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German Pages 299 [300] Year 1993
Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft
Herausgegeben von Klaus Baumgärtner
Sprachlicher Substandard III Standard, Substandard und Varietätenlinguistik
Herausgegeben von Günter Holtus und Edgar Radtke
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1990
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Sprachlicher Substandard / hrsg. von Günter Holtus u. Edgar Radtke. - Tübingen : Niemeyer NE: Holtus, Günter [Hrsg.] 3. Standard, Substandard und Varietätenlinguistik. - 1990 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft ; 45) NE: GT ISBN 3-484-22045-7
ISSN 0344-6735
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1990 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz: pagina GmbH, Tübingen Druck: Guide-Druck GmbH, Tübingen Einband: Heinr. Koch, Tübingen
Inhalt
Günter Holtus / Edgar Radtke Substandardbeschreibung in der Sprachwissenschaft: Aktuelle Skizzierung und offene Fragen Klaus J. Mattheier Überlegungen zum Substandard im Zwischenbereich von Dialekt und Standardsprache
VII
1
Gaetano Berruto Semplificazione linguistica e varietà sub-standard
17
Albrecht Jörn „Substandard" und „Subnorm". Die nicht-exemplarischen Ausprägungen der „Historischen Sprache" aus varietätenlinguistischer Sicht (Fortsetzung)
44
Edgar Radtke Substandardsprachliche Entwicklungstendenzen im Sprachverhalten von Jugendlichen im heutigen Italien
128
Thomas Stehl Ansätze einer strukturalistischen Beschreibung der Variation im Französischen und Italienischen
172
Eduardo Blasco Ferrer Italiano popolare a confronto con altri registri informali: verso una tipologia del substandard
211
Thomas Krefeld Substandard als Mittel literarischer Stilbildung Der Roman La vie devant soi von Emile Ajar
244
Index zu den Bänden „Sprachlicher Substandard" I—III
268
VII
Substandardbeschreibung in der Sprachwissenschaft: Aktuelle Skizzierung und offene Fragen G ü n t e r Holtus (Trier) / Edgar Radtke (Heidelberg)
1. Der Begriff,Substandard'
in den
Einzelphilologien
In der Sprachwissenschaft wird der Begriff .Substandard' häufig verwendet. Allerdings überwiegt dabei eine nicht eingehend reflektierte Verwendungsweise, als ob der sprachliche Substandardbegriff selbstverständlich sei. Die wenigen ausschließlich dem Substandard vorbehaltenen Forschungen wie Lehnert (1981) diskutieren dabei den Substandardbegriff als solchen nur am Rande1 und sind primär als Materialsammlungen konzipiert. Das häufige Umgehen einer relativ exhaustiven begrifflichen Klärung zeigt vielmehr, daß eine solche Handhabung die Frage nach einem zufriedenstellenden allgemeinen Beschreibungsrahmen offenläßt. Auch in den hier vorliegenden Bänden zum sprachlichen Substandard zeichnet sich eine Aufsplitterung ab in Beiträge, die einen begrifflichen Rahmen abstecken (z. B. Ammon, Albrecht), und solche, die primär den Wert auf eine Materialpräsentation legen (z. B. Faiß, Cyffer). Dieses Nebeneinanderstellen von grundsätzlichen Erörterungen und Dokumentation aus unterschiedlichen einzelsprachlichen Philologien spiegelt im Grunde auch die Konvergenzen und die Divergenzen in der Substandardforschung der einzelnen Philologien wider. Die substandardsprachliche Beschreibung ist deutlich an die jeweiligen Traditionen der einzelnen Philologien gebunden, die sich zumeist aus der jeweiligen sprachgeschichtlichen Normierungsentwicklung ergeben2.
1
Lehnert genügt der Definition durch die Klammersetzung im Untertitel mit dem vermeintlichen Synonym ,Vulgärenglisch' und mit der kargen Einleitungsdefinition: „Das Substandard English stellt ein Sprachsystem dar, das faktisch neben und praktisch, das heißt in sozialer und formal bildungsmäßiger Hinsicht, unter dem System des Standard English steht" (Lehnert 1981, 4). 2 So scheinen sich mitunter Begriffe einzubürgern, die in anderen Philologien befremdlich wirken: die idiolektale Variation in der Afrikanistik (Cyffer) trägt für die europäischen Philologien zumindest stark soziolektale Züge, die Differenzierung von Substandard und Nonstandard wird ausschließlich in der Germanistik gepflegt (Ammon, Henn-Memmesheimer u.a.).
VIII
Günter Holtus / Edgar Radtke
Im Bereich der einzelnen Philologien ist es jedoch um die Erforschung nichtstandardsprachlicher Varietäten gar nicht so schlecht bestellt. Der vordergründige Mangel an nonstandard- oder substandardsprachlichen Untersuchungen ergibt sich teilweise aus dem Umstand, daß vergleichbare Phänomene in der Geschichte der Einzelphilologien zumeist mit einem anderen terminologischen Instrumentarium belegt worden sind. Als Beispiel sei nur auf die Romanische Philologie verwiesen: Hier bewegt sich zum einen die zentrale Diskussion um die Entstehung der romanischen Sprachen aus dem Vulgär-, Spontan- oder Sprechlatein auf einer vergleichbaren Ebene der Abgrenzung zwischen einem - zumindest während einer begrenzten Epoche - als klassisch angesehenen schriftsprachlichen Latein und einer im täglichen Gebrauch benutzten Umgangssprache, deren Beschreibung und Rekonstruktion Gegenstand intensiver Bemühungen war und noch heute ist. Und zum anderen stellt die lange Tradition der Beschreibung, der Analyse und der Interpretation von Varietäten abseits bzw. unterhalb eines angenommenen Standards im Rahmen der Nomenklatur als ,Umgangssprache', als ,Volkssprache' oder in den Sonderformen des argot etc. ebenfalls eine Variante der Zuordnung von sprachlichen Varietäten zu einem Non- bzw. Substandard dar. Hier sei nur auf die grundlegenden Arbeiten etwa von Hofmann (1926) zur lateinischen Umgangssprache, von Spitzer (1922) zur italienischen Umgangssprache oder von Beinhauer (1930) zur spanischen Umgangssprache verwiesen (cf. Holtus/Radtke 1984). Im Rahmen der Galloromanistik hat sich die Beschreibung anfangs mehr auf den stilistischen (Bally 1909) oder auf den grammatikographischen Bereich (Frei 1929; cf. auch Bauche 1920) erstreckt. Allen diesen Arbeiten ist gemeinsam, daß sie versuchen, die sprachliche Beschreibung auszudehnen auf Bereiche, die als abweichend vom anerkannten, soziolinguistisch determinierten Standard bewertet werden. Selbstverständlich ist damit in den Einzelfällen der Beschreibung der jeweiligen sprachlichen Varietäten noch keine exhaustive, die verschiedenen linguistischen Teilbereiche umfassend berücksichtigende Darstellung verbunden. Insbesondere fehlt es an einer systematischen Zuordnung und Klassifikation der unterschiedlichen Varietäten im Diasystem der jeweiligen Sprache. Die Arbeiten bleiben somit wertvolle Einzelanalysen zum lateinischen, italienischen, spanischen oder französischen Varietätengefüge, ohne daß jedoch eine Gesamtschau der Problematik geboten worden wäre. Trotz z. T. recht partikulärer Verwendungsweisen verbindet ein gemeinsamer Rahmen die verschiedenen Beschreibungsansätze: Die unterschiedliche Ausgangslage der historischen Einzelsprachen entbindet nicht von der synoptischen Einstufung des sprachlichen Substandards.
Substandardbeschreibung
in der
Sprachwissenschaft
IX
Wie nachgeordnet oder peripher mit dem Substandard in der Linguistik gelegentlich umgegangen wird, ist auch aus der (Nicht-)Aufnahme in linguistischen Wörterbüchern oder in Nachschlagewerken ersichtlich: Lewandowski (31979, s.v.) kennt neben ,Sprachnorm' und ,Sprachnormierung' nur den Begriff,Standardsprache', die dem Dialekt und dem Soziolekt gegenübergestellt wird; Bußmann (1983, 502) führt ebenfalls ausschließlich .Standardsprache', ohne auf Nicht-Standardsprachliches zu verweisen. Bei diesen linguistischen Wörterbüchern und Nachschlagewerken, deren Liste leicht erweitert werden könnte, ist allerdings zu berücksichtigen, daß zwar die Termini Substandard oder Nonstandard vielfach nicht explizit genannt werden, daß ihr Wesen, ihre Eigenart jedoch ex negativo aus der Beschreibung der als ,Standard' bewerteten Varietät erschlossen werden kann. Insofern haftet den Arbeiten vielfach nur ein nomenklatorischer Mangel an, der teilweise aus der Tradition der jeweiligen Einzelphilologie heraus ableitbar ist. Im seit kurzem erscheinenden Lexikon der Romanistischen Linguistik (LRL) (Holtus/Metzeltin/Schmitt 1988-) wird so verfahren, daß z. B. zu den nationalen Einzelsprachen Französisch, Italienisch, Rumänisch, Spanisch und Portugiesisch jeweils ein Einzelkapitel dem Themenkreis „Sprachnormierung und Standard" gewidmet ist und weitere vom Standard abweichende Varietäten (abgesehen von der areallinguistischen Variation in Dialekte und Regionalsprachen) in den Kapiteln Sondersprachen (argot etc.) und Fachsprachen behandelt werden. Die umfassende Sichtung des Varietätengefüges einer Sprache, unter der dann die Zuordnung der einzelnen Varietäten zueinander, ihre Gemeinsamkeiten und ihre Abgrenzungen diskutiert werden sollen, bleibt einem besonderen Abschnitt zur Varietätenlinguistik der jeweiligen Einzelsprache vorbehalten. Substandardsprachlichkeit wird noch am eingehendsten von der Soziolinguistik erforscht, wobei jedoch auch hier keine streng einheitliche Terminologie anzutreffen ist: Den bedeutendsten Zweig, der sich mit dem Substandard auseinandersetzt, stellt die Form der Varietätenlinguistik dar, wie sie Ferguson (1959) in seinem Diglossieentwurf von high variety und low variety umrissen hat (cf. Ammon 1987, 248-250). Dabei geht es um das Nebeneinander zweier Varietäten, mit denen bestimmte soziale Funktionen verknüpft sind (prestigereichere vs. prestigeärmere Sprache, Sprache des sozialen Aufstiegs etc.). Das von Fishman (1967) in vier Gruppen eingeteilte Beziehungsverhältnis zwischen Diglossie und Mehrsprachigkeit ist in der Folgezeit überarbeitet und verfeinert worden (cf. Lüdi/Py 1984, 10 ss.). Die heutige Diskussion dreht sich vor allem um die Frage der Einbeziehung der varietätenlin-
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Günter Holtus / Edgar Radtke
guistischen Komponente in die Abgrenzung von Diglossie und Mehrsprachigkeit. Mit der Befähigung eines Sprechers, gemäß dem jeweiligen Situationskontext auf unterschiedliche sprachliche Register zurückzugreifen, wird die soziolinguistische Perspektive mit der pragmalinguistischen Perspektive verbunden, und sie mündet ein in den umfassenden Bereich der Varietätenlinguistik. ,Mehrsprachigkeit' bezieht sich in diesem Zusammenhang nicht mehr nur auf das Verfügen über mehr als eine Sprache, sondern auf die Beherrschung unterschiedlicher sprachlicher Varietäten im Rahmen des Diasystems einer übergeordneten Sprache. Daraus ergeben sich zahlreiche Probleme im Zusammenhang mit der Abgrenzung von sprachlichem Standard und Nonstandard (Sub- bzw. SuperStandard), Regionalsprachen, Dialekten und lokalen Mundarten. Gemäß den sozialen und situationeilen Bedingtheiten von Sprechakten wählt ein Sprecher diejenige Sprache oder dasjenige sprachliche Register aus, das ihm in dem jeweiligen Kontext am besten geeignet erscheint. Die Bedingungen können vom Ansprechpartner, von der Redekonstellation, von der individuellen Neigung des Sprechers oder auch vom Typus der Realisierung des Sprechaktes abhängig sein (cf. Holtus [im Druck]). Der zweite Komplex der soziolinguistischen Erfassung des sprachlichen Substandards fußt auf der attitude-Ybrschung und mißt die Einstellungen zu nichtstandardsprachlichem Verhalten (cf. Giles et al. 1987). Letztere ist in den vorliegenden Bänden nicht einbezogen worden, da die attitude-¥orsc\mng sich zum einen zunehmend auf das Terrain der Sozialpsychologie zubewegt, wie etwa Ryan/Giles (1982) unmißverständlich belegen, zum anderen die Ergebnisse zumeist gut zugänglich vorliegen, wie mit Scherfer (1983) und Fischer (1988) zum Französischen. Insbesondere die meisten Beiträge aus Band III (Mattheier, Stehl u. a.) versuchen, dem soziolinguistischen Engagement in der Substandardforschung Rechnung zu tragen. 2. Substandard,
Standard und Norm
Der sprachliche Substandardbegriff ist eng gekoppelt an die Normausprägung einer Einzelsprache, er wird oftmals nur von der Normvorgabe her verständlich. Dabei hat man durchweg der sprachwissenschaftlichen Beschäftigung mit der Standardisierung einer Einzelsprache vorrangiges Interesse entgegengebracht. Aber offensichtlich wird der Normbegriff in der Linguistik nicht weniger problematisch gehandhabt als die Substandardkonzepte3: " 'Norme' est un des termes les plus 3
Zur Diskussion um den Normbegriff in der Sprachwissenschaft cf. zuletzt Koch 1988.
Substandardbeschreibung in der Sprachwissenschaft
XI
ambigus et les plus polysémiques des sciences du langage" (Helgorsky 1982, 1). Der Anerkennung einer Varietät als Standard geht in der Regel ein langer Normierungsprozeß voraus, der sich z. B. in den romanischen Sprachen über verschiedene zeitliche Epochen erstreckt und der ganz unterschiedliche qualitative Merkmale aufweist. In Frankreich etwa deuten die Klagen eines Conon de Béthune über die Nichtanerkennung seiner Sprache am französischen Königshof um 1180 darauf hin, daß bestimmte regionale Varianten als vom Standard der Hofsprache abweichend be- und verurteilt werden; d. h. hier zeigen sich Spuren eines Normierungsprozesses, bei dem Abweichungen als nicht hoffähig, als soziolinguistisch minderwertig bewertet werden, eben als substandardsprachlich. Dies sind jedoch nur isolierte Einzelmerkmale innerhalb eines Sprachtypus im 12. Jahrhundert, die nicht dazu geeignet sind, ein Gesamtsystem eines sprachlichen Substandards zu rekonstruieren. Hier wie auch in der Folgezeit verlagert sich die Abgrenzung zwischen Standard und Nonstandard primär auf die Relation zwischen diatopischen Varietäten eines Diasystems. Erst im 16. und 17. Jahrhundert spielt in Frankreich die soziologische Komponente eine gewichtigere Rolle bei der Herausbildung und Bestimmung einer sprachlichen Varietät als Standard. - Im Vergleich zu Frankreich läßt sich für die Geschichte des Italienischen anfangs noch weniger von soziolinguistisch determinierten Faktoren im Standardisierungsprozeß sprechen. Hier spielen das literaturgeschichtliche Prestige früherer Modelle, die diamesischen Unterschiede zwischen geschriebener und (gepflegter, überregionaler) gesprochener Sprache eine wesentlichere Rolle als die auf soziale Gruppen bezogenen sprachlichen Varietäten. Erst im 19. Jahrhundert treten dann soziale Kriterien in den Vordergrund, als die Varietät des gehobenen Florentiner Bürgertums zum Modell eines nationalen Standards erhoben werden soll. Für den Gesamtbereich der italienischen gesprochenen und geschriebenen Sprache hat sich diese Sprachform jedoch nie zu einem allseits anerkannten Standard entwickeln können. Noch heute ist eine Bestimmung einer nationalen Standardsprache in Italien ein ungelöstes Problem. Eher erscheint es möglich, die nichtstandardsprachlichen Elemente als solche zu spezifieren und in den Bereich der diatopischen und der diastratischen Varietäten (italiano popolare) anzusiedeln. Die Beschreibungen der Standardisierungsprozesse in der Sprachgeschichte verlieren dabei selbstverständlicherweise zumeist das Schicksal der stigmatisierten Substandardformen aus den Augen, aber die Standardisierungsbestrebungen stellen nur eine Seite der Medaille dar: die Sprachgeschichte der Gegenpole von "eloquence and power" (Jo-
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Günter Holtus / Edgar Radtke
seph 1987) wird ausgespart. So ist die Sprachgeschichte des Substandards eigentlich nur aus den Randbemerkungen der Abhandlungen zur Geschichte der Normierung teilweise zu entnehmen. Obgleich die sprachhistorische Herausbildung der Norm seit längerem als ein Forschungsschwerpunkt mit beeindruckender Dokumentation anzusehen ist, wendet man sich diesem Bereich in jüngster Zeit mit neuer Zielsetzung wieder zu (z. B. Joseph 1987, Settekorn 1988, Schmitt 1988). Die Frage nach der (Nicht-)Durchsetzung von Sprachnormen vor allem anhand von alltagssprachlichen Texten scheint in der Germanistik besonders intensiv aufgearbeitet zu sein. Die Diskrepanz zwischen kodifizierter Norm und Sprachwirklichkeit ist dort zu einem durchaus bedeutsamen Zweig der Sprachgeschichtsschreibung avanciert (cf. etwa zuletzt Schikorsky 1989, 236-241, stellvertretend für viele andere). Von daher sollen die nichtgermanistischen Untersuchungen zum Substandard in der Sprachgeschichte den jeweiligen Einzelphilologien im zweiten Band neue Anstöße oder Sichtweisen vermitteln (Bochmann, Faiß, Holtus, Johanson, Kramer).
3. Substandard,
Norm und regionale
Varietäten
Bei vielen Substandardbeschreibungen spielt die Relevanz der regionalen Varietäten eine entscheidende Rolle. Das Problem beinhaltet die Wertung, inwieweit regionale Varianten noch als Normvarianten akzeptiert werden können. Dabei zeigt sich, daß mit zunehmender geographischer Großflächigkeit und räumlicher Distanz sowie nationaler Eigenständigkeit eines Territoriums eine Substandardzuweisung an Sinnfälligkeit verliert 4 : Das Amerikanische Englisch ist keine Substandardvarietät des Britischen Englisch. Eine regionale Varietät neigt offensichtlich erst dann zur Stigmatisierung, wenn sie an soziale Gesichtspunkte gekoppelt ist. Regionalität alleine ermöglicht zunächst eine pluralidad de normas wie im Falle des lateinamerikanischen Spanisch (Rosenblat 1968, cf. auch Scotti-Rosin 1983, 154, und Kubarth 1987). In die Diskussion um den Substandard werden solche Varietäten außerhalb des Mutterlandes erst dann hineingetragen, wenn puristische Bewegungen oder Prestigedurchsetzungen von Institutionen im Mutterland Minderwertigkeitsgefühle aufdrängen. Eine solche normative Dominante hat etwa nachhaltig das belgische Französisch beeinflußt (Pohl 1979, 21-42, cf. auch Andrianne 1984). Die Nähe zum Sub4
Aus diesem Grunde sind Beiträge zu überseeischen Varietäten hier nicht aufgenommen worden.
Substandardbeschreibung
in der
Sprachwissenschaft
XIII
Standard bestimmt bei diesen Varietäten sowohl das bereits angesprochene Sprecherbewußtsein als auch die Labilität in der Anerkennung von Normierungsinstanzen. In jüngster Zeit verstärken sich die Bemühungen, regionale Varietäten einer Sprache nicht mehr als Varietäten eines übergeordneten Diasystems zu betrachten, sondern als unabhängige Idiome, denen innerhalb eines Staates ein größerer Autonomiestatus einzuräumen ist. Unterstützt werden diese Versuche in der Romania durch den Umstand, daß sekundäre Dialekte einer Sprache oft nur schwerlich von den primären, direkt vom Lateinischen abstammenden regionalen Varietäten abzugrenzen sind. Dadurch verwischen sich die Grenzen zwischen regionalen Ausprägungen einer anerkannten Standardsprache und autochthonen, alteingesessenen Idiomen nichtstandardsprachlicher Provenienz, und damit wird auch die Unterscheidung in der Bewertung dieser Idiome als Dialekt oder als Sprache in sprachwissenschaftlicher Hinsicht sehr problematisch. Die Nomenklatur derartiger Varietäten wird zu einer eminent brisanten sprachpolitischen Frage. Werden derartige Idiome als nichtstandardsprachliche oder gar als substandardsprachliche Varietäten der Nationalsprache bezeichnet, kann man sich des erbitterten Widerstandes der betroffenen Sprachgruppen gewiß sein. Innerhalb der Romania stellt z. B. die Iberische Halbinsel mit den anerkannten Standardsprachen Spanisch und Portugiesisch ein erhebliches Spannungsfeld dar. Neben dem Katalanischen und dem Galegischen melden seit geraumer Zeit die Sprecher z. B. des Aragonesischen und Navarresischen sowie des Asturianischen und Leonesischen deutliche Autonomieansprüche an, und nur eingefleischten Traditionalisten und Puristen kommt es in den Sinn, diese Idiome unter den Oberbegriff nicht- bzw. substandardsprachliche Varietäten des Kastilischen zu subsumieren. Entsprechendes gilt für den Bereich des Okzitanischen in der Galloromania oder für das Korsische im Hinblick auf dessen Verhältnis zum italienischen Diasystem. Über eine lange Tradition verfügt dieser Streitpunkt auch im Hinblick auf das Ladinische, dessen Autonomie oder dessen Zuordnung zum italienischen Diasystem Gegenstand der questione ladina ist. Letzten Endes lassen sich in diesem Bereich keine allgemeingültigen Kriterien für die Bewertung derartiger Idiome als non- bzw. substandardsprachliche Varietäten oder aber als eigenständige Sprachen aufstellen, und jeder Einzelfall bedarf einer besonderen Interpretation auf der Grundlage der historischen, der politischen, der sozialen und kulturellen Gegebenheiten. Die Reduzierung der substandardsprachlichen Substanz hängt bei regionalen Varietäten darüber hinaus von der Dynamik der Vereinheitlichungstendenzen ab, die sowohl von sprachexternen Faktoren als
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Günter Holtus / Edgar Radtke
auch vom Systemwandel durch Varietätenkontakt gesteuert werden (Radtke 1988). Für die Substandardzuweisung ist in diesem Zusammenhang relevant, inwieweit die Norm noch regionale Varianten toleriert. Unter Normgesichtspunkten bestehen offensichtlich keine allgemeingültigen Meßverfahren, die das Ausmaß an Homogenität bzw. an Heterogenität zweier - hierarchisch einander zugeordneter - Varietäten ermitteln (cf. dazu Albrecht in diesem Band, 2.3.2.). Daß solche Einstufungen von Einzelfall zu Einzelfall unterschiedlich ausfallen, läßt jedenfalls nicht die Annahme zu, es liege keine Regelmäßigkeit vor. Hier besteht noch ein Bedarf an Fallstudien, die das Spannungsverhältnis von Norm und Subnorm genauer beschreiben (cf. Mattheier oder Stehl in diesem Band).
4. Substandard,
soziale Variation und neue
Varietäten
Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die Substandardforschung in bezug auf die soziale Variation die beeindruckendsten Ergebnisse erzielt hat. Ein besonderes Verdienst kommt dabei zweifelsohne der amerikanischen Soziolinguistik zu, die mit den Pionierleistungen von Labov substandardsprachliche Erscheinungen weitgehend durch unterschiedliche soziale Sprecherrollen bzw. -Schichtungen erklären konnte (Labov 1966 und 1972). Erst die Soziolinguistik erhebt nichtstandardsprachliche Formen zu einem eigenständigen Untersuchungsgegenstand und kann sie weitgehend erklären. Die Bedeutung des Substandards stellt Labov selbst des öfteren heraus, etwa: 'The nature of the standard is such that almost everyone pays lip service to it as the only 'correct' mode of speech. Most speakers themselves do not know the extent to which they depart from this norm, nor why they should want to do so" (Labov 1971, 196).
Im Vergleich zu der historisch gesehen berechtigten Dominanz der sozialen Variation für die Erforschung des Verhältnisses von Standard und Substandard setzt sich in jüngster Zeit immer mehr die Erkenntnis durch, daß die soziolinguistische Dimension nur als ein Bestandteil einer umfassenderen Varietätenlinguistik zu sehen ist. Die auf soziale Unterschiede gründende Variation von Sprache ist in der sprachlichen Realität untrennbar verknüpft mit der areallinguistischen und der pragmalinguistischen Dimension. Zwar lassen sich in analytischer Hinsicht ohne Zweifel soziale Kriterien als Faktoren für die sprachliche Variation ausmachen, doch treten diese Kriterien praktisch nie losgelöst von anderen Faktoren auf, die insgesamt den Kommunikations-
Substandardbeschreibung
in der
Sprachwissenschaft
XV
prozeß beeinflussen. Damit erweist sich die Varietätenlinguistik als der übergeordnete Bereich der Sprachwissenschaft, mit dessen Hilfe die Vielfalt sprachlicher Kommunikation zu interpretieren ist. Erst in diesem Rahmen erscheint es sinnvoll, eine umfassendere Beschreibung von linguistischen Termini wie Standard, Nonstandard und Substandard vorzunehmen. Es darf darüber hinaus nicht vergessen werden, daß auch anders gelagerte sprachliche Manifestationen substandardsprachlich markiert sein können. Subnormen können auch in einigen Bereichen neu entstehen und an bestimmte Sachbereiche oder Sprecherrollen gebunden sein: Die französische Werbesprache gewährt in jüngster Zeit dem Substandard bewußt mehr Raum, die Massenmedien im Deutschen setzen auch in Sendungen mit relativ hohem Formalitätsgrad wie Nachrichtensendungen zunehmend substandardsprachliche Realisierungen ein (Burger 1984, 97-163) 5 . Hier scheint sich eine Entwicklung anzubahnen, die dazu führen könnte, daß der Terminus ,Substandard' eine neue Dimension in dem Sinne erhält, daß im Rahmen des Variationsgefüges einer Sprache Abweichungen vom Standard sich nicht mehr nur auf den - ohnehin problematischen - Bereich einer anerkannten Standardsprache beziehen, sondern daß substandardsprachliche Varietäten auf den unterschiedlichsten Ebenen des Diasystems einer Sprache anzusetzen sind. Mit anderen Worten: Tendenzen zur Herausbildung von Substandarderscheinungen beziehen sich nicht nur auf die Ebene eines historisch gewachsenen Sprachsystems, sondern auch auf die verschiedenartigen Subsysteme des jeweiligen Diasystems, demnach z. B. auch auf den Bereich der Fachsprachen und der Sondersprachen, auf generations- und geschlechtsspezifische Varietäten ebenso wie auf die areallinguistische Gliederung eines Sprachraumes. Allerdings sind die Einzelphilologien noch weit davon entfernt, den gesamten Bereich der varietätenlinguistischen Dimension einer Sprache voll erfaßt und systematisch beschrieben zu haben. Der Beitrag zur italienischen Jugendsprache in diesem Band (Radtke) versucht der Ausbildung von neuen Varietäten im Substandard einer Gegenwartssprache Rechnung zu tragen. Das bewußte Pflegen des Substandards ist im Grunde in der Sprachwissenschaft nur am Rande beobachtet worden (etwa Spitzer 1931) und verdient gesteigerte Aufmerksamkeit in dem Augenblick, in dem wie im Französischen der Substandard im Alltag an Terrain gewinnt und nicht mehr ausschließ5
Zur Illustration des Sachverhalts: In den Nachrichtensendungen des 3. September 1989 verwendet Sat 1 als Hintergrundtext zum Raub von zwei Spitzweggemälden in Berlin: „Gemälde geklaut".
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lieh als sozialer Indikator fungiert. Zahlreiche Beiträge zur sog. Krise des Französischen in Hausmann (1983) belegen diese Auswertung. 5. Substandard
und
Stilistik
Der bewußte Einsatz von Substandardmitteln außerhalb eines entsprechend ausgerichteten sozialen Kontextes, wie er in 4. angesprochen worden ist, betrifft gleichzeitig die Rolle der Subnorm in der Stilistik. Die soziale Zuordnung wird aufgehoben zugunsten einer sprachspielerischen oder -künstlerischen Variation. Spitzer (1931) faßt im Grunde den Gebrauch des argot im Großbürgertum als eine snobistische Variante der Sprechsprache auf, die in den Untersuchungsbereich der Sprechsprache fällt. Der Substandard versteht sich dabei als ein literarisches Stilmittel. Zwar bleiben die diesbezüglichen Arbeiten zumeist auf den Individualstil beschränkt, dennoch gelingen gelegentlich übergreifendere Aussagen wie bei dem Interesse am néo-français von Raymond Queneau (Kemmner 1972, Bork 1975, Langenbacher 1981). Dabei kommt es weniger darauf an, die Bedeutung substandardsprachlicher Register in der Literatur herauszustellen, als eine grundlegende Funktion des Substandards zu beschreiben (wie Krefeld in diesem Band). Mehr als nur ein literarisches Stilmittel stellt die Verwendung des Substandards in den Romanen des französischen Schriftstellers LouisFerdinand Céline dar. Hier geht es nicht darum, nichtstandardsprachliche Elemente als besonderes Ausdrucksmittel in den Stil eines literarischen Werkes zu integrieren, sondern das gesamte literarische Œuvre wird programmatisch in den Dienst eines neu zu schaffenden Standards gestellt. Céline möchte mit seiner Sprache eine Reform der französischen Literatursprache herbeiführen und sie von den in seinen Augen verkrusteten Strukturen der literarischen Tradition befreien (cf. Holtus 1977). Célines Reformbestrebungen haben allerdings - das läßt sich aus heutiger Sicht sagen - wenig Auswirkungen auf die Entwicklung von Schrift- und Literatursprache im heutigen Frankreich gehabt. Dies dürfte mit darauf zurückzuführen sein, daß die in seinen Romanen durchgehend verwendete Sprachform letzten Endes keinen Rückhalt in der realiter gesprochenen Sprache gehabt hat; vielmehr sind Elemente der gesprochenen Sprache, des argot und anderer substandardsprachlicher Varietäten mit klassischen stilistischen und rhetorischen Mitteln in einer Weise verbunden worden, die Célines Sprache zu einem äußerst komplexen und hochstilisierten Französisch haben werden lassen - einem Französisch, das in dieser Form von niemandem gesprochen wird.
Subslandardbeschreibung
in der
Sprachwissenschaft
XVII
6. Substandard und Syntax Auf einen Aspekt der Substandardindizierung ist hier besonders Gewicht gelegt worden, weil er vorschnell in den älteren Veröffentlichungen zum Thema ein Schattendasein führte, nämlich substandardsprachliche Syntax, die der lexikalischen Bewertung stets nachgestellt wurde. Die Konstruktionen der substandardsprachlichen Syntax sind nur unzulänglich bekannt, sowohl was den Umfang der Variationen als auch was das Alter dieser Erscheinungen anbelangt. Sie ist oftmals nur dann von sprachwissenschaftlichem Interesse, wenn sie als calque dialektaler Konstruktionen anzusehen ist. Diese Situation ist vergleichbar mit der Rolle syntaktischer Untersuchungen innerhalb der Fachsprachenforschung. In beiden Bereichen geht es nicht nur darum, Spuren nichtstandardsprachlicher Konstruktionen nachzuweisen, die aus anderen sprachlichen Bereichen, im Falle des Substandards insbesondere der diatopischen Gliederung, stammen; vielmehr bedarf es einer unvoreingenommenen Gesamtbeschreibung substandardsprachlicher Syntax und ihrer Spezifika. Dabei ist zu beachten, daß syntaktische Untersuchungen auch auf der dialektalen Ebene zu den vernachlässigten Bereichen der Sprachwissenschaft zu zählen sind. Wie z. B. Metzeltin (1989) anhand der Situation in der italienischen Dialektologie nachgewiesen hat, beschränken sich dialektologische Arbeiten vielfach auf den Nachweis isolierter Abweichungen des Dialekts von der Syntax der Standardsprache, und sie vergessen dabei, daß der jeweilige Dialekt über eigenständige, spezifische syntaktische Strukturen verfügt, die nicht nur aus der kontrastiven Perspektive zum Standard zu bewerten sind. Dies gilt in vergleichbarem Maße auch für die syntaktischen Untersuchungen zum substandardsprachlichen Bereich. Wie reichhaltig das lange Zeit unbeachtete Material ist, zeigen die Beiträge zum Englischen, Deutschen und Portugiesischen (Faiß, HennMemmesheimer, Kröll). Da die Syntax bei der Erforschung zumeist dem Wortschatz nachgeordnet wurde, scheint hier ein dringliches Korrektiv einsetzen zu müssen. Insgesamt ist der Bestand der substandardsprachlichen Syntax wohl erst in den Anfängen zusammengestellt worden.
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Günter Holtus / Edgar Radtke
7. Substandard und Typologie Mit der Beschäftigung von Substandardformen einer oder mehrerer Einzelsprachen kommt nahezu zwangsläufig die Frage auf, ob eine Typologie des Substandards existiert, inwieweit sich Substandardvarietäten miteinander vergleichen lassen und was der Substandard einer Einzelsprache an Übereinzelsprachlichem enthält (Albrecht, Berruto, Blasco Ferrer). Diese zweifelsohne fruchtbaren Fragestellungen sind vor allem geeignet, umfassendere Diskussionen auszulösen: Die sprachliche Vereinfachung im Substandard stellt ein besonders schwieriges Thema dar (cf. Berruto und Albrecht, 3.1.), das über reine Substandardanalysen hinausreicht; die typologischen Voraussetzungen in der Substandarddiskussion bedürfen der weiteren Vertiefung (Blasco Ferrer); die .linguistische Futurologie' („[...] l'italiano popolare e destinato a diventare l'italiano del 2000", Blasco Ferrer in diesem Band, 237) gewinnt an Reiz, wenn man versucht, die Voraussagbarkeit in solide Parameter zu integrieren. Abgesehen von - notwendigen - spekulativen Momenten werden die sprachlichen Zukunftsperspektiven global hinsichtlich der Standardisierungsbewegungen abschätzbar sein. Die zukünftige Entwicklung des Substandards ist dabei nur über eine möglichst dicht gestaltete Trendexploration zu prognostizieren (cf. für das Französische Müller 1980 und 1982). Die linguistische Futurologie' kann sich dabei auch der Erkenntnisse weiter Bereiche aus der Geschichte der Sprachen bedienen. Der Entwicklungsprozeß der romanischen Sprachen etwa mit ihrem Entstehen aus der gesprochenen Varietät des Lateinischen zeigt deutliche Parallelen mit der Entwicklung nichtstandardsprachlicher Varietäten der heutigen Sprachen und dem Verlauf des nicht von einer präskriptiven Normierung eingegrenzten Sprachsystems. Weitere Erkenntnisse lassen sich auch aus den Methoden und Ergebnissen der Kreolistik gewinnen, die es bis auf wenige, erst im Entstehen begriffene Einzelfälle der Sprachnormierung ebenfalls mit nichtstandardsprachlichen Gegebenheiten und der weiteren Entwicklung sprachlicher Systeme, relativ unabhängig von einem Standard, zu tun hat.
Substandardbeschreibung
8.
in der
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XIX
Perspektiven
Die angeschnittenen Gesichtspunkte illustrieren einerseits die Vielfalt der Forschungen zum sprachlichen Substandard, andererseits verweisen sie auch auf die Fülle der noch offenen Fragen. Diese Widersprüchlichkeit begleitet die Wahl der aufgenommenen Beiträge - die getroffene Auswahl will dafür einstehen, daß die Randstellung der Substandardforschung in der Sprachwissenschaft so nicht länger aufrechtzuerhalten ist und daß nur ein gemeinsames Panorama des sprachlichen Substandards über die Beschreibung der Einzelsprachen hinweg eine Erneuerung der Beschreibungsverfahren einleitet. Eine derartige Erneuerung der Beschreibungsverfahren setzt voraus, daß substandardsprachliche Varietäten, sind sie einmal als solche erkannt und abgegrenzt von einem existierenden Standard, in ihrer Eigenständigkeit systematisch erforscht werden. Dazu sind zunächst einmal die Grundlagen in den Einzelphilologien bereitzustellen und dann auf übereinzelsprachlicher Ebene miteinander zu vergleichen und zu interpretieren.
9. Verzeichnis der zitierten
Literatur
Ammon, Ulrich, Funktionale Typen/Statustypen von Sprachsystemen, in: Ammon/Dittmar/Mattheier 1987, 230-263. Ammon, Ulrich/Dittmar, Norbert/Mattheier, Klaus J. (edd.), Sociolinguistics. An International Handbook of the Science of Language and Society, 2 vol., Berlin/New York, de Gruyter, 1987-1988. Andrianne, René, Conscience linguistique et conscience politique, in: Écriture française et identifications culturelles en Belgique. Colloque de Louvain-laNeuve, 20 avril 1982, Louvain-la-Neuve, Ciaco, 1984, 11-24. Bally, Charles, Traité de stylistique française, 2 vol., Heidelberg, Winter, 1909. Bauche, Henri, Le langage populaire, Paris, Payot "1946 (21928, '1920). Beinhauer, Werner, Spanische Umgangssprache, Berlin, Dümmler, 1930 (2., verbesserte Auflage Bonn, Dümmler, 1958; spanische Übersetzung: El espanol coloquial, Madrid, Gredos, 1964, 3 1978). Bork, Hans-Dieter, "Néo-français" = français avancé? Zur Sprache Raymond Queneaus, Romanische Forschungen 87 (1975), 1-40. Burger, Harald, Sprache der Massenmedien, Berlin/New York, de Gruyter, 1984. Bußmann, Hadumod, Lexikon der Sprachwissenschaft, Stuttgart, Kroner, 1983. Ferguson, Charles A., Diglossia, Word 15 (1959), 325-340. Fischer, Mathilde, Sprachbewußtsein in Paris. Eine empirische Untersuchung, Wien/Köln/Graz, Böhlau, 1988. Fishman, Joshua A., Bilingualism with and without diglossia; diglossia with and without bilingualism, Journal of Social Issues 23:2 (1967), 29-38. Frei, Henri, La grammaire des fautes, Paris, Geuthner/Genève, Kundig/Leipzig, Harrassowitz, 1929.
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Günter Holtus / Edgar
Radtke
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Substandardbeschreibung in der Sprachwissenschaft
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Überlegungen zum Substandard im Zwischenbereich von Dia> lekt und Standardsprache Klaus J. Mattheier (Heidelberg)
Günter Holtus und Edgar Radtke haben in dem Sammelband Sprachlicher Substandard', der dem hier vorgelegten Band zum gleichen Thema vorausgeht, eine Reihe von Beiträgen zusammengetragen, die sich alle mit einem Phänomen sprachlicher Art beschäftigen, das zwar nicht neu, aber deswegen nicht unbedingt begrifflich bzw. definitorisch klar zu fassen ist, mit dem sprachlichen Substandard. Bei der Lektüre dieses Bandes wird deutlich, daß es innerhalb der europäischen Sprachwissenschaft, die teilweise durch besondere Beiträge im Sammelband vertreten wird, zumindest zwei Wissenschaftstraditionen bezüglich dieses Phänomens gibt. Einmal, und zwar insbesondere in der romanischen, aber auch in der anglo-amerikanischen Tradition wird .Substandard' von einem mehr oder weniger fiktiven Standard aus gesehen. Dabei treten Aspekte in den Vordergrund, die mit der Bewertung dieses Sprachphänomens in Relation zum normentheoretisch fixierten Standard zusammenhängen. Im anglo-amerikanischen Sprachbereich ist von einer unkultivierten' Varietät die Rede, von 'uneducated English' (Viereck 1986, 220). In der Romania wird der sprachliche Substandard als Abweichung vom Üblichen und vom Gesollten, von der Verhaltenserwartung betrachtet (Schmitt 1986, 125f.). Auch Albrecht bleibt, obgleich er vom Anspruch her das Substandard- bzw. Subnormproblem sprachübergreifend angehen will, in dieser Tradition verhaftet, wenn er die Subnorm als den .unteren Bereich der Sollnorm' betrachtet (Albrecht 1986, 66). Dieser Position in der begrifflichen Fassung des Phänomens .Substandard' steht in der deutschen sprachwissenschaftlichen Tradition eine andere gegenüber. Bei diesem Konzept wird der Substandard im Zusammenhang mit dem Sprachvarietätenspektrum definiert, das sich zwischen dem Dialekt und der Standardsprache entfaltet. Substandard ist, so faßt Bellmann (1983) diese Forschungstradition zusammen, der Oberbegriff für den sprechsprachlichen Gesamtbereich unterhalb der gesprochenen Standardsprache. Und die Spezifizierung dieses Begriffs in,Einzelsubstandard', .landschaftlichen Substandard' und .Gesamtsubstandard' macht deutlich, daß hier nur die regionale Dimension der Variabilität gemeint ist. Der Gesamtsubstandard stellt die Summe aller landschaftlichen Substandards dar.
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Klaus J.
Mattheier
Ich möchte in diesem Beitrag - meiner wissenschaftlichen Herkunft aus der deutschen Dialektologie gemäß - diesen germanophonen ,Substandardbegriff' aufgreifen und in kritischer Reflexion der Überlegungen von Bellmann (1982, 1983, 1985) vor dem Hintergrund der Erfahrungen bei dem dialektsoziologischen Erp-Projekt (Besch u. a. 1981, Hufschmidt u. a. 1983, Mattheier 1979) versuchen, einige Aussagen über den ominösen .mittleren Bereich' (Bellmann 1983, 117ff.), den Zwischenbereich zwischen Dialekt und Standardsprache, zu formulieren. Ich schließe damit an Überlegungen an, die ich 1987 in der Zeitschrift für Germanistik angestellt habe. Damit will ich keineswegs die Berechtigung des Substandardbegriffs der romanischen und angloamerikanischen Forschungstradition in Zweifel ziehen. Ich glaube jedoch, daß die Unterschiede zwischen diesen Traditionen, die selbstverständlich in den sprachhistorischen und soziohistorischen Differenzen der verschiedenen Sprachkulturen begründet liegen, bei einer allgemeinen Behandlung des Themas im Bewußtsein bleiben sollten. Günter Bellmann beschäftigt sich mit dem Problem des Substandards und mit dem Zwischenbereich zwischen Dialekt und Standardsprache nach einigen Vorüberlegungen in Bellmann (1982) ausführlich in Bellmann (1983) und nochmals spezifizierend in Bellmann (1985). Für ihn ist ,Substandard', wie oben erwähnt, ein Oberbegriff für eine ganze Reihe von Sprachvarietäten unterhalb des Niveaus der Standardsprache. Dabei schränkt er die Bedeutung ausdrücklich auf den sprechsprachigen Bereich ein, was durchaus sinnvoll ist, da die verschiedenen Varietäten, die mit diesem Begriff zusammengefaßt werden, sich alle primär durch Sprechsprachigkeit auszeichnen. Bellmann hält einen solchen Oberbegriff für verschiedene nicht-standardsprachige Varietäten insbesondere deswegen für nötig, weil die alte Dichotomie zwischen Dialekt und Standardsprache im Zuge einer sich modernisierenden Gesellschaft die Vielfalt der sprachlichen Beziehungen nicht mehr adäquat beschreiben kann. Inzwischen sei in den mittleren Bereichen die ominöse .Umgangssprache' entstanden, und diese habe in einigen Regionen des deutschen Sprachraums schon den Dialekt weitgehend ersetzt, seine Funktionen übernommen. Ein Begriff, der beide Bereiche umfasse, den tiefen Ortsdialekt, wo er noch existiere, und die Umgangssprache, könne die derzeitige soziolinguistische Konstellation angemessener beschreiben. Substandard bezeichnet also in jedem Fall ein Kontinuum, genauer ein Kontinuum von Varietäten zwischen Dialekt und Standardsprache, das sich durch ,Nichtstandardsprachigkeit' von der Standardsprache unterscheidet. Dieser Substandard wird an einem bestimmten Ort als ,Einzelsubstandard' mit einem einzelnen vertikalen Kontinuum greifbar. In einem größeren dialek-
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talen Raum, also etwa dem Ribuarischen oder dem Rheinfränkischen, spricht man von einem landschaftlichen Substandard, bei dem horizontal eine mehr oder weniger große Anzahl von Einzelsubstandards nebeneinandergeordnet vorliegen. Im Rahmen der deutschen Gesamtsprachgemeinschaft können auch alle Substandards zu einem Gesamtsubstandard zusammengefaßt werden. - Zwei Bemerkungen dazu: Einmal wird durch die Konzentration des Substandardbegriffs auf die räumliche Dimension jede anders dimensionierte Lokalisierung einer Varietät,unterhalb des Standards', also etwa sozialer Substandard oder ästhetischer Substandard, ausgeblendet. So wären etwa die ,Substandard-Vorstellungen' der anglo-amerikanischen und der romanischen Tradition nur schwer in diese Vorstellung integrierbar. Zum anderen - und das hängt eng mit dem ersten Punkt zusammen - ist eine klare definitorische Abgrenzung von Standard und Substandard über die Kategorie ,Regionalität' keineswegs unproblematisch. Bellmann zieht die Grenze zwischen der landschaftlichen Färbung der Standardsprechsprache, die wohl noch zum Substandard gerechnet werden sollte, und den .allgemeinen, performanzbedingten Eigenheiten der Sprechsprache (Anakoluthe, Ellipsen, Elisionen, Kontraktionen usw.)' (Bellmann 1983, 116), die nicht mehr zum Substandard gerechnet werden. Wie ist aber dann die nicht regional geprägte Alltagssprache von Sprechern zu beurteilen, die - was seit der Mitte des 19. Jahrhunderts immer mehr der Fall ist - direkt in Standardsprache sozialisiert worden sind? Diese Sprache unterscheidet sich zum Teil erheblich von einer .regelrechten' Standardsprechsprache. Diese überregionale UmgangsSprache', wie sie im Sprachlagenspektrum des Deutschen Spracharchivs genannt wird, kann durch den Bellmannschen Substandardbegriff nicht erfaßt werden. Hinzu kommt noch, daß bisher keineswegs klar ist, welche Sprachvarianten nun eindeutig zu einer überregionalen Sprachvarietät und welche zu einer regionalen gehören. Auf einigen Sprachrängen ist die Standardsprache auch überhaupt nicht von Regionalsprachen abgehoben. Das gilt insbesondere für den Wortschatz mit regionalen Varianten wie Sonnabend/Samstag, aber auch für die Grammatik mit dem Tempusproblem Perfekt/Präteritum und für die Aussprache mit Lenisierung, ^-Spirantisierung und e/ä-Differenzierung. Sollte jedoch der Regionalakzent noch in die Standardsprechsprache einbezogen werden, dann wird eine klare Abgrenzung zwischen Standard und Substandard vollends unmöglich. Dabei spricht ein Argument durchaus dafür, daß der Regionalakzent mit zur Standardsprechsprache gehört. Die Sprecher selbst, insbesondere im gesamten süddeutschen Raum, rechnen eine Sprachform mit leichtem Regionalakzent allemal noch zum Standard und sehen Sprachverwendungsre-
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geln, die Standardsprache erfordern, vollauf erfüllt, auch wenn noch ein Regionalakzent hörbar ist. Nachdem Bellmann den Substandardbegriff definiert hat, geht er im Rahmen einer Analyse der Substandardentwicklung im deutschen Sprachraum einen Schritt weiter. Er stellt fest, daß sich in der deutschen Sprachgemeinschaft derzeit ein ,Neuer Substandard' ausbildet und stabilisiert. Diese neue Varietät entsteht regionalspezifisch im Rahmen von drei Entwicklungen, die die derzeitigen dialektsoziologischen Konstellationen umgestalten: Dialektabbau, Entstandardisierung und insbesondere Entdiglossierung. Entstandardisierungstendenzen sieht Bellmann wie auch eine Reihe anderer Wissenschaftler insbesondere in einer Deliteralisierung und Popularisierung der Standardsprechsprache, bei der sich die Norm nach unten lockert und die mit einer Tendenz zur Einbeziehung von mehr Regionalismen in die Standardsprechsprache verbunden ist. Gründe dafür sieht er in der Ausweitung der Bildungswerbung, der vermehrten Aufstiegsmobilität und auch einer zunehmenden Normenskepsis. In dem Maße - so könnte man ergänzen - in dem seit dem Ende des 19. Jahrhunderts die soziale Basis der Standardsprache, also die Sprechergruppen, von denen sie verwendet wird, sich ausweitet, in dem die Standardsprache ,demotisiert' wird, in dem Maße läßt sich die strenge standardsprachliche Norm, die sich im 19. Jahrhundert im Bildungsbürgertum ausbildete und die dort ihre - auch sozialen - Funktionen erfüllte, nicht mehr aufrecht erhalten. Die Standardsprache' wird in den letzten 100 Jahren von einer Gruppensprache zu einer Volkssprache. Parallel dazu laufen die bekannten Prozesse innerhalb des Dialektes ab, die Bellmann als Abkehr vom Dialekt in der Sprachverwendung und als Abbau dialektaler Systeme, als Dialektverfall charakterisiert. Während der Abbau des Dialektes linguistisch als eine Variabilisierung des Dialekts zu erfassen ist, die eben zu dem Neuen Substandard überleitet, erfolgt die Abkehr vom Dialekt in der Sprachverwendung im Rahmen einer Entdiglossierung. Zu diesen beiden zentralen Phänomenen in den Bellmannschen Erörterungen nun einige Überlegungen. Der Abbau des Dialekts erfolgt nicht so, wie sich das mit dem Konzept des Wortersatzes arbeitende Dialektgeographen lange Zeit vorgestellt haben, daß ein Dialektphänomen x zu einem bestimmten Zeitpunkt t durch ein Nicht-Dialektphänomen y ersetzt wird. Bellmann geht davon aus, daß das Dialektphänomen x für eine gewisse Übergangszeit gemeinsam mit dem Standardphänomen y in der Sprachgemeinschaft und beim Einzelsprecher vorhanden ist. Ja, es kommt sogar häufig vor, daß sich eine Reihe von weniger dialektalen Übergangsphänomenen x',
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x", x'" bilden, die dann zusammen mit x und y einen Variantensatz eines Sprachphänomens, also eine Variable, bilden. Daher spricht er von ,Varjabilisierung'. Eine Substitution erfolgt erst in einem späteren Stadium, in dem die Varianten aufgegeben werden und nur noch die y-Variante übrig bleibt. Bellmann folgt hier den Überlegungen Labovs, der die Variablenregel ebenfalls als eine Beschreibung eines variabel ablaufenden Sprachwandelprozesses auffaßt. Aber Bellmann zeigt auch, daß Rücknahme von Variabilität, ein Auf-der-Stelle-Treten eines variablen Prozesses und ein Endstadium, das nicht mit der Standardsprache übereinstimmt, möglich sind. Diesen letzten Prozeß sieht er als Grundlage für die von seinen Schülern und ihm beobachtete Stabilisierung eines Neuen Substandards. Die Variabilisierung verläuft bei Bellmann, wie auch bei Labov, situationsspezifisch. Die einzelnen Übergangsvarianten x', x" bilden „. . . eine geordnete Skala von Varianten, die je ein situatives Merkmal ausweisen und im allgemeinen situationsadäquat verwendet werden" (Bellmann 1985, 213). Hier wäre einmal zu ergänzen, daß derartige Interimsvarianten innerhalb einer lokalen Sprachgemeinschaft natürlich auch oft soziale Merkmale aufweisen, das heißt, innerhalb der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen im Dorf unterschiedlich verwendet werden. Wenn wir uns jedoch auf einen einzelnen Sprecher konzentrieren, wie Bellmann das hier tut, dann ergeben sich mit der Situationsspezifität zwei Probleme. Einmal ist der Begriff der Situation in diesem Zusammenhang nur schwer zu fassen. Was ist eine sprachrelevante Situation, und wodurch wird eine Situation dazu? Hier führt ein pauschaler Verweis auf die Dichotomie zwischen öffentlicher und privater Situation sicherlich nur in Ansätzen weiter. Zum anderen muß wohl auch die Situationsspezifik der einzelnen Varianten differenziert werden. Bei Bellmann hat es den Anschein, als ob die Variante x von den Sprechern in Situation 1 verwendet wird und die Variante x" in Situation 3, die Variante y schließlich in Situation n. So ist der Hinweis auf die Situationsspezifität von Bellmann aber sicher nicht gemeint worden. Nicht nur im Rahmen des Erp-Projektes, in dem ich mich mit diesem Problem beschäftigt habe (Mattheier 1980), konnte inzwischen gezeigt werden, daß nicht die einzelnen Varianten situationsspezifisch sind, sondern daß es eine situationstypische Verteilung innerhalb des jeweiligen Variantenspektrums gibt. In der Situation 1 finden wir die Variante x mit einer Wahrscheinlichkeit von sagen wir 20%, x' mit 80% und y mit 0%. In der Situation 2 liegt x mit 0%, x' mit 20% und y mit 80% vor. Die Variabilität liegt also nicht zwischen den einzelnen Situationen, sondern in dem für die jeweilige Situation typischen Variantenset. Die einzelnen Situationen sind variationslinguistisch da-
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Klaus J. Mattheier
d u r c h v o n e i n a n d e r abgehoben, d a ß ganze Serien von Variablen in jeweils situationsspezifischer Ausprägung implikativ e i n a n d e r zugeordnet sind. So sind, wie ich anderswo gezeigt habe, die drei Variablen des b-Lautes im ribuarischen Dorf Erp in folgender Weise implikativ geordnet. Tabelle 1 Prozentuale Anteile der Standardvariante im /b/-Bereich in privaten und öffentlichen Sprechsituationen bei 50 ortsgeborenen Sprechern aus Erftstadt-Erp, Rheinland: ling. Kontext
öffentliche Situation
private Situation
V - Va) V - # L - #
87.0 86.0 96.0
20,0 44,4 51,0
a) Anlautend besteht im untersuchten Dialekt kein Kontrast.
Diese Tabelle zeigt einmal, was schon oben angedeutet worden ist, d a ß die Situationen durch charakteristische Variantenverhältnisse bestimmt sind, die öffentliche Situation etwa intervokalisch d u r c h ein Ä/v-Verhältnis von 87:13 u n d die private durch das Verhältnis 20:80. Leider weist diese Variable n u r zwei Varianten auf. Labov hat aber ähnliche Ergebnisse bei vokalischen Variablen mit m e h r e r e n Varianten, die dieselben Muster zeigen. Weiterhin zeigt sich hier die e r w ä h n t e implikative O r d n u n g i n n e r h a l b der Variablen in der Weise, daß sie sich sogar im R a h m e n einer Sprachwandeltheorie so deuten läßt, daß hier der Liquida-Kontakt u n d die Wortgrenze im Gesamtersetzungsprozeß des dialektalen v/f d u r c h das standardsprachige b/p fördernd wirkt u n d der Vokalkontakt h e m m e n d . Übrigens weisen nicht nur solche, durch Kontexte konstituierte Variablenparadigmata implikative Ordn u n g auf, sondern auch verschiedene Laute. So wird etwa die (b)-Variable in allen Fällen eher u n d weitgehender ersetzt als die (g)-Variable (Mattheier 1980, 129). N u n zu d e m zweiten Prozeß, der nach Bellmann der Ausbildung des N e u e n Substandards zugrundeliegt: zur Entdiglossierung, durch die Bellmann die zu beobachtende A b k e h r vom Dialekt in der Sprachv e r w e n d u n g beschreibt. Ausgehend von einer schon von Zabrocki konstatierten weitgehenden Ü b e r e i n s t i m m u n g zwischen Dialektgemeinschaft u n d K o m m u n i k a t i o n s g e m e i n s c h a f t in der durch Dezentralität b e s t i m m t e n mittelalterlichen Gesellschaft stellt er ein Auseinanderfallen von K o m m u n i k a t i o n s g e m e i n s c h a f t u n d Dialektgemeinschaft im R a h m e n des seit dem späten Mittelalter einsetzenden gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses fest. Die K o m m u n i k a t i o n s g e m e i n s c h a f t e n
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Standardsprache
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transzendieren die Dialektgemeinschaften in Richtung auf andere Prestigevarietäten und später dann in Richtung auf die Standardsprache. Für eine gewisse Zeit bildet sich in der deutschen Sprachgemeinschaft eine Binnendiglossie. Diglossie wird dabei aufgefaßt als eine in einer Sprechergemeinschaft bestehende stabile Funktionsteilung zwischen zwei koexistierenden Varietäten/Sprachen, die alternativ verwendet werden. Voraussetzungen dafür, daß eine Diglossiesituation konstatiert werden kann, ist nach Bellmann einmal, daß ein situationskonformes Umschalten festgestellt werden kann, und zum anderen, daß eine eindeutige ,sprachlich-formale' Distanz zwischen den beiden Varietäten vorliegt. Durch diese Bestimmung wird der Diglossiebegriff, bei dem es sich ursprünglich um einen rein soziolinguistischen Begriff gehandelt hatte, mit linguistischem Inhalt aufgefüllt. Eine derart bestimmte Diglossie konstatiert Bellmann für die erste Zeit einer sich ausbildenden Standardsprechsprache, also insbesondere das 19. Jahrhundert. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wirken Dialektabbau und auch die Entstandardisierung in Richtung auf eine sprachlich-formale Annäherung der beiden, sich bis dahin in Diglossieverhältnis befindlichen Varietäten Dialekt und Standardsprechsprache. Dadurch geht eines der Definitionskriterien für die Diglossie verloren, so daß die Mehrheit der Sprecher nach der Meinung von Bellmann ihre praktische Kommunikation inventarmäßig in einem breiten Spektrum des mittleren Bereichs stattfinden läßt. Diesen Prozeß nennt Bellmann Entdiglossierung. Ich frage mich nun, ob es sinnvoll ist, den Diglossiebegriff so eng zu fassen, wie es Bellmann tut, und insbesondere ihn auch linguistisch festzulegen. Seine gute Brauchbarkeit zeigt dieser Terminus in erster Linie in der Soziolinguistik, nämlich durch die Bestimmung der situationsspezifischen Verwendung von zwei Varietäten. Dieselben Sprecher verwenden etwa in einer von ihnen als privat empfundenen Situation ihre dialektale Alltagssprache und in einer als öffentlich empfundenen Konstellation die Sprachform, die sie für Standardsprechsprache halten. Durch den bewußten Einsatz solcher Varietäten können die Sprecher sogar ihren Zuhörern signalisieren: jetzt empfinde ich die Situation als .privat' und jetzt als .öffentlich'. Die sprachlich-formale Distanz zwischen den beiden Varietäten spielt für den Sprecher/Hörer dabei in der Regel keine Rolle. Wenn es nun richtig wäre, daß wir derzeit in einer Entdiglossierungsphase lebten, dann müßte diese Möglichkeit, Sprechsituation durch Varietätenwahl zu stilisieren, verlorengegangen sein. Aber das ist nach allem, was mir aus Dialektregionen bekannt ist, nirgends der Fall. Überall ist die situationsspezifische und situationsstilisierende Verwendung von als durchaus unterschiedlich
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empfundenen Varietäten weiterhin festzustellen. Und das gilt übrigens durchaus auch für Österreich. Ich kann deshalb auch Reiffensteins (1977, 177) These von der fehlenden Diglossie in Österreich nicht zustimmen. Daß die Varietäten, wenn sie von Linguisten beschrieben werden,,objektiv' einander angenähert sind und manchmal nur geringe sprachlich-formale Distanz aufweisen, soll dabei nicht bezweifelt werden. Insofern ist der These von der Ausbildung eines ,Neuen Substandards' ohne Einschränkungen zuzustimmen. Nur tritt dieser neue Substandard uneingeschränkt an die Stelle des alten Dialekts, soweit es sich um das soziolinguistische Funktionssystem handelt. Das bestätigt übrigens auch Bellmann, wenn er darauf hinweist, daß dieser Neue Substandard aus dem mittleren Bereich, etwa im Rahmen der Dialektrenaissance oder der Dialektwelle, durchaus als Dialekt erfahren wird, indem er die Sprachloyalität größerer Gruppen auf sich vereinigt. In der Analyse der Vorstellungen von Dialektabbau und Entdiglossierung, die sich bei Bellmann finden, zeigt sich ein zentrales Problem der wissenschaftlichen Strukturierung des Varietätenfeldes unterhalb des Standards, also des Bereichs, der hier ,Substandard' genannt wird: Die Befunde der linguistischen Untersuchung des sprachlichen Charakters der Varietäten und die der soziolinguistischen Analyse von Bedingungsgefüge und Funktionsweise der Varietäten fallen auseinander. Linguistisch finden wir ein variables Kontinuum von Dialektalität bis zur Standardsprachigkeit ohne klare Schichtungen und Einschnitte, und soziolinguistisch stellen wir fest, daß die Sprecher/Hörer sich bei ihren Sprachverwendungshandlungen von klaren Vorstellungen deutlich getrennter Varietäten leiten lassen. Ich habe versucht, diesen Fragen in Mattheier (1987) ein Stück weit nachzugehen und zu zeigen, daß hier zwei Ebenen zu unterscheiden sind. Einmal folgen die Sprecher im Rahmen ihrer gesellschaftlichen Möglichkeiten und gemäß der von ihnen angenommenen Situationskonstellation verhältnismäßig klaren Vorstellungen von der Varietät, die für eben eine solche Situation die angemessene ist. In einer normalen Diglossie-Konstellation folgen sie situationsspezifisch zwei Zielnormen, der dialektalen und der standardsprechsprachigen, in komplexeren Regionalkonstellationen mit einer großregionalen Leitnorm, etwa einer nahegelegenen Stadt, auch drei solcher Zielnormen. Und die Hörer ordnen in gleicher Weise zielnormengesteuert in ihrer Wahrnehmung das Gehörte der Varietät zu, die sie für die jeweilige Situation erwarten. Daß die Sprachwissenschaftler dann trotzdem bei der Analyse der Sprechprodukte keine klar abgrenzbaren Varietäten, sondern ein Sprachkontinuum beschreiben, hatte ich in Mattheier (1987) als Performanzerscheinung zu erklären versucht, ausgelöst durch vielfältige Interferenzen. Ich möchte im folgenden der
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Vorstellung von einer den Sprachgebrauch leitenden Zielnorm noch etwas weiter nachgehen und fragen, ob nicht schon in einer solchen Zielnorm Ansatzpunkte für eine Variabilisierung des Sprachgebrauchs zu finden sind. Wenn man bei den Überlegungen zu einem Modell des Sprachwissens in Mehrvarietätengesellschaften davon ausgeht, daß die Sprecher in solchen Sprachgemeinschaften von bestimmten, von ihnen für situationsadäquat gehaltenen sprachlichen Zielvorstellungen, sogenannten Ziel- oder Leitnormen, ausgehen, dann stellt sich die zentrale Frage nach dem Verhältnis zwischen den individuellen sprachlichen Zielnorm-Vorstellungen und den in der Gesamtgesellschaft funktionierenden Normen vergesellschafteten Sprachwissens. Hier führen Überlegungen in Richtung auf Vereinigungs- bzw. Durchschnittsmengen individueller Sprachkompetenzen, die die Diskussionen in den 60er und 70er Jahren beherrschten, nicht weiter. Eher schon die Frage nach dem Erwerb dieser Vorstellungen von den angemessenen Sprachformen. Sprachwissen wird in erster Linie durch Spracherfahrung in dem jeweils vorliegenden sozio-situativen Lebensraum angesammelt. Hinzu tritt für bestimmte Teilbereiche des Sprachwissens auch der Sprachunterricht, in dialektgeprägten Dörfern beschränkt dieser sich auf den Ausbau des Sprachwissens in Richtung auf die Standardsprache. Beide Prozesse sind gruppenspezifisch, d. h. die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen innerhalb einer Sprachgemeinschaft lernen - gemäß der für diese Gruppen spezifischen Kommunikationsbedürfnisse - immer nur einen speziellen Ausschnitt aus dem Sprachvarietätenspektrum der jeweiligen Sprachgemeinschaft. Dadurch ist das Sprachwissen zugleich ein individuelles und ein soziales Phänomen. Wir können dieses gesellschaftlich rückgebundene Sprachwissen, das zur Zielnorm wird, durchaus im Coseriuschen Sinne als .Sprachnorm' bezeichnen, als eine soziale Tradition des Sprechens (Coseriu 1970). Die Norm ist, wie Ezawa sie erläutert, eine Form des Sprachwissens, „auf die sich die Sprecher und Hörer einer Sprachgemeinschaft regelmäßig beziehen, um die Variabilität und Konstanz, die Erinnerungsmöglichkeit und Traditionalität des Sprechens in einer Sprache wahrnehmen zu können" (Ezawa 1985, 62). Eine solche Norm als Modell des situationsangemessenen Sprechens kann natürlich auch Gegenstand des Interesses und der Beschreibung sein. Insofern wird die Sprachnorm auch ein Kulturobjekt, das sich außerhalb des Sprachwissens und seines Funktionsfeldes in der sozialen Kommunikation zu Grammatiken, Wörterbüchern und Stillehren verdinglicht. Wie konkretisiert sich nun die Norm bzw. das Normenspektrum einer Sprachgemeinschaft im Sprach wissen des Einzelnen? Konkret auf
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die Sprachgemeinschaft bezogen, in der ich selbst derartige Untersuchungen durchgeführt habe: Welches und ein wie geartetes Sprachwissen ist bei den untersuchten Sprechern des Dorfes Erftstadt-Erp im Rheinland für die beiden untersuchten Situationen, die private und die öffentliche Sprechsituation, als das von ihnen als angemessen angenommene anzusetzen? Ganz allgemein kann man sagen: Der Sprecher wird als Zielnorm für eine Situation dasjenige Sprachwissen ansetzen, von dem er aufgrund seiner bisherigen Spracherfahrungen annehmen kann, daß es ,angemessen' ist. Die Angemessenheit wird sich in zweierlei Weise zeigen. Einmal wird der Sprecher ,erfolgreich' kommuniziert haben, d. h. die ihm wichtig erscheinenden kommunikativen Ziele erreicht haben. Eine Varietät als Zielnorm, mit der er sich etwa gar nicht verständlich machen konnte, wird er sogleich verwerfen. Es ist jedoch anzunehmen, daß für die richtige Wahl der Zielnorm neben der kommunikativen Angemessenheit eine wichtigere Rolle die gesellschaftliche Angemessenheit spielt. Selbst wenn ein Sprecher mit einer nicht ganz richtig gewählten Sprachlage sein Kommunikationsziel vordergründig erreicht, kann die Kommunikation sozial mißlingen, wenn er beim Hörer ,aneckt', wenn der Hörer zwar verstanden hat, aber über die Wahl des Sprachstils erstaunt, verärgert oder gar empört ist. Durch die Ausweitung des Blickfeldes auf die Beziehung zwischen dem Sprecher, der eine angemessene Zielnorm für eine Sprechsituation sucht, und dem Hörer, der die Angemessenheit der Wahl durch seine Reaktion bestätigt oder in Frage stellt, haben wir ein weiteres soziales Moment in die Überlegungen eingeführt. Denn die Beziehungen zwischen Sprecher und Hörer, die hier angesprochen sind, werden durch eben die Sprachnorm als in der Gruppe vorliegenden Norm strukturiert. Die Entscheidung über die Normangemessenheit einer Sequenz gehört ebenso zum Sprachwissen und zur Sprachnorm wie die Entscheidung über die Wahl einer situationsadäquaten Varietät. Doch haben wir es hier - und das ist, wie ich glaube, für die innere Variabilität von Sprachnormen sehr wichtig - nicht mit einer 1:1-Beziehung zu tun. Mit einer Beschreibung der Sprachgebrauchsnormen bei der aktiven Sprachverwendung hat man nicht zugleich auch die Sprachakzeptanznormen beim passiven Hörer bestimmt. Aus dem Auseinanderfallen dieser beiden Bereiche ergibt sich ein wichtiger und wohl bisher noch zu wenig beachteter Bereich von Variabilität, der nicht erst in den sprachlichen Äußerungen auftritt, sondern schon auf eine gewisse Vagheit der Vorstellungen von der sprachlichen Angemessenheit zurückzuführen ist. Das Phänomen, das hier von erheblicher Bedeutung ist, möchte ich vorerst einmal,Normtoleranz' nennen. Die Normtoleranz ist der Grad
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der Stringenz, mit der bestimmte, als angemessen angesehene Sprachnormen sozial durch Sanktionen verschiedenster Art eingefordert werden. Geringe Normtoleranz liegt vor, wenn schon die kleinste Abweichung von dem gewählten Sprachstil den Hörer zu Stirnrunzeln, zu Rückfragen oder zu erstaunten Bemerkungen über Herkunft oder Kinderstube des Sprechers veranlassen. Größte Normtoleranz liegt dann vor, wenn ein Hörer in bestimmten Situationen überhaupt nicht auf irgendwelche Varietäten- oder Stilmarker des Sprechers reagiert. Schon oberflächliche Erfahrungen mit den Sprachverhältnissen in Mehrvarietäten-Sprachgemeinschaften zeigen, daß die Normtoleranz keineswegs eine für die Gemeinschaft einheitliche Größe ist. Zumindest in dreierlei Hinsicht lassen sich Differenzen in der Normtoleranz feststellen. Einmal ist die Normtoleranz gruppenspezifisch. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, daß Frauen bestimmter gesellschaftlicher Schichten hinsichtlich der Standardvarietät eine sehr geringe Normtoleranz haben. Und besonders die älteren Leute in kleinen Dörfern zeigen oft eine sehr geringe Normentoleranz bzgl. des richtigen Ortsdialekts; schon kleine Abweichungen der Folgegenerationen veranlassen sie zu der Feststellung, daß ,die den richtigen Dialekt ja schon nicht mehr können'. Zweitens ist die Normtoleranz situationsspezifisch. Grundsätzlich kann man hier sagen, daß private, informelle Lebenssituationen größere Normentoleranz aufweisen als formelle, öffentliche Situationen. Aber auch innerhalb des großen Komplexes der privaten Lebenssituationen gibt es Teilsituationen, in denen eine geringere Normentoleranz vorliegt. Zu denken ist hier etwa an ein Gespräch über den Dialekt selbst. Drittens ist die Normtoleranz varietätenspezifisch. Zumindest in den hier untersuchten Fällen, in denen sich das Varietätenspektrum in einem Dorf unter dem Einfluß der Standardsprache langsam in Richtung auf diese Standardsprache wandelt, kann man davon ausgehen, daß die Normtoleranz bzgl. des Dialekts größer ist als die Normtoleranz bzgl. der Standardsprache. Fragen wir nun, welche Auswirkungen die Differenzen in der Normtoleranz auf das Verhältnis zwischen Dialekt und Standardsprache und seine Veränderungsdynamik hat. Tendenziell kann man davon ausgehen, daß in Ortsgemeinschaften vom Typ Erftstadt/Erps in privaten, alltäglichen Kommunikationssituationen, die im Erp-Projekt durch ein Gespräch unter Bekannten simuliert worden sind, eine große Normtoleranz vorliegt. Dafür, daß der Hörer eine vom Sprecher situationsspezifisch gewählte Sprachlage als ,angemessen' akzeptiert, muß nicht unbedingt der tiefe Ortsdialekt realisiert sein. Es gibt eine erhebliche Variationsbreite des voll Akzeptablen. Hinzu kommen noch Sprach-
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Varianten, die, wenn sie verwendet werden, zwar beim Hörer ein Aufmerken hervorrufen, jedoch noch konzediert werden, d. h. keine direkten Rückmeldungen auslösen und daher auch nicht als Sprachkorrektiv wirken können. Erst wenn diese Grenze überschritten ist und Varianten auftreten, die der Hörer nicht mehr als situations- oder personenadäquat akzeptieren kann, ist die Normtoleranz erschöpft. In dem in Erp aufgezeichneten Alltagsgespräch ist das einige Male vorgekommen. Das zeigte sich daran, daß der Hörer fragte: ,Sag mal, was sprichst du heute vornehm'. Mit solchen Ausdrücken wie ,vornehm sprechen' oder ,hochdeutsch sprechen' wird eine Überschreitung des dialektalen Alltagssprachstils in Richtung auf die Standardsprache normalerweise vermerkt. Die umgekehrte Erscheinung, eine Überschreitung der Normtoleranz der situationsadäquaten Hochsprache in Richtung auf den Dialekt, wird bemerkt mit Ausdrücken wie ,Hochdeutsch mit Streifen/Knollen sprechen'. Für die Überlegungen zur Beschreibung und theoretischen Modellierung der Sprachvariabilität hat diese Normtoleranz der Alltagssprache zur Folge, daß das Variantenpotential der Alltagssprache auch im Sprachwissen erheblich ist. Wenn man davon ausgeht, daß die Reaktion des Hörers als Korrektiv für die Ausbildung einer situationsadäquaten Sprachkompetenz ein entscheidender Faktor ist, kann man erwarten, daß in den untersuchten Konstellationen neben der genuinen dialektalen Sprachvariante auch noch weitere Varianten, die entweder im Übergangsbereich zur Standardsprache angesiedelt sind oder Eigenentwicklungen eines regionalen Substandards sind, ebenfalls als akzeptable Zielnorm angesehen werden, und zwar vom Hörer und auch vom Sprecher selbst. Wie soll dieses Phänomen nun mit den Vorstellungen von einer sprachlichen Leit- oder Zielnorm im Sprachwissen in Übereinstimmung gebracht werden? Eine solche Zielnorm stellt im Sinne des Coseriuschen Normbegriffs eine funktionale Sprache dar, die durch ein System von kategorischen Sprachregeln gekennzeichnet ist. Auch wenn ein derartiges funktionales System in bestimmten Teilbereichen nur selten oder nie verwendet wird, kann es doch leicht aus dem Sprachwissen ergänzt werden. Das zeigt sich etwa, wenn man von Dialektsprechern auf die Frage nach einer bestimmten, selten vorkommenden Verbform die Antwort erhält: ,Das sage ich zwar nie, aber das müßte so und so heißen'. Dabei hat der Sprecher sein durch Spracherfahrung erworbenes Wissen über seinen Dialekt im Sinne der Möglichkeiten des funktionalen Systems extrapoliert. Aufgrund der Überlegungen zur Normtoleranz und der Strukturierung des Sprachwissens über die korrigierenden Hörerrückmeldungen müssen wir diese Annahmen
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über die Zielnorm als funktionales System revidieren. Wir müssen davon ausgehen, daß die Zielnormen, etwa in dem hier diskutierten Fall der Ortssprache von Erftstadt/Erp, in der Alltagssprache neben den kategorischen Dialektregeln auch noch weitere Regeln enthalten, die zwar ebenfalls kategorisch sind, d. h. nicht variabel, die aber mit den Dialektregeln konkurrieren. Das widerspricht in einem zentralen Bereich den Vorstellungen, die wir im Rahmen des Strukturalismus mit dem Systembegriff verbinden und bei denen es gerade darauf ankommt, daß jede Systemstelle eindeutig durch ein Sprachelement gefüllt ist. Andererseits ermöglicht eine solche Annahme, wenigstens teilweise ein Phänomen zu erklären, das seit der Mitte der 60er Jahre und den Forschungen von William Labov aus der Sprachtheorie nicht mehr wegzudiskutieren ist: die Variabilität der beobachtbaren Sprache. Ein sprachliches Element, das von einem Sprecher in einer bestimmten Situation zu 60 Prozent als dialektales und zu 40 Prozent als standardsprachiges realisiert wird, ließe sich durch die Annahme von konkurrierenden kategorischen Regeln als das Ergebnis der Interferenz zwischen beiden Regeln in der gegebenen Situation auffassen. Und wenn sich in ähnlichen Situationen beim selben und bei vergleichbaren Sprechern immer wieder ein ähnliches Verhältnis zwischen dem Dialekt und der Standardform zeigt, dann kann das vorliegende Ausmaß an Interferenz zwischen den beiden konkurrierenden Regeln als typisch für die Sprache gerade dieser Situation angesehen werden. Für das Ausmaß, in dem eine Interferenz noch als akzeptabel angesehen wird, spielt der Grad der Normentoleranz in der jeweils gegebenen Situation eine zentrale Rolle. Für den einzelnen Sprecher ist in der jeweiligen Sprechsequenz, in der er an eine Stelle kommt, an der in seinem Sprachwissen zwei konkurrierende kategorische Regeln vorliegen, die Wahl durch die angemessene Norm vorgegeben. Aber die Normtoleranz ermöglicht bis zu einem gewissen Grade auch die Wahl der anderen Varianten. Diese Wahl erfolgt natürlich nicht in jedem Einzelfall als ein bewußter Akt, sondern routiniert. Welche Faktoren hier eine Rolle spielen, darüber kann noch nicht viel ausgesagt werden. Sicherlich wird hier das seit zwei Jahrzehnten immer wieder beobachtete Phänomen der Implikabilität von paradigmatisch oder syntagmatisch verbundenen Systemelementen zu berücksichtigen sein. Für die hier anzustellenden Überlegungen ist es in erster Linie wichtig, daß die sprachliche Zielnorm, die dem Sprecher in einer bestimmten Situation als angemessen vorschwebt, zwar immer ein funktionales System mit kategorischen Regeln darstellt. Wegen der Normtoleranz muß man jedoch davon ausgehen, daß daneben noch konkurrierende kategorische Regeln existieren, deren Anwendung in einem bestimmten Umfang nicht vom Hörer als Zielnormverstoß vermerkt wird.
