Psychologische Effekte sprachlicher Strukturkomponenten [Reprint 2021 ed.]
 9783112535585, 9783112535578

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Psychologische Effekte sprachlicher Strukturkomponenten

SAMMLUNG AKADEMIE-VERLAG 48

SPRACHE

PSYCHOLOGISCHE EFFEKTE SPRACHLICHER STRUKTURKOMPONENTEN Herausgegeben und eingeleitet von Manfred Bierwisch Mit zahlreichen Abbildungen, Tabellen und Skizzen im Text

Akademie-Verlag • Berlin 1979

Erschienen im Akademie-Verlag, DDR-108 Berlin, Leipziger Straße 3-4 © 1979 Akademie-Verlag Berlin Lizenznummer: 202 • 100/138/79 Gesamtherstellung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer", 582 Bad Langensalza Bestellnummer: 753 135 1 (7548) • LSV 0805 Printed in G D R D D R 28,— M

VORWORT

Kristallisationspunkt des vorliegenden Sammelbandes war ein Symposium zum Themenbereich Psycholinguistik auf dem IV. Kongreß der Gesellschaft für Psychologie der DDR im September 1975 in Leipzig. Probleme des Sprachverhaltens wurden dort zum ersten Mal als eigenständiger Komplex auf einem DDR-Psychologenkongreß behandelt. Diese Akzentsetzung entsprach nicht nur der internationalen Entwicklung, sondern auch dem sachlichen Gewicht, das dieser Problematik aus theoretischen und praktischen Gründen zukommt. T r a ditionsreiche Fragen wie die nach dem Verhältnis von Sprache, Denken und praktischem Handeln können in wesentlichen Aspekten durch die theoretischen Modelle und empirischen Befunde der modernen Linguistik, der kognitiven Psychologie und ihrer Verbindung in der Psycholinguistik schärfer formuliert und der Lösung näher gebracht werden. Sie bilden nach Inhalt und Methodik einen der wesentlichen Schnittpunkte von Problemen der Natur- und Gesellschaftswissenschaften. Der vorliegende Band stellt einige Ansätze und Ergebnisse vor, die in den vergangenen Jahren auf diesem Gebiet in der Forschung der DDR gewonnen worden sind. Es entspricht dem Entwicklungsstand dieser Ansätze, daß dabei noch kein ausgewogenes, systematisch konzipiertes Bild entsteht, sondern äußerlich bedingte Zufälligkeiten erkennbar bleiben. Die Beiträge 1, 3, 4, 5, 7 und 10 sind - zum Teil wesentlich überarbeitete Fassungen der für das oben genannte Symposium vorbereiteten Arbeiten. Der Beitrag 2 ist eine stark erweiterte Fassung eines Referats, das auf einer Sommerschule der Sektion Allgemeine Psychologie der Gesellschaft für Psychologie gehalten wurde. Die Beiträge 6, 8 und 9 sind aus Untersuchungen im V

früheren Laboratorium für Sprachpathologie der Akademie der Wissenschaften der DDR hervorgegangen und speziell für den vorliegenden Band verfaßt. Inhaltlich befassen sich die Beiträge 2 bis 6 mit unterschiedlichen Aspekten des Zusammenhangs von Sprache und Gedächtnis, die Beiträge 7 bis 10 behandeln Probleme, die sich auf die syntaktische, phonologisch/phonetische und graphemische Ebene der Sprache beziehen. Mit dieser inhaltlichen Gliederung überlappt eine Aufteilung unter methodischem Gesichtspunkt: Die Beiträge 2 bis 5 sind experimentalpsychologisch orientiert, während die Beiträge 6 bis 10 neuropsychologische Untersuchungen an Aphatikern vorstellen. Die hier zusammengefaßten Arbeiten berichten über Grundlagenforschungen. Ihre Bedeutung für die wissenschaftliche Entwicklung und für praktische Aufgabenstellungen hängt eng mit der Rolle zusammen, die der Rahmenthematik insgesamt zukommt, muß aber im einzelnen gesondert verfolgt werden. Die hohe Spezialisierung der verschiedenen Fragestellungen, die in diesem Band aufgegriffen werden, führt nicht nur zu den bereits erwähnten Ungleichmäßig keiten im Gesamtbild, sondern auch zu Ergebnissen, die eben durch diese Spezialisierung interessant werden. Es bleibt zu hoffen, daß das zusammenfassende Thema der Psycholinguistik, nämlich die Interdependenz sprachlicher Strukturbildungen und kognitiver Prozesse, hinreichend deutlich wird. Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Friedhart Klix und Herrn Professor Egon Weigl, die auf verschiedene Weise Entscheidendes dafür getan haben, daß das Entstehen dieses Bandes möglich wurde. Berlin, im Dezember 1976

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Manfred Bierwisch

INHALT

Manfred Bierwisch Strukturen und Prozesse im Sprachverhalten. Einleitende Bemerkungen Literaturverzeichnis Manfred Bierwisch Sprache und Gedächtnis: Ergebnisse und Probleme 1. Aspekte der Thematik 2. Einige Prinzipien der Struktur natür licher Sprachen 3. Sprachstruktur und Satzgedächtnis 4. Struktur bildungsprozesse im Satzgedächtnis 5. Spracherwerb als Gedächt nisbildung 6. Ausblick 7. Anmerkungen 8. Literaturverzeichnis Friedhart Klix - Fridrich Kukla - Rosemarie Kühn Zur Frage der Unterscheidbarkeit von Klassen semantischer Relationen im menschlichen Gedächtnis 1. Einführung 2. Problem 3. Fragestellung 4. Methodik 5. Ergebnisse und Interpretation 6. Schlußbemerkungen 7. Zusammenfassung 8. Anmerkungen 9. Literaturverzeichnis Joachim Hoffmann Klassifizierung und Übertragbarkeit semantischer Relationen im menschlichen Gedächtnis 1. Eine psychologische Interpretation semantischer Relationen 2. Die Merkmalscharakteristik semantischer Relationen 3. Klassifizierung semantischer Relationen 4. Wirkung semantischer Relationen auf die Reproduktion von Wortlisten 5. Experiment 1 6. Experiment 2 7. Experiment 3 8. Experiment 4 9. Experiment 5 10. Struktur der Informationsverarbeitung zur Reproduktion semantisch organisierter Begriffslisten 11. Anmerkungen 12. Literaturverzeichnis

Joachim Hoffmann - Friedhart Klix ?jur Prozeßcharakteristik der Bedeutungserkennung über sprachlichen Reizen 191 1. Informationsgehalt sprachlicher Reize 2. Zum Begriff der semantischen Information, ihrer Übertragung und zu einigen Aspekten des Verstehens von Bedeutung 3. Der Satz-Bild-Vergleich als Methode 4. Zur zweifachen Repräsentation von Satzbedeutungen 5. Zur Charakteristik von Zuordnungsprozessen im Gedächtnis 6. Aktivierung anschaulicher Merkmalskonfigurationen durch sprachliche Reize 7. Prozesse der Satzverarbeitung 8. Zusammenfassung 9. Anmerkungen 10. Literaturverzeichnis Egon Weigl Neurolinguistische Untersuchungen zum semantischen Gedächtnis 269 Einleitung 1. Experimentelle Voraussetzungen der Deblockierungsversuche 2. Fragestellungen 3. Experimentelle Ergebnisse der Deblockierungsversuche 4. Das Sprachverhalten der Patienten bei den Benennungsversuchen 5. Diskussion: Modellvorstellungen 6. Vergleich: Normales Benennen abgebildeter Objekte und Deblockierung amnestisch-aphatischer Störungen der Bildbenennung 7. Zusammenfassung 8. Anmerkungen 9. Literaturver zeichnis Irina Weigl Interdependenz neuropsychologischer und psycholinguistischer Faktoren in der Aphasie

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1. Ausgangsposition 2. Versuchsbeschreibung 3. Ergebnisse der Untersuchung von Reproduktionsleistungen 4. Diskussion 5. Anmerkungen 6. Literaturverzeichnis Wolfgang Ulrich Wurzel - Renate Böttcher Konsonantenkluster: Phonologische Komplexität und aphasische Störungen

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1. Problemstellung 2. Die Versuche 3. Ergebnisse und Auswertung 4. Fazit 5. Anmerkungen 6. Literaturverzeichnis Renate Böttcher Sprachliche Strukturfaktoren und aphasische Störungen 1. Problemstellung 2. Der semantisch-syntaktische Status 3. Phonologische Faktoren 4. Morphologische Faktoren 5. Graphemische Faktoren 6. Schlußfolgerungen 7. Anmerkungen 8. Literaturverzeichnis

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Erika Metze - K. M. Steingart Wechselbeziehungen im Funktionssystem der Sprache

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Literatvirverzeichnis Verzeichnis der Autoren dieses Bandes

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Manfred Bierwisch STRUKTUREN UND PROZESSE IM SPRACHVERHALTEN Einleitende Bemerkungen

Die im vorliegenden Band zusammengestellten Arbeiten sind sehr verschiedenartig im Charakter, in der Methodik, in ihren spezifischen Fragestellungen. Gemeinsam ist ihnen, daß sie Resultate psychischer Prozesse analysieren, die wesentlich durch Komponenten der Sprachstruktur determiniert sind, Sie lassen sich damit in den nicht sehr scharf umschriebenen Bereich der Sprachpsychologie oder - mit dem seit den 50er Jahren üblich gewordenen Terminus der Psycholinguistik einordnen. Ist mit dieser Einordnung so etwas wie ein innerer Zusammenhang, ein Rahmen für die unterschiedlichen Befunde und Vorgehensweisen angegeben? Es scheint mir sinnvoll, diese Frage in der Form einiger Bemerkungen zur Struktur und zum Entwicklungsgang dieser Bindestrich-Disziplin zu beantworten. Für die Behandlung der Problemklassen, die den Bereich der Psycholinguistik ausmachen, ist der Umstand entscheidend, daß an ihr zwei Disziplinen beteiligt sind, Psychologie und Linguistik - in jüngster Zeit unterstützt durch Methoden und Modellvorstellungen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz -, deren wechselnde Anteile den sich wandelnden Charakter des Gebiets prägen. Ich mache dies deutlich, indem ich, stark vereinfachend, einmal den psychologischen, einmal den linguistischen Aspekt der Problematik skizziere. 1. Äußeres und inneres Verhalten höherer Organismen, insbesondere des Menschen, gliedert sich für die Psychologie in komplex zusammenwirkende Prozesse und Mechanismen auf, die durch entsprechende Teiltheorien analysiert und erklärt werden. Fortbewegung, Handeln, Wahrnehmen, Klassifizie1

ren, Problemlosen, Lernen und Erinnern (d.h. Ausbildung und Aktivierung von Gedächtnisbesitz) sind Gegenstandsbereiche solcher Teilgebiete der Psychologie. Sie bilden inhaltlich aufeinander aufbauende Stufen und einander determinierende Zusammenhänge: Klassifizierung setzt Wahrnehmen voraus, steuert es aber auch, Problemlösen involviert Klassifizieren, Gedächtnis wird in jedem dieser Prozesse aktiviert und gegebenenfalls neu ausgebildet, äußeres Verhalten wird von innerem kontrolliert, inneres Verhalten von äußerem ausgelöst, usw. Psychische Abläufe werden so durch zusammenwirkende Komponenten erklärbar, deren Aktivierung die affektive, motivationale Seite des Verhaltens ausmacht. Nun schließen alle Analysen und Modellansätze in den einzelnen Teilbereichen stets einen Struktur- und einen Prozeßaspekt ein. Der erste faßt die Gesetzmäßigkeiten und Regeln zusammen, die die Strukturen bilden, auf die sich das Verhalten stützt oder bezieht, der zweite macht die Charakteristik der Abläufe aus, in denen sich das Verhalten vollzieht. Merkmalskonfigurationen z. B. bilden den Strukturaspekt des Klassifizierens, die Strategien und Prozesse ihrer Auffindung oder Abprüfung den Prozeßaspekt. Dabei können gleiche Strukturen in verschiedenen Verhaltensabläufen auftreten, etwa beim Identifizieren und beim Zeichnen des gleichen Musters, und es können sich bestimmte Teilprozesse auf wechselnde Strukturen beziehen, so z.B. beim Klassifizieren v e r schieden strukturierter Objekte. Jeder empirische Analysenansatz enthält deshalb stets Vor über legungen zu beiden Aspekten. In die Wahl des Unter suchungsmaterials gehen insbesondere Annahmen über die Struktur ein, in der Festlegung der Experimentanforderung und der Interpretation der Resultate dominieren Annahmen über die ProzeQcomponenten der studierten Verhaltenskomponente. Die Beziehung zwischen beiden Aspekten liegt auf der Hand, keiner läßt sich aus dem Zusammenhang psychologischer Problemstellung ausschließen, auch wenn sie nicht immer das gleiche Gewicht haben. Ich betone an dieser Stelle die Unterscheidung beider Aspekte, weil sich mit ihr zwei Eigentümlichkeiten in der Analyse des Sprachverhaltens verbinden. Die erste ist in der Sache selbst begründet. Was oben für das Zusammenwirken der Verhaltenskomponenten allgemein gesagt wurde, gilt ganz besonders für die verschiedenen Modalitäten des Sprachverhaltens: Sie ve -binden 2

äußeres Verhalten - in Form der Signalproduktion, die auf die Umwelt einwirkt mit innerem Verhalten. Dieses wiederung verbindet Wahrnehmen, Klassifizieren, Gedächtnisaktivierung, Denk- oder Problemlösungsprozesse in speziellen Integrationsformen, die das Produzieren, das Perzipieren und das Weiterverarbeiten sprachlicher Ausdrücke und den Erwerb neuen sprachlichen Gedächtnisbesitzes ausmachen. Das einigende Band dieser verschiedenen Teilprozesse oder Prozeßkomponenten ist die Sprache, die gesprochen und verstanden wird, ihre Struktur, die mit ihren Einheiten und Regeln die unterschiedlichen Prozesse bestimmt. Will man also die Zusammenfassung der verschiedenen angedeuteten Prozesse und Leistungen zu einem einheitlichen, wenn auch komplexen Bereich im Rahmen der kognitiven Psychologie nicht zu einer bloß äußerlichen Definitionsfrage machen, dann muß die Struktur, die das Verhalten determiniert, hier in besonderem Maße als konstitutiv für den Erscheinungsbereich angesehen werden. (Es ist möglich, daß Ähnliches auch für andere Bereiche gilt, daß z. B. von Klassifizieren nur in bezug auf eine bestimmte, wenn auch sehr allgemeine Klasse von Strukturen gesprochen werden kann. Es trifft aber jedenfalls und besonders augenfällig auf den Bereich des Sprachverhaltens zu.) Damit ist selbstverständlich nicht gesagt, daß die Sprachstruktur ein Phänomen außerhalb aller anderen verhaltensrelevanten Strukturbildungen ist. Ich führe zur Illustration drei "übergreifende" Strukturprinzipien an: (a) Sprachliche Ausdrücke beruhen auf (akustisch oder optisch realisierten) perzipierbaren Mustern, die durch invariante klassifizierende Merkmale zu bestimmen sind. Dies ist ein generelles Prinzip der Mustererkennung, also des klassifizierenden Wahrnehmens. Die Spezifik liegt zunächst nur in der Art der sprachlichen Muster. (b) Sprachliche Ausdrücke sind hierarchisch organisierte Sequenzen struktur bildender Grundeinheiten (etwas vereinfacht: hierarchische Verknüpfung von Wörtern zu Wortgruppen und Sätzen). Die hierarchische Gliederung von Verhaltensfolgen ist wiederum ein generelles Prinzip kognitiver und praktischer Verhaltensmuster (vgl. etwa Lashley 1951, Bernstejn 1966, Miller, Galanter, Pribram 1960). Die Spezifik liegt auch hier in der Art sprachlicher Hierarchiebildung.

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(c) Entscheidend ist, daß in der Sprache perzeptive Muster in systematischer Weise mit Bedeutungen belegt sind. Auch dies, nämlich die Bindung konstanter Klassifikationsmuster an fixierte Bedeutungen (das heißt: an die interne Repräsentation von Verhaltensantworten) ist ein grundlegendes Prinzip kognitiver Strukturbildungen. Es ist konstitutiv für alle Klassifikationsleistungen (vgl. Klix 1971, Kap. 8). Die Spezifik liegt darin, daß in der Sprache Bedeutungen nicht mit der Struktur von Objekten und Zusammenhängen im primären Verhaltensumfeld, sondern mit Symbolen verbunden werden, die erst innerhalb der Sprache einen Sinn erhalten, Oder anders ausgedrückt, daß die verhaltensrelevante Bedeutung primärer Klassifikationsleistungen zugleich zur Bedeutung von Zeichenstrukturen werden kann. Was die Sprachstruktur zu einem Bereich sui generis macht, ist aber nicht nur das, was in Bezug auf jedes derartige Strukturprinzip als die jeweils r e l a tive Spezifik auszumachen ist, sondern vor allem auch die besondere Integration dieser Prinzipien, die als Ganzes erst die systematische Symbolisierung komplexer Bedeutungen durch gesprochene oder geschriebene Ausdrücke und das Verstehen dieser Ausdrücke determiniert. Ich komme auf dieses "Integrationsprinzip der Sprachstruktur" unten zurück. Die zweite Eigentümlichkeit, die beim Strukturaspekt des Sprachverhaltens zu vermerken ist, hat eher akzidentellen Charakter. Für die Entwicklungsphasen der Psycholinguistik ist sie jedoch folgenreich. Es liegt in der gegenseitigen Abhängigkeit von Prozeß- und Strukturaspekt des Verhaltens begründet, daß psychologische Analysen immer auch Ansätze zu Strukturtheorien enthalten. In der Regel werden sie innerhalb der Psychologie und als Teil von ihr entwickelt. Beispiele liegen auf der Hand, von der Charakterisierung optischer Muster und Skalen im Bereich der Wahrnehmung und den "Gestaltgesetzen" der Gestaltpsychologie bis zur Spezifizierung von Begriffsstrukturen und Problemräumen - um einige herauszugreifen. Im Bereich der Sprache nun ist aus historischen und praktischen Gründen eine eigene Disziplin mit der Char akter isierung des Strukturaspekts befaßt: die Linguistik. Das ist in dieser Ausprägung ein Einzelfall. Drei verschiedene Konstellationen haben sich daraus zu verschiedenen Zeiten ergeben.

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(a) Die (stets unerläßlichen) Annahmen über den Strukturaspekt in psychologischen Analysen des Sprachverhaltens werden unabhängig von der Linguistik, "psychologieintern" entwickelt. Sie sind denn zumeist von autonomen Annahmen über den Prozeßaspekt dominiert und häufig entsprechend verkürzt. Drastische Beispiele sind die Analysen zum sogenannten "verbalen Lernen" und die behavioristische Sprachpsychologie, aber auch, mit grundsätzlich anderem, unverkürztem Problembewußtsein, die Untersuchungen von Vygotski und Piaget. (Ursache dieser Situation ist nicht nur psychologischer Lokalpatriotismus, sondern auch Unergiebigkeit linguistischer Theorienansätze.) (b) Psychologisch aufschlußreiche Strukturmodelle werden aus der Linguistik übernommen und mit psychologischen Prozeßannahmen verbunden. (Ob die Strukturannahme dabei "psychologieextern" sind, hängt vom Charakter der Linguistik ab, der in Abschnitt 2 erörtert wird.) Exemplarisch für diese Situation ist die Sturm-und-Drang-Phase der Psycholinguistik, markiert durch die Arbeiten Millers Anfang der 60er Jahre. (c) Strukturannahmen werden als psychologische Problemstellung, aber mit dem Instrumentarium der Linguistik, also "interdisziplinär" entwickelt. In diesem Sinn waren zahlreiche Arbeiten von Wundt und Bühler zugleich psychologisch und linguistisch orientiert. Mit anderem methodischem und theoretischem Hintergrund fällt ein großer Teil der psycholinguistischen Arbeiten der 70er Jahre in diese Kategorie. Mit der Vereinfachung, die ein solches Schema an sich hat, läßt sich die Beziehung zwischen Psychologie und Linguistik aus der Sicht der Psychologie als ein Gang von (c) über (a) und (b) zurück nach (c) beschreiben, aber mit dem Ertrag, der sich aus der Entwicklung in Psychologie und Linguistik e r gibt, Abgesehen von der idealtypischen Verzeichnung besagt dieses Schema aber noch nichts über die Substanz der Zusammenhänge. Ich kehre zu diesem Punkt nach der Skizzierung des linguistischen Aspekts der Sache zurück. 2. Aus der Mannigfaltigkeit von Aspekten, die der natürlichen Sprache abzugewinnen sind, vergegenständlicht die Linguistik, wie bereits festgestellt, vorab den ihrer Struktur. Für die weiteren Bemerkungen beschränke ich mich auf die deskriptive und die theoretische Linguistik und lasse Bereiche wie 5

Sprachgeschichte, Dialektologie, Typologie außer Betracht» Zum einen setzen diese bestimmte Befunde der deskriptiven und der theoretischen Linguistik immer schon voraus, zum anderen berühren sie unsere Problematik nur indirekt. Die deskriptive Linguistik analysiert die Struktur der Ausdrücke jeweils einzelner Sprachen, bestimmt die ihnen zugrundeliegenden Elemente und Bildungsregeln. Die theoretische Linguistik charakterisiert die allgemeinen Prinzipien, denen die Einheiten und Regeln der Einzelsprachen unterliegen. Es ist klar, daß jede der beiden Disziplinen auf die andere angewiesen ist: Aussagen über allgemeine Prinzipien sind nur sinnvoll, sofern sie bei der Analyse von Einzelsprachen überprüft werden können, Einzelanalysen setzen Beschreibungsmittel und Analysekriterien voraus, die sinnvoll gewählt, das heißt aus Annahmen über die allgemeinen Strukturprinzipien abgeleitet werden müssen. Etwas konkreter: Versteht man unter einer Grammatik die Gesamtheit der Elemente und Regeln, die den Ausdrücken einer Sprache zugrundeliegen, dann befaßt sich die deskriptive Linguistik mit der Ermittlung der Grammatiken einzelner Sprache, die theoretische Linguistik mit der Bestimmung des allgemeinen Aufbaus beliebiger Grammatiken. Deskriptive und theoretische Linguistik sind mithin zwei Seiten der gleichen Sache, die aber auf verschiedene Weise mit der Psychologie verbunden sind. Ich verdeutliche das zunächst unter linguistischem Gesichtspunkt, wobei die Verbindung in Form einerseits der externen, andererseits der internen Rechtfertigung einer Grammatik erscheint. Um die Struktur der Ausdrücke einer Sprache in einer Grammatik e r f a s sen zu können, müssen zunächst strukturell relevante Eigenschaften sprachlicher Äußerungen bestimmt werden. Zur Verdeutlichung dieses nur scheinbar trivialen Schritts gebe ich drei einfache Beispiele an. (a) Für die phonetische Struktur des Deutschen ist unter anderem folgendes festzustellen: (1) (a) StreU (b) streiten (2) (a) Leid (b) leiden Die beiden hervorgehobenen Segmente in (1) entsprechen sich, ebenso die in (2); in der akustischen Realisierung stimmen die beiden Segmente in (a) überein, die in (b) jedoch nicht. (Wortpaare wie 'Tag - tagen', 'Lob - loben', 6

'Haus - hausen' zeigen, daß (2) ein Beispiel für eine allgemeinere Regel ist, der zufolge stimmlose mit stimmhaften Realisierungen eines Segments wechseln. ) (b) Vergleicht man die beiden folgenden Sätze, so zeigt sich, daß innerhalb des im übrigen parallelen Aufbaus nicht nur das Wort 'versprach' durch 'empfahl' ersetzt ist, sondern auch die Beziehungen zwischen den identischen Einheiten wechseln: (3) Hans versprach seiner Frau, länger zu bleiben. (4) Hans empfahl seiner Frau, länger zu bleiben. In (3) ist 'länger bleiben' auf Hans bezogen, in (4) auf seine Frau. (Die Feststellung betrifft einen verdeckten Zug der syntaktischen Organisation der Sätze, der mit den avisgetauschten Wörtern zusammenhängt. Die Betrachtung anderer Sätze belegt, daß sich diese Feststellung auf bestimmte Klassen von Wörtern und syntaktischen Strukturen ausdehnen läßt.) (c) In bezug auf die semantische Struktur (die Bedeutung) der Wörter 'stehen' und 'liegen' sind unter anderem folgende Feststellungen relevant: (5) (6) (7)

(a) Die Stange liegt daneben.

(b) Die Stange steht daneben.

(a) ?Der Teller liegt daneben. (b) Der Teller steht daneben. (a) Die Brille liegt daneben. (b) ?Die Brille steht daneben. Beide Sätze in (5) haben eine verschiedene, aber sinnvolle Bedeutung. In

(6) und (7) ist jeweils der mit Fragezeichen markierte Satz semantisch defekt. (Die verglichenen Wörter legen die horizontale bzw. vertikale Lage bestimmter bevorzugter Achsen der Objekte fest, auf die sie sich beziehen. 'Die Milch liegt daneben' ist deshalb sinnlos, 'Die Milch steht daneben' kann sich nur auf ein Gefäß mit Milch beziehen. Weitere Fälle zeigen, daß mit 'liegen' und 'stehen' ein kompliziertes Bedingungsgefüge für die betroffenen Objektklassen verbunden ist.) (a) bis (c) sind typische Fälle deskriptiver Primärfeststellungen, an die sich die in Klammern angegebenen ersten Verallgemeinerungsschritte anschließen. Entscheidend ist, daß die Primärfeststellungen Verhaltensmuster von Personen fixieren, die die analysierte Sprache beherrschen. Diese Verhaltensmuster können unter verschiedenen Anforderungen geprüft werden, sie haben aber grundsätzlich den Charakter psychologischer Befunde, v e r 7

gleichbar den Diskrimationsurteilen für Farbwerte oder optische Muster wie im Fall (a) und (b) oder der unterschiedlichen Verhaltensantwort auf bekannte und unbekannte Objekte im Fall (c). Daß linguistische Analysen weithin ohne strenge Operationalisierung hinreichend abgesichert werden können, ändert daran nichts. Entsprechende Tests müssen prinzipiell angebbar sein und sind für weniger offensichtliche Fälle als die angeführten Beispiele auch notwendig. Man sieht: Die Linguistik gehört bezüglich ihrer Beobachtungsgrundlage, die die externe Rechtfertigung für die Annahmen über die Grammatik einer Sprache bildet, ins Gebiet der Psychologie. Nun machen Fakten wie die an (1) bis (7) illustrierten noch keine Grammatik aus. Die in einer Grammatik enthaltenen Generalisierungen, ja bereits die Entscheidung darüber, welche Fakten strukturell relevant sind, hängen von allgemeinen Annahmen über die strukturellen Zusammenhänge in sprachlichen Ausdrücken ab. Dabei sind mit den extern gesicherten Befunden im allgemeinen mehrere Annahmen verträglich. Nehmen wir die im Beispiel (a) angeführten Feststellungen. Eine grammatische Beschreibung dieses Strukturaspekts kann in mehreren Richtungen systematisiert werden: (I) Formen wie die in (1) und (2) angeführten werden als solche in das System der bedeutungsgebundenen Grundeinheiten aufgenommen, wobei dann 'Leid' und 'leiden' (unbeschadet der orthographischen Gleichheit) in den markierten Segmenten unterschieden sind, wie es die phonetischen Muster verlangen. (II) Formen wie 'leiden' werden als Verknüpfungen zweier Elemente 'leid' + 'en' analysiert, wobei das erste als Lautmuster angesehen wird, das in zwei systematischen Varianten auftritt, mit stimmhaftem d, wenn das Element 'en' angehängt wird, sonst mit stimmlosem^. Akzeptiert man die Variante (II), weil sie bestimmte interne Zusammenhänge der Sprachstruktur systematisch erfaßt, dann muß die Variation von d/t (und entsprechend g/k, b/p usw. wegen der parallelen Fälle) entsprechend berücksichtigt werden. Das kann wiederum auf verschiedene Weise geschehen. (IIa) Das Muster mit dem stimmhaften Segment wird als grundlegend gewählt, und die Stimmlosigkeit in 'Leid' wird durch eine (ziemlich generell faßbare) Varianteribildungs-Regel bewirkt, die d in_t umwandelt, wenn keine vokalische Endung folgt. 8

(IIb) Das Grundelement enthält keine Festlegung des fraglichen Segments, diese Festlegung geschieht erst in Abhängigkeit von den verschiedenen Verbindungen, in die das Grundelement 'leid' eingeht. Die mit der Variante (Ha) verbundenen Annahmen über Form und Funktion der Grammatik sind in der theoretischen Linguistik systematisiert und zu einem komplexen System von Bedingungen über grammatische Einheiten und Regeln ausgebaut worden (vgl. Wurzel 1970, für die hier erörterten Beispiele) weil sie die weitestgehenden Generalisierungen über die Sprachstruktur ausdrücken. Was ich am Beispiel der phonetischen Muster erörtert habe, ließe sich analog im Bereich syntaktischer Strukturbildungen und semantischer Zusammenhänge illustrieren. In der Syntax ist etwa zu entscheiden, ob eine Grammatik Sätze wie (8) (a) Hans hilft ihr. (b) Ihr hilft Hans. (c) Hilft ihr Hans? als unabhängige Satzmuster oder als bedingte Varianten eines Grundmusters behandeln soll, wobei die Variation durch Regeln eines bestimmten, komplexen Typs bewirkt wird. Jede derartige Entscheidung bestimmt die in einer deskriptiven Grammatik zu machenden Aussagen über die Struktur der Ausdrücke einer Sprache mit. Der Gesichtspunkt, an dem sich diese Entscheidungen orientieren, ist der der möglichen Verallgemeinerungen von Einzelfakten, ihrer Erklärung durch generelle Prinzipien. Dieser Gesichtspunkt macht die in der theoretischen Linguistik zu liefernde interne Rechtfertigung einer Grammatik aus. In dem Maß, in dem die theoretische Linguistik eine empirische Disziplin ist, muß sich der Gesichtspunkt der Generalisierung am Gegenstandsbereich orientieren, und er besagt dann: Eine Grammatik muß so aufgebaut sein, daß sie gerade die Generalisierungen erfaßt, die in der Sprachkenntnis enthalten sind, die dem Organismus als Grundlage des Sprachverhaltens zu Gebote steht. Noch einfacher: Die Grammatik soll die Sprachstruktur so charakterisieren, wie sie als Ergebnis des Spracherwerbs im Organismus repräsentiert ist. Die Generalisierungskriterien müssen deshalb Prinzipien widerspiegeln, die das Resultat des Spracherwerbsprozesses determinieren. Auf eine kurze Form gebracht: Was ich oben das "Integrationsprinzip der Sprachstruktur" genannt habe, wird zum eigentlichen Inhalt der theoretischen Linguistik. 9

Wie die externe ist somit auch die interne Begründung einer Grammatik wenn auch auf indirektere Weise - psychologischer Natur. Wundt und vor allem Bühler haben die Sprachtheorie in diesem Sinn mit der Psychologie v e r bunden, Chomsky hat den Zusammenhang zur Grundlage einer mit strengen formalen Mitteln betriebenen Theoriebildung gemacht (vgl. insbesondere Chomsky 1965, Kap. 1). Man macht sich nun leicht klar, daß den beiden Verankerungen der Linguistik in der Psychologie zwei Arten der Bezugnahme entsprechen, die psychologische Problemstellungen mit der deskriptiven und der theoretischen Linguistik verbinden. Zum einen gehen in alle psychologischen Fragestellungen zum Sprachverhalten Annahmen über Befunde ein, wie eine deskriptive Grammatik sie enthält. Dies unter anderem deshalb, weil empirische Analysen immer auf einzelsprachliche Gegebenheiten bezogen sein müssen. Zum anderen richten sich psychologische Analysen immer mehr oder weniger auch auf die generellen Prinzipien der Sprachstruktur und ihre Effekte in verschiedenen Verhaltensabläufen. Damit wird das Verhältnis allgemeiner Strukturprinzipien der Sprache zu den von ihnen bedingten Prozessen zum Thema probandum. 3,

Die wechselnden Beziehungen zwischen Psychologie und Linguistik

lassen sich nun etwas b e s s e r fassen. Die relative Separierung, die mit m e thodologischer Präzisierung, aber zum Teil auch inhaltlicher Verengung in beiden Disziplinen verbunden war, wurde in den 50er Jahren durch die b e wußte Zusammenführung von Psychologie und Linguistik aufgehoben. B e s t i m mend waren dafür Entwicklungen auf beiden Seiten. Die Linguistik hatte e r s t e n s die eben skizzierte Verankerung ihres Gegenstands im Bereich der Psychologie deutlich gemacht und die Sprachstruktur damit als ein komplexes kognitives Gebilde ins Blickfeld gerückt. Zweitens und vor allem aber waren empirisch begründete und formal präzisierte Modellansätze entwickelt worden, die dieses Gebilde in Form kohärenter Regelsysteme zu e r f a s s e n gestatten. Die Psychologie wiederum hatte begonnen, komplexe geistige Leistungen wie Begriffsbildung und Problemlösen mit Hilfe empirisch motivierter f o r maler Modelle zu analysieren. Dabei zeigte sich, daß inneres Verhalten in 10

seinen Struktur - und Prozeßaspekten systematisch erfaßbar ist, wenn geeignete Darstellungsmittel entwickelt werden. Die formalen Grammatiken der Linguistik boten sich so als elaborierte Modelle dieser Art für einen zugleich zentralen und verzweigten Bereich__kognitiver Leistungen an. Die Leitidee der auf dieser Grundlage eingeleiteten psycholinguistischen Experimente war zunächst, die psychische Realität linguistischer Grammatiken, genauer: die Verhaltensrelevanz ihrer Regeln und Einheiten zu verifizieren. Die Konkretisierung dieser Grundidee beruhte jedoch zunächst auf einem zwar fruchtbaren, aber problematischen Mißverständnis, veranlaßt durch das suggestive Konzept des Regelsystems. Eine linguistische Grammatik wird als ein Regelsystem formuliert, das die unbegrenzte Menge möglicher komplexer Ausdrücke einer Sprache charakterisiert, technisch gesprochen: erzeugt. Die generellen Eigenschaften solcher Grammatiken - die zulässigen Typen von Regeln und Operationen, deren Anwendungsbedingungen und Interaktion - entsprechen den allgemeinen Prinzipien der Strukturbildung in natürlichen Sprachen. Pate gestanden haben bei dieser Modellierung der Sprachstruktur Kalkül-, Automaten- und Algorithmentheorie. Eine entscheidende Rolle spielen algorithmische Modelle auch in der kognitiven Psychologie, deren Denkweise durch die Entwicklung der künstlichen Intelligenz, der Computersimulation geistiger Prozesse nicht unwesentlich mitbestimmt wird. Die durch einen Algorithmus determinierten Operationsfolgen werden dabei zum Darstellungsmittel interner Verhaltensabläufe, R e geln erscheinen als Abbildung einzelner Schritte in diesen Prozessen. In diese Denkweise fügen sich algorithmisch formulierte Grammatiken wie von selbst ein. Die Regeln, die die Struktur eines Satzes erzeugen, stellen sich als Operationen bei der Kodierung oder Dekodierung einer Äußerung dar. Aus einer linguistischen Grammatik ergeben sich bei dieser Interpretation sogleich Prädiktionen, die experimentalpsychologisch geprüft werden können. Die Zahl der Regeln, die für die Erzeugung eines Satzes notwendig sind, muß mit entsprechenden Kontrollvariablen korrelieren, etwa der Latenzzeit beim Verstehen eines Satzes oder der Fehlerquote beim Reproduzieren. Ergebnisse, die den gesamten Ansatz und damit zugleich linguistische und psycholl

logische Detailannahmen zu bestätigen schienen, waren das erste, stimulierende Resultat dieser Etappe, das sich freilich sehr bald als trügerisch herausstellte. Der "kumulative Effekt" - je mehr Regeln, desto längere Latenzzeit bzw. desto schlechtere Behaltensleistung - ließ sich als generelles Prinzip sprachlicher Prozesse nicht aufrechterhalten. Das Problem, das in diesem Mißerfolg zum Vorschein kommt, ist grundsätzlicher Art. Linguistische Grammatiken sind, wie Chomsky mehrfach betont hat, Hypothesen über die Sprachstruktur, nicht über sprachliche Prozesse. Sie charakterisieren in abstrakter, idealisierter Form die (implizite) Kenntnis, die sprachliches Verhalten ermöglicht, nicht die Mechanismen und Abläufe, in denen es sich realisiert. Nachdem sieh die auf dem soeben angedeuteten Weg hergestellte Verbindung von Linguistik und Psychologie als kurzschlüssig erwiesen hat, bleibt die Aufgabe, Modelle zu entwickeln und zu prüfen, die das Zusammenwirken der Grammatik mit den verschiedenen Mechanismen der Produktion, Perzeption, Speicherung und Weiterverarbeitung sprachlicher Äußerungen erfassen. Die Art, in der diese Prozesse auf grammatische Regeln Bezug nehmen, ist unterschiedlich und hängt von zahlreichen Faktoren ab, deren Aufklärung kaum begonnen hat. Ein andersartiges Problem in der kurzen Geschichte der Psycholinguistik entspringt aus der Tatsache, daß die aufschlußreichsten Ergebnisse der theoretischen Linguistik zunächst die Organisation der formalen Seite, also der phonetischen und syntaktischen Struktur sprachlicher Ausdrücke betrafen, während die Analyse der Bedeutung, also der semantischen Struktur, erst zu ausschnitthaften Ansätzen ähnlicher Art geführt hat. Das liegt nicht nur daran, daß das linguistische Interesse sich lange Zeit auf syntaktische, morphologische und phonologische Probleme konzentriert hat, sondern auch an der außerordentlichen Kompliziertheit semantischer Erscheinungen. Gerade sie aber spielen in nahezu allen sprachlichen Prozessen eine dominierende Rolle und bilden überdies den Kern traditioneller sprachspychologischer Fragen wie der nach dem Zusammenhang von Sprache und Denken, Sprache und Gedächtnis oder der Rolle der Sprache im Erkenntnisprozeß.

