungetüm auf Kreta, dem die Athener in jedem achten J a h r 7 Knaben und 7 Mädchen opfern mussten. Der Minotaurus (Minos-Stier) ist der stierförmige Baal Minos, dem von Karern und Phöniziern
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zu Knossos auf Kreta Menschen geopfert w u r d e n . Auf denselben Gott geht der flammenspeiende Stier von Marathon, den Theseus ebenfalls erlegte. Es waren die in Attika niedergelassenen Phönizier, welche die Athener zu solchen Opfern ermunterten, wo nicht g a r nötigten, bis diese sich von solcher Bevormundung emanzipierten. Auch die attischen T h a r g e l i e n mit sühnenden Menschenopfern (ein Mann und eine Frau) gehen wohl auf den Dienst des Sonnenbaal zurück, welcher auf Apollo übertragen war. Ebenso erinnern alte Kulte Lakoniens an Asien. In Amyklä wurde der vor der Zeit durch einen Diskuswurf des Apollo hingeraffte schöne J ü n g ling H y a k i n t h u s jährlich durch ein Totenopfer gefeiert. Es ist der von der Glut der Sonne getötete Adonis 1 ). In K o r i n t h dienten Dirnen auf syrische Weise der Aphrodite, und zugleich haben sich Spuren davon erhalten, dass Kinder und J u n g f r a u e n einer gestrengen Göttin zu Ehren v e r b r a n n t wurden. So mussten 7 Knaben u n d 7 Mädchen in schwarzem Gewand der Hera A k r ä a auf Akrokorinth Bussriten vollziehen, worin ein Ersatz l'ür f r ü h e r übliche Opferung derselben leicht zu erkennen. Auf dem Isthmus wurde als Gott der Seefahrt M e l i k e r t e s (gräzisiert ans Melkart) verehrt, den ein Delphin hielier getragen u n d dessen G r a b hier gezeigt wurde. Es ist der phönizische Gott, der übers Meer gekommen. Auch Euböa weist viele Anklänge an phönizische Namen auf. Gerade die Stätten, wo später in besonderem Masse die Kultur gepflegt wurde, waren durch B e f r u c h t u n g aus Asien dazu vorbereitet. Die Griechen haben solche Elemente von dem ihnen an Kultur noch überlegenen Volke angenommen, doch nicht ohne sie ihrem Geiste anzupassen. Und so blühte zum ersten Mal ein reiches hellenisches Kulturleben zu der Zeit, wo mächtige Königsgeschlechter zu Mykenä, Argos, Theben, Orchomenos und in andern Gaustädten herrschten. Es waren die W a n d e r u n g e n der Dorier u n d anderer Stämme, welche diesem Aufschwung ein Ende machten. Zugleich hatten diese Verschiebungen zur Folge, dass manche Verdrängte nach den Inseln des ägäischen Meeres und Kleinasien übersiedelten, welche Bewegung übrigens schon vor jener Wanderzeit ihren A n f a n g scheint genommen zu haben. Die „Äoler" gründeten neue Heimstätten auf Lesbos, Tenedos und in der Troas, die Jonier auf den K y k l a d e n und an der asiatischen Küste von S m y r n a bis Milet, die Dorier auf Kreta, Rhodus und um Halikarnassus. Die R e l i g i o n dieser ersten Blütezeit w a r eine Mischbildung, deren Ilaupt.bestand aus den angestammten Begriffen erwachsen war, während den Einschlag die neuen, vom Orient herübergedrungenen Ideen ausmachten, welche immerhin das Wesen der 1) Anders R h o d e , Psyche 2 I, S. 137 ff., welcher in Hyakinthos einen unterirdischen Dämon zu erkennen glaubt, der vor Apollo hier verehrt worden sei.
Homerische Zeit.
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alten Anschauungen nicht zu zerstören vermochten. Tempel sind in jenen Ruinen der vorhomerischcn Zeit nicht nachgewiesen; hingegen Vorkehrungen, um den Toten, die in dieser Periode begraben wurden, Opfer darzubringen. Kultusbilder zur Anbetung hatte man nicht, wenn auch die Künstler auf Ringen, Gefässen u. s. f. mythologische Figuren anbrachten. Dagegen stellte man an geweihten Stätten leere Thronsesscl für die unsichtbaren Götter hin 1 ).
b) H o m e r i s c h e
Zeit2).
Die Hellenen hatten bereits auf manchen Inseln und an der kleinasiatischen Küste, besonders im Nordwesten derselben, festen Fuss gefasst, als der Heldengesang zu hoher Blüte gelangte, dessen vornehmste Erzeugnisse unter dem Namen H o m e r s auf die Nachwelt gekommen sind. Dass diese Epen nicht für Dichtungen eines einzelnen Sängers zu halten seien, sondern einer ganzen Zunft oder Schule von Rhapsoden, die an den Höfen der Könige und Fürsten umherzogen, ihr Dasein verdanken, hat die Analyse der llias und der Odyssee längst klargemacht. Das schliesst nicht aus, dass ein Haupt der Schule, vielleicht gar der schöpferische Genius, der diesen Heldengesang erzeugte, kann H o m e r geheissen haben. Die Odyssee, welche von den Schicksalen des heimkehrenden Helden erzählt, ist im allgemeinen jünger als die lliade, die den Kampf um Troja berichtet; beide Gedichte aber enthalten ältere und jüngere Bestandteile, deren Enstehung etwa in die Zeit von 1000—700 v. Chr. fallen mag. Ihren Ursprung hat die homerische Dichtung bei den nördlichen Stämmen (Äolern) genommen und ist dann besonders von den J o n i e r n weitergebildet worden. Ob etwas und wie viel von geschichtlichem Inhalt der Sage von der Belagerung und Zerstörung Troja's durch die verbündeten Fürsten der Achäer ( = Hellenen) zu Grunde liegt, wie vieles Reflex von Ereignissen der spätem Zeit ist, wo die Nachkommen der von Homer besungenen Helden an der Küste von Troas sich Heimatrecht erkämpften, das lässt sich noch nicht entscheiden. Jedenfalls spielen im Epos stark mythische Motive herein, wie schon der Raub der Helena zeigt, welcher der Anlass zur ganzen Unternehmung wird. Denn Helena ist, wie schon bemerkt wurde, eine der ältesten Lichtgottheiten. Auch die Helden sind zum Teil halb oder ganz mythische Wesen. So ist Achilleus der Sohn der Meer1) Vgl. Wolfgang R e i c h e l , Über vorhellenische Götterkulte, Wien 1897. 2) Karl Friedr. N ä g e l s b a c h , Homerische Theologie, Nürnberg 1840; 2. Aufl. herausg. von A u t e n r i e t h , Nürnb. 1861. — E. B u c h h o l z , Die homerischen Realien Bd. III, 1884. — U. v o n M i l a m o w i t z , Homerische Untersuchungen 1884.
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nymphe Thetis l ), Sarpedon ein Sohn des Zeus 2 ) u. s. f. Es scheint, dass Homer Götter von beschränkter lokaler Sphäre als Heroen auftreten Hess. Daher ist nicht verwunderlich, dass die olympischen Götter von diesen menschlichen Helden nicht so verschieden sind, als man erwarten würde. Was die Epen von religiösen Vorstellungen und Gebräuchen erkennen lassen, ist weniger für die Vorzeit wichtig, in welcher die Handlung spielend gedacht ist, als eben für die, in welcher diese Gedichte entstanden. Und auch da darf nicht vergessen werden, was schon oben erinnert wurde, dass hier nicht religiöse, sondern weltliehe Litteratur vorliegt, in welcher der Sänger nach freier Einbildung den Stoff zur Unterhaltung und zum Ergötzen der Hörer gestaltet. Dennoch ist dieser Cyklus von Dichtungen für die Religionsgeschichte von hohem Wert und macht es möglich, vom gesamten religiösen Leben sich wenigstens eine weit deutlichere Vorstellung zu bilden, als dies für den vorhergehenden Zeitraum der Fall ist. Die homerische Götterwelt zeigt vor allem eine vollkommene Durchführung des A n t h r o p o m o r p h i s m u s . Die einzelnen Gottheiten erscheinen als wohl unterschiedene, nach menschlicher Weise vorgestellte Wesen von plastischer Bestimmtheit, während ihre Beziehung auf die Natur zurückgetreten und der daherige Zusammenhang der Mythen zum Teil undurchsichtig geworden ist, wenn auch jede der Gottheiten noch ihren bestimmten Wirkungskreis und an ihre Herkunft erinnernde Attribute aufweist. Diese Götter treten im Epos als leibliche, menschliche Gestalten auf, ätherischer zwar und grösser als die Menschen, doch so, dass das ästhetische Ebenmass nicht gestört wird. Sie thronen auf dem Berg Olymp, wo Zeus mit ihnen Ratsversammlung hält wie ein menschlicher König mit seinen Grossen. In dieser lokalen Beziehung deutet sich der nordgriechische Ursprung der Dichtung an. Es sind auch namentlich die von den nördlichen Stämmen verehrten Götter, welche den Kreis der Olympier bilden. Sic sind aber der lokalen Beschränkung enthoben und als allgemeinhcllenische Götter dargestellt. An der Spitze steht naürlich der p a n h e l l e n i s c h e Z e u s , der Wolkenspender und Blitzesender, aber von der Erscheinung des Himmels abgelöst in persönlicher, väterlicher Gestalt, neben ihm H e r a , seine eifersüchtige Gemahlin, die Schirmerin der Ehe, nach ihrer natürlichen Bedeutung kaum mehr zu erkennen. A p o l l o und A r t e m i s , ein anmutiges Geschwisterpar entsenden den schnellen Todespfeil, — weshalb? ist dem Dichter und Hörer nicht mehr bewusst, zumal Apollo auch ganz andere Bedeutung in sich vereinigt z. B. als der Gott der Musen und der Musik. Ebenso ist der bewegliche H e r m e s , der Götterbote, nach seinem Naturelement nicht mehr durchsichtig, so1) Iliade 1, 351 ff. 2) Iliade 6, 198 ff.
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wenig als A t h e n e , die Göttin edler Besonnenheit und Tapferkeit. welche sich schön abhebt von dem ungeschlachten Kriegsgotte A r e s und der höheren Adels der Gesinnung entbehrenden Liebesgöttin A p h r o d i t e . P o s e i d o n , der Gott des Meeres, spielt bei diesen Begebenheiten natürlich keine unbedeutende Rolle, auch der Waffenschmied H e p h f t s t o s , ist nicht zu entbehren, während die mehr bäuerlichen Gottheiten wie D e m e t e r , die Göttin der fruchtbaren Erde, und D i o n y s o s zwar etwa genannt sind, aber in diesen ritterlichen Gesängen sehr zurücktreten und der Hirtengott P a n erst in den spätem „homerischen Hymnen" vorkommt. Abgesehen vom Olymp, wo sie zusammenkommen, hat bei Horner der einzelne Gott seinen Wohnsitz in dem Element, das ihm gehört, Zeus im Himmel, Poseidon im Meer, oder da, wo der Hauptsitz seiner Verehrung ist und sein Hauptheiligtum steht, so Aphrodite zu Paphos auf Cypern, Athene im Hause des Erechtheus zu Athen 1 ), Poseidon zu Ägä oder Helike 2 ). Die Götter sind immer an einem bestimmten Ort; sie bewegen sich von Ort zu Ort 3 ), doch mit göttlicher Raschheit; sie können mit einem Schritt ungeheure Räume durchmessen; ein Sprung der göttlichen Rosse reicht so weit als der ausgedehnteste menschliche Fernblick. Zwar „wissen die Götter alles" nach sprichwörtlicher Redensart; das hebt aber nicht auf, dass ihr Wissen im konkreten Falle wie ihre Machtvollkommenheit begrenzt und bedingt ist. Erst in nachhomerischer Zeit wurde mit dem Begriff der Allwissenheit Ernst gemacht, wenigstens von den Gebildeten 4 ). Am Ergehen der Menschen, wenigstens ihrer Lieblinge, nehmen die Götter lebhaften Anteil und ergreifen bei den Heldenkämpfen für die einen oder die andern Partei. Zwar treten sie einander nicht unmittelbar im Kampfe gegenüber; aber sie hadern mit einander, überlisten sich und arbeiten einander entgegen. In den Waffenkampf der Menschen mischen sie sich in eigener Person und können dabei sogar von Sterblichen verwundet werden wie Aphrodite (II. 5, 330 ff.) und Ares (II. 5, 855 ff.), der dabei brüllt, wie wenn Zehntausende zugleich schreien 5 ). Überhaupt sind ihnen Angst und Schmerz nicht fern, noch weniger freilich die Lust. Sie schmausen, zechen und schlafen 6 ), sie haben ihre Liebschaften und stehlen Knaben und Mädchen. Sie vertreten zwar die s i t t l i c h e W e l t o r d n u n g als 1) Odyss. 7, 81. 2) Iliade. 8, 203. 3) Selbst Zeus ist mehrere Tage vom Olymp abwesend, da er einem Festmahl der Äthiopen beiwohnt, Iliade 1, 423 ff. 4) Nach Xenophon (Memor. 1, 1, 19) war es etwas, was Sokrates von dem grossen Haufen unterschied, dass er den Göttern ein Wissen von allem beilegte, was die Menschen thaten, redeten und planten, während die vulgäre Vorstellung- dahin ging, dass sie das eine wüssten, das andere nicht. 5) Vgl. auch, was Götter von Menschen erduldet haben, Iliade 5, 383 ff. 6) Selbst Zeus macht keine Ausnahme Iliade 1, 610; 14, 252 ff. 352 ff.
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deren Hüter und Rächer und bestrafen deren Verletzung von Seiten der Menschen; aber s i e s e l b s t s i n d a n d i e s e l b e n i c h t g e b u n d e n und setzen sich in der Verfolgung ihrer Sonderinteressen über dieselbe hinweg. Sie verführen die Menschen zum Bösen, belügen und betrügen sie zu ihrem Schaden. Helena wird von Aphrodite zum Ehebruch verführt, welche Göttin also den unethischen Liebreiz darstellt. Und wie es gilt die T r o e r zu verderben, sind die Götter darauf bedacht, sie zu einer besonders schweren Schuld zu verleiten, welche unsühnbar wäre. Hera entwirft diesen Plan, auch Zeus billigt ihn und Athene wird demgemäss unter die Troer geschickt, um einen derselben während des beschworenen Waffenstillstandes zum Pfeilschuss auf Menelaos zu überreden 1 ). Was die Götter vor den Menschen voraushaben, ist nicht die hohe, heilige Gesinnung, sondern die M a c h t , und dieser Vorzug wird namentlich in ihrer U n s t e r b l i c h k e i t bemerkt. Auch diese Unsterblichkeit freilich eignet ihnen nicht deshalb, weil sie wahrhaft über der Natur und ihrem Wechsel erhaben wären; sondern sie wurden einmal in die Welt h i n e i n g e b o r e n und danken ihre Unsterblichkeit (wie die Asen der Skandinavier) der Nahrung, die sie zu sich nehmen, dem Genuss der A m b r o s i a , durch welchen auch Menschen unsterblich werden können. Bei diesen Darstellungen darf man freilich nicht vergessen, dass es sich um epische Kunstdichtung, nicht um religiöse Lieder handelt. Die Beschränktheit der Götter ist dem Dichter unentbehrlich, da sie an der Handlung teilnehmen und dieselbe durch ihren Widerstreit beleben und erklären sollen. Allein diese Schranken sind doch nicht von ihm geschaffen, sondern liegen schon in der Natur dieser Gottheiten, wenn sie gleich beim K u l t u s viel mehr zurücktreten mussten. Ebenso haben diese unterhaltenden Sänger nicht ohne Laune und Behagen die Schwächen der Götter recht menschlich ausgemalt, die häuslichen Zwistigkeiten zwischen Hera und Zeus, die Liebeshändel des Ares mit Aphrodite, der Gattin des gutmütigen, und dabei doch verschmitzten Hephästos u. dgl. Allein der Vorwurf, der schon im Altertum gegen Homer ist erhoben worden, er habe die Götter unwürdig dargestellt und so dem Volke die Ehrfurcht vor ihnen geraubt, fällt doch nicht ausschliesslich dem Dichter zur Last. Menschliche Schwächen und Fehler waren diesen Göttern angeboren, in deren Wesen, wie Nägelsbach mit llecht sagt, d i e H e i l i g k e i t k e i n k o n s t i t u t i v e s E l e m e n t bildete. Schon die Naturmythen enthielten solche Themata wie den Hader zwischen Hera und ihrem Gemahl oder die Liebschaften des Zeus; Homer hat dieselben nur mit breitem Pinsel ausgemalt. Im Kultus trat dergleichen Ungöttliches selbstverständlich zurück. Aber zwischen der kultischen und der künstlerischen Auffassung der Gottheit lässt sich eine absolute Scheidewand nicht aufrichten. Denn wie die Dichtung aus den Vorstellungen des Volkes von seinen 1) Iliade 4, 64 ff.
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Göttern geflossen ist, so wirkte sie auch mächtig auf dieselben zurück. W a s das Ve r h ä 11 n i s der homerischen Götter z u d e r s i c h t b a r e n W e l t und den M e n s c h e n anlangt, so sind sie H e r r s c h e r d a r ü b e r . Schöpfer der Welt heisst weder Zeus noch ein anderer Gott. Um deren Entstehung k ü m m e r t sich der Dichter nicht. Aber die Götter verfügen mit souveräner Gewalt über die Elemente. Sie setzen Himmel und Erde, die Gipfel der Berge wie die Wogen des Meeres in Bewegung; sie verfügen über Winde u n d Wolken, Blitz u n d Donner und können auch den gewohnten Naturlauf unterbrechen, z. B. Nacht über eine Szene werfen u. dgl. Und wie die Natur, so beherrschen sie das Leben der Menschen, in welches sie auf mancherlei Weise eingreifen. Ihnen verdankt der Mensch seine Vorzüge, Klugheit, Tapferkeit, Schönheit. Sie geben ihm Worte ein u n d treiben ihn zu Tliaten, guten und bösen, die er, oft ohne es zu wissen, in ihrem Dienste vollbringt. Von ihrer Geneigtheit hängt das Vollbringen u n d Gelingen ab. Sic verhängen in ihrem Rate Unglück über Völker, Städte, Häuser und einzelne Personen, welche durch Verletzung ihrer Rechte oder Vernachlässigung ihres Kultus sowie durch Übertretungen der heiligen Sittengebote ihren Zorn auf sich geladen haben. Darum ist von hohem Wert ihren Willen zu kennen, z. B. den Grund ihres Zürnens, bezw. die Mittel, um ihren Zorn abzuwenden. Sie belehren den Menschen darüber oft in T r ä u m e n , ihren Lieblingen erscheinen sie auch leibhaftig, einem solchen dagegen, den sie täuschen wollen, etwa in der Gestalt eines ihm bekannten Menschen. Namentlich a b e r geschehen günstige und ungünstige Vorzeichen, über welche zu belehren die Gabe d e r S c h e r ist, die hier in der Regel im Anschluss an solchc Vorzeichen Zukunftssprüche tliun. Erzählte man schon in dieser Zeit von solchen Sehern als von etwas der Vergangenheit angehörigem, so erfreute man sich dagegen in der Gegenwart der Offenb a r u n g e n , welche an 0 r a k e 1 s t ä 11 e n erteilt wurden. Hochgeschätzt ist das Orakel zu D o d o n a 1 ). Hier wie zu O l y m p i a in Elis erteilt Z e u s seine Weisungen. Besonderer Orakelgott ist aber A p o l l o , der auf D e 1 o s und K r e t a Orakel hat, später besonders im altberühmten D e l p h i , wo ursprünglich eine andere, chthonischc Gottheit sich vernehmen liess. Das delphische Orakel des Apollo überstrahlte jedenfalls schon im 7. J a h r h u n d e r t alle a n d e r n und war von ganz Griechenland besucht. Der K u l t u s hat sich in dieser Periode sichtlich entwickelt. Oft sind im Epos T e m p e l der Götter namhaft gemacht, während man in der mykenischen Periode solche noch vermisst. Diese Behausungen der Götter sollten in der Regel einem Bilde Obdach u n d Schutz gewähren. Die Anfertigung künstlicher G ö t t e r b i l d e r 2 ) 1) Iliade 16, 234: Od. 19, 296 f. 2) W. R e i c h e l a. a. 0 . bestreitet die Verehrung von Götterbildern noch für die homerische Zeit. Auch Iliade 6, 269 ff. sei an einen leeren Thron zu denken, auf den der Peplos gelegt werden soll (?).
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liatte eben ü b e r h a n d genommen. Der Übergang' von den alten symbolischen Pfühlen u n d Steinkegeln zu solchen Kunstgebilden w a r ein allmählicher und hing mit der anthropomorphischen Auffassung der Götter zusammen. Die Kultushandlungen sind im homerischen Leben zahlreich. Bei wichtigen Unternehmungen wird nie unterlassen, der Gottheit, deren Beistand man erhofft, ein O p f e r zu bringen, und in der Not gelobt man reiche Spenden für den Fall der Rettung 1 ). Bei j e d e r Mahlzeit weihte man eine Spende den Göttern 2 ). Bei Verfehlungen gegen die Götter waren Sühnopfer erforderlich 3 ). Vor solchen heil. Handlungen wusch man die H ä n d e und weihte sich mit Gerste. Dargebracht wurden besonders Tiere, z. B. dem Zeus ein 5 j ä h r i g e r Stier (Iliade 2, 403), dem Apollo Erstlingslämmer (Iliade 4, 102), der Athene zu T r o j a wird ein kostbares Gewand auf die Ivniee gelegt unter D a r b r i n g u n g von Weihrauch und mit Gelobung von 12 einjährigen Kühen (Iliade 6, 269 ff.). Dem Helios wird ein weisses und der E r d e ein schwarzes Lamm geopfert, Iliade 3, 103. Bei den Tieropfern wurden in der Regel nur die Knochen, mit Fett umwickelt, den Göttern geweiht u n d verbrannt, während man das Fleisch in fröhlicher Mahlzeit verzehrte. Auch Weinspenden wurden bei festlichem Mahl den Göttern regelmässig hingegossen. Die Götter sind sehr empfänglich f ü r solche Ehrungen und rächen sieh, wenn man die Opfer versäumt oder n u r kärglich entrichtet. Wettspiele, wie sie schon in dieser Periode den Göttern zu Ehren gefeiert wurden, werden bei Homer selbst nur den Toten zu Ehren bei der Bestattung abgehalten. Namentlich lässt Achill zu Ehren des gefallenen Patroklus solche in grossem Massstab auff ü h r e n : W a g e n r e n n e n , Faustkampf, Ringkampf, Wettlauf, Speerkampf 4 ). Aber auch zu Ehren der Götter waren solche Spiele schon üblich. So veranstalteten die Elier zu Olympia alle 4 J a h r e einen Wettlauf zu Ehren des Zeus, dessen Sieger seit dem J a h r 776 aufgezeichnet sind. Das Fest ist wahrscheinlich noch viel älter. Die Anschauung v o m Z u s t a n d n a c h d e m T o d e 5 ) ist bei Homer folgende: Beim Sterben enteilt die Seele in das Reich des A i d e s (Unsichtbaren) und seiner Gattin P e r s e p h o n e . Die Psyche trägt noch die Ähnlichkeit des betreffenden Menschen an sich. Aber e s f e h l t i h r d e r G e i s t , wie Nägelsbach u n d Rohde treffend bemerken. Von der Welt der Lebenden sind die abgeschiedenen Seelen durch einen breiten Strom, den O k e a n o s oder den A c h e r o n , getrennt. Erst der letzte Dichter der Odyssee nennt H e r m e s als den, der die Seelen in jenes Land geleitet. Dort existieren die Seelen zwar fort, aber höchstens halbbewusst, 1) 2) 3) 4) 5) S. 1 ff.
Iliade 2, 402 ff.; 4, 103; 6, 86 ft'.; 269 ff.; 7, 450 u. s. f. Vgl. z. B. Iliade 10, 579. Vgl. z. B. Iliade 1, 449 ff. Iliade 23, 257 ff. Vgl. bes. Erwin R o h d e , P s v c h e 2 (2 Bde., Freiburg 1898), I,
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Hesiod.
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traumhaft, schattenhaft. Nur von einzelnen dieser Schatten wird berichtet, dass sie in der Unterwelt — denn die Toten sind unterirdisch gedacht — noch dasselbe thun wie auf Erden. So verkündet Tiresias dort noch Gesichte, und der gerechte Minos richtet die Seelen. Durch Blut eines Widders und Schafes kann Odysseus die Seelen wieder zum Bewusstsein bringen. Die Idee der Vergeltung nach dem Tode tritt viel weniger hervor als später. Vereinzelt stehen bei Homer jene drei Exempel von in der Unterwelt ohne Aufhören leidenden Frevlern, Tityos, Tantalos, Sisyphos, von welchen später zu reden sein wird. Ebenso findet sich die Anschauung, dass auserwählte Lieblinge oder Wesensverwandte der Götter unter den Menschen nach dem Tod in ein e l y s i s c h e s G e f i l d e auf Inseln des Ozeans entrückt werden. Die Menschen können ja überhaupt von den Göttern unsterblich gemacht werden. Doch sinds nicht ethische Vorzüge, welche diese Unsterblichkeit eintragen. Ein Ganymed und Orion werden um ihrer Schönheit willen von den Göttern entrückt, Menelaos als Gatte der Helena, der Tochter des Zeus u. s. f. Allein dies ist nur das Los auserwählter Lieblinge der Götter, während gemein menschliches Schicksal die Toten in eine Unterwelt führt, wo sie leblos vegetieren, nicht ohne durch ausserordentliche Mittel (Tierblut) wieder aufgeweckt werden zu können. Im ganzen tritt die Totenwelt bei Homer mehr zurück, als dies später und wohl auch früher der Fall war; doch mag dies mit dem weltlichen und lebenslustigen Geist dieser Dichtungsart zusammenhangen. An die Stelle des frühern Begräbnisses ist bei Homer die Verbrennung der Toten getreten. Dabei werden zu besonderer Auszeichnung des Toten Menschen und Tiere geschlachtet und Wettkämpfc aufgeführt; dagegen ist von fortgesetzten Totenopfern, wie sie früher wohl üblich waren, nicht die Rede. So lang der Leib nicht bestattet, bzw. verbrannt ist, irrt die Seele unstät umher; nachher aber belästigt sie niemanden mehr. Für solche, deren Leib man nicht bestatten konnte, errichtete man wohl ein Kenotaphium als eine Art Wohnort für die Seele. Beachtenswert ist, wie Odysseus Od. 9, 64 f. die erschlagenen Gefährten dreimal mit Namen ruft, wohl damit sie ihm zur Heimat folgen und dort ihre Ruhestätte erhalten.
c) D i e
Hesiod ische
Dichtung2).
Eine neue Phase bezeichnet die unter dem Namen H e s i o d stehende Dichtung. Der epische Hexameter ist von ihr beibehalten, und der Dichter ruft noch die Musen an, die ihn inspirieren sollen, obwohl er kein eigentlicher Sänger mehr ist, sondern höchstens noch rezitierend gedacht werden kann. Der ganze Zweck und in1) Odvss. 11, 576 ff. 2) G. F. S c h ü m a n n , Die Hesiodische Theogonie, Berlin 1868.
Historische. E n t w i c k l u n g ' d e r g r i e c h i s c h e n
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Religion.
f o l g e dessen auch d e r T o n ist ein a n d e r e r g e w o r d e n . Das G e d i e h t soll nicht e r g ö t z e n , sondern b e l e h r e n , und z w a r ü b e r g ö t t l i c h e u n d m e n s c h l i c h e D i n g e . H e s i o d selbst, an dessen g e s c h i c h t l i c h e r E x i s t e n z zu z w e i f e l n k e i n G r u n d ist, nennt als seinen V a t e r e i n e n Dios v o n K y n i o , d e r sich in A s k r a a m H e l i k o n n i e d e r g e l a s s e n h a b e . S e i n e L e b e n s z e i t ist z w i s c h e n 9 0 0 und 700 v . Chr. anzusetzen, w o h l in d e r ersten H ä l f t e des 8. Jahrh,, also noch in d e r „ h o m e r i s c h e n " Z e i t . J e d e n f a l l s h a b e n das epische H e l d e n g e d i c h t u n d diese d i d a k tische P o e s i e sich n e b e n e i n a n d e r in Schulen f o r t g e b i l d e t , w e l c h e ein V o r b i l d n a c h a h m t e n . Auch die dem Hesiod zugeschriebenen W e r k e sind nicht alle v o n ihm. A m sichersten g e h ö r t ihm an d i e S c h r i f t über „ W e r k e u n d T a g e " ( t o y a xai fj/uegai), g e n a u e r d i e S c h r i f t : „ W e r k e " , zu w e l c h e r j e n e r T r a k t a t ü b e r die W a h l g ü n s t i g e r T a g e nur ein A n h a n g ist. D i e E r g a sind zum P r e i s e r e d licher A r b e i t g e d i c h t e t . Sie sind m i t den H e m e r a i das e i n z i g e W e r k , das Pausanias d e m H e s i o d z u s c h r e i b t und k ö n n e n am sichersten seiner F e d e r z u g e t e i l t w e r d e n . F ü r d i e A u t h e n t i e ( a b g e s e h e n v o n E i n s c h a l t u n g e n ) spricht auch d e r u n g e s u c h t e persönliche K ä h m e n des G a n z e n : H e s i o d m a h n t d a r i n seinen B r u d e r P e r s e s v o n s e i n e m unlautern T r e i b e n ab, d e r nach d e m T o d e des V a t e r s ihm e i n e n T e i l d e r E r b e s a b p r o z e s s i e r t hat und sich anschickt, ihm auch noch den Rest auf d i e s e l b e W e i s e zu r a u b e n . E r w a r n t ihn und auch seine R i c h t e r , d i e „ K ö n i g e " , v o r solcher U n g e r e c h t i g k e i t und stellt d e m B r u d e r v o r , er k ö n n e durch d e r a r t i g e n E r w e r b nie g l ü c k l i c h werden. E r soll v i e l m e h r durch r e d l i c h e n F l e i s s seinen U n t e r h a l t g e w i n n e n , b e i w e l c h e m A n l a s s a u s f ü h r l i c h e L e h r e n ü b e r den L a n d bau erteilt w e r d e n . F ü r d i e R e l i g i o n s g e s c h i c h t e ist, a b g e s e h e n v o n g e w i s s e n R e i n i g k e i t s v o r s c h r i f t e n , v o n W e r t d i e L e h r e v o n den f ü n f Weltalt.ern, V e r s 108 — 201, w o v o n nachher. W e n i g e r g u t ist d i e H e s i o d i s c h e A u t o r s c h a f t f ü r d i e h i e r w i c h t i g e r e „ T h e o g o n i o " b e z e u g t , w e l c h e v i e l l e i c h t erst in d e r pisistratidischcn Z e i t aus altern B e s t a n d t e i l e n z u s a m m e n g e s e t z t w o r d e n ist und e i n e s y s t e m a t i s c h e D a r s t e l l u n g d e r G ö t t e r - und H e r o e n w e l t bietet., w o b e i d i e G e n e a l o g i e das S c h e m a l i e f e r t , in w e l c h e s d e r g a n z e v e r s c h i e d e n a r t i g e Stoff g e f a s s t w i r d . Dieses K o m p e n d i u m b i l d e t z w a r eine s c h ä t z b a r e F u n d g r u b e d e r M y t h o l o g i e ; allein d i e e i n z e l n e n M y t h e n w i e d i e H e r o e n und d i e mit ihnen u n t e r m i s c h t e n G ö t t e r sind i h r e m B o d e n e n t f r e m d e t durch d i e h a r m o n i s t i s c h e A b sicht, alle zu E i n e m S y s t e m z u s a m m e n z u f ü g e n .
d)
Blütezeit
des
hellenischen
Volkstums.
D i e Ü b e r g ä n g e v o l l z i e h e n sich in d e r G e s c h i c h t e d e r g r i e c h i schen R e l i g i o n fast u n m e r k l i c h . Es fehlen hier die genialen Pers ö n l i c h k e i t e n auf r e l i g i ö s e m G e b i e t , w e l c h e E p o c h e m a c h e n u n d e i n e neue P e r i o d e e r ö f f n e n . So b i e t e t d i e B l ü t e z e i t des g r i e c h i s c h e n
Blütezeit des Volkstums.
589
Volkslebens, vom 7. J a h r h u n d e r t an, wesentlich n u r die Entwickl u n g der Elemente, welche schon in der „homerischen" Religion lagen. Doch konnten die neuen politischen Verhältnisse u n d Erlebnisse so wenig als das rege Geistesleben der Griechen, das auf dem Gebiete des Gedankens und der Kunst erwachte, ohne tieferen Einfluss auf die Religion bleiben. Das homerische Epos selbst hat auf die späteren Vorstellungen von der Götterwelt stark eingewirkt. Selbstverständlich war die Auffassung der Gottheit im Kultus stets eine ernstere gewesen und blieb es auch weiterhin. Aber die Vorstellung des Göttlichen nach menschlichem Ebeumass hat sich im Volke eingebürgert und selbst die ländlichen Gottheiten, die Homer wenig oder g a r nicht in den Bereich seiner Dichtung gezogen, vermochten sich dieser ä s t h e t i s c h e n Ausgestaltung, die so sehr dem griechischen Geiste entsprach, nicht ganz zu entziehen. Zugleich waren die von Homer besungenen Götter dem ganzen Volke v e r t r a u t geworden, und zwar in der ursprünglich mehr partikularen Gestalt, wie Homer sie dargestellt hatte. Zeus z. B. w a r zwar von jeher die allen Stämmen wohlbek a n n t e oberste Gottheit gewesen, welche j e d e r Gau auf seinem höchsten Gipfel thronend dachte. Jetzt aber wurde er f ü r alle der auf dem Olymp Ratsversammlung haltende Gott. Die Naivität dieses Polytheismus musste freilich in dem Masse schwinden, als die intellektuelle Bildung Fortschritte machte. Erleuchtete Geister konnten sich die Götter bald nicht mehr anders denn als geistig und sittlich vollkommene, allwissende und allgegen wärtige Wesen denken. Und da das von Homer übernommene Pantheon zu tief im Naturalismus wurzelte, als dass es sich davon hätte befreien lassen, konnte nicht ausbleiben, dass tiefere Geister sich davon abgestossen fühlten u n d sogar mit vollem Bewusstsein des Gegensatzes Homer und Hesiod verurteilten, welche den Griechen solche Götter geschaffen hätten. Allein dieser Zwiespalt tritt doch in dieser Periode erst vereinzelt so stark zu Tage. Im allgemeinen war man sich des Widerspruchs zwischen dem eigenen sittlich-religiösen Ideal und diesen Göttergestalten noch nicht klar bewusst, sondern sah eben in ihnen sein ideales Gegenbild. Nicht wenig t r u g dazu die bezaubernde bildende K u n s t bei, welche diese Götter verherrlichte. Statt der symbolischen Pfähle u n d roh gestalteten Hermen wagte man es jetzt, den Göttern, welche die Dichter so menschlich empfindend und handelnd geschildert hatten, auch eine entsprechende idcalnienschliche Gestalt zu geben. Hierbei hat der griechische Genius seine künstlerische B e g a b u n g am glänzendsten entfaltet. Auch diese Kunstwerke von Bildern wollten natürlich nicht mit der Gottheit identisch sein. Aber während bei den missgestaltigen Figuren der ältern Zeit der Wahn ausgeschlossen war, als böten sie eine getreue Abbildung der Gottheit, deren Gegenwart sie in E r i n n e r u n g riefen, mussten die bezaubernden Bilder von Zeus, Athene, Artemis u. a. zu dieser Vorstellung verleiten, nicht zu reden vom gemeinen Volksaberglauben,
590
Historische Entwicklung der griechischen Religion.
d e r ü b e r h a u p t ein heiliges Bild an heiliger Stätte mit d e m Gotte selbst in Eins zu setzen pflegt. Die heiligen Stätten w u r d e n desgleichen d u r c h die schöne K u n s t zu P r a c h t b a u t e n u m g e s t a l t e t . In i h r e n e n t z ü c k e n d e n T e m p e l n bewies die griechische B a u k u n s t ihre Ü b e r l e g e n h e i t ü b e r die orientalische. Nicht kolossale D i m e n s i o n e n , nicht p h a n t a s t i s c h e A u s s c h m ü c k u n g , s o n d e r n einlache H a r m o n i e d e r V e r h ä l t n i s s e u n d edle A n m u t bildeten ihren Vorzug. W ä h r e n d in d e r m y k e n i s c h e n P e r i o d e T e m p e l ü b e r h a u p t noch nicht n a c h g e w i e s e n sind, u n d in der n ä c h s t f o l g e n d e n Zeit das Gottesbild in e i n e r kleinen Cella gew o h n t hatte, woran sich ein p r i m i t i v e r Holzbau schloss, so entstanden n u n P r a c h t t e m p e l in j o n i s c h e m u n d dorischem Stil u n d w u r d e n d e r Stolz u n d die Zierde des Göttersitzes. Die Seele a b e r d e r g r i e c h i s c h e n Religion in dieser P e r i o d e w a r das O r a k e l z u D e l p h i , welches wie k e i n e d e r v e r w a n d t e n Anstalten eine c e n t r a l e B e d e u t u n g f ü r g a n z G r i e c h e n l a n d e r l a n g t hatte. In allen Angelegenheiten der Staaten u n d R e g e n t e n , sowie a n d e r e r a n g e s e h e n e r Persönlichkeiten s a n d t e m a n nach P y t Ii o (Delphi) u n d e r w a r t e t e namentlich in den F r a g e n des K u l t u s von dort die E n t s c h e i d u n g . Die wichtigeren Staaten G r i e c h e n l a n d s hatten zu Delphi b e s o n d e r e Schatzhäuser, wo sie ihre kunstvollen Weihges c h e n k e niederlegten. Mit diesem hohen Ansehen seines Orakels h ä n g t zusammen, d a s s A p o l l o , der V e r k ü n d i g e r des Willens der Götter u n d namentlich des Zeus, dem hellenischen Volksgemiit die liebste Gestalt u n t e r den Olympiern w u r d e . Ein a n d e r e s B a n d , welches die griechischen S t a m m e u m s c h l a n g , w a r e n die öffentlichen S p i e l e z u E h r e n d e r G ö t t e r . Dieselben mögen u r s p r ü n g l i c h gefeierten T o t e n oder H e r o e n zu Ehren regelmässig a u f g e f ü h r t w o r d e n sein 1 ). Sie w a r e n a b e r j e t z t einem der grossen hellenischen Götter geweiht. So die zu O l y m p i a dem Zeus, die auf dem Isthmos dem Poseidon u. s. w. Die Götter mussten wie die Heroen an d e r Schönheit, K r a f t u n d G e l e n k i g k e i t des Volkes F r e u d e h a b e n , das hier sein bestes Können sehen licss. Doch fehlt es auch nicht an einer tieferen religiösen S t r ö m u n g in dieser politischen u n d ästhetischen Glanzperiode. E i n e m y s t i s c h e Auffassung d e r Religion u n d ihrer Mythen k n ü p f t sich an den N a m e n des O r p h e u s , j e n e s tlirakischen Sängers, d e r a m Argonautenzug' teilnimmt u n d mit seinem G e s ä n g e Menschen u n d Tiere b e z a u b e r t . Die u n t e r seinem N a m e n b e f a s s t e Dichtung - m a c h t also den Anspruch, älter als H o m e r u n d Hesiod zu sein, was a b e r schon Ilerodot (2, 53) ablehnt. Aristoteles hielt f ü r ihren V e r f a s s e r den Onomakritos von Athen, d e r am Hof des Pisistratus O r a k e l verk ü n d i g t e . Vor d e r 2. H ä l f t e des 6. J a h r h u n d e r t s ist die Orphik nicht nachgewiesen. Die A n h ä n g e r dieser R i c h t u n g h a b e n eine b e s t i m m t e L e h r e 1) Einmalige Feier bei der Bestattung im homerischen Epos siehe oben S. 586.
Blütezeit des Volkstums.
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von den Göttern u n d der Religion, was bei der griechischen Volksreligion eigentlich nicht der Fall war. Sie stellten eine Theogonie auf, von der es freilich verschiedene Versionen gab. Das Charakteristische ist überall die p a n t h e i s t i s c h e Systematisier u n g der griechischen Religion, wozu u n v e r k e n n b a r morgenländische Einflüsse angetrieben haben. Dass die mystisch Angelegten sich solchen Inspirationen hingaben, beweist, wie wenig ihnen die klassische Götterverehrung, j a die heimische Götterwelt überhaupt genügte. Zwar heisst der Allgott bei ihnen Zeus; a b e r als den eigentlich Alles belebenden Gott feiern sie den f r e m d a r t i g e n Dionysos, mit dein Beinamen Zagreus. Die orphischen Kulte und Orgien tragen einen wilden, enthusiastischen Charakter. Die im Lande zerstreuten Gemeinschaften der Geweihten lagen ihnen unter der Leitung männlicher und weiblicher Priester ob. Der höhere Zweck bei diesen Weihen und Verrichtungen war aber, d i e S e e l e n a u s d e n Q u a l e n d e s D a s e i n s z u b e f r e i e n . Einzelne dieser Priester zogen im Land umher, um von Leid und Schuld geplagte Menschen von ihrer Qual, namentlich von bösen Geistern, zu befreien. Zwar nahm das Volk in Fällen der Not und Angst deren Hilfe in Anspruch. Aber diese dem Griechentum im Grund fremde Anschauung ist nie zu nationaler Anerkennung gelangt. Die orphischen Genieinden mit ihren eigentümlichen Satzungen u n d Lebensregeln blieben als eine Art Sekte oder Orden von der Staatsreligion abseits. Doch haben gewisse M y s t e r i e n , die sich mit den orphischen berühren, schon frühe allgemeine Anerkennung erlangt, besonders die von E l e u s i s , mit denen auch gewisse Weihen verbunden waren. Der dort Geweihte sicherte sich damit ein glückliches Dasein in der Totenwelt. Auch stehen Männer wie der fromme Sänger P i n d a r (geb. 521, gest. 441 v. Chr.) unter orphischem Einfiuss. Seine Ansicht in Bezug auf die Mythen ist übrigens, die Götter können nichts anderes als Schönes u n d Gutes tliun. Was gegenteiliges von ihnen berichtet werde, sei Erfindung der Dichter. Das schliesst nicht aus, dass er z. B. an den U m g a n g von Göttern mit sterblichen Weibern glaubt u n d diejenigen beglückwünscht, die solcher V e r b i n d u n g entsprossen sind. Auch bei Ä s c h y l o s und S o p h o k l e s tritt im ganzen nur die edlere Seite des Mythus hervor, während E u r i p i d e s unverhohlen den Widerspruch gegen die Überlieferungen und die Kritik der Götter zum Ausdruck kommen lässt 1 ). Ein weitgehendes Kecht, die Götter in menschlicher Unvollkommenheit darzustellen, war clen k o m i s c h e n Dichtern (Aristophanes) zugestanden. Die griechische P h i l o s o p h i e aber, die sich beim Denken (im Unterschied von der indischen) vom religiösen Gesichtspunkt u n d von aller Autorität emanzipierte, t r u g das Ihrige dazu bei, um den Gebildeten den Glauben an den überkommenen Mythus unmöglich zu machen. Nicht als ob die grossen Heroen der griechischen Philosophie eine der Volksreligion geradezu 1) Vgl. Jak. B u r c k Ii»vdt II, llOfl'.
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Historische Entwicklung- der griechischen Religion.
feindliche Stellung eingenommen hätten. Zwar tadeln mehrere von ihnen ausdrücklich die homerischen Phantasieen über die Götter; a b e r dem Volke wollte man im allgemeinen seinen Glauben u n d Aberglauben lassen. Allein der von den Philosophen aufgestellte G o t t e s b e g r i f f w a r ein völlig neuer, rein spekulativer, neben welchem die hergebrachte Mythologie nicht zurecht bestehen konnte. Die Grosszahl der Gebildeten begnügte sich denn auch gegen Ende dieser Periode mit einem solchen abstrakten Begriff' eines höchsten Wesens, gegen die Volksreligion verhielten sie sich gleichgiltig, wo nicht geradezu ablehnend.
e) H e l l e n i s t i s c h e
Zeit.
Die hellenistische Periode k a n n man von der Thronbesteigung A l e x a n d e r s (336 v. Chr.) an rechnen bis zum Untergang des griechischen Heidentums. Die politische Selbständigkeit Griechenlands ist zu A n f a n g dieser Periode dalringefallen, und damit hat auch die nationale Religion einen starken Stoss erlitten. Dennoch behaupteten sich die gewohnten Götter, die Orakel und Feste auch weiterhin, und der religionsgeschichtliche Übergang ist auch hier keineswegs als ein schroffer zu denken. Allein infolge der Eroberungen Alexanders breitete sich die griechische Kultur über die ganze Welt aus. Griechische Sprache, griechisches Denken u n d griechische Kunst wurden bis nach Indien bekannt. Auch die griechischen Göttergestalten und religiösen Vorstellungen fanden bis in weite F e r n e Eingang. Ebenso aber trat in der griechischen Heimat Religionsmengerei in bisher u n g e k a n n t e m Masse ein. Alexander selbst hat in Griechenland den dortigen Göttern nach lokalem Ritus gehuldigt. Aber auch den Göttern der barbarischen Länder, die er eroberte, bewies er Ehre als den Landesgöttern, ähnlich wie es K y r u s in Babylon gethan hatte. In Ägypten liess er sich durch das Orakel des Zeus Amon in der libyschen Wüste als Sohn dieses Gottes erklären, weshalb er auch mit Ainonshörnern abgebildet und bei den Arabern „der Zwiegehörnte" genannt wird. In dem eroberten T y r u s feierte er ein Fest zu Ehren des tyrischen Herakles u. s. f. Immerhin sandte er bedeutsamer Weise die erste Kriegsbeute seines Zuges der Pallas Athene nach Athen und am äussersten Ziel, am Ilyphasis angelangt, opferte er den zwölf olympischen Göttern unter Kampfspielen nach hellenischer Weise. So ist deutlich, (lass er ein hellenisches Weltreich aufzurichten gedachte; aber es lag ihm fern, die Religionen anderer Völker gewaltsam zu u n t e r d r ü c k e n ; viel lieber sah er die friedliche Verschmelzung der verschiedenen Bekenntnisse u n d Gebräuche. Auch seine Nachfolger waren im allgemeinen duldsam. Eine Ausnahme macht j e n e r Antiochus Epiphanes, welcher alles aufbot, um die Besonderheit der jüdischen Religion zu vernichten und durch
Hellenistische Zeit.
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seine Verfolgungen die Juden zum makkabäischen Heldenkampf entflammte. Von oben herab wie durch den gesteigerten Verkehr ist also dieser Zeit T h e o k r a s i e nahegelegt, und diese findet denn auch in starkem Masse statt. Z. B. wird der ägyptische Serapis gräzisiert, der griechische Dionysos aber, für den Alexander d. Gr. eine besondere Vorliebe hatte, mit orientalischen Elementen neu bereichert („indischer Dionysos"). Gegen die Zeit der Geburt Christi und noch in den folgenden Jahrhunderten wurde in Griechenland namentlich I s i s („und Osiris") verehrt, erst mit Demeter verschmolzen, dann aber unabhängig von dieser mit ihrem Geniahl Osiris. Diodor 1, 27 teilt eine griechische Inschrift mit, welche in Arabien zu lesen war und für die Auffassung der Göttin in dieser Zeit lehrreich ist: „Ich bin Isis, die Königin jedes Landes, gebildet von Hermes, und die Gesetze, welche ich gegeben habe, kann niemand aufheben; ich bin die älteste Tochter des Kronos, des jüngsten Gottes. Ich bin Weib und Schwester des Königs Osiris. Ich bin es, die zuerst den Menschen die Frucht fand. Ich bin die Mutter des Königs Horos. Ich bin es, die im Hundssterne aufgeht. Mir ist die Stadt Bubastis erbaut. Gegrüsst sei Ägypten, das mich erzog!" Isis hatte in Griechenland ihre besonderen Gemeinden und wurde in geräuscltvollen Mysterien unter Tänzen mit Begleitung der klingenden Isisklappern (Seistra) gefeiert. Ebenso fanden der Dienst der „syrischen Mutter" und der des M i t Ii r a im Lande Eingang und Pflege. Aber auch mit der eigenartigen Religion des J u d e n t u m s kamen die Griechen schon in nahe Berührung, ehe das Christentum aus dieser hervorgegangen war. Insbesondere A l e x a n d r i e n , die Gründung des grossen Eroberers, der diese Stadt zu einem Emporium machen wollte, wo Orient und Occident sich begegnen sollten, wurde in der That der Platz, wo Judentum und Griechentum sich gegenseitig befruchteten. Das hellenistische Gewand, welches die alttestamentliche Religion dort anzog, erleichterte dem aus ihr hervorgegangenen Christentum den Einzug in die gesamte gebildete Welt und unter den ersten Ländern, die von den Aposteln Christi mit Erfolg bereist wurden, war das klassisch gebildete Hellas, dem seine schönen Göttergestalten schon lange nicht mehr genügten und die fremden Mysterien, welchen sich viele in dunkler Sehnsucht zuwandten, keine dauernde Befriedigung gewähren konnten.
2. Die hellenische Götterwelt. *) In dem erhabenen Z e u s fasst sich die Fülle der Gottheit, soweit sie diesem Volke sich erschloss, zusammen. Er ist Gott, 1) Vgl. F. G. W e l c k e r , Griechische Götterlehre, 3 Bde. 1 8 5 7 - 6 3 . — J. A. H ä r t u n g , Die Religion und Mythologie der Griechen, 4 Teile, O r e l l i , Keligiunsgesuliichte.
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Griechische Götter: Zeus.
d e r Gott schlechthin, u n d z w a r von u r a l t e r s her, d e r Vater d e r Götter u n d Menschen, das H a u p t der Götterfamilie, d e r Schutzgott d e r Hellenen, u n d w i e d e r u m der einzelnen S t ä m m e . E r ist Himmelsgott, a b e r u r s p r ü n g l i c h a u c h der Gott d e r T i e f e als Zeus Chthonios. U n t e r allen Göttern ist er weitaus der mächtigste, m ä c h t i g e r als sie alle z u s a m m e n g e n o m m e n d e r alles sieht u n d hört, alles b e d e n k t u n d l e n k t 2 ) . Als H i m m e l s g o t t thront er auf den höchsten B e r g e n , vor allem auf d e m Olymp, der in den H i m m e l r a g e n d g e d a c h t ist. Seine Beziehung zum Himmel tritt auch d a r i n hervor, dass er a m häufigsten als W o l k e n s a m m l e r {vefpehfiyeQexa), R e g e n s p e n d e r u n d Blitzesender z u b e n a n n t u n d c h a r a k t e r i s i e r t w i r d . E r wird mit d e m Blitz in d e r H a n d a b g e b i l d e t , u n d die T h e o g o n i e erzählt, die K y klopen hätten Blitz u n d Donnerkeil g e s c h m i e d e t u n d ihm ü b e r g e b e n . A u c h die Ä g i s, welche er f ü h r t , scheint eigentlich die Sturmu n d W e t t e r w o l k e zu sein, die bald g l ä n z e n d , b a l d finster u n d von S c h l a n g e n (Blitzen) u m s ä u m t ist. Als der Licht- u n d K e g e n s p e n d e r ist er d e r B e f r u c h t e r der E r d e , d e r G e m a h l d e r E r d g ö t t i n ( H e r a ) ; a b e r auch w a s von seinen a n d e r e n Liebschaften erzählt w i r d , geht auf das Buhlen des himmlischen Lichtes u n d die Bef r u c h t u n g durch himmlisches Nass z u r ü c k . Seine e b e n b ü r t i g s t e T o c h t e r ist die aus seinem H a u p t e g e b o r e n e A t h e n e , wie d e r lichte Äther, d e r dem Himmel entstrahlt. Aber auch d e r M e lis c h e n V a t e r lieisst Zeus im eigentlichen Sinn, i n d e m die ber ü h m t e s t e n Heroen u n d Geschlechter von Ihm u n d einer sterblichen Mutter a b z u s t a m m e n sich r ü h m e n . Es v e r d i e n t B e a c h t u n g , dass d e r m ä c h t i g s t e u n d u r s p r ü n g lichste d e r griechischen Götter auch den a u s g e s p r o c h e n s t e n e t h i s c h e n C h a r a k t e r h a t : Zeus ist der T r ä g e r u n d d e r Hort d e r heiligen Gesetze, die dem Menschen vom Himmel g e g e b e n sind. E r r ä c h t den Mord, den T r e u b r u c h , E i d b r u c h (als Z. H o r k i o s ; deshalb ist d e r oberste S c h w u r d e r beim Zeus), die V e r l e t z u n g des G a s t r e c h t e s (Z. Xcnios) u n d j e d e r heiligen O r d n u n g . E r schirmt das H a u s r e c h t u n d Staatsrecht, das Stammes- u n d Völkerrecht. Dabei ist er den Menschen väterlich wohlgesinnt, f r e u n d l i c h , milde, wohlthätig. Leipzig 1865—73. — L. P r e l l e r , Griechische Mythologie. Erster Band: Theogonie und Götter. 4. Aufi. bearb. von Carl R o b e r t , Berlin 1894. W. H. R o s c h e r , Ausführl. Lexikon der griechischen und römischen Mythologie (im Erscheinen begriffen seit 1884). 1) Anschaulich stellt das Epos diese Überlegenheit dar, z. B. lliade 8, 13 ff., wo Zeus jeden Gott, der seinein Befehl trotze, vom Olymp herab in den Tartaros hinabzuschleudern droht und die Götter seine Ubermacht fühlen lässt, indem er sie auffordert, sie sollten nur samt allen Göttinnen an eine goldne Kette sich hängen, um ihn auf die Erde herabzuziehen, sie würden mit aller Anstrengung dies nicht vermögen; dagegen würde Er sie mitsamt der Erde und dem Meer leicht heraufziehen. 2) Im Epos versammelt er zwar die Götter zum Rate. Allein er ist nicht an ihren Rat gebunden, sondern kann auch gegen sie alle entscheiden.
Zeus und seine Genien. Kronos.
Uranos.