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Diese Annahmen, die bisher für die alltägliche Sprachsituation formuliert worden sind, lassen sich weitgehend auf die öffentliche Sprachsituation übertragen. In der öffentlichen Sprachsituation, die im ErpProjekt durch ein Interview über die berufliche Position simuliert wurde, strebt der Sprecher im Rheinland in der Regel die Zielnorm .Standardsprache' an. Dabei ist zu berücksichtigen, daß hier natürlich nicht die Dudenlautnorm der Standardsprache gemeint ist, sondern eine noch näher zu beschreibende westmitteldeutsche Variante der gemäßigten Hochlautung, die etwa u. a. die mitteldeutsche Spirans-Aussprache von [g] enthält. Durch die Normtoleranz ist diese Zielnorm in Richtung auf den Dialekt bzw. einen regionalen Substandard geöffnet. Bis zu einem gewissen Grade können Elemente aus diesen Varietäten in der Zielsprache für öffentliche Situationen auftreten, ohne vom Hörer als inadäquat vermerkt und korrigiert zu werden. Nur ist das Spektrum der Normtoleranz insgesamt erheblich enger als in der Alltagssprache. Das ist durch die überlagernde Sprachwertstruktur und auch die Sprachwandeltendenz zu erklären. Standardsprache wird in unserer Gesellschaft, speziell in öffentlichen Situationen, hoch gewertet. Auch wird die Standardsprache in der Regel nicht als Muttersprache, sondern als zweite Varietät erlernt und steht den Sprechern daher eher als ein regelgeleitetes Sprachsystem im Bewußtsein. Welche Implikationen haben nun diese Überlegungen für die Beschreibung der Beziehungen zwischen Dialekt und Standardsprache in einer sich modernisierenden und urbanisierenden Sprachgemeinschaft, so wie wir sie im mittleren Rheinland ebenso wie im nördlichen Teil vorliegen haben? Einmal zeigt die Ungleichheit der Normtoleranz in privaten und in öffentlichen Situationen die allgemeine Tendenz der Entwicklung an. Je größer die Normtoleranz ist, desto schneller werden regional- bzw. standardsprachige Elemente in den Dialekt eindringen und ihn umgestalten. Dann ist es nur noch ein Schritt zur Isolierung tiefer Dialektismen, die ihrerseits auf der anderen Seite aus dem Spektrum der Normtoleranz herausfallen, indem man sie als tiefen groben Bauerndialekt indiziert oder als altertümliche Sprache belächelt. Die von Herrgen und Schmidt beschriebene Vokalzentralisierung in Mertesdorf ist offensichtlich genau in dieser Position (Herrgen/Schmidt 1986). Aber auch die Sozialgruppen- und Situationsabhängigkeit der Normtoleranz spielt in diesem Dialektabbauprozeß eine Rolle, auf die hier jedoch nicht mehr eingegangen zu werden braucht. Das derzeit in vielen Regionen des deutschen Sprachraum vorfindbare Zwischenergebnis dieses dialektalen Abbauprozesses ist, das hat Bellmann gezeigt, charakterisiert durch umfangreiche innersprachliche Variabilität, die wahrscheinlich mit einer Ausweitung der Normento-
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leranz in einer Phase des gesellschaftlichen Umbruchs in Verbindung steht. Ob dieser Prozeß irgendwo im Zwischenbereich zwischen Dialekt und Standardsprache fossiliert und eigenständige Systemzusammenhänge ausbildet, wie das die Forschungsergebnisse der Bellmann-Gruppe (Bellmann Hg. 1986) andeuten, wird abzuwarten sein.
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Semplificazione linguistica e varietà sub-standard Gaetano Berruto (Zürich)
0. Premessa L'esistenza di fenomeni di semplificazione linguistica manifestantisi principalmente in situazioni di contatto e mescolanza di lingue ha una lunga cittadinanza nella linguistica moderna. Dai primi lavori di pidginistica e creolistica di uno Schuchardt e di un Hesseling (cfr. Meijer/Muysken 1977) e dalle osservazioni generali che si trovano già per es. in von der Gabelentz (1891)1, ai lavori di R. Hall jr. fino a quelli di P. Mühlhäusler, la nozione di semplificazione ha avuto un ruolo importante negli studi su pidgin e creoli. Più recentemente, la nozione è stata ripresa e utilizzata, in un più ampio contesto cognitivo, anche nel quadro degli studi sull'apprendimento di L2 in situazioni naturali (v. per es. Giacalone Ramat 1986a). Nonostante l'ampio ricorso che si è fatto al concetto di semplificazione linguistica, intesa fondamentalmente in termini di riduzione (delle ridondanze) della grammatica2, gli autori che pur hanno utilizzato la nozione non sempre sono concordi sulla sua reale portata3; e d'altra 1
La tendenza al risparmio di energie, alla chiarezza e alla comodità (Kraftersparnis, Deutlichkeit, Bequemlichkeit) fa spesso sì che „so wird die Sprache in ihrem Äusserem ärmlicher. Das wäre an sich eher ein Gewinn, als ein Fehler. Denn die Sprache ist ein Mittel, und unter den verschiedenen Mitteln, die zum Zwecke führen, ist in der Regel das einfachste das beste" : così per es. von der Gabelentz (1891, 212), con un funzionalismo che oggi a molti parrà eccessivo, ma che coglie per certi aspetti nel segno. 2 Così per es. Hall (1966, xii): "for a language to be a true pidgin, two conditions must be met: its grammatical structure and its vocabulary must be sharply reduced"; DeCamp (1971, 15): "a pidgin [...] is characterized by a limited vocabulary, an elimination of many grammatical devices such as number and gender, and a drastic reduction of redundant features"; LePage (1977, 230): semplificazione coincide con "reduction of redundancy"; per finire con Mühlhäusler (1974, 73): "simplification [. ..] is taken to imply an increase in regularity", e (1986, 266) "refers to the form of the rules [...] indicating optimalization of the existing rules and the development of regularities for formerly irregular aspects". (E si noti che già von der Gabelentz 1891 vedeva la semplificazione come frutto dell'analogia, che elimina le irregolarità). 3 Per limitarci a un paio degli autori già citati (cfr. nota 2): DeCamp (1971, 15)
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parte è tutt'altro che chiarito che cosa effettivamente si debba intendere per semplificazione, talché a ragione Ferguson (1982, 58) può chiosare che "the notions of 'simplicity' and 'simplification' are among the most elusive concepts used in the characterization of language"4. Va detto a questo proposito che a tale ritegno nel parlare di semplificazione linguistica non è estranea una sorta di petizione di principio a cui i linguisti tengono molto. Si tratta dell'assioma strutturalistico secondo cui tutte le lingue (o, più fortemente, tutte le varietà di lingua) sono di eguale complessità, di equivalente grado di elaborazione strutturale, pur nella diversità delle strutture in cui si estrinsecano. Tale postulato dell'equipollenza, che discende direttamente dall'ipotesi della relatività linguistica, e secondo cui non v'è lingua che non abbia i mezzi adatti ad esprimere il mondo a cui fa riferimento, non fa altro che mettere in luce il fatto che tutte le lingue, in fondo, condividono le proprietà dell'esser lingua, e possiedono dunque in egual misura tutte le caratteristiche che tale proprietà comporta. Come tale, questo assioma è un truismo. D'altra parte, la descrizione linguistica mostra innegabilmente che paradigmi e strutture di lingue diverse o di varietà diverse della stessa lingua possono mostrare gradi assai diversi di complessità, senza che queste differenze nell'elaborazione di questo o quel settore del sistema linguistico mettano nullamente in crisi i principi strutturali fondamentali di una lingua. Inoltre, l'assioma dell'equipollenza delle varietà di lingua è stato almeno parzialmente contestato dalla stessa sociolinguistica, che ha messo in primo piano, in certe sue direzioni di ricerca, l'inuguaglianza linguistica, sottolineando che occorre distinguere chiaramente fra uguaglianza delle lingue, in quanto sistemi, e uguaglianza dei parlanti, in quanto utenti delle lingue. Se tutte le lingue sono uguali in termini di principi strutturali interni e di mezzi atti ad esprimere i contenuti rilevanti per le comunità di parlanti che le utilizzano, è altrettanto chiaro che i parlanti possono ben essere disuguali, perché: a) possiedono varietà diverse della stessa lingua; b) hanno competenze diverse della stessa varietà (cfr. Hudson 1980, 191-230). sottolinea che "it is now considered debatable whether the less-redundant pidgin is simpler or more complex than the standard language", e LePage (1977, 231) osserva che "'simplification' is very difficult to define, though each of us feels that he knows how to speak simply". 4 La distinzione terminologica fra semplicità e semplificazione può essere utilmente usata per indicare col secondo termine il processo, o il fatto dinamico, e col primo il risultato di questo processo, o il fatto statico.
Semplificazione linguistica e varietà sub-standard
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E la collocazione delle diverse varietà all'interno del repertorio verbale di una certa comunità è tutt'altro che egualitaria e neutra, ma al contrario è fortemente differenziata in termini di prestigio, atteggiamenti, norme e valori connessi, talché lo status delle varietà e la loro 'potenza' risultano in effetti culturalmente determinati (cfr. Hymes 1966).
Si comprende bene, quindi, perché molti linguisti sentano qualche disagio a operare con la nozione di semplificazione, che sembra introdurre una disuguaglianza strutturale e indurre a vedere le varietà semplificate come varietà inferiori, 'lingue non a pieno titolo'. In realtà, come cercheremo in parte di argomentare, tale cautela non ha ragion d'essere, e la nozione di semplificazione, lungi dal coinvolgere il linguista in indesiderabili assunzioni di valore, può risultare un utile strumento descrittivo e consentire osservazioni interessanti sulla struttura delle lingue, viste nell'ottica funzionale di strumenti di comunicazione interumana. Nel presente contributo si cercherà da un lato di contribuire ad una migliore fondazione teorica della nozione di semplificazione linguistica, e dall'altro di sostenere la tesi che una considerazione in termini di semplificazione (o meglio lungo l'asse semplificazione *— complicazione) è applicabile con un certo profitto non solo ai fenomeni di contatto, mescolanza e emergenza linguistica o ai casi di voluta essenzializzazione del messaggio linguistico, ma anche almeno in parte all'analisi del continuum di varietà native di una lingua, e in particolare alle differenziazioni fra varietà standard e varietà sub-standard.
1. La n o z i o n e di s e m p l i f i c a z i o n e Anzitutto, va detto che non sono state sinora formulate definizioni globali esplicite e convincenti della nozione di semplificazione linguistica5, e d'altra parte il concetto di semplificazione come 'riduzione e regolarizzazione della grammatica' corrente negli studi di pidginistica pare riduttivo. Anche se omnis definitio periculosa, e senza voler pretendere di fornire ex abrupto la 'vera' definizione, ci sembra utile muovere da una definizione nostra di semplificazione. Per semplificazione 5
Lo stesso Meisel (1977; 1986), che è fra gli autori che, nell'ambito degli studi sull'apprendimento di L2 in contesto naturale, più hanno contribuito alla chiarificazione della nozione, oscilla fra più concezioni, e non fornisce una definizione comprensiva della semplificazione. D'altra parte, semplificazione/semplicità è anche un concetto intuitivo, e come tale può ben essere (stato) usato spesso senza intenzione tecnica.
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linguistica, proponiamo di intendere il processo secondo cui a un elemento, forma o struttura X di una certa lingua o varietà di lingua si sostituisce/contrappone/paragona un corrispondente elemento, forma o struttura Y della stessa lingua o varietà di lingua o di un'altra lingua o varietà di lingua, tale che Y sia di più immediata processabilità, cioè più facile, più agevole, meno complesso, meno faticoso, meno impegnativo cognitivamente ecc. a qualche livello per l'utente (cfr. Hymes 1971, 73). Da questa definizione discendono numerosi corollari, di cui mi limito qui a esplicitare quelli che mi paiono più importanti in via preliminare. Va da sé, anzitutto, che la formulazione fornita implica un aggancio extralinguistico assai forte della natura delle strutture linguistiche: la nozione di semplificazione riguarda sempre il rapporto fra sistema linguistico e utente (questo assunto funzionalistico non implica che chi scrive neghi l'importanza di guardare alla lingua come mero strumento del pensiero: si intende semplicemente difendere la legittimità di studiare anche gli aspetti del comportamento verbale e delle strutture linguistiche che dipendono dal parlante e da che cosa questi fa con la lingua). In secondo luogo, è evidente il carattere descrittivo, e non esplicativo, della nozione di semplificazione (cfr. Traugott 1973; Corder 1977). Non si intende affermare che alla struttura X per es. si sostituisca la struttura Y p e r c h é più semplice, bensì si sostiene semplicemente che date due strutture corrispondenti X e Y, una delle due può esser detta più semplice (o più complessa). Naturalmente, tale impostazione generale (di cui è evidente la parentela con i noti charges to language di Slobin 1977) implica una criteriologia particolare, che stabilisca in base a che cosa e con quali evidenze si può dire che Y sia più semplice di X (v. oltre). Parimenti, risulta chiaro il valore relativo, e non assoluto, della nozione, che va sempre riferita al confronto fra elementi o strutture (o parti della lingua, cioè microsistemi), della stessa lingua o di lingue diverse, disponentisi lungo una scala continua di maggiore/minore complessità (o minore/maggiore semplicità). La formulazione che abbiamo adottato vuole poi evitare (anche se non lo esclude, ovviamente) che si guardi a fenomeni di semplificazione come a principi o cause del mutamento linguistico: spesso abbiamo fatti di mutamento che sono fenomeni semplificativi, cioè abbiamo che a X si s o s t i t u i s c e un più semplice Y (e dove è forte la tentazione di dire 'perché' più semplice: ma su alcuni aspetti della fallacia esplicativa del funzionalismo, cfr. Lass 1980), ma la nozione di semplificazione non dovrebbe implicare che vi sia una tale sostituzione diretta: noi possiamo c o n t r a p p o r r e in sincronia un X e un Y più semplice, possiamo c o n f r o n t a r e fra loro un X e un Y di diverse lingue per giudicarne la semplicità relativa, ecc.
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Così definita, la nozione di semplificazione è in sovrapposizione più o meno forte con alcuni concetti utilizzati di frequente nella recente teoria linguistica. Una prima area di sovrapposizione si ha con la nozione di funzionalità (su cui cfr. Giacalone Ramat 1986b e soprattutto Dik 1986). Questa è a sua volta una nozione ampiamente polisemica: è chiaro comunque che i sensi di 'economia', regolarizzazione, ottimizzazione (tendenza ad avere un buon - o 'il migliore' - equilibrio tra funzioni semantico-sintattiche e mezzi per esprimerle) in cui spesso è esplicitato il contenuto di 'funzionalità' si ricoprono in buona parte con il senso di semplificazione com'è stato presentato qui. Con un'importante differenza, tuttavia: mentre la nozione di funzionalità tende inevitabilmente ad assumere connotazioni teleologiche6, la nozione di semplificazione non è teleologica. Assumere che le lingue tendano a diventare più semplici, come si potrebbe esser tentati di fare, va incontro ad almeno due grosse obiezioni. L'una di carattere teorico, vale a dire che l'eventuale tendenza ad una sempre maggiore semplicità trova il suo ostacolo nella necessità che la lingua possieda e fornisca sempre i mezzi indispensabili alla manifestazione dei contenuti della comunità sociale che l'utilizza; poiché la tendenza (attuale) è piuttosto verso un costante aumento di complessità delle culture e dei sistemi sociali, v'è anzi da aspettarsi che un orientamento teleologico, in questa prospettiva, condurrebbe piuttosto ad una complessificazione del sistema linguistico. L'altra di carattere empirico, vale a dire che un eventuale fatto di semplificazione che agisca all'interno di un determinato microsistema in una (varietà di) lingua può portare alla complicazione in un altro microsistema della (varietà di) lingua (sono numerosi gli esempi di semplificazione paradigmatica che porta ad un aggravio sintagmatico; o viceversa; cfr. Muhlhàusler 1974, 97-109). Più in generale, la semplificazione non è che uno dei processi che agiscono nel mutamento linguistico e nel rapporto fra lingue e varietà di lingua, e spesso la sua manifestazione è secondaria rispetto a quelle della ristrutturazione e dell'interferenza o trasferenza.
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Non vorrei entrare qui in un ginepraio di problemi molto dibattuti, tanto più che sembrerà già sin troppo presuntuoso il fatto che io osi esprimere in questo paragrafo in maniera forzatamente apodittica e sotto forma di postulati (che richiederebbero a vero dire ciascuno ricerca specifica e l'apporto di consistenti dati empirici) il modo in cui mi sembra si possano porre i rapporti fra la semplificazione linguistica e nozioni vicine. Cfr. comunque, sul dibattito funzionalismo/teleologismo/esplicazione linguistica, almeno Lass (1980), Giacalone Ramat (1980; 1986b, 333-334, 341-343), Uguzzoni (1983).
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Una seconda importante area di sovrapposizione si ha con la nozione di marcatezza7: è forte la tentazione di equiparare più semplice con meno marcato, e semplice con non marcato. Così, per es., Mùhlhàusler (1980, 21): "simplification means that a language is made either more regular or less marked" (e, per una prima discussione empirica, Muhlhàusler 1974, 76-84). Certamente, molti dei casi che secondo la nostra definizione sono fatti di semplificazione coincidono con una minore marcatezza. La parziale contraddittorietà dei termini in cui talora la maggiore o minore marcatezza possono essere definite impone tuttavia di essere cauti nell'intendere semplificazione come minore marcatezza: un plurale come uova è certamente meno semplice di un plurale * uovi, ma a seconda della definizione di marcatezza che adottiamo possiamo ritenerlo sia più marcato (come ogni caso di allomorfia, più marcato in termini della distribuzione statistica dei morfemi all'interno di una stessa lingua - che è a vero dire una definizione non molto pregnante di marcatezza), sia ugualmente marcato (in termini di overt marking, presenza di morfemi in superficie). Né più marcato vuol necessariamente dire meno semplice: il plurale con aggiunta di morfema (book/books, Nummer/Nummern) è più marcato di quello con alternanza di morfemi (libro/libri, numero/numeri), ma non si può ritenere più complesso. In ogni caso, è certo però che la marcatezza costituisce un criterio importante per la valutazione di semplicità/complicazione linguistica.
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1 criteri su cui si basa la nozione di marcatezza sono molteplici, e a volte differenti da scuola a scuola o da studioso a studioso (Moravcsik-Wirth 1986). Si va dall'implicazione tipologica (se in una lingua c'è la categoria A, c'è anche la categoria B, ma non viceversa: allora, la categoria A è marcata), ali 'overt marking (presenza di morfemi nella struttura superficiale), alla frequenza interlinguistica (è meno marcato ciò che è più presente nelle lingue), alla precedenza nello sviluppo infantile nel linguaggio (è meno marcato ciò che è acquisito prima), alla distribuzione statistica all'interno di una lingua (per cui all'incirca è meno marcato ciò che è più frequente). Va aggiunto che si usa 'marcato' anche per indicare una categoria definita da più tratti rispetto ad una definita da meno tratti (per cui un iponimo per es. è marcato rispetto al suo iperonimo), e che il termine ha un suo valore specifico anche in grammatica generativa, dove designa all'incirca la violazione nella grammatica periferica di un principio invariante della grammatica universale. Ovviamente, si parla poi di marcatezza anche in ambito sociolinguistico, laddove è marcato un elemento non appartenente alla lingua standard o alla lingua comune. Tale polisemia rende particolarmente delicato il confronto fra semplificazione e minore marcatezza. Tuttavia, si può dire in linea di principio, qui e al punto precedente, che tendenzialmente (ma non necessariamente) semplice equivale a funzionale, e semplice equivale a non marcato, a meno che non ci siano ragioni perché non sia così. Le categorie tendono a coincidere nelle manifestazioni, ma sono riportabili a principi diversi.
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Una terza area di sovrapposizione si ha con la nozione di naturalezza, anch'essa molto usata dalla teoria linguistica recente, e con sensi plurimi. Infatti, in certi contesti naturalezza viene ad essere sinonimo di minore marcatezza (tipicamente, in Mayerthaler 1981); in altri casi, essa designa piuttosto iconismo, motivazione, trasparenza (in uno dei sensi di questo termine, anch'esso altamente polisemico): così, per es., in Haiman (1985; ma già in Ullmann 1966, 131-186); in altri casi ancora, naturalezza assume piuttosto il valore di isomorfismo, biunivocità, trasparenza nel senso di rapporto biunivoco one meaning -one form (Langacker 1977)8. E senza contare un senso generale della nozione di naturalezza in termini di 'taglia ottimale del segno', semioticamente fondata, che garantisce una buona analizzabilità del segno linguistico, motivata e dalla natura di questo, e dalle caratteristiche biopsicologiche dei parlanti, come all'incirca in Dressler (1985). Per concludere questa breve rassegna, va detto che, se è impossibile allo stato attuale delle ricerche escludere che la semplificazione si possa ridurre in toto a un'altra delle categorie sopracitate, opportunamente ben definita, non sembra d'altra parte che la semplificazione, cosi come abbiamo cercato di concettualizzarla, sia in sovrapposizione totale né con funzionalità, né con (minore) marcatezza (in uno o più dei suoi valori), né con naturalezza (in uno o più dei suoi valori), e sarà quindi meglio, per il momento, tenerla separata come categoria a sé, riconosciuta nei termini del rapporto fra il segno o messaggio e la quantità di operazioni necessarie (apparentemente) alla mente umana per processarlo, o, meno impegnativamente, nei semplici termini del maggiore o minore agio di 'maneggiabilità' da parte degli utenti.
2. Criteri di semplificazione Per rendere operativa la nozione di semplificazione, c'è bisogno di una serie di principi, parametri o criteri particolari, che specifichino per ogni livello di analisi e per ogni settore della struttura linguistica quali siano i possibili fattori di semplificazione, e che cosa sia semplice e che cosa meno semplice. Un tale catalogo generale di criteri 'locali' di valutazione della semplificazione non è stato sinora proposto, a mio sapere, se non nei termini incisivi ma ancora piuttosto generali di Fer8
In grammatica generativa viene a volte usato 'trasparenza' ancora in un terzo senso: il grado in cui la struttura superficiale rivela la struttura soggiacente (una struttura è tanto più trasparente quanto più è vicina alla struttura profonda e la riflette chiaramente: Lightfoot 1979).
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guson (1982, 60) 9 ; in Dik (1986) c'è bensì un dettagliato elenco di forme o strutture preferite o sfavorite in termini funzionali, ma si tratta di una lista che non può valere, anche alla luce di quanto s'è osservato sopra, tout court per la semplificazione. Proveremo dunque a elencare una lista esemplificativa di criteri o parametri che mettono in relazione in termini di maggior/minore semplicità due (o più) strutture o proprietà o dispositivi o elementi del sistema linguistico ai diversi livelli di analisi. Si tratta ovviamente di un tentativo provvisorio di operazionalizzare la nozione di semplificazione linguistica, che come tale va giudicato. A proposito dei criteri o parametri che di seguito si esporranno con una breve esemplificazione illustrativa, va tenuto presente che: a) cercano di essere deduttivi, vale a dire che sono fatti discendere dalla nozione di semplificazione come l'abbiamo definita, e non sono ricavati dalla collazione di casi empirici in cui si manifesta la semplificazione linguistica (siano essi pidgin o simplified registers nel senso di Ferguson 1982 o interlingue ecc.); b) valgono sia intralinguisticamente sia interlinguisticamente, sia in sincronia sia in diacronia; c) valgono ceteris paribus ; d) possono essere tra loro in contraddizione e in conflitto (questo non è un problema, appena si badi che la semplificazione dovrà per forza essere un fenomeno polimorfo, e che fatti semplificativi per un certo aspetto o a un dato livello d'analisi possono risultare complicanti per un altro aspetto o ad un altro livello di analisi). 2.1. Semantica e lessico10 2.1.1. Riferimento al parlante < riferimento all'interlocutore < riferimento a terzi : io < tu < lui, perché il riferimento al parlante e in 9
Un elenco parziale, relativo alle varietà di apprendimento, si trova per es. in Meisel (1986, 55). Anche in Ernst (1983) è menzionata una serie di principi di semplificazione ai diversi livelli di analisi, particolarmente interessante per il nostro discorso perché è riferita specificamente alla situazione delle varietà sub-standard. I criteri di Ferguson (1982, 60), detto molto succintamente, sono i seguenti. Lessico: vocabolario ridotto, con termini generici piuttosto che specifici, parole monomorfemiche, parafrasi di parole complesse; sintassi: mancanza di frasi subordinate (paratassi), ordine delle parole invariabile, assenza di copula di pronomi e di parole funzionali; morfologia: mancanza di flessione, radici invarianti; fonologia: parole monosillabiche dalla struttura CV e bisillabiche dalla struttura CVCV. Molti di questi criteri coincidono, naturalmente, con criteri che vedremo più avanti. Un succinto ma incisivo catalogo si trova anche in Hymes (1971, 72-73). 10 Convenzionalmente, il simbolo < varrà qui 'è più semplice di' o 'sono più semplici di'.
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secondo luogo all'interlocutore ha più immediata rilevanza, è più facilmente recuperabile, conta su un maggior retroterra situazionale di appoggio che non il riferimento a chi non è attore della comunicazione hic et nunc ; 2.1.2. espressione analitica (perifrasi) < una nuova entrata lessicale indipendente: scopetta per pipa < scovolino; Kindergarten < asilo; andare giù, andare su, andare avanti < scendere, salire, procedere; ples bilong slip 'posto del dormire' < * bed in pidgin neomelanesiano (i pidgin e creoli sono ricchissimi di queste formazioni lessicali analitiche; cfr. Muhlhàusler 1974, 98-101). Motivazione: i vantaggi cognitivi dell'espressione analitica consistono essenzialmente in un risparmio dell'inventario, che evita di memorizzare una entrata lessicale separata riutilizzando al suo posto materiale già noto e disponibile, e nella interpretabilità immediata (o trasparenza) della perifrasi/parafrasi, il cui significato è derivabile direttamente dalla combinazione dei significati dei membri costituenti. Si potrebbe obiettare che il risparmio paradigmatico implica però uno 'spreco' sintagmatico, con la necessità di realizzare più unità in concatenazione, e la relativa complicazione strutturale: è chiaro in effetti che l'espressione parafrastica è semplificativa in tanto in quanto il materiale che essa utilizza faccia parte del lessico più disponibile, nel qual caso il carico sintagmatico è ampiamente compensato dal risparmio paradigmatico (riutilizzare uno schema combinativo per riempirlo di materiali già noti uno per uno è più facile, meno impegnativo che associare a un significato una 'nuova' entrata lessicale indipendente); 2.1.3. significato concreto < significato astratto: carte < documenti (come in italiano popolare); mangiare < nutrirsi; putim mark long pepa 'mettere segni su carta' (Muhlhàusler 1974, 100) < to write in pidgin neomelanesiano; il significato concreto permette una rappresentazione mentale più diretta, con possibile appoggio sensoriale, 'visivo', alle cose/oggetti/azioni presenti nel contesto non verbale, invece che ai concetti, e sembra quindi meno impegnativo cognitivamente; 2.1.4. monosemia < polisemia: voce (voto) < Stimme 'voce; voto'; esempi chiari di questo criterio possono essere considerati i numerosi casi di risoluzione di collisioni omonimiche (del genere faisan/vicaire 'gallo' per evitare l'omonimia gat 'gatto; gallo' nei dialetti della Francia del Sud-Ovest) studiati dalla dialettologia romanza. Oltreché, ovviamente, garantire la biunivocità one meaning one form, elementi lessicali monosemici sono più immediatamente processabili di elementi lessicali polisemici, per i quali, nonostante l'alto effetto disambiguante
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del contesto, vi è sempre la necessità di scartare i significati non pertinenti; 2.1.5. lessico referenziale ('parole piene') < lessico funzionale ('parole vuote'): scopo < per; gatto < perché; luna < relativamente ; le parole piene consentono contemporaneamente un qualche appoggio all'extralinguistico e al situazionale, e sono più importanti semanticamente per il passaggio essenziale dell'informazione (il caso banale che si propone sempre ad esempio è la prova di cancellazione, in un messaggio qualunque, delle parole vuote, che permette ancora una certa trasmissibilità del contenuto, rispetto alla cancellazione delle parole piene, che distrugge irrimediabilmente qualunque passaggio di informazione) 11 ; 2.1.6. lessico comune < lessico specialistico: raffreddore < rinite; suono < fonema ; il lessico non specialistico è per definitionem più a disposizione, alla portata di tutti, più facilmente decodificabile ; il lessico specialistico implica un aumento dell'inventario e una maggiore concettualizzazione (v. criterio 2.1.3.); 2.1.7. un termine generale < un termine specifico: pino 'conifera' < pino/abete bianco/abete rosso/cembro/cedro del Libano ecc. ; rosso < granata/vermiglio/porpora ecc.; i termini generali (iperonimi) consentono di avere un inventario non troppo ampio, e, rispetto agli iponimi, sembrano richiedere un minore sforzo di concettualizzazione e allo stesso tempo sono più importanti semanticamente; il criterio può entrare in conflitto potenziale con 2.1.4., per cui spesso sarà da cercare un equilibrio tra l'avere un inventario non numeroso e la necessità di evitare pericolose polisemie (cfr. Blum-Kulka/Levenston 1983). 2.2. Sintassi 2.2.1. Sistema con lessico ma senza sintassi < sistema con paratassi < sistema con sintassi lineare < sistema con sintassi a incastro: mela < mela me (me mela) < voglio la mela < voglio la mela che c'è sul tavolo. Si tratta di un macro-criterio, che può involgere parecchi criteri più particolari, e che potrebbe suonare, ridotto all'osso: assenza di sintassi < presenza di sintassi. Un sistema che non ammetta nessuna possibilità combinatoria e un sistema che ammetta combinazioni incassate (con reggenze di secondo, t e r z o , . . . grado) sono rispettivamente agli estremi di semplicità e di complessità della dimensione sintattica, mentre la 11
Questo criterio è in parziale sovrapposizione con 2.1.3., ma va tenuto distinto, perché non tutte le parole 'piene', ovviamente, hanno significato concreto, e inoltre vi sono gradi diversi di concretezza vi. astrazione dei significati.
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paratassi (intesa qui in un senso forte, come accumulazione di elementi alla rinfusa, senza che l'ordine in cui compaiono abbia alcuna pertinenza; e quindi insensibili a permutazioni d'ordine) e la sintassi solo lineare (intesa nel senso di combinazione di elementi in cui l'ordine ha pertinenza e che quindi esprime rapporti di reggenza, ecc. ; ma che non consente reggenze incassate) starebbero in posizioni intermedie (cfr. Dwyer 1986, e anche Parisi 1981). Il criterio è centrale, in prospettiva semiologica: ci sono buone ragioni per affermare che le lingue propriamente dette ammettano almeno sintassi lineare, e che quindi la presenza di sintassi sia un discrimine importante del linguaggio verbale umano (a quanto pare, le produzioni degli scimpanzé a cui si è cercato di insegnare un sistema di comunicazione analogo al linguaggio verbale si arrestano alla fase paratattica: cfr. Terrace 1981). Va da sé che la presenza di sintassi, e a maggior ragione di sintassi a incastro, è meno elementare cognitivamente ed è processabile con un maggior numero di operazioni di quanto non lo siano assenza di sintassi e paratassi. Un criterio derivato da questo è per es.: paratassi < ipotassi12; 2.2.2. modo pragmatico < modo sintattico (Givón 1979): mela, me < voglio la mela; la guerra, sono tornato vivo < sono tornato vivo dalla guerra. Costruzioni basate sulla semantica e pragmatica sono più semplici delle costruzioni basate sulla coesione morfosintattica, perché : con il minor numero di mezzi strutturali raggiungono sufficiente efficacia comunicativa; riflettono immediatamente i significati emotivamente più importanti; operano con blocchi di informazione più piccoli, separati (il non condensare troppa informazione in un'unica struttura frasale fusa va considerato un principio generale di semplificazione). Una formulazione alternativa di questo criterio potrebbe essere : sintassi segmentata < sintassi fusa (legata); Gianni, non gli piace < a Gianni non piace ; 2.2.3. ordine dei costituenti fisso < ordine dei costituenti libero/variabile : Paul loves the girl < Paulus puellam amat, Paulus amat puellam, 12
Intendendo qui, come solitamente si fa, la paratassi nel senso di coordinazione, combinazione tra frasi mediante accostamento invece che mediante subordinazione. Piove, (e) non esco < poiché/dato che piove, non esco o non esco, perché piove; le motivazioni sono evidenti: la paratassi evita rapporti complessi fra gli elementi ed è quindi meno impegnativa cognitivamente (cfr. 2.1.5.); consente, attraverso blocchi di informazione separati, uno alla volta, un tipo di Verpackung del messaggio più immediatamente maneggiabile; e può anche presentare un certo grado di iconismo (per es., con la ipotassi è normale anche l'ordine non esco, perché piove, mentre nella costruzione paratattica il piovere viene prima dell' uscire, riproducendo in qualche misura l'ordine degli eventi, prima la causa e poi l'effetto).
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puellam Paulus amai ecc. ; ein merkwürdiges Buch < uno strano libro, un libro strano; l'ordine fisso e invariabile ha l'indubbio vantaggio dell'univocità ed è meno impegnativo da processare (una sola possibilità invece di due o più significa meno variabili da controllare e memorizzare). Per maggiore esattezza, il criterio andrebbe forse riformulato come segue: ordine fisso < ordine variabile governato da principi sintattici, semantici o pragmatici. Un ordine totalmente libero, in cui ogni possibilità di combinazione fosse indifferente e sinonimica rispetto ad ogni altra, sarebbe invero più semplice di un ordine rigido (v. criterio 2.2.1.): il fatto è che nelle lingue con ordine (parzialmente) libero non ogni ordine è possibile, e i differenti ordini possibili sono governati da principi, e non indifferentemente realizzabili; 2.2.4. coincidenza in uno stesso costituente di tema, dato e soggetto (ed eventualmente agente) < distribuzione su più costituenti di tema, dato e soggetto (ed eventualmente agente) 13 : tuo cugino mi ha portato un libro (dove tuo cugino è tema, dato, soggetto e agente) < a me, tuo cugino ha portato un libro (dove a me è tema e tuo cugino soggetto e dato), a me tuo cugino ha portato un libro (dove a me è tema e dato e tuo cugino è soggetto) < è a me che tuo cugino ha portato un libro (dove è a me è tema e tuo cugino ha portato un libro è dato, essendo ovviamente tuo cugino sempre soggetto) < è a me che un libro è stato portato da tuo cugino (come la precedente, ma con l'ulteriore separazione di soggetto, un libro, da agente, tuo cugino). A meno che non ci siano buone ragioni per diversificarne la distribuzione, è più comodo che soggetto, agente, tema e dato coincidano sul costituente in prima posizione : l'identificazione delle quattro funzioni a quattro diversi piani di strutturazione avviene simultaneamente ed evita pertanto più operazioni diversificate, assicurando nel contempo una migliore recuperabilità; va quindi ritenuta meno impegnativa cognitivamente, perché previene il moltiplicarsi di piani di codificazione e d'interpretazione. E' anche meno marcata. Questo criterio può entrare in conflitto con 2.2.2.;
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Presuppongo qui che le quattro nozioni, tema, dato, soggetto e agente, facciano riferimento a quattro diversi piani di organizzazione del messaggio (o della frase): il tema (opposto ovviamente a rema), alla struttura inerentemente informativa (ritaglia il dominio per cui vale una predicazione); il dato (opposto a nuovo), alla struttura testuale (rapporto della frase con il cotesto e il contesto) ; il soggetto, alla struttura sintattica (il primo aitante, che generalmente governa l'accordo col verbo) ; l'agente, alla struttura semantica (il ruolo 'tematico' profondo di chi compie l'azione). Questa quadripartizione non è condivisa da tutti: com'è noto, per molti linguisti le dicotomie dato/nuovo e tema/rema coincidono.
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2.2.5. contiguità sintagmatica di due elementi semanticamente legati e/o sintatticamente dipendenti < loro distanziazione: pulchram puellam video < puellam video pulchram, pulchram video puellam; il giorno era luminoso e bello < luminoso era e bello il giorno ; leggo "la Repubblica" ogni mattina con vero piacere < leggo ogni mattina "la Repubblica" con vero piacere < leggo ogni mattina con vero piacere "la Repubblica". La contiguità di elementi semanticamente o sintatticamente 'vicini' permette una più immediata recuperabilità e accessibilità dei rapporti (non costringendo a prospezioni o memorizzazioni in avanti né a retrospezioni o memorizzazioni all'indietro) ed ha anche un certo vantaggio 'iconico' (elementi più 'legati' strutturalmente = più vicini nella catena sintagmatica). Un sottocriterio di questo potrebbe essere: costituenti continui < costituenti discontinui ; ich mitnehme die Tasche (errore tipicissimo di apprendenti il tedesco) < ich nehme die Tasche mif, 2.2.6. posposizione del determinante o modificante al determinato o modificato < anteposizione del determinante o modificante al determinato o modificato: un libro bello < un bel libro; the book of John < John's book; puellam pulchram video < pulchram puellam video', perché è di più immediata processabilità, in base a un principio elementare 'prima il nucleo, poi la periferia' (non implica alcuna retrospezione); 2.2.7. unità suscettibile di essere testa di un sintagma < sintagma costruito attorno ad essa: gatto < un gatto < un grosso gatto nero; mangiare < mangiare un pollo < voglio mangiare un pollo ; perché più importante semanticamente, costituendo un blocco d'informazione basilare, l'unico che può e deve essere mantenuto in un processo di riduzione all'essenziale. In connessione con questo criterio, si può ricordare che è stato dimostrato empiricamente che "simplification involves a relative increase of head-marked over dependent-marked patterns (although often an absolute decrease of ali morphology), in comparison to the source language" (Nichols 1986, 105); 2.2.8. costruzione attiva < costruzione passiva: tuo cugino mi ha portato un libro < un libro mi è stato portato da tuo cugino (cfr. 2.2.3.). Sono chiari i tratti di complessità di quello che è stato definito un Luxus der Sprache : il passivo è antieconomico, perché richiede più materiale linguistico; è più impegnativo cognitivamente, implicando operazioni diversificate (per es., circa l'attribuzione della funzione di soggetto e di agente). Un sottocriterio potrebbe qui essere: passivo senza agente < passivo con agente espresso; Gianni è stato picchiato < Gianni è stato
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picchiato dai compagni. Muhlhàusler (1974, 79-80) cita casi di pidgin (ove il passivo non dovrebbe essere attestato) e creoli in cui esisterebbe una sorta di passivo senza agente; gli esempi riportati (come em i-brukim glas 'egli rompe il termometro'/^/iw i-bruk 'il termometro è rotto', Nuova Guinea) sembrano però piuttosto da riportare alla problematica dell'ergatività così come si manifesta del resto anche nelle nostre lingue europee (cfr. Pietro brucia la casa vs. la casa brucia, Peter rollt den Stein vs. der Stein rollt). Più che di un passivo senza agente, si tratterà di un risultativo14. Anche la maggior semplicità del passivo senza agente (e del risultativo, se vogliamo) rispetto a un passivo con l'agente è facilmente motivabile: coinvolge meno materiale linguistico, e consente di esprimere un solo stato di cose, in un blocco d'informazione unico ed elementare (in base al principio di formulare un rema o un nuovo alla volta); 2.2.9. predicati monovalenti < predicati plurivalenti : parlare < affermare < dire; possedere < dare < vendere ; come sopra, bruciare intrans. < bruciare trans. ; perché più agevoli da utilizzare, meno impegnativi cognitivamente e veicolanti un blocco di informazione più elementare (non implicano p i ù relazioni in una sola volta, bensì una sola relazione); 2.2.10. rimando (o ripresa) anaforico < rimando (o ripresa) cataforico: the book of John < John's book (cfr. 2.2.6.); Gianni lo vedo domani < domani lo vedo, Gianni ; perché più immediatamente ricuperabile (non costringe a prospezione) e con una più agevole accessibilità dei rapporti ('prima un punto di partenza, poi il suo collegamento': cfr. 2.2.6.); 2.2.11. rimandi deittici < rimandi anaforici: prendo questo < lo prendo; io arrivo < arrivo ; oltre alle motivazioni invocate per 2.2.10., vale un maggiore appoggio al contorno situazionale e un potenziale valore iconico dei deittici (cfr. anche 2.1.3.); 2.2.12. nominale pieno < pronome di terza persona: Gianni < lui, lo; il libro < esso, lo, quello. Motivazioni: il nominale pieno è più accessibile, non è legato alla situazione di enunciazione, è più carico semanticamente (cfr. 2.1.3.), non pone problemi di identificazione del referente (cfr. anche 2.1.3. e 2.1.5., e Berretta in stampa);
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Così, non sembra del tutto felice la traduzione di bruk con 'is broken', che introduce una lieve marcatezza temporale assente da glas i-bruk, che è più propriamente, fatta salva l'equivalenza morfematica, 'vetro predicato-romptxt-(ìntransitivo)\
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2.2.13. verbo, nome < aggettivo < pronome < preposizione, congiunzione < articolo : amore, amare < amabile < esso < con, perché < il ; perché più essenziale semanticamente e fondamentale per il passaggio dell'informazione (cfr. 2.1.5. e 2.2.12.); 2.2.14. pronome tonico < pronome clitico: lui < lo ; perché più autonomo sintatticamente (i clitici sono morfemi legati) e semanticamente, più 'pieno' semanticamente, e anche più 'forte' come significante (il che assicura anche una sua migliore percezione); cfr. anche 2.2.11. 2.3. Morfologia flessionale e derivazionale 2.3.1. forme lessicali < elementi derivazionali < elementi flessionali: poll(-astro) < -astro < -o ; perché più importanti semanticamente lungo una scala da 'più pieno' a 'più vuoto'; i morfemi derivazionali, che hanno una posizione intermedia fra il lessico e la morfologia, sono ancora in parte dotati di significato lessicale e quindi almeno in parte più immediati da processare che non i morfemi flessionali puri (cfr. 2.1.5. e 2.2.12., 2.2.13.); 2.3.2. paradigma poco numeroso < paradigma numeroso: nel sistema dei pronomi allocutivi, per es., you (ingl.) < tu/vous (frane.) < du/Sie/ihr (ted.) < tu/Lei/voi/loro (ital.) < nii/niir/niinka/naam/taanka (tamil: cfr. Brown/Levinson 1978, 206); la semplificazione paradigmatica in termini di ridotto numero delle unità presenti nell'inventario è ovvia, e trova un appoggio sostanziale sia nell'economia del materiale di superficie sia nella maggior maneggiabilità di una quantità non alta di distinzioni. Il caso degli allocutivi è interessante perché può mostrare i rapporti fra categorie 'necessarie' (apparentemente) e mezzi che le esprimono; l'inglese sembra a questo proposito troppo semplice, giacché non realizza neanche quella che può sembrare una distinzione elementare e basilare (quella fra interlocutore di rispetto e interlocutore con cui si è in confidenza); 2.3.3. monovalenza < sincretismo: che indicatore generico di subordinazione più pronome personale < pronome relativo (l'uomo che gli ho dato un libro < l'uomo cui ho dato un libro ; cfr. Berruto 1987, 131-133); il fatto che un morfema realizzi sempre la stessa e una sola funzione invece di sincretizzare su di sé più funzioni garantisce una migliore accessibilità ed è trasparente (cfr. 2.1.4.); 2.3.4. marcatura singola < marcatura plurima: libro/libri < Buch/Bucher; your books < i tuoi libri ; la ridondanza, anche se di fatto può garantire una migliore percezione e decodificabilità del messaggio, va
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considerata una complicazione, perché aumenta il numero del materiale linguistico presente in superficie e infrange la biunivocità one meaning one form (almeno dal punto di vista sintagmatico ; nel caso esemplificato da Bticher abbiamo anche presenza di un costituente discontinuo - cfr. 2.2.5.15 - e apparente allomorfia della base, v. 2.3.5.); 2.3.5. monomorfia < allomorfia: the ingl. < il, lo, /' ital. ; agire agente < agire — attore; Cuneo -* cunee(n)se < Ivrea -* eporediense; cavallino < equino ; l'esistenza di allomorfia aumenta il carico sul paradigma, peggiora la 'resa' dei procedimenti derivativi e flessionali, infrange la biunivocità e complica la maneggevolezza dello strumento grammaticale; tali svantaggi sono massimi nel caso del supplettivismo, con cambio della base lessicale ; il criterio può entrare in conflitto con principi di semplicità fonologica (donde inlecito/illecito, cfr. Berretta 1986, 54), per cui v. oltre, 2.4. Più in generale, la monomorfia garantisce un'agevole scomponibilità in morfemi, mentre Fallomorfia provoca cattiva analizzabilità; 2.3.6. parole costituite da pochi morfemi < parole costituite da molti morfemi: nazionale < nazionalistico; unico < irriproducibile; il maggiore sforzo di codificazione e decodificazione richiesto da parole plurimorfematiche è antieconomico e peggiora l'accessibilità al segno, rendendo le parole mono- o bimorfematiche più immediate cognitivamente: la forma ideale della parola sarebbe forse, da questo punto di vista, e collimando i criteri (cfr. 2.1.4.), bimorfematica (un morfema lessicale più un morfema flessionale). Cfr. anche 2.2.7. Un sottocriterio potrebbe essere: base lessicale < suo derivato, cavallo < cavallino, dove a favore della base lessicale gioca anche il fatto di una maggior importanza semantica (e cfr. 2.3.1.). Un altro sottocriterio ancora potrebbe essere: parole non composte < parole composte, asilo < Kindergarten (in questo caso, c'è dunque conflitto con 2.1.2.); 2.3.7. suffissazione < prefissazione: paesano < compatriota;germanizzare < eindeutschen/verdeutschen ; perché è più facile da processare, evita la retrospezione, e presenta prima il nucleo, poi la periferia: v. 2.2.6., di cui il criterio presente va forse ritenuto un corollario; 15
Si tratta di un caso di discontinuità un po' diverso da quello raccolto come sottocriterio in 2.2.5., in quanto qui è coinvolta la realizzazione discontinua dello stesso morfema, come in per es. l'est pas venu < il n'est pas venu. Sviluppando, si potrebbe magari suggerire un ulteriore criterio, del genere: aggiunta di morfemi < modifica della base, màmoli < màmuli ('ragazzi', in dialetti veneti, per es. a Grado); * foots < feet\ cioè, in ultima analisi, agglutinazione < flessione. Quest'ultimo criterio è potenzialmente in contraddizione con 2.3.2.
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2.3.8. morfemi liberi < morfemi legati: lui < lo (cfr. 2.2.14.); prender di nuovo < riprendere (cfr. 2.1.2.); grosso libro < librone; amare habeo < amabo \ come 2.1.2., in fondo anche questo criterio è una conseguenza del principio generale che l'analisi è più semplice della sintesi (le costruzioni analitiche sono più semplici di quelle sintetiche), giacché consente una migliore maneggiabilità, processa gli elementi 'uno alla volta', ed è 'trasparente'; i morfemi liberi inoltre non hanno restrizioni di collocazione, il che allevia l'impegno cognitivo; 2.3.9. elementi con autonomia di accento < elementi senza autonomia di accento: di nuovo lui < lo; dallo a me < dammelo; questo libro < il libro ; l'autonomia accentuale facilita la decodificazione e la percezione e assicura la buona isolabilità delle unità. Interessante, quindi, la diffusione di 'sto libro in italiano colloquiale, in cui il deittico perde autonomia accentuale e si cliticizza, riducendo contemporaneamente il proprio corpo fonico: questo libro < 'sto libro < il libro. La controtendenza (cfr. oltre) si può spiegare con la scarsissima pregnanza semantica del deittico in questi casi, nei quali esso presenta un avanzato grado di 'articolizzazione' e assume quindi l'entità fisica di un articolo: prevalgono le esigenze puramente fonetiche, di agio e semplicità di articolazione e produzione, su quelle morfosemantiche, di assicurare riconoscibilità autonoma all'elemento. Un criterio in buona parte compreso in questo potrebbe suonare: giustapposizione di elementi < fusione di elementi; perché garantisce buoni confini fra gli elementi, in funzione della loro separabilità e riutilizzabilità (in generale, della loro accessibilità). 2.4. Fonologia La fonologia va considerata un po' a latere, nel nostro discorso, poiché presenta diversi, e più meccanici e diretti, condizionamenti del mezzo rispetto ai livelli semantico-lessicale e morfosintattico: è coinvolta in fatti eminentemente fisico-articolatori e soggetta a restrizioni bio-fisiologiche, che oscurano gli aspetti semiotico-cognitivi sottesi alla nostra nozione di semplicità. Tuttavia sono evidenti anche nella fonologia fenomeni di semplificazione, coincidenti per lo più con i fatti studiati dalla fonologia naturale. Ci limiteremo qui a fornire un elenco esemplificativo, senza commenti specifici. Va osservato che, per le ragioni dette sopra, parecchi criteri di semplificazione fonologica risultano in conflitto con criteri dei livelli superiori. Ecco alcuni dei criteri possibili : - parole brevi < parole lunghe16; 16
Quindi, dal punto di vista fonologico, modifica < modificazione; auto < automobile/macchina; cine < cinema < cinematografo. Il criterio opera
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- o p p o s i z i o n i m a r c a t e da p i ù tratti < opposizioni m a r c a t e da u n solo tratto; - sillaba C V < sillaba V C < altre s t r u t t u r e sillabiche; - accento a sede fissa < a c c e n t o a sede libera; - c o n s o n a n t i singole < nessi c o n s o n a n t i c i ; - c o n s o n a n t i leni, rilassate < c o n s o n a n t i forti, tese; - occlusive, fricative < a f f r i c a t e ; - vocali n o n a r r o t o n d a t e < vocali a r r o t o n d a t e ; - vocali a p e r t e < vocali c h i u s e ; ecc. 17 . L'obiettivo con cui a b b i a m o p r o p o s t o questo elenco, p r o v v i s o r i o e del t u t t o da discutere, di criteri specifici di s e m p l i f i c a z i o n e era triplice, e consisteva in u n p r i m o m o m e n t o nel t e n t a t i v o di r e n d e r e operativa la n o z i o n e di s e m p l i f i c a z i o n e , s c i n d e n d o l a in singoli c o m p o n e n t i ai diversi livelli di o r g a n i z z a z i o n e del sistema linguistico; in u n senso p i ù generale, si i n t e n d e v a poi f o r n i r e u n a serie di s p u n t i descrittivi tali da p e r m e t t e r e di utilizzare la n o z i o n e di s e m p l i f i c a z i o n e c o m e utile strum e n t o di analisi su singoli m i c r o s i s t e m i e singole s t r u t t u r e , e v i t a n d o f r a l'altro f o r m u l a z i o n i a p o d i t t i c h e generali del g e n e r e 'questa lingua è s e m p l i f i c a t a ' (a cui sarà p i ù a d e g u a t o sostituire a f f e r m a z i o n i del g e n e r e 'questa f o r m a / s t r u t t u r a / p a r t e del sistema della lingua x è semplificata'); sullo s f o n d o , si voleva poi a r g o m e n t a r e in f a v o r e dell'interesse dell'applicazione della n o z i o n e di s e m p l i f i c a z i o n e , t u t t ' a l t r o c h e u n arnese da b u t t a r via (oscuro, generico, ascientifico, i d e o l o g i c a m e n t e sospetto), c o m e v o r r e b b e r o m o l t i linguisti f o r m a l i o all'opposto sociolinguisti ' i m p e g n a t i ' . N a t u r a l m e n t e , il c a r a t t e r e d e d u t t i v o dell'enucleazion e dei criteri fa si c h e ci siano o r a d a c o m p i e r e t a n t i s s i m e v e r i f i c h e appoggiate a m a t e r i a l e e m p i r i c o , cosa a cui in questa sede n o n p o s s i a m o n e m m e n o accennare. congiuntamente a 2.3.6., anche se non è detto, naturalmente, che una parola costituita da un minor numero di morfemi abbia sempre un corpo fonico più ridotto; e trova un suo limite nell'esigenza di assicurare ad ogni unità un corpo fonico sufficientemente robusto, e quindi agevolmente percepibile e decodificabile. 17 Quando si prende in considerazione anche il livello fonologico, si dà in maniera particolare che lo stesso fenomeno, date certe circostanze, può risultare fatto di semplificazione o di complicazione : cfr. qui nota 24. Si dà anche il contrario, e cioè che fenomeni opposti, date certe circostanze, vadano ritenuti fatti di semplificazione: è il caso, per es., dell'assimilazione (che va considerata senza dubbio semplificazione dal punto di vista fonologico; anche se dal punto di vista della trasparenza morfematica, secondo quanto s'è appena detto, può risultare complicante) e della dissimilazione (che va ritenuta semplificante dal punto di vista morfologico). Si consideri, banalmente, l'es. inlecito/illecito in 2.3.5., in cui sia l'una che l'altra forma avrebbero titolo per essere considerate più semplici dell'altra, a due livelli diversi.
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3. S e m p l i f i c a z i o n e e s u b - s t a n d a r d L'idea che varietà 'basse' di lingua siano caratterizzate anche da fatti di semplificazione rispetto alle varietà 'alte' è presente con chiarezza in Ferguson (1959, 333-334): "There is probably fairly wide agreement among linguists that the grammatical structure of language A is "simpler" than that of B if, other things being equal, (1) the morphophonemics of A is simpler, i. e. morphemes have fewer alternants, alternation is more regular, automatic (e. g. Turkish -lar ~ -ler is simpler than the English plural markers) 18 ; (2) there are fewer obligatory categories marked by morphemes or concord (e. g. Persian with no gender distinctions in the pronoun is simpler than Egyptian Arabic with masculine-feminine distinction in the second and third persons singular) ; (3) paradigms are more symmetrical (e. g. a language with all declensions having the same number of case distinctions is simpler than one in which there is variation) 19 ; (4) concord and rection are stricter (e. g. prepositions all take the same case rather than different cases). If this understanding of grammatical simplicity is accepted, then we may note that in at least three of the defining languages [Arabic, Greek and Haitian Creole], the grammatical structure of any given L variety is simpler than that of its corresponding H". Io stesso (Berruto 1 9 8 7 , 4 2 - 5 3 ) ho proposto di considerare, all'interno di uno schema possibile (in riferimento all'italiano) delle varietà di lingua, comprese le varietà di apprendimento e marginali, in base alla dimensione semplicità/complessità (ispirato all' interlanguage continuum di Corder 20 ), anche le varietà diastratiche e diafasiche. Nella fascia relativa a 'semplificazione spontanea di parlanti nativi (diretta a parlanti nativi)' ho ipotizzato la seguente scala 21 : 18
L'esempio può sembrare in contraddizione con il criterio enunciato nella nota 15. L'osservazione di Ferguson è valida se consideriamo che nel turco l'alternanza sia del tutto, appunto, 'regolare e automatica', mentre in inglese la marcatura del plurale si attua con dispositivi di superficie diversi e presenta allomorfia (cfr. criteri 2.3.2. e 2.3.5.). " Accettando, come pare ovvio, questo punto di Ferguson, sarebbe opportuno formulare un ulteriore criterio di semplificazione a livello morfologico: paradigma simmetrico < paradigma asimmetrico. In parte, comunque, tale criterio è già compreso in 2.3.5.; d'altro canto, se simmetria vuol dire per es. riempimento di una casella vuota in un sistema, allora il fatto potrebbe essere complicante, dal punto di vista del numero di unità. 20 Va però tenuto conto che Corder (1983, 435-443) oppone i continua 'lettali' (quelli costituiti dalle normali varietà diastratiche e diafasiche di una lingua) ai continua di interlingue proprio in base al fatto che i primi non sono ordinabili, come i secondi, in termini di crescente complessità. Qui si assume invece che anche i continua lettali siano ordinabili secondo tale dimensione, e quindi collocabili in un macro-schema unico con i continua di interlingua.
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Gaetano Berruto (varietà in via di decadenza)
varietà diastratiche basse
varietà diafasiche basse
(italiano di emigrati di 2a, 3a ecc. generazione)
italiano popolare
italiano parlato colloquiale
MASSIMA SEMPLIFICAZIONE
PUNTO varietà varietà NEUTRO standard diastratiche alte
varietà diafasiche alte
italiano italiastandard no colto (elaborato)
italiano aulico
MASSIMA COMPLICAZIONE
Lasciando ad altra sede un'esplicitazione diretta dello schema, vorrei sottolineare che l'idea della presenza di fatti di semplificazione nelle varietà sub-standard, nel nostro caso dell'italiano, n o n deve assolutamente essere intesa c o m e un'affermazione di povertà o impoverimento, di imperfezione, di inadeguatezza delle varietà sub-standard, bensì c o m e u n approccio descrittivo che ci aiuta a chiarire una parte dei f e n o m e n i linguistici in gioco in tali varietà e a capirne meglio la natura 22 , che acquista maggior significato se si vede l'intera g a m m a di varietà possibili di una lingua come coinvolta, fra altre dinamiche, a n c h e in una dialettica fra tendenze semplificatrici e tendenze complicatrici. Il maggior grado di manifestazione di elementi semplificativi che attribuisco all'italiano popolare rispetto all'italiano parlato colloquiale dipende dal fatto oggettivo che l'italiano popolare (specie nelle sue sottovarietà molto basse) da u n lato è spesso una lingua acquisita se21
Metto la varietà standard a destra di un ipotetico punto neutro non marcato né per complicazione né per semplificazione, in quanto è noto che le lingue standard possiedono, sia per ragioni storiche (contatti interlinguistici, ecc.) sia per ragioni sociolinguistiche (carattere di norma esplicitata e libresca, o quanto meno basata sullo scritto, ecc.), di solito un notevole grado di complessità ed elaborazione strutturale. Pongo fra parentesi le varietà in via di decadenza, poiché esse non sono normalmente membri di un continuum 'nativo' di varietà di lingua in una data comunità. Quanto alle varietà diastratiche e diafasiche basse, è peraltro largamente condivisa, su un piano generale, la constatazione che l'area del sub-standard è il luogo delle manifestazioni più spontanee e 'naturali' della lingua, e che le varietà sub-standard sono varietà per così dire rilassate e più 'libere' rispetto allo standard. Cfr. Berruto (1985). 22 Sulla necessità di distinguere chiaramente semplificazione da impoverimento insiste per es. Miihlhàusler (1986, 266), per cui "impoverishment involves the loss of referential or non-referential potential of a language, simplification is neutral with regard to a language's expressive power": la seconda si riferisce alla forma della grammatica, mentre il primo è relativo al contesto d'uso (cfr. anche Miihlhàusler 1974, 73-75). Dal punto di vista del sistema linguistico, un sistema semplificato avrebbe anzi qualche titolo per essere ritenuto un sistema ottimale, ideale, anziché in qualche modo inferiore e deprivato.
