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German Pages 360 [361] Year 1976
A. A. L E O N T ' E V • P S Y C H O L I N G U I S T I S C H E E I N H E I T E N UND D I E E R Z E U G U N G SPRACHLICHER ÄUSSERUNGEN
SAMMLUNG 32
SPRACHE
AKADEMIE-VERLAG
A. A. L E O N T ' E Y
PSYCHOLINGUISTISCHE
EINHEITEN
UND DIE ERZEUGUNG SPRACHLICHER ÄUSSERUNGEN
In deutscher Sprache herausgegeben von F R I T Z
JÜTTNER
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN
1975
Titel der Originalausgabe: A. A. JleoHTbeB IICHXOJIHHrBHCTHHeCKHe 6AHHHi;bI H nopomfleHHe peneBoro BMCKa3HBaHHH M3ÄaTejibCTBo « H a y n a » MocKBa 1969 Übersetzung aus dem Russischen: Reinhard Fischer, Fritz J ü t t n e r , Teodolius Witkowski Leitung: Fritz J ü t t n e r
Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © der deutschen Ausgabe 1975 by Akademie-Verlag, Berlin Lizenznummer: 200 • 100/250/75 Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenhainiclien/DDR • 4295 Bestellnummer: 752 111 0 (7532) • LSV 0805 Printed in GDR EVP 23,-
Inhalt
Vorwort dos Herausgebers der deutschen Ausgabe Vorwort des Autors zur deutschen Ausgabe Vorwort des Autors zur russischen Ausgabe Kapitel I. Der Begriff der Einheit in Linguistik und Psycholinguistik
VII XV XIX . . .
1
§ 1. Linguistische und sprachliche Einheiten § 2. Das Problem der Abbildung und seine Bedeutung für die Psycholinguistik § 3. Die verschiedenen Richtungen in der Behandlung der psycholinguistischen Einheiten § 4. Die psycholinguistischen Einheiten in der Auffassung Ch. E. Osgoods § 5. Die psycholinguistischen Einheiten in der Auffassung G. A. Millers ij 6. Die Ansichten N. A. Bernstejns und das Problem der psycholinguistischen Einheiten ij 7. Analyse „nach Einheiten" und elementare Handlung § 8. Schlußfolgerungen
28 36 39
Kapitel II. Psycholinguistische Modelle der Erzeugung von Äußerungen
41
§ 1. § 2. 3. § 4. § 5.
41 42 47 50
§ 6. § 7. ü 8. § 9. § 10. ¡5 11. S 12. ij 13. § 14.
Vorbemerkungen Untersuchungen auf der Basis Markovscher Modelle Assoziative Experimente Die Bedeutung des Kontextes Grammatiken mit endlich vielen Zuständen und grammatische Assoziationsklassen „Psycholinguistik der Folgen" Einheiten und Ebenen im Modell von Ch. E. Osgood Die Nichtanwendbarkeit des Markovschen Modells bei der psycholinguistischen Modellierung der Erzeugung von Äußerungen . . . . Die „ G r a m m a t i k für den Hörer" von Ch. F. Hockett Die IC-Grammatik Die psycholinguistische Verwertung des IC-Modells Osgoods On Understanding and Creating Sentences Die Forschungen von N. F. Johnson und \V. J . M. Levelt Die Nichtanwendbarkeit des IC-Modells bei der psycholinguistischen Modellierung
1 4 8 14 22
52 55 58 62 64 66 70 73 81 84
V
§ 15. Die Transformationsgrammatik § 16. Die psycholinguistische Interpretation der Transformationsgrammatik durch N. Chomsky § 17. Psycholinguistische Forschungen auf der Grundlage des Transformationsmodells § 18. Die semantische Theorie von J . J . Katz und J . A. Fodor § 19. Kritik des Transformationsmodells § 20. Experimente zum Nachweis der Inadäquatheit der Transformationsgrammatik § 21. Versuche einer Revision des Transformationsmodells „von innen" § 22. Das Problem der inneren Sprache § 23. Die experimentelle Begründung für die Idee der inneren Programmierung § 24. Das applikative Modell § 25. Einige Ideen innerhalb der Theorie der automatischen Ubersetzung § 26. Theorien der Sprachperzeption § 27. Das Problem des „angeborenen Wissens" § 28. Schlußfolgerungen
129 132 134 135 145 150
Kapitel III. Pläne, ihre Struktur und Realisierung
152
§ 1. Vorbemerkungen. Die Klassifikation sprachlicher Äußerungen . . . § 2. Struktur und Bedingtheit der Sprechhandlung. Wahrscheinlichkeitsprognose § 3. Die Struktur des Außerungsprogramms und seine Beziehung zur inneren Sprache § 4. Die motorische Redeprogrammierung § 5. Arten von Gedächtnis. Die Rolle des Gedächtnisses bei der Erzeugung der Äußerung § 6. Das operative Gedächtnis § 7. Unmittelbares und permanentes Gedächtnis. Kriterien der Wortwahl § 8. Die Realisierung des Äußerungsprogramms § 9. Die Realisierung des motorischen Programms § 10. Schlußfolgerungen
152
Kapitel IV. Das kontrollierte Sprechverhalten und die Formierung von Images § 1. Allgemeine Grundsätze § 2. Die Ebenen der Bewußtheit und die Aufgaben des Muttersprachund Fremdsprach-Unterrichts § 3. Psychologische Charakteristik des Muttersprach-Unterrichts . . . § 4. Psychologische Charakteristik des Fremdsprach-Unterrichts . . . . § 5. Schlußbemerkungen
87 90 98 108 112 120 12,'! 120
164 177 195 199 215 220 236 250 253 258 258 266 273 283 296
Kapitel V. Grundzüge des vorgeschlagenen Modells .
299
§ 1. Allgemeine methodologische Prinzipien § 2. Das Modell der Sprachfähigkeit § 3. Schlußbeiuerkungen
299 301 307
Literatur
309
Namenverzeichnis
333
VI
Vorwort des Herausgebers der deutschen Ausgabe
Die Psycholinguistik — junge wissenschaftliche Disziplin im Überschneidungsgebiet von Linguistik und Psychologie — h a t in den letzten J a h r e n eine stürmische Entwicklung genommen. IhrenGegenstand bilden nach Aleksej Alekseevic Leont'ev die Sprechtätigkeit in ihrer Gesamtheit und die Gesetzmäßigkeiten ihrer komplexen Modellierung. 1 Sie untersucht die S t r u k t u r und die Funktionsgesetzmäßigkeiten der Mechanismen, die den A u f b a u der menschlichen Sprechtätigkeit auf den verschiedenen Stufen ihrer Formierung, in verschiedenen Problemsituationen und bei Benutzung unterschiedlichster Sprachen organisieren. 2 Ihre Aufgaben umfassen den weiten Bereich, der mit der Produktion und Perzeption sprachlicher Äußerungen sowie mit dem Erwerb von Mutter- und Fremdsprache zusammenhängt. Die hohe theoretische und praktische Bedeutung ihrer Aufgabenstellung sichert der Psycholinguistik international ein ständig wachsendes Interesse. Mit der vorliegenden Ausgabe erscheint — nach SpracheSprechen—Sprechtätigkeit3 — die zweite Monographie von A. A. Leont'ev in deutscher Ubersetzung, die erste in der D D R . Die Anregung, das Werk dem deutschsprachigen Leser zugänglich zu machen, ging von psychologischer Seite aus, wurde aber von Linguisten um so bereitwilliger aufgegriffen, als das allgemeine — linguistische, psychologische und pädagogische — Interesse an der Psycholinguistik, ihren Fragestellungen, Methoden und Ergebnissen, in den letzten J a h r e n auch bei uns erheblich zugenommen hat, das Angebot an deutschsprachigen Informationsmöglichkeiten überhaupt, speziell 1
2
3
Vgl. A. A. Leont'ev, S p r a c h e — Sprechen — Sprechtütigkeit. S t u t t g a r t , Berlin, Köln, Mainz 1971, S. 97. Vgl. A . A. JleoHTteß, OcHOBHbie HanpaBJieHHH iipHKjiasHOH nciixoJiHHrBMCTiiKH B CCCP. I n : A . A. JleoHTbeB (red.), Peießoe B03HEIICTBHE. llpoöjieMki npHKJiaaHOK ncHxomiHrBHCTHKH, MocKBa 1972, S. 8 f. Genaue bibliographische Angabeil im Literaturverzeichnis a m E n d e des B u c h e s . VII
aber über Entwicklung, Grundlagen und Konzepte der zeitgenössischen Psycholinguistik in der Sowjetunion äußerst gering ist. (Nach einigen kleineren deutsch erschienenen Beiträgen von A. A. Leont'ev' 1 wird parallel zu dieser Ausgabe im Akademie-Verlag Berlin ein Ubersetzungsband sowjetischer Aufsätze zur Psycholinguistik vorbereitet. 5 ) In der vorliegenden Publikation — ebenso wie Sprache—Sprechen—Sprechtätigkeit im Original 1969 erschienen — vermittelt der Autor, führender Repräsentant der sowjetischen Psycholinguistik, einen aufschlußreichen Überblick über Probleme und Methoden der psycholinguistischen Forschung, über den erreichten Forschungsstand, über Perspektiven und künftige Aufgaben der Psycholinguistik. Er ordnet die Fülle theoretischer und experimenteller Einzelarbeiten zur Modellierung der Sprechtätigkeit, speziell der Erzeugung sprachlicher Äußerungen, und unterwirft sie einer kritischen \\ ürdigung. Dabei bezieht er in seine Darstellung auch linguistische Modelle ein, die bisher noch keine psycholinguistische Auswertung fanden (etwa das applikative generative Modell von S. K. S a u m j a n oder die Anfänge des „Sinn ran. Die Konstituentenstruktur ist bei Hockett von besonderem Charakter: Sie umfaßt nicht nur Formklassen, sondern auch Konstruktionen oder Konstruktionsmerkmale. Nach Hockett ist die „Konstruktionsgrammatik" grundsätzlich auf die stochastische Konzeption zurückführbar. „. . . Mittels eines Markovschen Prozesses mit endlich vielen Zuständen kann man sich 69 Vgl. a. a. O., S. 225. 65
der Grammatik einer Sprache mit dem jeweils erforderlichen Genauigkeitsgrad annähern,"70 In vorliegender Arbeit besteht keine Notwendigkeit zu detaillierter Analyse und Kritik der Konzeption von Hockett. Wir verweisen nur auf die nach unserer Ansicht wichtigste Unzulänglichkeit seiner Darlegungen, die Gemeinsamkeiten mit dem bekannten Paradoxon von Achill und der Schildkröte aufweist. Hockett geht von der Annahme aus, wir operierten mit der Grammatik der Sprache ausschließlich mittels aufeinanderfolgender Schritte auf einer Ebene und die Prognose erfolge ausschließlich durch Auswahl der jeweils nächsten Alternativen. Das Problem des außersprachlichen, ja selbst des einfach die Satzgrenzen überschreitenden Kontextes wird nicht berührt. Übrigens gibt sich selbst Osgood, dessen Arbeiten durchaus nicht das letzte Wort in der heutigen Wissenschaft repräsentieren, klar Rechenschaft darüber, daß das Operieren mit der Sprache parallel, gleichzeitig in verschiedenen „Blöcken" erfolgt, wobei zwischen den verschiedenen parallelen Operationen eine bestimmte wechselseitige Abhängigkeit besteht, die über die einfache grammatische Nutzung semantischer Einheiten, wie sie Hocketts Modell zugrunde liegt, weit hinausgeht. Was bei Hockett unter dem Etikett „Gramm a t i k " als einheitlicher linearer Prozeß erscheint, ist bei Osgood im einzelnen nach v e r s c h i e d e n e n Ebenen, v e r s c h i e d e n e n Einheiten und ihren v e r s c h i e d e n e n Merkmalen aufgesplittert. Das Hockettsche Modell beruht auf der veralteten Vorstellung von der Identität der Struktur der Sprache mit der Struktur der Verarbeitungsprozesse sprachlicher Information. Gerade die Erkenntnis, daß diese Vorstellung falsch ist, hat aber zur Begründung der Psycholinguistik und anderer Strömungen der modernen Wissenschaft beigetragen. So k a n n die Deutung des Sprechverhaltens durch Hockett — abgesehen von einigen für Hocketts Konzeption zweitrangigen, aber an sich wichtigen Thesen — in den modernen Modellen der Redewahrnehmung und -erzeugung nicht verwertet werden. § 10. Die
IC-Grammatik
Da sich die stochastische Theorie im Lichte des Obengesagten als nicht oder nur sehr begrenzt anwendbar erweist 71 , gilt es, ein „stärke'0 Vgl. a. a. 0 . , S. 235. Chomsky räumt die Möglichkeit ein, „den Begriff der linguistischen Ebene als einfache lineare Darstellungsinethode zu erhalten, doch dabei zuzulassen, daß
71
66
res" generatives Modell zu suchen. Ein solches ist das Modell der unmittelbaren Konstituenten (immediate constituents, IC). Das IC-Modell beruht auf der Anwendung von D e r i v a t i o n s r e g e l n (rewriting rules) des Typs „Ersetze X durch Y", in formaler Notation: A' —>• Y. Um den Satz Der begabte Student porträtiert den alten Hirten zu generieren, kann man etwa von folgenden Regeln ausgehen: a) Satz -» Nominalgruppe + Verbalgruppe b) Nominalgruppe -> Artikel + Substantivgruppe c) Substantivgruppe ->• Adjektiv -f- Substantiv d) Verbalgruppe -> Verb Nominalgruppe e) Artikel -> der, den f) Adjektiv begabte, alten g) Substantiv -> Student, Hirten h) Verb ->• porträtiert Die Regeln e) bis h) unterscheiden sich von den anderen Regeln dadurch, daß auf ihrer rechten Seite ausschließlich konkrete Wortformen der beschriebenen Sprache stehen, von denen bei einer Regelanwendung jeweils nur eine einzige einzusetzen ist. Bedienen wir uns — mit „ S a t z " beginnend — der angegebenen Regeln in einer bestimmten Reihenfolge, so erhalten wir als eine Möglichkeit folgende „Derivation" (d. h. eine Folge von Ketten, von denen sich jede aus der vorangehenden durch einmaliges Anwenden einer Regel — in Klammern angezeigt — ergibt): Satz Nominalgruppe + Verbalgruppe (a) Artikel + Substantivgruppe + Verbalgruppe (b) Artikel + Adjektiv + Substantiv + Verbalgruppe (c) Artikel -j- Adjektiv + Substantiv Verb + Nominalgruppe (d) der + Adjektiv - f Substantiv -f- Verb + Nominalgruppe (e) der begabte + Substantiv -f- Verb + Nominalgruppe (f) der begabte Student + Verb + Nominalgruppe (g) der begabte Student porträtiert Nominalgruppe (h) der begabte Student porträtiert -f- Artikel + Substantivgruppe (b) der begabte Student porträtiert -f- Artikel + Adjektiv + Substantiv (c) der begabte Student porträtiert den + Adjektiv + Substantiv (e) der begabte Student porträtiert den alten -f- Substantiv (f) der begabte Student porträtiert den alten Hirten (g) Die letzte Kette heißt „terminale Kette", da sie ausschließlich aus mindestens eine solche Ebene von links nach rechts generiert wird mittels eines Mechanismus, welcher starker ist als ein Markovscher Prozeß mit endlich vielen Zuständen". Vgl. N. Chomsky, Syntactic Structures, S. 24.
67
nicht weiter zu ersetzenden Bestandteilen — den terminalen Elementen unseres Regelvokabulars — besteht. (Zwischen terminalen Elementen haben wir auch auf + als Verknüpfungszeichen verzichtet.) Die exemplifizierte Derivation läßt sich gemäß dem IC-Modell in Form eines Schemas darstellen: Satz
Verbalgruppe Artikel
Substantivgruppe
Adjektiv
Verb
Substantiv
Nominalgruppe
Artikel
Substantivgruppe
Adjektiv
der
begabte
Student
• porträtiert,
den
alten
Substantiv
Hirten
Abb. 2
Dieses Schema gibt allerdings nicht an, in welcher Reihenfolge die Regeln angewendet werden. Von der Derivation zum Schemagibt es nur einen Ubergang, vom Schema zur Derivation hingegen mehrere. Unsere Beispiel-Grammatik ist strenggenommen natürlich unvollständig, weil in ihr das äußerst wichtige Element kontextueUer Beschränkungen fehlt. So wäre der Regel h) hinzuzufügen, daß porträtiert als Verb nur eingesetzt werden darf, wenn die erste Nominalgruppe, die Subjektsgruppe, im Singular steht. Ferner fehlen etwa Angaben, die für die Subjektsgruppe den Nominativ vorschreiben und den Kasus der Nominalgruppe innerhalb der Verbalgruppe von der Verbrektion abhängig machen. In einer solchen Kontextgrammatik müssen auch Morpheme ihren Platz finden, zwar nicht alle, wohl aber diejenigen, deren Alternationcn von syntaktischer Bedeutung sind. Mit anderen Worten, eine „präterminale", d. h. der terminalen vorangehende Kette wäre in einer IC-Kontextgrammatik etwa folgendermaßen zu ergänzen (die Lexem-Äquivalente setzen wir in Klammern): (der) -(- Genus + Numerus + Kasus + (begabte) + Genus -f- Numerus + Kasus + (Student) + Numerus + Kasus + (porträtiert) + Person -f- Numerus + . . . usw. 68
Es sei darauf hingewiesen, daß die Morphem-Nomenklatur in einer solchen Auffassung der Nomenklatur sehr nahekommt, die sich aus der Grammatik-Konzeption im Modell von J. Greenberg und L. Prieto sowie in dem von uns gemeinsam mit G. A. Klimov erarbeiteten Modell ergibt. 72 Diese Gemeinsamkeit erklärt sich daraus, daß sich die Autoren all dieser Modelle auf das „Sprachgefühl" der Sprecher einer Sprache orientieren. Obwohl die Schaffung einer derartigen Kontextgrammatik unabdingbar erscheint, wird in fast allen Arbeiten, die sich des IC-Modells bedienen, nur die verkürzte Variante benutzt. So jedenfalls ist es praktisch in 100% der psycholinguistischen Studien, die sich auf das IC-Modell stützen. Deshalb werden wir, wenn wir künftig vom ICModell (ohne weitere Zusätze) sprechen, seine Variante ohne Kontextberücksichtigung meinen. Hier seien noch einige notwendige Begriffe eingeführt. Zum ersten handelt es sich um die Tiefe eines Satzes, als deren Maß das Maximum von Knoten mit ununterbrochener Linksverzweigung im Schema („Baum") dient. In unserem Beispiel ist die Tiefe des Satzes gleich zwei. Zum zweiten benötigen wir die Begriffe der progressiven (sich nach rechts verzweigenden) und der regressiven (sich nach links verzweigenden) Struktur: Der Baum eines russischen, englischen oder deutschen Satzes kann sich beliebig nach rechts verzweigen, während seine Linksverzweigung begrenzt ist. Anders sieht es im Japanischen, im Türkischen und in einer Reihe anderer Sprachen aus. Ehe wir zum nächsten Paragraphen übergehen, sei ein äußerst wichtiger Unterschied zwischen der IC-Grammatik und der Grammatik einer Sprache mit endlich vielen Zuständen umrissen. Im IC-Modell verläuft die Generierung in zwei Richtungen: von links nach rechts nnd „von oben nach unten" („von der Spitze zum Fundament"), d. h. nicht allein unter Berücksichtigung der Reihenfolge, in der die Komponenten auftreten, sondern auch unter Berücksichtigung ihrer „Expansion". Daß wir im ersten Generierungsschritt die Wortgruppe der begabte Student zu separieren haben, ergibt sich aus unserem Wissen über die Gesamtstruktur des Satzes und ist auf keine Weise stochastisch ableitbar. 72
V g l . A . A . JleoHTbeB, CJIOBO B peieBoti «eHTejibHOCTH, S . 1 5 C — 1 5 9 u . a .
69
§ 11. Die psycholinguistische
Verwertung des
IC-Modells
Der erste Name, der im Zusammenhang mit der psycholinguistischen Anwendung des IC-Modells erwähnt werden muß, ist der Name von V. H. Yngve. Yngve geht von folgender Voraussetzung aus: Eine Äußerung wird nach unmittelbaren Konstituenten in der Weise erzeugt, in der sie durch das beschriebene Modell generiert wird. Dabei erweist sich, daß gewisse Strukturen, die theoretisch (im Modell) möglich sind, in natürlichen Sprachen nicht angetroffen werden. Die Ursache hierfür liegt in der Begrenztheit des menschlichen operativen Gedächtnisses, das — wieG. A. Miller gezeigt hat 7 3 —nur mit höchstens sieben (richtiger 7 ± 2) Symbolen auf einmal operieren kann. Yngves Modell besteht aus der Grammatik und einem Mechanismus. „Die Grammatik enthält die Regeln der konkreten zu generierenden Sprache. Was den Mechanismus anbelangt, so ist er von äußerst allgemeinem Charakter und auf die Grammatik beliebiger Sprachen anwendbar." 7 4 Die Grammatik entspricht dem Konstituentenbaum und der Mechanismus den Beschränkungen, welchen die Realisierung des Baumes unterworfen ist. Das allgemeine Schema des Generierungsmodells veranschaulicht Abb. 3.
Abb. 3
Yngves Gedankengang ist folgender: Wenn wir bei der Analyse eines Satzes aus Nominal- und Verbalgruppe zur Analyse der Nominalgruppe übergehen, müssen wir irgendwo „vermerken", daß wir uns nach Beendigung dieser Analyse mit der Analyse der Verbalgruppe zu befassen haben. Hat sich herausgestellt, daß die Nominalgruppe aus Artikel und Substantivgruppe besteht, so wird es wiederum not73 74
G. A. Miller, The Magical N u m b e r Seven, Plus or Minus Two. Vgl. V. H. Y n g v e , A Model and an Hypothesis for L a n g u a g e Structure, S. 3. — E r g ä n z u n g d. H r s g . : Einen guten Überblick über das Y n g v e s c h e Modell vermittelt in der deutschsprachigen L i t e r a t u r der A u f s a t z Y. H. Y n g v e , Theorie und Praxis der maschinellen Sprachübersetzung.
70
wendig, eines davon „auf Vorrat" im operativen Gedächtnis zu speichern usw. So ist offensichtlich, daß bei der Bewegung entlang eines beliebigen linken Zweiges die Menge der zu merkenden Elemente gleich der jeweiligen Tiefe ist. Hingegen haben wir uns bei der Bewegung entlang irgendeines rechten Zweiges jedesmal nur immer ein einziges Symbol zu merken. „Regressive Strukturen erfordern mit zunehmender Länge, immer mehr und mehr im Gedächtnis zu behalten, während progressive Strukturen frei von einem solche Erfordernis sind. Die letzteren können sich endlos fortsetzen, nur ein Minimum des Gedächtnisses beanspruchend." 7 5 Dies gilt sowohl für die Redewahrnehmung wie für die Redeerzeugung. Im Unterschied zum „traditionellen" IC-Modell sieht Yngve auch die Möglichkeit „diskontinuierlicher" Komponenten vor. Wie leicht zu sehen ist, gestattet ein solches Modell, die beiden 1,'nzulänglichkeilen des Markovschen Modells zu umgehen. Zum ersten ermöglicht es, sehr leicht „selbsteinbettende" Sätze zu konstruieren : Dazu ist es nur nötig, Regeln für die Erweiterung von Komponenten zu Konstruktionen einzuführen, welche jeweils ganzen Sätzen entsprechen. Hier gelten dann die gleichen Beschränkungen wie für gewöhnliche Sätze. Wir werden die psycholinguistische Untersuchung „selbsteinbettender" Sätze noch berühren. Zum zweiten wird durch die Anerkennung, daß sich beim Kinde Regeln herausbilden und festigen, die ihm im weiteren Aufbau und Umwandlung sprachlicher Information gestatten — um solche Regeln handelt es sich bei den Regeln der IC-Analyse —, auch der zweite Einwand gegen das Modell der Sprache mit endlich vielen Zuständen aufgehoben. In vorliegender Arbeit werden wir übrigens auf diese Frage nicht speziell eingehen; ihr wird eine selbständige Publikation gewidmet. Wir beschränken uns auf den Verweis auf eine sehr bekannte Arbeit dazu von R. W. Brown und C. Fräser. 7 6 Unmittelbar auf das Modell von Yngve stützte sich die Leningrader Wissenschaftlerin I. M. Luscichina in ihren Experimenten. Sie ging davon aus, daß mit stärkerem Rauschen „der Einfluß der syntakti75
76
Vgl. V. II. Yngve, The Depth Hypothesis, S. 134. — In späteren Arbeiten modifizierte Yngve seine Konzeption etwas und ergänzte sie durch den Begriff der „Verpflichtungen", die wir auf uns nehmen, wenn wir eine bestimmte Konstruktion beginnen. Die Tiefe eines Satzes wird dann definiert als „maximale Zahl von Verpflichtungen, die wir im jeweiligen Satz gleichzeitig auf uns nehmen". (Vgl. V. II. Yngve, Implications of Mechanical Translation Research, S. 277.) In dieser Variante kommen Yngves Ideen der oben dargelegten Konzeption von Ilockett nahe. R. Brown, C. Fräser, The Acquisition of Syntax. 71
sehen Wortverknüpfungen, die komplizierter sind und von den Hörern . . . vernünftiges Entscheiden bei der Wahl der Antworten fordern, immer spürbarer wird" 7 7 . In Luscichinas Experimenten wurde gezeigt, daß die Tiefe einer Phrase (bei gleicher Länge) auf die Wahrnehmung umgekehrt proportional wirkt, wobei „die tiefen Teile der Phrase von den Hörern viel seltener aufgenommen werden als die höhergelegenen" 7 8 . R . J . Wales untersuchte das Einprägen von Sätzen, die in drei Teile untergliedert waren. E s stellte sich heraus, daß dieses Einprägen bedeutend erleichtert wird, wenn die Trennlinien mit den Konstituentengrenzen übereinstimmen. Ergebnisse, die auf die Bedeutung der IC-Struktur hinweisen, erzielte im Rahmen einer Analyse des Leseprozesses auch I. Schlesinger. 7 9 Eine weitere Arbeit, die auf dem Modell von Y n g v e a u f b a u t , s t a m m t von dem Amerikaner K . J . Forster. E r wies nach, daß es im Englischen (und wahrscheinlich auch in anderen Sprachen mit vornehmlich progressiven Strukturen) der Versuchsperson leichter fällt, das E n d e eines Satzes auf Grund seines Anfangs einzusetzen als den Anfang auf Grund des Endes. Im Türkischen hingegen (und wohl auch in anderen Sprachen mit entwickelten regressiven Strukturen) zeigt sich diese Tendenz bei weitem weniger. Schließlich sei eine ebenfalls recht bekannte Arbeit von D. S . Boomer genannt. Boomer untersuchte die Verteilung der Pausen beim Sprechen (in dieser Hinsicht ist seine Untersuchung den bereits beschriebenen Studien von Maclay und Osgood, von Goldman-Eisler u. a. verwandt) und stellte fest, daß Pausen a m häufigsten nach dem ersten Wort auftreten, das in eine bestimmte grammatische Einheit ( clause ) innerhalb des Satzes eingeht. Der Autor erklärt seine Beobachtung damit, daß nach dem Aussprechen des ersten Wortes die Wahl der S t r u k t u r erfolgt. 8 0 77
78
79
80
Vgl. H. M. JlymaxHHa, Ay^HpoBamie peieBiix cooßmeHHÜ B ycjiOBHHX ßenoro HiyMa, S. 9 ; siehe auch: dies., H c n 0 J i b 3 0 B a H H e r n n o T e 3 H H H r B e o C T p y K T y p e pa3H npn H3yqeHHH BocnpHHTHH penn. Vgl. H. M. JlymHXHHa, Ay^HPOBAHHE peießiix cooßmemift B ycnoBHHX SeJioro rnyiwa, S. 16. Vgl. R. J . Wales, Some Influence of Grammatical Structure on Encoding English Sentences; I. Schlesinger, Sentence Structure and the Reading Process. Siehe auch G. J . Suci, The Validity of Pause as an Index of Units in Language. Im hier beschriebenen Experiment wurde gezeigt, daß sich verbales Material leichter lernen läßt, wenn es nach „Phrasen" segmentiert ist, doch „Pausen können auftreten, wo keine Phrasengrenze ist, und umgekehrt" (a. a. O., S. 29). K. J . Förster, Left-to-Right Processes in the Construction of Sentences; D. S. Boomer, Hesitation and Grammatical Encoding. Vgl. auch K. J . Förster, Sentence Completion Latencies as a Function of Constituent Structure. — In
72
§ 12. Osgoods On Understanding and Creating Sentences Das Auftreten der Transformationsgrammatik und ihr stürmisches Eindringen in die Psycholinguistik, über das in einem der folgenden Paragraphen ausführlicher zu handeln sein wird 81 , blieben auch für diejenigen Richtungen in der amerikanischen Psycholinguistik nicht ohne Folgen, die sich auf andere Modelle stützen, insbesondere auch für Osgood. 1963 hielt Osgood auf der Jahresversammlung der Amerikanischen Psychologischen Assoziation den Präsidentenvortrag zum Thema „Über Verstehen und Bilden von Sätzen", in dem er sehr grundlegend und detailliert seinen — zu jener Zeit etwas veränderten — Standpunkt darlegte und seinem Verhältnis zum Transformationsmodell von Miller und Chomsky Ausdruck verlieh. (Auf Osgoods Kritik an diesem 'Modell werden wir später besonders eingehen.) W i r wollen nunmehr kurz die Osgoodschen Ansichten charakterisieren, soweit sie sich im publizierten Text seines Präsidentenvortrags widerspiegeln. Osgood stimmt der Argumentation Millers und Chomskys in bezug auf die Nichtanwendbarkeit des Markovschen Modells mit endlich vielen Zuständen zu. Des weiteren analysiert er das IC-Modell und bemerkt, daß im Satzbaum die Pfeile eigentlich nach beiden Seiten gerichtet sein sollten, nach oben wie nach unten: „Das Vorgehen des Linguisten spiegelt sein ausschließliches Interesse am Sprechen, d. h. an Generierung oder Codierung von Sätzen. Der Hörer aber, der Sätze interpretiert oder decodiert, beginnt mit Ketten von Wörtern, kombiniert sie zu größeren Einheiten und versteht schließlich den Satz als Ganzes. Mit anderen Worten, wenn wir Sätze bilden, beginnen wir beim Stamm und enden mit den Blättern, wenn wir hingegen Sätze verstehen, so beginnen wir bei den Blättern und enden — im Falle des Erfolgs — mit dem Stamm." 82 Es sei unterstrichen, daß Osgood das IC-Modell im Sinne Yngves versteht, d. h. die Identität aufeinanderfolgender Schritte beim Linguisten und beim Sprecher voraussetzt. Das von Osgood dargebotene psychologische Modell der Ebenen von Wahrnehmung und Erzeugung enthält kaum etwas Neues im Vergleich zu anderen Varianten seines Drei-Stufen-Modells. Es ist nur
81 82
einem bestimmten Gegensatz zu allen aufgezählten Untersuchungen befindet sich der Aufsatz W. Stolz, A Probabilistic Procedure for Grouping Words into Phrases, nach dem die Vorhersagbarkeit von Wörtern nur sehr schwach mit der IC-Struktur des Satzes korreliert. Siehe auch A . A . JleoHTteB, IIcHxojiHHrBHCTHKa, S. 39—45. Vgl. Ch. Osgood, On Understanding and Creating Sentences, S. 736.
73
detaillierter. Auf der „Integrationsebene" werden zwei Subebenen unterschieden, die evokative (elementarere) und die prädiktive; auf der prädiktiven Subebene sind Decodierung und Codierung durch „Automatismen der Folgen" verknüpft, auf der cvokativen durch „Automatismen der Einheiten"; auf der Projektionsebene kommen die A erbindungen auf Grund von „Reflexen" zustande. Außerdem wird postuliert, daß der Übergang von der Integrationsebene zur Repräsentationsebene (Symbolebene) ausschließlich von der evokativen Ebene aus erfolgt und umgekehrt. Insgesamt ergibt sich das Schema in Abb. 4. Prozesse
Ebenen Decodierung
Repräsentationsebene
Codierung
Assoziation
.rm
Sm\
/(mittelbare ' Reaktion) 1 s
(Prädik. tive Ebene)
V -T s
Automatismen
s
r
Integrationsebene (Evokative Ebene)
\
r
Automatismen s
s
//
Projektions-
s.
r
der Einheiten
Reflexe
r
ebene s
s
s
1
\1
r
der Folgen
r
r
r
r
s -
7
¥
S/ (Stimulus)
R (Reaktion)
Abb. 4
Das bedeutet, daß die Erzeugung von folgenden Faktoren abhängt: a) Redeutung oder Sinn der Mitteilung und ihrer Komponenten; b) stochastische Redingtheit (semantischer oder grammatischer Kontext, falls man in ihm die grammatical sequencing mechanisms sieht); c) Redingtheit durch die Gliederung in Einheiten (hierher gehört etwa die Tatsache, daß nicht jedes beliebig gewählte Mitleilungssegment als Antwort auf eine Frage dienen kann); d) Redingtheit durch nicht eigentlich sprachliche Faktoren des Sprechens (Versprecher wie na dpoee dpoea „auf dem Holz ist Holz" statt na deope dpoea „auf dem Hof ist Holz"). 74
Bei der Behandlung des Problems von „Entscheidung" und „Kontrolle" im Verhalten führt Osgood zwei Typen von Hierarchien begrifflich ein: die horizontale Hierarchie (von links nach rechts), welche vorangehende und folgende Einheiten verbindet, und die vertikale Hierarchie (von oben nach unten), die übergeordnete und untergeordnete Einheiten zueinander in Beziehung setzt. Der erste Typ trägt nach Osgood klar Markovschen Charakter, der zweite Typ ebenso klar nicht. Zur horizontalen Hierarchie existieren zwei U n t e r t y p e n : die konvergente und die divergente Hierarchie. „Eine rein konvergente Hierarchie liegt vor, wenn die Menge der vorangehenden Ereignisse mit einem einzigen folgenden Ereignis assoziiert ist, eine rein divergente Hierarchie liegt vor, wenn ein einziges vorangehendes Ereignis mit der Menge der folgenden Ereignisse assoziiert wird . . . In der Praxis wirken konvergente und divergente Hierarchien, die dieselben Ereignisreihen einschließen, gleichzeitig." 83 „Entscheidung" (decision) im Verhalten wird definiert als „einfache Wahl der im gegebenen Moment am meisten wahrscheinlichen Alternative innerhalb irgendeiner divergenten Hierarchie". „Kontrolle" über das Verhalten „ist einfach das Verfahren, durch das Kombination und Bildung von Modellen (patterning) innerhalb konvergenter 1 lierarchien die Wahrscheinlichkeit der abhängigen Alternativen in jedem gegebenen Moment ändern". 8 4 Osgood verweist darauf, daß der Begriff der vertikalen Hierarchie bis in die letzte Zeit den Psychologen ebenso fremd war wie der Begriff der horizontalen Hierarchie (im Sinne von Wahrscheinlichkeitsabhängigkeiten) den Linguisten. Die Aufgabe besteht nach seiner Meinung darin, beide wissenschaftlichen Traditionen durch (linguistische) Identifizierung der funktionalen Einheiten auf allen Organisationsebenen zu vereinen, wobei diese Einheiten in hierarchische Beziehung zu setzen sind: Jede weniger elementare Einheit soll ohne Rest in elementarere zerlegt werden. Tab. 1 veranschaulicht Osgoods Schema für das System derartiger Einheiten. Die Einheiten selbst sind in den beiden inneren Spalten angeführt; die äußeren Spalten enthalten ihre psychologischen Äquivalente. „Zweifelhafte" Einheiten (die allem Anschein nach kein psychologisches Korrelat besitzen) stehen in Klammern. Vergleicht man dieses System mit dem in § 7 dargelegten, so fallen einige Unterschiede ins Auge. Zum ersten sind die Einheiten in der zweiten Zeile von oben, die der „semantischen E b e n e " von 1954 ent83 Vgl. a. a. 0., S. 741. 84 Vgl. ebenda. 7
Psycholinguistisehe E i n h e i t e n
75
Tabelle 1 Psychologische Korrelate Sinntragend
Nicht sinntragend
Einheiten der Decodierung
Zeitmodell InterpretaSätze tionen Kernvereini- (Phrasen) gung RaumBedeutungen Wörter modell Zeitmodell
Raummodell
Einheiten der Codierung
Psychologisehe Korrelate
Sätze
Intentionen
(Phrasen)
Kerndifferenzierung Bedeutungen
Wörter
Formen Wörter Wörter ? (Morpheme) (Morpheme) Periphere Phoneme Silben Komponenten der Wahrnehmung Sensorische Distinktive Distinktive Signale Merkmale Merkmale
Formen ? Komponenten der motorischen Fertigkeit Motorische Signale
spricht, anders dargestellt. Zum zweiten wurden die distinktiven Merkmale neu aufgenommen. Zum dritten schließlich erscheint jetzt der Gedanke einer Abgrenzung zeitlicher und räumlicher Modelle. Insgesamt jedoch hat sich Osgoods Konzeption in diesem Bereich äußerst wenig verändert. Nunmehr folgt Osgoods Kritik am Modell von Chomsky. „Chomsky demonstrierte, daß das Markov-Modell aus bestimmten logischen Gründen unzureichend ist; aber viele seiner Anhänger verstanden 'unzureichend' als 'fehlerhaft'." 8 3 Osgood sieht in Chomskys Argumentation gegen das Markovsche Modell zwei Fehler. Der erste besteht darin, daß diese Argumentation auf der stillschweigenden Voraussetzung aufbaut, stochastische Prozesse wirkten gleichzeitig nur auf einer Ebene von Einheiten, normalerweise in den terminalen Ketten der grammatischen Bäume, d. h. auf der Ebene der Wörter. Doch existiert im Modell selbst nichts, was diese Einschränkung rechtfertigt. 86 Der zweite Fehler — besser: der zweite Mangel — ist, daß in Chomskys Modell nichts über die Umstände des Auswahlaktes gesagt wird. Der Sprecher nimmt einen Kernsatz und/oder transformiert ihn. Was aber veranlaßt ihn, sich in einem Falle mit der Wahl des Kernsatzes zu begnügen und im anderen Falle eine Transformation auszuführen? (Ein wenig vorauseilend können wir schon sagen, daß sich 85 Vgl. a . a. 0., S. 742. 86
76
Vgl. ebenda.
Miller in seinen etwa zur gleichen Zeit entstandenen Arbeiten bemühte, auf diese Frage von Osgood zu antworten.) Das Modell für Produktion und Perzeption des Satzes, welches Osgood selbst vorschlägt, geht von dem Gedanken aus, daß beide Typen von Hierarchie — die horizontale wie die vertikale — bei Perzeption und Produktion kombiniert werden. Es h a t die in Abb. 5 dargestellte Form (die dreifachen Pfeile zeigen, daß die Wahrscheinlichkeitsstruktur die Auswahl der Einheiten auf den elementareren Ebenen partiell bedingt). Wir verwenden wieder das bereits bekannte Satzbeispiel. Vorangehender Satz
Folgender Satz : Verbalgruppe
A r t i k e l ^ Substantivgruppe ^ • Adjektiv = •
Verb = = = £ Nominalgruppe •
' Substantiv
Artikel •
4
Substantivgruppfe-
Adjektiv »
J
der^P
i
begabte^Student
•
•
porträtiert
*
^den
•i ' alten
Substantiv •
•
Hirten
Abb. 5
Insgesamt ist es nach Osgood möglich, von drei grundlegenden Komponenten der psychologischen Theorie des Satzes zu sprechen. Die erste ist die Wortform-Komponente (Word Form Pool). Sie h a t probabilistisch-statistischen Charakter (wie übrigens auch die anderen Komponenten) und gewährleistet die Rückkopplung zu den peripheren Ebenen des psychologischen Modells. Einheiten dieser Ebene sind das Wort oder Wortäquivalente vom Typ Hove do you do. Auf dieser Ebene ist, wie aus Tab. 1 hervorgeht, die Sinnseite des Wortes irrelevant: Die „Einheitlichkeit des Wortes" ist ausschließlich durch die äußeren Charakteristika des phonetischen Wortes gewährleistet, die mit den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Wahrnehmung zusammenhängen (Ganzheitlichkeit, Häufigkeit usw.). Die zweite Komponente ist die Komponente der semantischen Lochkarten (Semantic Key Sort). Hier entsprechen einem (phonetischen) Wort der vorherigen Komponente mehrere W 7 örter, die sich 7*
77
voneinander nach grammatischen, semantischen und einigen anderen Charakteristika unterscheiden. „Obgleich meine Analogie . . . eine physikalische Vorstellung des Gedächtnisses erfordert, . . . hat es das wirkliche Verhaltensmodell mit der semantischen Auswahl als einem Prozeß zu tun, der mehrmalige Wiederholung in bezug auf eine (wie zu hoffen ist) kleinere Zahl von Komponenten einschließt." 87 Das Wort durchläuft mehrere „Filter", die in ihrer Gesamtheit die zweite Komponente bilden und in Ubereinstimmung mit dem Wahrscheinlichkeitssystem wirken, welches für jeden dieser Filter (den grammatischen, den assoziativen, den affektiven u. a.) charakteristisch ist, und behält schließlich von mehreren potentiellen Charakteristika am Ende nur noch eines. Dabei erfolgt die Orientierung an s e m a n t i s c h e n K o m p o n e n t e n : Nach Osgood kann die Bedeutung als ein Bündel distinktiver semantischer Merkmale definiert werden. Die dritte Komponente ist die Komponente der kognitiven Verschmelzung (Cognitive Mixer), die eigentlich keinen M e c h a n i s m u s , sondern einen P r o z e ß darstellt. Auf dieser Ebene stützt sich Osgood auf die oben (in § 5) von uns berührte Unterscheidung von qualifizierenden und quantifizierenden Operationen. Er geht davon aus, daß man sich jeden noch so komplizierten Satz als Kette von „Kernbehauptungen" (kernet assertions) vorstellen kann, die die Form „Subjekt — Kopula — Objekt" haben und insgesamt dem Ausgangssatz semantisch äquivalent sind. Ein Beispiel: Ausgangssatz: The clever young thief was severely sentenced by the rather grim-faced judge. „Der raffinierte junge Dieb wurde h a r t verurteilt durch den ziemlich grimmig blickenden Richter." Kernbehauptungen: (The thief) (was) (clever) (The thief) (was) (young) (The judge) (was) (rather grim-faced) (The judge) (sentenced severely) (the thief) Nach Osgood ist die Analyse der Phrasen zwischen den Klammern psychologisch völlig verschieden von der Analyse kleinerer Phrasen innerhalb der Klammern. Dieser psychologische Unterschied von (zwischen den Klammern) qualifizierenden und (innerhalb der Klammern) quantifizierenden „Phrasen" (d. h. Syntagmen) geht mit einem linguistischen Unterschied einher: Die qualifizierenden Phrasen lassen sich in prädikative transformieren, wobei ihr Sinn nicht verändert wird: der begabte Student -* der Student ist begabt. Hingegen lassen sich die quantifizierenden Phrasen auf keinem Wege prädikativ d«r» Vgl. a. !«. O., S. 745.