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Auch die Zeus umgebenden Genien lassen ihn als den Vater der guten Gesittung und wohlthätigen Rechtsordnung erscheinen: Er steht mit T h e m i s in naher Verbindung. Nach Äschylos (Prora. ^09) wäre dies eigentlich nur ein anderer Name für die Erde als die an feste Regeln bindende; daher ist sie Göttin der festen Sitte und Ordnung (bei Homer beim Mahl und auf dem Markt, bei Göttern und Menschen). Bei Hesiod (Theog. 901 ff.) ist Themis die zweite Gattin des Zeus (nach Metis), von welchem sie die Iiorcn und M o i r e n gebiert. Die Hören sind die Jahreszeiten in ihrer natürlichen Folge und mit ihren Gaben und Früchten. Sie sind mit Blumen und Früchten bekränzt, gegen die Menschen freundlich und liold, wenn auch den Ungeduldigen oft zu langsam. Ihre Namen sind nach Hesiod: Eunomia, Dike, Eirene. D i k e ist die jungfräuliche Tochter des Zeus, die ihm das Unrecht hinterbringt, das auf Erden geschieht, die heilige Urheberin der gesetzlichen Ordnung. E i r e n e ist die heiterste unter den Dreien, Mutter des Reichtums und der Lust. Später wurden gewöhnlich vier Hören nach den vier Jahreszeiten angenommen. So s t e l l t s i c h i n Z e u s d i e G o t t h e i t a m r e i c h s t e n u n d e r h a b e n s t e n d a r . Seine N a t u r b e f a n g e n h e i t tritt freilich in der Mythologie zu Tage, und zwar nicht etwa bloss im Epos, wo der Dichter auch des höchsten Gottes menschliche Schwächen zu zeichnen sich nicht scheut. Dahin gehören seine auch von der darstellenden Kunst mit Vorliebe verwerteten Liebeshändel, die dem Gott des unbeugsamen Rechts und der unverletzlichen Treue übel anstehen und deshalb mit der Zeit Widerspruch wachrufen mussten. Der theogonisehe Mythus, der von seinem Kampf um die Herrschaft erzählt, thut seinem ewigen, allgenugsamen Wesen ebenso Eintrag, wie die Heroensage, wo er nicht ohne Selbstsucht die Vorteile seines Geschlechtes wahrt. In ersterer Hinsicht tritt die Verendlichung des Gottes schon darin hervor, dass ihm e i n V a t e r , K r o n o s und e i n G r o s s v a t e r , U r a n o s vorgeordnet ist. Allein dies ist sicher eine sekundäre Ordnung des Mythus, die wahrscheinlich aus dem Bestreben stammt, ihn mit fremden höchsten Göttern in Beziehung zu setzen. Bei Uranos liegt nahe an den Bei Sainin (Himmelsbaal) der Phönizier zu denken, während der seine Kinder verschlingende Kronos an den verzehrenden Glutbaal erinnert. Dass die Mythen, welche von der G e b u r t und gar dem S t e r b e n des Zeus erzählen, nicht original griechisch sind, wird auch dadurch bestätigt, dass diese Vorstellungen besonders auf K r e t a daheim waren. Dort feierte man den von R h e a , der Göttin des Berges Ida, als Kind geborenen Zeus, der mit Milch und Honig genährt und durch die bewaffneten Kureten vor den Nachstellungen des Kronos bewacht wird. In Kreta zeigte man auch das Grab des Zeus. Das sind orientalische Züge, und der Dichter Kallimachos*) ereifert sich da1) Kallimachos, Hymn. Jov. 8. 250 v. Chr.
Derselbe blühte zu Alexandrien um
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Griechische Götter: Zeus.
Dione.
Hera.
g e g e n , i n d e m e r die K r e t e r b e s t ä n d i g e L ü g n e r schilt, d a sie beh a u p t e n , d e r e w i g l e b e n d e Gott sei g e s t o r b e n . I m a l l g e m e i n e n w u r d e im hellenischen K u l t u s u n d r e l i g i ö s e n L e b e n die u r s p r ü n g l i c h e E r h a b e n h e i t d e s Z e u s b e s s e r g e w a h r t als in d e r Mythologie u n d Poesie. D a b e i b l i e b d e r o b e r s t e Gott n i c h t in u n f r u c h t b a r e r Höhe, s o n d e r n e m p f i n g von allen G ö t t e r n a m m e i s t e n K u l t u s , sowohl l o k a l e n als a l l g e m e i n e n . Auf h o h e n B e r g e n v e r e h r t e m a n ihn u r s p r ü n g l i c h o h n e Bild u n d T e m p e l . Im a l t e n H e l l e n e n l a n d T h e s s a l i e n w a r e n a u s s e r d e m (an d e r G r e n z e von M a z e d o n i e n l i e g e n d e n ) O l y m p , an dessen F u s s sein K u l t u s b l ü h t e , a u c h d e r Ö t a u n d d e r P e l i o n ihm h e i l i g ; in A t t i k a d a c h t e m a n ihn auf d e m F a r n e s u n d dem I l y m e t t u s t h r o n e n d , in P h o k i s auf dem P a r n a s s , in d e r T r o a s auf d e m d o r t i g e n I d a u. s. f. E i n e seiner v o r n e h m s t e n K u l t u s s t a t t e n w a r a u c h O l y m p i a (in Elis), wo ihm die heiligen W e t t s p i e l e a b g e h a l t e n w u r d e n . Zeus g a l t n ä m l i c h i n s b e s o n d e r e a u c h als s t r e i t b a r e r II c 1 d e 11 g o 11 u n d V e r l e i h e r d e r M a n n e s k r a f t u n d T a p f e r k e i t , w a s bei d e m Gew i t t e r g o t t , d e r die u n h o l d e n Mächte besiegt ( T i t a n e n - u n d G i g a n t e n k a m p f ) nicht ü b e r r a s c h e n k a n n . Als der alles w i s s e n d e u n d alles b e s t i m m e n d e ist e r a b e r a u c h O r a k e 1 g o 11. Seine u r a l t e , ber ü h m t e O r a k e l s t ä t t e w a r D o d o n a (in E p i r u s ) , wo m a n seinen W i l l e n aus d e m K a u s c h e n des E i c h e n l a u b s e r l a u s c h t e . W ä h r e n d u r s p r ü n g l i c h d e r H i n n n e l s g o t t nicht bildlich d a r g e stellt w u r d e , u n d m a n h ö c h s t e n s d u r c h einen Stein o d e r P f a h l seine G e g e n w a r t a n d e u t e t e , k a m e n mit d e r Zeit Bildsäulen von i h m a u f , welche sich mit d e r E r h e b u n g d e r K u n s t z u m h e r r l i c h s t e n g e s t a l t e t e n , w a s H e l l a s an schönen Gebilden a u f z u w e i s e n h a t . Massg e b e n d w u r d e d a s kolossale s i t z e n d e Zeusbild, d a s P h i d i a s f ü r d e n T e m p e l in O l y m p i a mit r e i c h e m S c h m u c k von Gold u n d Edels t e i n e n v e r f e r t i g t e . Die H a l t u n g wie b e s o n d e r s d a s H a u p t des Gottes d r ü c k t e n r u h i g e M a j e s t ä t u n d zugleich v ä t e r l i c h e s Wohlwollen a u s u n d w u r d e n f o r t a n typisch. Die so vielen V ö l k e r n g e l ä u f i g e Weise, d e n Gott in e i n e m w e i b l i c h e n S e i t e n s t ü c k sich r e f l e k t i e r e n zu lassen, w a r a u c h d e n H e l l e n e n e i g e n . Nichts w e i t e r als ein solches W i d e r s p i e l ist D i o n e (Aid>vfj = J u n o , d. i. J o v i n o ) , die im K u l t u s e t w a als Beisitzerin des Zeus e r s c h e i n t . Seine e i g e n t l i c h e G e m a h l i n ist in d e r Mythologie H e r a , m i t w e l c h e r Dione k o m b i n i e r t w u r d e . Sie w i r d v o n m a n c h e n e b e n f a l l s auf ein d e r h i m m l i s c h e n Region entn o m m e n e s P h ä n o m e n z u r ü c k g e f ü h r t 1 ) , r i c h t i g e r a b e r als Personifikation d e r E r d e g e f a s s t 2 ) , w a s ihren M y t h u s a m b e s t e n e r k l ä r t . Sie w a r b e i d e n D o r i e r n b e s o n d e r s v e r e h r t , u r s p r ü n g l i c h wohl in d e r G e g e n d u m Delphi, d a n n b e s o n d e r s in A r g o s , M y k e n ä , S p a r t a , 1) So P r e l l e r : Hera eigentlich die Luft, Atmosphäre. R o s c h e r : Hera eigentlich der Mond wie Juno. 2) So schon Empedokles, Euripides, Plutarch. Vgl. das analoge P a r Uranos und Gäa.
Zeus und Hera
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Korinth, in Böotien und auf Euböa, auch auf Samos und Kreta. In Attika vermochte sie nicht einzudringen, vermutlich weil dort eine andere Erdgöttin (Demeter) herrschte. Ist Hera eigentlich die vergötterte Erde, so versteht sich leicht ihr eheliches Verhältnis zu Zeus, dem personifizierten Himmel, der sich mit jener, besonders wenn sie im Schmucke des Frühlings prangt, vermählt 1 ). Aus ihrer Umarmung geht alles pflanzliche Leben hervor. Aber auch der häufige Z w i s t z w i s c h e n Z e u s u n d H e r a ist daraus verständlich. In der Iliade ist derselbe zwar episch motiviert durch den glühenden, parteiischen Hass der Hera 2 ) gegen die Trojaner, die Feinde ihrer geliebten Argiver, welche diese Göttin besonders verehren; allein zu gründe liegt das Zürnen oder Trauern der Erde um die ihr entzogene Gunst des Himmels, welches die winterliche Jahreszeit aufweist, wo die Erde verlassen und verwitwet, im Traueranzug klagt. Die Aussöhnung folgt im Frühling. Dieses Schmollen der Hera wie ihre häuslichen Streitszenen hat die Göttersage und noch mehr das Epos ausgemalt. Bei einem solchen Auftritt hat Zeus den Sohn der Hera, Hephästos, vom Himmel auf die Erde hinabgeschleudert. Nach einer Vorstellung zieht sich Hera in ihrem Unmut vom Olymp in ein irdisches Heiligtum, einen Tempel oder eine Berggrotte, zurück. Da fingiert Zeus die Hochzeit mit einer andern. Alsbald stellt seine Gattin sich ein und will ihrer Nebenbuhlerin den Schleier abreissen; da eine hölzerne Puppe zum Vorschein kommt, lacht sie und verbrennt dieselbe. Dies geht auf Frühlingsfeuer. Ursprünglich stieg übrigens Hera nicht bloss auf die Erde, sondern in den Tartarus hinab, was an die Höllenfahrt der Istar erinnert. Jedenfalls ist Hera die edle, gestrenge, eifersüchtige Göttin der E h e und verlangt von den Frauen dieselbe strenge Keuschheit, die sie selber übt. Weniger tritt in ihr die Mutter hervor. Doch hat sie zwei Töchter, H e b e und E i l e i t h y i a , von denen namentlich die zweite Geburtsgöttin ist. Auch sie selbst wird als Geburtsgöttin in Argos verehrt. Sonst ist es die w e i b l i c h e H o h e i t , W ü r d e u n d E i f e r s u c h t in d e r E h e , was sie darstellt, und was auch in ihren künstlerischen Abbildungen ausgedrückt ist. Auch zürnend und trauernd wird sie abgebildet als „Witwe", die doch zugleich Braut ist, da die Trennung von ihrem Gemahl auf Wiedervereinigung zielt. Das geistig göttliche Wesen des Zeus reflektiert sich in eigenartiger Besonderung in A t h e n e , der Lieblingsgöttin Attikas, speziell der nach ihr benannten 3 ) Stadt Athen, die aber auch in Theben, in 1) Beschrieben wird diese Vermählung in epischer Gestalt Iliade 14, 153-351. 2) Sie möchte die Troer am liebsten allesamt roh verschlingen, sagt Zeus Iliade 4, 35. 3) Das Umgekehrte behauptet Ed. Alever, Gesch. des Altertums II, S. 115.
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Griechische Götter: Athene.
Arkadien u n d a n d e r w ä r t s seit Menschengedenken verehrt wurde. Die Beziehung auf die Natur ist bei ihr ganz zurückgetreten; doch lässt sich noch eine solche auf den lichten Äther erkennen, gcwissermassen das reinste, was aus dem Himmel hervorgeht; n u r darf man sich schon diese Grundanschauung nicht isoliert materiell denken. Nicht aus dem physischen Äther haben die Griechen das geistige Machtwesen gewonnen, welches sie mit dem Namen der Göttin bezeichnen, sondern das Phänomen diente nur als Reizmittel f ü r die Ausgestaltung der geistigen Idee. Bezeichnend ist, dass Athene nach gewöhnlicher Annahme nicht von einem Weibe geboren wird, sondern unmittelbar aus dem Haupte des Zeus hervorspringt 1 ). So ist Athene die vertraute Tochter des Zeus, mit der er wie mit seinem eigenen Selbst verkehrt, gewissermassen nur eine Hypostasierung seiner Metis. Sie ist mächtig, gewaltig, kriegerisch; sie gebietet über die Himmelskörper und schwingt die Lanze (Blitz), sowie die Ägis (wie Zeus), mit dem Haupte der Gorgo, das sie von Pcrseus erhalten hat. Der Anblick dieses Gorgonenhauptes (Mond oder Wetterwolke?) ist erschreckend und versteinernd. Ist nach dieser Seite als Tochter des Gcwittergottcs Athene die mannhafte, Göttin des Krieges und Beschirmerin ihrer Burg {TTQÖ/myog), speziell Besiegerin der Perser, so ist sie anderseits die T r ä g e r i n der Vernunft, des besonnenen Geistes daher auch nicht die wilde Kriegswut nach ihrem Sinn ist, sondern wohlüberlegte Kriegskunst. Ü b e r h a u p t aber ist sie die Spenderin edler Besonnenheit, geistiger Klarheit u n d T h a t k r a f t . Die ihr heiligen Tiere. Schlange u n d Eule-'), deuten ebenfalls auf besondere Klugheit. Sic ist die Göttin des Kunstfleisses, namentlich der weiblichen Kunstfertigkeit (als ¿gyary), daher auch mit dem Spinnrocken dargestellt, nebenbei Erfinderin der Flöte u n d Trompete. In A t h e n w u r d e sie besonders verehrt. Hier auf der Akropolis standen ihre Heiligtümer, das E r e c h t h e i o n und der P a r t h e n o n , letzterer mit ihrem Standbild. Nach einem Mythus hat P o s e i d o n sich mit Athene um die H e r r s c h a f t über Attika gestritten, musste sich aber mit einem zweiten Platze begnügen. Sie 1) Sekundäre Ausführung ist es, wenn Hesiod Theog. 886 ff. erzählt. Zeus habe sich zuerst mit der Metis vermählt, dann aber, als diese die Athene gebären sollte, sie verschlungen aus Furcht, ihr Sohn möchte stärker werden als er selbst. Verschiedene Versionen bestehen über die Art, wie das Haupt des Gottes sich öffnete. Es soll Hephästos oder Prometheus oder Hermes mit dem Beil das Haupt des Zeus gespalten haben. — Wenn Athene daneben auch T r i t o g e n e i a heisst, wodurch das Wasser — vielleicht ein an verschiedenen Orten gezeigtes, bestimmtes Wasser — als der mütterliche Schoss bezeichnet ist, dem sie entsprungen, so deutet dieser abweichende Mythus darauf, dass auch aus dem Wasser jener lichte Glanz aufleuchtet. 2) Der Glanz der Augen dieses Vogels kommt in Betracht (yXavjicS.Ti? von jdai'i, Eule), wie auch beim Ölbaum der silberne Glanz seiner Blätter. Auch mit dem Monde hat Athene Beziehungen.
Apollo.
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hat den ersten Ölbaum auf der athenischen Burg gepflanzt und damit dem Lande das kostbarste Geschenk gegeben. Zum Dank für alle Wohlthaten, die sie ihrer Stadt bewiesen, wurden ihr alljährlich die P a n a t h e n ä e n gefeiert, in besonders reicher Weise je im 5. Jahr. Dabei überreichte man ihr ein neues, mit kunstvoll eingestickten Bildern geziertes Obergewand {ne^cXog). Auf der Akropolis standen verschiedene Statuen der Athene von Phidias, welche den Typus für spätere hergaben. Die Göttin wurde kriegerisch mit Helm, Lanze und Ägis, und friedlich abgebildet. Sohn des Zeus und der L e t o 1 ) ist A p o l l o . Er ist, wie schon aus seinem Namen P h o i b o s 2 ) Apollon erhellt und schon die Orphiker und Stoiker gelehrt haben, eigentlich Licht- und Sonnengott. Doch war er früher Licht- als Sonnengott, als solcher neben Zeus etwa wie Mitra neben Varuna stehend, immerhin ihm untergeordnet. Mit der Zeit wurde er mehr mit Helios identifiziert. Doch stellt Apollo eine mehr geistige Fassung und Verselbständigung der göttlichen Macht dar, während Helios, trotz der ethischen Beziehungen, die sich an ihn knüpfen, mehr an das Phänomen des Sönnenballs gekettet blieb. Der N a m e A p o l l o n bedeutet jedenfalls nicht den „Verderber" ( = anollvmv), wie die Alten meinten, schwerlich aber auch den „Abwender", nämlich des Schadens (= äjteXXmv), wie Neuere wollten. Neuestens wird er mit aniXka = „Hürde" in Verbindung gebracht: der Hürden- oder H e r d e n g o t t 3 ) , womit andere Prädikate, die er trägt, übereinstimmen. Wird er doch bei den Doriern als Ap. K a r n e i o s (von karnos = Widder) verehrt und heisst auch Ap. Nomios, Gott der Weiden. Allein wenn wir auch dies zugeben, so halten wir doch für einen Fehlgriff, dass neuerdings aus diesem Gott ein ursprünglicher Genius der V i e h z u c h t ohne Beziehung auf das himmlische Licht gemacht wird. Vielmehr gerade als Lichtgott haben ihn schon die Hirten verehrt, und nur aus dieser seiner angestammten Natur erklären sich seine mannigfachen idealen Beziehungen und seine nahe Verwandtschaft mit dem Sonnengott. Zweifelhaft ist der Sinn seines Beinamens Avxeiog. Man kann ihn von i w o c , Wolf, ableiten, wie die Alten thaten, da Ap. in der That in Wolfsgestalt geschaut wurde, oder nach späterer Vorstellung der Wolf sein heiliges Tier war. Gerade als Beschützer der Herde konnte er Wolfsgestalt annehmen, um die Wölfe zu verscheuchen, wie er als Ap. S m i n t h e u s das Land vor den verderblichen Feldmäusen schützt, welches Tier ihm geweiht ist. Allein der Beiname Lykeios kann auch (vom selben Stamm wie lux: leuchten) ihn als den Strahlenden bezeichnen. Endlich lässt sich auch die Ableitung von der Landschaft L y k i e n ver1) L e t o , alte Göttin in Böotien, wo sie ursprünglich die Stelle der Hera vertrat als Gemahlin des Zeus. Sie ist mütterliche Gottheit, ihr Bild wird in der Regel mit denen ihrer Kinder Apollo und A r t e m i s verehrt. 2) Das Prädikat cpolßog bedeutet: strahlend, licht, glänzend. 3) So Ed. M e v e r , Gesch. des Alt. II, 97 f. nach R o b e r t . Vgl. auch C h a n t e p i e 2 S. 274 f.
600
Griechische Götter: Apollo.
fechten. Die Griechen haben ihren Apoll im asiatischen Sonnengott w i e d e r e r k a n n t u n d aus dessen Kultus bereichert 1 ). Sicherer weist auf die Lichtnatur des Gottes der Mythus von A p o l l o ' s W a n d e r u n g z u d e n H y p e r b o r e e r n , aus deren Land im fernen Norden er eigentlich stammen soll. Da Borcas den rauhen, winterlichen Wind bezeichnet, so sind die Hyperboreer ein Volk, das jenseits der nordischen Berge im hellen, ewigen Lichte wohnt. Dorther kommen Leto, Apollo, Artemis, dorther auch die Schwäne als lichte Vögel. Dorthin zieht sich Apollo ü b e r die winterliche Jahreszeit zurück. Man feierte in Delphi, Delos, Milet seine Abreise u n d seine R ü c k k e h r mit besonderen Gesängen. Doch dachte man sich in Delos, er reise über den Winter nach dem wärmeren Lykien, und zwar nach P a t a r a . — In der alten lakedämonischen Stadt Amyklä feierte m a n Apollo zu Ehren die Hyakinthien. Derselbe habe im Spiel seinen Liebling H y a k i n t h o s mit einem Diskuswürfe getötet 2 ). Aus dessen Blut wuchs j e n e Blume auf. Ob man nun darin einen gräzisierten phönizischen Adoniskult sehe oder die V e r d r ä n g u n g eines chthonischen Gottes durch Apollo, — jedenfalls weist der Diskus auf die verderbliche Glut des Sonnenballs hin. Mit Hermes hat Apollo besondere Berührungen. J e n e r treibt diesem die Herden weg, die Apollo aber wieder findet. Dies führt auf die richtige Spur. Denn diese entführten und versteckten Herden sind aus der indogermanischen Mythologie genugsam bek a n n t : es sind nicht irdische Schafe, sondern Wolken am Himmel. Schliesslich vertragen sich die beiden göttlichen Nebenbuhler brüderlich. Der eine gibt dem andern die Phorminx, dieser jenem den Zauberstab. Als der Ilirte himmlischer Kinder wird aber Apollo auch auf Erden hütend gedacht im Dienste des L a o m e d o n und des A d m e t . Dabei spielt er so schön, dass die wilden Tiere ganz zahm zuhören u n d die gefleckte Hirschkuh, das Lieblingstier des Apollo, tanzt. E r ist dabei heiter und liebenswürdig, spielt mit Nymphen (Daphne) und schönen Knaben (Hyakinth, Linos). Er ist e w i g j u n g , ein e d l e s V o r b i l d d e r m ä n n l i c h e n J u g e n d . Als solches steht er in den Gymnasien und Palästren neben Hermes und Herakles. Er zeichnet sich im Schnelllauf aus wie im F a u s t k a m p f . Gefürchtet ist er a b e r wegen der schnell u n d sicher treffenden Pfeile seines Bogens. Auch dies ist ein Zug, der sich n u r aus seiner Beziehung zur Sonne ungezwungen e r k l ä r t ; deren versengende Strahlen sind seine Pfeile. Diese treffen die blühende J u g e n d wie das Alter. In der Iliade b e k ä m p f t er mit seinen Todespfeilen die Griechen als Feinde seines Volkes, da er als Sonnengott in Asien verehrt wird. Ebenso tötet er mit Artemis die Kinder der Niobe, die sich in ihrem mütterlichen Glück mehr als Leto zu sein vermass. Namentlich unerklärlich rascher Tod wird auf ihn z u r ü c k g e f ü h r t . 1) Vgl. oben S. 234 f. 2) Vgl. oben S. 580.
Apollo und die Musen.
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Mehl- als tötender ist aber Apollo h e i l e n d e r G o t t , weil wesentlich wohlthätiger Natur. Da er das Unheil sendet, steht auch in seiner Gewalt es abzuwenden. Darum heisst er A l e x i k a k o s und A p o t r o p a i o s , A b w e h r e r d e s S c h a d e n s , G o t t des Heils. Als Heilgott ist er Vater des A r i s t ä o s und A s k l e pios. Auch er selbst ist Heilkünstler. Ebenso pflegt er die edle T o n k u n s t . An allen Festen des Apollo fanden musikalische und lyrische Aufführungen statt. Delos und Delphi waren lyrische Kunstschulen. Nach seinein Vorbild traten die Sänger in lange wallendem Gewand auf. Er führt die M u s e n 1 ) an, die zu seinem Saitenspiele singen. Zugleich aber ist Apollo der G o t t d e r M a n t i k ; er gilt als V e r k ü n d i g e r d e s W i l l e n s d e s Z e u s . Seher und Seherinnen (Sibyllen) .sind von ihm begeistert. Kassandra, die Apollo's Liebe verschmäht hat, findet deshalb nie Gehör mit ihren Weissagungen. Manche Orakel standen in seinem Dienste; das berühmteste ist das von D e l p h i . Hier hat Apollo den D r a c h e n P y t h o n mit seinen Pfeilen erlegt, der aus der Erde geboren, von den Bergen ins Thal herabstieg und die Felder verheerte. Nach diesem Siege stiftete er das Heiligtum P y t h o (IIv&w) und heisst fortan P y t h i o s . Der Triumphgesang, den er dabei anstimmte (Irj u) naifjov), wurde fortan viel gebraucht. Überhaupt wurde jener Sieg in der Erinnerung des Volkes erhalten durch die „Pythien", ein Hauptfest der Griechen mit Opfern, Prozessionen, musikalischen und gymnastischen Spielen. Jener überwundene Drache scheint eine chthonische Gottheit, welcher das Orakel zuerst gehörte, ehe es dem 1) Die M u s e n (Movnai), d. Ii. die Sinnenden, Ersinnenden, weilen an lauschigen Quellen als Nymphen in der Landschaft Pierien am Olymp; auch am böotischen Helikon, in der Heimat Hesiods, den sie inspirierten, wurden sie in einem heiligen Hain verehrt; unweit davon befand sich die Musenquelle A g a n i p p e und weiterhin, nahe dem Gipfel des Berges, die durch einen Hufschlag des Pegasus geöffnete Quelle H i p p u k r e n e . Dort war auch das Vorbild der schöner Kunst und Wissenschaft gewidmeten MovnsTa, die sich über alle Welt verbreiteten. Die Musen galten als Töchter des Z e u s und der M n e m o s y n e . Ihr Thal lag ja am Olymp, dem Berge jenes Gottes. Doch wurde namentlich A p o l l o der Führer dieser Genien der schönen Künste. Auch Dionysos hat Beziehungen zu ihnen. Gesang und Tonkunst der Musen sind in der altern Zeit überwiegend kultisch. Aber auch bei der Göttermahlzeit und den Festen der Menschen singen und spielen sie zur Erheiterung - . Seltener klagen sie, wie beim Tod des Achill (Odyss. 24, 60 ff.). Sie sind überhaupt Göttinnen des Gesangs, der Musik und Poesie. Ihre Neunzahl ist bei Homer nur an der obigen, jungen Stelle erwähnt. Sie wurde wohl erst mit der Zeit angenommen und ebenso jeder Muse ihr Bereich angewiesen, wie wir es in der hellenistischen Periode finden: K l i o gibt das Heldenlied ein, U r a n i a das astronomische, dann überhaupt das lehrhafte Gedicht, Melp o m e n e die Tragödie, T h a l i a die Komödie, T e r p s i c h o r e den lyrischen Chorgesang-, E r a t o das Liebeslied, K a l l i o p e die Elegie, E u t e r p e die Aulodie, P o l y m n i a ist die Muse des Tanzes. Von den Wissenschaften teilte man der Urania die Astronomie zu, der Klio die Geschichtschreibung, der Thalia die Landwirtschaft.
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Griechische Götter: Apollo.
Lichtgott Apollo zu eigen wurde, unter welchem es ein für ganz Griechenland massgebendes Institut geworden ist. Besonders beliebt ist Apollo aber auch deshalb, w e i l e r d e r V e r s ö h n e r u n d E r l ö s e r ist von allen den Leib verzehrenden und den Geist umnebelnden Sünden und Schäden. Manchc seiner Feste sind mit ernsten Siihngebräuchen verbunden, z. B. die Thargelien, Delphinien, Karneen. Sogar Menschenopfer k a m e n dabei vor. An den Thargelien wurden zu Athen zwei Verbrecher, ein Mann und eine Frau, als (pdg/uay.oi, d. h. „Heilende" (nämlich durch ihren Tod) in feierlicher Prozession unter Flötenspiel vor die Stadt geführt u n d geopfert. Man kann sich fragen, ob nicht diese blutigen Kulte von einem asiatischen Sonnengott entlehnt worden sind, den man mit Apollo identifiziert hatte. Von diesem selbst wird erzählt, er habe sich durch das vergossene Blut jenes Drachen verunreinigt und deshalb zur Busse fliehen müssen, bis er in den Lorbeerhainen von Tempc Reinigung fand. Seitdem fand der von den Furien verfolgte Mörder Schutz, Reinigung u n d Sühnung bei Apollo, der mit dem Lorbeerzweig seine Unreinigkeit abwischt und dem Schuldigen Werke der Busse f ü r eine bestimmte Zeit auflegt. Der diesem Gottc heilige Lorbeer bedeutet Weihe, Sühnung, aber auch Sieg, da an den Pythien die Siegeskränze aus Lorbeerzweigen geflochten waren. Apollo selbst hatte sich zuerst damit bekränzt. Als Geburtsstätte des Apoll gilt die Insel D o l o s , wo er seiner Mutter Lcto, die vorher lange Zeit, von Heras Eifersucht verfolgt, u m h e r g e i r r t war, als lichter Gott mit wallenden Locken entstieg, alles mit seinem Glänze verfolgend und gleich nach Bogen und Cither verlangend. Auch das Tempethal am Olymp mit seinen Lorbeerhainen war eine alte Stätte seiner Verehrung. Aber durch ganz Griechenland findet man seinen Kultus. Zu Delphi feierte m a n ausser seinen Theophanieen (Wiederkehr des Gottes von den Hyperboreern) auch T h e o x e n i e n , wo er bewirtet wurde, aber auch selber die übrigen Götter als Gäste aufnahm u n d auch einzelnen um seinen Kultus verdienten Personen diese Ehre widerfahren liess. Die Jonier beflissen sich eifrig des Apollodienstes, z. B. in Milet. Auf Kreta diente man dem M. Ael00 A n n e n oOO h i m m e l h o h e Felsb l ö c k e z u g l e i c h u n d b e g r u b e n d a m i t die T i t a n e n , w ä h r e n d Z e u s blitzte u n d d o n n e r t e u n d sie in d e n T a r t a r u s h i n a b s t ü r z t e . Die o l y m p i s c h e n G ö t t e r f e i e r t e n i h r e n Sieg d u r c h W a f f e n t ä n z e u n d Spiele u n d h e r r s c h e n s e i t d e m u n a n g e f o c h t e n . Diese g a n z e T h e o g o n i e zeigt die A n s c h a u u n g , dass d e r gegenw ä r t i g e Z u s t a n d d e r W e l t u n d d e s W e l t r e g i m e n t s die F r u c h t e i n e r l a n g e n Evolution ist, wobei die g ö t t l i c h e N a t u r sich a u s g e w i r k t u n d zu h a r m o n i s c h e r G e s t a l t u n g a u s g e b i l d e t hat. Solche Reflexion ist etwas r e l a t i v s p ä t e s ; sie sucht die m a n n i g f a l t i g e n Mythen, w e l c h e u n a b h ä n g i g von e i n a n d e r e n t s t a n d e n sind, s y s t e m a t i s c h zu vereinig e n . D e r a l t a r i s c h e H i m m e l s g o t t Zeus ist sicher u r s p r ü n g l i c h n i c h t als Sohn u n d N a c h f o l g e r des K r o n o s g e d a c h t w o r d e n , s o n d e r n als d e r Allvater, d e r k e i n e n V a t e r hat. K r o n o s u n d U r a n o s sind seine D o p p e l g ä n g e r , wie schon d e r N a m e d e s letztern beweist. Was K r o n o s a n l a n g t , so ist sein N a m e d u n k e l , d a d i e G l e i c h s e t z u n g m i t yj)ovo). Die R e l i g i o n der Neger im engern u n d weitern Sinn wird gewöhnlieh ohne weiteres als „Fetischismus" bezeichnet, worunter man in der Regel die göttliche Verehrung einer Menge von willkürlich gewählten geistlosen Einzeldingen versteht. Allein wenn auch fast bei allen eigentlichen Neger-Stämmen scheinbar solcher Kultus vorkommt und eine grosse Rolle spielt, so erschöpft sich ihre Religion doch nicht darin, und die A n b e t u n g von Steinen, Klötzen u. dgl. ist überhaupt nicht die Absicht dabei. Man hat mehr und mehr gelernt, diese Gebräuche tiefer aufzufassen. Es hat sich dabei gezeigt, dass der Fetischdienst nur eine Äusserung und Abart des G e i s t e r d i e n s t e s ist; ferner, dass der Fetisch eigentlich nirgends als der oberste Gott angesehen wird, sondern gerade den eifrigsten Fetischdienern, d. h. den Negern Westafrikas, ein höheres himmlisches Wesen bewusst ist. Auf ein solches weisen auch die Stämme, bei welchen der Geister- und Ahnendienst vorherrscht. Von diesem höchsten "Wesen sei zunächst die Rede. Schon W a i t z 2 ) schrieb: „Bei tieferem Eindringen kommt man zu dem überraschenden Resultat, dass mehrere Negerstämme, bei denen sich ein Einfluss höherstehender Völker bis jetzt nicht nachweisen und kaum vermuten lässt, in der Ausbildung ihrer religiösen Vorstellungen viel weiter vorgeschritten sind, als fast alle anderen Naturvölker, so weit dass wir sie wenn nicht Monotheisten nennen, doch von ihnen behaupten dürfen, dass sie auf der Grenze das Monotheismus stehen, wenn ihre Religion auch mit einer grossen Summe groben Aberglaubens vermischt ist." Seit 1860, wo dies geschrieben wurde, hat sich noch in weit ausgedehnterem Masse die schon von Wilson u. A. hervorgehobene und auch von Waitz f ü r manche Stämme anerkannte Thatsache herausgestellt, dass die Neger an einen von ihren Fetischen wohl unterschiedenen h ö c h s t e n , 1) Vgl. über die Religion der Neger ausser den S. 738 genannten Werken (z. B. H. A. J u n o d , Les Ba Ronga S. 377 ff.) besonders Wilh. S c h n e i d e r , Die Religion der afrikanischen Naturvölker, Münster i. W. 1891. Ausserdem W i l s o n , Western Africa, London 1856. — G. W a n g e m a n n , Ein Reisejahr in Südafrika, Berlin 1868. — D e r s e l b e , Südafrika nnd seine Bewohner, Berlin 1881.— Gustav F r i t s c l i , Die Eingebornen Südafrikas, Breslau 1872. — A. M e r e n s k y , Beiträge zur Kenntnis Südafrikas, Berlin 1875. — D e r s e l b e , Deutsche Arbeit am Nyassa 1894. — B u r k h a r d t - G r u n d e m a n n , Die evangelische Mission unter den Völkerstämmen Südafrikas, Bielefeld 1877. — A. R e v i l l e , L e s Religions des peuples non-eivilises, Paris 1883, I, S. 32 ff. — Vier Jahre in Asante, Tagebücher der Missionare R a m s e y e r und K ü h n e , bearbeitet von H. G u n d e r t , 2. Aufl. Basel 1875. — Heinrich B o h n e r , Im Lande des Fetischs, Basel 1890. — P. S t e i n e r , Die religiösen Vorstellungen bei den Westafrikanern u. s. w. Globus, Bd. 65 (1894), Nr. 3. 8. 11. 14. 18. 22. — Vgl. auch Fr. R a t z e l , Völkerkunde, Leipz. 1885 ff. — 0. B a u m a n n , Durch Maffailand zur Nilquelle, Berlin 1894. 2) W a i t z , Anthr. der Naturv. II, 167.
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g u t e n G o t t i m H i m m e l glauben, welcher d i e W e l t u n d d i e M e n s c h e n g e s c h a f f e n habe. Beachtenswert ist dabei, dass der besondere Name, womit sie diesen Gott bezeichnen, in keiner afrikanischen Sprache einen Plural bildet, sowie dass die Gottesvorstellung- wie bei so vielen wenn nicht allen primitiven Religionen mit dem H i m m e l v e r k n ü p f t ist, so dass dieses Wesen bald mit dem (beseelt gedachten) Himmel identifiziert, bald von ihm unterschieden wird als ein über ihm vorhandenes. So nennen die Tschi-Neger, zu welchen die A s c h a n t i gehören, Gott N j a m c , O n j a m e 1 ) , was den „Glanzvollen", „Herrlichen" bedeutet, eigentlich den lichten Himmel; denn mit demselben Wort bezeichnen sie auch den Himmel. Bei den Bantuvölkern der Westküste von den Duäla am Kamerunfluss südwärts bis zu den Herero heisst Gott: N j a m b e . „Auch diese W o r t f o r m kommt von „glänzen", u n d es schliessen die Ausdrücke Onjamo sowohl als Njambe neben der Bedeutung Gott auch die von Sonne und Himmel ein, n u r dass die erstere vorwiegt" (Steiner). Ausser Himmel und Sonne kann das für Gott gebrauchte Wort etwa auch liegen, Donner, Blitz bezeichnen. Das alles sind Äusserungen der im Himmel waltenden Macht. Den gütigen Gott im Himmel bezeugen auch manche Sprichwörter. So sagt man an der G o l d k ü s t e vom Säugling, der die Augen aufschlägt: „er schaut zu G o t t " ; von der Henne, die Wasser schluckt, sie zeige es Gott, d e r eben in der Höhe gedacht ist. Das Dasein Gottes gilt als so selbstverständlich, dass man im Sprichwort s a g t : „Niemand belehrt ein Kind über Gott." Er sieht und weiss alles. „Wenn du Gott etwas sagen willst, so sage es dem Wind!" lautet ein Sprichwort der 0 d s c h ¡ Sprache 2 ). E r hat alles gemacht, was da ist. Über die E n t s t e h u n g d e r W e l t und besonders der M e n s c h e n gibt es verschiedene Legenden, welche meist auf die schwarzen und weissen Menschen Rücksicht nehmen und die letztern als bevorzugt darstellen. Darin gibt sich freilich zu erkennen, dass sie wenigstens in dieser Gestalt erst entstanden sind, nachdem man mit den überlegenen Weissen Bekanntschaft gemacht hat. Häufig wird Gott der V a t e r der Menschen genannt. Er ist diesen im allgemeinen w o h l g e s i n n t und g u t m ü t i g . Aber gerade um seiner Güte willen, hört man von vielen Stämmen 3), sei es nicht nötig, ihn mit Opfern zu besänftigen und günstig zu stimmen wie die bösen Geister. Dies m a g in der Tliat ein Grund sein f ü r die auffällige Vernachlässigung dieses höchsten Gottes im Kultus. Daneben begegnet man ebenso häufig der Angabe, der Schöpfer der Welt und Herr des Himmels h a b e s i c h v o m R e g i m e n t z u r ü c k g e z o g e n und dasselbe unter1) Auch N j a n k o i n p o n g , wobei pong' = gross. 2) Bei J. G. R i i s , Elemente des Akwapim-DialeUts der OdschiSprache, Basel 1853, S. 175. 3) So z. B. in Süd-Guinea, in Loang-o, Kongo, Angola, Benguella und anderswo.
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geordneten Geistern überlassen, die weniger wohlgesinnt sind und daher auch die Opfer an sich ziehen 1 ). So wenig aber der grosse Gott damit bedacht wird, so ist er der Anbetung immerhin nicht ganz entzogen. Manche Stossseufzer werden vom Neger zu ihm gen Himmel gesandt, besonders in der Not und Gefahr und beim Erleiden von Unrecht. Namentlich beim Ordale, dem G o t t e s g e r i c h t des Rotwassertrinkens, wird in Ober-Guinea Gott dreimal feierlich angerufen. Das Sprichwort sagt auch: „Schickt dir Gott eine Krankheit, so besorgt er dir auch eine Arznei." Man betet auch beim Stamm der A s s i n i täglich zu ihm um Reis und Jams (beliebte Knollenfrucht), Gold und Kauri, Sklaven und Reichtümer, und um Gewandtheit und Schnelligkeit 2 ). Die Ga-Neger flehen bei Festlichkeiten den Segen Gottes auf den Fetischmann herab und dieser würde gar keinen Glauben finden, wenn er nicht des höchsten Gottes Namen beständig im Munde führte 3). Merensky hat verhältnismässig hohe Vorstellungen von dem väterlichen Gott des Himmels bei den K o n d e 4 ) am Nordende des Njassa-Sees gefunden. Gott wird im Gebet „Vater" angeredet vom Hausvater beim häuslichen, vom Häuptling beim gemeinsamen Kultus. Gott ist nach ihrer Beschreibung menschenähnlich, er wohnt über dem Himmelsgewölbe mit seinen Leuten, den Gotteskindern 5). Die Missionare beobachteten dort einen feierlichen Gottesdienst zur Zeit der Dürre 6 ): Die Häuptlinge versammelten sich am Ufer des Sees, am „Gottesstamm." Da wurde ein Opfer geschlachtet. Ein Häuptling als Vorbeter schöpfte mit einem Flaschenkürbis Wasser aus dem See, nahm davon in den Mund und blies es auf die Erde 7), bis das Gefäss leer war. Dann betete er: „ M b a m b a ! K i a r a ! Du hast uns Regen verweigert; schenke uns Regen, dass wir nicht sterben. Errette uns vom Hungertode, du bist ja unser Vater und wir sind deine Kinder und du hast uns geschaffen; weshalb willst du, dass wir sterben? Gib uns Mais, Bananen und Bohnen! Du hast uns Beine gegeben zum Laufen, Arme zum Arbeiten und Rinder auch; gib uns nun auch Regen, dass wir ernten können!" Bei Feindes-Gefahr beten sie etwa: „Die Feinde kommen, o Gott, stärke unsere Arme, gib uns Kraft! Gib deinem Volke, deinen Kindern, starke Herzen, damit der Feind nicht unsere Frauen raube und das Vieh, das du uns gegeben hast. Du bist Mbamba! Du bist 1) So sagen z. B. die Waganda (Ugunda), ihr höchster Gott Kat o n d a („Schöpfer") habe sich in seine Wohnung zurückgezogen und den Lubari (Geistern) das Regiment über Welt und Menschen anvertraut. 2) S c h n e i d e r , Rel. d. afr. Nat. 47 f. 3) B o h n e r , Im Lande des F. S. 78. 4) Der Name Konde entstanden aus Ba- oder Wa-Ngonde. Das Volk gehört zu den Bantustämmen. 5) M e r e n s k y , Deutsche Arbeit S. 110. 6) M e r e n s k y ebenda S. 115. 1) Dies ist eine bei den Bantu überall vorkommende, alte Weise der Gottesverehrung. Siehe S. 760.
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K i a r a ! S t ä r k e u n s ! " •— U n m i t t e l b a r beten auch die A b o n e g e r in K a m e r u n den Gott im Himmel an, indem sie nach j e d e m Satz ihn durch einen Pfiff zum Aufmerken m a h n e n . E s b e d a r f zu s e i n e r Anrufung keines Priesters, a b e r nur wer nicht sündigt, k a n n ihn anrufen, daher alte Leute, die nicht m e h r zur Sünde die N e i g u n g und K r a f t haben. Man bittet Gott um W e i b e r und alles irdische Gut, und stellt dabei seinen Besitzstand g e r i n g e r dar, als er ist. Gott kennt ihn also nicht g e n a u . A u d i preist man die eigene T u g e n d ihm an. W a s die s ü d l i c h e n B a u tu- oder Kafir-Völker a n l a n g t , so tritt, j e weiter man nach Süden kommt, desto m e h r j e n e s o b e r s t e W e s e n z u r ü c k . A b e r nach Livingstones Zeugnis ist es auch bei den am tiefsten g e s u n k e n e n dieser S t ä m m e eine triviale W a h r h e i t , dass es einen Gott g e b e . Ihm schreibt man die E r s c h a f f u n g des Menschen zu, a b e r aucli plötzliche T o d e s f ä l l e . Bei diesen Südafrikanern steht der A h n e n d i e n s t in voller B l ü t e und hat wahrscheinlich den Dienst Gottes v e r d r ä n g t . Namentlich steht gewöhnlich an der Spitze der Geister ein U r a h n oder U r m e n s c h als o b e r s t e r der Abgeschiedenen, wie bei den Zulu U m k u l u m k u l u x ). Allein der Schluss, dass ein Gott im Himmel hier nie b e k a n n t gewesen sei, ist übereilt. Das Gegenteil wird von K e n n e r n bezeugt. Doch heisst derselbe nicht m e h r „ H i m m e l " , sondern gewöhnlich „ V a t e r " , „ U r v a t e r " oder „ d e r A l t e " , wie auch j e n e r U r m e n s c h und wird von diesem v e r d e c k t . Das W o r t U m k u l u m k u l u steht in m a n c h e n Fällen u n v e r k e n n b a r für Gott. E r ists, d e r die E r d e befruchtet, E r der G e s e t z g e b e r , w e l c h e r die Ordnungen der Gesellschaft, die Unterordnung der F r a u e n , den T o d des Menschen bestimmt hat. „Ohne Zweifel hat dieses Volk (die Zulu) einst den H i m m e l , von dem es seinen Namen trägt, für den Sitz und die E r s c h e i n u n g des unsichtbaren Gottes gehalten. Sie versichern die K u n d e von einem K ö n i g e , der droben thront, nicht erst von den E u r o p ä e r n e m p f a n g e n zu h a b e n " 2 ). Auf die F r a g e , woher das K o r n k o m m e , haben die Alten g e a n t w o r t e t : „ V o m Schöpfer, d e r alles g e m a c h t hat, d e r auch die Fürsten ins Dasein gerufen h a t . " A u f die F r a g e , wo denn der Schöpfer sei, den niemand sehen könne, antworteten wiederum die A l t e n : ,,Der U r h e b e r der Dinge ist dort o b e n ; auch g i b t es viele Menschen dort; er a b e r ist der H e r r der H e r r e n " 3 ). In g r o s s e r Gefahr ruft man i m m e r noch den Himmel an 4 ). W i e den Z u l u hat man den B e t s c h u a n e n erst alle Religion 1) Der Name, ist in der südlichsten Kaffernspraehe zu Mulungu oder Muungu in Suaheli zusammengeschrumpft. 2) W. S c h n e i d e r a. a. O. S. 67 f. 3) Ohne den Wert dieser Aussagten antasten zu wollen, bemerken wir immerhin, dass solche Fragen nicht unbedenklich sind, da der Neger es als Gebot der Höflichkeit betrachtet, die Antwort zu geben, die man hören will. Arn sichersten ist, wenn man ihn bei seinen religiösen Gebräuchen überrascht. 4) Siehe A. R e v i l l e , Rel. des peuples non-eiv., S. 142.
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abgesprochen. Allein auch sie waren nicht befremdet, als die Christen ihnen von ihrem Gott sprachen, sondern nannten diesen sofort M o r i m o . Dieser Name (bei den Basuto: Modimo) begegnet bei verschiedenen Stämmen; bei den B a s u t o ist er Schöpfer der Welt, Herr über Leben und Tod, Glück und Unglück. Allerdings wird auch jedes Zaubermittel Modimo genannt; der Name bedeutet Göttliches und den Göttlichen schlechthin. Übrigens scheint die Gottheit hier mehr mit verderblichen Wirkungen in Verbindung gebracht zu sein. Der Sohn des Basuto-Häuptlings Moschesch sagte zu einem Missionar, welcher die Barmherzigkeit Gottes pries: „Wollt ihr von einem guten Gotte reden, so gebet ihm einen Namen aus eurer Sprache; aber saget nicht, dass unser Molimo gut sei" 1 ). Die am mittleren Sambesi wohnenden M a r u t s e (Barotse), auch ein Bantuvolk, zeigen deutlich den Glauben an ein höchstes Wesen. Sie nennen diesen alles sehenden Gott aus frommer Scheu gewöhnlich nicht mit seinem eigentlichen Namen, sondern heissen ihn auch M o l e m o , was auch Geister, Zaubermittel u. dgl. bedeuten kann. Sie denken dabei aber oft an den Einen Gott und indem sie es vermeiden, seinen Namen (Njambe?) auszusprechen, heissen sie ihn etwa einfach „ E r " oder „Er da oben" und weisen dabei gen Himmel. Stirbt jemand, so heisst es: „Njambe rief ihn weg." Die vom Sambesi ins Basutoland vertriebenen M a l e p a zeigen Anklänge an die biblische Überlieferung. Ihr Gott hat erst den Mann, dann das Weib geschaffen. J a , sie wissen auch von einer grossen Flut, in der einst alle Menschen umkamen, eine Erinnerung, welche man auf die Semiten zurückführen könnte, welche aber auch sonst in Afrika vorkommt 2 ). Nach dem Tod vergilt Gott den Seelen das Gute und das Böse. Nach Wangemann rufen sie den Geschiedenen als Abschiedsgruss nach: „Schlaf wohl, schlaf bei Gott!" Bei den B a Ronga hat J u n o d 3 ) neuerdings nachgewiesen, dass ausser dem Ahnenkult, der auf den ersten Blick die ganze Religion dieses Stammes auszumachen scheint, eine merkwürdige Anschauung vom H i m m e l existiert, der als höchstes, aber eher unpersön1) W . S c h n e i d e r a. a. 0 . S. 74. .. 2) C. Hugo H a h n teilt folgende Überlieferung- der südwestafrikaliisclien H e r e r o mit, deren Entstehung- unter christlichem Einfluss er für unmöglich hält: „Vor undenklich langer Zeit waren die grossen Alten droben im Himmel über die Menschen erzürnt und Hessen deshalb den Himmel auf sie fallen (d. h. eine furchtbare Regenflut über sie kommen). F a s t alle Menschen wurden getötet. Die Wenigen, welche erhalten blieben, schlachteten ein schwarzes Schaf zum Sühnopf'er, worauf die Grossen im Himmel den Himmel wieder zurückzogen, d. h. den Regen aufhören liessen. Vor dem Herabsturz des Himmels konnten die Menschen dort, wo Himmel und E r d e sich begegnen, in den Himmel hineinkommen; aber das ist seitdem unmöglich. An der Grenze wohnen jetzt Riesen mit einem A u g e und Ohr, einem gelenklosen Arm und Bein, die, einen jeden, der versucht, in den Himmel zu steigen, bei den Beinen wieder herabziehen" (bei F r a n z D e l i t z s c h , Neuer Komm, zur Genesis 1887, S. 162f.). 3) Siehe das Nähere bei H. J u n o d a. a. 0 . S. 408 ff.
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liches Wesen gedacht ist. Der Himmel (Tilo genannt, dasselbe Wort wie Zulu) ist die Macht, welche nicht nur den ersehnten Regen schickt und im Gewitter sich offenbart, sondern auch plötzliches Sterben, besonders der Kinder durch K r ä m p f e , und ebenso die Geburt von Zwillingen verursacht, welches Ereignis als Zeichen seines Zornes angesehen wird. Endlich aber ist es der Himmel, der allein mit Sicherheit den Dieb entdeckt und als Blitzvogel, d e r sich auf dessen Hütte niederstürzt, bestraft. Nach allem Anschein haben wir hier die T r ü m m e r eines f r ü h e r lebendigeren Glaubens an den allwissenden, das Böse bestrafenden, Leben und Wohlthaten spendenden Himmelsgottes. Bei den H e r e r o , einem westlichen Bantuvolk, findet sich die Vorstellung eines höchsten Gottes, der Sonnenschein u n d Regen spendet. Nach Josaphat Hahn heisst derselbe M o k u r u ; sein Kult ist jedoch durch den Ahnenkult etwas v e r d r ä n g t worden. Fritsch will sogar in diesem Mokuru nur einen besonders verehrten Ahnengeist sehen. Allein es mag sich damit ähnlich verhalten wie bei den Hottentotten. Die H o t t e n t o t t e n bilden, wie oben b e m e r k t wurde, einen Menschenschlag f ü r sieh und haben mit den Bantu nichts zu tliun, welche diese Stämme verachten, wie auch die Europäer sie besonders ungünstig beurteilt haben. Namentlich hat man ihnen j e d e Religion allgesprochen '). Allein schon Peter Kolbe a) hat gewusst, dass sie ein höchstes Wesen verehren, welches mit einem sagenhafteil Fürsten kombiniert ist. Bei den N a m a heisst er H e i t s i E i b i b , bei den K o r a n a : T s u i k o a b . Gewisse Züge deuten auf den M o n d . Möglich ist, dass ein wirklicher Held als Urmensch gefeiert und mit dem Himmelsgott identifiziert wurde. Jedenfalls kennen auch die Hottentotten eine h i m m l i s c h e Gottheit. Peter Kolbe bezeugt, dass sie bei festlichen Tänzen zur Zeit des Neuund Vollmondes diesen a n r u f e n : „Sei gegrüsst! Mache, dass wir viel Honig bekommen, dass unser Vieh zu fressen habe und uns reichlich Milch g e b e ! " Kolbe denkt sich die Sache so, dass sie im Mond eine untergeordnete Gottheit oder ein Abbild des Himnielsgottes verehren. Dafür spricht, dass von anderer Seite auch Sonnenkult bei ihnen bezeugt ist 3 ). Die niedrigsten von der Sippe der Hottentotten sind die viel gejagten B u s c h m ä n n e r . Auch diese Leute, die man den Tieren in allem Ernste beizuzählen sich berechtigt glaubte, k e n n e n nach neuern Ermittelungen ein höchstes Wesen, das sie K a g e nennen, und beten zu ihm, der alle Wesen geschaffen habe. So stellt sich in Bezug auf diesen wichtigen P u n k t eine 1) So John L u b b o c k mit Berufung auf den Missionar M o f f a t , den Schwiegervater Livingstones. 2) Peter K o l b e n s Beschreibung des Vorgebirges der Guten Hoffnung, Frankf. u. Leipz. 1745. 3) W. S c h n e i d e r a. a. O. S. 58 f.
