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German Pages 154 [156] Year 1893
Der Wille. Pathologisch-psychologische Stndien von Th.
Ribot,
Professor am College de France, Herausgeber der Revue philosophique.
Nach der a c h t e n Auflage des Originals mit Genehmigung des Verfassers übersetzt von
Dr. phil. F. Th. F. Pabst.
B e r l i n . Druck und Verlag von G e o r g R e i m e r . 1893.
I n h a l t .
Einleitung1. Formulierung der Frage. — Der Wille als treibende Kraft. — Der Wille als Hemmungsvermögen. — Er ist eine individuelle Reaktion. — Die Wahl
Seite
1
I. Kapitel. Die S c h w ä c h u n g e n d e s W i l l e n s . A. Schwäche oder Fehlen des Antriebes. Einteilung der Krankheiten des Willens. — Die Abulie. Th. de Quincey. Andere Fälle nach Billod. — Wahrscheinliche Ursachen der Abulie. Zwei Hypothesen: Schwäche der Antriebe, Veränderung der Bewegungsvorstellungen; Vergleichung der Abulie mit den psychischen Lähmungen. — Aehnliche Zustände: Platzangst; Zweifelsucht; Fälle, die an eine Vernichtung des Willens grenzen. — Unfähigkeit zur Anstrengung. Zwei Formen derselben. — Wodurch ist dieselbe begründet? . . .
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n . Kapitel. Die S c h w ä c h u n g e n d e s W i l l e n s . B. Zu grosse Stärke des Antriebes. Plötzliche und unbewusste Antriebe. — Unwiderstehliche mit Bewusstsein verknüpfte Antriebe. — Unmerklicher Uebergang vom gesunden zum krankhaften Zustande: fixe Ideen. — „Zerrenkung" des Willens. — Wahrscheinliche Ursachen derselben. — Schwächungen des Willens durch Berauschungsmittel, durch Verletzungen des Gehirns
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IV
Inhalt.
m . Kapitel.
Seite
S c h w ä c h u n g e n der willkürlichen A u f m e r k s a m k e i t . Willensschwäche bei intellektueller Leistungsfähigkeit. — Angeborene Schwäche der willkürlichen Aufmerksamkeit. Coleridge, nach Carlyle's Schilderung. — Erworbene Schwäche der Aufmerksamkeit. — Aufmerksamkeit und Wille. — Ursprung der Aufmerksamkeit. — Dauer derselben
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IT. Kapitel. Die H e r r s c h a f t der L a u n e n . Unfähigkeit des Willens, zu stände zu kommen, weil die Existenzbedingungen des Willensaktes fehlen. — Der hysterische Charakter. — Ursachen der Unbeständigkeit. — Psychische Lähmungen
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V. Kapitel. Die V e r n i c h t u n g d e s W i l l e n s . Zwei Zustände der Willensvernichtung. — Die Verzückung. Beschreibung derselben durch die heilige Theresia von Jesus. — Die Anomalie dieses Geisteszustandes. — Der Somnambulismus, ein Fall vollständiger Willensvernichtung. — Zweifelhafte Fälle. Beispiele von Widerspenstigkeit. — Manche Hypnotisierte wähnen, wollen zu können
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Schlussbetrachtnngen. Der Wille ist das letzte Glied einer fortschreitenden Entwicklungsreihe, die mit dem einfachen Reflexe beginnt. — Er ist eine Koordination mit gegenseitiger Ueber- und Unterordnung der Elemente. — Das für die Auflösung des Willens geltende Gesetz. — Bestätigung desselben durch pathologische Thatsachen. — Materielle Voraussetzungen der Willenskoordination. Physiologische und psychologische Entwicklung des Willens. — Hauptformen der Koordination. — Der Wille bei den Idioten. — Die vollkommene Willenskoordination kommt selten zu stände. — Allgemeine Schlussbetrachtung: Der Willensakt ist ein einfacher ßewusstseinszustand, der für sich allein in keiner Weise die Fähigkeit besitzt, eine Bewegung oder eine Hemmung herbeizuführen. . . .
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Einleitung. In den letzten Jahren haben mehrere Forscher, besonders ausserhalb Frankreichs, gewisse Gebiete der Psychologie eingehend nach dem Prinzip der E n t w i c k l u n g behandelt. Nach unserem Dafürhalten dürfte es sich nunmehr empfehlen, die betreffenden Gebiete nach denselben wissenschaftlichen Grundsätzen auch von dem entgegengesetzten Gesichtspunkte der Z e r s e t z u n g aus zu studieren. Wir werden uns demgemäss in der vorliegenden Arbeit über den Willen'), die ein Seitenstück zu den „Krankheiten des Gedächtnisses" 2) werden soll, zunächst mit dem Studium der Anomalieen beschäftigen und sodann versuchen, aus den dabei gewonnenen Ergebnissen Schlüsse auf den normalen Zustand des Willens zu ziehen. In mancher Hinsicht bietet die Frage hier grössere Schwierigkeiten. Das Wort „Wille" bezeichnet etwas viel weniger Bestimmtes als das Wort „Gedächtnis". Mag man
*) Les Maladies de la Volonte, par Th. Ribot, Directeur de la Revue philosophique. 8 e édition revue et augmentée. Paris. Alcan. 1893. *) Les maladies de la mémoire, deutsch Hamburg und Leipzig. Voss. 1882 unter dem Titel: „Das Gedächtnis und seine Störungen". Tta. R i b o t , Der Wille.
1
2
Einleitung.
das Gedächtnis als eine Funktion, als eine Eigenschaft oder als ein Vermögen ansehen, immer bleibt es eine stetige Art zu sein, eine seelische Veranlagung, über welche Alle sich verständigen können. Der Wille dagegen zerfällt in Willensakte, von denen jeder nur einen Augenblick dauert und nur eine unbeständige Form der Thätigkeit ist, eine Resultante, die sich mit den sie hervorbringenden Ursachen verändert. Zu dieser ersten Schwierigkeit kommt noch eine zweite, welche auf den ersten Blick noch grösser erscheinen kann, über die wir uns aber unbedenklich durch eine summarische Erwägung hinwegsetzen können. Es fragt sich nämlich, ob man die Pathologie des Willens studieren kann, ohne dabei das unlösbare Problem der Willensfreiheit zu berühren. Nach unserer Ansicht ist dies sehr wohl möglich, ja wir halten eine solche Beschränkung sogar für geboten, nicht aus Zaghaftigkeit, sondern im Interesse methodischer Sicherheit. Wie jede andere experimentelle Wissenschaft, muss die Psychologie nämlich von vornherein auf jede Untersuchung verzichten, welche auf die letzten Ursachen zurückgeht, und dass die Untersuchungen über die Willensfreiheit zu dieser Kategorie gehören, hat uns schon die Kritik Kant's und seiner Schüler gezeigt. Denn schliesslich läuft das Problem der Freiheit doch nur auf die Frage hinaus, ob man vor die Kette von Wirkungen und Ursachen einen absoluten Anfang setzen darf. Ueber das Vorhandensein eines solchen Vermögens, welches „ruft, bis auf weiteres anhält oder ganz abweist" (um die treffende Definition Renouvier's 1 ) anzuführen), kann nur die Metaphysik entscheiden. Hier haben wir uns, wie gesagt, mit dieser Frage garnicht zu befassen. Der einzige Gegenstand unserer Untersuchung ist die innere und äussere Erfahrung, deren Grenzen auch unsere Grenzen sein werden. Wir nehmen die Willensakte als etwas thatsächlich Gegebenes hin, und ebenso auch ihre unmittelbaren ') Essai de critique générale, 2. Aufl. I.
3
Formulierung der Frage.
Ursachen, d. h. die Beweggründe, aus denen sie direkt hervorgehen, ohne weiter danach zu fragen, ob diese Ursachen wieder eine endlose Reihe von Ursachen vor sich haben, oder ob eine gewisse Spontaneität mit hinzutritt.
Mit dieser Formulierung des
Problems können sowohl die Deterministen als auch ihre Gegner zufrieden
sein;
denn das,
was diese
beiden
philosophischen
Eichtungen von einander trennt, wird dabei garnicht berührt. Wir hoffen übrigens unsere Untersuchung in der Weise durchführen zu können, dass man das gänzliche Fehlen von Aufschlüssen
über die Willensfreiheit
überhaupt nirgends
bemer-
ken wird. Am Ende weisen ,
unserer Arbeit wollen
dass jeder
Elemente enthält,
Willensakt
zwei
wir versuchen deutlich
nämlich einerseits den
nachzu-
unterscheidbare
Bewusstseinszustand,
das „Ich will", welches eine Sachlage konstatiert, aber an sich noch keine Wirkungskraft besitzt, und andererseits einen sehr verwickelten psychophysiologischen Mechanismus, auf welchem allein das Vermögen zu handeln oder zu hemmen beruht.
Da
dieser allgemeine Schluss erst auf Grund einer Reihe von Einzelschlüssen gewonnen werden kann, zu denen uns die Pathologie führen soll, so werden wir vorläufig hier in der Einleitung ganz auf eine systematische Betrachtungsweise verzichten; wir werden uns darauf beschränken,
den Willen mit Rücksicht auf seinen
zwiefachen Mechanismus (Antrieb und Hemmung) und mit Bezug auf seine
Quelle (den
individuellen
Charakter)
zu
studieren,
indem wir dabei alle Einzelheiten aus dem Spiel lassen, welche für
unseren
Gegenstand
nicht
unmittelbar
von
Wichtigkeit
sind *). ') Eine gute Monographie über den Willen im normalen Zustande ist das Buch von G. H. S c h n e i d e r : Der menschliche Wille vom Standpunkte der neueren Entwicklungstheorieen (des „Darwinismus"). Berlin. Dümmler. 1882. Leider haben wir von dieser Schrift erst Kenntnis erhalten, als unsere vorliegende Arbeit beinahe abgeschlossen war. 1*
4
Einleitung.
1. Von fundamentaler Wichtigkeit für die Psychologie der impulsiven Form des Willens, sowohl im gesunden wie im kranken Zustande, ist die Thatsache, dass jeder Bewusstseinszustand das Streben hat, sich zu äussern, d. h. eine Bewegung, eine Handlung herbeizuführen. Es ist dieses Prinzip nur eine besondere, für die Psychologie geltende Form jenes allgemeinen Grundgesetzes, dass der alleinige Typus jeder Nerventhätigkeit, ja überhaupt jedes biologischen Verhältnisses der Reflex ist. Genau genommen, ist die Thätigkeit in jedem tierischen Wesen nicht ein Anfang, sondern ein Ende, nicht eine Ursache, sondern ein Ergebnis, nicht ein Beginn, sondern eine Fortsetzung. Dies ist der wichtigste Punkt, den man niemals aus den Augen verlieren darf, und der allein die Physiologie und die Pathologie des Willens erklärt, weil dieses Streben des Bewusstseinszustandes, einen bewussten oder unbewussten seelischen oder physischen Akt zu veranlassen und darin aufzugehen, die einfache Grundthatsache ist, auf welche sich alle Kombinationen und Komplikationen der höchsten Willensthätigkeit zurückführen lassen. Das neugeborene Kind ist nach Virchow's Definition ein rein „spinales" Wesen. Seine Thätigkeit ist ausschliesslich reflektorischer Art und bekundet sich in einer solchen Menge von Bewegungen, dass lange Zeit hindurch die Erziehung nur die eine Aufgabe hat, die meisten derselben zu unterdrücken oder einzuschränken. Diese unbestimmte Ausbreitung der Reflexe, welche ihre Ursache in anatomischen Verhältnissen hat, zeigt uns iii einfacher Weise, wie Reize in Bewegungen umgesetzt werden. Mögen die so zu stände gekommenen Bewegungen ein deutliches oder nur ein unvollkommenes Bewusstsein erwecken, in keinem Falle stellen sie eine willkürliche Thätigkeit dar; sie bringen in Wahrheit nur die Thätigkeit der Spezies zum Ausdruck, d. h. es sind Bewegungen, welche durch die Vererbung erworben, organisiert und befestigt worden sind; doch
Der Wille als treibende Kraft.