78
stellen, da das Stützwort in ihnen eine semantische Färbung enthält, die sich von der Färbung desselben Wortes in der Isolation unterscheidet. Beispielsweise ist einige Studenten semantisch enger und „schwächer" als Studenten; sehr begabt ist begabt, mit einem bestimmten semantischen Koeffizienten „multipliziert" (hierher rührt der Begriff der Multiplikativität). 8 8 Auf dem gesamten bisher dargestellten Apparat f u ß t die Hypothese von der Sukzessivität des Operierens mit Sätzen. Für unser Beispiel sieht diese Sukzessivität (in der Wahrnehmung) wie folgt aus. Bis zum Auftauchen des Wortes thief besteht das Operieren darin, daß die Wortformen identifiziert und ihnen Bündel semantischer Merkmale zugeschrieben werden. Dann erfolgt die Transformation zu The thief was clever. Auf Grund der Analyse dieser Phrase erhält das Wort thief eine zusätzliche semantische Charakterisierung. Danach wird ebenso mit The thief was young verfahren. Im Gedächtnis wird thief mit zwei zusätzlichen „Obertönen" abgespeichert. Nunmehr wiederholt sich an was secerely, was ganz am Anfang mit den ersten drei Wörtern vor sich ging, und mit dem Auftauchen von sentenced by k o m m t es zur Analyse, in deren Ergebnis im Gedächtnis das Prädikat mit seinen „Obertönen" festgehalten wird. Darauf wird die judge-Gruppe den gleichen Operationen unterworfen, und wir erhalten eine Folge von drei Elementen, deren jedes mit zusätzlichen semantischen Charakterisierungen „belastet" ist. Schließlich „ballt" sich diese Folge zu den semantischen „Obertönen" eines Elements zusammen, je nachdem, welches Element das logische Subjekt des Satzes ist. Ist der Richter dieses Subjekt, so wird die gesamte semantische Information des Satzes dem Richter „zugeschrieben" und bildet die „momentane Bedeutung" (the momentary meaning) des Wortes judge. Wir haben den Osgoodschen S t a n d p u n k t hier bewußt so detailliert dargelegt; denn wenn man auch kaum alle seine Thesen bejahen kann, so sind doch viele von ihnen äußerst wertvoll, und sei es als Basis für die weitere Forschung. Dies bezieht sich besonders auf den beschriebenen Mechanismus des „Zusammenballens". Am Beginn seiner Rede deckt Osgood sarkastisch die Kompliziertheit des Modells der Sprachfähigkeit auf, das von den Anhängern Chomskys entwickelt wurde. Dieses Modell u m f a ß t neun „Blöcke" und sechsundzwanzig Operationen. Allerdings erweist sich Osgoods eigenes Modell k a u m als einfacher; er bekennt das am Ende auch selbst, argumentiert jedoch, daß sein Modell zwar kompliziert, doch 88
Siehe auch Analysis.
Ch. Osgood, S. Saporta, J. C. Nunnally, Evaluative Assertion
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notwendig und hinreichend sei, um einen Satz zu verstehen — was er dem Chomskyschen Modell nicht zugestehen will. Leider hat die hier behandelte Arbeit Osgoods fast keinerlei ernsthafte Analyse und Kritik von Seiten „Andersdenkender" erfahren; diese haben sich mit vorrangig allgemeinen und nicht näher begründeten kritischen Bemerkungen begnügt. Wie es scheint, sind nur im Vortrag von R. J . Wales und J . C. Marshall 89 ausführlichere Einwände an Osgoods Adresse formuliert. Doch kann man sich bei weitem nicht mit allen ihren Darlegungen einverstanden erklären. Wir nennen die wichtigsten Punkte. Die Autoren behaupten, das Osgoodsche Modell biete keine Möglichkeit, auf vernünftige Weise die Verarbeitung von Sätzen unendlicher Länge (vom Typ der nesting sentences) zu interpretieren, welche auf allen Ebenen Rekursionen erfordern. Hier muß man nun allerdings A. R. Jonckheere zustimmen, der zu diesem Vortrag ausführte, Osgood habe eigentlich nicht angestrebt, daß sein Modell in allen Fällen „funktioniere", einschließlich der für das Sprechverhalten gänzlich untypischen (und dazu zählt die Generierung unendlich langer Sätze). Osgoods Modell ist ein Modell des Sprechverhaltens und kein IC-Modell. Weiterhin sind Wales und Marshall völlig im Unrecht, wenn sie kritisieren (richtiger, sarkastisch aufdecken und „zunichte machen"), was Osgood zum Begriff der „Entscheidung" und seiner Wechselbeziehung zum Begriff „Wahl" sagt. Aus dem oben Dargelegten erhellt, daß zwischen Entscheidung und Wahl (nach Osgood) tatsächlich ein Unterschied besteht: Der Begriff „Entscheidung" ist insbesondere mit der l a u f e n d e n Bewertung der Wahrscheinlichkeit bestimmter Ereignisse verbunden. Soweit es sich beurteilen läßt, lehnen die Autoren des Vortrags gerade diese These a b ; eben deshalb empfinden sie Osgoods Ausführungen als „leeren Schall". Ganz allgemein nehmen Wales und Marshall leider zu den nichttransformationalistischen Konzeptionen eine Haltung ein, welche unter den Anhängern Chomskys und Millers sehr verbreitet ist, nämlich die Haltung selbstverständlicher theoretischer Überlegenheit: Ihr eigener Standpunkt ist natürlich unbedingt richtig, und das Urteil über andere S t a n d p u n k t e richtet sich weniger danach, wieweit sie der Realität entsprechen oder nicht, als vielmehr danach, wieweit sie dem Modell von Chomsky und Miller entsprechen oder nicht und wieweit sie auf Fragen antworten, die im Rahmen dieses Modells aufgeworfen werden. 89
R. J. Wales, J. C. Marshall, The Organization of Linguistic Performance.
80
Unsere Ausführungen seien nicht so verstanden, daß wir hier den Standpunkt Osgoods gegen Wales und Marshall verteidigen, finden sich doch unter den Anmerkungen dieser Autoren auch seriöse und sachliche (z. B. der Hinweis, daß Osgoods Modell Sätze mit diskontinuierlichen Konstituenten nicht interpretieren kann). Doch das allgemeine Niveau der Kritik von Wales und Marshall ist auf gar keinen Fall hoch zu nennen. § 13. Die Forschungen von N. F. Johnson und II . J. M. Levelt Der von Osgood geäußerte Gedanke, daß Markovsche Abhängigkeiten nicht allein Elemente terminaler Ketten, sondern auch einzelne Schritte der Generierung verbinden können, wurde zur Grundlage eines Zyklus von Untersuchungen des jungen amerikanischen Psychologen N. F. Johnson. In Johnsons Hauptarbeit, die unter der Ägide von Osgood entstand und sich auch in dessen oben behandelten Ausführungen zitiert findet, wird die Frage gestellt, „in Avelchem Maße sich bei der Erhellung der psychologischen Codierungseinheiten der Einfluß der IC-Regeln in der Sprache äußert" 90 . Der Autor untersuchte die Erscheinung der „Übergangsfehler" (transitional errors) beim Merken von Sätzen, d. h. er verglich die Fehlerwahrscheinlichkeiten beim sukzessiven Ubergang von der n-ten zur (n -j- l)-ten Einheit. Dabei erwies sich, daß innerhalb jeder „Phrase" die Fehlerwahrscheinlichkeit jäh sinkt, während sie an den Phrasengrenzen scharf ansteigt und zwischen Subjekt und Prädikat eine besondere Höhe erreicht. In einer Reihe von Experimenten stellte sich eine Korrelation bis zu 0,95 und nie unter 0,60 heraus. So darf es als bewiesen gelten, daß die Wahrscheinlichkeit eines Übergangsfehlers von der Struktur des Satzes im ICModell abhängt. Besonders interessant ist, daß innerhalb der „Phrasen" die Fehlerwahrscheinlichkeit gemäß den gewöhnlichen Gesetzmäßigkeiten eines Markovschen Prozesses abnimmt. Eine analoge Untersuchung führte Johnson mit einem Satze der folgenden Struktur durch: Zufälliges Wort + Assoziation dazu nach den Angaben der „Minnesota-Norm" von W. A. Russell und J . J . Jenkins + zufälliges Wort + Assoziation dazu + Assoziation zum vorangehenden Wort + zufälliges Wort und seine Assoziation. Das Resultat: Die Fehlerwahrscheinlichkeit verteilte sich umgekehrt proportional dem assoziativen Zusammenhang der Wörter. 91 90
Vgl. N. F. Johnson, Behavior, S. ' ü .
Linguistic
Models and Functional 9» Vgl. a. a. O., S. 51.
Units
of
Language
81
Danach wiederholte Johnson das Experiment mit sieben Buchstaben, die wie folgt gruppiert waren: SB J H F ZC und S B J HFZC. Es erwies sich, daß an den Grenzen der Gruppen die Fehlerwahrscheinlichkeit höher ist als innerhalb der Gruppen. Johnson stellte die Hypothese auf, daß die Fehlerwahrsclieinlichkeit in seinem Hauptexperiment irgendwie mit der „Tiefe" des Zweiges im Baum zusammenhängt, der dem jeweiligen Übergang entspricht ; dabei formieren die Sprecher zunächst die kleinsten Einheiten und bilden danach aus diesen größere Einheiten usw. Aber wie sieht die Beziehung aus? Johnson schlägt das folgende psycholinguistische Modell für die Erzeugung eines Satzes vor. Wir bewegen uns von der Spitze des Baumes zu seiner Basis, wobei wir jedesmal die zweite der Konstituenten im Kurzzeitgedächtnis „vormerken" und in der Untergliederung der ersten solange fortfahren, bis wir zum Ende, dem Wort, gelangen. Und erst danach vollführen wir den „Sprung" zu den von uns vorgemerkten zweiten Konstituenten (vgl. Abb. 6).
Das entspricht dem Modell von Yngve. Es verdient Beachtung, daß nach Johnson bei der Generierung eines Satzes seine Analyse und nicht seine Synthese erfolgt, wie das offenbar Osgood a n n i m m t : „Die Decodierungsoperationen überführen die Codierungseinheiten der höchsten Ebene in zwei oder mehr Einheiten tieferer Ebenen, wo 82
eine weitere Decodierung notwendig werden kann." 92 Die Wahrscheinlichkeitsverbindungen existieren nicht zwischen Generierungsschritten, sondern zwischen Schritten der Analyse; eigentliche „Generierungsschritte" gibt es auch nicht. Eine derartige Interpretation ist statistisch bei weitem wahrscheinlicher (die Korrelation beträgt 0,86, während sie 0,75 ausmacht, wenn man die Wahrscheinlichkeit des Übcrgangsfehlers nur mit der Tiefe des Knotens oder des Zweiges vergleicht). Mit anderen Worten, ein Satz wird nach Johnson folgendermaßen erzeugt: Wir gehen aus vom Grundgedanken des Satzes. U m ihn auszusprechen, ist die sukzessive Analyse aller Einheiten bis hin zu den konkreten Wörtern notwendig. „Wenn eine Codierungseinheit generiert wird, so wird sie in ihre IC decodiert, sofern der Sprecher die Decodierungsregeln kennt." 93 Die schließlich resultierende terminale Kette wird als Satz „ausgegeben". Johnsons weitere Experimente untermauern diese Hypothese. In einem von ihnen erfolgte eine Differenzierung zwischen den assoziativen Verbindungen der Operationen. Die Ausgangs-Annahme war: Eine eingeprägte Assoziation zwischen aufeinanderfolgenden Elementen einer terminalen Kette beeinflußt die Leichtigkeit der Reproduktion nur dann, wenn diese Assoziation einem Minimum von Analyseschritten entspricht. Um dem Ubergang zwischen den Elementen eine bestimmte strukturelle Bedeutsamkeit „zuzuschreiben", muß man das Segment analysieren, welches nach dem Übergang folgt. I m Falle des Übergangs von Student zu porträtiert ergeben sich dann folgende Schritte: 10—11, 10-13, 11-12, 13-14, 13-16, 14-15; 16-17, 16-19, 17-18; 19-20, zusammen 10. Beim Übergang von begabte zu Student haben wir insgesamt nur einen Schritt: 8—9. Daher müßte die Assoziation zwischen begabte und Student die Reproduktion erleichtern, während die Assoziation Student — porträtiert für sie bedeutungslos ist. Diese Annahme fand Bestätigung. 94 Im folgenden — und bisher letzten — Experiment von Johnson wurde ein Satz als Reaktion auf einen motorischen Stimulus benutzt. Dabei bestand die Annahme darin, daß die Zeit, welche für eine solche Reaktion benötigt wird, direkt proportional der Zahl der Schritte 92 Vgl. a. a. O., S. 37. 93
94
Vgl. N. F. Johnson, The Psychological Reality of Phrase-Structure Rules, S. 475. Vgl. N . F. Johnson, The Influence of Associations Between Elements of Structured Verbal Responses.
83
in der Satzanalyse ist, die die Generierung des ersten Wortes erfordert. In unserem Beispiel sind fünf solcher Schritte notwendig (i—2, 1—10, 2—3, 2—5, 3—4). Das Experiment bestätigte Johnsons Annahme mit hinreichender Genauigkeit. 95 Auf ein anderes Modell stützte sich offenbar W. J . M. Levelt, der die subjektive Bewertung der Abstände zwischen den Komponenten des Satzbaumes untersuchte. Dies geschah, um eine Methode für den Vergleich von „subjektiver" und „objektiver" Metrik der Satzstruktur zu erarbeiten, eine Methode, die es gestatten sollte, zweifelhaften Sätzen auf der Basis eines Experiments an Trägern der Sprache eine bestimmte objektive Charakteristik zuzuschreiben. Das Experiment bestand in folgendem: Tripel von Wörtern aus dem Testsatz sollten darauf eingeschätzt werden, welchem der äußeren Wörter das mittlere im Satz näherstehe. Die Korrelation zwischen Voraussage und Ergebnis erwies sich als ungewöhnlich hoch: 0,957. 9G Ein weiteres Modell wurde von M. D. S. Braine 9 7 vorgeschlagen, der den Prozeß der G e n e r a l i s i e r u n g d e s K o n t e x t e s eines bestimmten Segments für das Wichtigste hält und die Hierarchie der Segmente als schrittweises Eingehen eines Segments in ein anderes betrachtet.
§ 14. Die Nichtanwendbarkeit des IC-Modells psycholinguistischen Modellierung
bei der
Ungeachtet dessen, daß — wie es scheint — in einer ganzen Serie von Experimenten die „Realität" des IC-Modells zutage trat, löst dieses Modell doch eine Reihe von Einwänden aus. Vor allem hat das IC-Modell ebenso wie das Modell der Sprache mit endlich vielen Zuständen einige prinzipielle Unzulänglichkeiten, auf die bereits Chomsky hingewiesen hat. Sie lassen sich auf die folgenden zwei Grundtatbestände zurückführen. Erstens ist die IC-Grammatik Konstruktionen eines bestimmten 95
96 97
Vgl. N. F . J o h n s o n , On the Relationship Between Senlence Structure and Latency in Generating the Sentence. S p ä t e r wurden die Angaben J o h n s o n s in einem E x p e r i m e n t von Marshall und W ales in Zweifel gezogen. Vgl. J . Marshall, R. J . Wales, Probabilities of Error Scores and G r a m m a t i c a l Encoding. Die Autoren behaupten, daß sich im R a h m e n von J o h n s o n s theoretischen Leitsätzen seine Angaben nicht erklären lassen. Vgl. W. J . M. Levelt, Generatieve g r a m m a t i e a en psycholinguislick. Vgl. M. D. S . Braille, On Learning the G r a m m a t i c a l Order of W o r d s ; ders., T h e Insufficiency of a Finite S t a t e Model for Verbal Reconstructive Memory.
84
T y p s , u n d zwar den koordinierten K o n s t r u k t i o n e n , prinzipiell nichta d ä q u a t . „ U m eine K e t t e dieser Art zu generieren, m u ß ihr die ICG r a m m a t i k entweder eine gewisse willkürliche S t r u k t u r zuschreiben (und d a n n z. B . eine rechtsrekursive Regel benutzen) . . . oder sie m u ß eine unendliche Zahl von Regeln e n t h a l t e n . " 9 8 Zweitens, obwohl die I C - G r a m m a t i k in der L a g e ist, gewisse andere T y p e n von K o n struktionen zu generieren, v e r m a g sie ihnen doch nicht die richtige strukturelle Beschreibung z u z u o r d n e n : Sie schreibt ihnen nicht einfach eine nicht existierende S t r u k t u r zu, sondern sogar eine, die ihrem tatsächlichen A u f b a u widerspricht (vgl. d a s von C h o m s k y u n d Miller a n g e f ü h r t e Beispiel m i t der Analyse des S a t z e s Why has John always beert such an easy man to pleaseP). „ I m allgemeinen läßt sich f ü r jeden Spezialfall der Schwierigkeiten, die in I C - G r a m m a t i k e n a u f t r e t e n , a d hoc irgendein W e g ersinnen, der es g e s t a t t e t , diese spezielle Schwierigkeit zu umgehen. W e i t a u s besser w ä r e allerdings eine Ü b e r p r ü f u n g des g e s a m t e n B e g r i f f s a p p a r a t s , aus der die Möglichkeit resultierte, sich a u s diesen Schwierigkeiten i m m e r auf ein und dieselbe Weise zu befreien. D a b e i sollte die I C - G r a m m a t i k in ihrer bisherigen F o r m nur die K l a s s e v o n S ä t z e n beschreiben, der sie a d ä q u a t ist und die a n f a n g s die B a s i s für ihr E n t stehen b i l d e t e . " 9 9 Viel wichtiger ist allerdings, daß völlig a k z e p t a b l e S ä t z e existieren können, die nach d e m IC-Modell eigentlich kein R e c h t auf E x i s t e n z h ä t t e n ; vgl. die E r w ä g u n g e n v o n R . P. Stockwell zu diesem T h e m a . 1 0 0 Außerdem kritisiert C h o m s k y d a s Modell von Y n g v e (auf d a s sich im wesentlichen alle psycholinguistischen Interpretationen des ICModells stützen), weil Y n g v e einen logischen Fehler begeht, wenn er eine b e s t i m m t e S t r u k t u r auf G r u n d der Endlichkeit des G e d ä c h t n i s s e s a n n i m m t . „ A u s der Voraussetzung, daß d a s G e d ä c h t n i s endlich ist und der S a t z 'von links nach rechts' (d. h. in der Zeit) gehört oder gesprochen wird, . . . sind unmöglich Schlüsse hinsichtlich rechter und linker Verzweigung der P-Marker ( I C - B ä u m e . D . Hrsg.) zu ziehen. All diese B e d i n g u n g e n sind völlig vereinbar mit Links- oder R e c h t s verzweigung, die sich beliebig weit fortsetzt. N u r S e l b s t e i n b e t t u n g ist mit der Endlichkeit des Gedächtnisses unvereinbar. Nehmen wir demgegenüber an, wir hätten eine zusätzliche H y p o Vgl. N. Chomsky, G. A. Miller, Introduction to the Formal Analysis ol N a t u r a l L a n g u a g e s , S. 298. 99 Vgl. a.a. O., S. 2 9 8 f . 1 0 0 R . P. Stockwell, The Transformational Model of Generative or Predictive G r a m m a r , S. 44 u. a.
98
85
these vorausgesetzt: (A) Der Sprecher erzeugt den P-Marker des Satzes nur 'vom Kopf zum Schwanz' . . . Dann wird es sich als unmöglich erweisen, linke Verzweigungen oberhalb einer bestimmten Grenze zuzulassen. Durch völlig analoges Schließen wird sich aus einer zusätzlichen Hypothese (B), daß der Sprecher den P-Marker . . . streng 'vom Schwanz zum Kopf' aufbaut, die Folgerung ergeben, daß es unmöglich ist, oberhalb einer bestimmten Grenze rechte Verzweigungen zuzulassen . . . Von diesen zwei zusätzlichen Hypothesen erscheint mir (A) theoretisch wie empirisch ungerechtfertigt . . ," 1 0 1 Und weiter äußert Chomsky den Gedanken, daß die Unmöglichkeit, bestimmte Arten von Sätzen zu erzeugen oder zu verstehen, gar zu einfach erklärt wird, wenn man sie nur — wie es Yngve t u t — aus der Richtung der Satzverzweigung ableitet. Mit einem Wort, Chomsky hält die Hypothese von Yngve für logisch unbegründet. Mehr noch, bekanntlich erachtet er es überhaupt f ü r nicht möglich, eine beliebige generative Grammatik als „Modell f ü r den Sprecher" (oder den Hörer) zu betrachten: Nach Chomsky „stellt eine generative Grammatik den Versuch dar, das zu spezifizieren, was der Sprecher wirklich kennt, und nicht das, was er über seine Kenntnis berichten kann". „. . . diese generative Grammatik stellt von sich aus keine Vorschrift dar für den Charakter und das Funktionieren eines Modells der Perzeption oder eines des Sprechvorgangs." 1 0 2 Wenn dem so ist, so erweist sich die Idee von den „Schritten" der Generierung überhaupt als äußerst zweifelhaft. Wir berichten ergänzend über die Kritik des IC-Modells von Seiten anderer Autoren: So bemerkt Johnson, daß ein Kind f ü r den Sprachcrwerb folgerichtig zu erwerben h ä t t e a) das Lexikon, b) die Klassen von Lexikoneinheiten, c) eine „fast unendliche Zahl von Anweisungen, Indices und Kombinationen", 1 0 3 was jedoch vom psychophysiologischen S t a n d p u n k t wenig wahrscheinlich ist. Andererseits konstatiert R. B. Lees, daß Sätze wie To find him is easy, It is easy to find him, He is easy to find und weiter To discover him is not difficult, It is not difficult to discover him, He is not difficult to discover eigentlich alle absolut ein und dasselbe bedeuten und daß jeder beliebige Sprecher der Sprache dies auch ausgezeichnet begreift; die IC-Gram101 Vgl. N. Chomsky, On the Notion „Rule of Grammar", S. 13f.; siehe auch G. A. Miller, N. Chomsky, Finitary Models oi Language Users, S. 474 f. 2 l° N. Chomsky, Aspekte der Syntax-Theorie, S. 18. 103 Ygl^ p_ Johnson, Linguistic Models and Functional Units of Language Behavior, S. 36.
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matik aber ist nicht in der Lage, dieses Verhältnis wie auch immer auszudrücken. 1 0 4 Mithin kann das grammatische „Modell für den Sprecher einer Sprache" offenbar durch die IC-Grammatik nicht ausgeschöpft werden, und ein anderes Modell ist notwendig. Als ein solches Modell entwickelte sich das Transformationsmodell, das Chomsky bereits in seinen frühen Schriften vorlegte.
§ 15. Die
Transformationsgrammatik
Strenggenommen s t a m m t die Idee der Transformationsgrammatik nicht von Chomsky. Sie wurde zuerst von Z. S. Harris entwickelt. Da Chomsky jedoch erstmalig das Transformationsmodell einer konkreten Sprache (des Englischen) nicht nur in den Grundlagen formulierte, sondern auch im Detail erarbeitete, ist es natürlich, daß der Begriff der Transformationsgrammatik in erster Linie gerade mit seinem Namen verknüpft ist. Die kürzeste Definition des Wesens der Transformation wurde wiederum von Chomsky formuliert: „Die grammatische Transformation i s t . . . eine Abbildung (mapping) von P-Markern auf P-Marker." 1 0 5 Anders gesagt, es ist eine Regel, mit deren Hilfe wir einen IC-Baum in einen anderen umwandeln, wobei wir mit diesem Baum n u r bis zum Stadium der terminalen Kette einschließlich operieren, jedoch nicht die Wahl der konkreten Realisierungen dieser Ketten berühren. Daraus erhellt, daß das IC-Modell in das Transformationsmodell als obligatorischer Bestandteil eingeht; freilich werden dem IC-Modell dabei einige Einschränkungen auferlegt, d. h. es wird für die Generierung nur bestimmter Klassen von Äußerungen benutzt. Die S t r u k t u r der IC-Komponente selbst wird dabei in vereinfachter Form behandelt. 1 0 6 Transformationen lassen sich — ausgehend von unterschiedlichen Prinzipien — klassifizieren. Erstens können sie obligatorisch oder fakultativ sein. Obligatorische Transformationen sind solche, die un104 Vgl. R B. Lees, Models for a Language User's Knowledge of Grammatical Form, S. 81. Eine Reihe kritischer Anmerkungen findet sich a u c h in 9 . II. IIIyÖHH, O H3HKOBOÖ KOMMyHHKaUMH. 105 Vgl. N. Chomsky, On the Notion „Rule of Grammar", S. 19. 4 °6 Die Beschränkungen, welche in diesem Falle für die IC-Grammatik gelten, sind dargelegt in Ju. D. Apresjan, Ideen und Methoden der modernen strukturellen Linguistik, S. 2 0 2 - 2 0 4 .
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bedingt auf eine beliebige terminale Kette (oder eine hinreichend große Klasse terminaler Ketten) anzuwenden sind, da sich anders kein grammatisch richtiger Satz ergibt. So ist es (bei einer bestimmten Auffassung des IC-Baumes) sinnvoll, den Satz The man had beert taking the book so abzuleiten, daß die terminale K e t t e die Form h a t : The — man — (Vergangenheit) — have —en + be —ing take — the — book. Damit auf diese Kette die morphonematischen Regeln angewendet werden können, m u ß sie zuerst einer obligatorischen Transformation unterworfen werden, die hier bedingt dargestellt sei durch (-en, -ing) -f- (Verb) -> (Verb) + {-en, -ing). In ihrem Ergebnis erhält man die Kette The — man — have — (Vergangenheit) -be-\-en — take + ing — the — book; nach Anwendung der morphologischen Regeln ergibt sich schließlich The man had been taking the book. Die fakultativen Regeln sind von der Art, daß man sie „anwenden, aber auch nicht anwenden kann — in jedem Falle erhalten wir einen Satz". 1 0 7 Beispiel einer fakultativen Transformation ist die Passivtransformation. Die Unterscheidung obligatorischer und fakultativer Transformationen f ü h r t uns zur Differenzierung zweier Typen von Sätzen einer Sprache. „. . . Wir definieren den Kern der Sprache . . . als die Menge der Sätze, die erzeugt werden, wenn wir obligatorische Transformationen auf die terminalen Ketten der [27, F]-Grammatik (IC-Grammatik. A. L.) anwenden. Der Transformationsteil der Grammatik wird derart eingerichtet, daß Transformationen auf Kernsätze . . . oder auf vorher erhaltene Transforme angewendet werden können. Auf diese Weise gehört jeder Satz der Sprache entweder zum Kern oder ist aus den Ketten, die einem oder mehr Kernsätzen zugrunde liegen, ableitbar durch eine Folge aus einer oder mehr Transformationen." 1 0 8 Weiterhin sind zu unterscheiden elementare (in einer Liste gegebene) und komplexe Transformationen, von denen jede eine Folge elementarer Transformationen darstellt, deren Anwendung auf einen Kernsatz einen grammatisch richtigen Satz ergibt. Eine dritte Differenzierung f ü h r t zur Unterteilung in generalisierte und singuläre Transformationen 1 0 9 , deren Unterschied wir hier aber nicht analysieren werden. In der „klassischen", anfänglichen Variante des Transformationsmodells ist dies die Abfolge in der Generierung: a) IC-Komponente, 107 Vgl, N. Chosmky, Three Models for the Description of Language. 108 Vgl. N. Chomsky, Syntactic Structures, S. 45. 109 Siehe etwa N. Chomsky, G. A. Miller, Introduction to the Formal Analysis of Natural Languages, Kapitel 5.3.
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die eine Kette von Morphemen nicht immer in der richtigen Reihenfolge generiert; b) Transformationskomponente, an deren Ausgang eine Kette von Wörtern steht; c) phonologische Komponente, die ihrerseits zerfällt in die morphonologische Subkomponente (die die phonologische S t r u k t u r der Wörter liefert) und die phonetische Subkomponente (die die realen Lautungen der Wörter ergibt). Inzwischen hat das Chomskysche Modell einige Umwandlungen erfahren. Wir umreißen hier den Stand, den es mit der bekannten Monographie Aspects of the Theory of Syntax (1965) erreicht hat. Das Modell besteht nunmehr aus drei grundlegenden K o m p o n e n t e n : der syntaktischen, der phonologischen und der semantischen. Die beiden letzteren dienen ausschließlich der Interpretation der s y n t a k tischen Komponente. Diese muß ihrerseits „für jeden Satz eine Tiefenstruktur spezifizieren, die seine semantische Interpretation determiniert, und eine Oberflächenstruktur, die seine phonetische Interpretation bestimmt". 1 1 0 Die syntaktische Komponente unterteilt sich entsprechend in zwei Subkomponenten, die Transformations- und die IC-Subkomponente (oder „Basis" der syntaktischen Komponente). Die Transformations-Subkomponente generiert die Oberflächenstruktur, die IC-Subkomponente die Tiefenstruktur. Auf diese Weise erhalten wir anstelle der zwei Mengen von Sätzen zwei „ E t a g e n " der Generierung, und die „Kernsätze" werden zu einem Spezialfalt (dazu noch einem seltenen und untypischen) dieser „zweietagigen" Generierung. Weiterhin werden (für die Tiefenstruktur) zwei Typen von Regeln eingeführt: Verzweigung- und Subkategorisierungsregeln. Die ersten sind klar. Durch die zweiten werden bestimmten Elementen des Baumes semantische Charakteristiken vom Typ distinktiver semantischer Merkmale zugeschrieben. Die Verzweigungsregeln bilden die kategoriale Komponente. „Die primäre Rolle der kategorialen Komponente besteht faktisch darin, die grundlegenden grammatischen Relationen zu definieren, die in der Tiefenstruktur der Sprache fungieren (Es ist) sehr wohl möglich, daß die Form der kategorialen Komponente weitgehend bestimmt ist durch die universellen Bedingungen, die den Begriff 'menschliche Sprache' definieren." 1 1 1 Die Subkategorisierungs110
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N. Chomsky, Aspekte der Syntax-Theorie, S. 25. — Die neuen Ideen im Rahmen des Transformationsmodells finden sich gelungen zusammengestellt in den Vorworten zur zweiten und dritten Auflage von R. B. Lees, The Grammar of English Nominalizations. N. Chomsky, Aspekte der Syntax-Theorie, S. 119.
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regeln bilden das Lexikon. Wir wollen hier nicht auf sie eingehen, da diesem Problemkreis ein spezieller Paragraph (§ 18) gewidmet ist. Es sei hervorgehoben, daß es in Chomskys letzten Arbeiten einschließlich der zitierten aus bestimmten apriorischen Überlegungen als möglich gilt, in die IC-Bäume ternärc und nicht nur binäre Knoten einzuführen, d. h. Knoten, von denen nach unten drei und nicht zwei Zweige ausgehen. Eingeführt wird auch der Begriff „Transformationsbaum", in dem die Folge von Transformationen indiziert wird, die an gegebenen IC-Bäumen auszuführen sind. Dies gestattet es, die Theorie durch Fallenlassen der Unterscheidung von generalisierten und singulären Transformationen zu vereinfachen. Chomsky unterstreicht 112 , daß die Transformationsregeln in der neuen Variante seines Modells als eine Art „Filter" wirken: Nicht alle (im Prinzip) zulässigen IC-Bäume können als Tiefenstrukturen realer Sätze auftreten. Die Generierung verläuft wie folgt: „Die Basis erzeugt Tiefenstrukturen. Eine Tiefenstruktur wird in die semantische Komponente eingegeben und erhält eine semantische Interpretation; durch Transformationsregeln wird sie auf eine Oberflächenstruktur abgebildet, die durch die phonologische Komponente eine phonetische Interpretation erhält." 113 Darüber hinaus werden von Chomsky noch einige weitere neue theoretische Momente eingeführt, die für uns hier aber ohne spezielles Interesse sind.
§ 16. Die psycholinguistische Interpretation der grammatik durch N. Chomsky
Transformations-
Wenden wir uns nunmehr der psycholinguistischen Interpretation zu, die Chomsky selbst seinem Modell gibt. Zunächst ist hervorzuheben, daß es Chomsky allgemein als Aufgabe der linguistischen Theorie betrachtet, letzten Endes psycholinguistische Modelle zu konstruieren und exakt zu beschreiben, und zwar a) ein Modell für die Sprach Verwendung und b) ein Modell für den Spracherwerb. „Das Modell A für die Sprachverwendung (perceptual model) ist ein Mechanismus, der einer vorgegebenen Äußerung U eine strukturelle Beschreibung D zuordnet, wobei er die ihm zugrunde liegende generative Grammatik G benutzt, die ihrerseits eine phonetische Repräsentation «2 A. a. 0., S. 133f. »« A. a. 0., S. 136. 90
R von U mit der strukturellen Beschreibung D generiert . . . Das Modell B für die Spracherlernung (learning model) ist ein Mechanismus, der auf der Grundlage sprachlichen Rohmaterials (d. h. von Proben der parole) als Eingabe eine Theorie G (d. h. eine generative Grammatik einer bestimmten langue) als Ausgabe konstruiert. Dabei benutzt B seine gegebene faculté de langage, seine angeborene Spezifikation auf bestimmte heuristische Prozeduren und bestimmte eingebaute Beschränkungen hinsichtlich des Charakters der zu lösenden Aufgabe. Wir können es als Aufgabe der allgemeinen linguistischen Theorie betrachten, den Charakter des Mechanismus B zu bestimmen . . . Bei der Bewertung einer speziellen generativen Grammatik fragen wir, ob die Information korrekt ist, die sie uns über eine Sprache vermittelt, d. h. ob sie die sprachliche Intuition des Sprechers korrekt beschreibt . . . Bei der Bewertung einer allgemeinen Theorie der sprachlichen Struktur . . . fragen wir, ob die generative Grammatik, die sie auswählt, das empirische Kriterium der Korrespondenz mit der sprachlichen Intuition des Sprechers erfüllt . . ." 114 Ehe wir diese allgemeinen Postulate Chomskys konkretisieren, sei darauf hingewiesen, daß seine Darstellung sehr speziell und einseitig ist. Zunächst ist sie weit mehr auf die Interpretation von Perzeption und Erlernung der Sprache als auf die Interpretation ihrer Erzeugung orientiert. Der Abbildungsprozeß wird ausschließlich unter diesem Gesichtspunkt — und das heißt: äußerst vereinfacht — behandelt. Dabei wird als Abbildung die strukturelle Beschreibung der abzubildenden Äußerung (oder — wenn man den Abbildungsprozeß global ansieht — die grammatische Beschreibung der abzubildenden Sprache) betrachtet. Mithin stellt sich Chomsky überhaupt keine eigentlich psycholinguistische Aufgabe. Für ihn ist die Schaffung einer strukturellen Beschreibung der Äußerung schon gleichbedeutend mit ihrer Identifizierung. Nach welchen Kriterien der Mensch jedoch vorgeht, wenn er einer Äußerung eine bestimmte strukturelle Beschreibung zuordnet, welcherart der Ubergang von der strukturellen Beschreibung zum Operieren an der eigentlichen Äußerung ist (und zwar besonders bei ihrer Erzeugung, nicht bei ihrer Wahrnehmung) 1 1 5 usw., das beschäftigt Chomsky nicht. Ganz genauso verhält es sich mit dem 114 Vgl, N, Chomsky, The Logical Basis of Linguistic Theorv, S. 923 ; doch vgl. auch N. Chomsky, On the Notion „Rule of Grammar". 115 „. . . Die linguistische Struktur ist die Beschreibung dessen, was der Hörer wahrnimmt." (Vgl. A. M. Liberman, F. S. Cooper, K. S. Harris, P. F. MacNeilage, M. Studdert-Kennedy, Some Observations on a Model for Speech Perception. 8
Psycholinguislische Einheiten
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S p r a c h e r w e r b : C h o m s k y interessiert es äußerst wenig, wie B A u s w a h l u n d Verarbeitung des z u g r u n d e liegenden Corpus von T e x t e n realisiert; dieses Problem reduziert sich f ü r ihn auf das „ G e b e n des I n p u t s " f ü r den Mechanismus B . Mehr noch, er geht d a v o n aus, daß der Sinn der Äußerungen „einen stimulierenden Einfluß auf den Prozeß der S p r a c h a n e i g n u n g a u s ü b e n k a n n , während er keine notwendige Rolle in d e m Mechanismus spielt, der uns hier g e r a d e interessiert". 1 1 6 Die zitierte Äußerung ist auch unter d e m Blickwinkel sehr bezeichnend, wie in C h o m s k y s K o n z e p t i o n einerseits „ P r o z e ß " u n d andererseits „ M e c h a n i s m u s " ( „ V o r r i c h t u n g " , device) (oder „ M o d e l l " ) gegenübergestellt werden. Hier k o m m t sehr klar seine s t a r k logischlinguistische, jedoch nicht psychologische A u s b i l d u n g z u m A u s d r u c k . L i e s t m a n die oben a n g e f ü h r t e P a s s a g e a u f m e r k s a m , so wird m a n bemerken, daß das „Modell f ü r die S p r a c h v e r w e n d u n g " u n d d a s „Modell für die S p r a c h e r l e r n u n g " eigentlich ein und d a s s e l b e Modell sind. In d y n a m i s c h e r Hinsicht strebt d a s Modell B z u m Modell A ; es ist sozusagen die „ E n t s t e h u n g s g e s c h i c h t e " des Modells A. In statischer Hinsicht ist das Modell B ein Teil des Modells A ; außerhalb der von ihm zu beschreibenden Prozesse finden sich nur rein psychologische Momente (Kriterien f ü r die Interpretation einer Äußerung, Operationen mit der bereits geschaffenen strukturellen Beschreibung usw.), Momente, die C h o m s k y g a r nicht interessieren. D a z u k o m m t es i m Prozeß der S p r a c h Verwendung zu einem ständigen „ H i n z u l e r n e n " u n d „ U m l e r n e n " , so d a ß B nie a u f h ö r t zu funktionieren. Wie existieren nun diese beiden Mechanismen gleichzeitig im Gehirn eines Menschen? S i e existieren ü b e r h a u p t nicht nebeneinander. Vielmehr ist es so, daß bei C h o m s k y der funktionale, prozessuale Unterschied a u t o m a tisch die Vorstellung einer Verschiedenheit der Mechanismen hervorr u f t . Übrigens ist a m Beispiel des Modells B klar erkennbar, daß seine „ M a t e r i a l i t ä t " fiktiv ist. Einen Mechanismus B g i b t es im Gehirn des K i n d e s einfach nicht. E s gibt eine gewisse Menge v o n F u n k t i o n e n , die durch verschiedene Mechanismen gesichert werden, und eine g e w i s s e Menge von F a k t o r e n , die die zeitweilige, partielle u n d zielgerichSystem t e t e G r u p p i e r u n g dieser Funktionen zu einem funktionalen gewährleisten. Diese F u n k t i o n e n sozusagen mit ihrem materiellen S u b s t r a t zu identifizieren und ihnen eine „ E x i s t e n z c h a r a k t e r i s t i k " zuzuschreiben ist d a s s e l b e wie in der Hirnrinde die k o n k r e t e L o k a l i sierung jeder höheren psychischen F u n k t i o n zu suchen. E i n e d e r a r t i g e 116 Vgl. N. Chomsky, Explanatory Models in Linguistics, S. 531.
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Lokalisierung werden wir niemals feststellen, weil die höheren psychischen Funktionen durch das gemeinsame Wirken vieler Mechanismen ermöglicht werden, die tatsächlich nicht ad hoc vereinigt sind, aber auch nicht ausschließlich mit der jeweiligen Funktion in Zusammenhang stehen. 1 1 7 Jeder Abschnitt der Hirnrinde wird von uns „zweiund dreigeteilt" werden, weil er für unterschiedliche funktionale Systeme mit unterschiedlichem Charakter und unterschiedlicher Orientierung der Handlung zuständig sein wird. Chomsky schreibt — wie übrigens auch viele andere „kybernetisch denkende" moderne Autoren — dem Menschen den gleichen Mangel zu, den die heutigen elektronischen Rechenautomaten aufweisen — eine enge Spezialisierung. In einer Erörterung über schachspielende Automaten, die den Menschen besiegen, sagt P. K. Anochin: „. . . Der ob der Niederlage b e t r ü b t e Schachspieler t r a t ans Büfett und bestellte sich Kaffee mit Kognak. Wenn sich nun der Schach-Automat ebenso vom Tische entfernt hätte, an ebenjenes Büfett getreten wäre und sich einen Kaffee mit Milch bestellt hätte, erst dann erhielten wir eine gewisse Grundlage, um Mensch und Maschine gleichzustellen . . ." 118 Die Besonderheit der psychophysiologischen Organisation des Menschen, speziell seiner Rede-Organisation, besteht gerade in ihrer großen Wandelbarkeit, in ihrer Polyfunktionalität. Wir haben (im Falle der Rede) kein geschlossenes und unveränderliches System mit einem „Eingang" vor uns, in den wir verschiedene Signale eingeben. Die Rede-Organisation geht als Teil in ein komplizierteres System ein, das eine Menge möglicher Zustände aufweist, deren Auswahl ihrerseits bedingt ist durch das Eingehen dieses Systems in ein noch komplizierteres, das System der Beziehungen des Menschen zur gesellschaftlichen Realität. Und erst dieses System, das ebenfalls eine begrenzte Zahl von Zuständen besitzt 1 1 9 — wenn auch eine unermeßlich größere als die Zahl der Zustände des Systems, das der menschlichen Psyche entspricht —, ist mehr oder weniger homöostatisch. Doch auch diese Homöostase ist relativ; denn das System, von dem wir reden, geht in das noch umfassendere System „Mensch — N a t u r " ein, dessen Erforschung V. I. Vernadskij viele J a h r e seines Lebens gewidmet h a t . Kehren wir zurück zu Chomsky. Wenn wir seiner Logik folgen, können wir niemals Einheitlichkeit oder Unterschiedlichkeit der realen psychophysiologischen Mechanismen nachweisen, f ü r die die Modelle A und B zuständig sind, und nur indem wir uns von seinem 117
Vgl. A. P. JlypHH, Mosr lejiOBena h ncnxniecKne npoijeccbi. "8 Vgl. n. K. Ahoxhh, Tohkh HaH i, S. 99. l 19 Anders gäbe es keine historischen Gesetzmäßigkeiten.
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Weg zu folgern abwenden und eigentlich psychologisches oder eigentlich physiologisches Gebiet betreten, wird es möglich, zu irgendwelchen Schlüssen in dieser Hinsicht zu gelangen. Chomsky läßt einen von psycholinguistischer Seite entscheidenden Faktor außer acht, der als Faktor der Zweckmäßigkeit de,r psychophysiologischen Organisation des Menschen bezeichnet und mit der eben genannten Stufung sukzessiven Eingehens der Modelle für die Rede-Organisation in Systeme oder Modelle höherer Ebenen in Beziehung gesetzt werden kann. Bezieht man diesen Faktor in seine Überlegungen ein, läßt sich die Identifizierung von Prozessualität und materiellem Substrat, die so charakteristisch für Chomsky ist, leicht vermeiden. Wenden wir uns nun Chomskys Aspects zu, wo seine psycholinguistischen Ansichten am vollständigsten niedergelegt sind. Vor allem wird der Unterschied zwischen Sprachkompetenz (linguistic competence, im weiteren LC) und Sprachverwendung (linguistic Performance, LP) unterstrichen. Unter der ersten wird die „Kenntnis des Sprecher-Hörers von seiner Sprache", unter der zweiten der „aktuelle Gebrauch der Sprache in konkreten Situationen" verstanden. 120 Die Grammatik der Sprache ist die Beschreibung der LC. Eine generative Grammatik ist „kein Sprechermodell und kein Hörermodell". „Sie versucht . . . die Sprachkenntnis zu charakterisieren, die für den aktuellen Sprachgebrauch durch einen SprecherHörer die Basis liefert. Wenn wir davon sprechen, daß eine Grammatik einen Satz erzeugt zusammen mit einer bestimmten strukturellen Beschreibung, so meinen wir einfach, daß die Grammatik diese strukturelle Beschreibung dem Satz zuschreibt. Wenn wir sagen, daß ein Satz die und die Derivation bezüglich einer einzelnen generativen Grammatik hat, dann sagen wir nichts aus darüber, wie der Sprecher oder Hörer . . . vorgehen könnte, um eine solche Derivation zu konstruieren. Diese Fragen gehören in die Theorie der Sprachverwendung." 121 Wie schon früher (Kap. I, § 5) betont, betrifft das einzige, was Chomsky an Konstruktivem hinsichtlich der L P sagt, die Beschränkungen, die ihr durch den Aufbau des Gedächtnisses auferlegt sind. In diesem Sinne wird der Begriff des „akzeptablen" Satzes eingeführt. Es ist dies ein Begriff der LP-Theorie, während die „Grammatikalität" eines Satzes zur Theorie der LC gehört und nur einer der 12® N. Chomsky, Aspekte der Svntax-Theorie, S. 14. A. a. 0 . , S. 18.