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Zwei eng miteinander verbundene Aspekte sind in diesem komplizierten Gebiet zu klären: die semantischen Zusammenhänge zwischen den lexikalischen Grundeinheiten - etwas vereinfacht: die Beziehungen zwischen den Wörtern im Gedächtnis - und die semantischen Beziehungen, die diese Grundeinheiten bei der Bildung komplexer Ausdrücke eingehen, d.h. die Bedeutungsbeziehungen in Sätzen und Texten. Den Schwerpunkt der linguistischen Bemühungen hat in den letzten zwei Jahrzehnten der zweite Aspekt gebildet, während psychologische Fragestellungen fast immer ebensosehr oder stärker am ersten Aspekt orientiert sind, denn er hängt direkt mit der Struktur und Funktionsweise des fixierten sprachlichen Gedächtnisbesitzes zusammen. In die Lücke, die hier in der Ausformulierung linguistischer Modellansätze besteht, sind seit Ende der 60er Jahre zunehmend Modellbildungen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz eingesprungen. (Quillian 1968, Anderson and Bower 1973 sind Beispiele dafür.) Sie repräsentieren konzeptuelle Einheiten und semantische Relationen zwischen ihnen in Form sogenannter semantischer Netze. Gemeinsam ist den verschiedenen Vorschlägen dieser Art, daß sie eine plausible Grundlage für die Analyse verbal vermittelter Gedächtnisleistungen wie Suche, Aktivierung, Zuordnung entsprechender Einheiten bilden, die einen wichtigen Bereich sprachpsychologischer Fragestellungen ausmachen. Der systematische Zusammenhang der semantischen mit den syntaktischen, morphologischen und phonetischen Eigenschaften der lexikalischen Einheiten, der in der grammatischen Analyse eine dominierende Rolle spielt, tritt dabei in den Hintergrund. Ich habe zwei für die Entwicklung der Psycholinguistik charakteristische Schwierigkeiten skizziert: Regelsysteme für die syntaktische Strukturbildung, die die Linguistik entwickelt hat, lassen sich, wenn überhaupt, nur unter noch ungeklärten Vermittlungen in Prozeßmodelle des Sprachverhaltens einbeziehen. Darstellungen der semantischen Strukturbildung, die für sprachpsychologische Analysen unerläßlich sind, sind innerhalb der Linguistik nur partiell und schon gar nicht im Hinblick auf die zu analysierenden Prozesse avisgearbeitet. Mit diesen Fragestellungen ist, ein wenig vergröbert, die Situation gekennzeichnet, die Anfang der 70er Jahre allgemein ins Bewußtsein getreten war und die E r wartung beendete, daß die Grundprobleme der Sprachpsychologie gelöst sein würden, wenn linguistische Grammatikmodelle in die kognitive Psychologie 13

integriert sind. Zwei nicht streng voneinander getrennte Reaktionen auf diese Situation sind erkennbar: (a) Die Verbindung psychologischer und linguistischer Fragestellungen und Theoriebildungen ist ein verfehlter, mindestens aber verfrühter Versuch, der zugunsten der eigenständigen Klärung der jeweils spezifischen Probleme a u f gegeben werden muß. (b) Die Lösung der zentralen sprachpsychologischen Probleme verlangt, unbeschadet verschiedener Zugangsweisen, eine systematische Verbindung psychologischer und linguistischer Analysen, die die Vermittlung der jeweils speziellen Gesichtspunkte und Ergebnisse in die Theoriebildung einbezieht, Tendenzen, die der Reaktion (a) entsprechen, finden sich sowohl in der Linguistik wie in der Psychologie. In der Linguistik sind für sie vor allem die Ansätze charakteristisch, die die Syntax und besonders die Semantik natürlicher Sprachen konsequent mit den Mitteln komplexer künstlicher Logiksprachen zu rekonstruieren bestrebt sind. Großen Einfluß haben hier die Arbeiten von Montague (1974) gewonnen. Die größere formale Strenge, die auf diesem Weg für semantische Analysen erreicht wird, ist verbunden mit vollständiger Trennung der Theoriebildung von Problemen der psychologischen Interpretation der theoretischen Konstrukte. Im Hintergrund der Grundkonzepte sind allerdings auch hier Annahmen über die psychologische Basis erforderlich: Logische Prädikate und Funktoren müssen psychologisch annehmbaren D i s kriminationen und Operationen entsprechen, damit eine aus ihnen aufgebaute Sprache "lernbar" ist. (Vgl. Cresswell 1973, Kap. 4, für eine kurze E r ö r t e rung dieses P r o b l e m s . ) In der Psychologie finden sich Tendenzen der Abkehr von linguistischen Modellen vornehmlich im Zusammenhang mit dem Einfluß alternativer Modelle aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz. Diese Modelle decken wesentliche Teile des Bereichs ab, den auch die Linguistik erfaßt, nämlich die syntaktische und die semantische Struktur natürlicher Sprachen. Sie stellen ihn aber zugleich in einer Form dar, die direkt bestimmte Prozeßabläufe in dem durch diese Strukturen definierten Raum determinieren. Sie füllen demnach nicht nur, wie bereits erwähnt, eine Lücke für bestimmte Aspekte der Bedeutungsstruktur aus, sondern verbinden zugleich den Struktur- und P r o 14

zeßaspekt des Sprachverhaltens im Modellansatz. Dabei ist allerdings zu be denken, daß die Konzepte der künstlichen Intelligenz insgesamt die Gefahr jenes Mißverständnisses enthalten, dem der erste Ansatz der Psycholinguistik unterlag: Regeln werden auch hier, wie sich allenthalben zeigen läßt, zugleich als Determinanten der Struktur und der Prozesse betrachtet. Je mehr Computersimulationen den verschiedenen Aspekten des tatsächlichen Sprachverhaltens angenähert werden, desto deutlicher kommt dieses Problem zum Vorschein. (Als Beispiel vergleiche man das unten durch (9) bis (12) illustrierte Problem.) Es liegt nach dem Gesagten auf der Hand, daß ich die oben als (b) formulierte Tendenz für die angemessenere halte, deren Ziel eine sorgfältige Integration, nicht eine Separierung linguistischer und psychologischer Analysen ist. Die Instrumentarien der logischen Semantik und der künstlichen Intelligenz können für diesen Prozeß von großem Nutzen sein, wenn sie zur Verdeutlichung der Probleme, nicht zu deren Abkapselung benutzt werden. Die Art der anstehenden Fragen soll an einem Beispiel aus dem noch wenig analysierten Bereich der spontanen Sprachproduktion belegt werden. Wie bei allen "Black-Box-Problemen" geben Störungen im Funktionsablauf besonders deutliche Anhaltspunkte für die inneren Zusammenhänge. Spontane Versprecher sind solche Funktionsstörungen. Sie geben u.a. Hinweise auf die Interaktion von Struktur- und Prozeßaspekten. Die Beispiele (9) und (10) zeigen dies für die syntaktische Organisation. (9)

. . . daß er sich Zweifeln nicht ausgesehen gesetzt hat. setzt sehen

(10)

. . . die ein neues Tanztheater entstehen läßt, oder entstanden hat lassen, hat entstehen lassen. Der Fall (9) zeigt ein (häufiges) Phänomen, das in einer Störung in der

linearen Realisierung einer syntaktischen Struktur besteht. Es setzt die durch grammatische Regeln determinierte Struktur voraus, läßt sich aber nicht durch eine falsche Operation dieser Regeln erklären. Der nur scheinbar ganz ähnliche Fall (10) dagegen enthält eine defekte komplexe Verbgruppe, die durch zwei genau fixierbare Verletzungen grammatischer Regeln, nicht

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durch eine defekte Linearisierung einer syntaktisch korrekten Struktur zustandekommt. Die Beispiele (11) und (12) sind Indizien für Struktur und Wirkungsweise der lexikalischen Organisation. Fall (11) belegt einen der häufigsten Fälle einer irrtümlichen Wortwahl, eines 'Selektionsfehlers': Anstelle einer intendierten Einheit wird ihr semantischer Gegenpol aktualisiert. (11)

Im Süden noch Frost, sonst mehrere Grade unter Null. über

(12)

Als Patentrezept bietet sich ab . . . an

Während Fälle vom Typ (11) durch semantische Netzstrukturen gut e r k l ä r t werden können und damit zugleich eine Bestätigung für die in ihnen enthaltenen Annahmen sind, gilt das für (12) wieder nur scheinbar. Die konzeptuelle Einheit, die hier semantisch zu repräsentieren ist, ist (sich) anbieten, der jedoch kein abbieten gegenübersteht. Der Selektionsfehler bezieht sich hier auf einen semantisch suspendierten Bestandteil in der grammatischen "Realisierung der fraglichen Bedeutungseinheit. Dieser Bestandteil allerdings unterliegt dem gleichen Fehlertyp wie (11): an ist polar zu ab wie über zu unter. Mit anderen Worten: Fälle wie (12) zeigen, daß die Aktivierungs- und Selektionsprozesse im lexikalischen Gedächtnis nicht nur die eigentliche semantische Vernetzung, sondern die gesamte syntaktische und morphologische Struktur der Einheiten zur Grundlage haben. Wie Strukturen und Prozesse im semantischen und syntaktischen Bereich zusammenwirken, ist mit diesen Bemerkungen, die überdies auf den phonetischen Bereich ausgedehnt werden müßten, nicht einmal angedeutet. (Provisorische Überlegungen dazu habe ich in Bierwisch 1970 und in diesem Band a n gestellt. ) Sie zeigen aber an einem sehr kleinen Ausschnitt, daß Erklärungsansätze weder auf die linguistische Struktur Charakterisierung noch auf die psychologische Bestimmung der involvierten Prozesse verzichten können. Und sie machen deutlich, daß ein Modell, das diese Integration leistet, nicht hinter der nächsten E cke zu finden sein wird.

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4.

Die Schritt iür Schritt voranzubringende Durchdringung von Psycho-

logie und Linguistik, für die ich hier plädiere, ist in zahlreichen Arbeiten e r kennbar, wie in Abschnitt 1 bereits erwähnt. (Miller und Johnson-Laird 1976, ist das jüngste, gewichtige Beispiel.) Außer den Problemen, die den konkreten Fakten der zuletzt erörterten Art abzulesen sind, sprechen für diese Entwicklung auch generelle Gründe, von denen bereits die Rede war, und die noch einmal unter anderem Blickwinkel rekapituliert seien. Annahmen der deskriptiven und theoretischen Linguistik lassen sich, wie wir gesehen haben, im allgemeinen nicht direkt in experimentalpsychologische Variablen überführen und so bestätigen oder zurückweisen. Dennoch bleibt die Rechtfertigung grammatischer Einzelbeschreibungen und ihrer generellen Züge an die Notwendigkeit der psychologischen Interpretierbarkeit gebunden, denn für die Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten, sprachliche Strukturbefunde zu systematisieren, ist die Möglichkeit entscheidend, linguistische Annahmen in die psychologische Theoriebildurig zu integrieren. Artifizielle oder praktizistische Kriterien wären die Alternative. Daß die Sprache ein gesellschaftliches Phänomen ist, daß die Einzelsprachen von der Geschichte, der Struktur und den Kommunikationsbedürfnissen ihrer Sprachgemeinschaften geformt werden, wird mit dieser psychologischen Fundierung nicht abgeschwächt oder vergessen, sondern verdeutlicht: Die spezifisch menschliche, d.h. gesellschaftliche Art interindividueller Beziehungen hängt damit zusammen, daß die psychische Ausstattung der Menschen sprachlich strukturierte Kommunikationsprozesse ermöglicht und damit ihren Rahmen präformiert. Psychologische Analysen sprachgebundener Prozesse, das ist das Pendant zum eben Gesagten, involvieren fast stets nicht nur die Struktur sprachlicher Ausdrücke als entscheidende Determinanten. Daß linguistische Befunde für Modellansätze und experimentelle Fragestellungen dennoch unerläßlich sind, hat aber nicht nur den einfachen Grund, daß das Verstehen von Sätzen oder das Behalten von Wörtern eben an Sätze und Wörter gebunden ist, sondern berührt ein tieferliegendes Problem. Es hängt mit dem zusammen, was ich das "Integrationsprinzip der Sprachstruktur" genannt habe. In gewissem Verständnis gleiche Leistungen, etwa das Fixieren und Operieren mit Gedächtnis17

besitz oder das Erfassen von Invarianten und Regeln im Reizangebot, können unterschiedliche Charakteristiken aufweisen, wenn sie sich auf unterschiedliche Domänen beziehen, insbesondere also wenn sie sprachlicher oder aber nichtsprachlicher Natur sind. So hat z. B. Paivio in einer Reihe von Arbeiten verschiedene Eigenschaften für das Behalten sensorischer und sprachlicher Einheiten und Muster wahrscheinlich gemacht und auf ihrer Grundlage ein sensorisches und ein symbolisches Gedächtnis unterschieden. Es scheint, daß in letzterem u. a. die sequentielle Organisation eine wichtigere Rolle spielt als im auditiven und visuellen Gedächtnis. (Paivio, Philipchalk, Rowe 1975.) Ähnliche Beobachtungen beziehen sich auf andere Erscheinungen: "Natürliche Begriffe" scheinen in einem ausgezeichneten Sinn mit der Bindung an sprachliche Symbole zu koinzidieren (Rosch 1973), und die Reaktion auf Sprachlaute weist vermutlich von Anfang an spezifische Charakteristika auf (vgl. u . a . Metze und Steingart, in diesem Band). Die mit diesen und zahlreichen anderen Befunden zu begründende Überlegung bedarf kritischer Analyse, trifft aber einen zentralen Punkt: Die in gewissem Sinn generellen Mechanismen des inneren (und des äußeren) Verhaltens sind offenbar nicht indifferent gegenüber der Domäne, deren Struktur- und Funktionszusammenhänge sie realisieren, und die Struktur der natürlichen Sprache integriert einen komplexen Bereich dieser Art innerhalb des Gebiets kognitiver Leistungen des Menschen. Die Grundlagen dieser Integration wären so gesehen die Basis der spezifisch menschlichen, nämlich der sprachlich geprägten und eben dadurch gesellschaftlichen Erkenntnis- und Kommunikationsprozesse. Unabhängig davon, welche Form diese Überlegung bei ihrer Konkretisie rung und empirischen Überprüfung annimmt, sind der Zusammenhang von Sprache und Denken und die gesellschaftliche Vermittlung beider theoretisch nur klärbar, wenn die Psychologie der Sprache als psychologische und linguistische Problemstellung behandelt wird. 5.

Die bisher relativ global erörterte Problematik der Psycholinguistik

\xnd ihrer Entwicklungsphasen differenziert sich beträchtlich, wenn man Aufgliederungen in Teilgebiete betrachtet, die durch speziellere Gegenstandsbereiche, Methodik und vorgegebene Teildisziplinen innerhalb der Psychologie 18

und der Linguistik auf zum Teil verwickelte Weise bestimmt sind. Eine ganze Reihe verschiedener Ordnungsgesichtspunkte lassen sich dabei angeben, die teils auf Strukturen, teils auf Prozeßkomponenten, teils auf beides Bezug nehmen. Ich nenne ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit die folgenden: - Für die Analyse relevante Ebenen der Sprachstruktur: Phonetik und Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik. - Durch bestimmte Anforderungen zu prüfende Prozeßkomponenten: Wahrnehmen, Klassifizieren, Behalten, Reproduzieren, etc. - Integrierte Funktionsmechanismen des Sprachverhaltens: Sprachproduktion und Sprachverstehen und deren Derivate wie Lesen, Sprechen, Schreiben etc. - Normales und gestörtes Sprachverhalten, Pathologie und Erwerb sprachlicher Leistungen. Diese sehr unterschiedlichen Gesichtspunkte bilden Kreuz- und Unterklassifizierungen spezieller Fragestellungen. Sie sind mit unterschiedlichen methodischen Instrumentarien verbunden, die wiederum verschiedene Aspekte der Thematik hervortreten lassen. Ein Versuch, die Zusammenhänge zwischen diesen Facetten zu systematisieren, ist wenig sinnvoll, nicht nur wegen der Weitläufigkeit, sondern auch wegen der Uneinheitlichkeit, die ein solches Bild ergeben würde aufgrund der zahlreichen wissenschaftsgeschichtlich bedingten Besonderheiten, die dabei zu berücksichtigen wären. Ich beschränke mich deshalb auf drei Bemerkungen, die den Zusammenhang von Gegenstand und Methodik in der Psycholinguistik betreffen. (a) Zunächst gilt ziemlich uneingeschränkt, daß es keinen speziellen Methodenkanon der Psycholinguistik gibt. Die experimentelle Psycholinguistik bedient sich der klassischen Paradigmen der Experimentalpsychologie, von der Psychoakustik bis zur experimentellen Gedächtnispsychologie, die genetische Psycholinguistik - d. h. das Studium des Spracherwerbs - baut auf den Verfahren der Entwicklungspsychologie auf. Dabei haben sich gegenstandsbedingte Akzentuierungen und in einigen Fällen charakteristische Neubewertungen der mit bestimmten Paradigmen verbundenen Annahmen ergeben. Ein charakteristisches Beispiel ist die Umorientierung der Gedächtnispsychologie. Daß das Studium reiner Assoziationsbildung zugunsten der Analyse struk19

turbildender Prinzipien und Regeln aufgegeben wurde, geschah wesentlich unter dem Einfluß von Fragestellungen, die an sprachlichen Gedächtnisleistungen orientiert waren. (Kintsch 1974 gibt eine prägnante Darstellung dieser Entwicklung,) Tradierte Fragestellungen und ihre experimentelle Operationalisierung nahmen hier, wie in anderen Fällen, einen neuen Charakter an durch die Betrachtung komplexer, regeldeterminierter Strukturen, die im Sprachverhalten exemplarisch zu fassen sind. (b) Strenggenommen gehören in den methodischen Kanon der Experimentalpsychologie auch die Mittel zur Absicherung linguistischer Primärdaten, wie bereits in Abschnitt 2 erwähnt. Ich greife diesen Punkt noch einmal auf, um zwei Verdeutlichungen vorzunehmen. Zunächst: Die Entscheidung, ob z.B. zwei verschiedene Ausdrücke die gleiche Bedeutung haben, zwei Lautfolgen mit dem gleichen Segment beginnen, eine Äußerung grammatisch korrekt oder unkorrekt oder in bestimmter Weise mehrdeutig ist, liefert empirische Aussagen über die sprachliche Struktur der geprüften Ausdrücke, ist aber zugleich das Resultat eines bestimmten Prozesses. Dieser Prozeß stellt eine eigene kognitive Leistung dar, die von denen der spontanen Sprachproduktion und -perzeption wohlunterschieden ist. Die involvierte Leistung ist eine klassifizierende Bewertung bezüglich vorweg fixierter spezieller StruktureigenSchäften. Die Bezugnahme auf die Sprachstruktur hat in diesem Prozeß offensichtlich einen anderen Charakter als beim Produzieren oder Interpretieren sprachlicher Äußerungen. Und zweitens: Die geprüften Struktureigenschaften sind notwendigerweise oft sehr komplex und deshalb nur innerhalb eines sehr spezifischen vororientierenden Bezugsrahmens bewertbar. Prägnanzphänomene, Toleranzverschiebungen und ähnliche Erscheinungen müssen deshalb in Rechnung gestellt werden. Eine Versuchsperson kann mithin sehr wohl z.B. eine Konstruktion als ungrammatisch bewerten, sie aber gleichwohl spontan produzieren (ohne sich dabei im oben illustrierten Sinn versprochen zu haben). Die Unterscheidung von Struktur und Prozeß im Sprachverhalten zeigt sich hier von ihrer methodischen Seite. (c) Einen besonderen Zugriff zum Gegenstand der Psycholinguistik stellt inhaltlich und methodisch die Neuropsychologie dar, die vor allem durch die Aphasieforschung von Beginn an auf die Berücksichtigung sprachlicher Phäno20

mene verwiesen war. Daß Störungen einer normalen Leistung Aufschluß über ihre Funktionsweise geben, habe ich bereits erwähnt. In diesem Sinn machen die verschiedenen Aphasiesyndrome bestimmte Verhaltensabläufe aufgrund ihrer Desintegration zugänglich. Auch hier hat die Entwicklung der Psycholinguistik das Methodenrepertoire der Neuropsychologie im Prinzip nicht verändert. Wohl aber haben linguistische Konzepte die Fragestellungen deutlich präzisiert und bereichert. (Wurzel und Böttcher geben in diesem Band ein aufschlußreiches Beispiel aus dem Bereich der Lautstruktur.) Die spezielle und in gewissem Sinn invariante Rolle sprachlicher Strukturbedingungen bei Störungen unterschiedlicher Art eröffnet dabei einen spezifischen methodischen Zugang zum Verhältnis von Struktur- und Prozeßkomponenten. Zu den konstitutiven Fragestellungen der Neuropsychologie gehört die nach der Beziehung zwischen Verhaltensleistungen und ihrem neurologischen Substrat, faßbar aufgrund der anatomischen und histologischen Bestimmung der Quelle der Störung. Wegen dieses Zusammenhangs ist seit einiger Zeit der Terminus "Neurolinguistik" für Analysen in Umlauf gekommen, die vor allem aufgrund aphasiologischer Befunde nach der neurologischen Basis sprachlicher Leistungen fragen. Dieser Name gibt leicht Veranlassung zu einem Mißverständnis. Die zur Verfügung stehenden Methoden und die Erscheinungen, die mit ihrer Hilfe analysiert werden können, sind nicht linguistischer, sondern psycholinguistischer Natur. Neurologisch bestimmt werden die Grundlagen des Sprachverhaltens, und nur durch das Verhalten vermittelt die in ihm wirksamen Bedingungen der Sprachstruktur. Wenn dieser Umstand aber berücksichtigt wird, dann ist das, was man etwas umständlich "Neuropsycholinguistik" nennen müßte, methodisch in der Tat ein (partieller) Zugang auch zu den neuralen, das heißt biologischen Grundlagen der Sprachfähigkeit. 6. Der Versuch, die konstituierenden Faktoren, die Entwicklungsetappen und -tendenzen und die verschiedenen Verzweigungen der Psycholinguistik zu kennzeichnen, dürfte bei aller Unvollständigkeit die Leitfragen deutlich gemacht haben, durch die sich das Gebiet umgreifen läßt, nämlich: - Wie werden sprachliche Strukturbildungen in den verschiedenen Prozessen des inneren (und äußeren) Verhaltens des Menschen wirksam? 21

- Wie werden die Strukturkenntnisse und Prozeßkomponenten, auf denen dieses Verhalten beruht, erworben oder ausgebildet? Diese Leitfragen weisen dieses Gebiet als einen genuinen, ja sogar zentralen Komplex der Psychologie kognitiver Prozesse aus. Seine Spezifik liegt in der Bindung der involvierten Prozesse an die Sprachstruktur und noch etwas spezieller in den Besonderheiten, die diese dabei annehmen. Wegen der vielfältigen Verzahnung des Sprachverhaltens mit anderen kognitiven Prozessen ist es zumindest zur Zeit, möglicherweise aber überhaupt, kaum sinnvoll, nach einer strikten Umgrenzung der Psycholinguistik zu suchen. Bis zur F o r mulierung kohärenter Modelle, die die verwickelten Zusammenhänge einsichtig machen und befriedigend erklären, ist noch ein beträchtlicher Weg zurückzulegen. Die Richtung des Weges ist durch die Entwicklung der beiden letzten Jahrzehnte jedoch deutlicher geworden. Ich will abschließend versuchen, einige allgemeinere Befunde zu formulieren, die durch die nachfolgenden Arbeiten belegt werden und die zu dieser E n t wicklung beitragen, ohne daß ich damit etwa die "Quintessenz" der v e r s c h i e denen Untersuchungen oder gar eine Einordnung aller Resultate anzugeben b e absichtige, (a) Die Ausdrücke einer Sprache sind komplex strukturierte Gebilde in folgendem Sinn: Mehrere Strukturebenen, die im allgemeinen nicht isomorph, sondern auf unterschiedliche Weise strukturiert sind, bestimmen die Eigenschaften sprachlicher Ausdrücke. Zu unterscheiden sind mindestens (i) die phonetische (bzw. die graphische) Struktur, (ii) die morphologische Struktur, (iii) die syntaktische und (iv) die semantische Struktur. Diese Ebenen ü b e r lagern sich in der Weise, daß sie von (i) bis (iv) zunehmend mehr Abstand, d . h . mehr Vermittlungsstufen gegenüber dem Eingabe - bzw. Ausgabesignal der Perzeptions- oder Produktionsprozesse aufweisen. Ich will den Zusammenhang dieser Strukturebenen in einem sprachlichen Ausdruck die "vertikale Integration" der Sprachstruktur nennen. Innerhalb jeder Struktur ebene sind die Elemente und Komplexe, die auf ihr vorkommen, in spezifischer Weise mit anderen Elementen und Komplexen verbunden. Diese Zusammenhänge will ich die "horizontale Integration" nennen. In ihr sind zwei grundsätzlich verschiedene Arten von Zusammenhängen zu unterscheiden, (i) die aktuelle und (ii) die virtuelle horizontale Integration. In der Linguistik werden 22

die entsprechenden Beziehungen unter bestimmten einschränkenden Bedingungen syntagmatische und paradigmatische Relationen genannt. Einfachstes Beispiel für diese Unterscheidung ist die aktuelle Beziehung zwischen d und u auf der phonetischen Ebene des Ausdrucks du und die virtuelle Beziehung zwischen u und a auf der phonetischen Ebene des gleichen Ausdrucks (mit der zugleich eine virtuelle Beziehung zwischen den Morphemen du und da auf der morphologischen Ebene und der entsprechenden Bedeutungen auf der semantischen Ebene korrespondiert). Die Grammatik einer Sprache definiert die Gesamtheit der Zusammenhänge, die die horizontale und vertikale Integration der Struktur der Ausdrücke einer Sprache ausmacht. Sprachverstehen läßt sich auf dieser Grundlage als ein Prozeß bestimmen, der ein Signal bezüglich der vertikalen und horizontalen Integration des mit diesem Signal realisierten Ausdrucks interpretiert; entsprechend ist Sprachproduktion die Erzeugung eines Signals, dem die vertikal und die horizontal integrierte Struktur eines Ausdrucks zugrunde liegt. Diese theoretischen Rahmenbestimmungen lassen sehr verschiedene Spezifizierungen zu, von denen jetzt einige erörtert werden sollen. (b) Bezüglich der vertikalen Integration ist zunächst durch unterschiedliche Analysen belegbar, daß die linguistisch begründeten Struktur ebenen bei der Verarbeitung sprachlicher Äußerungen tatsächlich identifiziert werden. (Vgl. Bierwisch, in diesem Band, für eine Erörterung einiger einschlägiger E r gebnisse. ) Damit ist nicht notwendig die Annahme verbunden, daß immer alle Einheiten und Beziehungen auf allen Ebenen realisiert werden, wohl aber daß das unter entsprechenden Bedingungen möglich ist. Spezieller ist die Feststellung, daß die vertikale Integration sich auch durchsetzt, wenn bestimmte Strukturaspekte trivial oder überflüssig sind. Aufschlußreich ist dafür die Verarbeitung isolierter Wörter. Die Ergebnisse von Irina Weigl, Böttcher sowie Wurzel und Böttcher zeigen, daß die syntaktische Klassifizierung der lexikalischen Einheiten für die Perzeption und Reproduktion kontrollierbare Effekte (in Form unterschiedlicher Affizierung durch aphatische Störung) auch dann hat, wenn die Einheiten gar nicht syntaktisch verknüpft sind, die syntaktische Klassifizierung also nicht aktuell zum Tragen kommt. Mit anderen Worten, die Prozesse der Perzeption und Produktion sprachlicher Aus23

drücke involvieren bei der vertikalen Integration ihrer Struktur auch Eigenschaften, die für die aktuelle horizontale Integration irrelevant sein können. (c) Eine weitere in diesen Zusammenhang gehörende Spezifizierung wäre die naheliegende Annahme, daß die Identifizierung der Strukturebenen in einer Folge von Umkodierungen geschieht, die bei der Perzeption von (i) nach (iv) und bei der Produktion umgekehrt durchlaufen wird. Diese Annahme ist aber offenbar nicht allgemein zutreffend. Vielmehr kann bereits die phonetische bzw. graphische Dekodierung von morphologischen oder syntaktischen Strukturbedingungen abhängig sein, wie z . B . die von Böttcher gefundene Tatsache zeigt, daß die morphologische Struktur und die syntaktische Klassenzugehörigkeit einen deutlicheren Effekt für die Leseleistung haben als die Wortlänge oder die Großschreibung. Mit anderen Worten, es zeigt sich eine gewisse Dominanz der "höheren" über die "niedrigeren" Strukturebenen auch in der Perzeption, eine Feststellung, mit der auch die Tatsache übereinstimmt, daß Wurzel und Böttcher in den Faktoren, die das expressive Lesen beeinflussen, neben der phonetischen Komplexität ein zusätzliches Inkrement fanden, das aus der Wortklassenzugehörigkeit der dargebotenen Einheiten stammt. Was damit durch (aphatisch gestörte) Prozesse der Perzeption und Reproduktion von Wörtern belegt wird, nämlich daß die Identifizierung der niedrigeren Struktur ebenen Vorgriffe auf die höheren einschließen kann, ist an sich nicht neu, verstärkt aber eine wichtige Bedingung für die Konzipierung eines Sprachperzeptionsmodells. (d) Die strukturellen Bedingungen, deren Rolle in (b) und (c) betrachtet wurde, können einen außerordentlich spezifischen Charakter haben, genauer: bestimmte Strukturmerkmale haben in verschiedenen Prozessen konstant den gleichen Effekt. Eine durch verschiedene Untersuchungen relativ abgesicherte Feststellung betrifft die Rolle der syntaktischen Kategorisierung lexikalischer Einheiten. Treten in der Perzeption oder Produktion Fehler auf, dann zeigt sich zunächst eine starke Tendenz zur Beibehaltung der Klassenzugehörigkeit bei falscher Identifizierung der Elemente. Das gilt ebenso für Fehler, die aphatischen Beeinträchtigungen entspringen (so in den Ergebnissen von Irina Weigl) wie für solche, die Folge spontaner Versprecher der oben erörterten Art sind. Spezieller zeigt sich bei aphatischen Störungen eine cha24

rakteristische Rangfolge der Störanfälligkeit von Substantiven über Adjektive und Verben zu Präpositionen und anderen grammatischen Funktionswörtern, wobei letztere die stärkste Beeinträchtigung zeigen. Schwieriger zu belegen, dafür aber um so aufschlußreicher ist der gleiche Effekt, wenn die syntaktischen Einheiten horizontal integriert sind. Irina Weigls Befunde weisen nicht nur auf die Rolle syntaktischer Komplexbildung überhaupt hin, sondern auf eine Abstufung zwischen nominalen und verbalen Syntagmen, die der eben e r wähnten Rangreihe parallel ist. Unvermutet setzt diese sich sogar in v e r s c h i e denen Aphasietypen durch. Zusammengefaßt: Bei der strukturellen Integration sprachlicher Ausdrücke können abhebbare Strukturmerkmale spezifische Einflüsse auf die Verarbeitungsprozesse haben. (e) Die unter (b) bis (d) betrachteten Befunde betreffen Erscheinungen der vertikalen und Ausschnitte der aktuell horizontalen Strukturintegration, also der Zusammenhänge innerhalb eines Ausdrucks. Das Verstehen und das gezielte Produzieren eines sprachlichen Ausdrucks hängt aber entscheidend ab von der Identifizierung seiner virtuellen semantischen Bezüge, seines s e m a n tischen Stellenwerts innerhalb des Systems möglicher Ausdrücke. Für die lexikalischen Einheiten müssen diese Bezüge Strukturzusammenhänge im G e dächtnis bilden. Die Untersuchungen von Egon Weigl, von Klix, Kukla und Kühn und von Hoffmann zeigen auf ganz verschiedene Weise, daß die Aktivierung von Gedächtnisbesitz durch diese Bezüge determiniert ist. Grundlage von Weigls Analysen ist die von ihm schon früher "belegte Möglichkeit, h i r n pathologisch bedingte Störungen in der Verfügung über Wortkenntnisse unter bestimmten, experimentell kontrollierbaren Bedingungen zeitweilig zu d e blockieren. Diese Deblockierung des Zugriffs zu sprachlichen Einheiten ist nun beeinflußbar durch die semantischen Beziehungen, in denen sie stehen. Weigl zeigt das u. a. anhand mehrdeutiger Wörter, indem jeweils eine ihrer Bedeutuiigen selektiv aktiviert wird. Die Untersuchung von Klix, Kukla und Kühn geht gewissermaßen umgekehrt vor: Sie setzt normales Sprachverstehen voraus und prüft eine zusätzliche Leistung, nämlich die Lösung einfacher sprachlicher Analogieprobleme. Die Anforderung, analoge Beziehungen für jeweils zwei Paare lexikalischer Einheiten aufzufinden, erlaubt dabei, v e r schiedene Typen semantischer Bezüge zu unterscheiden, die bei Variationen