5
sehen wir darin schon die Materialien, aus welchen sich später der Wille aufbauen wird. Einen Fortschritt von dem blossen Reflexleben zu einem Leben mit willkürlicher Thätigkeit bezeichnet der Wunsch oder das Begehren. Wir verstehen unter „Wunsch" oder „Begehren" die elementarsten Formen des Gemütslebens, die einzigen, welche sich schon entwickeln können, ehe die Intelligenz erwacht ist. Physiologisch sind diese Gemütsvorgänge nicht von den zusammengesetzen Reflexen verschieden; psychologisch dagegen unterscheiden sie sich von denselben durch das oft sehr lebhafte Bewusstsein, welches sie begleitet. Das Streben, Handlungen herbeizuführen, ist bei ihnen unwiderstehlich und duldet keinen Aufschub, gerade wie bei den Reflexen. Der Wunsch im Naturzustande, der noch von jeder Beimischung frei ist, dringt auf unverzügliche Erfüllung. Das ist ein Gesetz, welches im innersten Wesen des animalischen Organismus begründet liegt. Kleine Kinder und Wilde geben uns dafür in ihrem Verhalten die besten Belege. Bei dem erwachsenen Kulturmenschen befindet sich der Wunsch nicht mehr im Naturzustande; Erziehung, Gewohnheit und Ueberlegung verstümmeln ihn so zu sagen oder legen ihm Zügel an. Oft aber nimmt er sich seine Rechte wieder, und die Geschichte zeigt uns, dass er bei despotischen Herrschern, welche sich über jedes Gesetz erhaben glauben und in dieser Meinung von ihrer Umgebung noch bestärkt werden, diese Rechte überhaupt nie aufgiebt. Die Pathologie wird uns lehren, dass diese Art Thätigkeit in den Vordergrund tritt, wenn der Wille geschwächt wird, und dass sie auch dann noch fortbesteht, wenn er ganz verschwindet. Sie bezeichnet indessen der ersten Periode gegenüber immerhin einen Fortschritt, weil sie die ersten Ansätze zu einer Individualität erkennen lässt. Auf dem der ganzen Spezies gemeinsamen Untergrunde der ererbten Thätigkeit markieren die Wünsche in unbestimmten Linien den individuellen Charakter; sie geben
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Einleitung.
uns schon ein schwaches Bild von der Art und Weise, in welcher ein Einzelorganismus reagiert. Sobald nach Ansammlung einer genügenden Summe von Erfahrungen der Verstand erwacht ist, beginnt eine neue Art Thätigkeit, welche man am passendsten als eine ideomotorische bezeichnet, da es nunmehr Ideen sind, welche zu Bewegungen Anlass geben. Die Bezeichnung ideomotorisch hat auch noch den Vorteil, dass sie auf eine Verwandtschaft der betreffenden Thätigkeit mit den Reflexen hindeutet — diese Thätigkeit ist nämlich im Grunde nur eine vervollkommnete Form der reflektorischen Bewegungen. Die Frage, wie es möglich sei, dass eine Idee eine Bewegung hervorrufen könne, bereitete der älteren Psychologie grosse Schwierigkeiten. Nimmt man aber die Dinge so, wie sie wirklich sind, so findet dieselbe eine ganz einfache Lösung. Es ist eine in der Gehirnphysiologie allgemein anerkannte Thatsache, dass die anatomische Grundlage aller Zustände unseres Geistes zugleich motorische und sensible Elemente enthält. Da diese Frage schon anderwärts') eingehend behandelt worden ist, brauchen wir uns hier dabei nicht weiter aufzuhalten, iiur das Eine wollen wir in Erinnerung bringen, dass unsere Wahrnehmungen, insbesondere die des Gesichts und des Tastsinnes, nicht ohne gewisse Bewegungen (am Auge, an der Hand u. s. w.) stattfinden können, und dass die Bewegung, wenn sie z. B. beim wirklichen Erblicken eines Gegenstandes als integrierendes Element aufgetreten ist, dieselbe Rolle auch dann wieder spielen muss, wenn wir den Gegenstand nur vor unserem geistigen Auge erblicken. Und nicht allein die direkt auf sinnlichen Eindrücken beruhenden Vorstellungen, sondern auch die abstrakten Begriffe setzen ein anatomisches Substrat voraus, in dem Bewegungen in irgend einem Maasse vertreten sein müssen. Will man freilich noch feinere Unterschiede machen, so •) Revue philosophique, Oktober 1879, S. 371 ff.
Der Wille als treibende Kraft.
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wird man uns entgegenhalten können, dass es z w e i Arten von motorischen Elementen giebt: einerseits solche, die den Bewusstseinszustand hervorrufen und ihm seine besondere Form geben, —
und andererseits solche, die ihn nach aussen hin zum Aus-
druck bringen.
Die einen stehen zu demselben im Verhältnis
innerer Zugehörigkeit, verbunden.
die anderen sind mehr äusserlich damit
In der Vorstellung von einer Kugel z. B . ,
welche
als die Resultante von gewissen Flächeneindrücken und besonderen Muskeleinstellungen
angesehen
werden
muss,
sind die
letzteren nicht als Bewegungen im eigentlichen Sinne vertreten, sondern mehr als B e w e g u n g s e m p f i n d u n g e n , die in der Muskelsensibilität
ihre Ursache
haben;
wir
haben
darin
mehr
die
konstitutiven Elemente der betreffenden Vorstellung zu erblicken als
ein Mittel,
durch welches dieselbe nach aussen hin zum
Ausdruck gebracht würde. Trotzdem
giebt
uns
diese
enge Beziehung,
welche
die
Physiologie zwischen der Idee und der Bewegung nachgewiesen hat, schon einen gewissen Begriff davon, wie die eine durch die andere hervorgerufen werden kann.
In Wahrheit
zeugt eine Idee nie direkt eine Bewegung: vollständiger Funktionswechsel
ist
nicht
freilich er-
ein so jäher und
denkbar,
wenigstens
nicht bei einer Idee im Sinne des Spiritualismus.
Nicht der
Bewusstseinszustand als solcher ist es, welcher die Handlung herbeiführt, sondern der demselben entsprechende physiologische Zustand —
die Beziehung besteht nicht zwischen einem seeli-
schen Vorgange und einer Bewegung, sondern zwischen zwei gleichartigen zwischen
Zuständen,
einer
Nervenelementen.
sensibeln
die
beide
und
physiologischer
einer motorischen
Art
sind,
Gruppe von
Will man das Bewusstsein durchaus zu einer
Ursache stempeln, so lässt sich nichts erklären; sieht man hingegen darin nur die an sich unwesentliche Begleiterscheinung eines Nervenprozesses, welcher für sich allein den wesentlichen Hauptvorgang ausmacht,
so wird alles klar, und die künstlich
geschaffenen Schwierigkeiten
verschwinden.
8
Einleitung.
Ist dies zugestanden, so können wir die Ideen summarisch in drei grosse Gruppen einteilen, je nachdem ihr Streben, eine Handlung herbeizuführen, stark, massig oder schwach, — oder auch in gewissem Sinne gleich Null ist. 1. Die erste Gruppe umfasst die ä u s s e r s t l e b h a f t e n Intellektszustände (für welche als Typus die sogenannten „fixen Ideen" dienen können). Diese Geisteszustände gehen fast ebenso unfehlbar und schnell in Handlungen über wie die Reflexe. Es sind die Ideen, welche uns „packen". Die ältere Psychologie sagte in ihrer Sprache, indem sie damit eine alltägliche Erfahrung zum Ausdruck brachte, dass die Intelligenz auf den "Willen nur durch Vermittelung des Gefühlsvermögens einzuwirken im stände sei. In der Sprache der neueren Psychologie, welche mit dergleichen Wesenheiten nicht mehr auskommt, bedeutet dies, dass der einer Idee entsprechende Nervenzustand umso leichter eine Bewegung herbeiführen kann, je mehr er mit jenen anderen Nervenzuständen in Verbindung steht, welche Gefühlen entsprechen, gleichviel welcher Art dieselben auch sein mögen. Dadurch wird es erklärlich, warum diese Phase noch so viel Aehnlichkeit mit der oben geschilderten Phase der reflektorischen Bewegungen hat, warum die Nerventhätigkeit hier eine lebhaftere ist und warum sie sich auf eine grössere Zahl von Elementen erstreckt. Als maassgebende Ursachen des Handelns gehören zu dieser Gruppe die meisten Leidenschaften, sobald sie sich über das Niveau der blossen Begierde erheben. Der ganze Unterschied ist nur ein gradueller: es kommt lediglich darauf an, ob in dem so gebildeten Komplex die affektiven Elemente das Uebergewicht haben oder nicht 1 ). Dass Idee und Gefühl in ihrem Wirken als Bewegungsursachen mehr oder weniger eigene Wege gehen, wird durch die Pathologie erwiesen. Es kommt z. B. vor, dass die Idee einer Bewegung an sich nicht im stände ist, diese Bewegung hervorzurufen — dass der betreffende Akt aber stattfindet, sobald eine Gemüts-
Der Wille als treibende Kraft. 2.
Die zweite Gruppe
ist für uns
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die wichtigste.
Sie
repräsentiert die vernunftmässige Thätigkeit, den Willen im gewöhnlichen Sinne
des Wortes.
Eine
im Geiste auftauchende
Idee führt hier erst nach längerem oder kürzerem Ueberlegen zu einem Akte. Handlungen
Man wird
finden,
dass die meisten unserer
auf diesen Typus zurückgeführt werden
können,
abgesehen von dem, was gewohnheitsmässig ist, und von solchen Handlungen, welche zu einer der oben beschriebenen Kategorieen gehören.
Ob ich aufstehe,
schöpfen,
oder ob ich ins Heer eintrete,
um am Fenster frische Luft zu um später
General zu werden, ist im Grunde dasselbe.
einmal
Die beiden Hand-
lungen unterscheiden sich nur quantitativ, nicht qualitativ.