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Faktoren der „Akzeptabilität" ist. „Nicht-Akzeptabilität" ist nicht durch eine konkrete Regel oder Regelgruppe charakterisiert, wohl aber lassen sich die Grenzen der Akzeptabilität bestimmter Operationen innerhalb des IC-Baumes aufzeigen. Chomsky führt einige solcher Beschränkungen an 1 2 2 : a) Zur Nicht-Akzeptabilität trägt wiederholte Einschachtelung (nesting) von Sätzen bei. b) Noch weniger akzeptabel ist sich wiederholende „Selbsteinbettung" (.self-embedding). (Sie unterscheidet sich vom nesting dadurch, daß im Falle der Selbsteinbettung der Einbettungssatz dem Satze, in den er eingebettet wird, konstruktiv ähnelt.) c) Melirfach-verzweigende (koordinierte) Konstruktionen sind am relativ akzeptabelsten. d) Beim nesting verringert sich die Akzeptabilität mit zunehmender Länge und Komplexität des Einschachtelungselements. e) Im Widerspruch zu den Vorstellungen Yngves bestehen keine deutlichen Einschränkungen hinsichtlich der Rechts- oder Linksverzweigung. In dieser Aufzählung hängen a) und d) mit dem trivialen Faktum der Endlichkeit des Gedächtnisses zusammen. Interessanter ist b), weil hier angenommen wird, daß jeder Konstruktion ihr Typ von Operationen entspricht und daß es unmöglich oder doch schwierig ist, ein und dieselbe Operation mehrfach gleichzeitig anzuwenden. Die Akzeptabilität im Falle c) „kann leicht auf Grund der . . . Annahme erklärt werden, daß das Verhältnis zwischen der Anzahl der Komplexe im Satz (phrases) und der Anzahl der Formative . . . ein ungefähres Maß abgibt für die Anzahl der Abarbeitungsschritte, die während der Analyse gemacht werden müssen. Somit wäre mehrfache (multiple) Koordination die einfachste Art von Konstruktionen für einen Analysemechanismus — sie stellt die geringsten Anforderungen an das Gedächtnis." 123 Zu e) siehe oben § 14. (Vgl. J . C. Marshalls 1967 auf dem X . Internationalen Linguistenkonkreß in Bukarest vorgetragenen Gedanken, daß die Einschränkungen bei der Generierung vom Zeitdefizit und nicht von der Gedächtniskapazität ausgehen.) Bei der Behandlung der Faktoren, die den Prozeß der Sprachaneignung gewährleisten, widmet Chomsky jenen Charakteristika viel Aufmerksamkeit, die von Anfang an in den Mechanismus B „eingebaut" sind, d. h. dem „angeborenen Wissen". Wir werden dieses A. a. 0., S. 22. '23 A. a. 0., S. 23
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Problem im weiteren noch berühren. Hier wollen wir auf die Kritik eingehen, welcher G. H. Harmon die psychologische Seite in Chomskys Konzeption unterzog, scheint uns doch, daß es Harmon gelang, die schwächste Stelle dieser Konzeption aufzuzeigen. Was ist das: Sprachkompetenz und „Kenntnis" von der Sprache? Wenn es die Kenntnis davon ist, wie man spricht und versteht, d. h. eine Menge von Regeln zu diesem Komplex, so erhebt sich die Frage, wie sich ein solches Verständnis damit vereinbart, daß die LC die Beschreibung der sprachlichen Intuition, der sprachlichen Introspektion ist. Mit anderen Worten, hier vermischen sich „psycholinguistische Einheiten" mit „psychologischen". Außerdem ist in der Introspektion keine Beschreibung der Regeln der Sprache oder des sprachlichen Verhaltens enthalten. Derartiges trifft zu für den Linguisten, nicht aber für den gewöhnlichen Sprecher der Sprache. Daraus erwächst ein wesentlicher Zweifel. Wie kann man ein Modell für das Sprechverhalten konstruieren (und ein solches ist doch allem Anschein nach das Modell der LP), das die Kenntnis von der Sprache oder eine generative Grammatik als Teil in sich „einschließt" (diese Forderung erhebt Chomsky wiederholt), wenn der Inhalt der LC, d. h. die generative Grammatik, psychologisch nicht relevant ist? Ergibt sich dann nicht, daß die Theorie der L P (die Chomsky übrigens verschiedentlich den „Theorien des Verhaltens" als abstrakte Theorie des Funktionierens gegenüberstellt, welche die „physischen Charakteristika" des LP-Modells nicht berührt) die Standpunkte des gewöhnlichen Sprechers („Smith") und des Linguisten („Jones") vermengt? Weiter nimmt Chomsky bekanntlich an, daß im Sprecher (d. h. im Modell der LP) eine gewisse „innere Vorstellung", ein intuitives Wissen von den Regeln der Sprache, vorhanden ist, die der LC entspricht. Dazu führt Harmon ein anschauliches Beispiel an. „Ein Radfahrer muß das Gleichgewicht auf dem Fahrrad halten. Was er dabei zu tun hat, wird natürlich von bestimmten Prinzipien der Mechanik diktiert, die ihm unbekannt sind . . . Entsprechend dem Modell von Chomsky müßten wir sagen, der Radfahrer habe eine innere Vorstellung von den Prinzipien der Mechanik. Sagen wir aber, daß jeder Radfahrer eine 'intuitive' oder eine 'stillschweigende' Kenntnis von diesen Prinzipien hat?" 1 2 4 So t r i t t nach Harmon bei Chomsky eine Vermischung zweier völlig verschiedener Begriffe auf, die er in dem einen Begriff der LC verei124 Vgl_ Q_ JJ. Harmon, Psychological Aspects of the Theory of S y n t a x , S. 81.
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nigt. Dieser Kritik muß man unbedingt zustimmen. Ein psycholinguistisches Modell der Generierung zu schaffen, in dem der operationale Aspekt (Menge von Regeln) und der Aspekt der Interpretation der Resultate am „ A u s g a n g " vermengt wird, d. h. in dem sich die Regeln des Operierens bei Produktion oder Perzeption der Sprache und die Regeln des Operierens an der Sprache als einem „toten K ö r p e r " vermischen, heißt, zur allertraditionellsten Theorie des Sprechverhaltens zurückzukehren, nach der die Sprache gleichbedeutend ist mit der Sprachfähigkeit und das Funktionieren der letzteren auf einige linguistisch erschöpfend zu definierende elementare Handlungen an den sprachlichen Einheiten (wie Substitution oder Alternation) reduziert wird. 1 2 5 Ohne daß wir mit Harmon in der Kritik fortfahren, läßt sich doch bereits konstatieren, daß es einfach unmöglich ist — obwohl es in zeigenössischen Untersuchungen häufig geschieht —, sich ohne weitere Umschweife auf die psycholinguistischen Anschauungen Chomskys zu stützen, sind doch schon in den Aufbauprinzipien seiner Theorie mehrere innere Widersprüche enthalten. Ob die Chomskyschen Ansichten für die Psycholinguistik in ihrer gegenwärtigen E t a p p e annehmbar sind, bedarf des speziellen Nachweises, der bisher nicht geführt wurde. Inzwischen akzeptiert, so seltsam es auch sein mag, sogar G. A. Miller, dessen Ansichten sich wesentlich von denen Chomskys unterscheiden, begeistert die Chomskysche Konzeption, vermittelt jedoch buchstäblich auch nicht in einer Arbeit eine halbwegs ernsthafte spezielle psychologische Analyse dazu. Mehr noch, wenn man die Kapitel des Handbook of Mathematical Psychology liest, als deren Autoren Chomsky und Miller zeichnen 126 , so kann man sich des Gedankens nicht erwehren, daß von Miller dort nur die Einleitungs- und Schlußzeilen stammen. Der gesamte Grundgehalt der Arbeit aber weist in Thematik und Ideen wie in typischen Gedankengängen und Redewendungen auf Chomsky; das reicht bis hin zum ausgiebigen Selbstzitieren ohne Anführungszeichen, das so charakteristisch für Chomsky ist. Um wieviel interessanter als diese Kapitel ist in psychologischer Hinsicht das Buch, welches derselbe Miller ge125 ygl_ J ]i Carroll, L a n g u a g e and Thought, sowie die folgenden Ausführungen von Fitialov: „Man sagt, daß ein Mensch, welcher die russische Sprache beherrscht, (bewußt oder unbewußt) ihre G r a m m a t i k ,kennt'. In der Praxis äußert sich das darin, daß er in der L a g e ist, bestimmte Ketten von Zeichen zu konstruieren." (Vgl. C. fl. HTHaJlOB, TpaHCopMaiiHH B aKCHOMaTHMeCKHX rpaMiwaTHKax, S. 3). I2fi N. Chomsky, G. A. Miller, Introduction to the F o r m a l Analysis of N a t u r a l Languages; G. A. Miller, N. Chomsky, Finitary Models of L a n g u a g e Users. 97
meinsam mit Galanter und Pribram geschrieben h a t ! Dafür enthält es jedoch weniger Wahrheiten der letzten Instanz . . .
§ 17. Psycholinguistische Forschungen auf der Grundlage des Tranformationsmodells Sind die Versuche einer psycholinguistischen Interpretation des Chomskyschen Modells durch Chomsky selbst kaum als gelungen zu bezeichnen, so muß der Zyklus von Experimenten, der an Millers Namen geknüpft ist, ohne Übertreibung zu den interessantesten und bedeutendsten psycholinguistischen Untersuchungen der letzten J a h r e gezählt werden. Dieser Zyklus wird mit Millers bekannter Arbeit Some Psychological Studies of Grammar und seiner Studie Decisión Units in the Perception of Speech eröffnet. Beide wurden 1962 publiziert. In der letztgenannten Arbeit wies Miller mit minimalem experimentellem Material scharfsinnig nach, daß die Perzeption (bei Rauschen) erfolgreicher ist, wenn ein grammatisch richtiger Satz wahrzunehmen ist, als wenn es sich um die Perzeption einer grammatisch nicht verbundenen Wortkette gleicher Länge handelt, obwohl in beiden Fällen alle Wörter als bekannt vorauszusetzen sind. 127 Hieraus folgerte Miller, daß wir nicht in bezug auf jedes Wort Entscheidungen treffen, sondern mit offensichtlich größeren Einheiten operieren. In Some Psychological Studies of Grammar wird neben anderen ein Experiment beschrieben, das Miller gemeinsam mit K . Ojemann McKean und D. Slobin durchführte. Auf dieses wollen wir hier kurz eingehen. Die Hypothese, welche dem Experiment zugrunde lag, lautete: „ J e komplizierter eine grammatische Transformation ist, um so längere Zeit benötigt der Mensch zu ihrer Ausführung." 1 2 8 Um diese Hypothese zu beweisen, gab man den Versuchspersonen zwei Listen. Die linke enthielt Kernsätze oder ihre Transforme, die rechte andere Transforme derselben Sätze, nur in anderer Reihenfolge. Die Aufgabe bestand darin, unter den Sätzen der rechten Liste die jeweiligen Analoga zu den Sätzen links zu finden. Im Kontrollexperiment enthielt die rechte Liste ihre Sätze unverändert, doch vorher erhielten die Versuchspersonen isolierte Phrasen zur jeweiligen Transformation und lernten es, diese zu erkennen. 127
Siehe G. A. Miller, Decisión Units in the Perception of Speech. 128 Vgl. G. A. Miller, Some Psychological Studies of Grammar, S. 757.
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Auf diese Weise (und darauf sei hingewiesen) wurde nicht Möglichkeit oder Notwendigkeit von Transformationen an sich untersucht. Diese Notwendigkeit galt von Anfang an als gegeben, und untersucht wurde nur, auf welchem konkreten Wege der Mensch vorgeht, wenn er eine Transformation ausführt. Die Hauptresultate waren folgende: Die Versuchspersonen arbeiteten in „Schritten", d. h. beispielsweise, sie vollführten deutlich zwei „Schritte", um vom Kernsatz zum negierten Passivsatz überzugehen (2,7 s für die Transformation gegenüber 1,1 s bzw. 1,5 s beim Übergang von Kernsätzen zu einfachen negierten bzw. einfachen Passivsätzen). Besonders aufschlußreiche Ziffern ergaben sich beim Übergang von negierten zu Passivsätzen (3,5 s!). Weitere Forschungsergebnisse der Gruppe von Miller sind in einer sehr ausführlichen, doch weit weniger bekannten Arbeit von Miller und K . Ojemann McKean dargelegt. Der theoretischen Interpretation dieser Ergebnisse liegt eine bestimmte Konzeption in bezug auf Regeln zugrunde. „In allgemeinsten Worten sind linguistische Regeln gesellschaftliche Übereinkünfte der folgenden Form: 'Wenn die gleiche Situation von neuem auftritt, so tu das gleiche.' Eine solche Festlegung wird natürlich sinnlos, wenn wir die neue Situation nicht als verwandt mit der alten erkennen können oder wenn wir nicht wissen, was das heißt: 'das gleiche tun'. J e d e Regel muß durch ein System erkennbarer Ähnlichkeiten und Unterschiede unterstützt werden." 129 Auf das oben beschriebene Experiment folgte als nächstes Glied der Arbeit der Übergang zur gesprochenen Sprache, wobei die Latenzzeit gemessen wurde. Die Messungen untermauerten die Resultate des ersten Experiments, obwohl die benötigten Zeiten bedeutend geringer waren (0,32 s für die Transformation vom Kernsatz zum negierten Satz oder 0,82 s vom Kernsatz zum Passivsatz und 1,03 s für beide Transformationen zusammen). Danach wurde das Anfangsexperiment mit präzisierter Methodik wiederholt und ergab wiederum eine Bestätigung der Ausgangshypothese. Schließlich war es dann beim Hauptversuch möglich, mit Hilfe einer unkomplizierten Versuchsanlage die Zeit für das Lesen und die Transformation des Ausgangssatzes und die Zeit für das Suchen gesondert zu messen. Was die Suchzeit betrifft, so erwies sich, daß sie nicht von den syntaktischen Besonderheiten der Sätze abhing. Die Zeit für Lesen und Transformation zeigte dieselbe Abhängigkeit wie 129
Vgl. G. A. Miller, K . Ojemann McKean, A Chronometrie Study of Relations Between Sentences, S. 298.
Some
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die Ergebnisse der vorangegangenen Versuche. Für die Passivtransformation wurde im Durchschnitt eine Sekunde, für die Negationstransformation 0,4 s benötigt. Wie die Autoren hervorheben, ist jedoch noch völlig unklar, ob hier nicht eine Vermischung semantischer und syntaktischer Fakten erfolgt, und was sie überhaupt gemessen haben. So ist es etwa möglich, daß die Negationstransformation überhaupt nicht existiert (d. h. um eine negierte Konstruktion zu erhalten, muß m a n sie neu aufbauen). „Die einzigen klaren Folgerungen . . . laufen offenbar darauf hinaus, daß Operationen mit affirmativen Aktivsätzen stets weniger zusätzliche Zeit erfordern als Operationen, die solche Sätze nicht einbeziehen. Dieses Resultat ist zu erwarten, wenn jeder perzipierte (oder produzierte) Satz eine vollständige syntaktische Analyse (oder Synthese) erhält und wenn affirmative Aktivsätze syntaktisch einfacher sind und deshalb weniger zusätzliche Zeit zu ihrer Analyse und Synthese erfordern. Das ist es im wesentlichen auch, was die Transformationstheorie behauptet: Passivsätze, negierte Sätze und negierte Passivsätze enthalten dieselben syntaktischen Regeln wie die affirmativen Aktivsätze plus eine oder zwei zusätzliche Regeln, was sie komplizierter macht und etwas mehr Zeit für die Interpretation (oder Generierung) erfordert . . . Diese syntaktischen Operationen sind ein normaler und üblicher Bestandteil des Verstehens und Produzierens von Sätzen . . ," 130 All das ist sehr überzeugend — mit Ausnahme der letzten Behauptung, da sie aus der Arbeit nicht resultiert. Mehr noch, die ganze Arbeit ging ja davon aus, daß man die Versuchspersonen erst bestimmte Operationen lehrte. Parallel zu dem beschriebenen Zyklus von Arbeiten liefen unter der Leitung von Miller die Experimente von J . Mehler. E r verglich die Fehlerhäufigkeit bei der Reproduktion von Sätzen unterschiedlichen syntaktischen Typs, wobei er von Millers Hypothese ausging, daß bei der Erinnerung zunächst der Kernsatz reproduziert wird und dann eine spezielle „ F u ß n o t e " erhält, die über die syntaktische S t r u k t u r informiert. Später wurde diese Hypothese präzisiert und in der Weise neu formuliert, daß gesondert zwei Gruppen von Angaben über den Satz eingeprägt werden: die Information über seinen semantischen Gehalt und die Information über seine syntaktische Struktur. Diese Hypothese fand volle Bestätigung 1 3 1 , jedenfalls nach der Mei"0 Vgl. a. a. O., S. 307. 131 J. Mehler, Some Effects of Grammatical Transformations 011 tlie Rerall of English Sentences.
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n u n g von Mehler und Miller (Mehlers Experimente stießen später auf Kritik). In einem Experiment von Mehler und Miller wurde die retroaktive Interferenz bei der Reproduktion von Sätzen untersucht, d. h. die Interferenz, welche durch zwischenzeitliches Merken anderer Sätze bedingt ist. Dieses Experiment bekräftigte die Hypothese von den zwei Aspekten des Einprägens und gab Grund zu der Annahme, daß der semantische Aspekt als erster Schritt und der syntaktische als zweiter eingeprägt wird. 132 Hier seien noch drei Arbeiten genannt, in denen das Transformationsmodell dazu benutzt wurde, die Ergebnisse der Reproduktion von Sätzen zu interpretieren. E. B. Coleman ermittelte, daß Aktivsätze leichter behalten werden als ihre Nominalisierung oder Passivsätze. 1 3 3 J . L. Prentice gelangte zu dem gleichen Schluß in bezug auf Aktiv- und Passivsätze. 134 Von besonderem Interesse ist schließlich das Material von H. B. Savin und E. Perchonock. Diese Autoren maßen die Kapazität, die von Sätzen unterschiedlicher S t r u k t u r im unmittelbaren Gedächtnis beansprucht wird, indem sie dem Testsatz sofort eine sinnlose Folge von Wörtern folgen ließen und ermittelten, wieviel Wörter die Versuchsperson im Durchschnitt hinter jedem S a t z t y p behielt. Die Resultate führten zu der Annahme, daß die verschiedenen Arten von Transformationen im unmittelbaren Gedächtnis in verschiedenen „Zellen" gesondert von den anderen Aspekten des zu merkenden Materials gespeichert werden. 1 3 5 Die folgende Gruppe von Forschungen, auf die hier einzugehen ist, betrifft Verstehen und Interpretation von Sätzen. Wir beginnen mit den Arbeiten von P. C. Wason. Er untersuchte die Prozesse, die bei der Verifikation von Aussagen bzw. Aussagesätzen ablaufen. In seinem ersten Aufsatz zeigte er, daß für die Verifikation wahrer und falscher Aussagen in negierten Sätzen (außerhalb des Kontextes) entsprechend mehr Zeit verwendet wird als für die Verifikation entsprechender wahrer und falscher Aussagen in affirmativen Sätzen. 1 3 6 In Wasons zweiter Arbeit werden zwei Operationen 132
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J. Mehler, G. A. Miller, Retroactive Interference in tlie Reeall of Simple Sentences. E. B. Coleman, The Learning of Prose Written in Four Grammatical Transformations. J. L. Prentice, Response Strength of Single Words as an Influence in Sentence Behavior. II. B. Savin, E. Perchonock, Grammatical Structure and the I m m e d i a t e Recall of English Sentences. P. C. Wason, The Processing of Positive and Negative Information.
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mit Aussagen unterschieden: Verifikation (Angabe, ob eine Aussage wahr oder falsch ist) und Konstruktion (Erzeugung einer wahren oder falschen Aussage). Die Ergebnisse: Die Mehrzahl der Versuchspersonen verifizierte negierte Sätze, indem sie sie in affirmative Sätze transformierte. Dabei zeigte sich, daß die spontane Beschreibung der Merkmale von Objekten in der Regel in affirmativer Form erfolgt. Bei den Verifikationsoperationen wurde die Latenzzeit nur von der Form des Satzes beeinflußt, bei den Konstruktionsoperationen sowohl von der Form als auch von Wahrheit oder Falschheit der Aussage. 137 Hier ist interessant, daß R. Eifermann an hebräischem Sprachmaterial gerade eine umgekehrte Abhängigkeit aufzeigte, während er f ü r die Ergebnisse der erste Wasonschen Arbeit volle Bestätigung fand. 1 3 8 L. E. McMahon führte einen analogen Versuch mit Aktiv- und Passivsätzen durch. Dabei ergaben sich allerdings keine ernsthaften Unterschiede: Passivsätze benötigen 0,1 bis 0,2 s mehr für die Verifikation, während der Unterschied zwischen affirmativen und negierten Sätzen 0,3 bis 0,5 s betrug. 1 3 9 Ähnliche Resultate erzielte Slobin, auf dessen Arbeit wir in anderem Zusammenhang eingehen werden. Im Experiment von P. B. Gough, das in seiner Strenge überzeugender ist als viele andere, wurden Aktivsätze schneller verifiziert als Passivsätze, affirmative Sätze schneller als negierte, richtige schneller als falsche. Der Autor fühlte sich jedoch noch nicht zu abschließenden Folgerungen berechtigt, da die Möglichkeit nicht auszuschließen war, daß die Häufigkeit der entsprechenden Konstruktionen und die Satzlänge die Ergebnisse beeinflußt haben. 1 4 0 Goughs zweite Publikation zum gleichen Thema vermittelte überaus wichtige Resultate. Zum ersten gelang der Nachweis: Wenn die Zeit für das Vorzeigen des Bildes, welches die Verifikation eines gegebenen Satzes erlaubt, ausgedehnt wird, so ändert sich nichts in bezug auf die Verifikationszeit. Daraus geht hervor, daß im Moment der Wahrnehmung des Satzes nicht seine Transformation erfolgt, d. h. daß die Hypothese von P. Postal, von der frühere Forschungen ausgegangen sind, nicht stimmt. Gough hält eine Transformation n u r bei Unterbringung des Satzes im Langzeitgedächtnis f ü r 137 138 139 140
P. C. Wason, Response to Affirmative and Negative Binary Statements. R. Eifermann, Negation: A Linguistic Variable. L. E. McMahon, Grammatical Analysis as Part of Understanding a Sentence. P. B. Gough, Grammatical Transformations and Speed of Understanding. — Die hier veröffentlichten Ergebnisse wurden vorausgesagt in P. M. Postal, Underlying and Superficial LinguisticStructure.
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möglich. Für den genannten-Versuch gilt: „Die Versuchsperson speichert den komplexen S a t z einfach im Kurzzeitgedächtnis, bis Daten für seine Interpretation vorgelegt werden, und schiebt die Transformation bis zu diesem Zeitpunkt auf." 1 4 1 Zum zweiten ergab das Experiment, in dem die Passivsätze kürzer waren als die Aktivsätze, daß auch unter dieser Bedingung die Aktivsätze schneller verifiziert wurden, d. h. daß die Satzlänge unwesentlich ist. Gough schlägt zwei Erklärungen hierfür vor. Die erste: Nebeneinander erfolgen Beschreibung des Bildes und Vergleich zweier Sätze. Dabei wird die Beschreibung in Form eines Aktivsatzes gegeben, und es erweist sich als leichter, einen Aktivsatz mit einem Aktivsatz zu vergleichen. Die zweite: E s gibt eine gewisse „Ordnung der E n t f a l t u n g " (scanning order), an die der Sprecher gewöhnt ist: erst Agens, dann Patiens; erst Subjekt, dann Objekt. Ist ein Passivsatz zu verifizieren, so muß er durch die Versuchsperson erst „umgewendet" werden. Wir wollen uns diese Hypothese für später merken. Schließlich hat Coleman gezeigt, daß Sätze in der Aktivform leichter verstanden werden als ihre Passivtransforme, ihre Nominalisierungen und Adjektivierungen. 1 4 2 Die folgende Gruppe von Arbeiten steht in einem gewissen Gegensatz zur Hauptmasse der Forschungen über Transformationen. Eine von ihnen stammt von Ch. Clifton, J . Kurcz und J . J . Jenkins. 1 4 3 Diese Autoren bestätigen das allgemeine Prinzip „Mehr Transformationen — mehr Operationen", doch ermittelten sie keine quantitativen Resultate, die in der Lage gewesen wären, die Ausgangshypothese von Miller so präzise zu untermauern wie beispielsweise dessen eigenes Material. In einer Untersuchung des australischen Psychologen F . Smith bestand die Aufgabe in der Ermittlung, wieweit die zusätzliche Zeit, welche für die Operationen an der Transformations-Charakteristik des Satzes benötigt wird, von der Semantik abhängt. Die Hypothese lautete, daß semantische und syntaktische Regeln unabhängig wirken. Dies bestätigte sich für Aktiv- und Passivsätze, nicht aber für affirmative und negierte Sätze. 1 4 4 Aus dem Ergebnis geht hervor, 141
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Vgl. P. B. Gough, The Verification of Sentences: The Effects of Delay of Evidence and Sentence Length, S. 494. E. B. Coleman, The Comprehensibility of Several Grammatical Transformations. Ch. Clifton, J . Kurcz, J . J . Jenkins, Grammatical Relations as Determinants of Sentence Similarity. F. Smith, Reversal of Meaning as a Variable in thc Transformation of Grammatical Sentences.
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daß das Transformationsmodell in seiner ursprünglichen Form auf Operationen mit Negationstransformationen nicht anwendbar ist. Alle genannten Autoren gingen vom „traditionellen" Modell Chomskys aus. Es existieren jedoch bereits neuere Untersuchungen, denen das in den Aspects of the Theory of Syntax dargelegte Modell zugrunde liegt. A. L. Blumenthal begann seine Experimente mit IC-Bäumen (der „Tiefenstruktur") und untersuchte, wie die Leichtigkeit der Reproduktion eines Satzganzen durch die semantische Funktion eines vom Experimentator vorgesagten Wortes beeinflußt wird. Es stellte sich heraus, daß diese Funktion von Bedeutung ist und die Reproduktion unabhängig von Ubereinstimmung oder Nichtübereinstimmung in Wortart und Position im Satz determiniert. Die besten „Vorsage"Resultate erzielten Subjekte und adverbiale Bestimmungen (z. B. für John is easy to please und Jack is eager to please vorgesagtes Jack und easy). R. Boakes zeigte, daß diese Ergebnisse nicht durch Wortassoziationen zu erklären sind. 145 Unter Vernachlässigung einer Reihe anderer Untersuchungen, die nichts prinzipiell Neues ergaben, wenden wir uns der Arbeit von L. E. Marks zu. Marks interessierte, ob der Hörer Hypothesen über die Satzstruktur erst nach Beendigung des Satzes oder schon früher aufstellt. E r erzielte folgendes Resultat: F ü h r t man in den Satz eine Inversion ein, die seine S t r u k t u r verletzt, so verhält sich die Versuchsperson um so unsicherer, je näher die Inversion dem Anfang ist. Folglich werden Urteile über die S t r u k t u r bereits zu Beginn des Hörens gebildet. 146 Wir haben uns etwas von der Hauptlinie des vorliegenden Paragraphen entfernt. Es existieren noch weitere Angaben, die in bestimmtem Grade die Hypothese von der Wechselbeziehung zwischen Modell der Redeerzeugung und Transformationsmodell erhärten. Zum einen verfügen wir über Fakten aus der Aphasieforschung, welche diese Hypothese stützen. 1 4 7 Zum anderen gibt es recht erfolgreiche Versuche, auf der Basis der Hypothese die Entwicklung der Synt a x in der Kindersprache zu interpretieren. 1 4 8 In diesem Zusammenhang sei — nach Miller, Galanter und Pribram — 145
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A. L. Blumenthal, Prompted Recall of Sentences; A. L. Blumenthal, R. Boakes, Prompted Recall of Sentences. Supplementary Report. L. E. Marks, Some Structural and Sequential Factors in the Processing of Sentences. Siehe II. Goodglass, J. Hunt, Grammatical Complexity and Aphasie Speech. Siehe D. McNeill, Developmental Psycholinguistics; P. Menyuk, Syntactic Struclures in the Language of Children.
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ein interessanter Fall von „umgekehrtem Sprechen" angeführt. Der Kranke bildete seine affirmativen Konstruktionen wie negierte und umgekehrt die negierten wie affirmative. „ . . . anstatt I go sagte er: I dogo, und wendete somit die zweifache Transformation der Verneinung an." 149 (Aus / go wird / don't go, das sich dann zu / do go wandelt.) Eine gewisse Sonderstellung nehmen im System der Untersuchungen zur „psychologischen Realität" des Transformationsmodells die Arbeiten ein, welche den „selbst-einbettenden" (self-embedding) Sätzen gewidmet sind. Die erste Arbeit, die diesen Satztyp behandelt, ist der bereits zitierte interessante Aufsatz von Yngve. Hier wird festgestellt, daß es einem Sprecher des Englischen bedeutend leichter fällt, einen komplizierten Gedanken in Form eines sich nach rechts entfaltenden Baumes auszudrücken (It is more likely than not that the man is a liar who said that the rat was killed by a cat that was chased by the dog that is owned by the boy) als durch Einschachtelung (nesting) (It is more likely that the man who said that a cat that the dog that the boy owns chased killed the rat is a liar than not). Jedoch die erste e x p e r i m e n t e l l e Arbeit, die sich speziell mit diesem Problem befaßte, war ein 1964 publizierter Aufsatz von Miller und S. Isard 150 , in dem gezeigt wird, daß die Versuchspersonen nur mit großer Mühe (mit einer großen Fehlerzahl) „selbst-einbettende" Sätze verstehen (wir erinnern daran, daß es sich hier um einen T y p von Eingliederung handelt, bei dem der eingebettete Satz dem übergeordneten grammatisch ähnlich ist) und daß die Schwierigkeit mit Erhöhung der Zahl von „Selbsteinbettungen" wächst. Weiter wies Miller gemeinsam mit J. Phillips nach, daß sich die Schwierigkeit auch in Abhängigkeit von der Art der „Selbsteinbettung" ändert und daß von den nacheinander eingebetteten Sätzen der erste (allen anderen übergeordnete) und der letzte leichter verstanden werden als die mittleren. 151 Es wurden noch weitere Experimente zu diesem Satztyp durchgeführt, auf die wir hier aber nicht eingehen. Ehe wir zum nächsten Paragraphen kommen, seien zwei Arbeiten von Miller erwähnt, die später als die bisher genannten erschienen und methodologischen Charakters sind. In der ersten — sie trägt den symptomatischen Titel Some Preliminaries to Psycholinguistics — werden G. A. Miller, E. Galanter, K. H. Pribram, Strategien des Handelns. Pläne und Strukturen des Verhaltens, S. 148; J. Laffal, L. D. Lenkosky, L. Ameen, Opposite Speech in a Shizophrenic Patient. 160 G. A. Miller, S. Isard, Free Recall of Self-embedded English Sentences. 151 Vgl. Harvard University. The Center for Cognitive Studies. Sixth Annual Report 1965-1966, S. 23. 149
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die folgenden sieben (!) „Gebote" des Psycholinguisten formuliert: „1. Nicht alle physikalischen Merkmale des Sprechens sind bedeutsam für die stimmliche Kommunikation, und nicht alle bedeutsamen Merkmale des Sprechens haben eine physikalische Repräsentation 2. Die Bedeutung einer Äußerung darf nicht mit ihrem Sachbezug (,reference) verwechselt werden . . . 3. Die Bedeutung einer Äußerung ist nicht die lineare Summe aus den Bedeutungen der Wörter, die sie enthält . . . 4. Die syntaktische Struktur eines Satzes bedingt Gruppierungen, die die Wechselwirkungen zwischen den Bedeutungen der Wörter in diesem Satz lenken . . . 5. Es gibt keine Schranke für die Zahl der Sätze oder die Zahl der Bedeutungen, welche ausgedrückt werden können . . . 6. Die Beschreibung einer Sprache und die Beschreibung eines Benutzers der Sprache sind verschiedene Dinge . . . 7. Es gibt eine wesentliche biologische Komponente für die menschliche Fähigkeit des artikulierten Sprechens." 1 5 2 Millers zweiter Aufsatz wurde als populärwissenschaftlicher Abriß geschrieben. Dennoch ist er gegenwärtig vielleicht die einzige Publikation, in der der Versuch unternommen wurde, die wichtigsten Probleme der Psycholinguistik in ihrer Gesamtheit zu erfassen und in systematisierter Form darzustellen. In diesem Sinne ist er „gewichtiger als viele Bände", und dies war auch der Grund für seine Übersetzung ins Russische. 153 In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre erschien ein Zyklus von Arbeiten, deren Autoren ihr Hauptaugenmerk nicht auf das Problem der Struktur der LC, sondern auf die L P und den Charakter ihrer Wechselbeziehung zur LC richten. Eine charakteristische Umschreibung dessen, was die Theorie der L P zu leisten hat, gaben R . J . Wales und J . C. Marshall: „Dies ist eine Theorie darüber, wie wir eine bestimmte vorausgesetzte LC aktuell nutzen — sie realisieren, sie ausdrücken." 1 5 4 Von Anfang an wird also die Priorität der LC postuliert, und die Struktur der L P erscheint als Mittel für die Aktualisierung der LC. Dieser Standpunkt wird im 152 Vgl. G. A. Miller, Some Preliiiiinaries to Psycholinguistics, S. 17 f. 153 Vgl. G. A. Miller, The Psycholinguists. On the New Scientists of Language (in
russischer
Übersetzung
HayKH, Hayiaiomeft
IICHXOJlHHrBHCTH.
O
npeflCTaBHTeJlHX
HOBOfi
h3hk).
154 Vgl. R. J . Wales, J . C. Marshall, The Organization of Linguistic Performance, S. 30.
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weiteren noch vertieft, indem die Autoren die Schaffung einer Art Subtheorie fordern, welche die konkreten psychophysiologischen Mechanismen für die Realisierung der L P behandeln soll (im Unterschied von der anderen Subtheorie, die sich mit den allgemeinen Charakteristika der Systeme zu beschäftigen hat, welche eine derartige Realisierung gewährleisten.) Das von Wales und Marshall vorgelegte generelle Schema f ü r die Verwirklichung der L P ist in Abb. 7 wiedergegeben. Leider wird dieses Schema im Text des Vortrags nicht ernsthaft begründet. Die Autoren weisen eher die Notwendigkeit (oder sogar die Möglichkeil) für die Existenz der einzelnen Blöcke des Mechanismus nach, als daß sie die Richtigkeit seiner generellen S t r u k t u r als Ganzes aufzeigen. J . A. Fodor uud M. Garrett wenden sich dagegen, den Unterschied zwischen LC und L P vereinfacht als Unterschied zwischen Mechanis-
Eingang
Ausgang
Abb. 7
mus und Verhalten aufzufassen und das Modell der L P als Modell der LC plus irgendwelche unbekannte Komponenten zu deuten. 1 5 5 Allerdings verbinden sie mit ihrer Kritik keinerlei positives Programm. 155 Vgl. J. A. Fodor, M. Garrett, Some Reflections on Competence and Performance, S. 138. 9
Psycholinguislische Einheiten
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Die dritte Ansicht zum Problem der L P äußert schließlich K . Loewenthal. Er schlägt vor, von L P zu sprechen, wenn der Sprecher lediglich in der Lage ist, die Regeln für die Redeerzeugung anzuwenden, ohne ein explizites Wissen über sie zu besitzen. Existiert ein solches Wissen, so haben wir es nach Loewenthal mit LC zu tun. Natürlich ist hier zu unterscheiden zwischen LC und dem Modell, das der Linguist auf Grund der Untersuchung der LC konstruiert. „Das Problem für die Psycholinguistik besteht darin, wie ein Individuum eine Tätigkeit entsprechend einem System von Regeln auszuführen imstande ist, die der Linguist zwar abstrahieren kann, die jedoch nicht zum geistigen Besitz des Individuums gehören müssen."*56
§ 18. Die semantische Theorie von J. J. Katz und J. A. Fodor Um die Darlegung des psycholinguistischen Modells, das auf den Ideen Chomskys basiert, abschließen zu können, müssen wir noch einige Worte über seine semantische Komponente sagen. Die Theorie dieser Komponente wurde in der „klassischen" Form von J. J. Katz und J. A . Fodor ausgearbeitet. Die semantische Komponente des generativen Modells enthält nach Katz und Fodor zwei Bestandteile: 1. das Lexikon und 2. Regeln für die Beziehung zwischen Lexikon und grammatischer Struktur, die sogenannten „Projektionsregeln". Letztere müssen folgenden Anforderungen genügen: „ . . . sie müssen jede semantische Uneindeutigkeit, die ein Sprecher feststellen kann, kennzeichnen; sie müssen die Ursache des Gefühls für semantische Anomalie, das ein Sprecher entwickelt, erklären, wenn dieses durch einen Satz wachgerufen wird; sie müssen in passender Weise solche Sätze zueinander in Beziehung setzen, von denen Sprecher wissen, daß sie Paraphrasen darstellen." 157 Hieraus erhellt: Die semantische Theorie als Theorie 156 Vgl. R. J. Wales, J. C. Marshall, The Organization of Linguistic Performance, Diskussionsbeitrag von K . Loewenthal, S. 94. Siehe auch J. J. K a t z , Philosophie der Sprache, S. 106—108. In D. G. Reiff, R. S. Tikofsky, Aphasia and Linguistic Competence, gelangen die Autoren, welche das Operieren von Aphatikern und normalen Versuchspersonen mit grammatisch unrichtigen Ketten untersuchten, zu dem Schluß, daß die Einteilung in LC und L P selbst prinzipiell unrichtig ist. 157
J. J. Katz, J. A. Fodor, Die Struktur einer semantischen Theorie, S. 226. Zur K r i t i k d i e s e r T h e o r i e s i e h e A . A . Y $ H M L I E B A , CJIOBO B JI6KCHK0-CGMFTHTHHGCKOII
CHCTeMe H3HKa, S. 31—34. Bereits vorher war die Theorie durch U. Weinreich und R. Dixon einer ernsthaften Analyse unterworfen worden.
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der „Projektionsregeln" ist die Theorie der Auswahl der (unter semantischem Aspekt) „richtigen" Sätze, die durch das gegebene Modell erzeugt werden können, und der Ermittlung der notwendigen Interpretation für einen zweideutigen, wenn auch völlig „richtigen" Satz. Das Lexikon — besser der „Lexikoneintrag" — besteht aus zwei Teilen: einem grammatischen, der mit der Wortarten-Klassifizierung der Lexeme operiert, und einem semantischen, der jeden einzelnen „Sinn" angibt, den ein Wort innerhalb ein und derselben Wortart haben kann. So durchläuft das Wort play zunächst einen „Filter", der es als dornen oder Verb interpretiert; im zweiten „Filter" erhält es eine „Charakterisierung" als transitives oder als intransitives Verb; im weiteren wird bestimmt, welcher konkrete Sinn vorliegt. Dabei wird in jedem einzelnen Entscheidungsfalle vorausgesetzt, daß man es mit einer Dichotomie zu tun h a t : Bei der Auswahl richten wir uns entweder nach grammatischen Kennzeichen („syntaktischen Markern") oder nach semantischen („semantischen Markern"). Die Anwendung der zweiten setzt ein, wenn die ersten ausgeschöpft sind. Die semantischen Marker sind hierarchisch organisiert und werden in entsprechender Abfolge überprüft. Der Weg einer solchen Prüfung läßt sich in Form eines Baumes darstellen. Abb. 8 zeigt ein Beispiel aus dem zitierten Aufsatz von Katz und Fodor (S. 231) (die bachelor Nomen
(Human =
(Männlich)
t w h o has never married]
(Animal =
Menschlich)
[who has the first or lowest academic degree]
[young knight serving under the standard of another knight]
Tierisch)
(Männlich)
[young fur seal when without a mate during the breeding time]
Abb. 8
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runden Klammern umschließen die semantischen Marker, die eckigen eine ausführliche Beschreibung der Bedeutung). Der Weg von der Spitze eines solchen Baumes zu einem beliebigen E n d p u n k t seiner Zweige wird „ P f a d " (path) genannt. Nachdem man den grammatischen Baum des Satzes erhalten hat und bis zur terminalen Kette der grammatischen Klassen gelangt ist, wird jedem Glied dieser Kette ein Baum semantischer Marker zugeordnet. Es versteht sich aber, daß für die Interpretation des Satzes aus dem ganzen Baum ein einzelner Weg ausgewählt werden muß. Dazu ist es notwendig, die Bäume, welche den engsten Konstituenten des grammatischen Baumes entsprechen, zu vergleichen. So vergleichen wir im Satz Der begabte Student porträtiert den alten Hirten zunächst die Bäume der Wörter alten und Hirten. Jeder dieser Bäume wird von einem Bündel von Pfaden gebildet, die duch eine Folge semantischer Marker charakterisiert sind. Wir haben daraus diejenigen Pfade auszuwählen, die sich hinsichtlich ihres Markerbestandes zu Pfaden der Nachbarkonstituente in Beziehung setzen lassen. So wird beim Wort ah der Pfad zum [der neu ist] entgegengesetzten Sinn „verboten", weil im Wort Hirt die entsprechenden vereinbaren Merkmale fehlen. Natürlich können sich mehrere vereinbare Pfade ergeben; um einen von ihnen als den gültigen auszusondern, setzen wir sie alle zum Baum der nächsten Konstituente in Bezug usw., bis wir zur Spitze des grammatischen Baumes gelangen, wo dann auch die letzte Uneindeutigkeit ausgeschlossen wird. Was die Unrichtigkeit anbelangt, so kann sie bereits ganz am Anfang zutage treten. Betrachten wir etwa die Konstituenten vollschlanke Straße, so können wir schon mit den ersten Analyseschritten die totale Unvereinbarkeit ihrer Bäume feststellen. Wie schon bemerkt, hat Chomsky die semantische Theorie von Katz und Fodor gern in sein Modell einbezogen. Sie bildete die „Subkategorisierungsregeln" in der neuen Variante dieses Modells. Die Subkategorisierungsregeln können kontextfrei und kontextsensitiv sein. Die kontextsensitiven Regeln untergliedern sich ihrerseits in strikte Subkategorisierungsregeln, bei denen die Auswahl der lexikalischen Kategorie durch den Charakter des Baumes bedingt ist, und Selektionsregeln, durch die eine lexikalische Kategorie auf der Grundlage syntaktischer Merkmale ausgewählt wird, welche in verschiedenen Positionen im Satz auftreten. Außerdem führt Chomsky in den Aspects of the Theory of Syntax viele weitere Ergänzungen und Präzisierungen ein, die für uns jedoch weniger wesentlich sind. So kann man mit Ch. Clifton feststellen: „. . . die semantische Kom110
ponente einer linguistischen Beschreibung dient nicht der Generierung von Sätzen. Eher interpretiert sie Sätze, die durch die syntaktische Komponente generiert wurden. Gleichwohl, . . . es dürfte möglich sein, eine semantische Komponente derart zu konstruieren, daß sie in Verbindung mit der syntaktischen Komponente nur nicht-anomale (semantisch richtige. A. L.) grammatische Sätze generiert." 1 5 8 Dazu müßten im Lexikon jedem Wort von Anfang an sowohl die syntaktischen als auch die semantischen Marker zugeordnet sein. Ein solches Modell ist vom psycholinguistischen Standpunkt weit anziehender als das Ausgangsmodell von Katz, Fodor und Chomsky. D. McNeill versuchte es für die Interpretation der Ergebnisse eines AssoziationsExperiments anzuwenden. 159 Wie Clifton in der zitierten Arbeit zeigt, erklärt eine derartige Hypothese sehr gut Probleme, die mit Altersbesonderheiten bei Assoziationen zusammenhängen. Allerdings ist jedes Modell dieses Typs — wie Osgood in seinem oben zitierten Präsidentenvortrag feststellt — äußerst schwach hinsichtlich einer Interpretation der sich ändernden Wahrscheinlichkeiten für alternative Interpretationen. Ein anderer Versuch, eine formalisierte semantische Theorie zu schaffen, die für psycholinguistische Ziele geeignet ist, stammt von P. Ziff. Dieser Autor beschritt den entgegengesetzten Weg, indem er sich in erster Linie auf die Formalisierung des Kontextes stützte. 1 6 0 Allerdings weckte diese Theorie ernsthafte Einwände und ist offenbar bisher noch unzureichend fundiert, obwohl die Idee einer Formalisierung des Kontextes an sich aussichtsreicher erscheint als die Suche unabhängiger semantischer Merkmale. Nimmt man trotzdem an, daß im Lexikon die Wörter schon mit ihren semantischen und syntaktischen Markern enthalten sind, so steht diese Hypothese der Hauptaufgabe einer psycholinguistischen semantischen Theorie am nächsten. Diese Aufgabe besteht darin, die möglichen (und notwendigen) Wege für die Auswahl eines Wortes aus dem Lexikon bei der Erzeugung einer Äußerung anzugeben. Eine solche Aufgabe, „eine Art Topologie im 'semantischen R a u m ' " zu schaffen, ist nicht „utopisch", wie etwa R . Tabory meint. 1 6 1 Die Tatsache selbst, daß Gesetzmäßigkeiten bei der Suche im semantischen Raum existieren, unterliegt keinem Zweifel, weil man anders ein volles Durchlaufen des Lexikons annehmen müßte, was absurd 158 Vgl. Ch. Clifton, The Implications of Grammar for Word Associations, S. 12 f. 159 Vgl. G. A. Miller, D. McNeill, Psycholinguistics. 1 6 0 Siehe P. Ziff, Semantic Analysis. 161 Vgl. R. Tabory, Semantics, Generative Grammars, and Computers, S. 81.