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in der Anforderung unterschiedliche Veränderungen in den durchschnittlichen Prozeßzeiten determinieren. Hoffmann schließlich benutzt das klassische Paradigma des Listenlernens aus der Gedächtnispsychologie, um die Wirkung semantischer Zusammenhänge zu studieren. Die Elemente einer Liste sind im Sinne der unter (a) eingeführten Terminologie - in der Liste aktuell h o r i zontal integriert. Die Beziehungen in der Liste sind jedoch nicht semantischer oder sonstwie sprachlicher Natur, sondern willkürlich gesetzt. Hoffmann kann zeigen, daß die a r b i t r ä r e Listenstruktur im Gedächtnis modifiziert wird auf Grund virtueller semantischer Bezüge zwischen den Einheiten. Zusammengefaßt: Sprachliche Bedeutungsstrukturen interagieren auf spezifische Weise mit verschiedenen Prozessen der Aktivierung von Gedächtnisbesitz. Linguistisch und psychologisch gleichermaßen wichtig ist dabei die Tatsache, daß die semantischen Relationen eine Faktoren- oder Komponentenstruktur der lexikalischen Einheiten bedingen. Das berechtigt zu der Annahme, daß Strukturen und P r o z e s s e den Charakter dieser Komponenten zu bestimmen erlauben müssen, oder anders herum: daß sie von ihm aus zu erklären sind. Die e r ö r t e r t e n Befunde geben Anhaltspunkte für die Annäherung an dieses noch ziemlich entfernte Ziel. (f) Strukturkomponenten sprachlicher Ausdrücke von der phonetischen Ebene bis hin zur semantischen Vernetzung der Wörter bilden den Hintergrund der unter (b) bis (e) erwähnten Erscheinungen. An sie ist schließlich der Komplex von Prozessen gebunden, der sprachliche Äußerungen auf die Objekte und Sachverhalte der Umwelt bezieht, über die gesprochen wird. Den ganz unterschiedlichen Modalitäten der Umwelterfahrung entsprechend m ü s sen dabei Prozeßkomponenten sehr verschiedener Art ins Spiel kommen: anschaulich wahrnehmbare Gegebenheiten setzen andere Bedingungen als unanschauliche, real gegebene andere als fiktive Situationen. Allen gemeinsam ist die Tatsache, daß interne Repräsentationen der sprachlich ausgedrückten Sachverhalte unter Vermittlung des jeweiligen Gedächtnisbesitzes gebildet werden müssen. Die Untersuchung von Klix und Hoffmann analysiert einen wohlumschriebenen Ausschnitt aus diesem Komplex von Prozessen. Das e x perimentelle Paradigma des Satz-Bild-Vergleichs, bei dem die Latenzzeit für die Prüfung der Übereinstimmung von Bild und sprachlicher Aussage ge26

messen wird, erlaubt bestimmte Faktoren und Bedingungen dieser Prozesse zu isolieren. Vorausgesetzt wird die Annahme, daß eine anforderungsgemäße interne Repräsentation der Satzbedeutung erzeugt wird als Ergebnis von P r o zessen, in die die zuvor erörterten Bedingungen eingehen. Gefragt wird nach der Repräsentationsform des zu vergleichenden Bildes im Gedächtnis und dem Charakter der Vergleichsoperationen. Die Ergebnisse zeigen, daß je nach der Struktur der sprachlichen Aussage nicht nur verschiedene Operationsschritte, sondern offenbar auch verschiedene Modalitäten der Bildrepräsentation im Gedächtnis angenommen werden müssen. Die auch durch andere Untersuchungen gestützte Unterscheidung einer anschaulichen und einer b e grifflich-semantischen Repräsentation von Gedächtnisbesitz ist dabei ein Angelpunkt in der Erklärung der ermittelten Befunde. Ihre Verzweigungen führen zu detaillierteren Annahmen über Teilprozesse, die sprachliche Strukturen mit außersprachlichen Wahrnehmungskomplexen und allgemeiner mit der gedächtnismäßigen Repräsentation der Umwelt verbinden. Einsichten in diese Zusammenhänge können im weiteren ein deutlicheres Licht auch auf die hier zunächst ausgesparte Frage werfen, wie die Wahrnehmung und Analyse sprach licher Äußerungen, also das Sprachverstehen im engeren Sinn, sowie die P r o duktion sprachlicher Äußerungen ihrerseits durch die Bezugsetzung zur Umwelterfahrung beeinflußt werden. • Mit den Bemerkungen unter (a) bis (f) habe ich verschiedenartige Befunde zum T e i l vergröbernd aneinandergerückt. Die sowoL.

¡liehe wie metho-

dische Unterschiedlichkeit der einzelnen Arbeiten und ihrer Ergebnisse soll damit nicht vergessen gemacht werden. Sie bieten kein kohärentes Bild psycholinguistischer Problemstellungen. Wichtige Themen werden nicht berührt, latente Zusammenhänge bedürfen weiterer Ausarbeitung. Die notwendige Auffächerung der Details und die äußerlich bedingten Disproportionen sollten dennoch einen gemeinsamen Angelpunkt der Beiträge erkennbar werden l a s sen: Die Wechselwirkung sprachlicher Strukturen und kognitiver Prozesse, die sich als das durchgängige Thema probandum der Psycholinguistik festhalten läßt.

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Literaturverzeichnis

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Manfred Bierwisch SPRACHE UND GEDÄCHTNIS: ERGEBNISSE UND PROBLEME

1.

Aspekte der Thematik

Natürliche Sprache und menschliches Gedächtnis sind zwei gleichermaßen umfangreiche, komplexe und verzweigte Gegenstandsbereiche. Ihre Zusammenhänge und wechselweisen Determinationen zu erfassen und aufzuklären, ist eine dementsprechend komplizierte und in dem nachfolgend versuchten Überblick nur sehr unvollständig beschreibbare Aufgabenstellung. Dabei ist der Zusammenhang von Sprache und Gedächtnis nicht eine Problematik, die zur Analyse der beiden Bereiche nur nachträglich hinzukommt. E s ist vielmehr bereits bei ganz intuitivem Verständnis von Sprache und Gedächtnis offensichtlich, daß die Wechselwirkungen und Abhängigkeiten für jeden der beiden Bereiche konstitutiv sind. Etwas vereinfacht ausgedrückt: Ohhe Gedächtnis ist.Sprache nicht möglich, und die Sprache ist eine unabdingbare V o r aussetzung der für den Menschen charakteristischen komplexen Gedächtnisleistungen und kognitiven Prozesse.

1.1.

Linguistik, Psycholinguistik, Gedächtnispsychologie

Zu dem ins Auge gefaßten Problemkomplex gibt es natürlicherweise zwei Zugänge. Den einen bilden die Linguistik, die Gesetzmäßigkeiten der Struktur natürlicher Sprachen zu formulieren versucht, und die Psycholinguistik, die die durch diese Strukturen determinierten Prozesse des Sprachverhaltens analysiert. Den anderen Zugang bildet die L e r n - und Gedächtnispsychologie, 29

die allgemeine Eigenschaften und Gesetzmäßigkeiten der Bildung und Funktionsweise von Gedächtnisbesitz zu ermitteln trachtet. Hier ist nun zunächst zu konstatieren, daß sich die von diesen beiden Zugängen aus eingeschlagenen Wege keineswegs ohne weiteres in der Analyse der wechselweisen Bedingtheit von Gedächtnis und Sprache begegnen. E r s t in allerjüngster Zeit haben sich Ansätze zu einer dem gemeinsamen Gegenstand entsprechenden Integration der beiden Zugangswege ergeben. Charakteristisch für diese Entwicklung sind insbesondere die Arbeiten von Kintsch (1972, 1974) und Anderson and Bower (1973). Die Faktoren, die dabei zu überwinden waren oder sind, hängen auch mit der Problematik selbst zusammen und sollen sogleich kurz gekennzeichnet werden. Die natürliche Sprache als das entscheidende Medium zum Ausdruck und zum Austausch von Gedanken gesellschaftlich kooperierender Menschen läßt sich als ein außerordentlich kompliziertes System von Strukturen charakterisieren, die aus verschiedenen Klassen von Grundelementen nach spezifischen Regeln zu bilden sind und das Produzieren und Verstehen normaler Äußerungen determinieren. Dabei sind die Grundelemente ebenso wichtig wie die Regeln für die Bildung komplexer Strukturen. Das gilt insbesondere für die Wörter und ihre Verknüpfung zu Sätzen, wobei sich die Verknüpfung aus mehreren, noch zu belegenden Gründen nicht auf die sequentielle Aneinanderreihung' reduzieren läßt. Die Einheiten und Regeln einer Sprache müssen gelernt und im Gedächtnis fixiert werden. Für diese (zum großen Teil implizite) Kenntnis hat N. Chomsky (1965) den Terminus "Sprachkompetenz" geprägt. Die Linguistik befaßt sich, so gesehen, mit der Struktur eines bestimmten Anteils des Gedächtnisbesitzes. Ihre Befunde sind deshalb zugleich Bedingungen für die Gedächtnispsychologie, wie diese umgekehrt in gewissem Sinn zur Entscheidung über linguistische Hypothesen beitragen kann. Ich werde das in Abschnitt 2 präzisieren. Geht man vom Aspekt der Sprachstruktur über zur Betrachtung der sprachlichen Prozesse und Verhaltensabläufe, so sind zunächst zwei Problemkomplexe zu unterscheiden, die auf jeweils spezifische Weise Gedächtnisprobleme involvieren. Der erste Komplex ist der der Sprachproduktion und Sprachperzeption. Er betrifft die Aktivierung, das Wirksamwerden der im Gedächtnis 30

fixierten Sprachkenntnis beim Hervorbringen und Verstehen sprachlicher Äußerungen, also die Mechanismen des Zusammenwirkens von Langzeitgedächtnis und operativem oder Kurzzeitgedächtnis. In diesen Prozessen werden nicht nur bereits erworbene Gedächtnisstrukturen aktiviert, sondern im allgemeinen auf ihrer Grundlage neue Strukturen erzeugt, die ihrerseits zur Bildung von Langzeitgedächtnisbesitz führen können. Der zweite Problemkomplex ist der des Spracherwerbs. Er betrifft die im natürlichen Entwicklungsprozeß vor sich gehende Aneignung der Sprachkenntnis, also den Aufbau von Gedächtnis besitz sowie die Entwicklung der entsprechenden Produktions- und Perzeptionsmechanismen. Dieser Prozeß unterscheidet sich grundlegend von den in der klassischen Lern- und Gedächtnispsychologie untersuchten Lernvorgängen. Auch das wird noch genauer zu belegen sein. Die experimentelle Psycholinguistik hat sich zwar in verschiedenen Zusammenhängen der charakteristischen Paradigmen der Gedächtnisuntersuchung, wie Wiedererkennen und Reproduzieren gelernter Ereignisse, bedient. Gedächtnisleistungen in dem von der klassischen Gedächtnispsychologie verfolgten Sinn sind dabei jedoch kaum studiert worden, und das, obwohl für beide Themenkomplexe der Psycholinguistik - Spracherwerb und Sprachverwendung und in gewissem Sinn auch für die Linguistik Gedächtnisprobleme beinahe allgegenwärtig sind. Der Grund dafür liegt in der Art der gedächtnispsychologischen Fragestellungen. Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Gedächtnisanalyse war die Annahme, daß sich Struktur und Funktionsweise des Gedächtnisses herleiten lassen aus der Bildung von Assoziationen zwischen (relativ zur jeweiligen Betrachtvingsebene) elementaren Einheiten. Assoziationen sind dabei Verknüpfungen zwischen Gedächtnisspuren, die durch räum-zeitliche Kontiguität der Ereignisse im E r fahrungsbereich des Organismus entstehen. Erworbene Reiz-Reaktions-Verknüpfungen erscheinen dabei als die elementarste Form dieses Zusammenhangs. Dieser Ansatz gilt zunächst auch für die Untersuchungen des verbalen Lernens, die sich mit dem Behalten von Paaren, Listen und Folgen isolierter Wörter befassen. Ein neues Moment trat zu der damit abgesteckten Fragestellung hinzu, als ausgehend von Ergebnissen von Bousfield (1953) die Rolle bestimmter Struktur31

zusammenhänge in den zu behaltenden Listen erkannt und untersucht wurde. Es zeigte sich, daß z . B . Elemente gleicher Kategorien (etwa Namen von Ländern oder Vögeln oder Krankheiten) beim Reproduzieren zu Gruppen zusammengefaßt werden und daß sich dadurch die Reproduktionsquote gegenüber unstrukturierten Listen erhöht. Ähnliche organisierende Faktoren zeigten sich beim Behalten von Sequenzen von Ereignissen und Wörtern, wenn aus Teilfolgen auf Grund bestimmter Regelhaftigkeiten sogenannte Chunks (Miller, 1956) gebildet werden können. Entscheidend für Erscheinungen dieser Art ist das Zusammenspiel bereits im Gedächtnis fixierter Eigenschaften der Grundeinheiten mit der neuen Information über ihre Zugehörigkeit zu dargebotenen Listen oder Sequenzen s ö wie die Wirkung strukturbildender Regeln, die dieses Zusammenspiel in vielen Fällen organisieren. Zusammenfassende Überblicke mit entsprechenden Modellvorstellungen von Mandler (1972) und Bower (1972) machen deutlich, wie die reine Assoziationsbildung durch diese Faktoren organisierend überlagert wird. Die rein assoziationistische Ausgangsposition der Gedächtnispsychologie wird damit verlassen zugunsten der Einbeziehung der Wirkung, die der bereits organisierte Gedächtnisbesitz und bestimmte strukturbildende R e geln für die Gedächtnisfunktion haben. Die Fragestellungen der Gedächtnispsychologie kommen damit der Problematik der Psycholinguistik offensichtlich näher, unterscheiden sich von ihr aber noch immer in wesentlichen Punkten: (a) Sprache bzw. sprachliche Elemente werden nicht in ihrer Funktion als Ausdruck zusammenhängender Gedanken, also propositionaler Strukturen, analysiert, sondern als Elemente im Grunde außersprachlicher Behaltensleistungen. (b) Entsprechend werden Wörter als isolierte Einheiten betrachtet, deren semantische und syntaktische Eigenschaften zwar in der Organisation der L i sten und Folgen wirksam werden, aber für deren Zusammenhang nicht konstitutiv sind. (c) Die Regeln, nach denen Listen und Sequenzen organisiert sind, müssen der jeweiligen Aufgabe entsprechend als anwendbar ausfindig gemacht oder gegebenenfalls neu ausgebildet werden; sie stehen allgemein nicht automatisch 32

zu Gebote wie die der syntaktischen und semantischer. VtrKnüpfung von E l e menten in komplexen sprachlichen Strukturen. Einfach zusammengefaßt: Eine Versuchsperson, die eine Wortliste erinnert und dabei nach geeigneten, ihr erst zu entnehmenden Kriterien organisiert, vollzieht ganz andere Prozesse als jemand, der einen zusammenhängenden Satz versteht und behält. Der Effekt der damit angedeuteten Unterschiede ist in mehreren genau auf dieses Problem gerichteten Experimenten belegt worden. So konnten z . B . Marks und Miller (1964) signifikante Unterschiede in der Behaltensleistung bei folgenden Typen von Wortfolgen zeigen: il) Normale Sätze:

Laute Parties wecken schlafende Nacnbarn.

(2) Unnormale Sätze:

Laute Blitze senden sorgfältige Fluten.

(3) Anagramm von (1):

Nachbarn schlafende laute wecken Parties,

(4) Anagramm von (2):

Fluten sorgfältige laute senden Blitze.

Nach fünf Wiederholungen wurden normale Sätze fast fehlerfrei reproduziert, anormale nur zu 50 %, die Anagramme vom Typ (3) zu 35 % und die Wortlisten vom Typ (4) zu weniger als 15

Ohne auf Einzelheiten des Verlaufs

einzugehen, kann man hier die entscheidende Rolle primär syntaktischer und semantischer Strukturbildung in Wortfolgen konstatieren.

1. 2.

Semantisches und episodisches Gedächtnis

Die unterschiedlichen Aspekte, von denen Gedächtnispsychologie und Psycholinguistik ausgehen, lassen sich noch etwas verdeutlichen mit Hilfe der von Tulving (1972) vorgeschlagenen Unterscheidung von episodischem und semantischem Gedächtnis. Tulving charakterisiert sie folgendermaßen: "Episodic memory receives and stores information about temporally dated episodes or events, and temporal-spatial relations among these events. A perceptual event can be stored in the episodic system solely in terms of its perceptible properties or attributes, and it is always stored in terms of its autobiographical reference to the already existing contents of the episodic memory store. ( . . . , Semantic memory is the memory necessary for the use of language. It 33

is a mental thesaurus, organized knowledge a person possesses about words and other verbal symbols, their meaning and referents, about relations among them, and about rules, formulas, and algorithms for the manipulation of these symbols, concepts, and relations. Semantic memory does not register percepti properties as inputs, but rather cognitive referents of input signals" (S. 385386). Die Erinnerung, daß ich gestern mit meinem Bruder telephoniert habe, daß ich vorige Woche ein versalzenes Steak gegessen habe, daß mir eben eine Liste mit lauter Adjektiven, unter ihnen das Wort lang, präsentiert worden ist, sind typische Fälle episodischen Gedächtnisbesitzes; daß Telephone auf der Basis von Schwachstrom arbeiten, daß NaCl die chemische Formel für Kochsalz ist und daß lang sich zu kurz genau so verhält wie breit zu schmal, sind Beispiele für semantischen Gedächtnisbesitz. Die damit angedeutete Distinktion zweier Gedächtnissysteme ist zunächst keine theoretische Klassifikation, sondern eine heuristische Kennzeichnung bestimmter Erscheinungen und F r a gestellungen. Weder die genauere Abgrenzung noch die offensichtlich notwendigen Formen des Zusammenwirkens beider Systeme lassen sich auf dieser Stufe kennzeichnen. Tulving charakterisiert allerdings kurz einige typische Unterschiede in der Wirkungsweise beider Systeme, insbesondere in den B e haltens- und Vergessenseigenschaften, den Suchprozessen und den möglichen Operationen mit dem Gedächtnisbesitz. Für den Zusammenhang von Sprache und Gedächtnis ist nun festzuhalten, daß die Psycholinguistik, soweit sie Gedächtnisprobleme behandelt, thematisch völlig auf das semantische Gedächtnis orientiert ist und Wirkungen des episodischen Gedächtnisses nur als Begleiterscheinungen berücksichtigt. Das zentrale Thema der Gedächtnispsychologie dagegen ist das episodische Gedächtnis und - im Blick auf die oben e r örterte Erweiterung der Fragestellung - seine Interaktion mit den Wirkungen des semantischen Gedächtnisses. Für die Beziehung von Sprache und Gedächtnis ist schließlich das Verhältnis zwischen semantischem Gedächtnis und Sprachkenntnis in dem in 1.2. angedeuteten Sinn von Sprachkompetenz zu klären. Wegen der verschiedenen Zusammenhänge, aus denen die beiden Begriffsbildungen stammen, ve steht sich dieses Verhältnis nicht von selbst. Gehören zu den Regeln, Formel, und Algo34

rithmen für das Manipulieren von Symbolen, Begriffen und Relationen, die Tulving für das semantische Gedächtnis annimmt, auch syntaktische, morphologische und phonologische Regeln einer gegebenen Sprache? Dies ist, wie noch zu zeigen sein wird, keine bloß definitorische Frage, sondern auch eine nach Grundlage und Funktionsweise der verschiedenen Regeln. Bejaht man diese Frage, wird die Sprachkompetenz insgesamt ein Teil des semantischen Gedächtnisses. Andererseits ist offensichtlich, daß die Sprachkompetenz insofern höchstens ein Teilsystem des semantischen Gedächtnisses ist, als dieses einen großen Bestand an gespeicherter Information umfaßt, der nicht zur Sprachkenntnis gehört, auch oder gerade wenn er auf sprachlichem Weg e r worben wird. Das Wissen über die Arbeitsweise von Telephonen oder die chemische Natur von Kochsalz sind Beispiele dafür, während etwa die Kenntnis proportionaler Bedeutungsbeziehungen vom Typ lang zu kurz wie breit zu schmal zum semantischen Aspekt der Sprachkompetenz gehört. Die Grenze ist auch hier nicht im vorhinein klar, doch ist die Unterscheidung für zahlreiche Fragestellungen sinnvoll oder sogar notwendig.

1.3.

Fragestellungen

Der Versuch, die verschiedenen Aspekte des Zusammenhangs von Sprache und Gedächtnis von den Ansatzpunkten der Psycholinguistik und der Gedächtnispsychologie her zu sondieren, hat uns zu folgendem vorläufigen Bild geführt: Die Aufnahme und Speicherung von Information aus der natürlichen und sozialen Umwelt und ihre Bereitstellung für die Planung und Kontrolle des Verhaltens wird durch zwei zunächst heuristisch unterschiedene Gedächtnissysteme gewährleistet: das episodische Gedächtnis speichert perzipierbare Eigenschaften von Erfahrungsabläufen und organisiert sie auf Grund räum-zeitlicher Kontiguität im biographischen Erfahrungsbereich. Das semantische Gedächtnis fixiert von der lokalisierten Erfahrung ablösbare Merkmalsstrukturen und Zusammenhänge und organisiert sie auf Grund abstrakterer, komple 35

xri Rl

'lien, Muster und Regeln. Entscheidend für diese Organisations-

form ist die Bindung der Elemente und Komplexe an sprachliche Symbole. Die Wirkungsweise und die Inhalte des episodischen Gedächtnisses werden auf charakteristische Weise durch die Strukturzusammenhänge und Regeln des semantischen Gedächtnisses beeinflußt. Eine Voraussetzung des semantischen Gedächtnisses bildet die Sprachkompetenz im eigentlichen Sinn, die Kenntnis der Einheiten, Muster und Regeln einer gegebenen Sprache. Ob die Sprachkenntnis ein echtes T e i l s y s t e m im semantischen Gedächtnis bildet, hängt vom Charakter und Status ab, den die syntaktischen, morphologischen und phonologischen Regeln haben, und von ihrer Funktion für das semantische Gedächtnis. Das ist eine empirisch zu klärende F r a g e . * Ich komme auf eine ihrer Seiten in Abschnitt 4. 3. zurück. Aus der Identifizierung dieser Aspekte unseres Problemzusammenhangs ergeben sich nun eine Reihe von Fragestellungen, von denen ich die folgenden herausgreifen und in den weiteren Abschnitten betrachten will. (1) Was läßt sich, insbesondere auf Grund linguistischer Analyse, über die Strukturprinzipien der Sprachkenntnis aussagen? Insofern die Sprachkenntnis eine organisierende Bedingung (wenn nicht ein Teilsystem) des semantischen Gedächtnisses ist, ergeben sich aus solchen Aussagen mögliche Folgerungen für die Organisations- und Arbeitsweise des Langzeitgedächtnisses im allgemeinen und umgekehrt aus diesen Rahmenbedingungen für die linguistische Theoriebildung. (Abschnitt 2 . ) (ii) Welche Rolle spielen die verschiedenen Aspekte der Sprachstruktur bei der Aufnahme und Fixierung sprachlich kodierter Information

ins s e m a n -

tische Langzeitgedächtnis? Dabei geht es insbesondere um die experimentalpsychologische Klärung der Wirkung gegebener Satz - und Wortstrukturen bei der Bildung und Auffindung von Gedächtnisinhalten. (Abschnitt 3 und 4 . ) (iii) Schließlich sollen einige Anhaltspunkte dafür e r ö r t e r t werden, wie Sprachkenntnis als Gedächtnisbesitz erworben wird, wie also im Spracherwerb bestimmte Bedingungen für Aufbau und Wirkungsweise des semantischen Gedächtnisses ausgebildet werden. (Abschnitt 5 . ) Obgleich in allen drei Bereichen Probleme der Lautstruktur und der m o r phologischen Ausprägung natürlicher Sprachen auf unterschiedliche Weise eine 36

Rolle spielen, werde ich diese Seite im Folgenden weitgehend vernachlässigen und mich auf Probleme der syntaktischen und semantischen Struktur beschränken.

2.

Einige Prinzipien der Struktur natürlicher Sprachen

Dieser Abschnitt verfolgt drei Ziele: Die Erörterung und Motivierung der Strukturprinzipien der natürlichen Sprache soll zugleich benutzt werden, um einerseits Einzelheiten der Strukturebenen sprachlicher Ausdrücke und grammatischer Regeln zu veranschaulichen, auf die in den folgenden Abschnitten Bezug genommen werden kann, und andererseits ihren Zusammenhang mit Gegebenheiten der Gedächtnisstruktur zu erörtern. Es versteht sich von selbst, daß all das nur in Umrissen geschehen kann. Ich beginne mit einigen elementaren, aber wichtigen Feststellungen.

2.1.

Sätze als erzeugbare strukturierte Einheiten

Normales Sprachverhalten beruht auf mehr oder weniger komplexen, zusammenhängenden Sätzen oder Satzfolgen. Sätze lassen sich im ersten Zugriff als Folgen von Wörtern bestimmen, die durch Akzent- und Intonationsmuster gegliedert sind und sich dadurch bereits von bloßen Wortlisten abheben. Wörter ihrerseits lassen sich auf dieser Stufe beschreiben als Folgen von phonetischen Segmenten, die durch Bündel phonetischer Merkmale charakterisiert sind. Entscheidend ist nun, daß Sätze Strukturkomplexe bilden, die sich nicht auf die Sequenz von Wörtern reduzieren lassen. Bereits ganz einfache Beispiele zeigen das:

37

(5)

(a) Hans sieht sie

(6)

(a) Hans glaubt ihm (b) ihm glaubt Hans (c) glaubt Hans ihm?

(b) sie sieht Hans

(c) sieht Hans sie ?

Die Reihenfolgeänderungen von (a) zu (b) und (c) sind in (5) und (6) völlig parallel. Sie haben im Fall (c) auch für (5) und (6) den gleichen Effekt: aus der Behauptung wird eine Frage. Anders für (b): Während in (5 b) Aktor und Objekt gegenüber (5 a) vertauscht sind, tritt in (6 b) diese Änderung nicht ein. Jenseits ihres parallelen linearen Aufbaus müssen die beiden (b)-Sätze, und folglich in latenter Form auch die (a)-Sätze, eine unterschiedliche Gesamtstruktur aufweisen, die von Sprechern des Deutschen entsprechend realisiert 2 wird. Wir halten fest: Sätze sind Komplexe mit bekannten, auf Grund der Sprachkenntnis direkt zugänglichen Eigenschaften, die sich nicht auf ihre Zerlegung in Wörter und deren wahrnehmbare Reihenfolge beschränken. Ebenso offensichtlich wie die oben belegte Tatsache, daß Sätze und ihre Eigenschaften in gewissem Sinn bekannt sind, ist nun andererseits, daß zwar die Wörter, aber im allgemeinen nicht die Sätze als solche im Langzeitgedächtnis eines Sprechers fixiert sein können: Von festen Formeln und besonders gelernten Texten abgesehen, sind Sätze stets neu zu bilden. Also muß beim Hervorbringen und Verstehen von Sätzen deren Gesamtstruktur zunächst auf Grund der in ihnen enthaltenen Wörter und entsprechender Regeln im Kurzzeitgedächtnis erzeugt werden. Das heißt aber, daß die Strukturbildungsprinzipien natürlicher Sprachen nicht nur den Bedingungen des Langzeitgedächtnisses unterliegen, sondern auch der Wirkungsweise des Kurzzeitgedächtnisses. Das damit umschriebene Verhältnis von gespeicherten und erzeugbaren sprachlichen Strukturen läßt sich stark vereinfacht so zusammenfassen: Wörter müssen nur aktualisiert, Sätze müssen erzeugt werden. Und anders herum: Man identifiziert neue (also nicht erworbene) Wörter als unbekannt, nicht 3

aber neue (jedoch erzeugbare) Sätze.

Es darf zweifellos angenommen wer-

den, daß die Erzeugbarkeit der Gesamtstruktur wesentliche Ursache für die unterschiedliche Behaltensleistung ist, die Marks und Miller im oben erwähnten Experiment für verschiedene Wortfolgen gefunden haben. Was bisher global als Gesamtstruktur von Sätzen bezeichnet wurde, ist etwas näher zu bestimmen als syntaktisch strukturierter Bedeutungskomplex. Etwas präziser: 38

Ein Satz besitzt eine semantische Struktur, die sich aus der Bedeutung seiner lexikalischen Einheiten und den zwischen diesen bestehenden syntaktischen Beziehungen ergibt. Oder anders herum: Eine kognitive Struktur wird zur Bedeutung eines Satzes, sofern sie sich aufgliedert in die Bedeutung seiner lexikalischen Einheiten und die durch seine syntaktische Struktur vermittelten Beziehungen zwischen ihnen. Die Prinzipien dieser Strukturbildung sind nun zu kennzeichnen. Zwei fundamentale Eigenschaften natürlicher Sprachen bestehen (a) in der hierarchischen Struktur komplexer Gebilde und (b) in der Existenz von Operationen, die an diese Hierarchiebildung gebunden sind. Für die syntaktische Seite sind diese Eigenschaften im Anschluß an verschiedene Traditionslinien vor allem von N. Chomsky (1957, 1965) in der Konzeption der generativen Transformationsgrammatik präzis formuliert worden.

2.2.