Denn
wenn der Willensakt im zweiten Falle auch ein sehr komplizierter ist und sein Ziel erst in weiter Ferne sucht, so muss er sich doch schliesslich wieder in
eine Reihe von einfachen, den je-
weiligen Zeit- und Ortsverhältnissen
angepassten
Willensakten
auflösen. Ideen, nicht
welche dieser zweiten Gruppe angehören,
ungestüm
bundene
nach
sofortiger Bethätigung:
Gemütserregung
ist
eine
massige.
drängen
die damit Bei
vielen
verder
Handlungen, welche in ihrer Aufeinanderfolge den gewöhnlichen Gang unseres Lebens bilden, mehr beteiligt.
ist das Gemüt überhaupt
nicht
Dieselben waren zwar ursprünglich von einem
Gefühle der Lust, der Neugierde, oder von irgend einer anderen Empfindung begleitet;
im Laufe der Zeit aber hat sich diese
Empfindung immer mehr abgeschwächt, während die Verbindung erregung hinzukommt. Ein Gelähmter, der es durch keine Willensanstrengung dahin bringen kann, seinen Arm zu rühren, fängt plötzlich an, seine Glieder aufs lebhafteste zu bewegen, wenn sein Gemüt — etwa durch die Ankunft eines Freundes — in starke Erregung versetzt wird. In Fällen, wo die Lähmung auf Rückenmarkserweichung beruht, kann eine Gemütserregung, eine an den Kranken gerichtete Frage heftigere Bewegungen an den unteren Gliedmaassen hervorrufen, auf welche sein Wille nicht mehr einzuwirken vermag.
10
Einleitung.
zwischen der Idee und der Handlung geblieben, ja sogar so fest geworden ist, dass die eine, sobald sie nur im Geiste entsteht, die andere nach sich zieht. 3.
Die geringste
Tendenz
zur Bewegung
zeigen die
ab-
Dieselben sind Vorstellungen von Vorstellungen,
strakten Ideen.
reine Schemata, nichts als zusammenfassende, durch ein Zeichen fixierte
Auszüge, und je mehr sie verblassen und an Anschau-
lichkeit verlieren,
umsomehr verkümmert
auch
bei ihnen die
motorische Seite. Betrachtet man alle
die verschiedenen
Thätigkeitsformen,
welche wir jetzt nach einander besprochen haben, komplizierter werdende Entwicklungen
als immer
des einfachen Reflexes,
so kann man in den abstrakten Ideen eine seitliche Abzweigung sehen, welche mit dem Hauptstamme nur lose zusammenhängt und selbständig weiter gewachsen ist.
Die motorische Tendenz
äussert sich bei ihnen nur in jenem innerlichen leisen Sprechen, welches
neben
dem Denken
herzugehen
pflegt,
oder in
Erweckung irgend eines anderen Bewusstseinszustandes.
der Denn
wie in der Physiologie ein Reflex am Ende seiner zentrifugalen Periode nicht immer eine eine Drüsenabsonderung
Gliederbewegung,
gerade so bewirkt auf psychischem zustand
nicht
immer
sondern oft
auch
oder einen Ernährungsakt herbeiführt,
eine
Gebiete
Bewegung,
ein
sondern
häufig auch nach dem bekannten Mechanismus
Bewusstseinsderselbe
ruft
der Assoziation
andere, früher vorhanden gewesene Bewusstseinszustände wieder ins Leben. Einen greifbaren Ausdruck finden diese hier von uns dargelegten psychologischen Unterschiede in dem so oft erörterten Gegensatze zwischen den praktischen Leuten und den spekulativen Geistern, welche nur in Abstraktionen leben.
Auch manche andere
Thatsachen der täglichen Erfahrung gehören hierher.
"Wenn man
z. B. das Gute, trotzdem man es klar erkennt, nicht ausführt; wenn man nicht im stände ist, eine Glaubensansicht, deren Haltlosigkeit man einsieht, aufzugeben, oder wenn man fortfährt, einer
Der Wille als Hemmungsyermögen.
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Leidenschaft zu frönen, welche man selbst verurteilt, — so erklärt sich dies alles daraus, dass die motorische Tendenz der ganz auf sich selbst reduzierten Idee eine äusserst schwache ist. Wir wissen nichts über die anatomischen und physiologischen Vorbedingungen für die Entstehung einer abstrakten Idee, aber wir können unbedenklich behaupten, dass überall da, wo eine solche Idee wirklich eine Handlung veranlasst, noch andere Elemente hinzugekommen sein müssen. Dies ist z. B. bei den Leuten der Fall, welche ihr Leben „einer Idee weihen". Denn was den Menschen treibt und lenkt, sind in letzter Linie doch immer nur die Gefühle. 2. Nach dem eben Auseinandergesetzten erscheint uns die vom Willen beeinflusste Thätigkeit als eine Stufe in der aufsteigenden Entwicklung vom einfachen Reflex mit seiner unwiderstehlichen Tendenz zur Bewegung bis zu der abstrakten Idee, bei welcher das Streben nach Bethätigung ein ganz minimales ist. Wo das Gebiet dieser Thätigkeit anfängt und wo es aufhört, lässt sich mit Bestimmtheit nicht angeben, denn fast unmerklich gehen die verschiedenen Thätigkeitsformen in einander übtsr. Im Interesse der Klarheit haben wir bisher das Problem absichtlich etwas einfacher dargestellt, als es in Wahrheit ist. Wir haben sogar eine der wesentlichsten und charakteristischsten Seiten des Willens ganz ausser acht gelassen. Man könnte nach dem Gesagten den Willen als einen bewussten, mehr oder weniger überlegten Akt definieren, bei dem ein einfacher oder zusammengesetzter, nahe oder fem liegender Zweck ins Auge gefasst wird. So scheinen ihn zeitgenössische Schriftsteller wie Maudsley und Lewes aufzufassen, wenn sie ihn als einen „durch Ideen verursachten Antrieb" (impulse by ideas) oder als die „motorische Reaktion der Gefühle und der Ideen" bezeichnen. Wäre diese Begriffsbestimmung ausreichend, ' so würde jedes
12
Einleitung.
Wollen nur ein „Geschehen lassen" sein. Wie schon angedeutet, wirkt der Wille aber auch noch in anderer Weise: er ist auch eine hemmende, Halt gebietende Macht. Für jene psychologische Richtung zwar, welche Alles durch innere Selbstbeobachtung ergründen will, hat diese Unterscheidung zwischen Zulassen und Hindern wenig Bedeutung; hochwichtig ist sie dagegen für die andere Richtung, welche zur Erklärung der geistigen Vorgänge auch den physiologischen Mechanismus mit heranzieht, und welche in der Reflexaktion den Typus jeder Art von Thätigkeit erblickt. Nach der gewöhnlichen Auffassung ist der Wille ein Fiat, welchem die Muskeln auf irgend eine unbekannte Weise Folge leisten. Ob das Fiat eine Bewegung oder eine Hemmung anbefiehlt, ist dabei ziemlich gleichgültig. Nimmt man dagegen, wie alle heutigen Physiologen es thun, an, dass der Typus und die Grundlage jeder Thätigkeit der Reflex ist, so braucht man nicht mehr zu untersuchen, warum ein Bewusstseinszustand sich in irgend einem Falle in eine Bewegung umsetzt (weil das eben das Natürliche und Gesetzmässige ist), man hat aber gerade deshalb dann eine Erklärung dafür zu geben, warum er es in einem anderen Falle nicht thut. Leider hat uns die Physiologie über diesen Punkt bisher erst recht spärliche Aufschlüsse gegeben. Der einfachste Fall einer Hemmung ist die Aufhebung der Herzthätigkeit durch eine Reizung des Lungenmagennervs. Bekanntlich wird das Herz, dessen automatische Bewegungen von den inneren Ganglienknötchen in seinem Parenchym ausgehen, ausserdem noch durch Ausläufer des grossen Sympathikus innerviert, welche seine Schläge beschleunigen, und auf der anderen Seite durch Nervenfasern, die dem Lungenmagennerven angehören. Schneidet man den letzteren durch, so nehmen die Bewegungen zu; lässt man ihn dagegen unversehrt und reizt man seinen zentralen Anfangspunkt, so tritt in den Herzschlägen ein längerer oder' kürzerer Stillstand ein. Der Lungenmagennerv
Der Wille als Hemmungsvermögen.
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ist demnach ein hemmender Nerv. Ein physiologischer Hemmungsvorgang ist aber nach der allgemeinen Auffassung die Folge einer Interferenz. Die reflektorische Thätigkeit der Herzzentren wird durch Reize, die vom verlängerten Mark ausgehen, verlangsamt oder ganz aufgehoben, oder mit anderen Worten: die motorische Aktion des Lungenmagennervs bethätigt sich in den Herzzentren und bringt dadurch eine Hemmung zu stände. Alles dies hat freilich für die Psychologie noch keine unmittelbare Bedeutung; doch kommen wir nunmehr zu einem Punkte, der uns näher interessiert. Es ist eine bekannte Thatsache, dass die reflektorische Erregbarkeit des Rückenmarks zunimmt, sobald man dasselbe der Einwirkung des Gehirnes entzieht. Schlagende Beweise dafür liefert das Verhalten geköpfter Tiere, und sehen wir von solchen extremen Fällen ab, so brauchen wir j a nur daran zu erinnern, dass die Reflexe während des Schlafes viel lebhafter sind als im wachen Zustande. Zur Erklärung dieser Thatsache haben einige Gelehrte angenommen, dass im Gehirn gewisse Hemmungszentren vorhanden seien. Setschenow verlegte dieselben in die Sehhügel und in die Region der Vierhügel. Er stützte sich dabei auf die von ihm gemachte Beobachtung, dass eine Reizung der genannten Gehirnteile durch chemische oder andere Mittel eine Herabsetzung der Reflexvorgänge zur Folge hatte. — Goltz sucht die Hemmungszentren im Grosshirn. Diese und andere ähnliche Hypothesen haben viel Widerspruch gefunden, und viele Physiologen nehmen einfach an, dass im normalen Zustande die Reize sich gleichzeitig auf's Gehirn und auf's Rückenmark verteilen, im ersteren in emporsteigender, im letzteren in querer Richtung; und dass andererseits in Fällen,
Eine vollständige historische Darstellung der Frage enthält Eckhardt's 'Arbeit über die Physiologie des Rückenmarks in Hermann's „Physiologie", 2. Bd. 2. Teil, S. 33 ff. Man findet dort das Nähere über die Versuche und Erklärungen von Setschenow, Goltz, Schiff, Herzen, Cyon etc.
14
Einleitung.
wo das Gehirn von einer Beteiligung ausgeschlossen ist und den Reizen
infolgedessen nur noch ein einziger
Weg
offen bleibt,
eine Art Häufung oder Stauung derselben eintritt, deren Folge eine übermässige Erhöhung der reflektorischen Erregbarkeit ist. In jüngster Zeit hat Ferner 1 ) in den Stirnlappen das Vorhandensein gewisser moderatorischer Zentren angenommen, welche den Hauptfaktor bei der
Aufmerksamkeit
bilden
sollen.
Die
"Wichtigkeit dieser Ansicht für die Psychologie springt sofort in die Augen. Ohne dass wir noch weitere Einzelheiten anzuführen brauchten, erkennt man schon aus dieser kurzen Uebersicht, dass eine klare, allgemein angenommene Theorie zur Erklärung des Hemmungsmechanismus, wie wir eine solche zur Erklärung der Reflexthätigkeit besitzen, noch nicht existiert.