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ist; die Frage ist, welcherart die Kriterien sind, von denen wir uns bei dieser Suche leiten lassen. Schon jetzt läßt sich sagen (und in einem der nächsten Kapitel werden wir näher darauf eingehen), daß die phonetische Charakteristik des Wortes und seine Wahrscheinlichkeit für eine derartige Suche relevant sind.
§ 19. Kritik des
Transformationsmodells
Die Kritik, der das Modell von Chomsky und Miller unterworfen wurde, zielt in zwei Richtungen, besser, sie k a m von zwei Seiten, sozusagen von „rechts" und von „links". Wie stets enthielt auch diese Kritik Elemente, die keine konstruktive Bedeutung besaßen und eher „emotional" als sachlich begründet waren. Ein verbreiteter Vorwurf besteht z. B. darin, das Modell von Chomsky und Miller sei allzu unbeweglich, es schreibe eher vor, als daß es beschreibe. 162 J . Nist äußerte den interessanten, aber fruchtlosen Gedanken, daß das generative Modell gegenwärtig in die Periode allzu detaillierter Ausarbeitung getreten sei: J e feiner die Einzelheiten seien, die es in sich aufnehme, um so unbedeutender seien sie usw. 163 Solche und ähnliche Einwände sind leicht abzuweisen, wenn man daran denkt, daß für Chomsky und speziell für Miller die generative Grammatik nicht das Sprechverhalten, sondern das Wissen über die Sprache beschreibt. Ernsthafter sind die kritischen Bemerkungen, die von Osgood und J . B. Carroll an die Adresse des Transformationalismus gerichtet wurden. Osgood stellt in seinem schon mehrfach genannten Präsidentenvortrag On Understanding and Creating Sentences die These auf, das Modell von Chomsky und Miller bemühe sich, Prozesse, welche ihrer N a t u r nach Wahrscheinlichkeitsprozesse seien, mittels eines Systems von Alternativen zu beschreiben. Es sei eine Entscheidungstheorie (im Sinne Osgoods), die sich jedoch nicht für den Weg bis zur jeweiligen Entscheidung interessiere. Hierin h a t Osgood vermutlich recht, und es ist kaum zweckmäßig, sich u m seine Erwägungen „herumzudrücken", wie es S. M. Ervin-Tripp u n d D. I. Slobin in ihrem Überblick über die psycholinguistischen Forschungen der letzten J a h r e taten. 1 6 4 Und Osgood hat auf jeden Fall recht, wenn er fordert, 162 Vgl_ L_ M. Movers, Two Approaches to Languages, S. 8; R. Titone, La psicolinguistica oggi, S. HOL J. Nist, A Critique of Generative Grammar. 164 Vgl, S. M. Ervin-Tripp, D. I. Slobin, Psycholinguistics, S. 443 f. 163
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daß die psychologische Theorie der Redeerzeugung Teil der Gesamttheorie des Verhaltens sein müsse. Aus unseren Ausführungen im ersten Kapitel erhellt jedoch: Wirklich vernünftig zueinander in Beziehung gesetzt wurden die Theorie des Verhaltens im ganzen und die Theorie des Sprechvcrhaltens — ganz zu schweigen von der Verhaltenstheorie und der generativen Grammatik — bisher nur in den guten Vorsätzen von G. A. Miller. Was Carroll betrifft, so urteilt er über das Modell von Chomsky und Miller aus noch weiter „rechter", orthodox behavioristischer Position (vom Typ der Skinnerschen); dennoch verdienen auch seine Bemerkungen volle Beachtung und können nicht umgangen weden. Das Wesen seiner Einwände wurzelt darin, daß bei normalem Sprechen der psychologische Mechanismus, welcher die Generierung einer Frage oder einer beliebigen anderen Äußerung ermöglicht, keineswegs komplizierter sein muß als der Mechanismus, der zur Generierung eines „Kernsatzes" führt: Es hängt alles vom realen sachlich-logischen Inhalt ab, der auszudrücken ist, und von der Motivation der Äußerung. „Die Äußerung wird von deklarativer Form (Null-Transformation) sein, wenn der Sprecher meint, daß seine Information größer ist als die des Hörers; sie wird die Form einer Frage haben, wenn er spürt, daß seine Information geringer ist" 165 usw. Der Gedanke, den Carroll auf fast drei Seiten entwickelt, läßt sich kurz so formulieren: Die psychologische Struktur der Äußerung hängt wesentlich von prälinguistischen Faktoren ab. Chomskys Modell wurde auch von „links" kritisiert, insbesondere von D . S . Worth, der den Hauptmangel des Modells in seiner gegenwärtigen Form darin sieht, daß inihmlineare und nichtlineare Regeln vereint sind, d. h. daß der Faktor „Ordnung der Wörter" (oder der Syntagmen) schon in den ersten Etappen in das Modell eingeht. Demgegenüber unterstreicht Worth: „Erstens kann die lineare Ordnung der Elemente y und z von Faktoren abhängen, die außerhalb des gegebenen Satzes liegen. Das kommt vor, wenn die 'aktuelle Gliederung' des Satzes nicht mit der syntaktischen übereinstimmt. . . In Werken der künstlerischen Literatur, aber auch in der ungezwungenen umgangssprachlichen Rede wechseln Sätze der Anordnung Subjekt (S) — Prädikat (P) — Adverbiale Bestimmung (^4) mit solchen der Anordnung A — P — S oder i - 5 - P u , a. Diese strukturell zusammenhängenden Wechsel in der linearen Anordnung unterwerfen sich nicht immer leicht einer objektiven wissenschaftlichen 165 Vgl. J . B. Carroll, Language and Thought, S. 51.
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Beschreibung; es ist jedoch offensichtlich, daß die Abfolge-Ordnung in erster Linie von den vorangehenden Sätzen abhängt, d. h. von kontextuellen Faktoren, die in solchen Regeln wie E -»• NP + VP auf keinen Fall berücksichtigt werden können. Zweitens kann die Ordnung bestimmter y und z von Faktoren abhängen, die sich zwar in dem gegebenen Satze befinden, aber in der Etappe des Generierungsprozesses, in der X durch y z ersetzt wird, noch nicht 'bekannt' sind. Im Russischen hängt beispielsweise die Wahl der Anordnung von Subjekt und Prädikat manchmal von den konkreten Lexemen (oder richtiger ihren Klassen) ab; vgl. Hean npouieA MUMO doMd 'Ivan ging am Haus vorbei', aber Ilpouuia nedejin nocjie 3HAKOMCmea 'Es verging eine Woche nach dem Kennenlernen' . . ." 16c Als Ausweg aus dieser Situation empfiehlt Worth die „Zerlegung des IC-Teils des generativen Modells in zwei Zyklen". „Der erste Zyklus wird nur Regeln der Formel X -> yz enthalten; diese Regeln geben nur an, daß X aus der binären Verbindung y und z besteht, d. h. im ersten Zyklus wird nichts über die Anordnung von y und z auf der Zeitachse ausgesagt. Der erste Zyklus endet, wenn der gesamte Prozeß der Entfaltung nach IC bereits abgeschlossen ist und die konkreten lexikalischen Klassen ausgewählt sind . . . Sind alle morphologischen Klassen des gegebenen Satzes generiert und im IC-'Baum' verteilt, beginnt der zweite Zyklus. Er wird auf der Etappc 'Null + 1' realisiert, d. h. die erste Regel des zweiten Zyklus baut auf den Resultaten der ersten Regel des ersten Zyklus auf. Ist beispielsweise die NP VP\ so wird die erste Regel erste Regel des ersten Zyklus des zweiten Zyklus auf der Ebene dieser lNP VP' agieren. Die Funktion des zweiten Zyklus ist die lineare Ordnung der nichtlinearen Verbindungen von IC, die aus der Anwendung der Regeln des ersten Zyklus resultieren." 167 Eine derartige Ergänzung nähert das generative Modell nach der Meinung Worths dem natürlichen Generierungsprozeß stark an; denn „der Sprecher kennt vorher sehr gut wenn nicht alle, so doch wenigstens die wichtigsten lexikalischen Einheiten, die in seinem Satze auftreten, und wählt gerade die grammatischen Umrahmungen aus, die für die vorher 'ausgewählten' lexikalischen Einheiten erforderlich 166 Vgl. C. YopT, 0 6 0T06pa>KeHHH niiHeiiHiix OTHOIIIGHHÜ B nopoJKßaiomHx MOflejTHX H3MKa, S. 50. 167 Vgl. a. a. 0., S. 53. Strenggenommen stammt diese Idee von Curry (vgl. H. B. Curry, Some Logical Aspects of Grammatical Structure). Siehe auch N. Chomsky, Aspekte der Syntax-Theorie, S. 125f., und das weiter unten behandelte Modell von S. K . Saumjan.
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sind".168 Diese Stelle ergänzt Worth durch eine Fußnote, die für uns von besonderem Interesse ist, und wenn wir auch riskieren, den Leser durch das ausgiebige Zitieren zu ermüden, so führen wir sie hier vollständig an: „Vom Standpunkt der Ähnlichkeit mit dem realen sprachlichen Verhalten eines Sprechers ist nicht eines der bisher bekannten Modelle als befriedigend anzusehen. Ist es überhaupt möglich, ein solches Modell zu finden, das in Korrelation mit dem tatsächlichen Verhalten eines realen Sprechers stände (d. h. — wenn man so sagen darf — ein 'psycho-soziologisches' Modell von Sprechen und Sprache)? Uns scheint, ja. Ein solches Modell hätte die Form eines Bildschirms, mit dem zwei Mechanismen verbunden sind: einer mit der Fähigkeit, auf dem Bildschirm verschiedene Darstellungen zu entwickeln, der andere mit der Fähigkeit, diese Bilder zu lesen und zu zerlegen und die Ergebnisse des Lesens in eine 'black box' überzuleiten, welche die grammatischen Regeln der jeweiligen Sprache enthält (evtl. in Form einer vollständigen Transformationsgrammatik nach dem Modell von Chomsky); die 'black box' verarbeitet die vom Leser — dem Zerlegungsmechanismus — erhaltene Information und übergibt die Ergebnisse ihrer Verarbeitung dem ersten, dem Darstellungsmechanismus, der auf dem Bildschirm das neue 'Bild' entwickelt; dieser zyklische Prozeß setzt sich (mit elektronischer Geschwindigkeit) fort, bis die 'black box' keine neue Information mehr hinzufügt; der ganze Apparat befindet sich dann im Zustand der Stabilität, und das Bild (d. h. der Satz) wird 'festgehalten' (d. h. der Sprecher spricht seinen Satz)."169 Der zweite wesentliche Mangel des Modells von Chomsky und Miller besteht nach Worth darin, daß die Kontexte der vorangehenden Sätze nicht berücksichtigt werden. „So kann die Ordnung von NP und VP in einem bestimmten Satz davon abhängen, wovon in den vorangehenden Sätzen gesprochen wurde. Solche kontextuellen Faktoren sind gleichfalls leicht zu berücksichtigen . . . mit den Regeln des zweiten Zyklus des IC-Teils."170 Ein generatives Modell auf der Grundlage der Äußerung (die Worth als Einheit oberhalb des Satzes versteht) entspricht nach Worth der Formel U -> Z 1, Z 2, . . ., Z n; es hat also die Form einer Markovschen Kette: Ein beliebiger Satz Z x ist Kontextbedingungen unterworfen, die aus den Sätzen Z 1 bis Z x~ l stammen. Es sei angemerkt — Worth selbst sagt das nicht —, daß 168 V g l .
C. Y o p T , 0 6
OTOßpaHteHHH JIHHeÜHHX OTHOIlieHHft B IJOpOJKflaiOmHX
MORejIHX H 3 H K a , S . 5 5 .
«9 Vgl. a. a. 0., S. 55f. l'O Vgl. a. a. 0., S. 56.
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dazu in einem der Speicher bestimmte Merkmale der Sätze Z 1 bis codiert worden sein müssen, die nicht mit ihrer strukturellen •Charakteristik identisch sind. Dies fügt den Schwierigkeiten, die aus dem Modell von Worth erwachsen (der Autor selbst nennt als Beispiel die Unklarheit hinsichtlich der Beziehungen zwischen dem zweiten Zyklus des IC-Teils und der Transformationsgrammatik), eine weitere — nach ihrer Bedeutung nicht die letzte — hinzu. Wir beenden damit den Uberblick über die wichtigsten kritischen Bemerkungen zum Modell von Chomsky und Miller (etliche davon wurden bereits vorher angeführt) und kommen zu einigen Überlegungen zu diesem Modell, die von anderen Autoren entweder gar nicht oder in engerer und eingeschränkter Formulierung geäußert wurden. A. Wir beginnen mit der relativ unbedeutenden Tatsache, daß in allen Varianten der experimentellen „Überprüfung" des Modells von Chomsky und Miller nur Sätze untersucht werden, die zu ein und demselben kommunikativen Äußerungstyp gehören. Darunter sei die Widerspiegelung von Beziehungen unterschiedlichen Abstraktionsgrades in der Äußerung verstanden, die für die Erzeugung von Äußerungen relevant ist. So unterscheidet A. R. Lurija nach C. Svedelius „Kommunikation von Ereignissen" (vom Typ Der Hund bellt) und „Kommunikation von Relationen" (vom Typ Sokrates ist ein Mensch); wir werden auf diese Problematik im weiteren noch speziell eingehen. Hier kommt es nur darauf an, daß in den Experimenten mit dem Modell von Chomsky und Miller ausschließlich Sätze des ersten Typs benutzt werden, die eine ganz konkrete Situation wiedergeben. Betrachten wir nur einmal die Testsätze (in deutscher Übersetzung), die sich aus der Gesamtdurchsicht von etwa zehn oben beschriebenen experimentellen Untersuchungen ergeben: Die Maus frißt Speck, Bill schoß den Ball, Das Mädchen pflückt Blumen, Der Hund jagt die Katze, John ißt das Frühstück, Die lauten Gesellschaften wecken die schlafenden Nachbarn, Der Junge schlug das Mädchen. Der Mann schloß den Kasten. Dabei spielt offenbar auch eine bestimmte Rolle, daß sich die Sätze beider Typen in der Transformationsgrammatik hinsichtlich ihrer Generierung nicht unterscheiden. Auf jeden Fall lassen sich die Fakten, die das psycholinguistische Experiment an einem Äußerungstyp erbrachte, kaum ohne weiteres auf Äußerungen anderer Typen ausdehnen. B. Gleiches gilt für die Einschränkung in bezug auf die verschiedenen Arten der Rede. Was gegenwärtig von der Position der Transformationsgrammatik untersucht wird, ist ausschließlich die mono116
logische Rede. Aber es unterliegt keinem Zweifel, daß die psychologische Bedingtheit der Erzeugung einer Äußerung beim dialogischen Sprechen wesentlich anders ist als beim monologischen; wir kommen darauf noch zurück. Hervorgehoben sei nur die andere Rolle, welche hier der Faktor der Situation spielt. Man kann die allgemeine These formulieren, daß in der dialogischen Rede Markovsche Prozesse von weit größerer Bedeutung sind als in der monologischen. Eine analoge Spezifik der Erzeugung ist nachweisbar für die verschiedenen Arten der monologischen Rede (mündliche oder schriftliche Form) usw. C. Wir haben bisher über eine gewisse Beschränktheit in bezug auf den Charakter der Anwendung des Modells gesprochen. Es ist aber auch über Unkorrektheiten seiner Verifikation zu reden. Im Prinzip gibt es keine Beweise dafür, daß (linguistisch) ein und dieselbe (nicht mehrdeutige) sprachliche Äußerung unbedingt auf ein und dieselbe Art erzeugt werden muß. Alle Experimente mit dem Modell von Chomsky und Miller gehen aber stillschweigend von dieser Voraussetzung aus. Darauf nimmt auch J . B. Carroll 171 in seiner Kritik des Transformationsmodells Bezug, wenn er scharfsinnig feststellt, daß das klassische Experiment von Miller nur die Möglichkeit des psychologischen Transformierens von Sätzen nachwies, nicht aber den Weg der ersten Formulierung der Sätze. Die Frage läßt sich übrigens noch schärfer stellen, denkt man daran, daß Miller seinen Versuchspersonen eine ganz bestimmte Instruktion über Transformationen gab und sogar am konkreten Beispiel zeigte, was sie zu t u n hätten. Etwa das gleiche erfolgte auch im größten Teil der übrigen Experimente; fast alle laufen sie auf den Nachweis hinaus, daß auch das und das Verfahren des Operierens mit Sätzen möglich ist und bei diesem Verfahren das und das vor sich geht. Es gibt jedoch keine Experimente, in denen das Problem alternativ gestellt wäre: zu erkunden, ob ein bestimmtes Modell der Wahrheit entspricht, ob das und das oder irgend etwas anderes vor sich geht. Meistens — und vor allem in der Millerschen Versuchsserie — lehrte man anfangs die Versuchspersonen eine bestimmte Folge von Operationen, um danach feierlich vorzuführen, daß sie diese Operationen erfolgreich ausführten. 171
Vgl. J. B. Carroll, Languagc and Thought, S. 50f. Vgl. auch H. M. HjibHCOB,
SKcnepHMeHTaJitHan npoBepKa TpaHCiJiopMaiíiiOHHOil MO«ejiH nopoHtnemiH h noHHMaHiiH peHH no MeTOHHKe Miuuiepa Ha MaTepwajie pyccKoro H3bnsa; M . H. HjibHCOB, DucnepHMeHT flm. Mmmepa no npoBepne ncHxoJiorimecKoit peaJIbHOCTH TpaHC$OpMaiJHOHHOH MOflejIH (aHajIH3 MeTOflHKH).
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Gerade aus der Anleitung erklärt sich aller Wahrscheinlichkeit nach die Tatsache, daß gegenwärtig sowohl das IC-Modell als auch das Transformationsmodell „funktionieren"; eines wie das andere besitzt überzeugende experimentelle Bestätigungen. D. Ungeachtet zahlreicher und äußerst bestimmter Deklarationen werden — wie schon betont — in der Forschungspraxis auf jedem Schritt LC und LP vermischt. Dies äußert sich allein schon in der Fragestellung nach der „psychologischen Realität" eines linguistischen Modells, die für die Untersuchungen zur Transformationsgrammatik bezeichnend ist. In diesem Zusammenhang ist eine kleine Abschweifung über die „linguistische" und die „psychologische" Denkmethode in der Psycholinguistik erforderlich. Bekanntlich entwickelte sich die Psycholinguistik in den letzten Jahren vor allem als Serie von Versuchen, in der psychologischen Forschung Modelle anzuwenden, welche von der Linguistik für ihre Ziele erarbeitet worden sind. Dies bestimmte auch die Richtung der Modellierung: Von zwei möglichen Wegen (Schaffung eines Modells auf der Basis psychologischer Kriterien und ihm entsprechende Gestaltung der linguistischen Beschreibung oder umgekehrtes Vorgehen) wurde ausschließlich der zweite gewählt. Doch die Methode der Argumentation ist bei der Konstruktion eines linguistischen Modells wesentlich verschieden von der bei der psychologischen Modellierung: Die dominierende Rolle spielen für den Linguisten Charakteristikader Beschreibung, welche zu den Charakteristika des realen redeerzeugenden Apparats in keiner Beziehung stehen. Dabei ist der Linguist organisch nicht fähig, in der Terminologie von Prozessen zu denken: Er operiert nur mit Einheiten und deren Eigenschaften. So unverständlich es auch sein mag, eine solche Denkmethode spielt in der gegenwärtigen Psycholinguistik die beherrschende Rolle. Von hier rührt auch die Problematik der „psychologischen Realität", deren Konfusionen wir im ersten Kapitel aufzuzeigen versuchten. 172 So oder so, selbst G. A. Miller vermengt fortwährend LC und LP. Beispielsweise unterliegt es keinem Zweifel, daß die Kenntnisse über 172
Wie dieses Problein gesehen wird, erhellt zur Genüge aus einer Ä u ß e r u n g v o n R. B. Lees i m Z u s a m m e n h a n g m i t der Formalisierung der K l a m m e r s t r u k t u r : Hier ist die Rede v o n der „Formalisierung ihrer genauen Ä q u i v a l e n t e , einer K e t t e v o n Nervenzellen, eines gerichteten Graphs, . . ." (vgl. P . B . JIH3, O nepe$opMyjiHpoBaHHH TpaHcopMai;noHHi,ix rpaMMaTHK, S. 44). Vgl. in dies e m Z u s a m m e n h a n g auch T. G. Bever, Associations t o Stimulus-response Theories of Language, S. 490.
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den nichtlinguistischen Kontext oder die Situation, von denen sich Sprecher und Hörer bei Erzeugung bzw. Interpretation einer Äußerung leiten lassen, zur L P gehören. Doch in einer seiner Arbeiten setzte Miller diese Kenntnisse in Form von „pragmatischen Regeln" direkt zu den grammatischen und syntaktischen Regeln in Beziehung. 1 7 S Hiermit steht er übrigens nicht allein. Offenbar hat M. Glanzer recht mit seiner Bemerkung, „die direkte Übertragung eines linguistischen Modells auf psychologische Mechanismen" sei „gewiß ein zulässiger erster Schritt bei der Erforschung der psychologischen Korrelate einer nichtpsychologischen Struktur". „Allerdings wäre es ungewöhnlich, wenn so einer einfachen und direkten Übertragung mehr als die Rolle einer Einführung in ein Gebiet zugebilligt würde." 17/1 E . Ein wesentlicher Mangel des Transformationsmodells in seiner klassischen Ausprägung besteht darin, daß es keine Einfügung einer Komponente gestattet, die die verschiedenen Arten der Bewußtwerdung des Sprechens beschreibt. Es ist eine Theorie der ausschließlich unbewußten Sprach Verwendung. Die Möglichkeit verschiedener Stufen der Bewußtwerdung wird in der Anlage der Experimente gänzlich vernachlässigt; was die Theorie betrifft, so genügt es, auf die oben dargelegte Kritik des Buches von Chomsky durch Ilarmon zu verweisen. F . Die größte Unzulänglichkeit des Modells von Chomsky und Miller ist schließlich, daß es allein die Möglichkeit vorgrammatischer Etappen der Erzeugung vollkommen ignoriert, so das Problem der Motivation (worüber sich Carroll sehr zutreffend äußerte 175 ) und insbesondere das der inneren Programmierung der Äußerung, auf das wir später noch speziell eingehen werden. Es sei noch erwähnt, daß Chomskys Modell für eine analytische Sprache ausgearbeitet wurde und daß seine Übertragung auf Sprachen anderen Typs (z. B . das Russische) an und für sich schon ernste konstruktive Schwierigkeiten bereitet. Verallgemeinert man alle diese kritischen Bemerkungen, so gelangt man zu folgendem Ergebnis: Als Modell für die Beschreibung des grammatischen „Wissens" (sieht man von der Berechtigung dieses Begriffs selbst einmal ab) übertrifft das Modell von Chomsky und Miller offensichtlich andere existierende Modelle erheblich. Doch ist 173 Vgl, G. A. Miller, S. Isard, Some Perceptual Consequences of Linguistie Rules.
S. 217 f.
174 Vgl. M. Glanzer, Psycholinguistics and Verbal Learning, S. 4. 175 Vgl. J . B . Carroll, L a n g u a g e and Thought, S. 2 9 u. a.
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der Anspruch seiner Schöpfer und Interpretatoren auf ausschließliche Geltung dieses Modells, wenn es um die Beschreibung der P r o zesse der Redeerzeugung im ganzen geht, k a u m berechtigt. Für eine Verallgemeinerung weist es allzu viele Unzulänglichkeiten auf.' Wir wiederholen jedoch, daß f ü r die Beschreibung einzelner Elemente der Produktion von Äußerungen das Modell von Chomsky u n d Miller zweifellos voll zu akzeptieren ist und daß es — wie meist in solchen Fällen — nur dann schlecht ist, wenn wir uns bemühen, in es hineinzupressen, was sich seinem Wesen nach einfach nicht in ihm „unterbringen" läßt.
§ 20. Experimente zum Nachweis der Inadäquatheit Transformationsgrammatik
der
Die offenkundigen Mängel des Transformationsmodells führten bei den Psycholinguisten zu zwiefacher Reaktion. Zum einen erschien eine Reihe experimenteller Untersuchungen, die in der einen oder anderen Form bestrebt waren, die Ergebnisse der Millerschen und ihnen analoger Experimente zu widerlegen. Zum anderen entstanden innerhalb des Lagers der Anhänger des Transformationsmodells Arbeiten, die von der traditionellen Interpretation dieses Modells abrückten. Eine der bedeutendsten Publikationen des ersten Typs s t a m m t von E. Martin und K. H. Roberts. Die Autoren untersuchten die Abhängigkeit der Reproduktion von Sätzen von deren syntaktischen Parametern. Es stellte sich heraus, daß die Tiefe des Satzes für die Reproduktion äußerst wichtig ist und daß bei Berücksichtigung von Satztiefe und -länge dem Satztyp (als Äquivalent der verschiedenen Transforme eines Kernsatzes) eine ganz unbedeutende Rolle zukommt. Der typische Fehler bei der Reproduktion besteht nicht in der Annäherung des Satzes an den Kerntyp, sondern in der Verringerung seiner Tiefe bei Erhaltung des Satztyps. Dies widerspricht völlig den Resultaten, die das Transformationsmodell voraussagt und die das Experiment von Mehler erbrachte. Die Autoren konstatieren: „Die Transformationsgrammatik ist nicht in der Lage, ohne Heranziehung der IC-Grammatik die Unterschiede in der Reproduktion zweier Sätze ein und desselben Typs vorauszusagen." 1 7 6 Von besonderem Interesse ist, daß Martin und Roberts sehr überzeugend die Möglichkeit einer 176 Vgl. E. Martin, K. H. Roberts, Grammatical Factors in Sentence Retention, S. 217.
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Reinterpretation des Materials von Mehler auf der Basis der ICGrammatik aufzeigen; insgesamt stehen die Mehlerschen Resultate nicht nur im Widerspruch zum Experiment der Autoren, sondern sie geraten regelrecht in Mißkredit. Eine andere wichtige Arbeit stammt von P. H. Tannenbaum, R. R. Evans und F. Williams. Diese Forscher fochten die Beweiskraft des Experiments von Miller an. Ihre Methodik bestand in folgendem i Den Versuchspersonen wurde eine Anzahl von Wörtern gegeben und aufgetragen, daraus einen Satz von vorher angegebener Struktur zu bilden. Gemessen wurde die dafür benötigte Zeit: Entsprechend dem Transformationsmodell hätte sie im Falle von Kernsätzen minimal sein müssen, von mittlerer Länge bei negierten oder Passivsätzen und maximal bei negierten Passivsätzen. Die erzielten Resultate ergaben zwar die relativ geringste Zeit für die Produktion von Kernsätzen, doch bestätigten sie die übrigen Annahmen keineswegs. (Eine besonders große Divergenz ergab sich hinsichtlich der negierten Passivsätze, für die sogar weniger Zeit beansprucht wurde als für einfache Passivsätze.) Die Ergebnisse des Experiments bedeuten nach Meinung der Autoren „nicht notwendig, daß die Transformationstheorie inadäquat oder unrichtig ist", sondern nur, daß sie für die Erklärung gewisser Fakten nicht ausreicht. Den Grund sehen die Autoren darin, daß das Millersche Modell die L P zu wenig berücksichtigt. „Die verschiedenen Sätze erfordern für die Generierung mehr oder weniger Zeit nicht als Funktion ihrer transformationellen Kompliziertheit, sondern eher unter dem Einfluß der Häufigkeit ihrer Verwendung." 177 Eine Reihe von Untersuchungen, die auf eine kritische Überprüfung des Transformationsmodells zielten, wurde auf dem II. Symposium zur Psycholinguistik im Juni 1968 in Moskau vorgestellt. Von ihnen sei die Arbeit von I. I. Il'jasov hervorgehoben, über die außer in den Materialy des Symposiums in Form einer vorläufigen Mitteilung auch im Sammelband Psichologija grammatiki berichtet wurde. Il'jasov wiederholte das klassische Experiment von Miller an sprachlichem Material des Russischen und erzielte Resultate, die sich von den Millerschen völlig unterscheiden und an die Ergebnisse von Tannenbaum u. a. erinnern. Der Autor vermittelte auch eine detaillierte psychologische Interpretation der Resultate von Miller, die im wesentlichen mit unserer übereinstimmt. I. M. Luscichina zeigte, daß in bestimmten experimentellen Situa177
Vgl. P. H. Tannenbaum, R. R. Evans, F. Williams, An Experiment in the Generation of Simple Sentence Structures, S. 116f. 121
tionen das Transformationsmodell keine aüsreichende erklärende K r a f t besitzt („ein relevanter Unterschied zwischen Frage- und einfachen Transformen ergab sich nicht"), und gelangte zu dem Result a t : „Universelle Schlüsse über die Rolle der verschiedenen Transformationen sind zumindest verfrüht. In jedem Falle müssen sie auf bestimmte Typen des lexisch-semantischen Materials und bestimmte Situationen der sprachlichen Kommunikation beschränkt bleiben." 1 7 8 In einer zweiten Arbeit bemühte sich Luscichina, die Abhängigkeit der L P vom Charakter der grammatischen Verknüpfungen im S a t z festzustellen. Dabei benutzte sie zwei Methoden: die „Telegramm-Methode" (die Vorlage von Sätzen im „Telegrammstil", etwa
die Reduktion C noMOV^bW unduKaif-uu onepamop nojiyuaem UH(ßopMaifuio 06 oKpyMcamtfeü cpede u o pe3yjibmamax coócmeeHHux deucmeuü „Mit Hilfe der Indikation erhält der Operateur Informationen über die Umgebung und über die Resultate der eigenen Handlungen" zu Hndunav^ueü onepamop UH$opMiipoeaH cpede coöcmeenHiix deücmeuiix „Indikation informiert Operateur über Umgebung eigene Handlungen") und die Methode des Erratens von Elementen aus dem K o n t e x t . Beide E x p e r i m e n t e demonstrierten — soweit man es aus der vorläufigen Publikation beurteilen kann 1 7 9 — die qualitative Ungleichartigkeit der grammatischen Verknüpfungen, was die Frage der prinzipiellen Unzulänglichkeit des Transformationsmodells, ganz zu schweigen vom IC-Modell, zwingend aufwirft. Eine ganze Reihe weiterer Arbeiten aus der Feder verschiedener Autoren zog die oben angeführten „klassischen" Experimente zum Modell von Chomsky und Miller ebenfalls in Zweifel. 180 Besonders aufschlußreich sind die Versuche von H. H. Clark. E r wandte die uns bereits bekannte Cloze procedure (das Auslassen eines Elements im Satz mit der Aufgabenstellung, die Versuchsperson möge die Lücke
178 Vgl. die in Fußnote 171 genannten Arbeiten von I. I. Il'jasov sowie H. M. JlymnxHHa, O pojiH HeKOTopux rpaMMaraHecmix TpaHCifiopMaijHft npii p a s j i H H H H x ycjiOBHHX p e i e ß o r o oöiueHiiH. 179
H. M. JlymnxHHa, 9KcnepHMeHTaju>Hoe HCCJieROBamie ncnxojmHrBiicTnqecKoit 3HaepeHTaiiHH, deutsch auch als „Umweltafferenz" übersetzt): „Unter der Situationsafferenz verstehen wir die Gesamtheit all der äußeren Einflüsse der Situation auf den Organismus, die zusammen mit der Ausgangsmotivation den Organismus so vollständig wie möglich über die Auswahl derjenigen Handlung informieren, die der im gegebenen Augenblick vorliegenden Motivation am meisten entspricht. Die physiologische Rolle und der Sinn der Situationsafferenz hinsichtlich des Verhaltens bestehen darin, daß sie vor allem dank der ihr eigenen relativen Dauer der Einwirkung im zentralen Nervensystem ein stark verzweigtes integrierles System von Erregungen, eine Art nervales Situationsmodell, erzeugt." 28 Mit anderen Worten: Es handelt sich um die Auswahlbeschränkungen für die Handlung (speziell die Sprechhandlung), die von der Situation zu Beginn der Handlung ausgehen. Diese Situation setzt sich ihrerseits aus zwei Faktoren zusammen, die wir a und b nennen wollen. Der Faktor a umfaßt all das innerhalb der Situation, was von der jeweiligen Tätigkeit, von den unserer Handlung vorangehenden Handlungen, unabhängig ist und nur passiv an der Auswahl des Realisierungsverfahrens für die Sprechhandlung teilnimmt. Natürlich ist diese „Unabhängigkeit", „Absolutheit" letztlich relativ; allein die Tatsache, daß ich an einem Eßtisch sitze, ist das Resultat meiner vorangegangenen zielgerichteten Tätigkeit. Außer dieser Komponente ist jedoch im Faktor a auch eine Komponente enthalten, die nicht von meiner vorangegangenen Tätigkeit abhängt, z. B. die Tatsache, daß sich der Teller mit Brot nicht in meiner unmittelbaren Reichweite befindet. Es muß betont werden, daß zur Situationsafferenz nur das innerhalb der Situation gehört, was auf die Auswahl der Handlung Einfluß nimmt, nicht aber, was die verschiedenen Möglichkeiten der Realisierung einer bereits ausgewählten Handlung beeinflußt. 28
Vgl. I I . K . A H O X H H , a. a. O., S. 9. Hervorhebung im Original. A. L. Wie N. I. Zinkin gezeigt hat, wäre es hier richtiger, nicht von der „Auswahl der Handlung", sondern von den „Bedingungen für die Auswahl der H a n d l u n g " zu sprechen. — Zusatz des Hrsg.: I n P. K . Anochin, Das funktionelle System als Grundlage der physiologischen Architektur des Verhaltensaktes, S. 6 6 f f . , ist oÖCTaHOBOHHafl a$$epeHTai4HH mit „Umgebungsaffercntation" übersetzt.
167
Der Faktor b umfaßt all das innerhalb der Situation, was mit den vorangegangenen Handlungen im Rahmen des Tätigkeitsaktes zusammenhängt, was durch diese Handlungen hervorgebracht wurde. Bei der Schaffung des „nervalen Situationsmodells" (des „Modells des Vergangenen und Gegenwärtigen" nach N. A. Bernstejn) sind die Faktoren a und b gleichwertig und werden nicht differenziert; ihr Unterschied ist rein genetisch. 3. So hat sich bei uns ein „Modell des Vergangenen und Gegenwärtigen" — ein Modell des Bisherigen — herausgebildet, dem die Realisierung unserer Sprechhandlung entsprechen muß. E s ist aber offensichtlich, daß die Auswahl der in einer gegebenen Situation möglichen Handlungen selbst bei Berücksichtigung der dominierenden Motivation noch außerordentlich groß bleibt. Und der nächste Faktor, der die Auswahl der Handlung beeinflußt, ist das, was Miller, Galanter und Pribram das „ I m a g e des Resultats" und Bernstejn das „Modell des Künftigen" nennen. Die „Modellierung des Künftigen" ist nur möglich „durch Extrapolation dessen, was vom Gehirn aus der Information in der gegebenen Situation, aus den 'frischen Spuren' der unmittelbar vorangegangenen Wahrnehmungen, aus der gesamten früheren Erfahrung des Individuums und schließlich aus all jenen aktiven Proben und Prüfungen ausgewählt wird, welche zu der Klasse von Handlungen gehören, die bislang äußerst summarisch als 'Orientierungsreaktionen' bezeichnet werden . . ,". 2 9 Im Unterschied zum Modell des Bisherigen hat das Modell des Künftigen Wahrscheinlichkeitscharakter. In jeder beliebigen Phase der Extrapolation ist das Gehirn lediglich in der Lage, „für den bevorstehenden Moment eine Art Wahrscheinlichkeitstabelle der möglichen Ausgänge zu umreißen". 3 0 Die Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeitserfahrung, die in der Vergangenheit gesammelt wurde und im „Modell des Künftigen" die Einschätzungen der Wahrscheinlichkeiten seitens des Organismus steuert, wird in der modernen sowjetischen Physiologie als Problem der „Wahrscheinlichkeitsprognose" ( B e p O H T H O C T H O e n p 0 r H 0 3 H p 0 B a H H e ) einer Tätigkeit erforscht. Worin besteht der Mechanismus einer derartigen Wahrscheinlichkeitsprognose? „Die Entstehung einer Situation A ist das Signal für die Vorbereitung des Systems des Organismus auf eine Reaktion, welche einer solchen Situation B adäquat ist, für deren Entstehung 29
Vgl. H. A. EepHurrefiH, OiepKH no H3H0Ji0rHH flBuweHHü H ({iHSHOJiorHH aKTHBHOCTH, S . 2 9 0 .
30
Vgl. ebenda.
168
unmittelbar nach A eine m a x i m a l e bedingte Wahrscheinlichkeit existiert . . . J e größer der K r e i s von Ereignissen ist, die in der Vergangenheit gleich h ä u f i g u n m i t t e l b a r nach A folgten (d. h. j e unbes t i m m t e r die Prognose ist), desto größer ist der Kreis von physiologischen S y s t e m e n , die in E r w i d e r u n g auf d a s Signal A mobilisiert werden. E i n e derartige Disposition zu H a n d l u n g e n in einer bevorstehenden S i t u a t i o n , welche von der Wahrscheinlichkeitsstruktur der bisherigen E r f a h r u n g ausgeht, kann als 'Wahrscheinlichkeitsprognose' bezeichnet w e r d e n " . 3 1 Aus d e m G e s a g t e n erhellt, daß die Wahrscheinlichkeitsstruktur der bisherigen E r f a h r u n g nach dieser A u f f a s s u n g nicht mit der H ä u f i g keit des bisherigen Auftretens b e s t i m m t e r Stimuli, sondern mit der H ä u f i g k e i t b e s t i m m t e r Reaktionen des Organismus auf sie v e r b u n d e n ist. Diese A u f f a s s u n g s t i m m t mit den A n g a b e n über die s t a t i s t i s c h e Organisation der W a h r n e h m u n g im allgemeinen u n d der S p r a c h w a h r n e h m u n g im besonderen überein, wie sie oben in K a p . I I § 3 dargelegt ist. Von I. M. F e j g e n b e r g s t a m m t eine H y p o t h e s e , derzufolge einige psychische S t ö r u n g e n bei Schizophrenen g e r a d e in einer S t ö r u n g der Mechanismen der W'ahrscheinlichkeitsprognose verwurzelt sind. Der Schizophrene ist nicht in der L a g e , die bedingte Wahrscheinlichkeit eines b e s t i m m t e n A u s g a n g s richtig zu beurteilen; seine A u s w a h l h a t zufälligen Charakter, und wenn sie erfolgt, k a n n d a s P h ä n o m e n einer „ S p a l t u n g der Persönlichkeit" auftreten, weil der K r a n k e sein Verhalten als i n a d ä q u a t erkennt. Vorausgreifend ist auch d a r a u f hinzuweisen, daß die S t ö r u n g der Wahrscheinlichkeitsprognose auf der E b e n e der grundsätzlichen Organisation der S p r e c h h a n d l u n g mit der S t ö r u n g der Wahrscheinlichkeitsstruktur auf anderen E b e n e n einhergeht. S o b e o b a c h t e t m a n nach B . V. Zejgarnik bei Schizophrenen einen „reichen und vieldimensionalen Charakter der A s s o z i a t i o n e n " , d a s P h ä n o m e n „abgerissenen S p r e c h e n s " , das n a c h d e m Prinzip d e r zufälligen assoziativen V e r k n ü p f u n g sprachlicher Einheiten z u s t a n d e k o m m t . F e j g e n b e r g erwähnt die „ h ä u f i g e Verwendung v o n Wörtern, denen m a n in der R e d e gesunder Menschen nur selten b e g e g n e t " . „ W ä h r e n d der g e s u n d e Mensch aus einem großen Vorrat v o n Assoziationen oder Wörtern, die in einem gegebenen F a l l möglich sind, d a s jenige a u s w ä h l t , d a s unter ähnlichen U m s t ä n d e n in der Vergangen31
Vgl. H. M. OeöreHÖepr, BepoHTHoeTHoe np0rH03Hp0BaHHe H npeRHacTpoftKa KfleftcTBHHM,S. 127 f. Eine detaillierte Analyse der möglichen physiologischen Mechanismen einer derartigen Prognose gibt der gleiche Verfasser in H. M. «SeüreHßepr, BepoHTHoeraoe np0rH03Hp0BaHHe B »eHTejibHOCTH M03ra.
169
heit häufiger als andere verwendet wurde (oder zum Erfolg führte), berücksichtigt der Kranke diese Häufigkeiten quasi nicht (Nivellierung der Auswahlwahrscheinlichkeit). Vom dargelegten Standpunkt aus ist der schizophrene Defekt als Desorganisation der Wahrscheinlichkeitswerte bei der Ausnutzung der vom Gehirn gespeicherten Information (der bisherigen Erfahrung), als Anwachsen der Entropie des Gehirns als Informationssystem anzusehen." 3 2 Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Kranken mit einer Verletzung der Frontallappen des Gehirns, dem sogenannten „Frontalhirnsyndrom". Lurija berichtet über Wahrnehmungsversuche nach einer Methode von E. N. Sokolov (Ertasten aus Einzelteilen zusammengesetzter Buchstaben mit verbundenen Augen): Die Versuchspersonen mit „Frontalhirnsyndrom "„finden nicht die Elemente heraus, die die meiste Information tragen und mit größter Wahrscheinlichkeit ein Urteil über den Buchstaben ermöglichen. Nachdem sie den ganzen Buchstaben betastet und die richtige Lösung gefunden haben, entwickeln sie kein Programm für die weitere Suche und reduzieren auch ihre Bewegungen nicht. Die Suche bleibt chaotisch oder gerät unter den Einfluß nebensächlicher, nichtheuristischer Faktoren . . ," 3;i Ein analoges Bild wird beim Lesen eines Textes beobachtet: „. . . die Unfähigkeit, sich in den Grenzen derjenigen selektiven Verbindungssysteme zu halten, die im Text gegeben werden, die Leichtigkeit, mit der Nebenassoziationen entstehen, und die Unfähigkeit, sie zu hemmen". 3 4 Besonders charakteristisch sind die Störungen der intellektuellen Tätigkeit. „Ein charakteristischer Zug der Lösung von Rechenaufgaben durch Patienten mit groben Schädigungen der Frontallappen besteht darin, daß bei ihnen in der Regel die Phase der Vororientierung über die Bedingungen der Aufgabe ganz oder in erheblichem Maße entfällt und kein allgemeines Lösungsschema entsteht. Der seiner 'Strategie' beraubte Lösungsprozeß wird zu Kombinationen mit einzelnen Zahlen, die zumeist keine Beziehung zum eigentlichen Endziel haben." 3 5 Soweit es sich beurteilen läßt, handelt es sich hier 32
Vgl. H. M. (DeiireHßepr, BepoHTHoeraoe np0rH03np0BaHne H npeffHacTpofiKa
A e ö c T B H H M , s. 130f. Siehe auch H. M. H3H0Ji0rHH aKTHBHOCTH, S. 2 9 1 .