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überraschende Übereinstimmung bei den Negervölkern heraus. Auch zeigt ihre Auffassung der Gottheit nicht selten eine Höhe, welche bei dem nebenherlaufenden wüsten Geisterglauben u n d Zaubertreiben um so bemerkenswerter ist. Noch sei darauf aufmerksam gemacht, dass das höchste Wesen sich in gewissen Gegenden nach verschiedenen Manifestationen spaltet: ein Donner-, Blitz-, Kegengott u. s. w. neben Sonnen- und Mondgott auftritt, während anderswo diese Phänomene Attribute des Einen Gottes geblieben sind. Zweitens sei nicht übersehen, dass mit diesem obersten Gott auch m o r a l i s c h e Eigenschaften v e r b u n d e n sind und das Recht wie das Gute in ihm seinen Bcschützer hat 1 ). Zum Beleg dafür sei ausser den oben angegebenen A n r u f u n g e n beim Ordale und beim Eid, wo Gott, nicht der Fetisch, zum Zeugen angerufen wird, noch ein beachtenswertes Zeugnis von Steiner angeführt. Derselbe schreibt von den Negern der G o l d k ü s t e : „Wer Vater u n d Mutter oder seine Vorgesetzten ehrt, nicht tötet oder heimtückisch ist, nicht die, Ehe bricht, nicht stiehlt, kein falsches Zeugnis redet, nicht habgierig ist (das alles gebietet oder verbietet schon die heidnische Negermoral) — der wird im Völksmunde N j o n g m o b i , d . i . „Gotteskind", im Gegensatz zum A b o n s a m b i , d. i. „Teufelskind" bezeichnet". Von tieferer E r k e n n t n i s zeugt auch das Sprichwort: „Der Mensch ist nicht gut", (sondern böse). Bei den oben (S. 739 1.) als hamitiseh aufgeführten Völkern lässt sich zum Teil, auch wo sie nicht zum Islam übergetreten sind, ein ausgeprägter M o n o t h e i s m u s nachweisen, so bei den heidnischen G a l l a . Diese nennen ihren Gott W a k , W a k a , d. i. H i m m e l s g o t t . Sie verehren ihn als S c h ö p f e r der Welt u n d Spender aller guten Gaben. Auch wird er die Toten nach ihren Werken richten. Jährlich wird ihm ein Fest gehalten, wobei er angerufen w i r d : „O W a k ! gib uns Kinder, T a b a k , Korn, Kühe, Ochsen und Schafe. Bewahre uns vor Krankheiten, und hilf uns unsere Feinde, die Sidima (Christen) und die Islama, töten. 0 W a k , nimm uns zu dir, führe uns in den Garten, führe uns nicht zum Satan u n d nicht ins F e u e r ! " Götzenbilder gebrauchen die Galla nicht. Die M a s s a i , welche derselben Gruppe anzugehören scheinen, d r ü c k e n ihre Gottesvorstellung durch den Namen E n g a i oder N g a i aus, der Himmel und Regen bedeutet. Mit E h r f u r c h t blicken sie auch zu den Schneegipfeln des Kilimandscharo empor, auf dem sich der Gott oft niederlasse. Dass ihr Gott im Himmel seinen Sitz hat, geht auch daraus hervor, dass sie ihn stehend, mit 1) Die gang-bare Meinung', als ob die Religion auf den niedern Stufen des Naturismus und Animismus noch nichts mit der Moral zu thun hätte, trifft nicht zu. A. R é v i l l e , welcher (a. a. 0 . S. 118 ff.) ihr beipflichtet, macht selber (S. 122) die O r d a l i e n und die R e c h t s p f l e g e der geheimen Gesellschaften dagegen geltend. Das sind aber nicht Ausnahmefälle, sondern alle richterliche und moi-alische Autorität wird schon von den Negern und Kaffern rclig'iös begründet. Siehe z. B. was R é v i l l e selbst S. 140. Inf» i. über die letztem bernerut.
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Afrikanische Religionen: Geisterglaube. Fetischismus.
erhobenen A r m e n , G r a s b ü s c h e l in d e n H ä n d e n haltend, a n r u f e n , u n d dass sie die Sterne N g a i ' s Augen heissen. Sie sagen, in der grossen Regenzeit, wo die R i n d e r fett w e r d e n , vergiesse d e r Gott F r e u d e n t h r ä n e n ; in d e r kleinen Regenzeit, wo sie a b m a g e r n , weine er über die Gleiehgiltigkeit d e r Massai. Diese seien ü b r i g e n s sein auserwähltes Volk, dem er alle R i n d e r zugewiesen habe, so dass sie a n d e r n die ihrigen mit Recht r a u b e n . — A u c h einen Mittler n a m e n s N e i t e r k o b r u f e n sie um R e g e n an, wohl einen Erdgeist, da E n k o b = E r d e .
2. G e i s t e r g l a u b e und F e t i s c h i s m u s bei den n ö r d l i c h e n Negervölkern. Von einem eigentlichen G o t t e s b e g r i f f oder einem theologischen System ist bei all diesen N e g e r n keine Rede. Es ist eine dunkle, oft f e h l g r e i f e n d e Empfindung, welche sie an die Gottheit erinnert, u n d w ä h r e n d dieser g ü t i g e Vater in weiter F e r n e über d e m Himmel thront, sind auf der E r d e so viele w i d e r w ä r t i g e Einflüsse im L e b e n s p ü r b a r u n d so m a n c h e r l e i Mächte r e g e n sich da, dass das kindische Auge hier alles voll G e i s t e r sieht, die es meist unheimlich u n d unheilvoll a n s t a r r e n . Nicht die A n b e t u n g von Holz u n d a n d e r n materiellen Dingen, sondern der s t a r k a u s gebildete G e i s t e r g l a u b e ist das Charakteristische dieser Religion. Wo sich die N e g e r ü b e r das Verhältnis dieser Geister zu dem höchsten Gott im H i m m e l aussprechen, da n e n n e n sie dieselben Gesandte Gottes, seine K i n d e r , seine u n t e r g e o r d n e t e n Diener, welche er in die Welt g e s c h i c k t oder welchen er die H e r r s c h a f t ü b e r die Menschen ü b e r g e b e n hat. Diese Geister ohne Zahl n e h m e n n u n bei den nördlichen N e g e r n in der Regel, a b e r g a r nicht i m m e r , in sinnlichen Dingen ihre B e h a u s u n g ; das von ihnen beseelte Ding (vom A k r a n e g e r wong g e n a n n t ) k a n n sehr v e r s c h i e d e n e r A r t u n d N a t u r sein. Die E u r o p ä e r h a b e n sich an die B e n e n n u n g „ F e t i s c h " g e w ö h n t 1 ) . Dieses W o r t ist dem französischen fetiche, u n d dieses dem portugiesischen feiti9o e n t n o m m e n , welches selber vom lateinischen factitius s t a m m t u n d d e m n a c h den künstlich g e m a c h t e n Götzen oder Z a u b e r a p p a r a t bezeichnen sollte. Man hat d a n n das W o r t auf alle Dinge a u s g e d e h n t , welche d e r N e g e r als von einem Geist beseelt ansieht, obwohl dieselben k e i n e s w e g s i m m e r von Menschenh a n d g e m a c h t sind. So n e n n t m a n Fetisch uneigentlich auch das Meer u n d die Ströme, weil d e r N e g e r sie als von Geistern besessen betrachtet samt dem w a s d a r i n ist, f e r n e r einzelne Bäume, Tiere, namentlich das Krokodil, F l u s s p f e r d , gewisse Schlangen- u n d 1) Besonders seit de B r o s s e s , Dissertation sur les dieux fétiches, Paris 1760.
Fetischismus.
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Affenarten; aber auch gewisse Flecken Landes, die als heilig eingezäunt sind, und alle Termitenhaufen. Der eigentlichen Bedeutung des Wortes entsprechen rohe, aus Holz geschnitzte oder aus Lehm geformte Bilder, welche den Geist nicht nur darstellen sollen, sondern von ihm bewohnt sind. Aber auch beliebige Gegenstände, ein Nagel, eine Tigerklaue, ein Stück Zeug können sich als Fetisch, genauer als Sitz eines Dämons kundgeben, oder auch von einem Fetischmann mit dem Dämon in wirksamen Zusammenhang gebracht werden. Eine grosse Rolle spielen eigens dazu präparierte Objekte, von denen ein schirmender oder verderblicher Zauber ausgehen soll. Auch diese Amulette 1 ) werden Fetisch d. h. wong u. s. w. genannt. Offenbar ist diese Benennung auch bei den Afrikanern selbst eine ungenaue, und drückt recht verschiedene Beziehungen aus, welche zwischen dem sinnlichen Gegenstand und einem Dämon bestehen können. Die angesehensten Fetische sind nicht Privateigentum und auch in der Kegel nicht von Menschenhand gemacht. Die Nationalund Stainmfetische sind in der Regel ein Fluss, ein See, ein Felsen, ein Baum. Doch figurieren häufig schon als Stadt- und Dorffetische, die man um Schutz und Segen anfleht, plumpe, mehr oder weniger menschlich gestaltete Figuren. Aber auch jedes Haus hat seinen Fetisch, der sich in einer Ecke des Hofes oder an der Thüre oder in einem besondern Gemach des Wohnhauses befindet. Endlich trägt der Einzelne einen Fetisch mit sich herum, der ihm Glück verleiht und ihn gegen Zauberei schützt. Dies sind in Wahrheit auch nach dem Negerglauben keine Götter, sondern Amulette, die mit einem Geiste in Zusammenhang stehen. Aber auch der Mensch selbst ist fähig, gute und böse Geister in sich aufzunehmen. Sein guter Schutzgeist heisst in der Tschispräche O k r t l 2 ) . Dieser umgibt ihn schirmend und ist auch in ihm. Ihm zu Ehren wird besonders nach glücklich vollbrachter Reise und nach Genesung von Krankheit ein besonderes Opferfest veranstaltet 3 ). Von dem guten Okrä, der alle guten Gedanken eingibt, wird auch unterschieden der G b e s c h i oder 0 k r a b r i (schwarze Okrä), welcher den Menschen zum Bösen verleitet und hinterher (als böses Gewissen) anklagt. Ausserdem werden alle möglichen Krankheitszustände des Leibes und der Seele auf Besessenheit zurückgeführt. Die Fetischmänner und -weiber werden bei festlichen Anlässen stets von ihrem Fetisch, d. h. von dessen Geist ergriffen; er kommt über sie. Diese zahllosen G e i s t e r sind nun zwar zu einem grossen 1) Das lateinische Wort arauletum bezeichnet ein Schutzmittel gegen bösen Zauber und ist nicht als bewusstes Wesen gedacht, so wenig als der „Talisman" (vom arab. telsam, welches aus dem griech. abgeleitet zu sein scheint), d. h. eine schützende magische Figur oder Inschrift. 2) In der Gasprache heisst dieser Schutzgeist Kla, in der Evhespräche Luwo. 3) B o h n e r , Im Lande des F. S. 99ff. Orelli, Keligionggeschichte. 48
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Teil als die v e r s t o r b e n e r M e n s c h e n gedacht, aber keineswegs alle. Auch die umgebende Natur ist j a von solchen beseelt und bei Erscheinungen wie Meer, Wasserfall, Strom, See, Blitz u. s. w. denkt der Neger sicherlich an ein allgemeineres, innewohnendes Wesen, nicht an den Geist eines einzelnen verstorbenen Menschen. Alles, was dem Auge beachtenswertes entgegentritt, verkündet ihm leicht einen besonderen Geist. Aber richtig ist, dass die Geister der Abgeschiedenen ihn mannigfach beschäftigen. J e nach ihrem Charakter und nach der Rücksicht, die man ihnen angedeihen lässt, können diese Totengeister zu Schutz- oder Plagegeistern werden. Insbesondere hofft man, dass der Schutzgeist des Verstorbenen sich wieder auf ein nachgeborcnes Kind der Familie niederlassen werde. Die Toten werden in Westafrika häufig in der Hütte oder dicht daneben begraben, um dies zu erleichtern. Von den Toten selbst glaubt man, dass sie an Lebenskraft nichts eingebüsst haben, sondern mit einem feinem Leibe begabt fortleben. Sie können sich auch wieder inkarnieren. Besonders in Südafrika werden gewisse Tiere als Inkorporationen der Ahnenseelen angesehen. Damit hängt der T o t e m - D i e n s t zusammen, wobei ein Stamm ein besonderes Tier als Stamnihcrrn und Vater oder Mutter verehrt, so dass er (las T i e r (z. B. einen Elefanten) zwar gelegentlich töten, aber nie davon essen wird. Um so gefährlicher sind verstorbene Feinde oder die Geister derer, die man nicht gehörig bestattet und mit dem, was sie zu behaglichem Weiterleben brauchen, ausgestattet hat. Deshalb wird dem Toten alles, was ihm nötig und angenehm sein kann, mitgegeben: Nahrungsmittel, Waffen, Schmucksachen, Geräte, aber auch Sklaven zur Bedienung und Weiber, wenn er höhern Standes ist, Unterthanen in grosser Zahl, wenn er Häuptling oder König gewesen ist. Diese Opfer lassen sich oft freiwillig lebendig begraben, zum grössern Teil müssen sie unfreiwillig diesen furchtbaren Wahn ihres Volkes Missen. Die Schlächtereien, welche bei solchen Anlässen im Aschantiland, in Dahomey, Benin und in vielen andern Gegenden vorgekommen sind und wo die europäische Gewalt nicht Einhalt gethan hat, noch vorkommen, spotten aller Beschreibung. Die Geister aller Art bilden unter sich ein Reich mit Abstufungen; nicht selten steht ein böser Geist an ihrer Spitze. Denn im Gegensatz zum höchsten guten Gott sind die Geister im allgemeinen als schädlich gefürchtet. Es entspricht das der pessimistischen Lebensanschauung des unglücklichen Negervolkes, dessen Dasein von so vielen Plagen heimgesucht ist. Die Geister vermitteln freilich durch ihre Fürsprache auch Wohlthaten, wie z. B. Regen, aber der eigentliche Spender derselben ist Gott. Ein überaus einflussreicher, unsäglich viel Unheil verursachender Stand sind unter diesen Umständen die F e t i s c h m ä n n e r . Man nennt gewöhnlich ungenau alle, die den Fetisch bedienen und die in seinem Namen zaubernd und wahrsagend auftreten, „Fetisch-
Fetischmänner.
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priester". Genauer sind nur diejenigen eigentlich F e t i s c h p r i e s t e r (Wulomo oder Osopho) zu nennen, welche den Fetisch, d. h. die Götzen bewachen und bedienen. Sie reinigen das Gehöfte des Fetisches und nehmen die Gaben in Empfang, die ihm vorgesetzt werden und von denen er nur die Seele verzehrt; diese Priester sind weissgekleidet, und ihr Amt ist erblich. Sie glauben meist in ihrer Beschränktheit an die Wirklichkeit des Fetisches und bedienen ihn gewissenhaft; das beste der empfangenen Gaben müssen sie den zauberkundigen Fetischmännern (Wongtschä in der Gasprache, Okomfoi in der Tschisprache) ausliefern. Während jene Priester eine unbedeutende Rolle spielen, sind diese Zaubermänner das schlimme Verhängnis des Volkes. Sie leben nicht beständig dem Dienste des Fetisches, sondern gehen gewöhnlich der Arbeit und dem Erwerbe nach wie andere Leute. Allein sie gelten als zauberkundig und zuverlässig in der Wahrsagerei, weil der Fetisch durch sie handelt und redet. Auch Frauen gehören zum Orden, clie sich bei ihren Tänzen wie Besessene geberden. Die Fetischmänner lassen sich bei Festen vom Fetisch ergreifen, dessen Einzug sie durch Zuckungen anzeigen, und verrichten dann vor der leichtgläubigen Menge Wunderthaten, die freilich auf der Stufe niedriger Taschenspielerei stehen, aber, wenn gleich noch so plump, mit Ehrfurcht angestaunt werdeu. Sie töten z. B. vor den Augen der Menge ein Huhn, stecken dasselbe in die bei solchem Anlass getragenen weiten Pumphosen und ziehen ein lebendiges daraus hervor, als hätte der Fetisch es wieder lebendig gemacht. Oder sie schneiden sich zum Schein die Kehle durch und stürzen dabei, wenn das Messer den mit Blut gefüllten Darm, den sie sich um den Hals gelegt haben, getroffen hat, blutüberströmt wie tot zu Boden. Wenn sie sich bald darauf unversehrt wieder erheben, hat der Fetisch sie wieder lebendig gemacht. Als Inhaber dieses Geistes sind sie nun ausserordentlich einflussreich und gefährlich. Es genügt, dass sie eine Seuche oder sonstige Plage androhen, so wird man bereit sein alles herbeizuschaffen, was sie wünschen, um den zornigen Fetisch zu beschwichtigen. Leicht können sie aber auch ihre Feinde oder solche, die ihnen nicht genug Geschenke bringen, als Feinde des Fetisches, über die er zürne, denunzieren und so sie in grösste Lebensgefahr bringen; solche müssen froh sein, wenn sie mit schweren Opfern sich loskaufen können. Der Fetischmann ist der rechte Mittler zwischen dem Gott und den Menschen. Diese fragen ihn um Rat, wenn ihr Glück nicht kommen oder Unglück sie überfallen will. Er führt durch seinen Zauber den ersehnten Regen herbei. Ganz besonders sind die Fetischleute die M e d i z i n m ä n n e r , die bei allen Krankheiten zu Hilfe gerufen werden. Sie besitzen nun zwar auch eine gewisse geringe Kenntnis von Heilkräutern, die sie dabei verwerten. Aber auch diese werden mit dem Fetisch in Verbindung gebracht und die Hauptwirkung wird von der Entzauberung versprochen. Auch hier liegt ein Mittel in der Hand des ver-
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schmitzten Wongtschä, um sich gefürchtet zu machen: Er kann die Krankheit als die Wirkung von zauberischem Einfluss bezeichnen, den der oder jener, besonders etwa eine als Hexe verdächtige Frau, durch bösen Blick oder durch ein Zauberamulett ausgeübt habe. Ist gar jemand gestorben, so denkt man nicht an natürliche Ursachen, sondern der Fetischkundige muss angeben, wer diese Bosheit verübt habe. Denn man hat in erster Linie den Verdacht, dass Zauberei solches verschuldet habe. Man kann aber keine schwerere Anklage gegen jemand aussprechen als die, dass er Z a u b e r e i treibe, d. h. v o n b ö s e n G e i s t e r n b e s e s s e n sei u n d d u r c h s i e w i r k e . Diese Hexerei wild von der erlaubten und bewunderten Zauberei des Wongtschä, welche gutes wirken soll, ganz ähnlich unterschieden, wie wirs in Babylonien landen 1 ) und wie man im Mittelalter von weisser und schwarzer Magie wusste. Beide gehen aber von selbst in einander über. Ist ein Verbrechen, etwa eine Mordthat vorgefallen, so muss wiederum der Fetisch wissen, wer der Verbrecher sei. In manchen Fällen weiss übrigens die Zunft der Fetischmänner die Fäden bis an ihren Ursprung zu verfolgen; denn sie interessiert sich genau für alles, was im Land und in den einzelnen Familien vorgeht, um zu wissen, wo sich Gelegenheit für ein gewinnbringendes Eingreifen des Fetisches findet. Viele gehören zum Verband, von denen das Volk es nicht weiss. Sie leisten den Dienst von geheimen Detectivs und bilden auch bei den Zaubervorstellungen die vordersten Reihen der Zuschauer, damit die übrigen nicht zu genau hinsehen können. Wer einer Unthat verdächtig ist, muss unter Leitung der Fetischmänner ein O r d a l e bestehen, etwa einen Gifttrank nehmen, den natürlich der Fetischmann beliebig stark mischen kanu. Gibt der Verdächtige das Gift sogleich wieder von sich, so ist er unschuldig; tötet es ihn, so war er schuldig 2 ). Wer in die Zunft der Fetischleute aufgenommen werden will, muss eine längere, etwa einjährige Lehrzeit durchmachen. Sein Lehrmeister nimmt ihm zuerst einen furchtbaren E i d d e r Vers c h w i e g e n h e i t ab, wobei er mit ihm Blut mischen muss. D. h. beide schneiden sich in die Hand und lassen ihr Blut in einen Trank fliessen, den jeder zur Hälfte austrinkt. Dieser Eidschwur, mit dem sich abergläubische Vorstellungen verbinden und dessen Übertretung auch den sichern Tod von der Hand der Ordensleute zur Folge hätte, genügt, um das Geheimnis vor den Ohren des Volkes zu sichern. Nur solche, die später Christen geworden sind, haben es kundgemacht und mitgeteilt, dass das grösste Geheimnis, das ihnen geoffenbart wurde, dieses war: d e r F e t i s c h sei n i c h t s , alles werde von den Männern selbst gemacht! Dann werden dem Lehrling allmählich die verschiedenen Kunststücke beigebracht und 1) Vgl. oben S. 199. 2) Andere Arten des Gottesgerichts siehe bei B o h n e r , Im Land des F. S. 89 ff. und 189 f. und J u n o d , Ba Konga S. 433 IT.
Geheimbünde.
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er wird in alle Kniffe eingeweiht. Natürlich muss er schweres Lehrgeld bezahlen und gerät dabei vielleicht tief in Schulden. Nachher kann er, wenn er geschickt ist, bei der Ausübung seines Gewerbes sich schadlos halten. Die einzelnen Fetische haben ihre besondern Sprecher oder Propheten, welche auf die dem Volke wohlbekannte Stimme des betreffenden Geistes — es gibt männliche und weibliche Fetische — sich einüben müssen. Eine eigentümliche Erscheinung, die sich nach dem Gesagten leicht aus einer Zunft von Fetischmännern hervorbilden konnte, sind die häufigen und mächtigen G e h e i m b ü n d e . Man hat schon früher vom P u r r a b u n d , von der S e m o g e s e l l s c h a f t und dem E g b o o r d e n in Kalabar u. a. gehört 1 ). Näheres ist neuerdings namentlich über den J e v h e - B u n d im Togolande bekannt geworden 2 ). Der politische und soziale Einfluss desselben ist um so grösser, da die Evhe, das grösste der Togovölker es zu keiner Staatenbildung gebracht haben. In ähnlichen Verhältnissen werden solche Bünde ähnlich wirtschaften. Ein Kenner sagt: „Die heidnische Bevölkerung Afrika's liegt fast ohne Ausnahme in den Banden ränkevoller Priester und Priesterbünde, deren Zweck es ist, die armen Schwarzen in abergläubischer Furcht zu erhalten, um sie desto bequemer ausbeuten zu können. Als angebliche Vermittler zwischen der Menschen- und Geisterwelt wissen diese schlauen Betrüger auf die ängstlichen Negergemüter eine f ü r uns kaum verständliche Macht auszuüben. Sie tyrannisieren Hoch und Niedrig, Arm und Keich. Selbst Häuptlinge und Könige sind von ihren Launen abhängig und müssen sich oft die drückendsten Vorschriften gefallen lassen." Die wichtigste Quelle, aus der man speziell den Jevhebund kennen lernte, ist ein in der Evhe-Sprache verfasstes Manuscript, das der ehemalige Jevhepriester S t e p h a n G i o b K a w a d s o verfasst und der eingeborene Lehrer A n d r e a s A k u in Lome, der Hauptstadt Togo's, ins Deutsche übersetzt hat. In den religiösen Gepflogenheiten des Ordens, wenn wir diese hierarchisch abgestufte Gesellschaft so nennen sollen, sind Kulte verschiedener Gottheiten vereinigt. Der Hauptgott ist der Blitzgott, K h e b i o s o , der dem germanischen Donnergott ähnlich, im Blitze axtförmige Donnerkeile oder So-Steine schleudert, welche die Bäume spalten und alles Lebende töten. Das Wort J e v h e hingegen erklärt Kawadso mit „Schlauheitsgraben", weil „der Dienst der Jevhegottheiten ein fein künstlicher Graben ist". Das Haupt des Ordens heisst H u b o n o . Ihm müssen alle Glieder des Bundes, Männer und Frauen, unbedingt gehorchen. Der aufzunehmende Adept verspricht, vor ihm 1) W a i t z a. a. 0. II, 135 f. Über den Egbo-Orden s. Näheres bei W. S c h n e i d e r a. a. 0. S. 117; über einen weiblichen Geheimbund ebenda S. 129. Vgl. auch A. R e v i l l e a. a. 0. S. 110 ff. 2) Siehe H . S e i d e l in der Deutschen Kolonialzeitung vom 10. März 1898: Der Jevhebund und seine Anhänger.
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Afrikanische Religionen: Geheimbündc.
knieend, für Jevhe alles herzugeben und alles zu thun, auch Menschen zu rauben. Dann zeigt man ihm die Jevhe-Sachen: ein von Leinen umhülltes Eisen, das den Gott darstellen soll, eine zweischneidige Axt, ein Widderhorn, einen durchlöcherten Stein, den So-Stein und die steinerne Jevhe-Axt. Bei Todesstrafe wird ihm eingeschärft, nichts mitzuteilen, was er im Jevhe-Gehöfte gesehen und gehört habe. Durch Trinken von geweihtem Wasser nimmt er dann den Gott in sich auf. Auch erhält er einen neuen Namen; der alte darf bei strenger Strafe nicht mehr gebraucht werden. Das Leben in diesem seltsamen Kloster ist ein zügelloses. Verbrecher entlaufen dorthin und entziehen sich so der Strafe, leichtfertige Weiber, um ein unthätiges, liederliches Leben zu führen. Auch muss jeder Adept versprechen, neue Mitglieder zu gewinnen, sei es durch Überredung oder durch Gewalt. Die ausgesandten H u n d e o (Spione) überfallen meist Frauen und Mädchen und bringen sie in das Jevhe-Gehöft, wo man sie unfreiwillig in die Geheimnisse einweiht und auch im Gebrauch der Gifte unterrichtet, da dieses häufig zur Beseitigung unbequemer Personen Verwendung findet. Später entlässt man ein solches eingelerntes Mädchen auch wieder nach Haus; aber sie muss jedem Winke des Hubono gehorchen und an den Tänzen teilnehmen. Kommt eine solche Anhängerin des Jevhe in Konflikt mit ihren Angehörigen oder andern Leuten, so fängt sie an zu rasen, zerstört alles um sich her und läuft ins Feld. Dann erklären die Jevhediener, die A l a g a (Rasende) werde sich in einen Leoparden verwandeln. Um dies zu verhüten, muss der Beleidiger schweren Tribut bezahlen. Oder sie behaupten, jene sei ins Meer gesprungen und halte sich im Meeresgrunde auf. Ein eingeweihter Fischer zieht sie bald darauf wirklich mit seinem Netz ans Land, worauf die, welche ihren Unwillen erregt haben, ebenfalls grosse Bussen zahlen müssen. Feinde des Ordens oder solche, welchen man diese Gesinnung zutraut, oder die sonst unbequem sind, werden durch seine Glieder oft ins freie Feld gelockt und dort erschlagen. Dann heisst es, der Gott habe es gethan. Z. B. wurde im April 1894 ein junger Mann von ihnen getötet, der von christlichen Negern beim Diebstahl abgefasst, im Verhör bekennen musste, es gebe gar keinen Jevhegott, sondern die Jevheleute machten alles selber. Ebenso zünden sie beim Gewitter Häuser von Gegnern an und behaupten, der Blitzgott habe es gethan, suchen auch in den Trümmern des Hauses die So- oder Blitzsteine und finden solche ohne Zweifel. Eine besondere Einnahmequelle sind für den Bund die JevheE i d e . Wer sich für angethane Unbill rächen will, wirft dem Beleidiger mit einer Eidesformel einen Kranz aus Ölpalmblättern und Laub des Anja- oder Blitzkrautes wie eine Schlinge über den Kopf. Dieser, der wissen möchte, was diese gefährliche Handlung bedeute, wendet sich in seiner Angst an einen Jevhemann, welcher mit Vergnügen den Anlass ergreift, um die Sache vor das Tribunal seines Ordens zu ziehen. Die Richter sprechen natürlich ein Ur-
Geisterglaube bei den Bantuvölkern.
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teil aus, das ihnen viel einträgt. Der Betreifende, auf welchen der Eid geschworen worden, hat fast immer ein hohes Lösegeld zu bezahlen, um sich von dem bösen, ihm angethanen Zauber zu lösen und sein Unrecht zu sühnen. Auch Gläubiger wenden sich an den Orden, um ihr Geld zu erhalten. Denn seine Leute wissen die Schuldner so zu ängstigen, dass sie bezahlen. Auch bei Todesfällen brandschatzen sie die Angehörigen, wenn der Verstorbene ein Ordensglied war. Denn in diesem Fall dürfen nur die Jevheleute den Leichnam berühren und bestatten, was sie natürlich nur gegen hohe Bezahlung thun. Bei solcher unheimlichen Macht des Jevhebundes ist begreiflich, dass die Neger ihn fürchten und z. B. bei Festen seinen Leuten unterwürfig begegnen. Seidel scliliesst seine Schilderung: „So wirft der Jevhebund seine Fangnetze über alle Kreise unseres Togolandes. Er macht die Mächtigen zu seinen Helfershelfern, die Armen zu seinen Sklaven. Er begünstigt Mord, Vergiftung, Lug und Trug. Er zerstört mit frecher Hand die engsten Familienbande, verlockt Männer und Frauen zu träger Schlemmerei und entwöhnt sie von nützlicher Arbeit. Aushorchen und Spionieren ist fortan ihr Zweck. Verführung und Verrat ihre Freude; selbst vor den finstersten Verbrechen scheuen sie nicht zurück und vergiessen leichten Herzens unschuldiges Blut. Der Jevhedienst ist in Wahrheit was sein Name sagt: ein „Schlauheitsgraben", und wehe dem Menschen, der darein fällt!" Merkwürdig ist, dass der oben beschriebene üppige Fetischaberglauben sich bei den B a n t u v ö l k e r n , die in mancher Hinsicht das ursprünglichere erhalten zu haben scheinen, im allgemeinen n i c h t f i n d e t . Geisterglaube ist freilich auch hier das vorherrschende, und zwar sind diese Geister abgeschiedene Menschen, die man sich in Menschengestalt denkt, die aber auch die Gestalt von Schlangen und andern Tieren annehmen können. Aber dieselben verkörpern sich nicht in leblosen Gegenständen. Amulette werden viele gebraucht, aber sie gelten nicht als Wohnsitz der Geister. An Z a u b e r e r n , R e g e n m a c h e r n , E x o r z i s t e n , M e d i z i n m ä n n e r n und W a h r s a g e r n fehlt es auch hier nicht. Dagegen sind berufsmässige Priester selten. In der Regel opfert der Familienvater, bezw. das Haupt der Familie. Man opfert den A h n e n g e i s t e r n , damit sie nicht schädlich werden; denn auch sie sind mehr gefürchtet als geliebt.
3. Kultus und religiöser Brauch. Vom K u l t u s der Neger ergibt sich das wichtigste schon aus dem bisherigen. Er dient hauptsächlich dazu, die gefährlichen Geister (Fetische) zu befriedigen, günstig zu stimmen und zu versöhnen. Dem Hausfetisch wie dem Dorf- und Stadtfetisch werden Opfergaben hingestellt, besonders Früchte und Maismehl, mit Palmöl angemengt. Der Fetisch soll solches essen. Man stösst
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Afrikanische Religionen: Kultus.
sich nicht daran, wenn die Gabe liegen bleibt; er verzehrt eben nur das Seelische oder Geistige an den dargebrachten Dingen. Das hingelegte Muschelgeld findet von selbst Liebhaber. Bei wichtigeren und festlichen Anlässen gibts Tieropfer. Namentlich Hühner, Schafe, Ziegen oder gar Ochsen werden geopfert und dabei wird eine Festmahlzeit veranstaltet. Dem Götzen überlässt man die Eingeweide. Eine besondere Rolle spielt auch hier das B l u t , als das sühnende Mittel, das umhergesprengt und womit die Pfosten und Schwellen der Häuser bestrichen werden. Der Gedanke, dass ein Fluch (musu) soll weggewischt werden, liegt dem Neger bei allen Opfern, auch den unblutigen, nahe. Merkwürdigerweise wird in einer Stadt der Landschaft Akim jährlich ein Schafbock als Träger der Schuld in den Wald gejagt, wie im alten Israel am Versöhnungstag. Wie die nördlichen ihrem Fetisch, so bringen die südlichen Neger ihren Ahnengeistern Speise dar, und zwar als vornehmste Gabe einen Ochsen, statt dessen aber in der Regel ein Hahn, eine Henne u. dgl. genügt. Auch bei ihrer Darbringung von Opfern spielt das Blut eine besondere Rolle. Eigentümlich ist ihnen der Brauch, ein wenig davon zwischen die Lippen zu nehmen und mit dem Laute tsu! auszuspeien, welche Geberde auch bei der Oblation anderer Flüssigkeiten vorkommt 1 ). Dieses tsu! hat für sie geradezu sakramentale Bedeutung 2 ). Die vornehmsten Opfer aber, mit denen man am sichersten die Gunst der Geister zu gewinnen oder ihre Feindschaft abzuwenden hofft, sind die M e n s c h e n o p f e r 3 ) . Diese finden sich bei allen Negervölkern, welche nicht muhammedanisch geworden sind, doch mehr bei den nördlichen als bei den südlichen. Neuerdings hat freilich in manchen Gegenden die europäische Oberhoheit diesen Gräueln ein Ende gemacht, so endlich auch in den berüchtigtesten Blutreichen Dahomey und Aschantiland. Die Hauptstadt des letztern, K u m a s e , führte mit vollem Recht den Namen „Nie bluttrocken". Nicht bloss Verbrecher wurden in der unmenschlichsten Weise zu Tode gemartert 4 ). Die Lust am Blutvergiessen war so gross, dass man dieses Schauspiel nie satt bekam. Nicht nur schlachtete man gefangene Feinde in Menge zur Sühne für die in der Schlacht gefallenen Stammesgenossen. Bei jedem Freudenfest, namentlich auch bei dem im Dezember stattfindenden grossen Jams- oder Erntefest gab es dort Menschenopfer. Am meisten Blut aber floss am Tage der T o t e n f e i e r in B a n t a m a , dem Begräbnisort der Aschantikönige, wo der regierende 1) Siehe oben S. 747. 2) H. J u n o d a. a. 0. S. 396. 3) Diese lagen den Negervölkern um so näher, da der Kannibalismus, d. h. das Essen von Menschenfleisch, bei ihnen nicht so selten und das Trinken von Menschenblut sogar häufig vorkommt. Diesen Genuss verschaffte man auch den Fetischen. 4) R a m s e y e r und K ü h n e 2 S. 119.
Menschenopfer. Zauberei.
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König die mit Golddraht zusammengeflochtenen Skelette seiner Vorfahren mit Menschenblut zu waschen pflegte. Schon erwähnt wurde, dass ausserdem beim B e g r ä b n i s eines Königs oder Häuptlings zu seinen Ehren und zu seinem Dienst jenseits des Todes überall M e n s c h e n o p f e r üblich sind, die mancherorts eine ungeheure Ausdehnung angenommen haben. Ausser den Vielen, die lebendig mit dem Könige begraben werden, schlachtet man eine Menge auf dem Grabe, damit ihr Blut dasselbe durchnässe. Von Dahomey gibt Girard de Rialle an, dass beim Tod eines Königs zuerst hundert Soldaten getötet wurden, um ihm eine Garde zu verschaffen. Dann opferte man ihm acht Tänzerinnen aus seinem Harem und fünfzig Träger von Vorräten. Während drei Tagen blieb die Gruft offen und manche gingen freiwillig hinein. Achtzehn Monate später bei der Krönung des Nachfolgers ging das Gemetzel von neuem an. Männer wurden auf öffentlichem Platze, Frauen im Harem hingeschlachtet, jeder Vornehme tötete einige Sklaven. Alle diese Geopferten mussten den verstorbenen König einholen, um ihm zu zeigen, wie hoch man ihn ehre; auch späterhin liess man ihm wichtige Ereignisse durch solche Boten melden. Ebenso wurden bei den Asclianti beim Tod eines Königs drei Monate lang jede Woche die Trauerfeierlichkeiten wiederholt und jedesmal viele Sklaven geopfert. In beschränkterem Mass geschieht dasselbe überall, wo die Neger noch sich selbst und ihrem grausamen Wahn überlassen sind. Dem Menschenblut wird die stärkste Sühnkraft und Heilskraft zugeschrieben, daher nicht nur die Fetischtrommeln und Blasinstrumente, sondern auch der Königssessel mit Blut bestrichen wird. Der ganze Kultus trägt einen wilden, sinnlichen Charakter an sich. Durch Trommellärm und betäubendes Geschrei wird die Aufregung vermehrt, welche die grausamen Opferhandlungen hervorrufen, nicht am wenigsten aber durch den Branntwein, der die Afrikaner im Flug erobert hat und bei ihren Kultushandlungen unentbehrlich geworden ist. Denn mitten unter diesen Schrecknissen gibt sich der Neger gerne der wilden Lust und Völlerei hin. Im eigentlichen Kultus erschöpft sich hier das religiöse Handeln nicht, da auch ausser demselben ein wirkungsvolles Eingreifen auf die Geister und durch sie auf das Leben angenommen wird. Die Z a u b e r e i ist es, in welcher dieser ungeordnete und sittlicher Würde entbehrende Geisterglaube recht eigentlich sein Wesen treibt. Wilson nennt den Hexenwahn den schwersten Fluch, der auf dem umnachteten Afrika liege; und Tylor meinte sogar versichern zu können, dieser Wahn habe in Westafrika mehr Menschenleben gekostet als der Sklavenhandel. In der That ist er nicht nur die Quelle unsäglicher Thorheit, wie denn z. B. die Meinung herrscht, die Zauberer könnten sich zeitweilig in Tiere verwandeln u. dgl., sondern er pflanzt auch einen furchtbaren Argwohn in die Herzen, der sie nie aus der Angst herauskommen lässt. Auch die Amulette, welche man um schweres Geld von den Fetischmännern kauft,
Afrikanische Religionen: Mantik.
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helfen ja, wie die Erfahrung lehrt, nicht sicher gegen bösen Zauber, der durch feindselige Menschen angethan wird. Ja, einem solchen Amulett kann ein perfider Fetischmann die Schuld geben für eine Krankheit, einen Todesfall und dergleichen, sodass es dann seinen Besitzer in Todesgefahr bringt. Denn Unzählige werden in der That, weil der bösen Zauberei oder Hexerei verdächtig oder durch ein Gottesgericht überwiesen, grausam zum Tode gebracht. Bei den B a n t u V ö l k e r n ist der Geisterglaube ähnlich, hat aber wieder andere Formen des Gegenzaubers erzeugt. Man findet z. B. bei den B a T h o n g a die Meinung, dass der Mensch im Schlafe sein z w e i t e s I c h aus sich entlassen könne, welches dann umherschweife und durch Zauber Unheil anrichte, namentlich schlafenden das Blut aussauge und ihr Fleisch verzehre (Alpdrücken). Um solcher tödlichen Zauberei zu wehren, unterwirft man die ganze Bevölkerung eines Dorfes oder Distrikts einem 0 r d a 1 e, dem Trinken eines Zaubertrankes, der die Wirkung hat, dass die jenes Verbrechens schuldigen davon betäubt werden 1). Daneben kennt man B e s e s s e n h e i t als Krankheit und schreibt sie abgeschiedenen, vielleicht stammfremden Geistern zu, die sich in den Kranken eingenistet haben; dieselben werden durch lärmende Prozeduren gezwungen, ihren Namen zu sagen, und so unschädlich gemacht r). Bs finden sich hier ferner H e l l s e h e r , die im Zustand besonderer Erregung über verborgene Dinge Auskunft geben 3). Namentlich aber blüht vom Njassasce bis ins Kaff'ernland eine Art t e c h n i s c h e r Mantik, deren A p p a r a t in F u s s k n ö c h e l c h e n (Astragalen) verschiedener Tiere besteht, die wie Würfel geworfen und aus deren Lage und Stellung zu einander Orakel gelesen werden. Missionar J u n o d 4 ) hat einen solchen Apparat von 21 (28) Stück und seinen Gebrauch aufs genaueste beschrieben. Es befinden sich darunter 14 solche Knöchelchen, z. B, das vom Ziegenbock (Hausvater), der Mutter Ziege (Hausmutter), kleinen Zicklein (Kindern), des Ebers (Ahnengeist) u. s. f. Dazu kommen einige Muscheln, eine Klaue des Ameisenbärs (Totengräber) u. dgl. Aus den aufs geratewohl hingeworfenen Stücken kann der zur Zunft Gehörige nach gewissen Regeln, die allen bekannt sind, aber immerhin seinem Scharfsinn und Gutdünken noch beträchtlichen Spielraum gewähren, in den verschiedensten Lebenslagen und -fragen Auskunft geben. Sehr oft freilich sieht er auf den ersten Blick, dass das Los „nicht gesprochen hat", d. h. keine auf die Situation bezügliche Auskunft enthält; dann wirft er solange, bis eine Antwort den Würfeln zu entnehmen ist. Junod verwahrt sich übrigens gegen die auch in wissenschaftlichen Werken übliche Ungenauigkeit, mit der Zauberer, Ärzte, 1) 2) 3) 4)
Junod Ebenda Ebenda Ebenda
a. a. O. S. 428 ff. 439 ff. 453. 455 ff.
Religiöse Sitten.
763
Exorzisten, Erklärer des Knöchelloses, Priester u. s. f. ohne Unterscheidung zusammengeworfen werden, während die Eingeborenen diese Berufsarten wohl unterscheiden. Zwar kann jemand mehrere dieser Funktionen verrichten, allein an sich sind sie wohl zu unterscheiden und werden die ihnen Obliegenden mit verschiedenen Namen benannt. So tief diese Religion steht, so kann man nicht sagen, dass sie auf das tägliche L e b e n des Negers von geringem Einflüsse sei. Vielmehr wird er täglich in seinem Thun und Lassen, seinem Reden und Denken von seinem Aberglauben bestimmt. Daher sichert man im Land des Fetischglaubens auch rationellen Verordnungen (Fischereiverboten u. dgl.) damit gehorsame Befolgung, dass man sie im Namen des Fetisches erlässt. -— Auch bei den wichtigen Epochen des persönlichen Lebens tritt die Macht der Religion zu Tage. Schon vor der G e b u r t eines Kindes besucht die Mutter einen angesehenen Fetisch und bittet um glückliche Niederkunft, befragt auch wohl den Sprecher desselben, welches Vorfahren Geist wieder in dem Kindlein zur Erde kommen werde. An der Goldküste findet am 8. Tage nach der Geburt eine umständliche Feier statt, wobei das Familienhaupt das neugeborne Kind wie ein aus der Fremde gekommenes anredet: „Wie ist es, wo du herkommst?" Die Mutter antwortet in seinem Namen: „Es ist Friede" und dann auf die Frage: „Wie geht es den dortigen Leuten?" „Sie sind wohl!" Dann wird Wasser aufs Grasdach geschüttet, sodass es über der Zimmerthüre herunterläuft. Das Kind wird unter Segenswünschen in dasselbe getaucht. Dabei erhält es seinen Namen, der sich nach dem Wochentage (siebentägige Woche) oder nach der Gcburtsf'olge richtet. Besonders wichtig ist dann die M a n n b a r k e i t s t ' e i e r für Jünglinge und Jungfrauen; die Jünglinge werden unter gestrengen Übungen zur Mündigkeit geweiht, worauf ein Fest zu ihren Ehren abgehalten wird 1). Das ganze ist kostspielig. Aber man unterzieht sich dem Brauche willig, da die Mannesehre davon abhängt und selbst ein ehrenvolles Begräbnis demjenigen versagt bleibt, der diese Feier nicht oder noch nicht durchgemacht hat. Die Jungfrauen müssen eine Zeitlang abgesondert leben und werden dort von alten Fetischpriesterinnen in den religiösen Gesängen und Tänzen unterrichtet. Besonders stark tritt das religiöse Moment bei den T o t e n b e s t a t t u n g e n hervor, wo übrigens die wilde Klage mit einem wüsten Gelage endet. Wir sahen schon oben 2 ), dass der Tote durch mancherlei Gaben und Opfer fürs weitere Leben ausgestattet wird und dass man damit nicht bloss ihm seine Liebe und Fürsorge beweisen, sondern sich auch gegen Schädigungen sicherstellen will, die er, wenn unzufrieden, den Hinterbliebenen zufügen könnte. 1) Vgl. die Beschreibung bei B o h n e r , Im Lande des F. S. 173 ff. 2) Siehe oben S. 754.
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Afrikanische Religionen: Nach dem Tode.
Glaubt man Spuren von solchem Spuk zu entdecken, so werden seine Gebeine nicht selten wieder ausgegraben und verbrannt, damit er zur Ruhe komme. So roh die Vorstellungen der Neger vom Leben nach dem Tode sind und so viele Unsitten mit denselben zusammenhangen, so ist doch die Thatsache der Unsterblichkeit ihnen im allgemeinen nicht fraglich, sondern selbstverständlich '). Die entgegengesetzten Behauptungen beruhen grossenteils auf Missverständnis oder können nur bei verhältnismässig wenigen Bestandteilen des Negervolkes begründet sein 2). Weder die K a f f e r - und B a n t u stämme, bei denen der Ahnendienst so üppig blüht, noch die N e g e r der Westküste, welche so grausame Totenopfer bringen, können an dem Fortleben der Seele zweifeln oder dasselbe für minderwertig ansehen. Selbst die H o t t e n t o t t e n haben ihren Ahnendienst, und die B u s c h m ä n n e r nennen den Tod einen blossen Schlaf und wenden sich mit grossem Vertrauen an ihre Toten. Mit der Zuversicht des Weiterlebens hängt auch die. Häufigkeit des Selbstmordes bei den Negern zusammen. Sie hoffen dadurch ihre Lage zu verbessern. Manche, die in die Sklaverei nach Amerika gebracht worden waren, entleibten sich dort in der Hoffnung, dadurch wieder in die afrikanische Heimat zu kommen. Eigentümlich ist der nicht seltene Brauch, dass ein Neger im Zorn über ein vom andern erlittenes Unrecht sich selbst tötet, was sein Widerpart in Folge dessen auch thun niuss. Denn dessen Familie hält ihn dazu an, da sonst, wenn j e n e r allein in die Gcisterwelt käme, er den Sachverhalt für sie allzu ungünstig darstellen würde. Man legt eben grosses Gewicht darauf bei den Ahnen und Geistern in gutem Rufe zu stehen. Fragt man nach dem A u f e n t h a l t s o r t der Abgeschiedenen, so erhält man meist ausweichende Antwort: man kenne ihn nicht; öfter wird eine gewisse Erdgegend, Westen oder Osten, etwa auch Erdhöhlen, dann aber auch der Himmel als solcher bezeichnet. Immerhin werden auch Stimmen des Z w e i f e l s laut. Charakteristisch für die Unsicherheit des Menschen in Betreff des Lebens nach dem Tode ist eine in verschiedenen Variationen verbreitete Sage. Die Namaqua (Hottentotten) melden: der Mond schickte ein Insekt, das aber vom Hasen überlistet wurde, nach anderer Version den Hasen selbst, um den Menschen zu sagen: „Wie ich sterbe und wieder lebe, so wirst auch du (Mensch) sterben und wieder leben." Der Hase aber richtete die Botschaft verkehrt aus: „Wie ich sterbe und nicht wieder lebendig werde, so sollt auch ihr sterben und nicht wieder leben." Der erzürnte Mond nahm einen Stock oder eine Axt und schlug den Hasen auf die Nase, daher die Hasenscharte. Dieser aber zerkratzte dem 1) Siehe die Übersicht bei W. S c h n e i d e r a. a. 0. S. 258 ff. 2) Behauptet wird z. B. noch von den M a s s a i und andern Völkern des obern Nils, dass sie nichts von einem Leben nach dem Tod wissen.
Ursprung des Todes.
Schluss.
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Mond sein Gesicht, daher die Mondflecken. Die Amazulu etwas anders: Umkulumkulu sandte das Chamäleon an die Menschen mit der Nachricht, der Mensch werde nicht sterben. Während jedoch dieser Bote sich unterwegs verweilte, hatte Umkulumkulu seine Meinung geändert und den Salamander nachgeschickt, um die gegenteilige Nachricht zu bringen. Da dieser sich beeilte, kam er vor dem Chamäleon mit seiner Botschaft an. Und dabei blieb es. Der U r s p r u n g des T o d e s in der Menschenwelt wird z. B. in Altkalabar auf den U n g e h o r s a m der Menschen gegen Gott (Abasi) zurückgeführt. Die auf die Erde gesetzten Menschen pflegten ihre Mahlzeiten täglich im Himmel einzunehmen und durften auf der Erde nichts gemessen. Allein Atai, die Gefährtin Abasi's, verleitete sie zum Landbau und Genuss der Erdfrüchte. Als dann Abasi sich bitter beklagt, dass die Menschen ihm nicht mehr gehorchen, verspricht Atai dafür zu sorgen, dass deren Stolz gedemütigt werde und sendet ihnen den Tod 1). Auch anderwärts wird es auf einen Fehler oder Fehltritt der Menschen zurückgeführt, dass er dem Todesschicksal anheimfiel, ohne dass sich ein historischer Zusammenhang mit der biblischen Überlieferung feststellen liesse. Die K o n d e erzählen 2 ): Gott hatte dem ersten Menschenpar Iläuser, Mais, Bananen u. s. w. gegeben, der Frau ausserdem Gold und Schmucksachen. Der Mann tötete sie deshalb aus Neid mit einem Bananenmesser. Darauf nahm ihm Gott alles wieder und trieb ihn in die Berge. Manche sagen, aus ihm sei M b a s s i , der Teufel, geworden. Gott erweckte die Frau wieder, sie gebar Kinder, und von ihr stammt die gesamte Menschheit. In der ersten Zeit starben die Menschen nicht. Als aber Büffel gefallen waren, assen sie Fleisch und seitdem sterben sie.
Blicken wir auf dieses Religionsgebiet mit seinen recht verschiedenartigen Erscheinungen zurück und fragen wir uns, was sich über die g e s c h i c h t l i c h e E n t w i c k l u n g mutmassen lasse 3). Eine solche hat auch hier stattgefunden und nichts ist verkehrter als die Meinung, diese Afrikaner seien auf cler Stufe der Urreligion stehen geblieben und diese als „Fetischismus" zu bezeichnen. Auf einen offenkundigen Z e r f a l l der Religion weist schon die Wahrnehmung 4 ), dass die eigentlichen Organe derselben bei den Negern im engern Sinn, die Fetisch- und Zaubermänner, gar nicht oder nicht mehr an den Zauber glauben. Wenn der Fetischmann sich durch künstliche Geberden so stellt, als wäre er vom Geist 1) Siehe das Nähere bei W. S c h n e i d e r a. a. 0. S. 38ff. 2) M e r e n s k y a. a. O. S. 111. 3) Vgl. Z a h n , Allgem. Missionszeitschrift 1879, 219 ff. — P. Wurm, ebenda S. 459 ff. — B o h n e r , BMM. 1888, S. 353 ff. 4) Siehe oben S. 756.
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Afrikanische Religionen: Geschichtliche Entwicklung.
ergriffen worden, so ist das sicher nichts ursprüngliches, sondern Nachahmung von etwas, was man in einem früheren Stadium, welches anderswo im Schamanisnms noch nachzuweisen ist, wirklich erfahren hat. Die plumpen Jongleurkünste der Wongtschä, ihre auf Schlauheit und Spionierkunst beruhenden Prophezeiungen sind ein Machwerk, das mit ursprünglicher Religion nichts mehr zu thun hat, aber wahrscheinlich ein Ersatz für ausserordentliches Thun u n d Hellsehen, welches f r ü h e r auch ihnen beschieden sein mochte u n d vereinzelt auch im mittlem Afrika noch vorkommen mag. Bei den Bantu finden sich Hellseherei und Hypnotismus bei den Zauberern noch in Blüte. Aber noch in anderer Hinsicht stellt s'ch die heutige Negerreligion als eine gealterte, u n d entartete dar. Weit davon entfernt, dass ihr Fetischismus sich langsam zum Glauben an den Einen, unsichtbaren, guten Gott erhöbe, wie man nach der Evolutionstheorie erwarten müsste, zeigt sich vielmehr überall, dass Gott, der Höchste im Himmel und Schöpfer des Weltalls, zurückgetreten ist hinter den untergeordneten Geistern. J e n e r ist zwar im Bewusstsein immer noch vorhanden, und es wird auch vom Gewissen noch an ihn appelliert; aber diese subalternen Geister stehen im Vordergrund des Interesses und haben sich insonderheit des Kultus, der ein stark interessierter ist, bemächtigt. Da haben wir denselben Verlauf, der sich so oft, bis in die christliche Kirche hinein, verfolgen lässt. Der naher und unmittelbarer wirkende, in sichtbarer Form sich verkörpernde Geist hat dem unsichtbaren, über dem menschlichen Treiben erhabenen, im Leben, wenn auch nicht in der Gedankenwelt, den Rang abgelaufen. D i e Mächte, welche das Leben beherrschen, sind es, welche die Aufmerksamkeit fesseln und das Thun des Menschen bestimmen. D i e Gottheit, welche man sichtbar und g r e i f b a r nahe wahrnimmt, ist die, welche sinnlichem Volk am meisten zu schaffen macht. Zwar ist der Neger noch immer vernünftig genug, um zu empfinden, dass ein solcher Dämon, der in einem Klotz oder Bauine haust, nur beschränkte lokale Gewalt hat; aber sich selbst glaubt er von diesem Fetisch abhängig, er glaubt sich in seiner Gewalt. Darum thut er alles, um sich auf guten Fuss mit ihm zu stellen. Dazu kommt, dass das Bedürfnis nach einer politischen Gewalt die Bestrebungen der Fetischmänner ausserordentlich begünstigt hat. Es fehlte selbst f ü r gemeinnützige Verordnungen die Autorität, wenn sie nicht im Namen des Fetisches erlassen würden. Wir glauben also, dass ein reineres Gottcsbewusstsein vorhanden war, ehe es durch diesen Wust von Aberglauben verdunkelt wurde. Es ist zu beachten, dass bei solchen gewiss uralten Gebräuchen, die viel ernsthafteren Charakter an sich tragen als die Fetischceremonien, nämlich bei der Kindesweihe, der V e r e h r u n g des eigenen Schutzgeistes, dem Erntefest u. a. G o t t angerufen wird u n d der Hokuspokus des Fetischwesens zurücktritt. Die Gottheit, die im Himmel wohnt und alles gemacht hat, w a r j a
Schluss.