Hierarchiebildung

Das Prinzip der Hierarchiebildung läßt sich zunächst am Beispiel folgendermaßen beschreiben: Die Wörter werden entsprechend ihrer Verknüpfbarkeit verschiedenen Klassen oder Kategorien wie Verb, Nomen, Adjektiv, Präposition, Artikel usw. zugeordnet. Die klassifizierten Wörter werden schrittweise zu größeren Komplexen zusammengefaßt, die wiederum bestimmten syntaktischen Kategorien zugeordnet sind. Diese kategorisierte Gruppierung kann durch Baumgraphen - oder äquivalent durch indizierte Klammerausdrücke wiedergegeben werden, etwa:

39

(7)

SATZ

Die in einer gegebenen Sprache möglichen Strukturen dieser Art bilden eine im Prinzip nicht begrenzte Klasse, die sich durch ein Regelsystem, eine Phrasenstrukturgrammatik (oder verschiedene äquivalente Mechanismen, vgl. Chomsky, 1963) charakterisieren läßt. Die implizite Kenntnis eines solchen Regelsystems bildet demnach einen Teil der Sprachkompetenz. Hierarchiebildungen sind kein Spezifikum der Sprachstruktur, sie sind ausführlich belegt in vielen Bereichen komplexerer Verhaltensorganisation. Sie wurden durch verschiedenartige Experimentergebnisse insbesondere auch als Prinzip der Gedächtnis Strukturbildung ausgewiesen. Hierher gehören u.a. die in 1. 3. erwähnten Erscheinungen der Gruppen- und Chunkbildungen. Gegenüber dieser sehr allgemeinen Wirkungsweise der hierarchischen Gruppierung, die zweifellos als eine Art Ökonomieprinzip zu deuten ist, sind für sprachliche Konstituentenhierarchien des illustrierten Typs einige Spezifika zu kennzeichnen. 1. Die Konstituenten bilden nicht nur Gruppierungen ansonsten isolierter Elemente, sondern echte Einheiten der Hierarchie, denen als Ganzes jeweils spezifische Eigenschaften zukommen, von denen folgende genannt seien: (i) Bestimmte Konstituenten sind als Ganze durch elementare Formative gleichen syntaktischen Rangs ersetzbar. In (7) etwa Der Student, der das besorgt durch er, auf dem Lande durch dort, (ii) Konstituenten determinieren den Geltungsbereich zusammengehöriger morphologischer Markierungen. Verein-

40

fachtes Beispiel: Die unmittelbaren Bestandteile einer NP (Nominalphrase) im Deutschen weisen gleiche Kasus-, Genus - und Numerusbestimmungen auf, also z.B. das kleine Land vs. des kleinen Landes vs. dem kleinen Lande usw. (iii) Konstituentenzusammenhänge determinieren Teilkomplexe der semantischen Struktur eines Satzes. Beispiel (7) veranschaulicht das unmittelbar, obgleich die Beziehungen, wie noch erörtert wird, nicht immer so einfach sind. 2. Die Hierarchiebildung kann rekursiv sein, d. h. eine Konstituente kann eine andere gleichen Typs als direkt oder indirekt untergeordneten Teil enthalten, also ein Satz einen Satz, eine NP eine NP usw., wie (7) zeigt. E r s t diese Tatsache ermöglicht die Bildung beliebig komplexer Strukturen auf Grund eines begrenzten, im Gedächtnis fixierten Regelsystems. Obgleich Hierarchiebildung, wie gesagt, als allgemeines Prinzip der Gedächtnisstruktur vielfältig belegt ist, sind auch eine Reihe von Experimenten mit dem Ziel gemacht worden, speziell die gedächtnismäßige Realität sprachlicher Konstituentenhierarchien nachzuweisen. So ließ Johnson (1965) dargebotene Sätze Wort für Wort reproduzieren und ermittelte die Häufigkeit, mit der auf ein richtig reproduziertes Wort ein unkorrektes folgte. Er fand, daß die Fehlerhäufigkeit signifikant mit der Hierarchie stufe des entsprechenden Konstituenteneinschnitts korreliert. In einem Satz wie (7) müßte demnach der Übergang von besorgt zu wohnt eine größere Fehlerrate als der von wohnt zu auf zeigen. Dennoch gibt Johnsons Fehlerrate nur bedingt über die Konstituentenhierarchie Aufschluß, da in sie mehrere andere Bedingungen eingehen und den Reflex der Konstituentenstruktur deutlich überlagern können. Eine Variable ist die Größe der Klasse, zu der ein Wort gehört, mit der natürlicherweise die Fehlerwahrscheinlichkeit wächst: Die Anzahl der Verben, die statt wohnt gewählt werden können, ist um zwei Zehnerpotenzen größer als *

die Zahl der Präpositionen, die statt auf möglich sind. Eine zweite Variable ist die semantische Bindung. In einem Satz wie Der Arzt untersuchte Schüler, Arbeiter, Hausfrauen und Polizisten garantiert die semantische Beziehung zwischen Arzt und untersuchen eine vergleichsweise niedrige Fehlerrate, obwohl hier der tiefste Konstituentenschnitt liegt. Dies widerspricht nicht der oben getroffenen Feststellung, daß Konstituenten Einheiten der semantischen 41

Struktur konstituieren. Nur bestehen semantische Beziehungen nicht nur innerhalb, sondern notwendig auch zwischen Konstituenten, und gelegentlich können die letzteren für Behaltensanforderungen prävalent sein. Die aussagestärkste experimentelle Belegung der psychologischen Realität der Konstituentenstruktur sind deshalb die genau an dieser Variablen orientierten Substitutions-, Weglaß- und Ergänzungstests, die in der Linguistik seit langem, wenn auch mit geringem methodischen Aufwand angewendet werden. Ihre strengere Operationalisierung würde etwa in der Anforderung bestehen, daß in (7) die kleinste Teilkette, die das Wort Land enthält, durch dort ersetzt wird, so daß wieder ein sinnvoller Satz entsteht. Es ist klar, daß dieses Experiment die Konstituente auf dem Lande auszeichnet. Durch entsprechende Anforderungen läßt sich - beinahe trivialerweise - die gesamte Konstituentenstruktur jedes Satzes auf ihre gedächtnismäßige Repräsentation 4 prüfen. Damit ist die Tatsache der spezifisch sprachlichen Konstituentenbildung aufweisbar, allerdings nicht die Funktion dieses Prinzips in der Organisierung des Gedächtnisses.

2. 3.

Strukturabhängige Operationen

Das zweite Prinzip, das der strukturabhängigen Operationen, ist direkt durch die Hierarchiebildung bedingt und damit zugleich eine zusätzliche Begründung für sie. Ich illustriere es zunächst an zwei Beispielen. Nebensätze sind im Deutschen unter anderem dadurch gekennzeichnet, daß in ihnen die mit der Personalendung versehene Form des Verbs nicht wie im Hauptsatz an der zweiten Stelle, sondern am Satzende steht: Hans sieht sie vs. (weil) Hans sie sieht, Hans denkt über etwas nach vs. (weil) Hans über etwas nachdenkt. Der intuitiv einsichtige Zusammenhang zwischen beiden Satzformen ergibt sich systematisch durch eine struktur abhängige Operation, die das Verb aus der Endstellung des Nebensatzes an die entsprechende Stelle im Hauptsatz permutiert. Daß der Zusammenhang vom Nebensatz ausgehend zu erzeugen ist und nicht umgekehrt, hat zahlreiche Gründe, unter ihnen die 42

Tatsache, daß Verben mit trennbaren Präfixen wie nachdenken, die eine lexikalische Einheit bilden, im Nebensatz zusammenhängend, im Hauptsatz aber getrennt in d e n k t . . . nach auftreten. (Für weitere Details vgl. Bierwisch (1963) sowie auch unten Abschnitt 5. 6.) Die fragliche Operation ist strukturabhängig, da das Verb nicht einfach hinter das erste Wort wie in der ungrammatischen Wortfolge (9), sondern hinter das als Konstituente zu identifizierende erste Satzglied wie in (10) zu stellen ist, gleichgültig wie komplex dieses ist: (8)

(weil) Hans und seine Frau erst darüber nachdenken wollen.

(9)

*Hans wollen und seine Frau erst darüber nachdenken.

(10)

Hans und seine Frau wollen erst darüber nachdenken.

Beim zweiten Beispiel, der Extraposition eingebetteter Sätze, zeigt sich zugleich, daß verschiedene Hierarchiestufen die wiederholte Anwendung der gleichen Operation determinieren können. In (11) sind die Stufen 0, 1 und 2 der ineinander verschachtelten Sätze durch Klammerindizes markiert. (11) (Der Stuhl (der an der Tür (die klemmt) 2 steht)^ wackelt)Q (12) (Der Stuhl wackelt (der an der Tür steht (die k l e m m t ) ^ ) Q (13) (Der Stuhl wackelt (der an der Tür steht (die k l e m m t ) ^ ^ (14) (Der Stuhl (der an der Tür steht (die k l e m m t ^ j wackelt^ (15)*(Der Stuhl (der an der Tür steht) 1 wackelt (die klemmt) 2 ) 0 (16)*(Der Stuhl wackelt (die klemmt) 2 (der an der Tür steht) In (12) ist der gesamte Satz 1 ans Ende von 0 versetzt, in (13) auch noch 2 ans Ende von 1. In (14) ist nur 2 ans Ende von 1 gestellt. Unmöglich sind (15), wo 2 ans Ende von 0 gebracht ist, nicht aber 1, und (16), wo zuerst 2 und dann dahinter 1 extraponiert wurde. Die Extrapositionsregel muß also einen eingebetteten Satz und den ihm direkt übergeordneten identifizieren und dann den ersteren ans Ende des letzteren stellen. Dies kann dann zieharmonikaartig auf al5 len Hierarchiestufen geschehen. Was zunächst wie ein zufälliges Nebeneinander der Sätze vom Typ (11) bis (14) und der Defekte des Typs (15) und (16) erscheint, wird durch das zyklische Operieren der strukturabhängigen Extrapositionsregel zu einem systematischen Strukturzusammenhang. Etwas allgemeiner ist eine strukturabhängige Operation bestimmt durch zweierlei: Einen Strukturindex, der bestimmte Eigenschaften einer Klasse 43

möglicher Konstituentenhierarchien kennzeichnet, und eine Strukturveränderung, die die an den so gekennzeichneten Stammbäumen vorzunehmenden Modifikationen - Permutationen, Eliminierungen, Adjunktionen - bestimmt. Strukturindex und Strukturveränderung zusammen machen eine grammatische Trans formation aus. Anders als das Prinzip der Hierarchiebildung ist das der Struktur Operationen nicht bereits gut belegt als Wirkungsweise der Gedächtnisorganisation. Deshalb ist ein Experiment von Riegle (1969) von Belang, das genau diese Frage betrifft. Riegle nahm eine Transformation an, deren Strukturveränderung zwei unter einem Knoten zusammengefaßte Konstituenten vertauscht und deren Strukturindex diesen dominierenden Knoten benennt. Angewendet wurde diese Transformation auf eine Buchstabenfolge, der die in (16 a) dargestellte Struktur unterstellt wurde. Da sie 7 verzweigende Knoten enthält, ergeben sich sieben Transformationen der von Riegle angenommenen Art, die einfach durch die Knotennummer identifiziert werden. Ihr Resultat ist unter (16 b) angegeben. (b) 1: 2: 3: 4: 5: 6: 7:

DFZHMKWR FDHZMKWR FD ZH MW KR FDMZHKWR FDZHMRKW FDKWRZHM ZHMKWRFD

Den Versuchspersonen waren weder die Struktur (16 a) noch die Regeln bekannt. Dargeboten wurden ihnen die Ausgangsbuchstabenfolge und eine Zahl, die laut Instruktion eine Permutation benennt, mit deren vermutetem Effekt zu entworten war. Anschließend wurde die korrekt permutierte Folge geboten. Riegle wählte nun drei Darbietungsvarianten der Ausgangsfolge: 1. ungegliedert, 2. im Sinn der Struktur gegliedert in Gruppen zu 2 3 3 Buchstaben, 3. entgegen der Struktur in 3 3 2 Gruppen gegliedert. Die Gruppierung wurde in einer Serie durch Spatium zwischen den Buchstaben realisiert, in einer zweiten Serie durch entsprechend gruppiertes Vorlesen der ungruppierten Folge. (Opti44

sehe und akustische Gruppierung ergaben keinen Unterschied im Resultat.) Die Hypothese war, daß richtige Gruppierung das Finden der Regeln erleichtert, falsche Gruppierung es erschwert. Nach neun Durchgängen konnten Versuchspersonen mit der Bedingung 2 (richtige Gruppierung) im Durchschnitt 6,4 der 7 Regeln korrekt anwenden, die mit der Bedingung 3 (falsche Gruppierung) nur 2,5, die mit der Bedingung 1 (ungruppiert) 3,9, Es ist demnach anzunehmen, daß für die Buchstabenfolge eine hierarchische Gedächtnisstruktur ausgebildet wird und daß die auf ihr operierenden Regeln um so schneller e r lernt werden, je besser diese Struktur erfaßt werden kann. Experimente wie dieses zeigen, daß strukturabhängige Regeln erworben und befolgt werden können, sie sagen aber nichts über die Rolle solcher Regeln in der Sprachstruktur und deren Repräsentation im Gedächtnis. Hinweise auf die spezifische Wirkung grammatischer Transformationen finden sich aber bei bestimmten aphatischen Störungen: Bei Behinderung einer Sprachfuriktion, z.B. des Nachsprechens von Sätzen, kann deren Deblockierung unter bestimmten Bedingungen bewirkt werden durch Präsentierung eines Satzes auf einer nicht gestörten Funktion, etwa der des Abschreibens. Diese Deblockierung kann sich nun auf transformationell korrelierte Sätze ausdehnen. Vgl. dazu Weigl und Bierwisch (1970). Ehe ich die Rolle von Transformationen in allgemeinem Zusammenhang weiter verfolge, sollen einige Bemerkungen über die involvierten sprachlichen Strukturebenen eingeschoben werden.

2. 4.

Syntaktische Strukturebenen

EinSatz, verstanden als spezifisch organisierte Folge von Wörtern, ist wie oben dargestellt - die Sequenz der Endknoten eines syntaktischen Strukturbaums, der durch ein System von Phrasenstrukturregeln erzeugt werden kann. Dabei ist es möglich, daß die gleiche Wortfolge alternativ auf zwei (oder mehr) verschiedene Arten strukturiert werden kann. Der Satz ist dann mehrdeutig. (17) ist ein Beispiel dafür, wie die verschiedenen Klammerungen andeuten:^ 45

(17)

(a) (Er versuchte zum zweiten Mal (ins Haus zu kommen)) (b) (Er versuchte (zum zweiten Mal ins Haus zu kommen))

Die Wortfolge mit der Konstituentenhierarchie soll Oberflächenstruktur eines Satzes heißen. Sie steht auf Grund der in 2. 3. erörterten Transformationen in Beziehung zu anderen Strukturen. Da bei der Äußerung eines Satzes nur eine Wortfolge realisiert wird, haben diese transformationeil verbundenen Strukturen einen gewissermaßen virtuellen Status, sie sind, bezogen auf die realisierte Oberflächenstruktur, latent. Von diesen latenten Strukturen läßt sich nach systematischen Kriterien jeweils eine auszeichnen als die sogenannte Tiefenstruktur eines Satzes. Sie wird einerseits durch eine unterschiedliche Anzahl von Transformationsschritten mit verschiedenen Oberflächenstrukturen verbunden. Andererseits sind vor allem die in ihr enthaltenen syntaktischen Einheiten und Beziehungen wesentlich für die semantische Struktur eines Satzes. Bei der Erörterung der Transformation, die die Verbstellung im Hauptsatz erzeugt, wurde das bereits angedeutet, und es gilt ebenso für die diskutierte Extrapositionsregel: (18) Hans fiel dabei das Wort ein, das er gesucht hatte. (19) (weil) Hans dabei das Wort, das er gesucht hatte, einfiel. Die Nebensatzform mit eingeschachteltem Relativsatz (19) steht der Tiefenstruktur näher als der Hauptsatz (18). Und in (19) bilden die Wortform einfiel und die Konstituente das Wort, das er gesucht hatte, die jeweils eine semantische Einheit bilden, auch eine syntaktische Konstituente, nicht aber in (18). Etwas vergröbert: Transformationen zerstören semantisch relevante Zusammenhänge der Hierarchiebildung zugunsten bestimmter Eigenschaften der Oberflächenstruktur. Ein Teil der so erzeugten Oberflächeneigenschaften - aber keineswegs alle - sind übrigens offenbar bedingt durch die Wirkungsweise des Operationsgedächtnisses. Es ist intuitiv erfaßbar, aber auch durch experimentelle B e funde z . B . von Fodor und Garrett (1967) belegt, daß mehrfach verschachtelte Sätze wie (11) für Produktions- und Perzeptionsprozesse eine hohe Komplexität aufweisen. Die Extrapositionsregel ermöglicht nun, ihnen eine Oberflächenstruktur zuzuordnen, die diese Verarbeitungskomplexität nicht aufweist. Die in einer gegebenen Sprache geltenden Transformationen sind demnach wenig46

stens zum Teil motiviert durch das Zusammenspiel von Langzeit- und Kurzzeitgedächtnis. Für die syntaktische Struktur natürlicher Sprachen ergeben sich damit zwei durch Transformationen aufeinander bezogene Strukturebenen. Dieses Bild soll durch drei Bemerkungen noch etwas verdeutlicht werden. (i) Tiefen- und Oberflächenstrukturen sind Gebilde der gleichen Art, nämlich Hierarchien von gruppierten und syntaktisch klassifizierten Konstituenten, darstellbar durch Strukturbäume. In einfachen Fällen, bei identischer T r a n s formation, können beide praktisch identisch sein. Das gilt etwa in Fällen wie Hans kommt. Im allgemeinen aber sind Tiefenstrukturen abstrakte Gebilde, deren Endkette keinen aktuell äußerbaren Satz bilden muß. (ii) Sätze mit identischer oder sehr ähnlicher Oberflächenstruktur können auf sehr unterschiedliche Tiefenstrukturen zurückgehen. Dadurch können u . a . syntaktisch bedingte Mehrdeutigkeiten entstehen und erklärt werden, die nicht, wie in (17), durch Unterschiede der Oberflächenstruktur auflösbar sind: (20)

(a) Die Musik wurde von Peter Kreuder abgeschrieben. (b) Peter Kreuder schrieb die Musik (von X) ab. (c) (Y) schrieb die Musik von Peter Kreuder ab.

(20 b) und (20 c) sind jeweils eindeutige Realisierungen der beiden in der Oberflächenstruktur von (20 a) zusammenfallenden Tiefenstrukturen. (iii) Durch Einbeziehung der Transformationen ändert sich die Rolle der hierarchiebildenden Phrasenstrukturregeln. Sie erzeugen nun nicht direkt Oberflächenstrukturen, sondern die invarianten Tiefenstrukturen, die jeweils einer Familie transformationsverbundener Oberflächenformen zugrunde liegen. Es läßt sich zeigen, daß auf diese Weise nicht nur syntaktisch und s e m a n tisch relevante Zusammenhänge zwischen Sätzen ausgedrückt werden können, sondern daß das erforderliche Regelsystem zugleich einfacher ist als eines, das alle verschiedenen Oberflächenformen gesondert durch P h r a s e n s t r u k t u r regeln erzeugt. Einfachheit kann dabei zunächst einfach durch die Zahl der zur Erzeugung einer Klasse von Strukturen benötigten Regeln bestimmt w e r den, Ich komme auf diesen folgenreichen Aspekt in 2. 6. zurück.

47

2. 5.

Die semantische Struktur von Wörtern und Sätzen

Die im Rahmen der syntaktischen Struktur dargelegten Prinzipien der Strukturbildung gelten im Prinzip in gleicher Weise für die semantische Struktur von Sätzen und ihre Beziehung auf deren syntaktische Form. Zu erläutern sind, in groben Zügen, zwei Aspekte: Die Struktur der Bedeutung lexikalischer Einheiten und die Art ihrer Verknüpfung zu Satzbedeutungen. Lexikalische Einheiten sind, soweit sie konkrete Sachverhalte und Objekte bezeichnen, zunächst als Ganzes auf bestimmte Muster des sensorischen oder motorischen Gedächtnisses bezogen: Lärm, Ball und Schritt etwa können in diesem Sinn bestimmte Inhalte des akustischen, optischen und motorischen Gedächtnisses anregen. So wesentlich diese Tatsache für die Konstituierung des Realitätsbezugs sprachlicher Äußerungen ist, sie kommt selbst bei den Bezeichnungen konkreter Gegebenheiten nicht immer ins Spiel, und sie gilt für eine große Klasse von Einheiten gar nicht: überzeugen, Antrieb, Verlust etwa sind nicht durch anschauliche Faktoren gekennzeichnet, sondern durch abstrakte Relationen und Bewertungen, die nur indirekt auf Wahrnehmungen beziehbar sind. Wichtig für die BedeutungsCharakterisierung ist deshalb die Tatsache, daß lexikalische Einheiten durch semantische Komponenten, elementare oder komplexe abstrakte Merkmale, bestimmbar sind. Solche Komponenten fixieren diejenigen Eigenschaften und Relationen der durch sie klassifizierten Objekte und Sachverhalte, die ihre eigentlich sprachliche Repräsentation im Gedächtnis garantieren. Der damit angedeutete Unterschied entspricht unterscheidbaren Gedächtnisformen, die ins besondere bei hirnpathologischen Störungen getrennt wirksan werden können: Von der Beeinträchtigung des Wortbedeutungsverständnisses (sensorische Aphasie) ist zumeist die Störung des Objekterfassens (Agnosie) deutlich zu unterscheiden. Instruktiv sind in dieser Hinsicht Versuchsreihen, die Böttcher (in Vorbereitung) bei Patienten mit u.a. schwerer Störung des semantischen Verständnisses isoliert gebotener Wörter durchgeführt hat. Wurden diesen Patienten drei Bilder vorgelegt, aus denen jeweils eins entsprechend dem anschließend vorgesprochenen Wort auszuwählen war, so stieg die sonst schwer beeinträchtigte Verstehensleistung auf annähernd 100 %. In einer weiteren Versuchsreihe wurden die drei vorge-

48

legten Bilder aus semantisch nahe verwandten Kategorien gewählt, etwa Kofier, Tasche und Netz oder Schaf, Kuh und Schwein. Die Zuordnung des Wortes verschlechterte sich dabei drastisch auf den Stand des Verstehens ohne Bildvorlage. Das gleiche trat in einer Versuchsreihe ein, in der die Namen der Objekte phonologisch ähnlich waren, etwa Rauch, Schlauch, Strauch. Wurde dagegen nicht die Zuordnung eines Wortes, sondern eines Bildes verlangt, so war die Leistung unter beiden Bedingungen - semantische und phonologische Ähnlichkeit - 100 %, obwohl die kritischen Bilder äußerlich verschiedene Objekte zeigten. Das heißt, bei gleichen Anforderungen war die Identifizierung der sprachlichen Bedeutung, aber nicht die Objekterfassung gestört. Derartig pathologisches Auseinandertreten beider Gedächtnisleistungen heißt nicht, daß sie im Normalfall.nicht eng zusammenwirken. Der automatische Rückgriff auf anschauliche Eigenschaften ist typisch für viele Fälle von metaphorischem Sprachgebrauch: Eine Verbindung wie eine müde Tagung wird nicht auf Grund der unten unter (23) angegebenen semantischen Komponenten von müde, sondern an Hand begleitender Erscheinungen wie herabgesetzte Aktivität, Trägheit usw. gebildet und interpretiert. Ohne die Zusammenhänge und Unterschiede zwischen den angedeuteten Gedächtnisbereichen auch nur für annähernd geklärt zu halten, wende ich mich nun der linguistisch zu bestimmenden Komponentenstruktur zu. Komponenten lassen sich generell durch eine Klassifikationsbedingung zusammen mit Variablen für die Repräsentation der Träger der Eigenschaften, Relationen und Prozesse angeben. Beispiele sind etwa (ROT X), (SCHLAFEN X), (TUN X Y), (BEWIRKEN X Y), wobei ROT, TUN usw. nicht Wörter sind, sondern Klassifikationsbedingungen. Die Bedeutungsstruktur lexikalischer Einheiten besteht nun aus mehr oder weniger komplexen Verknüpfungen und Verschachtelungen von Komponenten, wobei - zusammen mit konjunktiver und disjunktiver Verbindung - die Hierarchiebildung eine entscheidende Rolle spielt. Die folgenden Beispiele illustrieren das. Dabei geben indizierte Klammern die Verschachtelung der Komponenten an. (21)

wecken (in Sätzen wie H a n S g ^ ^ weckt F r i t Z q ^ j c ) j(BEWIRKEN Xg 2(WERDEN 3(NICHT ^(SCHLAFEN 49

(23)

müde (z.B. in Fritz^ ist müde) ^BEDÜRFEN X g ^SCHLAFEN X g ) ^

(24)

überzeugen (z. B. in Hans^ überzeugt Fritz^ davon, daß . . . p) j(BEWIRKEN X g g(WERDEN g(GLAUBEN X Q X p ^ ) ^

Die Beispiele sind in vielerlei Hinsicht vereinfacht, sie zeigen aber hinlänglich, wie durch Hierarchiebildung aus einfacheren komplexe Komponenten ent7 stehen.

Auf Grund der Gemeinsamkeiten und Differenzen in der Komponen-

tenstruktur lassen sich Beziehungen zwischen den lexikalischen Einheiten h e r stellen, die als Netzstruktur repräsentiert werden können; die lexikalischen Einheiten bilden dabei Knoten, die verschiedenen, durch die Komponentenstruktur ihrer Bedeutung festgelegten Beziehungen die Kanten des Netzes. Bei dieser Darstellungsweise ist die Bedeutung eines Wortes gerade durch seine Stellung innerhalb dieses Netzes bestimmt. Die Einzelheiten der auf Grund der Komponenten zu definierenden Relationen und ihrer Darstellung können hier nicht e r ö r t e r t werden. Interessant ist jedoch, daß H. Clark (1970) die typischen Erscheinungen f r e i e r Wortassoziation auf der Grundlage solcher Komponentenbeziehungen interpretieren konnte: Von der dekodierten Bedeutungsstruktur des Stimulusworts wird durch Veränderung eines möglichst g e ringen Teils der Komponentenstruktur zu einem im Netz benachbarten Knoten übergegangen und das dort plazierte Wort als Antwort kodiert. In der skizzierten Komponentenstruktur der Wortbedeutung steckt zugleich der Ansatz für ihre Verbindung im Rahmen syntaktischer Konstruktionen. Gemeint sind die Variablen, die in den Komponenten auftreten und die innerhalb der Bedeutungsstruktur lexikalischer Einheiten mit Indizes versehen sind, die auf syntaktische Funktionen verweisen. Diese Funktionen - in den Beispielen (21) bis (24) sind das S, O und P für Subjekt, Objekt und Präpositionalergänzung - beziehen sich auf Konstituenten-Konfigurationen der syntaktischen Tiefenstruktur, in die ein Wort eingeführt werden kann. XQ besagt in diesem Sinn, daß an dieser Stelle die Bedeutungsstruktur einzusetzen ist, die dem Objekt des betreffenden Verbs zugeordnet ist. Für Xg ist entsprechend die semantische Struktur des Subjekts zu substituieren. Diese Substitutionsoperation legt den semantischen Effekt der entsprechenden syntaktischen V e r 50

knüpfungen fest. Sind Subjekt oder Objekt selbst syntaktisch komplex, so ist deren Bedeutungsstruktur zuvor durch analoge Substitutionen innerhalb dieser Konstituenten zu erzeugen. Angewendet auf alle indizierten Variablen ergibt diese schrittweise Substitution die zusammenhängende Bedeutungsstruktur eines ganzen Satzes wie auch aller seiner Tiefenstrukturkonstituenten. Das Ergebnis ist eine komplexe semantische Komponentenstruktur, die die Struktur eines Sachverhalts oder Vorgangs, der beteiligten Objekte und ihrer Beziehungen repräsentiert, soweit sie durch den gegebenen Satz erfaßt und wiedergegeben werden. Auf der Grundlage der so charakterisierten semantischen Repräsentationen lassen sich verschiedene semantische Eigenschaften und Relationen von Sätzen definieren. So sind zwei Sätze Sj und Sg bedeutungsgleich oder synonym genau dann, wenn sie die gleiche Bedeutungsstruktur haben. Das kann auch für Sätze mit ver schiedenen Tiefenstrukturen gelten: Hans wachte allmählich auf und Hans wurde allmählich wach sind ein Beispiel dafür. Ein Satz Sj enthält semantisch einen Satz Sg, wenn die semantische Repräsentation von Sg Teil der Repräsentation von S^ ist. So enthält Hans weckte Fritz semantisch den Satz Fritz wurde wach. Weiterhin können zwei Sätze mit verschiedenen semantischen Repräsentationen semantisch äquivalent sein, wenn entsprechende Äquivalenzbeziehungen für semantische Komponenten festgelegt werden. So sind etwa Hans ist größer als Fritz und Fritz ist kleiner als Hans äquivalent auf Grund einer Äquivalenzrelation folgender Art: (GRÖSSER X Y)=(KLEINER Y X). Auf den Unterschied von Synonymie und semantischer Äquivalenz und einige Folgen aus diesem Unterschied komme ich in 3. 3. und 3. 4. zurück. Die damit umrissene Form der Wortbedeutungen und ihrer Verknüpfung zur Bedeutung von Sätzen ist in verschiedenen Konzeptionen detaillierter entwickelt worden. Die hier gegebene Darstellung folgt in groben Zügen den A r beiten von Katz (1966, 1972), Bierwisch (1970) und Kintsch (1972, 1974). Sie soll mit drei allgemeineren Bemerkungen abgeschlossen werden. (i) Aus der syntaktisch gesteuerten Kombination von Wort- zu Satzbedeutungen ergibt sich unmittelbar, daß die Bedeutungsstrukturen von Lexikoneinheiten und von syntaktischen Verbindungen Gebilde gleicher Art, nämlich 51

Hierarchien semantischer Komponenten sind. Der Unterschied ist im wesentlichen der, daß die Bedeutungen lexikalischer Einheiten freie Variable enthalten, die in der Bedeutung syntaktischer Verbindungen schrittweise durch eingebettete Komponentenstrukturen belegt werden: wecken hat zwei freie, syntaktisch indizierte Variable, von denen in den Freund wecken eine durch die Bedeutung von den Freund belegt ist, und in (daß) die Kinder den Freund 5 wecken sind beide Variable durch semantische Teilstrukturen belegt. (ii) Hierarchiebildung und strukturabhängige Operationen sind Grundprinzipien auch der semantischen Strukturbildung: Die Komponentenverknüpfung sowohl in Wort- wie Satzbedeutungen folgt dem Hierarchieprinzip. Semanti« sehe Strukturen lassen sich deshalb ebenso wie syntaktische Strukturen durch Baumdiagramme .darstellen. Und strukturabhängige Operationen sind die Grundlage für die Verknüpfung der Wort- zu Satzbedeutungen, wobei die oben umschriebene Einsetzung von Teilstrukturen für indizierte Variable sowohl auf syntaktische wie auf semantische Hierarchiezusammenhänge Bezug nimmt. Die Indizes wie Objekt, Subjekt usw. sind syntaktische, die Variablen selbst semantische Bedingungen der Operation; die Operation selbst besteht in der Einsetzung einer Struktur in eine andere. Vergleicht man synonyme Sätze wie Hans weckt Fritz und Hans macht Fritz wach, so ist die Parallelität strukturabhängiger Operationen in Syntax und Semantik noch an der Form der Sätze ablesbar. Auch ohne auf Einzelheiten einzugehen, läßt sich feststellen: Was im ersten Fall durch die Variablen einer Lexikoneinheit, nämlich wecken, gebunden wird, verteilt sich im zweiten auf die Variablen von wach und machen. (iii) Semantische Komponenten, die zwei Variable enthalten, reflektieren eine Relation zwischen den betreffenden Individuen bzw. Sachverhalten und erfassen damit Situationszusammenhänge, die im Fall syntaktisch indizierter Variabler zugleich zu semantisch interpretierten Relationen im Satzzusammenhang werden. Die wichtigsten dieser zugleich syntaktisch und semantisch wirksamen Relationen sind von Fillmore (1968) und anderen Autoren als Kasusrelationen klassifiziert worden. So ist etwa die erste Variable in der komplexen Komponente (BEWIRKEN X Y) der Aktor des durch die Komponente klassifizierten Vorgangs, genauer, X steht in der Relation Aktor 52

zu Y. Bestimmte Konfigurationen semantischer Komponenten spiegeln damit definierbare Rollenstrukturen innerhalb eines klassifizierten Sachverhalts, und die verschiedenen begrifflichen Strukturen, die den unterschiedlichen Sachverhalten zugeordnet werden, lassen sich, wie Klix (1975) gezeigt hat, auf dieser Grundlage ihrerseits klassifizieren.

2. 6.