174
Tätigkeit auf diese Bedingungen formiert werden. Diese Grenze liegt zwischen Handlung und Operation. Wenden wir uns der Sprechhandlung zu, so können wir feststellen, daß in ihr programmierte und nichtprogrammierte Elemente relativ deutlich geschieden sind. Am stärksten springt dieser Unterschied ins Auge, wenn man sich von einer Sprache her mehreren Sprachen zuwendet und vergleicht, wie in ihnen die Sprechhandlung realisiert wird. Da diese Handlung ein psychologischer Begriff ist und ihr Status ausschließlich von außerlinguistischen Faktoren abhängt, ist offenbar davon auszugehen, daß man es bei Menschen, die zwar verschiedene Sprachen sprechen, aber den gleichen Inhalt ausdrücken, mit einer Sprechhandlung zu t u n hat. In den verschiedenen Sprachen wird diese Handlung jedoch auf der Basis unterschiedlicher Operationsstrukturen, unterschiedlicher Nomenklaturen von Operationen verwirklicht. Soweit man auf Grund der noch äußerst unzureichenden Resultate der psychologischen und psycholinguistischen Untersuchung der Rede urteilen kann, hängt die Varianz der Operationen nicht nur mit dem Unterschied der Sprachen zusammen. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die konkrete Situation der Handlung (in dem Maße, wie sie nicht in das Modell des Bisherigen eingeht). Ferner sind derartige Faktoren: der sprachliche Kontext der Handlung; die individuellen Unterschiede in der Sprecherfahrung, die vor allem in Besonderheiten bei der Realisierung des motorischen Programms zutage treten (vgl. die Ausführungen unten); der soziolinguistische oder funktionalstilistische Faktor, der die Auswahl bestimmter sprachlicher Mittel aus einer Reihe potentiell möglicher Mittel entsprechend dem Charakter der gegenseitigen Beziehungen der Gesprächspartner sowie einigen anderen Besonderheiten der Kommunikation determiniert; der affektive Faktor usw. Wir kommen auf viele dieser Faktoren noch weiter unten zu sprechen. So ist es zweckmäßig, nur insoweit von Sprechhandlung zu reden, wie man es mit Besonderheiten der Tätigkeit zu t u n h a t , die f ü r die Bedingungen der Handlung irrelevant und ausschließlich durch die S t r u k t u r des Tätigkeitsaktes determiniert sind. Wenn wir zu den Besonderheiten der Tätigkeit übergehen, die durch die Bedingungen der Handlung determiniert und für die S t r u k t u r der Tätigkeit irrelevant sind (wobei natürlich außer acht bleibt, daß die Grenzen der Varianz der Operationen selbst gerade durch die S t r u k t u r der Tätigkeit bedingt sind), so reden wir von Sprechoperationen. Was sind nun in diesem Falle die eigentlichen Parameter der 175
Sprechhandlung, woraus setzt sie sich zusammen? Zum ersten spiegeln sich in ihrer S t r u k t u r einige allgemeine Besonderheiten jeder Handlung und jeder Tätigkeit als Ganzes wider; das heißt insbesondere, daß sie sich aus Programmierung, aus Realisierung des Programms und aus Gegenüberstellung dieser beiden zusammensetzt. 3 9 Zum zweiten sind diejenigen Besonderheiten der Tätigkeit zu nennen, die durch das „Modell des Bisherigen" bedingt sind. Dazu kann z. B. gehören, ob sich die Person oder der Gegenstand, über die gesprochen wird, im Gesichtsfeld des Gesprächspartners befinden oder nicht, welchen Platz sie in der Struktur der voraufgegangenen Handlung eingenommen haben usw. Zum dritten sind jene Besonderheiten der Tätigkeit von Bedeutung, die mit der Stellung der gegebenen Handlung in der S t r u k t u r der gesamten Tätigkeit zusammenhängen; so können wir eine Sprechhandlung in Absicht auf eine bestimmte Beaktion des Gesprächspartners aufbauen, indem wir verschiedene Elemente in ihr hervorheben oder auslassen. Alle diese Besonderheiten der Sprechhandlung als solcher können sich nur in demjenigen ihrer Glieder konzentrieren, das ihre konkrete Verwirklichung steuert und zugleich von dieser Verwirklichung nicht abhängt. Dieses Glied ist das Programm der Sprechhandlung oder der sprachlichen Äußerung. Aus dem oben Gesagten ist übrigens ersichtlich, daß das Problem der sogenannten „funktionalen G r a m m a t i k " oder der Grammatik „vom Inhalt zum Ausdruck" vom S t a n d p u n k t der Theorie der Sprechtätigkeit das Problem des Ubergangs von der Ebene der Sprechhandlungen zur Ebene der Sprechoperationen, das Problem der Realisierung des Programms der Sprechhandlung ist. Aus diesem Grunde hat das in diesem und den folgenden Paragraphen Gesagte eine sehr direkte Beziehung zur psycholinguistischen Fundierung der Methodik des Fremdspachenunterrichts / j 0 Die obigen Ausführungen stellen eine Hypothese dar, die zwar hinsichtlich der allgemeinpsychologischen Grundlagen und indirekter experimenteller Daten große Wahrscheinlichkeit besitzt, aber dennoch zunächst eine Hypothese bleibt. Um diese Hypothese in beweisbare Sätze zu wandeln, bedarf es noch der direkten experimentellen Uberprüfung. 39
Wir erinnern in diesem Zusammenhang an die Konzeption der T O T E - E i n h e i t hei Miller, Galanter und Pribram (vgl. Kap. I § 5). Vgl. A. A. JleoHTbeB, BHeH3tiKOBan 06ycji0BJieHH0CTb peießoro a«Ta H H e K o T O p w e BOnpOCH OSyTOHH« HHOCTpaHHHM H3bIKaM.
176
§ 3. Die Struktur des Außerungsprogramms zur inneren Sprache
und seine
Beziehung
Im vorangegangenen Paragraphen gelangten wir zu dem Punkte, d a ß das Subjekt eines der möglichen Programme der Sprechhandlung auswählt. Bevor wir zur Analyse der S t r u k t u r eines solchen Programms übergehen, wollen wir bei der Möglichkeit selbst verweilen, d a ß ein derartiges Glied zum Sprechen gehört. In der zeitgenössischen Wissenschaft gibt es eine Reihe von Untersuchungen und sogar ganze Richtungen, die in gewissem Maße auf der Vorstellung von einer bestimmten Organisation der Äußerung aufbauen, welche der eigentlich sprachlichen, der „linguistischen" Organisation vorangeht. Diesen Charakter trägt etwa die Mehrheit der Arbeiten, die sich auf die allgemein mit „Logik und G r a m m a t i k " oder „Urteil und Satz" bezeichnete Thematik beziehen. Meist gehören solche Arbeiten in den Bereich der Logik, aber manchmal — wenn ihre Autoren Linguisten sind — bewegen sie sich auch gänzlich im Rahmen der Linguistik. Der Gedankengang des Forschers ist normalerweise folgender: Es gibt das Denken, und es gibt die Sprache (oder die Rede). Beide sind miteinander „untrennbar verbunden". Wenn man in der Sprache (Rede) eine Einheit wie etwa den Satz separiert, dann muß es eine analoge Einheit auch im Denken geben. Bei aufmerksamer Beobachtung erweist sich jedoch, daß das Urteil der aristotelischen Logik für die Rolle einer solchen Einheit nicht geeignet ist, weil es zu eng ist und nicht alle möglichen Typen von Äußerungen umfaßt. Das eben ist das „Problem von Urteil und Satz", das von den meisten Autoren sehr einfach gelöst wird, indem sie nämlich einen umfassenderen Begriff schaffen, in den der Begriff des „Urteils" als Spezialfall eingeht {„Proposition", „logische Phrase" oder „Logem" bei P. V. Cesnokov 41 ). Die Grenzen dieses umfassenderen Begriffes werden so abgesteckt, daß er gerade die verschiedenen Typen von Sätzen „abdeckt". Für Linguisten, welche derart vorgehen, existiert zwischen der Sprache und den logischen Operationen kein Platz für irgendeine „psychische Realität"/'-' Hieraus ist bereits klar, daß uns dieses Herangehen keinesfalls befriedigen kann. Es abstrahiert vollkommen von den realen Gesetzmäßigkeiten des sprachlichen Denkens. A. A. P o t e b n j a h a t / 1
'
42
V g l . II. B . H e c H O K O B , JIorHHecKa« (|»paaa H npefljioîKeHMe ; ders., OCHOBHLIÖ e/IHHHIJTL H 3 H K a H MHIUJieHHH. Vgl. ,1. Piiiget ( z i t i e r t n a c h d e r r u s s i s c h e n Ü b e r s e t z u n g }K. ITna>Ke. ÜCHXOJIOrufl, MewflHciiHnjiHHapHue CBH3H H C H C T e M a H a y n , S. 2 6 . )
vor über 80 Jahren sehr richtig bemerkt, daß „die Logik im Urteil nicht den Prozeß der Äußerung berücksichtigt, sondern von ihrem einseitigen Standpunkt aus die Resultate des abgeschlossenen Prozesses bewertet". 43 Außerdem liegt dem skizzierten Herangehen die apriorische Anerkennung eines strukturellen Parallelismus zwischen Sprache und Denken zugrunde, was offensichtlich unbegründet und letzten Endes falsch ist. Das sah bereits A. A. Sachmatov und vor ihm wiederum Potebnja, der scharfsinnig darlegte, daß „der grammatische Satz durchaus nicht mit dem logischen Urteil identisch ist oder eine Parallele dazu bildet". „Für die Logik ist im Urteil lediglich die Verbindbarkeit oder Nichtverbindbarkeit zweier Begriffe wesentlich." 44 In letzter Zeit unterzog G. P. Scedrovickij die fehlerhafte Konzeption eines solchen strukturellen Parallelismus einer eingehenden Analyse.45 Es ist gar nicht erst zu reden davon, daß schon die Formulierung vom „untrennbaren Zusammenhang" von Sprache und Denken ohne Inhalt ist. Aus irgendeinem Grunde meint man, diese Formulierung sei ein unabdingbarer Bestandteil der marxistischen Auffassung vom Bewußtsein und vom Denken, und wer sie ausspreche, markiere dadurch seine philosophische Position. Dem ist nicht so. Erstens wird diese These nicht nur von Marxisten gern unterschrieben, sondern auch von Gelehrten, die dem Marxismus sehr fern stehen, dem Neohumboldtianer Weisgerberscher Richtung ebenso wie dem Vertreter der englischen „Linguistischen Philosophie" oder der amerikanischen „Allgemeinen Semantik". Zweitens ist es gerade vom Standpunkt des Marxismus unzureichend, einfach vom Zusammenhang von Sprache und Denken zu sprechen, wenn er auch als „untrennbar" oder „unmittelbar" bezeichnet wird: Die marxistische Psychologie und mit ihr die Gnoseologie weisen auf die sprachliche Natur des spezifisch menschlichen Denkens hin, darauf, daß das menschliche Denken durch gesellschaftlich erarbeitete Zeichensysteme, darunter die Sprache, vermittelt ist. Wenn Marx sagt, daß die Sprache das „praktische, . . . wirkliche Bewußtsein" ist 46 , dann ist das keinesfalls einfach eine Meta43
Vgl. A. A. üoTeÖHH, Ü 3 3 a n H c o K no p y c c K o ü r p a M M a T H K e , S. 70. Auf den gleichen Unterschied zwischen Formen des Denkens und Formen des logischen Wissens weist der sowjetische Philosoph E . V. Il'enkov hin (vgl. 9 . B . ÜJlteHKOB, K HCTopHH B o n p o c a o n p e ^ M e T e j i o r H K i i K a K H a y K H ) .
44
Vgl. A . A . ÜOTeßHH, a. a. 0 . , S . 6 8 .
45
Vgl. z. B . T . I L ÜJenpoBHiiKHii,
H. T. Anenceeß,
IIpiiHiiHn
„napanjienHBMa
(JtOpMKI H C O a e p i K a H H H MbllHJieHHH" H e r O 3HaTCHHe HJIH T p a f l H U H O H H H X J i o r n HeCKHX H nCHXOJIOrHHeCKHX IlCCJieAOBaHHÜ. 46
K. Marx, F. Engels, Die deutsche Ideologie, S. 30.
178
pher (um so ungerechtfertigter ist es, unter Berufung auf eine andere bekannte Äußerung von Marx „Bewußtsein" stillschweigend durch „Denken" zu ersetzen, wie es häufig geschieht) 47 : Man darf nicht vergessen, daß für Marx die Termini „praktisch" und „wirklich" eine ganz bestimmte philosophische Bedeutung besitzen. Für ihn ist das Bewußtsein das virtuelle Korrelat der realen Sprache; es wird real, „wirklich" in der Sprache, findet in ihr sein Dasein, seinen „Körper". Schließlich ist das Wort „Sprache" bei Marx durchaus nicht terminologisch eingeschränkt, es wird nicht der Rede oder der Sprechtätigkeit gegenübergestellt, sondern deckt alle diese Begriffe; wenn man den zitierten Gedanken von Marx in der uns geläufigen Ausdrucksweise interpretiert, dann müßte man sagen: Das Bewußtsein wird in der Sprechtätigkeit realisiert, bzw. das Bewußtsein wird mit Hilfe der Sprache realisiert. Aber kehren wir zu unserem Hauptthema zurück. Wir haben uns davon überzeugt, daß das streng logische Herangehen an das Problem der „vorlinguistischen Etappe" des Sprechens für uns völlig unfruchtbar ist. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten, an dieses Problem heranzugehen, von denen eine die logisch-psychologische ist. Wir haben diese Seite des Problems bereits zum Teil berührt, als wir im ersten Paragraphen dieses Kapitels über den Begriff der „Kommunikation" im Zusammenhang mit den Arbeiten von Svedelius und Lurija sprachen. Hier wollen wir nur bei den Ansichten eines Forschers zu dieser Frage verweilen: A. A. Sachmatovs. Für ihn stellt die „Kommunikation" die psychologische Basis des Satzes dar, d. h. einen Akt des Denkens. Dies gilt auch für viele andere Autoren mit H. Paul an der Spitze. Im Unterschied zu all diesen Autoren ist jedoch Sachmatov der Auffassung: „Während die Kommunikation außerhalb der inneren Sprache beginnt, findet sie im Prozeß der inneren Sprache ihren Abschluß." 48 So ist für ihn Kommunikation keine äußere Kategorie hinsichtlich des Sprechens, keine logisch-psychologische Kategorie: sie ist ein Teil des sprachlichen Denkens als eines Prozesses, sie geht ein in das Modell der Spracherzeugung als eine seiner Ebenen. Nach Sachmatov ist jegliche Kommunikation zweigliedrig: „Dem Satz HcnyaaHHax HOMU eopona e3Mmejia na euconyio jiuny('Die von uns erschreckte Krähe flog auf 47
48
Vygotskij sprach in diesem Zusammenhang direkt davon, daß Rede das „Korrelat des Bewußtseins und nicht des Denkens" sei (vgl. JI. C. BuroTCKHit, IIpoSneMa co3HaHHH, S. 194). Vgl. A. A. IIIaxMaTOB, CHHTaKCHc pyccworo aauKa, S. 20.
179
eine hohe L i n d e ' ) entspricht eine K o m m u n i k a t i o n , deren S u b j e k t ucnyzaHHüH HÜMU eopoua ('die v o n uns erschreckte K r ä h e ' ) u n d deren P r ä d i k a t 63jiemejia na euconym Jiuny ('flog auf eine hohe L i n d e ' ) ist.'"' 9 Die A n s i c h t S a c h m a t o v s v o n der Zweigliedrigkeit als E i g e n s c h a f t der R e d e p r o d u k t i o n in einer ihrer frühen E t a p p e n wird d u r c h bes t i m m t e F a k t e n b e s t ä t i g t . S o unterteilten bei Versuchen des L e n i n g r a d e r P s y c h o l o g e n V. Y. O p p e l ' S c h u l a n f ä n g e r , die m a n gebeten h a t t e , eine Äußerung in „ W ö r t e r " zu zergliedern (wobei m a n ihnen z u v o r nicht g e s a g t h a t t e , was ein W o r t ist), die Ä u ß e r u n g v o r allem in d a s S u b j e k t u n d d a s P r ä d i k a t der K o m m u n i k a t i o n : HÓAOKU — cmonmeMUCKe („dieäpfel — liegeninderschüssel"); naruiume cmoumnaÜHUK ( „ a u f d e m h e r d - s t e h t d e r t e e k e s s e l " ) ; nec - ou^emuHujicnu3apuuaji („derhund — sträubteseinfellundfinganzuknurren"). I m übrigen wurden in den F ä l l e n , wo die v o m S u b j e k t hervorgerufene V o r s t e l l u n g im E r g e b n i s der P r ä d i k a t i o n keine V e r ä n d e r u n g e r f u h r , S u b j e k t u n d P r ä d i k a t als ein „ W o r t " a u f g e f a ß t : udemdootcÖUK ( „ e s r e g n e t " ) , cojm\\eceemum („diesonnescheint").50 Analoge E r g e b n i s s e zeitigen die A n a l y s e der frühen K i n d e r s p r a c h e , A p h a s i e U n t e r s u c h u n g e n 5 1 u. ä. Aus derartigen Überlegungen hat sich im wesentlichen die Theorie der „aktuellen Gliederung des S a t z e s " entwickelt.'' 2 N a c h dieser Theorie kann m a n an die Analyse einer sprachlichen Äußerung mindestens von zwei Seiten herangehen: von der Seite ihrer formalen S t r u k t u r und von der B e t r a c h t u n g , wie die jeweilige Äußerung neue Information vermittelt, welche Teile der Äußerung bereits b e k a n n t e T a t s a c h e n vermitteln und welche neue F a k t e n und Mitteilungen. Leider verlief die E n t w i c k l u n g dieser Theorie bis jetzt f a s t ausschließlich im R a h m e n der eigentlichen Linguistik. Schon deshalb konnte sie nicht besonders fruchtbringend sein. Uns ist nur eine Arbeit bek a n n t , in der versucht wird, die Theorie der „aktuellen G l i e d e r u n g " auf den psycholinguistischen A s p e k t der S p r a c h e r z e u g u n g anzuwenden. Auf der B a s i s von E x p e r i m e n t e n gelangt K . Pala, der Autor «» Vgl. a. a. O., S . 28. 5 0 Vgl. B . B . Onnejib, HeKOTOptie ocoöeHHOCTH OBJiaAeHHH peöeHKOM HawaTKaMii rpaMOTH, S. 59 f. 5 1 Vgl. in diesem Z u s a m m e n h a n g die Idee einer „ G r a m m a t i k des D e n k e n s " , die der eigentlichen G r a m m a t i k gegenübergestellt wird, bei A. Gelb. 5 2 Vgl. hierzu V. Matliesius, O t a k z v a n é m a k t u á l n í m clenení v e l u é i n ; K . T. KpyniejibHHiíKan, K Bonpocy o CMHCJIOBOM MJIBHBHHH npenJioweHHH: O. A . JlartTeBa, HexocjiOBauKHe p a ß o r a nociieflHHX jieT no BonpocaM aKTyaJibHoro HJI6H6HMH npeAJiomeHHH: M. II. PacnonoB, AKTyaJibHoe u i e n e m i e n p e s JlOJKeHHH, und andere.
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dieser Arbeit, zu folgenden Erwägungen hinsichtlich der prinzipiellen Struktur der Spracherzeugung: „Zunächst verfügt der Sprecher über eine Struktur von Vorstellungen, d. h. über die semantische S t r u k t u r der jeweiligen Mitteilung, die in diesem Augenblick keineswegs mit der konkreten syntaktischen Realisierung der Mitteilung verbunden sein muß. Doch wenn der Sprecher beginnt , die entsprechende Mitteilung zu erzeugen, dann beginnt er, sich der syntaktischen Realisationen für die semantische Struktur der Mitteilung zu bedienen, wobei er für e i n e n semantischen Inhalt der Mitteilung verschiedene syntaktische Realisationen wählen kann." 5 : ! In §§ 21 und 22 des I I . Kapitels haben wir sowohl die Auffassungen einiger amerikanischer Psvcholinguisten über die „prälinguistische" Etappe bei der Spracherzeugung als auch die Konzeption L. S . Yygotskijs von der inneren Sprache charakterisiert, die von Lurija am Material aphasischer Störungen weiterentwickelt und fundiert worden ist. Hier werden wir deshalb diese Ansichten nicht noch einmal des näheren beleuchten, sondern unsere Aufmerksamkeit auf einzelne Fragen konzentrieren, die mit der Idee des „inneren Programms" oder des „inneren Schemas" der Sprechhandlung zusammenhängen. Zunächst wollen wir uns darum bemühen, solche oft miteinander vermengten 5 4 Begriffe wie „innere S p r a c h e " (BHyTpeHHHH pent), „inneres S p r e c h e n " (BHyTpeHHee nporoBapHBaime) und „innere Programmierung der sprachlichen Äußerung" (BHyTpeHHee nporpaMMHpoBaHne peießoro BHCKa3HBaHHH) genau gegeneinander abzugrenzen. Das innere Sprechen („äußere Sprache für sich selbst" nach einer treffenden Definition von P. J a . Gal'perin) ist verdeckte physiologische Aktivität der Artikulationsorgane, die in ganz bestimmten Fällen auftritt und mehr oder minder jene Prozesse imitiert, die beim wirklichen Sprechen vor sich gehen. In welchen Fällen k o m m t es zum inneren Sprechen? E s entsteht „bei der Erfüllung schwerer (d. h. nichtstereotyper) Aufgaben, etwa beim Lösen arithmetischer Beispiele und Aufgaben in mehreren Handlungen, beim Lesen und Ubersetzen fremdsprachlicher Texte durch Personen, die die betreffende Sprache nur schwach beherrschen, bei der Umformulierung 5:1 5/1
Vgl. K . D a n a , O HeKOTOpnx npoßjieMax aKTyaJibHoro HJIBHGHHH, S. 87. Vgl. z. B. B . HHX C
193
(dann übernimmt das „Programm auf längere Sicht", von dem wir eben gesprochen haben, die Funktion eines solchen Planes). Soweit wir es beurteilen können, entsprechen die uns interessierenden Fälle dem, was W. Gutjahr 7 2 als Wiedergabe des „Sinngerüsts" einer Äußerung beschreibt. Eben diese Verwendung des Programms gestattet es, sich mit heuristischer Zielsetzung (zum Studium seiner Struktur) der Größe zuzuwenden, die von Gutjahr „Ergänzungspotenz" genannt wird, d. h. der Fähigkeit einer bestimmten Wortklasse, als mnemonische Grundlage für die Reproduktion einer ganzen Äußerung zu dienen (vgl. oben Kap. II § 23). In den Experimenten von A. N. Sokolov führte die Koppelung der Wiedergabe eines Gedichts mit dem Hören einer Rede zu „momentaner Amnesie": „Die Versuchspersonen hörten und verstanden alles und vergaßen fast im gleichen Augenblick einen großen Teil dessen, was sie gehört hatten." 7 3 Offenbar stand diese „momentane Amnesie" gerade damit im Zusammenhang, daß das Programm „besetzt" war: Nicht zufällig beobachtete Sokolov bei seinen Versuchspersonen das Bestreben, sich auf irgendwelche äußeren Elemente als Ersatz für das Programm zu stützen (Krümmen der Finger usw.). Andererseits gab es in Sokolovs Versuchen auch Fälle, wo Versuchspersonen versuchten, den gehörten Text ohne Hilfe des Programms zu behalten, indem sie aufeinanderfolgende visuelle und auditive Vorstellungen ausnutzten: „Versuchsperson S. beobachtete bei sich relativ reiche visuelle Vorstellungen, wie es sie beim gewöhnlichen Hören bei ihr nicht gibt. Versuchsperson B. versuchte, einzelne Gedanken des gehörten Textes mittels auditiver Bilder zu festigen, indem sie sie zu 'Trägern des allgemeinen Sinns' machte. Zu den auditiven Bildern ist jedoch zu bemerken, daß sie anfangs, als der vorgetragene Text ohne Sinn war, nicht zur Erinnerung führten: Obwohl die einzelnen Wörter und Phrasen des gehörten Textes 'innerlich klangen' (offenbar kam es zu sogenannten primären auditiven Bildern des Gedächtnisses), ergaben sie keinen logischen Zusammenhang und wurden sogleich vergessen." 7 4 Offensichtlich baut sich eine der Arten des Sprechens, und zwar das dialogische Sprechen, nach dem gleichen allgemeinen Prinzip auf wie solch ein „Bildergedächtnis" für Texte. Mit anderen Worten, das dialogische Sprechen besitzt kein Programm. Es „geht nicht notW. Gutjahr, Zur Psychologie des sprachlichen Gedächtnisses. II, S. 59. Vgl. A. H. COKOJIOB, BHyTpeHHHH pent H noHHMaHHe, S. 123. » Vgl. a. a. O., S. 124. 72 73
194
wendig von der Idee oder dem Gedanken aus, der vom Subjekt innerlich formiert wird" 7 5 ; meist ist es situativ und ohne Kenntnis der jeweiligen realen oder vorgestellten Situation unverständlich. Dabei ist dialogisches Sprechen typisch reaktiv, die Antwort-Replik des Gesprächspartners ist gewöhnlich eine Paraphrasierung, und das heißt auch Wiederholung der zugrunde liegenden Frage oder Bemerkung: Kalt ist's. — Ja, eine Hundekälte! Geht's nach Hause? — Nach Hause, klar. usw. Im wesentlichen baut sich das dialogische Sprechen nach dem Schema „Stimulus — Reaktion" auf. Die Replik des ersten Gesprächspartners läßt meist eine relativ geringe Zahl von Antworten zu, jedenfalls was den Inhalt betrifft. Die „Funktion" des zweiten Gesprächspartners läuft auf die Auswahl der wahrscheinlichsten u n t e r allen f ü r die jeweilige Situation und das jeweilige Subjekt möglichen Antworten hinaus 7 6 (einer mag antworten: Ja, eine Hundekälte!, ein anderer in der gleichen Situation: Brrrr . . .). Der Zusammenhang zwischen den Repliken des ersten und des zweiten Gesprächspartners wird am einfachsten mit Hilfe einer gewöhnlichen bedingtreflektorischen Verbindung interpretiert. So kommt es übrigens, daß m a n seinen Gesprächspartner nicht „zu E n d e " zu hören braucht, wenn seine Äußerung offensichtlich auf eine bestimmte Antwort zielt, u n d so wird auch eine wechselseitige Überlagerung der Repliken möglich: Der eine Gesprächspartner h a t noch nicht aufgehört zu reden, da fällt i h m der andere bereits ins Wort. 7 7
§ 4. Die motorische
Redeprogrammierung
Wenn wir vom inneren Programm der sprachlichen Äußerung als Äquivalent dessen sprechen, was Miller, Galanter und Pribram den „grammatischen Plan" nennen, müssen wir uns natürlich auch fragen, welche Rolle der „motorische P l a n " in der Spracherzeugung spielt und welchen konkreten Platz er in der allgemeinen S t r u k t u r dieses Erzeugungsprozesses einnimmt. Anders gesagt, es ist zu f r a g e n : Folgt von den eingangs des Kapitels genannten E t a p p e n die E t a p p e (b) absolut auf (c) (d. h. beginnt die Realisierung, sobald alle Planung 73 76
77
Vgl. A. P. JlypHH, CjioBecHaa CHCTBMEL BHpaHteHHH OTHomeHiiü, S. 34. Siehe: H. A. 3HMHHH, HeKOToptre ncHxonoraiecitne npennoctuiKH MOHeJiwpoBaHHH peneBoft ABHTBJILHOCTH npn oßyieHHH HHocTpaHHOMy H3HKy, S. 167. Vgl. J. Jaffee, S. Feldstein, L. Cassotta, A Stochastic Model of Speaker Switching in Natural Dialogue.
195
beendet ist) oder nur relativ (d. h. kann die Planung einer Handlung nach der Verwirklichung der anderen erfolgen)? In dieser Beziehung schließen wir uns den Erwägungen T. V. Rjabovas an, die auf einer Analyse aphasischer Störungen beruhen. 7 8 Das von Rjabova vorgelegte Schema vermittelt Abbildung 11. Kombination
Auswahl
A b b . 11
Im linken Teil der Abbildung finden sich die (sukzessive ablaufenden) Kombinationsoperationen, im rechten die (simultanen) Auswahloperationen. Unsere Abweichung von Rjabova hinsichtlich der Interpretation dieses Schemas ist nicht prinzipieller Art. Sie läßt sich auf zwei Grundthesen reduzieren. Erstens zweifeln wir daran, daß die Etappe der „Wortauswahl nach der Bedeutung" den durch sie bezeichneten Aspekt der Auswahl ausschöpft, und entsprechend bezweifeln wir auch, daß sich die Etappe des Findens der vollen Wortform auf das Finden der Lautform des Wortes beschränkt. Wir werden weiter unten noch eine andere Möglichkeit erörtern, nämlich die, in der zweiten Erzeugungsetappe nicht alle, sondern nur die stützenden semantischen Charakteristika der Wörter zu finden. Dann umfaßt das „Finden der vollen Form" nicht nur lautliches, sondern auch semantisches Suchen bereits auf der Ebene der grammatikalisierten Äußerung. Zweitens ist Rjabova kaum im Recht, wenn sie vom kinetischen Schema der Äußerung spricht. Im Prinzip ist die Annahme eines solchen Gliedes unbestritten: vgl. den „Aufbau eines Programms der artikulatorischen Bewegungen im Gehirn des Menschen" und die 78
T . B . PnSoBa, MexaHH3MH nopoHtaemiH peqw no aaHHMM aopMaL(iin, S. 275 f. 109 Vgl. II. B . HeBeJitcKHö, IlaMHTb, HHtfiopMaqjiH H neHTejitHOCTb, S. 222 f. — Verfasser dankt P. B. Nevel'skij dafür, daß er ihm seine Auffassungen über die Gedächtnisarten (und vor allein über das „permanente Gedächtnis") mitgeteilt hat, die in den folgenden Darlegungen verwendet werden.
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II („Wie wird eingeprägt?") in der obigen Klassifikation von Aspekten des Gedächtnisses. Wir erinnern daran, daß unter diesem Gesichtspunkt das unmittelbare Sprachgedächtnis, das operative, „strukturierende" Gedächtnis und schließlich das obligatorische oder permanente Gedächtnis unterschieden werden. Wir werden im weiteren folgende Termini verwenden: 1. unmittelbares Gedächtnis (Gedächtnis des Typs b); 2. operatives Gedächtnis (Gedächtnis der Typen c, d, e); 3. permanentes Gedächtnis (Gedächtnis der Typen f, g, h, i). Diese Verwendung der Termini basiert auf der Terminologie der sowjetischen Psychologie, insbesondere der Charkower Schule. Die Charkower Psychologen unterscheiden das operative und das unmittelbare Gedächtnis als zwei verschiedene Kategorien innerhalb des Kurzzeit-Gedächtnisses. „Beim unmittelbaren Gedächtnis geht es um die allgemeinen, von den Aufgaben der Tätigkeit abstrahierten psychophysiologischen Möglichkeiten zum Einprägen und ersten Festhalten des eben wahrgenommenen Materials. Das operative Gedächtnis dagegen ist den Zielen der konkreten Tätigkeit untergeordnet. Seine Kurzzeitigkeit ist relativ. Sie wird durch die Besonderheiten der Tätigkeit determiniert, welcher das operative Gedächtnis dient. Obwohl es dem Langzeit-Gedächtnis gegenüber kurz ist, kann das operative Gedächtnis im Vergleich zum unmittelbaren Gedächtnis von langer Dauer sein." 1 1 0 Bevor wir zu einer genaueren Betrachtung dieser Arten von Gedächtnis in bezug auf die Hauptaufgabe unserer Arbeit übergehen, wollen wir noch bei den zur Zeit bekannten Fakten über die psychophysiologischen Mechanismen der verschiedenen Gedächtnisarten verweilen. Das hier zu nennende Material ist äußerst fragmentarisch und unzureichend. Nach R. Lorente de Nö und anderen zeitgenössischen Autoren 1 1 1 liegen dem unmittelbaren und überhaupt dem Kurzzeit-Gedächtnis Rezirkulationsprozesse in geschlossenen Konturen des Nervennetzes, in Ringketten von Neuronen, zugrunde. Gelangt an irgendein Glied einer solchen Kette ein Impuls, so wird dadurch eine elektrophysiologische Erregung in den anderen Zellen des Ringes hervorgerufen, 110 III
Vgl. II. H. 3HHHeHK0, HeKOTOpue npoßjieMH ncHxoJiormi naMHTH, S. 10f. Siehe auch: T. B. PeitKHHa, 06 oöieiue onepaTHBHOü naMHTH, S. 135ff.
R. Lorente de Nö, Analysis of the Activity of the Chains of Internuclear Neurons; Macromolecular Speeifity and Biological Memory; W. R . Ashby, Design for a B r a i n ; O. EypeiiioBa,fl. Bypern, i>H3H0Ji0rHH HenocpeflCTBeHHOii naMHTH. Siehe auch: A. P . J l y p n n , H3H0H0rHHecKHe OCHOBM naMHTH.
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bis die Erregung zum Ausgangspunkt zurückkehrt und der nächste „Kreis" beginnt. Nach der zur Zeit geltenden Hypothese sind gerade diese „Reverberationskreise" das physiologische Substrat des Kurzzeit-Gedächtnisses. Sie sind mit bestimmten biochemischen Veränderungen verbunden, und zwar mit einer Erhöhung des Gehalts an Ribonukleinsäure (RNS) in den erregten Zellen; der Übergang vom „elektrophysiologischen" zum „biochemischen" Einprägen entspricht dem Übergang vom Kurzzeit- zum Langzeit-Gedächtnis. Und — dies ist besonders wichtig — aus den Arbeiten H. Hydens 112 geht hervor, daß der Mechanismus des „Kollationierens" des biochemischen Gedächtnis-Codes derselbe Mechanismus der Ringerregung ist; denn die RNS fixiert die verschiedenen Erregungen unterschiedlich, und wenn wir auf einen Reiz stoßen, welcher seinerzeit eine bestimmte Veränderung in der Biochemie der Zelle hervorrief, kommt es zu einer spezifischen „Resonanz". „Die Zellen des Nervengewebes beginnen, unterschiedlich zu antworten, je nachdem, ob alte oder neue Reize auf sie einwirken. Wirken neue, unbekannte Reize ein, so erregen sie in den Proteinsäuren keine entsprechenden Resonanz-Strukturen. Wenn aber bekannte Reize auf diese Zellen einwirken, so hat das eine entsprechende Resonanz zur Folge." 113 Damit sind jedoch die physiologischen Mechanismen des Gedächtnisses noch nicht erschöpft. „Die Nervenzelle reagiert sehr schnell und entlädt sehr schnell ihre Ladung: Für die Nervenzelle ist es gerade charakteristisch, daß sie durch schnelles Reagieren auf einen bestimmten Reiz nach einer gewissen Zeit immer wieder bereit ist, eine neue Reizung zu empfangen. Ein solcher Apparat ist kaum dazu geeignet, die Spuren des Langzeit-Gedächtnisses zu bewahren." 114 Aktiven Anteil an einer solchen Bewahrung hat hingegen die graue Substanz des Gehirns, die sogenannte Glia. Man hat festgestellt, daß 112 113
H. Hyden, Satellite Cells in the Nervous System. Vgl. A . P . JlypHH, (DHBHOJIORNTJECKHE OCHOBH naMHTH, S. 15. — W.-G. W a l t e r ,
welcher diesen Standpunkt teilt, vergleicht die Informationsspeicherung treffend mit den „speziellen Eigenschaften eines Schwingungsspeichers". „Dabei handelt es sich nicht um einen Gegenstand, sondern um einen Vorgang; nicht um einen auf dem Teller liegenden Groschen, sondern um eine auf dem Altar brennende Kerze. Da er dynamisch ist, kann er . . . das Tor zum Handeln öffnen, und da er eine Frequenz hat, läßt er sich verfolgen und mit einer Nummer bezeichnen; auch kann er durch Erinnerungen mit ähnlichen Frequenzen angerufen werden, wobei die Ähnlichkeit ganz zufällig sein kann. Deshalb . . . versteht (man) Idiosynkrasien und Launen von Wortassoziationen." (W. G. Walter, Das lebende Gehirn, S. 149 und 151). Vgl. A. P. JlypHH, a. a. O., S. 18. 214
die biochemischen Veränderungen in der Glia (vor allem die, welche die RNS betreffen) in einem umgekehrten Verhältnis zu den entsprechenden Veränderungen in der Nervenzelle stehen. Die Glia „entlastet" in gewissem Sinne die Nervenzellen. Dabei lenkt sie offenbar die Bewegung und das Wachstum der Dendriten der Nervenzellen und formiert auf diese Weise die permanente strukturelle Basis des Gedächtnisses. Die Potentiale in den Gliazellen sind um vieles langsamer als in den Nervenzellen, und es besteht Grund zu der Annahme, daß die Glia zusammen mit den Nervenzellen ein einheitliches System bildet und insbesondere die in den Nervenzellen entstehende Erregung stabilisiert. Die angeführten Fakten über die physiologischen Mechanismen des Gedächtnisses sind für uns von großer prinzipieller Bedeutung. Wenn dem Gedächtnis tatsächlich die beschriebenen Prozesse zugrunde liegen, dann hängt das Problem des Unterschieds zwischen den Arten von Gedächtnis nicht so sehr mit ihrer unterschiedlichen Lokalisierung als mit aufeinanderfolgenden Gliedern ein und desselben Prozesses zusammen: unmittelbares Einprägen auf der Grundlage einer Reverberationserregung (und „Kollationieren" der Spuren unmittelbar aus diesem Glied) — Einprägen auf der Grundlage biochemischer Prozesse (und „Kollationieren" nach dem Typ der Resonanz, d. h. unter der Bedingung, daß die Reverberationserregung übereinstimmt) — Einprägen auf der Grundlage der Regulierung zwischen Neuronen und Glia. Eine derartige Interpretation entspricht am besten dem Geist der psychologischen Konzeption, auf die wir uns bei unserer Analyse des Redeprozesses stützen. § 6. Das operative
Gedächtnis
Die detailliertere Betrachtung der Arten von Sprachgedächtnis beginnen wir mit dem oben operativ oder strukturierend genannten Gedächtnis. Wie bereits festgestellt, ist das operative Gedächtnis mit einem konkreten Tätigkeitsakt verbunden. Es betrifft das Einprägen „solange als nötig". Dabei ist das operative Gedächtnis als mittelbares Gedächtnis spezifisch menschlich — ebenso wie die anderen höheren psychischen Funktionen des Menschen. In bezug auf die Redeprozesse ist das operative Gedächtnis das Gedächtnis des Programms. Das bedeutet, daß wir im Rahmen des Systems der Sprechhandlungen sozusagen die ganze Zeit gewisse 215
Daten über das Programm festhalten, und zwar sowohl über das syntaktische als auch mutatis mutandis über das motorische Programm. Dies ist notwendig, damit wir die Erzeugung der Äußerung fortsetzen können; denn im Verlauf des Weitererzeugens wird das, was als „Ausgabe" erscheint, systematisch zur Struktur des Programms in Beziehung gesetzt. Unserer Vorstellung über ein solches In-Beziehung-Setzen 115 kommt wohl das Bild von D. S. Worth am nächsten, in dem als Modell für die Spracherzeugung ein Fernseh-Bildschirm mit zwei Mechanismen dient — einem für die Entwicklung von Darstellungen und einem für Vergleich und Korrektur, der die Resultate seiner Korrektur an den ersten Mechanismus zurückgibt, bis die Korrektur beendet ist, worauf der Satz in den nächsten — den phonetischen — „Block" übergeht (vgl. Kap. II § 19). Was merken wir uns mit Hilfe des operativen Gedächtnisses? Kann man sagen, daß wir uns das Programm als solches einprägen? Diese Frage ist sehr kompliziert, da über das Programm selbst noch sehr wenig bekannt ist. Geht man von allgemein-psychologischen Überlegungen aus, dann sieht die Antwort wie folgt aus: Das Programm ist — wie schon früher hervorgehoben — nichts Gegebenes, Fertiges, sondern ein Prozeß, der Prozeß der Programmierung. Und was das Gedächtnis betrifft, so vermittelt dieser Prozeß das Einprägen der inhaltlichen Seite der Äußerung.116 Die „Sinn-Last" der Elemente des Programmierungscodes und des Programms als Ganzen ist es auch, was wir (bei der Programmierung fließender Rede) im Raum oder (wenn wir es mit dem operativen Gedächtnis zu tun haben) in der Zeit „übertragen". In diesem Zusammenhang ist eine Äußerung Vygotskijs interessant. Wir können, so sagt er, den gleichen Gedanken in verschiedenen Bedeutungen ausdrücken. Zum Beispiel kann der Gedanke Ich bin nicht schuld auch realisiert werden als Die Uhr ist von selbst heruntergefallen. Und tatsächlich, „Die Uhr ist heruntergefallen verhält sich semisch zum entsprechenden Gedanken, wie sich der Sinn-Zusammenhang beim vermittelten Einprägen zum Eingeprägten verhält". 117 Der zweite Aspekt der Benutzung des Programms im operativen Gedächtnis ist mit dem Uberschreiten der Grenzen der Einzeläuße115
U n d unsere Auffassung e n t s p r i c h t der K o n z e p t i o n N. A. B e r n s t e j n s .
116
Vgl. in diesem Z u s a m m e n h a n g : A . C. H o B O M e i t C K H Ü , O B 3 a H M 0 0 T H 0 i n e H H H o 6 p a 3 a H cJioBa n p n 3 a n o M H H a H H H , sowie A . A . CMHPHOB, IIpoöJieMH n c H x o jiorHH n a M H T H , S. 3 9 1 — 3 9 7 . Vgl. J I . C. BtiroTCKHö, ü p o ß j i e M a C 0 3 H a H H H , S. 190.
117
216
rung — etwa des Satzes — verbunden. Offensichtlich hat Worth auch darin recht, daß an der Erzeugung einer aktuellen Äußerung auch die vorangegangenen Äußerungen beteiligt sind, und zwar nach dem Prinzip einer Markovschen Kette, d. h. ausschließlich auf Grund linearer Beeinflussung. Wir haben aber bei der Darlegung seiner diesbezüglichen Auffassungen festgestellt (vgl. K a p . II § 19), daß dies die Notwendigkeit einschließt, Daten über den Inhalt der vorangehenden Äußerungen in Auswahl zu codieren und irgendwo zu speichern. Gerade hier wird auch die Hypothese bedeutsam, daß eine solche Form der Codierung und der Fixierung das Programm ist. Stimmt das, so löst sich das Problem einer „überflüssigen" Erzeugungsetappe auf (neben allem übrigen ist noch unbestimmt, wofür die Codierung des Inhalts erfolgt): Es ist recht wahrscheinlich, daß das Programm der Äußerung nicht auf einmal „gelöscht" wird, sondern noch eine gewisse Zeit (sagen wir: bis zum Abschluß der Erzeugung der folgenden Äußerung) fixiert bleibt. In diesem Zusammenhang sind die Auffassungen W. Szewczuks über das Verstehen und Einprägen von Sätzen außerordentlich interessant. 118 Wir können sie hier nicht im Detail darlegen und weisen nur darauf hin, daß Szewczuk den Prozeß des Yerstehens von Sätzen als einen vielstufigen Prozeß ansieht, in dem auch eine der Programmierung entsprechende Etappe ihren Platz erhält. Es gibt auch Arbeiten, die unseren Standpunkt direkter unterstützen. So verweisen die Angaben Mehlers und Millers (vgl. oben K a p . II § 17) darauf, daß der semantische Inhalt eines Satzes als erster Schritt und die grammatische Struktur als zweiter eingeprägt wird, während man vom Standpunkt des Modells von Chomsky und Miller offenbar die umgekehrte Reihenfolge erwarten müßte. Wir wollen etwas vorgreifen und kurz auf die Interpretation der oben genannten Daten von Mehler, Coleman, Prentice sowie Savin und Perchonock (vgl. K a p . II § 17) eingehen. Wir erinnern daran, daß nach den Feststellungen all dieser Autoren aktive (Kern-)Sätze besser eingeprägt wurden als ihre Transforme (Passivkonstruktionen, Nominalisierungen usw.). Bedeutet dies nun, daß — wie beispielsweise Mehler annahm — im allgemeinen der Kernsatz plus eine bestimmte Menge von Handlungen an ihm eingeprägt wird? Offensichtlich nicht unbedingt, vor allem wenn man berücksichtigt, daß allgemein eine Tendenz zur Verbesserung des Satzverstehens „entsprechend der Annäherung der grammatischen Struktur des Satzes an die Sinn118 Vgl. W. Szewczuk, Badania eksperymentalne nad rozumieniem zdari.