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natürlich sehr primitiv gedacht. Allem sie hatte doch auch ethischen Charakter. Es ist ungemein beachtenswert, dass auf Gott noch immer das Gute und namentlich auch die gerechte Vergeltung von Gutem und Bösem zurückgeführt wird 1), während der Fetischdienst in seiner letzten Entwicklung keine Spur von ethischem Charakter aufweist, sondern die Forderungen, die derselbe stellt, aus sittlich wertlosen Ceremonien und namentlich aus materiellen Leistungen an die Fetischdiener bestehen. Es gilt von den Negern ganz besonders, was Paulus von den heidnischen Menschen im allgemeinen sagt, dass Gott, weil sie ihn nicht dankbar ehrten, obwohl sie ihn kannten, sie in Verfinsterung des Sinnes und unwürdigen Götzendienst dahingegeben hat. Die Fetische galten immer mehr, während sie bei einem Fortschreiten nach oben vor dem erhabenen Gott hätten weichen müssen. In dieser Versinnlichung und Zersplitterung des Göttlichen ist die Negerreligion immer tiefer gesunken und an ihrem Wahn unheilbar zu Grunde gegangen. Um den Neger zu einer höheren Auffassung Gottes zu bringen, mussten von aussen Islam und Christentum auf ihn einwirken, die zwar an seine halb erblichene Gottesvorstellung anknüpfen, aber gegen seine ganze gegenwärtige Religion sich nur ablehnend verhalten konnten, was allerdings vom Islam nicht durchaus gesagt werden kann, der sich nur zu sehr der niedrigen Stufe der von ihm bekehrten Negervölker anbequemt hat.
Seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts sind bekanntlich afrikanische Neger massenhaft nach A m e r i k a eingeführt worden, wo sie besonders in den südlichen Staaten der Union und in Brasilien einen ansehnlichen Teil der Bevölkerung bilden 2). Die Sklaverei, in welcher sie dort lebten, wurde für das Gebiet der Vereinigten Staaten nach dem Sezessionskrieg von 1865 aufgehoben. Auch in denjenigen europäischen Kolonieen, wo sie noch bestand, ist seitdem derselbe Schritt erfolgt. Die amerikanischen Neger haben seit dieser Emanzipation Gelegenheit gehabt, sich am modernen Kulturleben zu beteiligen und sich dabei als durchaus bildungsfähig bewiesen. In religiöser Hinsicht sind sie schon vorher dem Christentum, als der Religion ihrer Gebieter, zugefallen. 1) Nimmt sich ein kinderloses Eliepar eines verlassenen Kindleins an und erhält dann nach langem Warten selbst ein Kind, so sagt der Volksmund immer: „Gott hat ihnen ihr Wohlthun an dem armen Kind belohnt." Hat einen als ungerecht Bekannten Unglück getroffen, so sagt derselbe: „Gott hat ihn für seine Ungerechtigkeit bestraft." Nie aber wird Gottes Eingreifen mit dem Verhalten zu den oft lächerlichen, jedenfalls sittlich wertlosen Satzungen des Fetisches in Zusammenhang gebracht. ( B o h n e r , BMM. 1888, S. S67 f.) 2) Man rechnet auf Amerika etwa 12 Millionen Neger, wovon etwa C/2 Millionen auf die Union, 4 Millionen auf Brasilien fallen.
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Christentum und Islam in Afrika.
In A f r i k a selbst blieben sie merkwürdig lang von der civilisierten Welt abgeschlossen, welcher dieser Erdteil doch seit dem grauen Altertum bekannt war. Wohl gab es an verschiedenen Küsten europäische Niederlassungen. Ja, die Portugiesen hatten schon am Ende des 15. Jalirh. ein Reich am Kongo gegründet und dessen Bewohnern das katholische Bekenntnis äusserlich beliebt. Allein dieses Reich fiel bald wieder zusammen und mit ihm die oberflächlich gebaute Kirche. Die Holländer richteten um die Mitte des 17. Jalirh. (1652) am Kap der guten Hoffnung eine Kolonie ein; aber ein energisches Vordringen nach dem Innern des Weltteils erfolgte von jener Seite erst, als zu Anfang des 19. Jahrh. die Engländer das Kapland in Belitz genommen hatten uud die holländischen Boers nach Norden drängten. Auch jetzt freilich kümmerten sich die Letztern nur um ihre Landwirtschaft. Allein zahlreiche Forscher verschiedener Nationalität wagten sich in diesem Jahrhundert tief in das bisher zum grossen Teil unaufgeklärte Innere und stellten die Flussgebiete und die Existenz und Gestalt der grossen Süsswasserseen im Innern fest. Auch die c h r i s t l i c h e M i s s i o n , die schon früher ihre Arbeit begonnen hatte, setzte in diesem Jahrhundert mit ungleich bedeutenderen Kräften ein. Allein dem Eintluss des Christentums war unterdessen ein anderer zuvorgekommen, der diesem nicht geringen Widerstand bereitet: der I s l a m ist von der Ostküste Afrikas wo arabische Händler überall ihr Wesen treiben, immer mehr nach Westen vorgedrungen. Wir sahen oben, dass er unter den sog. hamitischen Völkern sehr stark verbreitet ist. Aber er drang auch durch die ganze Breite des Erdteils bis nach der Westküste vor, die Hausa z. B. und andere Sudanstämme sind Muhammedaner. Und selbst an der Goldküste verkauft man jetzt arabische Koranverse um schweres Geld als Amulette, welche vor Feuersgefahr, Krankheit, Nachstellung u. dgl. schützen sollen, also einfach an die Stelle der alten Fetischamulette treten. Man hat oft zu grossen Ruhm dem Einfiuss des Islam auf die Negerstämme gespendet. Soviel ist richtig, dass die Neger verhältnismässig leicht zur Religion Muhammeds übergehen. Allein dies wird ihnen auch gar zu leicht gemacht. Statt der bisherigen Übungen hat der Neger zu gewissen Stunden sein Gebet an Allah zu verrichten und jene Koransprüche statt der Fetische als Gegenzauber zu gebrauchen, so ist er ein guter Muslim. Aber der heidnische Geisterglaube wuchert dabei üppig weiter, es gibt sogar muhammedanisierte Wongtschä, die sich nur um so interessanter machen. Wie wenig aber der Islam zur sittlichen Hebung der Neger dient, geht schon daraus hervor, dass die Sklavenhändler regelmässig Muhammedaner sind. Die starke Ausbreitung des Islam erklärt sich zum Teil aus dem Eifer seiner Bekenner. Ist doch jeder Gläubige verpflichtet, diesen Glauben auszubreiten, und viele haben dabei auch materielle Interessen. Dazu kommt, dass, wie schon bemerkt, das Bekenntnis zu Muhammed ein bequemes ist, und endlich, dass der Neger dem Araber nicht dasselbe Miss-
Afrika: Schluss.
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trauen entgegenbringt, wie den überall die Herrschaft an sich reissenden Weissen; er sieht ihn vielmehr eher als Verbündeten gegen diese an. Daher ist ihm auch dessen Religion von vornherein genehmer als die der Weissen. So ist der Islam im allgemeinen dem Christentum hier zuvorgekommen. Nichtsdestoweniger macht dieses auf keinem Gebiete der Mission seit Jahren so starke Fortschritte wie in Afrika. Bezeichnend ist z. B., dass in letzter Zeit manche Schwarze an der Goldküste aus eigenem Antrieb ihre bisher hochgefeierten Fetischgötzen den Missionaren ausgeliefert haben! Und da der Weltteil jetzt rings von europäischen Kolonieen umspannt ist und auch das Innere mehr und mehr den christlichen Kulturvölkern sich aufgeschlossen hat (Kongostaat), so darf man hoffen, dass endlich diese heruntergekommene Bevölkerung sich wieder zu einem menschenwürdigen Dasein erheben werde. Schon der Umstand, dass der schwunghafte S k l a v e n h a n d e l mit allem was daran hängt, jetzt nahezu unterdrückt ist, erfüllt mit Genugthuung, nicht weniger aber die Unterwerfung solcher Blutreiche wie Dahomey, Ascliantiland, Benin, die gezwungen wurden ihre grausen Unsitten abzulegen. Was immer auch die Interessen der Europäer bei diesen Okkupationen sein mögen — es lässt sich zuversichtlich hoffen, dass sie im Dienst einer höheren Macht dazu helfen müssen, das Land von dem Fluche zu befreien, der ungezählte Jahrhunderte hindurch auf ihm gelastet hat. Die europäische Kultur an sich freilich wird die Neger nicht innerlich veredeln; zeigt sich doch bereits, wie grosse Gefahren sie für dieselben bringt (Branntwein). Aber das E v a n g e l i u m C h r i s t i wird auch solche Stämme, deren menschliche Natur allen Ernstes bestritten worden ist, zu wahren Menschen umwandeln.
O r e l l i , Religionsgeschichte.
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F. Amerikanische Gruppe.
I. Die wilden Indianer. ') Einleitung. Die von den Europäern in Amerika v o r g e f u n d e n e n Völker sind noch immer nicht in überzeugender Weise nach ihrem genealogischen Zusammenhang mit der übrigen Menschheit heimgewiesen worden, so wahrscheinlich es auch ist, dass ein solcher besteht. Auch die Einheit der amerikanischen Völker unter sich ist sehr fraglich. Wenigstens die den äussersten Norden einnehmenden E s k i m o s und G r ö n l ä n d e r sind als ein besonderer, von den eigentlichen Amerikanern zu unterscheidender Schlag a n e r k a n n t . Man hat diesen „ a r k t i s c h e n V o l k s s t a m m " , wie er wohl genannt wurde, mit dem turanischen kombiniert 2 ). Die eigentlichen Amerik a n e r sind namentlich mit den Malajen oder mit den T u r a n i e r n in Zusammenhang gebracht worden, nicht zu reden von den Hypothesen, welche in ihnen Kelten oder Phönizier oder g a r 1) Eine Hauptquelle für die Kenntnis der wilden Indianer sind die Werke von S c h o o l c r a f t , bes. Information resp. the history, condition and prospects of the Indian tribes, Philad. 1851 ff. — Th. W a i t z , Anthr. der Naturv. III (Leipz. 1862). Siehe dort die gesamte ältere Litteratur S. XIX—XXXII. — J. G. M ü l l e r , Geschichte der Amerikanischen Urreligionen, 2. Aufl., Basel 1867. — H.H. B a n c r o f t , Native Races of the Pacific States of North America, 5 voll. 1875. — A. Ré vil le, Les religions des peuples non-civilisés, Paris 1883, I, S. 191 ff. 2) Die E s k i m o s (der Name bedeutet „Esser von rohem Fleisch" und ist ihnen von den Rothäuten g-egeben) haben äusserlich gewisse Ähnlichkeiten mit den Turaniern. An diese erinnert auch manches in ihrer Religion. Sie verehren den guten Gott des H i m m e l s (Torngarsuk) und fürchten sich vor dessen Mutter oder Grossmutter, der harten Göttin der E r d e . Dabei haben sie viel Geisterkultus, der sich an die Elemente (Wasser, Feuer, Berge, Luft) anschliesst und Schamanismus. Ihre Schamanen heissen A n g e k o k . In ihrer Lebensanschauung und ihren Gebräuchen erinnert aber auch manches an die Rothäute.
Die wilden Indianer.
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Israeliten zu erkennen meinten. Dass die Normannen ums J a h r 1000 v. Chr. von Island au3 wiederholt Fahrten nach Amerika unternahmen, Grönland wie Labrador entdeckten und sich auf amerikanischem Boden niederliessen, ist zwar sicher bezeugt, hat aber mit der Frage nach der Abstammung der Amerikaner nichts zu thun. Wir fassen in diesem Abschnitt die u n k u l t i v i e r t e n Eingeborenen Amerikas zusammen, bei welchen immerhin zwischen den n ö r d l i c h e n und s ü d l i c h e n ein grosser Unterschied nicht zu verkennen ist. Nordamerika war zur Zeit, wo der Weltteil von Columbus neu entdeckt wurde, von den sog. R o t h ä u t e n bewohnt. Sie heissen so nach der Hautfarbe, die gewöhnlich als kupferrot bezeichnet wird, nach Waitz genauer als lohfarbig oder zimmtbraun zu bestimmen ist, da der Übergang ins Kupferrote mehr durch Einreiben von Farbe aber auch vom Schmutz verursacht sei. Natürlich gibt es auch hier eine ganze Skala von verschiedenen Schattierungen. Runder Schädel, abgeplatteter Hinterkopf, vorspringende Backenknochen, aber wohl gerundete Wangen, grosse Augenhöhlen und Nasenlöcher, starker Unterkiefer, meist senkrechte Stellung der Zähne, gut ausgebildete, gebogene, zuweilen adlerartige Nase, schwarze Augen, wenig Bartwuchs gehören zum T y p u s des I n d i a n e r s , der übrigens als eine stattliche und sympathische Erscheinung sich sehr vorteilhaft z. B. vom Neger unterscheidet. Diese Rothäute hatten sich über ganz Nordamerika ausgebreitet und lebten hier in den weiten Prairien und Wäldern von Jagd und Fischfang. Dieses J ä g e r l c b e n hat ihnen eine noch grössere Wildheit aufgeprägt als den mehr sesslniften Afrikanern. Nicht nur fehlte der angestrengte L a n d b a u , man begnügte sich die reifen Früchte zu pflücken; sondern es mangelte auch den Indianern die V i e h z u c h t , welche bei den asiatischen Nomaden das gewöhnliche ist und als eine an mildere Sitten gewöhnende Beschäftigung den Übergang zur eigentlichen Kultur zu bilden pflegt. Planlos beutet der Wilde den Reichtum des Reviers aus, schiesst mehr Wild zusammen als er verzehren kann und sorgt nicht für die Zukunft. Nach Süden hin wohnten freilich Stämme, die schon frühe zum Ackerbau übergegangen waren. Aber der Mangel an rationeller Arbeit war im allgemeinen der Hauptgrund, warum sich diese keineswegs unbegabte Rasse nicht behaupten konnte, wie die einsichtigsten Indianer selbst gefühlt haben 1 ). 1) Ein solcher sagte schon am Ende des vorigen Jahrhunderts zu einem Europäer: „Siehst du nicht, dass die Weissen von Körnern, wir aber von Fleisch leben? Dass dieses Fleisch mehr als 30 Monden braucht um heranzuwachsen und oft selten ist? Dass jedes jener wunderbaren Körner, welche sie in die Erde streuen, ihnen mehr als hundert zurückgibt? Dass das Fleisch, von welchem wir leben, vier Beine zum Fortlaufen hat und wir deren nur zwei um es zu erhaschen, die Körner aber da, wo die Weissen sie hinstreuen, bleiben und wachsen? Darum haben sie so viele Kinder und leben länger als wir. Ich sage also jedem, der
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Die wilden Indianer.
Diese Wildheit war ihnen aber zu sehr zur Natur geworden, als dass sie sich hätten einer andern Lebensweise anbequemen können. Das häufige Anerbieten, ihre jungen Leute europäisch aufzuziehen, wiesen sie konsequent mit der Erklärung ab, dass dies zu ihren Begriffen von Mannhaftigkeit und Mannestüchtigkeit nicht passe. Ausser der Jagd ist der K r i e g die vornehmste Beschäftigung der Indianer Nordamerikas gewesen. Tapferkeit gilt ihnen als die höchste Tugend. Auch schont der richtige Indianer dabei weder sich selbst noch den Feind; er ist grausam bis zur Unmenschlichkeit, wenn er seine Gefangenen quält, erduldet aber auch selbst die furchtbarsten Qualen ohne Klage, ja mit Spott und Hohn auf die Peiniger. Empfindsamkeit wäre eine unverzeihliche Schande, aber auch Mitleid mit der Pein eines Andern ein Zeichen der Schwäche. Das Skalpieren war allgemeine Unsitte. Auch kommt das Trinken des Blutes der Feinde nicht bloss in den Kriegsgesängen der Rothäute vor, sondern geschah buchstäblich, wie auch aus Rache oder Hunger Menschenfleisch gegessen wurde 1 ). Proben von Grossmut, Gastfreundschaft, Freigebigkeit und treuer Dankbarkeit werden anderseits vom Indianer viele erzählt. Auch trägt er in seinem Benehmen eine ruhige Würde zur Schau, welche von dem des sanguinischen Negers merkwürdig absticht. Berühmt ist seine bilderreiche Beredsamkeit 2 ). Die Kleidung beschränkt sich auch bei diesen Stämmen auf das notdürftigste, um so mehr sind sie beflissen, den Leib durch Tätowieren zu zieren. Die Waffen wurden in der früheren Zeit aus Holz und scharfen Steinen verfertigt. Erst von den Europäern erhielt man das geschmiedete Eisen, welches dann jene primitiven Steinäxte u. s. w. verdrängte; bald auch Feuerwaffen, die an Stelle von Bogen und Pfeil traten. Weit verhängnisvoller wurde der Branntwein, der des Volkes natürliche Kraft gebrochen hat. Überhaupt ist dasselbe seit der Berührung mit den Weissen heruntergekommen. Früher herrschte eine ziemlich feste Zucht und Sitte. Über Völlerei, Ehebruch, Diebstahl war weit weniger zu klagen. Für Sühnung von Mordthaten gab es freilich kein öffentliches Tribunal, sondern man überliess den Mörder der Rache der Verwandten. Aber das Rechtsgefühl der Indianer war ein sehr bestimmtes und nichts ertrugen sie weniger von Seiten der Weissen als den an ihnen so oft verübten Rechtsbruch. Der Ehebund wurde durch einen Pakt oder Kaufakt der Eltern geschlossen, welcher mich hören will: Bevor die Cedern unsers Dorfes werden abgestorben sein und die Ahornbäume des Thaies uns Zucker zu geben aufhören, wird das Geschlecht der kleinen Kornsäer das Geschlecht der Fleisehessenden vertilgt haben, wofern diese Jäger sich nicht entschliessen, auch zu säen." W u t t k e , Gesch. des Heident. I, 43 f.: J. G. Müller a. a. 0. S. 41. 1) Siehe gegenüber der Leugnung der Anthropophagie bei den Rothäuten den Nachweis bei J. G. Müller a. a. 0. S. 144 ff. 2) Siehe Beispiele bei W a i t z a. a. 0. III, 140 ff.
Sitten und Kultur.
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a b e r für die Neigung und das Liebeswerben der J u n g e n R a u m liess. Man verehelichte sich leicht, löste a b e r das B a n d ebenso leicht wieder auf. Auch wurde die E h e g a r nicht i m m e r a u f Lebenszeit, sondern zuweilen bloss auf ein J a h r geschlossen, konnte dann a b e r erneuert werden, wenn es den Verbundenen b e h a g t e . Polygamie war gestattet, blieb a b e r thatsächlich fast ganz a u f die reichen Häuptlinge beschränkt, da es für schimpflich galt, m e h r W e i b e r zu haben als man ernähren konnte. Häufig war nur, dass man mit seiner F r a u auch deren Schwestern in die E h e erhielt. Die E h e mit Blutsverwandten, d. h. Zugehörigen zum selben, mit E i n e m Tiernamen bezeichneten G e s c h l e c h t 1 ) war unzulässig. Die K i n d e r gehörten der Mutter und verblieben ihr bei der Ehescheidung. J e d e r erbte die E h r e der F a m i l i e seiner Mutter; a b e r auch der Besitz vererbte sich nur durch mütterliche Verwandtschaft. Der nächste E r b e war also der Schwestersohn, wie w i r es in A f r i k a fanden, was auf ein lockeres eheliches Verhältnis weist, der F r a u immerhin ein gewisses Ansehen verlieh. Sie hatte, auch wenn sie nicht die einzige Gattin war, ihre eigene Hütte. An die Mutter und die Eltern überhaupt beweisen die Kinder Anhänglichkeit. Schon die Kinder, namentlich die K n a b e n , suchte man gründlich abzuhärten und so zu tüchtigen K r i e g e r n zu erziehen. In den Ü b e r g a n g vom Kindes- zum J ü n g l i n g s a l t e r fällt die M a n n b a r k e i t s f e i e r ; dieselbe wurde bei manchen indianischen Völkern durch mehrmonatliches strenges Fasten und andere peinigende Gebräuche eingeleitet. — F e s t e politische Organisationen haben die I n d i a n e r nicht geschaffen. Sie standen überall unter Häuptlingen, die aber mancherorts erst im K r i e g e bedeutende Gewalt besassen. Sonst waren sie, obwohl ihre W ü r d e erblich, stark von den übrigen angesehenen Männern des Stammes abhängig, deren Rat sie auch berücksichtigen mussten. Die einzelnen S t ä m m e hinwieder schlössen unter einander Bündnisse, und ein solcher B u n d wie der der Irokesen verfügte daher über eine bedeutende K r i e g s macht. E i n e wirkliche Monarchie hatten die im Süden Nordamerikas wohnenden N a t s c h e z . Der absolute Herrscher hiess dort „ B r u d e r der S o n n e " , was schon an die I n k a erinnert. Das königliche Geschlecht war sehr bevorzugt. Z. B . konnten die Schwestern des Königs sich nach Belieben Liebhaber wählen, die ihnen sogar im T o d e folgen mussten. E i n e grosse Rolle spielte bei Staatsaktionen das R a u c h e n einer Pfeife (Friedenspfeife); ebenso waren von besonderer Bedeutung die Gürtel aus Perlen, Wampum. Nach j e d e m Absatz einer Rede oder nach der Aufstellung j e d e s Artikels eines V e r t r a g s wurde ein solcher übergeben. Im letztern F a l l behielt man ihn im Archiv als Protokoll, was an die Quippu der P e r u a n e r erinnert. 1) Jedes Irokesenvolk war z. B. in 8 Geschlechter geteilt, die nach ihrem Totem hiessen: Wolf, Bär, Biber, Schildkröte, Reh, Schnepfe, Reiher, Falke. S. das Nähere bei W a i t z III, 106 f.
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Die wilden Indianer.
Auch bediente man sich zur Erinnerung an Lieder oder zur Meldung gewisser Nachrichten einer Reihe von konventionellen Bildzeichen, worin man die Anfänge der mexikanischen Bilderschrift sehen kann. Zu diesen Rothäuten gehören, um nur einige Hauptstämme zu nennen, im Norden westlich von der Hudsonsbai die A t h a p a s k e n , mit vielen Nebenstämmen, wie Hundsrippen- und BiberIndianer u.a., die K n i s t i n o oder C r e e , dann die weit von West nach Ost sich hinziehenden A I g o n k i n , wozu auch die D e l a w a r e zu rechnen sind, und zwischen sie eingeschoben die tapfern und energischen I r o k e s e n , ein aus 6 Völkern bestehender Bund. Ferner die D a k o t a 1 ) oder S i o u x , welche ebenfalls zu den kriegstüchtigsten Indianern gehören, südwestlich von ihnen die P a w n i e s u. s. f., im Südosten (Florida) finden sich Stämme von etwas höherer Kultur wie die C r e e k und besonders die N a t s c h e z , bei welchen eigentümliche politische und kultische Einrichtungen begegnen. Eine höhere Kultur muss überhaupt in der südlichen Zone von Nordamerika geblüht haben, bevor die wilden Indianer, die von Westen und Norden gekommen zu sein scheinen, das Land überschwemmten. Denn man findet bis zu den grossen Seen Überreste von Bauten, welche sicher nicht das Werk dieser wilden Rothäute gewesen sind. Auch auf den A n t i l l e n fand Columbus friedliebendere Indianer, die in der Kultur etwas höher standen, aber von den gefürchteten, räuberischen K a r i b e n oder K a r a i b e n verfolgt wurden, die an den Mündungen des Orinoko scheinen ihren Hauptsitz gehabt zu haben, von wo sie dann die A r o w a k e n zunächst nach den kleinen Antillen verfolgt hätten. Diese Karaiben, welche auch K a n n i b a l e n genannt wurden, waren wegen ihrer Roheit, ihrer vergifteten Pfeile und besonders ihrer Menschenfresserei berüchtigt. Sie waren von starkem, grossem Körperbau, regelmässigen Gesichtszügen, stolz, kühn, ernst, verschlossen, kriegerisch und schlössen sich fester zur Kampfgenossenschaft zusammen als sonst die indianischen Horden. Neben Krieg und Raub trieben sie frühe Handel. Die Merkwürdigkeit, dass bei ihnen die Weiber eine andere Sprache redeten als die Männer, erklärt sich daraus, dass die erstem in Menge geraubt waren. Deren Kinder wurden nicht selten eine Zeit lang aufgezogen, und dann geopfert und gegessen. — In S ü d a m e r i k a gibt es weiterhin viele ganz für die Kultur unempfängliche Indianer, die sich besonders ins Gebirge und in die Wälder zurückgezogen haben, daher mit einem Sammelwort W a l d i n d i a n e r genannt werden. Sie stehen, was Kultur und Gesittung betrifft, auf der untersten Stufe der Menschheit. Zu ihnen zählen z. B. die B o t o k u d e n , welche von den Portugiesen so genannt wurden, weil sie Ohren und Lippen mit Holzpflöcken auseinanderdehnen und sich dadurch aufs gründlichste verunstalten. 1) Der Name bedeutet „die. sieben Ratsfeuer", da es ein Bund von sieben Hauptvölkern ist.
Die Religion.
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Daneben aber gibt es auch manche friedliche und für die Kultur empfängliche Eingeborene. Die Annäherung der Europäer hat hier einen andern Prozess herbeigeführt als in Nordamerika. Während dort die Söhne des Landes besonders durch den arbeitslustigen angelsächsischen Volksstamm aus ihrem Erbe vertrieben wurden, nicht ohne einen ritterlichen Kampf zu führen, der für sie einen tragischen Ausgang nehmen musste, liessen die Spanier und Portugiesen im Süden die Indianer ruhig für sich arbeiten und suchten sie durch eine Mission, welcher organisatorisches Geschick nicht abzusprechen ist, der christlichen Herrschaft gefügig zu machen, was auch für eine Zeit lang glückte. Von jener sich selbst bis zum Untergang behauptenden Freiheitsliebe der Indianer Nordamerikas zeigen diese südlichen Völker nicht viel, so ähnlich sonst ihre Sitten und Unsitten vielfach denen jener nördlichen sind. Und die äusserliche kirchliche Zucht, welche am vollendetsten von den Jesuiten in Paraguay den Eingeborenen auferlegt wurde, hat zwar die schlimmsten heidnischen Unsitten wie Anthropophagie, Polygamie u. dgl. beseitigt und die Bewohner auf eine Kulturstufe emporgehoben, die sie aus sich nicht hätten erklimmen können. Allein das bewusste persönliche Christentum wurde dabei nicht grossgezogen und keinerlei Freiheit gewährt; deshalb sanken dieselben, sobald die Herrschaft des Ordens aufhörte, in religiöser Hinsicht auf eine recht niedrige Stufe zurück, welche auch vom Christentum der brasilianischen Katholiken nicht wesentlich überragt wird.
Die Religion der wilden Indianer. Wenn auch die religiösen Vorstellungen und Übungen bei diesen über den grossen Weltteil zerstreuten Stämmen grosse Mannigfaltigkeit aufweisen, so sind doch die Grundzüge überall dieselben. Merkwürdig ist, dass man überall einem h ö c h s t e n G o t t i m H i m m e l begegnet, der hier noch viel stärker im Bewusstsein liegt und mehr Berücksichtigung findet als in Afrika, obwohl auch hier der Geisterdienst üppig wuchert. Dieser Himmelsgott wird gegen Süden mehr in der S o n n e verkörpert geschaut, im Norden mehr unsichtbar verehrt als „ d e r g r o s s e G e i s t " , welcher der Schöpfer der Welt ist, im übrigen bei den einzelnen Stämmen verschiedene Benennungen trägt und nach seinem physischen Äussern auch mit dem W i n d e , gewissermassen dem Atem des Himmels zusammengefasst wird. Schon von der Mitte des 16. Jahrh. an liegen Zeugnisse über die Kanadier vor, wonach sie einen Schöpfer verehren, der grösser sei als Sonne, Mond und Sterne und alles in seiner Gewalt habe. Als sein Name wird genannt A n d o u a g n i , von einem andern Gewährsmann K u d u a g n i . 1) Siehe J. G. M ü l l e r a. a. 0. S. 102f.
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Religion der Indianer: Der Grosse Geist.
Ein dritter hörte sie von ihm reden unter der Benennung, die auch anderwärts sehr oft begegnet: A t a h o k a n , „der grosse H a s e " (von der Fruchtbarkeit des Tieres her oder auch von seinem schnellen Lauf). Als ein Missionar ihnen von der Macht des biblischen Schöpfers sprach, riefen sie: „Das ist Atahokan, das ist unser Atahokan!" Der gewöhnlichste Name des grossen Geistes aber ist M a n i t u , oder da die Indianer viele Geister so nennen eine Zusammensetzung mit diesem Wort, wie K i t s c h i M a n i t u u. dgl. So bei den Leni Lenape (s. v. a. Delawaren), Irokesen u. a. Die Dakota (s. v. a. Sioux, Nadowessier) rufen ihn mit dem Namen W a k o n , W a k o n d a an. Manche seiner Namen bezeichnen ihn als S c h ö p f e r , und als solcher wird er allgemein angesehen. Da das Wasser von jeher scheint gewesen zu sein, hat der Schöpfer aus einem Sandkorn die Erde gemacht. Dieses Sandkorn bringt etwa eine Ratte aus dem Meeresgrund herauf. Nach anderer Vorstellung bietet eine Schildkröte (wie in Indien!) ihren Kücken dar, um darauf den aus der Tiefe geholten Thon zu formen. Der Gott formte aus Thon die Tiere und die untergeordneten Manitu's schlüpften in dieselben und belebten sie. Die Entstellung der M e n s c h e n wird meist so beschrieben, dass sie vom Grossen Geist aus Baumstämmen geschaffen werden. Nach einem Mythus der Sioux stand der erste Mensch, die Füsse in den Boden gewachsen, viele Menschenalter gleich einem grossen Baume da, ebenso neben ihm ein anderer grosser Baum. Endlich benagte eine grosse Schlange ihre Wurzeln; da konnten die beiden als Menschen frei weggehen und wurden die Stammcltern des Menschengeschlechts. Doch haben solche Mythen kein kanonisches Ansehen, sie können sich beliebig verändern. Der Ursprung der Menschen wird ebenso oft aus der Erde abgeleitet oder von Stammtieren, wovon nachher zu reden sein wird. Häufig ist die Vorstellung, der Mensch (Indianer) sei aus rotem Pfeifenthon geformt. Daher spricht einmal der Grosse Geist zu den versammelten Rothäuten, indem er aus einer roten Pfeife über ihnen raucht, diese sei ein Stück ihres Fleisches Der grosse Geist ist unsichtbar; aber er ist etwa in Gestalt eines wunderbaren Vogels erschienen, dessen Flügelschlag das Donnergeräusch verursacht, während sein Blick Blitze sprühen lässt, und den Kegen verursacht. Dieser Gewittervogel ist eine Manifestation des Gottes selbst, daher er bald mit diesem identifiziert, bald von ihm unterschieden wird. Der grosse Geist ist eben im Himmel und donnert und regnet. Von den Christen wurde diese' Gottesidee oft zu erhaben auf1) Die von E. R. B a i e r l e i n , Im Urwalde 3, Dresden 1894, S. 47 f. mitgeteilte Schöpfungslegende setzt schon die Bekanntschaft mit weissen und schwarzen Menschen voraus, ist also in dieser Gestalt relativ jung. Dies dürfte auch von der Darstellung vom Ursprung des bösen Geistes (Teufels) S. 41 ff. gelten, welcher Matschiinanito heisst im Gegensatz zum guten Geist, Kitschiinanito.
Der Grosse Geist.
Animismus.
Weltflut.
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gefasst, als wären die Indianer überzeugte Monotheisten gewesen. Ist dies aber auch nicht zutreffend, sondern ihre Religion, wie wir noch weiterhin sehen werden, eine stark naturbefangene und sehr abergläubische, so ist doch diese oberste Einheit des Göttlichen höchst wichtig, da hier ein neues, schlagendes Beispiel dafür vorliegt, dass auch auf so niedriger Stufe der Religion bei allem Wüste des Geisterglaubens eine erhabene und wahre Gottesidee vorhanden sein kann, ob auch in primitiver Form und ohne konsequente Ausbildung. Dass der sog. Animismus und Totemismus, wie er in der Geschichte wirklich begegnet, einen höchsten Gott ausschlösse, wird nicht am wenigsten durch das Beispiel dieser Indianer widerlegt. Ein reiner Animismus aber, welcher dem Gottesglauben vorangegangen sein soll, ist auch in Amerika nicht zu finden. Zwar wurde schon der Verdacht ausgesprochen, diese Idee des grossen Geistes sei von den Europäern, besonders den christlichen Missionaren, entlehnt. Allein dies ist nicht nur durch die weite Verbreitung dieser Gottesvorstellung und die indianischen Attribute derselben, wie Grosser Hase u. dgl., sondern auch durch die Thatsache ausgeschlossen, dass nachweislich die ersten Europäer, welche mit solchen Stämmen in Berührung kamen, sie dort schon vorfanden. Auch dass dieser himmlische Gott, welcher der Vater der Menschen heisst und insbesondere die Rothäute seine lieben Kinder nennt, als S c h ö p f e r bezeichnet wird, ist genuin und gut indianisch. Es widerlegt freilich diese Erscheinung die oft gehegte Vorstellung, als könnte der Wilde die Frage nach dem Urheber der Dinge nicht stellen, die doch jedem Kinde geläufig ist. Eher lässt sich darüber streiten, wie es sich mit der bei den Indianern weit verbreiteten Kunde von einer zerstörenden W e l t f l u t verhalte, welche alle Menschen vertilgte, sodass eine neue Erschaffung der Erde und ihrer Bewohner erfolgen musste. Denn dies ist im allgemeinen die Version dieser Amerikaner, welche geradezu von einer zweiten Erschaffung der Welt wissen. Doch gehen im einzelnen die Erzählungen besonders darüber weit auseinander, wie die Erde wieder bevölkert wurde. Nach gewissen Versionen wurden einige Menschen, vielleicht ein einziger Mann oder ein Weib gerettet. Waitz führt solche Darstellungen an, welche stark an die Bibel erinnern x ), und möchte den Einfluss der Missionare bei ihrer Entstehung „ziemlich hoch" anschlagen. E r erinnert daran, die Zauberärzte und Wunderthäter der Indianer hätten sich stets bemüht, ihr Ansehen durch Verbreitung oder Erfindung thörichter 1) Z. B. bei den Creeks heisst es, während der grossen Flut seien zwei Tauben ausgesandt worden, welche das erste Mal nur E x c r e m e n t e des Regenwurms, das zweite Mal einen Grashalm fanden. Die Potawatomi wissen, der Gr. Geist habe nach der Flut zwei Männer aus E r d e und zwei W e i b e r aus deren Rippen gebildet. Dem weissen Mann g a b er viele Kenntnisse und Künste, dem roten nur Bog-en und Pfeil und seinen Hund. Bei den Mandan wurde ein Fest der Arche gefeiert u . s . w . W a i t z III, 185 ff.
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Religion der wilden Indianer: Manabozho.
Totemismus.
Geschichten zu heben und dabei stets leichtgläubige Zuhörer gefunden. So hätten fremde Elemente leicht in ihre Mythologie Eingang finden können. Allein soviel ist einleuchtend, dass auf diesem Wege schwerlich so rasch eine Überlieferung von der grossen Weltflut zu den verschiedensten Stämmen von Nord- und Südamerika gelangt wäre. J . G. Müller fasst die einheimischen Flutsagen kosmogonisch auf und bringt sie damit in Zusammenhang, dass das Wasser bei der Schöpfung und weiterhin das widerstrebende Prinzip sei, wie denn auch der böse Geist im Wasser (Meer) residiert. Allein eine Entstehung der Flutepisode aus kosmogonischer Spekulation ist bei den Indianern nicht recht glaubhaft. Es spricht der Befund eher für einen Zusammenhang, den die Eingeborenen von Haus aus mit den Übei'lieferungen der Semiten hatten. Doch lässt sich ein sicherer Entscheid nicht fällen. Ein eigentümlicher Mythus ist der von M a n a b o z h o (d. h. „der die Erde gemacht hat"). Er ist der Stammesheros der Algonkin, eine Art Urmensch, der gegen allerlei Ungeheuer kämpfte und dabei manches Abenteuer bestand. Bei der Flut flüchtete er sich auf einen Baum. E r gilt als zweiter Schöpfer der Welt, nachdem sie das erste Mal durch böse Geister zerstört worden war. Es wird aber auch der grosse Geist selber mit ihm verschmolzen. J . G. Müller hält ihn für den Nordwestwind. Wurde er doch schliesslich in dieser Eigenschaft an den Himmel versetzt. Wie aber der grosse Geist in Menschengestalt gedacht wird, so gelegentlich auch in T i e r g e s t a l t , als Hase, Biber, Vogel, Schlange u. s. f. Überhaupt ist die Anschauung von den T i e r e n bei den Indianern bemerkenswert. Zwischen ihnen und den Menschen besteht kein wesentlicher Unterschied. Die Tiere haben unsterbliche Seelen und eine Sprache wie die Menschen. Und die Vorstellung einer diese Schranke überschreitenden S e e l e n w a n d e r u n g ist eine allgemeine. Nicht nur können die Menschenseelen beim Tode in Tiere übergehen, z. B . in Affen, Turteltauben u. s. f., sondern sie stammen in der Regel auch von Tiei'en ab. J e d e s Geschlecht sieht in seinem Stammtier, das es im Wappen führt ( T o t e m s e i n e n Ahnherrn, ein Stamm im Adler, ein anderer im Hund u. s. f. Das betreffende T i e r wird dann hoch gehalten und nicht getötet. Aber auch den andern traut man menschliches Bewusstsein und Verstand zu und behandelt sie mit einer gewissen Achtung, auch wenn man sie t ö t e t 2 ) . Auch sieht der Naturmensch, dem das Göttliche am Menschen noch nicht zum Bewusstsein gekommen ist, in den Tieren etwas Ursprünglicheres, einen voller ausgeprägten Charakter, daher etwas Göttlicheres. So sollen dem Schöpfer bei seinem W e r k Untergötter in Tiergestalt beigestanden haben. In den Sternbildern sieht der Indianer Tiergestalten. Es kann daher nicht be1) Die Bezeichnung' Totem ist bei den Algonkiu üblich. 2) So werden die Gebeine der Hunde, die schlecht genug behandelt und oft totgeschlagen werden, in Ehren gehalten. Vgl. die Auseinandersetzung eines Indianerweibes mit seinem Hunde W a i t z III, 193 f.
Schutzgeister.
Sonnenkultus.
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fremden, wenn auch der grosse Geist selbst oft in solcher Gestalt gedacht ist. Gewisse Tiere, welche besondere Klugheit verraten wie der B i b e r , oder etwas Dämonisches zu haben schienen wie die K l a p p e r s c h l a n g e , wurden besonders geehrt, was nicht ausschliesst, dass man sie mit einiger Höflichkeit auch tötete. Aber auch den P f l a n z e n , besonders den für das Menschenleben wichtigsten wie Mais, Reis, Tabak u. s. f. wird eine gewisse Beseelung zugeschrieben. G e i s t e r glaubt der Indianer überhaupt a l l e n t h a l b e n i n d e r N a t u r wahrzunehmen, und die Furcht vor ihnen beherrscht ihn ähnlich wie den Neger. So tapfer er den leibhaftigen Feinden gegenüber ist, so leicht jagt ihm ein böses Vorzeichen, das auf einen feindlichen Geist deutet, Angst und Schrecken ein. Zum Schutz gegen solche hat jeder Mann einen S c h u t z g e i s t . Zur Zeit der Mannbarkeitsfeier, welcher strenges Fasten und grausame Selbstpeinigungen vorangehen, muss der Jüngling in der Einsamkeit seinen „Lebenstraum" abwarten. In diesem Traum erscheint ihm sein Schutzgeist und offenbart ihm sein Schicksal. Da der Geist meistens in Tiergestalt kommt, wird das betreffende Tier nachher vom Jüngling erlegt und seinen Balg führt er von cla an immer mit sich als seine „ M e d i z i n . " Dies führt auf die Zauberei, welche bei den Indianern ähnlich mit dem Geisterglauben verbunden war wie bei den Negern. Allein der K u l t u s ist bei ihnen doch nicht so sehr im Zauberwesen aufgegangen wie bei jenen. Zwar ist auch bei ihnen der Dienst des grossen Geistes im allgemeinen hinter dem Geisterkult zurückgetreten. Allein derselbe hat doch noch immer seinen Kultus. Da der grosse Geist vor allem in der S o n n e verehrt wurde, so ist der Sonnendienst oder davon abgeleiteter F e u e r dienst allenthalben nachweisbar, allerdings ungleich ausgeprägter im Süden von Nordamerika, in Centraiamerika, auf den Antillen und endlich in Südamerika als bei den nördlichen Indianern. Am meisten ausgebildet war der Feuerkultus bei den Natschez, wo immerfort ein heiliges Feuer, aus blos 3 Scheitern genährt, lodern musste. J . G. M ü l l e r hat die ganze nordamerikanische Religion geglaubt erklären zu können aus einer Durchdringung von südlichem Sonnendienst und nordischem Geisterdienst. Allein dass auf alle Fälle auch der letztere in einem höchsten, im Himmel wohnenden Gotte gipfelt, haben wir gesehen. Auch ist dieser Geist bei den Indianern in naher Beziehung zur S o n n e gedeicht. Sie rufen den grossen Geist beim Aufgang derselben an 2). Die Pflege des Feuers spielt auch bei nördlichen Indianern eine religiöse Rolle 3), was auf Zusammenhang mit dem himmlischen Feuer führt. Auch das Rauchen 1) Auf den Antillen heisst die über alles verehrte göttliche Sonne T o n a t i k s , in Centralamerika T o n a t r i k l i oder T o n a t i u . 2) Siehe W a i t z III, 181. 3) Zu gewissen Zeiten musste das alte Feuer gelöscht und reines, neues angezündet werden. Dies that man auch in der Nacht vor dem Kampf.
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Religion der wilden Indianer: Kultus.
der Pfeife ist aus diesem Grund bei ihnen ein feierlicher Kultusakt. Bei den nördlichen Algonkin ist der M o n d der b ö s e Geist im Gegensatz zum g u t e n S o n n e n g o t t . Doch wird, wie wir es schon bei den Kanadiern sahen, der grosse Geist auch von der Sonne und dem Feuer unterschieden. Z. B. werden bei den Leni-Lenape 12 oberste Manitu in einem Kultus verehrt: als der grösste unter ihnen der grosse Geist im Himmel, ferner der Manitu der Sonne (des Tages), des Monds, der Erde, des Feuers, des Wassers, des Hauses, des Mais und der vier Himmelsgegenden. Jeder wird durch einen Stab oder eine Stange dargestellt, die oben verbunden und mit Decken behangen sind. Jedem wird ein glühender Stein hingelegt, dem Walsit Manitu (Gr. Geist) der grösste 1). Auch das S c h w i t z b a d , welches in Nord- wie Südamerika ein gottesdienstlicher Akt ist, scheint das Durchglühtwerden des Menschen durch den Feuergott darzustellen. Als Herr des Lebens ist der Grosse Geist namentlich auch Kriegsgott und empfängt dabei selbstverständlich besondere Huldigungen. Im Gebet des Häuptlings und in Kriegsgesängen wurde er um Beistand angerufen 2). Natürlicherweise weihte man ihm den besten Teil der Beute zum Dank und um sich seiner Geneigtheit für die Zukunft zu versichern. Namentlich wurden ihm Gefangene getötet, damit er sich an ihrem Fleisch und Blute labe. Denn die Geister alle sind lüstern nach Blut 3 ). Vielfach haben diese Schlächtereien auch den Zweck, die im Kampf Gefallenen zu befriedigen. Durch die langsame Quälerei des Gefangenen glaubte man die Aufmerksamkeit der Geister anzuziehen und jedenfalls deren Behagen zu erhöhen. Auch abgesehen vom Kriege sind Menschenopfer nicht selten. Namentlich Knaben und Mädchen wurden etwa geschlachtet, z. B. im Frühling, um eine gute Ernte zu erhalten 4 ). Sonst aber genügten Tieropfer, von denen als das grösste der Hund galt, und Tabak oder Mais und Früchte. Auf Reisen und Kriegszüge begab man sich nie, ohne durch religiöse Ceremonien sich vorbereitet zu haben, namentlich durch Fasten, Brechmittel, Purganzen u. dgl. Solche Bräuche waren auch mit jenem Fest der ersten Früchte verbunden, wo man sich auch von allen Übelthaten des vergangenen Jahres rein wusch und badete. Jene medizinischen Mittel haben wie das als besonders reinigend angesehene S c h w i t z b a d eine religiöse Bedeutung, da durch diese Gebräuche die bösen unreinen Geister ausgetrieben und der Mensch für Aufnahme der guten empfänglich gemacht wird.
1) J. G. M ü l l e r S. 91 f. 2) Ebenda S. 141 f. 3) Auch die häufigen Verwundungen und Blutungen, das Blutlassen bei der Einweihung der Jünglinge und Blutritzen junger Mädchen sollte den Durst der Geister nach Blut befriedigen. 4) Auch ein Fest der ersten Früchte wurde bei denjenigen Indianern gehalten, welche Landbau trieben, wie bei den Creeks.
Zauberei.
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Überhaupt sind die angegebenen religiösen Grundlinien stark überwachsen vom Z a u b e r w e s e n , das aus dem üppigen Geisterglauben hervorwucherte. Den Fetischmännern der Neger entsprachen die indianischen Z a u b e r m ä n n e r , die als P r i e s t e r 1 ) beim Kultus fungierten und zugleich W a h r s a g e r und Ä r z t e , „ M e d i z i n m ä n n e r " waren. Dass sie mit den Geistern in nächstem Zusammenhang stehen, geht daraus hervor, dass sie wie diese Manitu, Okki u. s. w. heissen. Sie konnten nach dem allgemeinen Volksglauben Geister citieren und bannen und von ihnen Aufschluss über die verborgenen Dinge erlangen. Auch hier fehlen die geheimen Weihen und Geheimbünde nicht. Namentlich bei den Karaiben wurde der Lehrling durch Fasten, Tänze, Aderlässe, Peinigungen, künstliche Erregung von Konvulsionen viele Jahre lang zubereitet, ehe der Lehrmeister seinen Schutzgeist citierte und ihn um einen Schutzgeist für denselben bat. Bei diesem Schamanismus wird wie anderwärts nicht alles auf Betrug und bewusster Täuschung beruhen 2). Doch war solche reichlich mit im Spiel. Auch solche, die sich zum Christentum bekehrten, waren nachher von der Realität der Zauberei, die sie getrieben, fest überzeugt und schrieben dem Teufel diese Kräfte zu. Aber ebenso kam es vor, dass ein solcher Bekehrter (wie auch in Afrika) erzählte, wie er nach den spannendsten Prüfungen und furchtbarem Eidschwur, das Geheimnis nicht zu verraten, schliesslich als solches empfangen habe, dass es keine Geister gebe, sondern das Ganze Gaukelei sei. Da hier wie in Afrika die Krankheiten als Wirkungen eines Zaubers angesehen wurden, waren die Zauberer zugleich die Med i z i n m ä n n e r oder Ärzte, welche namentlich den bösen Zauber aus dem Körper zu saugen hatten 3). Aber auch auf hundert andere Dinge mussten sie sich verstehen. Verlorene Gegenstände, gestohlene Sachen herbeischaffen, Regenwolken herbeiziehen, Jagdbeute anlocken, waren Dinge, die man von ihnen erwartete. Man traute ihnen sogar zu, dass sie sich in Tiere verwandeln könnten. Natürlich haben sie wie ihre afrikanischen Doppelgänger viel mit A m u l e t t e n zu thun, die als Behausung von Geistern gelten. Wir begegneten schon oben der „Medizin des Mannes", welche von dieser Art ist. Alle möglichen Gegenstände können dafür angesehen werden, Felle von Tieren, Federn, Muscheln, besonders auch Tabakpfeifen und jene Wampums, die im öffentlichen wie 1) Eine eigentliche, beim Kultus weiss gekleidete Priesterschaft besassen die Natsehez zur Bedienung ihres ewigen Feuers. Sie hatten auch einen eigentlichen T e m p e l mit G ö t t e r b i l d e r n , während beides nach Norden zu selten vorkommt. In Mittel- und Südamerika sind die Bilder allgemein. Z. B. auf den Antillen heissen die vielen kleinen Bilder Chemi, was eigentlich Name der betreffenden Geister ist. 2) Vgl. oben Seite 92. 3) Eine andere Prozedur war das Durchstechen eines kleinen Tierbildes, das den bösen Geist darstellt, der im Kranken steckt.
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Religion der wilden Indianer: Nach dem Tode.
privaten Leben als bedeutsam angesehen werden, desgleichen zauberkräftige Bilder, die man roh genug in Ähnlichkeit von Menschen und Tieren anfertigte. Man sieht, die Ideenassoziationen sind hier dieselben wie in Afrika. Man könnte auch in Amerika von „Fetischismus" sprechen, wenn das Wort nicht missverständlich wäre. Dass übrigens das Gewerbe der Zauberei einträglich war, geht daraus hervor, dass man in jedem Dorf zwanzig oder mehr solcher Medizinmänner und -frauen finden konnte l ). Was das L e b e n n a c h d e m T o d e anlangt, so sind die Vorstellungen davon unter sich widersprechend. Das Fortleben der Abgeschiedenen selbst aber steht ausser allem Zweifel. Die am häufigsten begegnende Vorstellung ist die, dass im Jenseits in wenig verbesserter Auflage das diesseitige Leben fortspielt. Jagd und Kampf wiederholen sich dort. Bei der Bestattung gibt man Waffen, Vorräte, Tabakspfeife, Farben zum Bemalen mit ins Grab 2 ). Dem Häuptling werden auch Weiber und Sklaven zur Bedienung geschlachtet. Dem Freund hängt man einen frischen Skalp aufs Grab, da der Getötete ihm dann drüben dienen muss. Man stellt auch dem Begrabenen noch längere Zeit Speisen aufs Grab, bis dieselben unberührt liegen bleiben. Dann nimmt man an, er habe drüben reiche Jagdgrüude gefunden. Die Seelen befinden sich zunächst noch in unmittelbarer Nähe des Leichnams; die Irokesen lassen sogar ein kleines Loch im Grabe offen, damit die Seele einen Ausgang habe. Dann glaubt man, dass sie eine beschwerliche Wanderung nach den glücklicheren Gefilden zu machen habe. Der Weg geht über eine Schlange oder über einen Fluss, über welchen ein altes Weib in Gestalt eines Walfisches die Toten hinüberschifft, während ein zweites Zoll fordert und denen, die nichts geben, ein Auge aussticht. Wer von der Schlange oder einer schwankenden Brücke herunterfällt, hat drüben ein elendes Dasein. Auch gibt es allerlei feindliche Geister und Ungeheuer, welche die Seelen anfechten. Vor solchen Schrecknissen kehren diese nicht selten wieder um — das sind die Scheintoten 3). Auch Seelen wirklich Verstorbener kommen etwa zurück zum Schrecken der Überlebenden, gierig nach Speise und Blut. Als Ziel, wohin die Toten wandern, erscheinen oft auch die Gestirne; die Milchstrasse ist dann ihr Weg. Wir sahen schon, dass die Amerikaner himmlische Wesen in Tiergestalt kennen und solche auch in den Sternbildern erblicken. Man konnte sich die Seligen in solcher Weise denken. 1) W a i t z III, 213. 2) Vgl. S c h i l l e r s Totenlied des Nadowessiers. 3) Auch beim Traume verlässt die Seele den Leib. Was sie dabei schaut, ist von grösster Wichtigkeit. Der Indianer glaubt bestimmt an das Schicksal, das er geträumt hat.
Die Mexikaner.
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II. Die Mexikaner. Einleitung1). Im südlichsten Teil von Nordamerika und in Centraiamerika haben sich, wie schon angedeutet wurde, die Indianer zu mehr oder weniger Kultur erhoben. Es bildeten sich da Staaten mit Königtum und Priesterschaft, Ackerbau und Gewerbe, Städten und Tempeln mit reichem Kultus. Am bekanntesten ist das sehr civilisierte m e x i k a n i s c h e Reich geworden, das Ferdinand Cortez auf der Höhe seiner Macht antraf und in einem kühnen Feldzug mit einer Handvoll Leute eroberte. Dieses Reich war aber das Ergebnis einer langen Geschichte und der Erbe alter Kultur, die schon vor Jahrhunderten auf centralamerikanischem Boden geblüht hatte. Das damals in Mexiko herrschende Volk der A z t e k e n , welches die Hauptstadt dieses Namens gegründet hatte, war sich wohl bewusst, von Norden, genauer Nordwesten, eingedrungen zu sein. Es war ein ungeschlachteres, kriegerisches Indianervolk, das sich in dem schönen Lande um die mexikanischen Seen festgesetzt und die höhere Bildung des unterworfenen Volkes sich angeeignet hatte. Der Name T o l t e k e n , welchen die früher herrschenden Landesbewohner trugen, war eben deshalb kein verachteter, sondern man huldigte dem Genie jener Vorgänger, indem man damit den Begriff feiner Bildung und guten Geschmacks verband. Diese Tolteken, die vielleicht von ihrer Hauptstadt Tula, Tulla diesen Namen führten, waren übrigens schon vor der Erhebung der Azteken in ihrem Regiment gestört worden durch die C h i c h i m e k e n (d. i. „Hunde"), welche wohl weniger als ein bestimmter Stamm zu denken sind, sondern vielmehr die früher botmässige Indianerbevölkerung darstellen, die sich an die Stelle einer herrschenden Minderheit gesetzt hat. Auch die Chichimeken wussten sich übrigens hohes Ansehen zu erwerben, ehe sie von den Azteken verdrängt wurden. Die letztern verliehen dem Reiche einen kriegerischen Charakter. Dieses mexikanische Reich ist nicht streng einheitlich zu denken. Noch zuletzt war es eine Bundesgenossenschaft zwischen dem A z t e k e n k ö n i g und den Königen von T e z k u k o und T l a k o p a n , unter welchen der erstere allerdings den Vorrang hatte. Die Mexikaner hatten die Kunde ihrer Vergangen1) Vgl. besonders Theodor W a i t z , Anthropologie der Naturvölker, Bd. IV, Leipz. 1864, S. 1 ff. — J. G. Müller, Am. Urrel. S. 441 ff. — A. Ré ville, Les Religions du Mexique etc., Paris 1885. — Ferner das oben S. 770 genannte Werk von B a n c r o f t und vgl. bei W u t t k e , Gesch, des Heidentums I, S. 251 ff.