Die psychologische Begründung der Sprachstruktur

Die phonetische Struktur beiseite lassend, haben wir für natürliche Sprachen drei Struktur ebenen charakterisiert: die syntaktische Oberflächenstruktur, die syntaktische Tiefenstruktur und die semantische Struktur (die ihrerseits auf sensorische und motorische Gedächtnisstrukturen bezogen ist). Dabei wurden zwei Grundprinzipien der Strukturbildung - Hierarchiebildung und strukturabhängige Operationen - als konstitutiv betrachtet. Es ist offensichtlich, daß diese Ebenen und die Prinzipien ihrer Strukturierung nicht einfach den sprachlichen Äußerungen oder dem beobachtbaren Sprachverhalten entnommen werden können. Die Strukturebenen und -prinzipien sind vielmehr theoretische Annahmen, auf Grund deren empirische Befunde analysiert und experimentelle Untersuchungen angelegt und interpretiert werden können. Sie müssen deshalb als Annahmen gerechtfertigt und begründet werden. Diese Begründung betrifft unmittelbar auch den Zusammenhang von Sprache und Gedächtnis und soll deshalb in Umrissen diskutiert werden. Zunächst sei darauf hingewiesen, daß keine der illustrierten Annahmen von vornherein selbstverständlich ist. Eine drastische, aber keineswegs fiktive Alternative zum Prinzip der Hierarchiebildung zum Beispiel ist das der rein linearen Verknüpfung von Grundeinheiten. Die Annahme bildet die Grundlage der behavioristischen Theorie von Erwerb und Gebrauch der Sprache und wird von Autoren wie Staats (1971) in einer lerntheoretischen Formulierung bis heute vertreten. Das Bilden komplexer Äußerungen erscheint dabei als Wirkung von Reiz-Reaktionsmustern, wo ein Wort der Stimulus für das Auslösen des nächsten ist. Diese Art der Strukturbildung ist formal durch 53

eine Markov-Quelle (oder äquivalent einen strikt endlichen Automaten) erfaßbar. Eine weniger drastische Alternative ist die Beschränkung auf Konstituentenhierarchien, ohne die Möglichkeit von Transformationen, also auch ohne die Unterscheidung von Tiefen- und Oberflächenstruktur. Die Syntax einer Sprache kann dann durch eine Phrasenstrukturgrammatik erfaßt werden, die allerdings alle Sätze unbeschadet ihrer transformationellen Verwandtschaft separat erzeugt. Entscheidend ist, daß solche - und viele andere Alternativen - zumindest formal durchgehalten werden können, solange man sich auf Sätze mit festgelegter maximaler Länge beschränkt - eine empirisch immer einzuhaltende Bedingung. Die Annahme prinzipiell stärkerer Mechanismen, mehrerer Strukturebenen und abstrakter Entitäten muß also entsprechend begründet werden. Der entscheidende Punkt der Begründung wurde bereits erwähnt: Die größere Ökonomie oder Einfachheit der Beschreibung, die durch die stärkeren Mechanismen erreicht wird. Dieser Gesichtspunkt ist nun noch etwas schärfer zu fassen. In Rede steht hier nicht ein willkürliches Prinzip formaler Einfachheit, sondern ein empirischer Zusammenhang. Die Einfachheit der Charakterisierung sprachlicher Strukturen und ihrer Repräsentation im Gedächtnis soll so genau wie möglich der Art der Einfachheit entsprechen, die durch die Arbeitsweise des Gedächtnisses selbst determiniert wird. Wenn wir also eine Lautfolge nicht einfach durch eine Verkettung von Wörtern charakterisieren, sondern ihr die viel komplexere Repräsentation mehrerer, durch strukturabhängige Operationen miteinander verbundener Hierarchien zuordnen, dann muß diese Charakterisierung im Hinblick auf die Verarbeitung der Lautfolge und ihre Repräsentation im Gedächtnis die einfachere sein, sie muß den Mechanismus der Sprachproduktion und -perzeption und ihren Gedächtnisgrundlagen angemessener sein als die unstrukturierte Wortfolge. Es liegt auf der Hand, daß dabei nicht einzelne, isolierte Sätze, sondern Klassen systematisch zusammengehöriger Ausdrücke in Betracht zu ziehen sind. Überlegungen dieser Art liegen mehr oder weniger explizit nicht nur der linguistischen und psycholinguistischen Theoriebildung zugrunde, sondern allen Fragestellungen im Bereich der kognitiven Psychologie. Für die Linguistik sind ihre Konsequenzen am klarsten formuliert worden von N. Chomsky (1965), 54

der auf ihrer Grundlage eine erklärende Theorie der bloßen Beschreibung sprachlicher Fakten gegenüberstellt. In einer erklärenden Theorie müssen die postulierten Strukturen und Regeln einerseits (extern) durch die direkt beobachtbaren Fakten, andererseits (intern) durch generelle Strukturprinzipien gerechtfertigt werden können. Und diese Prinzipien müssen die Art spiegeln, in der sprachliche Strukturen und die ihnen zugrunde liegenden Kenntnisse und Prozesse im Gedächtnis organisiert werden. Methodologisch gesehen entspricht diese Feststellung der allgemeinen Tatsache, daß wissenschaftliche Beschreibungen durch die beobachtbaren Sachverhalte allein unterbestimmt sind, so daß die Theoriebildung zusätzliche Erklärungsprinzipien erfordert, die im Bereich der kognitiven Psychologie wesentlich als Annahmen über die Funktionsweise psychischer Mechanismen, insbesondere auch des Gedächtnisses, zu fassen sind. Im Bereich sprachlicher Erscheinungen heißt das, daß die angenommenen Funktionsprinzipien zusammen mit den Gegebenheiten der Umwelt den Verlauf und das R e sultat des Spracherwerbs, also die Struktur des entstehenden Gedächtnisbesitzes, determinieren müssen. Nur soweit sie sich als Erklärungsgrundlage in diesem Rahmen bewährt, ist die Einfachheit, die sich z . B . aus dem Prinzip grammatischer Transformationen und aus entsprechenden abstrakten Strukturebenen für die Sprachstruktur ergibt, empirisch von Belang und mehr als formale Eleganz. Und erst auf diesem Hintergrund gewinnen experimentelle Untersuchungen zur Gültigkeit der Annahmen über Hierarchiebildung oder Transformationsoperationen ihre eigentliche Aussagekraft. Der Zusammenhang von Sprache und Gedächtnis ist damit auf sehr grundsätzliche Art hergestellt. Einerseits können nur solche Annahmen über allgemeine Züge der Sprachstruktur als inhaltlich begründet gelten, die mit unabhängigen Einsichten in die Funktionsweise des Gedächtnisses in Einklang sind. Andererseits können die komplexen, reich strukturierten Erscheinungen sprachlicher Leistungen zu Bestätigungen, Modifizierungen oder Spezifizierungen von Hypothesen über Prinzipien der Gedächtnisbildung führen. E t was einfacher gesagt: Weil die Sprache an Gedächtnis gebunden ist, betreffen Erklärungsgrundlagen der Sprache immer auch bestimmte Gedächtnisleistungen. 55

Der letztgenannte Punkt ist besonders dann von Interesse, wenn man in Betracht zieht, daß die allgemeinen Strukturprinzipien zu spezifischen Konsequenzen für detailliertere Annahmen führen müssen, z . B . bezüglich syntaktischer Kategorien, semantischer Komponenten, syntaktischer und s e m a n tischer Relationen oder Limitierungen strukturabhängiger Operationen, und wenn weiterhin begründete und nicht triviale Alternativen für speziellere P r i n zipien der sprachlichen Strukturbildung formuliert werden. Solche Alternativen haben sich in den letzten Jahren mehrfach ergeben, so z. B_ bezüglich der genaueren Fixierung des Status der syntaktischen Tiefenstruktur als Vermittlung zwischen Semantik und Oberflächenform von Sätzen. Für Einzelheiten, auf die hier nicht eingegangen werden kann, vgl. etwa N. Chomsky (1972).

3.

Sprachstruktur und Satzgedächtnis

Die Frage, die in diesem Abschnitt behandelt werden soll, betrifft die Rolle der verschiedenen Strukturebenen beim Behalten und Reproduzieren sprachlicher Information. Gemeint ist hier nicht die Aneignung von Sprachkenntnis, sondern deren Funktion bei der Informationsaufnahme. Diese Frage wird psycholinguistisch zumeist unter dem Gesichtspunkt der psychologischen R e a lität jeweils bestimmter Aspekte der Sprachstruktur und gedächtnispsychologisch unter dem Gesichtspunkt der Organisation von Gedächtnisbesitz gestellt. Beide Gesichtspunkte hängen eng zusammen und sollen hier auch nicht separat diskutiert werden.

56

3.1.

Vorüberlegungen zur Analyse des Satzgedächtnisses

Sollen die klassischen Paradigmen der Gedächtnispsychologie - Wiedererkennung und Reproduzieren erlernten Materials - auf Sätze angewendet werden, so ist es zweckmäßig, vom besonderen Status von Sätzen als Gedächtniseinheiten auszugehen. Die Anfänge der experimentellen Gedächtnispsychologie konzentrierten sich auf das Memorieren von Listen und Folgen unbekannter Einheiten, in der Regel sinnloser Silben. Der geprüfte Gedächtnisbesitz gehörte - nach Tulvings Einteilung - ausschließlich zum episodischen Gedächtnis. Die Modifikation im verbalen Lernen bestand im Benutzen bereits bekannter, sinnvoller Einheiten. Bei den Wortlisten und Wortfolgen sind die Elemente bereits Bestandteile des semantischen Gedächtnisses, zum episodischen Gedächtnis gehört nur die Tatsache ihres Vorkommens in einer bestimmten Liste und ihre relative Plazierung in ihr. Die Bedingungen des episodischen und des semantischen Gedächtnisses wirken also zusammen. Kintsch (1974) hat ein allgemeines Modell zur Beschreibung dieses Zusammenwirkens angegeben. Sätze bilden nun als Einheiten einen dritten Typ: Sie sind im allgemeinen weder bereits Gedächtnisbesitz wie Wörter, noch unbekannt wie sinnlose Silben. Wichtig ist dabei, daß sie Einheiten sind und nicht Listen von Wörtern. Sie sind jedoch, wie in 2.1. erörtert wurde, nicht abrufbare, sondern zu erzeugende Einheiten. Fixiert werden sie zunächst als episodischer Gedächtnisbesitz. Zum semantischen Gedächtnis gehören lediglich ihre Bestandteile und g Strukturprinzipien. Das Einprägen von Sätzen bzw. Satzlisten beruht anders als das Lernen von Folgen sinnloser Silben - auf dem Zusammenspiel von episodischem und semantischem Gedächtnis. Doch unterscheidet sich dieses Zusammenspiel grundsätzlich von dem beim Lernen von Wortlisten. Zu fragen ist also nach der Art dieses Zusammenwirkens, und spezieller nach der Wirkung der im vorigen Abschnitt behandelten Aspekte der Sprachstruktur. Diese Frage ist in geeignete, experimentell untersuchbare Teilfragen aufzugliedern. Ein Satz ist eine Einheit auf Grund seiner syntaktischen Organisation und seiner von ihr determinierten Bedeutungsstruktur. Die syntaktische Organi57

sation weist wiederum zwei Strukturebenen auf: die Oberflächenstruktur, die durch phonologische (bzw. graphemische) Regeln mit der phonetischen (oder graphischen) Realisation des Satzes und so schließlich mit der Signalstruktur verbunden ist, und die Tiefenstruktur, deren abstrakte syntaktische Relationen die semantischen Zusammenhänge im Satz vermitteln. Zu prüfen ist nun, welche dieser drei Strukturebenen die Repräsentation von Sätzen im Gedächtnis determiniert. Das ist möglich, da alle drei Ebenen in kontrollierbarer Weise relativ zueinander variieren können. Mit diesen Überlegungen ist der Rahmen abgesteckt, in dem sich die experimentelle Untersuchung des Satzgedächtnisses im wesentlichen bewegt. P r ä zisierungen werden im folgenden angegeben. Es liegt auf der Hand, daß mit der Auswirkung auf die Gedächtnisfixierung keineswegs alle Funktionen s p r a c h licher Strukturbildung erfaßt sind: Phonologische oder syntaktische Eigenschaften können sehr wohl im Perzeptions- oder Produktionsprozeß entscheidende Funktionen haben und also indirekt die Gedächtnisbildung beeinflussen, ohne in Gedächtnisexperimenten faßbar zu sein.

3. 2.

Tiefenstruktur und Oberflächenstruktur

Äußerungen werden im Normalfall wegen ihrer Bedeutung, nicht wegen der sie tragenden Lautfolge produziert und perzipiert. Im Hinblick auf ihre syntaktische Struktur legt das die Vermutung nahe, daß die für die semantische Struktur relevante Tiefenstruktur eine stabilere Gedächtnisrepräsentation er

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0, 05). Interpretation Die Resultate besagen also im wesentlichen, daß trotz geringerer Reproduktionsleistung die Reproduktionsstruktur unverändert beibehalten wird. In der Tendenz zeigt sich lediglich eine leichte Verringerung der dominierenden semantischen Paarbildungen im Sinne einer Auflockerung der Wirkung der dominierenden semantischen Relationsklasse und eine konstante Verringerung der Reproduktion von Darbietungspaaren, die auf den Verlust kurzzeitigen Behaltens der Darbietungsordnung zurückzuführen ist. Aber auch in diesen nur tendenziellen Änderungen zeigt sich keine unterschiedliche Wirkung der verschiedenen Organisationsstrukturen über der zweiten Liste. Die Tatsache, daß durch dazwischenliegende Reproduktionsprozesse die Reproduktionsstruktur einer Liste nicht wesentlich verändert wird, deckt sich mit unserer Annahme von kontrollierten Organisationsprozessen auf der Grundlage von Relationsklassen, wobei die zur Organisation verwendete Relationsklasse im Sinne eines Organisationsprinzips gespeichert und immer wieder zur Wirkung gebracht werden kann. Damit scheinen nun in relativ geschlossener F o r m Aussagen zur Struktur der Informationsprozesse und ihrer kogni-

182

tiven Grundlagen möglich zu sein, die der semantischen Strukturierung und Organisation von Begriffslisten zugrunde liegen.

10.

Die Struktur der Informationsverarbeitung zur Reproduktion semantisch organisierter Begriffs listen

In das mit Abbildung 15 vorliegende Gerüst zur Differenzierung der Informationsverarbeitungsprozesse und der daran beteiligten Komponenten bei der Reproduktion semantisch organisierter Begriffslisten gehen viele Diskussionen und Anregungen ein, die mit ähnlichen Vorstellungen verbunden in der Literatur vorgestellt worden sind (Kintsch 1972, Schulter 1975, Shiffrin, Geisler 1973, Atkinson, Juola 1974, Atkinson, Herrmann, Wescourt 1974).

Informations

ausgäbe

Reproduktionsmechanismen

und

Suchprozeduren

Abb. 15 Zur Differenzierung von Prozeßkomponenten bei der Speicherung und Reproduktion semantisch organisierbarer Begriffslisten Es kann hier keine vollständige Diskussion der in das Schema aufgenommenen Wechselwirkungen und Beziehungen geführt werden. Wir wollen lediglich versuchen, die im Rahmen der Erklärung unserer Befunde wichtigen Beziehungen zusammenfassend zu erläutern. Insgesamt werden fünf Funktionseinheiten gesehen:

183

1. Der durch die peripheren Rezeptorsysteme vermittelte Sinneseindruck wird in einer e r s t e n Funktionseinheit, dem sensorischen Speicher, einer Merkmalsanalyse unterworfen. Resultat dieser Merkmalsanalyse ist eine struktur i e r t e Merkmalsbeschreibung als Voraussetzung der Zuordnung des aktuellen Reizgefüges zum Gedächtnisbesitz (Schiffrin, Geisler 1973). 2. Eine zweite Funktionseinheit dient als Speicher des zeit- und ortsunabhängigen Wissens um Eigenschaften und Zusammenhänge der objektiven Realität. Dieses Wissen entsteht durch Abstraktion und Verallgemeinerung aus der Summe der anschaulich gegebenen Erfahrungen. Dazu gehören auch Kenntnisse über allgemeine Zusammenhangsstrukturen und Funktionsprinzipien der objektiven Realität und des eigenen Verhaltens in ihr, die in Form von Kontrollprozessen die aktuelle Informationsverarbeitung beeinflussen. Diese Funktionseinheit soll als semantisches Gedächtnis bezeichnet werden. 3. Die dritte Funktionseinheit dient der Speicherung der zeit- und ortsgebundenen anschaulichen Erfahrungen, d. h. der Speicherung von Informationen darüber, wann, wo welche Sachverhalte in welcher Relation zueinander aufgetreten sind. Dies soll als episodisches Gedächtnis bezeichnet werden. 4. Die vierte Funktionseinheit bezeichnet einen aktiven Teil des Gedächtnisses, in dem aktuelle Informationen gespeichert u n d

manipuliert werden.

Da die Speicherkapazität dieser Funktionseinheit als begrenzt angesehen w e r den kann, sprechen wir von einem operativen Kurzzeitgedächtnis. Die Aufgabe des operativen Kurzzeitgedächtnisses besteht in der Kodierung und O r ganisation der aktuell aufgenommenen Informationen. 5. Die letzte Funktionseinheit bezieht sich auf Reproduktionsmechanismen, die der Wiedergewinnung von Informationen aus dem Gedächtnis dienen. Diese Mechanismen sind den Speicherstrukturen in den Gedächtniseinheiten angepaßt und werden durch Kontrollprozesse vom Gedächtnis aus direkt gesteuert. Im Zusammenwirken der Funktionseinheiten bei der Aufnahme und V e r a r beitung von Informationen wird das Resultat der im sensorischen Speicher erzeugten strukturierten Merkmalsbeschreibung auf zweierlei Weise an das "Gedächtnis" weitergegeben. Einmal an das semantische Gedächtnis in der Zuordnung der Merkmalsstruktur zum gespeicherten "Wissen" über diese Merkmalsstruktur. Resultat 184

ist die Erfassung der Bedeutung des vorliegenden Reizes und seine semantische Kodierung in die auch Elemente des episodischen Gedächtnisses eingehen können. Zum zweiten wird die erzeugte Merkmalsstruktur direkt an das operative Kurzzeitgedächtnis gegeben und dort mit der semantischen Kodierung zusammengeführt. Da das operative Kurzzeitgedächtnis in seiner Aufnahmekapazität begrenzt ist, können in ihm nur über einen relativ kurzen Zeitraum hinweg aufgenommene Informationen integriert werden. Die Integration erfolgt über die Organisation der Beziehungen, die zwischen den im operativen Kurzzeitgedächtnis in sensorischer und semantischer Kodierung gleichzeitig vorliegenden Informationen bestehen, zu einer Struktur. Dabei können aktiv zusätzliche Informationen aus dem semantischen und episodischen Gedächtnis zur Strukturbildung herangezogen werden. Die Organisationsprozesse werden durch Strategien und Techniken der Strukturbildung kontrolliert, die als Erfahrungsbesitz im semantischen Gedächtnis gespeichert sind und Wissen um Organisationsstrukturen und Organisationsmöglichkeiten in der objektiven Realität repräsentieren. Durch neu aufzunehmende Information können Teile der aktuellen Information aus dem operativen Kurzzeitgedächtnis in das episodische Gedächtnis gedrängt werden. Dies wird vor allem Informationen mit geringem Integrationsgrad, d. h. mit geringen Verbindungen zu den gleichzeitig im operativen Kurzzeitgedächtnis vorliegenden Informationen, treffen. Die Reproduktion aus dem operativen Kurzzeitgedächtnis erfolgt unmittelbar und vollständig und entspricht in der Reproduktionsfolge der aufgebauten Organisationsstruktur. Die Wiedergewinnung von Informationen aus dem episodischen und semantischen Gedächtnis erfordert zusätzlichen Wiedergewinnungsaufwand im Sinne von Suchprozeduren über den ausgebildeten Gedächtnisstrukturen, die wiederum von verfestigten Techniken der Informationswiedergewinnung kontrolliert werden. Damit liegt eine heuristische Skizze des Zusammenwirkens verschiedener Funktionseinheiten vor, die wir nun zusammenfassend zur Interpretation uns e r e r Befunde anwenden wollen. Während der Lernphase werden die einzelnen Worte sukzessiv den Vpn visuell dargeboten. Die Merkmalsanalyse im sensorischen Speicher führt zu einer graphemischen Kodierung, d.h. zu einer strukturierten Merkmalsbe185

Schreibung der gebotenen Schwarz-Weiß-Muster. Über die Mechanismen (1) (siehe Abb. 15) wird im semantischen Gedächtnis der Kontakt zum "Wissen" über die angebotene graphemische Struktur hergestellt. Die graphemische Struktur wird dem durch sie bezeichneten Begriff zugeordnet. Ein Teil der im semantischen Gedächtnis gespeicherten begrifflichen Information wird so in die Kodierung aufgenommen. Über (2) gelangt die graphemische Kodierungsstruktur direkt und über (3) die semantische Kodierungsstruktur in das operative Kurzzeitgedächtnis. Im Kurzzeitgedächtnis werden über den aktuell gleichzeitig vorliegenden Informationen Organisationsprozesse wirksam, die an s e mantischen, an graphemischen oder auch an beiden Kodierungsformen angreifen und über die Mechanismen (3) und (4) auch zusätzliche Informationen aus dem semantischen oder episodischen Gedächtnis heranziehen. Ziel dieser O r ganisationsprozesse ist es, die aktuelle Information ausgebildeten Organisationsstrukturen anzupassen, sie in diese zu integrieren. Je wahrscheinlicher also Elemente einer schon vorhandenen Organisationsstruktur gleichzeitig im operativen Kurzzeitgedächtnis gespeichert sind, desto wahrscheinlicher wird diese Organisationsstruktur zur Gliederung der vorliegenden Information genutzt und auf die semantische Kodierung neu aufgenommener Informationen angewendet. Da gerade mit der Variation der Darbietungsfolge die im Kurzzeitgedächtnis gleichzeitig vorliegenden Elemente in ihrer Zusammensetzung verändert werden, liefert der beschriebene Mechanismus eine Erklärung für die beobachteten unterschiedlichen Organisationsstrukturen in Abhängigkeit von der Darbietungsordnung (Experimente 1 und 5). Die verwendeten Organisationsstrukturen beruhen auf der Identität der verwendeten semantischen Relationen zwischen benachbarten Begriffen, auf i h r e r gemeinsamen Zugehörigkeit zu einer Relationsklasse. Dieses Organisationsprinzip wird als Resultat der Kontrollprozesse (5) im Kurzzeitgedächtnis als gleichberechtigte Information gespeichert. Steht diese Information zum Zeitpunkt der Aufnahme einer zweiten Liste noch zur Verfügung, werden O r ganisation und semantische Kodierung davon zunächst beeinflußt. Dies führt zu den Erscheinungen der Übertragung von semantischen Organisationsstrukturen (Experiment 2). Bei der weiteren Informationsaufnahme wirken jedoch zunehmend die aktuellen Beziehungen zwischen den im Kurzzeitgedächtnis 186

gleichzeitig gespeicherten Begriffen. Zeigen diese Beziehungen eine deutliche Strukturierung, wird das übernommene Organisationsprinzip durch die aktuelle Struktur verdrängt oder es wird im Konflikt zwischen beiden Organisation« strukturen für eine der möglichen entschieden. Die Entscheidung hängt dabei von der Differenzierbarkeit der beiden zu strukturierenden Begriffsmengen ab (Experimente 3 und 4). In der Reproduktionsphase wird zunächst die im operativen Kurzzeitgedächtnis vorliegende Begriffsmenge entsprechend der über ihr realisierten Struktur reproduziert. Darüber hinaus werden schon in das episodische Gedächtnis gedrängte Begriffe in der dort gespeicherten Organisationsstruktur reproduziert. Eine solche, auch langzeitige Speicherung einmal erworbene^ Organisationsstrukturen ist die Grundlage für die relative Unbeeinflußbarkeit von Reproduktionsstrukturen durch dazwischenliegende, anders organisierte, Reproduktionsprozesse. So bieten die in Abbildung 15 zusammengefaßten V o r stellungen einen Rahmen, in dem Erklärungsansätze zur Interpretation unserer und anderer Ergebnisse integriert werden können (vgl. z.B. Kintsch 1974, Atkinson, Juola 1974). Diesen Rahmen weiter auszufüllen durch Aufklärung der angedeuteten Mechanismen, die die Funktionseinheiten miteinander v e r binden, durch eine genauere Analyse der möglichen Organisationsformen über semantisch verbundenen Begriffen oder durch Differenzierung der Repräsentationsformen von Informationen im semantischen und episodischen Gedächtnis, bleibt als Aufgabe für weitere Untersuchungen. Uns kam es darauf an, mit dem Nachweis der Übertragbarkeit semantischer Organisationsstrukturen Aussagen zur psychologischen Realität der Klassifizierung semantischer Relationen zu gewinnen, indem wir die Wirksamkeit dieser Klassenbildungen bei der Reproduktion von Begriffen zeigten. Der Nachweis des Effektes führte zu s p e ziellen Untersuchungen zur Klärung seiner Entstehung. Im Endresultat konnten nicht nur Aussagen zur Klassifizierung von semantischen Relationen, sondern auch Aussagen zur Differenzierung derjenigen Mechanismen gemacht werden, die die Klassifizierung von Relationen als kognitive Grundlage in der Informationsverarbeitung zur Wirkung bringen.

187

11.

Anmerkungen

1

Die vorliegenden Untersuchungen und Überlegungen sind im Rahmen einer Arbeitsgruppe unter Leitung von F. Klix entstanden. Ihm und P. Metzler, F. Kukla und K. Birth gilt mein herzlicher Dank für vielfältige Anregungen und Unterstützung bei der Durchführung und Wertung der Versuche.

2

Die Experimente 3 und 4 sind gemeinsam mit K. Birth vorbereitet und in der Durchführung von ihm angeleitet worden. Frau Henkel übernahm die Durchführung und wesentliche Teile der Auswertung der Experimente.

12.

Literaturverzeichnis

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Joachim Hoffmann und Friedhart Klix ZUR PROZESSCHARAKTERISTIK DER BEDEUTUNGSERKENNUNG ÜBER SPRACHLICHEN REIZEN

1.

Der Informationsgehalt sprachlicher Reize

Die Lautformen einer natürlichen Sprache stellen im psychophysikalischen Sinne Reize dar, die in ihrer physikalischen Struktur T r ä g e r von Informationen sind. Die Lautsequenz wird als Modulation der Atemluft von einem Sprecher gebildet. Die Schwingungen der Stimmlippen, die Resonanzräume der oberen Luftröhre und des Kehlkopfes wirken als Modulatoren der Atemluft, die das Sprachsignal formen. Die der Lautbildung zugrunde liegenden Muskelkoordinationen werden vom kompliziertesten Steuerinstrument erzeugt, das Evolution und soziale Geschichte ausgebildet haben, dem menschlichen Zentralnervensystem. Es e r wirbt die Fähigkeit zur normierten Lautbildung in mehreren Jahren intensiven sensomotorischen Trainings. Dabei entspricht der Lautbildungsvorgang einem Umkodierungsprozeß. Wenn man prüft, was dabei umkodiert wird, stößt man auf unterschiedliche Quellen der Herkunft der kodierten Information: Die eine Quelle ist die konkrete Wahrnehmungssituation des Sprechers. E r kann momentane Sinneseindrücke wie: "Da brennt ein Haus" in eben diesen Satz überführen und dabei die sensorischen Impressionen in dem normierten Schallmuster dieses Satzes ausdrücken oder übersetzen. Eine andere Quelle ist das Gedächtnis des Sprechers. "Gestern brannte dort ein Haus" ist kein Sinneseindruck, sondern eine Erinnerung, ist Gedächtnisinhalt. In dieser Funktion ist der Satz aber immer noch einer perzeptiven Situation verbunden. Der gestrige Vorgang kann noch in vielen anschaulichen Einzelheiten vorgestellt werden. Die Anschaulichkeit des Erlebnisses muß dabei in irgendeiner Form bei der Informationsspeicherung erhalten bleiben. 191

Danach scheint eine Spurenbildung im Gedächtnis zu bestehen, die der Dekodierungsspezifik der Rezeptorsysteme treu bleibt. Aber das ist nicht der einzige Weg, über den Gedächtnisinhalte in sprachliche Lautformen umgesetzt werden. E s gibt in Gedächtnisstrukturen begriffliche Repräsentationen abstrakter, nicht anschaulicher Art, die als Resultat der V e r a r b e i t u n g

sensorischer Eindrücke entstanden sind, und die in

Lautmustern eine gleichermaßen materialisierte Form gewinnen können. Ein Satz wie: "Die Menge der natürlichen Zahlen ist unendlich groß" hat keine anschauliche Repräsentation im Gedächtnis; eine unendliche Größe kann niemals wahrgenommen werden, und was die natürlichen Zahlen anlangt, so sind es kaum mehr als hundert Dinge, die von der Wahrnehmung her unterscheidbar sind. Die Unanschaulichkeit zahlreicher Begriffe braucht aber gar nicht in abstrakten mathematischen Konstruktionen gesucht zu werden. Aussagen wie: Herr X ist kein Lehrer oder Begriffe wie ein Werkzeug, ein Möbel, eine Hoffnung usf. haben keine unmittelbar anschauliche Repräsentation. Die Aussage, daß jemand kein Lehrer ist, schließt bestimmte Merkmale aus, läßt aber, außer daß Herr X eine Person männlichen Geschlechts ist, keine V e r anschaulichung an Hand spezifischer Merkmale zu. Ähnlich ist es mit O b e r begriffen. Ein Werkzeug, ein Möbel usf. haben keine invarianten Merkmale wie die anschaulichen Beispielfälle Tisch, Stuhl, Sofa usf. Für die Beschreibung innerer Zustände gilt größtenteils das gleiche. Offensichtlich gibt es Begriffsbildungen, die aus den perzeptiv gegebenen Elementarmerkmalen a n schaulicher Begriffe a b g e l e i t e t

sind. Im e r s t e n Falle sprechen wir von

P r i m ä r - im zweiten Falle von Sekundärbegriffen. E s ist klar, daß beide Klassen von Begriffen gleichermaßen eine informationelle Basis für die Formung sprachlicher Ausdrücke bilden. Im weiteren wird sich jedoch die Annahme begründen lassen, daß es sich um zwei verschiedene Repräsentationsformen von Gedächtnisinhalten handelt. Wir werden dies aus der unterschiedlichen Funktion dieser Formen bei der Bedeutungserkennung ableiten. Natürlich existieren die Begriffe im Gedächtnis nicht isoliert voneinander. Die phänomenologisch zwischen ihnen bestehenden Zusammenhänge müssen auch eine gedächtnispsychologische Realität haben. Teils mag es sich dabei um feste Eintragungen, teils auch um operativ herstellbare Zusammenhänge 192

handeln. So ist es beispielsweise kaum vorstellbar, daß zu jedem P r i m ä r b e griff alle möglichen Oberbegriffe explizit im Gedächtnis gespeichert sind; es kann kaum angenommen werden, daß alle Ergebnisse des Vergleichens begrifflicher Eigenschaften wie z . B . Größer-Kleiner-, oder Mehr-Weniger-Verhältnisse im Gedächtnis fixiert sind. Die viel rationellere Variante wäre die, daß solche Beziehungen zwischen Begriffen e r s c h l i e ß b a r

sind oder auf analo-

ge Weise ermittelt bzw. abgeleitet werden. Gleichwohl scheint auch der Fall fester Eintragungen von Beziehungen zwischen Begriffen im Gedächtnis zu b e stehen. Durch welche Eigenschaften Rechenbrett und Rechnen zusammengehören, kann nicht abgeleitet, es muß erfahren, gesehen und erlernt, also als Zusammenhang im Gedächtnis gespeichert werden. So scheinen die Begriffe und ihre Zusammenhänge im menschlichen Langzeitgedächtnis in verschiedenen Ebenen organisiert und durch verschiedene Funktionsprinzipien untereinander vernetzt zu sein. Ob dies verifiziert werden kann, ist allemal eine experimentelle und keine Frage der Spekulation. Als eine spezielle Klasse langzeitiger Gedächtniseintragungen können die mit der Sprachbeherrschung verbundenen lexemischen Eintragungen und die zugehörigen operativen oder grammatischen Strukturen angesehen werden. Auch hier scheinen stationäre Strukturbildungen auf der einen und operative Strukturerzeugungen auf der anderen Seite zwei Arten der organismischen

-

und dabei spezifisch menschlichen - Informationsspeicherung zu verkörpern. Das ist eine vorläufige und hypothetische Klassifizierung gewisser s t r u k tureller und funktioneller Eigenschaften des menschlichen Langzeitgedächtnisses; eine grobe Unterteilung, der gewiß noch wenig Aussagekraft zukommt. Die Frage ist nur, ob sie beim Verstehen bestimmter psychischer Phänomene bzw. - was wenigstens ebenso wichtig ist - beim Begreifen experimenteller Ergebnisse einen heuristischen Wert hat. Dies eben soll in gewisser Hinsicht durch die weiteren Darlegungen belegt werden. Wir gingen von bestimmten Aspekten der Sprachproduktion aus; von der Aussage, daß die sensomotorische Ausformung sprechmotorischer Schallmuster als ein Umkodierungsvorgang aufgefaßt werden kann. Die Kodierungsschritte sind danach hypothetisch einigermaßen bestimmbar. Wir setzen eine Sprechintention, eine Art Motiv für die Akzentuierung eines semantischen Kerns des 193

Mitzuteilenden voraus. Dies dürfte im Gedächtnis der Anregung einer bestimmten begrifflichen Konfiguration entsprechen. Die weitere Ausarbeitung zu einer Feingliederung begrifflicher Strukturen und Relationen geschieht durch Prozesse und nach Regeln, die weitgehend unbekannt sind. Jedoch, einmal ausdifferenziert als begriffliche Netzstruktur im Langzeitgedächtnis, müssen den so präsenten Merkmalssätzen Lexeme, sprachlich lexikalische Eintragungen zugeordnet werden können. Soweit dies der Fall ist, sind begrifflich-operative und sprachliche Aspekte des Denkens untrennbar. Eine solche begrifflich-lexikalische Konfiguration bildet die informationelle Basis der Sprachproduktion. Ihre Umsetzung in eine lineare Sequenz von Worten erfolgt nach Regeln der Grammatik, deren Eingreifen in die begrifflich-lexikalische Konfiguration im wesentlichen unbekannt ist. Auf alle Fälle erzeugen die hierarchischen grammatischen Strukturbildungen Bindungen zwischen Teilgliedern einer Sequenz, die sich teilweise überlappen oder einschließen können (vgl. Bierwisch in diesem Band). Durch diese ganz verschiedenartig bedingten Klammerungen einer Wortsequenz werden mehrdimensionale Informationsmuster in einer eindimensionalen Sequenz bewahrt. Raum - zeitliche Abhängigkeiten, motivational zusammenhängende Teilstrukturen, Zwecke, modal abhängige Aussagen u.v.a. finden in grammatischen Klammerungen ihren Niederschlag. Bei der Aufnahme sprachlich vermittelter Information muß nun von der eindimensionalen Sequenz sprachlicher Reize ausgehend der Zugang zur informationellen Basis zurückgewonnen werden. Dies setzt voraus, daß der sprachverstehende Hörer über Gedächtniseigenschaften verfügt, die eine Rekonstruktion

der in der Lautsequenz enthaltenen Information ermög-

licht. Letzteres ist nur denkbar, wenn der Zuhörer über interne Informationen zur Dekodierung von Lautsequenzen, d.h. über spezifische Prozeduren der Bedeutungserkennung verfügt. Man kann aus heuristischen Gründen davon ausgehen, daß der Prozeß des Sprachverstehens symmetrisch zu dem der Sprachproduktion verläuft. Damit ist gemeint, daß die Stationen des Sprachverstehens die Stadien der Sprachformierung in umgekehrter Richtung und Funktion durchlaufen. Natürlich ist das zunächst nicht mehr als eine Hilfsvorstellung, durch die eine gewisse Aufgliederung der Gesamtproblematik erreicht werden kann. Über ihren Wert 194

m ü s s e n die d a r a u s ableitbaren Arbeitshypothesen und die F r u c h t b a r k e i t d e r damit zusammenhängenden E r k l ä r u n g s a n s ä t z e entscheiden. Die folgenden Abschnitte verfolgen das Ziel, e r s t e in d i e s e r Richtung gegangene Schritte zu dokumentieren. Zuvor scheint e s notwendig, den mit der Sprachkommunikation verbundenen Sachverhalt der s e m a n t i s c h e n Information und i h r e r Übertragung zu p r ä z i s i e r e n .