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condariamente (sia in senso cronologico sia in senso di dominanza) e dall'altro è parlata dai ceti meno scolarizzati e socioculturalmente sfavoriti: due condizioni che favoriscono inerentemente l'azione di processi di semplificazione rispetto all'italiano standard. In Berruto (1983a) ho provato a discutere dettagliatamente la presenza di tratti di semplificazione nell'italiano popolare; in Berruto (1985) ho accennato a fatti di semplificazione presenti nell'italiano parlato, e nell'italiano parlato colloquiale in specie, rispetto all'italiano scritto. L'idea ha trovato varie opposizioni. Ernst (1983), evidentemente senza conoscere ancora Berruto (1983a), ma basandosi su alcuni cenni contenuti in Berruto (1983b), si dichiara „eher skeptisch" (116) su tutto il problema (pur giungendo a conclusioni molto cautelative e del tutto sottoscrivibili, e con osservazioni descrittive puntuali molto giuste su numerosi fenomeni di semplificazione, che rimangono tali a dispetto, a volte, della disamina critica dell'autore)23. Egli tuttavia accetta nei fatti almeno l'impressione soggettiva che „die spontaneren Sprachvarietàten ihren jeweiligen Sprechern im Vergleich mit der oft erst auf der Schule zu erlernenden Standardsprache ,einfacher' vorkommen", mentre è perplesso sulla possibilità oggettiva ,,den Termini [...] einfach, Vereinfachung [...] auch eine strengere sprachwissenschaftliche Definition zuzuordnen" (Ernst 1983, 109)24. 23
Ernst (1983) è indubbiamente nel giusto quando sottolinea che semplificazione può voler dire cose diverse, a volte antitetiche, in particolare quando si contrapponga semplificazione nel testo a semplificazione nel sistema (o semplificazione sintagmatica a semplificazione paradigmatica). Nelle lingue realmente semplificate, le due cose tuttavia coincidono, e si implicano a vicenda: un bell'esempio al riguardo è per es. in Muhlhàusler (1974, 86-87), dove si cita la frase fanagalo (forma pidgin del xhosa-zulu) Themba thanda hamba 'a Themba piaceva viaggiare', corrispondente a xhosa uThemba wakuthanda ukuhamba, dove la drastica riduzione superficiale (tre morfemi invece di otto) coincide con la perdita dei paradigmi di classificatori e di marche di accordo. 24 Quanto ai fatti specifici discussi con grande acribia nel contributo di Ernst, egli ha certamente ragione circa fare un'emigrazione, che riconosco essere un pessimo esempio di semplificazione attraverso resa analitica del significato ; e in molti altri casi, compresa l'osservazione circa la dichiara e simili derivati zero (Ernst 1983, 113), interpretabili come semplificazioni solo a livello del mero significante (cfr. nota Ì6 sopra), ma forse da ritenere complicazioni a livello di schemi di formazione di parola. Ulteriore discussione esigerebbero invece punti come l'osservazione che una semplificazione, cioè riduzione di unità, nell'inventario può implicare una complicazione nelle regole di distribuzione (ripresa anche da Albrecht 1984, 216). In ogni caso (Ernst 1983, p. 110), mi pare che la semplicità/complessità descrittiva, da parte del linguista, sia un altro paio di maniche e vada tenuta ben distinta dalla semplificazione linguistica. Un altro punto critico è il problema delle fricative/affricate dentali: Ernst (1983, 109-110) ha perfettamente ragione nel dire che anche la
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Più critico è Albrecht (1984, 216-217), secondo cui, lapidariamente, „in jedem Fall ist die Ansicht, Substandardvarietäten ließen sich als Vereinfachung' des Standards auffassen, als technizistische Variante der Defizithypothese abzulehnen". Se siamo d'accordo che il sub-standard non può essere a rigore considerato 'una semplificazione dello standard', un rifiuto globale come quello qui espresso non ci aiuta però in nulla, fin tanto che non si espliciti su argomentazioni più stringenti circa singoli fatti e casi e dati, a chiarire in che misura il sub-standard possa manifestare fenomeni di semplificazione e risultare in parte almeno semplificato r i s p e t t o allo standard (ribadiamo, cfr. 1., che semplificazione non implica sviluppo direzionale, tantomeno diacronico). Dietro una formulazione del genere, c'è piuttosto da sospettare la renitenza o il ritegno del linguista post-strutturalista ad accettare nozioni che paiono introdurre giudizi indebiti di valore e affermazioni di inferiorità di una lingua o varietà di lingua rispetto a un'altra, di cui si parlava in 0. (e cfr. nota 22). Anche Albrecht (1986, 67), preannunciando una discussione più estesa del problema 25 , lascia trasparire una considerazione negativa della nozione di semplificazione: .„größere Regelmäßigkeit' (,Übergeneralisierung von Regeln', nicht selten vorschnell als .Vereinfachung' bezeichnet) [...]". Koch (1986, 141-142) discute la questione se „die scheinbar einzelsprachlichen Erscheinungen der gesprochenen Sprache [...] sich auf den gemeinsamen Nenner Vereinfachung' bringen lassen", giungendo alla conclusione che semplificazione o naturalezza non possono essere ritenute tratti generali della lingua parlata 26 . Il primo argomento per pronuncia ts per s, attestata negli italiani regionali centrali nei contesti -ns V-, -IsV-, -rsV- (dove però non è un tratto popolare, ma tocca l'intera gamma degli italiani regionali locali), va considerata un fatto di semplificazione, giacché in un nesso consonantico viene inserito un suono facilitante di transizione dentale, col risultato di un'affricata non fusa. Questo però non annulla il valore semplificante del passaggio opposto ts — s, dato che non cooccorre mai presso gli stessi parlanti (nella stessa varietà). Dei amici (Ernst 1983, 112) non costituisce, infine, uno iato, e non provoca alcuna difficoltà potenziale di pronuncia (anzi, al contrario, avendosi una specie di glide di transizione) rispetto alla forma standard degli amici. Per altri tratti, cfr. comunque Berruto (1983a). 25 Cfr. Albrecht in questo stesso volume. Il riferimento alla 'Defizithypothese' in Albrecht (1984) è comunque del tutto fuori luogo. Con la nozione di semplificazione si lavora alla descrizione di varietà di lingua, non di modi di comunicare (alla Bernstein) e tantomeno di giudizi esterni di valore. 26 Gli „einzelsprachlichen Erscheinungen" sono i fenomeni che non sarebbero riconducibili alle caratteristiche universali del parlato qua parlato. In realtà, la nozione di semplificazione può avere, a mio parere, a che fare con caratteri universali del parlato in quanto tale, e non solo con i fenomeni 'contingenti'
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rifiutare tale valore esplicativo è ripreso fondamentalmente da Ernst (1983) e consiste nel fatto che una perdita di opposizioni non necessariamente significa una semplificazione del sistema, e ciò che è semplice a un livello può essere complesso a un altro livello: „Einfachheit/Natürlichkeit wird also immer nur punktuell wirksam, nie in einer Varietät als ganzer" (Koch 1986, 141). Sulla natura conflittuale insita nel concetto stesso di semplificazione operante secondo criteri 'locali' abbiamo insistito più volte nel presente contributo, e ci sembra che essa non infici per nulla l'operatività della nozione: tutti i microsistemi che compongono il sistema linguistico e i suoi dispositivi strutturali sono, in fondo, il risultato in equilibrio dinamico di un compromesso fra tendenze e esigenze di varia natura, spesso contrapposte. Qui potremmo aggiungere che, dato che il concetto di semplificazione è per definitionem relativo, non vediamo ragioni cosi forti per escludere di poter dire, quando constatiamo che in una certa varietà di lingua vi è un certo numero di fatti di semplificazione che non appaiono in un'altra varietà di lingua, che questa varietà di lingua sia più semplice rispetto all'altra; anche se è ovvio che la corretta metodologia impone di parlare di singoli fatti e settori di semplificazione, e non di una globale semplicità. Il secondo argomento si fonda su una duplice implicazione : che, nel problema in questione, semplificazione comporti un rapporto direzionale scritto — parlato, e che semplificazione significhi sempre innovazione; mentre „in universaler Hinsicht die Schreibsprache von der Sprechsprache abgeleitet ist" (Koch 1986, 142), e il parlato contiene anche regionalismi e arcaismi. Anche qui si potrebbe obiettare che, come già si è notato, non è detto che semplificazione implichi un rapporto direzionale di sviluppo da una varietà a un'altra: possiamo benissimo parlare di maggiore/minore semplicità confrontando fra loro due forme elementi strutture microsistemi ecc. corrispondenti (vale a dire, cum grano salis, adibiti alle stesse funzioni) di due varietà senza alcun rapporto di parentela, derivazione storica e cronologia relativa fra loro. Semplificazione è un concetto descrittivo e analitico pancronico, se vogliamo; e nel parlato ci possono ben essere arcaismi, di qualunque livello, non più presenti nello standard, ma di fatto più semplici della corrispondente forma o struttura dello standard. Una delle proposte che tipici di questa o quella singola lingua grazie alla sua particolare evoluzione storica e sociale; se il parlato è poco pianificato, e molto più soggetto alle restrizioni della situazione hic et nunc, tenderà giocoforza a presentare tratti di semplificazione rispetto allo standard scritto, ivi compresa la riduzione dei paradigmi, su cui si esprime criticamente Koch (1985, 75). La semplificazione può contribuire significativamente alle "necessità comunicative", se queste implicano un modo fondamentalmente 'pragmatico'.
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si vorrebbero consolidare in questo nostro contributo è proprio quella di evitare di considerare la semplificazione come un deus ex machina che spieghi il mutamento e la variazione. Se presso i romanisti tedeschi l'applicazione della nozione di semplificazione (in senso tecnico) alle varietà sub-standard e in particolare all'italiano popolare ha suscitato perlopiù riserve e perplessità, i linguisti italiani sembrano accettare senza difficoltà la prospettiva. Basti citare p. es. Mioni (1983, 497-9): "la semplificazione è un fatto normale di ogni situazione di lingue in contatto [...]. Nel caso dell'italiano popolare abbiamo però dei fatti assai rilevanti di semplificazione, soprattutto per quel che riguarda la sintassi della frase complessa, che possono far pensare a una 'pidginizzazione'", mentre "le lingue standard spesso conservano stati di lingua passati, interferenze di lingue classiche, resistenze a livellamenti analogici, ecc. [...] per questa ragione esse presentano delle regole più complesse". In effetti, se possiamo concludere provvisoriamente la discussione dello stato attuale della questione, dobbiamo dire che si è fondamentalmente d'accordo che il sub-standard sia caratterizzato fra l'altro anche da fatti di semplificazione (come quelli analizzati da Ernst 1983 e accennati da Koch 1986). E' invece dibattuta l'etichetta di 'semplificazione' : il disaccordo fra le posizioni sostenute da chi scrive e quelle dei romanisti tedeschi verte sulla portata tecnica della nozione di semplificazione, sulla sua natura e sulla sua applicazione alle varietà sub-standard. Per chi scrive, la nozione di semplificazione è ben definita teoricamente e metodologicamente, ed ha un ruolo importante nella fenomenologia del sub-standard; per altri, la nozione non è ben definita, e ha al massimo un ruolo secondario per il sub-standard. Spero che l'argomentazione avanzata qui in via preliminare per giustificare una buona fondazione teorica generale della nozione di semplificazione linguistica, e la sua applicabilità al sub-standard, se non tale da convincere appieno i suoi oppositori, sia almeno foriera di uno sviluppo della discussione e serva da stimolo per ulteriori riflessioni e ricerche che prescindano da diffidenze di principio verso la nozione.
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„Substandard" und „Subnorm". Die nicht-exemplarischen Ausprägungen der „Historischen Sprache" aus varietätenlinguistischer Sicht (Fortsetzung) Jörn Albrecht (Mainz)
Vorbemerkung Im ersten Teil des vorliegenden Aufsatzes (Albrecht 1986) wurden verschiedene Auffassungen der sprachlichen Variation diskutiert und Modelle zu ihrer Beschreibung vorgestellt. Aus Briefen, die den Verfasser erreichten, sowie aus Besprechungen geht hervor, daß der Hinweis auf den notgedrungen fragmentarischen Charakter dieser Teilpublikation nicht von allen Lesern zur Kenntnis genommen wurde (Albrecht 1986, 66). Es handelt sich nicht um einen thematisch abgeschlossenen Aufsatz, sondern um die bewußt sehr allgemein gehaltene theoretische Einführung in ein Problem, das hier im Hinblick auf einige seiner konkret-historischen Aspekte behandelt werden soll. Zur besseren Übersicht sei hier nochmals das gesamte Inhaltsverzeichnis wiedergegeben: 0. 0.1 0.2 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.4.1 1.4.2 1.4.3 2. 2.1 2.2 2.3 2.3.1
Einführung Vorläufige Definitionen Inhaltsübersicht Die sprachliche Variation und ihre Beschreibung Die Variation des Sprechens im allgemeinen Variation innerhalb der Einzelsprache Variable, Varianten, Varietäten Varietätengrammatiken Vorzüge und Schwächen der Varietätengrammatiken Besondere Schwierigkeiten mit lexikalischen Variablen Jede Einzelsprache hat ,ihren' Substandard
Sprachnormierung und Geschichte Das Problem der sprachlichen Norm Das Problem der sprachlichen Korrektheit Die unterschiedlichen „Architekturen" der Einzelsprachen Die Herausbildung der Norm im Französischen, Italienischen und Deutschen 2.3.2 Unterschiedliche Beurteilung der Variation im Raum 2.3.3 Unterschiede des Verhältnisses von dialects und styles 2.3.4 „Geschrieben" vs. „gesprochen" 3. Gibt es universelle Charakteristika der Substandardvarietäten? 3.1 Das Problem der Vereinfachung' 3.2 Größere Regelmäßigkeit 3.3 (Typologische) .Fortschrittlichkeit'
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3.3.1 Tendieren die Substandardvarietäten unserer europäischen Sprachen in besonderer Weise zum ,analytischen' Ausdruck? 3.4 Kleine Typologie der Substandardvokabeln 3.4.1 Pseudoreflexiva im Substandard 4. Ausblick
(Albrecht 1986 = 0. bis 1.4.3) 2. S p r a c h n o r m i e r u n g u n d Geschichte „Substandard" und „Subnorm" sind, wenn man, wie z. B. Bodo Müller, oberhalb der Norm einen eigenen Bereich, eine sog. „Supernorm" annehmen möchte (Müller 1975, 183), korrelative, wenn man dies nicht tut, sogar komplementäre Begriffe zu „Standard" und „Norm". Substandarderscheinungen in einer Einzelsprache können somit überhaupt nicht ,neutral', sondern immer nur ,differentiell', d. h. in Abgrenzung gegenüber den entsprechenden Erscheinungen des Standards beschrieben werden. Es ist hier nicht der Ort, sich in die heftige Diskussion um die Frage einzuschalten, was man in den Kulturwissenschaften unter „Erklärung" zu verstehen hat (vgl. u. a. Schwemmer 1976). Es sei daher an dieser Stelle ein wissenschaftstheoretisch weniger vorbelasteter Terminus verwendet: Wer „Einsichten" in das Verhältnis von Standard und Substandard in einer Einzelsprache gewinnen will, muß auf die Sprachgeschichte zurückgreifen - auf die Sprachgeschichte im weitesten Sinne, nicht etwa ausschließlich auf die „historische Grammatik". In den letzten Jahren sind einige Versuche unternommen worden, Soziolinguistik und historische Sprachwissenschaft miteinander zu verbinden. Es ist in diesem Zusammenhang sogar der Terminus „soziohistorische Linguistik" geprägt worden. "Synchronic sociolinguistics has been particularly convincing in its use of quantitative models to demonstrate how the 'present might be used to explain the past' (.. .). There have, however, been few attempts to cross-fertilize historical linguistics with sociolinguistics in order to 'use the past to explain the present'. This book tries to develop a methodological and theoretical framework for a field of research I refer to as 'socio-historical linguistics' (Romaine 1982, X).
So interessant es sein mag, „universelle Charakteristika von Standardund Substandardvarietäten ausfindig zu machen" (vgl. w. u. Abschnitt 3.), man läuft dabei ständig Gefahr, sich jener von Hermann Bausinger schon zu Beginn der ,Soziolinguistikwelle' ausgemachten Zunft von Junggrammatikern' anzuschließen, die „eine irgendwo gemachte Detailbeobachtung schnell als ,Gesetz' auf alle Gesellschaften überträgt" (Bausinger 1971, 49).
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2.1 Das Problem der sprachlichen Norm Unter den Mitgliedern einer historischen Sprachgemeinschaft, die einen bestimmten Entwicklungsgrad erreicht hat, pflegt sich eine stillschweigende Übereinkunft über die Existenz einer kanonischen Form' ihrer Sprache einzustellen. Die Mitglieder einer solchen Gemeinschaft beginnen, ihre Art zu sprechen gegenseitig zu kritisieren, indem sie z. B. behaupten, jemand spreche „schlecht" oder „inkorrekt" (zur Unterscheidung zwischen diesen beiden Bewertungen vgl. w. u. 2.2). Man sollte in diesem Zusammenhang zwischen der stillschweigenden Anerkennung der Existenz einer solchen .kanonischen Form' und tatsächlich ,normkonformem' und damit weitgehend homogenem Sprachverhalten in einer Gesellschaft unterscheiden. Wenn z. B. Bruno Migliorini (sicherlich nicht ganz zu Unrecht) behauptet, nirgendwo sei die „distinzione fra uso e buon uso, la divisione dei parlanti in ben parlanti e mal parlanti" so üblich wie in Italien (Migliorini 1961, 6), so bedeutet dies nicht, daß die italienische Sprachgemeinschaft de facto besonders homogen wäre, sondern nur, daß es in dieser Gemeinschaft eine große Bereitschaft gibt, sprachliche Leitbilder anzuerkennen (vgl. „Anerkennung" vs. „Gültigkeit" von „Normkonzepten" in Bartsch 1985, 217f.). Die neuere, wissenschaftliche' Sprachbetrachtung, die sich erst von einer Jahrhunderte hindurch gepflegten Tradition wertender Sprachbetrachtung als ,streng deskriptive' Disziplin zu emanzipieren hatte, ist gegenüber allen Manifestationen eines solchen „vorwissenschaftlichen metasprachlichen Bewußtseins" (Heger 1971, 13) feindselig, zumindest jedoch ironisch aufgetreten (vgl. u. a. Rettig 1976, 50-54, Bartsch 1985, 213f., und Baum 1987, 7-16). Erst als zu Beginn der siebziger Jahre unter dem Einfluß eines zunehmenden Interesses an sprachsoziologischen Fragestellungen die „Systemlinguistik", die fast ein Jahrzehnt hindurch die Rolle einer Leitdisziplin unter den Sozialwissenschaften eingenommen hatte, in eine Krise geriet, begann man dem Phänomen der Bewertung von sprachlichen Formen durch die Sprecher ernsthaft Aufmerksamkeit zu schenken. Nicht wenige Vertreter der „Systemlinguistik" übten tätige Reue: sie prangerten die zu „schmale Idealisierungsbasis" ihrer Disziplin an (Kanngießer 1972) und forderten später dazu auf, das „Internalitätsprinzip der Spracherklärung" generell aufzugeben (Habel/Kanngießer 1978, 1-19); sie machten darauf aufmerksam, daß der Gewinn an Explizitheit, Systematik und „Erklärungskraft" ( = explanatory power) durch eine „methodologische Reduktion des Objektbereichs" „eingekauft" (sc. erkauft) worden sei (Wunderlich 1971, 300), oder sie schrieben in ihren reiferen Jahren umfangreiche Bücher zur Sprachnormproblematik (Bartsch 1985).
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In den vergangenen fünfzehn Jahren ist eine reichhaltige Literatur zur Normenproblematik im allgemeinen und zur Sprachnormproblematik im besonderen entstanden. Das bereits mehrfach erwähnte Buch von Renate Bartsch, Sprachnormen: Theorie und Praxis darf als vorläufige Summa dieser Bemühungen gelten 1 . In dieser von der modernen Soziologie stärker als von der Linguistik im engeren Sinne beeinflußten Literatur stehen die Entwicklung einer normtheoretischen Begriffssprache und vor allem das Problem der Legitimierung von Normen im Mittelpunkt. Konkrete Norminhalte werden kaum ernsthaft diskutiert, sie werden allenfalls gelegentlich zur Stützung der normtheoretischen Argumentation herangezogen. Für die adäquate Beschreibung der Entstehung von Standardsprachen auf .natürliche' Art und Weise (vgl. Bartsch 1985, 238f.) kann die normtheoretische Literatur nur den .Rahmen' zur Verfügung stellen, das .Bild' müssen die Sprachhistoriker malen. Für das Französische verfügen wir über brauchbare Skizzen (Brunot 1906/66 und vor allem François 1959) ; dasselbe gilt - wenn auch in geringerem Maße - für das Italienische (Migliorini 1960/78). Für das Deutsche steht die große Synthese noch aus; keine der zahlreichen Darstellungen der deutschen Sprachgeschichte .erklärt' die Herausbildung des „Standards" im Deutschen in zufriedenstellender Art und Weise 2 . Der Status der Norm innerhalb der „Architektur" einer „historischen Sprache"3 ist natürlich für die Einstellungen der Sprecher ge1
Das gilt zunächst einmal im positiven Sinn. Die Verf. hat die umfangreiche Literatur zu diesem Gebiet kritisch gesichtet und darüber hinaus eine scharfsinnige begriffliche Analyse des gesamten Problemkomplexes geliefert. Es gilt jedoch auch in jenem negativen Sinn, den die Verächter der scholastischen Theologie dem Wort Summa beizulegen pflegen. Die Auseinandersetzung mit Saussure krankt daran, daß sie auf der nicht immer zuverlässigen deutschen Übersetzung des Cours de linguistique générale beruht, die Interpretation des abstrakten sprachtheoretischen Normbegriffs Coserius ist vollständig mißlungen (vgl. Bartsch 1985, Kap. II). Offensichtlich hat sich die Verf. nicht darum bemüht, den „aristotelisch-essentialistischen Jargon" Coserius (S. 71) in ihre eigene Begrifflichkeit zu übersetzen, was durchaus möglich gewesen wäre. Zahlreiche grobe sprachliche Fehler (z. B. verstoßen statt verstießen, S. 147, für weitere Details. . ., passim) erwecken den Eindruck, daß das Interesse der Verf. an Sprachnormen tatsächlich rein theoretischer Natur ist. 2 Eine Fülle von Material zu diesem gesamten Komplex findet man in dem außerordentlich verdienstvollen Sammelband von Besch/Reichmann/ Sonderegger 1983/84, Material, das geeignet erscheint, gewissen Legendenbildungen etwa im Hinblick auf die Rolle Luthers oder des sog. Meißnischen bei diesem Prozeß entgegenzuwirken. 3 Zu den hier verwendeten, von E. Coseriu in Anlehnung an L. Flydal geprägten Termini vgl. den ersten Teil des vorliegenden Aufsatzes (Albrecht 1986, 68-78).
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genüber Substandardvarietäten ausschlaggebend; wir werden auf diesen gesamten Fragenkomplex in 2.3 zurückkommen. Hier seien - notgedrungen in apodiktischer Form - abschließend zwei kritische Anmerkungen zur theoretischen Auseinandersetzung mit der Sprachnormproblematik gemacht. - Die „kanonische Form" einer „historischen Sprache" tritt im Laufe der Geschichte in unterschiedlichen Ausprägungen auf. Es scheint problematisch, Termini wie Literatursprache, Schriftsprache, Gemeinsprache und Hochsprache („Standard") nahezu wie Synonyme zu behandeln (vgl. Baum 1987, 31 ff.). Die Begriffe, die für diese Benennungen stehen, verfügen nicht über die gleichen inhaltlichen Merkmale (vgl. u. a. Besch: 1983 und 1984). - In der normtheoretischen Literatur wird häufig stillschweigend angenommen, es handle sich bei der Standardsprache um eine Varietät der „historischen Sprache". Dieser Ansicht kann man zumindest aus konservativer, „systemlinguistischer" Sicht nicht zustimmen. Der „Standard" einer „historischen Sprache" ist fast immer ein „Kompromiß" zwischen mehreren naturwüchsigen' Varietäten und verfügt über einen geringeren Grad an Regelmäßigkeit' als diese. Verschiedene ,zünftige' Sprachwissenschaftler des 19. Jahrhunderts haben auf diese Tatsache hingewiesen (vgl. Albrecht 1986, Anm. 9). Richard Baum kritisiert aus grundsätzlichen Erwägungen die gängige Praxis, die „kanonische Form" einer Einzelsprache mit den Mitteln der Varietätenlinguistik zu beschreiben: „Hochsprache als ,Standardvarietät' im Spektrum sprachlicher Erscheinungen einzuordnen, sie wie diese als im Zeichen ,stetigen Wandels' stehend zu begreifen, heißt, ihre Rolle als Schriftsprache und damit als ,kultur- und traditionsstiftenden Faktor' ersten Ranges verkennen" (Baum 1987, X). Man könnte dieses Argument aus ,systemlinguistischer' Sicht radikalisieren: „Hochsprachen" sind überhaupt nur in einem eingeschränkten Sinne „natürliche Sprachen"4. 2.2 Das Problem der sprachlichen Korrektheit Das Problem der sprachlichen Korrektheit wird oft als eine Art von Korollar der Sprachnormproblematik angesehen. Wenn auch ein gewisser Zusammenhang zwischen den beiden Problemkomplexen besteht, so handelt es sich bei „normgemäßen" und „korrekten" sprachlichen Äußerungen um zwei grundsätzlich verschiedene Erscheinun4
„Natürlich" und „künstlich" bilden selbstverständlich keine Opposition im strukturalistischen Sinn, es handelt sich vielmehr um die konträren Pole einer gleitenden Skala.
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gen: Die Norm ist eine Kategorie der Sprache, die Korrektheit eine Kategorie des Sprechens. Coseriu hat sich vor gut dreißig Jahren in einer umfangreichen Arbeit des Problems der sprachlichen Korrektheit angenommen. Das Buch ist unter dem Titel El problema de la corrección idiomàtica seit längerer Zeit angekündigt ; ein besonders wichtiges Kapitel liegt bereits in deutscher Übersetzung vor (Coseriu 1988). Coseriu weist darauf hin, daß die Extension des intuitiven Begriffs der Korrektheit viel größer ist als die des linguistischen Begriffs der Korrektheit, d. h. der Übereinstimmung einer sprachlichen Äußerung mit den Regeln einer Einzelsprache. Ein Satz wie „Die zwanzig Mark waren ihr Geld wert" wird gewöhnlich - nicht o b w o h l , sondern gerade w e i l er verständlich ist - als „inkorrekt" zurückgewiesen. Er verstößt jedoch nicht gegen eine Sprachregel, sondern lediglich gegen eine Regel des Sprechens in einer beliebigen Sprache. Wer auf ein Strafmandat wegen Falschparkens mit einem Brief etwa der folgenden Art reagiert: „Liebe Polizei, ich verstehe zwar, daß Du mich aufschreiben mußtest, aber ich finde das trotzdem ungerecht, denn meine Mutter ist gehbehindert, und ich konnte einfach keinen anderen Parkplatz finden", der äußert sich einerseits in „inkohärenter", andererseits auch in „unangemessener" Form, aber er schreibt „korrektes" Deutsch. (Es ist fraglich, ob die „Unangemessenheit" in diesem speziellen Fall im Rahmen der bisher erarbeiteten varietätenlinguistischen Konzepte zufriedenstellend beschrieben werden kann, etwa als Wahl des „falschen Registers"). Der Vorwurf der Inkorrektheit, der seine höchste Steigerung im Stereotyp vom bedauernswerten Individuum findet, das „nicht einmal die eigene Muttersprache beherrscht", zielt freilich auf einen noch größeren Bereich denkbarer Fehlleistungen ab; er betrifft nicht selten neben Regelverstößen auch Verstöße gegen die Norm: Im Münchner Exil beklagt Tony Buddenbrook ihr Schicksal, das sie dazu gezwungen hat, in einem Lande zu leben, „wo man Torte mit dem Messer ißt und wo die Prinzen falsches Deutsch reden" 5 . Was der Lübecker Patriziertochter als falsches Deutsch erscheint, ist in jedem Fall „richtiges Bairisch". Eine Äußerung kann in einer Varietät sprachlich („idiomatisch" in der Terminologie Coserius) „korrekt" sein und gleichzeitig „inkorrekt" aufgrund der fehlenden Normkonformität. Wer „heb mir das mal" statt „halte das mal", "c'est moi que je dois y aller" statt "c'est moi qui dois y aller" oder "cosa c'è successo?" statt "cosa è successo?" sagt, befolgt eine Regel und spricht - im Sinne der deskriptiven Linguistik - natürlich „richtig"; die befolgte Regel wird jedoch nicht ,offiziell anerkannt', 5
Thomas Mann, Buddenbrooks, Teil VI, Kap. 10.
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eine andere Regel wird ihr vorgezogen, und somit stellt die Befolgung der .falschen' Regel einen Verstoß gegen eine geltende Norm dar (vgl. u. a. Bartsch 1985, 157ff.). Die beiden Arten von Verstößen werden gelegentlich auch von den Mitgliedern der Sprachgemeinschaft unterschieden: im Fall von Regelverstößen pflegt man von „falschem", im Fall von Normabweichungen von „schlechtem" Deutsch, Französisch, Italienisch usw. zu sprechen 2.3 Die unterschiedlichen „Architekturen" der Einzelsprachen Der Status des „Standards" innerhalb der Varietäten verschiedener Einzelsprachen hängt vom Verlauf der Sprachgeschichte ab, er ist in den verschiedenen „historischen Sprachen", nicht zuletzt in den hier etwas eingehender betrachteten, grundverschieden. Die unterschiedlichen „Architekturen" der Einzelsprachen müssen berücksichtigt werden, wenn man etwas Verbindliches zum Verhältnis von Standard und Substandard auf der Ebene der konkreten sprachlichen Norminhalte sagen will. Im hier vorgegebenen Rahmen können nur einige Thesen aufgestellt werden. Generell läßt sich sagen, daß das Deutsche und das Italienische als Gemein sprachen schwächer normiert sind und über einen größeren Variationsspielraum verfügen als das Französische (das gilt natürlich nicht für die ältere italienische Literatursprache). Diese Behauptung ist keineswegs neu; für das Italienische hat Robert Rüegg vor über dreißig Jahren gezeigt, wie gering die regionale Einheitlichkeit in den .praktischen' Bereichen des italienischen Wortschatzes ist (Rüegg 1956). Er hat damit ein Thema wiederaufgegriffen, das Alessandro Manzoni hundertdreißig Jahre früher in die Diskussion um die questione della lingua eingebracht hatte: das Fehlen von einheitlichen, d. h. nicht auf einzelne Regionen beschränkten Bezeichnungen für die Dinge des alltäglichen Lebens, von denen in der Literatur vor Manzoni kaum jemals die Rede gewesen war: "Ma ad ogni modo . . . mi mancan troppe cose, e quel che è più singolare, cose delle più necessarie. Chè non sono già raffinamenti, curiosità, sottigliezze della lingua italiana ch'io vada cercando: quel che vorrei... son tutte cose appartenenti al grosso della lingua... : saranno modi propri di significare avvenimenti giornalieri, operazioni consuete, e, per dir cosi inevitabili.. ., nomi di oggetti i più usuali, di cose che avete in casa, che veggo in questa stanza" (Manzoni, Della lingua italiana, Libro primo, capitolo primo, zit. nach Reynolds 1950 , 154f.).
Wir werden sehen, daß die Verhältnisse in Deutschland in dieser speziellen Hinsicht recht ähnlich sind (vgl. 2.3.2).
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2.3.1 Systematische Darstellungen der historisch bedingten Position des Standards einer „historischen Sprache" im Rahmen des in Teil I skizzierten Modells der „Architektur" der Sprache von Flydal und Coseriu liegen noch nicht vor. Die notwendigen Vorarbeiten dazu sind geleistet ; in der umfangreichen Literatur zur Sprachgeschichte, zur Dialektologie und neuerdings zur Soziolinguistik liegt eine Fülle von Material für Darstellungen dieser Art bereit. Nur zu Einzelproblemen, nicht zuletzt zur ,Nordverlagerung' der topischen Basis des Deutschen, wären noch gründliche historische Untersuchungen anzustellen. Es kann hier nur eine sehr flüchtige und übertrieben schematische Skizze für die Sprachen Französisch, Italienisch und Deutsch geliefert werden. Die Darstellung orientiert sich an den folgenden Kriterien: An der topischen und stratischen Basis des „Standards" und an den Modalitäten seiner Verbreitung über den ursprünglichen Geltungsbereich hinaus. Im Zusammenhang mit dem zweiten Kriterium interessiert ganz besonders die Rolle, die der g e s c h r i e b e n e n Sprache bei diesem Prozeß zukommt. Französisch : Der Standard entwickelt sich auf einer verhältnismäßig engen topischen und stratischen Basis und verfügt von Anfang an über ein gewisses diaphasisches Variationsspektrum. Er verbreitet sich relativ kontinuierlich, sowohl in ,horizontaler' (räumlicher) als auch in ,vertikaler' (sozialer) Hinsicht (zum Problem des français populaire s. 2.3.3). Dabei kommt der geschriebenen Sprache in der frühen Verbreitungsphase eine weniger dominierende Rolle zu als im Italienischen oder Deutschen. Die crise du français - eine Folge der Fixierung der Schriftsprache - beginnt nicht, wie gelegentlich behauptet wird, im Jahrhundert Ludwigs XIV. (vgl. z. B. Söll 1969/83: 271 f.), sondern erst im Jahrhundert Voltaires. In seiner berühmten Definition des bon usage räumt Vaugelas der gesprochenen Sprache gegenüber der geschriebenen den Vorrang ein. Als überzeugter Anhänger der antiken consuetudo-Lehre versichert er, daß „Wandel" ein definitorisches Kriterium für den Begriff „lebende Sprache" sei und daß somit die Kodifizierung des bon usage allenfalls für eine Generation Gültigkeit beanspruchen könne : "ce qui est bon maintenant, sera mauvais dans quelques années" (Vaugelas/Streicher 1934, Préface, X). Erst im 18. Jahrhundert orientiert sich die präskriptive Norm immer stärker an der Vergangenheit. So liest man z. B. unter dem Stichwort langue française in Voltaires Dictionnaire philosophique : "Il me semble que lorsqu'on a eu dans un siècle un nombre suffisant de bons écrivains devenus classiques, il n'est plus guère permis d'employer d'autres expressions que les leurs, et qu'il faut leur donner le même sens, ou bien dans peu de temps, le siècle présent n'entendroit plus le siècle passé".
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In einer solchen Situation (sie war in Italien und in Deutschland von Anfang an gegeben) kann natürlich das ,systemlinguistische' Prinzip des sekundären Charakters der geschriebenen Sprache keine uneingeschränkte Gültigkeit beanspruchen: Da Daten über den als vorbildlich angesehenen älteren Sprachzustand nur in schriftlicher Form vorliegen, wirkt die geschriebene Sprache in gewissen Bereichen auf die gesprochene zurück. Es wäre jedoch sicherlich verfehlt, in einem solchen Fall generell vom Primat der geschriebenen Sprache über die gesprochene zu reden6. Italienisch: Der Standard entwickelt sich auf einer außerordentlich engen topischen Grundlage. Bestimmte Eigentümlichkeiten des Italienischen wie die Schwächung des vortonigen a zu e (z. B. in Konjugationsformen wie porterd, porterei) oder die Entwicklung i > e > i (1/ngua, v;nee, c/glio) und ü > g > u (vgl. pwnto, ft/ngo) sind spezifisch florentinischen, allenfalls noch pisanischen Ursprungs, die östliche und südliche Toskana bleibt in diesen Fällen bei gemeinromanischem e bzw. g (vgl. u. a. Rohlfs 1966 I, 72f. 91)7. Auf einige Eigentümlichkeiten wäre besonders hinzuweisen: - Die Vorrangstellung der geschriebenen Sprache ist stärker als etwa in Frankreich. Langezeit existiert das Italienische nur in Form einer Literatursprache, später dann auch als Schriftsprache. Es konnten somit nur diejenigen Eigentümlichkeiten des Toskanischen ins Italienische übergehen, die orthographisch in Erscheinung treten. Das rafforzamento (raddoppiamento) sintattico wird im „Standard" außerhalb der Toskana phonisch in jedem Fall dann realisiert, wenn die dabei entstehenden Doppelkonsonanten auch geschrieben werden: eppure, ebbene, piuttosto usw. In den übrigen Fällen, in denen die Verdoppelung nicht im Schriftbild erscheint, sprechen die Gebildeten außerhalb der Toskana, die um eine möglichst ,korrekte" Aussprache bemüht sind, die Doppelkonsonanten nicht oder zumindest nicht regelmäßig; Vergleichbares gilt für die Unterscheidung zwischen e und e (wie z. B. in venti „zwanzig" - venti „Winde") und zwischen o und o (wie z. B. in corso „gelaufen" und corso „korsisch"), sowie für weitere phonologische Fakten (vgl. u. a. Lepschy 1978, 89f., 95ff., und Sobrero 1988, 734)8. 6
Vgl. u. a. Brunot 1906/66, VI,2, 863-872; Seguin 1972, lOff. Zu dem u. a. von J. Derrida unternommenen Versuch, die geschriebene Sprache als eigenständige, von der gesprochenen Sprache unabhängige Existenzform von Sprache auszuweisen, wird in Abschnitt 2.3.4. Stellung zu nehmen sein. 7 Eines der klassischen Probleme der Italianistik, der Status der intervokalischen stimmlosen Konsonanten des Vulgärlateins in der Literatursprache (vgl. fuoco, ruota, sapere, casa [s] vs. lago, strada, povero, sposo [z]) kann hier nicht berücksichtigt werden.
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- Im Gegensatz zu Frankreich gibt es in Italien keine Einigkeit unter den Sprachforschern hinsichtlich der topischen Basis ihrer Sprache: In der ,klassischen' questione della lingua ging es bekanntlich nicht so sehr um die Wahl einer geeigneten Basis für eine erst noch zu schaffende Literatursprache als um die Identifizierung der Basis dieser de facto bereits existierenden Sprache 9 . - Die literatursprachliche Phase des Italienischen hat außerordentlich lange gedauert, die Verbreitung des Standards außerhalb seines .natürlichen' Geltungsbereiches macht nur sehr langsame Fortschritte. Nach Berechnungen Tullio De Mauros beherrschten zum Zeitpunkt der nationalen Einigung allenfalls 2,5% der Bürger des neuen Staates die Nationalsprache (De Mauro 21972, 43); dieser Behauptung ist allerdings energisch widersprochen worden (Castellani 1982, 24). Deutsch: Der Standard entwickelt sich auf einer uneinheitlichen, im Laufe der Jahrhunderte ständig wechselnden topischen Grundlage; die Ansichten der Sprachhistoriker zu diesem Punkt haben sich seit Karl Müllenhoff, der noch von einer kontinuierlichen Entwicklung ausging, ständig geändert und sind auch heute noch sehr kontrovers (vgl. u. a. Besch 1967; Nabrings 1981, 79f.; Besch 1983, insb. 966ff„ und Besch 1984). Wenn man einmal von der mittelhochdeutschen Dichtersprache absieht, von der keine ungebrochene Traditionslinie zum neuhochdeutschen „Standard" führt, entwickelt sich eben diese moderne Standardsprache eher aus einer Schrift- denn aus einer Literatursprache. Über die Vorrangstellung der geschriebenen Sprache bei dieser Entwicklung besteht weitestgehend Übereinstimmung; sie zeigt sich allein schon in der heute noch üblichen Wendung „nach der Schrift reden" für „die Hochsprache sprechen" (vgl. u. a. Eggers 1969, 172). Eine bislang immer noch nicht ausreichend erforschte, geschweige denn ,erklärte' Anomalie stellt der verhältnismäßig rasche Übergang Norddeutschlands zum Hochdeutschen dar, der schon bald nach dem Niedergang der Hansesprache einsetzte (vgl. u. a. Besch 1984, 1802)10. Dieses seltsame 8
In Lepschy/Lepschy 1981, 57-78 werden dagegen - ungeachtet der Invektiven Giulio Lepschys gegen die linguaioli - viele Erscheinungen der pronuncia toscana colta stillschweigend als „italienisch" ausgegeben. 9 Die Tatsache, daß die gorgia immer auf die Toskana beschränkt geblieben ist, wird gewöhnlich als Beleg dafür aufgeführt, daß das Italienische primär Literatur* und Schriftsprache gewesen ist. Man könnte dieses Faktum jedoch auch zur Stützung der These von der „Italianität" der Gemeinsprache anführen. Wäre die topische Basis des Italienischen tatsächlich das Florentinische so könnten die Nachfahren Castigliones argumentieren - so wäre die gorgia sicherlich in irgendeiner Form in der Orthographie erschienen. 10 Es sei daran erinnert, daß es bereits sehr viel früher vereinzelte Fälle von Sprachwechsel im niederdeutschen Sprachgebiet gegeben hat. So schrieb z. B. in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts der bürgerliche Spruchdichter
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Phänomen der freiwilligen Aufgabe der angestammten Sprache zugunsten einer letztlich doch fremden hatte bekanntlich besonders große Konsequenzen für Phonetik und Phonologie der entstehenden Standardsprache. Süddeutschland hat bis heute diese phonetisch-phonologische „Uminterpretation", die sich vor allem im Norden vollzogen hat, nicht angenommen 11 . Dazu kam, daß diese „Sprachersetzung" bei den höchsten sozialen Schichten begann und daß das Hochdeutsche im niederdeutschen Sprachgebiet zunächst nur bei offiziellen' Anlässen Verwendung fand. Hierin liegt vermutlich einer der Gründe dafür, daß der Ausdruck „hochdeutsch" schon frühzeitig von den Sprechern nicht mehr im ursprünglichen, rein geographischen, sondern in einem sozio-stilistischen Sinn interpretiert wurde (Sander 1983, 998ff.) 12 . Johann Bödiker (1641-1695), ein Grammatiker aus der Schule Schottels, scheint in seinem 1690 erstmals veröffentlichten Werk Grund-Sätze Der Deutschen Sprachen im Hochdeutschen schon eine ,künstliche', nicht mehr an ein bestimmtes Herkunftsgebiet gebundene Varietät sehen zu wollen: Neben der ,,Niedersächsische[n] Sprache, der sich schier halb Deutschland gebrauchet..." und der ,,Oberländische[n] Sprache, die auch schier halb Deutschland hören lässet, an den Ober-Sachsen, Francken, Schwaben, Schweitzern, Rheinländern, Bayeren, Oesterreichern usw." gibt es für ihn die „Hochdeutsche Sprache, die durch angewandten Fleiß der Gelahrten nunmehr aus den vorigen Arten erwachsen.. ,"13.
Im Hinblick auf die Fragen, die uns hier interessieren, muß besonders hervorgehoben werden, daß die „Standardvarietät" des Deutschen weiter als die des Französischen oder des Italienischen von den „naturwüchsigen" Varietäten entfernt ist. Dies gilt besonders für die „primären" Dialekte. Während zwischen der Mundart der Ile de France und Rumslant von Sachsen hochdeutsch, obwohl er niederdeutscher Herkunft war und sich auch vorwiegend im Norden, zeitweise sogar in Dänemark aufgehalten hat. 11 In gewisser Hinsicht wird durch die norddeutsche Aussprache das Ergebnis der hochdeutschen Lautverschiebung in Frage gestellt. Aus aspirierten Tenues entstanden Affrikaten (im Falle von k nur im Oberdeutschen), aus den Mediae Tenues, die in der norddeutschen Aussprache eben wieder jene Aspiration erhielten, die bei den ursprünglichen Tenues durch Affrikatenbildung „ersetzt" worden war. 12 Die bis heute heftig umstrittene Rolle Martin Luthers sowohl bei der Entstehung als auch bei der Verbreitung der frühneuhochdeutschen Schriftsprache kann hier nicht behandelt werden (vgl. u. a. Bach 1984). 13 Johann Bödiker: Grund-Sätze Der Deutschen Sprachen Im Reden und Schreiben/Samt einen [sie] Bericht vom rechten Gebrauch Der Vorwörter/Der studierenden Jugend und allen Deutschliebenden zum besten vorgestellet/Von Johanne Bödikero, P. Gymn. Svevo-Colon. Rectore, Berlin 1698, Vorrede.
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dem Standardfranzösischen, zwischen dem Toskanischen bzw. Florentinischen eine enge Verwandtschaft besteht, läßt sich im Falle des Deutschen keine besondere Affinität des Standards zu einem primären Dialekt nachweisen. Die in vielen Sprachgebieten anzutreffende ,naive' Ansicht, es gebe eine Gegend des Sprachgebiets, in dem die jeweilige Sprache in ihrer ,reinsten Form' gesprochen werde, läßt sich, wenn überhaupt, nicht auf der Ebene der primären, sondern allenfalls auf derjenigen der „sekundären Dialekte" überprüfen 14 . 2.3.2 Die Variation im Raum gehört zu den am längsten und am gründlichsten erforschten Problemen der Sprachwissenschaft; sie war bereits bevorzugter Gegenstand einer Varietätenlinguistik ante litteram. Wenn man von frühen Traktaten wie Dantes De vulgari eloquentia oder Charles de Bovelles' Liber de differentia vulgarium linguarum et Gallici sermonis varietate15 absieht, so beginnt die Dialektologie als angewandte Disziplin mit dem Ziel der Durchsetzung eines überregionalen Standards im gesamten Sprachgebiet. Heinrich Löffler spricht in diesem Zusammenhang vom „normativen Interesse" der Dialektologie: „Das Ringen um die Norm führte zu den ersten deutschen Grammatiken. Dabei waren die Dialekte insofern Gegenstand der Betrachtung, als sie die Folie abgaben für die überregionale Einheitssprache. Die Beschäftigung mit Dialekten war also eine negative. Man ging auf sie ein, weil man sich von ihnen trennen wollte" (Löffler 1974, 15).
Ähnlich verhält es sich mit einer Reihe von Untersuchungen in Frankreich, die mit den Gasconismes corrigés von Desgrouais (1768) beginnt. So aufschlußreich diese Arbeiten für die Kenntnis des Zustands der französischen und okzitanischen Dialekte im 18. Jahrhundert sein mögen, sie sind alle von dem von Löffler geschilderten negativen Interesse an den Dialekten getragen. Mit der horizontalen Verbreitung des Standards über ein größeres Gebiet geht meist die Entstehung eines Mythos einher, der in verzerr14
Die Unterscheidung von primären, sekundären und tertiären Dialekten (vgl. w. u.) stammt von E. Coseriu. „Primär" heißen die Dialekte, die bereits vor der Entstehung der Gemeinsprache existierten, „sekundär" diejenigen, die durch die Ausbreitung der Gemeinsprache über ein größeres Gebiet entstehenden diatopischen Varietäten der Gemeinsprache. Bei der Entstehung von sekundären Dialekten fungieren die primären Dialekte als Substrat, z. B. im Fall des bereits von Kretschmer detailliert beschriebenen „Honoratiorenschwäbisch" (Kretschmer 1918/69, 12f.). Unter „tertiären Dialekten" versteht Coseriu die verschiedenen Ausformungen des Standards in verschiedenen Ländern, z. B. das Schriftdeutsche in Österreich oder das Französische in Belgien (vgl. Coseriu 1977/88, 51f. und 1981/88, 26f). 15 Eine ausführliche Würdigung findet man bei Schmitt 1979.
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ter Form die Erinnerung daran widerspiegelt, daß die kanonische Form der Nationalsprache ursprünglich in einer bestimmten Region des Sprachgebiets entstanden war, die Vorstellung, daß die jeweilige Sprache in einer ganz bestimmten Gegend in ihrer „reinsten Form" gesprochen werde. In der Regel handelt es sich dabei bald schon nicht mehr um die Region, die die engsten historischen Beziehungen zur Standardvarietät aufweist. Das „reinste Französisch", so die vox populi, soll heute in der Touraine, das „reinste Deutsch" in der Gegend um Hannover gesprochen werden 16 . Nur in der bekannten Formel "lingua toscana in bocca romana" (vgl. u. a. Radtke 1986, 108f.) erscheint das Bewußtsein von der heterogenen topischen Grundlage des Standards bereits auf volkstümlicher Ebene. Es kann hier kein Gesamtbild der diatopischen Variation im Französischen, Italienischen und Deutschen geliefert werden, etwa von der Art, wie es Bodo Müller für das Französische skizziert hat (vgl. Müller 1975,107ff.; 1985, 134ff.). Im Kontext unserer Überlegungen interessieren vornehmlich zwei Fragen: a) Wie groß ist die Variabilität „innerhalb der Norm" bzw. in normnahen Bereichen, und inwiefern ist diese regional bedingt? b) Wie werden regionale Varianten in der Sprachgemeinschaft insgesamt beurteilt? Ad a) Die Homogenität ist generell am größten im Bereich der Morphosyntax aus dem einfachen Grund, weil dieser Bereich von jeher zu den bevorzugten Norminhalten (Bartsch 1985, 164) gehört. Immerhin weisen die drei hier näher betrachteten Sprachen auch auf diesem Gebiet einen gewissen Variationsspielraum auf : frz. je puis ~ je peux; stupéfait ~ stupéfié; vais ~ vaux it. visto ~ veduto; è piovuto ~ ha piovuto; dovei ~ dovetti dt. Bösewichter ~ Bösewichte ; Friede ~ Frieden; schwömme ~ schwämme 17 . Es wäre interessant, Variationserscheinungen dieser Art möglichst vollständig zu erfassen und zu untersuchen, ob und inwieweit sie mit der räumlichen Dimension der Variation in Verbindung stehen. 16
Sehr viel differenzierter heißt es hierzu bei Kretschmer 1918/69, 11: „In manchen Orten hält sich die Sprache der Gebildeten von der Mundart besonders fern, z. B. in Hannover...". 17 Die Beispiele wurden normativen Grammatiken neueren Datums entnommen. Dabei wurde darauf geachtet, daß an der Fundstelle nicht ausdrücklich auf bestehende Bedeutungsunterschiede zwischen den Varianten hingewiesen wurde. Das schließt natürlich nicht aus, daß solche Unterschiede bestehen oder im Entstehen begriffen sind (vgl. hierzu den ersten Teil des vorliegenden Aufsatzes, Albrecht 1986, 77).
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Die Homogenität ist geringer im Bereich der Lexik, vor allem aufgrund der Tatsache, daß gewisse Naturgegenstände, Artefakte und Institutionen an bestimmte Gegenden des Sprachgebiets gebunden sind: Zwischen Brötchen, Weck(en), Semmeln und Schrippen bestehen z. T. sachliche Unterschiede. Dazu kommt, daß es die Sprachnormierer oft versäumt haben, den Gebieten des alltäglichen Lebens ihre Aufmerksamkeit zu schenken und unter konkurrierenden Formen wie Schnürsenkel, Schuhband und Schuhbendel, Öhmd und Grummet oder Rauchfangkehrer, Kaminkehrer, Kaminfeger, Schornsteinfeger eine als allgemein verbindliche auszuwählen. Für das Italienische ist das Phänomen der geosinonimi sehr gut erforscht, und zwar nicht nur - das ist in diesem Zusammenhang besonders wichtig - im begrenzten Rahmen der Sprachgeographie. In Deutschland und - in weit höherem Maße in Frankreich wird dieser gesamte Bereich den Sprachgeographen und Dialektologen überlassen und als potentieller „Norminhalt" nicht gesonders ernst genommen. Zumindest die Angehörigen der Bildungsschicht halten gewöhnlich ihren eigenen Sprachgebrauch auf diesem Gebiet für maßgebend, den davon abweichenden für „regional"18. Am geringsten ist die Homogenität im Bereich der Phonetik (bis zu einem gewissen Grade auch in dem der Phonologie), wenn der betreffende Standard hauptsächlich auf schriftlicher Grundlage verbreitet wurde, also im Italienischen und im Deutschen. Während bis vor kurzer Zeit, bis zum Beginn der europäischen Regionalismuswelle, ein „Akzent" in Frankreich immer ein gesellschaftliches Handikap darstellte, gibt es in Italien überhaupt keine diatopisch nicht markierte Aussprache: " . . . non c'è parlante nativo, per quanto colto, che nella lingua parlata non mostri almeno qualche tratto fonetico diatopicamente marcato" (Berretta 1988, 763; vgl. Lepschy 1978, 69 und 74). In Deutschland war das bis zum Zweiten Weltkrieg ähnlich. Durch die ungeheuren Umwälzungen, die mit dem Kriegsende verbunden waren, und der darauf folgenden großen Mobilität gibt es heute in Deutschland verhältnismäßig viele Sprecher, denen ihre Herkunft nicht anzuhören ist. Das heißt allerdings nicht, daß sie eine der kanonischen Aussprachen des Deutschen, etwa die „Deutsche Bühnenaussprache und Hochsprache" nach Theodor Siebs sprechen würden, sie verfügen vielmehr über eine Mischung regionaler Eigentümlichkeiten, die zwar si18
Französische Freunde des Verf. verwenden myrtille ausschließlich im Sinne von „Heidelbeere, Blaubeere", airelle ausschließlich im Sinne von „Preiselbeere". Als sie auf die entsprechenden Einträge in verschiedenen repräsentativen französischen Wörterbüchern hingewiesen wurden, bezeichneten sie diese - obwohl sonst sehr normbewußt und wörterbuchgläubig - unumwunden als falsch.
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cherlich zu einem Ausgleich zwischen den verschiedenen Regionalaussprachen beiträgt, die jedoch nicht als exemplarisch gelten darf. Ad b) In varietätenlinguistischer Hinsicht wäre die Beantwortung der zweiten Frage von besonderem Interesse: Wie werden diatopisch bedingte Abweichungen in den verschiedenen Sprachgemeinschaften beurteilt, genauer, wird regionale Abweichung als „Andersartigkeit" registriert oder aber als „Minderwertigkeit" gebrandmarkt? Zwar gibt es eine Reihe von Einzeluntersuchungen zu dieser Frage19, es fehlen jedoch meines Wissens umfangreiche empirische Untersuchungen, die als repräsentativ für ein ganzes Sprachgebiet gelten dürften. Aber auch ohne eine solche Untersuchung lassen sich unmittelbar zwei gegenläufige Tendenzen ausmachen, die bei der Beeinflussung der Sprechereinstellungen gegenüber regionalbedingten Abweichungen vom Standard in Frage kommen. Einerseits besteht in einer Sprachgemeinschaft, die über einen überregionalen Substandard verfügt, eher die Möglichkeit einer ,wertfreien' Beurteilung regionaler Variabilität als in Sprachgemeinschaften, in denen der Prozeß der horizontalen Vereinheitlichung nur auf der Ebene des Standards zum Abschluß gekommen ist. Man sollte also annehmen, daß im Italienischen und im Deutschen, wo es bis heute nur ansatzweise einen einheitlichen, d. h. regional nicht differenzierten Substandard gibt, eher die Tendenz besteht, Regionalismen als „minderwertig" anzusehen, als in Frankreich, wo das sog. français populaire in regional wenig differenzierter Form auftritt (vgl. 2.3.3.). Diese Argumentation greift zu kurz, denn im Bereich der „Spracheinstellungen" spielt nicht nur die „Architektur" der jeweiligen „Historischen Sprache", sondern auch die geographisch-administrative Organisation des gesamten Sprachgebiets eine entscheidende Rolle, und diese beiden Faktoren beeinflussen die Einstellung der Sprecher in unterschiedlicher Art und Weise. In einem Land wie Frankreich, das bis vor kurzem nur über ein einziges allgemein anerkanntes politischkulturelles Zentrum verfügte, ist für die Einschätzung der diatopischen Variation nicht so sehr die „Architektur" des Französischen als vielmehr die Verachtung für die Provinz ausschlaggebend. In Ländern wie Italien und Deutschland, die über mehrere, z. T. recht selbstbewußte Zentren verfügen, werden dagegen die von diesen Zentren aus sich verbreitenden Prestigeformen nicht so ohne weiteres von den rivalisierenden Zentren übernommen, so daß schon der Bereich unmittelbar unterhalb des Standards, also etwa das italiano dell'uso medio (Sabatini 1985) oder die hochdeutsche Umgangssprache (Kretschmer 1918/1969) weiterhin regionale Eigentümlichkeiten aufweist. Das gilt vor allem für "Vgl. z. B. Franceschini 1989.
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die ,polyzentrische' Bundesrepublik, wo es aufgrund gleichzeitiger Ausstrahlung sprachlicher Erscheinungen von verschiedenen Zentren her zu vielfältigen Überlappungen kommt. Man denke nur an die nahezu chaotische Verteilung der Grußformeln, insb. die Konkurrenz zwischen Auf Wiedersehen und Auf Wiederschauen (vgl. u. a. Eichhoff 1977, Karten Nr. 47 und 48). In Italien ist dagegen die diatopische Variation auf dem Niveau der „primären Dialekte", also nicht der vieldiskutierten italiani regionali, viel stärker ausgeprägt als in Deutschland. Seit Jahrhunderten haben die Kulturdialekte (Haarmann 1975, 186ff.) Piemontesisch, Lombardisch, Venezianisch, Neapolitanisch usw. kanonische Formen ausgebildet. Sie verfügen über eine geregelte Orthographie, mehr oder weniger normative Grammatiken und umfangreiche Wörterbücher und müßten daher, wollte man ausschließlich H. Kloss' Kriterium des „Ausbaus" heranziehen, als „Sprachen", nicht als „Dialekte" bezeichnet werden (vgl. Kloss 1967). Dem hat die Bundesrepublik nichts Vergleichbares entgegenzusetzen, mit Ausnahme - vielleicht - der Bemühungen des Instituts für niederdeutsche Sprache in Bremen um eine Wiederbelegung des Niederdeutschen 20 . Auf die Probleme der „tertiären Dialekte" (vgl. Anm. 14), d. h. auf die exemplarischen Varietäten des Französischen und des Deutschen außerhalb Frankreichs und Deutschlands, kann hier nicht eingegangen werden.
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Das Institut für Niederdeutsche Sprache hat es sich zur Aufgabe gemacht, „niederdeutsche Veröffentlichungen und solche über das Niederdeutsche . . . zu sichten und zu sammeln...". Die Aktivitäten dieser Institution sind charakteristisch für die Wiederbelebung der Regionalkulturen, die bekanntlich auch im romanischen Sprachraum einen gewissen Aufschwung genommen hat: „Vielerorts war man . . . der Meinung, die vordringliche kulturpolitische Aufgabe bestehe darin, den ursprünglich niederdeutsch Sprechenden ein fehlerfreies Hochdeutsch zu vermitteln, um ihnen die gleichberechtigte Teilhabe an Kultur, Bildung und Wissenschaft überhaupt erst zu ermöglichen. Solche Überlegungen mögen einmal eine gewisse Berechtigung gehabt haben; der gegenwärtigen sprachlichen Situation in Norddeutschland werden sie indessen ohne Zweifel nicht mehr gerecht. Das Niederdeutsche wird heute in der Regel als eine von zwei zur Verfügung stehenden Sprachformen benutzt - je nach Lebens- und Gesprächssituation. Geblieben ist jedoch trotz dieses grundlegenden Wandels hier und da ein böses Erbe aus vergangenen Zeiten: die Geringschätzung einer Sprache, die als Ausweis von Provinzialität, Rückständigkeit und mangelnder Bildung mißverstanden wird" (Lindow 1984, 5). Eine Wiederbelebung des Niederdeutschen auch im Schulunterricht soll durch die von der Oldenburgischen Landschaft herausgegebene Schulbuchreihe Snacken un Verstahn gefördert werden.
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2.3.3 Im ersten Teil des vorliegenden Aufsatzes bin ich bereits auf das inklusive Verhältnis zwischen den drei klassischen Dirriensionen der Variation eingegangen: Diatopische Ausprägungen einer Sprache können auch als diastratische und/oder diaphasische fungieren, diastratische als diaphasische, aber nicht umgekehrt (Albrecht 1986, 73-78). Nun besteht zwischen den beiden ersten und der dritten Dimension der Variation ein bedeutsamer Unterschied: Man spricht die Dialekte und/oder die Soziolekte, die man, kraft Zugehörigkeit zu einer Gruppe, gelernt hat, man wählt den geeigneten „Sprachstil" mehr oder weniger bewußt in Abhängigkeit von den Umständen des Sprechens. In der angelsächsischen Literatur wird daher häufig zwischen dialects ( = Dialekte + Soziolekte) auf der einen und styles ( = „Sprachstile") auf der anderen Seite unterschieden (vgl. u. a. Lieb 1970, 54), in spezielleren soziolinguistischen Untersuchungen genau in demselben Sinn zwischen indicators und markers (Bell 1976, 33). In vielen Sprachgemeinschaften haben die markers, die „Stilmerkmale", und die indicators, die „Lektanzeiger", zwar per definitionem unterschiedlichen Status und/oder Funktion, sind jedoch materiell teilweise identisch. Wörter bzw. Formen wie nix, doof oder Watsche(n) können im deutschen Sprachgebiet von gewissen Sprechern ohne besondere stilistische Absichten verwendet werden. Es handelt sich dann um indicators für die Dia- oder Soziolekte der betreffenden Sprecher. Dieselben Elemente können jedoch bei anderen Sprechern, die normalerweise' nichts, dumm und Ohrfeige sagen würden, in bestimmten informellen Sprechsituationen erscheinen (z. B. Watschen im Munde eines Niedersachsen, der bemüht ist, der Schilderung seiner Ferien in Oberbayern etwas Lokalkolorit zu geben). In diesem Fall fungieren dieselben Elemente nicht als „Lektanzeiger", sondern als markers, als Merkmale für einen bestimmten Stil (vgl. ebenfalls die syntaktischen Beispiele in Albrecht 1986, 75ff.). Wie im vorhergehenden Abschnitt soll auch hier der gesamte Themenkomplex auf die Beantwortung zweier Fragen eingeschränkt werden: a) Verfügen die hier untersuchten „historischen Sprachen" über einen einheitlichen überregionalen Substandard? Genauer: Gibt es eine Varietät »unterhalb' des Standards, die ausschließlich in diastratischer und/oder diaphasischer, n i c h t in diatopischer Hinsicht markiert ist? b)Aus welchen dialects stammen vorzugsweise die markers, die zur Kennzeichnung der informellen styles dienen, und wie lassen sich materiell identische Elemente am besten den verschiedenen Dimensionen der Variation zuordnen?
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Ad a) In s e i n e m 1920 erschienenen, viel beachteten Buch Le langage populaire behauptet H e n r i Bauche entschieden die Existenz eines überregionalen, diastratisch markierten Substandards i m Französischen, d e n er durch das sog. français populaire repräsentiert sieht: "Le français populaire de Paris est, avec quelques différences sans grande importance, le français populaire de toute la France, de la France, du moins, qui parle français" (Bauche 1920, 183). Zwei Jahre vorher hatte Paul Kretschmer sich ebenfalls des Bereichs unterhalb des Standards a n g e n o m m e n u n d darauf hingewiesen, daß i m D e u t s c h e n s c h o n dicht unterhalb der N o r m große regionale Unterschiede auftreten, vor a l l e m i m Bereich des Wortschatzes : „Daß die Volksmundarten, die lautlich und grammatisch so weit auseinander gehen, auch zahlreiche lexikalische Unterschiede aufweisen, darf niemanden Wunder nehmen. Aber auffällig ist es allerdings, daß auch die hochdeutsche Umgangssprache, die Gemeinsprache der Gebildeten, die im Prinzip einheitlich ist, in Wirklichkeit von der Einheit des Wortschatzes weit entfernt i s t . . . " (Kretschmer 1918/69,1). Bei Kretschmers „ G e m e i n s p r a c h e der Gebildeten" handelt es sich ganz i m Gegensatz z u m français populaire - u m eine diaphasisch markierte Substandardvarietät, die ungefähr d e m français familier entspricht. Kretschmer nennt auch die G r ü n d e für die f e h l e n d e Einheitlichkeit: „ . . . die unbestrittene Einheit der Schriftsprache oder richtiger der Literatursprache konnte und kann noch jetzt eine solche lexikalische Differenzierung nicht verhindern. Die Ursache dieser auffälligen Erscheinung ergibt sich, wenn wir die deutschen Sprachverhältnisse mit den französischen und englischen vergleichen, wo derartige wortgeographische Unterschiede nicht bestehen: dem d e u t s c h e n S p r a c h g e b i e t f e h l t e i n s p r a c h l i c h e s Z e n t r u m . Die Einheit der Literatursprache reicht nicht aus, um auch für die Gegenstände und Angelegenheiten des täglichen Lebens, die in der Literatur selten oder gar nicht erwähnt werden, Einheitlichkeit des Ausdrucks zu erzielen. Dazu wäre ein Mittelpunkt der gesellschaftlichen Kultur erforderlich, der für die Umgangssprache unbedingt maßgebend sein müßte . . . " (Kretschmer 1918/69, 58) 2 '. Parallelen zur Situation in Italien drängen sich geradezu auf. Alessandro M a n z o n i , ein Autor, der als einer der ersten in Italien das Bedürfnis verspürte, in s e i n e m literarischen Werk v o n „ G e g e n s t ä n d e ( n ) und A n g e l e g e n h e i t e n des täglichen Lebens" zu sprechen, die sonst „in der Literatur selten oder gar nicht erwähnt werden", e m p f a n d die f e h l e n d e 21
Kretschmer vergißt nicht zu erwähnen, daß schon Leibniz in seinen Unvorgreifliehen Gedanken betreffend die Ausübung und Verbesserung der deutschen Sprache sich ganz ähnlich geäußert hatte.
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lexikalische Einheitlichkeit auf diesem Gebiet als Problem (vgl. 2.3.). Gegen die Lösung, die er vorschlug, nämlich die Schaffung einer einheitlichen Umgangssprache auf der Grundlage der gesprochenen Sprache der gebildeten Florentiner und ihre Verbreitung durch gezielte kulturpolitische Maßnahmen, wendete sich Graziadio Isaia Ascoli in seinem berühmten Proemio zum Archivio glottologico italiano mit geopolitischen Argumenten von der Art, wie sie von Kretschmer angeführt wurden: "Se Firenze fosse potuta diventare Parigi, tutti i culti italiani oggi avrebbero sicuramente l'identico linguaggio dei fiorentini; ma é altrettanto sicuro, che il linguaggio di siffatta capitale dell'Italia non sarebbe il fiorentino odierno, e forse non si potrebbe pur diré un dialetto toscano" (Ascoli 1873/1975, 13f.)
In der neueren germanistischen Literatur wird die Frage nach der diatopischen Einheitlichkeit von Substandardvarietäten des Deutschen sofern sie überhaupt präzise gestellt wird - meist negativ beantwortet. Für Hugo Moser gilt es als ausgemacht, daß der diastratisch markierte Substandard, die sog. „Volkssprache", in diatopischer Hinsicht äußerst inhomogen ist (Moser 1960, 216f.). Gerold Ungeheuer behauptet dasselbe für die diaphasisch markierten Varietäten, die sog. „Umgangssprachen" : „Umgangssprache im Sinne von .Umgangssprache des Deutschen' ist linguistisch ein sehr heterogenes Gebilde. (Manche Forscher sehen daher keinen Sinn in dieser Begriffsbildung und konzentrieren sich in ihren Untersuchungen auf regional gebundene und einigermaßen homogene Komplexe wie .schwäbische Umgangssprache', .Leipziger Umgangssprache', usw." (Bochumer Diskussion 1974, 380).
Jürgen Eichhoff warnt vor den unterschiedlichen Definitionen des Terminus „Umgangssprache" in der Literatur und macht auf die Unterschiede des vorwissenschaftlichen Verständnisses des Begriffs innerhalb des deutschen Sprachgebiets aufmerksam: „Der Süddeutsche, Österreicher und Schweizer, der im täglichen Leben zumeist einen Dialekt oder doch eine vom Dialekt gefärbte Sprachform verwendet, bezeichnet mit Umgangssprache eine gesprochene Sprache, die sich in Lautung und Wortschatz die deutsche Standardsprache zum Vorbild nimmt. In Norddeutschland meint man dagegen gern, die dort übliche Sprache sei schon selbst Standarddeutsch, oder, wie es dort heißt, .Hochdeutsch'. Umgangssprache ist dem Norddeutschen eher eine etwas abschätzige Bezeichnung für jene Ausdrucksformen, auch im Bereich des Wortschatzes, die man zwar im mündlichen Gebrauch verwenden darf, für die in der geschriebenen Sprache jedoch weniger anstößige Formen vorzuziehen sind" (Eichhoff 1977, 10).
Es handelt sich hier offenkundig nicht nur um einen definitorischen, sondern auch um einen sachlichen Unterschied; die regionale Verein-
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heitlichung des Bereichs unterhalb der Norm scheint im Norden weiter fortgeschritten zu sein als im Süden. Im Hinblick auf seine eigene Untersuchung geht Eichhoff jedoch ebenfalls von einer generellen Uneinheitlichkeit seines Untersuchungsgegenstandes aus: „Der Bezug auf die Sprache des jeweiligen Ortes macht es erforderlich, daß man mit dem Blick auf größere geographische Bereiche den Plural, also Umgangssprachen, verwendet. Dadurch, so steht zu hoffen, wird die Vorstellung vermieden, als handle es sich . . . um eine das gesamte deutsche Sprachgebiet überspannende, weitgehend einheitliche Sprachform" (Eichhoff 1977, 10).
Die Diskussion des Problems um den Status der Substandardvarietäten des Italienischen ist so lebhaft, daß sie hier nur ansatzweise referiert werden kann. Unter den ersten, die dazu Stellung genommen haben, waren Tullio De Mauro und Manlio Cortelazzo: Während De Mauro die Frage nach der Existenz eines italiano popolare unitario auch auf der Ebene der konkreten sprachlichen Substanz grundsätzlich bejaht, möchte Cortelazzo eine solche Einheitlichkeit nur auf einer abstrakteren Ebene anerkennen. Er sieht sie in der Art und Weise, wie der Standard .deformiert' wird, also in Form von analogen Umkodierungsregeln mit faktisch unterschiedlichen Ergebnissen (vgl. Albrecht 1979, 150f.). Am gründlichsten hat Edgar Radtke die Interdependenz von diatopischer, diastratischer und diaphasischer Variation im Italienischen analysiert und in Form verschiedener Schemata übersichtlich dargestellt. Auch er nimmt weder für die lingua familiare noch für die lingua popolare diatopische Einheitlichkeit an (Radtke 1979, 49-52). Das tut auch Gaetano Berruto nicht, in einer varietätenlinguistischen Skizze der Architektur des Italienischen, die sowohl auf verschiedene Arbeiten Radtkes als auch auf den ersten Teil des vorliegenden Aufsatzes Bezug nimmt 22 : " . . . si può dire che in linea generale un italiano popolare è tanto più popolare (vale e dire marcato in diastratìa) quanto più è caratterizzato da peculiarità locali e interferenza dal dialetto (vale a dire marcato in diatopìa)" (Berruto 1987, 25).
Und selbst für den „neuen Standard" (neo-standard = italiano regionale colto medio), bei dessen Definition sich Berruto in einigen Punkten an das bereits erwähnte italiano dell'uso medio Sabatinis anlehnt, wird ein Rest diatopischer Inhomogenität nicht ausgeschlossen: 22
Die Diatopik erscheint dort nicht als Dimension der Variation, sondern als Gegensatz von centro und periferia. Wie in der neueren italienischen Literatur allgemein üblich wird die Unterscheidung „geschrieben vs. gesprochen" als eigenständiger Parameter der Variation, als sog. diamesische Dimension aufgefaßt (vgl. 2.3.4. und Berruto 1987, 21).
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Jörn Albrecht "Sempre al centro si colloca l'italiano neo-standard, che possiamo considerare in effetti come conglobato con lo standard da un lato, ma dall'altro sensibile a differenziazione diatopica, e corrispondente quindi fondamentalmente nei concreti usi dei parlanti a un italiano regionale colto medio" (Berruto 1987, 23).
Man braucht sich nicht unbedingt in die sich ständig verfeinernde Begrifflichkeit der Varietätenlinguistik einzuarbeiten, um festzustellen, wo die Hauptunterschiede zwischen den „Architekturen" der hier betrachteten Sprachen liegen. Es genügt, Übersetzungen von Texten großer soziostilistischer Inhomogenität etwa aus dem Französischen ins Deutsche oder ins Italienische zu lesen, besser noch, zu versuchen, selbst solche Texte zu übersetzen. Das Problem beginnt schon bei der Boulevard-Komödie, bei der Wiedergabe ,lockerer' Dialoge, wie Hermann Bausinger festgestellt hat: „Ein eigentlicher Konversationston hat sich in ihrem Umkreis [sc. der Hochsprache] nicht herausgebildet; dies merkt jeder Übersetzer, der ein leichtes Konversationsstück ins Deutsche überträgt - er hat im allgemeinen nur die Wahl, die Dialoge stilistisch eine Nuance höher anzusetzen oder sie landschaftlich einzufärben . . . " (Bausinger 1972, 29).