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Die Mexikaner.
heit nicht ohne Sorgfalt überliefert. Zwar ihre B i l d e r s c h r i f t 1 ) konnte nur zur Nachhilfe für das Gedächtnis, nicht zu genauer Fortpflanzung des Inhalts dienlich sein. Aber man prägte der Jugend die Geschichte ihres Volkes ein, und so ist eine gewisse Überlieferung davon auf die Europäer gekommen. Man kennt elf aztekische Herrscher, deren letzter der von den Spaniern entthronte Montezuma 2) war, während der erste in der zweiten Hälfte des 14. Jahrh. regierte. Vor 1350 waren die Chichimeken an der Herrschaft, welchen man etwa 300 Jahre glaubt zuweisen zu können, obwohl die Chronologie für diese frühere Zeit ganz unsicher ist. Die Azteken wanderten unter deren Regiment ins Land, etwa seit dem 11. Jahrhundert und gründeten 1325 ihre Hauptstadt, die später den Namen Mexiko erhielt. Nur allmählich wuchsen sie zur ersten Macht heran. Die Tolteken hatten ihre Kultur von dem Maja-Geschlecht, d. h. einer Bevölkerung, die im Süden der Halbinsel Jukatan um die Städte Chiapa und Palenque wohnte. Ohne vom politischen Leben dieser Bevölkerung etwas zu wissen, muss man hier den Herd annehmen, von welchem eine mächtige Kultur nach Norden vordrang. Man glaubt die Blütezeit derselben schon am Anfang unserer Zeitrechnung ansetzen zu können, ja schon einige Jahrhunderte vor derselben ihren Bestand voraussetzen zu sollen. Eigentümlich ist nun im Reiche Montezuma's die Mischung feiner Civilisation und barbarischer Rohheit, welche sich aus der eben angedeuteten Völkermischung erklärt, sowie daraus, dass die Maja von keinem asiatischen oder europäischen Kulturlande befruchtet worden sind. Davon ist das merkwürdigste Anzeichen, dass noch die Mexikaner keine Bearbeitung des Eisens kannten, sondern mit Steinäxten u. dgl. kämpften. Auch ist echt indianisch die Ungeschicklichkeit in der Verwendung der Tiere, die sie nicht zum Ziehen und Tragen abrichteten. Anderseits hatte man nicht bloss den Landbau (bes. Maisbau) schon zur Zeit der Maja eifrig betrieben; auch die Baukunst war von alters her gepflegt worden, wie aus voraztekischer Zeit stammende Ruinen beweisen. Man baute Strassen, Brücken, Tempel mannigfacher Art. Die Hauptstadt, in welcher Strassenreinigung und -beleuchtung nicht fehlten, machte einen grossartigen Eindruck. Das Handwerk, besonders das Kunstgewerbe des Goldschmieds und Juweliers, florierte, der Handel wurde von den Azteken eifrig betrieben. Verwaltung und Kriegswesen waren wohlgeordnet, Erziehung und Schulung der Jugend bildete ein ernstes Anliegen bei allen Vornehmern. Auch die Religion bietet, wie wir sehen werden, eine seltsame Mischung von ernsten, erhabenen Ideen und grausamer Roheit dar. Zuvor seien noch die Haupt q u e l l e n angegeben, auf welche man bei deren Erforschung angewiesen ist. Durch die Spanier be1) Siehe über diese W a i t z IV, 1 ff. 2) Montezuma, der zweite dieses Namens, regierte 1503—1519.
Quellen über Mexiko.
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kehrt, haben einige Mexikaner selber, denen ihre nationalen Überlieferungen vertraut waren, Schriften darüber verfasst, so Pimentel I x t i l o x o c h i t l , aus der königlichen Familie von Tezkuko, hat eine Geschichte der Chichimeken u. a. geschrieben, Magnoz C am a r g o aus Tlaskala eine Geschichte dieses Freistaats, P o m a r aus Tezkuko historische Aufzeichnungen über seine Vaterstadt. Viel reichlicher aber ist das Material, das die erobernden Spanier hinterlassen haben, welchen man, ob sie auch manches nicht verstanden haben, zugestehen muss, dass sie sich für die Merkwürdigkeiten dieses Volkes lebhaft interessierten. Namentlich ist ihr Bericht da von Wert, wo sie als Augenzeugen reden 1 ). Fernando C o r t e z selbst hat Berichte über seine Expeditionen hinterlassen. Sein Hauskaplan Franzisko Lopez de G o m a r a hat wohl mit Benützung der Papiere desselben eine „Chronik von Neu-Spanien" geschrieben. Wichtiger ist des B e r n a l D i a z del Castillo 2 ) „Geschichte der Entdeckung und Eroberung von Neu-Spanien". Der warme Freund der Indianer de L E S C ä S E s schrieb zu ihren Gunsten ein „Memoriale", worin er ihre Sitten und religiösen Gebräuche wenig kritisch in das beste Licht zu rücken suchte. Auch der Franziskaner P. Bernardino de S a h a g u n , welcher sich seit 1529 im Lande aufhielt und das Volk gründlich studierte, ist geneigt, dessen Religion im christlichen Sinn zu idealisieren. Er schrieb eine immerhin sehr wertvolle „Geschichte der Dinge von Neu-Spanien". Wichtig ist auch des Jesuiten Joseph A c o s t a Historia natural y moral de las Indias occidentales, welche ausser der mexikanischen auch die peruanische Religionsgeschichte umfasst und auf einer altern Schrift eines Ordensbruders J u a n d e T o b a r fusst. Frühere Quellen benützte auch der 50 Jahre in Mexiko lebende Juan de T o r q u e m a d a zu seiner Monarchia Indiana, 1614. Unter den Spätem sind namentlich zu nennen H e r r e r a, der königliche Historiograpli Philipps II. und der gewesene Jesuit C l a v i g e r o , Verfasser einer „Alten Geschichte von Mexiko", deren Verdienstlichkeit A. v. Humboldt wieder ans Licht gezogen hat, der überhaupt wieder Teilnahme für die amerikanischen Studien weckte.
Die Religion der Mexikaner. Die Religion des Aztekenreiches wird obenhin als Polytheismus bezeichnet. Allein auch hier ergibt sich bei näherer Prüfung, dass das bunte Pantheon, welches die Europäer in der That in diesem Lande vorgefunden haben, nicht das ursprüngliche Bild der Volksreligion bietet, sondern das Ergebnis einer geschichtlichen 1) Siehe näheres über diese Quellen bei J. G. M ü l l e r , S. 442 ff. und bei R ö v i l l e S. 11 ff. 2) Derselbe war ein Offizier in der Umgebung des Cortez. O r e l l i , Religioiisgeachiclite.
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Mexikanische Religion: Sonnengott.
Ineinanderschiebung verschiedener Nationalreligionen war. Das Ursprüngliche ist auch hier das Einfache, eine einheitlichere Fassung der Gottheit. Und es kann kein Zweifel darüber bestehen; dass die Gottheit anfänglich als überirdische, himmlische aufgefasst und in nächster Beziehung zur S o n n e gedacht wurde. Es war auch hier nicht die physische Sonne als solche gemeint. Man hatte ein von dieser unabhängiges Wort für Gott, nämlich T e o t l 1 ) , und Erleuchtetere geben an, diese Gottheit (Teotl schlechthin) sei unsichtbar und Urheber aller Dinge. Allein für das Volksgemüt war die Sonne der T r ä g e r dieser allesbeherrschenden Gottesmacht oder doch ihre Manifestation, wozu sich dann als Nebenfigur von selbst der Mond gesellte. Dieser Sonnenkultus war die breite Grundlage der central- und südamerikanischen Religionen. Die Hauptgötter der Azteken sind, wie Reville wohl mit Recht annimmt, nähere nationale Bestimmungen des ursprünglichen S o n n e n gottes. Jedenfalls schimmert dieser noch in der späten mexikanischen Religion als das ursprüngliche durch. Sonnenscheiben von Gold waren verbreitet 2 ), riesige Gesichter, oft mit ausgestreckter Zunge, um das Sprechen und Lebendigsein des Sonnengottes darzustellen. Ebensolche Abbildungen finden sich auf den Ruinen bei Palenque. Obwohl die Sonne selbst bei den Azteken nicht mehr besonderer Tempel und eines eigenen Kultus sich erfreute, so nannten sich doch dieselben noch mit Stolz „ S ö h n e d e r S o n n e " , sie hiessen die Sonne O m e t e k u t l i , „den zweimal Herrn", den Mond O m e e i u a t l , „die zweimal Herrin", welche Formen an Ägypten erinnern. Sie begrüssten täglich die aufgehende Sonne mit Posaunenstössen und Opfern von Vögeln. Und unter den kleinen Hausgöttern und Amuletten 3 ) gab es sehr viele kleine Sonnenscheiben. Die neugeborenen Kinder wurden zuerst diesen uralten Gottheiten geweiht, wie wir sehen werden. An Ägypten erinnert aber auch die beachtenswerte Wahrnehmung, dass bei den althergebrachten schönen Weihereden, die etwa bei der Thronbesteigung gewechselt wurden 4 ), ebenso bei den von Geschlecht zu Geschlecht vererbten Mahnreden, die Vater und Mutter an Sohn oder Tochter hielten ä ), fast gar nicht auf eine Mehrheit von Göttern, sondern stetsfort auf die G o t t h e i t schlechthin, oder auf „unsern Gott", den Schöpfer von Allem, hingewiesen wird, welchem eine hohe sittliche Würde und ein bestimmter Wille in betreff des Verhaltens der Menschen beigelegt 1) Teotl klingt mit den indogermanischen Gottesnamen zufällig ganz zusammen, denn tl ist als mexikanische Endung abzulösen. Das Wort ist Appellativ geworden. In vielen Götternamen ist es enthalten, ebenso in Teokalli, Gotteshaus, Tempel u. s. f. 2) Cortez sandte zwei kostbare Scheiben dieser Art an Karl V., die Sonne von massivem Gold, der Mond von Silber. 3) Diese mexikanischen Hausgöttchen wurden T e p i t o t o n genannt. 4) Siehe solche bei W a i t z IV, 68 ff. 5) Siehe ebenda IV, 124 ff.
Huitzilopochtli.
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ist. Man hat wohl schon die moralisch-religiöse Höhe dieser von Sahagun und Torquemada übermittelten Reden verdächtig gefunden und gemeint, sie könnten um ihretwillen nicht echt mexikanisch sein; allein der besonnene Waitz hat gut ins Licht gesetzt, warum sie historisches Zutrauen verdienen. Wenn aber die Religion der centralamerikanischen Maja und auch der älteren Mexikaner eine altertümliche Einheitlichkeit der Gottesauffassung zeigte, so haben manche Umstände zusammengewirkt, um hier eine polytheistische Zersplitterung der Gottheit herbeizuführen. Der Sonnengott selbst konnte in verschiedener Fassung und unter verschiedener Benennung sich mehrheitlich spalten, und dies ist in der That geschehen. Anthropomorphisch nationalisierte Sonnengötter scheinen die beiden Hauptgötter der Azteken gewesen zu sein: H u i t z i l o p o c h t l i und T e z k a t l i p o k a , deren Kultus im gemeinsamen Hauptheiligtum von Mexiko statthatte. H u i t z i l o p o c h t l i 2 ) ist zweifellos der k r i e g e r i s c h e S t a m m g o t t d e r A z t e k e n , dem sie die Führung beim Zuge ihres Volkes aus ihrem fernen Stammland nach dem mexikanischen zuschrieben. Der Name bedeutet „Kolibri links", womit übereinstimmt, dass der Gott am linken Fuss zum Schmuck eine Kolibrifeder trägt. Nur eine andere Benennungsform ist der Name H u i t z i t o n „der kleine Kolibri". Doch wird diese gebraucht um den menschlichen Stammheros, der den Stamm auf jenem Zuge führte 3 ), zu bezeichnen. Es erhebt sich daher, die eigentliche Identität von Huitziton und Huitzilopochtli vorausgesetzt, die Frage, ob man es mit einem vergötterten H e l d e n , oder mit einem euemerisierten G o t t zu thun habe. Noch Waitz hielt das erstere für richtig, während die Neuern mit guten Gründen den geschichtlichen Helden Kolibri aufgegeben haben und in ihm nur den Reflex des Gottes sehen, der in Tiergestalt das Volk auf seiner Wanderung geführt habe, wie so manche Sage ähnliches erzählt. Der Kolibri wäre dem Specht der Römer (Picus Martius) zu vergleichen, welcher die Sabiner nach Picenum geführt hat. Zu solcher Rolle ist der kleine Vogel Kolibri vortrefflich geeignet, der ebenso durch den schönsten Federschmuek wie durch seine kriegerische Tapferkeit sich auszeichnet. Was die Gottheit selbst anlangt, so war sie Naturgottheit ebensosehr und früher als politische, nationale. J . G. Müller bestimmte sie als Luft- und Himmelsgott mit besonderer Beziehung auf die jährlich im Frühling erblühende und im Herbst absterbende Pflanzenwelt; einleuchtender Reville als S o n n e n g o t t , und zwar als jugendlich im Frühling geboren werdende, alle Vegetation hervorbringende und mit ihr im Herbst ersterbende Sonne. Bedeut1) W a i t z IV, 124 f. 2) Der Name ist nach J. G. Müller auszusprechen Huitzilopotschtli. Er ist ins Deutsche als komische Bezeichnung des Teufels übergegangen: Vitzilipuchtli, Vizlipuzli. 3) Derselbe vernahm den Ruf eines Vögelchens: tihui! „lasst uns gehen" • und erkannte darin die Mahnung- mit seinem Volke auszuwandern.
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Mexikanische Relig'ion: Huitzilopochtli.
sam ist schon, dass die Azteken den Kolibri Sonnenstrahl oder Sonnenhaar nannten J ), da er wie ein solcher Strahl in seinem leuchtenden Glänze auf die Blume fällt. Er ist das paradiesische Vögelchen der Sonne, das dort zu Lande die Stelle der Biene vertrat, welche man vor A n k u n f t der Europäer nicht kannte, u n d aus den von der Sonne geöffneten Kelchen den Honig sog. Wir haben hier wieder ein Beispiel dafür, dass der Kultus nicht vom T i e r zum himmlischen Gotte aufgestiegen ist, sondern dass man in dem Tierchen eine Selbstdarstellung des letztern zu erblicken meinte. Mit dieser solaren, überhaupt n a t u r h a f t e n Deutung des Huitzilopochtli stimmt nun vollkommen überein, dass dessen H a u p t f e s t e in den Mai, auf Ende Juli und gegen die Zeit der Wintersonnenwende fallen, d. h. auf den Zeitpunkt, wo nach der öden Dürre die Frühlingsregen beginnen und eine neue Vegetation hervorrufen, in die Zeit, wo das J a h r in seiner höchsten P r a c h t steht, und endlich auf den Moment, wo die Sonne abstirbt u n d die Pflanzenwelt zu G r u n d e geht. An diesem letzten Feste vollzog man einen sprechenden Gebrauch. Man bildete aus allerlei Samen einen mit dem Blut von Kindern angefeuchteten Teig und formte diesen zu einem Bilde des Gottes. Dieses wurde dann von einem Priester des Q u e t z a l k o a t l mit einem Pfeile durchschossen. Derselbe schnitt ihm, wie man es bei den Menschenopfern zu inachen pflegte, das Herz aus und dieses wurde vom Könige gegessen, Mährend der Leib in Stücke geschnitten und unter die Bewohner der Stadt verteilt wurde. Man ass den Gott, und dieser galt nun f ü r tot, erschien aber im folgenden J a h r wieder neu v e r j ü n g t . Ein eigentliches K u l t u s b i l d des Gottes Huitzilopochtli von Holz wurde bei der E i n w a n d e r u n g auf einer heiligen Kiste getragen, die man mit der Bundeslade der Israeliten verglichen hat. Deren F a r b e war blau, ebenso die der Basis des s p ä t e m Hauptbildes, dessen Gesicht man am Sommerfeste auch blau malte, damit es an den u n g e t r ü b t blauen Himmel erinnere. Das Bild 2 ) selbst, unförmlich und kolossal, mit riesigen, erschreckenden Augen, zierten eine Menge Edelsteine und Perlen, aber auch Menschen-Gesichter u n d goldene Herzen (seine Opfer darstellend). Mit goldenen Schlangen w a r er umgürtet, mit der einen Hand hielt er den Bogen, mit der andern v i e r P f e i l e , welche auch etwa neben ihm lagen, u n d auf diesen sollte die Stärke seines Volkes beruhen. Von den grauenhaften Opfern, welche ihm dargebracht wurden, soll nachher die Rede sein. Hier sei noch angemerkt, dass eine kleine F i g u r , welche ihm wie ein Knappe eine kleine Lanze und einen goldenen Schild hielt, dicht daneben stand: P a i n a l t o n g e n a n n t : „der kleine Hurtige", der Genius des p l ö t z l i c h e n K r i e g s l ä r m e s u n d A u f g e b o t s , eine blosse Spezialität des Kriegsgottes; es ist j e n e r H u i t z i t o n , „ d e r k l e i n e K o l i b r i " , sein Doppelgänger, wie wir sahen. 1) J. G. M ü l l e r S. 592. 2) Siehe die Beschreibung des Bemal Diaz bei R e v i l l e S. 65.
Tezkatlipoka.
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Huitzilopochtli selbst trägt auch noch andere Namen, wie M e x t Ii („der Krieger"), T e t z a t e o t l („der schreckliche Gott") u. a. m. Allein dieser Gott hatte sich mit einem ebenbürtigen in die Herrschaft geteilt. In jenem Hauptheiligtum zu Mexiko stand neben dem eben beschriebenen Kolossalbild ein ebenso grosses mit der Schnauze eines Tapirs, welches T e z k a t l i p o k a darstellte, der ebensoviel Ehre und Opfer empfing. Der Name bedeutet „ g l ä n z e n d e r S p i e g e l " , aus glänzendem schwarzem Stein gehauen mit einem glänzenden Schild in der Linken und leuchtenden Augen. Er trägt die Haare gezopft in einem goldenen Netz, woran ein goldenes Ohr angehängt war, gegen welches Zungen aufzusteigen schienen — ein Symbol der Erhörung, welche er den Bittenden gewährt. Auch er führt v i e r P f e i l e , die nie des Zieles verfehlen. In seinem Spiegel sieht er alles, was die Menschen thun, und so beaufsichtigt er sie mit strenger Gerechtigkeit. Er sendet ihnen zur Strafe für Übelthaten Krankheiten, Hunger, Tod. Wie schon Wuttke erkannt hat, weisen manche Züge, voran der glänzende Spiegel, auf einen Sonnengott. Dann fragt sich aber, wie er sich zu Huitzilopochtli verhält. Seine Feste fallen auch in den Mai und Dezember; ausserdem in den Oktober, wo die Ankunft der Götter, und speziell die seinige gefeiert wird. Wenn Huitzilopochtli stirbt, so bleibt Tezkatlipoka und kommt um so mehr zu Ehren. Erst wenn jener wieder auflebt, tritt dieser zurück; der Gott stirbt nicht, aber er verschwindet. Deshalb hat Reville ihn als eine andere Phase des Sonnengotts aufgefasst: „die austrocknende, unfruchtbare Sonne der kalten Jahreszeit, wo es in Mexiko nicht regnet." In ihrer bürgerlichen Thätigkeit unterscheiden sie sich so, dass Huitzilopochtli hauptsächlich K r i e g s g o t t ist, sein „Bruder" Tezkatlipoka der innern Verwaltung des Staates und der R e c h t s p f l e g e sich annimmt. Allein sowohl jene Teilung in die Phasen des Sonnenlaufs als diese Beschränkung auf eine Seite des Volkslebens ist sicherlich nicht das Ursprüngliche. Vielmehr wird die Erklärung dieser Parung zweier Hauptgötter darin liegen, dass sie aus dem Kultus zweier verschiedener Völker stammen — J. G. M ü l l e r nimmt an der Azteken und der Tlailotlaken *) —, bei welchen die solare Gottheit sich mit verschiedenen und doch auch ähnlichen Zügen ausgestaltet hat. Im Kultus ist beiden, da sie politisch gleichberechtigt erschienen, gleiches Recht geworden, und man liess sie nach ihrer Eigenart in die Lebenssphäre des Volkes sich teilen. Ein ähnliches und doch wieder anderes Abkommen hat man mit einer dritten Gottheit getroffen, die einst im Lande sich unbestrittener Herrschaft erfreute: Q u e t z a l k o a t l war die Hauptgottheit in der toltekischen Periode gewesen, die durch die Aztekengötter zwar von der leitenden Stellung verdrängt worden ist, aber immer noch eine ehrenvolle behauptet hat. Noch stärker als bei 1) J. G. Müller S- 614.
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Mexikanische Religion: Quetzalkoatl.
dem zuerst besprochenen Stammgotte der Azteken tritt bei Quetzalkoatl eine menschlich-göttliche Doppelheit des Wesens hervor, wie denn überhaupt in der amerikanischen Anschauung die Schranke zwischen Gott und Mensch keine absolute ist, sondern mannigfach überschritten wird. Es wird viel von einem m e n s c h l i c h e n P r i e s t e r k ö n i g Q u e t z a l k o a t l erzählt, der mit seinem Volke aus der östlichen Heimat Tlapallan (Rot-Land) gekommen sei und in Tula regiert habe. Genauer wird von ihm der weltliche Anführer H u e m a k oder Huematzin unterschieden, welcher dem Volke das Gesetzbuch schrieb. Quetzalkoatl selbst war das p r i c s t c r l i c h c Haupt, ein w e i s s e r Mann (nach Andern mit rotem Gesicht) in weissem Gewand, mit langem Bart. In der Nähe der Stadt befindet sich ein Vulkan, wo er seinen asketischen Übungen oblag. Seine Gesetze wurden durch einen Ausrufer von der Spitze dieses Berges so laut verkündigt, dass man es 300 Meilen weit hörte. Er lehrte das Volk Ackerbau und milde Sitten, auch mancherlei Gewerbe und Kunst, wie das Schneiden des Steines, das Schmelzen von Metall, er gab einen Kalender und eine staatliche Ordnung. Kurz er war der Schöpfer der K u l t u r . Rohe Sitten verabscheute er, insbesondere predigte er w i d e r d i e M e n s c h e n o p f e r und hiess den Göttern nur Früchte und Blumen darbringen. Auch der Krieg war ihm verhasst. Er stopfte die Ohren zu, wenn er nur davon reden hörte. Unter seinem milden Regiment lebte man im glücklichsten Frieden. Menschen und Tiere waren eintrachtig, die Ernten überreich, der Wohlstand allgemein. Allein dieses goldene Zeitalter nahm ein Ende, als der verschlagene Tezkatlipoka, der hier nicht als der Träger der Gerechtigkeit, sondern als der schlaue, rücksichtslose Eindringling erscheint, sich in der Stadt einnistete und den Quetzalkoatl bezauberte, dass er, von Sehnsucht nach der fernen Heimat ergriffen, die von ihm geschaffene Herrlichkeit selber zerstörte und mit den Singvögeln das Land verliess. Der arglistige Tezkatlipoka hatte sich bei seiner Ankunft an Spinnweben vom Himmel herniedergelassen. Nach einer anderen Erzählung wäre er mit zwei Gefährten, unter welchen Huitzilopochtli genannt wird, als schmucker Jüngling eingezogen und hätte durch seine Verführung und mancherlei Streiche *) den Tod vieler Bewohner von Tula herbeigeführt, so dass der König Quetzalkoatl sich leichter entschloss, seine verwüstete Residenz zu verlassen und jenem Verlangen nach seiner alten Heimat zu folgen, das ihm der Nebenbuhler, als er selber krank war, in einem angeblichen Heiltrank beigebracht hatte. Jedenfalls verliess Quetzalkoatl Stadt und Land und gelangte, von seinem Gegner fortwährend verfolgt, endlich nach Cholula, wo er längere Zeit blieb, bis er wieder weiter nach Osten wandern musste. Er erreichte zuletzt das östliche Meer (bei Vera Cruz) und die Schlangen desselben bildeten für ihn ein Floss, auf welchem er nach dem Lande Tlapallan hinüber fuhr. Doch er1) Siehe dieselben bei R ö v i l l e S. 75 f.
Quetzalkoatl.
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wartete man, er w e r d e v o n d o r t e i n m a l w i e d e r k o m m e n , um seine Verächter zu züchtigen. Da Cholula ein Hauptsitz der Verehrung des Quetzalkoatl blieb, so ist in diesen Erzählungen unverkennbar der durch das Eindringen der rauheren Aztekengötter veranlasste Rückzug seines Kultus und überhaupt der toltekischen Gesittung nach der Sichtung, woher sie gekommen waren, angedeutet. Man hat nun oft gemeint, in Quetzalkoatl eine h i s t o r i s c h e Erscheinung erblicken zu sollen und etwa an einen Buddhisten oder auch einen Amerikaner gedacht, der solche Weisheit verkündigt hätte und deshalb vergöttert worden wäre. Dass er aber eine b l o s s m y t h i s c h e Personifikation der toltekischen Kultur ist, dafür spricht der Umstand, dass derselbe Mann ebenso sehr bei ihrer Vertreibung wie bei ihrer Entstehung beteiligt ist. Die kultischen Gebräuche führen weiter darauf, dass wir in ihm einen älteren Landesgott zu sehen haben, der zur Zeit der Tolteken und Chichimeken die Stelle einnahm, welche er später den neu eingedrungenen Göttern überlassen musste. Seine Attribute zeigen bei aller Verschiedenheit doch manche Analogie zu denen jener beiden Aztekengötter. Er wird mit S p e r l i n g s k o p f 1 ) abgebildet, da dieses Tier ihn darstellt, wie der Kolibri jenen andern Gott. Namentlich aber wird er als Schlange bezeichnet: „ d i e b e f i e d e r t e S c h l a n g e " ist eine häufige Benennung für ihn, und solche Schlangengötter sind in Centraiamerika sehr häufig. Diese Zoomorphismen führen auf einen alten Naturgott. Man hat in ihm eine weitere, beziehungsweise ältere Ausgestaltung des S o n n e n gottes erkennen wollen. Nach J . G. Müller und A. Reville ist er vielmehr L u f t - und W i n d gott, der in den von Osten kommenden, im Frühling Regen und Wachstum bringenden Passatwinden sein natürliches Substrat hat. Doch ist er dabei als Spezialität des H i m m e l s g o t t e s zu denken, daher auch die Sonne ihm nicht fern steht. Heisst er doch „Sohn der Sonne", und diese wird sein Auge genannt 2 ). Dieser natürliche Charakter des Gottes ist aber durch seine Beziehungen zum L e b e n d e r M e n s c h e n und ihrer Kultur bereichert und v e r g e i s t i g t worden. Den Azteken zumal erschien er, der Gott eines Landes, dessen Civilisation ihnen gewaltig imponierte, als ein f r i e d l i c h e r , w e i s e r , m e n s c h e n f r e u n d l i c h e r Gott. Ob mit seinem Dienste jemals gar keine Menschenopfer verbunden waren, ist zu bezweifeln. Im Vergleich mit dem furchtbar blutigen Kultus der Azteken erschien der seinige allerdings in sehr mildem Lichte. Aber Quetzalkoatl selbst hat wohl erst als Erbe des V o t a n , des alten Maja-Gottes, jenen menschenfreundlichen und kultureifrigen Charakter angenommen; gewisse 1) Nach Herrera hatte sein Bild Menschengestalt, aber einen Sperlingskopf mit rotem Schnabel, aus welchem die Zunge hervorhing, und einen grossen Kamm. 2) Vgl. hinsichtlich seiner Beziehung zu Sonne und Himmel J. G. Müller S. 588 f.
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Mexikanische Religion: Quetzalkoatl
Tlalok.
barbarische Züge können ihm dabei geblieben sein. Auf alle Falle waren sich die Azteken bewusst und rühmten sich sogar dessen, dass sie ihren von Menschenblut triefenden Götterdienst im Lande aufgebracht hätten. Die Ehrfurcht aber, die sie dem überlegenen Geist der Civilisation des Landes nicht versagten, kam dem Quetzalkoatl zu gut, dessen Dienst sie nicht unterdrückten, sondern in besondern Tempeln und durch besondere Priesterkollegien weiter verrichten Hessen. Der O b e r p r i e s t e r eines solchen hiess geradezu Q u e t z a l k o a t l wie der Gott selbst, was einen Fingerzeig gibt, wie wir die Entstehung jener Sage vom Priesterkönig in Tula uns zu denken haben. Eine Art von Anerkennung der geistigen und sittlichen Überlegenheit der alten Tolteken liegt auch darin, dass die Azteken selber bei Anlass der Vertreibung Quetzalkoatls von den eigenen Göttern so wenig rühmliches erzählen. Es blieb ihnen auch etwas wie böses Gewissen diesem Gotte gegenüber, dessen Rückkehr man halb befürchtete. Diese Erwartung ist vielleicht die Ursache zum Fall Mexiko's geworden. Denn als Cortez mit seinen Soldaten an der östlichen Küste landete, glaubte Montezuma nicht anders, als dass der weisse Mann ein Abgesandter jenes Gottes wäre, wenn nicht gar der Gott selbst. Diese Ahnungen waren der Grund, warum Montezuma so unschlüssig und zaudernd sich verhielt, während er bei raschem Handeln mit der ungeheuern Übermacht seiner Streiter die kleine Schar der Spanier trotz ihrer trefflichen Ausrüstung hätte erdrücken können. Die erste Quelle, aus welcher der Polytheismus entsteht, ist, wie wir auch hier sehen, die Mannigfaltigkeit, in welcher dieselbe Gottheit des Himmels oder der Sonne bei verschiedenen Stämmen und Völkern benannt und bestimmt worden ist. Eine andere Quelle, welche auch hier reichlich floss, bildet der Geisterglaube, welcher vor allem an die Naturelemente sich heftete, und aus welchem Götter erwachsen konnten, welche mit den himmlischen rivalisierten. Wir nennen nur die bedeutendsten Nebengötter, welche sich in Mexiko über das grosse Heer von Geistern erhoben und das Ansehen wirklicher Götter erlangt haben. Unter ihnen ist vor allem T l a l o k , der R e g e n g o t t , zu nennen, welcher noch in jene erstere Kategorie gehört; denn es ist nur eine spezielle Auffassung des H i m m e l s gottes, der Jupiter pluvius. Ist er doch einäugig wie so manche Himmelsgötter: sein Auge ist die Sonne. Er führt Blitz und Donner, sein Leib ist mit blauen Bändern umwunden, die an das Blau des Himmels erinnern sollen. Die Statue selbst hat sitzende Stellung und trägt grüne Wasserfarbe. Man verehrte den Gott auf Bergen. Auch an Wassern glaubte man ihn wohnend und feierte ihm Feste. Symbol dieses Gottes als des Regen- und Windgottes war das K r e u z (mit 4 gleichen Armen), welches die Spanier mit Verwunderung 1) Gomara schätzte die Zahl der amerikanischen Götter auf 2000. Dabei sind natürlich nicht nur die vielen Beinamen der Götter mitgezählt worden, sondern auch die untergeordneten Geister und Amulette.
Centeotl und andere Göttinnen.
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überall angebracht sahen 1 ). Tlalok hat auch eine Gattin namens C h a l c h i u i t - l i k u e („Herrin der Smaragde") und viele Söhne, die T l a l o k s in der Mehrheit, welche ähnlich mit dem Vater abwechseln, wie in der vedischen Religion Marut und die Maruts. In der Stadt Mexiko hatte Tlalok seinen Tempel in unmittelbarer Nachbarschaft des Heiligtums der beiden Hauptgötter. Davor befand sich ein grosser ihm geweihter Platz, auf welchem jährlich einmal die Seelen der geopferten Kinder an einem Feste zusammenkommen sollten, die ihm anheimfallen und im T l a l o k a n , einem schönen himmlischen Garten unter seiner Obhut ein glückliches Leben führen. Diesem Gotte wurden an verschiedenen Festen Kinder geopfert, namentlich in der Zeit der Dürre, wo man ihn damit zur Rückkehr zu bewegen suchte. Auch Krankheiten, die j a oft von der Feuchtigkeit herrühren, schrieb man seiner Urheberschaft zu. Ein anderes sonst christliches Symbol, das die Spanier beim Einzug in Mexiko überraschte, war die häufige Darstellung einer göttlichen Frau mit einem kleinen Kind in den Armen. Es ist das Bild der Göttin C e n t e o t l , eigentlich Göttin des M a i s (centli), welche von den nördlichen altern Bewohnern wie von den südlichen M a j a v ö l k e r n verehrt wurde. Da der Mais die wichtigste Kulturpflanze war, erschien sie überhaupt als Göttin des Ackerbaues, der Ernährung, worauf auch das von ihr gehegte Kind deutet, welches ebenfalls C e n t e o t l heisst. Ihre Tochter ist X i I o n e n , „die Blonde", d. h. der junge, zur Reife strebende Mais, welchem ein Ährenfest gefeiert wurde. Dieser Kultus ging dann auf die Azteken über. Er war von Haus aus wahrscheinlich wie bei den Totonaken ganz unblutig. Aber wenigstens bei den Azteken iehlt am Schluss des ihr gefeierten Agrarfestes das Menschenopfer nicht. Als „ E r n ä h r e r i n d e r M e n s c h e n " wurde Centeotl die allgemeine Urmutter aller Lebenden. Als solche führt sie den Namen T o n a n t z i n , „ u n s e r e M u t t e r " , oder T o z i t z i n , „ u n s e r e G r o s s mutter". Auch T e t e i o n a n , „ d i e M u t t e r d e r G ö t t e r " , ist wohl nur ein anderer Name für dieses weibliche Urwesen, zu welchem die Spekulation die Göttin des Ackerbaues, die mexikanische Ceres, erhoben hat. Neben ihr gab es eine J a g d g ö t t i n M i x k o a t l , „ d i e W o l k e n s c h l a n g e " , welche von den wilden Stämmen besonders in Ehren gehalten wurde. Auch von ihr existieren Steinbilder mit einem Pfeilbündel in der Hand. Auch eine Venus fehlt nicht, von den Tlaskalteken X o q u i q u e t z a l ( „ d i e b l u m i g e F e d e r " ) genannt. Sie gilt ihnen als unwiderstehliche Schönheit, im Himmel in einem paradiesischen Garten lebend und reiche Stotfe webend oder spinnend. Sie war Gattin des Tlalok, wurde ihm aber von Tezkatlipoka geraubt. Die Azteken nennen sie T l a z o l t e o t l , „ G ö t t i n d e r S c h m u c k s a c h e n " , und geben ihr allerlei schimpfliche Bei1) Merkwürdigerweise nannten die Mexikaner das Kreuz auch den ,Baum des Lebens" oder der Fruchtbarkeit.
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Mexikanische Religion: Kultus.
namen, da sie bei ihnen die Vertreterin der sinnlichen, schmutzigen Liebe ist. Solcher untergeordneter Gottheiten, die in keiner Weise neben die höchsten, eigentlichen Götter sich stellen können, Hessen sich viele nennen. Schon erwähnt wurden die T e p i t o t o n , d. h. „ d i e g a n z K l e i n e n " , die mexikanischen Hausgötzen, puppenartige Figuren, deren jeder je nach seinem Rang eine Anzahl haben durfte, der König sechs, die Vornehmen vier, die Gemeinen nicht mehr als zwei. Der mexikanische K u l t u s war ein gesetzlich wohl geordneter und reich ausgebildeter. Man hatte sogar zwei Kalender, einen ältern Mond- und einen jüngern Sonnenkalender, von denen der erstere noch aus religiöser Pietät von den Priestern beibehalten wurde. In beiden waren eine grosse Zahl jährlich wiederkehrender Feste verzeichnet. Grossartig waren die T e m p e l bauten. Doch haben diese ihre Besonderheiten. Das T e o k a l l i („Gotteshaus") bestand eigentlich nicht aus einem Hause, sondern aus einem durch Aufschichtung von nach oben sich verjüngenden Steinlagen pyramidalen Altar von kolossaler Ausdehnung, der an die babylonischen Tempel erinnert. Treppen, welche rings um die Pyramide liefen, führten von Etage zu Etage auf die oberste Plattform, was die malerische Wirkung der in Mexiko beliebten pomphaften Aufzüge und Prozessionen bei Festlichkeiten sehr erhöhen musste. Auf jener obersten Fläche stand das Götzenbild, meist durch eine Art Kapelle geschützt. So war das grosse Teokalli, das Hauptheiligtum der Stadt Mexiko mitten in derselben, etwa 125 Meter lang und 100 Meter breit. Seine Höhe betrug 27 bis 28 Meter. Es bestand aus 5 solcher Etagen oder Terrassen. Jede derselben trat um 3 Meter hinter der untern zurück, so dass ein Weg von dieser Breite zur Verfügung stand. Dieser Bau war von einem gewaltigen viereckigen Hofe von 400 Meter Umfang umgeben. Rings um denselben standen 78 kleinere Gebäude, Türme, Tempel, Kapellen, welche einzelnen Gottheiten geweiht waren. Also stand hier im Mittelpunkte des Reiches eine ganze heilige Stadt voller Heiligtümer. Gegenüber dem Eingang jenes Hofes nahm man mit Grauen eine ganz enorme Pyramide von Menschenschädeln wahr — man hat deren Zahl auf 136 000 berechnet — welche von den unglücklichen Opfern dieses grausamen Götterdienstes ein beredtes Zeugnis ablegten. Dass die Gottheiten durchweg abgebildet wurden, sahen wir schon. Diese Bildnerei war eine rohe; sie suchte durch den Reichtum an Ornamenten, mit welchen die Figuren überladen sind, den Mangel an wirklicher Schönheit und edler Form zu ersetzen. Die P r i e s t e r s c h a f t stand in hohem Ansehen. Sie war nicht nur die Verwalterin des Gottesdienstes, sondern auch die Pflegerin der Wissenschaft, Erzieherin der Jugend, Trägerin der Heilkurist und Begleiterin im Kriege. Die Zahl der Priester war deshalb eine sehr grosse, sie waren hierarchisch gegliedert. Die eigentlichen Opferpriester liiessen T e o q u i x q u i . An der Spitze der gesamten Priesterschaft stand bei den Azteken ein Oberpriester
Priesterschaft. Kindertaufe.
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von höchstem Einfluss*). Auch jedes Priesterkollegium hatte seinen besonderen Vorsteher. Etwas tiefer an Raug als die eigentlichen Priester standen die M ö n c h e , welche Klöster bewohnten und Seminarien für die Jugend leiteten, in welchen Kinder vom siebenten Jahr an unterrichtet und dabei streng erzogen wurden, indem sie sich häufig durch Fasten u. dgl. reinigen mussten. Die Priester trugen in der Regel s c h w a r z e baumwollene Gawänder, die über den Kopf geschlagen wurden; dagegen die des Quetzalkoatl waren w e i s s gekleidet. Das Haupthaar schnitten die Priester nie. Bevor sie die kultischen Ceremonien verrichten durften, empfingen sie eine Art Salbung, wobei Kinderblut der Salbe beigemengt war. Bei den Priestern wie den Mönchen herrscht eine strenge asketische Richtung vor. Sie können sich selbst den Göttern nur genehm machen durch Peinigung des Fleisches. Aber diese Askese führt hier in der Regel nicht zur Weltflueht, wie etwa beim Buddhismus, dessen Einfluss A. v. Humboldt liier wahrzunehmen glaubte, sondern zu um so energischerem und rücksichtslosem Auftreten in der Welt. Im 15. Altersjahr wurden die Knaben und Mädchen aus ihren Seminarien entlassen und dem Leben zurückgegeben ausser denen, die sich dem Priester- oder Klosterleben widmen wollten und vielleicht nun Erzieher und Erzieherinnen wurden. Es gab immerhin eigentliche Männer- und Frauenklöster mit Cölibat. Unter den G e b r ä u e h e n , welche durch ihre Ähnlichkeit mit christlichen frappierten, ist auch eine K i n d e r t a u f e der Mexikaner zu nennen. Dabei wurde das neugeborene Kind am fünften Tage nach der Geburt, nachdem sich die Verwandten zu festlichein Mahle versammelt hatten, feierlich um das Haus herum getragen und den Hausgöttern vorgestellt. War es ein Knabe, so brachte man ihm einen kleinen Schild und Bogen und vier kreuzweis gelegte Pfeile; ein Mädchen erhielt ein Unterröckchen und Gerfite zum Nähen und Weben. Dann nahm die Hebamme das Kind, hielt es über ein Gefäss voll Wasser und sprach zu ihm: „Mein Kind, die Götter Ometekutli und Omeciuatl (Sonne und Mond) haben dich in diese Welt des Unglücks geschickt; empfange dieses Wasser, welches dich beleben wird. Dann feuchtete sie mit den Fingern Mund, Kopf und Brust des Kindes, und tauchte darauf seinen ganzen Leib in das Wasser und rieb jedes Glied mit dem Ausruf: „Wo bist du, Unglück? Geh weg von diesem Kind!" Darauf empfahl man dasselbe den Göttern, vorab den beiden oben angerufenen und dem Gotte des Wassers. Auch erhielt es jetzt seinen Namen. In der letzten Nacht seines vierten Lebensjahres hatte das Kind dann noch eine Feuertaufe zu bestehen, wobei es ziemlich rasch, so dass es nicht Schaden nehmen konnte, durch ein Feuer geschoben wurde. Bei dieser Gelegenheit wählte man dem Kinde 1) Dieser hiess Teotekutli, „göttlicher Herr" und Mexikatl Teohuatzin, „Ehrwürdiger mexikanischer Aufseher über die heiligen Dinge". Er hatte einen Stellvertreter und dieser wieder einen Vertrauensmann.
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Mexikanischer Kultus: Beichte.
Menschenopfer.
einige Beschützer u n t e r den Göttern, zu d e r e n E h r e n sein Blut fliessen musste, i n d e m m a n ihm zu diesem E n d e die Ohren d u r c h bohrte. Man g a b ihm auch s t a r k e s G e t r ä n k 1 ) , so dass es betrunken wurde. Die katholischen Spanier waren auch e r s t a u n t , bei den Mexik a n e r n eine B e i c h t e zu finden, w e l c h e r diese hohe W i c h t i g k e i t beilegten. Der M e x i k a n e r beichtete seine S ü n d e n , sie der Reihe nach a u f z ä h l e n d , einem Priester, n a m e n t l i c h einem solchen des T e z k a t l i p o k a , als des Gottes der r i c h t e n d e n Gerechtigkeit.. Doch a u c h T l a z o l t e o t l , die Göttin der wollüstigen Liebe, n a h m solche Beichten in E m p f a n g . Nach gewissen Ceremonien hatte d e r S ü n d e r in s t r e n g s t e r W a h r h a f t i g k e i t seine F e h l t r i t t e dem P r i e s t e r mitzuteilen, der d a r ü b e r vollkommenes Geheimnis zu b e w a h r e n verpflichtet w a r . Nach Anhören der Beichte legte dieser j e n e m ents p r e c h e n d e Pönitenzen auf, wie F a s t e n , Blutungen, n a m e n t l i c h auch D u r c h b o h r e n der Ohren oder der Z u n g e mit Hölzchen (eine beliebte asketische P r a x i s ) , Opfer, T ä n z e u. dgl. D a n n w a r die S ü n d e gesühnt, u n d auch w e n n späterhin die J u s t i z ein V e r b r e c h e n entdeckte, das in dieser Weise gebeichtet war, so galt dasselbe nicht m e h r als straffällig. Natürlich w a r d a h e r die Beichte eine beliebte Weise, sich dem A r m e d e r G e r e c h t i g k e i t zu entziehen. Ein Unterschied von der katholischen u n d buddhistischen Beichte liegt a u c h darin, dass m a n sie n u r e i n m a l ablegen konnte. Daher v e r s c h o b m a n sie ins höhere Alter, indem die n a c h h e r b e g a n g e n e n S ü n d e n als u n s ü h n b a r g a l t e n . In dieser S c h r a n k e lag ü b r i g e n s ein pädagogisch wohlthätiges Moment, d a m a n doch n u r das erste Mal v o r dem s t r a f e n d e n Arm d e r O b r i g k e i t zu dem E r b a r m e n d e r Gottheit Zuflucht n e h m e n k o n n t e . W a s jedoch d e m g a n z e n K u l t u s der Azteken seinen eigentümlichen Stempel a u f d r ü c k t e , w a r e n die M e n s c h e n o p f e r , welche hier in e x o r b i t a n t e m Masse d a r g e b r a c h t w u r d e n . Als Cortez mit seinen Gefährten die oberste P l a t t f o r m des grossen Teokalli d e r Stadt Mexiko b e t r a t , d a — erzählt Bernal Diaz als A u g e n z e u g e — lud sie Montezuma ein, in einen T u r m einzutreten, wo sich ein Saal mit j e n e n R i e s e n b i l d e r n des Huitzilopochtli u n d des Tezkatlip o k a b e f a n d . Vor d e m Bild des e r s t e m b r a n n t e n drei Menschenherzen von solchen, die a m selbigen T a g e g e o p f e r t w a r e n . Die Mauern u n d d e r F u s s b o d e n dieser Kapelle w a r e n so mit g e r o n n e n e m Blut b e d e c k t , d a s s ein w i d e r w ä r t i g e r Geruch das G e m a c h durchd r a n g . Dasselbe f a n d e n sie v o r d e m Bilde j e n e s a n d e r n Gottes. An allen F e s t e n oder sonst bei w i c h t i g e m Anlass w u r d e n solche O p f e r g e b r a c h t . Als m a n erst e t w a 3 0 J a h r e vor d e r A n k u n f t des Cortez dieses Hauptlieiligtum einweihte, sparte m a n m e h r e r e J a h r e l a n g ( 1 4 8 2 — 1 4 8 6 ) die K r i e g s g e f a n g e n e n auf, u m sie bei diesem F e s t e zu o p f e r n u n d schlachtete sie dann w ä h r e n d vier 1) P u l q u e , mexikanischer Branntwein von Mais oder der Frucht der Agave, spielt auch sonst im Kultus eine Rolle.
Menschenopfer.
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Tagen. Torquemada spricht von 62 344 solcher Gefangenen. Mag aber auch die Zahl übertrieben sein, so waren es doch jedenfalls viele Tausende. Bei den Jahresfesten der beiden aztekischen Hauptgötter musste immer mindestens ein Menschenopfer fallen. Z. B. beim Maifest Tezkatlipokas 1 ) hatte man dafür den schönsten jungen Kriegsgefangenen oder Sklaven ausgesucht, der den jugendlichen Gott, selbst darstellen sollte und schon ein ganzes Jahr vorher als solcher verehrt worden war. Zwanzig Tage vor dem Fest wurde er mit vier schönen Mädchen verheiratet, fünf Tage vor demselben mit prächtigen Mahlzeiten bewirtet. Am Festtage selbst begleitete er das Bild seines Gottes an der Spitze der Prozession eine Meile von der Stadt hinweg und wurde dann dort mit aller Ehrerbietung geopfert. Das Herz wurde ihm zuerst ausgeschnitten und dem Götzenbild, d a n n d e r S o n n e dargeboten; der Leib wurde von den Priestern heruntergetragen und von den Festfeiernden die Arme und Beine verzehrt. Dem Kultus des Q u e t z a l k o a t l waren Menschenopfer weniger eigen. Doch fehlen sie auch hier nicht. Z. B. finden wir einen dem eben beschriebenen Brauch ganz analogen beim Fest der K a u f l e u t e zu C h o l u l a zu Pahren dieses Gottes 2 ). Vierzig Tage vor dem Fest kauften dieselben einen fehlerlosen Sklaven. Nachdem dieser in einem See, Göttersee genannt, gebadet worden, wurde er i n d e n G o t t Q u e t z a l k o a t l v e r k l e i d e t , den er nun 40 Tage lang vorzustellen hatte. Während dieser Zeit verehrte man ihn mit Blumen und Opfergaben wie den Gott selbst und nährte ihn vorzüglich, doch gab man wohl Acht, dass er nicht entfliehe. Bei seinen Aufzügen durch die Stadt sang und tanzte er. Neun Tage vor dem Termin traten zwei alte Priester demütig zu ihm und sagten mit tiefer Stimme: „Herr, wisse, dass in neun Tagen dein Tanzen und Singen aufhört, denn du inusst sterben". Es galt für ein gutes Zeichen, wenn er trotz dieser Mahnung zum Tanzen und Singen aufgelegt blieb. Man suchte ihm sonst durch ein Getränk von Kakao und Blut Mut zu machen. Am Festtag selbst wurde er mit Musik und Weihrauch hochgeehrt, aber um Mitternacht schnitt man ihm das Herz aus, h i e l t es d e m M o n d e h i n und stürzte den Körper über die Stufen des Tempels hinunter, welcher dann der Zunft der Kaufleute, namentlich den Sklavenhändlern zum Opfermahl diente. Auch dem alten Wind-, Regen- und Wassergott T1 a 1 o k wurden M e n s c h e n o p f e r gebracht 3 ). So bei einem Wasserfest desselben wurden Kriegsgefangene getötet und am Anfang des Jahres opferte man ihm Kinder, die man gekauft hatte und die von irgend einem feindlichen Volke stammten. Dieselben, noch zu klein um gehen zu können, wurden auf einer Tragbahre unter 1) Siehe J. G. M ü l l e r , S. 617. 2) Siehe J. G. M ü l l e r , S. 589 f. 3) Sie'ae A. R e v i l l e , S. 88 ff.
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Mexikanischer Kultus: Menschenopfer.
Drommetenschall in der Stadt umhergetragen, und dann in den See geworfen, oder vor der Statue des Gottes geschlachtet, oder auch auf einem Berge getötet, der als Wohnsitz Tlaloks galt. Besonders grauenhaft war auch — in der aztekischen Periode wenigstens — der Kultus der Maisgöttin, C e n t e o t l , oder T o z i . Längere Zeit vor dem Feste derselben wählte man eine F r a u aus, welche dieselbe darzustellen hatte und übergab sie der Hut von vier Hebammen, bezw. Priesterinnen der Göttin und Zauberinnen, welche sie in fröhlicher Stimmung zu erhalten trachteten. Wenn sie zum Abschied auf den Markt kam, wurde sie hoch gefeiert. Auf dem Rückwege säte sie Mais. Man bot immer mehr auf, um sie fröhlich zu machen. J e n e Weiber riefen ihr zu : „Beunruhige dich nicht, schöne Freundin, d u w i r s t d i e s e N a c h t m i t d e m K ö n i g e z u b r i n g e n , freue dich nur recht!" Um Mitternacht bekleidete man sie mit Kleinodien der Göttin T o z i , die ihren Brautschmuck vorstellen sollten und führte sie auf die Höhe des nächsten Teokalli. Oben angekommen, wurde sie alsbald von einem Priester gepackt und auf die Schultern genommen. Rasch wurde sie enthauptet. Dann schnitt man ihre Haut entzwei. Die Haut der Schenkel wurde nach dem Tempel des Sohnes der Centeotl getragen, die Haut des Rumpfes schlug ein Priester um sich, der jetzt als Tozi galt, und dieser verfolgte dann zum Schein die anwesenden Priester und Krieger. Nach verschiedenen Ceremonien, die er im Heiligtum des Huitzilopochtli und des Centeotl, Sohn, zu vollbringen hatte, gelangte er ins Heiligtum der Centeotl, Mutter, oder Tozi. Dort opferte er vier Gefangene, denen er nach gewohntem Brauche das Herz ausriss, andere Priester schlachteten andere Opfer. Endlich begab sich j e n e r mit der Haut bekleidete Priester schleunig an die von Feinden gefährdete Grenze und legte dort seine Umhüllung in einem Versteck nieder; sie sollte als Talisman zum Schutze des Reiches wirken! Diese Beispiele zeigen gemeinsame Züge, die für diese Amerikaner charakteristisch sind. Zu Opfern werden, wenn dieselben recht wirksam sein sollen, stets Menschen gewählt. Man opfert sich aber nicht freiwillig selbst, sondern nimmt dazu Gefangene oder gekaufte Sklaven. Mit diesem relativ geringen Wert der Obj e k t e der Opferhandlung steht in auffälligem Gegensatz, dass dieselben mit der Gottheit, der sie als Opfer fallen sollen, in Eins gesetzt werden. Es findet hier eine eigentümliche Verschmelzung des Gottes-mit der ihm geweihten Gabe statt. Damit hängt wieder zusammen, dass nicht nur j e n e r Priester, der die Haut der Geopferten um sich schlägt, den Gott selber darstellt, sondern auch die Gemeinde, indem sie von seinem Fleische isst, den Gott selber isst; dasselbe geschieht, wenn sie das essbare Bild des Gottes 1 ) verzehrt. Dass das Herz bei allen diesen Opfern als der wichtigste 1) Huitzilopochtli, s. oben S. 788. Bildern des Tlalok.
Dasselbe geschah mit essbaren
Menschenopfer.