2.

Zum Begriff der s e m a n t i s c h e n Information, i h r e r Übertragung und zu einigen Aspekten des V e r s t e h e n s von Bedeutung

Wir gehen davon aus, daß die p r i m ä r e n begrifflichen S t r u k t u r e n in der W e c h selwirkung zwischen O r g a n i s m u s und Umgebung gebildet werden. Aus dem durch die s e n s o m o t o r i s c h e V e r h a l t e n s s t e u e r u n g zugänglichen Informationsfluß werden die invarianten, f ü r Verhaltensentscheidungen wesentlichen und tigen

gleichwer-

Umgebungseigenschaften a u s g e f i l t e r t und im Gedächtnis f i x i e r t . Diese

Umgebungswirkungen, durch R e z e p t o r e n in Wahrnehmungstatbestände u m g e s e t z t , heißen M e r k m a l e . Die Verknüpfung r e l e v a n t e r und f ü r Verhaltensentscheidungen äquivalenter Merkmale heißt B e g r i f f s s t r u k t u r . B e g r i f f s s t r u k t u r e n l a s s e n sich a l s Entscheidungsbäume d a r s t e l l e n (vgl. Klix 1971, Hoffmann 1973). In d e r T a t gibt e s Gründe f ü r die Annahme, daß die Zuordnung von Objekten zu K l a s s e n durch solche E n t s c h e i d u n g s s t r u k t u r e n im Gedächtnis r e a l i s i e r t wird. Zu jeder B e g r i f f s s t r u k t u r gehört also e i n e

Menge

von Objekten, die

den jeweiligen Begriffsinhalt a u s m a c h t . Die Erkennung eines Objekts a l s e i n e m Begriff zugehörig ("Das ist eine Lerche, " . . . ein Mensch, . . . ein Löwe u s f . ) ist a l s o eine Gedächtnisleistung. Begriffliches Erkennen a b e r e x i s t i e r t nicht i s o l i e r t , s o n d e r n ist durch Strukturbildungen im Gedächtnis mit a n d e r e n B e griffen, insonderheit aber mit begriffsadäquaten Verhaltensantworten und - e i n stellungen verbunden. Die durch Wahrnehmung v e r m i t t e l t e Anregung e i n e r B e g r i f f s s t r u k t u r s a m t der durch diese wieder v e r m i t t e l t e n w e i t e r e n Gedächtnis -

195

inhalte (zu denen auch mögliche Verhaltensantworten gehören können) - dieses Gedächtnispendant eines Begriffs nennen wir dessen Bedeutung. Auf einer b e stimmten Stufe gesellschaftlicher Entwicklung, verbunden mit der Ausbildung der natürlichen Sprache, werden Begriffsstrukturen benannt; akustische oder visuelle Symbole sind ihnen zugeordnet. Es sind aufwendige Lernprozesse erforderlich, durch die den Begriffsstrukturen und damit auch den Begriffsinhalten Symbole oder Zeichen gemäß einer sozialen und gesellschaftlichen Konvention zugeordnet werden. Sobald man erkennt, daß die Repräsentation jedes Zeichens auf zweifache Weise erfolgt, wird unmittelbar einleuchtend, daß auch die Zuordnung eine doppelte ist: Zum einen erfolgt sie zu objektivrealen Eigenschaften in der Umgebung (die in der Regel den Inhalt eines Begriffs konstituieren) zum anderen zum Klangmuster eines gesprochenen Lautes oder einer Lautfolge bzw. zum Konturverlauf eines Schriftbildes. In diesem Sinne bezeichnen Worte Begriffsinhalte (Dingmengen, zu denen im Grenzfall ein eindeutiges Objekt, ja, auch gar keines gehören kann). Diese Zuordnung ist im Rahmen einer Sprachgemeinschaft einigermaßen konstant. Nun werden die Zeichen als physikalische Objekte ebenso wahrgenommen wie die Dingeigenschaften selbst. Das heißt, sie werden von Rezeptoren aufgenommen und als Wahrnehmungsgegebenheiten wirksam. Sofern dem aufgenommenen Zeichen ein begrifflich kodiertes Gedächtnisbild entspricht und sofern diese Gedächtnisrepräsentation des Zeichens mit jener Begriffsstruktur assoziiert ist, der das Zeichen vereinbarungsgemäß zugehört, kann das Zeichen die gleiche Begriffsstruktur im Gedächtnis anregen wie ein Element des Begriffsinhalts selbst. Eben dadurch gewinnt das Zeichen eine Bedeutung; e s wird durch diese Konnexion zum Semem, zu einer sprachlichen Bedeutungseinheit. Genau genommen ist dies die denotative, einen Begriffsinhalt wie eine Begriffsstruktur benennende Zeichenfunktion. Über die Anregung einer Begriffsstruktur gewinnt die lexikalische Gedächtniseintragung jedoch auch Zugang zu jenen Gedächtniseintragungen, die weitläufiger mit den Begriffsmerkmalen verbunden sind, also auch zu den Verhaltenseinstellungen. Diese Repräsentation eines Zeichens in einer Gedächtnisstruktur ist seine Bedeutung für den Rezipienten, mit allen individuellen Spezifika, die der Bedeutungsbegriff auch umfaßt. Insonderheit ist damit natürlich die Bedeutung von Worten 196

externe semantische

E Q

Belegungen

interne

U {}

{ «*'>} d{ e S

Abb. 1 Allgemeines Schema zur Kennzeichnung von Zustands- und Prozeßkomponenten der semantischen Informationsübertragung. Q: Informationsquelle; E: Emission informationstragender Zustände. < z.> : Mengen per zipierbarer Objekteigenschaften, in die Zustände der Informationsquelle eingehen. R: Rezeptoren, auf die die informationstragenden Quelleneigenschaften als Reize treffen. D: Dekodierung der rezipierten Information. : subjektive Repräsentation von Objektmerkmalen: allgemeiner Fall ist die begriffliche Merkmalsstruktur. B ist eine Belegungsfunktion, durch die perzipierbaren Quelleneigenschaften Zeichen d^ aus einem Repertoire £ zugeordnet werden. D„ ist die perzeptive Dekodierungsfunktion der Zeichen, die als MerkmalsstruKtur o\ gespeichert sind. Dg nimmt (hypothetisch) eine Umsetzung des Wahrnehmungsinhalts in eine ganzheitlich-anschauliche Gedächtnisrepräsentation an. Sie wird durch (y.*) verkörpert. Die Identifizierungsfunktionen I bezeichnen interne Zusammenhänge (Abbildbarkeiten) der Zeichen auf die Bildrepräsentation wie der Begriffsstrukturen in die Bildrepräsentation. Die Erkennungsfunktion EK bezeichnet das nämliche zwischen Zeichen- und Begriffsstruktur. Die Rolle von EK und I in kognitiven Prozessen wird im weiteren durch Experimente zum Bedeutungsverstehen aufgezeichnet. einer natürlichen Sprache in einem individuellen Gedächtnis gemeint. Abbildung 1 gibt das soUmrissene im Schema wieder. Die Symbolik ist in der Legende erläutert. Ein Problem stellt die Frage der anschaulichen Repräsentation von Gedächtnisinhalten dar. Gibt es eine spezifische, ganzheitlich-bildliche Form der 197

Informationsspeicherung, etwa nach dem Holographie-Prinzip, die neben der logisch-begrifflichen Merkmalsrepräsentation und unabhängig von ihr besteht? Oder gibt es eine graduelle Stufung des Anschaulichkeitsgrades von Merkmalen so, daß die konkrete WahrnehmungS'ütaation dem begrifflichen Einzelfall entspricht und die zunehmende Unanschaulichkeit klassifizierter Objekte durch die Abnahme konkret-anschaulicher Merkmale bestimmt i s t ? Wie dem auch sei: Wir gehen im weiteren davon aus, daß es neben der merkmalsspezifisch-logischen Repräsentation von Begriffen eine ganzheitlich-anschauliche Informationsspeicherung im Gedächtnis gibt. Wir nehmen darüber hinaus an, und werden das im weiteren begründen, daß zwischen diesen beiden Repräsentationsformen Wechselwirkungen stattfinden, denen im Prozeß des Bedeutungsverstehens eine fundamentale Rolle zukommt.. In Abb. 1 ist die bildliche Repräsentation von Gedächtnisinhalten als eine dritte Dekodierungsfunktion der Rezeptorsysteme eingezeichnet (neben der sprachlichen und der logisch-begrifflichen). In den nachfolgenden Experimenten wird nicht der Versuch unternommen, die relativ s e l b ständige Existenz dieser beiden Modi von Informationsrepräsentationen im Gedächtnis zu erweisen. Vielmehr soll die für alles Weitere grundlegende Annahme geprüft werden, daß die interne Verifikation sprachlicher Aussagen auf (wenigstens) zweierlei Weise geschehen kann: Einmal dadurch, daß die verbale Aussage in ihrem Wahrheitswert (der wahr oder falsch sein kann) durch einen Mustervergleichsprozeß erkannt wird. Dies ist der Fall, wenn die Lexeme einer Wortfolge durch eine bildliche Merkmalscharakteristik der zugehörigen Begriffsinhalte eindeutig beschrieben sind und geprüft werden können. Aussagen des Typs: "Das Blatt ist grün", "der Buchstabe W ist weiß" usf. entsprechen dies e r Bedingung. Zum anderen wird gezeigt, daß die Prüfung des Wahrheitsgehaltes eines Satzes auch über eine interne Kodierung des logischen Gehalts der fraglichen Aussage erfolgen kann. Dies ist im besonderen bei Satzkonstruktionen der Fall, die negierte Aussagen enthalten. Sätze vom Typ "Nicht der große Ball ist blau" oder "keine Figur ist groß und rund" gehören zu diesem Aussagetyp. Bevor die zugehörigen methodischen Bedingungen e r ö r t e r t werden, seien einige einschläge Untersuchungen erläutert, deren Ergebnisse einen gewissen Einblick in die funktionelle Seite dieser Gedächtnistätigkeit gestatten. 198

Auf der Grundlage der von P, P. Blonskij eingeführten Unterscheidung einer motorischen, emotionalen, bildlichen und verbalen Phase in der ontogenetischen Entwicklung des Gedächtnisses ist schon relativ früh in der sowjetischen Psychologie zum Problem der unterschiedlichen Kodierung sprachlicher Reize experimentiert worden (Novomejskij 1958, Golubev 1955, Zaltsman 1956, Farapanova 1958 u . a . , zit. nach Smirnov 1966). So verwendete Farapanova (1958) in ihren Gedächtnisexperimenten gut verbalisierbare Bilder, gut zu veranschaulichende Worte, schwer verbalisierbare Bilder und unanschauliche verbale Begriffe. Sie variierte damit die Zugänglichkeit der verwendeten Reize zu einer bildlich-anschaulichen oder sprachlich-verbalen Repräsentation. Im Resultat zeigt sich, daß die Behaltensleistungen dort am höchsten liegen, wo die Reize den Zugang zu beiden Repräsentationsformen erlauben, bei den gut verbalisierbaren Bildern und den gut zu veranschaulichenden Worten. Offensichtlich wird bei der Verarbeitung und Speicherung von bedeutungshaltigen Reizen, immer dort, wo dies möglich ist, die Repräsentation in beiden F o r men realisiert, was die Verbesserung der Behaltensleistung zu erklären gestattet. Die Annahme einer dualen Repräsentation von sprachlichen und bildlichen Reizen ist in den letzten Jahren erneut durch zahlreiche Untersuchungen unterstützt worden. So zeigten z . B . Ergebnisse von Paivio (1969) und Bower (1972), daß bei der Bildung von Paarassoziationen zwischen Worten die Aufforderung an die Vpn, in der Lernphase die zu verbindenden Wortpaare in einer anschaulichen Vorstellung zu integrieren, zu einer deutlichen Leistungsverbesserung in der Testphase führt (siehe auch Hoffmann 1977). Bietet man Vpn in einem Wiedererkennungsexperiment in der Lernmenge Bilder einfacher Objekte und verbale Bezeichnungen anderer oder gleicher Objekte in zufälliger Folge, dann zeigen sich bei geeigneter Wahl der Testreize häufige Verwechslungen von Worten und Bildern der gleichen Begriffe. So wird beispielsweise das Wort 'Baum' fälschlicherweise wiedererkannt, obwohl in der Lernmenge allein das Bild eines Baumes enthalten war und umgekehrt (Snodgrass, McClure 1975, Snodgrass, Wasser, Finkelstein, Goldberg 1974). Wie in die Repräsentation sprachlicher Reize anschauliche Charakteristiken der bezeichneten Objekte eingehen, zeigen auch Reaktionszeitdaten von Paivio (1976). Die Vpn bekommen paarweise Objektbezeichnungen mit der Aufforde199

rung geboten, so schnell wie möglich zu entscheiden, welches der beiden bezeichneten Objekte das größere ist. Die zur Entscheidung benötigte Zeit nimmt mit dem anschaulichen Größenunterschied der beiden Objekte ab. So wird z. B. schneller entschieden, daß ein Elefant größer als eine Maus ist, als festgestellt werden kann, daß eine Taube größer als ein Spatz ist. Die geforderte Entscheidung bezieht sich auf Eigenschaften der durch die gebotenen Worte bezeichneten Begriffe. Daß deren anschauliche Größenverhältnisse die Entscheidungszeit monoton beeinflußt, unterstützt die Annahme einer Entscheidungsprozedur Uber einer bildlich-anschaulichen Bedeutungsrepräsentation der sprachlichen Reize. Diese Annahme wird noch dadurch unterstützt, daß sich bei der Verwendung von bildlichen Darstellungen der verwendeten Objekte die gleiche Abhängigkeit der Reaktionszeit vom nun anschaulich gegebenen Größenverhältnis zeigt. Andere Beispiele zeigen, daß umgekehrt bei Urteilen über anschauliche Sachverhalte aus dem Gedächtnis auch begrifflich-logische Informationen herangezogen werden können oder daß bildlich-anschauliche Gedächtnisinhalte durch begriffliche Zuordnungen modifiziert werden. Bekannt sind die frühen Untersuchungen von Carmichael, Hogan und Walter (1932) zu diesem Problem. Ihre Ergebnisse zeigten, daß die Reproduktion bildlicher Vorlagen in systematischer Weise durch deren begriffliche Zuordnung verändert wird. Unklar bleibt, ob die beschriebenen Effekte auf Wirkungen im Wahrnehmungsprozeß oder auf Veränderungen der Gedächtnisrepräsentation der wahrgenommenen Bilder zurückzuführen sind. Dem gleichen Effekt ist auch in neueren Untersuchungen nachgegangen worden. So hängt z. B. die Reproduktionsleistung von Verteilungsmustern weißer und schwarzer Steine auf einem Schachbrett von der Zuordnung dieser Muster zu unterschiedlichen Spielen ab (Norman 1974). Oder, um ein letztes Beispiel für die Wirkung begrifflich-logischer Informationen bei Verarbeitungsprozessen über bildlich-anschaulichen Sachverhalten zu nennen: Nordamerikanische Vpn geben die Richtung des Panama-Kanals vom Atlantik zum Pazifik aus dem Gedächtnis als "von Ost nach West" an. Ein Blick auf die Landkarte zeigt, daß die korrekte Richtung "von Nord nach Süd" liegt (Norman 1976). Die K e n n t n i s

der östlichen Lage des Atlantik zum Pazifik scheint

hier zur " A b l e i t u n g " der falschen Antwort zu führen. Dies upd die anderen Beispiele belegen die Wirkung begrifflich-logischer Informationen auf die 200

Kodierung und Verarbeitung anschaulicher Sachverhalte dort, wo bildlich-anschauliche Repräsentationen keine ausreichenden Informationen enthalten. Sie sprechen nicht, obwohl dies manchmal behauptet wird (Norman 1976), gegen die Existenz bildlich-anschaulicher Repräsentationen im menschlichen Gedächtnis. Mit Bezug auf die im folgenden zu schildernden Experimente gehen wir nun auf einige Arbeiten ein, die die Beteiligung einer bildlich-anschaulichen Gedächtnisrepräsentation bei der Erkennung von Satzbedeutungen erhellen. In einer ersten Gruppe von Untersuchungen ist die Verständlichkeit und die Behaltensleistung über Sätzen oder Texten in Abhängigkeit vom Grad der Anschaulichkeit der sprachlichen Aussagen untersucht worden (Razmyslov 1958, Holmes und Murray 1974). Die Resultate sind einheitlich: Je anschaulicher die Aussagen sind, desto verständlicher erscheinen die Texte und desto b e s s e r werden sie behalten. In die gleiche Richtung deuten Untersuchungen, in denen die Verständlichkeit und die Behaltensleistung von Texten durch die simultane oder vorherige Darbietung eines Bezugsbildes bzw. durch den einfachen V e r weis auf eine anschauliche Referenzsituation entscheidend v e r b e s s e r t werden (Bransford, Johnson 1972, 1973, Johnson, Dole, Bransford, Lapinski 1974). Die methodisch induzierte Erleichterung der Zuordnung zu anschaulichen Vorstellungen erhöht offensichtlich die Verständlichkeit der Sätze und v e r b e s s e r t ihre Speicherung. In der Verständlichkeit eines Textes drückt sich aber g e r a de die Leichtigkeit der Erkennung seiner Bedeutung aus, so daß wir zunächst als hinweisende Erklärung für die zitierten Untersuchungsergebnisse formulieren können: In der Zuordnung von Sätzen zu entsprechenden anschaulichen R e präsentationen realisiert sich ihre Bedeutung; mit der Erleichterung dieser Zuordnung erhöht sich der Grad der Bedeutungserkennung. Noch von anderer Seite wird unsere Auffassung von der wesentlichen Rolle anschaulicher Vorstellungen für die Bedeutungserkennung von Sätzen gestützt. Bei der Analyse von Wiedererkennungsdaten über Satzmengen läßt sich f e s t s t e l len, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit jene Testsätze fälschlicherweise "wiedererkannt" werden, die die gleiche anschauliche Situation beschreiben, wie ein in der Lernmenge enthaltener Zielsatz. Die Rate der sogenannten "falschen Alarme"* liegt für diese Testsätze wesentlich höher als für Testsätze, die 201

vergleichsweise eine gleiche oder höhere syntaktische Ähnlichkeit zu den Zielsätzen aufweisen (Bransford, Barclay, Franks 1972, Begg, Wickeigren 1974, Tzeng 1975). Bietet man in Form kurzer Texte eine Reihe von Sätzen, die eine komplexe anschauliche Situation ausschnittweise beschreiben, dann sind wiederum im Wiedererkennungsexperiment neue Testsätze, die sich ebenfalls auf die anschauliche Situation beziehen, kaum von denen zu unterscheiden, die tatsächlich in der Lernphase geboten worden sind. In der Testphase verursachen sie eine hohe Rate "falscher Alarme" (Bransford, Johnson 1973, Potts 1974, Smith, Foos 1975, siehe auch Griggs 1976). Insgesamt lassen die Ergebnisse wieder die Annahme zu, daß die in der Lernphase aufzunehmenden Sätze anschaulichen Repräsentationen zugeordnet und als solche gespeichert werden. Der V e r gleich neuer Sätze in der Testphase mit den in der Lernphase aufgenommenen Informationen erfolgt dann auf dieser anschaulichen Repräsentationsebene, was die beschriebenen Resultate zu erklären gestattet.

3.

Der Satz-Bild-Vergleich als Methode zur Analyse von psychischen Prozessen der Realisierung von Satzbedeutungen

In der Realisierung der in der Literatur als Satz-Bild-Vergleich bezeichnete Methode werden den Vpn ein Satz und ein Bild geboten. Die Aufgabe besteht darin, so schnell wie möglich zu entscheiden, ob der Satz das dargebotene Bild korrekt beschreibt, d . h . , ob die Bedeutung des Satzes dem Inhalt des Bildes entspricht. Diese Methode, die zur systematischen Untersuchung von Satzverarbeitungsprozessen wohl zum e r s t e n Mal von McGough (1965) verwendet wurde, ist seitdem wiederholt in ähnlicher Problemstellung zur Anwendung gekommen (Trabasso u . a . 1971, Slobin 1966, Olson und Filby 1972, Chase und Clark 1972, Carpenter und Just 1975 u . a . ) . Ob dabei Satz und Bild simultan oder sukzessiv dargeboten werden, welche syntaktischen Transformationen die Variabilität der Sätze bestimmen und wie die Nichtübereinstimmung zwischen 202

Satz und Bild variiert wird, all dies bleibt im Vergleich zu der mit der Methode aufgeworfenen Grundfrage zweitrangig: Soll die Zuordenbarkeit eines S a t zes zu einem gegebenen Bild entschieden werden, kann dies nicht im unmittelbaren Vergleich der anschaulichen Charakteristiken beider Reizformen geschehen, sondern allein im Resultat der Transformation der angebotenen R e i z charakteristiken auf eine gemeinsame Repräsentationsebene. Mit Bezug auf die von uns vorgeschlagene Unterscheidung von Repräsentationsebenen sprachlicher Informationen sind folgende Möglichkeiten denkbar: 1. Von der Identifikation der sprachlichen Zeichenfolge ausgehend, wird eine bildlich-anschauliche

Charakteristik des ihrer Bedeutung entspre-

chenden Ausschnitts der objektiven Realität erzeugt und mit dem gegebenen Bild verglichen. 2. Von der Identifikation der sprachlichen Zeichenfolge ausgehend, wird eine b e g r i f f I i ch - l o g i s c h e

Me r k m a l s c h a r a k t e r i s t i k des ihr zu-

ordenbaren Ausschnitts der objektiven Realität erzeugt und im Sinne einer begrifflichen Zuordnung mit den Merkmalen des gegebenen Bildes verglichen, 3. Von der Identifikation der Bildcharakteristiken ausgehend wird die R e i z charakteristik der ihr zuordenbaren s p r a c h l i c h e n

Zeichenfolge

erzeugt und mit dem gegebenen Satz verglichen. Die beiden erstgenannten Wege präzisieren, nun mit methodischem Bezug, unsere Annahme von den Möglichkeiten der Bedeutungsrealisierung sprachlicher Zeichen in ihrer Zuordnung zu bildlich-anschaulichen oder begrifflich-logischen Gedächtnisstrukturen. Die Methode des Satz-Bild-Vergleiches scheint damit geeignet, bei entsprechender Wahl der experimentellen Bedingungen eben diese Annahme zu prüfen.

203

4.

Zur zweifachen Repräsentation von Satzbedeutungen

Die folgenden Experimente dienten der Überprüfung der Annahme zweier F o r men der Bedeutungserkennung einfacher Sätze im Satz-Bild-Vergleich. Die Realisierung der Bedeutung eines Satzes durch seine Zuordnung zur anschaulichen

bildlich-

Repräsentation des bezeichneten Ausschnitts der objektiven

Realität ist zu vermuten, wenn der Satz eindeutig und direkt eine im Rahmen des Experimentes klar definierte anschauliche Bildcharakteristik beschreibt, so daß vom Satz ausgehend die seiner Aussage entsprechende, zu erwartende anschauliche Charakteristik aktiviert und mit den Eigenschaften des realen Bildes verglichen werden kann. Aus der Analyse von Wiedererkennungsleistungen über einfachen anschaulichen Reizen ist bekannt, daß solche Vergleiche einen Zeitaufwand unter 100 ms benötigen (Sternberg 1969, 1975). E n t s p r e chend können wir unter der Annahme einer anschaulichen Repräsentation des Satzes sehr schnell ablaufende Vergleichsprozesse zwischen Satz und Bild e r warten. Dieser Weg zum Bedeutungsverständnis eines Satzes dürfte dort nicht möglich sein, wo mit dem Satz abstrakte, unanschauliche Sachverhalte ausgedrückt werden. So läßt sich z . B . die Bedeutung des Satzes "Die Beschlüsse der R e gierung dienen der Sicherung des Friedens" kaum über die Zuordnung zu einer bildlich-anschaulichen Situation verstehen. Sie muß über die begrifflich-logische Repräsentation r e a l i s i e r t werden. Aber auch die sprachliche B e s c h r e i bung anschaulicher Situationen läßt sich oftmals nicht direkt der beschriebenen Situation zuordnen. Dies ist dann der Fall, wenn der Satz die Situation " t r a n s formativ" beschreibt, wie dies bei der Verwendung von Negationen der Fall ist. Sätze wie "Der Tisch ist nicht rund", "Das Kind schläft nicht" oder "Die Tür ist nicht zu" sind einfache Beispiele des genannten Typs sprachlicher Aussagen. Die im Satz ausgedrückte Negation muß e r s t auf die Aussage des Satzes übertragen werden, bevor die Zuordnung zur entsprechenden anschaulichen Repräsentation gelingen kann. Durch welche Operationen dies geschieht, ist zunächst unbekannt. Sicher kann man jedoch sein, daß diese Operationen nicht an der anschaulichen Repräsentation der Satzaussage angreifen, denn 204

für die Negation gibt es keine unmittelbare anschauliche Vorstellung, Ist also eine negierte sprachliche Aussage mit einem Bild zu vergleichen, dann ist in Bezug zur Verarbeitung affirmativer Aussagen ein höherer Zeitaufwand für den Vergleichsprozeß zu erwarten, da der direkte Zugang zu einem anschaulichen Vergleich durch die Negation als blockiert angenommen werden kann. In der beschriebenen Variation der sprachlichen Aussagen liegt damit ein methodisches Mittel zur Analyse unterschiedlicher Formen der Bedeutungserkennung. Die ersten beiden Experimente dienen der Analyse der Verarbeitung einfacher affirmativer beschreibender Sätze im Satz-Bild-Vergleich. Im dritten Experiment werden negierte sprachliche Aussagen verwendet. Die Experimente 4 und 5 untersuchen die Wirkung unterschiedlicher anschaulicher Bildstrukturen und verschiedener Oberflächenstrukturen der verwendeten Sätze auf die Prozesse der Bedeutungserkennung im Satz-Bild-Vergleich und gestatten damit differenzierende Aussagen zur Wirkung bildlich-anschaulicher R e präsentationsstrukturen.

4.1.

Experiment 1

Im folgenden Experiment gingen wir von der Annahme aus, daß die Erfassung der Bedeutung eines Satzes im Satz-Bild-Vergleich in seiner unmittelbaren Zuordnung zu bildlich-anschaulichen Repräsentationen realisiert werden kann. Wir wählten daher für den Vergleichsprozeß Sätze und entsprechende Bilder, die eine anschauliche, klar darstellbare einfache Situation beschreiben. Ein Aktor vollführt an einem Rezipienten eine Handlung. Sätze wie "Der Mann trägt die Tasche", "Die Frau schält Kartoffeln", "Der Junge wirft den Ball" usw. sind Beispiele für dieses Grundmuster einfacher SituationsCharakteristik. Im Experiment wird nun eine solche Situationscharakteristik auf v e r schiedene Weise realisiert, so daß Satz-Bild-Kombinationen möglich werden, in denen der Satz das Bild korrekt bzw. unkorrekt beschreibt, d.h. daß seine Bedeutung dem Bild entspricht bzw. nicht entspricht. Dies so schnell wie möglich festzustellen, ist die Aufgabe der Vpn. Dabei werden sie in wechselnder 205

Folge mit wenigen Alternativen ein und derselben Grundsituation konfrontiert. Dies führt dazu, daß die mit der Aufnahme und Verarbeitung der Sätze und Bilder verbundenen Prozesse auf einfache Identifizierungsprozesse reduziert werden. Der Kern der Anforderung besteht in der Zuordnung eines in seiner Struktur bekannten und erkannten Satzes zu einem in seiner Struktur ebenfalls bekannten Bilde. Die Abbildung 2 stellt die 8 im Experiment verwendeten Grundsituationen zusammen. Ein Mädchen oder ein Junge konnten einen Ball oder einen Ring fangen oder werfen.

Abb. 2 Bildmaterial zum Experiment 1: Mädchen oder Jungen fangen oder werfen einen Ball oder einen Ring. Jedes dieser Bilder kann nun durch einen entsprechenden Satz korrekt oder unkorrekt beschrieben werden. Ziel des vorliegenden Experimentes ist es, den Einfluß unterschiedlicher Nichtübereinstimmungen zwischen Satz und Bild auf die benötigten Prozeßzeiten zu untersuchen. 206

Methode Jedem der 8 Bilder werden zunächst 6 Sätze zugeordnet: 3 Sätze, die mit dem Bild übereinstimmen (T), und jeweils 1 Satz, der allein den Aktor (Subjekt, F 0 ), die Handlung (F„) oder den Rezipienten (Objekt, F_J der dargestellten o Ii U Situation unkorrekt beschreibt. Um einen möglichen Einfluß der Oberflächenstruktur des Satzes auf den Vergleichsprozeß zu kontrollieren, wurden die Sätze in der Ordnung "Subjekt-Verb-Objekt" und "Objekt-Verb-Subjekt" v e r wendet (z.B. "Der Junge fängt den Ball" und "Den Ball fängt der Junge"). Insgesamt ergeben sich damit 8 x 6 x 2 = 96 paarweise Kombinationen von Satz und Bild, die unser Versuchsmaterial bilden. Die Darbietung von Satz und Bild erfolgt getrennt. Nach der Darbietung des Satzes für 2 000 ms und einer Pause von 500 ms wurde das Bild dargeboten. Die Vpn hatten die Aufgabe, durch den Druck einer rechten oder linken Taste die Übereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung zwischen Satz und Bild so schnell wie möglich zu quittieren. Gemessen wurde die Zeit von der Darbietung des Bildes bis zur Reaktion der Vpn. Die Zuordnung der Tasten zu den Reaktionen wurde balanciert. Die Sequenz der dargebotenen Satz-Bild-Paare wurden nach einem eingeschränkten Zufallsprinzip bestimmt: In je 6 aufeinanderfolgenden Darbietungen wurde bei zufälliger Auswahl und Zuordnung dreimal die Bedingung T und je einmal die Bedingungen F_, F und F_ realisiert. Am Experiment nahmen Studenten ö Ii u der Psychologie aller Studienjahre als Vpn teil. Nach einer ausgedehnten Übungsphase (Darbietung von 24 Paaren) wurden alle 96 Satz-Bild-Kombinationen sukzessiv geboten. In die Auswertung wurden allein die gemessenen Reaktionszeiten für korrekte Antworten einbezogen. Eine gesonderte Auswertung der Fehler wurde aufgrund ihrer geringen Häufigkeit (3 - 4 %) nicht vorgenommen. Ergebnisse Die Abbildung 3 zeigt die mittleren Reaktionszeiten in Abhängigkeit von den Satz-Bild-Kombinationen. Eine zweifache Varianzanalyse über den Bedingungen und den Vpn als Variablen ergab signifikante Hauptwirkungen (Fg = 35, 0, p< 0, 01, Fyp n = 58, 0, p < 0, 01), jedoch keine signifikanten Wechselwirkungen ( F w = 1, 57, 207

p < 0, 05). Wir werten dies als Beleg für

*t ms 900

die einheitliche Wirkung der gesetzten V e r suchsbedingungen auf die individuellen Verarbeitungsprozesse. Eine weitere Auswer-

800

/

tung mit dem Differenzen-T -Test bestätigte die Signifikanz der Differenz aller benachbarten Zeitwerte ( t ^ p g = 2,03, T ^ ^

700

tro_F J

I

L Fh

^^

2

Mittlere Reaktionszeit in Abhängigkeit vom Verhältnis zwischen Satz und Bild.