Ein Roman wie Zazie dans le métro von Raymond Queneau bereitet sowohl dem italienischen als auch dem deutschen Übersetzer fast unüberwindliche Schwierigkeiten; denn die außerordentlich zahlreichen Substandardelemente des Originals lassen sich in den beiden Zielsprachen nur selten angemessen wiedergeben. Der italienische Übersetzer greift in der Regel zu der ersten von Bausinger angeführten Lösung, er bewegt sich meist auf einem höheren Register als das Original; der deutsche Übersetzer hingegen trägt nach dem Grundsatz „Gut ist alles, was nicht zum Standard gehört" die heterogensten Elemente aus verschiedenen regionalen Substandards des deutschen Sprachraums zusammen. Er evoziert dadurch kein Milieu, sondern schafft eine Atmosphäre von gezwungener Künstlichkeit, eine Künstlichkeit, die immerhin einem nicht unwesentlichen Aspekt des Originals durchaus gerecht wird (vgl. Lichem 1981 ; Albrecht 1981). Ad b) Im Deutschen, im Italienischen und in anderen Sprachen, in denen der Substandard noch ziemlich stark an die diatopische Dimension der Variation gekoppelt ist, läßt sich leichter entscheiden, ob ein sprachliches Element als „Lektanzeiger" oder als „Stilmerkmal" (vgl. 2.3.3.) einzustufen ist, als im Französischen, das über einen diatopisch weniger stark differenzierten Substandard verfügt. Im Falle eines Regionalismus ist es meist nicht schwer zu erkennen, ob er zum natürlichen' Repertoire des Sprechers bzw. Textproduzenten gehört oder ob er bewußt in Folge einer opération d'ordre stylistique interstruc-
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turale als „Extrastrukturalismus" (Flydal 1951, 253) eingesetzt wurde. Bei einem „Vulgarismus" ist das nicht so einfach. Französische Sprachwissenschaftler haben früh erkannt, daß bestimmte Substandardelemente nur in Abhängigkeit von den Umständen ihrer Verwendung der Volkssprache {français populaire) oder dem informellen Sprachstil der Bourgeoisie {français familier) zugeordnet werden können. So hat z. B. Henri Bauche die implikative Beziehung von Volkssprache und informellem Sprachstil sehr wohl gesehen und mit - soweit sich das heute beurteilen läßt - für seine Zeit charakteristischen Beispielen illustriert: "Des mots comme: moche, tourte, godasse, pinard ... sont employés dans la conversation par les Parisiens cultivés, mais toujours, sinon avec ironie et par plaisanterie, du moins avec conscience de mal parler. Pour le peuple, au contraire, c'est là le vrai français" (Bauche 1920, 22).
Bauche hatte jedoch aus diesem Sachverhalt andere praktische Konsequenzen gezogen als die meisten modernen Lexikographen. Im Glossar zu seinem Buch reserviert er den diasystematischen Index fam. [ilier] ausdrücklich für die Elemente des familiären Sprachstils der gebildeten Schicht, die nicht aus der Volkssprache stammen: "Des mots comme: jemenfoutisme, dégueulando, daim, mannezingue, foutaise, appartiennent au langage familier des hautes classes. Le peuple ne les emploiera guère" (Bauche 1920, 22).
Marcel Cohen bemerkte in seinem vielbeachteten Aufsatz zur Theorie und Praxis der Indizierung in den Wörterbüchern "C'est rigolo n'est pas 'populaire'" völlig zu Recht, daß die willkürliche Ersetzung von Wörtern des Standards durch expressive „Ersatzwörter" aus dem Substandard als einfache Umkodierung aufzufassen und somit - nur auf der Ebene des angewendeten Verfahrens, nicht hinsichtlich des konkreten sprachlichen Materials - als „argotisch" anzusehen sei: "Si on considère les mots étiquetés 'familier' dans les dictionnaires, on s'aperçoit que pour la plupart cette dénomination ne suffit pas à les caractériser. Il faudrait ajouter le mot 'argot' ou 'argotique', le critérium linguistique de l'argot étant le caractère parasitaire. Au point de vue de l'exercice du langage, il s'agit de termes qui sont employés intentionellement, au lieu de termes ordinaires, avec une intention qu'on peut qualifier de 'sourire mental'" (Cohen 1970, 1).
Seinem Vorschlag, den Terminus argot familier23 als diasystematischen Index in zukünftige Wörterbücher aufzunehmen, ist er später selbst 23
Das Problem des Argot im engeren Sinn kann hier nicht behandelt werden. In einer Rez. von Holtus/Radtke 1986 wird mir vorgeworfen, daß ich dies auch im ersten Teil dieses Aufsatzes versäumt habe (Blasco Ferrer 1988). Ich behandle es aus zwei Gründen nicht: Zum einen, weil ich das Problem in dem Zusammenhang, um den es mir hier geht, für marginal halte, zum anderen, weil der Terminus argot polysem ist. Er kann sehr wohl, wie Blasco
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nachgekommen. Das Dictionnaire du Français Vivant (DFV), zu dessen Autoren er gehört, macht oft von diesem Index Gebrauch. Zur Kategorie des argot familier rechnet er u. a. Wörter wie: andouille, sympa, gaffe (!), se gourer, s'enfiche, ne pas s'en faire, la barbe!, se balader, roupiller, tronche, dingue, barbaque, pognon, être fauché, truc, dégotter und viele andere mehr. Cohens Beispiel hat in der französischen Lexikographie keine Schule gemacht. In den übrigen Wörterbüchern ist man vielmehr bemüht, in notgedrungen knapper Form die Umstände anzugeben, unter denen ein und dasselbe Wort als populaire oder als familier einzustufen ist. Besonders differenzierte Angaben findet man im Petit Robert ; ich gebe nur wenige charakteristische Beispiele: bagnole barbaque boucler gosse
1. fam. Mauvaise voiture; et . . . vieille automobile 2. Pop. Automobile fam.[ilier] mauvaise viande - Pop.[ulaire] viande. . . . Pop . . . Fermer. Il est l'heure de boucler le magasin. - La boucler: se taire ( . . . ) Fig. et fam. .. . Enfermer, emprisonner. Boucler un prisonnier . . . fam. Enfant, jeune garçon ou fille . . . Pop. Un beau gosse, une belle gosse: beau garçon, belle fille . . . Fam. et Pop. Enfant jeune à l'égard de la filiation.
(Vgl. u. a. im Petit Robert die Einträge bousiller, pétard, mémère oder putain)2*. Vergleicht man die „Architekturen" des Italienischen und des Deutschen mit derjenigen des Französischen, so gewinnt man den Eindruck, daß die „historische Sprache" Französisch (nicht unbedingt der Standard) ein fortgeschritteneres Entwicklungsstadium einer Nationalsprache repräsentiert als diejenigen der beiden anderen Sprachen. Der Verlust an horizontaler Differenzierung wurde durch eine Zunahme der vertikalen Differenzierung kompensiert. In den frühen Entwicklungsphasen einer Nationalsprache ist der Substandard einfach ein „NichtFerrer annimmt, eine Sondersprache bezeichnen, viele Autoren verstehen jedoch auch heute noch darunter einen Soziolekt. 24 Im 17. Jh. bestand innerhalb der Literatursprache eine beträchtliche diaphasische Variationsbreite. Die Sprachnormierer tolerierten - vermutlich in Anlehnung an die Lehre von den genera elocutionis der antiken Rhetorik - die Verwendung einer Reihe von Wörtern und Wendungen innerhalb des genre burlesque, die für die hohen Genera nicht zugelassen waren (Brunot 1906/66, 11,2, 76). Die frühen Wörterbücher, wie z. B. das Dictionnaire François von P. Richelet (1680) und das Dictionnaire Universel von Furetière (1690) trugen diesem Umstand bei der diasystematischen Indizierung Rechnung. Hier nur ein Beispiel aus Richelet: „gars Ce mot signifie garçon, mais il ne se dit guère à Paris & même il ne se dit que dans le bas burlesque".
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Standard"; er setzt sich aus einer völlig heterogenen Menge von Elementen zusammen, die keine Gnade vor den Augen der Sprachnormierer gefunden haben und fortan „außerhalb" des Standards weiter überliefert werden. Erst mit zunehmender Verbreitung des Standards in der gesamten Sprachgemeinschaft entsteht ein Substandard sensu stricto, der sich aus Elementen zusammensetzt, die durch sekundäre Entwicklungen aus dem bereits existierenden Standard hervorgegangen sind. Diese Elemente sind im Französischen besonders stark vertreten, fehlen jedoch keineswegs in den beiden anderen Sprachen. Ihre Entstehung verläuft in vielen Sprachen sehr ähnlich, so daß man in einem gewissen Sinn von „universellen" (oder zumindest übereinzelsprachlichen) Charakteristika von Substandardvarietäten sprechen kann (s. Teil 3). Elemente des älteren „Nicht-Standard" und des neueren „Substandard" können lange Zeit koexistieren. Somit erklärt sich, daß manche Forscher das français populaire für „progressiv", andere wiederum für „archaisch" halten. Es ist beides zugleich (vgl. Albrecht 1985, 182f., und Anm. 31). 2.3.4 Die Unterscheidung „geschrieben vs. gesprochen" ist in den vergangenen Jahren besonders intensiv diskutiert worden 25 . Darüber hinaus ist eine Reihe von Untersuchungen entstanden, die jeweils eine der beiden Sprachformen, die geschriebene oder die gesprochene, zum Gegenstand haben (vgl. u. a. Sauvageot 1962; Söll 1974, 3 1985; Sornicola 1981; Holtus/Radtke 1985; Feldbusch 1985; Glück 1987). Es wird dort nicht immer mit der wünschenswerten Klarheit zwischen universellen und einzelsprachlichen, d. h. „historisch kontingenten" (Koch/Oesterreicher 1985, 27) Merkmalen unterschieden. Das hängt mit einer generellen methodischen Unsicherheit im Bereich der Sprachwissenschaft zusammen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Bei der lebhaft geführten, teilweise recht kontroversen Diskussion um die Unterschiede zwischen geschriebener und gesprochener Sprache geht es - neben vielen eher marginalen Fragen - vor allem um folgende Probleme: a) Die Infragestellung des vor allem von den Sprachwissenschaftlern immer wieder behaupteten „Primats der gesprochenen Sprache". Wir erleben derzeit in gewisser Hinsicht eine zumindest partielle Rückkehr zur Ansicht des „Mannes auf der Straße", derzufolge es sich bei der gesprochenen Sprache um eine unvollkommene Widerspiegelung der geschriebenen handelt. Ob es sich bei der eigentlichen' Sprache wirk25
Vgl. hierzu den sehr informativen Forschungsbericht von Koch/Oesterreicher (1985); dort findet man auch sehr viel weiterführende Literatur.
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lieh um graphische Repräsentation von Zeichen oder um die "trace, écriture en général, racine commune de la parole et de l'écriture" (Derrida 1967, 109) handelt, bleibe dahingestellt. Immerhin wird auch der hartnäckigste Anhänger des Primats der gesprochenen Sprache einräumen müssen, daß es marginale Bereiche primärer Schriftlichkeit gibt. So werden in formalen Disziplinen wie Mathematik, formale Logik oder Informatik Termini häufig primär graphisch eingeführt und bei Bedarf „sprechbar" gemacht; z. B. „x = df y', sprich „x definitorisch gleich y", oder „~ p (p)", sprich „non p" (oder „p quer")26. b) Das semiotische Problem der „Eroberung der zweiten Dimension durch die Schrift"27. Die Linearität des Signifikanten, auf die Saussure so großen Wert gelegt hatte, ist ein (fast) durchgängiges Charakteristikum der gesprochenen, nicht unbedingt der geschriebenen Sprache. Gewisse Informationen lassen sich in geschriebener From zweidimensional weit ,kognitionsfreundlicher' aufbereiten, als dies in gesprochener Form möglich ist (Tabellen in Matrixform, Schemata, in denen komplexe Skalen erscheinen usw.). c) Die Unterschiede der Kodierung, die durch das Medium selbst bedingt sind. Bei der Diskussion dieser Komponente der Gesamtunterscheidung „geschrieben - gesprochen" werden die beiden Termini „beim Wort genommen"; es geht um die Unterschiede der Grammatik der beiden Sprachformen, die durch unterschiedliche Verschriftungsprinzipien und Orthographietraditionen entstehen. So trägt z. B. die moderne deutsche Orthographie (im Gegensatz zur mittelhochdeutschen) dem Phänomen „Auslautverhärtung" nicht Rechnung, wie aus der folgenden Gegenüberstellung eines Teilparadigmas in normaler Orthographie und in phonologischer Schreibweise unmittelbar hervorgeht: Hund; Hundes; Hunde /hunt/ /hundss/ /hunda/ Es leuchtet ein, daß eine Grammatik des gesprochenen Deutsch auf diesem Sektor viel komplizierter sein muß als die des geschriebenen Deutsch - dies gilt in noch stärkerem Maße für das Englische, wegen der vielfältigen morphophonologischen Alternanzen vom Typ nation national-, logic - logician usw. Die Computerlinguisten haben den Konservativen dankbar dafür zu sein, daß sich in den meisten euro26
Neben Derrida 1967 (und die sich an dieses Buch anschließende Diskussion) vgl. vor allem Feldbusch 1985. Zurückhaltender im Hinblick auf die Ablehnung des vor allem von den Linguisten behaupteten Primats der gesprochenen Sprache gegenüber der geschriebenen äußert sich Glück (1987). 27 Titel eines meines Wissens unveröffentlichten Vortrages, den Wolfgang Raible im Oktober 1988 in Tübingen gehalten hat.
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päischen Sprachen ein konsequent phonographematisches Orthographiesystem nicht durchsetzen konnte, die morphologischen Analyseprogramme hätten sonst viel aufwendiger gestaltet werden müssen. Natürlich tritt auch der umgekehrte Fall häufig auf: größere Kompliziertheit der Grammatik der geschriebenen Sprachform. Das Musterbeispiel, das in der Literatur hierfür immer wieder angeführt zu werden pflegt, ist die Manifestation der Kategorie „Kongruenz" im geschriebenen und gesprochenen Französisch. Es geht dabei keineswegs nur um höhere Redundanz bei der Genus- und Numerusmarkierung im geschriebenen Französisch, sondern auch um die Bezeichnung komplexer syntaktischer Relationen, die im gesprochenen, im „hörbaren" Französisch nicht in Erscheinung treten: Les jeunes filles que j'ai entendues chanter. Les chansons que j'ai entend« chanter.
Selbstverständlich ist der zugrundeliegende syntaktische Unterschied im gesprochenen Französisch nicht einfach „verlorengegangen"; er läßt sich durch Paraphrasierung jederzeit aufdecken: Des jeunes filles chantaient. Je les ai entendues. On chantait des chansons. Je Tai entendu [faire]28.
d) Die Frage, ob es sich bei der gesprochenen und der geschriebenen Sprachform um primäre Varietäten einer Einzelsprache handelt oder um einen sekundären Aspekt des Phänomens der Variation. e) Die Frage nach den unterschiedlichen Produktions- und Rezeptionsbedingungen im Bereich der beiden Sprachformen. Schreiber und Leser haben mehr Zeit zu konzipieren und zu analysieren als Sprecher und Hörer. In Anbetracht der Zielsetzung des vorliegenden Aufsatzes scheint es angebracht, nur auf die Fragen d) und e) etwas näher einzugehen. Ad d) Im ersten Teil des vorliegenden Aufsatzes habe ich bereits kurz darauf hingewiesen, daß ich es - entgegen einer Auffassung, die 28
In den tolérances Leygues aus dem Jahre 1901 und dann wiederum in den tolérances Haby aus dem Jahre 1976 wird diese Unterscheidung als nicht verbindlich für die Bewertung der sprachlichen Korrektheit von Prüfungsarbeiten erklärt. Bis heute scheinen die beiden Erlasse von Schul- und Hochschullehrern kaum zur Kenntnis genommen zu werden. Doch selbst wenn sie es würden, bleiben genug Schwierigkeiten übrig, die ausschließlich im code graphique auftreten. Auf den engen Zusammenhang zwischen französischer Orthographie und französischer Schulgrammatik hat in sehr polemischer Form André Chervel hingewiesen: " . . . tout le système syntaxique de la grammaire scolaire s'effondrerait aussitôt si l'orthographe du français était abolie" (Chervel 1977, 29).
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inzwischen fast schon zur communis opinio geworden ist - für verfehlt halte, die geschriebene und die gesprochene Sprachform für eigenständige Dimensionen der Variation einer historischen Sprache zu betrachten 29 . Für die Eigenständigkeit der Unterscheidung „geschrieben - gesprochen" haben sich sehr nachdrücklich P. Koch und W. Oesterreicher eingesetzt. Sie akzeptieren zwar grundsätzlich das im ersten Teil dieses Aufsatzes vorgestellte varietätenlinguistische Modell Flydals und Coserius, möchten es jedoch um die Dimension „gesprochen - geschrieben", die „diamesische" Dimension, erweitert wissen: „So wichtig diese dreidimensionale Modellierung der Sprachvarietät auch ist, so kann doch der gesamte Varietätenraum einer historischen Einzelsprache nur ausgeschöpft werden, wenn man zunächst den dazu gewissermaßen ,querliegenden' Aspekt gesprochen/geschrieben einbezieht, der nicht auf die diasystematischen Unterschiede reduzierbar ist" (Koch/Oesterreicher 1985, 16).
Dieser Ansicht kann man nur zustimmen, wenn man diesen Aspekt in seiner ganzen Komplexität versteht, die bisher niemand eindrucksvoller dargelegt hat als die beiden Autoren, von denen das Zitat stammt (vgl. Koch/Oesterreicher 1985, 23). Versteht man darunter jedoch nur die Teilkomponente „Konzeption" {ibid., 17), d. h. die angemessene Verwendung der beiden Sprachformen in den für sie „vorgesehenen" Situationen, so hat man es nicht mit einem „querliegenden", sondern mit einem untergeordneten Aspekt zu tun. „Gesprochene" und „geschriebene Sprache" in diesem spezifischen Sinn sind nichts weiter als Ausprägungen der diaphasischen Variation einer historischen Einzelsprache. Die Ansicht, man könne „Register" nur in Abhängigkeit von der Sprachform festlegen, in der eine Äußerung konzipiert wurde, die besonders energisch von Ludwig Söll vertreten wurde (Söll 31985, 34ff.), läuft letztlich auf eine zirkuläre oder schlicht fehlerhafte Argumentation hinaus. Es ist durchaus richtig, daß ein und dasselbe sprachliche Element oder ein und dieselbe Fügung entweder in der geschriebenen Sprache neutral, in der gesprochenen jedoch „geziert", oder in der gesprochenen Sprache neutral, in der geschriebenen dagegen salopp wirken kann (Fall 1 etwa: daraufliin schloß er das Fenster 29
Vgl. Albrecht 1986, 66, Anm. 1 und S. 81. Einer der Rezensenten bemerkt in diesem Zusammenhang, daß ich den von A. Mioni geprägten Terminus diamesico „diamesisch" nicht zu kennen scheine (Blasco Ferrer 1988, 62). Ich kannte ihn damals tatsächlich nicht. Die Tatsache, daß ich diesen Terminus inzwischen zur Kenntnis nehmen mußte, da er in der Italianistik weite Verbreitung gefunden hat - man braucht nur ein wenig in Bd. IV des Lexikon der Romanistischen Linguistik zu blättern, um auf ihn zu stoßen - hat mich nicht dazu bewogen, in dem damit gemeinten Sachverhalt eine selbständige Dimension der Variation zu sehen.
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gegenüber dann hat er das Fenster zugemacht; Fall 2: der Stuhl muß weg gegenüber der Stuhl muß entfernt werden). Das beweist jedoch nur, daß die „geschriebene Sprache" in diesem spezifischen Sinn per definitionem zu den höheren, formellen Registern der diaphasischen Skala gehört, die gesprochene dagegen zu den niedrigeren30. Wer diaphasische Unterschiede erst nachträglich in jeder der beiden Sprachformen getrennt feststellen will, argumentiert zirkulär in der Form einer petitio principii. Bei genauerem Hinsehen findet man bei den betreffenden Autoren jedoch eher eine fehlerhafte als eine zirkuläre Argumentation. Zunächst wird (durchaus zu Recht) behauptet, bei der Diskussion der Unterscheidung „geschrieben-gesprochen" müßten die beiden Komponenten „das Medium der Realisierung betreffend" und die „Konzeption der Verbalisierung betreffend" säuberlich auseinandergehalten werden, bei der Diskussion der zweiten Komponente im Hinblick auf ihre Relevanz für die Varietätenlinguistik wird dann eben diese zusätzliche Unterscheidung wieder verwischt. Genau dies tut nämlich Ludwig Söll, wenn er die Ansicht von Harro Stammerjohann kritisiert, Umgangssprache könne man nur hören (Söll 31985, 17). Diese Ansicht ist richtig, wenn sie korrekt und gutwillig interpretiert wird. Natürlich kann man Umgangssprache auch lesen; es handelt sich dann jedoch gerade nicht um „geschriebene Sprache" in dem Sinn, um den es in diesem Zusammenhang geht, sondern um „geschriebene (aufgezeichnete) gesprochene Sprache". Entsprechend verhält es sich mit der „gesprochenen (vorgelesenen) geschriebenen Sprache". Ad e) In seinen „Gedanken von einem deutschen Briefe" bemühte sich Christian Fürchtegott Geliert, seine Zeitgenossen zu einem ungezwungeneren, weniger förmlichen Briefstil als dem damals üblichen zu erziehen. Er rückt den Brief in die Nähe der mündlichen Mitteilung: „So viel ist gewiß, daß wir in einem Briefe mit einem andern reden, und daß dasjenige, was ich einem auf ein Blatt schreibe, nichts anders ist, als was ich ihm mündlich sagen würde, wenn ich könnte oder wollte". Der eigentliche Unterschied zwischen den beiden Formen der Mitteilung resultiere aus den Umständen, unter denen sie Zustandekommen: „Daß wir in Briefen sorgfältiger, zierlicher, einnehmender reden können, und sollen, machet, weil wir mehr Zeit zum Nachsinnen und zur Wahl unserer Gedanken und Worte haben. Also möchte wohl die ganze Ungleichheit in dem Vortrage und Ausdrucke bestehen" (Geliert 1742, 178f.). Ging es Geliert vornehmlich um die unterschiedlichen Produktionsbedingungen schriftlicher und mündlicher Äußerungen, so 30
Zur Diskussion des Merkmals „geschrieben" als definitorisches Kriterium für den „Standard" vgl. Ammon 1986, 34f.
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macht das lateinische Sprichwort verba volant scripta manent auf die Konsequenzen der unterschiedlichen Rezeptionsbedingungen aufmerksam: Mehr Zeit zur sorgfältigen Analyse versetzt den Kritiker in eine ungleich vorteilhaftere Position. Die unterschiedlichen Bedingungen für die Produktion und die Rezeption von Äußerungen wirken sich, so weit ich sehe, weniger in Form einer Affinität der jeweiligen Sprachform zu bestimmten Varietäten der historischen Sprache aus als im Grade der Ausnützung der Möglichkeiten, die die jeweilige Einzelsprache bietet. Die Merkmale, die auf diese unterschiedlichen Bedingungen zurückgeführt werden können, sind somit nicht an eine bestimmte Sprache gebunden, sondern universal. Im Bereich des Wortschatzes bestehen - darauf ist häufig hingewiesen worden - erhebliche Unterschiede hinsichtlich der type-token-Rz\a.iion-, der alten rhetorischen Maxime variatio delectat kann leichter entsprochen werden, wenn genügend Zeit zur Wortwahl zur Verfügung steht. Sowohl im Bereich der Grammatik als auch in demjenigen der Wortwahl herrscht ein höheres Maß an „Korrektheit", und zwar keineswegs nur im normativen, sondern auch im deskriptiven Sinn. Abweichungen von den Regeln, die der Sprecher unabhängig von jeder präskriptiven Beeinflussung befolgt, weil er sie internalisiert hat, sind in der gesprochenen Sprachform häufiger als in der geschriebenen. Beim Sprechen werden häufiger „echte" Fehler (lapsus linguae) gemacht als beim Schreiben. Solche Fehler werden vom Sprecher im Gegensatz zu Normabweichungen (vgl. 2.2.) meist spontan korrigiert, wenn man ihm vorhält, was er gesagt hat. Im übrigen klafft die Schere zwischen Grammatikalität und Akzeptabilität (vgl. Chomsky 1965/69, 22ff.) in der gesprochenen Sprachform weiter als in der geschriebenen, vor allem was die Rekursivität bei der Einbettung von Nebensätzen angeht. Obwohl der hier behandelte Komplex zweifellos zur „Konzeption der Verbalisierung" gehört und von Söll und seinen Nachfolgern auch dazu gerechnet wurde, soll hier dafür plädiert werden, ihn aus der Diskussion um die varietätenlinguistische Relevanz der Unterscheidung „geschrieben - gesprochen" auszuklammern, weil er, um mit Koch und Oesterreicher zu reden, wirklich „quer" zur „Architektur" der historischen Sprache liegt.
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3. Gibt es universelle Charakteristika der Substandardvarietäten? Im zweiten Teil des vorliegenden Aufsatzes wurde versucht zu zeigen, daß die „Architekturen" der historischen Einzelsprachen (und damit auch das Verhältnis von Standardvarietät und Substandardvarietäten) „historisch kontingent" (vgl. 2.3.4.) sind und daß sich daher auch kein allgemein gültiges Schema für den Substandard einer Einzelsprache entwerfen läßt. Wenn nun hier die Frage nach der Existenz von „universellen" Charakteristika von Substandardvarietäten gestellt wird, so handelt es sich dabei um Erscheinungen, die erfahrungsgemäß für Substandardvarietäten verschiedener Sprachen kennzeichnend sind. Es wird also keine Unterscheidung zwischen „universell" (bzw. universal), d. h. „per definitionem zum untersuchten Gegenstand gehörig" und „allgemein", d. h. „aufgrund von Beobachtung mehreren Spezies der betrachteten Gattung zuschreibbar" getroffen. Bei den Erscheinungen, die hier diskutiert werden sollen, handelt es sich vermutlich nur um empirisch allgemeine, d. h. übereinzelsprachlich gültige Charakteristika von Substandardvarietäten. Universelle Aussagen im strengen Sinn pflegen in unseren Disziplinen ohnehin meist verächtlich - aber keineswegs durchweg zu Recht - als „Truismen" abgetan zu werden. Es gibt in der Varietätenlinguistik zwei Möglichkeiten des Vorgehens, die im gleichen Maße gerechtfertigt und sinnvoll sind: a) die Abgrenzung der Varietäten „von außen", d. h. auf dem Wege der Korrelierung sprachlicher Elemente mit außersprachlichen Parametern wie Sprechergruppen und/oder Sprechsituationen im weitesten Sinne; b) die Abgrenzung der Varietäten „von innen", d. h. die Prüfung mit Hilfe spezifisch linguistischer („strukturalistischer") Methoden, ob verschiedene sprachliche Elemente in einem kohärenten System von Oppositionen funktionieren oder ob nicht. Entsprechendes gilt für die Untersuchung und Beschreibung einzelner Elemente von (mutmaßlichen) Varietäten: Man kann sich darauf beschränken festzustellen, von welchen Sprechergruppen und unter welchen Bedingungen sie gebraucht werden, oder man kann untersuchen, in welchem Verhältnis sie zu vergleichbaren Elementen anderer (mutmaßlicher) Varietäten stehen, wobei es allerdings oft schwer ist, ein geeignetes tertium comparationis zu finden (vgl. z. B. Teil 1 = Albrecht 1986, § 1.4.2.). Eben dieses zuletzt genannte Verfahren soll hier angewendet werden. Allgemeine Charakteristika, wie sie uns hier interessieren, kann es nur auf einer sehr allgemeinen Ebene geben, nämlich auf der Ebene
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der Relationen, die zwischen Standard- und Substandardelementen bestehen. Hier zunächst nur ein sehr schlichtes Beispiel: Ich wußte gleich, in welche Ecke der Ball fliegen würde. Ich habe gleich gewußt, in welche Ecke daß der Ball fliegt. Il est arrivé quand vous étiez parti. Il est arrivé quand que vous étiez parti. Non f u m o quando sono in macchina. Non f u m o quando che sono in macchina.
In diesem Fall liegt das tertium comparationis auf keinem besonders abstrakten Niveau. In allen drei Sprachen besteht im Bereich des Substandards die Tendenz, abhängige Sätze durch ein einheitliches Morphem zu kennzeichnen, und zwar auch in den Fällen, in denen eine Kennzeichnung der syntaktischen Unterordnung - vom Gesichtspunkt des Standards aus - bereits vorhanden ist. Die überwiegende Mehrzahl der relationeilen Charakteristika, die hier untersucht werden sollen, betrifft den „sekundären Substandard", d. h. Erscheinungen, die sowohl in genetischer als auch in zeichentheoretischer Hinsicht die Existenz eines Standards voraussetzen31.
3.1. Das Problem der Vereinfachung' Gewisse Erscheinungen in normfernen Varietäten vieler Kultursprachen erregen nicht nur die Aufmerksamkeit von Linguisten. Was von einigen Sprachwissenschaftlern nüchtern und wertneutral als „Vereinfachung" bezeichnet wird - ob zu Recht, wird hier zu untersuchen 31
An der genetischen Priorität bestehen gewisse Zweifel, wie sich an der in den letzten Jahren heftig diskutierten Frage ablesen läßt, ob man im français populaire eine progressive Varietät {français avancé) oder eine konservative Varietät zu sehen hat. Die Frage ist falsch gestellt, denn der französische Substandard ist - genauso wie viele Substandardvarietäten anderer Sprachen in dieser Hinsicht heterogen. Traditionen des Sprechens, die bereits vor dem 17. Jh. existierten, jedoch keine Gnade vor den Augen der Sprachnormierer fanden, erscheinen, sofern sie ,außerhalb der Norm' weitergegeben wurden, heute in den normfernen Varietäten des Französischen als „archaische" Elemente, wenn man sie durch die Brille des Bon Usage betrachtet; Elemente, die erst nach der Zeit der Normierung entstanden sind und aufgrund des extrem konservativen Purismus, der die Sprachpflege in Frankreich mit kurzen Unterbrechungen seit dem 18. Jh. beherrscht hat, nie Bestandteil des „korrekten Französisch" werden konnten, erscheinen demgegenüber als „Modernismen". In diesem Teil des Aufsatzes geht es vor allem um den zuletzt genannten Fall, d. h. um Substandardelemente, die erst nach dem Standard entstanden sind.
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sein erscheint vielen sprachlich Interessierten als Niedergang. In Sprachglossen und in Leserbriefen unserer Tages- und Wochenzeitungen wird der „Substanzverlust der Sprache", die „Verschleifung der Grammatik" oder die „Schrumpfung differenzierter Ausdrucksweise" beklagt - in Frankreich noch weit häufiger als in Deutschland oder Italien, wo zur Zeit im öffentlichen Sprachbewußtsein ein sehr viel liberalerer Geist Einzug gehalten hat. Der sprachliche Verfall, der von den Bildungsbürgern beschworen wird, erweist sich aus linguistischer Sicht als Amalgam zweier unterschiedlicher Erscheinungen: Zum einen handelt es sich um den Aufstieg von Elementen des Substandards in Bereiche, die bisher ausschließlich dem Standard vorbehalten waren - eine Entwicklung, die nahezu notwendigerweise Epochen großer sozialer Mobilität begleitet. Zum anderen handelt es sich um begrenzte (nicht unbedingt um „mangelhafte"!) Sprachbeherrschung einer großen Anzahl von Mitgliedern der Sprachgemeinschaft, was - abstrakt betrachtet - nicht gleichbedeutend ist mit „Verfall der Sprache". Ob diese Erscheinung, deren Existenz hier gar nicht bestritten werden soll, konkret betrachtet eben doch im Sinne eines Niedergangs der Sprache zu interpretieren ist, läßt sich nicht leicht entscheiden. Zeugnisse geringer sprachlicher Geschicklichkeit (schlecht geschriebene Texte, unbeholfene Reden usw.) gelangen in unserer kommunikations- und publikationsfreudigen Epoche sehr viel häufiger ans Licht der Öffentlichkeit als zu früheren Zeiten. Es ist daher ziemlich schwer festzustellen, ob sich in dieser Hinsicht wirklich sehr viel geändert hat. Seit längerer Zeit sind Linguisten darum bemüht, sprachliche Erscheinungen, die in normfernen Varietäten besonders häufig auftreten, daraufhin zu untersuchen, ob sie als „Vereinfachungen" der entsprechenden Elemente des Standards aufgefaßt werden und damit aus systemtheoretischer Sicht erklärt und bis zu einem gewissen Grad auch gerechtfertigt werden können. Es soll hier in Anlehnung an einige neuere Arbeiten zu diesem Thema (Ernst 1983; Berruto 1983; Dietrich/Klein 1986; Berruto 1989) ein Überblick über die Gesichtspunkte gegeben werden, die in der Diskussion um die sprachliche „Einfachheit" eine besondere Rolle spielen, der Übersichtlichkeit halber zunächst in schematischer Form: Sprachliche Einfachheit A Mögliche Anwendungsbereiche des Prädikators „einfach"
- „historische Sprachen"; „funktionelle Sprachen" bzw. Sprachvarietäten, insb. pidgins, learner varieties etc. - Teilbereiche von Sprachen oder Sprachvarietäten
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Jörn Albrecht - Texte bzw. Diskurse ( = Fälle von Sprachverwendung) Allgemeine Charakteristika - „einfach" ist ein relationeller Begriff, der (sprachlichen) Einfachder nur als zweistelliger Prädikator verheit wendet werden kann; also nicht „x = ei fach", sondern „x = einfacher als y" - „Einfachheit" ist eine pragmatische Kategorie; sie betrifft keine inhärenten Eigenschaften von Systemen, sondern das Verhältnis von Systemen und ihren Benutzern Distinktive Merkmale des Begriffs der (sprachlichen) Einfachheit bzw. operationelle Kriterien zu seiner Explikation
Regelmäßigkeit (Regeln mit großem Anwendungsbereich); Analytizität; Funktionalität, ; Funktionalität 2 Optimales Verhältnis von Paradigma (Inventar und syntagmatischen Verkettungsregeln (Distribution) (Evtl. „Natürlichkeit"; „Nicht-Markiertheit")
D Konkrete sprachliche Erscheinungen, die hinsichtlich ihres Grades an „Einfachheit" verglichen werden können (x > y s x ist komplizierter/schwieriger als y)
syntagmatische Diskontinuität > syntagmatische Kontiguität Opazität (im Wortschatz) > lexikalische Motiviertheit („Bildungsdurchsichtigkeit") Verteilung von Subjekt (S), Agens (A), Thema (T) auf verschiedene Elemente im Satz > Koinzidenz von S, T, A Reihenfolge Determinans/Determinatum > Reihenfolge Determinatum/ Determinans Passiv > Aktiv reiches (Teil)paradigma > armes (Teil)paradigma (Weitere Beispiele bei Berruto 1989 in diesem Band)
E Bewertung der (sprachliehen) Einfachheit
- sprachliche Einfachheit korrespondiert mit kognitiver Einfachheit/einfache Sprachen/Sprachvarietäten sind situationsabhängiger als komplizierte/schwierige - sprachliche Einfachheit hat nichts zu tun mit kognitiven oder expressiven Defekten
Bei der nun folgenden Diskussion der in der soeben gegebenen Übersicht genannten Gesichtspunkte soll nicht so sehr das Problem der sprachlichen Einfachheit an sich als die Frage im Mittelpunkt stehen, ob Substandardvarietäten unter gewissen Umständen als „einfacher" als Standardvarietäten anzusehen sind. Es wird dabei zwischen „natürlichen" Substandardvarietäten (z. B. français populaire) und provisori-
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sehen („künstlich reduzierten") Varietäten wie pidgins (z. B. „Touristenenglisch") oder learner varieties („Gastarbeiterdeutsch") zu unterscheiden sein. Die unter C aufgeführten Kriterien „Regelmäßigkeit" und „Analytizität" sollen hier nur kurz gestreift werden, da ihnen eigene Abschnitte (3.2. und 3.3.1.) gewidmet sind. Ad A: Je größer der Bereich ist, auf den der Prädikator „einfach" angewendet wird, desto zweifelhafter erscheint die Berechtigung seiner Verwendung. Das Englische gilt bei uns meist als „einfache" Sprache. Es läßt sich zeigen, daß eine solche Einschätzung einer kritischen Überprüfung nicht standhält. Einerseits bezieht sich dieses Urteil in erster Linie auf die (in der Tat vergleichsweise einfache) Morphologie, die in unserer europäischen Tradition aus kulturhistorischen Gründen auch heute noch mit der Grammatik schlechthin identifiziert zu werden pflegt. „Schwer" (oder „kompliziert") sind Sprachen vor allem dann, wenn sie über eine reiche Morphologie verfügen, wie die beiden klassischen Sprachen. Andererseits handelt es sich bei dem angeblich so „einfachen" Englischen nicht um die historische Sprache Englisch in allen ihren Ausprägungen, sondern um eine künstlich reduzierte Varietät, die einige Gemeinsamkeiten mit einem echten pidgin aufweist. Und schließlich erscheint das Englische den Europäern (und erst recht den Sprechern kontinentalgermanischer Sprachen) allein schon deshalb als „einfach", weil sie vieles einigermaßen kennen, ohne es je wirklich gelernt zu haben. Sprecher typologisch sehr unterschiedlicher Sprachen dürften in dieser Hinsicht anderer Meinung sein 32 . Das Chinesische besitzt in hohem Maße ein Merkmal, das immer wieder als konstitutiv für den Begriff der sprachlichen Einfachheit ausgegeben wird, nämlich Analytizität (vgl. C und 3.3.1.) und gilt in unserem Kulturkreis dennoch als „schwierige" Sprache (Dietrich/Klein 1986, 112).
Es ist höchst problematisch, historische Sprachen insgesamt hinsichtlich ihrer „Einfachheit" miteinander zu vergleichen; es scheint schon eher möglich, dasselbe im Hinblick auf verschiedene Varietäten einer historischen Sprache zu tun (wobei künstlich reduzierten Varietäten am ehesten das Prädikat „einfach" zugesprochen werden kann). Es ist in jedem Fall zulässig, begrenzte Sektionen von Sprachsystemen im Hinblick auf ihre Komplexität miteinander zu vergleichen. Damit ist allerdings noch nichts über die Komplexität der gesamten Sprache oder Sprachvarietät ausgesagt, denn Einfachheit in einem bestimmten Be32
"English is the hardest language of the world - grammatically speaking" versicherte der Wirt eines kleinen Hotels in Oxford dem Verfasser dieser Zeilen. Der Mann stammte aus Wales und war walisischer native speaker.
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reich wird häufig durch größere Komplexität in einem anderen kompensiert. Im übrigen betrifft die Kategorie der Einfachheit, sofern sie im psycholinguistischen Sinn interpretiert wird (vgl. B) überhaupt nicht primär die Sprache, sondern die Sprachverwendung. Man kann sich auch in Substandardvarietäten kompliziert ausdrücken, wie das folgende Beispiel aus einem französischen Kriminalroman zeigt: Le m'sieur que vous causez à la patronne, l'est venu Psamedi que vous causez qu'a eu les crimes que vous causez!33
Ad B: Alle Autoren sind sich darüber einig, daß „einfach" ein relationeller Begriff ist, der nicht absolut (als einstelliger Prädikator) verwendet werden kann. Ein Satz wie „Die Sprache/Varietät x ist einfach" ist also zu interpretieren im Sinne von „ist verhältnismäßig einfach, ist einfacher als y" (vgl. u. a. Dietrich/Klein 1986, 112; Berruto 1989, in diesem Band). Umstrittener ist die Frage, ob man in der Einfachheit eine inhärente Eigenschaft von Systemen zu sehen hat oder eine pragmatische Kategorie, die die Beziehung zwischen dem System und seinen Benutzern betrifft. Im ersten Fall wäre das Antonym zu „einfach" „komplex" bzw. „kompliziert", im zweiten „schwierig". Die wenigsten Autoren äußern sich klar zu dieser Frage mit Ausnahme von Gaetano Berruto, der die sprachliche Einfachheit eindeutig im pragmatischen und damit zugleich im psychologischen Sinn verstanden wissen will, nämlich come categoria a se [d. h. nicht restlos auf Kategorien wie Regelmäßigkeit, Funktionalität usw. zurückführbar] riconosciuta nei termini del rapporto fra il segno o messaggio e la quantità di operazioni necessarie (apparentemente) alla mente umana per processarlo, o, meno impegnativamente, nei semplici termini del maggiore o minore agio di maneggiabilità da parte degli utenti (Berruto 1989, in diesem Band).
Es liegt auf der Hand, daß der Begriff der Einfachheit durch diese Pragmatisierung und Psychologisierung noch stärker relativiert wird. Was für A einfach ist, mag B Schwierigkeiten bereiten. Ad C: Wer mit dem Begriff der Einfachheit operiert, muß angeben, was er darunter versteht. „Einfach" scheint kein .einfacher' Begriff, kein semantic primitive zu sein. Die meisten Autoren versuchen, den Begriff entweder nach dem Muster der klassischen Definitionslehre in Komponenten zu zerlegen oder operationelle Kriterien für seine Explikation zu nennen, d. h. anzugeben, was man zu tun hat, um einen gegebenen Bereich im intendierten Sinn möglichst einfach zu gestalten. Ich kann hier nur auf einige der am häufigsten angeführten Kriterien eingehen. 33
San-Antonio, Tout le plaisir est pour moi, Paris 1973, S. 129.
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Am häufigsten wird Regelmäßigkeit als distinktives Merkmal für „Einfachheit" genannt. Da diese Eigenschaft im nächsten Abschnitt etwas eingehender behandelt werden soll, sei hier lediglich darauf hingewiesen, daß die Regelmäßigkeit oft mit einem anderen Kriterium vermengt wird, das ich hier Funktionalität, ( = + Grammatikalisierung) genannt habe, z. B. im folgenden Fall: Am überzeugendsten spricht man wohl von Vereinfachung, wenn eine sonst funktionslose Polymorphie reduziert wird: la guarigiona, ta moglia, il caporalo (Ernst 1983, 112).
Sehr häufig wird auch der analytische Charakter (hier unschön, aber praktisch Analytizität genannt) einer Sprache als Indiz für ihre Einfachheit gewertet. Diese Komponente der Einfachheit soll hier im Zusammenhang mit der typologischen Fortschrittlichkeit behandelt werden: Spätestens seit Adam Smith' Dissertation on the Origin of Languages wird allgemein angenommen, daß die europäischen Sprachen im Laufe ihrer Geschichte einen immer analytischeren Charakter angenommen hätten und daß die Anstöße dabei ,von unten', d. h. aus dem Bereich des Substandards gekommen seien (vgl. 3.3.1.). Hier sei lediglich erwähnt, daß die Analytizität als Indiz für „Einfachheit" oft in Konflikt mit anderen sprachlichen Erscheinungen gerät, die ebenfalls als Beispiele für vergleichsweise einfache Verfahren angeführt zu werden pflegen. So behauptet z. B. Berruto, Simplicia seien einfacher als Komposita. (Isoliert betrachtet erscheint diese Feststellung als Truismus). Berruto sieht jedoch sofort, daß er mit dieser Behauptung in Widerspruch zu seiner an anderer Stelle geäußerten Ansicht gerät, Analytizität (besonders in Form der sog. „Bildungsdurchsichtigkeit" des Wortschatzes) sei ein Anzeichen von Einfachheit. Es ist nicht einzusehen, daß andare giù einfacher als scendere, Kindergarten dagegen schwieriger als asilo sein soll (Berruto 1989, in diesem Band). Der Terminus Funktionalität ist derartig vieldeutig, daß er hier in wenigstens zwei Komponenten aufgespalten werden soll. Im ersten Fall (Funktionalität,) geht es um das in allen natürlichen Sprachen zu beobachtende Vorhandensein formaler Verfahren, denen kein erkennbarer Inhalt entspricht. "Why must each noun have a gender?" fragen sich R. Dietrich und W. Klein in ihrem lesenswerten Aufsatz über "Simple Language" (1986, 111). „Warum heißt es amabam, aber tenebam, wozu sind verschiedene Konjugationsklassen nötig?" könnte man hinzufügen. Es ist hier nicht der Ort, diese Frage gründlich zu erörtern. ,Unnötige Schwierigkeiten' der hier angeführten Art können auf verschiedene Art und Weise entstehen. Entweder wird, wie im Fall des Genus, eine Kategorie formal bewahrt, die in einer entmythologisierten
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Lebenswelt ihre Relevanz weitgehend verloren hat und nur in den Fällen eine kommunikative Leistung erbringt, in der sie mit der .natürlichen' Kategorie Sexus korrespondiert; oder es entstehen - wie möglicherweise im Falle der Themavokale beim indoeuropäischen Verb auf,mechanischem' Weg formale Unterschiede, die getreu tradiert werden, ohne Träger einer Bedeutung zu sein. Auf eben diesem Wege entstehen, wie die historische Grammatik lehrt, nicht nur „unnötige Schwierigkeiten" im hier erörterten Sinn, sondern auch Unregelmäßigkeiten', die später immer wieder nur teilweise durch Analogiebildungen beseitigt werden. Es ist nicht ganz von der Hand zu weisen, daß in den Substandardvarietäten dieser analogische Regulierungsprozeß schneller verläuft als im Standard, der von einem bestimmten Entwicklungsstadium an gewissermaßen per definitionem konservativ zu sein pflegt (gerade größere Regelmäßigkeit herstellende Analogiebildungen vom Typ gebringt gelten ja unter Gebildeten als „Barbarismen"). Es ist jedoch kaum anzunehmen, daß „unnötige Schwierigkeiten" von der hier erörterten Art im Substandard weniger häufig auftreten als im Standard, zumindest nicht in den .natürlichen' Substandardvarietäten. Wenn bei der Diskussion des Problems der Einfachheit von „Funktionalität" die Rede ist, wird häufig etwas anderes darunter verstanden, nicht das Vorhandensein prinzipiell „unnötiger" Verfahren, sondern die Möglichkeit, in einer Sprache vorhandene Kategorien nur dann auszudrücken, wenn sie zum Verständnis des Mitgeteilten unbedingt benötigt werden ("principie of minimal guidance", Dietrich/Klein 1986, 116, hier Funktionalität 2 ). In einer alltäglichen Situation ist „Gestern ich kaufe Auto" ebenso gut verständlich wie „Gestern habe ich ein Auto gekauft". Auf den im Deutschen (und in vielen anderen Sprachen) obligatorischen Ausdruck der Kategorie „Tempus" könnte eigentlich verzichtet werden, wenn ein Zeitadverb den Zeitpunkt des mitgeteilten Geschehens anzeigt oder wenn er aus der Situation eindeutig erschließbar ist. Während es uns jedoch im Deutschen freisteht, auf eine Ortsangabe zu verzichten, enthält jeder finite Satz notwendigerweise eine (wenn auch meist unbestimmte) Zeitangabe. Languages differ essentially in what they must convey and not in what they may convey (Jakobson 1959, 236).
Demjenigen, der eine fremde Sprache erlernt, erscheinen bekanntlich gerade die Kategorien als „schwierig", die seine eigene Sprache im Gegensatz zur erlernten „nur bei Bedarf" (und mehr oder weniger unsystematisch) bezeichnet, so z. B. die Prädizierung entweder mit ser oder mit estar, die Aspekte des slavischen Verbs oder umgekehrt für Sprecher slavischer Sprachen die Artikel. Eine gründliche vergleichende
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Untersuchung der .Flexibilität' verschiedener Sprachen (u. U. im Rahmen der Theorie der „Markiertheit") stellt ein dringendes Desiderat dar; sie kann hier nicht vorgenommen werden. Es muß allerdings bezweifelt werden, daß Substandardvarietäten (mit Ausnahme der „künstlich reduzierten") in dieser spezifischen Hinsicht wirklich „einfacher" sind als Standardvarietäten. Rein intuitiv betrachtet ergibt sich eher der Eindruck, daß jede Varietät, ebenso wie jede Sprache, ihre ganz spezifischen Schwierigkeiten aufweist. Schwierigkeiten, die ,von außen' gesehen als .überflüssig' erscheinen. Gelegentlich wird „Funktionalität" auch im Sinn von „Ökonomie" verstanden. Hierbei geht es nicht um die Freiheit, auf eine Kategorie zu verzichten, wenn die Umstände es erlauben, sondern um den Ausdruck einer Kategorie mit möglichst sparsamen Mitteln. Beispiele hierfür sind so häufig angeführt worden, daß hier ein einziges zur Illustration genügen mag, ein Beispiel für Redundanz beim Ausdruck der Kategorie „Pluralisierung" im nominalen Syntagma: The big Italian papers - / grandi giornal; italian/ (Wandruszka 1971, 76).
Am sinnvollsten scheint es, die sprachliche Einfachheit als Problem der Optimierung des Verhältnisses von Paradigma (Inventar) und syntagmatischen Verknüpfungsregeln (Distribution) aufzufassen. Jede „Sprache" verfügt über ein „Lexikon" und über eine „Grammtatik". Bei der symbolischen Darstellung von Zahlen besteht z. B. der „Wortschatz" aus den unterschiedlichen Zahlzeichen, die „Grammatik" aus den Verknüpfungsregeln, die zur Darstellung komplexer Einheiten benötigt werden. Reduziert man das „Lexikon", so benötigt man umfangreichere Ketten, reduziert man den Umfang der Ketten, so benötigt man einen größeren „Wortschatz": Binäre Zahlen werden sehr viel schneller lang (und damit für den Menschen unübersichtlich) als dezimale oder gar hexadezimale, dafür braucht man sich aber nur zwei Symbole zu merken. Im Bereich der natürlichen Sprachen erscheinen die beiden Grundkomponenten nochmals auf der Ebene der „zweiten Artikulation": Im Bereich der Sprachlaute spielt das Phoneminventar die Rolle des „Lexikons", die Distributionsregeln die Rolle der „Grammatik" (Ernst 1983, 112; Albrecht 1984, 216). „Einfachheit" in diesem ,operationalisierbaren* Sinn ist selbstverständlich eine pragmatische und damit im Bereich der natürlichen Sprachen auch eine psychologische - Kategorie, das optimale Verhältnis zwischen den beiden Komponenten hängt von einer Reihe systemexterner Umstände ab (Verwendungszweck, Eigenschaften der verwendeten hard- und Software, Eigenschaften des menschlichen Verstandes usw.). Mir ist bisher kein
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Versuch, geschweige denn eine praktikable Methode bekannt geworden, Sprachen oder sprachliche Varietäten im Hinblick auf ein für den menschlichen Geist günstiges oder weniger günstiges Verhältnis zwischen paradigmatischer und syntagmatischer Komponente zu vergleichen. Ob die vor allem in der generativistischen Literatur gebrauchten, stark ,theorieabhängigen' Begriffe „Natürlichkeit" und „Markiertheit" geeignet sind, bei der Explikation des Begriffs der sprachlichen Einfachheit hilfreich zu sein, kann hier nicht untersucht werden. Einige interessante Hinweise zu dieser Frage finden sich bei Berruto (1989, in diesem Band; vgl. ebenfalls Koch 1986, Anm. 65). Ad D: In seinem in diesem Band abgedruckten Beitrag „Semplificazione linguistica e varietà sub-standard" stellt Gaetano Berruto, gestützt auf eine umfangreiche frühere Arbeit (Berruto 1983), eine Liste von Beispielen zusammen, in der schwierigere/komplexere sprachliche Verfahren mit einfacheren konkurrierenden Verfahren konfrontiert werden. Die Liste enthält eine Reihe von Kriterien, die teilweise schon öfter beim Vergleich verschiedener Sprachen herangezogen wurden. Es wäre hochinteressant, auch einmal verschiedene Varietäten einer historischen Sprache hinsichtlich dieser Kriterien zu vergleichen. Ich werde hier nur einige unter den Beispielen aufgreifen, die Berruto als "criteri di semplificazione" dienen. Da es im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich ist, den Wahrheitsgehalt der aufgestellten Behauptungen gründlich zu überprüfen, werde ich hier ganz bewußt die Rolle des advocatus diaboli übernehmen. - Syntagmatische Diskontinuität wird als „schwieriger" angesehen als Kontiguität. Ein Satz wie „Wirf deine Abfälle nicht wegl" wäre somit komplizierter/schwieriger als "„Non buttar via i tuoi rifiuti!", „Ich habe dieses Buch während meiner Ferien in England gelesen"' schwerer als "3'ai lu ce livre pendant mes vacances en Angleterre". Wenn dies richtig ist, so dürften weite Bereiche des deutschen Substandards einen hohen Schwierigkeitsgrad aufweisen; extreme Spreizstellung zwischen Verb und Verbzusatz oder zwischen Subjekt und finitem Verb in abhängigen Sätzen sind nicht nur in der Schriftsprache besonders häufig - wie Mark Twain anläßlich seines Deutschlandaufenthalts mit Entsetzen feststellen mußte 34 - sondern treten in ihrer extremen, 34
„Im Deutschen hat man auch die Angewohnheit, die Verben auseinanderzusetzen und zu zerreißen. Man stellt die eine Hälfte an den Anfang irgendeines aufregenden Satzbaus und die zweite Hälfte ans Ende... Je weiter die beiden zusammengesetzten Wortteile auseinandergerissen werden, um so vergnügter ist der deutsche Schriftsteller über sein Verbrechen". Mark Twain, Ein Bummel durch Europa (A Tramp Abroad), Frankfurt/M.-Berlin-Wien 1983 ( = Ullstein Buch 2711), 173.
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und,,Subnorm'
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von Puristen bekämpften Form („Nachklappen", vgl. z. B. Engel 1922, 91) vor allem in der Umgangssprache auf. Aber auch im Englischen dürfte in dieser Hinsicht der Substandard unter Umständen schwieriger sein als der Standard; die phrasal verbs, bei denen, wenn auch in weit geringerem Ausmaß als im Deutschen, das Phänomen der syntagmatischen Diskontinuität ebenfalls auftritt, werden gerade in den informellen Sprachstilen besonders häufig gebraucht und können in formelleren Stilen durch einfache Verben meist lateinisch-romanischer Herkunft ersetzt werden: bring something up ( = mention it) kick somebody out ( = expel him) turn something down ( = refuse it) (vgl. Swan 1980, 492).
Substandardspezifisch ist syntagmatische Diskontinuität auch beim Ausdruck eines Possessivverhältnisses in Verbindung mit Quantoren, wie das folgende Beispiel zeigt: Das kommt von all den Amerikanern ihrem Schießen Das kommt von allem [all dem] Schießen der Amerikaner.
Allerdings ließe sich gegen dieses bei Henn-Memmesheimer (1986,172) angeführte Beispiel einwenden, der Satz sei im Sinne von „das kommt vom Schießen all dieser Amerikaner" zu interpretieren. - Das Kriterium der morphologischen Motivation („Bildungsdurchsichtigkeit") hat im Rahmen einer vergleichenden und gleichzeitig auch charakterisierenden, nicht selten wertenden Sprachbetrachtung eine bedeutende Rolle gespielt. Es wurde in diesem Zusammenhang immer wieder auf die tiefen Unterschiede zwischen dem Deutschen und dem Französischen hingewiesen. Das Deutsche sei wegen der hohen Frequenz morphologisch motivierter Lexeme, die „etwas über sich selbst aussagen", eine anschauliche, .konkrete' Sprache, das Französische hingegen, aufgrund seiner Vorliebe für unmotivierte Lexeme eine .intellektuelle',,abstrakte' Sprache. Man vergleiche z. B. : Hausmeister, Sonnenwende, Allgegenwärtigkeit, abschreiben, nachmachen usw. und concierge, solstice, ubiquité, copier, imiter
Darüber hinaus verfüge das Deutsche (und in geringerem Umfang auch die südromanischen Sprachen) über eine größere innere Kohäsion des Wortschatzes als das Französische, das Ableitungen oft nicht aus dem volkstümlich entwickelten Grundwort bildet, sondern bei Bedarf direkt aus dem Lateinischen entlehnt, so daß der Zusammenhang zwischen Grundwort und abgeleitetem Wort,verdunkelt' wird:
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Jörn Albrecht blind - Blindheit; Wasser - wässrig; Schiff/Bruch - Schiffbruch cieco - cecità; acqua - acquoso; nave/rottura - naufragio ciego - ceguera; agua - aguanoso; nave/ruptura - naufragio aveugle - cécité., eau - aqueux ; navire/rupture - naufrage35
Es scheint tatsächlich vieles dafür zu sprechen, daß diese Bildungsdurchsichtigkeit (die nur eine spezifische Manifestation der viel allgemeineren Kategorie der Analytizität ist, vgl. w. u. 3.3.1.), in den unteren Registern der hier betrachteten Sprachen stärker ausgebildet ist als in den formalen Stilen und in den (wissenschaftlichen) Fachsprachen (man denke nur an die Entlehnungen aus den klassischen Sprachen im Deutschen, die oft ganz bewußt zur Vermeidung unerwünschter Assoziationen aufgrund von morphologischer Motivation oder aber tatsächlich zur .Komplikation' recht einfacher Sachverhalte eingesetzt werden) : schließen, säubern; Antizipation, poursuivre, transplantation cardiaque; precedere usw. zumachen; sauber machen; Vorwegnahme ; courir après; greffe du coeur; andare avanti usw. (bei Telefon und Fernsprecher ist das Verhältnis eher umgekehrt!)
Obschon rein intuitiv gesehen eine Affinität der reicher motivierten Organisation des Lexikons zum Substandard unbestreitbar gegeben zu sein scheint, lassen sich dennoch gegenläufige Tendenzen feststellen. Zum einen muß die morphologische Motivation im Zusammenhang mit dem in C diskutierten Problem des Verhältnisses von paradigmatischer und syntagmatischer Komponente der Sprache gesehen werden. Sobald die motivierten Bildungen zu umfangreich und damit zu schwerfällig werden, erscheinen gerade in den Substandardvarietäten Kürzel, die die Bildungsdurchsichtigkeit meist vollständig beseitigen (Kultusministerium -* Kumi; Zulassungsarbeit — Zula\ père aubergiste — père aub ; d'accord — d'ac usw.). Zum anderen lassen sich gerade die lexikalisierten Tropen und noch mehr die Ellipsen des Substandards als Kondensierungen und künstliche Demotivierungen deuten. Im Gegensatz zu Kalb - kalben liegt bei Ochs - ochsen, Büffel - büffeln, Bock - bocken keine morphologische, sondern jene semantische Motivation vor, die im Bereich der stylistique comparée als Beleg für den abstrakten Charakter des französischen Wortschatzes herhalten muß (vgl. z. B. Malblanc 1963, § 22). Aus bildhaften Wendungen der 35
Ich habe mich in meiner Dissertation u. a. mit dieser Erscheinung ausführlich beschäftigt (Albrecht 1970, 26-33; 214-237). Dort findet man auch die ältere Literatur zu der gesamten Problematik. Vgl. darüber hinaus Rettig 1981 und Körner 1977, 6ff.
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Literatursprache wie ne pas se faire du mauvais sang, daran glauben müssen, daß es einen stärkeren Herrn gibt, entstehen im Substandard durch Verkürzung feste Fügungen, die kaum mehr remotivierbar sind (wie z. B. im Fall von Unsere Schnapsvorräte haben dran glauben müssen „sind aufgebraucht worden"; vgl. 3.4.). - Wenn es richtig ist, daß die Verteilung von Subjekt, Agens und Thema auf verschiedene Komponenten des Satzes eine Erschwernis gegenüber der Koinzidenz dieser drei Kategorien darstellt, dann sind die Substandardvarietäten der drei hier betrachteten Sprachen eher komplizierter denn einfacher als der jeweilige Standard. Das gilt zumindest für die Koinzidenz von Subjekt und Thema, die in allen drei Sprachen am regelmäßigsten in neutralen oder formellen Stilen auftritt. Claude Hagège sieht sogar in der Tatsache, daß diese Koinzidenz im gehobenen Französisch eher die Regel als die Ausnahme darstellt, eine Schwäche der französischen Literatursprache; eine thematische Progression lasse sich oft nur in unbefriedigender Weise darstellen: "L'ordre des idées se trouve donc sacrifié, en français littéraire, à la succession purement grammaticale". Im normfernen français parlé könnten dagegen die grammatische und die informationstragende Struktur des Satzes weit auseinanderklaffen: "Moi, mon copain, son père, il est pilote" (Hagège 1985, 221ff.). Was nun die Koinzidenz von Subjekt und Agens betrifft, so wissen wir aus der Literatur zur Kasusgrammatik, daß sie in unseren Sprachen keineswegs die Regel darstellt. In vielen Aktivsätzen kommt dem Subjekt nicht die Rolle des Agens zu, so z. B. in das Haus brennt; der Schlüssel öffnet die Tür oder Peter kriegt Halsweh. Es ist nicht einzusehen, inwiefern Erscheinungen dieser Art im Substandard weniger häufig auftreten sollen als im Standard (vgl. w. u.). - Die Behauptung, die Reihenfolge Determinatum/Determinans sei einfacher als die umgekehrte Sequenz, hat in der Diskussion um die sog. „natürliche Wortfolge" eine lange Tradition; sie wurde schon in der Scholastik ontologisch begründet: prius est esse quam sie esse. Das Kriterium taugt vermutlich eher zur vergleichenden Charakterisierung von Sprachen als von Varietäten einer Sprache. Es wird im übrigen oft recht eigenwillig interpretiert. So muß z. B. L. Renzi, um die These zu verteidigen, die romanischen Sprachen seien im Gegensatz zum Lateinischen konsequent „rechtsdeterminierend", behaupten, bei dem im Satz aktualisierten Nomen sei der relationelle Bestandteil (also die Kasusendung im Lateinischen, die Präposition im Romanischen) als Determinatum, das Lexem als Determinans aufzufassen. Nur auf diese Weise kann patrw als „links-", di padre dagegen als „rechtsdeterminierend" angesehen werden (Renzi 1985, 133).
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- Kehren wir nochmals z u m Verhältnis von Subjekt und Agens zurück. Die von Berruto in diesem Z u s a m m e n h a n g zitierte Behauptung, das Passiv sei „ein Luxus der Sprache", muß, wie Berruto selbst sieht, relativiert werden, sie gilt allenfalls im R a h m e n schulgrammatischer Gegenüberstellungen vom Typ Caesar Gallos vicit - Galli a Caesare vieti sunt. Erweitert m a n den Betrachtungsrahmen und bezieht auch Sätze mit ein, in denen entweder das Agens nicht genannt wird (Fall a) oder die Bezeichnung des Agens einem anderen Satzglied als dem Subjekt anvertraut wird (Fall b), so zeigt sich, daß sowohl im Standard als auch im Substandard der hier betrachteten Sprachen keine durchgängige Koinzidenz von Subjekt und Agens vorliegt (es handelt sich in diesen Fällen natürlich nicht u m passivische Sätze im engeren Sinn): Fall a: Das Buch liest sich leicht; es wurde viel gesungen; das kriegste nie gesagt; le saumon se mange froid; il s'est fait tuer; è rimasto ucciso; la verità non si può sempre dire Fall b : Katrin kriegt Blumen von Peter; il s'est fait écraser par un chauffard; è rimasto ferito da un cacciatore imprudente; le foglie cadono per il vento. Wie bereits erwähnt, gibt es eine Menge von Aktivsätzen, in denen dem Subjekt eine andere thematische Rolle als die des Agens zugewiesen wird. Transformiert m a n solche Sätze in der Art, wie m a n aktivische Sätze im engeren Sinn in passivische verwandelt, so k o m m e n die semantischen Rollen des ehemaligen Subjekts oft klarer zum Ausdruck: Dieser Schlüssel öffnet die Tür — Die Tür läßt sich mit diesem Schlüssel öffnen; La pratique de la voile hâle le teint — le teint se hâle par la pratique de la voile ; Le soleil sèche le ciment — le ciment sèche au soleil (vgl. Baylon/Fabre 1978, 94). Ich halte es f ü r äußerst unwahrscheinlich, daß n a t ü r l i c h e ' Substandardvarietäten einen höheren Grad an Kongruenz zwischen Subjekt u n d Agens aufweisen als Standardvarietäten. - Was n u n die Verbvalenz betrifft, so kann ich hier nur einige flüchtige hypothetische Überlegungen anstellen. Wenn niedrige Verbvalenz einfacher sein soll als hohe und w e n n Substandardvarietäten einfacher sein sollen als Standardvarietäten, d a n n müßte sich zeigen lassen, daß in Substandardvarietäten Konstruktionen, an denen Verben mit hoher Valenz beteiligt sind, ,analytisch' aufgelöst werden, etwa nach folgendem Muster: a gibt b c — : b bekommt c = x. a veranlaßt x (oder a veranlaßt x, nämlich b bekommt c). Dergleichen läßt sich intuitiv k a u m nachvollziehen. Sporadisch treten sogar entgegengesetzte Erscheinungen auf, so z. B. die analogische
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Übertragung der Konstruktion se souvenir de qch. auf se rappeler de qch im frz. Substandard (statt korrektem se rappeler qch.) oder die häufigen ,mutwilligen' Valenzerweiterungen in der saloppen deutschen Jugendsprache: Ich steh auf Pommes, das blick ich nicht usw. Die Gegenüberstellung „reiches (Teil)paradigma/ armes (Teil)paradigma" stellt ein Musterbeispiel für jene Einfachheitsbehauptungen dar, die für einen begrenzten Bereich zutreffen mögen, schwerlich jedoch als Argumente für vergleichsweise Einfachheit einer gesamten Sprache oder Varietät herangezogen werden dürfen. Sicherlich ist es einfacher, mit einem einzigen Anredepronomen, you, als mit vieren, tu, voi, lei, loro, zu operieren, aber diese Einfachheit gibt es nicht .umsonst', sie muß im Englischen mit außerordentlich komplizierten Regeln der Verknüpfung des Anredepronomens mit verschiedenen Formen des Namens, Titeln, Berufsbezeichnungen, Partikeln, speziellen Intonationsmustern usw. kompensiert werden (vgl. Whitcut 1980). Ad E: Vor einiger Zeit hatte der Verfasser dieser Zeilen den Anhängern der These, man könne das Verhältnis von Substandard und Standard als „Vereinfachung" auffassen, vorgeworfen, sie verträten eine technizistische Variante der (in den siebziger Jahren heftig diskutierten) Defizithypothese (Albrecht 1984, 216f.). Berruto verwahrt sich energisch gegen diese Unterstellung: . . . vorrei sottolineare che l'idea della presenza di fatti di semplificazione nelle varietà sub-standard... non deve assolutamente essere intesa come un'affermazione di povertà o impoverimento, di imperfezione, di inadeguatezza delle varietà sub-standard, bensì come un approccio descrittivo... . . . Il riferimento alla 'Defizithypothese' in Albrecht (1984) è comunque del tutto fuori luogo. Con la nozione di semplificazione si lavora alla descrizione di varietà di lingua, non di modi di comunicare (alla Bernstein)... (Berruto 1989, in diesem Band).
So unproblematisch, wie hier suggeriert wird, ist der Unterschied zwischen Sprachsystem und Sprachverwendung nun doch nicht. Bernstein und seine Anhänger - fast alle, dies sei zugestanden, keine Linguisten waren lange Zeit davon überzeugt, Sprachvarietäten, nicht etwa Formen des sprachlichen Verhaltens zu beschreiben. Die Unterscheidung von Sprache und Sprechen (bzw. langue und parole, Kompetenz und Performanz oder wie immer sonst man sie terminologisch fassen will) ist bekanntlich eine nützliche, für den Linguisten sogar unentbehrliche distinctio rationis, die nicht auf einer realen Trennung unterschiedlicher Fakten beruht. Je komplexer die sprachlichen Strukturen sind, die man beschreibt, je stärker man die Relationen zwischen diesen Strukturen und den Umständen des Sprechens berücksichtigt, desto subtiler wird der Unterschied zwischen Sprachsystem und Sprachverwendung.
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Das haben R. Dietrich und W. Klein bei ihren Überlegungen zur „einfachen Sprache" sehr wohl gesehen. Sie schlagen vor, das traditionelle Bild von der Sprache als Behältnis des Gedankens (container-model) durch ein anderes zu ersetzen, daß der Dialektik zwischen „Sprachbenutzer" (der immer auch ein wenig ,Sprachschöpfer' ist) und der Sprache, die er als überindividuelle, überlieferte Praxis vorfindet, besser entspricht: So, we might replace the container metaphor by a different one, one that speaks of stakes planted in a stream; they change its course - for a time and to some extent. The stream is the individual's 'stream of consciousness', fed, on the one hand, by his (or her) sensory perception and, on the other, by what he takes from his memory. The stakes are the utterances to which he is exposed at a given moment. (Dietrich/Klein 1986, 110)
In Verbindung mit der Frage nach der Existenz ,einfacher' Varietäten stoßen die beiden Autoren dann auf ein neues ,Optimierungsproblem': Die rein technische, durch die vorgefundene Sprache bewirkte Determinierung oder ,Gängelung' des individuellen Ausdrucks ist der Preis, der für die Unabhängigkeit des Mitgeteilten von den Begleitumständen des Sprechens bezahlt werden muß: To take up our stake-and-stream metaphor again: simple codes allow only limited steps into the stream of consciousness. They are adequate as long as the stream takes a direction which is close to what can be expected . . . Fullyfledged natural languages are much less dependent on the availibility of contextual information although they are never independent of it. Part of their complexity is the price we have to pay for this freedom {ibid., 116f.).