Die Einen nehmen, wie
gesagt, an, dass die Hemmung durch zwei antagonistische Tendenzen bewirkt wird, die sich gegenseitig hindern oder ganz aufheben, während andere an das Vorhandensein von Hemmungsz e n t r e n (oder sogar H e m m u n g s n e r v e n ) glauben, die imstande sein sollen, eine fortgeleitete Nervenerregung statt dieselbe zu verstärken. Hypothesen,
doch wäre
zu unterdrücken,
Es giebt auch noch einige andere
es zwecklos,
dieselben
hier
zu
be-
Stande
des
sprechen s ) . Wir
wollen
nun
Wissens versuchen,
bei
diesem
die Frage zu
mangelhaften studieren,
so weit
es uns
möglich ist. Bei jeder willkürlichen Hemmung hat man zweierlei zu berücksichtigen: erstens den eben besprochenen Mechanismus, welcher sie zu stände bringt; und zweitens den Bewusstseinszustand, welcher sie begleitet.
Von
dem letzteren soll auch gleich die
Rede sein. ') Die Funktionen des Gehirns, übers, von Obersteiner, Braunschweig, Vieweg, § 103 und § 104. 3 ) Vgl. Wundt, Mechanik der Nerven; Lewes, Physical Basis of Mind, S. 300f.
Der Wille als Hemmungsvermögen.
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Zunächst giebt es Fälle, wo die Hemmung nicht weiter erklärt zu werden braucht, es sind solche, in denen der "Willensreiz von selbst aufhört, wie dies z. B. geschieht, wenn wir ein entschieden langweiliges Buch bei Seite werfen. Andere Fälle scheinen in einer der obigen Hypothesen ihre Erklärung zu finden; denn unsere Fähigkeit, das Lachen, Gähnen und Husten, sowie gewisse leidenschaftliche Bewegungen willkürlich anzuhalten, beruht doch wohl darauf, dass wir im stände sind, jedesmal die antagonistischen Muskeln in Bewegung zu setzen. In Fällen, wo man garnicht weiss, wie die Hemmung zu stände kommt, weil sich über den physiologischen Mechanismus nichts ermitteln lässt, kann uns immer noch die reine Psychologie gewisse Aufschlüsse geben. Wir wollen als Beispiel ein ganz alltägliches Vorkommnis nehmen: die willkürliche Unterdrückung eines Zornesausbruchs 1 ). Vor allen Dingen erfordert die Hemmung eine gewisse Z e i t . Wenn die Nervenerregung eine so heftige ist, dass sie s o f o r t zur That führt, so ist ein Eingriff von vornherein ausgeschlossen; mag die stattfindende Handlung auch noch so thöricht sein: ehe man nur daran denken k a n n , sie zu verhindern, ist es zu spät. Wird dagegen dem gerade vorherrschenden Bewusstseinszustande Zeit gelassen, noch andere antagonistische Bewusstseinszustände ins Leben zu rufen, so kann die Hemmung erfolgen, falls die letzteren die nötige Dauerfähigkeit besitzen. Dieselben suchen dann den ersten Bewusstseinszustand zu. unterdrücken, und indem sie die Ursache bekämpfen, schwächen sie die Wirkungen ab. •) Um uns vor einer Ueberschätzung der Macht des Willens zu hüten, wollen wir übrigens gleich von vornherein darauf aufmerksam machen, dass das Zustandekommen der Hemmung in einem solchen Falle keineswegs das Gewöhnliche ist. Gewisse Individuen scheinen dazu vollständig unfähig zu sein. Andere besitzen das Hemmungsvermögen nicht immer und nicht überall in gleichem Maasse. Nur sehr wenige Menschen sind zu jeder Zeit Herren ihrer selbst.
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Einleitung.
Es ist von der grössten "Wichtigkeit für die Pathologie des Willens, den physiologischen Vorgang zu studieren, der in einem solchen Falle stattfindet. Man kann nicht' bezweifeln, dass die Quantität der zuströmenden Nervenenergie bei verschiedenen Individuen verschieden ist und dass sie auch bei einem und demselben Individuum zu verschiedenen Zeiten variiert. (Welche Ansicht man über die Natur dieser Nervenenergie hat, ist dabei ganz gleichgiltig.) Ebenso unterliegt es keinem Zweifel, dass die in einem gegebenen Augenblick gerade verfügbare Quantität bei jedem Individuum wieder in verschiedener Weise verteilt werden kann. Denn es ist doch klar, dass die vorhandene Menge der Nervenenergie bei einem Mathematiker, welcher in Spekulationen vertieft ist, nicht in derselben Weise verbraucht wird wie bei einem Manne, der eine physische Leidenschaft befriedigt. Die eine Art des Verbrauches schliesst die andere aus, denn man kann über ein Kapital nicht gleichzeitig in doppelter Weise verfügen. „Wir sehen," sagt ein Physiolog 1 ), „dass die Erregbarkeit gewisser Nervenzentren abnimmt, wenn bestimmte andere Zentren in Thätigkeit treten und dabei die Reize, von welchen die letzteren getroffen werden, eine gewisse Stärke haben. Solange das Nervensystem in normaler Weise fungiert, herrscht zwischen den einzelnen Teilen desselben notwendigerweise ein gewisses Gleichgewicht. Dieses kann gestört werden, wenn einzelne Zentren ein abnormes Uebergewicht erlangen, d. h. wenn sie einen zu grossen Teil der Nerventhätigkeit für ihre Verrichtungen in Anspruch nehmen; man bemerkt dies sofort auch in dem Verhalten der übrigen Zentren. — Es giebt allgemeine Gesetze für die Verteilung der von den Nerven zu leistenden Arbeit auf die verschiedenen Punkte des Systems, wie es mechanische Gesetze für den Kreislauf des Blutes in dem Gefässsystem giebt. ') Franck, Dict. encycl. des sciences médicales, art. Nerveux, p. 572.
Der Wille als Hemmungsvermögen.
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Wenn in einem wichtigen Teilgebiete dieses Systems eine grosse Verwirrung entsteht, so müssen die Folgen dieser Störung notwendigerweise auch auf allen anderen Punkten des Systems gespürt werden. Freilich liegt die Sache bei den Nerven nicht so einfach. Die für den Blutumlauf geltenden hydrodynamischen Gesetze können wir verstehen, weil uns einerseits die zirkulierende Flüssigkeit selbst zugänglich ist, und weil wir andererseits auch mit den Eigenschaften der sie umschliessenden Gefässe, mit den Wirkungen der Elastizität, mit den Einflüssen der Muskelzusammenziehungen u. s. w. bekannt sind. Wer aber kennt die Gesetze für die Verteilung der Nervenarbeit, jener kreislaufartigen Bewegung der sogenannten Nervenflüssigkeit? Man kann allerdings die Folgen von Gleichgewichtsstörungen bei der Nerventbätigkeit konstatieren; aber diese Störungen sind so mannigfaltiger und wechselnder Art, dass die bisher darüber angestellten Beobachtungen noch zu keiner bestimmten Theorie geführt haben. Man kann vor der Hand nur feststellen, wie sie entstehen, und von welchen Vorgängen sie gewöhnlich begleitet sind. Sehen wir nun, wie sich unser oben besprochener spezieller Fall im Lichte dieser allgemeinen Betrachtungen ausnimmt. Der ursprüngliche Bewusstseinszustand (der Zorn) hat antagonistische Bewusstseinszustände hervorgerufen, welche bei verschiedenen Individuen verschiedener Art sein müssen: bei dem einen ist es vielleicht das Pflichtgefühl, bei einem anderen Gottesfurcht oder Scheu vor der öffentlichen Meinung, vor den Gesetzen oder vor den schlimmen Folgen der That. Auf diese Weise hat sich ein zweites Thätigkeitszentrum gebildet, d. h., physiologisch ausgedrückt, es hat eine Ablenkung der Nervenenergie stattgefunden, eine Abschwächung des ersten Bewusstseinszustandes zu gunsten des zweiten. Ob diese Ablenkung zur Wiederherstellung des Gleichgewichtes genügt oder nicht, kann nur der Ausgang lehren. Und auch dann, wenn die Hemmung wirklich erfolgt, ist dieselbe stets nur eine relative. Das Endergebnis ist schliesslich T h . R i b o t , Der Wille.
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Einleitung.
weiter nichts als eine Abschwächung der Handlung. Was von dem ursprünglichen Antrieb übrig bleibt, kommt in halb verhaltenen Gebärden, in Unterleibsstörungen u. dgl. zum Ausdruck, oder es wird irgendwie künstlich abgeleitet, wie bei jenem Soldaten, der, als man ihn erschoss, an einer Kugel kaute, um nicht aufzuschreien. Sehr wenige Menschen sind dank einer glücklichen Beanlagung und einer straffen Selbstzucht im stände, die Reflexe auf Bewegungen zu reduzieren, die von aussen nicht bemerkt werden können. Diese Ablenkung der Nervenenergie ist also nicht ein primärer, sondern ein sekundärer Vorgang; sie ist das Ergebnis eines Bewusstseinszustandes, der sich aus dem zuerst vorhandenen Bewusstseinszustande vermöge einer Assoziation herausbildet, um ihn dann endlich mehr oder weniger zurückzudrängen. Wir wollen schliesslich noch darauf hinweisen, dass ausser der Bildung zweier solcher antagonistischer Thätigkeitszentren auch noch andere Vorgänge auf eine direkte Abschwächung der ursprünglichen Antriebe hinwirken können. Doch können wir darauf hier nicht näher eingehen: wir müssen jetzt die Hauptschwierigkeit des Problems einer genaueren Prüfung unterziehen. Das Nebeneinanderbestehen der beiden antagonistischen Bewusstseinszustände'), welches für sich allein Unentschlossenheit und Ungewissheit erzeugen und die Handlung verhindern konnte, reicht nämlich nicht dazu aus, eine willkürliche Hemmung im eigentlichen Sinne des Wortes, ein „Ich will nicht" herbeizuführen. Es fehlt dazu noch eine andere Voraussetzung, welche wir in einem von uns bisher mit Stillschweigen übergangenen überaus wichtigen affektiven Elemente finden. Die Gefühle sind nicht ausschliesslich Thätigkeitserreger. Viele haben einen herabstimmenden Charakter. Als extremer Typus dieser Gattung kann der Schreck angesehen werden. Derselbe hat in seiner stärksten ') Natürlich trennen wir dieselben nicht von ihren physiologischen Voraussetzungen, welche das eigentliche Hauptelement bilden.
Der Wille als Hemmungsvermögen.