217
struktur seines Inhalts" 1 1 9 existiert. Insoweit in den Versuchen der genannten Autoren den Versuchspersonen Kernsätze als Ausgangssätze gegeben wurden, war von Anfang an eine direkte Beziehung „Programm —* Kernsatz" hergestellt, während alle anderen Sätze psychologisch als abgeleitet erschienen. Doch beim Einprägen konnten ebensogut nicht die Kernsätze, sondern vielmehr die Programme benutzt werden, die in diesem Falle bei der Reproduktion und nicht beim Einprägen realisiert wurden. In den Resultaten der genannten Experimente gibt es nichts, was einer derartigen Annahme widerspräche. 120 Wir haben die Hypothese aufgestellt, daß beim Einprägen von Äußerungen für längere Zeit nicht die Äußerung als solche, sondern ihr Programm behalten wird. Von diesem Standpunkt lassen sich einige früher behandelte Angaben neu interpretieren, und zwar die Angaben über eine „Kompression" von Sätzen unter bestimmten Umständen. Uns sind auf jeden Fall zwei solcher Arbeiten bekannt (das oben genannte Buch von Szewczuk nicht mitgerechnet; leider entspricht dieses Buch nicht in allem dem heutigen Niveau psychologischer Forschungen): Es sind dies die Aufsätze von E . L. Ginzburg, V. A. Pestova und V. G.. Stepanov sowie von G. V. Ejger und M. M. Gochlerner. Ginzburg und seine Koautoren untersuchten die Fehler bei der Reproduktion von muttersprachlichen Sätzen, welche (auf dem Bildschirm eines Fernsehapparates) tachistoskopisch vorgeführt worden waren; dabei beobachteten sie, daß von 69 vorgeführten 119 Vgl. W. Szewczuk, a . a . O . , S. 215.— In einer jüngeren Arbeit von H . I I . Clark und E. V. Clark gelangen die Autoren (auf Grund eines Experiments zur Einprägung sprachlich unterschiedlich codierter zeitlicher Beziehungen von Ereignissen) zu dem Schluß, daß das Gedächtnis-Modell von Mehler und Miller unzureichend ist. Vgl. II. H. Clark, E . V. Clark, Semantic Distinctions and Memory lor Complex Sentences. 120 In der Psycholinguistik, insbesondere in Arbeiten amerikanischer Autoren, wird der Tatsache immer stärkere Aufmerksamkeit zugewandt, daß die im Verlauf des Experiments gesammelte Erfahrung die experimentellen Ergebnisse beeinflussen kann. Vgl. beispielsweise die Ergebnisse des Experiments von Mehler und Carey (J. Mehler, P. Carey, Role of Surface and Base Structure in the Perception of Sentences), besonders aber die Resultate Salzingers und Eckermans, in denen deutlich ein Einfluß der Reihenfolge der Darbietung auf die relative Zahl von Fehlern in den Transformen und den Kernsätzen zum Ausdruck kommt (K. Salzinger, C. Eckerman, Grammar and the Recall of Chains of Verbal Responses, S. 236). Übrigens führen die Autoren selbst diese Erscheinung auf die Häufigkeit der jeweiligen grammatischen Strukturen zurück, unserer Ansicht nach ohne hinreichende Begründung.
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Sätzen 45 zusammengezogen wurden. 1 2 1 Ejger und Gochlerner widmeten sich analogen Studien, zogen aber nicht nur Sprecher der russischen, sondern auch der deutschen Sprache hinzu. Die wichtigste Schlußfolgerung, zu der sie gelangten, ist: „Transformationen sind bei der Sprachwahrnehmung ein beständiger Faktor. Ihre Typen jedoch, ihre Verbreitung, ihr gemeinsames Auftreten, die Häufigkeit ihrer Anwendung auf bestimmte Strukturen sind . . . durch Stil und Typ der Rede determiniert" 1 2 2 , d. h. sie sind eher psychologisch als strukturell-grammatisch bedingt. Die Verfasser nehmen an, daß „die Transformation in der mnemischen Handlung während der ersten Etappe, der E t a p p e der Erkenntnisorientierung im Material, stattfindet". 1 2 3 Allerdings konnten unter den Bedingungen des von ihnen durchgeführten Experiments zur Untersuchung des operativen Gedächtnisses Gesetzmäßigkeiten des unmittelbaren Gedächtnisses nicht ausgeschaltet werden. Eine Abgrenzung dieser beiden Aspekte fehlt aber in der Arbeit. Deshalb finden sich in der Interpretation der experimentellen Ergebnisse durch die Autoren Argumente, die nicht befriedigen. Das Einprägen des Programms oder — in strengerer Formulierung — die Benutzung der Programmierung beim Einprägen erfolgt mithin in zwei E t a p p e n : a) Aufbewahrung des Programms im Prozeß seiner Realisierung und b) Aufbewahrung des Programms als Basis für die Erzeugung der folgenden Äußerungen. Es sei noch auf einige Besonderheiten dieser beiden Aspekte der Anwendung der Programmierung hingewiesen: Zum ersten Aspekt erhebt sich (wenn m a n wiederum etwas vorausgreift) die Frage, auf welche Weise der Vergleich des Resultats der Programmrealisierung mit dem Programm selbst vor sich geht. Unterscheidet sich doch das, was verglichen wird, deutlich von dem, womit es verglichen wird! Hier liegt jedoch ein Pseudoproblem vor, wie wir weiter unten zeigen werden. Was den zweiten Aspekt betrifft, so haben wir bisher im Grunde genommen mit zwei Äußerungen operiert: einer vorangehenden und 121
Vgl. E . J I . T n H a S y p r , B . A . ü e c T o s a , B . F . CTenaHOB, O ncHxonorHHecKOit peaJibHOCTH o n e p a i j H Ö CJK9LTHH K a u c p e a c T B ( f t o p c i i p o B a H H o f t p e K O H C T p y r a j H H TeKCTa, S . 4 7 . S i e h e a u c h : E . J I . F i i H s S y p r , B . A . ü e c T O B a , JI. A . CHBOKOHB, B . H . m e p ß a K O B a , S K c n e p H i a e H T a n b H i i e R a m m e n o BocnpHHTHio H 3anoMHH a H H i o c m a T H x H n o j i H b i x TÖKCTOBBIX c o o ß m e m i i i .
122
Vgl. T . B . E i l r e p , M . M . r o x j i e p H e p , O p c u m OBJiaHemiH npiieMaMii KOMirpeccmi p e n n n p a oöyneHHH HepoffHoiay H3HKy, S. 155. 123 V g l . e b e n d a . 16
Psycholinguistische Einheiten
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einer folgenden. Doch bei der Erzeugung einer Äußerung wird eine ganze K e t t e vorhergehender Äußerungen berücksichtigt, erfolgt eine Art Kumulierung ihres Inhalts. Wie verläuft dieser Prozeß? Man k a n n annehmen, daß seine strukturelle Spezifik in gewissem Sinne der Programmierung großer Redekomplexe entgegengesetzt ist. Haben wir es bei einer solchen Programmierung mit einer gewissen Form dynamischer Wechselwirkung zwischen „großem" Programm und „kleinen" Programmen zu t u n , die mit einer Konkretisierung des „großen" Programms in den „kleinen" Programmen verbunden ist, so können in dem hier interessierenden Mechanismus des operativen Gedächtnisses die „kleinen" Programme unter bestimmten Bedingungen eine Art qualitativen Sprung ergeben, indem sie sich zu einem „großen" Programm verdichten. Leider existiert bisher keine systematische Untersuchung dieser Art von „Komprimierung". Des weiteren ist noch unbekannt, welche Rolle die schöpferische Aktivität des Subjekts bei einer solchen Verdichtung spielt, d. h. in welchem Grade sie automatisch geschieht. Berücksichtigt man, daß das operative Gedächtnis das Gedächtnis ist, welches am meisten durch die Besonderheiten des Tätigkeitsaktes determiniert wird, so sollte m a n erwarten, daß eine solche schöpferische Aktivität als bestimmender Faktor a u f t r i t t und mit der S t r u k t u r der Tätigkeit zusammenhängt. Im übrigen ist anzunehmen, daß das operative „Programmgedächtnis" n u r bei zeitlich hinausgeschobener Reproduktion wirksam wird, während wir uns, folgt die Reproduktion unmittelbar, eines Mechanismus der semantischen Kumulation bedienen, wie ihn Osgood beschrieben hat (vgl. oben K a p . II § 3 sowie den nunmehr folgenden Paragraphen).
§ 7. Unmittelbares und permanentes Gedächtnis. Kriterien der Wortwahl Unter den anderen Arten von Gedächtnis sei zunächst das unmittelbare Gedächtnis als solches betrachtet. Dabei geht es uns um das, was wir früher als „Verpflichtungen" eingeführt haben, d. h. um die Speicherung all jener Charakteristika einer Äußerung für die Zeit ihrer Realisierung, die für die Erzeugung ihrer weiter „rechts" folgenden Teile wesentlich sind. Die erste Frage, die hier auftaucht, ist natürlich, was und wieviel speziell durch das unmittelbare Gedächtnis fixiert wird. Erstens muß — in welcher Form auch immer — die grammatische 220
Struktur des Satzes festgehalten werden, da es sonst einfach unmöglich wäre, den Satz nach dem gleichen grammatischen „Schlüssel" zu Ende zu führen. Übrigens kommt es nicht selten vor, daß aus bestimmten Gründen (Ablenkung oder Umorientierung der Aufmerksamkeit, Umbau des Programms während seiner Realisierung usw.) ein solcher „Schlüssel" verlorengeht: Wir gelangen bis zu einem bestimmten Wort und beginnen plötzlich, die grammatische Struktur des Satzes neu aufzubauen, indem wir diesem Wort eine andere strukturelle Charakteristik geben als die, die es zuvor hatte. Es ist anzunehmen, daß gerade im unmittelbaren Gedächtnis auch die einander ablösenden grammatischen „Prognosen" auf dem „Bildschirm" fixiert werden müssen (wenn man, wie wir es im weiteren tun werden, von der Hypothese von Worth ausgeht). In welcher Form werden sie fixiert? Möglicherweise ist der Zweig des syntaktischen IC-Baumes eine solche Form. Mit anderen Worten: Wir entwerfen nicht prognostisch die sprachliche Konstruktion als Ganzes, sondern — mit diesem oder jenem Grad von „Tiefe" — den Charakter der Hierarchie der grammatischen Beziehungen, welche den bereits vorliegenden und den prognostizierten Teil der Äußerung verbinden (soweit man die Äußerung überhaupt nach ihrem schon vorliegenden Teil prognostizieren kann). Wir kommen unten (§ 8) noch darauf zu sprechen. Zweitens müssen gewisse semantische Elemente fixiert werden, da sonst die Berücksichtigung des inneren Kontextes eines Satzes nicht möglich wäre (wird doch das Programm im Erzeugungsprozeß nicht voll bewußt!). Welche Elemente dies sind, werden wir weiter unten sehen. Das, was man bedingt als „Kapazität" des unmittelbaren Gedächtnisses bezeichnen kann, ist durch die Arbeiten von G. A. Miller hinreichend bekannt. 1 2 4 Wir wissen einmal, daß die Kapazität des unmittelbaren Gedächtnisses in Einheiten der Einprägung gemessen wird und daß sich die Menge dieser Einheiten, wenn nötig, aktiv verringert. Es ist weiter bekannt, daß die Menge solcher Einheiten nicht nur für das unmittelbare Sprachgedächtnis, sondern auch für andere Aspekte des unmittelbaren Gedächtnisses 7 2 nicht übersteigt. Das hat sich am Material verschiedener Sprachen herausgestellt (vgl. oben im Kapitel I I die Darlegung der Hypothese von Yngve). Hinsichtlich der semantischen Einheiten können hier vor allem die Angaben des bekannten Kompendiums von Miller verwendet wer124 Vgl. z. B. G. A. Miller, The Magical Nuniber Seven, Plus or Minus Two; ders., Human Memory and the Storage of Information.
16'
221
den. Miller, der sich auf Ergebnisse R. Breners stützt, gibt folgende Durchschnittszahlen a n : abstrakte Wörter (visuell) 5,24, abstrakte Wörter (oral) 5,58, konkrete Wörter (visuell) 5,76, konkrete Wörter (oral) 5,86. E r nennt auch die Ergebnisse von H. B. Reed, die ein wenig von denen Breners abweichen: 6,55. Bei dieser Gelegenheit seien noch einige interessante Ziffern a n g e f ü h r t : Im unmittelbaren Gedächtnis können 1,75 einfache Sätze (im Schnitt aus 6 Wörtern oder 8 Silben bestehend) „gespeichert" werden, d. h. ungefähr 10,5 organisierte Wörter. Wir weisen jedoch darauf hin, daß diese Zahlen nicht ganz korrekt sind, da die Autoren nicht zwischen schabionisierten und nicht-schablonisierten Elementen der Äußerung unterscheiden. 12 ? Damit entspricht das Fassungsvermögen des unmittelbaren Gedächtnisses für sinntragende Wörter im allgemeinen der Kapazität für grammatische Elemente. Natürlich erhebt sich die Frage, wodurch sich die Gedächtniskapazität beim Einprägen eines ganzen Satzes anstelle isolierter Wörter vergrößert. Einen der Kompensationswege haben wir gerade g e n a n n t : Es sind die Schablonen. Doch gibt es noch einen viel effektiveren Weg für eine solche Kompensation, einen Weg, der mit der Existenz des Programms zusammenhängt. Mit anderen W o r t e n : Das Einprägen eines Satzes kann in gewissem Sinne durch das Einprägen des Programms vermittelt werden. Im übrigen sei an einige experimentelle Arbeiten (vor allem die W. Epsteins) erinnert, welche zeigen, daß das Niveau der Einprägung generell mit dem zunehmenden Niveau der Grammatikalisierung der Äußerung wächst. Es gibt noch eine mögliche Antwort, die im Lichte unserer unten darzulegenden Auffassung von der psychologischen Natur der Bedeut u n g besonders anziehend ist. Es ist die Möglichkeit, daß nicht ganzheitliche lexikalische Einheiten, sondern semantische Komponenten eingeprägt werden. Von diesem S t a n d p u n k t hat noch niemand versucht, die Gedächtniskapazität zu messen. Das unmittelbare Sprachgedächtnis kann unter Verwendung der treffenden Terminologie von S. Sternberg 1 2 6 als Gedächtnis charakterisiert werden, das über das Vorhandensein eines Elements informiert (im Unterschied zum operativen Gedächtnis, das auch die Position 125 Vgl. G. A. Miller, Langage et communication, S. 2 8 3 f . ; R. Brener, A n Experimental Investigation of Memory Span; H. B. Reed, Repetition and Association in Learning. 126 Vgl. s . Sternberg, High-speed Scanning in Memory. — Es ist nützlich, mit H. Buschke, Types of Immediate Memory, auch zwischen „markierendem" und „adressierendem" Gedächtnis zu differenzieren. Das unmittelbare Gedächtnis ist typisch für den ersten Fall, das permanente Gedächtnis für den zweiten.
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des Elements innerhalb der Folge signalisiert). In diesem Zusammenhang sei kurz auf die Besonderheiten des Reproduktionsprozesses eingegangen. Dabei ist zu beachten, daß es hier und fernerhin um Prozesse geht, welche bei der Erzeugung von Sprache, nicht aber bei ihrer Wahrnehmung ablaufen, wo die Dinge offensichtlich anders liegen. Wir konstatierten bereits oben, daß der Reproduktion ein Resonanzmechanismus (im weiten Sinne) zugrunde liegt: Das wiederholte Auftreten bestimmter Ausgangsbedingungen ruft die Wiederholung eines reaktiven Prozesses hervor. In bezug auf das unmittelbare Gedächtnis bedeutet dies, daß bei der Erzeugung des zweiten Teils der Äußerung gewisse Außerungscharakteristika (richtiger: Charakteristika der Prozesse ihrer Erzeugung) auftreten, die mit den Charakteristika der Erzeugungsprozesse ihres ersten Teils zusammenfallen oder ihnen sehr nahe kommen. Mit anderen Worten: Wenn wir am Satzanfang das Maskulinum nemyx („der Hahn") verwendet haben, so schaltet sich — wie lang der Weg von diesem Subjekt bis zum Prädikat auch sei — beim Erreichen des Prädikats obligatorisch der Mechanismus des unmittelbaren Gedächtnisses ein, und das Prädikat wird in Kongruenz zum Subjekt realisiert: 3aKyKapeKCUt („begann zu krähen"). So liegt der Einprägung wie der Reproduktion auf dieser Ebene ein Prinzip zugrunde, das man als Prinzip der relevanten Kriterien beim Erkennen charakterisieren kann: Ein bestimmtes Wort tritt auf — es wird als bestimmten Kriterien entsprechend erkannt — ihm wird eine konkrete Realisierung auf Grund der Daten des unmittelbaren Gedächtnisses zugeordnet. Das ist jedoch nur eine ganz grobe Annäherung an die Beschreibung der realen Prozesse, die offensichtlich vor sich gehen. Die Sache ist die, daß das Auftreten des aktuellen Wortes selbst höchstwahrscheinlich nicht unabhängig von den Kriterien ist, über die wir verfügen. Diese Kriterien determinieren in gewissem Maße das Suchen des Wortes selbst. Wir kommen etwas später noch darauf zurück. Was den Charakter der hier benutzten Kriterien betrifft, so sei darauf hingewiesen, daß eine grammatische Korrelation räumlich entfernter Außerungselemente (unabhängig von der konkreten grammatischen Struktur der Sprache) ausschließlich möglich ist zwischen: a) dem Subjekt und dem Prädikat, b) dem Beziehungswort und dem Attribut, c) seltener dem Objekt und dem Prädikat. Anders gesagt, die Kongruenz (oder die Rektion, was keinen Unterschied bedeutet) ist ein bestimmtes Charakteristikum des Prädikationsprozesses (im weiten Sinne, wir wir den Ausdruck früher verwendet haben, als wir 223
v o m „ V e k t o r e n m o d e l l " s p r a c h e n ; vgl. dieses K a p i t e l § 3). S o k a n n es sich hier a m ehesten u m den realen A b l a u f (in dieser oder jener konkreten Realisierungsform) des Prozesses handeln, der potentiell mit d e m A u f t r e t e n eines S t ü t z e l e m e n t e s z u s a m m e n h ä n g t ; die Kriterien, von denen hier die R e d e ist, sind in diesem F a l l e b e s t i m m t e Charakteristika der zu prädizierenden S t ü t z e l e m e n t e hinsichtlich des Prädikationsprozesses (vgl. d a r ü b e r § 8 dieses K a p i t e l s ) . Dieses g a n z e Problem bedarf einer ergänzenden experimentellen und theoretischen A n a l y s e , die im R a h m e n des vorliegenden B u c h e s nicht geboten werden k a n n . Wir beschränken uns auf die obige F e s t s t e l l u n g der allgemeinsten Momente in der Organisation dieses A s p e k t s des G e d ä c h t nisses. Besonders wichtig ist f ü r uns, d a ß wir es i m Prozeß der Reproduktion der i m u n m i t t e l b a r e n G e d ä c h t n i s gespeicherten D a t e n nicht so sehr mit einem Prozeß eigentlicher E r i n n e r u n g als mit einem Prozeß des Erkennens oder der Identifizierung zu tun h a b e n . Die E r innerung ist ein Prozeß, der durch die Identifizierung stimuliert wird. Wie geht nun diese Identifizierung v o r sich? In den letzten J a h r e n wurden ihre Mechanismen recht h ä u f i g u n t e r s u c h t . E s g i b t zwei Modelle der Identifizierung: d a s Wahrscheinlichkeitsmodell und d a s Modell der zwei Z u s t ä n d e . I m ersten Modell 1 2 7 wird j e d e m S t i m u l u s , von d e m d a s S u b j e k t angeben muß, ob er bereits früher aufgetreten ist, eine b e s t i m m t e q u a n t i t a t i v e Wahrscheinlichkeitscharakteristik zugeschrieben. Wenn diese eine gewisse Schwelle überschreitet, wird der S t i m u l u s als bereits v o r g e k o m m e n identifiziert. I m zweiten Modell wird j e d e m S t i m u l u s nur ein „ P l u s " oder „ M i n u s " zugeschrieben. 1 2 8 In diesem F a l l e erklären sich mögliche Fehler (bei der Reproduktion von Wörtern 1 0 % , von S ä t z e n 1 2 % und von Bildern 2 % ; nach den A n g a b e n von R . N. S h e p a r d ) nicht aus einer B e w e g u n g der Schwelle nach oben oder unten, sondern aus einem einfachen, statistisch determinierten Auswahlfehler. N a c h S h e p a r d ist d a s Modell der „zwei Z u s t ä n d e " experimentell besser fundiert. In bezug auf das u n m i t t e l b a r e Gedächtnis s t i m m t dies wahrscheinlich a u c h . J e d o c h f ü r das Operieren an Wörtern mittels des p e r m a n e n t e n Gedächtnisses ist d a s Modell des ersten T y p s geeigneter. Verweilen wir noch beim unmittelbaren G e d ä c h t n i s . B e i der Erzeug u n g einer Äußerung verfügen wir einerseits über eine Anzahl „ a l t e r " J . Nachmias, S. Sternberg, An Analysis of the Reeognition Process: J . R. Egan, Reeognition Memory and the Operating Characteristics. Vgl. R. N. Shepard, Reeognition Memory for Words, Sentences and Pictures, S. 161. 128 Vgl. R. D. Luce, A Threshold Theory for Simple Detection Experiment, aber auch J . Nachmias, S. Sternberg, a. a. O.; R. N. Shepard, a. a. 0 .
127
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und andererseits über eine Reihe „neuer" Stimuli. Im Verlaufe der Erzeugung erfolgt die Gegenüberstellung beider Gruppen und die Aussonderung der „alten" Stimuli in der Reihe der „neuen", wobei ihnen bestimmte sprachliche Charakteristika zugeschrieben werden. Der Prozeß dieser Gegenüberstellung verläuft nach den Angaben der oben zitierten Arbeit von Sternberg außerordentlich schnell (bis zu 30 Einheiten in der Sekunde). Wenn man bedenkt, daß das Aussprachetempo etwa 1 bis 4 Wörter in der Sekunde beträgt 1 2 9 und daß jedes Wort nicht mehr als 5 bis 6 syntaktisch relevante grammatische Merkmale hat, so ist dies mehr als ausreichend. Im übrigen wäre es interessant, zu untersuchen, ob nicht bei starker Beschleunigung des Sprechtempos und größerer grammatischer „Belastung" die Kongruenz innerhalb der Rede zurückginge. Bis jetzt sprachen wir im wesentlichen nur von den grammatischen „Verpflichtungen" und gingen nicht auf das Wesen des Operierens mit semantischen Einheiten ein. Wenn wir uns nunmehr dieser Seite des Problems zuwenden, so ist als Wichtigstes zu vermerken, daß wir es beim Sprachgedächtnis nicht mit eigentlich semantischen, sondern mit assoziativen Charakteristika zu tun haben. 1 3 0 Hier ist überhaupt zu unterstreichen, daß es, insofern wir keine eigentliche linguistische Analyse durchführen, sondern mit Sprechprozessen operieren, immer nur um Assoziationen geht. Die verschiedenen Arten „semantischer Felder", „semantischer Gruppen" usw., die auf der Basis des bewußten Vergleichs der Wortbedeutungen aufgestellt werden, sind für die Redemechanismen irrelevant. Bei der Sprechtätigkeit kommen wir ausschließlich mit dem in Berührung, was T. Slama-Cazacu treffend die „dynamische Strukturierung" der Bedeutungen genannt hat 1 3 1 , d . h . mit der labilen, individuellen, dem Einfluß unterschiedlichster subjektiver und objektiver Faktoren unterworfenen dynamischen Wechselbeziehung von gerichteten Prozessen, welche mit der Reproduktion von Elementen des sogenannten „Lexikons" in der Rede zusammenhängen. 1 3 2 Wir werden auf diese Frage noch zu sprechen kommen. 129 Vgl. in diesem Zusammenhang die Ergebnisse des Experiments von L. A. Öistovic (Y. A. KOITTEBHHKOB, JI. A. HHCTOBHI (red.), P e i b . ApTHKynfmHH II BoenpHHTHe, S. 8 7 ff.). 130
,31 132
G. A. Miller, J . Selfridge, Verbal Context and the Recall of Meaningfull Material. T. (Slama-) Cazacu, La „structuration" dynamique des significations. V g l . i n d i e s e m Z u s a m m e n h a n g A . A . J l e o H T b e B , CJIOBO B p e i e B O i t HeHTeJlb-
HOCTH, S. 184—186. — Interessant ist auch die Umorientierung einiger Lingu-
225
E s wurde bereits festgestellt (vgl. die Angaben von J . Deese, J . L . Prentice u. a., K a p . II § 3), daß ein deutlicher psychologischer Unterschied zwischen dem assoziativen und dem grammatischen Kontext besteht. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auch auf bestimmte Fakten aus dem Gebiet der Sprachpathologie. So zeigen die Beobachtungen B . V. Zejgarniks an Schizophrenen (zum „abgerissenen Sprechen"), daß bei ihnen „trotz Fehlens des Sinngehalts der Rede nicht selten die grammatische Form erhalten bleibt". 1 3 3 Dabei kann ein und dasselbe Phänomen des „abgerissenen Sprechens" sowohl in F o r m von desemantisiertem Sprechen auftreten (H nejioeeK 6uji necmHbiä, r xomeji na nyxmo CMompemb, y Menn nacu, na nomopbix ecrrib noeepenHuü . . . „ich war ein ehrlicher Mensch, ich wollte auf die K ü c h e sehen, ich habe eine Uhr, auf der ein Eingeweihter ist . . . " ; Cujia Konyca 3ÜKOHOM / Bjiacmuo deücmeyem eucomnuM. / fljia, NODHAMUÜSOPUAOHMOM / Bo nojieme cmujieM BHOCHUM — aus dem Brief eines Schizophrenen an die Abteilung für Sprache und Literatur der Petersburger Akademie der Wissenschaften vom J a h r e 1915, mit einer möglichen deutschen Entsprechung: „ K r a f t des K o n u s wirkt gewaltig / Durch Gesetz der großen Höhen. / Für des Horizonts Erhebung / Mittels neuen Stils im F l u g e " ) als auch in F o r m einer Störung des Assoziationssystems: „In weniger ausgeprägten Fällen, wo sich die 'Zerrissenheit des Denkens' nicht im spontanen Sprechen äußert, läßt sich durch experimentell-psychologische Untersuchung der reiche und vieldimensionale Charakter der Assoziationen der K r a n k e n aufzeigen, das Vorherrschen von Sprachschablonen, von Verbindungen gemäß dem Zusammenklang." 1 3 4 Hieraus erhellen die prinzipielle Einheit assoziativer und „semantischer" Prozesse und der assoziative Charakter der letzteren. Andererseits wird auch von Fällen berichtet, in denen die grammatische Strukturierung einer Äußerung gestört ist, während die Semantik unverletzt bleibt (insbesondere fixiert das unmittelbare Gedächtnis nicht die g r a m m a tischen „Verpflichtungen"). Man vergleiche Gespräche wie die folgenden zwischen dem Experimentator (A. R . Lurija) und Aphatikern: „ D e n Hund h a t das Pferd angebellt. S t i m m t das oder n i c h t ? "
133 134
isten in diesem Sinne: Siehe insbesondere S. Widlak (C. BllflJiaK, IIpoÖJieMH 3BeMH3Ma Ha $OHe TeopHH nauKOBOro ikwih). — Auch E. Coseriu, Lexikalische Solidaritäten, stellt deutlich das „semantische Feld" als abstrakt-logischen Begriff der „Solidarität" als zur Rede gehörigem Begriff gegenüber. Siehe auch: r . C. LUyp, 0 6 accoiiJiaTHBHHx rpynnax B natiKe. Vgl. B . B . 3eitrapHHK, Hapyrnemra MHIIIJISHHH y RTCMXHIECKII SoJitHtix, S. 20. Vgl. ebenda.
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— „ D a s s t i m m t . " — „ W a s bedeutet d a s ? " — „ D a ß der H u n d das Pferd erkannt und begonnen hat, es anzukläffen . . . " — „ D i e Laterne wird von der Straße beleuchtet. Ist das richtig?" — „Freilich, das ist richtig." — „ U n d die Straße wird von der Laterne b e l e u c h t e t ? " — „Auch das ist richtig." — „ I s t denn das eine wie das andere r i c h t i g ? " — „Natürlich . . . " Zwei S ä t z e werden vorgelegt: „ D i e Sonne wird von der E r d e erleuchtet. Die E r d e wird von der Sonne erleuchtet." — „ D a s ist dasselbe. Das ist gleich . . ," 1 3 5 F ü r Personen, die an bestimmten Arten von Aphasie (mit einer Störung der grammatischen Strukturierung der Äußerung) erkrankt sind, ist es schwerer, sich einen S a t z einzuprägen als eine einfache Reihe sinnvoller Wörter. Bei normalen Versuchspersonen ist es gerade umgekehrt (vgl. die Angaben Epsteins, S a p o r t a s u. a.). Dabei h a t die Störung der grammatischen S t r u k t u r bei gleichzeitiger Erhaltung der assoziativen S t r u k t u r eine phonetische Verschmelzung benachbarter Wörter zur F o l g e : Tpanmop nawem Tpawem136 (eine deutsche Entsprechung wäre: Vater badet Vadet. D. Hrsg.). Gestützt auf Ergebnisse der Aphasieforschung, schlug D. Howes vor, beim Sprechen zwei psychologische Mechanismen (den konstruktiven und den statistischen) zu unterscheiden, von denen jeder sozusagen „gesondert" gestört sein kann. 1 3 7 E s besteht Grund zu der Annahme, daß der statistische Mechanismus etwas anders aufgebaut ist als der konstruktive. Während das Gedächtnis für die g r a m m a t i schen „Verpflichtungen" (nach Sternberg) ein Gedächtnis des „ F a k t u m s " und nicht des „ O r t e s " ist und es mit isolierten Elementen zu tun hat, geht es im Falle der Assoziationen um die Erscheinung der Kumulation (vgl. die Angaben von Howes und Osgood in K a p . II § 3 ) ; gerade daher rührt die phonetische Verschmelzung von Wörtern bei Aphatikern. Um das Problem genauer zu behandeln, gehen wir vom unmittelbaren zum permanenten Gedächtnis, dem „Langzeit-Gedächtnis", über. Nach Broadbent sind für das „Langzeit-Gedächtnis" mindestens drei Faktoren relevant: die semantische (assoziative) Nähe der Wörter, ihr Klang und ihre subjektive Wahrscheinlichkeitscharakteristik. 1 3 8 135 Vgl. A. P . JlypHH, O naTOJiorHH rpaMMaTiiiecKHx onepaniifi, S. 87. — Lurija selbst interpretiert diese Erscheinung, die von ihm „impressiver Agrammatism u s " genannt wird, etwas anders. 136 M. M. ConoBteB, O naTonoraiecKOM M3MeHeHiin peießtix npencTawiemiß, S. 27. Siehe auch: A. H. JlHIIKHHa, 0C06eHH0CTH 3pHTeJIBHOÖ H CJiyXOBOffi naMHTH n p w npoBOHHHKOBOü a $ a 3 H H , S . 1 1 4 . 137 138
D. Howes, Foundations of a Physiological Theory of Human Language. Siehe D. E. Broadbent, Recent Analyses of Short-term Memory.
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Der Gedanke, daß im Redemechanismus das Wahrscheinlichkeitsprinzip zur Anwendung gelangt, s t a m m t von B. Mandelbrot. 1 3 9 Aus jüngsten Arbeiten über das Gedächtnis, insbesondere aus den bereits zitierten Veröffentlichungen von Nevel'skij, geht klar hervor, daß dieses Prinzip ausschließlich in dem Glied zum Tragen kommt, das wir mit Nevel'skij „permanentes Gedächtnis" nennen. Wir haben den Terminus „subjektive Wahrscheinlichkeitscharakteristik" verwendet. Dieser Terminus ist nicht zufällig. Er hängt damit zusammen, daß den Redemechanismen nicht die apriorische „sprachliche" Wahrscheinlichkeit, die Häufigkeit eines Wortes in den Texten der jeweiligen Sprache usw. zugrunde liegt, sondern eine Größe, die die Organisation der Wörter nach der Häufigkeit in der Tätigkeit des aktuellen Sprechers, mehr noch: in seiner aktuellen Tätigkeit, widerspiegelt (obgleich die prinzipielle Organisation einheitlich bleibt). Diese subjektive Wahrscheinlichkeitsorganisation wurde in bezug auf Operationen mit nichtsprachlichen Stimuli in letzter Zeit in der Sowjetunion und in den USA ausgiebig untersucht. 1 4 0 Wir wollen nicht alle zur Zeit vorliegenden Materialien über die Wahrscheinlichkeitsorganisation des Gedächtnisses behandeln, sondern n u r auf einige der für uns wichtigsten Aspekte eingehen. Seinerzeit haben Miller und P. E. Nicely 141 hervorgehoben, daß bei der Wahrnehmung eines Wortes unter den Bedingungen von weißem Rauschen die einzelnen lautlichen (akustisch-artikulatorischen) Merkmale des Wortes unabhängig voneinander wahrgenommen werden und die Identifikationsschwellen für die einzelnen Merkmale unterschiedlich sind. So läßt sich die Zahl der Silben sogar bei sehr starkem Rauschen einschätzen. In diesem Zusammenhang hat Savin 1 4 2 folgende Hypothese aufgestellt: Wenn wir über eine bestimmte 139 Vgl. B. Mandelbrot (russische Übersetzung B . MaHflenböpoT, O peityppeHTHOM KOAHpOBaHHH, 0rpaHHHHBdH)Hj6M BJiHHHHe noMex). Weitere L i t e r a t u r zu dieser Frage in P . M. OpyMKHHa, A. II. BacHJieBHH, BepoHTHoeTb «iOBa H BOCnpHHTHe peHH. „Die H y p o t h e s e besteht in der A n n a h m e , d a ß das W o r t gemeinsam m i t seiner Wahrscheinlichkeit im G e d ä c h t n i s ' n o t i e r t ' w i r d . " (Vgl. P . M. OpyMKHHa, üpoßjieMH BOCnpHHTHH CJIOB B 3SBHCHM0CTH OT HX BepoHTHocTeü, S. 93.) 140 Siehe A . H . JleoHTbeB, E . I I . KPHHHHK, üepepaöoTKa HWJJOPMAMNI nenoBeKOM B CHTyaijHH Bbiöopa. 141 G. A. Miller, P. Nicely, Analysis of P e r c e p t u a l Confusions A m o n g Sonic English Consonants. 102 H . B. Savin, W o r d - f r e q u e n c y E f f e c t a n d E r r o r s in t h e Perception of Speech. — Savins H y p o t h e s e w u r d e experimentell b e s t ä t i g t : L. L. H ä v e n s , W. E . Footc, The E f f e c t of Competition on Visual ü u r a t i o n Thresholds and its I n d e p e n d e n c e of Stimulus Frequency.
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Anzahl von Merkmalen eines Wortes verfügen, so suchen wir innerhalb einer kleinen Gruppe besonders häufiger Wörter, welche die vorliegenden Merkmale besitzen. Mit der Vergrößerung der Zahl der Merkmale erweitert sich entsprechend die Menge von Wörtern, innerhalb deren recherchiert wird, usw. So hängt die hohe oder niedere Identifikationsschwelle mit der Mächtigkeit der Teilmenge zusammen, welche die nach bestimmten Merkmalen vereinten Wörter bilden; gibt es wenige solcher Wörter und können sie nach den vorliegenden Merkmalen nicht verwechselt werden, so ist die Schwelle niedriger (und umgekehrt). Mit anderen Worten: Wir führen eine Art Bewegung im Bereich der lautlichen Merkmale eines Wortes durch, und beim Übergang von einem Merkmal zum anderen verändern sich entsprechend die statistischen Parameter. In diesem Zusammenhang ist die Frage von Interesse, welcherart die Merkmale sind, die dabei benutzt werden. Leider gibt es nur wenige Arbeiten zu diesem Thema, von denen wir den bemerkenswerten Aufsatz R. W. Browns und D. McNeills über das Phänomen des „Auf-der-Zunge-Liegens" und den Aufsatz von 0 . Spreen, J . G. Borkowski und A. L. Benton nennen. 143 In beiden Arbeiten wird jedoch nicht die Frage nach der Hierarchie der verwendeten Merkmale, sondern nur nach ihrer Nomenklatur gestellt, und das auch nur in beschränktem Maße. So bleibt diese Frage im Grunde genommen offen. Uns interessiert aber vor allem die prinzipielle Seite des Problems. Es läßt sich die Hypothese aufstellen, daß nicht nur die phonetischen (akustisch-artikulatorischen), sondern auch die semantischen Merkmale als Orientierungspunkte im Merkmalsfeld oder, wenn man will, als Ausgangsmerkmale für die Auswahl eines Wortes dienen können. Das heißt, wir „bewegen" uns nicht nur in einem Feld lautlicher Merkmale, sondern auch in einem Feld semantischer Merkmale. Ist ein Wort durch ein bestimmtes Merkmal charakterisiert, so wird es innerhalb einer bestimmten Frequenzgruppe von W örtern mit diesem Merkmal gesucht. Nur eine solche Annahme vermag den Mechanismus der Auswahl von Wörtern in der Äußerung auf Grund ihrer (im weiten Sinne) semantischen Charakteristik zu erklären. Verhält es sich wirklich so, dann wird der Mechanismus voll verständlich, welcher bei der Erzeugung einer Äußerung in Aktion tritt. Wenn wir die Äußerung beginnen, erfolgt eine bestimmte Verarbeitung der bei der Sprachperzeption bereits aufgetretenen semantischen 14
3 R. Brown, D. McNeill, The „Tip of the Tongue" Phenomenon; 0 . Spreen, J. G. Borkowski, A. L. Benton, Auditory Word Recognition as a Function of Meaning. 229
Einheiten bzw. der semantischen Stützeinheiten für die Spracherzeugung nach ihren assoziativen semantischen Parametern („semantischen Markern"). Von diesen „Markern" heben sich einige gegenseitig auf, andere scheiden von Anfang an aus Gründen des Kontexts und der Situation aus, usw. Mit anderen Worten: Es kommt zu einer Art Durchsicht und Selektion der semantischen Merkmale. Suchen wir ein bestimmtes Wort, so verfügen wir bereits über einen Vorrat von Merkmalen, nach denen es gefunden werden kann, sowie auch über Merkmale, die ihm offensichtlich nicht zukommen können, und „durchlaufen" im weiteren diese und andere für das Wort mögliche Merkmale in einer bestimmten Reihenfolge. Dabei entsteht ein Effekt vollständiger oder partieller „Resonanz". Bei partieller Resonanz werden in die Suche nicht nur ein Wort, sondern gleichzeitig mehrere hinsichtlich ihrer semantischen Merkmale verwandte Wörter einbezogen; es fehlt aber ein vollständiger Vorrat akustisch-artikulatorischer Merkmale, wie sie für eine endgültige Entscheidung notwendig sind. Solche partielle Resonanz entspricht auch dem bekannten Phänomen des subjektiven „Entfallens" eines Wortes. 144 Übrigens ist ein ähnlicher Mechanismus von Durchsicht und Selektion auch bei einer Orientierung auf die akustisch-artikulatorischen Merkmale möglich. Hier ist die Selektion auf jeden Fall durch die Besonderheiten des motorischen Programms (in dem Teil, der bereits realisiert wurde) eingeschränkt. Somit verläuft, wenn die hier entwickelte Hypothese zutrifft, die Suche normalerweise auf zwei voneinander unabhängigen Wegen: auf der Grundlage einer Hierarchie lautlicher Merkmale und auf der Grundlage einer Hierarchie semantischer Merkmale, wobei den semantischen Merkmalen der Vorrang zukommt. In einigen Fällen jedoch, und zwar bei Kindern, bei Erwachsenen unter Einwirkung verschiedener Reizmittel, bei Schizophrenen 145 usw., trifft man ein Vorherr144 Vgl. R. Jakobson, Linguistic Glosses to Goldstein's „Wortbegriff". Ein Prozeß des von uns beschriebenen Typs wird von Broadbent angenommen; vgl. D. E. Broadbent, Perceptual and Response Factors in the Organization of Speech. — In völlig anderem Zusammenhang erscheint der Gedanke von der Möglichkeit einer Suche nach semantisch-assoziativen Merkmalen in O. K. THX0MHp0B, 9BpHCTHKa KaK npoÖJieMa ncHXOJiorHH MhimneHiiH. Dort heißt es auf S. 88: „. . . Man kann die Aktualisierung der Assoziationsschablone Frucht—Apfel im assoziativen Experiment als stark reduzierte Form des Suchens innerhalb der Menge assoziativer Verbindungen ansehen." Die Idee distinktiver semantischer Merkmale aber ist bereits in den frühen Arbeiten V . l . Abaevs zu finden: vgl. etwa B. H . Aöaeß, IIOHHTHG HNEOCEMAHTHKH. Siehe: B. B. 3eftrapHHK, HapymemiH MHimieHiiH y nciixiwecKJi 6OJH>HHX, S. 17.
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sehen des „lautlichen" Prinzips, und statt einer Durchschnittsbildung k a n n eine zufällige Wortwahl innerhalb einer endlichen Teilmenge erfolgen. Wir wollen kurz auf die Frage eingehen, wie der hier entwickelte Begriff der „semantischen Merkmale" zu interpretieren ist. Oben haben wir die Auffassung vertreten, daß der semantische Aspekt der Außerungserzeugung assoziativer Natur ist; zur Bestätigung dieser These nannten wir insbesondere die Arbeiten von Zejgarnik. Wenn das stimmt, h a t man das System der semantischen W'ortmerkmale auch auf dem Gebiet der Assoziationen zu suchen und sie nicht als „semantische Bedeutungskomponenten" der Lexik auf der abstraktlogischen Ebene zuzuordnen. Einen solchen Versuch unternahm insbesondere J . Deese, der den Begriff der „assoziativen Bedeutung" entwickelte. Er n a h m einige Dutzend Wörter, die in den assoziativen Normen von H. G. Kent und A. J . Rosanoff als Reaktion auf den Stimulus „Schmetterling" (butterfly) aufgetreten waren, und verwendete sie in einem assoziativen Experiment als Stimuli. Dabei zählte er, wie oft jeder dieser Stimuli in einem solchen Experiment als Reaktion a u f t r a t . Auf diese Weise wurden die wechselseitigen assoziativen Beziehungen zwischen Wörtern untersucht, die objektiv zu einer semantischen (assoziativen) Gruppe gehören. Als er die Ergebnisse einer Faktorenanalyse unterzog, erhielt Deese ein System aus sechs Faktoren. F a k t o r 1 wird in Wörtern realisiert, welche Tiere bezeichnen (Motte, Insekt, Vogel, Fliege, Käfer, Biene usw.), Faktor 2 in Wörtern, die dem Merkmal „Tier" deutlich entgegengesetzt sind (Farbe, Blume, blau, gelb, Sonnenschein, Garten, Himmel, Natur, Sommer, Frühling), deren semantisches „Gesicht" jedoch nicht sehr klar ist. F a k t o r 3 gestattet es, die Lebewesen in „positive" und „negative" einzuteilen. F a k t o r 4 ergibt eine Aufgliederung der „Unbelebten" (Sommer, Sonnenschein, Garten, Blume, Frühling— blau, Himmel, gelb, Farbe). In der Gruppe „Musik" beinhaltet der erste F a k t o r die Wörter Musik, Oper, Orchester, Pianino, Lied, Sinfonie, Instrument, der zweite Faktor Ton, Klang, Lärm, laut, hören, Ohr. In der Gruppe „aggressiver W ö r t e r " beschreibt einer der Faktoren genau die Waffen (Gewehr, Pistole, Kugel, Sprengstoff), aber auch Explosion und Beschuß usw. 146 Wenn man Deeses Resultate analysiert, erkennt m a n leicht, daß 146 Vgl. J. Deese, On the Structure of Associative Meaning; ders., The Structurc of Associations in Language and Thought, chapter IV (The Psychological Structure of Meaning).