Wenn wir uns nun der zentralen Komponente der gesamten Einfachheitsproblematik, der Regelmäßigkeit zuwenden, werden wir sehen, daß sich die Widersprüche zwischen den beiden hier angeführten Positionen wenigstens teilweise auflösen lassen. 3.2. Größere Regelmäßigkeit Unter den Kriterien, die zur Explikation des Begriffs der sprachlichen Einfachheit herangezogen werden, spielt die Analogie, durch die größere Regelmäßigkeit in einem Teilbereich der Sprache hergestellt wird, eine besonders wichtige Rolle. Für Georg von der Gabelentz ist in der durch größere Regelmäßigkeit herbeigeführten Vereinfachung der Beweggrund zu suchen, der die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft dazu veranlaßt, eine analogische Neuerung von anderen zu übernehmen: Darin liegt nun aber wohl auch die Macht der Analogie, die Ansteckungskraft der falschen Analogie auf die Sprache der Sprachgenossen, dass sie in
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der Regel eine Vereinfachung der Sprache darstellt . . . jene neuerfundenen Weltsprachen, deren man in drei Wochen vier lernen kann, beruhen immer auf dem verständigen Grundsatze ausnahmsloser Analogie. Volkssprachen aber sind nicht willkürliche Erfindungen einzelner Köpfe, sondern naturwüchsige Gebilde, und ihre Bewahrung und Gestaltung ist nicht den Kindern, auch nicht den Touristen und Handlungsreisenden anvertraut, die sie erlernen müssen, sondern den Erwachsenen und Eingeborenen, denen sie in ihrem überlieferten Zustande geläufig ist [sie], (v. d. Gabelentz 1901/69, 211)
Von der Gabelentz bringt also, wie so viele Theoretiker der Einfachheit vor und nach ihm, das Merkmal „Künstlichkeit" (sowohl hinsichtlich der Entstehung als auch der Überlieferung der jeweiligen Sprache) ins Spiel und setzt sich damit zumindest teilweise in Widerspruch zu einer Grundüberzeugung der Sprachwissenschaftler seines Jahrhunderts. Die Vertreter der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft waren ja gerade davon überzeugt, daß es die ,künstlichen' Eingriffe in das „Sprachleben" seien, die die gesetzmäßige Entwicklung störten. Schleicher sah in den Volkssprachen „regelfestere Organismen" als in den Schriftsprachen (vgl. Albrecht 1986, 72, Anm. 9), und Maurice Bloomfield, der Onkel von Leonard, der nun gerade kein Anhänger der These von der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze war, räumte ein, daß man die Verhältnisse in den Standardsprachen nicht als Argument gegen die von den Junggrammatikern vertretenen Thesen anführen dürfe: Vereinzelte Fälle von scheinbarer Gesetzlosigkeit, wie man sie aus den modernen Kultursprachen in ihrer gesprochenen Form herausgepickt hat, beweisen gegenüber einer solchen Regelmäßigkeit gar nichts. Die Diktate einer autoritätsheischenden Literatur sowie Akademien, Bühne usw. im Verein mit ihren Bundesgenossen Grammatik und Wörterbuch zwingen die moderne gesprochene Sprache erbarmungslos aus der Bahn ihrer natürlichen Entwicklung heraus. Es ist eindeutig ungerecht, von jemandem, der an die Lehre vom Lautgesetz glaubt, zu verlangen, er solle die lautlichen Ungereimtheiten entwirren, die aus diesem heterogenen Wirrwarr entstehen müssen (Bloomfield 1884/1977, 253).
Im zweiten Abschnitt dieses Aufsatzes wurde zu zeigen versucht, daß Standardsprachen notwendigerweise .unregelmäßiger' sein müssen als natürliche Varietäten, und zwar allein aufgrund der Tatsache, daß jede Standardsprache im Laufe ihrer Entstehung über ihren .natürlichen' Geltungsbereich hinaus verbreitet wird. Eine der wichtigsten Quellen für Uneinheitlichkeit liegt in einer besonders breiten topischen Basis oder, wie im Falle des Deutschen, im mehrfachen Wechsel der topischen Basis. Im Italienischen und in noch höherem Maße im Französischen erfolgte die Kodifizierung der Norm zu einem Zeitpunkt, als das Sprachsystem in schneller Entwicklung begriffen war, so daß, etwas vereinfacht ausgedrückt, verschiedene Entwicklungsphasen in der Soll-Norm amalgamiert wurden:
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Jörn Albrecht Le français cultivé porte la marque profonde de ces origines historiques particulières; il est né de l'action des grammairiens qui au cours des XVIe et XVIIe siècles ont stabilisé et normalisé l'idiome dans une phase de transition, à une époque où la structuration naturelle du système n'était pas encore achevée. . . Il en résulte que, d'une part, on a fixé des formes irrégulières, parasitaires et inutiles qui étaient en voie d'extinction; que, d'autre part, on a arrêté le développement de nouvelles structures qui étaient en germe dans le système et en cours de développement (Guiraud 1969, 11).
Hierin unterscheidet sich das Spanische vom Italienischen und vom Französischen. Das Ausgangsmaterial, auf das sich die Sprachnormierer in Spanien stützen konnten, war sowohl in topischer als auch in chronologischer Hinsicht einheitlicher. So erscheint dort z. B. das periphrastische Perfekt mit unveränderlichem Partizip, als reines Tempus ohne mehr oder weniger .künstliche' Reminiszenzen an die aspektuelle Herkunft der Periphrase: Los caminos que hemos corrido Les chemins que nous avons parcourus.
Analogische Regularisierungsprozesse treten überall und zu allen Zeiten auf. Es stellt sich nun die Frage, ob die Anstöße dazu - zu einem Zeitpunkt, zu dem ein Standard bereits existiert, denn nur dann kann man von „Vereinfachung" sprechen - grundsätzlich ,von unten' kommen. In den späten Entwicklungsphasen unserer Kultursprachen scheint dies im allgemeinen der Fall zu sein. Ich gebe im folgenden lediglich zu Illustrationszwecken einige wenige Beispiele36: Französisch: Ausweichen auf produktive Konjugationsklassen, also solutionner statt résoudre, émotionner statt émouvoir usw. ; falsche Analogiebildungen wie je vas, il finissa, il lisa, il disa etc.; Bildung der periphrastischen Tempora der verbes pronominaux mit avoir, je m'ai cassé la gueule ; Remotivierungen im Wortschatz, moinastère, expérienté usw. Nicht ohne weiteres als Regularisierung, aber als Vereinfachung' läßt sich die fehlende Kongruenz bei gewissen prädikativ gebrauchten Adjektiven interpretieren, il/elle est très costaud. Italienisch: Analogische und damit gleichzeitig redundante Komparative, più migliore, più meglio ; falsche Analogiebildungen, dassi, dissimo, fecimo, potiamo, vadi. Ähnlich wie bereits im späten Vulgärlatein sind auch im Italienischen die Analogiebildungen bei den Verbformen nicht alle im Sinne einer Regularisierung zu interpretieren, es 36
Die hier und auf den folgenden Seiten angeführten Beispiele werden, um das Literaturverzeichnis nicht noch mehr anschwellen zu lassen, nicht einzeln belegt. Sie stammen entweder aus der zitierten Literatur oder aus einem umfangreichen Korpus, daß der Verfasser vorwiegend auf der Grundlage von Trivialliteratur erstellt hat.
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findet nicht immer Reduktion, sondern gelegentlich einfach ein Wechsel der Konjugationsklassen statt, durch den nichts vereinfacht wird: mandorlo, discutavamo, ballevamo (vgl. Berruto 1983, 49). Deutsch: Analogiebildungen beim Verb, die Sonne scheinte, hat gescheint; er flechtet, flechtete; attributive Verwendung von Partikeln, die im Standard nur prädikativ verwendet werden können, der abe Knopf, die zue Tür; Verwendung von reinen Adverbien als Adjektive, die teilweise Erneuerung, die ausnahmsweise Erlaubnis, die leihweise Überlassung. Am stärksten dürfte jedoch der Bereich der nominalen Flexion von Analogiebildungen betroffen sein. Analogische Regularisierungsprozesse wurden vor allem von den Vertretern der diachronischen Phonologie als Beweggründe für den Sprachwandel angenommen. Besonders interessant im Hinblick auf Regularisierungstendenzen im Substandard ist die Annahme von leeren Fächern (cases vides) im Phoneminventar einer Sprache. Man spricht von einem leeren Fach, wenn an einer Stelle des Phoneminventars eine im Rahmen einer bestehenden Korrelation zu erwartende Position nicht besetzt ist. So existiert im klassischen Latein die Korrelation stimmhaft/stimmlos, es gibt jedoch kein stimmhaftes Äquivalent zu / , im Deutschen gibt es im Gegensatz zum Französischen innerhalb derselben Korrelation kein stimmhaftes Äquivalent zu sch. Pierre Guiraud hat nun im Rahmen der allgemeinen Annahme, es gebe eine Tendenz zur Auffüllung leerer Fächer, die These aufgestellt, das français populaire sei als progressive' Varietät dem Normfranzösischen bei der Auffüllung schwach oder unvollständig belegter Fächer voraus. So gibt es im Normfranzösischen nur wenige Minimalpaare, die auf dem Gegensatz von [s] und [z] im Anlaut beruhen (z. B. saut - zoo; cinq - zinc). [ji] = (gn) kommt im Anlaut bei normfranzösischen Wörtern überhaupt nicht vor. In den unteren Registern des Französischen sind dagegen Lexeme, die mit diesen beiden Phonemen anlauten, verhältnismäßig häufig: zèbre "individu quelconque"; zigue; zigomard; zigoteau; zigouiller; zinc "avion"; zizi; zozo "naïf', zut; zyeuter; gnace; gnard; gnôle; gnolle "stupide"; gnon; gnouf "prison".
Es handelt sich dabei, wie bereits erwähnt, nicht um cases vides im strengen Sinn, da beide Phoneme im Inventar des Standards vorhanden sind. Der analogische Regulierungsprozeß betrifft nur die Distribution (vgl. Guiraud 1958). Von Vereinfachung durch analogische Regularisierung kann natürlich nur beim „sekundären Substandard" die Rede sein: „Vereinfachung bedeutet... Innovation" (Koch 1986, 142). Was nun aber die
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Albrecht
„primären" Elemente des Substandards angeht, d. h. die heterogene Ansammlung von sprachlichen Traditionen, die bereits vor der Herausbildung und Kodifizierung des Standards vorhanden waren, keinen Eingang in den Standard gefunden haben und schließlich außerhalb des Standards tradiert wurden (vgl. Fn. 31), so mögen sie im Hinblick auf irgendeines der w. o. diskutierten Kriterien „einfacher" erscheinen als die entsprechenden Elemente des Standards, schwerlich jedoch zu größerer Regelmäßigkeit der Varietät beitragen, zu der sie gehören. Ich gebe wiederum nur wenige Beispiele für „archaische" Elemente in den Substandardvarietäten: Französisch: Subjektlose Konstruktionen, faulpas s'en faire; y a pas ä tortiller; ä statt de zur Bezeichnung des possessiven Verhältnisses, la moto ä mon fils (weitere Beispiele bei Hunnius 1975, 83). Italienisch: Aus der Fülle von Erscheinungen in den italiani regionali, die in diesem Zusammenhang angeführt werden könnten, seien hier nur zwei herausgegriffen: die gorgia toscana und der präpositionale (.spanische') Akkusativ, hai visto a mio fratello? in den italiani regionali des Südens. Deutsch: Als Belege im engeren Sinne könnten alle archaischen Erscheinungen der süddeutschen Mundarten angeführt werden, die in die süddeutsche Umgangssprache gelangt sind, so z. B. das Partizip gessen, das älter ist als gegessen37 (vgl. w. u.) oder der Unterschied zwischen stecken (intrans.) und dem dazu gehörigen Faktitivum stecken („Der Schlüssel steckt im Schloß" und „Anna steckt den Schlüssel ins Schloß" sind im Südwestdeutschen nicht homophon). Als Belege im weiteren Sinne könnte man auch niederdeutsche Substraterscheinungen in der norddeutschen Umgangssprache anführen, z. B. das mußt du nicht tun „das darfst du nicht tun". Wer die These vertritt, der Substandard sei ein durch Analogiebildungen vereinfachter Standard, nimmt stillschweigend an, daß die Tätigkeit der Sprachnormierer ausschließlich konservativer Natur sei. In der Tat haben grammairiens, linguaioli und Sprachpfleger ihre Aufgabe meist nicht darin gesehen, Regelmäßigkeit herzustellen, sondern viel eher darin, Unregelmäßigkeiten zu konservieren. Die Puristen waren zu allen Zeiten eher Anhänger der consuetudo, des usus, als der ratio, der durch Analogie hergestellten Regelmäßigkeit. Es gibt jedoch auch Gegenbeispiele: Die alten Wurzelverben gen (gän) und sten 37
So heißt es im Lied vom bucklichten Männlein aus Des Knaben Wunderhorn: Will ich in mein Stüblein gehn,/Will mein Müslein essen,/Steht ein bucklicht Männlein da,/hats schon halber gessen. In unkritischen Ausgaben erscheint diese Stelle heute meist als halb gegessen.
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(stän), die nicht mehr ins neuhochdeutsche Verbalsystem paßten, wurden auf Betreiben der Sprachnormierer analogisch zu gehen und stehen umgestaltet. Eine zweisilbige Aussprache hat sich bis heute auch in formellen Sprachstilen nicht recht durchsetzen können (im Süden sind ohnehin die alten Konkurrenzformen gangan und stantan üblicher), wird jedoch von der Norm vorgeschrieben38 - gleichzeitig eines der gar nicht so seltenen Beispiele dafür, daß sich bestimmte Entwicklungen primär in der geschriebenen Sprache vollziehen und erst nachträglich in die gesprochene gelangen können (vgl. w. o. 2.3.4.). Vermutlich wurde auch die analogische Umbildung des alten, nicht mehr unmittelbar analysierbaren Partizips ge(e)ssen zu gegessen von den Sprachnormierern zumindest gefördert. Es wäre interessant, einmal systematisch zu untersuchen, welche analogischen Neuerungen sich gegen den Widerstand der Sprachnormierer durchgesetzt haben und welche - vermutlich häufig aufgrund falscher sprachhistorischer Annahmen - von den Sprachnormierern gegen den Usus durchgesetzt worden sind. Solange die Sprachnormierer in historisch gewachsenen Unregelmäßigkeiten vorwiegend unersetzliche Kulturgüter sehen, die es gegen nivellierende Tendenzen zu schützen gilt, solange werden größere Sektionen der Substandardvarietäten in der Tat regelmäßiger gestaltet sein als die entsprechenden Sektionen des Standards. Im Rahmen der These vom Substandard als vereinfachtem Standard ist daher das Argument, Substandardvarietäten seien regelmäßiger als Standardvarietäten, bei weitem am aussagekräftigsten. Es kann jedoch keine uneingeschränkte Gültigkeit beanspruchen. Zunächst einmal betrifft es nicht den gesamten Substandard, sondern nur den sekundären Substandard. Darüber hinaus trifft es in weit höherem Maße auf künstlich reduzierte, provisorische, als auf natürliche Varietäten zu. Im Laufe der Entwicklung eines pidgin zur Kreolsprache nehmen die „historisch kontingenten" Asymmetrien wieder zu. Das italiano popolare, was immer man nun genau darunter verstehen möchte, trägt mehr Züge einer künstlich reduzierten, provisorischen Varietät als die Substandardvarietäten des Französischen und des Deutschen. In der bekannten Definition von Manlio Cortelazzo, "tipo di italiano imperfettamente acquisito da chi ha per madrelingua il dialetto" (Cortelazzo 1972, 11) erscheint das Merkmal „künstlich reduziert" explizit, das Merkmal „provisorisch" implizit. Alberto Mioni spricht von Erscheinungen "caratteristici di ogni formazione di koiné e addirittura con tratti 'pidginizzanti'" (Mioni 1975, zit. nach Berruto 1983, 42). Siedelt man nun, wie ich es hier tun 38
So in Duden 6 = Aussprachewörterbuch. Interessanterweise wird in Siebs IS 1930 die einsilbige Aussprache noch zugelassen.
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will, diese Erscheinungen auf einer abstrakten Ebene an, sieht man in ihnen keine Elemente einer Varietät, sondern eine Menge relativ einheitlicher Umkodierungsrege/w mit faktisch, je nach dem eingegebenen dialektalen Material, unterschiedlichen Mmlormungsergebnissen (vgl. w. o. 2.3.3. a), so hat man auch im italiano popolare keine einheitliche Varietät, sondern nur eine Sammelbezeichnung für Erscheinungen zu sehen, deren Einheitlichkeit überhaupt erst dadurch in Erscheinung tritt, daß sie auf das italiano Standard bezogen werden. Das italiano popolare wäre demnach allenfalls eine Varietät in statu nascendi, und es ist anzunehmen, daß es im selben Maße, in dem es seinen Übergangscharakter verliert, an „historisch kontingenten" Unregelmäßigkeiten zunehmen wird 39 . Analogiebildungen stellen zweifellos größere Regelmäßigkeit und damit, wenn man den Begriff „einfach", wie Berruto es tut, pragmatisch interpretiert, vor allen für den Sprachfremden größere Einfachheit her. Nur wenige spontan gebildete analogische Formen werden jedoch von der Sprachgemeinschaft angenommen. In einem anspruchsvollen, aus dem Englischen übersetzten Artikel über Altersweitsichtigkeit kann man folgendes lesen: Ihre stärkste Akkomodation. . . erreicht die Linse demnach. . ., wenn der Ciliarmuskel völlig kontrahiert ist und das Auge das naheste gerade noch scharf abbildbare Objekt fokussiert40.
Es handelt sich hier gewiß nicht um einen gewöhnlichen Lapsus. Die analogische Neuerung ist vielmehr semantisch motiviert, der Übersetzer hatte offenbar das Bedürfnis, der in der Norm des Deutschen häufigsten Bedeutungsvariante von das nächste, nämlich „in der zeitlichen Reihenfolge unmittelbar bevorstehend" auszuweichen und eindeutig auf die räumliche Bedeutung hinzuweisen. Darf man deshalb bereits von einer Varietät des Deutschen sprechen, in der ein Unterschied zwischen das nächste „le prochain" und das naheste „le plus proche" besteht? Der englische Romanist L. C. Harmer hat mit unverkennbarem Vergnügen bei den „besten Autoren" Verbformen wie il relit (relut), ils s'asseyerent, nous extrayämes ausfindig gemacht (vgl. Harmer 1965, 83). Sind nun gerade diese Formen - nicht die Verfahren, nach denen 39
Berruto (1983,43) weist energisch alle Bestrebungen zurück, das italiano popolare in die Nähe eines echten pidgin zu rücken. Ich sehe den großen Unterschied zwischen einem echten pidgin und dem italiano popolare sehr wohl. Ich behaupte lediglich (und stimme darin Mioni zu), daß gerade die Züge, die diese Varietät mit einem pidgin teilt, für seine „Einfachheit" verantwortlich zu machen sind. 40 J. F. Koretz und G. H. Handelman, „Altersweitsichtigkeit", Spektrum der Wissenschaft 9, 1988, 54.
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sie gebildet wurden - repräsentativ für irgendeine Varietät des Französischen? Alle Belege für Übergeneralisierung von Regeln, die in der varietätenlinguistischen Literatur angeführt zu werden pflegen, müssen sorgfältig daraufhin überprüft werden, ob es sich bei ihnen lediglich um spontane Innovationen oder wirklich um Elemente einer überlieferten Sprachtechnik handelt. Das gilt im Grenzfall auch für die Kompetenz eines einzelnen, den sog. „Idiolekt". Analogische Neubildungen sind nur dann Teil einer Sprachtechnik, wenn sich der Sprecher an seine Schöpfungen erinnert, wenn sie ihm zuverlässig zur Verfügung stehen. 3.3. Typologische Fortschrittlichkeit Die Vertreter der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft haben auf ihrem Weg von der Romantik zum Positivismus hartnäckig an der romantischen Grundüberzeugung festgehalten, daß sich der Fortschritt' im Bereich der Kultur und der Sprache nur in der volkstümlichen Sphäre vollziehen könne. So betont Wilhelm Meyer-Lübke in der Einleitung zu seiner Historischen Grammatik der Französischen Sprache, daß in den „mittleren und unteren Schichten... allein das wirkliche sprachliche Leben vor sich geht" (Meyer-Lübke 51934, 19). Der Germanist Heinrich Schröder identifiziert unbefangen die gesamte Oberschicht mit dem konservativen Purismus und versteht ihren Einfluß auf die Entwicklung der Nationalsprache als - letztlich erfolglosen - Widerstand gegen die natürliche Sprachentwicklung: Die obere Schicht hält ihre eigene Sprechweise für die einzig gute, schöne, richtige, mustergültige und wehrt jede merkliche Abweichung von ihrem Sprachgebrauch als schlecht, häßlich, falsch, ungebildet ab, ohne zu ahnen, daß in vielen Dingen die heutige .mustergültige' Sprache nur dadurch zustande gekommen ist, daß die obere Schicht schließlich doch den von den unteren Schichten ausgehenden Strömungen sich gefügt hat, daß vieles, was heute als das einzig Gebildete gilt, früher als ungebildet angesehen und bekämpft worden ist. (Schröder, zitiert nach Lerch 1930/31, 221)41.
In unserem Jahrhundert wurden Elemente dieser Vorstellung von den amerikanischen Soziolinguisten aufgegriffen und in ein methodisch verfeinertes Instrumentarium zur Beschreibung und Erklärung von sprachlichem Wandel eingebracht. Vor allem Labov und seine Schüler haben in der synchronischen soziostilistischen Variation einer histori41
Eugen Lerch, von dem ich dieses Zitat übernommen habe, sah in dieser Annahme, ähnlich wie Karl Vossler, eine romantische, überholte Auffassung (vgl. Schneider 1973, 134ff.).
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sehen Sprache ein Movens für den Sprachwandel gesehen (vgl. u. a. Weinreich/Labov/Herzog 1968). Ich gebe zur Illustration ein Beispiel (es stammt nicht von Labov): Plautus Claudius Plotus Clodius
caudex codex
cauda coda
—0 —o
Eine in der historischen Sprache „Latein" bestehende Variation von au und o (die durch Zeugnisse zeitgenössischer Grammatiker gut belegt ist)42, wird in der Weise aufgehoben, daß von einem gewissen Zeitpunkt an in einem großen Teil des Sprachgebietes allein die Substandardvariante o weiterbesteht, während die Standardvariante au verlorengeht43. Im großen und ganzen lassen sich unsere gängigen Vorstellungen zum Verhältnis von Latein und Romanisch insgesamt ebenso in dieses Schema einfügen, wie die Ansichten von Henri Frei, Raymond Queneau, Pierre Guiraud und vielen anderen zur Rolle des français populaire bei der zukünftigen Entwicklung der historischen Sprache „Französisch". Allein schon Bezeichnungen wie néofrançais, français avancé usw. weisen darauf hin. Wenn hier nun einige Überlegungen zur „typologischen Progressivität" von Substandardvarietäten angestellt werden sollen, so muß, um Mißverständnissen vorzubeugen, eine wissenschaftstheoretische Bemerkung vorausgeschickt werden. Entgegen einer weitverbreiteten Meinung kann es nicht Aufgabe der Wissenschaft sein - weder der Geistes- noch der Naturwissenschaften - Prognosen sensu stricto abzugeben. Bei den von Geisteswissenschaftlern neidvoll bewunderten Prognosen der exakten Wissenschaften handelt es sich um nichts anderes als um nachträgliche empirische Bestätigungen zuvor aufgestellter Hypothesen. Das zeitliche Verhältnis von Hypothese und Bestätigung darf nicht als Vorhersage im historischen Sinn interpretiert werden. Gerade darum würde es sich jedoch handeln, wenn man etwa behaupten würde, das français populaire sei das Französisch der Zukunft. Vorhersagen dieser Art können nur in Form von Konditionalsätzen abgegeben werden: „Das français populaire könnte zum Französisch der Zukunft werden, wenn die bisher sich abzeichnende Entwicklung genauso weiterverlaufen sollte wie bisher". So soll hier die Frage, ob typologischer Wandel einer Sprache im Substandard seinen Ausgang nimmt und sich dort besonders konse42 43
Vgl. hierzu Vidos 1968, 215ff. Labov selbst warnt ausdrücklich davor, Fälle wie den hier dargestellten zu generalisieren. Er betont auch ausdrücklich, daß viele sprachlichen Merkmale keinerlei Beziehungen zur sozialen Struktur der Sprachgemeinschaft aufweisen.
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quent fortsetzt, retrospektiv untersucht werden. Aus Platzmangel muß ich mich auf ein einziges Kriterium beschränken, auf die Neigung zum „analytischen Ausdruck". 3.3.1. Die Termini analytisch und synthetisch wurden im sprachtypologischen Sinn vermutlich zum erstenmal von A. W. Schlegel in seinen Observations sur la Langue et la Littérature provençales verwendet. Es handelt sich, wie E. Coseriu annimmt, um Adaptationen der von Adam Smith in seiner Dissertation on the Origin of Languages verwendeten Termini compounded und uncompounded. Sowohl bei Smith als auch bei A. W. Schlegel werden die beiden Begriffe nicht nur grammatiktheoretisch und darüber hinaus konkret historisch interpretiert (compounded bedeutet in erster Linie „aufgrund von Sprachmischung entstanden"), sondern in einem allgemein evolutiven Sinn; vor allem Schlegel sieht im Übergang vom synthetischen zum analytischen Typ so etwas wie eine natürliche Abnutzungserscheinung. Die Sprachen, aus deren Betrachtung Adam Smith seine Unterscheidung ableitete, gehören alle zu einem Sprachtyp, den man später als „flektierend" bezeichnen sollte. A. W. Schlegel, der in Anlehnung an seinen Bruder Friedrich drei Sprachtypen unterschied, nämlich „langues sans aucune structure grammaticale" (später „isolierend"), „langues qui emploient des affixes" (später „agglutinierend") und „langues à inflexions" (später „flektierend") möchte die Unterscheidung zwischen analytisch und synthetisch ausschließlich auf die letzteren angewendet wissen: „Les langues à inflexions se subdivisent en deux genres, que j'appellerai les langues synthétiques et les langues analytiques" (Schlegel 1818/1971, 16)44. Später haben sich die beiden Begriffe von ihrem historischen Ursprung gelöst und sind innerhalb eines weiteren Rahmens verwendet worden. Viele Autoren, die mit den Termini operieren, versäumen es, deren Geltungsbereich anzugeben. Ich werde die beiden Termini hier als extreme Pole einer gleitenden Skala auffassen. Sie können prinzipiell auf alle sprachlichen Elemente der zweiten Artikulation, also auf alle bedeutungstragenden Einheiten, angewendet werden. Je mehr nicht weiter analysierbare Morpheme zur Bezeichnung eines Komplexes von grammatischen und semantischen Merkmalen verwendet werden, desto analytischer sei der betreffende Ausdruck, je mehr theoretisch isolierbare Merkmale in einem Morphem amalgamiert sind, desto synthetischer sei er. 44
Vgl. Coseriu 1968, 77. Zum Verhältnis von A. W. Schlegel zu Adam Smith und den französischen Enzyklopädisten vgl. weiterhin Monreal-Wickert 1977, 58-73 und Noordegraf 1977.
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Ich gebe einige Beispiele aus unterschiedlichen Bereichen und verzichte dabei bewußt auf die aus der klassischen Sprachtypologie wohlbekannten Fälle. Ausdrücke, an denen gebundene Morpheme beteiligt sind, gelten als „synthetischer" als solche, die sich aus freien Morphemen zusammensetzen, grammatische Morpheme (z. B. zur Genusmarkierung) als „synthetischer" als Wortbildungsmorpheme. Nicht markierte Glieder einer Opposition gelten als indirekt analysierbar (bei Freund wird im Hinblick auf Freundin ein Nullmorphem mit der Bedeutung „männlich" angenommen). Prinzipiell motivierbare, aber de facto „verdunkelte" Bildungen ( B a h n h o f ) werden als synthetischer eingestuft als (mutmaßlich) voll motivierte (girl friend). Es werden Ausdrücke aus verschiedenen historischen Sprachen und aus verschiedenen Varietäten einer Sprache miteinander konfrontiert. Als tertium comparationis dient nicht immer die semantische Entsprechung, sondern gelegentlich auch eine abstraktere Kategorie wie „Bildungstyp". Wie bei der Diskussion des Problems der sprachlichen Einfachheit beziehen sich auch hier alle Beispiele ausschließlich auf die sprachliche „Oberfläche"; es kann hier nicht darüber spekuliert werden, ob im Rahmen eines generativen Grammatikmodells womöglich gerade „synthetische" Ausdrücke mit Hilfe einer größeren Menge von Regeln erzeugt werden als „analytische". Die in der ersten Zeile des Schemas verwendeten Beispiele für Möglichkeiten der Notation einer Zahl dienen dazu, die vier Positionen auf der Skala ungefähr zu markieren: synthetisch
analytisch —
32 1001 (dual) 1 + 1 + 1... Bruder/Schwester amico/amica Freund/Freundin boy friend/girl friend cheval blanc Schimmel zu viel/too much trop/troppo kugelsicher à l'épreuve des balles boire/faire boire/ trinken/tränken donner ä boire wegnehmen enlever togliere Bahnhof gare aurait affirmé soll erklärt haben sauber machen säubern totschlagen töten dessen dem sein wegen was? aus welchem Grund? weshalb? que . . . son/sa dont l'x del quäle il cui x cui a cui Haarfrisur Frisur wohin daß + Nebensatz wohin + Nebensatz quand que + Nebensatz quand + Nebensatz usw. vgl. 3.
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Wer nach dem hier vorgeschlagenen Muster eine Beispielsammlung anlegt, wird feststellen, daß analytische und synthetische Verfahren ziemlich bunt über die verschiedenen Sprachen verteilt sind. Es scheint verfrüht, vergleichende Urteile abzugeben, solange man sich nur auf ein kleines Korpus mehr oder weniger zufällig zusammengetragener Beispiele stützen kann. Eine größere Frequenz der analytischen Verfahren in den Substandardvarietäten scheint tatsächlich gegeben zu sein; es ist allerdings keineswegs klar, ob dieser Befund zur Stützung der hier überprüften These herangezogen werden kann. Aus Platzmangel kann ich nur auf wenige Beispiele eingehen: Die unzähligen ,redundanten' Konstruktionen vom Typ Adverb(iale)/Konjunktion + Universalkonjunktion que/che/daß stellen zweifellos ein übereinzelsprachliches Charakteristikum von Substandardvarietäten dar (vgl. w. o. 3.). Man fragt sich allerdings, ob sie wirklich eine fortgeschrittene Phase der Sprachentwicklung repräsentieren. Hermann Paul gibt eine Reihe von Beispielen aus dem Frühneuhochdeutschen; auffallend ist, daß Martin Opitz, der durchaus als Sprachpfleger bezeichnet werden darf, besonders häufig genannt wird: Wo daß sie ging und stund; Weil daß die Sonne sich ins tieffe Meer begeben; Wann daß wir aber dann auch auff uns selber kommen (zit. n. Paul 1920/68, IV, 250).
Es handelt sich also um eine Erscheinung, die früher einmal zur Literatursprache gehörte und erst später auf die Ebene des Substandard beschränkt worden ist. Im Französischen wurde vor allem die Dekomposition komplexer Relativpronomen ("le décumul du relatif') als Indiz für eine besondere Bevorzugung analytischer Ausdrucksweise im français populaire und damit auch für typologische Progressivität gewertet: . . . le relatif français a cet autre caractère d'être un signe synthétique qui cumule dans une même forme plusieurs morphèmes et plusieurs fonctions. Or le français est une langue analytique sortie de la langue synthétique qu'est le latin. Toute l'histoire de l'idiome atteste le décumul des formes synthétiques. . . La synthèse du relatif consiste dans la combinaison d'un élément de relation (la conjonction que) et d'un pronom. Or le français populaire tend à faire éclater le signe pour en isoler les deux éléments ; ce qui, en outre, structure le système sur un corrélatif unique, la conjonction que (Guiraud 1969, 44).
Bei den konservativen Kulturkritikern in Frankreich erwecken Beispiele dieser Art düstere Endzeiterwartungen. Es gibt andererseits viele Autoren, die sie in „geschriebener gesprochener Sprache" mit Vorliebe verwenden, um ein bestimmtes Milieu zu evozieren:
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. .. avec un type que je connais pas ses intentions; un gonzier qu on peut plus déterminer sa religion45.
Einige Kulturpessimisten werden überrascht sein, wenn sie bei Klaus Hunnius lesen, daß diese Konstruktion eine ehrwürdige Tradition hat: Die Tendenz, die Doppelfunktion der Relativpronomina aufzulösen, ihnen lediglich die Aufgabe eines invariablen Bindeworts zu belassen und die pronominale Funktion einer zweiten Partikel zu übertragen, ist während der gesamten französischen Sprachgeschichte nachweisbar.
Dem monumentalen Werk von Damourette und Pichon, Des mots à la pensée, entnimmt er ein sehr schönes Beispiel aus einem Roman von Chrétien de Troyes - immerhin ein höfischer Dichter: Signor, vostre mere est la dam e/Que vos avés a feu et a flame/ Soventes fois sa terre mise (zit. n. Hunnius 1975/83, 352).
Im deutschen Sprachraum werden Konstruktionen wie „da wurde dem Peter sein Fahrad gestohlen" oder „Anna, Katrin ihre Schwester" ebenfalls nicht selten als Manifestationen des zunehmenden Sprachverfalls gewertet, vor allem, wenn sie in geschriebener Form auftreten. In einem berühmten Text, der im 10. Jahrhundert niedergeschrieben wurde, der jedoch in seiner Substanz sicherlich älter ist, liest man: du wart demo balderes volon sin vuoz birenkit. thu biguol den Sinthgunt, Sunna era suister.. ,46.
Die Merseburger Zaubersprüche sind eines der wenigen Zeugnisse mündlich tradierter, magischer Volkspoesie aus unserem Sprachraum und können ohne weiteres als Dokument des „Substandard" angesehen werden, eines Substandard freilich, der lange vor der Herausbildung einer Standardvarietät existiert hat. Die Ansicht, daß Substandardvarietäten progressiver' sind als Standardvarietäten und daß die in allen west- und mitteleuropäischen Sprachen indoeuropäischer Herkunft erkennbare Tendenz zum analytischen Ausdruck dort besonders stark ausgeprägt ist, läßt sich nicht völlig von der Hand weisen. Bei einer historischen Interpretation dieses Phänomens sollte man allerdings sehr vorsichtig sein. Sprachliche Erscheinungen, in denen man Zeugnisse des Niedergangs der Sprachkul45
Die beiden Beispiele aus San-Antonio entnehme ich der in Arbeit befindlichen, von mir betreuten Dissertation von Johannes Westenfelder: Nicht Sprachschöpfer, sondern Sprachverwerter. Ein Beitrag zur Entmythisierung eines Nutznießers der Krise des Französischen: San-Antonio. 46 Der Text wurde Braune/Helm "1968, 86 entnommen. Ich gebe hier meine eigene, extrem wörtliche Übersetzung: „da wurde dem Baldurs Fohlen sein Fuß verrenkt. Da besprach ihn Sinthgunt, [der] Sonne ihre Schwester...".
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tur zu sehen geneigt ist, erweisen sich bei näherem Hinsehen oft als älter als die kanonische Form der historischen Sprache, deren Verfall man bedauert. Das Modell vom Substandard als Reformiertem' Standard ist nicht völlig falsch, wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden, es gilt jedoch nur für einen Teil der Elemente der Substandardvarietäten. Wenn man schon, wie das häufig uneingestandenermaßen geschieht, das Verhältnis von Standard und Substandard in Termini einer „Abweichung" beschreiben will, so darf man nicht nur den Standard zum Ausgangspunkt wählen. In mancherlei Hinsicht findet eine Abweichung in umgekehrter Richtung statt. Die Sprachnormierer sind es, die aus der Fülle der Möglichkeiten einer historischen Sprache einige herausgreifen und andere ausschließen. Dabei werden sehr häufig gerade solche Verfahren bevorzugt, die sich unter den Voraussetzungen schriftlichen Kommunizierens, d. h. der sorgfältigeren Produktion und Rezeption von Texten (vgl. 2.3.4., e) als besonders wirkungsvoll erweisen. Diese Verfahren werden natürlich nicht ex nihilo geschaffen, sie sind immer schon vorhanden, erhalten jedoch durch die Tätigkeit der Normierung, des „Ausbaus" im Sinne von H. Kloss, ein größeres numerisches Gewicht. Das gilt inbesonders für die Entwicklung der Hypotaxe. Man sollte also nicht immer nur vom Substandard als „vereinfachter" Sprache, sondern auch vom Standard als „erschwerter" Sprache sprechen. Die „Plautiner" unter den Latinisten haben das frühzeitig gesehen. Sie wußten eine Antwort auf die Frage, warum manche vulgärlateinischen Erscheinungen, die später in die romanischen Sprachen Eingang gefunden haben, „schon bei Plautus", also vor der Herausbildung des klassischen Latein auftreten. Sie waren überzeugt, „im Plautus die besten und reichsten Quellen des wahrhaft lebendigen, nicht nach willkürlich gemachten, sondern nach immanirenden Gesetzen geregelten Lateins [zu] finden" (Skutsch 1892/1970, 2). Das hier entworfene Bild wäre nicht vollständig, wenn nicht kurz noch auf gegenläufige Tendenzen hingewiesen würde. Nachlässige Formen des Sprechens und des Schreibens, die nicht unbedingt repräsentativ für Substandardvarietäten sind, aber eine Affinität zum Bereich unterhalb der Norm zeigen, erweisen sich oft als synthetischer' als die entsprechenden standardsprachlichen Verfahren. Der Verzicht auf Analytizität wird möglich, weil ein Teil des Mitgeteilten dem Kontext und der Situation überlassen wird. Das läßt sich besonders gut anhand der Verwendung von Komposita zeigen: Insbesondere Nominalkomposita werden, wenn sie in einem gewissen Zusammenhang häufig gebraucht werden, auf reine Chiffren reduziert und gehen dabei ihres analytischen Charakters verlustig (vgl.
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3.3.1.): Kultusministerium — Kumi \ Zulassungsarbeit —• Zula; Auszubildender — Azubi (hier verschleiert oft zusätzlich die Betonung die Herkunft des Kürzels) usw. Häufig werden Nominalkomposita wegen ihrer Kürze auch dann verwendet, wenn sich ein konstitutives Attribut nicht auf das gesamte Kompositum, sondern nur auf einen der beiden Teile bezieht, wobei im ,korrekten' Deutsch eine analytische Konstruktion unumgänglich wird: Verbesserungsvorschläge zur Asylantensituation — Vorschläge zur Verbesserung der Situation der Asylanten
Vor allem im Bereich der Syntax lassen sich substandardverdächtige Normabweichungen schlicht als „nicht analytisch genug" charakterisieren, der Standard erfordert hier ein Maß an Analytizität, das manchen, wenn sie auf diesbezügliche Verstöße hingewiesen werden, als „übertrieben" erscheint. Ich schließe mit einem besonders charakteristischen Beispiel aus dem Deutschen. Präpositionale Ergänzungen werden im Deutschen streng parallel konstruiert, ob sie nun als Satzglieder oder als Gliedsätze auftreten: der Glaube an x die Furcht vor x die Freude über x
— — —
der Glaube daran, daß x die Furcht davor, daß x die Freude darüber, daß x
Bei flüchtigem Schreiben und vor allem Sprechen wird auf die kataphorischen Elemente, die als Platzhalter für den gesamten abhängigen Satz dienen, häufig verzichtet. Vergleichbare Erscheinungen ließen sich auch aus dem Französischen und dem Italienischen anführen; aus Platzmangel verzichte ich darauf. 3.4. Kleine Typologie der SubstandardVokabeln Der folgende Versuch der Erstellung einer kleinen Typologie der Substandardvokabeln stützt sich auf ein umfangreiches Korpus, das ich im Laufe vieler Jahre in Verbindung mit anderen Arbeiten zusammengetragen habe. Die Vorgehensweise entspricht, wie ich hoffe, in ihren Grundzügen den .naiven' Vorstellungen, die sich linguistisch nicht vorgebildete Sprecher von den unteren Registern ihrer Muttersprache machen. Der Standard wird als das Normale angesehen, als Nullebene betrachtet. Oberstes Kriterium der Klassifikation ist die jeweilige „Abweichung vom Standard". Es wird dabei, wie unmittelbar einleuchtet, vorwiegend (jedoch nicht ausschließlich) der „sekundäre Substandard" (vgl. w. o.) erfaßt. Die Klassifikation beruht also auf „systemlinguistischen", nicht auf soziolinguistischen Kriterien; außersprachliche, im weitesten Sinne gesellschaftliche Parameter spielen - von den sog. „Ta-
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buwörtern" einmal abgesehen - bei der Klassifikation keine Rolle. Die auf diese Weise entstandene Typologie wird, da sie auf intuitivem Wege erstellt wurde, ständig provisorisch bleiben müssen, da nicht auszuschließen ist, daß bei einer Ausweitung des Umfangs und des Blickwinkels der Untersuchung sich neue Gesichtspunkte ergeben können, die eine Modifizierung des Klassifikationsschemas nahelegen. Ich beginne mit Erscheinungen, die ausschließlich die Ausdrucksseite der Zeichen betreffen: Hier wäre an erster Stelle eine Erscheinung zu nennen, die (von einigen Ausnahmen abgesehen) nur die geschriebene Sprachform (im Sinne von code graphique) betrifft. Während innerhalb des Standards orthographische Varianten wie clé ~ clef oder Telephon ~ Telefon ziemlich selten sind, spiegelt sich in den konkurrierenden Schreibungen vieler Substandardvokabeln nahezu die gesamte bis heute ungelöste (d. h. von Fall zu Fall arbiträr entschiedene) Problematik des jeweiligen Orthographiesystems. Die weitaus größte Zahl von Beispielen hierzu findet man im Französischen. Ich beschränke mich auf einige wenige Beispiele 47 : Doppelkonsonanz
~ einfache
Konsonanz
se balader ~ se ballader; charier ~ charrier "exagérer, dire des bêtises"; se taper ~ se tapper. e muet bougnoul ~ bougnoule; calter ~ caleter "fuir, s'en aller"; vioc ~ vioque (auch für mask.). an ~ en rambour ~ rembour; rancart ~ rencart; rancarder ~ rencarder. au ~ ô ~ o gnaule ~ gnôle; piaule ~ piole; taule ~ tôle48. s ~ ss ~ c/ç clamser ~ clamecer; fissa ~ fiça; gnasse ~ gnace; sinoque ~ cinoque "fou".
Im folgenden wird nur dann die Bedeutung eines Wortes in semasiologischen Anführungszeichen angegeben, wenn sie wenig bekannt ist oder wenn sie ausdrücklich von anderen, nicht gemeinten Bedeutungen unterschieden werden soll. Die Bedeutungsangaben sind lediglich als Identifizierungshilfen, nicht als lexikographischen Ansprüchen genügende Definitionen zu verstehen. 48 In den Romanen von Jean-Paul Sartre wechselt die Schreibweise oft auf ein und derselben Seite, und zwar ohne Bedeutungsdifferenzierung („Studentenbude", „Gefängnis" usw.). 47
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gn ~ gni ~ ni gnace ~ gniace; gnôle ~ gniole ~ niole; se magner ~ se manier.
Graphien für [j] un chouia ~ chouya; pagaie ~ pagaye ~ pagaille.
Suffixwechsel49 coinsto ~ coinceteau; corniaud ~ corniot "imbécile"; costar ~ costard; hosto ~ hosteau; saligaud ~ saligot; zigoto ~ zigoteau.
In Sprachen mit weniger problematischen Orthographiesystemen treten Schwierigkeiten dieser Art in weit geringerem U m f a n g auf. In meinem italienischen Korpus findet sich z. B. kein einziger Fall, bei dem die beobachtete Variabilität der Form eines Wortes rein graphischer Natur wäre. Dies hängt einerseits mit dem relativ unproblematischen italienischen Orthographiesystem zusammen, das dem Ideal einer eindeutigen Zuordnung von Phonemen und G r a p h e m e n recht nahe kommt, andererseits jedoch mit dem bereits mehrfach erwähnten Fehlen überregionaler Einheitlichkeit im Bereich des Substandards. Meine Materialsammlung enthält nur zwei Beispiele f ü r nicht (bzw. n u r indirekt) regional bedingte Variation: Die konkurrierenden Schreibungen frocio und froscio "pederasta", die die wohlbekannte Problematik von [ + J] und [f] im Italienischen widerspiegeln, und das Paar ganga ~ ghenga, das sich leicht durch unterschiedliche Integration von engl. gang in das Phonemsystem des Italienischen erklären läßt. Alle übrigen Varianten sind regional bedingt: cacatore ~ cacatoio; ronfare ~ ronfiare "dormire"; scoreggiare ~ scureggiare; sugarsela ~ succhiarsela; sozzo ~ zozzo.
Das Deutsche nimmt in dieser Hinsicht eine mittlere Position ein. Es treten durchaus Fälle auf, die ausschließlich durch die Schwächen des Orthographiesystems bedingt sind (pesen ~ peesen; nölen ~ nöhlen erklären sich aus den unterschiedlichen Möglichkeiten, Vokallänge in offenen Silben anzuzeigen, (an)flachsen ~ (an)flaxen aus den konkurrierenden Schreibungen f ü r [ks]). Weit häufiger jedoch sind die Schreibvarianten regional bedingt und spiegeln somit gleichzeitig phonische Unterschiede wider: Sperenzen (Sperrentzien, Sperrenzchen) machen; mickrig ~ miekrig; panschen ~ pantschen; popelig ~ poblig; Geseier ~ Geseires; Penunzen ~ (Penonsen, Penunsen, Pinunsen; vermutlich unterschiedliche Adaptationen von poln. pieni^dze). 49
Nicht streng im Sinn der Wortbildung zu verstehen.
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Ein weiteres Charakteristikum des Substandards auf lexikalischem Gebiet ist die vergleichsweise größere Häufigkeit von Wortkürzungen und Wortdeformationen. Streng genommen ist eine quantitative Interpretation des Kriteriums „Abweichung" in diesem Fall unangebracht, denn „Kürzung" und „Deformation" sind bereits relationelle Termini, die überhaupt nur dann einen Sinn haben, wenn man sie auf den Standard als das Normale bezieht. Obschon Abkürzungen gelegentlich in den Rang offiziöser oder gar offizieller Termini aufsteigen können (z. B. Benelux-Staaten), finden selbst die gebräuchlichsten unter ihnen (Auto, Kino, Foto usw.) nur selten Aufnahme in die formellsten Sprachstile; so wird in amtlichen Verlautbarungen eher von Automobilen oder Kraftwagen, Lichtspiel(vorführ)häusem und Photographien oder Lichtbildern die Rede sein. Die Zahl der mots tronqués in meinem französischen Korpus ist - gemessen an der Häufigkeit dieser Erscheinung in der gesprochenen Sprachform - auffällig gering. Man kann darin einen Hinweis darauf sehen, daß in diesem besonderen Fall auch bei veristischer Verwendung „gesprochener Sprache" in der Literatur eine gewisse Selektion stattfindet. Ein Korpus spontan hervorgebrachter mündlicher Äußerungen hätte sicherlich andere Ergebnisse geliefert. Die Beispiele sind - abgesehen von formide (formidable) bei SanAntonio 50 sehr gut dokumentiert und brauchen daher hier nicht aufgeführt zu werden. Eine Zwischenstellung zwischen Kürzung und Deformation nehmen Bildungen wie apéro, broncho, proprio usw. ein, die vermutlich in Analogie zu echten Kürzungen wie moto, kilo, stylo usw. entstanden sind. Gelegentlich betreffen Kürzungen nicht nur die Ausdrucks*, sondern auch die Inhaltsseite des Zeichens. Es kommt nämlich vor, daß die Kürzung im Gegensatz zum Grundwort ausschließlich in übertragener Bedeutung verwendet wird (so z. B. carne "drogue" aus camelote). Gewöhnlich sind nur Kürzungen am Wort ende („Apokopen") analysierbar und stellen somit unzweifelhaft Elemente des „sekundären Substandard" dar. Kürzungen am VJorlanfang („Aphäresen" wie z. B. troquet aus mastroquet oder bougnat "marchand de carbón" aus charbougna) werden meist auch von Sprechern mit geschärftem metasprachlichen Bewußtsein nicht als solche identifiziert. Mein italienisches Korpus enthält nur je ein Beispiel für eine „Apokope" (cappuccio) und eine „Aphärese" (moroso aus amoroso). Vor allem im Bereich der Jugendsprache treten jedoch gerade in letzter Zeit 50
Viele Vokabeln, auf die man in den Romanen San-Antonios stößt, scheinen ausschließlich der wortbildnerischen Kreativität des Verfassers (F. Dard) entsprungen zu sein. J. Westenfelder weist in seiner fast fertiggestellten Dissertation (vgl. Fn. 45) nach, daß sich selbst für die abenteuerlichsten Bildungen häufig frühere Belege finden lassen.
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immer häufiger Kürzungen oder Kombinationen aus Kürzung und Deformation auf (ero aus eroina; fina aus [guardia di] finania \ libo "godimento, piacere" aus libídine)S1. Im Deutschen scheinen Apokopen ähnlich wie im Italienischen vor allem im Bereich der Jugendsprache aufzutreten {Abi, Mathe, Reli, Diss, Prof, Direx). Im Bereich der Fachsprachen aller drei hier behandelten Sprachen tritt - neben Apokopen wie Kat > Katalysator > katalytischer Konverter - eine merkwürdige Erscheinung auf: Anstatt der offiziellen, oft sogar normierten muttersprachlichen Benennung wird meist ein Kürzel verwendet, das aus den Initialen des englischen Fachausdrucks gebildet ist; der vollständige engl. Terminus ist den Verwendern oft gar nicht bekannt. Hier nur zwei Beispiele aus dem Deutschen: RAM < Random Access Memory = Direktzugriff Speicher (Schreib-Lesespeicher); ROM < Read Only Memory = Festspeicher. Es besteht Anlaß zu der Vermutung, daß das Verhältnis von gesprochener und geschriebener Sprache bei den Deformationen völlig anders ist als bei den Kürzungen, zumindest was das Französische betrifft. Gewisse (pseudo)argotische Deformationen dürften ihrer artifiziellen und komplizierten Machart wegen überhaupt nur in schriftlicher Form existieren - gewissermaßen als Kryptogramme. Am häufigsten treten Bildungen mit „parasitären Suffixen" auf (ami — aminche; bouteille —- boutanche; bureau — burlingue; épicier -» épicemard; jaloux —• jalmince; montre — montrouze; tuberculeux — tubard; valise -* valoche usw.52. Seltener sind spielerische Wortkreuzungen wie lourdingue, sourdinge (lourd, sourd x dingue "fou"); éconocroques (économies croques = dérivation régressive von croque und pourliche (pourboire x liehe licher "boire"). Manche Vokabeln erscheinen in Form von ganzen Deformationsserien, so z. B. fromage als fromegi, fromegogue, frometon oder schlicht als frome oder flic als flicaille (nicht immer kollektiv!), ßicard, fliemane, ßigolo53. Oft gehören die deformierten Wörter an sich schon dem Substandard an (so z. B. im Fall von flic oder in weiteren Fällen wie filer qn. "poursuivre qn." — filocher qn.; ä poil 51
Vgl. Forconi 1988. Einen Sonderfall innerhalb dieser Kategorie stellt das bekannte Pronominalparadigma auf -zigue dar (zig zigue kommt auch als freies Morphem vor): mézigue = moi; tézigue = toi; sézigue = lui usw. 53 Besonders beliebt ist dieses Verfahren bei Nationalitätenbezeichnungen und Benennungen von Einwohnern bekannter Städte (Amerlo ~ Amerloque "Américain"; Angliche "Anglais", Parigot "Parisien"). Ein bekanntes, heute nur noch diachronisch zu interpretierendes Beispiel hierfür liefert die Bezeichnung Boche "Allemand": Es handelt sich um ein argotisches Suffix zur Deformierung von Nationalitätenbezeichnungen (Alboche, Italboche usw.), das erst seit dem ersten Weltkrieg als freies Morphem verwendet wird. 52
,,Substandard" und ,,Subnorm "
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"nu" — ä ¡oilpé; mee — mecíon; mufle — muflard; saligaud — saligouillard; trac — traczir; zig(ue) — zigoto). In den italienischen gerghi ist die artifizielle Deformation von Wörtern aus den Dialekten und aus der Gemeinsprache ebenfalls üblich. Beccaria (1973, 39) nennt u. a. francescano, italiacano "lingua francese, italiana", paiú "piu", fisolofia "filosofia". Die Bildungsverfahren sind ziemlich ähnlich wie die im Französischen üblichen, die Verbreitung der Wortbildungsprodukte in der gesamten Sprachgemeinschaft ist jedoch weit geringer. Eine etwas weitere Verbreitung dürften folgende Ausdrücke haben: eapoeeia -«- capo; i carubba f? w«« 8e •s s & 'S 2P ^ o 'C 13 SP « n &> OD & oV3 —
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Edgar Radtke
Diese zugegebenermaßen recht grobe Rasterung stellt möglicherweise eine etwas gewagte Verkürzung der Wirklichkeit dar. Aber vielleicht tritt die erforderliche Relativierung etwas deutlicher hervor, wenn wir an die Transparenz der einzelnen Sprachebenen, Soziolekte und Jargons erinnern, denen bereits Bausinger (1970, 51) in Anlehnung an Gumperz' Unterteilung von compartmentalized und fluid structure (Gumperz 1964, 141 und 151) eine fließende Struktur zugrundelegt, die sich u. a. wie folgt manifestieren kann: Diese Teilsysteme fügen sich nicht etwa nach einer Art Legobaukastenprinzip zusammen; vielmehr handelt es sich um verschiedene, sich überlagernde Dimensionen, also um eine sehr komplexe Gesamtstruktur. Wenn beispielsweise von „Twenkultur" gesprochen wird, dann kann dies zwar im Sinne der Werbung primär auf bestimmte Formen der Konsumorientierung gemünzt sein - aber selbst bei einer derartigen Einschränkung umfaßt die Twenkultur auch Teile der Beatkultur, verschiedener Sportkulturen, ja sie schließt sogar politische Subkulturen ein, sofern diese generationsgeprägt sind wie etwa die „neue Linke" [.. .]. Die gleiche Mehrdimensionalität und Komplexität ist zu unterstellen bei den aktualisierten Subkulturen und bei den an den betreffenden Gruppierungen beteiligten Individuen: der Beatfan ist auch Fußballer, der Teenager kann sowohl Gymnasiast und Angehöriger einer bestimmten Subkultur wie andererseits vielleicht Mitglied einer Jugendgruppe und einer informellen Freizeitgruppe mit eigenem Jargon sein (Bausinger 1970, 52).
Diese Fluktuation von Soziolekten unter jugendlichen Sprechern führt zu einer sprachlichen Dynamik, die klar umrissene Jargons kaum zuläßt, zumal jugendliche Gruppen nicht abgeschlossen sind, sondern über eine relativ hohe soziale Mobilität verfügen. Am konsequentesten verkörpern noch der Rauschgiftjargon, der gergo dei drogati, und der Soldatenslang, der gergo della naia, diese Eingrenzung.
3. Außersprachliche und inhaltliche Wechselbeziehungen 3.1. Jugendsprache und Massenmedien: "i consumi giovanili" Die Jugend interessiert sich für die Massenmedien, die Massenmedien interessieren sich für die Jugend. Gemäß der jüngsten Erhebung zur condizione giovanile, der indagine Jard aus dem Jahre 1984 (AAW. 1984) zufolge schauen 78,8 % mehr als dreimal wöchentlich fern, hören 56 % mehr als dreimal wöchentlich Radio, wobei insbesondere die privaten Sender deutlich höhere Einschaltquoten erlangen als bei älteren Konsumenten. Die Massenmedien stellen dabei Identifikationsmuster bereit, die von Jugendlichen als Modewörter bereitwillig aufgegriffen werden und als battute, als geistreiche Slogans, die jugendsprachliche
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Kommunikation mitgestalten. So wird 1984 und 1985 die Fernsehunterhaltungssendung Quelli della notte zu einem Erfolg vor allem unter Jugendlichen, die die Wortspiele alsbald zum Gegenstand der Alltagskommunikation machen und auch noch nach zwei Jahren Gesprächsmuster verwenden, die auf die Prägungen von Renzo Arbores Quelli della notte zurückgehen. Sätze wie non capisco ma mi adeguo (Arbore 1985, 53) oder e una discussione da Bazzaglia "una discussione ridicola, secondo il nome del protagonista" sind fest in das jugendsprachliche Repertoire eingegangen und ähneln in ihrer Verwendung dem bundesdeutschen Otto-Kult als sprachlicher Leitfigur unter Jugendlichen, wenn Mediengespräche wie ,,Schuhe bitte, und keine Zwetschgenrufe" anstelle von „Ruhe bitte, und keine Zwischenrufe" aus Ottos „Rede zur Reinerhaltung der deutschen Sprache" oder Ah Ägypten! als Antwortparodie zu Wim Thoelkes Quizsendung (Henne 1986, 59-60) begeistert aufgegriffen werden. Erfolgreicher als jede andere Gruppe beuten Jugendliche in Italien wie in Deutschland ihre Fernsehfavoriten, vor allem Komiker, sprachlich aus. Daneben behaupten sich in Italien auch andere Formen der Massenmedien, die u. a. die Ausbildung eigener sondersprachlicher Sprachformen fördern. Seit Januar 1986 propagiert das Blatt Paninaro den Lebensstil einer Jugendgruppe, die aus einer spontanen Kleingruppenbewegung innerhalb kürzester Zeit zu einer Art nationalen Jugendbewegung avancieren konnte. Die Zeitschrift besteht aus comic strips {fumetti), die das Gruppenwesen der paninari vor allem im Kampf gegen metallari und böse Süditaliener thematisieren. Die Schauplätze sind Mailand und kleinere Provinzstädte des Nordens. Unter den Bildern werden die zahlreichen ge/gü-Ausdrücke im Text erklärt, offensichtlich müssen die Jugendlichen sie selbst erst erlernen. Es liegt also der paradoxe Fall vor, daß die Kultblätter der Jugendkultur den Gruppen das solidaritätsstiftende Vokabular erst vermitteln, daß also der Jargon von außen herangetragen werden muß. Diese fehlende Kreativität der Jugendgruppen selbst kommt darüber hinaus in den regelmäßigen Kolumnen II dizionario del paninaro in diesen Heften zum Ausdruck, die das ge/go-Vokabular verbreiten und neben der Pflege jargonhafter Leserzuschriften und fiktiver Tagebuchaufzeichnungen vor allem kommerzielle Interessen vertreten: Man gewinnt rasch den Eindruck, daß Bars, Diskotheken, Textilläden und die Markenwerber selbst die paninaroMode anstacheln und auch das sprachliche Rüstzeug oktroyieren. Paninaro versteht sich letzten Endes als eine Werbebroschüre, die über In- und Out-Sein von Konsumartikeln entscheidet. Diese Form von Jugendjargon wird nicht mehr von Jugendlichen geprägt, sondern für Jugendliche zur Konsumförderung eingesetzt, wie der folgende „Artikel" zeigt:
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Meglio, molto meglio non fumare! Ma per "scena" qualche paninaro due tiri Ii fa. Quindi attenzione a non sbagliare marca. gallose gine Camel MS Marlboro Kim Lucky Strike Milde Sorte Merit Philip Morris West Naturalmente per accendere zippo Bradfort (U. S. A.)
Galloso leitet sich im übrigen aus gallo ab, dem Markenzeichen der Firma Moncler, und bezeichnet alles, was „in" ist, während gino für alles, was aus der Mode gekommen ist, steht. Nun ist diese Symbiose von Jugendzeitschrift und Werbeträger kein Einzelfall, neben Paninaro behaupten sich seit zwei Jahren Preppy, Sfitty vor allem für Mädchen, ohne sich merklich von der Aufmachung des Paninaro zu unterscheiden, und Wild Boys oder Cucador propagieren dasselbe Weltbild einer konsumorientierten Jargon-Schikkeria. Jugendsprache wird hierbei nur als Abfallprodukt zur Steuerung der consumi giovanili mißbraucht. Eine besondere Aufmerksamkeit bringen darüber hinaus die aktuelle Tagespresse, Nachrichtenmagazine und die Boulevardpresse der Jugendsprache entgegen, wobei als gemeinsamer Tenor das Verlangen der sprachlichen Absonderung von der Elterngeneration thematisiert wird. Diese Beiträge leisten in ihrer Kontinuität zumindest eine Steigerung des öffentlichen Stellenwertes der Jugendsprache. Im Grunde berichten die Medien nicht nur über das Thema Jugendsprache, sie gestalten es auch aus. Die Bedeutung der Jugendsprache ist in Italien weitgehend von der Beachtung in den Medien abhängig. 3.2. "II trionfo del privato" Den italienischen Soziologen fiel gegen Ende der 70er Jahre ein gesellschaftlicher Wandlungsprozeß auf, den man vielleicht nach dem gleichnamigen Sammelband von 1980 am besten als den trionfo del privato beschreiben kann. Demnach erobere das Private in der italienischen Gesellschaft einen anwachsenden Stellenwert, indem die Privatsphäre zu einem Gegenstand in der Öffentlichkeit avanciere. Diese These beinhaltet im Grunde auch sprachliche Auswirkungen, die m. E. sich nicht zuletzt im Erstarken jugendsprachlicher Verwendungsweisen niederschlagen. Um dies zu verdeutlichen, ist es zunächst nötig, eine sprachwissenschaftlich relevante Begriffsbestimmung des Privaten vor-
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zunehmen. Privatheit im sprachlichen Bereich bedeutet das Sprechen von sich selbst, ein Kommunikationsprozeß, der im Italienischen wie auch im Deutschen in der Öffentlichkeit weitgehend tabuisiert ist, so daß Raffaele Simone dieses parlare di se einmal als das "risultato di una intenzionale violazione del tabu della persona" (Simone 1980, 199) umschrieben hat. Diese traditionelle Trennung in private und öffentliche Domänen scheint sich in den letzten Jahren zunehmend zu verwischen, die Privatsphäre wird immer mehr in den öffentlichen Sprachgebrauch integriert. Dieser Ausbau des Privaten äußert sich auf zwei Ebenen: 1. Zum einen dringen Gegenstands- und Themenbereiche in den öffentlichen Sprachgebrauch ein, die die angesprochene Tabuisierung aufheben. 2. Zum anderen wird die Ausdehnung einer auf der Privatsphäre basierenden Kommunikation durch neue Formen der Kommunikationspraxis und neue Institutionalisierungstechniken wie bei den Massenmedien geleistet, d. h. die private Kommunikation erringt eine gewisse Machtstellung. Ich möchte im folgenden diese beiden Gesichtspunkte zu dem Aufkommen der Jugendsprache in Beziehung setzen. Das Vordringen privater Sachbereiche, die mit einem Tabu belegt sind, wird im jugendlichen Sprachverhalten besonders stark gefördert. Vulgarismen verlieren ihre situationsspezifische Eingeschränktheit zunehmend, auch das sogenannte Heikle wird im Jugendsprachlichen sagbar und zielt auf einen extremen Gebrauch dieser Sachbereiche ab, die sogenannte dicibilitä kennt keine Grenzen. Auch der in den letzten Jahren zu verzeichnende Wandel im Gebrauch von tu und lei, der oftmals vorschnell als Auswirkung der 68er Ereignisse interpretiert wird (Galli de' Paratesi 1983, 67), wird zumindest durch das Interesse an den jugendsprachlichen Kommunikationsformen gefördert: fast alle Leserbriefe, alle Anrufe bei privaten Rundfunkanstalten während der Sendung, die Moderation von Sendungen wie etwa Un certo sorriso "per i giovani fatta dai giovani" greifen auf das tu zurück, jugendsprachliche Anreden, die eine größere Familiarität oder Privatheit suggerieren, wirken von daher auch auf das allgemeine Sprachverhalten in Italien über die Massenmedien ein (Simone 1980, 212-216). Dazu gehört auch die Übernahme des Vornamens als Anrede anstelle des Nachnamens. Diese Allokutionen zielen auf eine vorweggenommene Intimität ab, wie sie im jugendsprachlichen Verhalten gang und gäbe ist. Die Institutionalisierung von jugendsprachlichen Mustern wird zum einen durch ihre bereitwillige Absorbierung in den Medien geleistet, zum anderen durch die Institutionalisierung von neuen Quellen, die jugendsprachliches Privatsphärenverhalten besonders nachhaltig ver-
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treten. Dazu gehört etwa der musikalische Bereich, indem die Tonträger kommerzieller Musik zu einer Form von Sprachkultur avancieren und indem die sogenannte engagierte Welle von cantautori weitgehend jugendsprachliche Belange vertritt. Zudem äußert sich dieses Vordringen des Privaten im politischen Engagement der Jugendbewegungen durch die Proklamation der neuen Bedürfnisse u. a. nach einer nuova soggettività in den unterschiedlichen Protestbewegungen von 1968 über die indiani metropolitani des Jahres 1977 bis zu dem heutigen movimento dei verdi, die sich nicht zuletzt ähnlich wie in der Bundesrepublik am Etablieren einer Psychosprache manifestiert. Besonders deutlich ist die Jugendsprache von der Akzentuierung des Privaten durch den Rückgriff auf die sogenannte Psychosprache gekennzeichnet. Die Befragungen zeigen, daß in den letzten Jahren zunehmend psychische Begriffsfelder in der jugendsprachlichen Alltagskommunikation aufkommen. Alltagssprache mit durchsetztem psychologischem Fachvokabular tritt in Italien seit 1968 stärker in Erscheinung, und termini di interesse psicologico (Simone 1980, 225) haben längst ihr jugendsprachliches Flair aufgebaut. Als eine Art Kultsprache hat der psychologische und auch psychiatrische Wortschatz streckenweise seine fachsprachliche Komponente aufgegeben. Der italienischen Lexikographie ist diese Zuwendung zu einem Psychojargon bislang noch nicht aufgefallen, indessen zeigt die kleine Auswahl aus den Befragungen, wie massiv diese Akzentuierung in der Jugendsprache angelegt ist. Die Begriffe entstammen auch dem medizinischen Bereich und künden von der Betroffenheit, vom Drang nach Privatheit in der Jugendkultur: è in coma „verrückt sein", auch „verliebt sein", „erschöpft sein"; discotecomane „regelmäßiger Diskothekenbesucher", è esaurito „verrückt sein", farsi un flebo, ist aus dem Drogenjargon in die Jugendsprache gelangt, si faccia un flebo wird gegenüber unsympathischen Personen gebraucht, che libidine! gilt als jugendsprachlicher, ironischer Ausdruck für geschmackvolle Dinge, als Ausruf des Wohlgefallens, essere in para „deprimiert sein" als Kürzung aus paranoia, oder essere mongo aus mongoloide für „verrückt sein" illustrieren deutlich den jargonhaften Rückgriff auf Vokabeln, die nur fachsprachlich nicht tabuisiert sind. Alltagsbereiche in der Kommunikation werden als besonders intime Sachwelten klassifiziert; eine solche Jargonisierung zur Darlegung des Privaten findet sich gleichermaßen in den deutschen oder französischen Äquivalenten (vgl. zur „Psychosprache" Hinrichs 1987, zum privaten Rückzug Behrendt/Galonske/Heidemann/Wolter 1982, zum Französischen Walter 1984 oder Barrera-Vidal 1986).
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4. Zum innersprachlichen Aufbau der italienischen Jugendsprache: Ausgewählte Aspekte Aus den zahlreichen Charakteristika, die die Jugendsprache bestimmen, werden einige Tendenzen herausgegriffen, die insbesondere die Ausbildung eines Substandards akzentuieren. Solche bestimmenden Strukturzüge der Jugendsprache sind zwar auch als allgemeine Entwicklungstendenz in der Gemeinsprache des heutigen Italienisch anzutreffen, aber aufgrund der hohen Okkurrenzen sind sie als charakteristisch für jugendsprachliche Register anzusehen wie im Fall der Affigierung, oder aber sie gelten ausschließlich für jugendsprachliches Verhalten wie die Integration von Hispanismen oder die Kreation von Pseudohispanismen. Diese Substandardtendenzen charakterisieren die Jugendsprache entweder als selbständige, autonome Einheit oder als Vorreiter von Entwicklungen, die sich momentan noch relativ verhalten im Gegenwartsitalienischen abzeichnen. 4.1. Xenismen im Wortschatz I: Die Verbreitung von Angloamerikanismen Der in gewisser Hinsicht exzessive Rückgriff auf Xenismen dominiert in der Jugendsprachenforschung bei der Bestimmung von Entwicklungstendenzen im Wortschatz. Dabei wird durchweg der Gebrauch von Angloamerikanismen als hervorstechendes Charakteristikum der Jugendsprache beansprucht, und zwar vor allem dort, wo der Einfluß von amerikanischen Subkulturen nachwirkt wie etwa im Rauschgiftjargon oder im Musikjargon: down bezeichnet "momento in cui la droga perde gradatamente il suo effetto" (Manzoni/Dalmonte 1980, 49), D. J. steht für den "Disc-Jockey" (Manzoni/Dalmonte 1980, 49). Dennoch scheint im Vergleich zum Deutschen und Französischen das Amerikanische Englisch im Italienischen einen niederen Stellenwert einzunehmen. Als Beispiel mögen die Übertragungen des sensationsträchtigen Dokumentarromans Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (1978) dienen, der lange Zeit sowohl in Deutschland als auch in Italien und Frankreich die Bestsellerlisten anführte. In den Texten spiegeln sich lexikalische Realisierungen in relativ authentischer Weise wider8, so daß ein Vergleich durchaus gerechtfertigt scheint: (D 197)
8
Als ich am nächsten Nachmittag auf die Scene ging, weinte niemand um Atze. Auf der Scene wird nicht geweint. Aber unheim-
Vgl. dazu auch Radtke 1984.