= 2,46,

= 2, 65, p < 0, 05) H

Interpretation Die Interpretation der Ergebnisse erfolgt hier zunächst allein hinsichtlich der ableitAnnahmen über die für den Vergleich &

gewählten Repräsentationsebene. Die Schlußfolgerungen bezüglich der Prozeßcharakteristik werden wir später im Zusammenhang behandeln. Die Daten zeigen deutlich den Einfluß der Art der Nichtübereinstimmung auf die notwendige Zeit zu ihrer Feststellung. Die Feststellung der Nichtübereinstimmung des Aktors gelingt am schnellsten, dann folgt die Registrierung der Nichtübereinstimmung im Rezipienten, während eine unkorrekte Beschreibung der dargestellten Handlung den größten Zeitaufwand zu seiner Entdeckung beansprucht. Die Daten sprechen damit für einen sequentiellen Vergleichsprozeß in der Reihenfolge Aktor-Rezipient-Handlung. Die wenig variierenden Zeitdifferenzen zwischen den Bedingungen deuten auf einen konstanten Zeitaufwand von etwa 50 bis 60 ms pro Vergleichsprozedur, unabhängig von der Spezifik des zu vergleichenden Elements. Dieser geringe, um 1/20 s liegende Zeitaufwand ist charakteristisch für Vergleiche einfacher anschaulicher Muster. So werden vorgegebene bildlich-anschauliche Reize in einer Folge von tachistoskopisch dargebotenen Bildern mit einem Zeitaufwand unter 100 ms identifiziert. Dies gelingt, auch wenn das zu identifizierende Bild in sprachlich-verbaler Form angekündigt wird (Potter 1976). Sind einfache Muster aus einer ungeordneten Folge nach kurzer Behaltenszeit wiederzuerkennen, dann geschieht dies nach den von Sternberg u.a. durchgeführten Experi208

menten im Resultat eines schrittweisen Vergleichs des gegebenen Reizes mit den im Gedächtnis gespeicherten Items der Lernmenge (Sterriberg 1969, 1975). Die jeweils für einen Einzelvergleich benötigte Zeit liegt zwischen 30 und 60 ms. Die Abhängigkeit dieser Zeit von der Reiz Charakteristik des Testitems oder von der bildlich-anschaulichen Charakteristik der Lernmenge (Sternberg 1969) oder von der Übereinstimmung der Modalitäten der Lern- und Testitems (Chase, Calfee 1969) lassen dabei vermuten, daß Vergleichsprozesse Uber einer bildlich-anschaulichen Repräsentation der Reize ablaufen. Vor diesem Hintergrund sprechen die in unserem Experiment gefundenen kurzen Vergleichszeiten für einen anschaulichen Vergleich zwischen Satz und Bild. Voraussetzung dafür ist, daß von der Identifikation der sprachlichen Zeichenfolge ausgehend, Gedächtnisbesitz aktiviert wird, der einen anschaulichen Vergleich mit dem zu erwartenden Bild gestattet. Dies geschieht, so muß angenommen werden, während der Darbietung des Satzes und der darauf folgenden Pause (insgesamt 2500 ms). Das Experiment 2 dient der Kontrolle dieser Prozesse, die nun in die Zeitmessung einbezogen werden.

4.2.

Experiment 2

Unter sonst gleichen Bedingungen werden im Gegensatz zum ersten Experiment Satz und Bild den Vpn simultan dargeboten. Wieder ist die Übereinstimmung (T) bzw. die Nichtübereinstimmung in den Bedingungen Fg, FQ und F ^ so schnell wie möglich zu entscheiden. Gemessen wurde die dafür notwendige Zeit, In diese Zeit gehen nun auch die Zeitanteile ein, die für das Lesen des Satzes und für die Aktivierung der anschaulichen Charakteristiken zum Vergleich mit dem Bild benötigt werden. Sind die Prozesse der Zuordnung des Satzes zum Bild gegenüber dem ersten Experiment nicht verändert, dann sollten sich bei erhöhter Gesamtzeit gleiche Zeitrelationen zwischen den B e dingungen einstellen.

209

Ergebnisse

**

ms

Die mittleren Reaktionszeiten für die

1800 V

einzelnen Bedingungen sind im Vergleich

1700

1600

y

zum Experiment 1 in Abbildung 4 dar-

Experiment 2

gestellt. (Bis auf Fg - F q unterscheiden sich alle Zeitwerte des Experimentes 2 signifikant voneinander, DUNCAN-

1500

i

Test, p < 0, 05.)

900 GOO

Experiment 1

Interpretation Die Zeitrelationen zwischen den Be-

700 T

FS

Fh

dingungen zeigen sich bei einer Erhöhung des Gesamtzeitaufwandes um

Abb. 4 Vergleich der Resultate von Experiment 1 und 2.

etwa 900 ms im wesentlichen unverändert. Dies spricht für eine unveränderte Charakteristik der Vergleichspro-

zesse bei simultaner Darbietung von Satz und Bild. Die Erhöhung des Gesamtzeitaufwandes kann so vorwiegend auf die Zeitanteile zum Lesen des Satzes und zur Aktivierung der für den Vergleich mit dem Bild notwendigen anschaulichen Strukturen zurückgeführt werden. Experimente von Scheerer-Neumann (1974) unterstützen eine solche Interpretation. In seinen Experimenten hatten die Vpn unter anderem zwei sukzessiv gebotene Bilder oder ein Wort mit einem nachfolgenden Bild zu vergleichen. Das Zeitintervall zwischen der Darbietung der beiden Reize wurde variiert und die Reaktionszeit von der Darbietung des zweiten Reizes an gemessen. Im Resultat zeigen sich bei einem Zeitintervall über 500 - 600 ms für den WortBild-Vergleich ähnlich kurze Reaktionszeiten wie für den Bild-Bild-Vergleich. Offenbar reicht ein Zeitintervall dieser Größe aus, um vom gegebenen Wort ausgehend die entsprechende anschauliche Gedächtnisstruktur für den Vergleich bereitzustellen, so daß dieser dann als "Bild-Bild-Vergleich" realisiert w e r den kann (siehe auch Posner 1973). Kalkulieren wir auch in unseren Versuchen eine Zeit dieser Größenordnung für die Aktivierung der entsprechenden anschaulichen Strukturen, so setzt sich die empirisch ermittelte Erhöhung der Gesamt -

210

zeit aus diesen 500 - 600 ms und weiteren 300 - 400 ms zusammen, die für das Lesen des Satzes, d. h. seiner perzeptive Kodierung angenommen werden können (siehe auch Fekete, Müller 1975). Insgesamt unterstützen damit unsere Ergebnisse die Annahme eines V e r gleiches von Satz und Bild auf bildlich-anschaulicher Repräsentationsebene. Die Ergebnisse der beiden Experimente lassen dabei zunächst den folgenden Prozeßablauf vermuten: 1. Perzeptive Kodierung des Satzes, 2. Aktivierung der dem Satz entsprechenden anschaulichen Gedächtnisstrukturen, 3. Durchführung des Vergleiches mit dem gegebenen Bild, 4. Entscheidung.

4. 3.

Experiment 3

Eine in einem Satz enthaltene Negation hat keine unmittelbar anschauliche Repräsentation. Damit kann der Vergleich zwischen einer negativen Aussage und einem entsprechenden Bild nicht unmittelbar anschaulich erfolgen. Mit dem vorliegenden Experiment fragen wir nach der Charakteristik der R e p r ä sentation von Satz und Bild, die unter der Bedingung negativer Aussagen für ihren Vergleich gewählt wird. Die Aufgabe bestand wieder im Vergleich von Satz-Bild-Kombinationen. Insgesamt wurden 8 Grundkombinationen gewählt (siehe Abb. 5). Mit ihnen sind zwei grundsätzliche Variationen eingeführt: Zum einen sind die Sätze in affirmativer (A) oder negierter Form (N) formuliert, zum zweiten können Satz und Bild übereinstimmen (T) bzw. nicht übereinstimmen (F). Daraus ergeben sich vier experimentelle Grundvarianten: TA, FA, TN und FN. Methode Satz und Bild werden simultan geboten. Die Vpn sind instruiert, e r s t den Satz zu lesen und dann seine Aussage mit dem Bild zu vergleichen. Die Reak211

Die Tür ¡st auf

Die Tür ist auf

Die Tür ist zu

Die Tür ist zu

TA

F A

TA

F A

Die Turistnidrtcuif DieTtiristnichtauj

TN

FN

DieTüristnichtzu

DieTüristnichtzu

TN

FN

Abb. 5 Grundkombinationen von Satz und Bild im Experiment 3. "T" steht für Übereinstimmung, "F" für Nichtübereinstimmung zwischen Satz und Bild, "A" steht für eine affirmative, "N" für eine negative Satzaussage.

tion erfolgt wieder Uber zwei Tasten bei Balancierung der Zuordnung. Nach einer Trainings phase (16 Darbietungen) werden den Vpn 64 SatzBild -Kombinationen sukzessiv geboten. In aufeinanderfolgenden Achterblöcken werden je zwei Beispiele der 4 Grundbedingungen bei zufälliger Anordnung realisiert. Gemessen wird die Zeit von der Darbietung des Reiz-

paares bis zur Reaktion , v vpn * Da es uns, auch für die weitere Auswertung, darauf ankam, die von den Versuchsbedingungen abhängigen Zeitanteile (Prozeßzeit) zu analysieren, bemühten wir uns, solche Zeitanteile gesondert zu ermitteln, die von der Variation der Versuchsbedingungen kaum abhängen dürften (Grundzeit). Die Vpn hatten in einem gesonderten Versuch bei sonst unveränderten Bedingungen lediglich den Satz so schnell wie möglich zu lesen und dann die rechte oder linke Taste zu drücken. Die dabei für die affirmativen und negativen Sätze ermittelten Zeiten enthalten die zu kalkulierende Zeit für die perzeptive Kodierung des Satzes und für die Realisierung der motorischen Reaktion. 14 Studenten und Mitarbeiter der Sektion nahmen als Vpn am Versuch teil. a r

Ergebnisse Die Abbildung 6 stellt zwei Ergebnisse dar: Es sind die mittleren Reaktionszeiten über den 4 Grundbedingungen aufgetragen und die ermittelten Grund212

zeitanteile für die affirmativen und negativen Sätze. Die gesetzten Bedingungen haben einen deutlichen Einfluß auf die zum Vergleich von Satz und Bild notwendige Zeit (F = 509, 27, p < 0, 01). Die Grundzeiten für die Kodierung von affirmativen und negativen Sätzen unterscheiden sich nicht signifikant voneinander.

fit ms

2400 2200 2000

1800 1600 1400

• Gesamtzeit

1200

Grundzeit

1000 B00'

400 Á'

J_

TA

_L

FA

_1_

TN

_L

FN

Abb. 6 Grundzeit und Gesamtzeit in Abhängigkeit von den Versuchsbedingungen. 4.4.

Experiment 4

Mit dem Material des Experimentes 3 und unter sonst gleichen Bedingungen erfolgt die Darbietung von Satz und Bild getrennt. Erst nach der Darbietung des Satzes für 1000 ms und einer Pause von 500 ms erfolgt die Darbietung des Bildes und gleichzeitig die Registrierung der Reaktionszeit. Die Bedingungen sind so mit denen des Experimentes 1 vergleichbar. Ergebnisse Die Reaktionszeiten in Abhängigkeit von den Bedingungen sind in Abb. 7 dargestellt. Der Einfluß der Satz-Bild-Kombinationen auf die notwendige Zeit zu ihrer Bewältigung ist signifikant (p < 0, 01).

213

m ms 1100 -

1000900800 -

700600SOOTA

4. 5.

FA

TN

FN

Abb. 7 Prozeßzeiten bei sequentieller Darbietung von Satz und Bild.

Diskussion der Experimente 1 bis 4

Die ersten 4 Experimente sind durchgeführt worden, um Annahmen über die Repräsentationsformen abzuleiten, die im Satz-Bild-Vergleich für die Bedeutungserkennung des Satzes in dem Sinne wesentlich sind, als sie die Grundlage für den Vergleich von Satz und Bild schaffen. Die aus den ersten beiden Experimenten ableitbaren Zeiten (50 - 60 ms) für den Vergleich einzelner Elemente der Situation unterstützen mit ihrem Bezug zu entsprechenden Ergebnissen aus der Literatur die Annahme einer bildlich-anschaulichen Repräsentation als Vergleichsebene. Vergleichen wir nun diese Ergebnisse mit denen des dritten und vierten Experiments (siehe Abb. 8), so zeigen sich deutliche Unterschiede. Während die Variationen der Satz-Bild-Kombinationen bei simultaner Darbietung und affirmativen Sätzen zu ReaktionsZeitveränderungen um 50 ms führen, rufen entsprechende Variationen unter Verwendung negativer Aussagen Reaktionszeitveränderungen von 250 bis 600 ms hervor. Insbesondere bewirken die negativen Aussagen selbst eine drastische Erhöhung der Reaktionszeit; aber - und dies ist wichtig - die Erhöhung der Reaktionszeitunterschiede zeigt sich auch im Vergleich der affirmativen Satz-Bild-Kombinationen TA und FA. Die Notwendigkeit der Verarbeitung negativer Aussagen beeinflußt auch die im gleichen experimentellen Kontext realisierten Verarbeitungsprozesse über affirmative Aussagen. Offensichtlich werden hier Operationen wirksam, die

214

zeitaufwendiger sind und in der Variabilität ihres Auftretens so die deutlich größe-

2500

2500 ms

ms

2000

2000

Simultan

ren Reaktionszeit unterschiede bedingen. In anderem Zusammenhang ist wiederholt ge zeigt worden, daß be-

Simultan

1500

1500

1000

1000

Sukzessiv

Sukzessiv



griffliche gegenüber anschaulichen Vergleichen einen deutlich höheren Zeitaufwand beanspruchen. So zeigten z. B. Burrows, Okada (1976) in Wiedererken-

500

500 Li T

I

FS

I

F0

L_

Fh

TA

J

FA

L

TN

FN

Abb. 8 Vergleich der Resultate der Experimente 1 bis 4. Links die Experimente 1 und 2, rechts die Experimente 3 und 4.

nungsexperimenten, daß die Feststellung der anschaulichen Identität eines Testitems mit einem Item der Lernmenge im Durchschnitt 53 ms beansprucht, während die Identifikation einer begrifflichen Zusammengehörigkeit 153 ms bei zusätzlich erhöhter Grundzeit erfordert (siehe auch Burrows, Okada 1973, Juola, Atkinson 1971, Frost 1971). Mit Bezug auf diese Experimente vermuten wir, daß die hier gefundene Erhöhung des Zeitaufwandes bei der Verarbeitung negativer Aussagen auf einen Wechsel der Vergleichsebene von der anschaulichen zu einer begrifflichen Repräsentation zurückzuführen ist. Eine zweite wesentliche Wirkung der Negation fällt bei Betrachtung der Abbildung 8 ins Blickfeld. Während bei Verwendung von nur affirmativen Aussagen die sukzessive gegenüber der simultanen Darbietung lediglich zu einer Verringerung des Gesamtzeitaufwandes führt, werden bei Verwendung negativer Aussagen neben der generellen Zeitverkürzung auch die Relationen zwischen den gesetzten Bedingungen entscheidend verändet. Die Unterschiede sinken auf Differenzen um 100 ms und der mit der Negation verbundene deutliche Zeitanstieg fällt weg. Vermutlich bewirkt die sukzessive Darbietung 215

eine Vorverarbeitung der negierten Aussage, so daß der Vergleich mit dem 1500 ms später dargebotenen Bild auf anschauliche Weise realisiert werden kann. Bei nur affirmativen Sätzen deuten die Daten nicht auf einen Wechsel der Repräsentationsebene. Der Vergleich wird hier vermutlich in beiden Fällen über die per zeptiv-anschauliche Charakteristik des Bildes realisiert. Wir sehen gerade in der Betrachtung der Möglichkeit einer direkten Aktivierung perzeptiv anschaulicher Merkmale durch ein sprachliches Zeichen ein wesentliches Moment für die Analyse von psychischen Prozessen der Bedeutungserkennung. Die weiteren Experimente, die hier nur im Überblick dargestellt werden sollen, dienen daher der Differenzierung unserer Annahme von der direkten Zuordenbarkeit anschaulicher Repräsentationen zu sprachlichen Zeichenfolgen.

4.6.

Experiment 5

Mit dem Experiment 5 gehen wir von folgendem Grundgedanken aus: Wenn die Annahme der Realisierung der Vergleichsprozesse über einer bildlich-anschaulichen Repräsentation korrekt ist, dann sollte die Erhöhung der Variabilität der bildlichen Darstellung einzelner Elemente der gegebenen Szene den Zeitaufwand für den Vergleichsprozeß erhöhen, da nun mehrere oder komplexere anschauliche Strukturen für den Vergleich bereitgestellt und geprüft werden müßten. Im Experiment wird die bildliche Charakteristik der Handlung variiert. An die Stelle der vordem einzigen Möglichkeit treten jetzt jeweils 4 Möglichkeiten für die Darstellung des "Fangens" und des "Werfens" (siehe Abb. 9). Als Kontrollversuch wurde das Experiment 1 gewählt und Versuchsanordnung und -durchführung wie dort gehandhabt. (Nach der Darbietung des Satzes für 2000 ms und einer Pause von 500 ms erfolgt die Darbietung des Bildes. Es werden die Kombinationen T, Fg, F Q und F H realisiert.) Die unterschiedlichen Darstellungen der jeweiligen Handlung wurden auf die einzelnen Bedingungen zu gleichen Teilen zufällig verteilt. Die Abb. 10 216

rangen

Werfen

Abb. 9 Unterschiedliche Darstellungsformen der Handlung "Fangen" und der Handlung "Werfen". *t ms

zeigt im Vergleich zum Experiment 1 die Ergebnisse. Bei sonst identischen Versuchsbedingungen erhöht die Variabilität der bildlichen Darstellung den zeitlichen Vergleichsaufwand um 160 - 380 ms. Dies bestätigt unsere Vermutung.

1300

1200

900

800

che, daß nicht alle Bedingungen in

700

betroffen sind. Wir kommen im Zusammenhang mit der Prozeßanalyse auf diesen Sachverhalt noch einmal

5

1000

Interessant ist vor allem die Tatsagleicher Weise von der Zeiterhöhung

Experiment

1100

Experiment 1

t_

I T

Fs

F

o

i

Fh

Abb. 10 Die Wirkung der Variabilität in der bildlichen Darstellung der Handlung auf die Reaktionszeiten im Vergleich zum Experiment 1. 217

zurück. Hier sei zunächst festgehalten, daß die unterschiedliche Wirkung der Bild Variabilität darauf hinweist, daß mit der Bildvariabilität nicht nur allein Kodierungsprozesse, sondern auch Eigenschaften der Vergleichsprozesse verändert werden. Bei alleiniger Veränderung der Bildkodierung wäre ein erhöhter Zeitaufwand um den gleichen Betrag für alle Bedingungen zu e r warten gewesen.

4. 7.

Die Abhängigkeit des Satz-Bild-Vergleiches von der Oberflächenstruktur des Satzes

In allen durchgeführten Experimenten sind die zum Vergleich verwendeten Sätze je zur Hälfte in aktiver (Subjekt-Verb-Objekt) und passiver F o r m (ObjektVerb-Subjekt) dargeboten worden. Diese Variation gibt uns jetzt die Möglichkeit, den Einfluß der Oberflächenstruktur des Satzes auf den Vergleichsprozeß zu untersuchen. Für die Experimente Rt ms 1000

Experiment 1

• SUO

1800

*OVS

/

900 800

»t ms

Experiment.2

1 und 2 sind die R e a k tionszeiten unter den

• SW

einzelnen Bedingungen

*OI/S

für die beiden Satzstrukturen getrennt ausge-

1700

wertet worden. Die R e sultate zeigt die A b b i l -

1800

dung 11. 700

Erinnern wir uns, daß

1S00 J

T

L

FS F0 Fh

J r

I I Ps F0

L fh

Abb. 11 Zur Wirkung der Oberflächenstruktur des Satzes auf die Reaktionszeiten. SVO entspricht der O r d nung "Subjekt-Verb-Objekt", OVS der Ordnung "Objekt-Verb-Subjekt".

218

im Experiment 1 Satz und Bild sukzessiv, im Experiment 2 simultan dargeboten worden sind. Die Resultate sind deutlich: Schon 500 ms nach

seiner Darbietung hat die Oberflächenstruktur des Satzes ihren Einfluß auf den Vergleichsprozeß verloren (Experiment 1). W i r vermuten, daß die zum Satz gehörende anschauliche Merkmals Charakteristik in dieser Zeit erzeugt ist und nun unabhängig von der A r t des Satzes mit dem Bild verglichen wird. Ein anderes Ergebnis zeigt sich bei simultaner Darbietung von Satz und Bild. Wenn auch nicht die grundsätzlichen Zeitrelationen zwischen den Bedingungen verändert werden, so ist doch im besonderen Maße der Zeitaufwand für die Entdeckung einer Nichtübereinstimmung im Aktor oder Rezipienten der Szene davon abhängig, ob Subjekt oder Objekt an erster Stelle des Satzes stehen. Steht das Subjekt vorne, wird seine Nichtübereinstimmung mit dem Aktor des Bildes eher entdeckt, als wenn das Objekt im Satz an e r s t e r Stelle stünde. U m gekehrt gilt dies für Sätze, in denen das Objekt an erster Stelle steht. Dies läßt im Kontext der anderen Ergebnisse vermuten, daß die für den Vergleich bereitzustellenden Merkmalscharakteristiken nicht in einem Schritt, sondern element- bzw. komponentenweise, in Abhängigkeit von der Anordnung der sprachlichen Zeichen im Satz, aktiviert werden. Für eine solche schrittweise Aktivierung bildlich-anschaulicher Merkmale im Gedächtnis sprechen auch Untersuchungen von Weber und Harnisch (1974). In deren Experimenten hatten sich die Vpn die Schreibweise eines akustisch gebotenen Wortes anschaulich vorzustellen und hatten dann so schnell wie möglich zu entscheiden, ob an einer bestimmten Position des Wortes ein hoher (t, k, 1, . . . ) oder niedriger (e, a, m, . . . ) Buchstabe steht. Wird die kritische Position nach der Darbietung des Wortes gegeben, hat ihre Lage einen geringen Einfluß auf die Reaktionszeit. W i r d die kritische Position jedoch vor der Darbietung des Wortes fixiert, so daß die Zeit für die Erzeugving der anschaulichen Repräsentation des Wortes in die Reaktionszeit mit eingeht, zeigt sich ein deutlicher P o s i tionseffekt, der für einen schrittweisen Aufbau der anschaulichen Repräsentation spricht: Positionen zum Ende des Wortes sind mit zunehmend höherem Zeitaufwand verbunden.

219

4.8.

Zusammenfassung

Betrachten wir die gewonnenen Ergebnisse im Überblick, so finden wir v e r schiedene Belegungen für unsere Annahme der psychologischen Realität zweier Repräsentationsebenen. Beim Vergleich nur affirmativer Aussagen führen Variationen im Verhältnis von Satz zu Bild zu Reaktionszeitunterschieden von 50 bis 60 ms, während bei Verwendung negativer Aussagen vergleichbare Variationen zu mehrfach größeren Zeitunterschieden führen. Dies entspricht den Ergebnissen anderer Untersuchungen, nach denen begriffliche Vergleiche von Informationen gegenüber anschaulichen Vergleichsprozeduren einen mehrfach höheren Zeitaufwand benötigen. Unterstützend zeigt sich, daß der Wechsel von simultaner zu sukzessiver Darbietung von Satz und Bild in einem Falle die Relationen zwischen den bedingungsabhängigen Entscheidungszeiten unverändert läßt, während bei Verwendung von negativen Aussagen diese Relationen drastisch verändert werden. Wieder läßt sich das Ergebnis mit der Annahme zweier unterschiedlicher Repräsentationsfi rmen vereinbaren, in denen mit verschiedener Zeitcharakteristik Operationen realisiert werden. Der Einfluß der Variabilität der bildlichen Darstellung auf den Zeitaufwand im Vergleichsprozeß sowie der Nachweis der nur bedingten Wirkung der Oberflächenstruktur des Satzes auf den Vergleichsprozeß ergänzen die experimentelle Begründung eines Vergleichsprozesses zwischen Satz und Bild in einer bildlich-anschaulichen Repräsentationsform. Diese Ergebnisse erweitern die bisherigen Annahmen über die psychologische Charakteristik des Satz-Bild-Vergleiches, indem neben der Realisierung des Vergleiches auf einer für Satz und Bild gemeinsamen "abstrakten" Repräsentationsebene ein anschaulicher Vergleich zwischen Aussage und Bild nahegelegt wird. Damit sind die vorliegenden Experimente hinsichtlich ihrer Aussagefähigkeit zu möglichen Formen der Bedeutungsrepräsentation sprachlich gebotener Information ausgewertet. Unbeantwortet ist die Frage nach der Komponentenanalyse der Prozesse geblieben, die der Bedeutungserkennung eines Satzes zugrunde liegen.

220

Dieser Frage wenden wir uns zu, nachdem in einem kurzen Überblick generelle Annahmen über die Charakteristik von Prozessen der Zuordnung dargebotener Reize zu ausgebildeten Gedächtnisstrukturen diskutiert worden sind.

5.

Zur Charakteristik von Zuordnungsprozessen im Gedächtnis

Eine große Anzahl neuerer Arbeiten beschäftigt sich mit der Charakteristik von Prozessen, die dem Vergleich gegebener Informationen mit avisgebildetem Gedächtnisbesitz zugrunde liegen. Dies sind Prozesse, die uns im Hinblick auf die Bedeutungserkennung sprachlicher Reize interessieren. Das hier vorherrschende methodische Vorgehen geht auf die Reaktionszeitdekompositionsmethode von Donders (1868) zurück. Die Zeit, die für die Bewältigung einer kognitiven Anforderung benötigt wird, wird als Summe der Zeiten derjenigen Operationen aufgefaßt, die im Verlaufe der Aufgabenbewältigung nacheinander realisiert werden. Sternberg (1966, 1969, 1975) kommt wohl das Verdienst zu, diese Methode nicht nur in ihrer praktischen Anwendung, sondern auch in ihrer theoretischen Grundlegung für die experimentelle Gedächtnispsychologie wieder entdeckt zu haben. Die von ihm durchgeführten Wiedererkennungsexperimente zeigen ein klares Resultat. Die notwendige Zeit zum Wiedererkennen eines dargebotenen Items und zum Ablehnen eines neuen Items nimmt bei gleichem Anstieg linear mit der Anzahl der Items in der im Gedächtnis gespeicherten Lernmenge zu (Sternberg 1966, 1969). Das von ihm vorgeschlagene Modell zur Erklärung dieser Befunde sieht vier Prozeßstufen vor: 1. Eine Operation der Kodierung des gebotenen Testreizes, 2. ein serialer und erschöpfender Vergleich des kodierten Testreizes mit den im Gedächtnis gespeicherten Items der Lernmenge, 3. nach dem Vergleich mit allen Items der Lernmenge wird über eine binäre Entscheidung der positive oder negative Ausgang der Vergleichsprozedur fixiert, und schließlich wird 4. die vom Versuchsleiter (VI) geforderte 221

motorische Reaktion erzeugt. Wichtig für unsere nachfolgenden Überlegungen ist die hier aufgestellte Behauptung, daß der Vergleich eines vorliegenden Items mit der im Gedächtnis gespeicherten Lernmenge e r s c h ö p f e n d serial

und

erfolgt, bevor eine Entscheidung über ihre Zugehörigkeit zur Lern-

menge getroffen werden kann. Gerade diese, für die Erklärung der Befunde wesentlichen Annahmen sind durch nachfolgende Untersuchungen in ihrer Allgemeingültigkeit in Zweifel gezogen worden. So ergab sich z . B . , daß die Wiederkennung von Items, die in aufeinanderfolgenden Versuchen besonders häufig als Element der Lernmenge geboten werden, schneller gelingt als die Wiedererkennung von weniger häufigen Items (Burrows, Okada 1976, Shiffrin, Schneider 1974). Ein solches Ergebnis kann ebensowenig mit der Annahme eines e r schöpfenden und serialen Vergleichsprozesses in Einklang gebracht werden wie die Abhängigkeit der Wiedererkennungszeit von der serialen Position des T e s t items in der Lernmenge oder in der Testphase (siehe Ratcliff, Murdock 1976). Diese Daten deuten darauf hin, daß wenigstens unter bestimmten Bedingungen der Vergleichsprozeß nicht erschöpfend sondern abbrechend realisiert wird, d . h . : Ist eine Übereinstimmung gefunden, wird die entsprechende positive Reaktion erzeugt und der Vergleichsprozeß abgebrochen. Daß nicht in jedem Fall alle Elemente der Lernmenge verglichen werden müssen, zeigt sich auch deutlich bei Verwendung von "organisierten" Lernmengen. So verwendete Naus (1974) kategorisierbare Wortlisten als Lernmenge. Die Wiedererkennungszeiten zeigten sich hier stärker von der Anzahl der unterscheidbaren Kategorien als von der Anzahl der Gesamtitems abhängig. Im gleichen Zusammenhang muß auch die Möglichkeit parallel ablaufender Vergleichsprozesse diskutiert werden, Experimente von Burrows und Okada (1976) deuten darauf hin, daß zum serialen Vergleich anschaulicher Reizcharakteristiken die kategoriale Zusammengehörigkeit von T e s t - und Zielitems parallel geprüft werden kann, wenn dies durch die Überprüfung der begrifflichen oder anschaulichen Identität gefordert ist. Die Wiedererkennungszeiten für eine organisierte Menge anschaulicher B i l der zeigen im Gegensatz zur unorganisierten Menge keine Abhängigkeit von der Anzahl der Items in der Lernmenge, was wieder auf einen parallelen V e r gleich aller Items hindeutet (de Rosa, Tkacz 1976). 222

So treffen bei der Interpretation von Wiedererkennungsdaten Annahmen über erschöpfende gegenüber selbstabbrechenden, über seriale gegenüber parallelen Vergleichsprozessen aufeinander. Ein abschließendes Urteil kann hier wohl noch nicht gefällt werden (vgl. auch die zusammenfassenden Darstellungen bei Sternberg 1975 und Ratcliff, Murdock 1976). Wir haben diesen Überblick über Modellvorstellungen zur Charakteristik von Wiedererkennungsprozessen hier in die Darstellung aufgenommen, da diese Untersuchungen einen theoretischen wie experimentell-praktischen Bezug zur Komponentenanalyse von Prozessen des Satz-Bild-Vergleiches haben. Der theoretische Bezug ist in der Vergleichbarkeit der geforderten Prozesse zu sehen, der experimentell-praktische Bezug in der verwendeten Methodik der Dekomposition von Reaktionszeiten. Tatsächlich finden sich in den Modellüberlegungen zur Charakteristik des Satz-Bild-Vergleiches vergleichbare widersprüchliche Annahmen. Einheitlich sind die Annahmen über den serialen Charakter der Zuordnungsund Vergleichsprozesse, verschieden sind sie hinsichtlich der Strukturkomponenten, über denen der Vergleich stattfindet, und hinsichtlich der abbrechenden, erschöpfenden oder rekursiven Charakteristik des Vergleichsprozesses. In den nun folgenden Auswertungen und Experimenten stehen diese Fragen nach der Komponentenanalyse der Vergleichsprozesse im Vordergrund.

6.

Die Aktivierung anschaulicher Merkmalskonfigurationen durch sprachliche Reize

Die Methode, derer wir uns in den folgenden Prozeßanalysen bedienen, b e steht in einer Zerlegung der gemessenen Reaktionszeiten (Sternberg 1969). Die Relationen zwischen den Reaktionszeiten unter verschiedenen Bedingungen im Verhältnis von Satz und Bild sind die Ausgangsdaten zur Ableitung von Annahmen Uber kognitive Operationen, die die Bewältigung der experimentellen 223

Anforderung bewirken. So abgeleitete Annahmen werden in eine Prozeßcharakteristik aufgenommen, die die gegebene Variabilität der Reaktionszeiten zu erklären imstande sein müßte und die Ableitung von Prädiktionen unter veränderten Versuchsbedingungen gestatten sollte. Erklärbarkeit der erhaltenen Daten und empirische Realisation der abgeleiteten Prädiktionen dienen dann der Verifikation des Prozeßmodells.

6.1.

Die direkte Zuordnung bildlich anschaulicher Konfigurationen zu sprachlichen Reizen

Die Abbildung 12 stellt noch einmal die Resultate unserer ersten beiden Experimente zusammen. Bei simultaner und sukzessiver Darbietung von Satz und Bild hängt in gleicher Weise ms

die Zeit zur Feststellung einer Nichtüber-

1S00

einstimmung von der Art dieser Nichtüber-

1800 1700

einstimmung ab. Auf die Nichtübereinstim-

Simu.

mung im Aktor (Fg) wird am schnellsten reagiert, im Mittel etwa 50 ms später

1500

wird auf eine Nichtübereinstimmung im

1000

Rezipienten (FQ) reagiert, während die Entdeckung einer unkorrekten Beschrei-

t

bung der dargestellten Handlung (F„) die £1 längste Zeit beansprucht. Da die ZeitdiffeT

FS

Fq Fy

renzen zwischen den Bedingungen mit geringen Schwankungen im Mittel bei etwa

Abb. 12 Reaktionszeiten beim Vergleich affirmativer Sätze mit entsprechenden Bildern. Sukzessive Darbietung entspricht dem Experiment 1, die simultane Darbietung dem Experiment 2 (vgl, Abb. 4). 224

50 bis 60 ms liegen, lassen die Daten v e r muten, daß gegenüber der Bedingung Fg die Bewältigung der Bedingung FQ O eine zusätzliche Operation und die Bewältigung der Bedingung F H w zwei zusätzliche Opera-

nen erfordern. Dies entspricht einem seriellen abbrechenden Vergleichsprozeß in der Reihenfolge Aktor-Rezipient-Handlung mit einem Zeitaufwand von 50 bis 60 ms pro Vergleichsoperation. Einer solchen Interpretation widerspricht allerdings zunächst die Tatsache, daß die Zeit zur Feststellung der Übereinstimmung von Satz und Bild (T) den geringsten Zeitaufwand beansprucht. Unter dieser Bedingung sollten bei sequentieller Abarbeitung ebenso wie unter der Bedingung F „ alle drei Komponenten der Szene verglichen werden. Aber geil rade diese beiden Bedingungen unterscheiden sich in ihrem Zeitaufwand extrem voneinander. Bei simultaner Darbietung liegt die Differenz bei 221 ms, bei sukzessiver Darbietung beträgt sie 177 ms. Wodurch könnte diese Differenz bei identischer Anzahl durchzuführender Vergleiche hervorgerufen werden? Wir übernehmen hier die von Wannemacher (1974, 1976) gemachte Annahme einer zusätzlichen Operation zur Erzeugung einer negativen Reaktion,

Einkodieren des Satzes

die in ihrem Zeitverbrauch dieser Differenz entspricht und die als Operation zur kognitiven Fixierung einer Nichtübereinstimmung plausibel gemacht werden kann. Unser

Sukzessives Prüfen Subjekt

Subjekt ja

Objekt

Objekt

[/erb

Verb

Interpretationsversuch gründet sich damit auf drei Annahmen: (1)Die Zuordnung des Satzes zum

nem

j F q h ) oder alle d r e i ( F g Q H ) E l e m e n t e der Szene r e a l i s i e r t . D i e s e n Bedingungen gilt u n s e r I n t e r e s s e . Nach e i n e r T r a i n i n g s p h a s e (24 Darbietungen) wurden den Vpn alle 96 S a t z Bild-Kombinationen in eingeschränkter Zuiallsfolge geboten. Dabei v e r s u c h t e n w i r , das A u f t r e t e n der einzelnen Bedingungen auf die G e s a m t s e r i e möglichst gleichmäßig zu v e r t e i l e n , um eventuelle T r a i n i n g s e f f e k t e zwischen den B e d i n gungen zu b a l a n c i e r e n . Die Sätze wurden wieder zur Hälfte in der Reihenfolge Subjekt-Verb-Objekt und Objekt-Verb-Subjekt geboten. G e m e s s e n wurde die Zeit von der Darbietung des Bildes bis zur Reaktion der Vp, die über d a s Drücken einer Taste bei balancierter Rechts-Links-Zuordnung realisiert wurde. Studenten des 1. b i s 4. Studienjahres dienten a l s Vpn. Ergebnisse Auf d e r Grundlage d e r zur Interpretation des e r s t e n E x p e r i m e n t s entwickelten Modellalternativen l a s s e n sich die folgenden V o r h e r s a g e n f ü r den notwendigen Zeitaufwand zur Behandlung m e h r f a c h e r Nichtübereinstimmungen zwischen Satz und Bild ableiten: Bedingung

Modell I abbrechender Ver gle ichspr oze ß

Modell H rekursiver Ver gle ichspr oze ß

F

F

s = 780 m s F s = 780 m s

F

o = 835 ms 780 m s V

F

F F F

SO SH OH SOH

F F F

SO

=

F

SH

F

OH SOH

!