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sich die Faktoren dort als nicht hinreichend genau bestimmbar erwiesen, wo sie eine f ü r die semantische Gruppierung offensichtlich unzureichende Menge von Wörtern beschrieben. Es wäre interessant, unter diesem Gesichtspunkt eine umfassende Untersuchung einer bedeutenderen Gruppe auf breiterer experimenteller Basis durchzuführen (bei Deese wirkten insgesamt n u r 50 Versuchspersonen mit, was bekanntlich nicht ausreicht, u m zu statistisch zuverlässigen Ergebnissen zu gelangen). Eine solche Untersuchung wird möglich sein, wenn man sich auf die Materialien des zur Zeit in Arbeit befindlichen Wörterbuches der typischen Assoziationen im Russischen stützen kann. Auf alle Fälle zeigen die Ergebnisse von Deese, daß es möglich ist, mit Hilfe von Assoziationsexperimenten objektiv die semantischen Merkmale von Wörtern zu ermitteln. D. A. Norman 1 4 7 richtete seine Aufmerksamkeit darauf, daß die Kriterien der Wortwahl im Langzeit-Gedächtnis durch die konkrete Strategie des Subjekts in der jeweiligen Situation determiniert werden. Alles hängt davon ab, welche Aufgabe vor dem Subjekt s t e h t : Es wird auf eine Weise handeln, wenn eine fehlerfreie Antwort gefordert wird, und auf andere Weise, wenn zwar ein Fehler gestattet ist, aber die Latenzzeit möglichst kurz sein muß. Damit führen wir in unser Problem das heuristische Prinzip ein; und der Platz, den es erwiesenermaßen allgemein in der Psyche des Menschen einnimmt, läßt die Vermutung zu, daß man es auf ein größeres Gebiet ausdehnen kann, als es bei Norman geschehen ist. Insbesondere ist anzunehmen, daß es die Bevorzugung der einen oder der anderen Reihe von Merkmalen (der phonetischen oder der semantischen) als Grundlage f ü r die Wortsuche regulieren k a n n ; das bedeutet, es hängt von der konkreten Situation bzw. Klasse von Situationen ab, ob wir ein Wort nach semantischen oder phonetischen Kriterien suchen (ganz zu schweigen davon, wie diese Kriterien mit Wahrscheinlichkeitskriterien zusammenhängen). Genau diesen heuristischen Weg beschreitet das Subjekt in einer von I. Goldiamond und W. F. Hawkins beschriebenen Situation 1 4 8 : Wenn ein Wort nicht erkannt ist, bedient sich die Versuchsperson in diesen Versuchen einer besonderen Strategie, indem sie Wörter (als Reaktionen) mehr oder weniger willkürlich aus der Teilmenge der häufigsten Wörter entnimmt. In diesem Zusammenhang sind auch die Ergebnisse von R. P. Abelson zu sehen, der gezeigt hat, daß es bei 147
148
D. A. Norman, Memory and Decisions. Siehe auch: A. H. JleOHTteB, E. II. KPHHMHK, üepepa6oTKa NMJIOPMAIJIIH NEJIOBEKOM B CHTYAIPM BuSopa. I. Goldiamond, W. F. Hawkins, Vexierversuch.
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der Variierung einer Äußerung eine Gruppe von Verben (help, need, use, buy, produce) u. a. gibt, deren Bedeutungen besonders leicht generalisiert und auf die neue Äußerung ausgedehnt werden. 149 Geht man von einer Hierarchie der „semantischen Marker" aus, so erhebt sich natürlich die Frage, welcherart diese Hierarchie ist, insbesondere wie nahe sie der von Katz und Fodor angenommenen Hierarchie steht (vgl. Kap. I I § 18). W i r möchten betonen, daß vieles in der Theorie von Katz und Fodor (vor allem die Idee der paths und die Ausführungen zur Wechselbeziehung der paths verschiedener Wörter) bestechend ist. Aber bei Katz und Fodor staffelt sich die Hierarchie deutlich von größerer zu geringerer Generalisierung. Das bedeutet, daß das Merkmal „Konkretheit — Abstraktheit" im Prinzip für das Operieren mit dem Lexikon relevant sein müßte. Darüber gehen jedoch die Auffassungen auseinander. So gelangte Nevel'skij zu dem Schluß, daß „Gattungsbegriffe besser als Artbegriffe behalten werden" 150 , wobei sich erwies, daß die Versuchsperson leichter Einschränkungen als Verallgemeinerungen vornimmt. Diese Ergebnisse werden durch Beobachtungen an stimulierten Assoziationen bestätigt. (Es handelt sich um eine doppelte Stimulierung: Neben dem eigentlichen Stimulus erscheint ein zweiter, der die Bewegungsrichtung — d. h. Verallgemeinerung oder Einschränkung — angibt, von der Versuchsperson aber subjektiv als Reaktion der zweiten Versuchsperson aufgenommen wird.) Wie sich zeigte, ist es merklich leichter, sich in Richtung der Einschränkung zu bewegen. 151 Andererseits erwies sich im Experiment von Spreen und anderen zur Identifizierung einsilbiger sinnvoller Wörter der Faktor, welchen die Autoren S (specificity) nannten, als irrelevant für die Identifizierung. 152 Im Lichte des Obengesagten entsteht das Problem: Kann man annehmen, daß das Wort irgendwo im „Lexikon" des Gehirns „eingetragen" ist und daß die hier beschriebenen Wege und Verfahren für die Suche einzig und allein darauf gerichtet sind, diese Eintragung zu finden? W i r sind anderer Auffassung. W i r meinen: Ein Wort ist in Form seiner Suche eingetragen. Indem wir mit den entsprechenden Merkmalen operieren, „vergleichen" wir bereits die „Eintragung" im 149
R. P. Abelson, Heuristic Process in the Human Application of Verbal Structures in New Situations.
150 V g l . n . B . H e B e j i B C K H i t ,
3anoMiraaHiie
H YRAHTMAHIIE
BHHOBHX
H
POROBHX
IIOHHTHIT, S . 1 1 9 . 151 182
Mündliche Mitteilung von L. A. Novikov, dem Leiter des Experiments. 0. Spreen, J. G. Borkowski, L. Benton, Auditory Word Recognition as a Function of Meaning, Abstractness and Phonetic Structure.
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Lexikon. Und es h a t k a u m einen Sinn, irgendwo in den Nervenzellen das E n g r a m m der Lautform eines Wortes, irgendeinen „Abdruck" mit angefügtem „ E t i k e t t " zu suchen. 153 Das Wort ist also seine Suche. Wenn uns ein benötigtes Wort „entfallen" ist, so bedeutet das, daß wir über das Wort eigentlich auch noch nicht verfügten: Wir sind mit unserer Suche nicht bis zum Ende vorgedrungen. Was aber steht am Ende, wenn nicht das „Eng r a m m " ? Anscheinend einfach das Signal für das Ende des Suchens. Was für eines, das wissen wir nicht. Wie steht es nun mit den verschiedenen heuristischen Verfahren und überhaupt mit der Möglichkeit, auf unterschiedlichen Wegen ein und dasselbe Wort zu suchen? Diese Frage muß in einige selbständige Fragen zerlegt werden. Zunächst ist nach den heuristischen Verfahren zu fragen. Jedes derartige Verfahren ist nur eine Art „short cut", ein Hilfssystem von Handlungen, das auf einem bestimmten „festeren" Ausgangsschema a u f b a u t . Zweitens: Was heißt „ein und dasselbe W o r t " ? Hier sind verschiedene Fälle zu berücksichtigen : a) E i n Weg des lautlichen und v e r s c h i e d e n e Wege des semantischen Suchens. In diesem Falle haben wir es damit zu tun, was traditionell als Homonymie oder Polysemie des Wortes bezeichnet wird; vom S t a n d p u n k t der kontextuellen Bedingtheit sind diese beiden Begriffe nicht unterscheidbar. b) E i n Weg des semantischen und v e r s c h i e d e n e Wege des lautlichen Suchens. In diesem Falle treffen wir auf die Erscheinung der Synonymie. Natürlich handelt es sich nicht um eine „absolute", eine lexikalische Synonymie (diese gibt es gar nicht), sondern um sogenannte kontextuelle Synonymie. 153
Natürlich bedeutet das nicht, daß nicht irgendwo im menschlichen Nervensystem die Bedeutungen als ganzheitliche Gebilde „notiert" sein können. Wenn es aber solche „Eintragungen" gibt, dann nur im Bereich der Kontrolle, nicht jedoch im Bereich der Realisierung, genauso wie die Phoneme offensichtlich gerade im Bereich der Kontrolle „notiert" sind. Es sei nochmals unterstrichen, daß sich das Gesagte auf die Erzeugung und nicht auf die Wahrnehmung von Rede bezieht. Es ist selbstverständlich, daß sich der Charakter des Suchens bei der Redeperzeption entschieden vom Suchen bei der Redeerzeugung unterscheiden muß. Der amerikanische Psycholinguist J. G. Martin schreibt hierzu: „Bei der Codierung folgen die Wörter der Struktur, bei der Decodierung gehen sie ihr voraus." (Vgl. J. G. Martin, Hesitations in the Speaker's Production and Listener's Reproduction of Utterances, S. 908). Selbstverständlich wird dadurch nicht im geringsten die prinzipielle Adäquatheit des Modells der „Analyse durch Synthese" bezweifelt.
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c) Verschiedene Wege lautlichen wie semantischen Suchens. In diesem Falle ist die dritte unserer Fragen zu stellen: Was heißt „verschiedene Wege" des Suchens? Es unterliegt keinem Zweifel, daß es in ihnen bestimmte Invarianten geben muß und auch gibt (anderenfalls wäre das „Lexikon" ganz und gar unorganisiert); diese Invarianten sind sozusagen Wegweiser und bilden eine objektive Charakteristik für das Suchen. Für die überwiegende Mehrheit der Wörter des Lexikons verlaufen lautliches und semantisches Suchen unabhängig voneinander. Es gibt jedoch in jeder Sprache eine bestimmte Gruppe von Wörtern, deren Suche sozusagen synchronisiert ist. In bezug auf diese Gruppe kann man von „lautlichem Symbolismus" sprechen. Gewöhnlich verwerfen die Linguisten ihn als unwissenschaftlich. Aus dem Gesagten erhellt, daß er im Prinzip außerhalb der Linguistik liegt; dafür fügt er sich aber gänzlich in den Rahmen der Psycholinguistik ein. Die Mehrzahl der diesbezüglichen Experimente wird nach einer Methodik durchgeführt, die noch von E. Sapir entwickelt worden ist: Man nimmt entweder zwei sinnlose Wörter wie mal und mil und zwei Bilder, z. B. die Darstellungen eines großen und eines kleinen Tisches, und bittet die Versuchsperson zu sagen, welches der Wörter welchen Gegenstand bezeichnet; oder man nimmt ein solches W o r t p a a r und fragt, welches der W ö r t e r z . B. auf englisch 'hell' und welches 'dunkel' bedeutet. 1 5 4 Für uns ist der Versuch von M. S. Miron besonders interessant, in dem ein Zusammenhang zwischen gewissen akustischartikulatorischen Merkmalen und bestimmten semantischen Bewertungen hergestellt wurde (Ausgangsmaterial waren sinnlose Silben). Es erwies sich, daß hier von der Sprache unabhängige Korrelationen existieren. Zum Beispiel ergab die Senkung eines Vokals den Effekt „ K r a f t " , während die vordere Artikulation eines Konsonanten mit „Angenehmem" verbunden wurde, usw. 155 Natürlich stehen solche Korrelationen mit nicht eigentlich semantischen Merkmalen in Zusammenhang; vgl. hierzu die Ergebnisse von C. E. Noble. Zum Schluß noch eine Bemerkung über das mittelbare Suchen. Es handelt sich um eine besondere Suchstrategie, bei der wir bewußt 154
Eine Übersicht über die bis 1958 erschienene Literatur findet sich in R. W. Brown, Words and Things. — Von den späteren Arbeiten vgl. R. W. Brown, R. Nuttall, Method in Phonetic Symbolism Experiments; I. K. Taylor, Phonetic Symbolism Re-examined; J. H. Weiss, Phonetic Symbolism Re-examined; I. K. Taylor, M . M. Taylor, Another Look on Phonetic Symbolism. Siehe: A. A. JleOHTbeB, nCHXOJIHHrBHCTHKa, S. 57 f. 155 M. S. Miron, A Cross-linguistic Investigation of Phonetic Symbolism.
17
Psycholinguistische Einheiten
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nicht den optimalen Weg beschreiten. Diese Form der Suche ist besonders gut am Beispiel fremdsprachlicher Lexik beobachtbar, die mittels der „Übersetzungsmethode" (über die muttersprachliche Lexik) angeeignet wird.
§ 8. Die Realisierung
des
Außerungsprogramms
Wir kommen nunmehr zur nächsten E t a p p e der Erzeugung und wollen zu verstehen versuchen, wie die konkrete grammatische und lexikalische Realisierung des Programms vor sich geht. Wir wollen von vornherein klarstellen, daß wir über diese E t a p p e die allerwenigsten positiven Kenntnisse besitzen und daß dementsprechend der vorliegende Paragraph meist Sätze enthält, welche nicht durch Experimente erhärtet, sondern eher auf deduktivem Wege entwickelt worden sind. Natürlich ist die im folgenden dargelegte Konzeption, von der wir oben bereits einige P u n k t e gestreift haben, hypothetisch; aber vom psychologischen S t a n d p u n k t aus ist sie, soweit wir uns ein Urteil erlauben können, wahrscheinlich. Zunächst gehen wir mit Worth auf der Grundlage seiner oben erläuterten Argumentation davon aus, daß die Äußerung auf einer bestimmten (relativ frühen) E t a p p e ihrer Erzeugung grammatisch inhomogen ist, d. h. daß den einzelnen Komponenten des Programms im wesentlichen unabhängige grammatische Konstruktionen entsprechen, die erst im weiteren Verlauf innerhalb des Satzes sekundär organisiert werden. Diese Hypothese paßt gut zu den modernen Vorstellungen über die Mechanismen der grammatischen Erzeugung. Wir verweisen hier vor allem auf die zusammenfassende Arbeit von H. B. Curry, der zwischen „Tektogrammatik" und „Phänog r a m m a t i k " unterscheidet. Es sind dies „zwei Ebenen der Grammat i k : eine erste, auf der wir die grammatische S t r u k t u r an sich studieren, und eine zweite, die sich zur ersten so verhält wie die Morphophonemik zur Morphologie". 156 Diese beiden Stufen werden auch als zwei verschiedene Typen formaler Systeme definiert, nämlich einerseits als Systeme abstrakter Objekte (ob systems) und andererseits als syntactical or concatenative systems. In ersteren haben die Verbindungen zwischen den Symbolen keine räumlichen Charakteristika, in letzteren sind die Symbole durch die lineare Operation der concatenation oder Verkettung miteinander 156 Vg]_ H. B. Curry, Some Logical Aspects of Grammatical Structure, S. 65. 236
verknüpft. „Das System der abstrakten Objekte ist die Invariante einer größeren Klasse von Variationen der Darstellung des Systems als das konkatenative System." 1 5 7 Eine enge Parallele zu dieser Differenzierung findet sich in der phänotypischen und genotypischen Stufe der generativen Grammatik, die von S. K . Saumjan eingeführt wurden und eine wesentliche Grundlage des applikativen generativen Modells von S a u m j a n und Soboleva bilden (vgl. oben K a p . II § 24). 158 Ahnliche Gedanken werden in letzter Zeit auch von Linguisten geäußert, die sich zu den Anhängern der sogenannten „Stratifikationsgrammatik" zählen (S. Lamb und H. A. Gleason). 1 5 9 Die gewichtigste Begründung für die Notwendigkeit, eine nichtlineare und eine lineare Etappe in der Erzeugung der Äußerung zu unterscheiden, gab unseres Erachtens Worth in seinem schon mehrfach zitierten Aufsatz (vgl. vor allem K a p . II § 19). Wir erinnern an Worths Vorschlag, den IC-Teil der generativen Grammatik in zwei Zyklen zu untergliedern. Der erste Zyklus soll nur Regeln des Typs X yz enthalten, der zweite, welcher mit einer gewissen Verzögerung parallel arbeitet („Die erste Regel des zweiten Zyklus basiert auf den Ergebnissen der ersten Regel des ersten Zyklus"), enthält Regeln des Typs: „Wenn K1, dann yz —»• y + z"; „Wenn K'2, dann yz —> z + y".m Offenbar haben die Auffassungen der genannten Autoren (vor allem Worths) eine gewisse reale Grundlage in der Psychologie der Spracherzeugung. Wir wollen versuchen, das Schema der dabei vor sich gehenden Prozesse zu skizzieren, wie es sich uns im Lichte der modernen experimentellen Ergebnisse und unter dem Gesichtswinkel der von uns vertretenen allgemeinpsychologischen Position darstellt. Das erste Glied in unserer Konzeption ist der Übergang vom Programm zu einer gewissen Anzahl von Stützeinheiten. Es handelt sich hier offensichtlich um solche Elemente, die weder schon eine entwikkelte lautliche Ausformung noch eine volle semantische Charakteristik besitzen. Um diese Elemente zu „finden", ist natürlich das kompliziert aufgebaute Suchen, von dem wir oben sprachen, nicht 157 Vgl. H. B. Curry, Foundations of Mathematical Logic, S. 61. 158 Erstmals findet sich diese Differenzierung in C. K . IIIayMHH, Ilpeo6pa30BaHHe HHifiopMaiiHH b npoqecce i i o s h c L h h h h AByxcTyneHiaTaa TeopHH CTpyKTypHoii JIHHrBHCTHKH. 1 5 9 Siehe hierzu: H . fl. ApyTi0H0Ba, CTparH(|inKai(HOHHaH MOjjejib H3HKa. Vgl. auch das Modell von Sestier (oben K a p . II § 25) und die Überlegungen von Braine ( K a p . II § 13). 160 Vgl. d . S. Worth (russ. fl- C. YopT, 0 6 OTOöpaateHHH jimrefiHbix oraomeHHö B nopojKAaioinHX M o n e n a x n s u K a ,
17'
S.
53).
237
nötig. In dieser E t a p p e werden nur die wichtigsten, die minimalen Merkmale herangezogen, die eine hinreichend große semantische Klasse abgrenzen und es im Laufe der weiteren Erzeugung gestatten, aus dieser Klasse unterschiedliche Varianten auszuwählen. Das gleiche gilt auch für die Ausdrucksebene, wo nur das Minimum der notwendigen lautlichen Charakteristika eines Wortes benutzt zu werden braucht (und es ist möglich, daß sich dabei auch der subjektive Code erhält, soweit wir es allein mit dem Ausdruck zu t u n haben). Wie man sieht, unterscheidet sich unser Modell von dem T. V. Rjabovas dadurch, daß f ü r uns in der E t a p p e des semantischen Suchens diese Suche nicht vollständig erfolgt. Dabei gehen wir von der Überlegung aus, daß das Suchen der semantischen Merkmale eines Wortes — wie bereits festgestellt — von den semantischen Charakteristika derjenigen Wörter abhängt, die in der Linearität der Rede vorangehen; das Modell von Rjabova kennt keine solche Annahme. Der Unterschied dieser E t a p p e zur E t a p p e der Programmierung besteht in folgendem: a) Die prädizierten Elemente sind vom subjektiven in den objektiven Code übertragen, b) Die prädizierenden Elemente, die als funktionale Charakteristika der prädizierten Elemente auftraten, sind ebenfalls in den objektiven Code übersetzt. Dabei existiert in irgendeiner nichtlinearen (simultanen) Form eine Verbindung zwischen diesen Elementen. Wenn wir von Elementverbindungen oder -gruppen sprechen, dann denken wir nur an diejenigen Verbindungen, die von Osgood als qualifizierend bezeichnet wurden (vgl. oben Kap. II § 12). Welcherart kann die Verbindung der genannten Elemente sein? Möglicherweise besteht sie darin, daß einem lautlichen „ S u b s t r a t " zwei (oder mehr) Komplexe „minimaler" semantischer Merkmale zugeordnet werden oder daß (was im allgemeinen dasselbe ist) Merkmale als minimal behandelt werden, die in realen sprachlichen Einheiten, in realen Lexemen nicht gemeinsam vorkommen (zum Beispiel setzt 3ejietib — das deutsche Grün für Gras — gleichzeitig die Merkmale der Eigenschaft und der Gegenständlichkeit voraus). In dieser E t a p p e äußert sich die sprachliche Spezifik der Erzeugung lediglich in der Auswahl semantischer Merkmale. Es ist anzunehmen, daß diejenigen Merkmale ausgewählt werden, die f ü r die folgenden E t a p p e n der Realisierung relevant sind (vgl. unten). Somit besitzen wir als Ergebnis der ersten E t a p p e sozusagen einen Vorrat von Aussagen über die prädizierten Glieder. Dies sind „Aussagen" des Typs der Künstler ist begabt, das Bild ist interessant, Künstler und Bild sind durch das Malen verbunden (zum Zweck der 238
Illustrierung bedienen wir uns des gewöhnlichen sprachlichen Codes). Wir werden künftig in diesem Sinne von „prädikativen Paaren" sprechen. Bilden nun diese „Aussagen", diese „prädikativen P a a r e " einen Vorrat im eigentlichen Sinne, also das, was in der Theorie generativer Grammatiken als „Liste" bezeichnet wird? Höchstwahrscheinlich nicht: Es ist zweckmäßig, in dieser E t a p p e das Vorhandensein einer bestimmten Hierarchie anzunehmen, die der hypothetischen Hierarchie der Elemente des Programms nahesteht. Wenn eine derartige Hierarchie existiert, dann muß sie der „Tektogrammatik" von Curry entsprechen, d. h. von der Form X -> yz sein. Mithin enthält die „Grammatik" dieser E t a p p e nur Angaben über das Eingehen der prädizierten Wörter in „prädikative Paare" und prädikativer Paare in prädikative Paare größeren „Umfangs". Wie man leicht sieht, entspricht diese Grammatik im großen und ganzen dem Model von A. Sestier und M. D. S. Braine. Betrachten wir nunmehr die zweite Etappe. Das Wichtigste, was hier innerhalb eines prädikativen Paares zu geschehen hat, ist die Verteilung der semantischen Merkmale des Paares auf seine Glieder, die Umcodierung des „prädikativen Paares" in eine Einheit oder (allgemeiner) in eine Gruppe von Einheiten der jeweiligen konkreten Sprache. Es versteht sich, daß diese Verteilung in den verschiedenen Sprachen unterschiedlich verläuft. Allem Anschein nach treten die „quantifizierenden" Verbindungen in dieser E t a p p e erstmalig auf, und zwar als Resultat der Gruppierung bestimmter Merkmale in den prädikativen Paaren zu besonderen Einheiten, welche von der Struktur der jeweiligen Sprache abhängen, aber syntaktisch irrelevant sind. Das zweite, was innerhalb eines „prädikativen Paares" zu erfolgen hat, ist seine „Linearisierung", der Übergang vom simultanen Prinzip zum sukzessiven. Mit anderen W o r t e n : Es ist eine bestimmte Ordnung der Elemente innerhalb des prädikativen Paares herzustellen. Welcherart diese Ordnung ist, hängt von einer Vielzahl von Faktoren a b ; für uns ist besonders wichtig, wodurch die Auswahl des ersten Wortes der Äußerung bedingt ist. In der Mehrzahl der Sprachen der Welt 1 6 1 steht an erster Stelle in der Äußerung das Subjekt oder die Subjektgruppe (dies gilt etwa für 24 der 30 von J . H. Greenberg untersuchten Sprachen). Jedoch besteht ungefähr 5 0 % Wahrscheinlichkeit, daß inner161 Vgl. J. H. Greenberg, Some Universals of Grammar with Particular Reference to the Order of Meaningfull Elements; K>. C. CTenaHOB, OCHOBH H3HK03Ha-
hhh, S. 139-141.
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halb der Subjektgruppe an erster Stelle nicht das Subjekt, sondern ein Attribut steht. Nichtsdestoweniger sei die Hypothese aufgestellt, daß die Anfangsstellung des Subjekts der Äußerung (das auch das grammatische Objekt sein kann) zu den echten Universalien zählt. Die typologischen Darlegungen Greenbergs und die Ju. S. Stepanovs lassen nämlich eine ganze Reihe von Charakteristika unberücksichtigt, die auf die Wortfolge in den Einzelsprachen Einfluß ausüben. Es sind dies: a) die Hervorhebung eines Elements des Programms (in der Äußerung durch Inversion); b) der Kontext (vor allem das, wovon vorher die Rede war); c) der Charakter der Äußerung (Existenzaussage oder Beschreibung); d) die Situation; e) der Grad der Willkürlichkeit beim Aufbau der Äußerung, der sich von völliger Spontaneität zu mehr oder weniger bewußter Auswahl der lexikalischen bzw. syntaktischen Mittel bewegt. Das Russische wird von Stepanov zur Gruppe der Sprachen mit vorangestelltem Adjektiv gezählt. Untersucht man jedoch einfach einmal 20 Seiten eines zeitgenössischen russischen Textes, der der Umgangssprache hinreichend nahekommt (wir haben dazu einen Sammelband mit Abenteuergeschichten — IIpuKMonenun, Moskva 1968 — benutzt), so erweist sich, daß kein einziger Satz auf diesen Seiten mit einem Attribut beginnt, wenn man den oben aufgezählten Charakteristika Rechnung trägt; d. h. unberücksichtigt bleiben beispielsweise Konstruktionen mit klarer logischer Betonung auf dem Attribut wie HopMCUibHUÜ HejioeeK . . . „(ein normaler Mensch . . .") (. . . hätte das und das getan, anders jedoch der Held der Erzählung) oder Konstruktionen eindeutig „literarischen" Charakters, die der lebendigen Sprache nicht eigen sind (es trafen sich zwei Mädchen: Mcuienbuaa moscrnyiUKa . . . „das kleine Dickerchen . . . . . tat das und das, die andere jedoch etwas anderes) usw. Wenn man reale umgangssprachliche Texte, insbesondere Tonbandaufzeichnungen, analysiert, so stellt man fest, daß in ihnen nicht nur Attribute am Satzanfang praktisch fehlen, sondern daß sogar die umgekehrte Tendenz besteht, das Subjekt aus der Äußerung „auszuklammern" und syntaktisch zu neutralisieren: A pyccnuü xonneü — Mbi mpcuiu ecesda („Aber russisches Hockey — wir haben es immer gespielt"). 162 Es sei angemerkt, daß eine solche Tendenz nicht 162 Vgl. j n diesem Zusammenhang O. A. JlanTeBa, AKTHBHoe (fiyHKljHOHHpOBaHHe ycTHo-pa3roBopHbix cHHTaKCHnecKHx nocTpoemift. — Die Autorin führt für das „ausgeklammerte" Subjekt den speziellen Begriff „Nominativ des Themas"
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nur im Russischen, sondern auch in anderen Sprachen vorhanden ist und dort bisweilen zu einer Kanonisierung des „ausgeklammerten" Subjekts als gesetzmäßige syntaktische Erscheinung führt — zumindest in Fällen der Emphase. Wir meinen also, daß das Subjekt (genauer: das grammatische Subjekt) in der Äußerung als eine Art Ausgangseinheit auftritt und daß Abweichungen von diesem Fall sekundär sind und eine Art Hierarchie von Faktoren der Inversion bilden. Im übrigen wird die „Syntax" der spontanen mimischen Rede gerade nicht unmittelbar auf das Programm, sondern auf die zweite Etappe seiner Realisierung bezogen (eine dritte Etappe fehlt in dieser speziellen Form von Rede). Was muß nun in der Äußerung als Ganzem vor sich gehen? Kaum etwas, was grundsätzlich anders wäre, ist doch die Äußerung auf dieser Stufe ebenfalls ein prädikatives Paar (oder ein prädikatives Tripel), lediglich von einer höheren hierarchischen Klasse. Mit anderen Worten: Die Hierarchie der Stützwörter und ihrer „prädikativen Funktionen" wird in dieser Etappe durch eine Hierarchie der prädikativen Paare ersetzt, welche in jedem Fall linear organisiert sind. Den einzelnen Wörtern (Wortäquivalenten) sind hier noch keine grammatischen Merkmale zugeordnet. Die folgende, dritte Etappe der Realisierung163 ist die wichtigste. In ihr erfolgt die konkrete lexikalisch-grammatische Charakterisierung der Äußerung im Zuge einer linearen Links-rechts-Bewegung durch die gesamte Äußerung. Dieser Prozeß beginnt damit, daß dem Ausgangselement alle notwendigen Parameter zugeschrieben werden, und zwar: die inhaltlich-grammatische Charakteristik (der Platz im allgemeinen syntaktischen Schema des Satzes); die „grammatischen Verpflichtungen", d. h. die konkrete Realisierung dieser Charakteristik sowie die syntaktisch irrelevanten grammatischen Merkmale; die Gesamtheit der semantischen Merkmale; die Gesamtheit der akustisch-artikulatorischen Merkmale. Was ist eigentlich das „syntaktische" oder „grammatische Schema" der Äußerung, von dem wir hier sprechen? Wahrscheinlich ist es ein System wechselseitig verbundener syntaktischer Charakteristika beein: Vgl. insbesondere S. 351ff., wo Konstruktionen des Typs AneJibCHH npHHecTH ncwiOBHHKy? (etwa „Apfelsine — ein Stückchen?"), Tßopor n a ^ e w y („Quark ein Päckchen") usw. analysiert werden. '63 Es ist durchaus wahrscheinlich, daß diese Etappe — entsprechend der Auffassung von Worth — fast gleichzeitig mit der zweiten einsetzt, d. h. sobald das erste prädikative Paar vollständig bestimmt ist, beginnt seine Bearbeitung nach den Regeln der dritten Etappe.
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stimmter Wörter (nur bestimmter, da wir offenkundig die Äußerung nicht in allen Details prognostizieren), und zwar nicht formaler, sondern inhaltlicher Charakteristika (d. h. nicht eine bestimmte Endung dient zur Charakterisierung, sondern deren Funktion, z. B. „grammatisches Subjekt"). Von einem System kann man insofern sprechen, als wir, wenn wir einem Wort z. B. die Eigenschaft „Träger des grammatischen Subjekts" zugeordnet haben, einem anderen Wort die Eigenschaft „Träger des grammatischen Prädikats" zuschreiben müssen, usw. Grammatische Charakteristika dieser Art gehören notwendig zur Äußerung als Ganzem; auf das isolierte Wort angewandt, sind sie sinnlos. Das Ausgangswort dient als eine Art „Meßpunkt": Haben wir es erzeugt, so stellen wir im weiteren auf seiner Grundlage verschiedene Prognosen hinsichtlich des möglichen syntaktischen Schemas der Äußerung auf (vgl. die Arbeit von D. S. Boomer, Kap. II § 11 dieses Buches). Gerade wegen seines syntaktisch offenen Charakters wird das Ausgangswort selbst — wie bereits oben festgestellt — häufig aus der Äußerung „ausgeklammert" und syntaktisch neutralisiert (Tlema, n eao euepa eudeji „ P e t j a , den habe ich gestern gesehen"; Ilemu, OH 6UJI enepa y MENSI „ P e t j a , der war gestern bei mir"). Wenn wir über diesen „Meßpunkt", dem u. a. die grammatischen Verpflichtungen zugeordnet sind, sowie über das allgemeine syntaktische Schema der Äußerung verfügen, vergleichen wir das Schema mit unserem Wissen über das Programm und anderen „apriorischen" Angaben über den Satz, welche wir bereits besitzen. Dabei wird selbstverständlich nicht das ganze Schema zugrunde gelegt, sondern nur der Teil, der mit der inhaltlich-syntaktischen Charakteristik des Ausgangswortes verknüpft ist. Es können sich folgende zwei Varianten ergeben: a) Ubereinstimmung: Das syntaktische Schema entspricht der Strukt u r des Programms oder — genauer — den „apriorischen" Daten insgesamt. In diesem Falle bewegen wir uns weiter von links nach rechts und wählen das folgende Wort auf Grund verschiedener Merkmale aus: nach dem syntaktischen Schema, den vorhandenen „Verpflichtungen" (Selektion der Verpflichtungen), dem Kontext, der Situation (Selektion semantischer Merkmale) usw. H a t das Wort seine volle Charakteristik erhalten, überprüfen wir erneut die Ubereinstimmung mit dem Programm, usw. b) Nichtübereinstimmung: Sie kann verschiedene Ursachen haben. Die einfachste Variante besteht darin, daß unsere syntaktische 242
Prognose falsch war. In diesem Falle kommt es zur Überprüfung der Prognose, dem Satz wird ein anderes syntaktisches Schema zugeordnet, und dies so lange, bis Übereinstimmung erzielt ist. Es kann jedoch sein, daß sich trotzdem keine Ubereinstimmung ergibt. Dann müssen wir zum Ausgangswort zurückkehren, ihm eine andere syntaktische Charakteristik zuordnen und somit eine Transformation des prognostizierten Schemas durchführen. Von welcher Art die erste Zuordnung ist, hängt von der konkreten Sprache ab. Für das Russische wird sie offenbar „grammatisches Subjekt" lauten (d. h. dem Agens wird zunächst das grammatische Subjekt zugeordnet, bei Fehlschlag das grammatische Objekt), für das Indonesische hingegen gerade umgekehrt „grammatisches Objekt". Dieses Grundprinzip der Grammalikalisierung des Programms, das den Charakter der möglichen Transformationen determiniert, ist vorgegeben und liegt außerhalb des einzelnen Aktes der Erzeugung einer Äußerung. Im übrigen wird bei ansonsten gleichen Umständen die Auswahl der jeweiligen Variante im Rahmen dieses Prinzips (d. h. ohne Transformation) in starkem Maße von der Häufigkeit der entsprechenden Konstruktion in der Sprache abhängen. Ein anderer möglicher Ausgang ist die Notwendigkeit, die Struktur des Programms zu überprüfen (wenn wir aus irgendeinem Grunde gezwungen sind, uns an eine bestimmte Variante der prognostizierten Konstruktion zu halten; vgl. etwa das Experiment von J . C. Marshall — oben Kap. II § 21, Anm. 183 —, wo eine ambivalente Konstruktion in Abhängigkeit von der Struktur des vorangegangenen Satzes interpretiert wird). Sind das prognostizierte Schema und das Programm zur Übereinstimmung gebracht, so schreiten wir so lange weiter, bis das Ende der Äußerung erreicht ist: Die Prognose ergibt Null, es existieren keine freien, nicht erfüllten Verpflichtungen mehr, alle Möglichkeiten des semantischen Kontextes sind ausgenutzt, das Programm ist bis zum Schluß „durchlaufen". Das syntaktische Schema kann — einmal angenommen — eine lineare Inversion der einzelnen Wörter in einem „prädikativen Paar" sowie der „kleinen" prädikativen Paare innerhalb der „großen" nach sich ziehen. Mit anderen Worten: Haben wir uns für eine bestimmte Variante des syntaktischen Schemas entschieden, so verändern wir entsprechend die linearen Beziehungen der prädikativen Paare. Es ist nicht ausgeschlossen, daß gewisse Gesetzmäßigkeiten einer solchen Umstellung mit der sogenannten „Projektivität" zusammenhängen, die als Eigenschaft wohlgeformter syntaktischer Konstruktionen von 243
Y. Lecerf entdeckt und für das Russische u. a. von L. N. Iordanskaja untersucht worden ist. 164 In welchem Maße entspricht die prognostizierte Konstruktion dem IC-Baum? Auf diese Frage läßt sich nicht antworten, aber es ist klar, daß wir es hier mit einem bestimmten konstruktiven Prinzip vom gleichen Typ wie das IC-Prinzip zu tun haben. Uns scheint, daß das IC-Prinzip selbst zu formal ist, um für die Prognose-Konstruktion verwendet zu werden; daß seine Relevanz so gut wie experimentell erwiesen scheint, kann auch lediglich von der Relevanz der Darstellung der syntaktischen Struktur in Form eines Abhängigkeitsbaumes überhaupt zeugen. Welches Darstellungsprinzip wir auch wählen, es versteht sich, daß eine strukturell kompliziertere Äußerung eine größere Tiefe bzw. eine entsprechende Veränderung anderer ausgewählter Parameter für die Kompliziertheit ergibt. Wir haben ja keinerlei strenge quantitative Abhängigkeiten, die auf die psycholinguistische Relevanz gerade und allein des IC-Prinzips hinweisen; eher ist es umgekehrt. Nur auf das Experiment von W. J . M. Levelt (Kap. II § 13) kann hier verwiesen werden ; aber seine genaue Methode ist noch nicht publiziert, und aus den veröffentlichten Fakten läßt sich schließen, daß Levelt die Grenzen der traditionellen Vorstellung vom ICBaum überschritten hat. Mithin sind folgende Etappen bei der semantisch-grammatischen Realisierung des Programms anzusetzen: 1. Tektogrammatische Etappe. Ursprüngliche Codierung; minimale lautliche (oder andere) Charakterisierungen ; minimale semantische Charakterisierungen im objektiven Code; die prädizierenden Elemente werden den prädizierten Stützelementen in Form „ergänzender" semantischer Merkmale zugeordnet; das Prinzip der hierarchischen Organisation des Programms bleibt gewahrt (nur die Tatsache des Eingehens von Einheiten in größere Einheiten ist fixiert). 2. Phänogrammatische Etappe. Verteilung der semantischen Charakteristika auf zwei oder mehr Einheiten und Linearisierung dieser Einheiten entsprechend der Struktur der konkreten Sprache, einschließlich der Erzeugung „quantifizierender" Einheiten. 3. Etappe der syntaktischen Prognose. Zuordnung der vollen Menge von Charakteristika zum Ausgangswort. Auf seiner Basis Prognose der syntaktischen Struktur der Äußerung und Vergleich mit dem 164 Y . Lecerf, Programme des conflits, modèle des conflits; JI. H. HopffaHCKa«, CßoiicTBa npaBHJitHoö CHHTaKCHiecKOii CTpyKTypu H auropimi ee o6Hapy>KeHHH (Ha MaTepuaJie pyccnoro n3UKa).
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Programm. Bei Übereinstimmung Übergang zum nächsten Wort. Bei Nichtübereinstimmung Änderung der Prognose oder der Regeln des Übergangs vom Programm zur Äußerung oder des Programms selbst. Wenn nötig, Umgestaltung der linearen Anordnung der Komponenten. Aus dem Gesagten erhellt, daß in unserer Konzeption die syntaktische Struktur der Äußerung nicht von Anfang an gegeben ist, daß sie auch nicht teilweise gegeben ist und im Prozeß der Produktion der Äußerung lediglich ausgebaut wird. Unsere Darlegungen beziehen sich auf die Erzeugung der Rede. Was die Redewahrnehmung betrifft, so besteht hier Gemeinsamkeit mit der Erzeugung nur in der dritten Etappe, wobei dem Ausgangswort das erste, bereits geäußerte Wort entspricht, d. h. unsere Prognose stützt sich jeweils auf die real wahrgenommenen Wörter. Wie leicht zu sehen, steht das hier dargestellte Modell in vielem den Auffassungen N. I. 2inkins nahe. Nach seiner Meinung „wird sukzessive jedes Paar (bzw. mehrere Paare) syntaktisch verbundener Wörter fixiert und vorweggenommen. Gleichzeitig wird der allgemeine Sinn des auszusprechenden Satzes (in einem besonderen Code der inneren Sprache) fixiert." 1 6 5 Der aufmerksame Leser hat wahrscheinlich schon gemerkt, daß das vorgeschlagene Modell erstens gedacht ist als den bereits existierenden Modellen (zumindest hinsichtlich der ihnen zugrunde liegenden Prinzipien) nicht widersprechend, ja sie in gewissem Sinne einschließend, und daß es zweitens den Ergebnissen fast aller Experimente gerecht wird, die zum Beweis für die „Realität" der anderen Modelle durchgeführt wurden (mehr noch, einige dieser Experimente — wir haben im Zuge unserer Erörterungen im einzelnen auf sie hingewiesen — fügen sich sogar besser in unser Modell ein). Das bedeutet nicht, daß das vorgeschlagene Modell eklektisch ist; es ist einfach freier als andere Modelle und läßt dort, wo sich andere Modelle an e i n e n Weg halten, verschiedene Wege der Erzeugung zu. 1 6 6 Verweilen wir bei dieser Eigenschaft unseres Modells und heben wir noch einmal diejenigen Punkte hervor, in denen verschiedene Wege möglich sind. 1. Der Weg der Grammatikalisierung des Programms kann verschieden verlaufen. Im allgemeinen haben wir offensichtlich die Korre165 Vgl. h. H. J K H H K H H , RICHXOJIORIIQECKHE OCHOBH PASBHTHH peiH, S. 18. 166 Siehe auch: „Ein 'guter' Synthese-Algorithmus muß vielfältig sein." (Vgl. A. K. JKOJIKOBCKHA, H. A. MejibiyK, O BO3MO>KHOM METORE H HHCTpyMeHTax ceMaHTHiecKoro CHHTe3a, S. 23). 245
Jalion „Agens" (im Programm) — „ S u b j e k t " (im Satz), „ O b j e k t " (im Programm) — „Objekt" (im Satz). Man kann jedoch mit J . B. Carroll (Kap. II § 19) auch annehmen, daß als „Kern-", als „Tiefenstruktur" eine andere grammatische S t r u k t u r auftritt. Und die gleiche erzeugte S t r u k t u r wird für das Subjekt dem „ K e r n " entsprechen oder nicht — je nach der zuerst hergestellten Verbindung. So erklärt sich augenscheinlich das von J . Laffal und anderen (Kap. II § 17) beschriebene Phänomen des „umgekehrten Sprechens". Ein Experiment, in dem wir bei einer Versuchsperson von Anfang an eine „umgekehrte" Verbindung h ä t t e n studieren können, wurde jedoch leider nicht durchgeführt. 2. In Abhängigkeit von der konkreten Strategie können verschiedene Prozesse als konstant (bzw. labil) gewählt werden: der Prozeß der Grammatikalisierung oder der Prozeß der Prognose. Hier liegt wohl auch die Wurzel für die unterschiedlichen Auffassungen der Anhänger des IC-Modells und der Vertreter des Transformationsmodells — Differenzen, die keine prinzipielle Basis haben. 3. Die prognostizierten Konstruktionen und Schemata der Grammatikalisierung sind keine Beschreibungen realer Handlungen des Subjekts bei der Spracherzeugung. Das Subjekt stützt sich lediglich auf sie. Jedoch sind verschiedene Abweichungen von diesen strengen Schemata möglich. Diese Abweichungen sind bedingt durch die Existenz schon vor Beginn der Äußerung bereitstehender Wörter, Wortgruppen, Syntagmen usw., durch das Vorhandensein von Wörtern und Syntagmen, die bereits „ausgegeben", ja phonetisch realisiert worden sind (vgl. darüber weiter unten), bevor die Erzeugung der Äußerung als Ganzes beendet ist, usw. Zu der Auffassung, daß derartige „heuristische" Verfahren im Erzeugungsprozeß existieren, gelangten — bei der Untersuchung von selbsteinbettenden Sätzen — J . A. Fodor und M. Garrett. Sie schreiben im einzelnen: „Die Versuchsperson besitzt der Untersuchung zugängliche Heuristiken, die es ihr gestatten, direkte induktive Schlüsse über die Konfigurationen der Basisstruktur (d. h. über die hauptsächlichen grammatischen Beziehungen) auf Grund der Information über die entsprechende Oberflächenstruktur zu ziehen .Diese Heuristiken verwerten die Information, die in der Grammatik repräsentiert ist, sind aber selbst keine grammatischen Regeln in dem Sinne, in dem 'Regel' gewöhnlich — angewandt auf die Generierung von Sätzen — benutzt wird." 1 6 7 Hier 167 Vgl. J. A. Fodor, M. Garrett, Some Syntactic Determinants of Sentential Complexity, S. 295.