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(I 138/9)
(F 154)
Edgar Radtke lieh sauer waren einige Leute auf Atze. Weil er ordentliche Dealer verpfiffen hatte, die astreines Dope verkauften [...]. Das Wahnsinnigste an der ganzen Geschichte mit Atze war, daß seine Freundin Simone, die noch nie in ihrem Leben H genommen hatte [...], eine Woche nach Atzes Tod selber anfing zu drücken. Mit Atzes Tod war das ganz gute Feeling, ein Fixer-Star zu sein, der mit dem Dope umgehen konnte, weg. Quando il pomeriggio seguente andai nel giro nessuno piangeva per Atze. Nel giro non si piange mai. Ma qualcuno era terribilmente incazzato con Atze perché aveva soffiato i nomi degli spacciatori, di quelli come si deve, che vendevano roba perfetta [...]. La cosa pazzesca di tutta la storia di Atze fu che la sua ragazza Simone, che nella sua vita non aveva ancora mai preso l'ero [...], un paio di settimane dopo la sua morte cominciò a bucarsi. [...] Dopo la morte die Atze la sensazione di essere una star del buco, che con la roba ci sapeva fare, sparì. Le lendemain après-midi, je vais rejoindre les autres. Personne ne pleure Atze. Ce n'est pas à la mode, chez les toxicos. Mais des gens lui en veulent vachement, à Atze. Parce qu'il a dénoncé des revendeurs de bonne came (ils sont déjà en taule) [. ..]. Le plus dingue dans toute cette histoire, c'est qu'une semaine après la mort du pauvre gars, Simone, qui n'avait jamais touché à l'héro, a commencé à se piquer. [...] La mort d'Atze met fin à la période rose. Fini de se sentir une star parmi les toxicos, la nana qui peut se piquer sans se laisser accrocher.
Schon diese kurze Passage zeigt, daß die Angloamerikanismen im Deutschen nicht so leicht als Analogien im Italienischen oder Französischen erscheinen. Das Italienische und das Französische nehmen sich im Umgang mit Amerikanismen erheblich zurückhaltender aus als das Deutsche, etwa wenn im Drogenjargon dem Deutschen Dealer, Dope, H, Feeling, Turkey erbwörtliche Ausdrücke wie it. spacciatore/ fr. revendeurs, it. la roba/ fr. la came, it. l'ero/ fr. l'héro, it. la sensazione/ fr. la période rose, it. la rota/ fr. crise de manque gegenüberstehen. Die romanischen Bildungen greifen nicht direkt auf den amerikanischen Sprachhintergrund zurück, das Italienische und das Französische bemühen sich um ein eigenständiges Drogenvokabular, das weitgehend auf Fremdwörter verzichtet. Damit sind keine Angloamerikanismen ausgeschlossen, selbstverständlich hält sich ein gewisser Bestand von Fremdwörtern wie it. fix "siringa o buco" (Manzoni/Dalmonte 1980, 59) oder flash "l'attimo in cui la dose entra in circolo e fa effetto" (Manzoni/Dalmonte 1980, 59)®. Dennoch - im Vergleich zur bundes9
Vgl. zum Wortschatz die ausgezeichnete Zusammenstellung im Anhang bei Malizia 1980, 293-312.
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deutschen Drogenkultur, der sogar ein bestimmter stilistischer Bilingualismus nachgesagt wird (Hess-Lüttich 1978)10 - üben sich die französischen und italienischen Jugendjargons in einer deutlichen Zurückhaltung bei der direkten Aufnahme von Anglizismen, und der Anteil des amerikanischen Scene-Jargons beläuft sich auf eine geringfügige Dimension. Davon geben auch folgende Beispiele aus Christiane F. 1978 eine Vorstellung: (D 118) (I 98) (F 112)
Ich versuchte ganz cool zu sein. Tentai quindi di essere assolutamente paracula. J'essaie d'ètre super-cool.
(D 68) (I 56) (F 67)
Das war eine ganz coole Clique. Era un gruppo un sacco stupendo. C'est une bande très cool.
(D 52)
Eines Abends fragte mich Piet im Club, ob ich eigentlich schon mal 'nen Trip geworfen hätte. Una sera al club Piet mi chiese se mi ero mai fatta un viaggio. Un soir, au Club, Piet me demande si j'ai déjà fait un voyage.
(I 42) (F 50)
Es soll aber beim letzten Beispiel nicht verschwiegen werden, daß im Italienischen essere in trip durchaus gebräuchlich ist und denkbar gewesen wäre; im Jargon ist im übrigen trip mit Intensivsuffix s- wahrscheinlich über das Römische als strippo und daraus gebildetem Verb strippare in den Drogenjargon aufgegangen. Eine Aufnahme im Juli 1986 in Verona belegt essere intrippato für "essere drogato". Zur Stützung der Hypothese sei zudem auf Verfahren verwiesen, die Amerikanismen in das Italienische integrieren, indem sie an ein diatopisch markiertes Umfeld angepaßt werden oder auch in lexikologischer Hinsicht „italianisiert" werden: So wird freak zu Anfang der 70er Jahre in Italien rezipiert sowohl in substantivischer als auch adjektivischer Funktion {quel tipo freak), wird dann aber bald von fricchettone verdrängt zur Bezeichnung von "colui che se ne infischia di ogni convenzione sociale, di ogni modo di pensare già stabilito da altri, colui che fa assertore di una libertà assoluta in ogni campo (politica, sesso, droga, rapporti sociali)" (Dardano 1978, 85) mit dem dazugehörigen Adjektiv fricchettonesco. Dank der doppelten Suffigierung wird das Expressivitätspotential gesteigert und eine leicht negative Wertung eingebracht. Besonders interessant ist jedoch dabei die zunehmende 10
Hess-Lüttich 1978, 73: „Der ,Bilingualismus' der deutschen subkulturellen Szene begründet sich, wie wir gesehen, soziokulturell durch die horizontale Mobilität ihrer Mitglieder und die Abhängigkeit von angelsächsischen Informationsdistributionsnetzen".
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Verbreitung des fricchettaro, das auf ein eindeutig diatopisch markiertes Suffix -aro des romanesco verweist anstelle von florentinisch -aio. Dieses -aro breitet sich inzwischen über ganz Italien in Neologismen wie cinematografaro u. ä. aus, und der gebürtige Piemontese Umberto Eco spricht in aller Regel von brigataro anstelle von brigatista (Dardano 1978, 86)11 zur Bezeichnung von Mitgliedern der brigate rosse. Wenn auch -aro in der Sprechsprache schlechthin als Substandardsuffix an Boden gewinnt, bedienen sich die jugendsprachlichen Register mit einer gewissen Exklusivität dieser nunmehr entdialektisierten Variante: paninaro ist zu einem Schlüsselwort der Jugendlichenszene avanciert, zanaro, gebildet nach dem Treffpunkt der Bar Zanarini, nimmt eine analoge Funktion für die partinari von Bologna wahr (C6veri 1988, 111, Cöveri 1988a, 233), discotecaro bezeichnet den regelmäßigen Diskothekenbesucher, rockettaro/rochettaro setzt sich für den Rockmusikexperten durch (Corti 1982); die Ableitungen von engl, rock aus der Musiksprache kennen ein großes Variantenspektrum, das sich durchaus am Wortbildungsreichtum italienischer Erbwörter messen läßt: so setzen sich in den 80er Jahren neben rochettaro (auch im Sinne eines Rockmusikers) rockettone und roccazzo für eine Rockaufnahme durch, die beim Publikum Anklang findet, wobei hier -one weniger auf pejorative als auf augmentative Wertung abzielt wie auch -azzon. Trotz dieser deutlichen Einflüsse aus dem Englischen ist die italienische Jugendsprache quantitativ weit weniger der Anglomanie anheimgefallen als das deutsche Pendant. Die aus dem angloamerikanischen Raum importierten subkulturellen Verhaltensweisen verfügen über einen reduzierten Einfluß des diesbezüglichen Wortgutes. 4.2. Xenismen im Wortschatz II: Die Rolle des Hispanismus Die italienische Jugendsprachenforschung setzt den Fremdwortgebrauch mit dem Rückgriff auf Amerikanismen gleich. Allerdings zeigt sich bei der Durchsicht der vorliegenden Sprachaufnahmen, daß auch Entlehnungen aus anderen Sprachen eine Rolle spielen können: Insbesondere Hispanismen sind im jugendsprachlichen Wortschatz konstant angelegt und werden bewußt gepflegt, fast alle Befragten nennen hispanisierte Wortformen: so scheint sich aus Mailänder Jugendjargons dinero / los dineros zu denaro „Geld" über ganz Norditalien verbreitet 11
Daneben findet seit Ende der 70er Jahre bierrista zunehmend Anklang. Giudici 1982, 167, verzeichnet / birilli für le brigate rosse. Vgl. auch zur Bedeutung von -aro Dardano 1978a, 83. 12 Zum speziellen Wortschatz der italienischen Rocksprache vgl. Corti 1982, Depaoli 1988 und Giacomelli 1988.
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zu haben, wobei der Ausschlag wahrscheinlich in dem Tageshit non tengo dinero von 1983 zu sehen ist. Non tengo dinero behauptet sich darüber hinaus als feste Wendung für „pleite sein". Einen ähnlichen Ursprung darf man bei andare alla playa im Sinne von "andare in piazza, ausgehen" in der Jugendsprache von Belluno annehmen, das die Sprecher selbst auf den Strandhit vamos a la playa zurückführen. Daneben setzen sich einige Pseudohispanismen durch wie cucador / i cucadores im Jargon der paninari. Es handelt sich dabei um eine Ableitung eines alten gaunersprachlichen Verbs cuccare, das in zahlreichen Unterwelts- und Landstreicherargots seit einigen Jahrhunderten für „betrügen, verspotten" bezeugt ist (etwa Prati 1940/1978, 65). Die Mailänder paninari brachten cüccä / cuccare wieder zu neuen Ehren, indem es für das Umwerben von Mädchen, für das Sicheinlassen mit Mädchen eine Art Modewort wurde. Der cucador ist somit zu einem männlichen Jugendlichen geworden, der „in" ist und auf Mädchen Anziehungskraft ausübt. Cucare und cucador sind derzeit allerdings auf dem besten Wege, als passe-partout-Wörter für jede Handlung oder für jedweden Jungen ihre Exklusivitätskonnotation zu verlieren. Die modisch gewollte Anpassung an das Spanische vollzieht sich auch bei cinghios als jugendsprachliche Bezeichung für die Süditaliener, die in den Vorstädten der norditalienischen Metropolen leben. Der Begriff erfährt jedoch eine Bedeutungsverengung dahingehend, daß die paninari damit die schlechten Nachahmer ihrer Kleidungsgewohnheiten bezeichnen. Bereits Ende der 70er Jahre strebte die Bologneser Rockgruppe Skiantos mit der spanischen Pluralbildung in der Namengebung nach umgangssprachlichem schianto zum Ausdruck der Bewunderung eine solche modische Hispanisierung an (vgl. Corti 1981, 12). Warum nun strebt man im jugendsprachlichen Verhalten eine Herausstellung von fremdsprachlichen Assoziationen an? Zunächst einmal hat die modisch-snobistische Anleihe an das Spanische eine Tradition in Sprechweisen aus den 50er Jahren, etwa bei den exzentrischen montenapi, den reicheren Mailänder Jugendlichen, die die vornehme via Montenapoleone zu ihrem bevorzugten Quartier machten und hybride Sprechweisen förderten, wobei eine Party zur spanischen fiesta aufgewertet wurde. Die exzessive Anlehnung an das Spanische oder Englische versteht sich zunächst als Ausdruck eines starken Kreativitätsstrebens, das die Besonderheit, die Nonkonformität in der Sprachverwendung dokumentiert. Dieses Verlangen nach spielerischen Momenten, nach der dimensione ludica, zur Sicherung der sprachlichen Originalität soll die Gruppenorientierung festigen und führt zur Ausbildung einer Art Kontrasprache im Lexikon, die zugunsten origineller Formen eine eingeschränkte Kommunikationsweite in Kauf nimmt.
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Hier wird mit Bezeichnungen gespielt, aber nicht nur um des Spieles willen, sondern auch zur Stärkung des sogenannten in-group-iargons. Dieses Kreativitäts- und Originalitätsbemühen äußert sich auch in dem häufigen Rückgriff auf Komik, Wortspiele oder Slogans. Der Umgang mit diesen „spielerischen" Xenismen (im Gegensatz zu den Angloamerikanismen) im Substandardbereich markiert die gewollte Absonderung vom gemeinsprachlichen Register, indem Exklusivität und Snobismus angestrebt werden. Das Deutsche scheint übrigens wenig geeignet zu sein, diese Funktion zu erfüllen: Germanismen erfreuen sich auffallend geringer Beliebtheit; die Interviews verzeichnen lediglich die Wendung è un blitz neben è un lampo für "uno che non capisce niente" mehrmals. Daneben wird von einem passageren jawohl als ironische Bejahungspartikel im internen Sprachgebrauch des Collegio Nuovo von Pavia im Jahre 1985 berichtet. I kartoffel(n) zur Bezeichnung der Deutschen scheint hingegen eher eine vereinzelte, depreziative Form in Norditalien zu sein, die nicht rein generationsgebunden gebraucht wird. Der Beitrag von Latinismen wie sapiens "genitore", domus "casa", Mediolanum "Milano" u. a. m. (vgl. Còveri 1988, 111) ist auf die Presseerzeugnisse beschränkt, die Sprachaufnahmen dokumentieren lediglich tot "molto, una certa quantità" (ho fatto un tot "ho lavorato molto per l'esame") mit auffallender Häufigkeit; im Studentenjargon des Collegio Nuovo in Pavia waren um 1985 pedibus calcantibus "andare a piedi" quam celerrime "fai il più presto possibile" und il extemporibus "la materia da studiare" vereinzelt im Gebrauch, wobei es sich um scherzhafte, okkasionelle Modewendungen von kurzer Dauer handelt. 4.3. Jugendsprache und diatopische Markierung Die Jugendsprache in Deutschland weist zwar regionale Unterschiede auf, aber als tragendes Moment ist jedoch eine hohe Einheitlichkeit im aktuellen Wortschatz anzutreffen; diatopische Markierungen scheinen sich nur insofern auszuwirken, als zwischen dem Jugendjargon in der Bundesrepublik und in der DDR Unterschiede angenommen werden (Oschlies 1981). Insgesamt gesehen, reduzieren sich die regionalen Differenzierungen in deutschen Jugendjargons auf ein Niveau, das ein in den Grundzügen identisches Vokabular aufweist. So verfügen die Eintragungen in Rittendorf/Schäfer/Weiss 1983 über eine hohe Übereinstimmung oder zumindest Verträglichkeit im Wortschatz der Berliner und Frankfurter Scene. Das als regional zu kennzeichnende Vokabular rekrutiert sich dabei weniger aus einem dialektalen Fundus als aus Jargoninnovationen und Umgangssprachlichem. Für das Italienische stellt
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sich die Situation hingegen anders dar: Bei allen Bemühungen zur Durchsetzung der Nationalsprache in den letzten hundertzwanzig Jahren ist den Dialekten eine vergleichsweise nachhaltig wirkende Vitalität einzuräumen, die auch im jugendsprachlichen Bereich nicht halt macht. Zwar versuchen Jugendjargons, sich im Sinne einer Kontrasprache (Bausinger 1972, 124-131) bewußt von der Dialektverwendung der Elterngeneration abzusetzen - der Journalist und Schriftsteller Luca Goldoni (1981, 23) empfiehlt den Eltern ausgleichsweise den Dialektgebrauch: "Intanto proporrei agli adulti di difendersi almeno sul piano linguistico mettendosi a parlare fra di loro in dialetto. I figli non lo conoscono e quando chiedono: cos'è che avete detto?, si risponde: niente, niente" -, aber der dialektale Hintergrund schimmert in aller Regel durch. Dabei ist zu bedenken, daß die dialektale Patina im substandardsprachlichen Italienisch insgesamt weniger prägnant ausgebildet ist, als man anfangs etwa für das italiano popolare angenommen hat (Muljacic 1983, 145). Auf die dialektale Basis wird im Grunde nur dann verstärkt zurückgegriffen, wenn sich im ländlichen Einzugsgebiet ein abgeschlossener Jugendjargon konstituiert, wie das für den gergo studentesco von Alessandria (Saggio 1972) zutrifft: babi in sei un babi "sei uno sciocco" aus dialektalem babi "rospo" (Saggio 1972,19), tampa "brutta figura" aus dialektalem tampa "fossa per letame o per materie fecali" (Saggio 1972, 57) u. a. mehr. Hierbei läßt sich die Wiederaufnahme des Dialekts als Opposition gegenüber dem Vordringen der Nationalsprache in anderen Altersschichten verstehen; als Voraussetzung dafür muß jedoch noch eine bestimmte Dialektkompetenz auch unter Jugendlichen gegeben sein, was für ländliche Gegenden eher zutrifft als für Großstädte. Dazu führt Sobrero (1973, 312-3) aus: [...] l'utilizzazione gergale di esso [ = il dialetto locale] come "indicatore (o connotatore) di classe": si ha in pratica un u s o r e a z i o n a r i o d e l d i a l e t t o , che sul piano sincronico non coincide necessariamente con l'agonia del codice dialettale ma si inserisce nella dialettica di classi sociali evidenziata da un momento di massiccia industrializzazione: esso infatti trova piena realizzazione nelle classi egemoni, laddove il dialetto viene ancora usato come lingua corrente proprio nelle classi contrapposte. La situazione alessandrina conferma inoltre una disposizione fondamentalmente reazionaria oggi presente nelle classi giovanili [...] almeno come fenomeno largamente presente in provincia. La chiave di lettura della bipolarità del gergo studentesco alessandrino pare dunque affidata a una corretta analisi (se si vuole, analisi di classe) dei rapporti fra popolazione studentesca e società alessandrina; il recupero del dialetto va visto come fenomeno fortemente elitario: in questo senso, come si diceva, si dovrà parlare non tanto di "gergo" quanto di "uso gergale" di varietà e codici linguistici, fra i quali riveste un ruolo di primo piano il dialetto
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Demgegenüber bleibt festzuhalten, daß die Dialektalität in der Urbanen Verbreitung der Jugendsprache einen bescheideneren Stellenwert einnimmt. Der Dialekt kann dort nur als eine spurenhaft verbliebene Restgröße fungieren, die die der Jugendsprache immer wieder zugeschriebene lexikalische Kreativität beschränkt auf neologismi gergali (Giudici 1982, 164) in Form von Metaphorisierungsprozessen, Siglenbildungen usw., was auch die palermitanische Lehrerin Giuseppina Mosca (1979, 291) bestätigt: Anche i ragazzi della mia classe non posseggono interamente la lingua, eppure con le espressioni gergali essi "evadono" non solo dalla lingua, ma anche dal dialetto. Ciò dimostra che il "rifiuto polemico" investe non solo i "moduli retorico-letterari della scuola tradizionale", ma il mondo e i valori degli adulti, siano essi manifestati in lingua italiana sia in dialetto.
Dabei ist m. E. gegenüber den Vermutungen von Còveri (1983, 36) einige Skepsis bezüglich der regionalen Ausgliederung geboten: "Molta attenzione meriterebbero i termini di origine dialettale, che fanno supporre la presenza di notevoli differenziazioni regionali nel linguaggio giovanile". Das, was an ursprünglichen Dialektalismen in die überregionale Umgangssprache der Jugendlichen aufsteigt, hält sich in Grenzen. So weist eine von Corrado Grassi betreute tesi di laurea als einziges Turiner Element ciospa auf: "Ma forse la sola parola che siamo riusciti ad esportare da Torino è ciospa, cioè una ragazza che è un orrore" (Giudici 1982, 164). Dabei ist ciospa neben der Bezeichnung einer alten Frau im Turiner Gergo (Gec 1972, 91) und ciospo in der Funktion eines generellen Altersadjektivs (Prati 21978, 60) als Gergolexem nicht nur im Piemontesischen, sondern auch im Sizilianischen belegt: ciospa "concubinetta, puttanella" (Biundi 1857/1978, 91). Im alessandrinischen gergo studentesco hat sich die Nebenbedeutung ciospa "sigaretta" (Saggio 1972, 27) durchgesetzt. Ansonsten überwiegen Einflüsse des römischen Stadtdialekts, der aufgrund der dortigen Ansiedlung der RAI über einen erweiterten Kommunikationsradius verfügt und darüber hinaus meridionale Modewörter einbringt. Dies wird ferner durch das Einwirken von süditalienischen Sprachformen im Settentrione auf die Umgangssprache Jugendlicher im Zusammenhang mit der migrazione interna begünstigt, wie wir anfangs bei Diego Abatantuono sahen, worin einige das italiano di domani zu erkennen glauben: Il modello è il "terrunciello" che si sente "milanes al cento per cento", che ha un padre che parla solo pugliese, e avrà un figlio lombardissimo (come Diego, che nella vita ha un bell'accento milanese "spetasciato"). Lui resta sospeso linguisticamente e antropologicamente, un ibrido spavaldo e patetico, costretto a esibire nelle sedi sociali che si ritrova nella sua periferia, fra biliardo,
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stadio e marciapiede, un doppio orgoglio, meridionale-patriarcale e settentrionale-modernistico (Buttafava 1982, 145).
So haben sich im jugendsprachlichen Jargon überregional durchgesetzt togo "bello, forte, intelligente"13, das - wenngleich auch in zahlreichen norditalienischen Dialekten bezeugt (Prati 21978, 147-150) - aus dem gergo della malavita romana bzw. dem Camorrajargon Neapels in die niedere Umgangssprache eingedrungen ist, ricottaro "protettore, magnaccio" aus dem romanesco bzw. napoletano, frodo "omosessuale" aus dem romanesco14, far fesso/fessa "cornificare" ebenfalls aus dem Römisch-Neapolitanischen. Auch paraculo entstammt dem romanesco, hat sich aber bis zur überregionalen Verwendung im Jugendjargon einer interessanten Bedeutungsveränderung unterzogen: Zunächst, so wie es auch in Pasolinis Ragazzi di vita oder Una vita violenta erscheint, bezeichnet es laut dem Supplemento (1970, 3) zum PasoliniGlossar: "La 'paragula' (notare la metamorfosi della c in g, caratteristica del parlare pseudoromanesco, del linguaggio cioè dei figli di emigrati meridionali che in genere abitano il suburbio e le borgate) non è solamente una 'mignotta', ma è la peggiore specie delle prostitute, quelle che si prestano ad atti giudicati immorali perfino in questo ambiente ('parare il culo' significa permettere il coito rettale)". Von dort weitet sich das Bedeutungsfeld auch auf den passiven Homosexuellen im Römischen aus (Cantagalli 1972, 160). In den siebziger Jahren dringt paraculo in das italiano popolare di Roma vor und verliert seine gergalitä. Besonders unter Jugendlichen erfreut es sich in Rom großer 13
Die etymologische Erklärung in Dalmonte/Manzoni 1981, 162, nach eigenem Bekunden "incredibile ma vero" liegt völlig neben der Sache, vgl. in diesem Beitrag S. 134. 14 Zur Wortgeschichte vgl. die Bemerkungen in Carciotto/Roberti 1980, 47-8: ' T e r m i n e del romanesco seicentesco coniato per definire genericamente uno straniero. Gioacchino Belli usa froscio per indicare: tedeschi, probabilmente per la caratteristica somatica del loro naso schiacciato e con narici (froge) dilatate. Successivamente e fino ad oggi, il termine è in uso per individuare gli omosessuali, i pederasti, gli invertiti. Il romano, lungi dall'imbarcarsi in distinzioni scientifiche, al cospetto di un uomo che dedica le proprie attenzioni sessuali ad un altro uomo, emette un giudizio unico: 'Quello è un frodo'. Anche questa parola può essere usata in maniera affettuosa, per esempio in uno scambio di saluto fra amici ( Vecchio frodo, come stai?). Tuttavia l'uso più comune è dispregiativo, pertanto l'epiteto viene affibiato ai soliti arbitri di calcio, agli attori noti e ricchi che si fanno vedere in giro con donne meravigliose (in quest'ultimo caso è evidente l'invidia come movente). Ultimamente il vocabolo ha accompagnato, specie nelle scritte murali, anche i nomi di noti calciatori, con lo scopo evidente di mandare in bestia i tifosi della squadra odiata".
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Beliebtheit auch in adjektivischer Funktion bei gleichzeitiger Entsexualisierung, wie die Verwendung in Rocco e Antonia, Porci con le ali (1976), das im römischen, bürgerlichen Jugendmilieu spielt, zeigt. Zur Verdeutlichung wird die deutsche Version Rocco und Antonia (1977) als Kontrast ebenfalls hinzugezogen: (RA it 65) (RA dt 60) (RA it 34) (RA dt 30) (RA it 174) (RA dt 167)
Di fare un po' di scena, di fare il paraculo, di sentirsi belli. Eine kleine Show abziehen, auf smart zu machen, sich schön zu finden. La mamma, tanto schiava ma tanto più paracula, gli concede il suo quarto d'ora d'idiozie... Mamma, ganz Sklavin, aber um so klüger, läßt ihm sein Viertelstündchen Schwachsinn... Ti sentivi tutto paraculo fuori... Draußen hast du dich noch ganz auf Draht gefühlt. . .
Von diesem Sprachniveau aus dehnt sich paraculo über ganz Italien aus, und so notieren Manzoni/Dalmonte (1980, 111) paraculo "Dal romanesco. Usatissimo per: spione, figlio di buona donna, faccia di cacca ecc." für den Norden einen rapide ansteigenden Häufigkeitsgrad. In Anbetracht dieser Beliebtheit im jugendsprachlichen Bereich sind besonders die Wiedergaben aus dem Jargon der Christiane F. mit paraculo als besonders geglückt hervorzuheben: (D45) (136) (Dl 18) (198)
ein paar ganz geile Scheiben un paio di dischi paraculissimi Ich versuchte, ganz cool zu sein. Tentai quindi di essere assolutamente paracula.
Hier werden für die erschwerten Äquivalenzfindungen im sondersprachlichen Bereich der Jugendsprache Lösungen angeboten, die die jugendsprachliche Markiertheit aufrechterhalten unter Heranziehung von Bedeutungsnuancierungen, die in der sprachwissenschaftlichen Literatur zum Gegenwartsitalienischen noch nicht aufgearbeitet worden sind. Für das Französische gilt eine solch ausgebaute diatopische Markierung nicht. Das français de Paris nimmt seine Modellfunktion auch im Argotbereich wahr. Lediglich einige vereinzelte, im übrigen wenig relevante Verschiebungen lassen sich erkennen, so z. B. eine geringfügige Häufung von Arabismen in südfranzösischen Schülerargots aufgrund der Zunahme von nordafrikanischen Emigrantenkindern der zweiten Generation. So weist mein eigenes Korpus für den langage des écoliers von Saint-Etienne arioul "âne (fig)" und arlouf "cochon" aus, die beide für Nordfrankreich nicht repräsentativ sind. Insgesamt jedoch kommt den regionalen Variationen in Frankreich nur eine marginale Rolle zu.
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4.4. Jugendsprachliche Affigierungen: mega-/ -aro / -oso Jugendsprachliche Neuerungen im heutigen Italien betreffen ebenfalls Veränderungen und differenzierte Präferenzbildungen im Bereich der Lexikologie. Das Italienische wird wie das Spanische stets als besonders prä- und suffixreiche Sprache in der Romania angesehen, und die Beschreibung der Affigierungsmöglichkeiten nimmt in den deskriptiven Grammatiken entsprechend viel Raum ein. Dieses reichhaltige Variationsspektrum gilt nun gleichermaßen für Substandardregister generell und für jugendsprachliche Varietäten im besonderen, wobei sich jedoch bei letzteren bestimmte Präferenzen im Gebrauch von einigen Affixen abzeichnen, die auch allmählich im Gegenwartsitalienischen deutlich an Einfluß gewinnen. Diese Verlagerungen oder Schwerpunktbildungen in der Gebrauchsnorm sind nicht ohne weiteres in der Gemeinsprache erkennbar, weil sie als Möglichkeiten im System angelegt sind. Jugendsprachliches Verhalten zielt auf ausschließliche Verwendungsmuster in der Wortbildung ab und nutzt nicht die im Italienischen angelegte Variationsspanne insbesondere bei der Schaffung von Neologismen. Mega fungiert in der italienischen Standardsprache als erstes Element in der Wortzusammensetzung (megahertz, megafono), im Sprechverhalten Jugendlicher - und das Fernsehen stützt diese Entwicklung massiv ab - kommt mega ganz andere Funktionen zu: Einmal kann es als Adjektiv eine selbständige Einheit darstellen: e mega "e stupendo, das ist prima", darüber hinaus ähneln die Verwendungsweisen zunehmend denen von regulären Präfixen wie z. B. e megagalattico "das ist großartig, megagalaktisch", e una megafesta „ein tolles Fest", e una megadiscoteca „eine riesige Diskothek". Die Jugendlichen haben häufig megazum Präfixoid der Größenindizierung, der positiven subjektiven Einstellung gemacht, und in diesen Fällen ersetzt der Präfixcharakter die lange Tradition der italienischen Augmentativsuffixe. Solange die Medien diesen Gebrauch fördern, scheint die Vitalität des jugendsprachlichen Präfixoides gesichert zu sein, nachdem dieses verstärkte Aufkommen seit nunmehr fünf Jahren dokumentierbar ist. Das bereits angesprochene Suffix -aro ist in den letzten vier Jahren in der Jugendsprache nahezu zu einem Modesuffix geworden. Neben patiinaro dringen fricchettaro, metallaro (als Bezeichnung der Anhänger der heavy metal wave) im jugendsprachlichen Bereich vor. Daneben erfreut sich casinaro innerhalb kürzester Zeit - die Wörterbücher notieren das Lexem noch nicht - großer Beliebtheit, und der ältere Begriff casinista für "uno che fa casino" weicht dem Neologismus. Diese radikale Vorliebe für -aro im Jugendsprachlichen ist eigentlich nur
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schwer nachvollziehbar, da -aro als römisches Dialektsuffix im jugendsprachlichen Einzugsbereich des Nordens nicht positiv konnotiert wird. Gegenüber -aio ist -aro allerdings nicht mehr äquivalent, da die Eigenschaft, den Ausführenden einer Handlung oder einer Tätigkeit zu benennen, bei -aro inzwischen sekundär geworden ist oder ganz gewichen ist. In der italienischen Jugendsprache steht -aro für eine ironische, despektierliche Wertung, ein paninaio kann keinen paninaro ersetzen. -aro drückt primär die subjektive Wertung aus, und zwar aufgrund der römischen Provenienz vornehmlich die subjektive Abwertung, so daß gewissermaßen casinaro expressiver angelegt ist als casinista. Diese rezente Orientierung im Suffigierungsverhalten erstreckt sich auch in zarten Konturen auf das Gegenwartsitalienische, die Jugendsprache ist einmal mehr der Vorreiter im Wandel der Suffigierungsmöglichkeiten. Auffälligerweise greift die Jugendsprache in diesem Fall zur Ausbildung eines Substandards auf bekannte, substandardsprachlich markierte Dialektelemente zurück, die lediglich entdialektalisiert werden, d. h. die diatopische Markierung verliert sich bei der Integration des Suffixes zur Indizierung einer nationalsprachlichen Substandardvarietät. Auf den ersten Blick scheint -oso weniger jugendsprachlich zu sein, es ist bereits in der gesprochenen Gemeinsprache und vor allem in der Zeitungssprache fest etabliert. Auch hier zeigt sich gegenüber der traditionellen Funktion, die Eigenschaft zu bezeichnen, in den letzten zehn Jahren eine Entwicklung zur Hervorhebung der subjektiven Wertung : sciccoso wird zu einem Clichéwort für neureiche Kreise und parodiert rasch deren Verhaltensweise in der öffentlichen Meinung, malavitoso zu "malavita" haftet etwas besonders Ruchbares an. Auch -oso entpuppt sich als ein Modesuffix Ende der 70er Jahre, und die Jugendsprache übernimmt diesen exzessiven, semantisch oft sekundären Rückgriff auf -oso: Die Winterjacken von Moncler führen einen Hahn als aufgenähtes Markenzeichen, gallo wird daraufhin zu einem generellen Ausdruck der Bewunderung, gallo ist das, was gut oder „in" ist, und die paninari schaffen Wendungen wie é un gallo di Dio als Superlativ; das Adjektiv galloso ("é un Dio galloso") überschwemmt zur Zeit die Generation der Sechzehnjährigen. Die Rauschgiftsüchtigen wandeln sich von den drogati zu drogolosi, das Verhalten der casinari wird neuerdings als casinoso bezeichnet; auch cazzoso dringt vor in Syntagmen wie "un problema cazzoso" anstelle von difficoltoso, paccoso etwa in "un pomeriggio paccoso" ersetzt noioso; sballoso kennzeichnet die Bewunderung ("un tipo sballoso"). Der Beliebtheitsgrad von -oso für jede Adjektivierung eines Substantivs läßt darauf schließen, daß umgangssprachliches -oso auf die Jugendsprache einwirkt und zu einem Passe-partout-Suffix zum Wechsel der grammatischen Kate-
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gorie unter gleichzeitiger Markierung einer ironisch-scherzhaften Konnotation wird. Diese Tendenz stärkt die Bedeutung von -oso im Italienischen insofern, als ein gesichertes Verbreitungspotential die Stabilität erhöht und den Vitalitätsanstieg untermauert. 4.5. Sexuelle und skatologische Vulgärsprache als Charakteristikum der Sprache Jugendlicher in Italien Bei der Beschreibung jugendsprachlichen Wortschatzes haben sich bereits mehrfach Bezüge zu einer sexualisierten Umgangssprache hergestellt, so daß die Frage naheliegt, ob die Präsenz vulgärsprachlicher Elemente im sexuellen Bereich als Kennzeichen der Sprache Jugendlicher zu werten ist. Daß Jugendliche Vorreiter einer Sprache der Sexualtermini im Alltagsgebrauch seien, ist des öfteren vorgebracht worden, und schon 1941 monierte der renommierte Philologe Giorgio Pasquali (1964, 34-35): La lingua d'uso italiana è quanto a termini sessuali delle meno scrupulose tra le europee: oggi signore e studentesse dicono senza né rossore né consapevolezza, fesso, me ne frego, lo sfotto, che sono in origine termini sessuali: sfottere per "trattar con malevolenza, tormentare", ma anche per "prendere, sia pur benevolmente, in giro", è passato dalla lingua dei militari a quella degli studenti, attenuando sempre più il significato. Ora si distingue anche tra sfotto et fotto, anche questo sentito ormai almeno nelle scuole quale traslato innocente: il professore nell'esame m'ha sfottuto prima e poi fottuto. Frasi simili si possono sentire dalla bocca di signorine: al tempo che io ero scolaro, a Roma verso il '900, quello che ora pare il più innocente di tali vocaboli, fesso, attirava un ceffone dalle mani paterne.
Die Tendenz zur Verwendung sexuell bezogener Termini ist ungebrochen, und die einschlägigen Lexika bieten reichhaltiges Material (Manzoni/Dalmonte 1980, Lanza 1974): frègnot "la ragazza bella e disinvolta, che attira sessualmente" (Manzoni/Dalmonte 1980, 63), gebildet aus der vulgären Bezeichnung für die weiblichen Genitalien im romanesco fregnaccia), frego im Jugendjargon "sintetizza l'eccitazione e il desiderio sessuale di una persona" (Manzoni/Dalmonte 1980, 63) in Che frego Marylin Monroe!, fregolina als "vezzeggiativo per ragazzina simpatica, piacevole, attraente" (Manzoni/Dalmonte 1980, 63) und als Ableitung von fregola, ein Vulgärausdruck für sexuelles Verlangen, d. h. eigentlich „Brunst, Brunft". Die Beispiele ließen sich leicht vermehren, aber sie bestätigen letzten Endes eine seit geraumer Zeit angelegte Entwicklung im Substandardbereich des Italienischen. Allerdings verdient dabei eine Hypothese besondere Beachtung: Mit den Studentenunruhen des Jahres 1968 werden einschneidende sprachliche Veränderungen auch in der Verwendung des Sexualwort-
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schatzes assoziiert. So trifft Nora Galli de' Paratesi (1983, 65) nach zehnjähriger Abwesenheit von Italien die Festeilung: "Pourtant, il aura rarement été donné à un auteur d'assister à un changement aussi radical dans un laps de temps aussi bref". Die Zurückweisung des vulgärsprachlichen Sexualwortschatzes auch im Gesprochenen ist inzwischen einer sich immer mehr konsolidierenden Akzeptabilität des sexuellen Substandards im italiano parlato gewichen, der Gebrauch sexuellen Wortschatzes ist weniger schichten-, geschlechts- oder generationsgebunden als noch vor zwanzig Jahren. Diese Wandlung führt Galli de' Paratesi 1983 ursächlich auf die Jugendrevolte des Jahres 1968 zurück. "Il est un terme qui a subi une évolution intéressante juste après 68 : il s'agit de l'adjectif fico, dérivé de fica, figa, nom de l'organe sexuel féminin. Ce mot a atteint une telle popularité qu'une boutique des environs de la Piazza del Popolo à Rome s'est baptisée II Fichissimo (Le Super Malin N. d. T.)! Dans ce cas, les connotations sont positives: on appelle fico un type bien [. . .]" (Galli de' Paratesi 1983, 72). Einen Nachweis, inwieweit derartige Tendenzen allein von Jugendbewegungen abhängen, führt Galli de' Paratesi indessen nicht. Die Schlußfolgerung scheint vielleicht zu vorschnell getroffen, wenn auch für Wandlungen im Gebrauch des tu und lei die 68er Ereignisse verantwortlich gemacht werden (Galli de' Paratesi 1983, 67); vermutlich ist für die bundesdeutschen Parallelen der Spiegel (n. 53 vom 28.12.1981, 34) mit seinem Artikel „Sagen Sie gerne du zu mir" etwas ehrlicher: „Wie das eigentlich passieren konnte, ist nicht mehr nachzuweisen. ,Es fing schleichend an', meint der Tübinger Professor Hermann Bausinger, ,wie meistens diese Dinge schleichend anfangen'. Und als es die Wissenschaft gemerkt hat, da war es schon zu spät". Die contestazione del '68 hat vor allem Bewegung in den politischen Wortschatz gebracht und hat, wie die folgenden Beispiele zeigen, neues Fachvokabular in die Umgangssprache eingeführt und gleichzeitig das Expressivitätspotential in der comunicazione politica durch vulgärsprachliche Anleihen erhöht; man denke an Slogans wie siamo sempre più incazzati/con governo e sindacati, an Wandschriften wie merda ai baroni dell'Università, an Flugblattexte wie Questo perché a questi porci scoccia molto ammettere che nelle caserme non tutto va bene e che la gente è incazzata. Si sono accorti che questa incazzatura non passa (Cortelazzo 1979, 6-7), an Demonstrationschöre wie col dito col dito orgasmo garantito mit der Replik col cazzo col cazzo è tutto un altro andazzo. Letzteres wird in Garelli (1978, 22) und Simone (1980, 211) bezeugt, ist mir aber als Ruf und Gegenruf während einer römischen Demonstration der Frauenbewegung und deren gegnerischer Passanten 1977 aufgefallen.
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Im Bereich der Texte mit politischer Intention lassen sich Gründe für die Einhüllung in ein vulgärsprachliches Umfeld nennen, die Cortelazzo (1979, 7) so zusammenfaßt: Si tratta di uno degli aspetti più appariscenti non solo della lingua della contestazione, causa, o concausa, o solo emblema [. ..] del maggior permissivismo in materia che caratterizza il comportamento linguistico degli ultimissimi anni. Le spinte che hanno portato all'espansione dell'uso della parolaccia nella lingua politica contestaria [...] sono molteplici. Motivazione prioritaria [...] è quella provocatoria di dar scandalo e di contestare coi fatti (che in questo caso sono fatti linguistici), le convenzioni della società borghese. Non va escluso neppure quella volontà [...] di una maggiore aderenza al parlato [. . .].
Die Vermengung politischer Inhalte mit umgangssprachlichem Wortschatz hält auch nach den Unruhen des Jahres 1977 weiter an (Dardano 1979, 223) und macht einen festen Bestandteil der Fassung politischer Ideen in der jüngeren Generation aus. Grundsätzlich scheint es angemessen, zwischen der „Aufweichung" des gesprochenen Normitalienisch durch vulgärsprachliche Sexualia und Skatologica einerseits und dem Einsatz vulgärsprachlicher Mittel im politischen Jargon andererseits zu unterscheiden. Letzteres fällt zweifelsohne der Protestbewegung von 1968 zu und hat sich über die Jahre hinweg behauptet. 4.6. Jugendsprache und Sprachspiele Ob in der weiteren Umgangssprache der Jugendlichen oder im Jargon der politischen Kommunikation, allen generationsspezifischen Sprachniveaus wird eine dimensione ludica zugeschrieben, die Komik, Humor und vor allem Wortspiele beinhaltet (Cortelazzo 1979, 6). Sie garantiert eine besondere Form der sprachlichen Kreativität, die weniger auf Konsolidierung im gemeinsprachlichen Wortschatz abzielt als auf Augenblicksbildungen, die zeitliche Kurzlebigkeit und geringe Kommunikationsweite zugunsten origineller Formen in Kauf nehmen. Sie festigen die Gruppenorientierung und nutzen das Kreativitäts- und Originalitätsbemühen zur Markierung einer Kontrasprache, die der Seriosität als Grundlage eines Normempfindens etwa im politischen Sachbereich bewußt zuwiderläuft. Sprachspiele stellen bestehende Inhalte in Frage oder treiben eine aggressive Sachverhaltsbeschreibung voran zur Manifestation der Gruppensolidarität. So gilt etwa letzteres für den gergo studentesco eines Paveser Universitätscollegio, das ihren Direktor anfangs der 70er Jahre aufgrund eines Holzbeins in II Gamba umtaufte. Diese Namengebung ist konsequent auf die gesamte Familie übertragen worden, die Ehefrau wurde als Gambessa wohl in An-
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lehnung an contessa geführt, der Sohn wurde zum Gambino, und der Tochter wurde die Bezeichnung Gambetta zugedacht, lediglich der Hund konnte diesem Wortfeld entrinnen, indem ihm vaffa zufiel weniger als onomatopoetische Nachahmung des Bellens, sondern als euphemistische Kürzung aus vaffanculo. Hier wird mit Bezeichnungen gespielt, aber nicht nur um des Spieles willen, sondern zur Stärkung des sog. in-group-i&rgons. In der Schülersprache hört man gelegentlich professofessa für "professoressa" (Paesano 1981, 20) als dysphemisierende Abwertung. Gerade in Schülerkreisen erfreuen sich die von Totö seinerzeit gepflegte Sloganbildung und Verwendung von Nonsensefloskeln großer Beliebtheit15, so ist z. T. eine stereotype Wiederholung von Sätzen wie Perbacco, non mi faccia incavolare, sa! (Paesano 1981, 23) als Huldigung an Totö ein häufig anzutreffender Bestand im Schülerjargon, die über den in etwa parallel gelagerten jüngsten Heinz-Erhardt-Kult in der Bundesrepublik - „Die Szene entdeckt Heinz Erhardts kleine Denkverrenkungen" (Seegers 1982, 47) - weit hinausreicht. Mit der Bedeutung von Ottos Sketchen für die deutsche Jugendsprache in Formulierungen wie Ah Ägypten! auf Fragen, die die Jugendlichen selbst nicht beantworten können, oder aus der sog. Sprüche-Kultur Oder nicht, oder doch aus Ottos „Wort zum Montag" oder die Deformationsreihe Nein, nein, meine Samen und Spermen, bitte jetzt keine Zwetschgenrufe! Ich muß doch sehr um Schuhe bitten! hat sich Henne (1984, 59) ausführlich auseinandergesetzt. Eine Anlogie zum Italienischen findet sich mit dem Erfolg der bereits erwähnten Slogans vom Typ non capisco, ma mi adeguo aus Enzo Arbores erfolgreichen Fernsehvarietesendungen Quelli della notte oder Indietro tutta (letztere mit dem fiktiven cacao meravigliao). Doch Sprachkomik setzt sich auch in der lingua della contestazione durch, insbesondere in Wandsprayschriften und dabei wiederum überwiegend in der Form von Slogans. Als Beispiel unter Tausenden möge das Wortspiel Leopoldo ti sgonfieremo (Cortelazzo 1979, 6; Simone 1980, 216) - gemeint ist der Reifenindustrielle Leopoldo Pirelli - dienen; darüber hinaus kommt Leopoldo Pirelli im Jugendjargon der siebziger Jahre auch der Spitzname cinturato „Gürtelreifen" (Lanza 1974, 218) zu. Diese Bildung von Beinamen im Jugendjargon erinnert geradezu an die Tradition von Spitznamengebung in Unterweltorganisationen, wo sich etwa in der campanischen Camorra bis heute Namen wie Pascalino 'o fulard für Pasquale Amendola (De Gregorio 1981, 62), Pascalone 'e Nola, 'o Malommo (De Gregorio 1981, 9) halten. Die spezifische Namengebung ausschließlich innerhalb einer bestimmten Gruppe charakterisiert die Geheimsprachentechnik alter gerghi. 15
Vgl. zur Sprache Totòs Radtke 1983.
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Eine gewisse Steigerung im Sprachspiel ist in der Bologneser Jugendrevolte von 1977 zu beobachten, die eine Potenzierung der NonsenseInhalte anstrebt : Viva il compagno Craxi// che picchia i fascisti che scendono dal taxi (Cortelazzo 1979, 16), No alle Z/angherie della Giunta Rosée (Cortelazzo 1979, 16) usw. - Zangheri war bis Anfang der achtziger Jahre Bürgermeister von Bologna. Die Stadtindianerbewegung kreierte neue stilistische Muster wie II PCI parla con la lingua biforcuta/ firmato Geronimo, Giacca azzurra non lo scordare/ abbiamo Cavallo Pazzo da vendicare (Cortelazzo 1979, 17). Das Sprachspiel als Grundlage des anormativen sprachlichen Nonkonformismus in Jugendbewegungen erstreckt sich nicht nur auf Italien, sondern kennzeichnet in herausragendem Maße vor allem den Mai 1968 in Paris (Claassen/Peters 1968, 127-147) oder auch in der Bundesrepublik das Phänomen der sog. Spontisprüche (Hau 1982, Moritz 1983) als Ausdruck eines Protestes. In diesem Zusammenhang soll nicht die jüngste Erscheinung französischer Jugendsprachejargons zur affektierten Substandardindizierung ausgespart werden, das sog. verlan (vgl. Schifres 1982, Merle 1986, Obalk/Soral/Pasche 1984, 397-398). Die spielerische Komponente ist grundsätzlich vielen Sondersprachen gemein, etwa dem rhyming slang des Londonder Cockney (Barnett and fair für "hair", plates of meat für "feet", boat race für "face", Ellis 1971) oder dem Pariser Argot des 19. Jahrhunderts, der gelegentlich von Silbenumstellungen Gebrauch machte, so largonji aus "jargon", loufoque aus "fou/fol" etc. (Plénat 1985), und schließlich dem durchaus noch heute hörbaren javanais, das unter konsequenter Einführung einer Zwischensilbe die Verständlichkeit für Außenstehende aufheben soll (J'avespavère avavaoir avencavore avaugmaventavé tava ravichavesse aven lavangue fravançavaise "j'espère avoir encore augmenté ta richesse en langue française"). Der verlan als jüngste Spielart rekrutiert sich aus Soziolekten der faubourgs von Paris. Die Verbreitung nimmt vor allem von der Jugend des Vorstadtbürgertums ihren Ausgang und manifestiert nachhaltig snobistisches, artifiziell angelegtes Sprachgebaren, das gerade von den Medien bevorzugt zur Charakterisierung einer neuen Jugendbewegung bemüht wird. Der verlan als Wort verweist auf nichts anderes als auf die lexikalische Verfahrensweise zur Erlangung des sondersprachlichen Signums: verlan leitet sich aus "à l'envers" ab. Die journalistische Modeträchtigkeit illustriert der knappe Textauszug aus dem satirischen Wochenblatt Le Canard Enchaîné vom 1. Mai 1985: Soyons câblés, pas accablés Vive la Cefran! La Cefran, qu'est-ce que c'est? Vous l'avez tout de suite deviné, en verlan, en
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mitterrandien chébran, la Cef ran c'est la France! Oui, vive la Cefran! Et coricoco! Alors que s'ouvre à Bonn le grand sommet occidental, comment ne serionsnous pas pénétrés d'un juste sentiment d'orgueil national en mesurant l'immense supériorité dont Tonton, notre portedrapeau, dispose au départ sur ses six partenaires? Il est câblé; eux ne le sont pas. Il est "in"; ils sont "out". [...]
Trotz der anzunehmenden Zurückhaltung in Fragen der Bestandhaftigkeit des verlan gibt es einige Lexeme, die vom verlan aus in den Argot schlechthin eindringen wie cheutron aus "tronche" (für "tête"), tarpé aus "pétard" (für "stick, joint") oder zonga aus "gazon" (für "herbe" im Rauschgiftjargon). Die Jugendsprache der letzten zwanzig Jahre hat das Sprachspiel als unverzichtbares Signum in der Vermittlung von Inhalten fest etabliert. Darin ist u. a. ein Versuch zu sehen, der inhaltlichen Normierung auszuweichen und eine formale sprachliche Übermittlung sui generis zu schaffen, die sich bewußt an Nonstandardmustern orientiert.
5. Jugendsprache und Italienisch: Entwicklungstendenzen des Substandards Die herausgegriffenen sechs Aspekte tragen dazu bei, das Kriterium der Jugendsprachlichkeit näher zu bestimmen. Selbstverständlich sind es nicht diese Gesichtspunkte allein, die den Aufbau der Sprache Jugendlicher determinieren, etliche andere Verfahren wie Neologismenbildung, Metaphorisierung, die Beliebtheit der Siglenbildung oder das auffällige Eindringen von computersprachlichen Fachjargons (e stato un floppy "non e andata" u. a. mehr), eine abweichende Praxis in der Gesprächseröffnung und -beendigung bedürfen noch einer vollständigeren Dokumentation. All diesen lexikalischen Sonderheiten und unterschiedlichen Gesprächsführungen ist gemein, daß jugendsprachliches Verhalten sich von den gängigen gemeinsprachlichen Alltagskonventionen absetzen will und dabei Bildungsmuster aus der Alltagssprache durch ausschließlichen, absoluten Gebrauch für sich vereinnahmen will oder mit eigenen sprachschöpferischen Mitteln eine Art sprachliche Gegenkultur errichten will. Da die Jugendsprache aber immer eine Varietät des Italienischen ist, geraten diese Absonderungsbemühungen in einen längerfristig angelegten Substandard oder in die kurzfristige Sackgasse einer Kulturmode, die schnell auf der sprachlichen Ebene zur Abgedroschenheit und zur eigenen Persiflage absinkt. Beide Tendenzen sind in dieser Varietät angelegt, wobei die Auswirkungen bedeutsamer zu sein scheinen, die die Jugendjargons in die überregionale Umgangssprache hineintragen. Sie lassen oft nicht
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mehr viel von der ursprünglich gewollten Kreativität oder Originalität erkennen, sondern festigen Gebrauchsnormen der Sprechsprache im Gegenwartsitalienischen wie im Fall der beschriebenen Affigierungen. 5.1. Die regionale Beschränkung Bei der Befragung der Probanden nach der Selbsteinschätzung im Umgang mit jugendsprachlichen Sprachformen wird zumeist die gergale Kompetenz bestritten, und stereotypenhaft wird auf die Kenntnis dieses Wortschatzes von meist jüngeren Verwandten oder gleichaltrigen Freunden verwiesen. Dieser Anspruch auf eine höchstens passive Soziolektkompetenz kontrastiert dann allerdings des öfteren mit dem späteren Gesprächsverlauf, wenn nach der Begriffsfeldbefragung ein formloses Anschlußgespräch über Alltägliches dem Befragten ein vermeintliches Ende des Interviews signalisiert. Zumindest der gergale Einsprengsel charakterisiert das Sprachverhalten auch noch von Fünfundzwanzigjährigen. Dieses Bewahren von Zügen einer gergalitä privata hat insgesamt einen geringen Anteil an der Sprachdynamik. Bedeutsamer nehmen sich die Tendenzen aus, die Argotwortschatz entjargonisieren, indem jugendsprachliches Vokabular in einem überregionalen sprechsprachlichen Substandard aufgeht. Formen der Jugendsprache verblassen rasch in ihrem kontrasprachlichen Bezug und bemächtigen sich nicht zuletzt wegen des Zugriffs der Massenmedien der nationalsprachlichen Register. So fest die präskriptive Norm für die italienische Schriftsprache gefaßt sein muß, so offen wirken sich doch Normveränderungen für die Vielschichtigkeit im Gesprochenen aus. Diese Ausweitung jugendsprachlicher Verhaltensweisen betrifft allerdings keineswegs die ganze Nation, wie die Befragungen eindrucksvoll bestätigen. Die Ausbildung von Jugendsprachen vollzieht sich im Norden, Rom weist noch mit der Mode der tozzi (Antonucci/Taverna 1986, Gallo 1987) Spuren von neuen jugendsprachlich markierten Lexemen wie accantia Ii fiocchi "smettila di dire idiozie" auf, die Hochburgen jugendsprachlichen Wirkens sind vor allem Mailand und Bologna. Süditalienische Jugendliche verfallen beim Abfragen von Begriffsfeldern in den Dialekt, es fehlt sowohl für Neapel als auch für Palermo die Sensibilität für Jugendsprachlichkeit 16 . Folgende Erklärungen bieten sich für diese scharfe Trennung der italienischen Sprachlandschaft an: 1. Norden und Süden weisen den Jugendlichen unterschiedlich soziale Rollen zu, der Süden verfügt über ein anderes aufgebautes Netz so16
Dies bestätigt im Grunde auch die Materialsammlung Tropea 1987.
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zialer Beziehungen, die den Jugendlichen nicht das Etablieren eines generationsspezifischen sozialen Raumes ermöglicht. 2. Als Varietät für familiäre Situationen, für Alltagssprachlichkeit schlechthin steht in Süditalien der Dialekt zur Verfügung. Diese Trennung in eine hohe und niedrige Varietät (Hochsprache/Dialekt) charakterisiert die süditalienische Diglossie, während im Norden in den Städten die dialektale Kompetenz stark zurückgegangen ist bzw. bewußt abgebaut worden ist zugunsten eines ausschließlichen Gebrauchs der Standardsprache oder der Regionalsprache, was sich besonders an den jüngeren Generationen zeigt. Mit dem Tilgen einer regionalen Varietät wird die Funktion der alltagssprachlichen Register von neuen Substandardvarietäten wahrgenommen. Dieses Bedürfnis dürfte bei nur italienischsprechenden Jugendlichen in Norditalien besonders akut sein. Eine solche Institutionalisierung neuer familiärer Register aufgrund der verlorenen Dialektalität hat sich ähnlich auch in Frankreich durchgesetzt, indem mit dem Zurückweichen der Dialekte die Argots zu einer gewichtigen Grundlage expressiven Sprach Verhaltens avancierten (Radtke 1982). 3. Pasolini sah in seiner viel diskutierten Polemik um die sogenannte nuova questione
della lingua im N o r d e n das A u s s t r a h l u n g s z e n t r u m
für das italiano di domani insbesondere hinsichtlich der Auferlegung neuer technokratischer und bürokratischer Sprachformen. Er glaubte an eine zukünftige Sprachwirklichkeit, die dem Spontanen und Expressiven weniger Raum zubilligt. Dieser Schluß hat sich insofern nicht bewahrheitet, als der prestigereiche Norden zwar neue Normmodelle durchsetzte (das ansteigende Prestige norditalienischer Aussprachevarianten legt davon Zeugnis ab), aber damit geht nicht automatisch eine Rezession von Substandardvarietäten einher. Die Dynamik der italienischen Jugendsprachen deutet eher auf eine affine Entwicklung wie in Frankreich hin zu einem überregionalen Substandard. Mit der bereits angedeuteten Entjargonisierung steht zu erwarten, daß das derzeitige jugendsprachliche Verhalten den Keim zu einer neuen, nationalen Sprechsprache in sich trägt. Wie präzise sich dieser Entwicklungsprozeß beschreiben läßt, hängt von der Dokumentationsbereitschaft für oft als marginal erachtete Substandardvarietäten in der italienischen Linguistik ab. 5.2. Zur Dynamik des Normgefüges im Gegenwartsitalienischen Es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß einige der vorgestellten Aspekte nicht ausschließlich für die Jugendsprache beansprucht werden dürfen, sondern auch für Substandardrealisierungen generell (Sor-
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nig 1981) oder gesprochenes Alltagsitalienisch gelten. Die genannten lexikologischen Sachverhalte sind in gewissem Umfang auch zugleich Teil des Gegenwartsitalienischen schlechthin, so daß bezüglich der Abgrenzung noch einige Unsicherheiten bestehen bleiben mögen. Sie sind jedoch im Gegenwartsitalienischen mehr gradueller Natur und vertreten weniger persistente Züge dieser Sprachformen. Sie manifestieren sich im heutigen Italienisch auch nur insofern, als sie zuerst von einzelnen Sondersprachen propagiert werden und von dort aus in die Alltagssprachlichkeit vordringen. Neue Tendenzen in der italienischen Sprache lassen sich zu einem gewissen Teil aus der Sondersprachenvitalität ablesen, die im Sprachgefüge Veränderungen für die faktische Norm von morgen anlegt. So sieht Sobrero (1978, 155-214) in der Werbesprache und der Sprache der Massenmedien die auslösenden Momente für neue Veränderungen, vor allem auch in der Syntax, unter Einschluß jugendlicher Protestbewegungen. Zur Voraussage quäle italiano domani? (Sobrero 1978, 201-214) stellen die scritte murali für ihn eine wichtige Dokumentationsbasis dar. In der Tat ist mit der Zunahme von Redewendungen und Sloganisierungen ein Charakteristikum angesprochen, das im jugendlichen Sprachgebrauch verhaftet ist und von gleichzeitiger Infiltration aus der Werbesprache intensiviert wird. Diese Sondersprachen leisten eine gewisse Aufweichung erstarrter Normen und erneuern das lexikalische Gefüge. Die Sprache der Jugendlichen wird mehr als die Werbesprache zur Kanalisierung dialektaler Elemente beitragen und vermutlich zusammen mit dem stetig erstarkenden Einfluß privater Fernseh- und Radiostationen die Entwicklung der sprachlichen Regionalität steuern. Was aber insgesamt an gergalitä privata in der Jugendsprache in die Gestaltung des italiano parlato nicht eingeht, bewegt sich in einer wohl quantitativ nicht zu unterschätzenden Grauzone, die aufgrund der sehr defizitären Erhebung von jugendsprachlichen Sonderformen nicht genauer bestimmbar ist.
5.3. Jugendsprache und die Dokumentation des Gegenwartsitalienischen: Lexikographische Aufarbeitungen und Desiderata Die gängigen einsprachigen Wörterbücher schließen jugendsprachlichen Sonderwortschatz (noch) mit gutem Grund aus, denn die nationalsprachliche Dokumentation wird nicht das Risiko eingehen, Modewörter und instabile Lexeme zu notieren, deren Verbreitung unsicher ist und die die Repräsentativität für die italienische Sprache in Frage stellen. So schränken De Felice/Duro (1975, VIII) verständlicherweise ein:
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Così pure sono state accolte, dei gerghi, solo voci e accezioni largamente diffuse o note, e italiane o italianizzate nella forma [...].
Allerdings birgt diese Vorgehensweise auch Gefahren in sich, die die Aussonderung von angeblich nichtitalienischen Formen bei der ausgedehnten Fluktuation im Wortschatz als diskutabel erscheinen lassen. Schon De Mauro (1977, 33) polemisierte seinerzeit gegen diese intuitive Handhabung lexikographischer Normerhebung: [...] oggi, nel 1970, quando l'italiano è parlato ed è parlato davvero da varie decine di milioni di persone, se lo arrogano due, tre magari cinque signori che, senza spogli filologici, senza rilevamenti statistici, senza analisi strutturali, giudicano e mandano che cosa sia linguisticamente italiano e che cosa no.
Wenn das jugendsprachliche Vokabular keinen Eingang in die einsprachigen Wörterbücher findet, stellt sich die Frage, wer sich denn der lexikographischen Dokumentation annimmt. Bislang hat die italienische Lexikographie diesen Bereich noch nicht zur Kenntnis genommen, die Materialien liegen als Gelegenheitspublikationen von Journalisten, Lehrern oder Studenten vor. Lexikalische Dynamik und enger soziolektaler Bezug stellen jedoch keine unumstößlichen Hindernisse für die Materialerfassung dar, allerdings muß dafür zunächst einmal eine Konzeption für Wörterbücher der italienischen Sprechsprache geschaffen werden. Der begrüßenswerte Versuch von Alfredo Panzini, Dizionario moderno delle parole che non si trovano nei dizionari comuni (101963) konnte zwar seinerzeit die Bearbeitung des nicht bzw. noch nicht gemeinsprachlichen Wortgutes als nicht klassifizierbare Restmenge für sich beanspruchen, aber in Anbetracht der veränderten sprachlichen Situation drängen sich Entwürfe für Lexika auf, die eigens dem italiano parlato und dem Regionalitalienisch, dem italiano popolare im besonderen und nicht zuletzt den gerghi giovanili einen festen Platz einräumen. Mit zunehmender Regression der Dialekte nehmen die genannten Varietäten einen bedeutenderen Stellenwert als noch vor zehn Jahren ein, der der Dokumentierung harrt. Wenn man bedenkt, wie vorsichtig und zögernd sich etwa die Redakteure des Vocabolario dei dialetti della Svizzera Italiana an den gergo giovanile wagen (Zeli 1982), obwohl bei den Erhebungen reichlich jugendsprachliches Material registriert worden ist, dann drängt sich die Forderung nach einem eigenständigen Wörterbuch des lessico generazionale geradezu auf. Neue Anstöße hinsichtlich der Aufarbeitung jugendsprachlicher Soziolekte könnte dabei die germanistische Lexikographie vermitteln: die von Henne und Objartel herausgegebene Bibliothek der historischen
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deutschen Studenten- und Schülersprache (Henne/Objartel 1984) ermöglicht neben der umfassenden bibliographischen Aufbereitung eine systematische Datierungstechnik, die für die sprachhistorische Einschätzung von Sondersprachen Jugendlicher neue Aufschlüsse verspricht, an denen sich auch die Romanistik orientieren kann. Aber für eine solche Studie liegt im Augenblick noch zuviel Dunkel über die Quellenlage im Italienischen. Auch auf der synchronen Ebene mangelt es an der lexikographischen Sensibilität zur Notierung von sprechsprachlichen Lexemen, die den Rahmen generationsspezifischer Beschränkungen verlassen und einen Status anvisieren, den man als Ausbau eines nationalen Substandard im Italienischen werten muß. Auf jeden Fall dürften künftig jugendsprachliche Lexeme an Repräsentativität zunehmen und eine gewichtige Rolle im Gegenwartsitalienischen wahrnehmen, die für die italienische Sprachwissenschaft eine Herausforderung zur Beschreibung darstellt.
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Ansätze einer strukturalistischen Beschreibung der Variation im Französischen und Italienischen T h o m a s Stehl (Paderborn)
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Gliederung 1. 2. 3. 4. 5. 5.1. 5.2. 6. 7.
Vorbemerkungen zur Problemlage Gegenstände der Untersuchung: Kontakte und Sprachräume; die Sprechergemeinschaften und die Datensammlung Anforderungen an die Analyse-Methode: kontaktlinguistisch, funktional, pragmatisch Bemerkungen zum Stand der Forschung Begriffliches Instrumentarium einer funktionalen Analyse der Variation in der Zentralromania Notwendige Vorunterscheidungen Vier Dimensionen vertikaler Kontakte und ihrer Analyse Vier Ebenen der kommunikativen Realität und Perspektiven ihrer Untersuchung ,Substandard' aus kontakt- und variationslinguistischer Sicht
1. Vorbemerkungen zur Problemlage Mit der Problematik der Erfassung des sprachlichen Substandards und seiner Abgrenzung zum Standard - kann man sich in der Sprachwissenschaft in unterschiedlicher Weise auseinandersetzen: grundsätzlich ergeben sich die Möglichkeiten, das Problem einerseits innerlinguistisch und andererseits beschreibungsorientiert anzugehen. 1.1. Die innerhalb der Sprachwissenschaft anzusiedelnde Diskussion um Definition und Auffassung von Substandard innerhalb der Einzelphilologien kann wiederum einerseits begriffsexplikatorisch vorgehen, indem sie - etwa mit den Mitteln der formalen Logik - der Frage
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nachgeht, was man unter Begriffen wie ,Standard' bzw. ,Substandard' zu verstehen habe. Dies hat Ulrich Ammon (1986) im ersten Band zum .Sprachlichen Substandard' exemplarisch vorgeführt. Hierbei bezieht man sich zwangsläufig auch auf die bisher in der Sprachwissenschaft aufgetretenen Verwendungen der in Frage stehenden Begriffe, so daß auch eine kritische Bestandsaufnahme potentieller Merkmale wie ,überregional', ,oberschichtlich', ,invariant', .ausgebaut', geschrieben' und .kodifiziert' (hier für ,standardsprachlich') erfolgt (cf. Ammon 1986, 17-39; cf. auch Ammon 1983). Innerlinguistisch ergibt sich andererseits die Möglichkeit, die Substandard-Problematik forschungskritisch zu untersuchen, indem man die Frage stellt, wie Phänomene des Substandards in sprachwissenschaftlichen Theorieentwürfen, Beschreibungen, Grammatiken oder Wörterbüchern erfaßt und eingeordnet wurden; mit Bezug auf das Französische haben Günter Holtus (1986) und Christian Schmitt (1986) im ersten Band zum Substandard u. a. diesen Aspekten Aufmerksamkeit gewidmet. 1.2. Ein beschreibungsorientierter Ansatz hat sich demgegenüber mit der Frage auseinanderzusetzen, wie objektsprachliche Substandardphänomene in geschriebenen Texten oder in oraler Alltagskommunikation angemessen beschrieben werden können, und damit letztlich auch, wie leistungsfähig sich Begriffe wie .Substandard' oder ,Standard' im Anwendungsbezug erweisen. Solche Anwendungsbezüge ergeben sich neben der Textlinguistik vor allem für die Dialektologie, die sich seit jeher mit dem Gesamtbereich des Substandards sozusagen hauptberuflich' zu beschäftigen hat. Innerhalb der Dialektologie erscheint eine Systematisierung von Substandardphänomenen u. a. deshalb notwendig, weil die Umschichtungen der jüngsten Vergangenheit in der Gesamtarchitektur mehrerer europäischer Sprachen den Objektbereich der Dialektologie schrittweise um die ganze Bandbreite der ,Kontaktzone' zwischen den Standardsprachen und den landschaftsgebundenen Basisdialekten erweitert haben. Eine Systematisierung des Substandardbereichs ist daher in gleichem Maße ein Erfordernis für die kommunikative Dialektologie (cf. Scheutz/Haudum 1982), die strukturelle Dialektologie (cf. hierzu Weydt/Schlieben-Lange 1981) und die quantitative Dialektologie (cf. Goebl 1984, Veith 1986). Gerade angesichts der zunehmenden Ausdehnung einer innerhalb der historischen Einzelsprachen angesiedelten Pluriglossie anstelle der bisher vorherrschenden Diglossie (cf. hierzu Munske 1983, Besch 1983, Rein 1983) scheint es zudem angemessen, die beträchtliche theoretische und anwendungsbezogene Aufgabenerweiterung nicht mehr einer traditionell definier-
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ten ,Dialektologie', sondern einer umfassenderen ,Variationslinguistik' zuzuweisen. Diese letztere hat neben der linguistischen Analyse der komplexen sprachlichen Verhältnisse zwischen den Standardsprachen und den Basisdialekten auch der pragmatischen Dimension des Sprecherverhaltens, der partner-, thema- und situationsabhängigen individuellen und sozialen Variation zwischen sprachlichen Ausdrucksmitteln, und schließlich der Dynamik von Neuerung und Übernahme im diachronen Wandel in erforderlichem Maße Rechnung zu tragen (cf. hierzu auch Schlieben-Lange/Weydt 1978). 1.3. Die Aufgabe einer Neuorientierung und Standortbestimmung stellt sich der Dialektologie mit den rezenten Entwicklungen von Diglossie und Pluriglossie nicht erst seit neuestem: bereits 1974 sprach Giuseppe Francescato (1974,35) von einer "perplessità del dialettologo" angesichts der Notwendigkeit, "di fissare i limiti della propria disciplina, di definirla entro l'ambito delle scienze linguistiche". Das Problem der Orientierung sah Francescato im Spannungsfeld einer Serie von Antinomien gegeben, die sich aus der je dynamischen sprachlichen Realität einerseits, aus der Problematik der sprachwissenschaftlichen Betrachtung andererseits ergeben: Unità - varietà, Statica - dinamica, Langue parole, Plurisistema - diglossia, Genealogia - tipologia, Qualità quantità, Descrizione - storia, Dialetto - lingua. Eingedenk dieser Orientierungsproblematik wie auch der von Günter Holtus und Edgar Radtke (1986, VII) konstatierten „Vielfalt von Substandardauffassungen" möchte ich zunächst im folgenden zweiten Kapitel die Gegenstände der Untersuchung sowie die bisher durchgeführten Erhebungen vorstellen und im darauf folgenden dritten Kapitel die methodischen Erfordernisse und Charakteristiken eines Beschreibungsansatzes aufzeigen, der im wesentlichen zwei Ziele verfolgt: Erstens, eine realitätsadäquate Analyse sprachlicher Variation und Interferenz in vertikalen Sprachkontakten sowie ihrer diachronischen Dynamik von Konvergenz und Sprachgenese im zentralen Bereich der europäischen Romania zu erreichen. Zweitens, dabei den Erkenntnissen des sprachwissenschaftlichen Strukturalismus Rechnung zu tragen und die notwendigen funktionalen Kategorien zur Beschreibung der komplexen innersprachlichen Heterogenität zu entwickeln, die zunehmend das Erscheinungsbild der europäischen Sprachen bestimmt.