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Form etwas Vernichtendes. Ein Mensch, der plötzlich von einem grossen Schmerz betroffen wird, ist zu jeder willkürlichen oder reflektorischen Reaktion unfähig. Die Blutleere im Gehirn, das Stocken der Herzschläge, welches bisweilen sogar zu tiefer Ohnmacht mit tödlichem Ausgange führen kann, der Schweiss bei gleichzeitiger Abkühlung der Haut, das Erschlaffen der Schliessmuskeln: alles dies lässt erkennen, dass die Reizbarkeit der muskulären, vasomotorischen und sekretorischen Zentren für den Augenblick aufgehoben ist. Der Fall ist ein ganz extremer, aber er hat für uns den "Wert eines Vergrösserungsbildes. Weiter nach unten haben wir dann alle die verschiedenen Grade der Furcht mit den entsprechenden Graden der Herabstimmung. Bei der mässigen Furcht ist die herabstimmende Wirkung geringer als beim Schrecken, qualitativ bleibt dieselbe aber unverändert. Das zeigt die Art, in der man bei Kindern Zornesregungen unterdrückt. Man bedroht sie und schilt sie aus, d. h. man erzeugt in ihnen einen neuen Bewusstseinszuständ, welcher auf das Handlungsvermögen lähmend einwirkt. „Ein Kind von 3 1 /, Jahren", sagt B. Perez '), „versteht sehr wohl aus dem Gesichtsausdruck und aus dem Ton der Stimme, dass es gescholten wird: seine Stirn legt sich in Falten, es zuckt ihm krampfhaft um die Lippen, die Mundwinkel ziehen sich momentan nach unten, die Augen werden feucht, und das Schluchzen ist nicht weit." Der neu erzeugte Bewusstseinszuständ sucht also den zuerst vorhandenen nicht allein durch seine eigene Gewalt zu verdrängen, sondern er sucht ihn auch dadurch zu beeinträchtigen, dass er das ganze Wesen in einen Schwächungszustand versetzt. Wenn bei einem Individuum trotz wiederholter Drohungen keine Hemmung erfolgt, so ist dasselbe nach dieser Seite hin wenig oder garnicht erziehbar. Tritt die Hemmung ein, so sucht sich dann nach einem bekannten Gesetze zwischen den beiden ') La psychologie de l'enfant, p. 33. 2*
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Einleitung.
Bewusstseinszuständen eine Assoziation zu bilden: der eiste erweckt den zweiten, welcher ihm die Wage hält, und infolge der Gewöhnung geht die Hemmung allmählich immer schneller und leichter von statten. Bei Leuten, welche Herren ihrer selbst sind, vollzieht sie sich mit der sicheren Regelmässigkeit, die ein Kennzeichen jeder vollkommenen Gewöhnung ist. Uebrigens sind dabei Temperament und Charakter von noch grösserer Bedeutung als die Erziehung. Es hat demnach nichts Ueberraschendes, dass ein innerer Sturm durch kalte Ueberlegungen beschwichtigt werden kann, durch die Erweckung von Bewusstseinszuständen, deren motorische Tendenz eine recht schwache ist: in "Wahrheit wird die Hemmung durch die hinter jenen Ideen angesammelte geheim und unbewusst wirkende Kraft der herabstimmenden Affekte herbeigeführt. Wollen wir dieses scheinbare Wunder recht verstehen, so dürfen wir nicht den erwachsenen Kulturmenschen betrachten, der eine regelrechte moralische und logische Erziehung genossen hat, sondern wir müssen Kinder, Wilde und schlecht erzogene oder unerziehbare Individuen ins Auge fassen. Bei diesen dringt der Trieb zum Handeln immer noch auf unmittelbare Befriedigung. Das eigentliche Werk der Erziehung besteht darin, dass durch sie in den einzelnen Fällen die antagonistischen Bewusstseinszustände erweckt werden; und man hat unter Erziehung nicht allein die Anleitung zu verstehen, welche das jugendliche Individuum von anderen erhält, sondern auch die Selbstregulierung, zu der es durch seine eigene Erfahrung veranlasst wird. Wir brauchen wohl nicht erst zu beweisen, dass a l l e die Gefühle, welche eine Hemmung hervorrufen, wie Scheu oder Achtung vor Personen, Gesetzen und Gebräuchen, oder Ehrfurcht vor Gott, ursprünglich herabstimmende Zustände mit thätigkeitsvermindernder Tendenz gewesen sind und es auch immer bleiben. Im grossen und ganzen lässt sich der Hemmungsvorgang für unsere Zwecke hinreichend durch eine Analyse der psycho-
Der Wille eine individuelle Reaktion.
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logischen Voraussetzungen erklären, unter welchen er stattfindet; welche Ansicht man über den dabei in Frage kommenden physiologischen Mechanismus hat, ist hier von geringerer Wichtigkeit. Wünschenswert wäre es natürlich, dass man auch über diesen Punkt etwas mehr Klarheit erlangte, dass man noch bestimmter sagen könnte, auf welche Weise zwei beinahe gleichzeitige Erregungen einander unwirksam machen. Wäre diese Frage gelöst, so würde unsere Vorstellung von dem Willen in seiner Eigenschaft als Hemmungsvermögen eine genauere, vielleicht auch eine andere werden. Vorläufig kann man nichts thun, als abwarten. Dasselbe schwierige Problem wird uns übrigens auch noch in anderen Formen begegnen. 3. Wir haben bisher die unter dem Einflüsse des Willens stehende Thätigkeit ausschliesslich einer analytischen Betrachtung unterzogen, welche uns davon noch keine genaue Vorstellung geben konnte und uns dieselbe nicht in ihrer Totalität gezeigt hat. Es ist diese Thätigkeit weder eine einfache Umsetzung von beliebigen Bewusstseinszuständen in Bewegungen, noch bringt sie einfach ein Hemmungsvermögen zum Ausdruck: vielmehr haben wir darin die s e l b s t e i g e n e R e a k t i o n e i n e s I n d i v i d u u m s zu erkennen. An dieser Thatsache müssen wir festhalten, sonst können wir niemals die pathologischen Fälle verstehen. Die willkürlichen Bewegungen kennzeichnen sich in erster Linie dadurch, dass sie a n g e p a s s t sind, doch teilen sie diese Eigentümlichkeit mit der weitaus grössten Zahl aller physiologischen Bewegungen: der Unterschied ist nur ein gradueller. Lassen wir die in Form einer heftigen, ungeregelten Entladung stattfindenden krankhaften Bewegungen, wie Veitstanz, Krämpfe, Epilepsie u. s. w., bei seite, so finden wir die Anpassung auf allen Stufen, auf der tiefsten sowohl wie auf der höchsten. Die gewöhnlichen Reflexe sind Reaktionen
des Rücken-
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Einleitung.
markes, angepasst an sehr allgemeine Bedingungen, welche dementsprechend sehr einfach und gleichförmig sind und, abgesehen von einigen Ausnahmefällen, von Individuum zu Individuum nicht variieren. Diese Reflexe sind dem Individuum als ein Erbteil der Gattung oder Spezies eigen. Eine andere Gruppe von Reflexen umfasst die Reaktionen der Basis und der mittleren Teile des Gehirns: die des verlängerten Markes, der Streifenhügel und der Sehhügel. Die Bedingungen, an welche sich diese Reaktionen angepasst haben, sind ebenfalls allgemeiner Art und wenig wechselnd, dabei aber viel komplizierter: wir haben es hier mit derjenigen Art von Thätigkeit zu thun, welche von einigen Gelehrten als die sensorimotorische bezeichnet worden ist. Die Reaktionen dieser Gruppe haben immer noch weit mehr einen gattungsmässigen als einen individuellen Charakter, da sie bei verschiedenen Individuen derselben Gattung in ganz ähnlicher Weise auftreten. Die Reflexvorgänge im oberen Gehirn, besonders diejenigen höherer Art, bestehen in Reaktionen, welche an sehr komplizierte, sehr wechselnde und in sich selbst sehr wandelbare Bedingungen angepasst sind, Bedingungen, die bei verschiedenen Individuen von verschiedener Art sind und auch bei einem und demselben Individuum jeden Augenblick andere werden können. Es sind dies die ideomotorischen Reaktionen, die Willensakte. Obschon die Anpassung hier eine sehr vollkommene ist, so interessiert uns diese dabei eigentlich weniger. Sie ist nur eine Wirkung, deren Ursache nicht in dem Willensakte, sondern in der intellektuellen Thätigkeit gesucht werden muss. Die Intelligenz ist nämlich eine Wechselthätigkeit (une correspondance), ein fortwährendes Einstellen innerer Beziehungen auf äussere Beziehungen, und in ihrer höchsten Form eine vollkommen koordinierte Einstellung dieser Art; deshalb schliesst die Koordination der betreffenden Bewusstseinszustände an sich schon die Koordination der Bewegungen ein, durch welche dieselben zum Ausdruck kommen. Sobald ein Ziel gewählt ist, wirkt dieses
Der Wille eine individuelle Reaktion.
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wie eine Zweckursache, wenn man diesen metaphysischen Ausdruck brauchen darf: es veranlasst die Wahl der zu seiner Erreichung geeigneten Mittel. Die Anpassung ist demnach hier ein Ergebnis des Mechanismus der Intelligenz, und wir brauchen uns dabei nicht weiter aufzuhalten. Was uns aber interessiert, ist die W a h l , diese Bevorzugung des einen Motivs vor dem anderen nach einer mehr oder weniger langen Yergleichung. D a s ist die individuelle Reaktion, die sich von den gattungsmässigen Reaktionen unterscheidet und in pathologischen Fällen, wie wir sehen werden, bald schwächer, bald stärker erscheint als diese. Worin besteht nun das Wesen dieser Wahl? Der Form nach ist dieselbe weiter nichts als ein praktisches Bejahen oder Gutheissen, ein zur Ausführung kommendes Urteil. Aeusserlich und physiologisch unterscheidet sich eine willkürliche Bewegung in nichts von einer unwillkürlichen. Es ist ganz gleich, ob ich mit den Augen infolge eines Refleivorganges blinzele, oder ob ich dies thue, um jemandem einen geheimen Wink zu geben: in beiden Fällen ist der Mechanismus derselbe'). Innerlich und psychologisch ist das rein logische Urteil, d. h. also eine theoretische Bejahung, von dem Willensakte in nichts verschieden, höchstens darin, dass der letztere durch eine Handlung zum Ausdruck kommt und somit ein zur Ausführung gebrachtes Urteil ist. Was ist aber die Wahl ihrem eigentlichen Wesen und nicht J ) Man unterscheidet in der Physiologie willkürliche und unwillkürliche Muskeln, ist sich aber dabei bewusst, dass diese Unterscheidung keine absolute Gültigkeit haben kann. Gelegentlich kommt es nämlich vor, dass Individuen eine oder die andere sonst nur unwillkürlich stattfindende Bewegung willkürlich auszuführen im stände sind. Manche können z. B , wie der Physiolog E. F. Weber, nach Belieben ihre Herzschläge anhalten, oder, wie Fontane, eine Zusammenziehung der Regenbogenhaut hervorrufen. Eine Bewegung ist willkürlich, wenn sie infolge wiederholter erfolgreicher Versuche an einen Bewusstseinszustand angeknüpft und unter dessen Herrschaft gebracht worden ist.