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Bissen angesehen wird, zeigt, dass man es als die Quintessenz des Menschen, den eigentlichen Sitz der Persönlichkeit ansah. Zur Erklärung der furchtbaren Häufigkeit der Menschenopfer bei diesem Volke, die wohl alle Analogieen übersteigt, und die bei einem so kultivierten Volke doppelt überrascht, hat man auf die A n t h r o p o p h a g i e desselben hingewiesen. Dass diese in der That mit den Opferhandlungen verbunden war, haben die obigen Beispiele gezeigt, die sich leicht vermehren liessen. Auch ausserhalb des Kultus war dieselbe nicht eben selten. Immerhin war sie auch bei den Azteken sonst nicht gerade üblich, sondern kam namentlich nur im Kriege vor, und zwar etwa aus Hunger, besonders aber aus Hass. Dass man die Menschenopfer so häufig brachte, will vielmehr daraus verstanden sein, dass man ihnen die grösste M a c h t ü b e r d i e G ö t t e r zutraute, und dies wieder daraus, dass es sich hier nicht um blosses Fleisch handelte, welches dargebracht wurde, sondern um b e s e e l t e W e s e n , w e l c h e d e r G o t t in s i c h a u f n e h m e n k o n n t e , wie auch die Gott essen, s i c h d e r G o t t h e i t k o n s u b s t a n z i e r e n . Es handelt sich also um eine Magie der verhängnisvollsten Art. Dieser grausige Opferkult ist besonders durch die Azteken im Lande zu solcher Blüte gebracht worden. Vorher hat man zwar nach allem Anschein auch schon der Sonne und dem Mond, der Erdgöttin und dem Wasser gelegentlich ein Menschenopfer gebracht. Allein die Azteken selbst rühmen sich dessen, dass sie den ihnen befreundeten Gottheiten viel reichlicheren Tribut an Menschenleben dargebracht hätten, als die Völker neben ihnen, und dass diese eben deshalb ihnen unterworfen worden seien. Sie erzählen verschiedene sagenhafte Anekdoten, worin sie damit prahlen, diese Unsitten eingeführt oder damit den Nachbarn Schrecken eingejagt zu haben. Bei ihnen und durch sie hat die kultische Menschenschlächterei solche beispiellose Ausdehnung angenommen, welche die spanischen Eroberer nicht nur in die grösste Entrüstung versetzte, sondern ihnen auch die Freundschaft vieler Eingeborenen zuwandte. Namentlich die benachbarten Völkerstämme, die fortwährend den kriegerischen Azteken das Material für Menschenopfer hergeben mussten, sahen in Cortez ihren Befreier. Auch fehlte es schon vorher nicht an Widerspruch gegen diese heillose Praxis. Die Priesterschaft des Quetzalkoatl scheint immer eine gewisse Abneigung gegen den blutigen Kult der Aztekengötter gezeigt zu haben. Als Cortez in Cholula, einem Hauptsitz der Verehrung Quetzalkoatls, ein furchtbares Blutbad anrichtete, schob Montezuma die Schuld darauf, dass man dort so wenige Menschenopfer bringe. Es ist nicht ganz undenkbar, dass die Priester jenes Gottes diesen König von energischem Vorgehen gegen die Spanier zurückhielten, indem sie den Fall des blutigen Regiments herbeiwünschten. Als berühmten Träger einer reineren Religion nannte man N e z a l h u a l k o j o t l , König von Tezkuko, der 1472 starb. Die Azteken waren seine Verbündeten, hatten aber noch nicht eine
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Mexikanische Religion: Nach dem Tode.
massgebende Machtstellung erlangt, sondern waren ihm untergeordnet. Dieser König verehrte den höchsten Gott ohne Bild. Er baute dem höchsten Gott ein die neun Himmel darstellendes Teokalli mit neun Terrassen, deren oberste mit Sternen besät war, und verbot andere Opfer zu bringen als Blumen, Wohlgerüche. Seine Religion schloss sich vergeistigend an den alten Sonnendienst an. Gesetze und Staatseinrichtungen waren von grösster Weisheit. Der König selbst war mild und menschenfreundlich, streng n u r gegen die Übertreter des Gesetzes, sogar seine eigenen Söhne, voller Güte gegen die Armen und Schwachen. E r w a r auch selber Dichter, und es sind von ihm zwei Oden über den Wechsel des menschlichen Schicksals erhalten. Die Wissenschaft, insonderheit die Geschichte der Vergangenheit, wurde von Staatswegen eifrig gefördert. Aber nach dem Tode des Königs erblich der Glanz dieses salomonischen Reiches und die Azteken wurden die Vormacht Mexiko's, deren Regiment zuletzt einem wohlverdienten Gericht erlag. Blicken wir schliesslich auf die in Mexiko herrschenden Vorstellungen vom L e b e n n a c h d e m T o d e . Die alten Maja glaubten an die Seelenwanderung in dem Sinne, dass die Vornehmen dabei durch die Gestirne in die Sonne gelangen, die Ger i n g e m in Tierleiber übergehen sollten. Dabei machte man auch unter den Tieren etwa einen Unterschied, wie die Tlaskalaner, welche d a f ü r hielten, dass die vornehmeren Seelen in lieblich singende Vögel oder in edle Vierfiisser, die des gemeinen Volkes in geringe Tiere wie Wiesel, Käfer u. dgl. übergehen. Die Tiere sind dabei selbstverständlich unsterblich gedacht. Dass die Mexik a n e r insgesamt ein Fortleben des Menschen nach dem Tod glaubten, ist bestimmt b e z e u g t ' ) . Das Totenreich wurde aber in verschiedener Weise mit den einzelnen Göttern in Beziehung gesetzt. Wir hörten bereits vom T l a l o k a n , dem Himmel des Regengottes TJalok, wohin diejenigen kommen, die ertrunken oder vom Blitz erschlagen worden sind, oder an Wassersucht oder Geschwulsten oder W u n d e n starben, ebenso die ihm geopferten Kinder. „Tlalokan ist a b e r ein sehr angenehmer und kühler Ort, und man geniesst dort köstliche Mahlzeiten und alle Vergnügungen, nach Andern eine inhaltlose Zufriedenheit" 2 ). Bernal Diaz nennt Tezkatlipoka den Gott der Unterwelt; allein wenn er auch unter anderm Gott 1) Darauf deutet auch die mexikanische Bestattungsweise. Die Priester gaben dem Toten magische Papierstreifen ins Grab; ebenso gab man ihm kleine Götterbilder (Tepitoton) mit, ferner einen H u n d , den man am Grabe tötete, dass er jenem den Weg finden helfe. Aber auch S k l a v e n wurden ihm auf diese Weise nachgeschickt, Vornehmen sogar ein untergeordneter K l e r i k e r , dass er die Gebete und Beschwörungen rezitiere. Beachtenswert ist übrigens auch hier der Übergang des Menschen in den Gott: dem Krieger legte man beim Begräbnis eine Maske des Huitzilopochtli aufs Gesicht, dem Ertrunkeneu eine solche des Wassergottes Tlalok. 2) J. G. M ü l l e r , S. 500 f.
Mexikanische Religion.
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Peruaner.
des Todes zu sein scheint, so haben sich doch die Vorstellungen vom Jenseits weniger an ihn angeschlossen als an H u i t z i l o p o c h t l i , welcher der Gott des Paradieses oder des Himmels als Aufenthalt der Seligen ist. Besonders die Krieger, die im Kampf gefallen sind, nimmt er dort auf mit seiner Gattin, welche ihm in dieser Bedeutung beigegeben ist, T e o j a m i q u i („göttliches Sterben"), wie Odin die Helden in Walhall. Seine Gattin holt auch die herbei, welche in der Gefangenschaft als Menschenopfer sterben. Der Ort der Seligen ist das Sonnenhaus, d. h. die Sonne selbst, welche diese Helden in ihrem Laufe begleiten. Täglich feiern sie deren Aufgang unter Gesängen und Reigentänzen bis an den Mittag, wo ihnen die Seelen der Weiber begegnen, die im Wochenbett gestorben sind. Mit diesen vergnügen sie sich bis zum Sonnenuntergang. Alle vier J a h r e verwandeln sie sich in Wolken oder Kolibri des Paradieses, die auch zur Erde fliegen können, wo sie den Honig aus den Blumen naschen. Die grosse Mehrzahl der Menschen aber kommt ins düstere Totenreich, welches M i k 11 a n heisst und in der Unterwelt liegt. Der Gott dieser Unterwelt heisst M i k t l a n e u k t l i und hat eine Gemahlin namens M i k t l a n z i h u a t l . Beide sperren als Todesgötter immer den Rachen auf, um die Menschen zu verschlingen. Der W e g in dieses dunkle Reich ist umständlich und gefährlich. Man muss zwischen zwei Bergen durch, die mit einander fechten. Eine grosse Schlange und ein Krokodil fallen überdies etwa die Wanderer an. Alle diese Vorstellungen vom jenseitigen Leben sind nicht wesentlich verschieden von dem, was wir in dieser Hinsicht schon bei den wilden Indianern gefunden haben.
III. Die Peruaner 1 ). Einleitung. Auf ein grosses, civilisiertes Reich stiessen die Spanier zu ihrer nicht geringen Überraschung auch in S ü d amerika und zwar an der Westküste dieses Weltteils auf dem verhältnismässig schmalen aber langgestreckten Streifen Landes, der zwischen dem mächtigen Gebirgszug der Cordilleren und dem stillen Ozean sich hinzieht. 1) Vgl. auch hier die S. 770 angeführten Werke: W a i t z IV, 378 ff., J. G. M ü l l e r , a. a. 0. S. 293 ff. Diese an Material reiche Zusammenstellung aus den Quellen bildet wie diejenige Müllers über die mexikanische Religion die Grundlage der neuern Darstellungen und ist im folgenden benützt worden, auch wo nicht ausdrücklich darauf verwiesen ist. — A. R e v i l l e a. a. O. S. 273 ff. — Vgl. H. W u t t k e a. a. 0 . I, 303 ff. — J . J . von T s c h u d i , Reiseskizzen nach Peru, St. Gallen 1846. O r e l l i , Keliffionsgeschichte.
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Die Peruaner.
Das alte P e r u , wie dieses Reich hiess, war noch bedeutend ausgedehnter als die heutige Republik dieses Namens. Es umfasste im Augenblick der Ankunft der Spanier (1531) im Norden auch das Königreich Q u i t o (die Republik Ecuador), im Südosten einen beträchtlichen Teil von Bo Ii v i a und im Süden einen Teil des heutigen C h i l e . Dieses ungeheure Gebiet war von recht verschiedenen Stämmen mit mannigfachen Sprachen bewohnt, aber alle seine Bewohner gehorchten demselben Herrscher aus der Familie der I n k a , welche seit Jahrhunderten mehr durch die verhältnismässig hohe Kultur, die ihrem Stamme eigen war, als durch dessen Tapferkeit zu einer einzigartigen Herrscherstellung gelangt war. Die Peruaner waren sowenig als die Mexikaner Seefahrer; aber das Meer auf der einen und der unübersteigliehe Gebirgswall auf der anderen Seite dienten ihrer Kultur zum Schutz vor dem Eindringen barbarischer Zerstörer. Diese Kultur wird von der Sage auf die Personen der Inkadynastie selbst zurückgeführt. Jedenfalls war der Stamm, dem diese angehörte, die Q u i c h u a oder Q u c c h u a , seinen Nachbarn an geistiger Fälligkeit überlegen und ihnen in der Kultur vorangeschritten. Als Ursitz der Inkalierrschaft gilt die Umgebung des Sees Tilikaka im Südosten des heutigen Peru, der in der Sage eine grosse Rolle spielt. Da auch hier, wie in Mexiko, eine eigentliche Litteratur fehlt, indem die Quippu, von welchen nachher die Rede sein wird, noch weniger als die mexikanische Bilderschrift einen litterarisehen Text ersetzen können, so ist die Geschichte des Inkareiches wenig sicher. Wohl sind eine Anzahl von Herrsehernamen erhalten, aber nur über die der letzten hundert Jahre vor dem Ende des Reichs weiss man zuverlässigeres. Die Tradition würde dem ältesten Inka, dem sagenhaften M a n k o K a p a k die Zeit um 1000 nach Chr. zuweisen, und es ist durchaus wahrscheinlich, dass ihre Herrschaft schon so frühe begründet wurde. Allein geschichtlich gesichert ist erst, was uns aus den, folgenden Jahrhunderten aufbewahrt worden. Über die eigenartige Kultur, insbesondere die staatlichen Einrichtungen der Peruaner wollen wir erst im Anschluss an ihre Religion sprechen, da sie ganz von dieser durchdrungen und bestimmt sind. Hingegen sei hier noch der vornehmsten Gewährsmänner gedacht, welchen man die Kunde über das Inkareich und seine Vergangenheit verdankt 1 ). F r a n c i s c o d e X e r e s , der Geheimsekretär des Eroberers Franz Pizarro, schrieb einen ersten Bericht über das eroberte Peru, besonders über die Eroberung selbst. Über die peruanische Religion enthält derselbe nur beiläufige Notizen. Das Buch erschien in Sevilla 1534, in Salamanca 1547. Der Regierungsbeamte A u g u s t i n Z a r a t e schrieb ebenfalls eine Geschichte der Entdeckung und Eroberung Peru's, erschienen in Antwerpen 1555; ebenso ein Verwandter des Eroberers: P e d r o P i z a r r o (nur handschriftlich vorhanden); D i e g o F e r n a n d e z Palentino 1) Siehe Näheres bei J. G. M ü l l e r , S. 295 ff.; A. R e v i l l e , S. 278ff
Peruanische Religion.
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vcrfasste eine Historia del Peru (Sevilla 1571), P e t r o C i e z a de Leon eine Chronica del Peru, wovon ein erster Teil in Sevilla 1553 herauskam. Ungedruckt blieben, obgleich wertvoll, eine Schrift des Juan de S a r m i e n t o über die Regierung der Inka, und des Juristen Polo de O n d e g a r d o (Indegardo) Relaciones aus den Jahren 1561 und 1571. Für die Vergangenheit des Inkareiches aber kommen am meisten in Betracht Miguel Cavello B a i b o a und G a r c i l a s s o de la Vega. Der erstere lebte von 1566 an zwanzig Jahre in Peru und schrieb dann eine Geschichte Peru's, welche trotz ihres hohen Wertes erst in Auszügen veröffentlicht ist. Garcilasso aber (geb. 1540) war der Sohn eines angesehenen Spaniers und einer Nusta, d. h. Angehörigen des Inkageselilechts, Enkelin eines regierenden Herrschers. Von dieser liess er sich viel von der einstigen Grösse ihres Volkes und Geschlechtes erzählen. Aber erst im Alter schrieb er in Spanien Commentarios reales, 1609 erschienen, vom Lande und Staate der Inka's handelnd, darauf eine Historia general del Peru 1617 über die Eroberung und die Bürgerkriege in Peru. Seine Schilderung der Inkaherrschaft ist von begeisterter Bewunderung für dieselbe getragen, in manchen Stücken auch sonst unzuverlässig. Doch benützte er zum teil die oben genannten älteren Quellen, und seine Werke bilden selber eine Hauptquelle für die Kenntnis des alten Reiches. Von Antonio de H e r r e r a war schon oben die Rede. S. S. 785. Einige Jüngere übergehen wir; doch sei noch erwähnt die reichhaltige Sammlung von Autoren über Mexiko und Peru, welche T e r n a u x - C o m p a n s seit 1837 herausgab, und wo sich auch aus den oben angeführten Quellen manches findet.
Die Religion (1er Peruaner. Die R e l i g i o n dieses Reiches bestand in S o n n e n dienst. Haben wir die Gottheit in diesem Gestirn schon in Nordamerika, besonders an dessen Südrand, verehrt gefunden, hat sich in Mexiko dieser Kultus als ursprünglicher denn die Verehrung der nationalen Stammgötter herausgestellt, so finden wir nun in Peru den Sonnengott noch in ungetrübtem Glänze, nicht durch mythologische Formationen unkenntlich gemacht oder durch untergeordnete Geister verdrängt. Die S o n n e , I n t i oder I n t i p war der Inbegriff aller Herrlichkeit und Herrschaft, so dass auch der Inka nur als „Sohn der Sonne" sein hohes Ansehen beanspruchen konnte. Man verehrte das lebendige Gestirn selbst, insonderheit beim Sonnenaufgang, wie wirs schon in Mexiko fanden. Die Dörfer legte man mit Vorliebe auf der Ostseite eines Hügels an, damit man die Sonne gleich bei ihrem Aufgang begrüssen konnte. Auch Sonnentempel gabs, durch deren östliche Thore der Sonnenstrahl in das reich mit Gold geschmückte Innere drang. Das Bild der Sonne wurde aus Gold angefertigt in Gestalt einer Scheibe mit Gesicht
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Peruanische Religion: Sonnengott.
und Strahlen. Das Gold galt als göttlich, weil sonnenhaft, aus von der Sonne geweinten T h r ä u e n geflossen. Dieser Gott ist ein männlicher, dem der M o n d , das silberne Gestirn, als weibliche E r g ä n z u n g von geringerer Macht und Herrlichkeit zur Seite stand. E r galt als Schwester und zugleich Gattin des Sonnengottes unter dem Namen M a m a Q u i l l a oder I v i l l a . Von diesen beiden Gottheiten haben sich zwei kulturheroische Gestalten abgelöst: M a n k o K a p a k 1 ) und seine Gemahlin und Schwester M a m a O g l l o 2 ) . Der Mythus, den Gareilasso aus dem Munde eines Oheims vernommen hat, erzählt: Die Menschen lebten einst in völliger Wildheit, ohne Kleider, ohne Gesetze, ohne Staat. Ihre Religion bestand in der Verehrung aller möglichen Dinge, Blumen u n d Kräuter, Berge, Felsen, Steine, Erde, Mais, Luft, Feuer, Quellen u. s. f.; namentlich aber wurden T i e r e von ihnen f ü r göttlich gehalten, vor allem der Condor, dann Schlangen, Tiger, Löwen, Bären, Hammel, Affen, Füchse, Luchse, Hunde und Fische. Solchen Göttern brachten sie viele M e n s c h e n o p f e r , indem sie aus den diesen ausgerissenen Herzen und Lungen den Willen der Götter erforschten. Auch sie selbst waren Menschenfresser und verzehrten nicht n u r Kriegsgefangene, sondern auch ihre eigenen Kinder. Da erbarmte sich die S o n n e der Menschen in ihrem kläglichen Zustande und schickte zu ihnen z w e i i h r e r K i n d e r , den M a n k o K a p a k und die M a m a O g l l o , um bei ihnen d e n S o n n e n d i e n s t u n d d i e K u l t u r e i n z u f ü h r e n . Diese gingen von dem See T i t i k a k a aus. Eine goldene Rute, die sie mit sich führten, wies sie nach Norden in die Gegend von K u z k o , welcher Name „Nabel" b e d e u t e t ; diese Stadt wurde als Mittelpunkt der E r d e angesehen, weil von hier aus jenes Geschwisterpar nach allen Seiten ausziehend die Anbetung der Sonne verkündigte und die Menschen beredete, von ihren wilden Gebräuchen zu lassen u n d milde Sitten anzunehmen, den Acker zu bebauen, die Ehe einzuführen, Gesetze anzunehmen, Städte und Dörfer zu bauen, Strassen u n d Wasserleitungen herzustellen, Kunst und Wissenschaft zu pflegen. Ihr Reich erstreckte sich erst n u r acht Meilen um die Stadt Kuzko, doch hatte Manko Kapak schon nach sechs J a h r e n ein treffliches Kriegsheer. V o n d i e s e m G e s c h w i s t e r p a r 8 ) s t a m m e n d i e I n k a , d a s H e r r s c h e r g e s c h l e c h t a b , welches somit zur Sonne in nächster Beziehung steht und sich bewusst war, einen eminent civilisatorischen Beruf zu haben. Manko K a p a k und Mama Ogllo sind nach Vollendung ihres Werkes auf Erden wieder in die Götterwelt zu Sonne und Mond zurückgekehrt, von welchen sie ausgegangen waren. — Dieser Mythus zeigt, dass man 1) „Der mächtige Mensch." 2) Es wird auch Oello geschrieben, ist aber auszusprechen Ollio. Mama bedeutet die, ehrwürdige Mutter, Ogllo das Ei. 3) Während die Geschwisterehe sonst in Peru nicht gestattet war, durften die Glieder des Inkageschlechts sie eingehen, weil sie durch das Vorbild ihres Ahnherrn legitimiert war. „ I n k a " bedeutet: Herr, Herrscher.
Virakocha.
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die Kultur in Verbindung mit dem Sonnendienst empfangen zu haben sich bewusst war. Es liisst sich auch leicht denken, dass derselbe wie anderswo zur Kultur mächtig anregte, während jener untergeordnete Geister- und Tierkultus nicht über die Wildheit hinausführte. Daher sind es eigentlich Sonne und Mond selbst, die das peruanische Reich einrichten, aber sie werden zu diesem Behuf vermenschlicht und unter besonderen Namen von den göttlichen Gestirnen unterschieden. Dieser Mythus ist von grösster Wichtigkeit für das Verständnis der peruanischen Welt- und Lebensanschauung. Allein er war nicht der einzige, der über die Anfänge der Menschheit und des Reiches umlief. Es gab verschiedene Stammsagen und in denselben verraten sich noch verschiedene Stammgötter. So lässt sich in dem Mythus von V i r a k o c h a ein anderer als der Sonnengott erkennen. Nach demselben war die Erde schon vor Erschaffung der Sonne bewohnt. Insbesondere am See Titikaka gab es schon Menschen und Gebäude. Da entstieg dem See Virakocha. Dieser schuf dann erst die Sonne, den Mond und die Sterne und wies ihnen ihre Bahnen an. Darauf bildete er Steinfiguren, welchen er Leben einhauchte. An deren Spitze zog er nach Kuzko und übergab diese Stadt dem A l l k a V i k a , von welchem die Inka abstammen. Es leuchtet ein, dass dieser Mythus, welcher der Sonne eine sekundäre Stelle anweist, nicht dem offiziellen peruanischen Gedankenkreise angehörte, sondern einer andern Religion entstammt, die vor dem Sonnendienst am Titikakasee mag heimisch gewesen sein. Auf die Natur des Gottes, der hier als der eigentliche Schöpfer und Herr der Welt erscheint, führt vielleicht sein Name V i r a k o c h a , den die Sprachkenner wiedergeben mit „ S c h a u m d o s M e e r s " , oder „Seefett". Nehmen wir dazu, dass er aus der Tiefe des Sees aufgetaucht ist und dass er eine Schwester und Gattin M a m a K o c h a hat, welche den R e g e n ' ) und das Wasser im allgemeinen darstellt, so ist er wohl der in belebender F e u c h t i g k e i t sich kundgebende Gott, ähnlich dem centralamerikanischen Tlalok. Sein Name wurde übrigens schliesslich appellativ. Man nannte später alle göttlichen Wesen, selbst die Spanier bei ihrem ersten Erscheinen, Virakocha's. Wie die Inka darauf ausgingen, die ihrem Reiche einverleibten Völker durcheinander zu mischen und bei Belassung in ihrer besondern Art ihnen doch den Stempel des Inkareiches aufzudrücken, auch die offizielle Sprache überall neben den landesüblichen einzubürgern, so waren sie auch in der Religion nicht unduldsam, sondern Hessen den Kult hochangesehener Gottheiten bestehen, aber nicht ohne die Suprematie des Sonnendienstes, der Reichsreligion einzuschärfen. So hat sich in der Gegend süd1) Sie wurde besonders mit einer Urne voll Wasser und Schnee auf dem Kopf dargestellt. Wenn ihr Bruder Virakocha dieselbe zerbricht, regnet und schneit es auf Erden.
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Peruanische Religion: Pachakamak.
Kultus.
lieh von Lima, westlich von Kuzko noch ein alter Gott P a c h a k a m a k erhalten, der mit Virakocha oft zusammengeflossen ist. Nach einer Version hätte jener diesen aus der Herrschaft vertrieben. Pachakamak, welcher bei den Inkas Sohn der Sonne heisst und von den Neuern für einen Gott des belebenden Feuers gehalten wird, hat nach dem Mythus die Welt erneuert. Die Menschen, welche er bei seiner Ankunft vorfand, verwandelte er in Guatos, Affen oder Jaguare, und schuf einen neuen Menschenschlag, dem er mancherlei Handwerke und Künste beibrachte. Pachakamak galt den Inka als Gott der Riesen; diese hätten ihm seinen grossen Tempel in dem Thal, das seinen Namen trägt, gebaut. Die Kiesen seien aber von der Sonne überwunden worden. Grossartige alte Bauten lassen in der That mancherorts eine vorinkaische Kultur erkennen. Die Auffassung des Sonnengottes in der Religion der Inka ist natürlich nicht als eine streng monotheistische anzusehen. Sic schloss nicht aus, dass auch andern Naturmächten und -dementen eine gewisse Ehre eingeräumt wurde. Insbesondere galten wie schon bei den wilden Indianern die Tiere, wenigstens gewisse T i e r e als höhere Wesen. Sah man doch das Urexemplar jeder Tiergattung in einem Stern am Himmel. Der Condor galt als besonders göttlich als Vogel der Sonne, die Schlangen wurden auch hier nicht wenig geehrt. Ebenso genossen gewisse Pflanzen Verehrung, besonders die wichtigsten Nutzpflanzen : Mais und Kakao. Ein Sammelname für die göttlichen Gegenstände, der einerseits auf die Götter selbst, anderseits auf Tempel und Gräber ausgedehnt wird, ist G u a k a , H u a k a oder V i l l k a . Namentlich heissen so göttliche Steine, zum Teil rohe Natursteine, Donnersteine, zum Teil Edelsteine, aber auch fetischartige Bilder von Metall oder Holz. Dieselben zeugen von einem ausgedehnten Geisterglauben, welcher auch hier nicht fehlt. Weil von Geistern bewohnt, sind diese Guaka zauberkräftig, auch können sie auf Anfragen orakelartig Antwort erteilen. Dies führt uns zum K u l t u s der Peruaner über, von welchem die S o n n e den Löwenanteil vorwegnahm. T e m p e l hatte man im vollen Sinne des Worts. Zwar die älteren Heiligtümer waren Opferhöhen, welche von einem Kranz von Gebäuden umgeben waren. Später aber baute man grosse Tempel wie den Sonnentempel zu Kuzko im Mittelpunkte des Reiches, welcher überreich mit Gold ausgestattet war. Auch mit O p f e r n wurde vor allem die Sonne bedacht. Ihr brachte man reiche Weihgeschenke dar, Muscheln, Federn, Tücher, Perlen, Edelsteine, namentlich aber Gold wie der Mondgöttin Silber. Ebenso opferte man der Gottheit, vorab der Sonne, Pflanzen und Feldfrüchte. Eigentümlich ist der Brauch, beim Gang in den Tempel ein H a a r a u s d e n A u g e n b r a u e n zu raufen und es dem Götzenbild entgegenzublasen — ein Opfer von der eigenen Leiblichkeit. Aber auch b l u t i g e O p f e r waren häufig. Als
Opferbräuche.
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solche dienten besonders Schafe und Lama, aber auch Hunde, Kaninchen und Vögel. Der Opfernde packte das Tier unter den rechten Ann, kehrte ihm die Augen gegen die Sonne und rief dann den Gott an. Während es noch lebte, schnitt er ihm den Leib auf und nahm Herz und Lunge heraus, welche samt dem Blute geopfert wurden clem Gott zur Speise. Der Gott lud den Inka ein, ihm Bescheid zu thun, und dieser wie überhaupt die Opfernden verzehrten das Fleisch. Doch gab es auch B r a n d o p f e r , wobei dasselbe verbrannt wurde. Mit dem Blute wurden die Pfosten des Tempels und die Götterbilder bestrichen. M e n s c h e n o p f e r waren früher im Lande allgemein im Brauch gewesen. Die Inka bemühten sich, dieselben abzuschaffen. Doch ist dies keineswegs so vollständig geschehen, wie Garcilasso u. a. behaupten. Vielmehr kamen im Inkakultus selbst Menschenopfer immer noch vor, noch häufiger bei geduldeten Lokalkulten. Dass der Sonnendienst das Menschenopfer nicht fiusschloss, geht z. B. daraus hervor, dass man bei gefährlicher Erkrankung des Inka einen seiner Söhne dem Sonnengott tötete, indem man ihn bat, diesen als Tausch anzunehmen. Auch linden sich Anzeichen dafür, dass der Sonne nicht selten Kinder geopfert worden sind. Einzelne Inka waren nicht so menschenfreundlich wie man es ihrem Geschlechte nachrühmt. So wurden zuweilen beim Regierungsantritt eines solchen hunderte von Kindern geopfert, die man ertränkte und dann begrub. Die andern Götter vollends genossen ihre regelmässigen Menschenopfer; man bestrich mit dem Blute die Angesichter ihrer Bilder und die Thürcn ihrer Tempel. Einen Schatten auf die Humanität der Herrscher wirft es auch, dass beim Tod eines Inka s e i n e F r a u e n v e r b r a n n t wurden und auch andere Personen oft in grosser Zahl dabei das Leben lassen mussten. Ein milderer Brauch, der zum teil an die Stelle dieser Unsitte getreten war, bestand darin, dass man dem Toten zum Ersatz für seine Dienerschaft hölzerne Bilder derselben ins Grab mitgab. Die Opferhandlungen wurden mit ausdrucksvollen Geberden und Gebeten begleitet. Man warf der Sonne mit der Hand Küsse zu, zog die Schuhe aus und warf sich nieder. Als Gebet des Oberpriesters, das er zum Götterbild in der Regel sprach, wenn er ihm Opfer darbot, wird folgendes angeführt: „Siehe da was dir deine Kinder und Geschöpfe darbringen! Empfange es und sei nicht gegen sie erzürnt! Gib ihnen Leben und Gesundheit und segne ihre Felder!" Beliebt waren in Peru k u l t i s c h e G e s ä n g e an die Sonne und andere Götter. Man kann denselben nicht alle Poesie absprechen, und die weichen, etwas melancholischen Weisen des Vortrags sprachen die Europäer an. Ebenso gehörten T ä n z e , die unter Begleitung von Schlag- und Blasinstrumenten aufgeführt wurden, zu den religiösen Übungen. Dieser Opferkultus mit Gesängen, Musik und Tanz wurde durch eine besondere P r i e s t e r S c h a f t ausgeübt, welche sich natürlich hohen Ansehens erfreute. Allein sie bildete keine erb-
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Peruanische Religion: Priesterschaft.
Feste.
liehe Kaste. Die höhern priesterlichen Ämter wurden eben aus Angehörigen des Inkageschlechtes besetzt, beim Haupttempel zu Kuzko mussten sogar alle Priester K i n d e r der Sonne sein, die übrigen hatten einfach die Würde von Staatsbeamten. An der Spitze der ganzen Hierarchie stand der H o h e p r i e s t e r V i l l a k U r a n , auch H u a k a p v i l l a k , „ d e r m i t d e r G o t t h e i t R e d e n d e " genannt. E r wurde vom I n k a auf Lebensdauer ernannt und hatte selber seine Untergebenen zu ernennen. E i n e eigentümliche Erscheinung sind in Peru die S o n n e n j u n g f r a u e 11. Diese hat man oft mit den römischen Vestalinnen verglichen, doch erstreckt sich die Ähnlichkeit nur auf gewisse Züge. Dagegen sind die peruanischen Sonnenjungfrauen vor allem viel zahlreicher als j e n e Dienerinnen der Vesta. Auch war die Idee nicht die, dass sie auf immer J u n g f r a u e n bleiben sollten, sondern sie galten als der Sonne angetraut, und der Inka wählte sich als deren Vertreter die schönsten zu Gemahlinnen; aber auch die übrigen fanden nach einiger Zeit meist ihre Gatten unter den Vornehmen. In K u z k o selbst gab es solcher J u n g f r a u e n nicht weniger als 1 5 0 0 , in den Provinzen j e 2 0 0 — 7 0 0 . Ausgewählt wurden sie in zarter Kindheit aus dem Inkageschlecht oder den Töchtern der K u r a k a d. h. der Nachkommen unterworfener Fürsten, oder auch aus dem gemeinen Volk, wenn sie sich durch Schönheit auszeichneten. So lange sie im Kloster waren, standen sie allerdings unter strenger Aufsicht und Kegel, von j e d e m V e r k e h r ausser mit dem I n k a und der Königin abgeschlossen. Auf ein Vergehen gegen die Keuschheit stand die S t r a f e des Lebendigbegrabenwcrdens für das Mädchen und die Erdrosselung für den Verführer. W u r d e ein Mädchen Mutter, so galt als Entschuldigung nur der Eid, dass die Sonne der Urheber sei. Beschäftigt waren diese Mädchen mit Anfertigung von Gewändern für das königliche Haus und Zieraten für die Tempel. Ihre vornehmste Obliegenheit a b e r war die Pflege des hl. F e u e r s ; auch hatten sie heiliges Brot zu b a c k e n und heiligen T r a n k zu brauen. Letzteres geschah namentlich für das grosse S o n n e n f e s t im J u n i , d. h. zur Zeit der winterlichen Sonnenwende. E s hiess I n t i p E a y m i „Sonnenfest" oder einfach R a y m i (Fest) und dauerte neun T a g e lang. Am Haupttage zog das ganze Volk barfuss vor Sonnenaufgang ins F r e i e , der I n k a als Oberpriester an der Spitze. W e n n die Sonne aufging, warf man ihr Küsse zu und fiel vor ihr nieder. Der I n k a trank ihr zu und teilte den hl. Opfertrank seinen Begleitern mit. Nachher opferte man auch im Tempel, unter anderem ein schwarzes Lamm, dessen Eingeweide Augurien fürs nächste J a h r boten. Dann zündete man das hl. F e u e r mit einem Brennspiegel an, oder bei trübem Himmel durch Reiben von Hölzern. Diese F l a m m e hatten die Sonnenjungfrauen bis zum nächsten J a h r zu bewahren. Diese hatten auch die Opferkuchen und den T r a n k bereitet. Die F e i e r endigte mit allgemeinen Schmausereien und T r i n k g e l a g e n unter Musik, Gesang und T a n z . — Das z w e i t e
Jahresfeste. Zauberei.
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H a u p t f e s t fiel als F r ü h l i n g s f e s t in den S e p t e m b e r . Es ist das grosse Reinigungs- und Sühnfest, durch welches man das Übel aller Art, Misswachs, Krankheit u. s. f. abwendet. Dabei wurde wieder heiliges Brot verwendet, K a u k u genannt, das man in Kugeln formte und zwar nachdem es in Kesseln gekocht und mit K n a b e n b l u t benetzt worden war, das man diesen zwischen Augenlidern und Nase zu Ader gelassen hatte. Mit solchen Kugeln rieb man sich den Kopf und den ganzen Leib, um das Übel zu entfernen. Beim Sonnenuntergang kam ein Bote der Sonne aus der Festung zum Volk herab und trug seine Lanze schwingend vier Vornehmen, die wie er selbst aus dem Sonnengeschlechte stammten, auf, alle Krankheiten aus der Nähe der Stadt zu verjagen. Diese eilten mit ihren Lanzen durch die vier Hauptstrassen der Stadt, überall mit Freudengeschrei begrüsst als solche, die das Übel bannten. Wo sie hinkamen, schüttelte man die Kleider aus und rieb die Glieder, um alles Übel abzuthun. Nach einer Viertelstunde übergaben jene ihre Lanzen an vier andere, welche nach einer weitern Viertelstunde sich ebenso ablösen Hessen, und so gings mehrere Stunden fort, bis die letzten die Lanzen in die Erde steckten. Das Übel galt dann als ausgetrieben. Ein d r i t t e s F e s t galt der M a i s - E r n t e ; es wurde im Mai gefeiert, das v i e r t e fiel als S o m m e r f e s t in den D e z e m b e r und hatte besonders darin seine Bedeutung, dass die Jünglinge aus dem Inkageschlecht in den ritterlichen Künsten geprüft, und wenn sie die Prüfung bestanden, mit dem Ehrennamen eines S o n n e n s o h n e s belehnt wurden. Der König durchbohrte ihnen dabei die Ohren zum Tragen von Ringen und erklärte sie durch einen Kuss für würdig der Anbetung. Die nicht dem Geschlecht Angehörigen, z. B. die Kuraka, durften erst ain Schluss zum Feste nach Kuzko kommen und empfingen wie auch beim ersten Fest das hl. Brot mit Opferblut zum Pfand der Gemeinschaft mit dem Inka. Ausser diesen vier Sonnenfesten verzeichnet der Kalender noch manche regelmässig wiederkehrende. Dazu kamen ausserordentliche z. B. in Zeiten der Not. Häusliche F e s t e waren die der beiden N a m e n g e b u n g e n . Am 15. bis 20. Tage nach der Geburt wurde dem Kinde der erste Name gegeben, wobei es, wie bei den Mexikanern, i n s W a s s e r g e t a u c h t wurde, im 10. bis 12. Jahre aber erhielt es einen andern Namen, der ihm endgiltig blieb. Dabei wurden ihm feierlich Haare und Nägel abgeschnitten, um aufbewahrt oder der Sonne oder auch den Schutzgeistern geopfert zu werden. Selbstverständlich ist bei dem Geisterglauben des Volkes, dass auch die Z a u b e r e i blühte, welche auf einer frühern Stufe noch mächtiger gewesen sein muss, aber auch im Inkareiche Duldung gefunden hatte. Es gab Zauberer, die sich durch künstliche Reizmittel in ekstatischen Zustand versetzten und also nach Weise der Schamanen Orakelsprüchc von sich gaben. Oft befragten sie zu diesem Zwecke die Abgeschiedenen. Daneben fürchtete man sich sehr vor Behexung und verfolgte die angeblichen Hexen mit Strenge.
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Peruanische Religion: Staatswesen.
Waren diese Formen des Aberglaubens besonders beim gemeinen Volke heimisch, so gab es doch auch offizielle Orakelpriester. Der als Orakelgott berühmte l'achakamak wurde in wichtigen Angelegenheiten sogar vom Inka befragt. Als Medien, aus denen Götterzeichen zu gewinnen waren, lernten wir schon die Eingeweide der Opfertiere kennen. Überhaupt gab es viel technische Wahrsagerei mit Steinchen, Spinnen, Meerschweinchen u. dgl. Die Eigentümlichkeit der peruanischen Religion tritt nun aber nicht am wenigsten im S t a a t s w e s e n zu Tage, welches ganz und gar von ihr durchdrungen war. Die allmächtige Spitze desselben bildete der I n k a , der Sohn der Sonne, von welchem gewissermassen wie von ihr selbst alles Licht und Leben ausging. Alle gute Sitte und Einrichtung glaubte man ja der Inkafamilie zu danken. Der regierende Herrscher aber stellte eine göttlich souveräne Macht dar, welcher sich das ganze weite Reich unbedingt zu fügen hatte. Ohne die tiefe religiöse Ehrfurcht, die man vor seiner Person und seinem Geschlcchte hegte, wäre die ungeheure Macht, welche dieser Thron während Jahrhunderten ausübte, undenkbar. Erhöht wurde dieses Ansehen gewiss auch durch die Weisheit und eine verhältnismässige väterliche Milde der einzelnen Herrscher; aber auch die letztere ging doch wohl aus dem Bewusstsein hervor, dass der Souverän eine wohlthätige göttliche Macht, wie die Sonne sie ausstrahlt, darzustellen habe. Es ist nicht zutreffend, wenn J. G. M ü l l e r (S. 404 ff.) den Zusammenhang zwischen Religion und Sittlichkeit bei den Peruanern bestreitet und ihrer Sittlichkeit eine religiöse Grundlage abspricht. Zu solchen Urteilen gelaugt man häufig, indem man unter „Sittlichkeit" eben die christliche oder unter dem Einfiuss des Christentums in späten Zeiten allgemein zur Anerkennung gelangte Ethik versteht. Dies ist aber ungeschichtlich. Sieht man näher zu, so hat die religiöse Grundanschauung einen mächtigen Einfiuss auf die ganze Gesittung des peruanischen Volkes und insbesondere aufsein Staatswesen ausgeübt; nur mussten die Mangelhaftigkeit und Fehlerhaftigkeit der religiösen Grundlage gerade in der Sittlichkeit auch zu Tage treten. War doch diese göttliche Sonne bei allen ethischen Eigenschaften, die man mit ihr verband, noch zu sehr Naturwesen, um einen wahrhaft heiligenden Einfiuss auszuüben, zumal alte Unsitten bei der Einführung des reinem Kultus noch mächtig waren. Man kann sich also nicht zu sehr wundern über die Geschwisterehe und Polygamie der Inka, welche Dinge dem übrigen Volk untersagt waren, über die noch beibehaltenen, wenn auch stark zurückgedrängten Menschenopfer, überhaupt die M i s s a c h t u n g d e r m e n s c h l i c h e n P e r s ö n l i c h k e i t u n d F r e i h e i t . Aber die grossartige Energie, mit welcher Ges e t z m ä s s i g k e i t u n d O r d n u n g im ganzen Staate durchgeführt wurden, sowie die Schätzung der E h e , die hoho Achtung vor der A r b e i t und die strenge B e s t r a f u n g d e r u n n a t ü r l i c h e n L a s t e r , die anderswo bei den Indianern als unschuldig galten, sind doch eine Frucht der ob noch so mangelhaften Gotteserkenntnis, die sich
Staatswesen und Volkswirtschaft.
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an jenes das ganze Leben beherrschende und zugleich ordnende Gestirn knüpfte. Charakteristisch ist die an China erinnernde Sitte, dass jedes J a h r der Herrscher vor versammeltem Volke die Erde mit goldenem Pfluge zu pflügen hatte. Die Arbeit gehörte zum Dienst des Sonnengottes, und es ist ein Triumph dieser Religion gewesen, dass sie die von Natur faulen Indianer Perus zu einem überaus fleissigen Landbauervolke erzogen hat. Wenn dabei k e i n e F r e i h e i t gelassen wurde, so war dieser Zwang auf der Übergangsstufe von der Wildheit zur Kultur wohlthätig und notwendig. Dasselbe gilt von der strammen Centralisation, welche geboten war, wenn das Land eine möglichst dichte Bevölkerung ernähren sollte, und dies war das Ziel der Inka, die nicht nur nach aussen die Sonnenherrschaft erweitern, sondern auch im Lande möglichst viele Sonnendiener haben wollten. Deshalb licssen sie ein rationelles Bewässerungssystem durchführen und den Boden in streng geregelter Weise bewirtschaften. Das gesamte Land zerfiel in drei Kategorieen: S o n n e n l a n d , I n k a l a n d , V o l k s l a n d . Was das erstere einbrachte, kam den Tempeln und Priesterschaften, der Ertrag des Inkalandes dem Hof und der Regierung zu gut. Der letzte Teil wurde jährlich neu den Einzelnen zugemessen nach der Anzahl und Stärke der Familien. Die Kuraka und Edelleute erhielten bessere und grössere Stücke als das gemeine Volk, aber auch der gemeine Bauer für jedes Kind eine Zugabe. Die Bearbeitung wurde grösstenteils gemeinsam vorgenommen, und zwar zuerst die des Sonnenlandes, dann bestellte man vom Volksland zuerst die Parzellen der Kranken, Greise, Witwen, Waisen oder der im Kriege Abwesenden; auch half man sich bei der Bestellung des eigenen Ackers, was bei der Unvollkommenheit des Pfluges, vor den sich sechs bis acht Mann spannen mussten, unerlässlich war. Zuletzt bearbeitete man die Felder des Inka, und zwar im Feiergewand unter Absingung von Liedern auf seine Heldenthaten. Auch verarbeitete man die dem Inka zugefallene Wolle, während die dem Tempel abgelieferte in die fleissigen Hände der Sonnenjungfrauen kam. In solchen Dienstleistungen bestanden die Abgaben, zumal es kein Geld gab und der Einzelne im Volk kaum festes Eigentum besass. Diese ganze Einrichtung setzt nun freilich voraus, dass die Einzelnen ihren Verpflichtungen gewissenhaft nachkamen. Dafür wurde durch e i n H e e r v o n A u f s e h e r n und P o l i z e i o r g a n e n gesorgt, welche strenge Justiz übten. W e r sein Feld nicht rechtzeitig bewässerte oder in zerrissenen Kleidern ging, wurde ausgepeitscht, ebenso wer müssig im Lande umherzog. Man fand dies ganz in der Ordnung. Ein Verbrechen war natürlich auch vom Inka übel zu reden, was der Gotteslästerung gleichkam. Der hohe Herrscher zog übrigens selber nicht selten im Land umher, um die Anliegen seines Volkes kennen zu lernen. Seinen Beamten mussten immer alle Thüren offen stehen. Die Verwaltung wurde kontrolliert durch die sog. Q u i p p u , d. h. Schnüre, aus verschiedenfarbigen Fäden zusammengeflochten und mit Knoten versehen. J e d e Farbe, jeder Knoten
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Peruanische Religion: Sittlichkeit. Nach dem Tode.
hatte seine Bedeutung. Konnte man auf diese Weise Verzeichnisse über Vorräte, Abgaben u. dgl. führen, so war dagegen dieses Erinnerungsmittel äusserst unvollkommen, wenn es sich um Meldungen, oder gar Erzählungen von Ereignissen u. dgl. handelte, wofür sie ebenso dienen mussten wie die mexikanische Bilderschrift. Aus dem ganzen Eeich wurden diese Quippu nach der Hauptstadt geschickt, wo sie den Inhalt des Staatsarchives bildeten. Dass die Inkareligion einen gewissen Erfolg in der sittlichen Erziehung des Volkes davongetragen hat, ist denn auch nicht zu leugnen, wenngleich der unter ihr herrschende Sittenzustand von Idealisten weit überschätzt worden ist. Nicht nur hat sie das Volk so schlimmer Unsitten wie der Anthropophagie gänzlich entwöhnt, sondern es muss auch das Sprichwort seinen Grund gehabt haben, das von den Peruanern jener Zeit sagte: Ama sua, ama qualla, amallulla: Keine Diebe, keine Faulenzer, keine Lügner! Verbrechen wie Diebstahl und Mord waren in der Tliat sehr selten. Das Ganze erinnert an einen Bienenkorb, in welchem keine müssigen Drohnen geduldet werden, oder an einen Ameisenhaufen, dessen emsiges Völklein in der Regel nur Krieg führt, um sich gegen Eindringlinge zu verteidigen. Aber allerdings ist der konsequente S o z i a l i s m u s , welcher in diesem grossen südamerikanischen Reiche durchgeführt war, auch insofern lehrreich, als er zeigt, wie wenig die p e r s ö n l i c h e F r e i h e i t in einem solchen Sozialstaate bestehen kann. Auch thut der Zwang und die Verkennung der individuellen Eigenart, welche freilich auf dieser Stufe zu entschuldigen war, dem sittlichen Werte des erreichten Erfolges Eintrag. Derselbe konnte nur so lange von Dauer sein, als nicht die abergläubische Ehrfurcht vor dem Inka und seiner Quippukratie erblich oder diese unfehlbare Autorität einem von aussen kommenden Feinde erlag, wie es thatsächlich eingetreten ist, als die Spanier mit einer lächerlich kleinen Schar das damals gerade durch dynastische Kämpfe geschwächte Reich sich unterwarfen. Als der Zwang der alten Ordnung aufhörte, kamen die alten Unarten des Volks bald genug wieder zu Tage. Ein ethischer Mangel der alten Religion tritt auch an ihren U n s t e r b l i c h k e i t s V o r s t e l l u n g e n zu Tage, von welchen schliesslich noch ein Wort zu sagen ist. Die Fortdauer der Seele wurde auch hier allgemein angenommen. Auch hier versorgte man bei der Bestattung die Abgeschiedenen mit dem, was sie drüben noch nötig haben mussten; man gab ihnen Kleider, Gefässe, Geräte in das Grab und stellte Speise und Trank auf die Gräber. Aber auch die Leichname wurden in hohen Ehren gehalten, vor allem die der Inka. Diese letztern wurden mumisiert und so an den Wänden des grossen Sonnentempels in Kuzko auf goldene Throne gesetzt und an den hohen Festen sogar auf den Marktplatz gebracht. Ähnlich sassen die alten Königinnen im Tempel der Mondgöttin. Man hat irriger Weise aus der sorgsamen Aufbewahrung
Nach dem Tode.
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der Leichen auf eine zu Grunde liegende Idee der leiblichen Auferstehung des Toten geschlossen. Vielmehr wird die dabei waltende Meinung die sein, dass das Los der Seele mit dem des Leibes zusammenhange. Auch diente die Mumie dem Totendienst, wie in Ägypten. Was den Zustand der Seelen nach dem Tode betrifft, so glaubte man an die Versetzung der Inkaseelen nach der Sonne, zu der sie j a nach ihrer Abstammung gehörten. Diesen Aufenthalt im Reiche des Lichts dachte man sich natürlich wonnig und selig. Bei gemeinen Sterblichen dagegen ist die Wanderung der Seelen durch Tierleiber eine geläufige Vorstellung; damit wechselt aber auch die von einer dunkeln Unterwelt, die der unersättliche Totengott regiert. Von einer moralischen Vergeltung nach dem Tode verlautet nichts.
G. Ozeanische Gruppe ').
Einleitung. Noch bleibt eine Völkergruppe zu besprechen, welche die Inselwelt des G r o s s e n O z e a n s oder der S i i d s e e bewolmt, vor allem das gewaltige Eiland, das unter dem Namen A u s t r a l i e n oder „Ncu-Holland" bekannt ist, dann die aus kleineren und grösseren Inseln bestehenden Archipel nördlich, nordöstlich u n d östlich von Australien. Die nordwestlich gelegenen Inseln J a v a , Borneo, Sumatra u. s. f. sehliessen sich religionsgeschichtlich mehr an Indien an und sind von dessen Religionen und dem Islam beeinflusst. Aber jene abgelegeneren Inselgruppen, die man unter den Namen M e l a n e s i e n , M i k r o n e s i c n u n d P o l y n e s i e n zusammenfasst, sind, wie A u s t r a l i e n selbst, von solchen Einflüssen u n b e r ü h r t geblieben und weisen in religiöser Hinsicht manches Eigenartige auf. Zwar begünstigte die abgeschnittene Lage der Inselbewohner eine starke Zersplitterung auch in Sitten und religiösen Vorstellungen. Aber ausser der Ähnlichkeit, welche man bei den Religionen aller uncivilisierten Stämme wahrnimmt, lassen sich bestimmte Züge erkennen, welche diesen Ozeaniern eigen sind. Der Menschenschlag selbst weist grosse Verschiedenheit und Mannigfaltigkeit auf. Doch pflegt m a n alle diese Völker unter dem Namen „ O z e a n i s c h e r S t a m m " oder „M a l a j i s c h c R a s s e " zusammenzufassen. Die eigentlichen Malajen, d . h . die Bewohner der Halbinsel Malakka u n d der Insel Sumatra, bleiben freilich hier ausser Betracht. Doch lässt sich gerade bei der östlichsten von uns zu behandelnden Gruppe, den Polynesiern, der Zusammenhang mit den Malajen nicht verkennen. Manche Anzeichen f ü h r e n darauf, dass diese östlichen Insulaner von Westen, 1) Das Hauptwerk ist: Th. W a i t z , Anthropologie, Teil V und VI von Georg- G e r l a n d (Leipzig- 1865—1872). Die Litteratur siehe zu Anfang- von V, 2 und VI. Ferner verdient besonders hervorgehoben zu werden A. R é v i l l e , Les Religions des peuples non-civilisés II, Paris 1883.
Die Australier und Tasmanier.
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vom Malajenland nach Osten vorgedrungen sind, um auf den zum Teil sehr fruchtbaren Inseln ihren Unterhalt zu finden. Die Frage, wie sich zu diesen Malajen im weitem Sinne die besonders in Melanesien ansässigen Papua und die wieder anders beschaffenen Australier ethnographisch verhalten, lassen wir auf sich beruhen.
1. Die Australier und Tasmanier'). Wir beginnen mit der Bevölkerung, welche man in Australien (Neu Holland) und auf der südlich davon gelegenen Insel T a s m a n i e n (Vandiemensland) vorgefunden hat. Auf der letztern Insel sind übrigens die Eingeborenen ganz verschwunden; in Australien sind sie mehr ins Innere zurückgedrängt. Diese Bewohner der letzteren Weltinsel, welche freilich auch unter sich noch starke Unterschiede aufweisen, werden „ A u s t r a l n c g e r " genannt, da ihre Farbe und Gesichtsbildung zwischen der der Neger und Malajen in der Mitte steht. Die Hautfarbe ist schwarzbraun, Arme und Beine lang, der Bauch vorhängend, die Augen klein und tiefliegend, die Nase oben eingedrückt, unten breit, der Mund gross, die Lippen dick, das Haar fein, oft wollig, schwarz, der Bartwuchs stark. Einzelne Stämme sind abstossend hässlich und machen mit ihrem behaarten Leib und ihren zum Greifen, besonders zum Klettern, geschickten Füssen einen affenartigen Eindruck. Allein die abschätzigsten Urteile über ihre Fähigkeiten beruhen auf Übertreibung und unrichtiger Verallgemeinerung. Eichtig ist, dass sie die ekelhaftesten Dinge essen, zumal im Innern des Landes, das an Vegetation sehr arm ist und auch keine ausgiebige J a g d gewährt. Auch werden Feinde aus Hass und Kinder aus Liebe nicht selten gefressen. Die eigentümliche Waffe der Australier ist der Bumerang, ein gebogenes Wurfholz, das sie mit grosser Geschicklichkeit handhaben. So tief sie aber in ihrer Bildung stehen mögen, so haben sie doch nicht bloss ihre umständlichen Höflichkeitsformen, unter denen das Reiben der Nasen an einander obenansteht, sondern lieben auch Lieder und Malereien, j a Gerland weist auf Anzeichen hin, die dafür sprechen, dass die Australier einst auf einer höheren geistigen Stufe standen 2 ). Die Verfassung, wenn von einer solchen gesprochen werden kann, ist eine patriarchalische. Wer eine grosse Familie hat, aber auch wer sich durch Tapferkeit auszeichnet, ist Häuptling. Jede Familie hat ihr „ K o b o n g " , welches dem Totem der Indianer entspricht, ihr heiliges Tier, das kein Glied der Familie essen wird. Die Familie, bezw. der Stamm ist solidarisch verbunden, was namentlich für das Gesetz der Blutrache, welches allgemein gilt, von 1) Siehe W a i t z - G e r l a n d a. a. 0. VI, 706 ff. — R e v i l l e a. a. O. II, 143 ff. 2) Vgl. W a i t z - G e r l a n d VI, 789. 796.
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Religion der Australier und Tasmanier.
Wichtigkeit. Wie bei allen Ozean iern findet sich auch hier eine Teilung der Bevölkerung in verschiedene S t ä n d e oder K a s t e n 1 ) . Stammes- und Familienzeichen wurden auch bei der T ä t o w i e r u n g der Haut aufgetragen, welche Handlung bei einzelnen Stämmen mit religiöser Feierlichkeit vollzogen wurde. R e l i g i o n hat man früher etwa den Australiern ganz abgesprochen — mit Unrecht. Nur ist diese Religion „ganz ausgeartet, ganz zu Grunde gegangen in wilder, zusammenhangsloser, oft unglaublich abgeschmackter Dämonologie" -). Im Süden und Südosten ist die Verehrung des I I i m m c l s g o t t c s nachgewiesen, der bei den einzelnen Stämmen verschiedene Namen trägt: K o y a n oder P e i a m e i . Er wohnt im Himmel und hat Alles geschaffen, heisst deshalb auch M a h m a m - m u - r o k , „ A l l v a t e r " . Er ist leicht zum Zorne gereizt, man beschwichtigt ihn durch Tänze. Anderswo unterscheidet man zwei Brüder, den guten B a i a m a i ( = Peiamei), der auf einer Insel im fernen Osten wohnt, den Schöpfer aller Dinge (welches Werk wieder von andern dem Sohne desselben, B u r a m b i n zugeschrieben wird), der im Februar durch Lieder und Tänze gefeiert wird, und seinen misslaunisclien Bruder D a r a rw i g a l , der im Westen wohnt. Von diesem erzählt man u. a., er habe, da er sein Messer verloren, aus Ärger die Blattern dem Lande geschickt. Um ihn zu besänftigen, opferte man ihm ein neues Messer. Die Überlegenheit der Weissen spricht ein Mythus aus, welcher von dem Gott der Australier (P u n g i 1) erzählt, er sei vom Gott der Weissen besiegt und gebunden in die Eingeweide der Erde hinabgestürzt worden. Durch den Regenbogen befruchtet der Himmelsgott die Erde. Die S t e r n e sind ein früheres Menschengeschlecht, das zuerst die Erde bewohnte, aber durch eine allgemeine Flut weggerafft wurde. Diese Sternengeister besuchen die Erde oft in T i e r g e s t a l t und wirken auf das Menschenleben ein. Im Osten weiss man von einem gigantischen Manne oder Gott M o t o g o n, der die Erde durch Blasen gemacht habe — jetzt aber alt geworden sei und nichts mehr thue. Ahnliche mythische Sagen ohne rechten Zusammenhang gibt es noch manche. Tn Südaustralien wurden S o n n e und M o n d durch Tänze verehrt. Der Mond gilt als Gatte der Sonne, die ihren Mann jeden Monat tötet. Auch diese beiden bewohnten einst die Erde. Ausserdem gibts viele l o k a l e G ö t t e r o d e r G e i s t e r , von denen der eine oder der andere mit schon genannten identisch sein mag, z. B. N g a n n o , ein grosser Fisch; T a r r o t a r r o , eine Gottheit in Gestalt einer grossen Eidechse, welche die Geschlechter trennte, also den Unterschied von Mann und Weib einführte; T a r n d a , ein göttliches Känguruh, welches die Menschen das Tätowieren lehrte; J u r a , eine Riesenschlange, welche die Beschneidung vorschrieb und deren Unterlassung strafte; sie lebt im Strom der 1) W a i t z - G e r l a n d S. 789. 2) Ebenda VI, 796
Australische Götter und Geister.