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liegt wohl auch der Schlüssel zum Problem der „linguistic Performance"; vgl. darüber Kap. II § 17. In letzter Zeit beschäftigt dieser Gedanke in steigendem Maße die amerikanischen Psycholinguisten, darunter auch die „HarvardSchule", d. h. die unmittelbaren Schüler und Mitarbeiter von Miller. Es mehren sich Äußerungen, die im Grunde genommen das ganze Problem der „Realität" des Modells von Chomsky und Miller in Zweifel ziehen. So sagt D. I. Slobin direkt: „. . . J e t z t ist klar, daß es zwischen 'syntaktischer Kompliziertheit' und 'psychologischer Kompliziertheit' keine eindeutige Entsprechung gibt." 1 6 8 Eine besonders entschiedene Auffassung vertritt in dieser Beziehung T. G. Bever, der das Problem der „psychologischen Realität" des einen oder anderen Modells für ein Scheinproblem hält (was — wie wir uns oben zu zeigen bemühten — völlig richtig ist) und das eigentliche Problem in etwas gänzlich anderem sieht, nämlich darin, „wie diese (linguistischen) Strukturen in den realen psychologischen Prozessen wie Wahrnehmung, Kurzzeit-Gedächtnis usw. zusammenwirken". 1 6 9 Die Unterscheidung von LC und L P hält er ebenfalls für künstlich, und es ist schwer, dem ebenso wie seinen anderen zitierten Ausführungen nicht zuzustimmen. Vgl. auch A. L. Blumenthal: „Die psychologische Organisation des Satzes ist nicht adäquat beschreibbar, wenn man sie ausschließlich als Segmentierung und kategoriale Klassifizierung von Wörtern ansieht." 1 7 0 G. J . Suci schließlich, der die Verteilung der Pausen im Material seines Experiments analysiert, welche aus der Struktur des IC-Baums nicht völlig vorhersagbar ist, äußert sich: „Das zeigt, daß auch andere strukturelle Grundlagen operativ sein können und daß die Pausen zur Identifizierung der Einheiten dieser anderen Strukturen dienen können." 1 7 1 Aber Suci gehört bereits zu einer anderen Gruppe von Psycholinguisten — die Osgood nahesteht —, und aus seinem Munde kommt eine derartige Folgerung weniger unerwartet. 168 "Vgl. D. I. Slobin, Recall of Füll and Truncated Passive Sentences in Connected Discourse, S. 9. 169 Vgl. T. G. Bever, Associations to Stimulus-response Theories of Language, S. 490. 7° Vgl. A. L. Blumenthal, Prompted Recall of Sentences, S. 206. — Übrigens war für Erklärungen dieser Art in der „Harvard-Schule" von Anfang an der Grund gelegt (vgl. das Chomsky-Zitat in Kap. I, Anm. 48, und analoge Äußerungen von Chomsky und Miller). Doch theoretische Deklarationen von Seiten der Häupter der „Harvard-Schule" sind e i n e Sache, eine in eigener experimenteller Arbeit gereifte Überzeugung eine ganz andere. 171 Vgl, G. J . Suci, The Validity of Pause as an Index of Units in Language, S. 31. l
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Wir betonen zum wiederholten Male: Im R a h m e n der hier postulierten Prozesse haben wir es durchaus nicht unbedingt und ausschließlich mit der Realisierung des IC-Modells oder des Transformationsmodells zu t u n . Hier hängt alles von der konkreten experimentellen Situation ab. Die gleichgute Beweisbarkeit der beiden entgegengesetzten S t a n d p u n k t e hängt damit zusammen, daß wir von Anfang an bei unserer Versuchsperson bestimmte Heuristiken herausarbeiten, daß wir sie veranlassen, einen ganz bestimmten von mehreren potentiell möglichen Erzeugungswegen zu wählen, und danach triumphierend erklären, daß dieser eine nach unseren Hinweisen gewählte Weg auch der einzig mögliche sei. Da sich zu dieser Zeit bei unserer Versuchsperson (das Experiment wird ja auf der Basis m u t t e r sprachlichen Materials durchgeführt) schon ganz bestimmte Verbindungen zwischen dem Programm und seiner Realisierung fixiert haben, wird das Experiment in der Regel „unsauber" sein, und von daher lassen sich sowohl die Resultate der IC-Anhänger (N. F. Johnson; vgl. den Hinweis auf die Arbeit von J . C. Marshall und R. J . Wales, Kap. II § 13, Anm. 95) als auch die der „Transformationalisten" (vgl. die Experimente von E. Martin und K. H. Roberts, P. H. Tannenbaum u. a., I. M. Luscichina sowie H. H. Clark, Kap. II § 20) in Frage stellen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß in den letzten J a h r e n in einer Reihe von Experimenten die Abhängigkeit der Entscheidung für Aktiv- oder Passivkonstruktionen von der Ausrichtung auf „Agens" oder „Patiens" der zu beschreibenden Situation nachgewiesen worden ist. 172 Was beweisen denn in Wirklichkeit die mit so viel Aufsehen verbundenen Experimente der Psycholinguisten zur Erforschung der „psychologischen" (oder „psycholinguistischen") „Realität" dieses oder jenes Modells? Eigentlich nur, daß bei der Spracherzeugung unter bestimmten, in der Regel implizit gegebenen Umständen auch das jeweilige Prinzip anwendbar ist. Man kann nicht behaupten, daß dies besonders viel ist. I. A. Mel'cuk und A. K. Zolkovskij schlagen in ihrer bereits zitierten Arbeit einen etwas anderen Generierungsweg vor. Ausgehend von der Idee des „semantischen Baums" oder „Sinn-Baums" (der sich aus Elementen dreier Kategorien — Prädikaten, Nomina und Adjunkten — aufbaut), meinen die beiden Autoren, daß die Generierung nacheinander drei Etappen durchläuft: eine semantische („Aus172
J. B. Carroll, Process and Content in Psychology; P. H. Tannenbaum, F. Williams, Generation of Active and Passive Sentences as a Function of Subject or Object Focus.
248
wähl aller faktisch möglichen syntaktischen Konstruktionen für den semantischen Baum"), eine syntaktische („Bestimmung der Wortfolge und der syntaktisch bedingten morphologischen Kategorien für jeden syntaktischen Baum") und eine morphologische Etappe („Aufbau und Einsetzung der realen Wortformen"). 173 Der Hauptunterschied zwischen diesem und dem hier vorgeschlagenen Modell läßt sich (wenn man von der trivialen Tatsache absieht, daß das Modell von Mel'cuk und Zolkovskij beträchtlich weiter ausgearbeitet ist als unser Modell) darauf reduzieren, daß das Modell von Mel'cuk und Zolkovskij in allen Etappen zwar mit einer „Basissprache", aber doch mit natürlicher Sprache operiert, was für die psycholinguistische Erzeugung der Äußerung wenig wahrscheinlich ist. In der grundsätzlichen Struktur der Modelle gibt es jedoch keine ernsthaften Widersprüche; denn wo wir mit dem Begriff der Prognose operieren, beschreiben Mel'cuk und 2olkovskij den gleichen Prozeß als Übergang von der Ausgangsstruktur zur Menge ihrer Realisierungen und als Auswahl der durch die Sprache (und andere Faktoren) zugelassenen Realisierungen. Ein Widerspruch entsteht nur, wo Mel'cuk die hypothetische Struktur der Etappe der syntaktischen Synthese angibt. 174 Es ist jedoch von Interesse, daß Mel'cuks Annahme zweier unabhängiger Mechanismen A (Einsetzung der actants) und B (Einsetzung der circonstances) dem entspricht, was wir oben in bezug auf das allgemeine Schema für die Erzeugung des Programms und das Schema seiner Entfaltung entwickelt haben. Des weiteren findet Mel'cuks Mechanismus D (die „kompensierende Bewegung" durch den Text) eine gewisse Parallele in unseren obigen Ausführungen über die Mechanismen der fortlaufenden Korrektur. Wenn man bedenkt, daß der Aufbau beider Modelle von fast diametral entgegengesetzten Seiten und sehr unterschiedlichen Grundpositionen erfolgte, so verdient unseres Erachtens selbst diese partielle Übereinstimmung größte Aufmerksamkeit. 173
174
Vgl. A. K . JKOJIKOBCKHÜ, M. A. MejibHyn, O BO3MOJKHOM Meiose h HHCTPYMEHTax ceMaHTHHecKoro CHHTesa, S. 24. Siehe auch: dies., O ceMaHTHiecKOM CHHTe3e. — Es ist charakteristisch, daß die Autoren im letztgenannten Aufsatz auf jegliche inhaltliche Interpretation von „Sinn" verzichten: „ E s scheint überhaupt zweckmäßig zu sein, den Sinn als Undefinierten Begriff einzuführen." (Vgl. a. a. 0 . , S. 177). H. A. MeJiMyK, K nocTpoeHHio fleftCTByiomeii Mo^enn H3tiKa. S. 87.
249
§ 9. Die Realisierung des motorischen
Programms
Als wir oben die Struktur der Mechanismen der grammatischen Realisierung behandelten, bemühten wir uns zu zeigen, daß sie allem Anschein nach auf einem System prädikativer Paare basiert, welche im typischen Fall dem Syntagma entsprechen (der „Phrase" der amerikanischen Deskriptivisten, der „funktionalen Klasse" bei Osgood, der „Konstituente" in der Theorie der IC usw.). Hier erfolgt auch die syntaktische Strukturierung der Äußerung, von der wir in § 4 dieses Kapitels sprachen, d. h. es werden die Orientierungspunkte für das künftige motorische Programm ausgewählt. Was wird dabei vorgegeben? Erstens verfügen wir über eine gewisse semantisch-syntaktische Struktur, d. h. wir haben die Wörter, die wir auszusprechen haben, zumindest teilweise bereits ausgewählt. Diesen Wörtern — das erhellt aus den bisherigen Darlegungen — sind zugeordnet (oder richtiger: diese Wörter sind selbst) einerseits semantische oder assoziative und andererseits lautliche Charakterisierungen. Mithin entsteht das kinetische Schema des Syntagmas oder das motorische Programm auf der Grundlage gewisser für den Suchprozeß relevanter „lautlicher" (akustisch-artikulatorischer oder — wahrscheinlicher — ausschließlich artikulatorischer) Merkmale. Zweitens besitzen wir den Code, auf dessen Basis der Prozeß der motorischen Programmierung eigentlich vor sich geht (wie der Prozeß der „grammatischen" Programmierung auf der Basis des gegenständlich-anschaulichen Codes verläuft). 175 Es handelt sich um den Code der Silben und ihrer Elemente („Anlaut", „Auslaut"). Die oben genannten „lautlichen" Merkmale werden den Silben und nicht den Lauten oder Phonemen zugeschrieben, bzw. wenn sie sich nicht auf eine konkrete Silbe, sondern auf eine Silbenfolge beziehen, so formieren sie eine bestimmte Organisation dieser Silben. Diese Organisation kann etwa betreffen die Korrelation von Bündeln akustisch-artikulatorischer Merkmale mit den einzelnen Komponenten der Silbe (speziell die „Reduktion" der Struktur K V K V zu K K V u. a.), die Akzentuierung, die Intonation, deren Organisation — wie L. V. Zlatoustova gezeigt hat — gerade im Rahmen des Syntagmas erfolgt 176 , usw. Drittens verfügen wir, wie schon gesagt, über einige entweder be1/5 Vgl. Zinkins Beschreibung der Sprache als „Code, codiert im Silbencode" ( H . H . J K H H K H H , B H y T p e H H H e KOAM H3BIKA H B H e i m m e KOÄH p e i H , S . 2 3 6 7 ) .
176
JI. B . 3jiaT0ycT0Ba, OoHeTHiecKan CTpyKTypa cnoBa B noTOKe peiH.
250
reits erzeugte oder „von außen" vorgegebene fertige Wörter und Wortgruppen als Schablonen. Im Prozeß der motorischen Programmierung benutzen wir ihre schon vorliegenden Charakteristika — sowohl die den individuellen Silben als auch die den Silbenfolgen zugeordneten —, d. h. wir unterziehen sie einer gewissen zusätzlichen Bearbeitung, oder genauer: es erfolgt die Auswahl der notwendigen Charakteristika aus der Zahl derjenigen, welche sich im operativen Gedächtnis reflektiert finden. Viertens haben wir — allerdings nicht immer — ein bestimmtes „großes" motorisches Programm. Es kann verschiedenen Charakters sein. Einerseits kann es sich um eine spezifische, für den Sinn der Äußerung relevante motorische Charakteristik der Äußerung handeln, beispielsweise um die intonatorische Organisation der Syntagmen. Andererseits kann es auch eine für den Sinn der Aussage irrelevante, wohl aber für die Wortwahl bedeutsame motorische Eigenschaft betreffen (d. h. von ihr sind bereits in der vorangegangenen Erzeugungsetappe gewisse Beschränkungen ausgegangen). Eine solche Eigenschaft ist z. B. in der poetischen Rede die rhythmische Struktur. Schließlich kann es eine motorische Eigenschaft betreffen, die nur vom S t a n d p u n k t der Realisierung des motorischen Programms relevant ist, z. B. das Sprechtempo. Somit baut sich das motorische Programm aus Merkmalen auf, die den Komponenten von Silben, ganzen Silben und Silbenfolgen zugeordnet sind. Es sei nochmals unterstrichen, daß uns hier noch nichts in der Art von Lauten oder Phonemen vorliegt, wie wir es natürlich auch mit der Lautung selbst noch nicht zu t u n haben. Was die Realisierung des motorischen Programms betrifft, so ergibt sich hier — soweit man es nach dem vorliegenden Material beurteilen kann — ein Bild, das der Realisierung des „grammatischen" Programms ähnlich ist. Im einzelnen läßt sich eine Parallele ziehen zwischen der Entfaltung einer Silbe zu einer Folge von Lauten und der Entfaltung eines Elements des „grammatischen" Programms zu einer Folge von Wörtern. Des weiteren: Wenn auf der Ebene des „grammatischen" Programms das Syntagma als Grundeinheit der Prognose erscheint, so ist auf der Ebene des motorischen Programms offenbar das Wort eine solche Einheit (obwohl es — wie es scheint — weder im einen noch im anderen Falle eine obligatorische Realisierung aller am Anfang der jeweiligen Einheit übernommenen Verpflichtungen gibt). Ferner „durchlaufen" wir in beiden Fällen Folgen von Elementen und treffen unsere Entscheidung über das jeweils folgende bzw. die folgenden Elemente auf Grund der vorangehenden Elemente plus der 18
Psycholinguistische E i n h e i l e n
251
Information aus dem Programm („Bei der Auswahl der Phrasen wurde die Information über die Rhythmik der Mitteilung und über die Merkmale der einzelnen Redelaute verwertet . . ," 177 ). Die Analogie (und unserer Meinung nach ist es mehr als Analogie, es ist das einheitliche Prinzip der Organisation der Sprachfähigkeit auf ihren verschiedenen Ebenen) ließe sich noch fortführen. Wir haben bereits davon gesprochen, daß bestimmte Formen der Rede möglich sind (vgl. die Glossolalie), die ausschließlich auf der motorischen Programmierung basieren. In diesem Falle hängt das motorische Programm überhaupt nicht mit dem Suchen des Wortes im Gedächtnis zusammen: S t a t t eines solchen Suchens erfolgt eine willkürliche „Auffüllung" des Programms nach einem spezifischen heuristischen Verfahren. Es ist jedoch auch eine Form von Rede vorstellbar, die einseitig mit dem skizzierten Suchprozeß verbunden ist: Ein Beispiel dafür ist das in § 5 dieses Kapitels angeführte „Gedicht"Sprechen aus Gor'kijs Meine Kindheit. In diesem Falle erfolgt das Suchen nur im Bereich der lautlichen Merkmale, während es sich im Bereich der semantischen Merkmale gewöhnlich auf das oben (§ 7) genannte Phänomen der Hinwendung zur häufigsten Gruppe beschränkt (wenn nur wenige lautliche Merkmale gegeben sind und das Suchen in diesem Feld unzweckmäßig ist). Betrachtet man das gewöhnliche Sprechen, so ist festzuhalten, daß hier bei der Wortsuche Information beteiligt ist, welche vom motorischen Programm ausgeht. Sie formiert ein bestimmtes Gebiet innerhalb des Feldes der lautlichen Merkmale des Wortes und entspricht damit offensichtlich dem Anfang der Suche im Merkmalsfeld. In der vorliegenden Arbeit werden wir die (realen und hypothetischen) Mechanismen der Realisierung des motorischen Programms nicht beschreiben. Dies ist ein so ernstes (und experimentell so relativ gut untersuchtes) Problem, daß es unzweckmäßig wäre, es in der hier gebotenen Beschränkung zu behandeln. Hinzu kommt, daß die Mechanismen der Realisierung des motorischen Programms nur einen peripheren Teil der Sprachfähigkeit bilden und daß ihre Untersuchung für das Grundthema dieses Buches irrelevant ist. Wir heben nur einzelne Momente hervor, die — wie uns scheint — bis jetzt in der Literatur nicht behandelt worden sind. Erstens ist zu beachten, daß die einzelnen konkreten Sprachen nicht nur durch unterschiedliche Mechanismen des Übergangs vom motorischen Programm zu seiner Verwirklichung charakterisiert sind 177
Vgl. B. A. KOHteBHHKOB, JI. A. npHHTHe, S. 220.
252
HmCTOBHH
(red.), Peib. ApTIIKyjIHIJHH H
BOC-
(und gerade die Herausbildung eines solchen Mechanismus ist Aufgabe des fremdsprachlichen Phonetikunterrichts), sondern auch durch unterschiedliche Programme. Gerade die Besonderheiten des motorischen Programms bestimmen die „individuellen" Merkmale einer Sprache, welche die Aufmerksamkeit eines Anderssprachigen vor allem erregen und doch so schwer zu erlernen sind, angefangen beim Intonationsschema der Äußerungen. Zweitens sei auf die bedeutende Rolle des motorischen Programms im Mechanismus der Entlehnung (insonderheit der mündlichen) hingewiesen. Eine solche Entlehnung ist im allgemeinen die Wiedergabe des auditiven Bildes eines fremdsprachlichen Wortes mit den Artikulationsmitteln (im weiten Sinne) der Muttersprache. Hier ist das motorische Programm einer der Hauptfaktoren; gerade darauf orientiert sich vor allem, wer fremdsprachliche Rede reproduziert; aber die „Streuung" der zur Ausfüllung des Programms gewählten Lauttypen kann sehr breit sein. Prozesse dieses Typs sind jedoch überhaupt noch nicht untersucht.
§ 10.
Schlußfolgerungen
Im Verlaufe dieses Kapitels bewegten wir uns sehr häufig im Bereich hypothetischer Konstruktionen. Während man dem ersten Kapitel „Prinzipien" und dem zweiten „ F a k t e n " als Untertitel geben könnte, würde zum dritten am besten „Hypothesen" passen. Zweifellos haben diese Hypothesen eine solide Faktenbasis. Jede von ihnen beruht auf bereits früher entwickelten und begründeten Vorstellungen über das Wesen und den Verlauf der psychischen Prozesse beim Menschen. Jede von ihnen entspricht den allgemeinen methodologischen Prinzipien, von denen wir ausgehen. Und schließlich geht jede von ihnen auf das Material an Fakten und — noch spezieller — experimentellen Ergebnissen zurück, über das wir gegenwärtig verfügen. Dennoch bleiben sie Hypothesen, bis sie eine eindeutige experimentelle Bestätigung erfahren. Da wir uns ein eingehendes Resümee der Ausführungen dieses Kapitels für den Schluß des Buches vorbehalten haben, beschränken wir uns hier auf die genannten Hypothesen, die wir in der Reihenfolge ihres Auftretens im Text skizzieren. 1. Die erste Hypothese betrifft die Rolle des teleologischen Faktors (Zielfaktors) in der Organisation des Systems der Sprechhandlungen und die Stellung, die dieser Faktor in der allgemeinen Motivie18:
253
rung des Sprechaktes einnimmt. Generell sei unterstrichen, daß der Gedanke von der Zielgerichtetheit des intellektuellen Verhaltens nicht nur nichts „Anstößiges" in philosophisch-wissenschaftlicher Hinsicht enthält, sondern daß er im Gegenteil allen grundlegenden modernen Theorien (den psychologischen wie den physiologischen) über das Verhalten zugrunde liegt; mehr noch, er unterscheidet gerade auch die unter dem Einfluß der marxistischen Philosophie entwickelten Verhaltenstheorien von gewissen pseudomaterialistichen Konzeptionen wie der behavioristischen. Wir verweisen hier insbesondere auf die Rolle, die das teleologische Prinzip in den Auffassungen Bernstejns, Vygotskijs und Uznadzes spielt. In der inneren S t r u k t u r des Sprechaktes erscheint der Zielfaktor als „Handlungsaufgabe", die durch die Programmierung der Tätigkeit festgelegt wird. Nur wenn diese Aufgabe (gewöhnlich in Form eines „Modells der Folgehandlung") gegeben ist, können wir unser Sprechverhalten erfolgreich realisieren. Dabei lassen sich diejenigen „Etagen" in der Struktur des Sprechverhaltens, die zuvor programmiert oder geplant werden (Sprechhandlungen), und jene „Etagen" oder Komponenten, die durch die konkreten Bedingungen der Tätigkeit determiniert werden (Sprechoperationen), klar differenzieren. 2. Die zweite Hypothese betrifft die Rolle des Wahrscheinlichkeitsfaktors und speziell der Wahrscheinlichkeitsprognose bei der Organisation des Systems der Sprechhandlungen. Unsere Auffassung zu dieser Frage stützt sich auf Bernstejns Konzeption von der „Modellierung des Künftigen" und auf Fejgenbergs Arbeiten über die Wahrscheinlichkeitsprognose. Mit anderen Worten: Es ist anzunehmen, daß die Auswahl einer sprachlichen Äußerung neben anderen Faktoren durch die vom Organismus gesammelte Wahrscheinlichkeitserfahrung gelenkt wird, d. h. im allgemeinen die Wahl derjenigen Handlung bedeutet, welche vom S t a n d p u n k t der Erreichung des Zieles am wahrscheinlichsten ist. Dabei sind verschiedene Varianten möglich, die mit den verschiedenartigen Wechselbeziehungen von Wahrscheinlichkeitserfahrung und Handlungsaufgabe zusammenhängen. Der Mechanismus der Wahrscheinlichkeitsprognose von Sprechhandlungen tritt besonders deutlich im Falle von Störungen zutage, insbesondere bei Schizophrenen (vgl. Zejgarnik, Fejgenberg) und bei Aphatikern, die am „Frontalsyndrom" leiden (vgl. Lurija). 3. Die dritte Hypothese besteht in der Annahme, daß das Phänomen, das nicht selten als „innere Sprache" bezeichnet wird und der „äußeren" Realisierung einer sprachlichen Äußerung vorangeht, 254
der Etappe des Plans (der Programmierung) der Sprechhandlung entspricht. Dieses Phänomen nennen wir im Unterschied zu der eigentlichen inneren Sprache, die eine andere funktionale Ausrichtung besitzt (insbesondere die Planung der nichtsprachlichen Handlungen), innere Programmierung. Wir gehen davon aus, daß gerade diese Etappe das Substrat der „aktuellen Gliederung" des Satzes ist. Ferner nehmen wir an, daß als Bestandteile in das innere Programm der Sprechhandlung nur die Korrelate der Grundkomponenten der Äußerung eingehen. Diese Korrelate sind gewöhnlich mit Hilfe des „gegenständlich-anschaulichen" Codes (2inkin) codiert. Diese äußere Seite der Programmeinheiten ist labil. Ihre inhaltliche Seite ist konstant. Sie hat eine Sinn-Natur (im Verständnis von „Sinn" bei A. N. Leont'ev und seinen Schülern). 4. Die vierte Hypothese ist als „Vektormodell" für die Erzeugung von Äußerungen charakterisierbar. Nach dieser Hypothese, die in ihren Grundlagen auf Lurija zurückgeht, läßt sich die Erzeugung einer Äußerung als eine Art Propositionalfunktion mit einer bestimmten Zahl von Argumenten, die den Komponenten des Programms entsprechen, oder als System solcher Funktionen betrachten, wobei im letzteren Falle für einige Funktionen als Argument ein Element erscheint, das seinerseits Ergebnis einer analogen Operation auf tieferer Ebene ist. 5. Die fünfte Hypothese besagt, daß in einigen Arten von Gedächtnis (wir vereinigen sie unter der Bezeichnung „Programmgedächtnis") das Programm der Äußerung verwendet wird. Im einzelnen gehen wir davon aus, daß bei der Erzeugung eines Satzes der Inhalt des vorangegangenen Satzes (oder der vorangegangenen Sätze) in Form des Programms „aufbewahrt" wird. In anderen Arten des Gedächtnisses (dem „Formgedächtnis") wird das motorische Programm (der motorische Plan) verwendet: Insbesondere bildet das motorische Programm den Mechanismus für das, was B. V. Tomasevskij als „rhythmischen Impuls" bezeichnet hat. 6. Die sechste Hypothese: Geht man vom Kriterium der funktionalen Orientierung des Gedächtnisses aus, so hat man im „Muttersprach Gedächtnis" nicht wie gewöhnlich zwei Kategorien (das Kurz zeit und das Langzeit-Gedächtnis), sondern zumindest drei zu unterscheiden : das unmittelbare Gedächtnis (Gedächtnis in den Grenzen der Äußerung), das operative Gedächtnis (Gedächtnis hauptsächlich während des Tätigkeitsaktes) und das permanente Gedächtnis (Gedächtnis für die Elemente des sprachlichen Codes, wobei 255
7.
8.
9.
10.
256
Gedächtnis als Prozeß und nicht als „Zelle", als Gegenstand, betrachtet wird. Diese drei Gedächtnisarten (die erstmals von Nevel'skij hervorgehoben wurden) sind aufeinanderfolgende und nur potentiell isolierbare Glieder ein und desselben Prozesses. Die siebente Hypothese betrifft den Charakter der operativen Einheiten des unmittelbaren Gedächtnisses. Solche Einheiten sind nach unserer Konzeption vor allem die grammatischen Verpflichtungen (im Sinne von Yngve). Dabei registriert das unmittelbare Gedächtnis nur das Vorhandensein der Elemente, nicht ihre Wechselbeziehung, und die Reproduktion baut sich auf dieser Ebene nach dem Prinzip der „relevanten Kriterien" auf. Solche Kriterien sind einerseits die grammatischen Merkmale und andererseits die assoziativen (semantischen) Merkmale des Wortes. Die achte Hypothese bezieht sich auf den Charakter der genannten Merkmale. Wir gehen davon aus, daß das Suchen des Wortes im „Lexikon" während des Prozesses der Redeerzeugung auf gleichzeitiger Durchsicht zweier Merkmalsreihen basiert: der lautlichen (akustisch-artikulatorischen) und der semantisch-assoziativen. Wenn wir ein bestimmtes Merkmal „durchlaufen", sondern wir aus dem Lexikon diejenigen Wörter aus, welche dieses Merkmal besitzen, entsprechend ihrer jeweiligen Zahl verändert sich in jeder Etappe des Suchvorgangs ständig die Wahrscheinlichkeitscharakteristik für die Suche. In Spezialfällen ist das Suchen nur nach einer Merkmalsreihe oder die Verwendung besonderer heuristischer Verfahren möglich. Die neunte Hypothese steht mit der vorhergehenden im Zusammenhang und besagt, daß ein Wort in Form der Suche dieses Wortes oder genauer in Form der Orientierungspunkte für diese Suche im Lexikon „eingetragen" ist. Die zehnte Hypothese: Bei der grammatischen und lexikalischen Realisierung des Programms wirkt der Worthsche „Bildschirm"Mechanismus: D. h. die grammatische Struktur der Äußerung wird für einen bestimmten Abschnitt im voraus prognostiziert und mit dem Programm verglichen. Bei Übereinstimmung kommt es dann zur endgültigen Auswahl des jeweiligen Elementes oder der Elemente auf der Grundlage der verschiedenen Kriterien. Bei Nichtübereinstimmung erfolgt entweder eine Transformation der prognostizierten Struktur und ihre „Hinführung" zum Programm oder eine Überprüfung der Regeln für den Übergang vom Programm zu seiner Realisierung. Es sind auch andere Varianten möglich; insgesamt gibt es keinen einzig möglichen Weg, um die
Sprechhandlung auszuführen, dies geschieht vielmehr nach dem heuristischen Prinzip. Zum Schluß sei festgehalten, daß alle unsere Hypothesen eng miteinander verbunden sind. Sie entsprechen alle ein und demselben prinzipiellen Herangehen an die Modellierung der Prozesse der Außerungserzeugung. Sie beschreiben die objektiv zusammenhängenden Elemente der Sprachfähigkeit, und wenn wir eine Hypothese für richtig halten, so schließt das ein, daß wir auch von der Richtigkeit der anderen Hypothesen überzeugt sind. Deshalb ist der wesentliche Inhalt dieses Kapitels als ein bestimmtes einheitliches Modell anzusehen, als Versuch, auf dem gegenwärtigen Kenntnisstand den Prozeß der Außerungserzeugung als Ganzes zu beschreiben. In diesem Zusammenhang ist es für uns nicht wesentlich, wenn irgendeines der oben hypothetisch beschriebenen Details unseres Mechanismus im Rahmen der allgemeinen Prinzipien anders realisiert werden sollte als angenommen. Unter Verwendung eines treffenden Terminus von S. J a . Fitialov 1 7 8 können wir sagen, daß wir in der vorliegenden Arbeit nicht bestrebt sind, ein einziges Modell, sondern eine bestimmte Klasse von Modellen aufzubauen. Die in dieser Klasse enthaltenen Modelle sind — in Übereinstimmung mit schon früher von uns geäußerten Auffassungen 1 7 9 — zu definieren als Modelle der menschlichen Sprachfähigkeit. 178 179
Vgl. C. fl. OHTwaJiOB, TpaHciJiopMaijiiH B CLKCHOMCITHHGCKHX rpaMManiKax. Vgl. A . A. JleoHTteB, CJIOBO B peieBoit «eHTejibHocra.
KAPITEL I V
Das kontrollierte Sprech verhalten und die Formierung von Images
§ 1. Allgemeine Grundsätze Bei der Untersuchung des Sprechverhaltens mangelt es nicht an ungelösten (bzw. nicht zufriedenstellend gelösten) Problemen. Aber während auf anderen Gebieten solche ungelösten Probleme trotzdem Gegenstand theoretischer und experimenteller Untersuchungen waren, während man sonst in derartigen Fällen die Geschichte des Problems darlegen oder wenigstens seine Behandlung in der gegenwärtigen Fachliteratur umreißen kann, ist dies hinsichtlich des kontrollierten Sprechverhaltens nicht möglich. Von einigen Arbeiten, hauptsächlich sowjetischer Psychologen, abgesehen, war dieses Problem niemals Gegenstand einer ernsthaften wissenschaftlichen Analyse. So müssen wir gezwungenermaßen an den Anfang des vorliegenden Kapitels eine Zusammenfassung unserer Ansicht zu dieser Frage stellen. Wir halten uns dabei (ohne Verweise auf den Text) an die Konzeption, die in unserem Buch Cjioeo e peneeoü deamejibCHOcmu dargelegt ist und die auf den Ansichten N. A. Bernstejns und A. N. Leont'evs fußt. In Kapitel I haben wir schon Bernstejns Begriff der Ebene und des Systems von Ebenen im Aufbau psychophysiologischer Prozesse betrachtet. Es sei daran erinnert, daß nach seiner Ansicht (die von uns voll und ganz übernommen wird) die Steuerung der Bewegung (und überhaupt jeder psychophysiologischen Aktivität des Organismus) das Resultat des Funktionierens einer komplizierten Organisation von vielen Ebenen ist. Innerhalb dieser Organisation hebt sich eine Leitebene ab; welche Ebene diese Stellung einnimmt, wird durch die inhaltliche Struktur des Verhaltensaktes bestimmt, d. h. letzten Endes durch die Anforderungen, die an die Handlung durch die Struktur des konkreten Tätigkeitsaktes gestellt werden. „In jeder Bewegung wird allein die Leitebene bewußt, unabhängig davon, wie groß die absolute Zahl ihrer Ebenen ist . . . Sowohl der Grad der Bewußtwerdung als auch der Grad der Willkürlichkeit wachsen mit 258
dem Übergang von einer Ebene zur anderen von unten nach oben." 1 Bei der Analyse der Sprechtätigkeit stellt Bernstejn die Hypothese auf, daß die Ebene der sinnvollen zusammenhängenden Rede die höchste innerhalb der Hierarchie sei. Die nächste ist diejenige der Nomination von :; Gegenständen (Wort-Gegenstand-Ebene), die in anderen Tätigkeitsformen der Ebene der gegenständlichen Handlung entspricht. Weitere Ebenen wurden von Bernstejn selbst nicht aufgezeigt. Wir schlagen vor, noch von einer „Ebene der Operatoren" (der Terminus „Operator" in diesem Sinne s t a m m t von Bernstejn) u n d von einer motorischen Ebene zu sprechen (in Cjioeo e peneeoü dexmejibHocmu haben wir den Terminus „Silbenebene" b e n u t z t , wobei sich jedoch terminologische Homonymie ergab). Das System der Ebenen in der neurophysiologischen Organisation des Verhaltens ist nicht identisch (genauer gesagt: nicht unbedingt identisch) mit dem System der Ebenen der Sprachfähigkeit. Welchen Sinn hat es, den letztgenannten Begriff einzuführen? Aus der Analyse des Systems psycholinguistischer Einheiten ergibt sich, daß einige dieser Einheiten bestimmten neurologischen Ebenen zuzuordnen sind. Sie treten jeweils als operative Einheiten auf, wenn die entsprechenden Ebenen Leitebenen sind. So erscheint als operative Einheit auf der Ebene der zusammenhängenden Rede die Äußerung oder der Satz (wir gebrauchen den Terminus „ Q u a n t S a t z " — npedjioofceHue-KeaHm —, um terminologische Homonymie zu vermeiden), auf der Nominationsebene das W o r t ( Q u a n t - W o r t , cjioeo-Keanm) usw. Wenn solche Entsprechungen in allen Fällen vorlägen, wäre der Begriff „Ebene der Sprachfähigkeit" überflüssig. In der Sprechtätigkeit gibt es jedoch oft Abweichungen von der typischen Korrelation. Solche Abweichungen entstehen auf Grund der Möglichkeit, psycholinguistische Einheiten auf eine in der Hierarchie höherliegende Ebene zu „heben". So kann das Wort auf die Ebene der zusammenhängenden Rede „gehoben" werden. Dann wird das Auftreten des Wortes nicht bewußt kontrolliert, wohl aber lenkt es die Aufmerksamkeit auf sich, wenn es von der Norm abweicht; das Wort wird aktuell bewußt. Berücksichtigt m a n die Möglichkeit von Abweichungen, so sind drei Begriffe zu scheiden: neurologische Ebenen (nach Bernstejn), Ebenen der Sprachfähigkeit und schließlich Ebenen des Bewußtwerdens, die in gewissem Sinne von den beiden ersten Ebenensystemen abgeleitet sind: Sie verkörpern Eigenschaften der Einheiten von Ebenen der 1
Vgl. H. A. BepHuiTeöH, OiepKH no (j)H3H0JiorHH flBHmeHHft h (f>M3noJioriiii aKTHBHOCTH, S. 100.
259
Sprachfähigkeit, die bei der Umschaltung dieser Einheiten auf eine ihnen nicht entsprechende neurologische Ebene entstehen. Ausgehend vom System A . N. Leont'evs 2 , das wir durch die Ebene der „unbewußten Kontrolle" ergänzen, ergibt sich folgendes Schema, das hier aus dem Buch Cjioeo e peueeoü denmejibmcmu (S. 123) übernommen wird: Tabelle 2 Ebenen der S prachfä higkeit Ebene der Quant-Sätze Ebene der Quant-Wörter Formale Ebene Silbenebene
Ai A2 A3 A
KOHHH, K Bonpocy 0 $opMHpoBaHMH B oßyneHHH r p a M O T e ,
S. 68.
Siehe auch: A. A. Leont'ev, Sprache — Sprechen —Sprechtätigkeit.
Vgl. JI. K. Haaapoßa, HTO HyjKHo H3M6HHTI> B oöyiemiH r p a M O T e , S. 68. Vgl. H. X. IHBaHKHH. P&3BHTH6 (JlOHeMaTHHeCKOrO BOCnpHHTHH peMH B päHH6M
B03pacTe. 274
El'konin stellt die F r a g e , ob Lesen nicht im Prinzip ein Operieren mit B u c h s t a b e n sei. „ . . . Lesen ist die Reproduktion der Lautform des I Vöries auf Grund seiner graphischen Markierung. D e s h a l b liest nur derjenige g u t , der nicht nur die L a u t f o r m b e k a n n t e r , sondern auch die beliebiger u n b e k a n n t e r Wörter richtig reproduzieren k a n n . D a m i t wird die geistige H a n d l u n g g e n a u umrissen, die der L e s e n d e ausführt , die folglich auch d a s K i n d im Leseunterricht erlernen soll. A u s der umrissenen A u f f a s s u n g v o m Leseprozeß läßt sich auch g e n a u ableiten, mit welchem A s p e k t der objektiven Wirklichkeit (in unserem F a l l e : mit welcher materiellen F o r m des Wortes) der L e s e n d e oder der Schüler im Leseunterricht operiert. Wenn d a s Wesen des Lesens darin b e s t e h t , die L a u t g e s t a l t eines Wortes zu erzeugen, dann bezieht sich die Operation des Lesenden natürlich auf die lautliche Materie der S p r a c h e . . . Lesen ist eine Tätigkeit mit den L a u t e n der Sprache."30 Der Leseunterricht nach dieser Methode gliedert sich in drei E t a p p e n , die drei aufeinanderfolgenden „geistigen H a n d l u n g e n " entsprechen. des Wortes. Die geistige T ä t i g k e i t der 1. Etappe der Lautanalyse A n a l y s e bildet sich auf der G r u n d l a g e der Methode heraus, die L a u t g e s t a l t des Wortes als F o l g e von K ä s t c h e n entsprechend der Zahl der L a u t e zu „ m a t e r i a l i s i e r e n " . „ D e n Kindern wurde a u f g e g e b e n , diese K ä s t c h e n mit Marken auszufüllen, die einzelne L a u t e kennzeichneten, und jeden einzelnen L a u t zu nennen. D a b e i beschritt der experimentelle Unterricht zur L a u t a n a l y s e im allgemeinen folgenden W e g : Zuerst erwarben die K i n d e r die F ä h i g k e i t zur A n a l y s e auf der E b e n e praktischer B e t ä t i g u n g . Wenn sie d a n n s e l b s t ä n d i g , ohne Hilfe des E x p e r i m e n t a t o r s , Wörter richtig zu analysieren v e r m o c h t e n , indem sie das L a u t s c h e m a der Wörter mit Marken ausfüllten u n d hintereinander alle L a u t e nannten, wurden allmählich die K ä s t c h e n und s p ä t e r auch die Marken w e g g e n o m m e n . S o vollzog sich der Ü b e r g a n g zur nächsten E t a p p e — d e m E r w e r b der A n a l y s e f ä h i g k e i t auf der Sprechebene. Den K i n d e r n wurden Wörter vorgesprochen, u n d sie mußten der Reihe nach alle L a u t e eines Wortes nennen. Als auch diese Tätigkeit v o n den Kindern selbständig a u s g e f ü h r t werden konnten, begann die n ä c h s t e E t a p p e — die Aneignung der A n a l y s e fähigkeit auf der geistigen E b e n e . Ohne die Wörter l a u t auszusprechen, mußten die K i n d e r alle L a u t e eines Wortes nennen, die Zahl 30
Vgl.
S. 39.
B . BJILKOHHH, HeKOTOpbie Bonpocu ncHxoJiorHH ycBoeHHH rpaMOTu,
275
der Laute angeben oder aufzeigen, an welcher Stelle im Wort ein bestimmter Laut steht." 31 2. Etappe der primären Reproduktion der Lautform eines Wortes. Dieser Etappe entspricht die Ausbildung der geistigen Tätigkeit der Wortveränderung, d. h. „der Veränderung der Lautform des Wortes mittels Veränderung eines seiner Laute durch das Kind". 32 Die Kinder wurden zunächst mit den Vokale kennzeichnenden Buchstaben a, o, y, M, u bekanntgemacht. Dann begann die eigentliche Arbeit an der Veränderung der Lautform. Zuerst zeigte man ein Bild, z. B. die Darstellung eines Katers (russ. Kom), dazu gab man ein Schema aus leeren Kästchen. Die Kinder bestimmten den zweiten Laut des Wortes, und in das Schema wurde ein Kärtchen mit dem Buchstaben o eingesetzt. Dann wurde o durch andere Buchstaben ersetzt, und die Kinder ermittelten, welche Wörter sich dabei ergaben. Später zeigten die Kinder nur noch mit dem Finger auf die Buchstaben, und schließlich wurde alles allein nach dem Gehör im Kopf ausgeführt. 3. Etappe des silbischen Lesens. Auf dieser Etappe wurde das Wort mit Buchstaben „ausgefüllt" und der Prozeß der Reproduktion des Wortes nach den Buchstaben automatisiert. 33 Es ist anzumerken, daß diese Etappe in der Methodik El'konins bedeutend weniger ausgearbeitet ist als die beiden anderen. Die beschriebene Methodik wird gegenwärtig im Unterricht erprobt, sie zeitigt bemerkenswerte positive Resultate, die wir hier nicht im einzelnen erörtern können. Wir gehen noch auf einige Fragen ein, die von El'konin und seinen Mitarbeitern aus verständlichen Gründen nicht behandelt wurden, aber für uns interessant sind, vor allem die Frage, was man die Schüler im vorliegenden Falle eigentlich lehrt. Die allgemeinste, sozusagen am meisten „linguistische" Antwort KHOe B KHÖepHeTHKe, MocKBa 1963. Apresjan, Ju. D., Ideen und Methoden der modernen strukturellen Linguistik. Kurzer Abriß. Hrsg. u. Übers.: B. Haltof, E. Mai, Red.: F. Jüttner. Berlin 1971. Original: IO. fl. AnpecHH, Hflew H MeTORM coBpeMeHHOit CTpyKTypHoö JIHHRBHCTHKH. MocKBa 1966. — Engl.: J. D. Apresjan, Principles and Methods of Contemporary Structural Linguistics. The Hague, 1972. Arutjunova, N. D.: ApyTK)HOBa, H . ¿J., CTpaTH({)HKar(H0HHaH MOj;ejib H3biKa. I n : H a y i H u e HOKJiafflu Bwcmefi IUKOJIU. OnjioJioriwecKHe HayKH, 1968, Nr. 1. Ashby, W . R., Design for a Brain. The Origin of Adaptive Behaviour. London 21960. Russ.: y . P. 9IH6H, KoHCTpymjHH M03ra. NPONCXOJKHEHHE AAANTHBHORO noBeneHHH. MocKBa 1962. Baev,
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