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Einleitung.
mehr ihrer Form nach betrachtet? Diese Frage ist von fundamentaler "Wichtigkeit; wir wollen deshalb etwas bei derselben verweilen und wollen versuchen, sie klarzustellen. Vielleicht sehen wir deutlicher, worin eine Wahl besteht, wenn wir einige biologische Erscheinungen sehr elementarer Art ins Auge fassen. Um uns nicht in fernliegende Analogieen zu verlieren, wollen wir die physikalischen Affinitäten (z. B. die zwischen Magnet und Eisen bestehende) ganz bei seite lassen. Bei den Pflanzen können wir erwähnen, dass die insektenfressenden Arten, wie die Venusfliegenfalle, von den Körpern, welche mit ihnen in Berührung kommen, einzelne ganz bestimmte auswählen. Ebenso sucht sich die Amöbe zu ihrer Nahrung bestimmte organische Reste aus. Diese Thatsachen sind alle unbestreitbar, eine Erklärung für dieselben zu geben, ist aber schwierig. Gewöhnlich begründet man sie durch eine bestimmte Beziehung, die zwischen der molekularen Anordnung des wählenden und der des gewählten Gegenstandes bestehen soll. Allerdings findet die Wahl hier in sehr engen Grenzen statt, aber es ist auch nur die roheste, beinahe noch physikalische Form einer Wahl. Entsteht dann ein Nervensystem, das sich allmählich zu immer komplizierteren Formen ausbildet, so wird aus dieser blinden Affinität schliesslich eine bewusste Tendenz, und weiterhin mehrere antagonistische Tendenzen, von denen diejenige, welche die grösste Affinität repräsentiert, den Sieg davon trägt.' (Man denke z. B. an einen Hund, welcher zwischen verschiedenen Speisen schwankt, und sich endlich für eine derselben entscheidet.) Ueberall aber zeigt sich in der Wahl die Natur des Individuums in einem gegebenen Augenblick, unter gegebenen Umständen und in einem gegebenen Grade; das heisst, je schwächer die Affinität ist, um so weniger wird die Wahl den Charakter der Entschiedenheit tragen. Wir können also sagen, dass die Wahl, gleichviel ob sie aus einer oder aus mehreren Tendenzen hervorgeht, ob sie durch eine gegenwärtige Empfindung oder durch Erinnerungsbilder veranlasst wird, ja selbst dann, wenn sie in zusammen-
Der Wille eine individuelle Reaktion.
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gesetzten Ideen und verwickelten, die Znkunft ins Auge fassenden Berechnungen ihre Ursache hat, immer auf einer Affinität, auf einer Wesensähnlichkeit, einer Anpassung beruht. Das gilt für die niederen oder höheren Tiere so gut wie für den Menschen, es gilt für Laster und Tugend, für Ehrgeiz und wissenschaftliches Streben und für das Vergnügen. Beim Menschen z. B. sehen wir zwei oder mehr Bewusstseinszustände als mögliche Ziele einer Handlung auftauchen: nach einigem Hinundherschwanken wird der eine vorgezogen, gewählt. Und warum? Doch wohl nur, weil zwischen diesem Zustande und der Summe der bewussten, halbbewussten und unbewussten (d. h. rein physiologischen) Zustände, welche in dem betreffenden Augenblicke die Person, das Ich ausmachen, eine Uebereinstimmung, eine Wesensähnlichkeit, kurz eine Affinität besteht. Das ist die einzig mögliche Erklärung der Wahl, falls man nicht annehmen will, dass dieselbe überhaupt keine Ursache hat. Stellt man an mich das Ansinnen, einen Freund zu töten, so weise ich diesen Gedanken mit Entsetzen von mir: derselbe steht im Widerspruch mit allen meinen anderen Bestrebungen und Gefühlen, er kann sich mit ihnen in keiner Weise assoziieren, und eben dadurch wird er sofort zu nichte gemacht. Beim Verbrecher dagegen vollzieht sich zwischen der Mordidee und den im Geiste vorhandenen Hass- oder Begierdegefühlen eine auf Uebereinstimmung, bezw. Aehnlichkeit beruhende Verbindung: der Mord wird infolge dessen gewählt, es wird bejaht, dass er stattfinden soll. Als B e w u s s t s e i n s z u s t a n d a n g e s e h e n , i s t also d e r W i l l e n s a k t w e i t e r n i c h t s als e i n e B e j a h u n g , b e z w . V e r n e i n u n g . Er ist dem Urteil ähnlich, doch mit einigen Unterschieden. Dieses bringt ein Verhältnis der Harmonie oder Disharmonie zwischen Ideen zum Ausdruck, jener dieselben Verhältnisse zwischen Tendenzen; das Urteil ist eine Rast für den Geist, der Willensakt ein Schritt zur Handlung; man kann jenes als eine Erwerbung, diesen als eine Entäusserung bezeichnen, denn die Verstandesarbeit ist ein Erübrigen,
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Einleitung.
die Willensthätigkeit ein Ausgeben. Doch kann der Willensakt an sich, insofern er ein Bewusstseinszustand ist, ebensowenig eine Handlung herbeiführen, als das Urteil im stände ist, die Wahrheit hervorzubringen. Die Kraft, welche die Handlung bewirkt, kommt aus einer anderen Quelle; -wir werden dies am Schlüsse unserer Arbeit sehen, wo wir diesen wichtigen Punkt noch des näheren besprechen werden 1 ). Der letzte Grund der Wahl liegt also in dem Charakter, d. h. in dem, was das eigentliche Kennzeichen des Individuums im psychologischen Sinne ausmacht und dasselbe von allen anderen Individuen derselben Spezies unterscheidet. Wir betrachten den Charakter, oder allgemeiner ausgedrückt, die Person, das Ich, hier als eine Ursache. Natürlich ist auch er seinerseits wieder eine Wirkung, doch haben wir uns jetzt nicht mit den Ursachen zu beschäftigen, denen er seine Entstehung verdankt. Die Wissenschaft vom Charakter, welche John Stuart Mill schon vor vierzig Jahren unter dem Namen Ethologie lehren zu können glaubte, ist noch nicht genügend ausgebaut, und dürfte davon auch noch recht weit entfernt sein. Und hätte sie uns auch wirklich schon feste Ergebnisse zu ') W a s wir soeben auseinandergesetzt haben, bringt im Grunde nur die augenfällige Thatsache zum Ausdruck, dass die Wahl immer nach der Seite hin erfolgt, wo die grösste Lust winkt. J e d e s Lebewesen, mag es vernunftlos oder vernunftbegabt, gesund oder krank sein, kann nur das wollen, was ihm augenblicklich als das grösste Gut oder als das kleinste Uebel erscheint. Selbst ein Mensch, welcher der Schande oder dem Abfall von seinem Glauben den Tod vorzieht, wählt in Wahrheit das, was ihm am wenigsten unangenehm ist. J e nach dem individuellen Charakter und der Entwicklung der Vernunft trifft die Wahl bald sehr hohe Z i e l e , bald sinkt sie in die grösste Tiefe hinab; aber immer entscheidet sie sich für das, was dem Individuum am meisten zusagt. Das Gegenteil ist unmöglich. Schon die Alten hatten diese psychologische Wahrheit so gut erkannt, dass sie dieselbe als Axiom aufstellten, und es mussten erst viele Bände Metaphysik geschrieben w e r d e n , ehe sie verdunkelt werden konnte.
Der Wille eine individuelle Reaktion.
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bieten, so würden wir diese einfach hinnehmen, ohne eine Abschweifung auf ihr Gebiet zu machen. Denn wenn man im Verfolg einer endlosen Kette immer von Wirkungen auf Ursachen zurückgehen wollte, so würde man in dasselbe Labyrinth geraten, in dem die Metaphysik sich bisher gewöhnlich verloren hat. Wir betonen es noch einmal: für unsere vorliegende Studie ist der Charakter etwas an letzter Stelle Gegebenes, eine wirkliche Ursache, obschon er bei Untersuchungen anderer Art als Wirkung aufgefasst werden muss. Beiläufig und andeutungsweise wollen wir bemerken, dass der Charakter, d. h. das Ich insofern es reagiert, ein äusserst kompliziertes Produkt ist, zu dessen Bildung die Vererbung, die physiologischen Verhältnisse vor und nach der Geburt, die Erziehung und die Erfahrung beigetragen haben. Man kann auch unbedenklich behaupten, dass das eigentliche Wesen des Charakters viel mehr in affektiven Zuständen, in einer besonderen Art des Fühlens, als in einer intellektuellen Thätigkeit zu suchen ist. Diese allgemeine Art des Fühlens, diese dauernde Stimmung des Organismus ist das Ursprüngliche und wirklich Bewegende. Wenn dieses Element fehlt, kann der Mensch nicht mehr wollen, wie uns die Pathologie des näheren zeigen wird. Und weil dieser die Grundlage bildende Zustand je nach der Beschaffenheit des Individuums dauernd oder vergänglich, sich gleich bleibend oder veränderlich, stark oder schwach sein kann, hat man drei Haupttypen des Willens zu unterscheiden: einen festen, einen schwachen und einen intermittierenden Willen, mit allen den Zwischengraden und Abstufungen, welche dann noch im Einzelnen festzustellen sind. Es sei aber nochmals hervorgehoben, dass diese Unterschiede vom C h a r a k t e r des Individuums herrühren, dass dieser wieder in der eigentümlichen Beschaffenheit des betreffenden Wesens begründet liegt, und dass unsere Untersuchung weiter nicht zu gehen braucht. Wir halten es also völlig mit denen, welche behaupten, dass das Vorherrschen eines Beweggrundes allein den Willensakt noch nicht erklären könne. Der vorherrschende Beweggrund ist
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Einleitung.
nur ein Teil der Ursache,
und immer der schwächste,
auch der am meisten in die Augen fallende. langt er nur dann,
wenn er gewählt wird,
wenn
"Wirksamkeit erd. h. wenn er zu
einem integrierenden Element in der Summe der Zustände wird, welche in dem betreffenden Augenblicke das Ich ausmachen, und wenn sein Streben nach Bethätigung mit denjenigen Bestrebungen, die im Charakter ihren Ursprung haben, zu völliger Einheit verschmilzt.
Nach dem Grade, in welchem dies geschieht, bemisst
sich der Grad der Wirksamkeit. Man ist also in keiner Weise genötigt, aus dem Ich eine Wesenheit zu machen oder dasselbe in eine transszendente Sphäre zu erheben, wo ihm eine eigene Kausalität zukommen würde.
Was
wir hier auseinandersetzen, ist eine einfache, klare Erfahrungsthatsache, deren Gegenteil uns unverständlich erscheinen müsste. Mit Rücksicht auf die physiologischen Verhältnisse bedeutet dies, dass die willkürliche Handlung sowohl von dem einfachen Reflexe verschieden ist, bei dem ein einziger Eindruck eine koordinierte Mehrheit von Muskelzusammenziehungen zur Folge hat, als auch von den komplizierteren Formen,
bei denen
dasselbe
stattfindet; es bedeutet, dass die willkürliche Handlung das Ergebnis der g e s a m m t e n nervösen Organisation ist, welche selbst wiederum das Wesen des g a n z e n Organismus wiederspiegelt und dementsprechend reagiert. Für die Psychologie bedeutet das Gesagte,
dass die will-
kürliche Handlung in ihrer vollentwickelten Form nicht einfach die Umsetzung eines Bewusstseinszustandes in eine Bewegung ist, sondern dass sie die Beteiligung aller der bewussten oder halbbewussten Zustände
voraussetzt,
welche in
dem
betreffenden
Augenblicke das Ich ausmachen. Wir haben demnach ein Recht, den Willen als eine individuelle Reaktion zu definieren, welche das Tiefinnerlichste unseres Wesens zum Ausdruck bringt.
Das Ich ist zunächst eine Wir-
kung, wird aber dann selbst wieder zu einer Ursache, und zwar zu einer Ursache im strengsten Sinne des Wortes.
Der Wille eine individuelle Reaktion.