F F

SO SH

G G

t

t

G

t = SOH t

OH

G

+

6 Op. = 888 m s

+

7 0 p . = 943 m s

+

8 Op. = 998 m s

+

9 Op. = 1053 m s

Die Abbildung 17 zeigt die e m p i r i s c h e n W e r t e im Vergleich mit den Modellprädiktionen.

229

fff ms

o Prixdiktionen

1100

• Daten

1000

rekursiv

/

300

°

sequentiell naoorei abbrechend

•fS

800

Abb. 17 Die empirischen Daten bei mehreren Übereinstimmungen sind mit den Prädiktionen eines pekursiven und eines sequentiellabbrechenden Vergleichsprozesses konfrontiert.

700

J

F

so

J

L f

sh

f

Foh

L

soh

Interpretation Die Daten stützen die Annahme eines sequentiellen selbstabbrechenden V e r gleichsprozesses über den einzelnen Elementen der Szene mit sehr schnellen Vergleichsoperationen und einer vergleichsweise zeitaufwendigen Operation zur kognitiven Fixierung einer Nichtübereinstimmung. Ebenso gestatten sie

ms 900

800 700 -

Experimente 1 und?

/

0

l

L

.

y

Da so die Ergebnisse des ersten und sechsten Experiments durch gleiche Modellannahmen erklärt werden können, lassen sich diejenigen Bedingungen beider Experimente in der Auswertung zusammenfas-

z

T

sen, für die vom Modell eine gleiche Ope-

FS

F0

Fso Fsh

Foh

FH

Fsoh

Abb. 18 Zusammenfassende Darstellung der Experimente 1 und 6 im Vergleich zu den Modellprädiktionen. 230

die Ablehnung der Annahme eines rekursiven Vergleichsprozesses unter den hier 2 gewählten Bedingungen.

rationsfolge angenommen wird. Das E r gebnis zeigt die Abbildung 18 (p < 0, 05 für alle Differenzen, Duncan-Test). Zugleich sind die entsprechenden Modellprädiktionen eingetragen. Die Anpassung an die empirischen Daten ist zweifelsfrei gegeben.

6.3.

Diskussion

Die in den Experimenten ermittelte Wirkung der Art der Nichtübereinstimmung zwischen Satz und Bild auf die notwendige Zeit zu seiner Feststellung belegt im Vergleich mit anderen Erklärungsansätzen die psychische Realität von s e r i a l ablaufenden, abbrechenden Vergleichsprozessen von Satz und Bild. Ist dies als Interpretationsansatz akzeptiert, dann läßt sich die relativ niedrige Reaktionszeit zur Feststellung einer Übereinstimmung zwischen Satz und Bild aus der Annahme einer zusätzlichen Operation zur kognitiven Fixierung einer Nichtübereinstimmung ableiten. Diese Annahme hat empirisch überprüfbare Konsequenzen, die zu ihrer Unterstützung oder Ablehnung herangezogen wenden können. Der Zeitverbrauch für diese angenommene Operation sollte sich in der Differenz der Bedingungen "F., - T" ausdrücken. ii Wird diese Differenz tatsächlich immer durch ein und dieselbe zusätzliche Operation hervorgerufen, dann sollte sie auch unter unterschiedlichsten Bedingungen Werte gleicher Größenordnung annehmen. Wir haben dies für insgesamt 6 experimentelle Variationen, von denen nur einige in die vorliegende Darstellung aufgenommen worden sind, überprüft (vgl. Schick 1976). Die k r i t i sche Differenz liegt im Mittel bei 186 ms mit einer Variation von 23 m s . Dies sind 12, 4 % des Mittelwertes und ist damit Ausdruck einer relativen Konstanz der Differenz, die mit ihrer angenommenen Verursachung durch ein und dieselbe Operation in gutem Einklang steht. Entsprechende Differenzen vergleichb a r e r Größenordnung (149 ms) lassen sich auch aus Daten von Wannemacher (1976, Experiment 2) ermitteln. Unsere Ergebnisse deuten weiterhin auf eine Sequenz der Vergleichsprozesse in der Ordnung Aktor-Rezipient-Handlung. Die Stabilität dieser Sequenz wird durch die Ergebnisse des Experiments 5 bestätigt (vgl. Abb. 10). Die Variabilität in der bildlichen Darstellung der Handlung führt zu einer drastischen Erhöhung der Reaktionszeit allein unter den Bedingungen T und F „ , deren Bewältigung (nach dem Modellgedanken) n den Vergleich des Handlungselements erfordern. Oder anders: Der relativ geringe Einfluß dieser Variation auf die Bedingungen Fg und FQ e r k l ä r t sich aus dem Abbruch des Vergleichsprozesses nach der Entdeckung einer Nicht 231

Übereinstimmung im Subjekt oder im Objekt, so daß ein Vergleich des Handlungselementes die Reaktionszeit nicht mehr beeinflussen kann. Wir wissen aus Untersuchungen von Glucksberg u. a. (1973) und Wannemacher (1974, 1976), daß durch verschiedene Bedingungen die hier gefundene Ordnung der Vergleiche verändert werden kann. Sind die einzelnen Elemente mit einer unterschiedlichen Anzahl von Alternativen im Material vertreten, so wird das Element mit der geringsten Variabilität im Vergleichsprozeß vorgezogen. Auch für den Fall der Austauschbarkeit von Subjekt und Objekt im Satz lassen sich keine konsistenten Ergebnisse hinsichtlich der Sequenz der Vergleichsprozesse ermitteln. Die in unseren Experimenten realisierten Bedingungen repräsentieren den Prototyp einer affirmativen Aussage über die Ausführung einer Handlung an einem Rezipienten durch einen Aktor, in der alle drei Situationselemente v e r gleichbar komplex sind und die Bestimmung des Handlungsträgers und des Rezipienten durch die semantische Charakteristik der verwendeten Begriffe eindeutig ist. Die unter diesen Bedingungen gefundene Sequenz ist konsistent und auch von Wannemacher (1976) gefunden worden. Es bleibt die Frage zu beantworten, durch welche Struktureigenschatten des verwendeten Materials oder seiner Repräsentation diese Sequenz bedingt ist. Wir sind hier zunächst auf Plausibilitäts über legungen angewiesen. Aus der ersten Auswertung der Experimente haben wir die Annahme abgeleitet, daß der Vergleich von Satz und Bild auf der bildlich-anschaulichen Repräsentationsebene der gebotenen Information realisiert wird. Dann sollte auch die Sequenz der Vergleichsprozesse durch die Struktur dieser Repräsentationsform bedingt sein. Eine gegebene anschauliche Situation läßt sich u.a. hinsichtlich der in ihr auftretenden Personen, Objekte oder Gegenstände charakterisieren, die aufgrund unterschiedlicher individueller Merkmalscharakteristiken begrifflich identifizierbar und damit auch separierbar sind. Diese einzelnen Elemente einer Situation können Relationen untereinander eingehen, die nicht aus ihren Merkmalscharakteristiken ablesbar sind, sondern das räumliche oder zeitliche Zueinander der Elemente betreffen. Ist die semantische Belegung einer solchen räumlichen oder zeitlichen Relation von der Identifikation der Elemente ab232

hängig, so müssen diese e r s t erkannt sein, bevor die zwischen ihnen bestehende semantische Beziehung identifizierbar ist. Diesen Überlegungen folgend läßt sich die anschauliche Struktur einer Situation auf unterer Ebene durch einzelne Merkmale charakterisieren, auf höherer Ebene durch Zusammenfassungen von Merkmals Verknüpfungen zu begrifflichen Elementen, deren r ä u m liches oder zeitliches Zueinander dann als semantische Relation auf nächsthöher e r Ebene identifiziert wird. Genau in diesem Sinne fixiert in unserem V e r suchsmaterial das Verb eine Beziehung zwischen Aktor und Rezipient, die durch räumliche Relationen gekennzeichnet werden kann. Im Beispiel f ä n g t der Junge den Ball, wenn sich der Ball v o r

dem Jungen befindet und k e i n e

Berührung mit seinen Händen hat. In Abbildung 19 ist zur Veranschaulichung das hypothetische Strukturbild einer ausgewählten Situation dargestellt.

Abb. 19 Hypothetisches Strukturbild eines anschaulich gegebenen Bildes. E s ist angenommen, daß die Informationsverarbeitung von der Detektion elementarer Merkmale zur Identifikation semantischer Relationen vordringt. Diesem Strukturbild folgend kann angenommen werden, daß die bildlich-anschauliche Situationsrepräsentation von "unten nach oben" abgearbeitet wird; über den Vergleich der begrifflichen Elemente zum Vergleich der zwischen ihnen bestehenden Relationen. So kann die im Experiment ermittelte Prozeß-

233

Charakteristik auf ein hypothetisches Strukturbild der anschaulichen Repräsentation der gegebenen Szene bezogen werden.

7.

P r o z e s s e der Satzverarbeitung über einer begrifflich-logischen Repräsentation von Satzaussagen

7.1.

Das Experiment 3 ist durchgeführt worden, um P r o z e s s e der Repräsentation, des Vergleichs und der Transformation begrifflicher Informationseinheiten durch Verwendung von Negationen im Satz-Bild-Vergleich zu induzieren. Die Erhöhung der Reaktionszeitunterschiede bei vergleichbaren Bedingungsvariationen war uns ein wesentlicher Beleg für die prinzipielle Veränderung der induzierten psychischen P r o z e s s e . Hier geht es uns jetzt um die Detailcharakteristik der V e r g l e i c h s - und Transformationsprozesse. E r t e l und Bloemer (1975) haben experimentell Interferenzen zwischen einfachen Handlungen und der Aufnahme und Speicherung von affirmativen und negativen Sätzen untersucht. Ihre Daten deuten darauf hin, daß bereits die Aufnahme und Kodierung einer Negation einer gesonderten kognitiven Operation bedarf. In Untersuchungen von Freedman und Bourne (1976) zur Analyse von Kodierungsprozessen für unterschiedliche Reizcharakteristiken ist w e i t e r hin die Komplementbildung über Merkmalen als in ihrem Zeitverbrauch relativ konstante kognitive Operation experimentell isoliert worden. Von diesem Hintergrund leiten wir die Annahme von zwei Stufen bei der Verarbeitung negativ e r Aussagen im Satz-Bild-Vergleich ab. Die erste Stufe entspricht der R e p r ä sentation der Negation, ihrer Kodierung. Die zweite Stufe dient der kognitiven Verarbeitung der negierten Merkmalscharakteristik. Da unter unseren e x p e r i mentellen Bedingungen die Negation eines Merkmals das Vorliegen des komplementären Merkmals anzeigt, kann die im Satz ausgedrückte Negation kognitiv

234

durch die Komplementbildung über der negierten Merkmalscharakteristik realisiert werden. Insgesamt lassen sich unsere Annahmen zu folgendem hypothetischen Prozeßmodell zusammenfassen (Abb. 20).

Abb. 20 Hypothetisches Prozeßmodell zum Satz-Bild-Vergleich bei Verwendung negativer Aussagen. Das Modell behandelt die Verarbeitung von Sätzen mit nur einem Argument, so wie sie im Experiment 3 zur Anwendung gekommen sind. Sätze wie "Der Ball ist rot/nicht rot", "Der Tisch ist rund/nicht rund" oder "Die Tür ist auf/nicht auf" sind Beispiele für diesen Satztyp. Nach der perzeptiven Kodierung des Satzes (1) ist als zweite Operation die begrifflich-logische Repräsentation des im Satz enthaltenen Arguments angenommen (2). Ausgehend vom sprachlichen Reiz ("rot", "rund" oder "auf") wird die begriffliche Merkmals Charakteristik des ausgedrückten Sachverhalts im Gedächtnis angeregt. Damit sind diejenigen Merkmale aktiviert, die der

235

begrifflichen Zuordnung von Objekten dienen. Der Vergleich mit dem Bild kann nun über diese Merkmale erfolgen (3). Man muß festhalten, daß hier nicht ein anschaulicher Vergleich auf der Grundlage von Ähnlichkeiten in einer "Anschauungsmetrik" angenommen wird, sondern ein Vergleich im Sinne der Überprüfung einer begrifflichen Merkmals Charakteristik am Bild. Ist das Argument nicht negiert, führt das Vergleichsresultat unmittelbar zur Entscheidung. Anders bei einem negierten Argument. Hier muß über die Repräsentation der Negation (4) die Merkmals Charakteristik des negierten Arguments durch Komplementbildung (5) transformiert werden, um mit dem dann komplementären Merkmalssatz den Vergleich zur Bildcharakteristik erneut aufzunehmen. Das Resultat des Vergleiches bestimmt die Art der Reaktion (6). Die Übereinstimmung führt unmittelbar zur positiven Reaktion (7), die Nichtübereinstimmung nach einer zusätzlichen Operation der Aufhebung einer positiven Reaktionsbereitschaft (8) zu einer negativen Reaktion (9). Beschreibt das Modell korrekt den psychischen Prozeß im Satz-Bild-Vergleich und erfordern die einzelnen Operationen einen annähernd gleichen Zeitaufwand, dann ist zu erwarten, daß die ermittelten Reaktionszeiten für die einzelnen Bedingungen in systematischer Weise von der Länge der jeweils anzunehmenden Operationsfolge abhängen. Die Zeitanteile zur Kodierung des Satzes und zur Erzeugung der Reaktion bleiben dabei von den Bedingungen weitgehend unbeeinflußt. Wir wollen sie als Grundzeit zusammenfassen und allein den verbleibenden Anteil als Prozeßzeit in die Auswertung einbeziehen. Erinnern wir uns an die Versuchsbedingungen des Experiments 3. Affirmative und negative Sätze wurden simultan mit Bildern geboten, die durch sie korrekt oder unkorrekt beschrieben wurden. Aus der Kombination dieser Variablen ergaben sich die vier Grundbedingungen des Experiments: TA, FA, TN und FN (vgl. Abb. 5). In der Prädiktion unterscheidet unser Modell anhand der zu veranschlagenden Operationsfolgen deutlich die Prozeßzeiten zur Realisierung dieser Bedingungen. Die Abbildung 21 stellt die prädiktierten Operationsfolgen zusammen. Es ergeben sich danach die folgenden Operationszahlen für die einzelnen Bedingungen: TA - 3, FA - 4, TN - 6 und FN - 7 Operationen. 236

Vergleichen wir diese Prädiktionen mit

FN

den empirisch ermittelten Prozeßzeiten

T

im Experiment 3 (Abb. 22), so läßt sich folgendes feststellen: Die für die einzelnen Bedingungen e r mittelten Prozeßzeiten entsprechen in ihrer Rangreihe den Voraussagen des Modells ( T A < FA< T N < FN). Darüber hinaus zeigt sich, daß auch die absoluten Zeitwerte in einem vergleichbaren Verhältnis zueinander stehen, wie die Anzahlen prädiktierter Operationen. Die Abbildung 22 veranschaulicht diesen Sachverhalt.

8

Für die 4 Bedingungen sind die Anzahl der prädiktierten Operationen und die ermittelten Prozeßzeiten dargestellt. Die Verbindungen zwischen den Bedingungen sind jeweils mit dem realen Verhältnis der Prozeßzeiten zueinander markiert. Sie widerspiegeln deutlich die Verhältnisse

Abb. 21 Prädiktierte Operationsfolgen für die 4 Versuchsbedingungen. Die Ziffern beziehen sich auf die Numerierung der Operationen in Abb. 20

der prädiktierten Operationszahlen. Dies heißt dann aber auch, daß für die einzelnen im Modell angenommenen Operationen ein gleicher Zeitaufwand kalkuliert werden kann, der sich im Mittel aus der Division aller Prozeßzeiten durch die Operationenanzahl als 261, 6 ms ergibt. Auf der Grundlage dieser so abgeschätzten Operationszeit lassen sich die empirischen Daten durch die Modellprädiktion befriedigend anpassen (Abb. 23). Das Modell ist damit nicht nur durch die Rangreihe der empirischen Zeitwerte gestützt, sondern zugleich durch die Ableitung einer konstanten Operationszeit von etwa 260 ms erweitert worden. Im Vergleich mit den abgeleiteten 55 ms je Vergleichsoperation in den ersten beiden Experimenten wird damit

237

2,73:7^7

4,07:2,98

7 (FN)19?6

5,90:7,10

3,80: 6/0

Abb. 22 Ermittelte Prozeßzeiten in ms (außen), die Anzahl prädiktierter Operationen (innen). Die Verbindungslinien sind mit dem jeweiligen Verhältnis der e m p i r i schen Zeiten zueinander markiert. noch einmal und nun präziser auf die

Pt ms

Unterschiedlichkeit der untersuchten

2000 1800

-

• Daten

P r o z e s s e aufmerksam gemacht.

°

Eine Annahme in unserem vorgeschla-

Modell

1600

genen Modell bleibt noch nachzufragen:

H00

Warum kann angenommen werden, daß

1200

die im Satz ausgedrückte Negation

1000

e r s t während des Vergleichsprozesses,

800

praktisch nach dem Vergleich des A r -

eoo TA

FA

_L TN

_L FN

Abb. 23 Anpassung der Modellprädiktionen an die empirischen Prozeßzeiten, Angenommen ist eine einheitliche Operationszeit von 261 ms. 238

guments, und nicht schon vor Beginn des Vergleichsprozesses zur Wirkung kommt ? Untersuchungen zur psychophysiologischen Charakteristik des V e r g l e i c h s Prozesses, die in unserer Sektion von

Rebentisch durchgeführt worden sind, geben einige Anhaltspunkte zur Aufklärung dieser Frage. In den Versuchen wurden die mit der Darbietung der Satz-Bild-Kombination evozierten Potentialänderungen im EEG festgehalten. Uns interessieren insbesondere die frühen Komponenten des evozierten Potentials, die mit den ersten Verarbeitungsschritten zusammenfallen. Die Abb. 24 zeigt die mittleren Amplituden der sogenannten P^-Welle in Prozent der mittleren Amplitude unter der Bedingung TA. Die Ausprägung der positiven Potential Schwankung Pg liegt 250 - 600 ms nach der Auslösimg des evozierten Potentials (EP). Sie wird in der Literatur u . a . in Korrela-

150 • [%] 100 -

tion zum Informationsgehalt des E P - a u s l ö senden Reizes gebracht. Deutlich liegt die Amplitude bei den Bedingungen FA und TN gegenüber den Bedingungen TA unf FN höher (p < 0, 05). Auf den ersten Blick scheint kein systematischer Zusammenhang herstellbar. Affirmative und negative Sätze, Übereinstimmungen und Nichtübereinstimmungen sind mit hohen und niedrigen Amplituden v e r bunden. Vernachlässigt man jedoch die im

j

TA

I

FA

I

l

TN FN

Abb. 24 Relative Größe der mittleren Amplituden der P „ Welle des durch die D a r bietung von Satz und Bild evozierten Potentials. Die mittlere Amplitude unter der Bedingung TA ist gleich 100 % gesetzt.

Satz ausgedrückte Negation, dann sind die hohen Amplituden an die Bedingungen gebunden, in denen das im Satz enthaltene Argument ("auf" oder "zu") mit der Bildcharakteristik n i c h t

übereinstimmt (FA und TN). Dies bestä-

tigt aber gerade unsere Vermutung, nach der die Negation erst nach dem Vergleich des Arguments im Verarbeitungsprozeß Berücksichtigung findet. Wir können diese, auch noch durch andere psychophysiologische Daten unterstützte Annahme (Klix, Rebentisch 1976) mit einer generellen Hypothese in Verbindung bringen. Die Zuordnung vom Satz zum Bild erfolgt unter den hier gewählten Bedingungen im schrittweisen Wechsel der Kodierung sprachlicher Reize und ihrer Zuordnung zu Charakteristiken des Bildes. Dem entspricht z. B . auch der häufige Blickwechsel zwischen Satz und Bild im Verarbeitungsprozeß, der in einer Nebenuntersuchung, wenn auch nicht systematisch aus-

239

gewertet, beobachtet werden konnte. Das in Abb. 20 gegebene Strukturbild des Prozesses stellt damit eine Vereinfachung dar. Vieles in der Analyse unserer Daten spricht dafür, daß Prozesse der Kodierung des Satzes im Wechsel mit Prozessen des Vergleiches von sprachlich und bildlich gegebenen Informationen stattfinden. In dieses Bild fügt sich dann die Durchführung von Ver3 gleichsprozessen vor der Berücksichtigung der Negation ein. Damit ist unser Modell der psychischen Prozesse beim Vergleich eines Satzes mit einem Bild über die begrifflich-logische Repräsentation der Satzaussage mit den erhobenen Befunden in Übereinstimmung. Trotz veränderter Repräsentationsebene im Bezug von Satz und Bild finden wir auch hier eine sequentielle Prozeßcharakteristik. In den nun folgenden Experimenten suchen wir eine Bestätigung unserer Annahmen unter erweiterten experimentellen B e dingungen. Geprüft werden soll vor allem die Annahme eines konstanten Zeitverbrauches der einzelnen Operationen in ihrer sequentiellen Abarbeitung. Erweiterte Annahmen benötigen wir vor allem hinsichtlich der Charakteristik des Abbruchs der Vergleichsprozesse unter komplexen Bedingungen.

7.2.

Die Verarbeitung von sprachlichen Aussagen über zwei Argumenten bei Variation ihrer logischen Verknüpfung

Im Entwurf der erweiterten experimentellen Anforderungen sind wir von den vermuteten Eigenschaften einer begrifflich-logischen Repräsentation ausgegangen. In ihr sollten die Begriffe mit ihren definierenden Merkmalen in begriffsspezifischer logischer Verknüpfung repräsentiert sein. Es kann angenommen werden, daß die so gespeicherten Merkmale die kognitive Grundlage für die Repräsentation von Relationen innerhalb geschlossener Begriffssysteme bilden (Klix 1976, Klix, Kukla, Klein 1976, Hoffmann 1977). Im Rahmen dieser Betrachtungsweise repräsentiert das Material des Experimentes 3 in der kognitiven Anforderung die Identifizierung eines einelementigen Begriffs. Nur e i n

Merkmal war zu prüfen, um das Bild dem Satz zuordnen zu kön-

nen. In der Erweiterung dieser begrifflichen Struktureigenschaften lag der 240

mf

m^Ami

Vm2

m-f vorhanden ?

mi vorhanden ?


T i i , l i i i i 1 1 1 1 TATA THTA TATNTHTN FATA FNTA FAWFHTH TAFA TNFA TAFNTNFK FAFA FNFAFAFNFNFH

Abb. 29 Vergleich der vom Modell prädiktierten Operationsanzahlen mit den empirisch ermittelten Prozeßzeiten. Bis auf eine Ausnahme (TNFA - TAFN) werden die Relationen zwischen den bedingungsabhängigen Prozeßzeiten vom Modell korrekt prädiktiert. Dort, wo eine relative Erhöhung der Operationsanzahl angenommen wird, steigt auch die empirisch ermittelte Zeit und umgekehrt. Auf der Grundlage unserer Annahmen sollte jedoch mehr gelingen. Kalkulieren wir einen Zeitverbrauch Pf

Konjunktion

[ms] l _ Prädiktionenp |_ 261 ms/0p.t _• Daten

[ms]

2800

2600 2W0

2200 2000 1800 1600 UOO

1200

1000 800

J L. _L J I L J I, .I X _L TATA TNTA TATNTKTN FATA FNTAFATNFNTN TAFA TNFA TAFN TNFH FAFA fNFAFAFNFNFN

Abb. 30 Modellprädiktionen bei Kalkulation von 261 ms je Operation im Vergleich mit den empirischen Daten. Erheblich von den Prädiktionen abweichende empirische Daten sind mit einer Zahl gekennzeichnet, die den Faktor angibt, mit dem die angenommene Grundzeit von 261 ms multipliziert werden muß, um den gegebenen Wert zu erhalten.

246

von etwa 260 ms je Operation, dann sollten die empirischen Zeiten in ihrem absoluten Wert prädiktierbar sein. Die Abb. 30 zeigt den entsprechenden Vergleich. Wenn auch die Relationen zwischen den Zeiten prädiktiert werden können, zeigt sich vor allem bei den Bedingungen TT und FT, daß vom Modell weit höhere absolute Zeitwerte prädiktiert werden als die Vpn realisieren. Dies kann zwei Ursachen haben. Einmal könnte der veranschlagte Zeitwert von 261 ms pro Operation auf unsere Bedingungen nicht übertragbar sein. Zum

Abb. 31 Darstellung aller 16 Bedingungen so, daß sich benachbarte Bedingungen jeweils nur in einer Variablen unterscheiden. Innen sind die gemessenen Prozeßzeiten (in ms) angegeben. Die Verbindungslinien sind mit dem Quotienten aus Prozeßzeitdifferenz und angenommener Grundoperationszeit markiert. Bis auf wenige Ausnahmen lassen sich die Prozeßzeitdifferenzen benachbarter Bedingungen bis auf einen geringen Rest als ganzzahlige Vielfache der angenommenen Grundoperationszeit darstellen. Die mittlere Abweichung vom jeweils ganzzahligen Vielfachen beträgt lediglich 48 ms.

247

zweiten wäre daran zu denken, daß die angenommene Operationsanzahl die Anzahl tatsächlich ausgeführter Operationen übersteigt. Die zu hohen P r ä diktionen liegen vor allem dort, wo nach dem Vergleich des ersten Arguments auch das zweite Argument verglichen werden muß. E s ist naheliegend, daß bei der zweifachen Realisierung gleicher Prozeduren Verkürzungen des P r o zesses möglich sind. Für die Realität dieser Möglichkeit sprechen zwei wichtige Eigenschaften unserer Daten. Einmal lassen sich die durch die Prädiktion weit überschätzten empirischen Werte als ganzzahlige Vielfache der Grundzeit von 261 ms mit nur geringem Rest darstellen (vgl, die Zahlen in Abb. 30). Dies spricht dafür, daß sie durch den Zeitverbrauch einer Sequenz von Operationen entstanden sind, die je 261 ms im Durchschnitt beanspruchen. Zum zweiten läßt sich zeigen, daß sich die absoluten Differenzen zwischen den empirischen Zeiten derjenigen Bedingungen, die sich allein durch die Veränderung einer Variablen auszeichnen (T - F , A-N), ebenfalls als Vielfache der Grundzeit von 261 ms darstellen lassen (Abb. 31). Die Veränderung einer B e dingung führt, so kann man interpretieren, zu einer Veränderung der Anzahl durchzuführender Operationen, die damit eine Erhöhung oder Senkung der Prozeßzeit um das entsprechende Vielfache der Grundzeit bewirkt. Wir haben die Möglichkeit von Verkürzungen schon bei der algorithmischen Darstellung der Prozeßcharakteristik berücksichtigt. Läßt man nun für die Beschreibung des psychischen Prozesses solche Verkürzungen zu, dann läßt Konjunktion M L

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Abb. 32 Mögliche Anpassung der Modellprädiktionen an die empirischen Daten bei Kalkulation von Verkürzungen in der Operationsfolge.

248

sich jedem empirischen Wert ein Weg im Algorithmus zuordnen, der das Entstehen dieses Wertes aus der Summation der Grundzeiten für die zu durchlaufenden Operationen erklärt. (Die Wahl von jetzt 263 ms für die Operations zeit erklärt sich aus zusammenfassenden Auswertungen, auf die wir später eingehen.) Die Abbildung 32 stellt die so ermittelten Modelldaten mit den empirischen Werten zusammen. Es gelingt, die aus dem Experiment 3 unter einfachen Bedingungen gewonnenen Annahmen auf diese komplexere Situation zu übertragen und die gewonnenen Ergebnisse auf ihrer Grundlage zu erklären. Gleichzeitig kann unter diesen Bedingungen auch die Annahme eines abbrechenden Prozesses bestätigt werden. Die Abbruchbedingungen entsprechen den Identifikations algorithmen für Begriffe mit zwei konjunktiv verknüpften Merkmalen. Ob dieses Ergebnis auch auf weitere logische Verknüpfungen übertragen werden kann, soll in den letzten beiden Experimenten überprüft werden.

7.4.

Experiment 8

Die Verarbeitung disjunktiv verknüpfter Aussagen Während bei konjunktiver Verknüpfung der Argumente eine erste Nichtübereinstimmung hinreicht, um eine Entscheidung zu treffen, sollte bei disjunktiver Verknüpfung eine erste Übereinstimmung schon zum Abbruch des V e r gleichsprozesses führen, wenn die Annahme eines abbrechenden VergleichsProzesses richtig ist. Im Vergleich der einzelnen Bedingungen lassen sich auf dieser Grundlage genaue Voraussagen über die Veränderung der Zeitverhältnisse machen, die wir mit den empirischen Resultaten vergleichen können, Zunächst soll jedoch das Prozeßmodell zur Behandlung disjunktiver Argumentverknüpfungen im Satz-Bild-Vergleich dargestellt werden (Abb. 33). Auf eine nochmalige Erläuterung der einzelnen Operationen soll hier verzichtet werden. Sie würde den zum "konjunktiven Modell" gegebenen E r läuterungen entsprechen.

249

Abb. 33 Hypothetisches Prozeßmodell zur Beschreibung des Satz-Bild-Vergleiches bei disjunktiver Verknüpfung zweier Aussagen im Satz. Methodik Die Versuchsdurchführung war, die Häufigkeiten der einzelnen Bedingungen ausgenommen, mit der des Experiments 7 identisch. Bei disjunktiver V e r knüpfung entfallen die Übereinstimmungen auf die Bedingungsgruppen TT, T F und FT, während allein die FF-Bedingungen zu einer negativen Reaktion führ e n . Entsprechend wurden die Kombinationen der Gruppe F F im Versuch dreifach angeboten, um positive und negative Reaktionen in gleicher Häufigkeit zu fordern. Ergebnisse

und D i s k u s s i o n

Die Abbildung 34 zeigt die mittleren Prozeßzeiten über den einzelnen Grundbedingungen des Versuches. Um aus der Variabilität der Zeiten im Vergleich zur konjunktiven Verknüpfung Aussagen über- den Vergleichsprozeß ableiten zu können, muß als Voraussetzung stillschweigend akzeptiert werden, daß die beiden Argumente in der Reihenfolge ihrer sprachlichen Darbietung verarbeitet werden. Wie wir aus

250

Disjunktion [ms] 3200 3000 - • Gesamtzeit 2900 - * Grundzeit

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2600 2400

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Abb. 34 Ergebnisse des Experimentes 8. den geschilderten Experimenten wissen, ist diese Voraussetzung nicht trivial. Sequentielle Vergleichsprozesse können in ihrer Ordnung sehr wohl von der Oberflächenstruktur des Satzes abweichen. In einem Zusatzexperiment überprüften wir daher diese Voraussetzung. Unter sonst völlig gleichen Bedingungen erhalten die Vpn die Instruktion, den Vergleichsprozeß mit dem zuletzt genannten Argument zu beginnen: Die Bedingung TAFN z . B . soll dann instruktionsgemäß in der Reihenfolge FN - TA abgearbeitet werden. Gelten die angenommenen Abbruchbedingungen, hat die Reihenfolge der Abarbeitung voraussagbare Konsequenzen, die es im Experiment zu prüfen galt. So sollte z. B. der Zeitaufwand für die Bedingung FNTA deutlich sinken, da bei "rückläufiger" Überprüfung der Argumente die Feststellung der Übereinstimmung (TA) schon beim ersten Vergleich zum Abbru' h des Prozesses führt. Die Abbildung 35 stellt die Ergebnisse beider Experimente für die disjunktive Verbindung zusammen. Dabei sind immer die Datenpaare zusammengeordnet, für die eine gleiche Verarbeitungsfolge angenommen werden kann, wenn ohne zusätzliche Instruktion die Abarbeitungsfolge der Oberflächenstruktur des Satzes folgt und im Zusatzexperiment die Instruktion genau befolgt wird ( z . B . entspricht dann TA FA der Bedingung FA TA).

251

Pi [ms] •

2000 -

1500

1000

ohne ZusatzInstruktion

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