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2. Gegenstände der Untersuchung: Kontakte und Sprachräume; die Sprechergemeinschaften und die Datensammlung 2.1. Die Geschichte der romanischen Sprachen weist eine Vielzahl an Sprachkontakten auf, die als Voraussetzung und Grundbedingung einer reichhaltigen sprachlichen Variation anzusehen sind. Vielgestaltige sprachliche Variation ergibt sich daneben auch in Phasen der diachronischen Umstrukturierung historischer Sprachen, welche sich im Bruch mit alten und in der Begründung von neuen Kommunikationsund Sprechtraditionen manifestiert (cf. Schlieben-Lange 1983, 36-37). Von besonderer Bedeutung für die Geschichte der romanischen Sprachen sind die ,vertikalen Kontakte' zwischen einer dominanten, expansiven (Standard-)Sprache und einer dominierten, regressiven (Regional-)Sprache oder einem solchen Dialekt: die pragmatische Kopräsenz und Interdependenz beider Systeme innerhalb einer sprachlichen Gemeinschaft führt zunächst zu einseitiger oder wechselseitiger Interferenz der sprachlichen Strukturen und Einheiten; in einer weiteren diachronischen Phase des Kontakts führt die Stabilisierung von Interferenztechniken zu konvergentem Sprachwandel, der die Basis für die Entstehung neuer sprachlicher Formen herstellt. Wenn eine solche Genese neuer Sprachformen mit der Entstehung einer neuen Sozial- und Sprachgemeinschaft oder mit der Neudefinition einer bestehenden Gemeinschaft koinzidiert, so kann die neue Sprachform zunächst eine der Grundlagen für die Konstitution, Identifikation und Abgrenzung der Gemeinschaft, später auch deren Nationalsprache darstellen. Verschiedene Variationen dieses Grundmusters der Sprachgenese aus vertikalem Kontakt haben einerseits zur Herausbildung der romanischen Sprachen selbst, andererseits zu jener der romanischen Kreolsprachen geführt. 2.2. Der (über)einzelsprachliche Diskussionszusammenhang des Ansatzes betrifft die Sprachräume der Zentralromania. In diesem Bereich ist derzeit von einem Zusammentreten der beiden Grundgegebenheiten sprachlicher Variation (Sprachkontakt und diachronische Umstrukturierung historischer Sprachen) auszugehen. In Frankreich, in rätoromanischen Sprachgebieten wie in Italien lassen sich (zum Teil zeitlich nachgeordnet, zum Teil mit gewissen Schwerpunktverschiebungen) prinzipiell vergleichbare Grundlagen für eine vielgestaltige Variation beobachten: gemeinsam ist diesen Sprachräumen jeweils vor allem der vertikale Sprachkontakt zwischen einer dominanten, expansiven Standardsprache und den dominierten, regressiven romanischen Basisdialekten (wobei hier der Sprachenstatus des Okzitanischen und Räto-
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romanischen nicht diskutiert werden soll). Gemeinsam ist diesen Sprachräumen sodann auch die progressive und irreversible Ablösung von Kommunikations- und Sprechtraditionen der Agrargesellschaft durch neue Traditionen der Industrie- und Massenkommunikationsgesellschaft (cf. nochmals Schlieben-Lange 1983, 36-37). Als Folge der reichhaltigen Variation zwischen den Kontaktsystemen und der diachronischen Hierarchisierung dieser Kontakte ist die Entstehung neuer Dialekte zu werten, deren Basis nicht mehr die räumliche Ausgliederung des gesprochenen Lateins ist (wie im Fall ihrer historischen Vorgänger, der romanischen Basis-Dialekte), sondern die regionale Differenzierung der romanischen Standardsprachen selbst. Die historischen, sozialen, pragmalinguistischen und systemlinguistischen Aspekte der Entstehung der 'français régionaux' und der 'italiani regionali' lassen sich heute noch empirisch überprüfen. Dies eröffnet die Möglichkeit, über den Weg der Analyse synchronischer Variation und ihrer ,mikro-diachronischen' Dynamik in einem bestimmten Rahmen zu einer pragmatischen Rekonstruktion' früherer Sprachgenesen aus vertikalem Kontakt in der romanischen Sprachgeschichte, und damit auch zu einer pragmalinguistischen Historiographie der romanischen Sprachen beizutragen. Die Gegenüberstellung Galloromania - Italoromania im direkten variationslinguistischen Vergleich verspricht schließlich noch aufschlußreiche Rückschlüsse über die Auswirkungen zeitlicher und räumlicher Staffelung vergleichbarer Variationsformen in zentralromanischen Sprachen: die Konstellationen von Kontakt, Variation und Interferenz zwischen dem Französischen und den französischen Kreolsprachen (in den zu Frankreich gehörenden überseeischen Gebieten), sodann zwischen dem Französischen und den (in ihren kommunikativen Funktionen mehr oder weniger zu patois reduzierten; cf. Martinet 1980, 152-153) galloromanischen Dialekten auf der einen Seite, zwischen dem Italienischen und den (vor allem in Süditalien noch heute weite Bereiche des Alltagslebens bestimmenden) italoromanischen Dialekten auf der anderen Seite, nehmen im historischen und geolinguistischen Gesamtgefüge der romanischen Sprachen je spezifische Positionen ein, die sich vor allem einem auf den zentralen romanischen Sprachraum bezogenen Vergleich anbieten. Aufgrund unterschiedlicher historischer und sprachpolitischer Gegebenheiten weist die Architektur des Italienischen als historischer Sprache noch heute eine starke diatopische Differenzierung auf, die in Frankreich seit langem einer starken diastratischen und diaphasischen Differenzierung gewichen ist : in diesem Sinne befindet sich das italoromanische Diasystem in einer zeitlich früheren Entwicklungsphase gegenüber dem galloro-
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manischen Diasystem. Damit ergibt sich in der Zentralromania eine Staffelung verschiedener möglicher Ausprägungen vertikaler Kontakte: a) die Entstehung und Konsolidierung neuer sprachlicher Formen aus vertikalem und konvergentem Sprachkontakt (français régionaux, italiani regionali) - dies gilt vor allem für Mittel- und Süditalien sowie für Südfrankreich ; b) die Auflösung des vertikalen Kontaktes durch Fragmentierung des Sprachmaterials aus beiden in Kontakt stehenden Sprachen/Dialekten und dessen Reorganisation in kommunikativen Netzwerken einer modular angereicherten (polylektalen) historischen Sprache (cf. hierzu Berrendonner/Le Guern/Puech 1983); eine solche Architektur-Hypertrophie' läßt sich vor allem in ländlichen Gebieten Nordund Zentralfrankreichs wie auch in Norditalien beobachten; c) die tendenzielle Rückkehr zu einer .angereicherten' Einsprachigkeit nach Beseitigung eines vertikalen Kontaktes durch beschleunigte Aufgabe des Basisdialekts, wie sie in industriellen und städtischen Ballungsräumen wiederum Nord- und Zentralfrankreichs und Norditaliens anzutreffen ist. 2.3. Als dialektologisch-empirische Bezugspunkte der Untersuchung wurden zwei örtliche Sprechergemeinschaften in Südfrankreich und in Süditalien gewählt, die jeweils durch den vertikalen Kontakt von Französisch und Okzitanisch bzw. von Italienisch und italoromanischem (in diesem Fall: von apulischem) Dialekt geprägt sind, und die hier kurz vorgestellt werden sollen. In Südfrankreich handelt es sich hierbei um die benachbarten Gemeinden Paunat (ca. 200 Einwohner) und Sie. Alvère (ca. 750 Einwohner), die administrativ dem Kanton Ste. Alvère, damit dem Arrondissement Bergerac und damit dem Département Dordogne zuzurechnen sind, also der historischen Region Périgord. In geolinguistischer Hinsicht gehört der okzitanische Basisdialekt dieser Orte, die im Übergangsgebiet vom Bergeracois zum Sarladais gelegen sind, zum Bereich des Languedocien occidental, damit zum Occitan central und damit wiederum zum Occitan méridional (cf. Bec 1973, 22-23). Die Nordgrenze der Gemeinde Ste. Alvère stößt darüber hinaus an die Dialektgrenze zwischen Limousin und Languedocien, die hier mit jener zwischen Nord- und Zentralokzitanisch übereinstimmt (cf. Bec 1978,37-39; Guillaumie 1927, 15 und 40-43 [= Karten 4-7]). Die in Süditalien zum Gegenstand gewählte Ortsgemeinschaft ist die Stadt Canosa di Puglia (ca. 30.000 Einwohner), im zentralen Teil der Region Apulien in der Provinz Bari und hart an der Provinzgrenze zur
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Provinz Foggia gelegen (cf. Stehl 1980, LXIV-LXXIV). Hinsichtlich der geolinguistischen Zuordnung gehört der örtliche Basisdialekt, unmittelbar an der Sprachgrenze zu den foggianischen Dialekten gelegen, zu den nördlichen baresischen Dialekten, damit zu den nord- und mittelapulischen, die ihrerseits innerhalb der mundartlichen Großgliederung Süditaliens (cf. Stehl 1980, 3-9) zur sogenannten Nordzone (mit .neapolitanischem' Vokalsystem) gehören (cf. noch Stehl 1980, 281-288). Bei aller Verschiedenheit dieser Orte hinsichtlich ihrer Größe, hinsichtlich der geographischen und geolinguistischen Zugehörigkeiten wie auch der räumlichen Ausdehnung und der kommunikativen Vitalität des jeweiligen Basisdialekts, entsprechen beide genannten Ortsgemeinschaften zwei für die Untersuchung als entscheidend angesehenen Kriterien: der jeweilige Basisdialekt ist in der örtlichen Alltagskommunikation noch ausreichend vital, um im Bewußtsein der Sprecher einen erkennbaren sprachlichen Kontrast zu der jeweiligen dominanten Standardsprache darzustellen; darüber hinaus liegen beide Orte im unmittelbaren Grenzbereich zwischen zwei größeren Dialektgebieten. Die besondere Eignung solcher Orte für die Variationsanalyse ergibt sich zum einen aus der dialektologischen Erfahrung, die Karl Jaberg (1954/55, 28) treffend formuliert hat: „Mundartgrenzen sind Verwerfungsspalten, in die gemeinsprachliche und regionale Formen besonders leicht einsickern"; zum anderen läßt eine solche geolinguistische Grenzlage a priori eine gewisse Sensibilität der Sprecher hinsichtlich der Klassifikation eigener sprachlicher Zugehörigkeit und der Abgrenzung zum Nachbargebiet vermuten, und damit auch eine ausgeprägte individuelle und soziale Erfahrung bezüglich der Erkennung eigener und fremder Variationstechniken: auf diesem Wege ist es möglich, die Sprecher- und sprachgemeinschaftsseitige Klassifikation nicht nur des .vertikalen' Kontaktes zwischen Standardsprache und Dialekt, sondern auch des .horizontalen' Sprachkontaktes zwischen zwei Dialektgebieten zu überprüfen (cf. hierzu auch Scherfer 1983, 144-158). 2.4. Für die Datenerhebung in diesen Sprechergemeinschaften war davon auszugehen, daß für eine angemessene und umfassende Beschreibung nun auch andere, psycholinguistische und pragmalinguistische Daten gleichberechtigt neben den traditionellen dialektologischen Daten zu erheben waren. Vor allem die Erhebung der pragmatischen Daten erfordert ein Umdenken und eine methodologische Neuorientierung in der empirischen Arbeit: man muß hier über die in den 70er Jahren übliche Überprüfung der Domänenverteilung zwischen Dialekt und Standard erheblich hinausgelangen und Verfahren der metalinguistischen Interviewtechnik so weit verfeinern, daß man über
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die Analyse der Variationstechniken und der Klassifikation der Kontaktzone auf seiten der befragten Sprecher hinaus letzten Endes zur Identifizierung des sprecherseitigen Sprachwissens, gewissermaßen zur ,benutzerseitigen Sprachwissenschaft' vordringen kann, die die Basis für die metalinguistische Steuerungsebene des sprachlichen Verhaltens darstellt. - Ganz allgemein in diese Richtung weisende empirische oder empirie-orientierte Arbeiten (cf. etwa Werlen 1984, Goebl 1986; für den französischen Sprachraum z. B.: Scherfer 1983; für Italien z. B.: Galli de' Paratesi 1977, 1982, 1984) lassen - bei allem Erfolg der Erhebungsmethoden im Einzelfall - erkennen, daß bis zur Absicherung einer empirischen Methode, die metalinguistische und sprachliche Daten in ihrer gegenseitigen Verknüpfung adäquat erfaßt, die somit in gleicher Weise psycholinguistischen wie systemlinguistischen Fragestellungen gerecht wird, noch einiges an Entwicklung von Befragungsmethoden und ihrer Überprüfung in der Empirie aufzuholen ist. Die bisher in den beiden örtlichen Sprachgemeinschaften in Frankreich (seit 1983) und Italien (seit 1980) durchgeführten Erhebungen trugen angesichts der Probleme vor allem für eine pragmatisch orientierte Variationsanalyse von ihren Anfängen an experimentellen Charakter gerade in diesem Bereich und waren deshalb einerseits auf eine progressive Korrektur der Erhebungsmethoden, andererseits aus eben diesem Grund auf eine Langzeitanalyse ausgerichtet. - Die Erhebung der auch in der jeweiligen dialektologischen Literatur gut dokumentierten Basisdialekte erfolgte mit Hilfe des Questionnaires des italienischen Sprachatlas (cf. Jaberg/Jud 1928, 144-174) jeweils in der ältesten Generation von zwei Sprecherfamilien; angesichts der Mängel des Questionnaires des ALF (cf. hierzu Pop 1950, 119-120) wurde hierfür der AIS-Questionnaire ins Französische übertragen, nicht zuletzt, um den unterschiedlichen Stand lexikalischen Wissens im Basisdialekt vergleichen zu können. Danach wurden die jeweils beiden Familien mit insgesamt jeweils 12 bis 15 Sprechern für die Variations- und Interferenzanalyse (cf. 3.2.-3.3.) herangezogen. Grosso modo übertrifft in diesen Familien (im galloromanischen Teil) in der Großeltern- und (im italienischen Teil auch in der) Elterngeneration jeweils die Dialektkompetenz jene in der Standardsprache, während sich dieses Verhältnis in der Kinder- und Enkelgeneration entsprechend umkehrt: mehr oder weniger regionalisierter Standard ist hier die Basis für die Alltagskommunikation geworden (cf. hierzu Stehl 1987,411-412; Stehl [im Druck d], Kap. 4). In einer ersten Phase wurde von jedem Sprecher ein freier Monolog über ein persönliches Erlebnis oder eine ihm besonders im Gedächtnis haften gebliebene Begebenheit aufgenommen, dies jeweils im Dialekt und im Standard, wobei die Reihenfolge dem Sprecher
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überlassen blieb. Bereits dieser Teil der Aufnahmen forderte den Sprechern erstaunlich viel Selbstüberwindung ab: die Version in dem aus Sprechersicht weniger gut beherrschten Kontaktextrem verursachte den sensibleren Sprechern sichtliche Probleme gegenüber dem Enquêteur, gerade weil den wenigsten ,reine' Versionen ohne Code-switchings und Code-mixings gelangen, wie es auch der Realität der Alltagskommunikation (vor allem in Süditalien, weniger in Südfrankreich) entspricht. Im Anschluß an diese Aufnahmen wurden die Texte mit den Sprechern abgehört, die Kommentare und Antworten auf Fragen nach den Motiven für die einzelnen Switchings und Mixings auf einem zweiten Tonbandgerät aufgenommen. Ein danach gleichfalls mitgeschnittenes Interview mit ca. 60 Fragen zu den Einstellungen gegenüber Dialekt und Standard, zum Sprachverhalten und zu den individuellen Variationstechniken und Präferenzen im Gefüge des vertikalen Kontaktes schloß sich an. Kernstück dieses metalinguistischen Questionnaires waren Fragen zur kontaktlinguistischen und geolinguistischen Prototypenklassifikation (cf. 3.3.) der einzelnen Sprecher. Ein Teil der Fragen dieses Interviews wurde aus der Untersuchung zum Sprachbewußtsein von Patois-Sprechern in der Franche-Comté von Peter Scherfer (1983, 99-100, 139-143) übernommen. Generell läßt sich als Erfahrung nach diesen Aufnahmen feststellen, daß der Grad an Aussagebereitschaft und Offenlegung der metasprachlichen Entscheidungsprozesse direkt proportional zum Grad der Bekanntschaft und Vertrautheit zwischen Enquêteur und interviewtem Sprecher ist; aufgrund länger dauernder Kenntnis der Sprechergemeinschaften in Süditalien seit 1973 (cf. Stehl 1980, LX-LXII), und nicht zuletzt auch wegen der im Vergleich mit dem französischen Umfeld größeren sprachlichen Ungezwungenheit, gelang es hier, ab 1983 sporadisch auch die ,freie' Kommunikation im Familienkreis aufzunehmen. Aufgrund persönlicher Bekanntschaften ergab sich schließlich in Canosa di Puglia auch die Möglichkeit, mehr oder weniger regelmäßig Stichproben zum Sprachverhalten in einer Kontrollgruppe von ca. 40 bis 60 Sprechern durchzuführen. Eine anders geartete Kontrollfunktion übernahm in den okzitanischen Sprechergemeinschaften die Großelterngeneration, die die okzitanischen Texte jeweils aller anderen Sprecher der Familie zur Beurteilung der Normadäquatheit und zur Überprüfung auf Interferenzen des Französischen abhörte.
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3. Anforderungen an die Analyse-Methode: kontaktlinguistisch, funktional, pragmatisch 3.1. Eine wesentliche Anforderung an eine Analyse-Methode, die den in 1.3. genannten Zielen gerecht wird, ist die der Erarbeitung eines kontaktlinguistischen Beschreibungsansatzes. Dies bedeutet, daß die Detailanalyse der jeweiligen Kontaktzone zwischen den Extremen der dominanten (Standard-)Sprache und der rezessiven (Regional-)Sprache eine Schlüsselstellung einnimmt: der diffus mit dem Terminus .Umgangssprache' bezeichnete Bereich wird also folgerichtig als kontaktsprachliche „zone interlectale" (cf. Prudent 1981,34) untersucht. Nur eine konsequente Behandlung dieser interlektalen Zone als in der Synchronie ,senkrecht' gestaffelte Pluriglossie eines vertikalen Sprachkontaktes erscheint den derzeitigen kommunikativen und sprachlichen Realitäten in der Zentralromania angemessen. Hierbei erweist es sich als notwendig, zwischen den psycholinguistischen, soziolinguistischen und pragmatischen .Bedingungen' des Sprachkontakts, also den individuell, sozial, funktional, situativ und thematisch bestimmten Variationsmechanismen einerseits und den materialsprachlichen Auswirkungen' des Sprachkontakts, also den Interferenzen andererseits zu differenzieren (zur Unterscheidung von Pragmatik und Linguistik der sprachlichen Variation cf. 5.1.1.). - Als eine zentrale Frage der kontaktlinguistischen Dimension des Ansatzes stellt sich das Problem, ob die interlektale Kontaktzone angemessener als ein Kontinuum kommunikativer und sprachlicher Strukturen und Einheiten oder als Gradation voneinander distinkter Techniken (cf. hierzu Coseriu 1973, 27-33) auf den Ebenen des Sprecherbewußtseins und der Sprachdaten zu beschreiben ist (cf. Stehl 1988 b). Schließlich erfordert der kontaktlinguistische Blickwinkel ein insgesamt genauer zu fassendes Verhältnis der pragmatischen und der linguistischen Analyse von Synchronie, mikrodiachronischer Dynamik und Diachronie der einzelnen Kontaktextreme, ihres Verhältnisses zueinander in der Kommunikation, wie auch vor allem der interlektalen Zone als Hauptgegenstand einer historisch orientierten Kontaktlinguistik. 3.2. Als unabdingbar wird eine funktionale Analyse der sprachlichen Variation in vertikalen Kontakten erachtet. Mit funktionaler Analyse' können mehrere Grundpositionen bezeichnet werden, als deren gemeinsame Orientierung die Bezugnahme auf die Erkenntnisse des europäischen Strukturalismus Prager Provenienz und ihrer Weiterentwicklung in der strukturellen Linguistik Eugenio Coserius zu werten ist (cf. Coseriu 1973, 9-47; 1974, 1975, 1980, 1981). Brigitte Schlieben-
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Lange und Harald Weydt (1978, 1981) haben auf dieser Basis Ansätze einer pragmatischen Orientierung in der Dialektologie und zu einer funktionalen Variationslinguistik vorgestellt, die das Schwergewicht auf dynamische und interaktive Aspekte der funktionalen Sprachwissenschaft legen. Auf diese Arbeiten nimmt der hier diskutierte Ansatz explizit Bezug. In diesem Zusammenhang bezieht sich .funktional' auf die kommunikative Leistung von Varietäten innerhalb einer historischen Sprache, fragt die funktionale Analyse' also nach der Funktion der Variation im synchronischen Funktionieren und im diachronischen Wandel einer historischen Sprache ebenso wie nach der Funktion der Interferenzen in dem Sprachsystem, das dem jeweiligen Sprechen im Sprachkontakt zugrunde liegt. Damit setzt sich die funktionale Analyse in unserem Sinne bewußt von einer quantitativen Variationsgrammatik ab, die Variation als Ausdruck kommunikativen Handelns und Interferenz als ihr sprachliches Resultat überwiegend unter dem Aspekt ihres materiellen Auftretens und ihrer quantitativen Distribution in sozialen Gruppen und/oder in verschiedenen Kommunikationssituationen untersucht: neben der Frage nach der Frequenz und der Substanz sprachlicher Strukturen und Einheiten ist jene nach ihrer Form zu stellen, also nach ihrer Funktion innerhalb des sprachlichen Systems (cf. Weydt/Schlieben-Lange 1981, 126-129); es sind somit Informationen zu beschaffen, „die direkt mit der Funktion der Sprache als distinktivem System zusammenhängen, das menschliche Kommunikation ermöglicht" (Weydt/Schlieben-Lange 1981, 129). Dies erfordert eine angemessene Berücksichtigung der qualitativen Unterscheidungen der strukturellen Linguistik (,Architektur' - ,Struktur'; ,Langue' - Carole'; ,System' - ,Norm'; ,Form' - .Substanz'), damit es möglich wird, durch Untersuchung funktioneller Strukturen „das Netz der relevanten, distinktiven Funktionen, die dem jeweiligen Sprechen zugrundeliegen, zu identifizieren und zu beschreiben" (Weydt/Schlieben-Lange 1981, 132). Eine funktionale Interferenz-Analyse hat als Ziel der Beschreibung also die oppositiven Strukturen, die die jeweiligen Sprechakte systemlinguistisch als Ausdruck von individuell und sozial stabilisierten ,Interferenztechniken' konstituieren; sie geht von einer strukturalistischen Analyse der Kontaktextreme aus, überprüft die Interferenzen in den Gliederungsbereichen von Phonetik/Phonologie, Grammatik und Wortschatz auf ihre Funktion in den Ebenen von System, Norm und Rede und gelangt auf diese Weise zu einer Differenzierung der materialsprachlichen Seite der Kontaktzone in verschiedene Interferenztechniken.
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3.3. In der Analyse der sprachlichen Variation in vertikalen Kontakten ergibt sich sodann die Notwendigkeit einer pragmatischen Orientierung. Ohne sich dabei auf bestimmte Traditionen oder Sichtweisen der linguistischen Pragmatik (cf. Schlieben-Lange 1979,11-22) festlegen zu lassen, legen die kommunikativen und sprachlichen Gegebenheiten in vertikalen Kontakten (nicht nur) in der Zentralromania (wie schon oben unter 3.1. angedeutet) die Annahme nahe, daß analog zu der sprachlichen Ebene der Interferenz eine kommunikative, pragmatische Ebene der Variation konstitutiv für das Funktionieren der Kommunikation in Sprachkontakten ist und dementsprechend den Gegenstand einer funktionalen Variations-Analyse bildet, die gleichberechtigt und interdependent neben die o. g. Interferenz-Analyse der sprachlichen Strukturen und Einheiten zu treten hat. Pragmatische Aspekte der Variation in Sprachkontakten sind vor allem zu suchen in den soziolinguistischen, individual- und sozialpsychologischen Bedingungen der Verwendung bestimmter Varietäten, in der Kombination bestimmter Interferenzen in individuell und sozial stabilisierten .Variationstechniken', in all den soziale und sprachliche Kommunikation konstituierenden metasprachlichen Steuerungsmechanismen, mit denen die Sprecher mehr oder weniger bewußt ihre je situationsbedingte Auswahl aus den ihnen zur Verfügung stehenden sprachlichen Mitteln bis hin zu ihrer Hierarchisierung in der Diachronie durch Prozesse von Neuerung und Übernahme treffen (cf. Coseriu 1974, 58-93). Zu den vordringlichen Aufgaben einer funktionalen Variations-Analyse gehört mithin die Erfassung und Identifizierung funktionaler Elemente, oppositiver Strukturen und kommunikativer Funktionen des jeweiligen Variationsverhaltens; dies betrifft die soziolinguistischen Rahmenbedingungen (wie soziale Zugehörigkeiten, Alter, Geschlecht, Schulbildung, soziokulturelle Identität, soziale Rolle) ebenso wie die pragmatischen Determinanten des jeweiligen Sprachverhaltens (etwa Partner, Zweck, Situation, Thema, psychosoziale Konstellation und Psychodynamik der Kommunikation). Dies betrifft ferner jedoch vor allem die individual- und sozialpsychologisch motivierte, sprecherseitige (und sprachgemeinschaftsseitige) Klassifikation des Sprachkontakts nach mehr oder weniger klar distinkten Variationstechniken auf der Basis individueller Prototypen- und sozialer Stereotypenvorstellungen. Hier ist auch das Bindeglied zwischen der Variations-Analyse und der Interferenz-Analyse (cf. 3.2.) zu sehen: Variationstechnik und Interferenztechnik bedingen sich gegenseitig insofern, als die eine die Basis der anderen ist und die andere die materielle Seite der ersteren ist. Es stellen sich damit etwa Fragen wie: „Wie gestaltet sich die psycho-
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linguistische Konstitution der Variationstechniken und des Sprachkontakts?" - „Wie gestaltet sich auf dieser Basis die materialsprachliche Konstitution der Interferenztechniken und des Sprachkontakts?" „Wie wirkt sich eine bestimmte Sprachdatenkombination in der Kommunikation aus?" - „Welche pragmatischen Reaktionen und sprachlichen Realisierungen hat sie zur Folge?", usw. - Es ist also notwendig, den systemlinguistischen Realisierungen des je aktuellen Kommunikationssystems (Variationstechnik) ebenso Rechnung zu tragen wie den kommunikativen Leistungen des je aktuellen Sprachsystems (Interferenztechnik); nur, wenn man die Fragen nach den funktionellen Einheiten auch ,über Kreuz' stellt, wird die wechselseitige Bedingtheit von kommunikativer Strategie und sprachlicher Realisierung einerseits, von materialsprachlicher Gestalt und kommunikativer Rückwirkung beim Hörer andererseits deutlich.
4. Bemerkungen zum Stand der Forschung 4.1. Wenn man nach Überprüfung der vorhandenen Theorieansätze und entsprechender Erfahrungen in der Empirie zu der Überzeugung gelangt ist, daß ein adäquater Ansatz für die Beschreibung der Variation zwischen Dialekt und Standard in der Zentralromania - wie oben beschrieben - kontaktlinguistisch (3.1.), funktional (3.2.) und pragmatisch (3.3.) orientiert sein sollte und darüber hinaus diesen genannten Aspekten möglichst gleichgewichtig Aufmerksamkeit zu schenken habe, dann ist einerseits der Aufgabenrahmen (zwar notwendig, aber doch) bis zum kritischen Maße weit gespannt, andererseits ergibt sich dann zwingend die Notwendigkeit, die bisherige Forschung in diesem Bereich einer Überprüfung aus dem Blickwinkel konstruktiver Kritik zu unterziehen. Es wäre zu einfach, wenn man dem einen oder anderen Beschreibungsansatz die Vernachlässigung des einen oder anderen der erwähnten Aspekte vorwerfen würde, um auf diese Weise die gewiß bestehende Lücke in der Forschung nachzuweisen: den sprachlichen Verhältnissen nicht unähnlich, unterliegen auch die sie beschreibenden Forschungsrichtungen einer Dynamik, die es insgesamt nachzuvollziehen gilt, bevor man einen auch nur begrenzten Richtungswechsel unternimmt. Aus diesem Grund sei hier nach einer globalen Beurteilung des Diskussionsstandes in der mit sprachlicher Variation beschäftigten Linguistik (4.2.) lediglich auf einige aus meiner Sicht grundsätzliche Desiderate für die Variationslinguistik vor allem der Galloromania und der Italoromania (4.3.) eingegangen. Diese ergeben sich m. E. aus einer Dynamik, in der nach der Soziolinguistik-Euphorie und der fast ebenso
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euphorisch anmutenden ,Entdeckung' der Möglichkeiten quantitativer Methoden gesicherte Traditionen der positivistischen Sprachwissenschaft und der strukturellen Linguistik in eine Vergessenheit zu geraten drohen, die das Risiko eines methodologischen Rückschritts in sich birgt. Gerade die aus Fragestellungen und Erkenntnissen der Patholinguistik (cf. etwa Peuser 1977, bes. 164-166) und der Psycholinguistik (cf. etwa List 1973,15 seqq., 80-90; Hörmann 1981, 83-101) ersichtliche Aufeinanderbezogenheit von mentalen Strukturen, kognitiven und kommunikativen Prozessen und sprachlichen Strukturen verdeutlicht eine seit de Saussure in der allgemeinen Sprachwissenschaft latente Aufgabenstellung, die in der (historischen) romanistischen Linguistik noch nicht ausreichend wahrgenommen wurde, geschweige denn zu einer entsprechenden Nutzung des Kapitals der strukturalen Sprachwissenschaft geführt hätte: „Au fond, tout est psychologique dans la langue, y compris ses manifestations matérielles et mécaniques, comme les changements de sons; et puisque la linguistique fournit à la psychologie sociale de si précieuses données, ne fait-elle pas corps avec elle?" (de Saussure 1982, 21 ; cf. vor allem auch ibid., 32-35). Diese Aufgabenstellung bleibt für die historische romanische Sprachwissenschaft solange bestehen, solange nicht - auch und gerade in dem hier (3.1.-3.3.) skizzierten Bereich der Variationsanalyse - die nach Hörmann (1981, 25) „so beruhigend klare (und für die Forschung und die Theoriebildung so hinderliche) Grenzziehung zwischen Linguistik und Sprachpsychologie aufgehoben" wird. In wenigen Bereichen der romanischen Sprachwissenschaft wird die sich hieraus ergebende Notwendigkeit der Fortentwicklung der strukturellen Linguistik so klar erkennbar wie in jenem der sprachlichen Variation in vertikalen Sprachkontakten. 4.2. Bei einer zunächst globalen Betrachtung des Diskussionsstandes in der mit Variation beschäftigten Linguistik zeigt sich eine in den letzten Jahren immer deutlicher werdende Schwerpunktverlagerung von einer strukturorientierten Systemlinguistik hin zu einer kommunikationsorientierten Variationslinguistik (mit allen - wie oben gezeigt - nicht immer nur positiven Aspekten). Im Zuge dieser Umorientierung haben sich die Arbeiten zu den sprachlichen Varietäten, zur Kreolistik, Kontakt- und Stratalinguistik, zur Kommunikations- und Gesprächsanalyse vervielfacht. Wichtige Ausgangspunkte für diese Arbeiten waren u. a. quantitative Forschungsansätze amerikanischer Soziolinguisten (vor allem Labov) und Kreolisten wie Bickerton und De Camp (cf. hierzu Weydt/Schlieben-Lange 1981, 117-120, 126-129), die in Europa in un-
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terschiedlicher Weise aufgegriffen, modifiziert und weiterentwickelt wurden. Derzeit stehen in der germanistischen Variationslinguistik neben einer sehr lebendigen Theoriediskussion (cf. Mattheier (ed.) 1983) sprachsoziologische und pragmalinguistische Ansätze im Vordergrund, die im Rahmen der kommunikativen Dialektologie (cf. Scheutz/Haudum 1982, Reichmann 1983, Stehl 1988 a) die sozialen Verwendungsbereiche von Kontaktsprachen und Varietäten untersuchen und den Bedingungen ihrer Verwendung in bestimmten sozialen Kontexten und Kommunikationssituationen nachgehen (cf. Besch (ed.) 1981 ; 1983; Mattheier 1980). Die Kreolistik hat in den letzten Jahren nicht nur in der romanischen Sprachwissenschaft (cf. etwa Cellier 1985, Fleischmann 1986, Kremnitz 1983, Neumann 1985, Stein 1982, 1984) einen bemerkenswerten Aufschwung erfahren (cf. Ureland (ed.) 1982, Boretzky 1983, Hellinger 1985); hierbei geht es zunehmend um das Problem der kreolischen Sprachgenese als Folge eines von Derek Bickerton (zuerst 1981 ; cf. auch 1984) vertretenen universalen „Bio-program" oder als Resultat von diachronisch hierarchisierten Sprachkontakten (Substrathypothese; cf. hierzu Muysken/Smith (edd.) 1986, Stolz 1986), wie es ähnlich in unserem Bereich (cf. 2.1.-2.3.) festzustellen ist (cf. hierzu auch Stehl [im Druck b]). Im Bereich der romanischen Sprachwissenschaft läßt sich daneben eine Modernisierung' und Intensivierung klassischer romanistischer Themen und Fragestellungen verzeichnen: hierzu gehören das Verhältnis von gesprochener und geschriebener Sprache (cf. Stimm (ed.) 1980, Söll/Hausmann 1985; Holtus/Radtke (edd.) 1985) und die Problematik sprachlicher Normen (cf. Gueunier/Genouvrier/Khomsi 1978) ebenso wie Probleme der Zweisprachigkeit durch Migration und der sprachlichen Integration (cf. Lüdi/Py 1984, 1986), des Sprachbewußtseins, der Sprechereinstellungen (cf. Dittmar/Schlieben-Lange (edd.) 1982, Scherfer 1983) und des Bilinguismus (cf. Lüdi (ed.) 1987). Im Kontext der Untersuchung von Diglossie und Plurilinguismus, der zumal im Bereich der Katalanistik und Okzitanistik nur noch schwer zu überschauen ist (hier sind als Orientierungshilfen die Sammelbände Kremnitz (ed.) 1979 und 1982 von großem Nutzen), wurde schließlich der Mehrsprachigkeit (Manessy/Wald (edd.) 1979), der kontaktlinguistischen und diskursanalytischen Soziolinguistik (Gardin/ Marcellesi (edd.) 1980) und der Frage der Herausbildung der français régionaux (cf. Taverdet/Straka (edd.) 1977, Straka 1983) und der italiani regionali (cf. Holtus/Radtke 1983; L'Italiano regionale [im Druck]) verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet.
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Da sich schließlich Phänomene der sprachlichen Variation empirisch kaum anders als in überschaubaren Sprechergemeinschaften untersuchen lassen (cf. auch 2.4.), ist in den letzten Jahren die Ortssprachenforschung, die gerade in der Romanistik auf eine lange Tradition zurückblicken kann (cf. Dittmar/Schlieben-Lange 1982,53-64; Stehl [im Druck c]), wieder verstärkt in den Mittelpunkt des Interesses von Germanisten (cf. Bausch (ed.) 1982, Besch/Mattheier (edd.) 1985, Holtus [im Druck]) und Romanisten gerückt (cf. Grassi 1985, Cortelazzo (ed.) [im Druck]). 4.3. Bei aller Intensität der Forschung in der Variationslinguistik lassen sich - immer aus dem Blickwinkel einer an den Kriterien 3.1.-3.3. orientierten funktionalen Variationsanalyse - einige Desiderate und Forschungslücken aufweisen. Brigitte Schlieben-Lange und Harald Weydt (1978) haben deutlich auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung pragmatischer Fragestellungen in der Dialektologie hingewiesen; dabei hat Brigitte SchliebenLange (1980, 61) auch erkennen lassen, daß erst eine pragmatische Orientierung, die gleichzeitig den funktionalen Aspekten der Kommunikation (cf. 3.2.) gebührend Rechnung trägt, zu einer „Dynamisierung der Sprachbetrachtung" beitragen kann. - Gerade an der konsequenten Fortentwicklung der funktionalen Sprachbetrachtung aber hat es bis heute in der Variationslinguistik gemangelt, wie es wiederum Brigitte Schlieben-Lange und Harald Weydt (1981) überzeugend nachgewiesen haben. So, wie Brigitte Schlieben-Lange (1980) berechtigt gegen allzu statische Einteilungen und Konzepte von Variationen- und Sprachenwahl in der Soziolinguistik der 70er Jahre Stellung bezieht, so haben sie und Harald Weydt (1981,119-125) recht behalten, wenn sie (ibid., 119-120) vor einer Vermengung warnen von „dem, was zur Sprache gehört (Sprachbewußtsein und Sprachverhalten) und dem, was nicht zur Sprache gehört, sondern zur Sprachwissenschaft und zu ihren Beschreibungstechniken". Die seit mehr als einem Jahrzehnt geführte Diskussion um Bezeichnung und Bedeutung sprachwissenschaftlicher Termini wie ,Umgangssprache' (Bichel 1973), ,Soziolekt' (Kubczak 1979), ,Italiano popolare' (Radtke 1979, 1981; Berruto 1983a, 1983b; Ernst 1981), .Français régional' (Straka 1977, 1983) u. ä. gehört so ohne Zweifel zur Sprachwissenschaft und zu ihren Beschreibungstechniken, aber nur begrenzt zur Sprachbeschreibung selbst. So notwendig und nützlich diese Diskussionen für die Bildung eines Problembewußtseins bei Linguisten sind, sie blieben doch steril, wenn sie nicht beständig einer empirischen Überprüfung in konkreten Sprechergemeinschaften und Kommunikationssituationen unterzogen würden. Gerade hier aber
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mangelt es an entsprechender empirischer Fundierung der Diskussionen, worauf Günter Holtus und Edgar Radtke (1983, 14-15) für den Bereich der Italianistik hingewiesen haben, und was auch innerhalb der Galloromanistik nicht der Aufmerksamkeit entgangen ist: nach einer metalinguistischen Debatte mit historischem Stellenwert um „Entfremdung, Selbstbefreiung und Norm" (Kremnitz (ed.) 1982) gerade im Bereich der Okzitanistik kommt man nicht um die fast resignierende Feststellung herum, daß man bezüglich der empirischen Erforschung der français régionaux geradezu noch am Anfang stehe: "Aujourd'hui encore nous ne sommes qu'au début de la recherche dans ce domaine" (Straka 1983, 66). - Ein Ende dieser Empirie-Abstinenz läßt sich aus der kurzfristigen Verbesserung der Korpuslage zum gesprochenen Französischen ablesen, die Franz-Josef Hausmann als Bearbeiter von Ludwig Sölls bekanntem Handbuch von der zweiten Auflage (1980, 15, 50-53, 200) zur dritten Auflage (1985, 12-15, 50-53) feststellen kann, während Edgar Radtke (1985, XVII-XIX) die Korpuslage zum gesprochenen Italienischen noch als ähnlich unbefriedigend beurteilt wie Hausmann die zum Französischen fünf Jahre zuvor. - Es steht zu erwarten, daß die Diskussionen um die Bezeichnungen, terminologischen Abgrenzungen und Überschneidungen von Varietäten in der Zentralromania relativiert werden, wenn man sich wieder verstärkt der empirischen Erfassung und den Problemen der funktionalen Beschreibung von sprachlichen Variationssituationen zuwendet und dabei die pragmatischen Dimensionen und kontaktlinguistischen Aspekte dieser Situationen entsprechend ihrer Bedeutung in die Beschreibung einbezieht. - Die Beseitigung des noch bestehenden Mangels an empirischen Arbeiten, die sich dieser Aufgaben annehmen, stellt somit, zusammen mit einer konsequenten Berücksichtigung funktionaler Aspekte in der Sprachbeschreibung, das dringendste Desiderat für die romanistische Variationslinguistik der kommenden Jahre dar.
5. Begriffliches Instrumentarium einer funktionalen Analyse der Variation in der Zentralromania Vor dem Hintergrund der in 4.3. skizzierten Forschungsdesiderate sei im folgenden das begriffliche Instrumentarium einer an den Kriterien 3.1.-3.3. orientierten funktionalen Variations-Analyse vorgestellt, das sich im Verlauf der in 2.3. und 2.4. skizzierten empirischen Untersuchungen in Südfrankreich und Süditalien als zweckmäßig erwiesen hat ; es bezieht sich also zunächst auf sprachliche Situationen vertikalen und konvergenten Kontaktes, in denen das dominierte, regressive Idiom
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noch ausreichend vital ist, um als Gegenpol im Kontakt zu fungieren. Von dieser Basiskonstellation ausgehend, läßt es sich aber auch auf die anderen in 2.2. genannten Erscheinungsformen vertikaler Kontakte übertragen. Zur Illustration der einzelnen unterschiedenen Kategorien wird bei der Darstellung auf erste Ergebnisse der eigenen Aufnahmen zurückgegriffen. Unter den für die Beschreibung zu treffenden Unterscheidungen sind drei von konstitutiver Bedeutung für die gesamte Analyse-Methode: Pragmatik und Linguistik der sprachlichen Variation (5.1.1.), Synchronie und Diachronie (5.1.2.), Architektur (der historischen Sprache) und Struktur (der funktionellen Sprache) (5.1.3.). 5.1. Notwendige Vorunterscheidungen 5.1.1. Wie bereits in 3.1. und 3.3. angedeutet, ist vor allem die Untersuchung der metasprachlichen, individual- und sozialpsychologischen Steuerungsebene des kommunikativen Handelns und des sprachlichen Verhaltens (d. h. der Auswahl der sprachlichen Mittel der einzelnen Sprecher und der Sprachgemeinschaft) zu trennen von jener der materialsprachlichen Auswirkungen des jeweiligen Kommunikationsverhaltens im Sprachkontakt. Hierbei betrifft die Pragmatik der Variation die in 3.3. genannten psycholinguistischen und soziolinguistischen Rahmenbedingungen, die unmittelbar mit den pragmatischen Bedingungen und Determinanten des Kommunikationsprozesses korrelieren, und zum anderen die pragmatischen, metasprachlichen Determinanten des jeweiligen kommunikativen Handelns selbst. Gegenstand der Pragmatik der Variation sind also sowohl die psycholinguistischen Grundbedingungen in der Sprechergemeinschaft hinsichtlich der Klassifikation des Sprachkontaktes und alle klassischen Fragestellungen der Soziolinguistik nach der Funktion der sozialen Charakteristiken des jeweiligen Sprechers für sein sprachliches Verhalten, als auch die unmittelbar für den jeweiligen Kommunikationsprozeß und die Wahl der sprachlichen Mittel relevanten pragmatischen Aspekte der Kommunikation. Gegenstand der Linguistik der Variation ist demgegenüber das materialsprachliche Resultat der mehr oder weniger bewußten (und mehr oder weniger freien) Auswahl (,Variation') der Sprecher unter den ihnen zur Disposition stehenden sprachlichen Mitteln: Aufgabe der Variationslinguistik ist somit die ,klassische' funktionale und strukturelle Beschreibung der in Kontakt stehenden expansiven Sprache und des regressiven Dialekts und vor allem der zwischen beiden auftretenden Interferenzen und Interferenztechniken.
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5.1.2. Wichtig ist die Basisunterscheidung von Synchronie und Diachronie. Die in der Synchronie beobachtbaren Variationenwahlen und Interferenzen und der von der diachronischen Sprachbetrachtung erst a posteriori feststellbare Sprachwandel bedingen sich gegenseitig insofern, als sie in Situationen des Sprachkontaktes unterschiedliche Aspekte der sprachlichen Entwicklung kennzeichnen: die synchronische Variation beinhaltet bereits die Elemente, die in der Diachronie fortgesetzt werden, und der Sprachwandel ist gewissermaßen die .historisch hierarchisierte Variation': in ihm läßt sich erkennen, welche Elemente der synchronischen Variation sich letztlich für die Sprechergemeinschaft als die diachronisch zweckmäßigsten erwiesen haben (cf. hierzu auch Coseriu 1974, 206-247). Dieser diachronischen Hierarchisierung von pragmatischen und sprachlichen Elementen des vertikalen Kontaktes und damit seiner Mikro-Diachronie gilt das Hauptinteresse einer empirischen Untersuchung von Sprechergemeinschaften (cf. 2.3.-2.4.). Die Makro-Diachronie vertikaler Sprachkontakte betrifft dagegen die Aufeinanderfolge von primären, sekundären und tertiären Dialekten- im Gesamtgefüge einer historischen Sprache, wie sie Coseriu (1980, 113-114) beschrieben hat. Hiernach ist die zur Zeit in der Zentralromania ablaufende Kontaktdynamik als die ,Substitution primärer durch tertiäre Dialekte' (also romanischer Basisdialekte durch neue Dialekte der Standardsprachen) zu bezeichnen. Eine weitere Dimension der Makro-Diachronie vertikaler Kontakte ist die Präsenz - und damit die Notwendigkeit des typologischen Vergleichs - prinzipiell gleichgearteter Kontakte mit nachfolgender Sprachgenese in der romanischen Sprachgeschichte: zu vergleichen sind also Kontaktbedingungen, Kontaktdynamiken und Konstitution der sprachlichen Resultate jener Kontakte, deren spätere Ergebnisse die romanischen Sprachen selbst, die romanischen Kreolsprachen sowie die français régionaux und italiani regionali sind (cf. hierzu Stehl [im Druck b]). 5.1.3. Von grundsätzlicher Bedeutung ist danach die Unterscheidung von Architektur (der historischen Sprache) und Struktur (der funktionellen Sprache). Bekanntlich ist die Architektur durch Diversität, Heterogenität gekennzeichnet, während die Struktur einer bestimmten .Technik der Rede', also einer syntopisch, synstratisch und synphasisch definierten (mehr oder weniger homogenen) funktionellen Sprache auf dem Prinzip der Opposition auf den Ebenen von System, Norm und Rede beruht (cf. Coseriu 1973, 27-44; 1976, 24-35). - Bezogen auf die vertikalen Sprachkontakte setzt sich diese Unterscheidung um in jene
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zwischen der .(heterogenen) Gradation ( = Architektur) der Kontaktzone' und der ,(homogenen) Struktur des Gradatums in der Kontaktzone'-. es wird also davon ausgegangen - und die bisherigen Ergebnisse der empirischen Überprüfung bestärken mich hierin (cf. Stehl 1987, [im Druck a], [im Druck d]) -, daß sich die interlektale Kontaktzone zwischen den Kontaktextremen aus mehr oder weniger klar voneinander distinkten ,Techniken der Rede' aufbaut (cf. hierzu auch Stehl 1988 b), Gradata also, für die jeweils die durch Opposition gekennzeichneten Ebenen von System, Norm und Rede konstitutiv sind. Verbindet man nun in der synchronischen Sprachbetrachtung die Unterscheidungen von Pragmatik der Variation und Linguistik der Variation (5.1.1.) mit der eben getroffenen zwischen Gradation der Kontaktzone und Struktur des Gradatums in der Kontaktzone, so ergibt sich eine Differenzierung dieses interlektalen Bereichs in Gradata, die sich als Variationstechniken oder als Interferenztechniken in der Kontaktzone erweisen; je nach Betrachtung aus pragmatischem oder linguistischem Blickwinkel ist die Kontaktzone des vertikalen Kontaktes also als (pragmatische) Variationszone oder als (linguistische) Interferenzzone zu untersuchen. Wie schon in 3.3. angedeutet, sind dabei die einzelnen Variationstechniken zu verstehen als innerhalb der Sprechergemeinschaft übliche, mehr oder weniger bewußte Handlungsmuster des Kommunikationsverhaltens und der Komposition sprachlicher Ausdrucksmittel aus den beiden in vertikalem Kontakt stehenden Idiomen. Ausgangspunkt dieser Variationstechniken sind individuelle Prototypen- und soziale Stereotypenvorstellungen, etwa von dem, was man aus der Sicht der Sprechergemeinschaft als 'bon français', 'français écorché', 'patois francisé', 'patois' bzw. als 'italiano corretto', 'italiano dialettale', 'dialetto civile' und 'dialetto schietto' zu bezeichnen pflegt (cf. hierzu noch 5.2.1.). Die einzelnen Interferenztechniken (cf. auch 3.2.) als das sprachliche Resultat der Variationstechniken sind zu verstehen als individuell und sozial habitualisierte, materialsprachliche Komposition von Strukturen und Einheiten der in Kontakt stehenden Idiome und der durch den Kontakt bedingten Interferenzen (cf. hierzu noch 5.2.2.). Auf der Ebene der Beschreibung entsprechen die Gradata der Kontaktzone in ihrer zweifachen Ausprägung als Variationstechniken und als Interferenztechniken der (syntopisch, synstratisch und synphasisch definierten) Funktionellen Sprache, die Gradation der Kontaktzone in ihrer zweifachen Ausprägung als (pragmatisch definierte) Variationszone und (linguistisch definierte) Interferenzzone der (durch diatopische, diastratische und diaphasische Diversitäten gekennzeichneten) Historischen Sprache im Sinne Coserius (cf. Coseriu 1973, 32-37).
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Mit der hier getroffenen Unterscheidung zwischen Architektur (Gradation) der Kontaktzone und Struktur des Gradatums ist auf das engste die Frage nach der Konzeption der Kontaktzone als Kontinuum im Sprecherbewußtsein und in den sprachlichen Strukturen oder als Gradation von auf beiden Ebenen distinkten Techniken verknüpft. Bereits aus der hier vorgestellten Terminologie ist ersichtlich, welcher Konzeption der Vorzug gegeben wird; die Notwendigkeit hierzu ergibt sich aus der Staffelung der Kontaktzone auf der pragmatischen wie auf der sprachlichen Ebene. Diese Staffelung entspricht den Verhältnissen in den von mir empirisch untersuchten Sprechergemeinschaften und Kontaktsituationen in Frankreich und Italien (cf. 2.3.-2.4.); hierauf wird in 5.2.1.-5.2.2. noch einzugehen sein. Die Staffelung der Kontaktzone in distinkte Techniken geht aber auch aus einer Reihe von Untersuchungen in der Occitania (cf. Gardy/Lafont 1981), in Italien (cf. Sgroi 1981), in Deutschland (cf. Scheutz/Haudum 1982,309; Besch (ed.) 1983), nicht zuletzt auch in kreolsprachigen Gebieten wie Martinique (cf. Prudent 1981, 34; Lefebvre 1976) und Mauritius (cf. Stein 1984, 109) hervor. Erkenntnis- und sprachtheoretische Beiträge ergänzen diese empirischen Befunde und erweisen die Vorstellung eines Kontinuums als eine Beobachterkategorie der Sprachwissenschaft, nicht jedoch als ein Faktum des Sprecherbewußtseins oder der sprachlichen Struktur (cf. Holenstein 1980, Stehl 1988 b). 5.2. Vier Dimensionen vertikaler Kontakte und ihrer Analyse Die in 5.1. getroffenen Basisunterscheidungen von Pragmatik und Linguistik der Variation, Synchronie und Diachronie, Architektur (Gradation) der Kontaktzone und Struktur der Gradata erfassen die metasprachlichen und sprachlichen Phänomene der vertikalen Kontakte im synchronischen Funktionieren und im diachronischen Wandel als homogene Kommunikationssysteme in ihrer Einbettung in die heterogene sprachliche Realität. Ordnet man diese Unterscheidungen den Erscheinungsformen der kommunikativen und sprachlichen Realität und den Ebenen ihrer Beschreibung zu, ergeben sich vier Dimensionen vertikaler Kontakte und ihrer funktionalen Analyse: die synchrone Pragmatik der Variationszone (5.2.1.), die synchrone Linguistik der Interferenzzone (5.2.2.), die diachrone Pragmatik der Variationszone (5.2.3.) und die diachrone Linguistik der Interferenzzone (5.2.4.). Da Variation und Interferenz in der Kontaktzone nur jeweils unterschiedliche, interdependente Aspekte des übergeordneten Phänomens der sprachlichen Variation schlechthin sind, belasse ich es im folgenden bei der in 5.1.1. eingeführten, einfacheren Terminologie.
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5.2.1. Gegenstand der synchronen Pragmatik der Variation sind zunächst die innerhalb der untersuchten Sprechergemeinschaft bestehenden soziolinguistischen Rahmenbedingungen der Verwendung einzelner Gradata und ihrer Funktion in sozialen Gruppen und Kommunikationssituationen. Diese Bedingungen lassen sich ermitteln durch eine Differenzierung der bekannten Fragestellung von Fishman (1965; „Who speaks what language to whom and when?"), etwa nach dem Muster „Wer spricht mit wem, zu welchem Zweck, in welcher Situation, worüber, wie, Dialekt oder Standard?". Die bisher in den von mir untersuchten Sprechergemeinschaften in Frankreich und Italien vorgefundenen Verteilungen der Verwendung von Dialekt und Standard wie der Code-switchings und Code-mixings weichen wenn, dann nur unerheblich von denen anderer Untersuchungen zur Dialektverwendung ab (cf. hierzu Stehl 1987, 416-417; Stehl [im Druck d]; Meisenburg 1985, 144-202). Hervorzuheben ist, daß die Wahl des Gradatums und die Switchings vor allem in Canosa di Puglia mehr von dem Grad der Formalität, der psychosozialen Konstellation und der Hierarchie in der Situation, vom Thema, vom Gesprächspartner und der zu ihm bestehenden oder herzustellenden sozialen Beziehung bestimmt sind als etwa von sozio-ökonomischen oder gar sozio-politischen Faktoren. Dynamische, pragmatische Parameter erweisen sich gegenüber statischen sprachsoziologischen Kategorien oft als entscheidender für die Verwendung von Dialekt oder Standard. Kernbereich der synchronen Pragmatik der Variation ist vor allem die individual- und sozialpsychologische Konstituierung der Variationszone und damit die Klassifikation des Sprachkontaktes von seiten der Sprechergemeinschaft. Die in 2.4. beschriebenen Interviews zur kontaktlinguistischen und geolinguistischen Prototypenklassifikation im Périgord und in Apulien ergaben ein Grundmuster des Aufbaus der Kontaktzone im Sprecherbewußtsein, nach dem je ein Prototyp von Dialekt und Standard je einem .defektiven', korrumpierten' Typ beider Kontaktextreme gegenübergestellt wird, der jeweils durch die gehäufte Präsenz von Interferenzen des Gegenpols charakterisiert ist. Diese Vierfachstaffelung der Kontaktzone gehört zum Erfahrungswissen fast aller Sprecher in vertikalen Kontaktsituationen; die Bezeichnungen innerhalb der Sprechergemeinschaften variieren je nach der vom einzelnen Sprecher intendierten positiven oder negativen Konnotation. Vorzufinden sind im Périgord Abstufungen wie 'bon français'/'français parisien' - 'mauvais français'/'le français de chez nous' - 'patois francisé'/'mauvais patois' - 'patois des grands-parents'/'patois des paysans'. In Apulien hört man Differenzierungen wie 'italiano dei giornali' 'italiano scorretto' - 'dialetto civile' - 'dialetto rozzo'/'dialetto verace'.
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Die Liste der gebräuchlichen Bezeichnungen für die unterschiedenen Gradata ist analog zu den Bezeichnungen der Linguisten selten einheitlich oder unumstritten; gleichwohl sind im Sprecherbewußtsein mehr oder weniger deutlich unterschiedene Variationstechniken der Komposition sprachlicher Mittel zu beobachten, die der Hypothese eines Kontinuums direkt entgegenstehen. - Es ist nun nicht so, daß die vier Gradata der Variationszone den Sprechern explizit als intentional wählbare Sprechtechniken zur Verfügung stünden; die Vierfachgliederung selbst ergibt sich aus der unzureichenden materiellen Realisierung des angesteuerten Zielgradatums: wer als Dialektsprecher etwa ein mit Dialektinterferenzen durchsetztes 'mauvais français' oder ein 'italiano scorretto' realisiert, steuert als Zielgradatum durchaus ein 'bon français' bzw. ein 'italiano corretto' an; erst die Kommunikationserfahrung des Mißlingens dieser Absicht (zumeist bei anderen) führt zur sozial verankerten Kenntnis der vierfachen Gliederung des Kontakts. Daraus folgt, daß kaum ein Sprecher nur ein Gradatum beherrscht: je nach den individuellen Voraussetzungen verfügen fast alle Sprecher über mindestens zwei bis zu drei Gradata im Kontakt. Sehr selten sind die Sprecher in der Lage zu präzisieren, aufgrund welcher Unterschiede sie selbst die Einteilung der Gradata vornehmen; am häufigsten wird die phonetische Ebene als entscheidend angesehen: „Ça se reconnaît à la prononciation!". Bisweilen wird auch die lexikalische Ebene als Kriterium genannt: an der Verwendung bestimmter Wörter könne man auch erkennen, was und wie jemand spreche. Die individuelle Prototypenklassifikation mündet so auf sozialer Ebene in Stereotypen, die sich aus den kommunikativen Erfahrungen innerhalb der Gemeinschaft ergeben. Analog zu den sprachlichen Strukturebenen System, Norm und Rede des Gradatums als funktioneller Sprache ist daher von einer Entsprechung auf der metasprachlichen Steuerungsebene auszugehen: Prototyp, Stereotyp und Freiheit der Variation konstituieren das Gradatum auf der Ebene des Sprecherbewußtseins, während die vierfache Staffelung (Gradation) der Kontaktzone innerhalb der Gemeinschaft am häufigsten nach dem Muster ,(positiv gewerteter) Standard - (negativ gewerteter) Standard mit Dialektinterferenzen - (individuell unterschiedlich gewerteter) Dialekt mit Standardinterferenzen - (negativ gewerteter) Basisdialekt' vorgenommen wird. 5.2.2. Gegenstand der synchronen Linguistik der Variation ist die materialsprachliche Realisierung der Variationstechniken als Interferenztechniken, die in ihrer Gesamtheit die Architektur (Gradation) der Interferenzzone konstituieren. Ausgangspunkt für die Interferenztechniken ist die Fähigkeit der Sprecher, Strukturen und Einheiten des ihnen
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vertrauteren Kontaktextrems in das entgegengesetzte Kontaktextrem zu .übersetzen'. Die .übersetzten', .stabilen' Strukturen ersetzen labile Strukturen des aktuell verwendeten Kontaktextrems. Setzt man, anders ausgedrückt, ,A' für den dominanten Standard und ,B' für das rezessive Idiom, so führt die .Übersetzung stabiler B-Strukturen in A-Material unter Verdrängung der labilen A-Struktur' bzw. die .Übersetzung stabiler A-Strukturen in B-Material unter Verdrängung der labilen B-Struktur' zunächst zu einer individuellen Habitualisierung von .Übersetzungstechniken', die durch die Verbreitung in der Sprechergemeinschaft schließlich zu sozial stabilisierten Interferenztechniken in der Kontaktzone werden. Hieraus folgt für die Beschreibung, daß jede Interferenztechnik als (syntopisch, synstratisch und synphasisch definiertes) Gradatum über die drei Ebenen des oppositiven Systems, der konventionellen Norm und der Rede-Dimension der konkreten Sprechakte verfügt und dementsprechend zu beschreiben ist. Für eine übereinzelsprachliche Geltung der sich grundsätzlich auch in der materialsprachlichen Interferenzzone ergebenden vierfachen Gradation der vertikalen Kontakte spricht die Tatsache, daß sich die beschriebenen (Übersetzungs- und Interferenz-)Techniken sowohl in den Sprechergemeinschaften im Périgord als auch in Apulien mit nur pragmatisch bedingten Abweichungen nachweisen lassen. Unter Berücksichtigung dieser Abweichungen läßt sich die Gradation der Interferenzzone zwischen dem Französischen und dem Okzitanischen wie zwischen dem Italienischen und apulischen Dialekten wie folgt zusammenfassend beschreiben: das dominante Kontaktextrem des Français standard und des Italiano standard ist im Kontakt jeweils in zwei Ausprägungen vertreten: als exogener Standard, der in bestimmten formalen Situationen im Bildungsbürgertum realisiert wird, wird er vorwiegend über die Präsenz in den Medien zu einer konstitutiven Größe für die Interferenzzone auch in ländlichen Sprechergemeinschaften. Als endogener Standard sind das Französische und das Italienische in der Alltagskommunikation kaum je ohne ein Minimum an okzitanischen/apulischen Interferenzen anzutreffen; diese bleiben jedoch überwiegend auf die lautliche Ebene, auf Phonetik, Phonematik und Prosodie beschränkt. Einzelne lexikalische Regionalismen, die über ein weiteres Gebiet Verbreitung gefunden haben, haben ergänzende Funktion für die ,Mustererkennung' des Français avec peu d'interférences occitanes (FPIO) (für das Jean Mazel (1975) die Bezeichnung Français d'oc vorgeschlagen hat) bzw. des Italiano con poche interferenze dialettali (IPID) (cf. Stehl 1987, 413-414; [im Druck a]; [im Druck d]). - Das in Richtung auf das dominierte Idiom nächste Gradatum der Interferenzzone ist das Français avec de nombreuses interférences occitanes
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(FNIO) (das in der Okzitanistik auch als Francitan bezeichnet wird: cf. Couderc 1975; 1976; Kremnitz 1981), in Apulien das Italiano con numerose interferenze dialettali (INID). Es ist in der Regel zu verstehen als die von Dialektsprechern materiallinguistisch erreichte Form von ,Standard' als aufgrund der Prototypenklassifikation angesteuertes Zielgradatum mit hohem Sozialprestige; es kann aber wegen seiner Integrationsfunktion in die ländliche Sprechergemeinschaft auch das von Standardsprechern als ,Dialektform' angesteuerte Gradatum sein. Es setzt sich nach der Formel ,A-Strukturen + stabile B-Strukturen anstelle labiler A-Strukturen' zusammen. Die Interferenzen des dominierten Kontaktextrems sind in allen sprachlichen Gliederungsebenen anzutreffen; in Apulien sind die dialektalen Interferenzen in Wortschatz und Grammatik zahlreicher als im Périgord, wo sich die diachronisch länger wirksame Dominanz des französischen Standards ausgewirkt hat (cf. noch 2.2.). - Die Demarkationslinie' zwischen FNIO/INID und den folgenden dialektalen Gradata - gewissermaßen ,in der Mitte' der Interferenzzone - bleibt in Frankreich wie in Italien nach wie vor deutlich erkennbar: Basis für alle diachronisch/geolinguistischen Modifikationen ist auf der Standardseite das Französische oder Italienische, auf der dialektalen Seite nach wie vor das Vulgärlatein. - Das Occitan avec de nombreuses interférences françaises (ONIF) und der Dialetto con numerose interferenze italiane (DNII) sind zu verstehen als die von Standardsprechern und von ehemaligen Dialektsprechern mit hoher sozialer Mobilität materialsprachlich noch erreichte Form des Kontaktextrems ,Dialekt' als aufgrund der Prototypenklassifikation angesteuertes Zielgradatum mit hoher sozialer Intégrations- und Identifikationsfunktion. Es setzt sich nach der Formel ,B-Strukturen + stabile A-Strukturen anstelle labiler B-Strukturen' zusammen. Analog zum FNIO/INID sind die Interferenzen des dominanten Kontaktextrems in allen sprachlichen Gliederungsbereichen anzutreffen; Frequenz und Intensität der Standard-Interferenzen im dominierten Idiom halten sich zwischen dem Périgord und Apulien in etwa die Waage: wiederum sind es lediglich pragmatische Parameter, die über die weite Verbreitung des DNII in Apulien gegenüber der kommunikativen Rarität des ONIF im Périgord bestimmen. - Vor allem in den Gradata FNIO/INID, aber auch in den dialektalen Gradata ONIF/DNII treten die durch mangelnde Kenntnis des Zielgradatums bedingten, redundanten Strukturen auf, die weder dem Dialekt noch dem Standard zugehören, etwa im ONIF mateRnitâdo 'maternité' gegenüber moternitâ im OL und mateRnité im FS, oder im INID i diti 'le dita' gegenüber h ddéstora im DL und le dita im IS (Transkription nach Lausberg 1969, 20-26). Diese vermeintlich dem Zielgradatum entsprechenden',
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ihrem Ursprung nach ,patholinguistischen' Strukturen machen den Übersetzungsprozeß erkennbar, der den .mittleren Interferenztechniken' zugrundeliegt. Sie sind fast immer individuell und okkasionell bestimmt, können zwar in der Gemeinschaft gehäuft auftreten, erreichen aber nicht die Ebene der Norm. - Das dominierte Kontaktextrem Occitan local (OL) bzw. Dialetto locale (DL) hängt in seiner materiellen Ausformung und der Distanz zum dominanten Standard auf den einzelnen sprachlichen Gliederungsebenen stark von der Vitalität in der Kommunikation innerhalb der Sprechergemeinschaft ab. Davon sind die Frequenz und die Intensität der dem .materiell erreichten', also .defektiven' Standard mitgeteilten Interferenzen direkt abhängig. Vergleicht man den Grad der ,Romanität', d. h. der innerhalb der Sprechergemeinschaft noch auffindbaren Archaität der basisdialektalen Strukturen und Einheiten, fällt die gegenüber der Galloromania solidere Basis der romanischen Dialekte in Süditalien ins Auge; aufgrund der ständigen Beobachtung der Gemeinschaften in Apulien seit 1973 läßt sich dort aber ohne weiteres eine Beschleunigung der Kontaktdynamik feststellen, während in ländlichen Rückzugsgebieten Südfrankreichs archaische Strukturen noch heute dank einer Art von geolinguistischem ,Kühlschrankeffekt' überleben können. 5.2.3. Die diachrone Pragmatik der Variation betrifft die Bedingungen und Modalitäten der Veränderung des Variationsverhaltens, der Modifikation einzelner Gradata, aber auch der Kontaktzone insgesamt in Prozessen von Neuerung und Übernahme (cf. Coseriu 1974, 58-93) innerhalb der Sprechergemeinschaften. Im Bereich der soziolinguistischen Rahmenbedingungen und individuellen Voraussetzungen kann hier der Fishmanschen Fragestellung (cf. 5.2.1.) analog in diachronischer Perspektive nachgegangen werden: „Wer modifiziert (oder nicht) sein Variationsverhalten (bzw. die von ihm gebrauchten Gradata, die Variationszone insgesamt) zu welchem Zweck, in Abhängigkeit von welchen kommunikativen Konstellationen (Partner, Gruppe, Verwendungsdomänen, Situationen, Themen)?". Die in der Mikro-Diachronie der konkreten Kontaktsituation den einzelnen Sprechern gewidmete Aufmerksamkeit verlagert sich bei makro-diachronischer Betrachtung der Aufeinanderfolge von primären, sekundären und tertiären Dialekten oder beim Vergleich gleichgearteter vertikaler Kontakte in der romanischen Sprachgeschichte (cf. 5.1.2.) auf die innerhalb der Sprechergemeinschaften verlaufenen Dynamiken von Neuerung, Übernahme, Sprachgenese und deren Wirkung auf die Definition der gesamten Sprachgemeinschaft (cf. 2.1.). - Innerhalb des soziolinguistischen Rahmens für die Veränderung des Variationsverhaltens sind bei den un-
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tersuchten Sprechergemeinschaften im Perigord und in Apulien einige grundlegende Verhaltensstrukturen erkennbar: Sprecher verhalten sich je nach den individuellen Voraussetzungen , ± bewußt', ± intentional' , ± innovativ'; darüber hinaus können sie je nach der sozialen Rolle, die sie als Eltern, Erzieher, Lehrer, Seelsorger oder .Meinungsführer' in einer Gruppe einnehmen, das Merkmal, ± persuasiv' erfüllen und so Katalysatorfunktion für die Ausbreitung oder Begrenzung einer Neuerung haben (cf. Stehl 1987, 417-418). - Die Modifikation einzelner Gradata in der Variationszone erfolgt , ± kontaktbedingt' (cf. hierzu noch 5.2.4.); bei gleichbleibendem (Frankreich) oder sich verstärkendem (Süditalien) ,Dominanzdruck' des Standards wird eine kontaktbedingte Dynamik der Modifikation der dominierten Gradata durch progressive Durchsetzung mit Mustern des Standards bis zu einem Punkt erkennbar, an dem die gesamte Variationszone einem .Umbau' unterworfen wird: bei progressivem .Kompetenzschwund' in den dialektalen Gradata zeigt sich ein expansiver Gebrauch der dominanten und ein regressiver Gebrauch der dominierten Gradata. Das Merkmal , ± prestigebesetzt' kann dabei je nach Sprecher und sozialem Bereich unterschiedliche Wertigkeiten annehmen: neben der zentralen Funktion der standardsprachlichen Gradata für die soziale Mobilität können die dialektalen Gradata in kommunikativen Randbereichen wegen ihrer Integrationsfunktion in die (ländliche) Gemeinschaft auch für Standardsprecher durchaus prestigebesetzt sein. - Für die jeweilige Kommunikation zunächst funktionale Code-switchings zwischen den dialektalen und standardsprachlichen Gradata und damit verbunden habitualisierte, scheinbar funktionslose Code-mixings können ein länger andauerndes Stadium des Kontaktverlaufs prägen; sie vermitteln den Eindruck eines Konkurrierens im Gedächtnis resistenter und im Gedächtnis flüchtiger Strukturen/Einheiten des einen oder anderen Kontaktextrems in Abhängigkeit von bestimmten Situationen sozialer Kommunikation. Diese Etappe ist derzeit im Kontakt ,Italienisch ->— apulische Dialekte' erreicht, während der Kontakt .Französisch Okzitanisch' im Perigord nur um eine - phänotypisch allerdings entscheidende - Etappe weiter fortgeschritten ist: die dialektalen (und nicht mehr sicher beherrschten) Gradata gewinnen das Merkmal , ± potentiell' hinzu und verschwinden aus der Alltagskommunikation der jüngeren Generationen, sind genotypisch aber auch dort noch lange Zeit wirksam und teilen den standardsprachlichen Gradata kontinuierlich dialektale Interferenzen mit. Ausschließlicher Gebrauch der dominanten und Gebrauchsaufgabe der dominierten Gradata sagt nur wenig über den Stand des Sprachwissens in der Gemeinschaft aus. Es ist also notwendig, pragmatischen language shift von materialsprach-
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lichem language death zu unterscheiden; letzterer ist objektiv erst dann in Sicht, wenn junge Sprecher nicht mehr bereit oder in der Lage sind, ein auch noch so stark mit Standard-Interferenzen durchsetztes Okzitanisch zu sprechen. Bedenkt man die Dauer und die Intensität des vertikalen Kontaktes ,Französisch « Okzitanisch' im Périgord seit Beginn des 16. Jahrhunderts (cf. Brun 1923, 112-118), so sind bald fünf Jahrhunderte Überlebens des Okzitanischen ein erstaunliches Beispiel für die Dauer eines Kontaktes ohne definitiven language death. Die ausgeprägte Regionalität des endogenen Français d'oc (cf. 5.2.2.) ist die unübersehbare Wirkung. 5.2.4. Die diachrone Linguistik der Variation bezieht sich auf materiallinguistischen Sprachwandel als Resultat der pragmatischen Prozesse von Neuerung und Übernahme und als Motor der Sprachgenese aus vertikalen Sprachkontakten. Ergebnisse des Sprachwandels können wie bei den Modifikationen der Variationszone (5.2.3.) einzelne Gradata oder die Gradation der Kontaktzone betreffen, also Strukturveränderungen in den Kontaktextremen wie in den einzelnen Interferenztechniken darstellen, aber auch auf die Gradation der gesamten Interferenzzone bezogene Architekturveränderungen. - Strukturveränderungen in den Kontaktextremen treten , ± kontaktbedingt' auf : neben der direkt durch den Kontakt bedingten, oft rapiden Dynamik des Wandels lassen sich z. B. in Canosa di Puglia noch autonome Verschiebungen im Phonemsystem des örtlichen Basisdialekts (dem Gradatum DL) feststellen, die auf eine Reorganisation der durch mannigfaltige Diphthongierungen ,aus den Fugen geratenen' dialektalen Silbenstruktur ausgerichtet sind (cf. hierzu Stehl 1987, 415-416). - Die kontaktbedingten Strukturveränderungen lassen sich zunächst als potentieller, später als vollendeter Wandel an der Frequenzerhöhung von stabilen bzw. der Frequenzverminderung (und dem Verschwinden) von labilen Strukturen vor allem in den mittleren Interferenztechniken FNIO/INID und ONIF/DNII ablesen. Der sprachliche Substanz betreffende Wandel auf den Ebenen von Rede, Individualnorm und konventioneller (sozialer) Norm geht dabei zeitlich dem Wandel voraus, der die sprachliche Form auf der Systemebene betrifft. Hierbei ergibt sich aus der Natur des vertikalen Sprachkontakts diachronisch zuerst eine Hierarchisierung von Interferenzen, später von Interferenztechniken in der Zeit: Von einem bestimmten Grad der .Durchsetzung' der dialektalen Gradata mit Strukturen/Einheiten des dominanten Standards an wird eine systembezogene Destabilisierung der nun rezessiven dialektalen Gradata erreicht, die mit der Stabilisierung der dominanten Gradata (FPIO/IPID - FNIO/INID) einhergeht, welche nun zu neuen Dialekten des Stan-
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dards werden. - Bezeichnet man unter diachronischem Blickwinkel die Gradata des vertikalen Kontakts berechtigt als Strata, sollte man eine terminologische Differenzierung zwischen dominantem Stratum und rezessivem Stratum während des Kontaktverlaufs und dominantem Stratum und Substrat nach ,Erledigung' des Kontakts (durch den in 5.2.3. erwähnten language death) vornehmen. Die sprachhistorisch eingeführten Termini von Substrat und Superstrat (als Substrat eines im Kontaktverlaufs ,umgedrehten' vertikalen Kontaktes) blieben so wie bisher überwiegend - auf Phänomene der Nachwirkung definitiv untergegangener Sprachen beschränkt (cf. noch Stehl 1987, 410, 413). Hinsichtlich der Stabilität bzw. Labilität der Gliederungsbereiche der Kontaktextreme läßt sich im Périgord wie in Apulien eine gewisse Resistenz einzelner, bestimmter grammatischer Strukturen des rezessiven Stratums (wie je suis été à la foire oder sta' zitto, deve cantare Milva! für 'canterà Milva') erkennen. Am auffälligsten ist allerdings, wiederum im Périgord wie in Apulien, die lexikalische Zersetzung der Basisdialekte im Gradatum O N I F / D N I I durch Einheiten des Standards, und damit die Auflösung oppositiver semantischer Wortfelder. Genauso auffällig ist die Stabilität der dialektalen Phonematik und Phonetik, des im vertikalen Kontakt wohl generell resistentesten Gliederungsbereichs. - Hinzuweisen ist noch auf die materielle Seite der letzten Kontaktphase vor definitivem language death : nach der Gebrauchsaufgabe dialektaler Gradata (wie sie für die jüngeren Generationen im Périgord gilt) können noch lange dialektale Elemente der wiederholten Rede (cf. Coseriu 1973, 27-32) mit sozialer Symptomfunktion (cf. Reichmann 1983, 25-26) erhalten bleiben; so kann man auf dem Land noch okzitanische Zurufe von Sprechern hören, die davon abgesehen nur noch passive Dialektkompetenz besitzen. Es sind die auch früher bei der Landarbeit üblichen, knappen Sätze wie vâi fâ sulél! 'il y aura du soleil!', vóli béure! 'je veux boire!', vài plèure! 'il va pleuvoir!', o lo supo! 'à (manger) la soupe!' etc., die zunächst einen trügerischen Eindruck einer noch weit verbreiteten Dialektkompetenz vermitteln. - In der Makro-Diachronie der vertikalen Kontakte mit folgender Sprachgenese in der romanischen Sprachgeschichte bleibt der diachronen Linguistik der Variation die Aufgabe einer detaillierten Analyse der Komposition, der Stabilität und Labilität von sprachlichen Gliederungs- und Strukturbereichen in den kontaktabhängigen Geneseprozessen der romanischen Sprachen, der romanischen Kreolsprachen, der français régionaux und italiani regionali und ihr Vergleich nach typologischen Kriterien, die einheitlich auf vertikale Kontakte Anwendung finden können (cf. hierzu Stehl [im Druck b]).