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Fassen wir noch einmal alles zusammen, so haben wir also gesehen, dass der Uebergang vom elementarsten Reflexe zur höchsten Form des Willens ein ganz unmerklicher ist, und dass sich nicht genau angeben lässt, wo ein eigentliches Wollen, d. h. eine persönliche Reaktion beginnt. Zwischen den beiden Endpunkten der Reihe bestehen der Hauptsache nach nur zwei Unterschiede: auf der einen Seite finden wir eine ausnehmende Einfachheit, auf der anderen eine ausserordentliche Kompliziertheit; — hier eine Reaktion, die bei allen Individuen derselben Spezies dieselbe bleibt, dort eine Reaktion, welche sich ganz nach dem Individuum, d. h. nach einem in Zeit und Raum begrenzten Sonderorganismus richtet. Einfachheit und Stetigkeit, Kompliziertheit und Veränderlichkeit gehen mit einander Hand in Hand. Nach der Entwicklungstheorie müssen natürlich alle Reaktionen ursprünglich individuell gewesen sein. Durch zahllose Wiederholungen beim Individuum und bei der Gattung sind dieselben dann organisiert worden und haben den individuellen Charakter verloren. Der Ursprung des Willens liegt in der Eigenschaft der lebenden Materie, zu reagieren, seine Grenze nach oben in der Eigenschaft derselben Materie, sich zu gewöhnen; die unwillkürliche, für immer fixierte Thätigkeit dient der individuellen Thätigkeit wieder als Grundlage und als Werkzeug. Man darf aber nicht vergessen, dass bei den höheren Lebewesen die Menge des Vererbten, die Zufälle bei der Geburt, die fortwährende Anpassung an immer wechselnde Lebensbedingungen es verhindern, dass die individuelle Reaktion sich wirklich befestigt und bei allen einzelnen Individuen dieselbe Form annimmt. Die Kompliziertheit der Lebenssphäre ist bei ihnen ein Schutzmittel gegen die Mechanisierung. Damit schliessen wir unsere Vorbemerkungen, die einzig und allein den Zweck hatten, den Leser für das Verständnis der pathologischen Betrachtungen vorzubereiten, zu denen wir jetzt übergehen wollen.
I. Kapitel. Die Schwächungen des Willens. A. Schwäche oder Fehlen des Antriebes. Wir haben soeben gesehen, dass das Wort „Wille" verschiedene Akte bezeichnet, die zwar unter recht ungleichen Bedingungen zu stände kommen, dabei aber alle das eine gemeinsame Merkmal haben, dass sie in irgend eineT Form und in irgend einem Grade eine Reaktion des Individuums sind. Ohne wieder auf diese Auseinandersetzungen zurückzukommen, wollen wir nun noch im Interesse der Klarheit und Genauigkeit zwei äussere Merkmale angeben, an welchen der wirkliche Willensakt erkannt werden kann: derselbe ist ein abschliessender Endzustand, und er äussert sich in einer Handlung. Die Unentschlossenheit, in welcher wir den Anfang eines krankhaften Zustandes zu sehen haben, hat, wie uns die Pathologie im einzelnen zeigen wird, innere Gründe: sie liegt in der Schwäche der Anregungen begründet oder darin, dass die Wirkung derselben nicht lauge genug anhält. Einige der Individuen, welche an diesem Fehler leiden — allerdings nur sehr wenige — , sind unentschlossen aus Ueberreichtum an Ideen, Die Vergleichung der Motive, die logischen Ueberlegangen und die Berechnung der Folgen erzeugen in ihrem Geiste derartige Komplikationen, dass die Tendenzen zur Handlung sich gegenseitig
Schwäche oder Fehlen des Antriebes.
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kreuzen und hindern. Doch kann ein solcher Ueberreichtum an Ideen allein noch nicht ein zureichender Grund für die Unentschlossenheit sein; derselbe ist nur eine mitwirkende Ursache. Der wahre Grund liegt hier, wie überall, in dem Charakter. Man kann dies noch besser bei den ideenarmen Unentschlossenen sehen. Diese lassen sich bei ihrem Handeln immer durch die Rücksicht auf den geringsten Kraftaufwand oder auf den schwächsten Widerstand bestimmen. Nur unter Schwierigkeiten führt das Hinundherüberlegen bei ihnen zu einer Wahl, und der Uebergang von der Wahl zu einer Handlung stösst dann auf noch grössere Hindernisse. Der Willensakt dagegen ist, wie gesagt, ein abschliessender Endzustand; durch ihn wird der Debatte ein Ziel gesetzt; er macht einen neuen Bewusstseinszustand — den gewählten Beweggrund — zu einem integrierenden Bestandteil des Ichs und schliesst alle anderen Bewusstseinszustände aus. Dem Ich ist damit ein fester Inhalt gegeben. Bei wankelmütigen Naturen ist dieser Abschluss immer nur ein vorläufiger, d. h. das wollende Ich ist bei ihnen eine so unbeständige Zusammensetzung, dass das Auftauchen des allerunbedeutendsten Bewusstseinszustandes genügt, um es zu modifizieren oder ganz und gar zu verwandeln. Die in jedem Augenblicke neugebildete Zusammensetzung hat schon in der nächstfolgenden Sekunde keine Widerstandskraft mehr. Bei dieser Summe von bewussten und unbewussten Zuständen, welche bei den Wankelmütigen jeden Augenblick als Ursachen des Willensaktes auftreten, spielt der individueller Charakter nur eine sehr unbedeutende Rolle, während die äusseren Umstände dabei das Ausschlaggebende sind. Damit kommen wir wieder auf jene weiter oben besprochene niedere Form des Willens zurück, welche in einem „Geschehenlassen" besteht. Man darf aber auch niemals vergessen, dass Wollen Handeln bedeutet, dass der innere Willensakt der Uebergang zu einem äusserlichen Akte ist. Sieht man, wie es manche thun, in dem Willen nur eine einfache Entschliessung, d. h. die theoretische
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I. Kap. Die Schwächungen des Willens.
Bejahung, dass etwas geschehen soll, so bleibt man damit bei einer blossen Abstraktion stehen. Die Wahl ist nur ein einzelnes Moment in dem Vorgange des Wollens. Wenn sie nicht sofort oder wenigstens nicht rechtzeitig zu einer Handlung führt, unterscheidet sie sich in nichts von einer rein logischen Operation des Geistes. Sie gleicht dann einem Gesetz, das im Buche stellt, in der Praxis aber nicht zur Anwendung kommt. Nach diesen Vorbemerkungen können wir zu den pathologischen Studien übergehen. Wir teilen die Krankheiten des Willens in zwei grosse Klassen, jenachdem derselbe g e s c h w ä c h t oder g a n z v e r n i c h t e t ist. Die Schwächungen des Willens bilden in der Pathologie desselben das wichtigste Kapitel; sie zeigen uns den Mechanismus in gestörtem Zustande. Wir unterscheiden dabei A. Die Schwächungen infolge ungenügender Stärke des Antriebes oder gänzlichen Fehlens desselben. B. Die Schwächungen infolge übermässiger Stärke des Antriebes. C. In einem besonderen Kapitel werden wir sodann die überaus wichtigen Schwächungen der willkürlichen Aufmerksamkeit betrachten, D. und schliesslich werden wir noch unter der Ueberschrift „Die Herrschaft der Launen" einen eigentümlichen Zustand besprechen, bei welchem der Wille nie oder nur ganz zufällig zur Entfaltung kommt. 1. Ueber die Schwächungen des Willens infolge ungenügender Stärke des Antriebes oder Fehlens desselben stehen uns einfache, klare und lehrreiche Erfahrungsthatsachen zu Gebote. Man findet derartige Schwächungen in gelinderer Form schon im gesunden Zustande bei weichlichen Charakteren, welche nur dann handeln, wenn zu ihrem eigenen Wollen ein fremder Wille hinzu-
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Schwäche oder Fehlen des Antriebes.
kommt; ein geradezu erstaunliches Maass erreichen dieselben aber in Krankheitsfällen. Guislain giebt uns eine allgemein gehaltene Beschreibung dieser Art von Willensschwächung, welche von den Aerzten gewöhnlich als Abulie bezeichnet wird. „Die Kranken", sagt er, „sind i n n e r l i c h , im Geiste, ganz gut im stände das zu w o l l e n , was in jedem einzelnen Falle die Vernunft erheischt. Sie können den W u n s c h z u m H a n d e l n in sich spüren; besitzen aber nicht die Fähigkeit, auch wirklich zu h a n d e l n , wie es den Umständen angemessen wäre. Es schwebt über ihrem Geiste ein geheimer Bann des Unvermögens. Sie m ö c h t e n g e r n arbeiten, und sie k ö n n e n es nicht — ihr Wille kommt über gewisse Schranken nicht hinaus, seine wirkende Kraft erfährt sozusagen eine Hemmung, d. h. das „Ich will" wird nicht zu einem t r e i b e n d e n Wollen, nicht zu einem thätigen, entschlossenen Streben. Manche Kranke wundern sich selbst über die Ohnmacht, die über ihren Willen gekommen ist. Wenn man sie sich selbst überlässt, so verbringen sie ganze Tage in ihrem Bett oder auf einem Stuhl; spricht man mit ihnen oder sucht man sie sonst auf irgend eine Weise anzuregen, so antworten sie zwar kurz, drücken sich dabei aber doch in angemessener Weise aus : sie zeigen überhaupt noch ein recht gutes Urteilsvermögen 1 )." Da für unsere Untersuchung Kranke mit ungetrübtem Verstände am interessantesten sind, so wollen wir hier nur solche berücksichtigen. Eine der ältesten Beobachtungen, die auch am meisten bekannt geworden ist, finden wir bei Esquirol. Derselbe berichtet uns Folgendes. „Ein Regierungsbeamter von hervorragendem Wissen und grosser Beredsamkeit wurde infolge trauriger Erlebnisse von einer Monomanie befallen. — Er hat seitdem den vollen Gebrauch seiner Vernunft wiedererlangt, aber ') Guislain, Leçons orales sur les phrénopathies, tome I, p. 479, p. 46 und p. 256. Man vgl. auch Griesinger, Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, § 46; und Leubuscher, Zschf. für Psychiatrie 1847. Xh. R i b o t , Der Wille.
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I. Kap. Die Schwächungen des Willens.