Kultus.
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Milchstrasse. Der Orion ist eine Gruppe von J ä g e r n , welche Kasuare und Känguruh jagen, die Plejaden sind Wurzeln grabende Mädchen. In der im Erdinnern gedachten Unterwelt haust der Gott C i e n g a oder K u i n j o (im Norden Jumburbar), vielleicht gleich dem oben erwähnten Pungil, der g e f r ä s s i g e T o d e s g o t t mit, gewaltigem Bauche. Von seinem Namen ist die Benennung des australischen T a b u : k u i n j u n d a , abgeleitet, das somit auf ihn als Gott der Ordnungen und Satzungen, deren Verletzung er rächt, zurückzuführen ist. E r f r i s s t d i e S e e l e n d e r S t e r b e n d e n . Der Todesgott heisst auch W a n d o n g , oder P o t o j a n , der namentlich Kinder frisst, oder W a n g u l , welcher mit Vorliebe die Frauen verzehrt, besonders in der Auszehrung. Als Gott des finsteren Erdinnern erscheint er nur Nachts und fürchtet das Feuer. In dem Engländer Sir Oxley glaubten die Eingeborenen diesen Totengeist zu erkennen: sie warfen sich alle vor ihm nieder, einer aber warf einen Feuerbrand nach ihm. Der Mensch wird von vielen kleinen G e i s t e r n belästigt, welche In g n a heissen. Es Sind Spukgeister aller Art, w e l c h e n , a. auch das Alpdrücken verursachen. Solche Geister zünden das Feuer in den Vulkanen an, werfen glühende Steine in die Luft (Sternschnuppen?) u. s. f. Man versichert sich gegen ihre schädlichen Einwirkungen, Krankheiten, Kriegs- und Reisegefahren durch Zaubermittel. Gewisse Leute verstehen sich auf die Kunst, die bösen Geister abzuwehren, oder auf den Hals zu laden. Diese Zauberer sind im Besitz des S t e i n e s d e r W e i s e n . Glänzende, durchsichtige Steine werden als zauberhaft angesehen. Der Zauberer aber soll einen solchen Stein im Magen tragen, aber Splitter desselben in die Adern der Leute bringen können, welche dann bezaubert sind. Die H e i l u n g von K r a n k h e i t e n ist Entzauberung. Der Zauberer verfährt dabei so, dass er das kranke Glied zubindet, oder knetet, schlägt und tritt. Diese Manipulationen bedeuten zunächst Fesselung oder Misshandlung des bösen Geistes, konnten aber rationell und wohlthätig angewendet werden, wie auch die ebenfalls beliebten kalten Waschungen, Aderlässe u. dgl. Der Aderlass wurde übrigens nur bei Männern angewandt und es durfte das Blut dabei nicht auf den Boden, sondern musste auf den Leib eines andern Mannes iiiessen. Ganze Stämme hatten den Ruf zauberkundig zu sein und schön Wetter machen zu können. Eigentlicher K u l t u s ist wenig vorhanden. Tempel gibts keine, dagegen heilige Örter und Hütten mit rohen Idolen. Religiöse Feste gab es, die mit Opfern und Tänzen begangen wurden. Von M e n s c h e n o p f e r n hört man nicht viel. Die Stämme von Queensland versammelten sich alle zwei J a h r e zu Beratungen. Dabei wurde ein Mädchen geopfert, um Pungil für die Beschlüsse der Versammlung günstig zu stimmen. Darin, dass dem Jüngling beim Übergang ins Mannesalter zwei Vorderzähne ausgebrochen wurden, welche dessen Mutter in einem Baumstamm verbirgt, sieht Reville O r e l l i , Religionsgeschichte.
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ein Surrogat für früheres Menschenopfer. Zu den religiösen S a t z u n g e n , welche dem polynesischen T a b u entsprechen, gehört das Verbot für Knaben, Kasuar- und Känguruhfleisch zu essen, für Jünglinge, Blut, Mark und Eingeweide dieser Tiere zu geniessen; ferner die Namen Toter auszusprechen u. a. m. Da der Tod als eine Wirkung böser Zauberei angesehen wurde, verfolgte man den mutmasslichen Urheber des Todesfalls. Damit der Abgeschiedene nicht zürne und es die Überlebenden entgelten lasse, wenn sie in der Trauer lässig seien, reisst man sich zum Zeichen der Betrübnis einen oder zwei Zähne aus, oder haut ein Fingergelenk ab, oder bringt sich sonst blutige Wunden bei. Dem Toten gibt man seine Waffe zerbrochen ins Grab mit und zündet auch über diesem längere Zeit ein Feuer an, dass die Seele sich wärmen könne. Das Begraben ist das häufigste, doch kommt auch vor, dass man die Leichen in einen hohlen Baumstamm steckt oder auch mit Baumrinde überzieht und an einem hohen Baum aufhängt, unter welchem später ein Feuer angezündet wird, sodass die Leiche verbrennt. Auf alle Fälle wird der Bestattung hohe Wichtigkeit beigelegt: v i e l e S p u k g e i s t e r , die den Menschen quälen, sind G e i s t e r V e r s t o r b e n e r , die nicht regelrecht bestattet worden sind. Die Toten leben selbstverständlich weiter. Die Seele ist der Atem des Menschen, welcher sich im Sterben vom Leibe ablöst. Aber dieser Hauch hat noch dieselben Glieder und Formen wie der Leib; daher der Australier dem getöteten Feind die rechte Hand abhaut, damit der Tote keinen Streich mehr gegen ihn führen könne. Ihren Aufenthalt betreffend kreuzen sich verschiedene Vorstellungen. Abgesehen von der Unterwelt, wo sie gewöhnlich weilen, hält man mancherorts dafür, dass sie noch eine Zeit lang über den Wipfeln der Bäume schweben und in vorübergehende Menschen herabfahren können. Nach einzelnen Stämmen gibts im fernen Westen eine geheimnisvolle Insel der Toten. In Neu Wales glaubt man eher, sie werden zu Wolken, die Vornehmsten unter ihnen zu Sternen. Mit der Meinung, dass die Abgeschiedenen in den lichten Regionen weilen, mag es zusammenhangen, dass man sehr oft in den weissen Ankömmlingen wiederkehrende Verstorbene zu seilen und sogar wiederzuerkennen glaubte. Jedenfalls schrieb man den Geistern lichtere Farbe zu.
2. Die Melanesicr 1 ). In Melanesien (Neu Guinea, Salomonsinseln, Neu Hebriden, Fidschiinseln) sind der verbreitetste Stamm die P a p u a (papüwa, „kraushaarig")) im allgemeinen schwarzbraun, mit reichlichem, 1) Siehe W a i t z - G e r l a n d a. a. 0. VI, 522 ff. — R é v i l l e a. a. 0. II, 116 ff.
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büschelartig vom K o p f abstehendem, schwarzem Haar und ebenso beschaffenem Bartwuchs, ebenfalls ein hässlicher Menschenschlag-. Doch stehen diese Papua etwas höher als die Australier; sie sind aufgeweckter, neugieriger, unternehmender und trieben e i f r i g Küstenschiffahrt. Menschenfleisch wurde von ihnen mit V o r l i e b e gegessen, bis die Europäer ihnen diesen Genuss verwehrten. Namentlich fielen dieser Gier die nach den Inseln verschlagenen Schiffbrüchigen zum Opfer, die man als Geschenk des Meeres betrachtete. V ö l l i g e Missachtung des Menschenlebens zeigt auch die Unsitte, dass neugeborene K i n d e r in Masse getötet wurden und auch Alte und K r a n k e diesem Lose nicht entgingen. Auch mussten W i t w e n auf dem Grabe ihrer Männer das L e b e n lassen. Ausser solcher Grausamkeit sagt man den Melanesiern namentlich H a b g i e r und Dieberei sowie Lügenhaftigkeit nach. Auch die T r ä g h e i t ist ihnen angeboren. Anderseits empfinden sie V e r g n ü g e n an Musik und einer kindlichen Poesie und bewiesen bei der A n f e r t i g u n g ihrer Geräte nicht zu verachtende Geschicklichkeit und Geschmack. Die R e l i g i o n ist w e n i g einheitlich, sie zeigt sich von Insel zu Insel verschieden. A u f Neu Guinea und anderwärts herrscht Sonnenkultus. Der Hauptgott heisst dort M a n g u n d i oder K o n o r i ; letzterer soll nach einem Mythus der Sohn des ersteren sein. Mangundi, der sich selbst verbrennt und immer wieder j u n g zum Vorschein kommt, ist die Sonne. E r soll den Morgenstern (Samperi) gefiingen und von ihm eine wunderbare Nuss erhalten haben, welche er in den Sclioss eines Mädchens herniederwarf, das darauf die Bewohner des Landes gebar, und sodann in einen Felsen v e r wandelt wurde. K o n o r i habe die Bewohner von Neu Guinea viel gutes gelehrt; da sie aber seine Lehren nicht beherzigten, habe er sie schwarz und kraushaarig gemacht (offenbar ein j u n g e r Z u g des Mythus) und sei davongegangen. Einst komme er w i e d e r und bringe allen Menschen Glück. A n d e r e Stämme begrüssen die aufgehende Sonne mit Liedern oder schwören bei i h r 1 ) . Die weissen Europäer wurden bei ihrer ersten A n k u n f t gewöhnlich für göttliche Wesen gehalten, indem die lichte F a r b e an die himmlische R e g i o n erinnern mochte, nach Andern hätte man sie für Meergötter gehalten. Dass man v o n ihnen keine Speisen annahm, was ebenso aus Polynesien und Tasmanien berichtet ist, beweist das Vorhandensein der T a b u - A n s c h a u u n g , wonach der Mensch nichts Göttliches berühren darf, ohne zu sterben. A u f den Fidschi-Inseln ist der oberste Gott N d e n g e i , der an den polynesischen T a n g a l o a erinnert. E r ist halb Fels, halb Schlange, und immer heisshungrig. Er schickt seinen Diener aus, um Opfer zu holen, der aber zu seiner Betrübnis stets leer zurückkehrt, da er keinen Opferkult geniesst. Nach anderer Überlieferung steht sein Sohn v o r der Höhle, w o er haust, um ihm alle Gebete zu vermitteln. N d e n g e i trägt die W e l t auf seinem R ü c k e n ; 1) W a i t z - G e r l a n d VI, 667.
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wendet er sich um, so gibts Erdbeben. Er nimmt die Seelen der Verstorbenen zur Läuterung in sich auf — eine polynesische Vorstellung. Einer seiner Söhne oder Diener hat die Menschen das Feuer anzünden gelehrt. Er selbst hat die Götter und die Welt geschaffen, insonderheit auch das erste Menschenpar aus den Eiern einer Habichtart hervorgebracht, doch erst nachdem verschiedene Versuche misslungen waren. Er richtete auch eine grosse Flut an, um zwei seiner Enkel, die ihn durch Tötung seines Lieblingsvogels erzürnt hatten, zu ertränken. Aber sie retteten sich auf einem Kahn und wurden die Väter der Fischer und Kahnbauer. Nur acht Menschen wurden gerettet. Die Erde wurde von der Flut bedeckt. Ein kleines Vögclchen auf der Spitze des Berges der Insel Koro beweinte die untergegangene Welt. Untergeordnete Götter sind die der E l e m e n t e , B e r g e , G e w i t t e r - , W i n d g o t t h e i t e n u. dgl. Auch gibt es eine Menge S c h u t z g e i s t e r . Jeder Gott hat sein L i e b l i n g s t i e r , in dem er erscheint, z. B. N d e n g e i wird sichtbar als S c h l a n g e oder A a 1. Daher hat auch jeder Fidschi-Insulaner sein S c h u t z t i e r , von dem er nicht isst. Doch auch in M e n s c h e n g e s t a l t kann ein Gott erscheinen, und diese Erwägung hat der Anthropophagie Schranken gesetzt. Sonst liebten diese Götter Menschenopfer, von denen ihre Verehrer das Fleisch, sie selbst die Geister verzehrten. Der Schutzgeist eines Hauses wohnt oft auch in einem Bild, K o rw a r geheissen, das wie die afrikanischen Fetische verehrt und um Antwort gefragt wird. Sein J a und Nein drückt er durch Bewegung aus. Über den T o d haben die. Melanesier eine ganz ähnliche Sage wie die Hottentotten und Kaffern: Der Mond (Ravula) wollte, dass der Mensch nur eine Zeit lang verschwinde, um dann, wie er selbst, wieder zu erscheinen. Aber die Ratte wollte, dass er sterbe wie die Ratten, und hat ihren Willen durchgesetzt. Beim Sterben entflieht die Seele aus dem Leibe, weshalb der Kranke sie zurückruft. Eine solche Seele schrieb man übrigens auch Tieren und Pflanzen, ja Gegenständen, Steinen, Werkzeugen zu, und eben deshalb scheint man solche Dinge zerbrochen ins Grab gelegt zu haben, damit deren Seele entbunden und der Menschenseele dienstbar werde. Als Ziel der abgeschiedenen Seelen gilt mancherorts ein Paradies im Westen und es fehlt nicht an Zeugnissen für eine moralische Vergeltung nach dem Tode. Die g u t e n Seelen kommen dorthin, wo man reichliche Nahrung und Wohlleben hat, die Diebe, Mörder, Ehebrecher in eine H ö l l e , wo sie hungern und darben Als Richter wird N d e n g e i genannt; doch ist sein Massstab keineswegs ein rein ethischer. Schlimm gehts z. B. den untätowierten Weibern — in Melanesien werden nämlich nur die Weiber tätowiert — und den Männern, die keinen Mann erschlagen haben. Und mehr als dieses Gericht 1) W a i t z - G e r l a n d VI, 673.
Melanesien
Mikronesier.
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fürchtet man die Nachstellungen, welchen die Seele bei ihren Wanderungen nach dem Tod ausgesetzt ist. Die Geister der unverheirateten Männer fängt L e w a - l e v u , „das grosse Weib", das auch sonst schönen Männern nachstellt, zerschmettert sie an einem Stein und frisst sie, oder dies thut N a n g g a n a n g g a , der auch Liebhaber von solchen ist: die andern Geister haben mit einer Keule gegen S a m u und seine Brüder zu kämpfen; werden sie besiegt, so werden sie auch gefressen. Man begrub mit einem König etwa einen starken Mann, um ihm in diesem Kampfe beizustehen. Überhaupt wurden vor der Zeit der europäischen Oberherrschaft und Bekehrung der meisten Insulaner zum Christentum bei der Bestattung Vornehmer eine Menge Menschen, Frauen, Sklaven und Freunde getötet. Man nannte diese Opfer „das Gras um das Grab zustopfen". Man glaubte, der Tote warte auf diese Begleiter, ehe er seine Wanderung antrete. Auch auf diesen Inseln treiben die Z a u b e r e r ihr Wesen, die zugleich Ärzte und Wahrsager sind. Sie versetzen sich durch den Anblick eines schwingenden Gegenstandes in Ekstase und thun dann ihre Sprüche. Um Verbrecher zu entdecken, befragt man sie auch, wendet aber daneben eigentümliche G o t t e s g e r i c h t e an mit kochendem Wasser, Untertauchen u. dgl. m. Satzungen des T a b u , welches wir in Polynesien näher werden kennen lernen, sind auch in Melanesien in Kraft. Z. B. ist für die Weiber die Speise der Männer Tabu, d. h. unberührbar, weshalb sie nicht mit diesen essen dürfen; die Tiere, in welchen der Schutzgeist des Einzelnen verkörpert ist, sind für ihn ebenfalls unantastbar. Der Kopf jedes Menschen ist Tabu. Aber die Vornehmen, welche auch hier wie in Polynesien hohe Vorrechte haben, sind in höherem Masse mit Tabu ausgestattet. Besonders merkwürdig sind auf diesen Inseln die Vorrechte der v a s u , d. h. N e f f e n ; so heisst jeder Mann, dessen Mutter ein Glied der Häuptlingsfamilie eines anderen Stammes ist. Ein solcher hat das Recht sich im Lande zu nehmen was er will, ausgenommen sind nur Weiber, Häuser und Grundbesitz des Häuptlings.
3. Die Mikronesier In M i k r o n e s i e n , d. h. auf den Marianen-, Karolinen- und Marschallinseln, auf denen der Ralik- und Ratakreihe und den Gilbertsinseln, sind Malajen, Papua und Polynesier gemischt. Die Hautfarbe ist in der Regel kastanienbraun. Männer und Frauen sind tätowiert, doch nicht im Gesicht; die vornehmern mehr als die gemeinen; denn auch hier sind die S t ä n d e stark unterschieden. Eigentümliche Gewohnheit ist das beständige Betelkauen. 1) Siehe W a i t z - G e r l a n d a. a. 0. V, 37 ff. — Reville a. a. 0. IT, 133 ff.
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Religion der Mikronesier.
Wie übrigens auch in Melanesien herrscht die bei den Australiern erwähnte Form sich zu begrüssen. Anthropophagie hat man hier nicht gefunden, was dem malajischen Einfluss zu danken sein mag. Die R e l i g i o n ' ) ist nicht sehr ausgebildet, wenn auch etwas entwickelter als in Melanesien. Der Ahnendienst hat die Göttermythen in den Hintergrund gedrängt. Doch fehlt es an solchen nicht. Auf den Marianeninseln kennt man einen Gott P u n t a n, der als erfindungsreicher Mann vor Erschaffung des Himmels und der Erde im öden Weltraum lebte und als er starb, seiner Schwester den Auftrag gab, aus seiner Brust und Schultern den Himmel und die Erde, aus seinen Augen Sonne und Mond, aus seinen Brauen den Regenbogen anzufertigen. Dieser mit der Zeit menschlich gefasste Riese, dessen Leichnam die Welt darstellt, scheint kein anderer als der polynesisehe Gott Tangaloa, welcher ebenfalls in der ewigen Nacht, dem Chaos wohnt und Himmel und Erde wie die Gestirne geschaffen hat. Derselbe Gott begegnet uns auf den Karolinen und den Marschallinseln weniger vermenschlicht unter der Benennung A l i u l e p oder E l i u l e p , d. h. „grosser Geist", oder „mächtiger Wind". Der Wind wird eben als Odem des Gottes gefasst. Nach einem karolinischen Mythus war Eliulep der Sohn des Götterpars S a b a k u r und I l a l m e l u l ; deren Tochter war L i g o b u d ; nach einem andern war Eliulep selber der Urgott. Auf Tobi heisst der Hauptgott J a r r i s . Er trägt die Erde auf seinem Rücken; bewegt er sieh, so gibts Erdbeben; schilt er, so donnerts, daher man sich beim Donnern ängstlich stille verhält. Man kennt auch böse, meist unterirdische Gottheiten, einen Todesgott E r i g i r e g e r s , der den Tod unter die Menschen gebracht hat, die früher nur den Schlaf kannten, und M o r o g r o g , der wegen schlimmen Verhaltens aus dem Himmel vertrieben wurde und den Menschen das Feuer auf die Erde brachte. — Die Götter lieben es Tiergestalt anzunehmen, besonders der Haifisch ist (wie in Polynesien) heilig. Diese alte Naturreligion ist aber stark vom Geisterdienst oder Ahnenkult überwuchert worden. Man rief diese Ahnengeister, wie die Geister überhaupt A n t i genannt, in der Not an, man brachte ihnen Opferspenden; die Schädel der Verstorbenen behielt man als Schutzmittel im Hause und trug sie auch in den Kampf; doch konnten sie auch schädlich und gefährlich sein, daher man Nachts nicht auszugehen liebte. Auf den Karolinen hiessen die Seelen, die man verehrte, t a h u - t u p oder t a u t u p ; besonders den Kinderseelen zollte man Verehrung. Die Ahnengeister gehen häufig in ein Tier über, das dann den Nachkommen heilig ist, daher sie z. B. das Essen der Taube oder des Huhns vermeiden. Auch die Europäer wurden häufig als wiederkehrende Geister geehrt. Als Aufenthaltsort der Toten kennt man auf den Marianen ein Paradies, wo es Früchte im Überfluss gibt, und eine ent1) Vgl. VVaitz-Gcrlaiul V, 2, 134 ff. — Ré v i l l e III, 137 ff.
Mikroiiesier. Polyiiesier.
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sprechende IIöllc; beide liegen unter der Erde. Als Beweggrund für die Scheidung erscheinen moralische und andere Motive. Der böse Geist, der in der Hölle herrscht, wird Aniti genannt, was aber nur eine andere Form von Anti. Anderswo (auf Tobi) weiss man von einem Geisterreich jenseits des Meeres, weshalb man die Leichen, auch lcbensschwache Greise, auf einem Kahn ins Meer hinausstösst. Die Geister gehören übrigens sämtlich den beiden ersten Ständen an, die Unfreien haben keine Seele. Damit hängt zusammen, dass auch hier der Begriff des T a b u Geltung hat, z. B. im Essen und Trinken. Gewisse Genüsse wie das Trinken des berauschenden Kawa und stellenweise das Essen der Kokosnuss waren dem genieinen Volke verboten; umgekehrt durften auf den Marianen die Vornehmen keine Aale essen. Gewisse Bäume waren dem profanen Gebrauch entzogen, gewisse Plätze durften von gewissen Leuten nicht betreten, gewisse Wörter in der Unterhaltung mit Weibern nicht gebraucht werden. Um ein T a b u a u f z u h e b e n , z. B. ein geweihtes Schiff wieder zum gewöhnlichen Gebrauche tauglich zu machen, dazu waren umständliche Ccrenionien nötig, durch weiche der Gott, der davon Besitz ergriffen hatte, veranlasst wurde, sich davon zurückzuziehen. Wie die Polyncsier hatten auch die Bewohner der Marianen einen in besonderem Mass von den Göttern geweihten und beschützten O r d e n . Die dazu Gehörigen hiessen U l i t a o . Sie besassen auf allen Inseln Häuser und genossen das Vorrecht, mit den Mädchen der Vornehmen Umgang zu haben, was deren Ehre in keiner Weise beeinträchtigte. Ihr Abzeichen waren hohle mit Baumrinde umzogene und mit Quasten verzierte Stäbe. Sie hatten eine eigene Sprache und besondere Lieder. Politisch war ihr Einfluss gross und sie wehrten sich mit Energie gegen die Spanier und das Christentum. Die Mikronesier hatten nur zum Teil Tempel, morai genannt, offenbar das polynesische marac, und Priester, welche während ihrer Amtshandlungen von der Gottheit erfüllt sein und diese selbst darstellen sollten, ausserdem Zauberer, welche namentlich den Regen herbeiriefen. Auch Priesterinnen oder Wahrsagerinnen kommen vor. Feste wurden regelmässig dem Gotte des Jahresertrags gefeiert.
4. Die Polyiiesier P o l y n e s i e n umfasst die Tonga- oder Freundschaftsinseln, die Samoa- oder Schifferinscln, die Tokelau- oder Unions-Inseln, die Hervey- oder Cooks Inseln, die Gesellschaftsinseln (Tahiti), die 1) Siehe W a i t z - G e r l a n d a. a. O. VI, S. 1 ff. — R é v i l l e a. a. 0. II, S. 1 fif.
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Religion der Polynesier.
Einleitung.
Paumolu- oder Niedrigen Inseln, im Norden die Marquesas- und die Sandwichinseln (Hawaii), im Süden Neuseeland. Bekannt wurden diese Inseln den Europäern meist erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Sie sind zum Teil sehr fruchtbar und tragen namentlich den Brotbaum, hatten aber wenig Tiere, fast nur Ratten, Schweinchen und Hunde. Die Menschenrasse ist hier einheitlicher, wenn sie auch von Archipel zu Archipel Variationen aufweist. Die Verwandtschaft mit den Malajen ist einleuchtend und manches spricht dafür, dass diese Insulaner von Westen, von Celebes hergekommen sind und immer weiter östlich bis zu den Osterinseln sich hinauswagten; sie scheinen auch eine Ahnung von einem grossen Land im Osten (Amerika) besessen zu haben. Der polynesische Menschenschlag ist ziemlich wohlgefällig, die Glieder sind proportioniert, die Formen weich, Arme und Beine etwas schwach und zart. Die Hautfarbe ist sehr verschieden, besonders nach dem Stand, die der Vornehmern heller; die durchschnittliche Färbung ist hellbraun bis dunkelbraun mit Stich ins Gelbe, olivenfarbig. Die Haare sind schwarz, gekräuselt, die Augen klein und schwarz, die Zähne schön, die Nase oben etwas eingedrückt, die Ohren gross, die Schädel hoch, pyramidal, Stirne und Hinterkopf glatt. Man hat die Malajo-Polynesier Hypsistocephalen genannt. Diese Anlage des Kopfes wird noch durch Drücken des Neugeborenen nach dieser Richtung übertrieben. Starke Beleibtheit gehört im allgemeinen auch zu diesem Typus, besonders bei den Frauen. Die Leute sind verhältnismässig aufgeweckt, neugierig, fröhlich, unternehmend, wie schon der Umstand beweist, dass sie sich auf ihren Kähnen so weit ins Weltmeer hinausgewagt haben. Anderseits fehlt auch hier die Trägheit nicht, die sich leicht einer wenig civilisierten insularen Bevölkerung bemächtigt. Über ihre Begehrlichkeit, Dieberei, Unwahrhaftigkcit liesse sich ähnliches sagen wie bei den Mikronesiern. Die Weiber werden trotz ihrer tieferen Kaste nicht schlecht behandelt und bleiben in der Regel ihren Gatten treu; an den schlimmsten Ausschweifungen der Mädchen freilich sieht man nichts tadelnswertes; an weiblichem Schamgefühl gebricht es gänzlich und die geringe Fruchtbarkeit der Frauen hängt damit zusammen. Polygamie war allgemein. Eigenartig ist die Blutsfreundschaft, wobei man den Namen tauscht und auch sein Weib dem Freunde überlässt. Verwandte durften sich nicht heiraten. Liebe zu den Eltern und Kindern äussert sich fast durchgängig, was nicht ausschliesst, dass man ohne Scheu einen grossen Teil der Neugeborenen, namentlich der Mädchen, tötete. Besonders schlimm war diese Unsitte auf Tahiti und Hawaii. An ersterem Ort wurden zwei Drittel aller Kinder, hauptsächlich Mädchen, umgebracht. Die ersten drei Kinder, zumal Zwillinge, tötete man immer und mehr als zwei oder drei zog niemand auf. Namentlich mussten Kinder aus einer Mischehe dieses Los erdulden. Auch Menschenfresserei war sehr verbreitet. Man zehrte erschlagene Feinde auf, dagegen nicht Angehörige des
Kultur und Sitte
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eigenen Stammes; auch bei Opferfesten wurden die den Göttern dargebrachten Unglücklichen von den Menschen gefressen. Man gewann solche Opfer durch Streifzüge in Feindesland. Das Fleisch der Europäer wurde versehmäht. Bei der Entdeckung der Inseln war der Kannibalismus schon im Abnehmen, den Missionaren gelang es, ihn gänzlich auszurotten. Eine besondere Wichtigkeit legte man auch hier dem T ä t o w i e r e n bei. Dasselbe geschah mit dem Russ oder der Kohle einer gewissen Nuss, die man verbrannte; mittelst Einschnitten brachte man dieses tiefe, später bläuliche Schwarz unter die Haut. Die schmerzhafte Operation wurde vom Priester vollzogen und von Gesängen seiner Mitpriester begleitet. Man tätowierte beim Eintritt ins mannbare Alter, setzte aber die angreifende Bemalung später fort. Die Vornehmen waren am meisten tätowiert, die Weiber weniger. Nur der T u i T o n g a , der „Herrscher der Tonga-Inseln", blieb von dieser Verzierung ganz frei. Die Zeichnungen bieten ausser gewissen Linien häufig Tierfiguren, namentlich Eidechsen, Schlangen, Fische, Vögel. In Neuseeland heisst die Tätowierung selbst moko, d. h. Eidechse. Unverkennbar sind es h e i l i g e Tierfiguren, welche dem menschlichen Leibe aufgeprägt werden. Er wird damit einer Gottheit geweiht, speziell derjenigen, die seinen Schutzgeist bildet. Daher geschieht die erste Bemalung in dem Augenblick, wo der Mensch mündig wird. Der in der Operation befindliche ist T a b u ; denn er ist von dem Gotte berührt, der in ihn einzieht. Der Tuitonga aber hat solches nicht nötig, weil er an sich die Gottheit für den Stamm darstellt. Die wenig oder gar nicht Tätowierten sind minder heilig'). Vielfach ist freilich später diese Bedeutung der Tätowierung von den Eingeborenen selbst nicht mehr verstanden worden. Jetzt ist sie unter dem Einfluss der christlichen Mission, die sie um der damit verbundenen heidnischen Vorstellungen und Unsitten willen bekämpfte, fast ganz verschwunden 2). Die Polynesier wie die meisten an den Küsten oder auf kleinen Inseln wohnenden Ozeanier fühlen sich fast ebenso heimisch im Wasser als auf dem Land; die kleinen Kinder schwimmen fast ehe sie gehen können. Auch die Frauen leisten darin grosses. Auch haben sie tüchtige, lange Kähne bauen gelernt und zeigten sich in der Schiffahrt ebenso geschickt wie im Bau von Wohnungen und in der Anfertigung von Werkzeugen und Schmucksachen. Selbst in der Chirurgie waren sie erfahren und führten z. B. die Trepanation mit ihren unvollkommenen Instrumenten aus. Tanz und Musik lieben sie leidenschaftlich, wiewohl ihre Trommeln, 1) Der religiöse Charakter des Brauchs erhellt auch daraus, dass man auf einer Insel die Europäer gewaltsam tätowieren wollte, auf einer andern sich dagegen sträubte, ihnen diesen heiligen Schmuck beizubringen. 2) Uber die in Polynesien allgemein übliche B e s c h n e i d u n g ' der Knaben siehe W a i t z - G e r l a n d VI, 28.
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Religion der P o l y n e s i e n Himmelsgott.
mit der Nase gespielten Flöten und Muschelinstrumcnte nur ein sehr primitives Orchestcr bildeten. Auch beachtenswerte poetische Produkte liegen vor, welche beweisen, dass es an tiefern Regungen des Gemütes diesen Völkerschaften nicht gebricht. Allein dass sie aus eigener Kraft sich gedeihlich entwickelt und auf eine höhere Stufe erhoben hätten, war trotz ihrer nicht geringen Fähigkeiten nicht möglich. Schon ehe die Europäer kamen, war diese Bevölkerung im Niedergang begriffen in Folge der grassierenden Kriege, der Kindermörderei, der Degradation der Mädchen und ähnlicher Krebsschäden. Auch der bei Wilden sonst seltene Selbstmord war häutig. Zu diesen Feinden kamen freilich durch die Europäer noch neue: Trunksucht, Syphilis, Pocken. Doch hat das Christentum manche Schäden beseitigt, und auf einigen Inseln (Sandwich) nimmt die sonst schwindende eingeborene Bevölkerung wieder zu. Die R e l i g i o n der Polynesier hat dem geistig geweckten Sinne dieses Stammes gemäss eine reiche Mythologie aufzuweisen, die sich freilich in den von einander abgeschlossenen Inselgebieten sehr verschieden gestaltete. Gemeinsam ist ihnen der Gott, der in der Regel die herrschende Stellung einnimmt und unverkennbar der oberste Gott aller dieser Völkerschaften war. Er heisst T a ng a l o a (auf Tongo, Samoa) oder T a n g a r o a (Neuseeland) oder T a a r o a (Tahiti) und ist eigentlich der II i m r a e l s gott und Vater der Götter wie Bereiter der Erde und der Menschen. Er wohnt im höchsten Himmel. Häufig wird er in Gestalt eines Vogels gedacht, da der Sturmwind, welcher zu diesem himmlischen Gotte gehört, Flügel hat. Ebenso hat er Beziehungen zur Sonne, ohne mit ihr identisch zu sein. Die Sonne wird für sein linkes Auge gehalten, in welchem nach der landläufigen Anschauung allerdings die Seele sitzt. Aber der Gott ist umfassender. Er ist auch (vgl. Varuna der Inder) auf manchen Inseln Meergott geworden, da das klare blaue Meer als Spiegel des Himmels und dieser selber als ein Ozean sich dem kindlichen Auge darstellte. Glaubten doch die Eingeborenen, die Schiffe der Europäer seien aus den Wolken gekommen und hätten den Donner mitgebracht. Als Meergott war er von Schiffern und Fischern besonders geachtet; dann auch von den Zimmerleuten, da diese vor allem Schiffe zu zimmern hatten. T a n g a 1 o a gilt als E r b a u e r d e r W e l t . Vom Schweisse, den er bei dieser Arbeit vergoss, ist das Meer so salzig geworden. Er machte die Gestirne, die Inseln, die er aus der Tiefe fischte, wobei die Angelschnur zerriss, weshalb nicht ein ganzes Land, sondern nur Bruchstücke (Inseln) heraufkamen. Mit seiner Gattin, einem grossen Felsen namens O-te-papa, erzeugte er nach einem Mythus die Gestirne und Untergötter, von denen dann die Menschen abstammen. Nach einem andern Mythus (Gesellschaftsinseln, Tahiti) war Tangaloa, der Riesenvogel, seit ewigen Zeiten in ein Riesenei eingeschlossen, das er zerbrach; die Eierschalen sind das Himmelsgewölbe und die Erde. Die E n t s t e h u n g der M e n s c h e n wird auch auf mannigfache Weise erzählt. Z. B. es seien die
Weltentstehung.
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Menschen aus rotem Thon geformt worden (wie bei den Kothäuten), u n d hätten ursprünglich Thon gegessen. Ein Mann bat den Gott (Tangaloa), ihn in einen F r u c h t b a u m zu verwandeln, da sein einziger Sohn diese schwere Speise nicht ertragen konnte. Tangaloa verwandelte ihn zum Brotbaum. Eigenartig ist der n e u s e e l ä n d i s c h e Schöpfungsmythus. Die Maori erzählen nach G r e y 1 ) : Anfangs waren R a r . g i (Himmel, eigentlich = Tangaroa, der aber bei den Neuseeländern zum Meergott herabgesunken u n d nicht mehr ü b e r den Göttern emporragt) und P a p a (Erde) ein verliebtes, sich umfassendes Ehepar, das alle Wesen erzeugte, welche jedoch im Dunkeln sich befanden, weil jene beiden sich so dicht umschlossen hielten. Ihre Kinder ratschlagten, wie sie ans Licht kommen könnten. Tumatauenga, der schreckliche, wollte die Eltern töten; aber T a n e - m a h u t a , der Vater der Wälder, schlug vor, sie zu t r e n n e n . Alle waren einverstanden ausser T a w Ii i r i - m a t e a, Vater der Winde und Stürme. Lag ihm doch nichts am Lichte, da er T a g und Nacht bläst. Er liebte die Eltern mehr als seine Brüder. Seine fünf B r ü d e r 2 ) machten vergebliche Anstrengungen, das Elternpar zu trennen, bis es endlich dem Tane-mahuta gelang, indem er den Kopf gegen die Mutter Erde, die Beine gegen den Vater Himmel stemmte. So sticss er letzteren weit in die Höhe und es wurde hell. Wenn fortan der Himmel sieh der E r d e nähern will, stossen ihn jene Beine (die hochragenden Baumstämme der Wälder des Horizonts) zurück. Doch lieben sich die beiden Gatten noch. Der Himmel weint in seinem Trcnnungsschmerz Tautropfen, die E r d e sendet ihre Wohlgcrüche gen Himmel. Allein Tawhiri-matea will seine Eltern rächen; er schickt seine vier Söhne nach den vier Himmelsgegenden. Es sind die vier W i n d e , welche verheerend gegen Wald u n d Meer blasen und Wetterwolken daherbringen. Vor Schrecken entfloh der Mccrgott aus seinem Gebiet, nur ein Teil seiner Kreaturen blieb darin, die Fische; die a n d e r n flüchteten sich aufs Land und wurden Reptilien. Auch der Meer- und Waldgott entzweien sich, da dieser dem T u m a t a u e n g a , dem Vater der mutigen Männer Holz für Kähne, Lanzen u n d Fischzeug liefert, womit die Brut des Meeres gefangen wird. Der Meergott rächt sich d a f ü r an den Menschen, indem er die Schiffer zu verschlingen trachtet. Der Windgott richtete seine Wut auch gegen die Pflanzen, welche daher die Mutter E r d e mitleidig in ihren Schoss aufnahm. Sieger bleibt schliesslich T u m a t a u e n g a , der Vater der mutigen M ä n n e r , welcher das Gebiet des Wald- und Meergottes wie das der Pflanzenwelt ausbeutet. Nur den Windgott k a n n er sich nicht unterthan machen. E r lehrte die Menschen Zauberformeln, mit welchen sie den Wald- oder Meergott beschwören, übrigens auch gutes Wetter und günstigen Wind sich erbitten können. 1) George G r e y , Polynesian Mythology, Lond. 1855, p. 1—15. 2) Zu ihnen gehört ein Vater der Kulturpflanzen, einer der wilden Pflanzen, einer der Reptilien und Fische.
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Polynesische Religion: Maui.
Der eigentliche Held cles polynesischen Mythus aber ist M a u i, der S o n n e n gott, von welchem erklärlicher Weise auch solches ausgesagt wird, was sonst dem Himmelsgott zukommt. Er hat z. B. die Inseln aus der Tiefe getischt und in Gestalt eines Vogels einen Wurm zerpickt, aus welchem zwei Menschen entstanden. Er trägt, was auch von Tangaloa gesagt wird, die Erde auf seinem Rücken; wendet er sich um, so gibts Erdbeben. Er schleppt sein Weib Papa durchs Wasser, wovon die felsigen Eilande entstehen u. s. w. Namentlich aber werden allerlei Heldenthaten von Maui erzählt, wie von anderen Sonnenheroen, Gilgamcs, Herakles u. s. w. Z. B. fängt er die Sonne in einem Netz oder mit einem Strick und zwingt sie, langsamer zu laufen 1). Besonders auf Neuseeland ist dieser Mythus ausgebildet, wo Maui am meisten vermenschlicht erscheint. Er kämpft besonders mit dem zauberkräftigen Kinnbacken einer Ahnmutter, der menschenfressenden Muriranga-Wenua (Hinter-IIimmel und -erde). Dieser Kinnbacken, mit seinem eigenen Blut bestrichen (Felsklippen im Morgenrot?), Ist auch sein Köder, an welchem er Neuseeland, den „ F i s c h d e s M a u i " , aus der Tiefe emporzieht. Maui hat das F e u e r auf die Erde gebracht. Er erhielt dasselbe von einer andern Ahnfrau, dereu Nägel er verlangte, da durch Reibung derselben Flammen entstanden. Da er zuletzt alle ihre Nägel wollte, wurde die Alte böse und schoss ihm alle Flammen ihres Leibes nach (Abendsonne?). Dabei sind einige Funkon in die Bäume gefahren, aus deren Holz man jetzt Feuer gewinnt. Maui bezwingt auch die Winde und reitet auf ihnen, nur den Westwind vermochte er nicht zu packen. Zuweilen konnte er ihn beinahe greifen; dann flüchtete sich derselbe in seine Höhle, bis Maui fort war. Deshalb weht gewöhnlich der Westwind und pausiert nur auf kurze Zeit. Von der K i n d h e i t des M a u i erzählen die Neuseeländer: Seine Mutter warf ihn als Frühgeburt in eine ihrer Haarlocken gewickelt ins Meer. Aber sein Ahnherr Rangi (Himmel) beschirmte ihn, und nachdem er lang auf dem Meer umhergetrieben worden, landete er an einer Insel. Seine Mutter erkannte ihn und liess den schön gewachsenen in ihrem Bette schlafen zum Ärger seiner Brüder. Diese Mutter (die Nacht) enteilte immer vor Tagesanbruch aus der Hütte und kam erst Abends wieder. Maui folgte ihr eines Tages und bemerkte, dass sie im Dickicht verschwand; als Vögelchen flog er ihr nach und entdeckte so den Eingang zu einer unterirdischen Grotte, wo er auch seinen Vater findet und von ihm getauft wird. Von dort kehrte er als gewaltiger Zauberer zurück. S e i n E n d e ist wie das anderer Sonnenhelden ein tragisches. Er hörte, im fernen Westen gebe es noch eine Ahnfrau von ihm, die mit offenem Munde schlafe (der nächtliche Abgrund), indem ihre Augen blitzend durch die Nacht leuchten. Die Menschen 1) Dass der Sonnenheld vom Gestirn linterschieden wird, kann nicht befremden, da auch anderwärts dasselbe stattfindet.
Polynesische Götter.
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verschwänden in ihrem Rachen und k e h r t e n nie z u r ü c k . Er wollte die Sache erkunden u n d die Todesgöttin bezwingen. Auf den Wunsch der Singvögel nahm er sie auf seinem Zuge mit, schärfte ihnen aber ein nicht zu lachen, wenn er in jenen Rachen hinabsteige. Allein der kleine Vogel tiwikawaka (der bei Sonnenunterg a n g fröhlich singt) konnte sich nicht enthalten laut aufzulachen, als er hinunterstieg. Die Alte erwachte, spürte den f r e m d e n Körper zwischen den Zähnen und zermalmte ihn. — In seinen Mitteln ist übrigens Maui wenig wählerisch; wenn nur der Erfolg ihn krönt, ist der Erzähler befriedigt. Auch wird er nicht als eigentlicher Gott im Kultus verehrt. Ist Maui der Sonnengott, so wird auch der M o n d personifiziert unter dem Namen H i n a (Tahiti, Sandwich), eine F r a u mit weissen Haaren, oder M a ' i n a , M a s i n a (Samoa). Sie ist Tochter des T a n g a r o a . Bei Sonnen- und Mondsfinsternissen hielt mau die Gestirne f ü r bezaubert und lief mit Opfern nach den Tempeln. Erzählt wird, der Mond sei einst während einer Hungersnot in Form einer Brotbaumfrucht (Sichel) aufgegangen, während Sina mit ihrem Kind auf dem Felde arbeitete. Sie rief ihm zornig zu: W a r u m steigst du nicht auf die E r d e herab, dass ich und mein Kind von dir essen könnten? Da kam er ärgerlich herunter und nahm sie samt Kind und W e r k z e u g zu sich herauf, wo man sie noch (in den Mondflecken) sieht. Die N a c h t heisst P o ; so wird auch der finstere Abgrund unter der Erde genannt, wo die Toten weilen und die Todesgötter. Die mythische Insel, wo solche wohnen, heisst P u - l o t u , d. Ii. Mitte von Po. Dorthin begeben sieh die Toten, um von den Göttern gefressen zu werden. — Auch die Sterne oder Sternbilder waren personifiziert. Ein Luftgott R e h u a wohnt bei Tangaloa im obeisten Himmel und weiss alle Dinge. Ein Sohn dieses Rehua wird durch einen Unfall getötet und rötet mit seinem Blut den Abendhimmel. Wenn der Hof des Rehua schmutzig, d. h. bewölkt ist, so reinigt ¡Im Maui. Der Regenbogen ist der Weg, auf dem die Götter zur E r d e hinab und wieder zum Himmel hinaufsteigen. Ausserdem gibt es noch zahlreiche Lokalgötter, welche Winde, Vulkane, Berge, Felsen u. s. w. beleben. Kriegsgott war z. B. T a i r i (auf Hawaii), von dem ein hässlichcs Bild in die Schlacht getragen wurde. Der Gott des Landbaues auf Tahiti ist O f a n u , auf den Tongainseln A l o - A l o (d. h. „Wanner"), ein Wind- u n d Erntegott. Auf den Sandwichinseln (Hawaii) wird ein Gott L o n o besonders verehrt, auf Tahiti R o o , auf Neuseeland K o n g o . Der letztere, welcher auch in Mikronesien zu Hause ist, wird als Regengott anzusehen sein. Die beiden andern sind seine Doppelgänger, Wind-, Sturm-, Meer- und Kriegsgötter. Auf Hawaii ist die Göttin des dortigen Vulkans, namens P e l e , g e f ü r c h t e t . Eigenartig ist der N a t u r m y t h u s von T a m a p u a a , d. 1). „Sohn des Schweins". Dieser machte der Göttin den Ilof, welche viele Liebhaber hat; sie wies ihn aber ab. Er rächte sich, indem er ihren Krater mit Wasser
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Polynesisuhe Religion: Tiki.
Tabu.
füllte. Allein Pele schluckte alles und warf ihn zuletzt ins Meer Dieser Tamapuaa, halb Mensch, halb Schwein, dabei riesengross, entspricht einer mächtigen Wolke, welche um den Vulkan sich lagert, und von diesem scheinbar abgestossen, wenn der Wind sie in Bewegung setzt, ihre Regenströme in den Krater ergiesst, schliesslich aber doch weichen muss und über dem Meere vergeht. Sammelname für diese vielen Götter war a t u a (von atu, Herr); man nannte sie auch „die himmlische Familie"; diese schloss übrigens auch tiergestaltige Wesen in sich, und sittliche Heiligkeit war keines ihrer Merkmale, denn den Göttern werden arge Unsittlichkeiten zugesehrieben '). An die grossen Götter wandte man sich in der Regel nur in grosser Not oder bei grossen Festen zu ihren Ehren. Im gewöhnlichen Leben hielt man sich an die kleinen Götter oder Schutzgeister, welche T i k i hiessen. So nannte man namentlich den in einem Tier verkörperten Schutzgeist jedes Einzelnen, von dessen Tier zu essen man sich hütete, da man sich dadurch schwere Krankheiten zuzuziehen fürchtete. Dass die ersten zum Christentum Bekehrten ihre Tiki aufassen, ohne Schaden zu nehmen, machte grossen Eindruck. Im übrigen sehrieb man den Tiki allerlei Spuk zu. Sie galten als ineubi und auch als Vampire, welche den Schlafenden das Blut aussaugten. Von religiösen Gebräuchen ist das Volksleben ganz durchzogen und beherrscht. Denn hier gilt in besonders starkem Grad und feinster Ausbildung das in ganz Ozeanien nachweisbare Gesetz des T a b u , welches die Sphäre der Götter streng von derjenigen der Menschen, und ebenso die der göttlich geadelten Menschen von der des gemeinen Volkes scheidet. Das Wort tabu-') bedeutet: ,,stark bezeichnet" 3). Es geht auf solche Gegenstände, die als der göttlichen Sphäre zugehörig bezeichnet sind: die sind unantastbar. So die Opfer, die Tempel (Marae), die Priester, die Könige und Angehörigen der vornehmen Geschlechter; ausserdem zahllose Einzelheiten. Tabu waren z. B. gewisse Beeren eines Strauches, die eine Göttin besonders liebte; ebenso für jeden das T i e r s e i n e s S c h u t z g e i s t e s (tiki). Tabu waren auch die K r a n k e n als Besessene,, weshalb man sie aus den Wohnungen wegschaffte; ebenso die Leic h e n , die man darum nur von alten Frauen bestatten liess, um 1) Merkwürdigerweise findet sich hier überall auch die S a g e von einer grossen W e l t l ' l u t , welche ein Gott im Zorn anrichtete, und aus welcher nur wenige Mensehen, etwa ein Par, entrannen. Siehe verschiedene Versionen bei W ai t z - G e r l a n d VI, 270 1t'. 2) Zum Wort und Begriff sind in mancher Hinsicht zu vergleichen das hebr. kädösch und das arab. haräm. Doch ist es verwirrend, wenn R o b e r t s o n S m i t h und F r a z e r auf semitischem Boden geradezu von „Tabu" sprechen. Der Ideenzusammenhang - ist hier und dort doch ein recht verschiedener! 3) ta ist Zeichen des Superlativs, bu oder pu = bezeichnet, angezeichnet. Vgl. zu dem Begriff W a i t z - G e r l a n d VI, 343 ff. R i v i l l e II, 55 ff. F r a z e r , Art. Taboo in der Eue. Brit.
Tabu.
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welchc es nicht sehadc war, wenn die Kache des Gottes sie traf. Auch die n e u g e b o r e n e n K i n d e r waren tabu, wenn man sie nicht gleich in der ersten Viertelstunde umgebracht hatte, und mussten enttabuiert werden. Wie wirs schon anderswo fanden, war für die Frauen die N a h r u n g d e r M ä n n e r tabu; sie durften also nicht mit diesen essen; auch bei den leckern Mahlzeiten von Menschenfleisch war ihnen verboten mitzuhalten, sie bekamen überhaupt nicht viel Fleisch. Diese Salzungen bildeten schroffe soz i a l e S c h r a n k e n zwischen den S t ä n d e n wie den beiden Geschlechtern, und man hat schon fälschlich gemeint, sie seien mit eigennütziger Willkür zur Begründung von Standesvorrechten überhaupt ausgedacht worden. Allein so oft auch die Priester und Vornehmen sie ausbeuteten, so beruhen sie doch auf wirklichem, ursprünglich allgemeinem Aberglauben, der sich scheute das Gebiet der höhern Mächte anzutasten. Für selbstsüchtige Zwecke liess sich freilich dieser Aberglaube leicht missbrauchen; doch konnten auch rationelle Verordnungen durch das Tabu am besten geschützt werden, ganz wie an der Goldküste durch den Fetisch l ). Z. B. tabuierte man Felder, auf denen die Ernte stand samt den Schnittern, die dann nicht fort konnten, bis die Arbeit gethan war, ebenso Fischereien, abgetretenes Land, das man schützen wollte u. s. f. Die menschliche Gesellschaft bildet nach dieser Gesamtanschauung mit den Göttern zusammen eine grosse Stufenleiter, welche an den Bralmianismus erinnert. Die oberste Stufe nehmen die G ö t t e r ein, dann folgen die K ö n i g e , darauf die P r i e s t e r , die V o r n e h m e n verschiedenen Hanges; zuletzt kommt, durch weiten Abstand von den Höheren getrennt, das g e m e i n e Volk, zu unterst dessen W e i b e r . Je höher man steigt, desto mehr findet man den Betreffenden den Charakter des Tabu aufgeprägt. Die F ü r s t e n waren durch dasselbe ganz abgeschlossen, auf Tahiti so sehr, dass man sie auf den Schultern trug, damit sie den Boden nicht tabuisierten. Der Tabu ist nämlich m i t t e i l b a r oder a n s t e c k e n d , wie bei den Hebräern der levitische Heiligkeitscharakter 2 ). Vielfach wurden auch Männer, besonders Vornehme, von den Frauen mit einer Art Löffel förmlich gefüttert, damit sie die Speise nicht anrührten und damit für die andern ungeniessbar machten. Die Leute, welche selber Tabu waren, durften die Tabudinge berühren, aber was sie anrührten, wurde dadurch Tabu. Das Gegenteil von tabu ist n o a (hebräisch chöl). Könige und Priester können etwas f ü r T a b u e r k l ä r e n , was gewöhnlich auf eine b e g r e n z t e Z e i t geschieht; umgekehrt können aber Höherstehende ein von Untergebenen ausgesprochenes Tabu e n t f e r n e n oder die Dauer seiner Giltigkeit v e r k ü r z e n . Sonst sind priesterliche Ceremonien (Waschungen, Opfer) notwendig, um ein Tabu zu l ö s e n . Z. B. das neugeborene Kind war Tabu und wurde durch den Priester mit1) Vgl. oben S. 7G3.
2) Vgl. z. B. Haggiii 2, 12 f.
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Polynesische Religion: Tabu.