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6. Vier Ebenen der kommunikativen Realität und Perspektiven ihrer Untersuchung Aus dem Spannungsverhältnis zwischen pragmatischer und materialsprachlicher Variation (cf. 5.1.1. und 5.2.) auf der einen Seite, dem einzelnen Sprecher und der Sprachgemeinschaft auf der anderen Seite, ergeben sich für die Beschreibung schließlich vier zu unterscheidende Ebenen der kommunikativen Realität. Je nach der Perspektive, die man bei der Beschreibung vertikaler Kontakte einnimmt, je nach der Ebene, die man psycholinguistisch, soziolinguistisch, systemlinguistisch, quantitativ beschreibt, ergeben sich dadurch unterschiedlich angeordnete Staffelungen der Gradata des vertikalen Kontakts. Trägt man diesem Umstand nicht genügend Rechnung, geht man das Risiko fruchtloser Diskussionen zwischen unterschiedlichen .Linguistiken' ein, die womöglich jeweils eine andere Ebene der kommunikativen Realität vertikaler Kontakte im Blickwinkel haben. Erst die Berücksichtigung aller vier Ebenen läßt die Gesamtheit des Datengefüges erkennen, die das Ziel einer umfassenden Beschreibung der vertikalen Kontakte ist. Die im folgenden für die einzelnen Ebenen aufgezeigten Perspektiven für die Datenerhebung und Datenauswertung erheben natürlich weder Anspruch auf Allgemeingültigkeit noch auf Vollständigkeit. 6.1. Auf der Ebene der Pragmatik des Sprechers (cf. auch 5.2.1.) erscheint die Kontaktzone vor allem in der psycholinguistischen Realität der sprecherseitigen Prototypenklassifikation des Kontakts. Je nach sprachbezogener Sensibilität und kommunikativer Erfahrung unterteilen die einzelnen Sprecher die Kontaktzone in zwei bis zu vier Gradata. Von einer simplen Zweiteilung 'Français - Patois' bzw. 'Italiano Dialetto' bei weniger sprachbewußten Sprechern bis zu einer fein differenzierten vierfach gestuften Gliederung nach dem in 5.2.1. beschriebenen Muster bei Sprechern vor allem heterogener Sprechergemeinschaften ist also auszugehen bei empirischen Erhebungen einer kognitiven Psycholinguistik der vertikalen Sprachkontakte. Bei einer hier erforderlichen Verfeinerung der individualpsychologischen Interview-Technik (zur sprachlichen Biographie und zur individuellen Prototypenklassifikation) sollten auch geolinguistische, .horizontale' Dialektklassifikationen der Sprecher in Zukunft größere Beachtung finden. Die Arbeiten von Downs/Stea 1982 und Scherfer 1983 (cf. ibid. 144-158) verdienen in diesem Zusammenhang besonderes Interesse.
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6.2. Auf der Ebene der Linguistik des Sprechers erweist die materialsprachliche Datenrealität die lediglich zweifache Stufung des vertikalen Kontaktes insofern, als alle sprachlichen Strukturen und Einheiten der Gradata im Kontakt materiell entweder dem dominanten Standard oder dem rezessiven Idiom/Dialekt zugewiesen werden können. Dies gilt selbst für die in 5.2.2. genannten redundanten Interferenzstrukturen: ein Lexem mateRnitädo (ONIF) etwa ist Okzitanisch, ein Plural i diti (INID) ist Italienisch. Auch wenn sich komplexe Überschneidungen von Transferenz und Integration, Substanz und Form, langue und parole der in Kontakt stehenden Sprachen ergeben, bleibt doch die Datenrealität des Kontaktes prinzipiell zweifach gestuft. Dies eröffnet bis jetzt noch kaum genutzte Möglichkeiten einer quantitativen ,Variometrie' der Sprachdaten der Kontakte: ausgehend von einem rechnergestützten Vergleich von in den ,mittleren' Interferenztechniken gesprochenen Texten mit je einem erweiterbaren Lexikon (auch grammatischer Strukturen) beider Kontaktextreme läßt sich etwa der Grad der noch bestehenden Dialektalität oder der bereits erfolgten standardsprachlichen ,Durchsetzung' in mittleren Gradata messen. 6.3. Die Ebene der Pragmatik der Sprachgemeinschaft ist durch die sozialpsychologisch motivierte kommunikative Realität kollektiver Stereotypenvorstellungen geprägt. In Anlehnung an das in 5.2.1. und 5.2.3. Gesagte ist auf dieser Ebene zunächst von einer vierfachen bis fünffachen Stufung der Gradation des Kontaktes von Seiten der Sprachgemeinschaft auszugehen. Das gesamte in der Gemeinschaft verankerte Sprachwissen über die Gliederung des Kontakts kann und sollte Ziel einer systematischen empirischen Sozialforschung sein, von der auch durch statistische Auswertung weitere Aufschlüsse über den größeren Rahmen sozial üblicher Unterteilungen zu erwarten sind. Bis zu siebenfache Stufungen der Kontaktzone wären nicht erstaunlich: im Bereich von ,7 ± 2' liegt für Holenstein (1980, 506) das begrenzte menschliche Diszernierungsvermögen, und siebenfache Stufungen vertikaler Kontakte sind etwa nach Lefebvre (1976) in Martinique oder nach Sgroi (1981) in Italien durchaus real. Der von Goebl (1986) gemachte Vorschlag zum Einsatz des Eindrucksdifferentials (Polaritätenprofils) bei empirischen Untersuchungen der kommunikativen Realität in Kontaktsituationen sollte dabei unbedingt Berücksichtigung finden. 6.4. Die komplexe Ebene der Linguistik der Sprachgemeinschaft präsentiert schließlich den vollen Umfang der produktionslinguistischen Datenrealität in vertikalen Kontakten. Diese ist der Hauptgegenstand des hier verfolgten Ansatzes einer funktionalen Variationslinguistik.
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Wie in 5.2.2. und 5.2.4. dargestellt, weisen die von mir untersuchten (prinzipiell gleichgearteten) Kontakte in Frankreich und Italien je nach dem diachronisch erreichten Stand des Kontaktverlaufs eine zunächst fünffache Gradation der Kontaktzone auf, die später durch language shift der dominierten Gradata auf eine dreifache Stufung reduziert wird. - Erst das Zusammenspiel empirischer Anwendung von Verfahren der kognitiven Psycholinguistik (6.1.), der quantitativen Geolinguistik (,Variometrie'; 6.2.), der empirischen Sozialpsychologie (6.3.) und schließlich der strukturell-funktionalen Sprachwissenschaft (6.4.) verspricht m. E. eine adäquate Analyse vertikaler Kontakte und eröffnet realistische Perspektiven für eine funktionale historische Kontaktlinguistik. Inwieweit deren Entwicklung durch neue computerlinguistische Verfahren einer relationalen ,Variometrie' (cf. hierzu Stehl 1988 a; [im Druck c]) vorangetrieben werden kann, wird die nahe Zukunft zeigen. Das Ziel solcher quantitativer Verfahren müßte die logische Verknüpfung großer, heterogener Datenbestände psycholinguistischer, soziolinguistischer, pragmatischer und systemlinguistischer Art sein.
7. ,Substandard' aus kontakt- und variationslinguistischer Sicht Am Ende der Darstellung von Ansätzen einer strukturalistischen Beschreibung der Variation im Französischen und Italienischen stellt sich in der Rückschau nochmals die in 1.2. aufgeworfene Frage nach der Leistungsfähigkeit von Differenzierungen wie ,Substandard' vs. .Standard' im Anwendungsbezug. - Vom Standpunkt einer funktionalen Kontaktlinguistik könnte man zunächst ,Substandard' für die Galloromania und die Italoromania positiv definieren als all das, was an pragmatischen (metasprachlichen) und sprachlichen Phänomenen innerhalb der Kontaktzone zwischen den dominanten Standardsprachen und einem dominierten Idiom oder Dialekt unter Einschluß dieses letzteren angesiedelt ist. Negativ könnte ,Substandard' definiert werden als all das, was nicht mit dem real existierenden Standard eines diatopisch unmarkierten Français commun parlé bzw. eines Italiano comune parlato identifiziert werden kann. Was aber wäre damit erreicht? Die graduelle Abstufung der Kontaktzone sowohl auf der Ebene des Sprecherbewußtseins als Variationszone (cf. 5.1.3., 5.2.1., 5.2.3., 6.1., 6.3.) als auch auf der Ebene der materiellen Sprachdaten als Interferenzzone (cf. 5.1.3., 5.2.2., 5.2.4., 6.2., 6.4.) widerspricht dem Konzept des Kontinuums, das etwa Bellmanns (1983, 122-125) Auffassung von ,Substandard' zugrundeliegt; auch wenn er (1983, 118) davon ausgeht, daß „der
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strukturalen Deskription" die „Ballung der Heterogenität entgegen" stehe, wird deutlich, daß .Substandard' aus kontaktlinguistischer und funktionalistischer Sicht kein sehr praktikables Konzept darstellt und so nicht auf zentralromanische Situationen vertikaler Kontakte übertragbar ist. - In methodischer Hinsicht erscheint Bellmanns (1983, 124) Differenzierung des zunächst globalisierten ,Substandards' in ,Einzelsubstandard' (vertikal: Teilkontinua, horizontal: Gruppen dieser Teilkontinua als .landschaftliche Substandards'), ,Gesamtsubstandard' und ,Neuer Substandard' zu undeutlich und terminologisch redundant. Die Problematik der von Bellmann als .mittlerer Bereich' bezeichneten interlektalen Zone habe ich im vorliegenden Beitrag vom Standpunkt einer funktionalen Linguistik auch begrifflich einzugrenzen versucht; Globalisierungen (wie z. B. ,Historische Norm' statt .Gesamtsubstandard'; cf. Stehl 1980, 190-191) können daher mit dem hier vorgestellten Ansatz in die gesamte Begrifflichkeit der strukturell-funktionalen Sprachwissenschaft eingebettet werden. In sachlicher Hinsicht können vertikale Kontakte, oft scheinbar diffuse ,Substandardsituationen', bis zum definitiven language death der rezessiven Gradata durchaus eben als Syrnchkontakte beschrieben werden. Dies ist ohne größere Schwierigkeiten offenbar auch im deutschen Sprachraum möglich (cf. Munske 1983, Rein 1983, Besch (ed.) 1983). Für sprachliche Situationen, in denen für die Sprecher wie für den Beobachter noch ein erkennbarer sprachlicher Kontrast zwischen zwei (noch so nah verwandten) Kontaktextremen gegeben ist, erscheint die Konzeption des ,Substandards' insgesamt als wenig hilfreich: sie faßt zu viele und zu heterogene pragmatische und sprachliche Phänomene aus dem Blickwinkel der dominanten Standardsprache zusammen, als daß sie Vorteile für eine angemessene funktionale Analyse der vertikalen Sprachkontakte und ihrer diachronischen Dynamik bieten könnte. - Ohne diese Einschränkungen scheint sich die Konzeption des ,Substandards' allerdings vor allem auf .erledigte' Kontakte anwenden zu lassen: gerade in Fällen der .Modularisierung' von Kontakten, die mit einer Fragmentierung des sprachlichen Materials der letzten bestehenden, nun nicht mehr interlektalen' Gradata des vormaligen Kontaktes einhergeht und die eine polylektale Architektur-Hypertrophie der Historischen Sprache zur Folge hat (cf. noch 2.2.), läßt sich unter Umständen mit Gewinn auf den von Bellmann vorgeschlagenen terminologischen Apparat zurückgreifen. Die sprachlichen Verhältnisse in Frankreich und Italien lassen bei aller Verschiedenheit in der historischen Entwicklung gerade hier eine Gemeinsamkeit erkennen: fortbestehende und mitunter über Jahrhunderte resistente vertikale Kontakte jeweils im Süden stehen zunehmend fragmentierten und ,modularisierten' Kontakten im Norden (in
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Frankreich auch im Zentrum) gegenüber. Diese Relationen spiegeln sich auch in den jeweiligen français régionaux und italiani regionali wider, den zukünftigen sekundären Dialekten der Standardsprachen in der Zentralromania.
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Italiano popolare a confronto con altri registri informali: verso una tipologia del substandard* Eduardo Blasco Ferrer (Bonn)
0. Scopo della presente analisi Le finalità del presente lavoro sono molteplici e riguardano gli aspetti epistemologico, euristico e di applicabilità (specie a spiegazioni di tipo diacronico) del termine standard, riferito in questa sede soprattutto ai casi specifici dell'italiano, del catalano, del francese, del sardo e del latino (volgare). Data l'eterogeneità degli scopi qui prefissi, credo opportuno riassumere in sede preliminare i quesiti che verranno affrontati nel corso dell'analisi; in questo lavoro intendo: 0.1. Mettere a confronto alcune strategie comuni a diversi registri informali (français avancé, italiano popolare, català col.loquial barceloni, ôr|(ioTiKf), latino volgare, de utsehe Umgangssprache, colloquiai English), a codici subalterni privi di norma scritta (ossia privi di uno standard: sardo, ladino, provenzale, dialetti italiani) e a stadi antecedenti di lingue codificate (catalano, italiano, provenzale, tedesco antico). 0.2. Enucleare, sulla base empirica acquisita, una tipologia del substandard, ossia fornire una tassonomia provvisoria di quei meccanismi di maggior rilievo che, a prescindere dalle realizzazioni formali idiosincratiche e dalla eterogeneità genetica dei tipi, soggiacciono alla totalità dei registri esaminati. 0.3. Integrare le acquisizioni ottenute in uno schema dinamico del C(ambiamento)L(inguistico), atto a fornire da una parte spiegazioni di tipo logico-causale sull'evoluzione diacronica (ad es. dal lat. class, al cat. * Il presente scritto rappresenta una rielaborazione della conferenza tenuta il 19.12.1986 al Circolo Linguistico Fiorentino sul tema Français avancé - italiano popolare - Umgangssprache tedesca ed altri substandard. Verso una tipologia dei registri informali. Erano presenti, fra altri, gli amici e colleghi Luciano Agostiniani, Antonio Battinti, Arrigo Castellani, Gabriella Giacomelli, Fiorenza Granucci, Carlo Alberto Mastrelli, Alberto Nocentini, Aldo Prosdocimi e Ruggero Stefanini. Sono debitore a Castellani, Prosdocimi, Nocentini, Mastrelli e Stefanini di preziosi suggerimenti.
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colloquiale di Barcelona, tramite il cat. medievale), e dall'altra adeguati metodi induttivo-implicazionali, che assicurino una (maggior) capacità predittiva del CL. 0.4. Rivedere puntualmente le definizioni principali assegnate ai registri analizzati e giungere ad una formulazione più giusta e consona ai princìpi generali desumibili dai risultati ottenuti. I punti 0.1. e 0.2. costituiscono il corpo centrale del mio studio; il punto 0.3. verrà discusso approfonditamente in sede conclusiva, allorché sarà possibile, sulla scorta dei dati raccolti, verificare l'adeguatezza di certe formulazioni fondamentali per la linguistica storica; il punto 0.4. sarà trattato anch'esso in modo definitivo nelle conclusioni, ma mi sembra lecito offrire dapprima uno sguardo complessivo (ma veloce) sulle proposte, assai divergenti fra di loro, avanzate finora per le entità che rivestono maggior importanza nel presente studio. Il metodo adoperato nell'analisi dei meccanismi qui individuati poggia sul concetto fondamentale della marcatezzaOgni funzione studiata verrà prima definita nell'ambito del sistema standard (idealizzato) in cui opera mediante il concetto suddetto ; in un secondo momento provvedere» ad illustrare le conseguenze che sull'intero sistema ha comportato il ridimensionamento della marcatezza. Dato che considero la morfosintassi (alla stregua dei generativisti2) il settore più rappresentativo per illustrare la fenomenologia, la causalità ed i possibili metodi di previsione del CL (v. conclusione), dedicherò la mia attenzione nel presente studio esclusivamente a fenomeni morfosintattici, riservandomi per un'altra occasione l'esame di problemi fonologici e lessicali. La scelta dei fenomeni analizzati e del corpus illustrato risponde a criteri soggettivi di selezione, in parte dettati da motivazioni pratiche, di economia di spazio o di possesso di dati ottenuti in precedenti analisi o in esperienze personali. Quando non citerò le fonti, darò per scontato che il fenomeno è attestato (e a me noto), e perciò senz'altro verificabile. (Per la tipologia dei testi informali v. § 1.3.). 1
Con marcatezza intendo qui la presenza di un tratto formale distintivo inteso a differenziare due o più funzioni all'interno di un paradigma o nell'ambito di un sintagma (ad es. la marca dell'accusativo preposizionale che contraddistingue l'attante accusativale da quello di nominativo). Per i termini strutturali correnti non-marcato e marcato adopererò i sinonimi, alquanto frequenti, estensivo e intensivo. 2 È ben noto che i Neogrammatici ed i Comparatisti non disponevano di un metodo collaudato per lo studio della sintassi storica; anche lo strutturalismo funzionalistico ha trovato intoppi non irrilevanti in questo settore, ma per fortuna disponiamo oramai di alcuni studi basilari che hanno modificato la situazione di partenza.
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1. Definizioni di alcuni substandard Vorrei passare in rassegna rapidamente alcune delle definizioni assegnate ai principali substandard qui analizzati, allo scopo di mettere in evidenza la mancanza di unanimità che caratterizza gli approcci di maggior risonanza al problema qui posto. 1.1. Néo-français o français avancé Gli studi più recenti sul francese informale (parlato, ma anche scritto) paiono concentrarsi soprattutto sul quesito della diacronia dell'informale: i tratti osservabili oggi, rappresentano un'innovazione, o piuttosto una fenomenologia conservativa perché protrattasi nel parlato durante secoli 3 ? Entrambe le risposte sono possibili, ciò che cambia è soltanto la posizione dello studioso, come vedremo più avanti. Per quanto riguarda, invece, la variabile diamesica4, quasi la totalità dei ricercatori che si occupano di questo problema introducono una (a nostro parere errata) quasi-identificazione fra francese informale e registro parlato. Nell'ambito di questa definizione essi individuano una gamma ben articolata di variabili (appartenenti all'architettura di Coseriu) extralinguistiche, tramite le quali assegnano delle "etichette" alle differenziate realizzazioni constatate nel registro orale (così ad es. Bodo Muller, Georg Steinmeyer e Ludwig Soli); adottando le variabili utilizzate negli studi accennati ed inserendoci i criteri di sistema, norma e parola, si ottiene il quadro approssimativo seguente: français 1 2 3 4 5 3
cultivé (soigné, choisi, soutenu, tenu) courant (usuel, commun) familier populaire vulgaire
= norma-sistema = norma- £ parola5
È questo un problema molto i dibattuto fra i Romanisti tedeschi e che ha visto coinvolti in una viva e ricca polemica nomi di primo ordine: Harri Meier, Franz Josef Hausmann, Klaus Hunnius, Ludwig Söll, Bodo MUller, HansDieter Bork, Hans Helmut Christmann, Günter Holtus ecc. ; v. Schweickard 1983 per un riassunto critico e Schmitt 1986 per alcune acute osservazioni sulla variazione in diacronia. 4 Cioè riguardante il mezzo mediante il quale si trasmette il messaggio; il termine è stato introdotto da Mioni (1983, 208). 5 Con l^parola intendo, d'accordo con Heger (1969, 54), l'insieme di realizzazioni (o esecuzioni) consuetudinarie ed accettate da una precisa comunità. Il gradino più alto (1) ovviamente ingloba pure quelle realizzazioni a bassissima percentuale di occorrenza, persino nel registro scritto (je n'irai pas, dussé-je pâtir).
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Due deroghe fondamentali vanno formulate a un siffatto schema: (1) l'inadeguatezza epistemologica, che deriva dall'ingiusta esclusione dello scritto informale (ma si veda più avanti); (2) la poca aderenza dello schema classificatorio alla realtà esaminata, deficit questo che va addebitato alla mancanza di criteri ben determinati e logicamente impostati che consentano una effettiva delimitazione fra le variabili "basse" (così ad es. nella sequenza gerarchica, (a) automobile - (b) voiture - (c) bagnole - (d) chiotte /guimbarde, quale criterio ci permetterebbe di assegnare (c) al fr. familier e non al populaire o viceversa?) 6 . 1.2. Italiano popolare A differenza del francese informale, le definizioni d'it. pop. inglobano criteri più eterogenei, non sempre correlati alle variabili sociologiche viste dianzi. Riassumo qui le definizioni più note, che sottopongo poi a critica (e verifica finale in conclusione). 1.2.1. Manlio Cortelazzo (1972, III, 11) intende con it. pop. quel tipo d'italiano imperfettamente acquisito da chi ha per madrelingua il dialetto. Vorrei solo sottolineare che la definizione di Cortelazzo sposta l'obiettivo del ricercatore su due criteri alquanto imprecisi: (1) sulla competenza del parlante (ossia non sul prodotto) e (2) sulla correlazione dialetto -* it. popolare. La nostra analisi sottolineerà, è vero, una relazione implicazionale fra dialetto ed it. pop., ma tramite Vitaliano regionale, che in quanto entità a sé stante rimane imprecisata nella definizione del glottologo patavino 7 . 6
Questa carenza, qui evidenziata, si appalesa anche nelle stesse definizioni date dai linguisti in questione: "'Français populaire' umfaßt als weitgespannter Registerbegriff Sprachformen und Unterebenen der Sprachverwendung, die sich wegen ihrer reichen Varianz einer klaren Kurzdefinition nur ex negativo fügen: Sie sind qualitativ alle kein ,gutes' Französisch" (B. Müller 1975, 194). Senza voler approfondire qui la questione, credo inoltre che la casistica, del tutto particolare, dell' argot e dell'ipertrofia sinonimica ad esso correlata, dovrebbe restare fuori dal vantaglio delle variabili esposte dianzi. Anche perché all'interno del repertorio (vastissimo) di significanti dell'argot, ci sono notevoli differenze di frequenza ( ± uso) che possono allontanare o ravvicinare questa entità (io la includerei fra i linguaggi settoriali) alle variabili orali/scritte prima enunciate (e ciò accade in tutte le lingue, con differenziazioni di valore; cfr. fr. fou/argent vs. argot ( + ) dingue, cinglé (-) maboul, loufoque/ ( + ) fric, pognon (-) grisbi, japonais; ingl. mad, crazy/ ted. verrückt vs. argot ( + ) nuls (-) barmy, nuggy/ ( + ) (er) spinnt (-) (er ist) meschugge).
7
Per l'it. regionale si veda lo stesso Cortelazzo (1982); interessante è anche l'acuta osservazione di Muljacic (1983) riguardo la co-occorrenza di fenomeni differenziati dialettali, d'it. regionale e d'it. popolare, o la presenza d'un it. pop. unitario, per nulla tributario delle divergenze dialettali.
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1.2.2. Tullio De Mauro (21979,1, 123: dopo di lui, Sobrero, Romanello, Bianconi ecc.) considera l'it. pop. come un insieme di forme e fenomeni unitari delle varietà d'italiano prodotti nelle zone e dalle classi meno favorite. A differenza di Cortelazzo, De Mauro opta, come si vede, per lo studio del prodotto (performance), ma assegna a codesto un tratto distintivo nella variabile diastratica. 1.2.3. Alberto Mioni (1983, 208: con lui, fra altri, Laura Vanelli e Glauco Sanga) e in parte Rosanna Sornicola (1981, 1985, la quale parla pure di semplificazione) identificano parzialmente o totalmente l'it. pop. con l'it. parlato, con la lingua d'uso colloquiale8. Come espliciterà a proposito del catalano colloquiale, questa identificazione invita a non rispettare certe differenze basilari di tipo strutturale e pragmatico che contraddistinguono l'oralità. 1.2.4. Gaetano Berruto (1983 e soprattutto 1984, 70-71, e 1985, 140-142) parla d'italiano (tendenziale) semplificato, ossia di un italiano che dispone di strategie formalmente meno complesse rispetto allo standard e che assorbe spesso tratti dal parlato. Il problema della semplificazione, ben trattato da Ernst (1983), è di estrema importanza per le implicazioni diacroniche che esso comporta (specie se legato al concetto di analogia), ma va valutato a nostro avviso, nell'ambito di una teoria della marcatezza, che tenga conto dell'equilibrio interno del sistema. 1.2.5. Francesco Sabatini (ultimamente in 1985) segnala il processo di affermazione di un it. pop. (unitario) che rappresenta la sedimentazione di un uso consuetudinario ormai accettato dall'intera comunità di parlanti. Questa nozione d'it. pop., o secondo Sabatini d'italiano dell'uso medio, si concilia bene con la nostra ipotesi conclusiva di una grammatica di transizione, di una norma (nel senso di Coseriu) che s'identifica con l'insieme delle realizzazioni comunitarie, ma che è difforme dalla norma standard 9 .
8
Giulio Lepschy (1983) si sofferma giustamente su certe particolarità del parlato ascrivibili ad una tipologia precisa dell'informazione e della disposizione del binomio tema-rema. 'Per una concezione analoga si veda anche Lepschy/Lepschy (1984, 1-15), Nora Galli de' Paratesi (1985, 39 n. 1).
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1.3. Catalano colloquiale L'inserimento del catalano in una disamina organica del substandard ci offre la possibilità di commisurare la problematica teorica qui trattata a una casistica assai particolare e alla richiesta, da parte di una comunità linguistica, di una urgente decisione politica. Invero, la formulazione di uno standard catalano, condotta da Pompeu Fabra (1913-1917), è stata considerata manovra molto eclettica da parte dei critici e degli utenti catalani, e ciò perché le sue decisioni privilegiavano fenomeni dell'uso vivo10. Purtuttavia, il peso preminente assegnato al codice di Barcelona, el barceloni, ha promosso fenomeni concomitanti di rivendicazioni regionali, tese a salvaguardare l'identità di subnorme provviste di un certo prestigio letterario, di ricca letteratura autonoma o di tradizioni e storia particolari11. Queste tendenze regionalistiche hanno favorito l'approdare di tratti peculiari dei principali dialetti (Valenzano, balearico, lleidatà, cioè di Lleida) nella letteratura comune o nei mass-media ed il conseguente rifiuto di accettare in limine litis un catalano popolare unitario conformato al barceloni. Questa esigenza si è fatta più viva negli ultimi anni, soprattutto allorché la TV catalana ha permesso l'intrusione a valanga di peculiarità barcelonine nelle trasmissioni catalane. Il problema, fondamentale per noi, è di vedere (1) se la fenomenologia del barceloni può identificarsi esplicitamente con un registro orale (perlopiù legato a fattori sociologici, v. Badia 1969), o se invece essa si riallaccia ad una tradizione, anche scritta, dell'informale, e (2 : corollario di 1) se la tipologia del cat. pop. e dei catalani regionali può enuclearsi sulla base di una dialettica storica fra norma (cancelleresca) di prestigio e subnorma del rapporto informale. La carenza totale di studi su questo argomento ci obbliga a rivedere anche in questa sede il quesito riguardante l'accumulo di dati. Seguendo Sabatini (1985) adopererò alcuni testi medievali e moderni in cui si constata rispettivamente un allontanamento (1) dai ferrei meccanismi della scripta medievale12 (let10
V. Badia (1969), Lamuela/Murgades (1984). V. Haensch (1976), Kremnitz (1980) e Segarra (1985). 12 Evidentemente quando si parla in sede diacronica di un allontanamento da una norma, in realtà inesistente perché - antecedente al formalizzarsi dello standard, il linguista si vede costretto a selezionare quei tratti costitutivi delle scriptae medievali che possono ravvicinarsi ai criteri adottati nella formulazione di una norma standard in senso moderno. A mio parere il ravvicinamento fra i due fenomeni è giustificato, se teniamo conto del fatto che la nascita delle scriptae semivolgari (si pensi alla Lex Salica, alla corrispondenza fra Frodoberto e Importuno, all'Oribasio, alla cronaca di Fredegario o alle Laudes di Soissons; cfr. Sabatini 1978, Fassò/Menoni 1979, Wright 1982) o ancor più delle prime scriptae volgari romanze (Giuramenti di Strasburgo, Placiti Campani, Forum Iudicum o LLibre Jutge) rappresentano da un lato una rivoluzione (in senso gramsciano, s'intende) culturale che implica l'abo11
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tere private) o (2) dalla rigorosa prosa (più o meno scientifica) della Renaixen?a e modernista (testi di imitazione dell'orale barcelonino prodotti dal modernista eccentrico Russinyol nella sua opera principale L'auca del Senyor Estere, Barcelona, Selecta: adopero l'edizione del 1979 e do le indicazioni delle pagine). 1.4. Sardo È giusto chiedersi subito se l'inclusione della lingua sarda nella nostra analisi comparativa sia lecita, dato che per il sardo non esiste ancora una codificazione accettata unanimemente. Ne consegue che il compito di misurare il distanziamento fra standard e substandard si rivela in questo caso fallace. In realtà, però, l'importanza della comparazione con il sardo deriva dalla constatazione13 che i princìpi costitutivi, ossia la tipologia di questa lingua, mostra sorprendenti parallelismi con i registri informali di altre lingue standardizzate, onde la necessità di un reciproco studio. Inoltre, come vedremo in sede conclusiva, il sd. ci fornisce una preziosa possibilità di esaminare il nesso causale esistente fra strutture dialettali soggiacenti, registro regionale e italiano popolare. 1.5. Latino volgare L'ammissione di questo registro informale è di estrema rilevanza per i nostri scopi. Due sono i quesiti basilari strettamente correlati alla casistica del latino volgare che vedrò di affrontare in seguito: (1) la sua corretta definizione e (2) le implicazioni diacroniche che derivano dall'analisi della sua costituzione. Entrambi sono intimamente legati ai concetti di latino classico e volgare, sicché credo opportuno elencare dapprima le definizioni tradizionali, per poi verificare la loro adeguatezza. 1.5.1. Hugo Schuchardt (1866) è uno dei primi a caratterizzare il latino volgare in base a criteri situazionali (pragmatici, diafasici).
lizione del fenomeno di diglossia preesistente e dall'altro il punto terminale di un processo di gestazione comunitario, basato sull'eclettica accettazione di moduli tradizionali ben collaudati (da notai o estensori soprattutto; entrambe le caratteristiche sono riscontrabili anche nelle formulazioni di norme standard). Per la questione relativa alla scripta catalana cfr. il mio contributo per il LRL. Per il problema in generale è d'obbligo la lettura di Zumthor (1973, 1984). 13 Cfr. Blasco (1986).
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Eduardo Blasco
Ferrer
1.5.2. Johann Baptist H o f m a n n (1962, 2 1985) identificava 14 il sermo plebeiusx5 con lo stile parlato degli strati bassi (Volkssprache der Unterschicht). 1.5.3. Karl Vossler (1954, 48) e Carlo Battisti (1949, 21) optano per la equazione volgare = orale 16 (Das Vulgärlatein ist das gesprochene Latein; la lingua parlata). 1.5.4. Charles Hall Grandgent (1914, 2 1976) e Marcello Durante (1981) credono che il fenomeno del latino volgare vada legato alle strutture meno raffinate, più spontanee e aliene da pretese letterarie, prodotte dalle classi medie,7. 1.5.5. Karl Sittl (1882) è propenso ad ascrivere alla diatopica la natura del latino volgare.
differenziazione
1.5.6. Veikko Väänänen (1967, 21975) assume che il lat. difettoso e talvolta abnorme alla sensibilità del parlante "classico" sia da ricollegare a delle variabili di tipo diastratico (lingua popolare) e diafasico (lingua familiare). Si osservi che la sua identificazione viene pressapoco a coincidere con quella enucleata dai romanisti tedeschi (Müller, S ö l l . . . ) . 1.5.7. Einar Löfstedt (1959, 21980) infine è incline ad identificare la fenomenologia del parlato con gli scopi del parlante (effetti perlocutivi di Austin e Searle) o con la variabile pragmatica. 1.5.8. Dopo questa breve rassegna (per nulla esauriente!) è lecito trarre alcune conclusioni basilari e presentare la nostra proposta, rispondendo allo stesso tempo ai quesiti accennati prima.
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Ma non completamente: si veda quanto dice la Ricottili nella prefazione alla edizione riveduta del H o f m a n n (1985, 61): "parlato come 'stile-parlato', comprendente cioè i fenomeni caratterizzati dall'essere usati preferenzialmente, ma non esclusivamente, nella comunicazione orale". Questa attenuazione si vede tuttavia contraddetta dal materiale raccolto dal Hofmann e da altre osservazioni sui princìpi metodologici da lui seguiti (cfr. ad es. p. 51, dove si oppone nettamente la mündliche Rede come Umgangssprache alla Schriftsprache). 15 O rusticus, familiaris, peregrinus (cfr. Reichenkron 1965). 16 E così pure Schmeck nella sua pur limpida e critica analisi (1955, 17-21). 17 Si badi che curiosamente una tale teoria caratterizza anche le intenzioni sarcastiche del modernista catalano Russinyol, il quale ironizza, anche tramite l'analisi della lingua difettosa e popolare, sul carattere anti-letterario e sulla fobia per l'arte della piccola borghesia barcelonina degli inizi del XX secolo.
Italiano popolare
a confronto
con altri registri
informali
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Dalle posizioni esaminate emerge un quadro abbastanza organico: gli specialisti si soffermano sa\Y architettura del latino detto volgare, dando eccessivo peso a singole variabili difficilmente delimitabili: le variabili diamesica (Hofmann, Vossler, Battisti), diatopica (Sittl, Mohl), diastratica (Schuchardt, Grandgent, Durante), diafasica (Vaananen, Lofstedt). Per quel che riguarda, invece, la tipologia e dunque lo scopo del presente lavoro, poco importa la definizione delle variabili che caratterizzano V architettura di questo nuovo tipo ; ciò che conta è la stessa definizione della sua struttura. Perciò intendo (assieme a Diaz y Diaz 1981 fra altri) con latino tardo quel complesso imponente di dati e strutture difformi dalla norma classica che precorrono caratteristiche delle lingue romanze. Questa definizione non restringe al parlato la fenomenologia del volgare, il quale emerge unicamente dal contrasto con la norma classica, e acquista in questo modo automaticamente lo status di substandard (Castellani preferisce subnorma: comunicazione orale). Le testimonianze stesse del registro informale lat. ci suggeriscono di non configurare l'intera casistica del volgare nei termini di una antitesi fra scrittura e oralità. È risaputo, infatti, che il concetto di norma classica risponde ad un modello calibrato a misura d'arte e non suscettibile di mutamenti nei suoi princìpi costitutivi, un modello piuttosto demandato alle norme della grammatica o alla raffinatezza dell'arte dell'oratoria, che non all'uso quotidiano. L'immobilismo del latino classico (apprezzato da Dante nel Convivio), in quanto norma standardizzata, si oppone al dinamismo del latino informale, nel quale è possibile scorgere le tendenze tipologiche che caratterizzano ogni lingua viva, non fissata ad un modello stabilito. Rispondendo ora a mo' di conclusione parziale ai due quesiti posti prima, dirò che: (1) il lat. volgare è il lat. substandard o informale che inizia a configurarsi allorché si genera una norma classica di prestigio 18 . Questo registro informale non è da identificare pienamente con nessuna delle variabili dell'architettura (perché non è soltanto parlato, né soltanto familiare, né soltanto plebeo, né rustico ecc.)19; (2) il lat. substandard o informale mostra in nuce le tendenze tipologiche proprie di ogni lingua viva e perciò dinamica. L'iter evolutivo di alcuni meccanismi della grammatica di codesto substandard può essere 18
È noto che il nuovo canone linguistico classico si affina nel lasso di tempo che intercorre fra le commedie di Terenzio (166-160) e la prima attività di Cicerone (82-81), per affermarsi nell'età di Cesare. Per l'andamento di questo processo di vera "standardizzazione" si veda il quadro schematico di Coseriu (in Kontzi 1978, 268 ed ivi anche il contributo critico di Tovar). " U n esempio d'innovazione metodologica in questo settore è offerto da Durante (1981).
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u n parametro d'enorme rilevanza per il linguista che lavora in diacronia. È il m o m e n t o di passare ad esemplificare alcuni 2 0 dei m e c c a n i s m i c o m u n i ai registri informali qui scelti. Prima dell'esemplificazione (che è ridotta all'essenziale) descrivo in due s c h e m i sinottici, ( A ) il tipo di ristrutturazione che rappresenta il m o d u l o informale rispetto allo schem a codificato e (B) le implicazioni, a livello di marcatezza, che deriv a n o da u n tale ridimensionamento. D o p o l'esempio può seguire u n breve c o m m e n t o su alcune particolarità. ( C o n ( + ) indico le f o r m e accettate dalla norma, c o n ( - ) quelle n o n previste nello standard).
2. V e r s o u n a r c i m o d i f i c a t o r e n o m i n a l e e v e r b a l e 2. A.
{
Agg(ettivo)
*• Avv(erbio)
= (implica) Modi= Mod 2 = [ARCIMOD] ¡
substandard S(intagma) N(ominale) + Mod(ificatore) iAgg ^ V(erbale) + Mod 2Avv^ standard 2. B. (1) S e m p l i f i c a z i o n e delle opposizioni paradigmatiche 2 1 ; (2) marcatezza a livello sintagmatico: fr. pop. : ( + ) il court fort, vite; vous chantez juste; elles voient clair; ces fleurs sentent b o n ; ( - ) la prise de la religion s'exerçait plus profond, it. pop. 2 2 : ( - ) mangiare adatto; parlare breve; entrare così facile; parlano così brutto ; io non farò la gita inutile ; dimmi veloce veloce (TV: 20 Per motivi di spazio la mia scelta è molto limitata. Ulteriori esempi si troveranno nel Manuale di Dialettologia Sarda che sto approntando. 21 Occorre, però tener presente la distinzione fra semplificazione delle opposizioni paradigmatiche, che ha come compenso lo spostamento della marcatezza sul piano sintagmatico, e semplificazione della grammatica tout court. Se di semplificazione della grammatica si parla, ciò può essere soltanto possibile nell'ambito della G(rammatica)G(enerativa)T(rasformazionale), nella versione estesa, quando a livello d'input lessicale si può eliminare la R(egola) di R(idondanza) L(essicale) per la F(ormazione) delle P(arole) che consente di risparmiare ridondanze nelle sottocategorizzazioni di voci avverbiali derivate de ossia RRL(FP) del tipo: Uçgvoci X • aggettivali; ] — [ X # ]una -mente] _ /SEMANTICA : 'in modo X' Avv
(si legge: da qualsiasi agg., senza aggiunte morfematiche, possiamo formare un avverbio uscente in -mente che significherà 'in modo X'). È logico inferire che la grammatica dell'informale non conoscerà questa regola. Per il modello teorico v. Radford (1983, 164). 22 Molti degli esempi qui addotti provengono da: Pronto? L'Italia censurata delle telefonate a Radio radicale con prefazione di Oreste del Buono, Milano, Mondadori, 1986. Cfr. inoltre Bischoff (1970): camminar lento, in Soldati ecc.
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Non-Stop del 8.1.87: si noti inoltre la coppia: egli corre forte e egli è scemo forte). cat. pop.: (-) explica't clar iparla naturai (R(ussinyol) 983). spagn. pop. : ( + ) habla ràpido, lento, fuerte (ma già Berceo, s. XIII. : decie cutiano missa 'cotidianamente', Mil. v. 220). sd.: C(ampidanese) fueddài/L(ogudorese) alleyàre bàsu, fórti/e; C e bbértniu triyaSiu ('è venuto tardi', da 'tardivo'), est andàu derétu 'direttamente'; kuHSi vórti. lat. volg. : (Mulomedicina Chironis, V sec.) ambulavit transversus, rectum, pravus; (Vegezio) rectos pedes mittere non potest\ (Petronio) risit blandum (ma già gr. yzkaiaaq ij^epov), loquebantur derectum (cfr. fr. ils parlaient droit, spagn. hablaban derecho). gr. : |iéxpcov 'moderata(mente)' (Platone), Ttuxvóv 'spesso' ('denso'), xaxó 'rapida(mente)'. rum. : am spus sigur, am plecat incet ('lento'). prov. ant. : parlar bas (accanto a bassamens), des cor sospiret preon, ho dis apert (Marcabrun)23, fol m'avet parlatz. ingl. colloquiale: awful fond, near full, particular nice, rare lucky, terrible homesick; oh you're real good! (Pygmalion di B. Shaw, es. da Lehnert 1980,42). Come si può vedere, l'aggettivo funge da arcimorfema modificatore, di sintagmi nominali e verbali. 3. Ridimensionamento delle marche deittiche 3. A. Funzioni: [1 *— 2 «— 3] > [1 ~ 2 polivalente ± (avverbi suppletivi)] 3. B. (1) riduzione dell'inventario; (2) riferimento locale superordinato (= estensivo) a quello personale: fr. pop.: ( + ) ce n'est pas celui-ci, c'est celui-là — (-) c'est pas 5ui-là, c'est 5ui-là-bas it. pop.: quella professione lì; cercavano in quell'albergo lì; si discute quello là, questo qui ; questo qua è sempre bene a saperlo24. 23 24
Cfr. Jensen (1986, 46). Cfr. Bianconi (1980, 142) e Sornicola (1981, 217). Per la semplificazione parallela in cat. e per il processo diacronico dell'italiano (già documentato in Brunetto Latini) v. Blasco (1984a), Brodin (1970), Haller (1973). Per il fr. e per la sua traiettoria particolare v. Harris (1978, 81-83). Si osservi che la situazione del fr., con morfema unico e postdeterminazione è conosciuta altresì dal friulano e dal meglenorumeno. Si noti infine che, come in lat., il sistema trimembre gr. diventa labile durante la icoivf| (lo prova, fra altri
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lat. volg. : quid ego ista mea fortuna; orationem istam meant (Marco Aurelio);post istam defensionem meam (Cicerone); iste meus stupor (Catullo) 25 . sd.: C non ésti kùssu innói, ésti kuss'àtteru inguddéni (lett.) 'non è questo qui, è quest'altro laggiù'26. Si noti inoltre ted. regionale di Bavaria desto ( < des do) 'dies da' e ingl. coll. thiss a ( < this there/here), this yere dwarf (Lehnert 1980, 62).
4. Marcatezza spaziale contro marcatezza personale 4. A. riferimenti locali ~~ riferimenti personali
+
4. B. (1) Semplificazione paradigmatica; (2) spostamento dell'ottica: marcatezza sintagmatica per mezzo di anàfora/catàfora: fr. pop. : ( - ) y avait un mec là-bas et moi j'y ( = lui) ai dit; j'y ( = leur) casserais la gueule à eux tous21. it. pop.: ci C = gli) parlo a Giovanni oggi; ci ho detto tutto (a loro); questo, signora, non succede nell'Italia settentrionale, ce lo dico io (film di Blasetti, 1940); siciliano ci lu detti a ma fràti2H. cat. pop. : jo /'hi ( = li ho 'glielo') vaig comenfar a dir-lijove i sempre més /'hi diré, (lett.) 'iniziai io a dira' giovane e sempre ci dirò così' (R 989 e 974) 29 . indizi, il connotato negativo di oìto?, come in oi>% ópaq toótu? toì>; ctuko(pàvtag ài; eóxeXeìg 'non vedi codesti Sicofanti come sono a buon mercato'): si ha così un passaggio di (1) 68e - (2) outoq - (3) ékeIvo;, tramite 1-3, a (mod.) 1 toOto? - [ 2 amóc, - 3 ÉKetvog] (ma con un basso rendimento della funzionalità trimembre; v. Browning 1983,61; Mackridge 1985,226; Mitsakis 1967, 41 con esempi di Romanos). 25 Cfr. Abel (1971) e inoltre Bastardas (1953, 71): qui hanc ista carta. 26 Si osservi che in sd. esiste la consuetudine di adoperare kùssu per persone o riferimenti osservabili e kuddu per riferimenti passati; una siffatta delimitazione era anche usuale in spagn. ant.; cfr. Larkin (1965,31): "it appears likely that este forms are associated with events relived, and aquel forms with events which are merely related". 27 II fenomeno è già attestato nel Quattrocento e poi condannato da Vaugelas (v. Steinmeyer 1979, 118-120). 28 Cfr. Sgroi (1986,31). 29 La sostituzione di illi con ibi (o hic) è stata oggetto di roventi polemiche durante il processo di codificazione; cfr. Segarra (1985, 177-179). In realtà la comparsa di un pronome avverbiale al posto di uno personale è datata attorno al Trecento.
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sd.: bi /' àppo dàu a ffrà Se méu 'glielo ( = ci + lo) ho dato a mio fratello' ; bi lu nàro éo 'glielo (ci + lo) dico io' (al posto di illi illud: li(l)u)30.
prov. ant.: perpaor c'om no loy emble. ingl. coli. : give it here = 'give it to me, to us' ; gì ve it there = 'to him'. ted. coli.: gib her = ,gib mir', gib's da! = ,gib's ihm, ihr'.
5. Relativo sintagmatico 5. A. .. . SNi [.. . REL(ativo)j
+ CAS0]
-
SNj [. . . REL, + PRO(nome)
CASO)
(si legge: un nominale-testa modificato da un relativo con marca di caso è sostituito con un nominale-testa modificato da un relativo non-marcato più un pronome con marca di caso). 5. B. (1) Riduzione paradigmatica; (2) spostamento della marcatezza al sintagma: fr. pop.: ( - ) la chose que ( = 'de laquelle') je vous parie; l'homme que ( = 'auquel') je lui ai donrté du fric; la femme que son mari est mort hier ('dont le'). it. pop. : la scatola che ci ( = 'dove, in cui') mettevo il tabacco; la sala che ci ('dove') stavano cento persone31 ; l'uomo che gli ('a cui') ho dato la lettera; l'uomo/la donna che gli/le ('a cui': gli per le è altresì molto frequente) prestai soldi32. cat. pop. : aquell que no en donarieu dos quartos ('per al qual'), 'colui, per cui non dareste un soldo' (R 981); t'ho diu un veli, que ja no n'hi queden ('com el qual'), 'te lo dice un vecchio, di cui non ci sono più'33 ; aquells dies que ('en què') el cel té un tó de perla (Josep Carner, Sota les frondes gotejants). 30
Parimenti in alcuni dialetti si osserva la stessa sostituzione di nds con hinc(e) alla 4 persona, come in it. : (Sènnori) nàrakke = L comune nàranos; akke lu fayfòes unu pjayére? = L a nnólìu fayies unu prayére? 'ce lo fate, un piacere?'. 31 Castellani mi informa (comunicazione orale) che tali costruzioni sono comunissime e da lui accettate come normative. Per alcuni esempi medievali si veda ora Sornicola (1985, 14: in tutti questi casi, però, si tratta di un pronome avverbiale!). 32 II fenomeno è altresì caratteristico di certi dialetti, quale il siciliano, per il quale Sgroi invoca (a mio parere a torto) l'influsso del superstrato arabo (1986, 40-45). Per una posizione analoga cfr. Bossong (1982, 13), che è propenso ad accettare l'influsso dell'arabo sulla sintassi del castigliano alfonsino nel caso della relativa: tilka l-daragatu llati turidu ma?rifata matali?ihà 'aquel grado que tu quieres saber sus sobimientos'. 33 Ho attestato il fenomeno fino in Ausiàs March (s. XV): celi Texion qui el
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sd. : C sa dómu ki nei yanta a sa púdda e su ya póni si zitti Si 'la casa che ci ( = 'in cui') la g a l l i n a c a n t a e d il gallo tace'; L s ornine ki li àppo dáu su dinari ' l ' u o m o che gli ('a cui') h o dato i soldi' ( f o r m e regolari in it. reg. di Sardegna), lat. volg. : (il f e n o m e n o di c r i s t a l l i z z a z i o n e di u n m o r f e m a invariabilec o m p l e m e n t a t o r e , p e r l o p i ù all'accusativo, più il p r o n o m e a n a f ò r i c o p r o v v i s t o d e l l a m a r c a di caso, è b e n attestato sin dall'Itala): ( G e n . 2 4 , 4 2 ) si tu prosperas uiam meam q u a m ego nunc ingredior in e a m ( = in q u a ) ; ( N u m . 14,31) terram, q u a m uos abscessistis ab ea ( = ab qua). Inoltre si v e d a n o , n e l l e Formulae Andecavenses e Senonenses, alcuni esempi di p r o n o m i n o n a v v e r b i a l i : hominem . . . q u e m ego beneficium ei feci; illud enim non fuit condigum, quod egesti in Segeberto regnum de Grimaldo maioremdomus, q u e m ei sustulisti sua unica oue, sua uxoreì4. gr. 5THXOTIKT|35 : f| y u v a Í K a TIOÙ (TF|v) e í 8 e ó r i a v r à f j t a v f| |ir|Tépa t f | g KonèXac, 'la d o n n a c h e v i d e G i o v a n n i era la m a d r e d e l l a ragazza'; ó á v S p o i t o g noù (toO) S á v e i o a x à Xecptà e l v a i ó Qeìoq jxou ( = a x ò v ÓTOTo) ' l ' u o m o che gli (a cui) diedi i soldi, è m i o zio', spagn. pop. : es ese niño q u e le ('a quien') dicen el intérprete; peor es el otro, ese q u e le dicen el Barbas; el niño q u e se le ha muerto la madre; la señora q u e le he dado la llave36.
34 35
36
buitre el menja el fetge 'quel T., a cui l'avvoltoio mangia il fegato' (in Poesia catalana del segle XV, a c. d. J. LL. Marfany, Barcelona, ed. 62, 1967, 21/17). Inoltre: el minyó que son pare va pendre mal, forma difesa dai grammatici pre-fabriani, d'accordo con l'uso popolare (così Nonell e Grandia, v. Segarra 1985, 195). Cfr. Bouet et alii (1975, 200), Touratier (1980, 496), Ch. L e h m a n n (1984, 366). II f e n o m e n o è regolare in zaconico ( D e f f n e r 1881, 3): o Qileph'ekàna mazìsi 'l'amico che sono andato con lui'. Cfr. inoltre Monteil (1963), Seiler (1960) per la questione diacronica e Joseph (1983) per la situazione odierna. Sul piano degli universali (Seiler, L e h m a n n , Greenberg, Comrie), è interessante osservare come i tre tipi fondamentali enucleati da Joseph (sulla base di Keenan-Comrie) per il gr. mod. costituiscano tre fasi differenziate dell'evoluzione della costruzione col relativo, applicabili alle situazioni riscontrate nei registri studiati prima. Così il tipo (3), solo col relativo flesso, rappresenta il punto iniziale della traiettoria e si configura come il tipo normativo maggiormente elaborato (QUI-CUIUS, C U I - Q U E M ; K a Q a p e u o u a a : o opios-tu opiu-ton opion ; it. : che-dei/al quale/cui); il tipo (2), col relativo invariabile e la ripresa anaforica pronominale del caso è un modulo più evoluto, tipico del fr. e dell'it. pop., m a anche di altri registri (ceco, genovese, sloveno, ted. di Zurigo); infine, il tipo gerarchicamente superordinato, col solo relativo invariabile, rappresenta il punto terminale dell'evoluzione, raggiunto dal sardo e in parte dal demotico. Cfr. Beinhauer (1978, 420).
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ingl. coli. : the house that its (whose) roof was dammaged (cfr. anche Lehnert 1980, 65-66 con analisi diacronica della generalizzazione di that a scapito degli altri pronomi). Vale la pena descrivere questo cambiamento linguistico in termini generativi (per mezzo della sintassi a X-barra: seguo qui Radford 1983, Chomsky 1981, Rizzi 1982). La relazione di relativo viene intesa come un nominale-testa modificato da una F(rase) contenente un WH-nominale (equivalente al relativo sostituto di un SN) e introdotta da un COMP(lementatore)-barra. Tramite due trasformazioni il WH-SN (che contiene una PREP(osizione)-caso, ossia una PREP che governa il SN) dovrebbe essere spostato sotto COMP (strategia di: WH-fronting) e provocare il dileguo di quest'ultimo (COMP-deletion). Ciò può accadere, però, quando non ci sono costituenti a sinistra del COMP, il che non risponde al nostro caso, che viola questa restrizione, perché mostra la presenza della PREP (cf. Cinque 1978, 35-37; 1981 e Kayne 1976, 83, che ricorda il principio di recuperabilità della cancellazione, per cui l'elemento cancellato non può essere diverso dall'elemento sostituente). Le regole postulate da Romaine (1981,47) non sono più applicabili e bisogna perciò formulare una restrizione sulla trasformazione "muovere WH", che assegni il P R O ^ a funzione anafòrica (in virtù della sua coindicizzazione col WH): F(rase) di REL(ativo): la donna vede l'uomo che io gli parlo ( = 'a cui') F la i
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Regola di assegnazione di WH (WH-Attachment-Rule) : + WH + REL + PRO F SN
la don
PROf
V
parlo
Regole : di estrapolazione di WH (WH-Fronting-Rule), e di assegnazione di anafora (con marcatezza caso) (PRO-DislocationRule). La regola dell'anafora mette pienamente in evidenza lo spostamento della marcatezza sul piano sintagmatico.
6. Rinuncia alla semi-attualizzazione37 6. A. piena attualizzazione: modi:
37
congiuntivo
> >
+ indicativo /
F
volitiva ipotetica
Con attualizzazione intendiamo (con Peter Wunderli) la marcatezza, a livello formale, delle funzioni temporali e personali espresse dal morfema verbale. Il congiuntivo, come si sa, è semi-attualizzato, perché i suoi paradigmi, contrariamente a quelli dell'indicativo, non forniscono informazioni precise sulle opposizioni di tempo o persona. Cfr. Wunderli (1976, 11-28) e ora Schrodt (1983, 24 e 139). In it. il congiuntivo mostra segni di decadenza già a partire dal Trecento (Durante 1981, 272), ma la sua traiettoria non è né lineare né continua e la sua fortuna dipende da molteplici fattori (diatopici, ma anche di tipo strutturale). Aldo Prosdocimi mi dice che, a suo parere, la sostituzione del congiuntivo nei costrutti volitivi è di recente data e in ogni caso legata alle traduzioni di films inglesi secondo gli schemi romaneschi (e di fatto ho attestato il fenomeno nei films inglesi). Tuttavia, non credo che sia possibile attribuire interamente questo meccanismo all'opera dei traduttori romani (errori di congiuntivo si trovano anche nei films di Totó, Blasetti o in tra-
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6. B. Modalità espressa nel sintagma (contesto), non tramite opposizioni paradigmatiche : fr. pop.: je ne doute pas qu'il vient (vienne); moi-z-aussi j'pars, quoiqu'i est (soit) v(e)nu; c'est embêtant qu'il est (soit) pas là; si j'avais ( + ) du pognon, je t'en donnais (-) (donnerais), it. pop.: (-) voglio che vieni (venga), che fai (faccia); mi dispiace che chiudete(-iate) ; gli abitanti di Roma, spero che si moltiplicano(-ino; gli esempi sono da Pronto?)', se oggi/ieri veniva (venisse/fosse venuto), mi vedeva (vedrebbe/avrebbe visto); speravo che non veniva (venisse); aveva paura che noi per sbaglio gli rompevamo (rompessimo) le calze38. cat. pop.: si tenia (tingués) cèntims, t'en donava (donaria); que hi ha ( = hagi) mésgent jove que no mira la tele, això no ho poso en dubte; si jo posava (posés) la bandera al pal, t'hi veuria a dalt (Papasseit)39. sd. : C es kapâssu ki firóiòi (it. reg. sd. è capace che piove) 'è possibile che piova' ; L si aiaôa témpuzu, bi lu naràfìaòa (it. reg. sd. se aveva tempo, glielo diceva)', C ki ôenému vâmmini, papàmu (it. reg. sd. se avevo fame, mangiavo). lat. volg. : (Plauto) si uolebas (uelles) participare, auferres dimidium domum ; (Cron. Fredegario) si iubebas, accederemus ad prilium40. spagn. pop.: si tenia (tuviese) dinero, te lo daria*x. duzioni da films spagnoli, come in: è meglio che non escono per primi in L'Angelo sterminatore di Buftuel, 1960; inoltre sono d'accordo con Stefanini, quando dice che la sostituzione del congiuntivo con l'indicativo non è evenienza esclusiva del romanesco). 38 Alcune di queste costruzioni sono oggi comunissime, malgrado il rammarico dei puristi ; trovo perciò giusta la posizione meno rigida (normativa) di Lepschy/Lepschy (1984, 202-205) e di Sabatini (1985, 166-168). 39 In J. S. Papasseit, Selected Poems, Oxford, The Anglo-Catalan Society, 1982, 70. Ma la costruzione è documentata nel sec. XIV: si avia ('hagués') nagun len an Aspana qui degués tornar, ab lo len te-n pories venir 'se ci fosse (lett. c'era) alcuna nave in Ispagna che dovesse ritornare, potresti tornartene con essa' (in Cine lletres privades del segle XIV, Butlleti de la Societat Catalana d'Estudis Histories I, 1952, 25). 40 Per altri esempi v. Bourciez (1967, § 267), Haadsma/Nuchelmans (1966, 69), Tovar (1946,215); Per degli esempi nella koiné greca, attinti al linguaggio pop. di Ioannes Moschos (2a. metà del VII. sec.), v. Mihevc-Gabrovec (1960, 112). 41 La sostituzione del congiuntivo con l'indicativo è molto usuale nel linguaggio colloquiale e mostra una netta tendenza ad avvicinarsi alle condizioni italiane : temo que llegará {= llegue) con retraso; me alegro mucho de que así es ( = sea); lástima que yo no hablo (hable) inglés; peor hubiera sido si le llevan ( = llevasen) un brazo o un pie ; inoltre, come in it. pop. : si le ayudarías ( = ayudases), él te lo agradecería (cfr. Steel 1976, 143 e 156-157; Hernández A., 1986, 307).
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port. pop.: se eu tivesse dinheiro, compra va(-ria) urna casa; eu se poetesse, ia ( = iria)42. ted. pop.: ich wünschte, er würde kommen (käme); dimotiki: &v 7tf|yatv&; 3 à TÒV latenze, 'se andavi (tu fossi andato), lo vedresti (avresti visto)'.
7. Ipo- e ipermarcatezza temporale (o indistinzione dello stadio)43. azione: tempo:
- compiuta presente
+ compiuta passato
7. B. (1) Semplificazione dell'inventario paradigmatico; (2) marcatezza dello stadio nel sintagma: fr. pop.: ( + ) je /'ai eu apprise cette poésie; fai eu fait mon service avec quelqu'un; quand / a i eu mangé, je suis sorti; il a eu vite fait44, it. pop. : (ipomarcatezza) mi auguro che i cittadini di Roma facessero ( = 'facciano') viaggi fuori (assessore di Roma, Repubblica del 24.09.86); (ipermarcatezza) egli aveva creduto che l'andare con lei non avesse potuto ( = 'potesse') significare nulla; chi avrebbe mai creduto che gli Ubaldini fossono venuti ('venissero') in tal mattina; adosso presto la bestia fu corsa (corse); avanti che il mattino venne, /'ebbe ucciso ('uccise')45. sd. : L es kolâôu inkuddâne ki non l aére bbiôu niune ( = lett. 'è sceso di là, perché non l'avesse visto nessuno'); kreSias ki séreôe aribbâ kiOo? (lett. 'credevi che fosse arrivata presto?'), C kandu issu fu bbénniu, déu mi ndifému andàu ( = lett. 'quando egli fu venuto, io me ne fui andato').
42
Cfr. Wernekke (1885), Tlàskal (1982, 113: quer que voltamos logo = voltemos) e Leào (1961, 200: se alguém podia decifrà-o, era Peregrina). 43 Con stadio (ted. Stadium o Aktionsstand, ingl. stage) intendo i riferimenti grammaticali riguardanti il carattere più o meno conchiuso dell'azione (da non confondere con aspetto o con Aktionsart, cfr. Blasco 1984c). I morfemi che esprimono lo stadio sono perlopiù predeterminanti: ho cantato (stadio compiuto o terminativo) —> canto (stadio [- compiuto]). Il fenomeno qui trattato è intimamente collegato con il precedente, perché l'annullamento della marcatezza avviene dapprima nel modo congiuntivo e nel periodo ipotetico, dove i riferimenti temporali, come abbiamo visto, sono ambigui. 44 Cfr. Majundar/Morris (1980). 45 Cfr. Ambrosini (1961, 126-143), Ageno (1964, 300-301).
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lat. volg. : (ipomarcatezza) mater mea uendedit lentiamina ut ueniam Alexandriae46 ; (Cic.) turn si dicerer, audirer ('se allora avessi parlato, sarei stato ascoltato'); si diceret, non crederetur ('se avesse parlato, non sarebbe stato creduto'); (ipermarcatezza): (Suet.) maluissem ( = mallem) off erre quam tradere\ maluissem allium oboluisses; putasses ( = -ares) ilium semper mecum habitasse ; (lat. di Egitto) si quominus necassem bolebat ; (Bellum Hispaniensis) quarto di nauigationis quodprofecti fuissent 'al quarto giorno di navigazione, da quando erano partiti'; turns lignea quae nostra fuisset.
8. Fenomeni vari di marcatezza sintagmatica Mi limito qui (per rispetto allo spazio concessomi) a riportare brevemente alcuni fenomeni di francese o italiano popolare che trovano riscontro in evoluzioni tipologiche ben documentate in altre lingue indoeuropee. La rassegna che segue intende porre in evidenza una delle mie conclusioni capitali: che il trend tipologico dei registri informali può integrarsi in uno schema dinamico (o evolutivo) caratterizzato dalla preminenza della marcatezza sintagmatica a scapito di quella paradigmatica. 8.1. Futurità modale (di tipo predeterminante) fr. pop.: il veut pleuvoir = il va pleuvoir demain; le train veut/va partir. sd.: L déppo fáyere kússu kráza 'farò ciò domani'; áppu a andài 'andrò'. lat. volg.: (Mulomedicina Chironis) de palato sanguis detrahi debet = (Vegezio) de palato auferendus est sanguis; debemus dicere 'diremo' (Coripp. Ioh. VI, 252); et cognovi.. . me pro eo petere debere (Passio Perpetuae, VII. sec. 'pregherò, chiederò'), facere debetis (Passio Scillitanorum, 'farete')47. 46
Cfr. Díaz y Díaz (1981,22), Petersmann (1977, 199-200), Calderini (1951, 261). Per quanto riguarda gli spostamenti attuatisi nell'ambito del periodo condizionale lat. v. il lavoro di Harris (1986). Infine, quanto alla collisione fra il piuccheperfetto indicativo e congiuntivo e l'imperfetto e la traiettoria di questi tempi da Plauto in poi, si veda il ricco materiale contenuto in Biase (1894). 47 Cfr. Schick (1962, 227). Credo che non sia un caso fortuito il fatto che la latinità africana mostri, nei testi meno letterari e più tributari del modello greco, il modulo del fut. con debeo, diffusosi poi in quasi tutta la Romània e che ha attecchito in Sardegna: a mio parere bisognerebbe ricondurre siffatta evenienza abituale all'influsso di ócpsüua, ó