Priesterschaft.
telst einer Art von T a u f e (Besprengung mit Wasser oder Eintauchen) enttabuiert. Die offenkundige V e r l e t z u n g e i n e s T a b u fand grausame Strafe, auch wenn sie ohne Wissen und Willen geschehen war. Aber auch wenn jemand krank wurde, vermutete man eine solche Übertretung, und er hatte dem Priester eine Beichte abzulegen, ob er nicht dadurch den Zorn der Götter sich zugezogen habe. Nichts erschütterte den polynesischen Aberglauben so sehr wie die Wahrnehmung, dass die Europäer sich keck über alle heil. Satzungeu dieser Art hinwegsetzten, ohne dass der Zorn der Götter an ihnen sich betliätigte. Das Christentum brachte die Befreiung von diesem auf allem und allen lastenden Banne. Reville ist der Meinung, die protestantischen Missionare hätten deshalb in Polynesien mehr ausgerichtet als die katholischen, weil man mit den vielen Satzungen dieser letztern Kirche wieder eine Last von vielen Tabu auf sich zu nehmen meinte, wovor man sich mit gutem Grund scheute. Bezeichnend ist, dass der mit altreformierter Strenge von den Protestanten eingeführte Sonntag von den Eingeborenen als „Tag des T a b u " bezeichnet wurde. Die P r i e s t e r bildeten überall eine abgeschlossene Klasse und genossen hohes Ansehen. Wyatt Gill erzählt von den 11ervey-Inseln: Als die Menschen zahlreich geworden und die Götter sahen, wie unwissend sie seien, riefen sie die kleinen Vögel und trugen ihnen auf, den Menschen zu sagen, was sie wissen müssten, um glücklich zu leben. Diese zwitscherten es ihnen zu, aber die Menschen verstanden nichts von diesem ergötzlichen Gezwitscher. Da lasen die Götter gewisse Menschen aus, in deren Leiber sie herabstiegen und die nun in menschlicher Sprache den Leuten Belehrung spenden. Das sind die P r i e s t e r , welche deshalb p i aa t u a , ,,G ö 11 e r s c h a c Ii t e 1 n " heissen. Da somit die Götter selbst aus ihnen sprechen, konsultiert man sie auch als Wahrsager. Dabei inuss man ihnen ausser einem Geschenk eine Schale des berauschenden K a w a t r a n k e s 2) bringen. Der Priester trinkt, fällt in Ekstase, und nun redet ein Gott aus ihm. Das Priestertum war erblich und die Glieder dieses Standes gehörten zur höchsten Aristokratie. Auf den Paumotu-Inseln waren die Fürsten zugleich Priester, häufiger bildeten diese besondere Kollegien, die sich auch mit Astronomie u. dgl. befassten. Der Sohn senkte seinen Mund auf die Lippen des sterbenden Vaters, um so dessen Inspiration und damit das Priesteramt zu empfangen. Ein Vorrecht der Priester war es, dass sie bis auf 12 Frauen haben durften. Sie trugen eine eigentümliche Kopfbedeckung, einen hohen Strohkorb. Auf Hawaii gab es Priesterinneii der Göttin Pele. Auf den Tongainseln herrschte 1) W y a t t G i l l , Mvths and Songs from the South Pacific, Lond. 1876, S. 35. 2) Dieser nur den Vornehmen gestattete, bei ihnen aber sehr beliebte Trank wird aus den Wurzeln von piper niethysticum bereitet, die von Weibern oder Knaben zuerst gekaut werden; darauf brüht man sie mit Wasser oder Kokosmilch an und seiht die Flüssigkeit durch.
Die Areoi.
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der Hohepriester früher auch als König; es ist jener T u i - T o n g a ( = Herr von Tonga), der allein nicht tätowiert wurde. In späterer Zeit blieb ihm nur noch die geistliche Würde; diese war erblich, ging aber auf den Sohn der Schwester oder der Tante über. Die Obliegenheiten der Priesterschaft sind schon berührt worden. Sie hatte die Marä (Tempel) zu besorgen, die Beschneidung und die Tätowierung zu vollziehen, Orakel und Beschwörungen zu sprechen, Kranke zu heilen durch Entzauberung, wobei sie aber auch medizinisch-chirurgische Kenntnisse bewies und über den Satzungen des Tabu zu wachen. Ein m e r k w ü r d i g e r O r d e n begegnet hier, der auf T a h i t i seinen Hauptsitz hatte, doch auch auf den andern östlichen Inseln (Rarotonga, Hervey, Hawaii, Sandwich) heimisch war oder sie besuchte : die A r e o i . Sein Ursprung wird auf jener Insel so erzählt: Der Gott O r o , Sohn des grossen Taaroa und Hauptgott auf Tahiti, wollte ein irdisches Weib heiraten. Auf dem Regenbogen zur Erde herabgestiegen, fand er endlich auf der Insel Borabora die schöne Vairaumati, die er zur Gartin nahm und bei der er den Himmel vergass. Da kamen seine beiden Brüder ihn suchen, Orotetefa und Urutetefa. Auch sie gelangten über den Regenbogen zur Erde und fanden Oro. Aus Freude über das Wiedersehen schenkten sie ihm das Schwein und die roten Federn, in welche verwandelt sie hergekommen waren. Oro aber stieg mit seiner Gattin zum Himmel auf in einer Feuersäule und nahm den Regenbogen mit sich. Sein Sohn folgte ihm auch dorthin nach einem thatenreichen Leben auf Erden. D i e b e i d e n B r ü d e r aber machte er zu G ö t t e r n a u f E r d e n u n d z u g l e i c h z u A r e o i . Jenes Schwein, das zurückgeblieben, warf sieben Junge zum Vorbild der sieben Grade des Ordens, welche durch verschiedene Tätowierung kenntlich gemacht waren. Unter den Graduierten stand aber noch eine grosse Anzahl von Männern und Weibern, die sich zum Dienst an sie anschlössen. Die Glieder des untersten (siebenten) Grades führten auf den Inseln, wo sie zu festlichem Anlass Besuch machten, ihre T ä n z e und S c h a u s p i e l e auf, welche mythologische Szenen darstellten, mit der Zeit aber auch aus dem Leben gegriffene Handlungen, nicht selten mit scharfer satirischer Spitze gegen die Gewalthaber, da die Areoi unverletzlich (Tabu) waren. Der Aufnahme in den Orden gingen ein langes Noviziat und strenge Prüfungen voraus, ebenso der Beförderung in die sechste und die höhern Klassen, wobei die S a l b u n g mit K ok o s ö l , d . h . dem G e i s t e des O r o , der wichtigste Akt war. Um auf die höhern Stufen befördert zu werden, hatte man Beweise zu geben von Ekstasen, Visionen oder poetischen Improvisationen u. dgl. Die Areoi des obersten Grades galten als ganz göttliche Wesen und wurden als solche verehrt. Eigentumsrecht gabs ihnen gegenüber nicht, sie konnten sich nehmen was sie wollten. Nach ihrem Tode gingen sie direkt ins P a r a d i e s z u O r o , ins „ d u f t e n d e R o h u t u " . So stellt der Orden eine V e r k ö r p e r u n g O r e l l i, Eeligionagesehichte.
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Polynesisehe Religion: Nach dem Tode.
d e s T a b u w e s e n s dar. Merkwürdig ist freilich, dass auch aus dem gemeinen Volke jeder, der die Fähigkeiten dazu besass, in diese Gesellschaft aufgenommen werden konnte. Allein wenigstens die Bekleidung der obersten Grade wussten sich die edel Geborenen immer zu sichern. Zu den Freiheiten, welche die Areoi genossen, gehörte ein wüstes Zusammenleben mit allerlei Weibern, was namentlich die umherziehenden Brüder des siebenten Grades pflegten. I h r e K i n d e r mussten sie alle t ö t e n , nur den Obersten waren einige Ausnahmen von dieser grausamen Regel gestattet, welche man davon ableitete, dass jene beiden göttlichen Brüder, die als Ordensstifter galten, keine Kinder gehabt hätten. Jedenfalls hat diese unmenschliche Praxis, die man verschieden erklärt, ihre Wurzeln in der religiösen Gesamtanschauung. Diese Kinderseelen mochten als göttliches Eigentum gelten und deshalb nach dem Himmel geschickt werden. Der Orden bestand bis 1820. Das L e b e n n a c h d e m T o d e war aucli in Polynesien der Gegenstand zahlreicher Mythen und bewegte die Gemüter mannigfach. Man dachte sich die Seelen der Verstorbenen zunächst ums Grab schwebend in schattenhafter menschlicher Gestalt; dann lassen sie sich nicht selten als Tiere sehen, besonders als Eidechsen, Schmetterlinge, Heuschrecken, Vögel, bei Nacht als Feuerfunken oder als menschliche Gespenster. Ihre Begegnung ist gefährlich; denn sie sind den Lebenden im allgemeinen feindlich gesinnt und können sie sogar erwürgen. Besonders gefürchtet sind die nicht gehörig Bestatteten und die Kinderseelen. Auf Rarotonga und zu Huahine rief man beim Begräbnis den Toten an: „Komm nicht wieder uns zu ermorden!" Zuweilen entleibte sich sogar ein schwer beleidigter Polynesier, um als Geist seinem Feinde leichter beikommen zu können. Allgemein verbreitet ist die Ansicht, dass die Toten mit zirpender Stimme ') reden, daher auf Tonga das Pfeifen verboten war, da es deren Stimme nachzuahmen schien und sie herbeilocken konnte. — Auch für die Toten ist der soziale Unterschied massgebend. Nur die Seelen der Hochgeborenen gemessen drüben sicher eine bewusste Existenz, das gemeine Volk war über sein jenseitiges Schicksal im ungewissen, den Sklaven sprach man sogar die Seele und damit die Unsterblichkeit ganz ab. Das hinderte nicht, dass man von anderer Anschauung ausgehend, deren viele tötete, damit sie dem verstorbenen Gebieter drüben dienten. Auch über den eigentlichen Aufenthaltsort der Abgeschiedenen variierten die Vorstellungen. Bald dachte man sie sich in unterirdischen Räumen, im Po, bald auf einer Insel im fernen Westen, zuweilen auch im Himmel, sodass die Sterne ihre Augen wären. Ehe aber diese Seelen an einen solchen Ort gelangen, werden sie gewöhnlich von den Göttern verzehrt. Diese A t u a u n d T i k i sind überhaupt g e f r ä s s i g und nimmer satt, wie denn ihre Bilder sie mit riesigem Maul darstellen. Insbesondere v e r 1) Vgl. dazu Jesaja 8, 19.
Kultus.
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s p e i s e n s i e S e e l e n : das gemeine Volk verschlingt ein riesiger Vogel wie Frösche; dieser Vogel ist ursprünglich wohl ein himmlischer Gott, wie wir ihn oben fanden; die Vornehmern werden von höhern Gottheiten aufgegessen. Die Verdauung denkt man sich nach Analogie der natürlichen, doch so dass die Seelen dabei nicht umkommen, sondern geläutert aus den Eingeweiden der Götter hervorgehen, und dann ins duftende Paradies eingehen und selber Tiki werden. Nur die höchst Stehenden wie der Tuitonga bedürfen solchen Läuterungsprozesses nicht, sondern gehen unmittelbar in die Seligkeit ein. Nach m o r a l i s c h e n Grundsätzen, wie wir sie verstellen, findet die Scheidung auch nach dem Tode n i c h t statt, es sind Rang und Stand, die darüber entscheiden, oder vielmehr die angeborene Verwandtschaft mit jener überirdischen Welt, welche das Tabu vom gemeinen Volk fern hält. Sogar das Gefühl der moralischen Verantwortlichkeit ist durch den Geisterglauben oft erstickt, da man auf die bösen Geister das Schlimme schiebt, was man verübt. Doch ist jenes Gefühl, welches in den Göttern die Kächer der Schuld ahnt, keineswegs erstickt'). Was den K u l t u s anlangt, so sind uns bereits hässiiehe, rohe Idole begegnet. Doch waren diese nicht allgemein verbreitet, und man legte ihnen nicht so grossen Wert bei, dass man sie nicht unter Umständen den Europäern für eine Kleinigkeit verkauft hätte. Auf den Samoainseln z. B. gab es weder Tempel noch Götzenbilder, nur kleine Hütten in heiligen Gehölzen mit verehrten Objekten, hl. Steinen u. dgl.; häufig versahen in den Wohnungen Schädel von verstorbenen Verwandten die Stelle eines Fetisches; man glaubte damit der Anwesenheit des Schutzgeistes sich zu vergewissern. Auf den Tongainseln standen kleinere Tempelchen auf den F a i a t u k a genannten Begräbnisplätzen, da die Götter ja von den Seelen der Begrabenen sich nähren. Auf Tahiti finden sich die M a r ä , d. h. künstliche Hügel mit einer Art abgestumpfter Pyramiden. Der Platz mass 120 Meter im Umfang und wurde auf zwei Seiten durch feste Steinmauern gehalten; auf einer Seite war der Eingang, auf der vierten erhob sich die Pyramide. Auf dem Platz standen Bäume und Altäre mit Götzen u. dgl., an den Umfassungsmauern Priesterwohnungen und Kapellen. Man opferte den Göttern in der Regel N a h r u n g s m i t t e l , den Meergöttern namentlich auch den K a w a t r a n k . Berichtet ist die Spendeformel: „Da habt ihr kawa für euch, ihr Meergötter, bleibt uns ferne!" Cook sah auch Opfer, wo die Lebensmittel künstlich in Holz nachgemacht waren. M e n s c h e n o p f e r waren namentlich üblich auf den Paumotu- und MarquisenInseln. Z. B. schlachtete man bei der T h r o n b e s t e i g u n g eines Königs einen Menschen vor dem Götzen; der Priester bot dem König auf einem Bananenblatt das linke Auge des Geopferten (als Sitz seiner Seele), und der König ass es oder that, als ässe er es. Das Einnehmen dieses intelligenten Geistes sollte ihm fernsichtigen 1) W a i t z - G e r l a n d VI, 303.
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Polynesien.
Christentum.
Blick gewähren. Darauf badete der König, wobei ihm der Priester mit einem belaubten, dem Tangaloa geweihten Zweig den Rücken berührte. So wurde er Tabu im höchsten Grad und war fortan für sein Thun nicht mehr verantwortlich. Durch die Arbeit der c h r i s t l i c h e n M i s s i o n a r e , besonders aus England, sind die Polynesier verhältnismässig rasch zur Annahme des Christentums gebracht worden, da ihre heimische Religion, wie wir schon andeuteten, sich überlebt hatte. Die mörderischen Kriege hörten damit auf, die schlimmsten Unsitten wie der Kannibalismus, das Kindermorden u. dgl. verschwanden. Wenn viele heidnische Unsitten gleichwohl fortbestehen, ja die Sittenlosigkeit an manchen Orten noch schlimmer geworden ist als zuvor, so ist dies neben der Verdorbenheit der Rasse, die sich nicht so schnell heilen lässt, zu einem guten Teil dem verderblichen Einfluss der selbstsüchtigen und in ihrer Genusssucht und Habgier herz- und gewissenlosen Europäer zuzuschreiben. Doch hat auch hier das Evangelium, welches die wahre Arznei für die Krankheiten aller Zungen und Zonen ist, liebliche und verheissungsvolle Wirkungen hervorgebracht 1 ). 1) Näheres über die Geschichte der Inseln seit der Berührung mit den Europäern und ihren leider sich oft gegenseitig' bekämpfenden Missionen gibt G e r l a n d a. a. O.
Schlussbemerkungen.
1. Allgemeinheit der Religion. Die A l l g e m e i n h e i t der Religion bei den Menschen ist durch die Religionsforschung sowohl der Zeit als dem Räume nach erwiesen. Sie lässt auf U r s p r ü n g I i c h k e i t der Religion schliessen und bildet einen Beweis für die g e i s t i g e E i n h e i t des Menschengeschlechts, während die h i s t o r i s c h e Einheit desselben sich durch religionsgeschichtliche Thatsachen nicht hinreichend darthun lässt, immerhin aber berechtigte Hypothese bleibt. Ein Ergebnis, welches unsere Übersicht geliefert hat, ist die A l l g e m e i n h e i t der Religion bei den Menschen nach Zeit und Raum. Wir sind keinem Volke der Vergangenheit begegnet, das uns etwas näher bekannt wäre und bei welchem sich keinerlei Religion nachweisen liesse. Ebensowenig haben wir in der Gegenwart ein noch so kümmerlich lebendes, geistig niedrig stehendes Volk angetroffen, bei welchem die religiösen Erscheinungen gänzlich fehlten. Zu dem selben Ergebnis wurden die Weisen des Altertums durch ihre Beobachtungen geführt. So sagt A r i s t o t e l e s ' ) : „Alle Menschen nehmen an, dass es Götter gebe, und alle räumen den obersten Raum den Göttern ein." Auch die E p i k u r ä e r stimmten dem zu und nannten das eine nookriyug2). Namentlich aber betonten es die S t o i k e r und rechneten diese Annahme zu den Stammbegriffen der Menschheit (xoivai evvoiai). Das Facit der Meinungen des Altertums hat C i c e r o gezogen: Es findet sich kein noch so wildes Volk, das nicht eine Idee der Gottheit hätte. Haben auch viele Völker falsche Begriffe von den Göttern, so glauben doch alle an eine göttliche Kraft und Natur, und zwar aus sich selbst, ohne alle Verabredung. In jeder Sache ist aber eine solche Übereinstimmung aller Völker als ein Naturgesetz anzusehen 3). 1) Aristoteles, de. coelo 1, 1, 3: V^ÖKRJXFIIV,
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2) Cicero, de natura deorum 1, 16, 43; 1, 17, 44. 3) Cicero, Tusc. 1, 13. 30; de legg\ 1, 8; de natura deor. 1, 16, 43; 1, 17, 44; 2, 4, 12.
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Allgemeinheit der Religion.
P l u t a r c h 1 ) sagt: „Du kannst Städte antreffen ohne Mauern, ohne Schrift, ohne Könige, ohne Häuser, ohne Geld, ohne Münzen, ohne Theater u n d Gymnasien; aber eine olme Tempel u n d Gölter, ohne Gebete, Eide und Orakel oder Opfer gibt es keine und hat es noch keine gegeben." Und A r t c m i d o r o s aus Ephesus schreibt in seiner Oneirocritica 1, 9 : „Kein Volk ist ohne Gott, ohne einen obersten Regenten; einige aber verehren so, andere wieder anders die Götter." Nur die Skeptiker unter den Alten, die Anhänger der neuen Akademie erhoben Zweifel gegen diese Allgemeinheit der Religion 2 ), ohne jedoch ihre Einwendungen durch Thatsachen stützen zu können. In neuerer Zeit haben nicht selten reisende Geographen oder Naturforscher gewissen Stämmen und Völkern die Religion gänzlich abgesprochen, so den Buschmännern, den Papua, den Waldindianern u. a. m. Allein überall haben sich bei genauerein Zusehen religiöse Vorstellungen und Gebräuche gefunden, j a solche sind nicht selten von denselben Berichterstattern gemeldet worden, welche von Religion nichts entdeckt zu haben versicherten 3 ). So allgemein wie die Sprache ist bei den verschiedensten Gruppen der Menschheit die Religion, mag sie auch bei einzelnen noch so roh geblieben oder v e r k ü m m e r t sein. Th. W a i t z sagt g e r a d e in Bezug auf die „ N a t u r v ö l k e r " : „Das religiöse Element wird nirgends vermisst, wo die übrigen Charaktere der Menschheit sich zeigen; wenn es auch oft nur in verkrüppelter Gestalt auftritt, ist sein Einfluss auf das Leben der Völker im ganzen doch überall nachweisbar, und dieser Einfluss ist in allen genauer bekannten Fällen sogar ein sehr bedeutender '1). Dadurch werden alle die Theorieen lügen gestraft, welche die Religion aus berechnender Erfindung der Priester oder Könige ableiten"), sie muss schon dagewesen sein, ehe es Priester u n d Könige g a b ; denn man findet sie selbst da, wo es keine gibt. Aus dieser Allgemeinheit der Religion, die unzertrennlich mit den Menschen v e r b u n d e n erscheint, soweit unser Erfahrungsgebiet reicht, lässt sich auch ein Schluss ziehen auf die U r s p r ü n g l i c h k e i t der Religion. Ein Zustand, in welchem die Menschen noch ohne alle Religion gewesen wären, ist f ü r uns nicht vorstellbar. Und nehmen wir hinzu, was in der Einleitung ( I ) hervorgehoben worden ist, dass nämlich je höher man in der Zeit hinaufgeht, destomelir das Dichten und Trachten der Menschen von der 1) Plutarch adv. Colotem 31. 2) Cicero, de natura deoruin 1, 23, 63. 3) Siehe Beispiele bei W a i t z , Anthropologie Ia, 322 f. ; T i s c h h a u s e r, Grundzüge der Religionswissenschaft, S. 47 f.; J. G. M ü l l e r , Amerikanische Urreligion S. 11. 20. 168. 206. 251; W. S c h n e i d e r , Rel. der afrikan. Naturvölker, S. 3 ff. 4) W a i t z , Anthropologie l s , 321. 5) Siehe oben den Anonymus über die Impostores S. 23.- Übrigens auch der Euemerismus trägt dieser Sachlage keine Rechnung . 6) Seite 8 ff.
Einheit des Menschengeschlechts.
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Religion umfangen erscheint, so f ü h r t dies vielmehr darauf, dass dieselbe gerade im frühesten Dasein des Menschen einen besonders starken Einfluss auf ihn gehabt haben wird. Doch davon im nächsten Abschnitt. Jedenfalls bietet diese W a h r n e h m u n g , welche alle Geschlechter u n d alle Stämme von Land zu Land zur Gottheit in einem besonderen Verhältnis stehend erweist, so dass sie bei aller Mannigfaltigkeit dieser Verhältnisse doch in dem Vorhandensein einer Religion übereinstimmen, ein nicht zu verachtendes Merkmal, welches die gesamte Menschheit im Gegensatz zu den niedrigeren Geschöpfen kennzeichnet. Dass einzelne Individuen, namentlich auch hochcivilisierte, religionslos erscheinen, verschlägt hiergegen nichts, da man es dabei mit einem verbildeten Zustand zu thun hat, wobei übrigens die wirkliche Religionslosigkeit selten lange dauert und wie mit Naturnotwendigkeit sich niedrigere Religionsvorstellungen an die Stelle der abgewiesenen höheren drängen, oder auch höhere an die Stelle der niedrigeren treten. Wenn aber die Einheit der geistigen Anlage des Menschengeschlechts durch die Allgemeinheit der Religion erwiesen ist, so f r a g t sich weiterhin, ob auch ein Schluss auf seine h i s t o r i s c h e Einheit, d. h. die gemeinsame Abstammung sich aus der Beschaffenheit der verschiedenen Religionen ziehen lässt. So weit reicht jedoch der Nachweis der religiösen Übereinstimmung einstweilen nicht. Die Sprach- u n d Religionsfamilien führen auf einen gemeinsamen Ursprung ihrer Glieder unter e i n a n d e r ; wir sahen aber, dass ein grosser Teil der Menschheit sich überhaupt noch in keine solche Familien mit Sicherheit eingliedern lässt; noch weniger gelingt es heute, diese Gruppen zu den übrigen eigentlichen Familien in ein genealogisches Verwandtschaftsverhältnis zu bringen. Auch ohne dass man das vermöchte, wäre freilich die geschichtliche Einheit der Religionen bewiesen, wenn sich in allen solche gemeinsame Züge fänden, die nur aus V e r e r b u n g sich erklären Hessen. Allein so f r a p p a n t e Berührungen sich auch zwischen den entlegensten Volksreligionen finden, so vorsichtig muss man mit der Schlussfolgerung sein, dass hier ein historisch überkommenes E r b e vorliege, da sich fragt, ob nicht solche Züge auf späterer Übert r a g u n g beruhen oder spontan an verschiedenen Orten ihren Urs p r u n g genommen haben können. Als berechtigte Hypothese bleibt aber sicherlich die einheitliche Abstammung der Menschheit bestehen, f ü r welche auch von naturwissenschaftlicher Seite gewichtige Gründe geltend gemacht werden.
2. Die Frage nach der frühesten Gestalt der Religion. Die früheste Gestalt der Religion, welche aus den historisch b e k a n n t e n Erscheinungen der Religionen sich erschliessen lässt, ü b r i g e n s von der Urreligion wohl zu unterscheiden ist, war weder
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Die Frage nach der frühesten Religion.
Fetischismus noch Animismus, weder zerfahrener Polytheismus noch lehrhafter Monotheismus gewesen, sondern nach manchen Anzeichen ein naiver Henotheismus, wobei die stark empfundene Gottheit mit der Natur, beziehungsweise der höchsten Naturerscheinung, dem Himmel, zusammengeschaut, wenn auch nicht für identisch angesehen wurde. Diese Gottheit entbehrte als oberste Autorität für den Menschen auch nicht eines ethisch normierenden Einflusses. Wenn die Menschheit nach allen Anzeichen auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgeht oder doch an den verschiedenen Stellen des Planeten dieselbe Entwicklung durchgemacht hat, dann liegt die Frage nach der Urreligion nahe, von welcher die historischen alle abzuleiten wären, oder nach der ursprünglichen Form, welche das religiöse Verhältnis bei den verschiedenen Gruppen der Menschheit angenommen habe. Allein diese Frage entfernt sich zu weit vom historischen Bereich, als dass ihre Beantwortung einen geschichtlichen Wert beanspruchen könnte. Wir fragen daher bescheidener nach der frühesten Gestalt der Religion, die sich aus den historisch bekannten erschliessen lasse. Früher pflegte man ohne weiteres, von den Mitteilungen der Bibel über den Urständ des Menschen ausgehend, eine monotheistische Urreligion anzunehmen. Man dachte sich sogar das religiöse Bewusstsein Adams als ein sehr lehrhaftes: Gott habe ihm die Hauptdogmen über Monotheismus, Trinität u. dgl. beigebracht. Eine ununterbrochene Tradition hätte von diesem Ursprung her solche Erkenntnis dem Abraham vermittelt, von welchem sie sich auf Israel vererbte, während allerdings der weitaus grösstc Teil der Menschheit dieses Lichtes ermangelte. Allein damit hat man viel bestimmteres aus jenen Blättern der Genesis herausgelesen, als darin steht. Auch lässt sich so wenig die Lücke, welche unserem geschichtlichen Wissen am Anfang entgegenklafft, einfach durch biblische Daten ausfüllen, als die geologischen Forschungen über die Erdbildung durch Genesis 1 ersetzt und überflüssig gemacht werden könnten. Aber auch die Wissenschaft hat sichs oft zu leicht gemacht mit der Aufstellung einer Urreligion oder eines religiösen Anfangsstadiums, statt einzusehen, dass unser Material uns nur Schlüsse auf ein vorgeschichtliches Entwicklungsstadium gestattet, damit aber noch lange nicht notwendig die Urreligion erreicht ist. In welcher Richtung sucht man nun die anfängliche Religion ? Nach jener traditionellen Weise stellte man sich dieselbe relativ vollkommen vor, man setzte das höchste, reinste Gottesverhältnis an den Anfang und betrachtete die verschiedenen Gestaltungen der Religionen mit Einer Ausnahme als Erzeugnisse des Abfalls und Verfalls. Umgekehrt liebt es die neuere Weltanschauung, das Höhere in stetigem Fortschritt aus dem Niedrigen hervorgehen zu lassen. Seit I s a a k I s e l i n seine „Geschichte der Menschheit" (Zürich 1764—70, 2 Bde.) schrieb, L e s s i n g seine „Erziehung
Fetischismus ?
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des Menschengeschlechts" (1780), J . G. H e r d e r seine „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" (Riga 1784—91, 4 Teile), gewöhnte man sich daran, die Menschheitsgeschichte als ein organisches Aufwachsen aus der Niedrigkeit zur Höhe anzusehen. Die Kulturgeschichte wies j a unverkennbar eine solche aufsteigende Entwicklung, wobei je das spätere Geschlecht auf den Schultern des früheren steht. Die Naturgeschichte vollends wollte bald den Menschen selbst nur als eine Phase der aufwärtsstrebenden Evolution fassen, sein Dasein als die Frucht einer aus niedrigeren Gebilden aufsteigenden Entwicklung (Darwin, Vogt, Häckel). Wie sollte nicht auch die Religionsgeschichte eine solche aufsteigende Stufenleiter darstellen? Man suchte also die ursprünglichste Religion auf der niedrigsten Stufe. 1. Der F e t i s c h i s m u s sollte die Urreligion sein. So z. B. schon Aug. C o m t e , der Gründer des Positivismus; E. M e i n e r s , Allgemeine kritische Geschichte der Religionen 1806; Sir John L u b b o c k , der aber dem Fetischismus noch den Atheismus vorangehen lässt, indem er vorgeblich eine lange Reihe religionsloser Völker gefunden hat. Besonders theoretisch ausgeführt vertritt diese Meinung von der Ursprünglichkeit des Fetischismus F r i t z S c h u l t z e : Der Fetischismus, Leipzig 1871. Nach ihm läge der Grund aller Religion in dem Bedürfnis des Verstandes, für jede Erscheinung eine Ursache zu suchen. Der Naturmensch nun sucht die Ursache aller Wirkungen in den nächstliegenden sinnlichen Gegenständen. Aus diesen beiden sehr angreifbaren Prämissen leitet Schultze die These a b : Der Anfang aller Religion war Fetischdienst, Verehrung von Steinen, Klötzen u. s. f., in welchen man zuerst die Ursachen der Dinge vermutete. Mit der Entwicklung des Erkenntnisvermögens steige aber die Verehrung: vom blossen Stein schreite man fort zu ganzen Bergen, vom blossen Klotz zu ganzen Bäumen, dann zu Tieren, zu Menschen. Von den der Erde angehörigen Objekten, in welchen er den zureichenden Grund des Geschehens nicht auf die Dauer finde, erhebe sich dann der denkende Geist zum Himmel, wo ihm Mond und nächtliche Gestirne zuerst Eindruck machen, erst später die Sonne, zuletzt der TaghimmeL Da aber auch dabei das Causalitätsbedürfnis sich auf die Länge nicht beruhigen könne, müsse noch über den obersten Fetisch, den sichtbaren Himmel, hinaufgestiegen werden zu einem übersinnlichen Geist oberhalb desselben. So entstehe Monotheismus. Diese Beg r ü n d u n g der Religion aufs blosse Causalitätsbedürfnis ist ein Rationalismus, der durch Schleiermacher beseitigt sein sollte. Auch macht Ed. von Hartmann mit Recht dagegen geltend, dass der Wilde niemals einen Fetisch habe handeln sehen, und es somit g a r nichts naheliegendes sei, wenn er ihm besondere Wirkungen zuschreibe. Anders verhalte es sich mit dem Himmel, dessen Wirkungen die Menschen sehen. Zudem ist die Auffassung falsch, als sähe der Fetischdiener den sinnlichen Gegenstand, den er verehrt, als handelndes Agens
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Früheste Relig'ion: Fetischismus?
Animismus?
an. W i r haben vielmehr bei den afrikanischen Religionen, die man als Fetischismus zu bezeichnen pflegt, gesehen, dass dieser vielmehr einen bestimmten Geisterglauben zur Voraussetzung hat und etwas von diesem abgeleitetes ist. Es ist aber ü b e r h a u p t misslich, die geistloseste F o r m der Religion herauszusuchen und von vornherein als die ursprüngliche zu bezeichnen. Nicht einmal hinsichtlich der Kultur ist es wohlgethan, den Zustand der heutigen Wilden als den uranfänglichen der ganzen Menschheit zu bezeichnen. W a r u m bringen diese Wilden keine Kultur hervor, w a r u m arbeiten sie sich nicht auf eine höhere Stufe empor, wenn alle Kulturarbeit von diesem ihrem Zustande ausgegangen ist? Thatsächlich stellen diese Wilden nicht den normalen Anfangszustaod dar, sondern ein abnormes Verharren in der Unkultur, welches die betreffenden Völker zu sehr abgestumpft hat, als dass sie noch eine nennenswerte Kultur erzeugen könnten. Mit Mühe nehmen sie eine fremde Kultur an, die man ihnen beibringt, manche gehen aber auch an einer solchen zu gründe. Am A n f a n g der gesamten Kulturentwicklung hätten wir uns also ein Geschlecht zu denken, das die Kulturarbeit noch nicht begonnen, aber alle zu ihrer Erzeugung nötigen Fähigkeiten hätte. Ähnlich verhält sichs mit der Religion. Auch hier ist die F r a g e berechtigt: W a r u m sehen wir aus den Fetischreligionen keine höheren hervorgehen, wenn doch alle höheren daraus sollen hervorgegangen sein? Ähnlich verhält es sich mit 2. dem A n i m i s m u s , den man neuerdings oft an die Spitze stellen und aus dem man alle Religionen herleiten möchte, d. h. mit der Verehrung ungezählter Seelen oder Geister, von welchen die Welt voll ist. So namentlich der englische Kulturhistoriker E d w a r d B. T y l o r 1 ) und der Deutsche J u l i u s L i p p e r t 2 ) ; auch der Holländer T i e l e in seinem Kompendium 3). Diese Geister können zum Teil Naturgeister sein, namentlich aber sind sie Seelen von Abgeschiedenen, Ahnen (Totemismus). Vom Ahnendienst alle Religion abzuleiten sucht namentlich auch H e r b e r t S p e n c e r . Der Geisterdienst im allgemeinen wird auch Schamanismus genannt, da das Institut der Zauberer oder Zauberpriester, welche die verschiedenen Geister zu behandeln wissen, notwendig mit dieser Gesamtanschauung sich v e r k n ü p f t . Wie man dazu gekommen sei, solche Seelen oder Geister anzunehmen, wird in verschiedener, wenig plausibler Weise erklärt aus dem Traumleben, Alpdrücken u . d g l . 0 . Caspari, Urgeschichte der Menschheit,
1) Edward B. T y l o r , Primitive Culture, Lond. 1871. Deutsch von Spengel und Poske: Die Anfänge der Kultur, 2 Bde. Leipz. 1873. Derselbe, Anthropology, Lond. 1881. 2) J u l i u s L i p p e r t , Die Reil, der europäischen Kulturvölker in ihrem geschichtl. Ursprünge, Berlin 1881. D e r s e l b e , Der Seelenkult nach seinen Beziehungen zur hebr. Rel., Berlin 1881. 3) Compendium 1880. Vorsichtiger d e r s e l b e , Gesch. der Rel. (1885) 1, 6 ff.
Animismus?
Naturismus?
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leitet den Ahnendienst von dem hohen Anseilen ab, welches der lebende Häuptling genoss, und aus diesem Ahnendienst soll dann alle Eeligion hervorgegangen sein. Allein Religion lind Geisterdienst finden sich auch z. B. bei den Buschmännern, wo es zu staatlicher Gliederung gar nicht gekommen ist. Dass der naive Mensch leicht alles beseelt sich vorstellt, ist gewiss; aber eine andere F r a g e ist, ob sich die früheste Eeligion darin erschöpfte oder ihr Wesen in diesem Geisterglauben hatte. Thatsächlich sehen wir in der Regel den Verehrer von Geistern einen Unterschied machen zwischen diesen und der eigentlichen Gottheit, welche über dem menschlichen Seelen- und Geistesleben erhaben gedacht wird. Man k a n n sich dem E i n d r u c k e nicht entziehen, dass gerade die Vere h r u n g des liberirdischen, Himmlischen zum Urbestand der Religion gehört. Manche nehmen daher mit A. Reville an, dem Animismus gehe ein gewisser 3. N a t u r k u l t u s voraus, in welchem Naturmächtc wie Himmel und Erde, Elemente u. dgl. verehrt- werden. Oft nehmen dieselben f ü r die menschliche Phantasie Tiergestalt an. W a s letzteres anlangt, so ist auf einer gewissen Kindheitsstufe das, was den Menschen adelt, noch nicht mit klarem Bewusstsein durchschaut; das Tierische erscheint daher ebenso würdig, vielleicht noch geeigneter, die göttlichen Mächte darzustellen. Nur muss dabei nicht vergessen werden, dass diese Mächte doch überirdische sind und der Zoomorphisnms in ihrer Vorstellung und Darstellung nur den naiven Mangel an Reflexion verrät. Dass die früheste Religionsstufe, welche die oben betrachteten Religionen erkennen lassen, die Gottheit in stark n a t u r b e f a n g e n e r Weise darstellt, darin sind wir mit dieser Anschauung einverstanden. Nur so erklärt sich, dass in den meisten Fällen eine mehr oder weniger reiche Mythologie sich aus den Anf a n g s g r ü n d e n entfaltete. Allein einen wesentlichen Zug vermissen wir bei diesem primitiven Naturismus, wie er gewöhnlich dargestellt wird, nämlich die Koncentration des Göttlichen in der überirdischen Sphäre, im H i m m e l . Dies ist ein so durchgehender Zug bei den frühesten Vorstellungen, die wir erkennen können, dass er nirgends zufällig sein k a n n , sondern auf tieferen Gründen beruhen muss. Die früheste F a s s u n g der Gottheit ist in der Regel einheitlicher und erhabener als die j ü n g e r e n Vorstellungen. Den P o l y t h e i s m u s , d. h. eine Menge von einander gleichberechtigten Göttern, k a n n man nicht an die Spitze der Entwicklung stellen; haben wir doch gesehen wie die Bildung solcher Götterkreise allenthalben, in Ägypten wie in Babylonien, bei den Germanen wie bei den Mexikanern etwas später eingetretenes ist, indem nämlich verschiedene Kultuskreise sich verschmelzen mussten, um zu einem solchen Pantheon zu f ü h r e n u n d daneben auch ursprünglich untergeordnete Geister.^'auf eine höhere Rangstufe emporgehoben wurden. Polytheismus k a n n man es noch nicht nennen, wenn wie z. B. im alten China die Ahnengeister reichliche Verehrung geniessen, doch so, dass m a n
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Früheste Religion: Himmelsgott.
Henotheismus.
ihrer Unterordnung unter den „Himmel", die oberste und eigentliche Gottheit, sich sehr wohl bewusst ist. Man könnte sagen, wenn damit etwas erklärt wäre: Die Menschen zeigen in der frühesten erkennbaren Zeit wie auch vielfach späterhin trotz aller entgegenstehenden Neigungen einen instinktiven Drang das Göttliche einheitlich zu setzen und seine Erscheinung an das höchste zu knüpfen, was dem sinnlichen Auge sich darbietet, den H i m m e l , wobei bald mehr das Ganze des allumspannenden Gewölbes, bald mehr die daran herrschende Erscheinung der Sonne als die Verkörperung des überirdischen Wesens gilt, die aber in der Regel noch deutlich als das Auge der Gottheit von ihr selbst unterschieden wird. Der Himmelsgott kann eben deshalb in Menschengestalt, aber auch in Tiergestalt vorgestellt werden, welche letztere dem ungebildeten Urteil oft ebenso ehrwürdig oder gar noch ehrwürdiger erschien als die menschliche. Diese Verbindung der Gottheit schlechthin mit dem Himmel fanden wir bei den Chinesen und den turanischen Stämmen wie bei den Völkern der Indogcrinanen, bei den Negern Afrika's wie bei den Ozeaniern; die Sonne tritt bestimmter hervor in Ägypten, Peru und Südamerika. Bei den Semiten, wo die Gottheit abstrakter gefasst wird, ist jener Zug zur Einheit besonders stark; aber auch anderswo ist es das früheste Stadium, dass ein Stamm eine Gottheit verehrt; erst durch Vereinigung mehrerer Stämme zu einer Nation kommt es in der Regel zu einer Vielheit von Göttern. Die früheste Auffassung der Gottheit, wie sie diese oben geschilderten Religionen erkennen lassen, ist aber wenn auch einheitlich und verhältnismässig erhaben, doch eine naturbefangene. Die Gottheit wird so innig mit dem Phänomen des Himmels oder der Sonne, oder des Windes, der den Himmel beseelt, zusammengeschaut und -gedacht, dass sie leicht in solcher Besonderung verendlicht wird und eine Vervielfältigung eintritt. Monotheismus ist dieses Stadium darum nicht zu nennen, weil kein bewusster prinzipieller Gegensatz gegen eine mehrheitliche Fassung vorhanden ist. Richtiger nennt man es nach Schelling, F. Max Müller H e n o t h e i s m u s . Aus diesem kann, eben weil er noch nicht die innere Notwendigkeit der Einheit erkannt hat, leicht eine Mehrheit hervorgehen. Eine solche ist in der Regel daraus erwachsen. Der Himmelsgott verlangte zur Ergänzung etwa eine Göttin der Erde, der Sonnengott eine Göttin des Mondes, der Stammgott kam in Berührung mit einem anders benannten Doppelgänger, der eigentlich mit ihm identisch war, jetzt aber in seiner anders gearteten Ausprägung von ihm unabhängig schien. Je mehr die Vorstellung der Gottheit an einem Phänomen haftete und die Mythologie durch rege Phantasie ausgesponnen war, desto reicher gestaltete sich das Pantheon; ebenso vermehrte es sich durch politische Berührungen und Verschmelzungen; doch blieb nicht selten ein gewisses Bewusstsein davon, dass solche nebeneinander gestellten Götter im Grund dasselbe Wesen darstellen; daher sie wieder untereinander kombiniert wurden.
Kathenotheismus.
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Einen sprechenden Beweis von dem, was wir den Instinkt nannten, die Gottheit einheitlich zu verehren, ist die Erscheinung, welche man K a t h e n o t h e i s m u s genannt hat (Max Müller). Im Kig-Veda, wo dieselbe besonders augenfällig sich darbot, werden zwar viele Götter angerufen; aber nicht nur sind diese Gottheiten noch im Fluss begriffen und gehen vielfach in einander über, sondern es wird auch bei der Anrufung einer solchen oft von allen andern abgesehen, als wären sie nicht vorhanden; wenigstens wird gerade diejenige, welcher die Anrufung gilt, so gepriesen als allmächtig, Schöpfer der Welt, u. s. f., dass für die andern kein Raum mehr bleibt, was nicht hindert, dass nachher wieder andere ebenso gefeiert werden. Da haben wir noch deutlich den Übergang von der Verehrung Eines Gottes zur Anbetung vieler vor Augen. Eigentlich ist es dieselbe Gottheit, die unter dem Anblick des Himmels, der Sonne, des Gewitters u. s. w. besungen wird. Erst mit der Zeit hat sich die einzelne Gottheit fixiert und wurde mit bestimmten Grenzen umschrieben, worauf sie natürlich der Ergänzung durch andere bedurfte. Jene Weise der Anrufung, die sich keineswegs bloss in Indien findet, ist aber noch eine Kundgebung des natürlichen Gefühls, das dem Menschen eingibt, Alles der Gottheit zuzutrauen und zuzuschreiben, d. h. sie einheitlich zu fassen. Was wir aber Instinkt oder unmittelbares Gefühl nannten, das ist im Lichte der hl. Schrift und unseres christlichen Glaubens nichts anderes als die Selbstbezeugung Gottes am Gefühl wie auch am Intellekt und Gewissen aller Menschen, auch der Heiden 1 ). Verglichen mit dem wahren Gotte freilich, den uns die Bibel vom ersten Blatte an vor Augen stellt, ist jene henotheistische Gottheit der frühesten erkennbaren Zeit ein unsicheres, verschwommenes Abbild. Es mangelt ihr jene Erhabenheit über der Welt, welche den biblischen Gott auszeichnet; sie ist naturbefangen. Die Bibel kennt einen anfänglichen Zustand, wo der Mensch unmittelbar mit Gott verkehrte; aber in Folge der Sünde des Menschen wurde dieser aus dem Paradiese vertrieben; seitdem ist der Anblick Gottes für ihn tödlich. Das Heidentum weiss zwar auch von einer seligen Anfangszeit; aber das gegenwärtige Geschiedensein von der Gottheit ist dort weniger bewusst; der Mensch glaubt diese unmittelbar in der Natur zu schauen, zieht sie aber eben dadurch in die Natur herab und besitzt nur noch ein verzerrtes Schattenbild oder Schattenbilder vom wahren Gott. Wie der Apostel Eöm. 1 es skizziert, verendlichte und versinnlichte man das Göttliche immer mehr, teils durch die Bildrede des Mythus, teils durch konkrete Bilder. Damit ging Hand in Hand eine sittliche Entartung der Religion und ihrer Bekenner. Dies setzt voraus, dass die uranfängliche Gottesvorstellung nicht ohne eine sittliche Würde und Autorität war. Dem wird nun allerdings von denen bestimmt 1) Rom. 1, 19 f.; Apostelg. 17, 27f.; Rom. 2, 14 f.
Sittlicher Fehler des Heidentums.
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widersprochen, welche die n i e d r i g s t e n M e n s c h e n g r u p p c n d e r Geg e n w a r t als g e t r e u e V e r t r e t e r d e r U r m e n s c h h e i t b e t r a c h t e n und b e h a u p t e n , bei diesen fehle noch j e d e r Z u s a m m e n h a n g zwischen Religion u n d Sittlichkeit, beides sei erst auf einer weit höheren Stufe v e r b u n d e n w o r d e n . W i r h a b e n schon in der E i n l e i t u n g (S. 4 f. 9 f.) nachgewiesen, dass j e d e Religion n a c h i h r e m Wesen auch den Willen in A n s p r u c h n i m m t u n d die Lebenssittc bestimmt. Die F r a g e aber, v o r welcher wir hier stehen, ist die, ob die f r ü h e s t e e r k e n n b a r e Religion, die wir von der wissenschaftlich rein hypothetischen Urreligion wohl u n t e r s c h e i d e n , einen im e n g e r n Sinn sittlichen Begriff mit der Gottheit v e r b u n d e n habe. H i e r ü b e r lässt sich streiten. Allein es will doch wohl beachtet sein, d a s s j e n e n a c h g e w i e s e n e u r a l t e V e r e h r u n g des Himmelgottes überall diese V e r b i n d u n g a u f w e i s t . Dies ist nicht n u r im Rig-Veda u n d Avesta, bei Griechen, R ö m e r n u n d G e r m a n e n , sondern auch in A f r i k a u n d N o r d a m e r i k a r e c h t augenscheinlich der Fall. Der a l l u m s p a n n e n d e Himmel ist nicht bloss als die oberste a l l b e s e h i n n e n d e Macht den f r ü h e s t e n Geschlechtern, die wir b e m e r k e n k ö n n e n , erschienen, sondern auch als das Gewissen d e r Menschheit-, g e n a u e r die Macht, welche dieses Gewisse,n w e c k t u n d seiner a n k l a g e n d e n Stimme N a c h d r u c k verleiht J e m e h r a b e r diese Gottheit in die sichtb a r e N a t u r verflochten u n d zersplittert w u r d e , desto m e h r verlor sieh ihre sittliche W ü r d e , u n d die V e r e h r u n g d e r ungeheiligten N a t u r m a c h t w i r k t e sogar entsittlichend z u r ü c k auf ihre V e r e h r e r . Der tiefste G r u n d des A b i r r e n s vom u n s i c h t b a r e n Gott zum vergotteten Geschöpf w a r nach dem Apostel ein ethischer u n d d e r schlimmste I r r t u m des H e i d e n t u m s bleibt ein ethischer bei allen Fortschritten, welche Verstand u n d K u n s t in der E r f a s s u n g des Göttlichen u n d d e r A u s g e s t a l t u n g des Kultus m a c h e n mochten.
3. Verhältnis der Völkerreligionen zum Christentum. Es wird in d e r G e g e n w a r t oft versucht, diejenige Religion, welche m a n als die höchste a n e r k e n n t , die christliche auf dem W e g e eines natürlichen genetischen Prozesses aus den n i e d r i g e r e n Gebilden dieser A r t abzuleiten. In N a c h a h m u n g d e r N a t u r g e schichte u n d -philosophic g l a u b t m a n auch auf religiösem Gebiete das Höchste d u r c h den n a t ü r l i c h e n Prozess d e r Evolution e r k l ä r e n zu k ö n n e n . Das religiöse Leben w ä r e d a n n ein Strom gewissermassen, der sich n a t u r g e m ä s s f o r t w ä h r e n d l ä u t e r t e u n d v e r e d e l t e , ohne dass von aussen, von oben eine ü b e r m e n s c h l i c h e Macht eingriffe. Auch die religiösen Genie's, ein Mose, B u d d h a , Christus, wären n u r s t r a h l e n d e Reflexe, welche dieser Strom im Vorübergehen e r z e u g t e ; die absolut w a h r e E r k e n n t n i s Gottes h ä t t e selbstv e r s t ä n d l i c h k e i n e r dieser l e u c h t e n d e n T r ä g e r des religiösen 1) Rom. 2, 15.
Völkerreligionen und Christentum.
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Gedankens gehabt; jeder böte nur etwas, was mit innerer Naturnotwendigkeit zu seiner Zeit entstehen musste und könnte bloss relative Anerkennung von der Nachwelt beanspruchen. Nach dieser Theorie müsste die Religionsgeschichte die Probe davon geben, wie die niedrigeren Religionen sich langsam zu der Höhe der biblischen vervollkommt hätten. Allein diesen Erwartungen entspricht sie keineswegs. Zwar einen geschichtlichen Fortschritt weist jede Religion auf und in der Regel ist auch eine mit der Entwicklung des menschlichen Geistes Hand in Hand gehende Läuterung der Vorstellungen und Veredlung der Gebräuche zu erkennen. Allein die Entwicklung jeder Religion zeigt sich in bestimmte Grenzen eingeschlossen, welche sie nicht überschreiten kann. Ihre Ausbildung vollzieht sich nur innerhalb gewisser Schranken, die ihr ihrem Wesen nach gesetzt sind, nicht zu reden von der Entartung und Verschlechterung, welche in der Regel neben der Läuterung hergeht und oft mächtiger ist als diese. Weder die chinesische Religion noch der Hinduismus, welche beide heute eine mehrtausendjährige Geschichte aufzuweisen haben, sind in fortschreitender Läuterung dem Christentum oder der erhabenen Gotteserkenntnis des Alten Testaments näher gekommen. Auch die geistvollen Griechen haben bei aller Geringschätzung, der ihr poetischer Polytheismus bei den Gebildeten mehr und mehr verfallen musste, keine höhere Religion hervorgebracht, sondern höchstens eine mehr oder weniger geläuterte Anschauung von Welt und Gottheit, welche aber den Namen Religion nicht verdiente, weil diese neue, einheitliche Gottheit allzusehr ein philosophischer Begriff war, als dass eine religionsbildende Kraft davon hätte ausgehen können. Dass die christliche Religion selbst, bezw. deren Voraussetzung, die mosaisch-prophetische nicht auf diesem Wege der blossen Entfaltung aus niedrigem Heidentum erwachsen sei, wie neuere Religionsforscher wollen glauben machen, das müsste eine Untersuchung der Anfänge der biblischen Religion darthun. Hier konstatieren wir nur, was ohne weiteres einleuchtet, dass selbst die alttestamentliche Religion eine Höhe der Erkenntnis Gottes aufweist, welche man in sämtlichen oben betrachteten Religionen umsonst sucht, welche aber die sämtlichen Keime zu dem enthält, was durch das Offenbarwerden Christi in vollendeter Reinheit und Wahrheit auftretend, die absolut wahre und universale Religion ausmachen sollte. Die evolutionistische Theorie ist nicht ohne tiefere Wahrheit. Es gibt auf religiösem wie auf andern Gebieten des Geisteslebens eine Entwicklung, welche der auf den Gebieten der Natur betrachteten analog ist. Auch fehlt in dieser natürlichen Entwicklung der Religion der göttliche Faktor nicht. Die Bibel selbst zeigt ein verschieden abgestuftes Eingehen des göttlichen Geistes in die Kreatur, und speziell die Menschheit. J e n e r Gottesgeist, der allen Menschen eingepflanzt ist, bildet das treibende Agens, das zur
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Gottes Geist und Menschheit.
natürlichen Gotteserkenntnis führt, welche freilich durch intellektuelle und namentlich moralische Fehler der Menschheit mannigfach entstellt und getrübt wird. Dieser der Menschheit immanente Strom göttlichen Geisteslebens äussert sich nicht nur in der Gedankenarbeit und im zweckmässigen Handeln, sondern auch im religiösen Leben, wobei der Mensch die Gottheit, die sich ihm bezeugt, zu erfassen und ihr zu dienen trachtet, so gut es gelingen mag. Allein ausdrücklich führt die Bibel die reinere, wahre Erkenntnis Gottes auf den Geist des Herrn in höherer Potenz zurück, welcher sich der prophetischen Organe Gottes bemächtigt. Und die höchste Stufe der Gemeinschaft mit Gott wird dank „dem heil. Geist" schlechthin erstiegen, der durch Christum denen, die an ihn glauben, vermittelt ist. Die F r a g e gestaltet sich hier so: Ist dieser besondere Offenbarungsgeist der Propheten, ist der heil. Geist der Apostel nur ein durch Selbstläuterung aus dem universalen, der Menschheit innewohnenden Gottesgeist hervorgegangenes Produkt desselben, oder haben wir darin eine von Gott selbst ausgegangene, unmittelbare Bezeugung des überweltlichen Gottes anzuerkennen'? Wie die Bibel entscheidet, ist nicht zweifelhaft. So sehr sie den der Menschheit immanenten Gottesgeist zu seinem Rechte kommen lässt, so weiss sie doch ebenso bestimmt, dass die Offenbarung, welche den wahren Gott am vollkommensten in seinem Sohne hat kund werden lassen, nicht in eines Menschen Herz aufgestiegen, sondern unmittelbar von dem ü b e r der Menschenwelt erhabenen Gott selbst ausgegangen ist. Und wer unbefangen diese Offenbarungen des lebendigen heiligen und gnädigen Gottes mit dem Besten vergleicht, was die Völker aus eigenen Mitteln auf diesem Gebiete hervorgebracht haben, wird die Berechtigung dieses Anspruches empfinden.
I. Namen- und Saeh-Register (mit Auswahl).
A b e l 295. Abessinien 73!). A b r a h a m 44 f. 62. 172. 218. 232. 217. 251. 257. 264 ff. 277. 287. 297. 305. 308. 315. 320 ff. 333. GOO. A b u - B e k r 331. 33G. 374 f. Abu-Dschahl 332. 335. 341. A b u l f e d a 325. Abu-Said 384. A b u - T à l i b 32G. 332. 33G. A b y d e n o s 1/7. Acca L a r e n t i a 652. G71. Achiimeniden 531 f. 536. A c h e r o n 58G. 690 f. A c k e r b a u 9. 118. 187. 215. 6121'. G70. 689. 793. Adam 28G f. 296. A d a r 187. A d e r b a i 534. Aditi 405 f. A d i t j a 405 f. 418. 422. 540. Adonis 238 f. 580. 600. 608. Aeg'ir 719. A e g vp ten s. I n h a l t v e r z . 107—164. 227. 239. 241. 532. 738. 786. A e n e a s 690 f. A é s c h m a 546. A e s e u l a p 239. 671. Aethiopien 1161'. Affen 504. Afrikaner 738-769. A g a d e 167. 172. A g n i 403. 410. 414 ff. 423. 426. Ag-outha 33. Alias 270. Ahi 409. Ahneng-eister 46. 531'. 67. 92. 204. 436. 544. 674. 754. 760. 822. A h n e n k u l t u s 47 f. 50. 436. 617. 711. 732 f. 748. 750. 759. A h r i m a n s. Ang-ra-Mainju. Ahti 99. A h u n a V a i r j a 554. A h u r a 527. 538. 545. Orel Ii, Keligionägeschichte.
A h u r a - m a z d a 532. 535. 538 ff. 547 ff. 559 f. 563. A j a r 295. Aides 586. 612. 620. 624. Aino 102 f. Aïscha 336. 346. A k a b a 337. AkAIi 522. A k b a r 23. A k k a 98. A k k a d 1661'. A k k a d i e r 169. 171. 195. Akö-Mano 546. A l e x a n d e r