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eine Eigentümlichkeit ist ihm doch geblieben: er kann sich nicht entschliessen, wieder in die Gesellschaft zurückzukehren, obschon er einsieht, dass er nicht recht daran thut; er will sich auch nicht dazu verstehen, seine Privatangelegenheiten zu besorgen, wiewohl ihm ebenfalls völlig klar ist, dass dieselben darunter leiden. Fordert man ihn auf, zu reisen oder sich um seine Geschäfte zu kümmern, so antwortet er: Ich weiss wohl, dass ich es eigentlich thun sollte, ich weiss aber auch, dass ich es nicht thun kann. Ihre Ratschläge sind sehr gut, aus vollster Ueberzeugung möchte ich Ihnen gern Folge leisten, doch zuerst müssen Sie mir die Fähigkeit geben, zu wollen, Sie müssen mir zu einem "Willen verhelfen, der wirklich beschliesst und da,s Beschlossene ausführt. — Sicherlich, sagte er eines Tages zu mir, habe ich einen Willen nur dazu, um nicht zu wollen; ich bin im vollen Besitze meiner Vernunft und weiss sehr gut, was ich thun muss; kommt dann aber der Augenblick, wo ich handeln sollte, so verlässt mich die Kraft 1 )." Ebenso berichtet der englische Arzt Bennett von einem Manne, „der häufig nicht ausführen konnte, was er zu thun begehrte. Wenn er versuchte, sich auszukleiden, dauerte es oft zwei Stunden, ehe er sich auch nur den Rock ausziehen konnte; dabei waren alle seine geistigen Fähigkeiten in normalem Zustande, nur der Verlauf des Willensaktes erschien gestört. Eines Tages verlangte er ein Glas Wasser; als man ihm dasselbe aber auf einem Präsentierbrett reichte, war er nicht im stände, es zu nehmen, obschon er den Wunsch dazu hatte; er liess den Diener eine halbe Stunde lang vor sich stehen, bis es ihm schliesslich gelang, den eigentümlichen Schwächezustand zu überwinden. Er sagte, es schiene ihm, als habe eine andere Person seinen Willen in Besitz genommen 2 )." Thomas de Quincey, dessen Confessions of an English Opium') Esquirol, I, 420. ) Carpenter, Mental Physiology, p. 385-
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Schwäche oder Fehlen des Antriebes.
E a t e r ' ) für die pathologische Psychologie eine bleibende Bedeutung haben, beschreibt uns diese Lähmung des Willens auf Grund seiner eigenen Erfahrungen.
Der scharfe, fein
unterscheidende
Verstand dieses Schriftstellers und die Genauigkeit seiner Darstellung machen seine Mitteilungen überaus schätzenswert. Durch fortgesetzten übermässigen Genuss von Opium war er ausser stand gesetzt worden, gewisse Studien fortzusetzen, welche er sonst stets mit dem grössten Interesse betrieben hatte.
Er
entsagte denselben mit einem Gefühl von Ohnmacht und kindischer Schwäche, und gequält von einer Beängstigung, die um so stärker wurde, j e lebhafter er der Zeit gedachte, wo er mit jenen Arbeiten genussreiche Stunden verbracht hatte. tes W e r k 3 ) ,
Ein unvollende-
dem er die beste Kraft seines Geistes gewidmet
hatte, erschien ihm nur noch als ein Grabdenkmal
vernichteter
Hoffnungen, fruchtloser Bemühungen und vergeblicher Sammelarbeit, als der Grundbau eines Hauses, das nie errichtet werden sollte.
In „diesem Zustande der Willensschwäche, mit der j e -
doch keine Schwächung des Verstandes verbunden war", wandte er sich der Volkswirtschaft zu, einem Studium, für welches er früher eine hervorragende Beanlagung gezeigt hatte.
Nachdem
er in den landläufigen Büchern viele Irrtümer entdeckt hatte, fand er in David Ricardo's „Principles of Political Economy and Taxation" eine Schrift, welche seinen geistigen Heisshunger vollauf befriedigte und deren
Lektüre ihn mit einer Freude und
Arbeitslust erfüllte, wie er sie seit lange nicht mehr gekannt hatte.
Da er glaubte,
dass auch dem durchdringenden Auge
Ricardo's einige wichtige Wahrheiten entgangen seien, so fasste er den Plan, eine „Einleitung zu allen zukünftigen Systemen der Volkswirtschaft" zu schreiben.
Es wurden Anstalten zum Druck
') [Eine bequeme Ausgabe derselben ist 1886 in der von E. Rhys edierten Camelot Series, London, W. Scott, erschienen. — Wir bemerken beiläufig, dass wir eigene Zusätze und Anmerkungen überall durch e c k i g e K l a m m e r n kenntlich machen werden. — P.] [De emendatione humani intellectus. P.] 3*
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I. Kap. Die Schwächungen des Willens.
und zur Herausgabe des Werkes getroffen, und zweimal dasselbe auch angekündigt.
wurde
Doch hatte er vorher noch eine Vor-
rede und eine Widmung an Ricardo zu schreiben,
und dazu
fühlte er sich völlig ausser stände; die getroffenen Vereinbarungen mussten rückgängig gemacht werden, und das Buch blieb ungedruckt auf seinem Tische liegen. [Er erzählt dies selbst in seinen „Bekenntnissen"
(in der
angeführten Ausgabe S. 8 4 und 8 6 ) und fährt dann fort:] „Die eben von mir gegebene Beschreibung meiner geistigen Erstarrung passt mehr oder weniger auf jede einzelne Periode der vier Jahre, während welcher ich unter Opiums gestanden habe.
dem circäischen Zauberbanne
des
Wäre ich nicht so elend und leidend
gewesen, so hätte man wirklich von mir sagen können, ich lebte in einem beständigen Schlafe.
Selten konnte ich mich dazu er-
mannen, einen Brief zu schreiben; erhielt ich eine Zuschrift, so war eine Erwiderung von wenigen Worten das Aeusserste, was ich zu stände bringen konnte; und dann hatte der Brief oft schon Wochen, j a Monate auf meinem Tische gelegen. hülfe M — ' s
Ohne die Bei-
wären alle Notizen über bezahlte und unbezahlte
Rechnungen verloren gegangen; und mochte aus meinen volkswirtschaftlichen Studien werden was da wollte,
meine eigene
Hauswirtschaft wäre jedenfalls in die heilloseste Verwirrung geraten.
Ich werde auf diese Wirkung
des Opiumgenusses
im
Folgenden nicht wieder zurückkommen, ich bin aber überzeugt, dass sie jedem, der sie an sich erfährt, schliesslich nicht weniger drückend und quälend erscheinen wird als irgend eine andere; so peinlich ist das Gefühl der Unfähigkeit
und Schwäche,
so
gross die Verlegenheit, in die man fortwährend durch die Vernachlässigung seiner Tagespflichten gerät, und so schmerzlich die Reue, welche bei einem denkenden und gewissenhaften Menschen noch zu den körperlichen Leiden hinzukommt.
Der Opiumesser
verliert nichts von seiner sittlichen Feinfühligkeit und behält sein ganzes höheres Streben; sehnsüchtig und ernstlich wie in seinen gesunden Tagen wünscht er Dinge ausführen zu können, die ihm
Schwäche oder Fehlen des Antriebes.
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als ausführbar erscheinen, und zu denen ihn sein Pflichtgefühl antreibt. Was er aber für ausführbar hält, geht weit über die Grenzen dessen hinaus, was er wirklich zu vollbringen oder auch nur zu versuchen im stände ist. Er seufzt unter einem Alp. Was er gern thun möchte, steht ihm klar vor Augen, aber er fühlt sich wie ein Kranker, der durch ein erschlaffendes, todbringendes Leiden ans Lager gefesselt ist und es mit ansehen muss, wie man einem von ihm zärtlich geliebten Wesen Schimpf und Schande anthut; — er verwünscht den Bann, der ihn an jeder Bewegung hindert; — er möchte sein Leben dafür hingeben, wenn er nur aufstehen und gehen könnte; aber er ist schwach und ohnmächtig wie ein Kind und kann nicht einmal v e r s u c h e n , sich zu erheben 1 )." Auf diese Beschreibung lassen wir noch einen Bericht folgen, der zwar etwas lang ist, aber gerade dadurch wertvoll wird; denn in seiner Ausführlichkeit giebt er uns ein sehr vollständiges Bild von der Krankheit. Er findet sich bei Billod in den Annales médico-psychologiques. Der Patient, um den es sich dabei handelt, ist ein fünfundsechzigjähriger Notar „von kräftiger aber lymphatischer Konstitution und entsprechendem Temperament, von gut ausgebildetem praktischem Verstände und mässig entwickelter Gefühlsfähigkeit" . Da der Mann sehr an seinem Berufe hing, entschloss er sich erst nach langem Zögern dazu, seine Praxis zu verkaufen. In der Folge verfiel er in einen Zustand tiefer Schwermut: er wies jede Nahrung von sich, glaubte, er sei ruiniert, und einmal riss ihn seine Verzweiflung sogar zu einem Selbstmordversuche hin. Wir lassen im Folgenden mit Uebergehung einiger rein medizinischer oder sonst für uns uninteressanter Einzelheiten den Beobachter selbst erzählen. „Die Fähigkeit, welche uns bei dem Patienten am meisten gelitten zu haben scheint, ist der Wille. P. . . . ist häufig ausser >) a. a. 0. S. 86. 87.
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I. Kap. Die Schwächungen des Willens.
stände gewisse Handlungen ausführen
zu w o l l e n ,
obschon er
danach Verlangen trägt, und obschon ihn sein gesundes Urteil auf Grund einer verständigen Ueberlegung von der Nützlichkeit, oft sogar von der Notwendigkeit der betreffenden überzeugt."
Handlungen
P. . . . wurde zunächst in das Krankenhaus zu Ivry
sur Seine bei Paris gebracht, und dort bestimmte man, dass er mit Billod zusammen eine Reise nach Italien machen sollte. „Als man ihm ankündigte, dass er bald reisen sollte, sagte er: „ „Ich werde niemals dazu im stände sein, so lebhaft ich es auch b e d a u e r e . "
Am Abend vor der Abreise erklärte er wiederum,
dass er nie und nimmer dazu fähig sein würde, und noch am Reisetage selbst stand er in aller Frühe auf, um dies Herrn M. . . . noch einmal ausdrücklich mitzuteilen.
Wir waren also auf einen
gewissen Widerstand von seiner Seite gefasst; als ich aber schliesslich vor ihn trat, erhob er nicht mehr den geringsten Einwand und sagte nur, es sei ihm, als fühle er, dass ihm sein Wille abhanden zu kommen drohe.
„„Wo ist der W a g e n ? " " fügte
er
hinzu, „„damit ich schnell einsteigen k a n n . " " Es würde zwecklos sein, dem Leser alle die einzelnen Krankheitserscheinungen zu schildern, welche Billod an seinem Schutzbefohlenen während dieser Reise zu beobachten Gelegenheit hatte. Wir wollen deshalb nur vier typische Hauptfälle „Der erste Fall ereignete sich in Marseille.
anführen.
—
P . . . . musste
vor seiner Einschiffung noch für seine Frau eine Vollmachtsurkunde zum Verkaufe eines Hauses ausstellen.
Er verfasste das
Schriftstück selbst, schrieb es eigenhändig auf Stempelpapier ab und schickte sich darauf an, seine Unterschrift darunterzusetzen. Da entstand eine Schwierigkeit, an welche wir niemals gedacht haben würden: nachdem er nämlich seinen Namen hingeschrieben hatte, war es ihm schlechterdings unmöglich, den Handzug beizufügen.
Vergebens kämpfte er gegen diese Schwierigkeit an.
Er
liess seine Hand über dem Papier wenigstens hundertmal die erforderlichen Bewegungen ausführen, was bewies, dass die Hemmung nicht in der Hand lag; kein einziges Mal aber war sein
Schwäche oder Fehlen des Antriebes.
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ungefügiger Wille im stände, ein Aufdrücken der Finger auf das Papier zu bewerkstelligen. Der Arme geriet über und über in Angstschweiss. Er sprang ungeduldig auf und stampfte mit dem Fuss auf die Erde; dann setzte er sich wieder hin und begann seine Versuche von neuem — wieder mit dem gleichen Misserfolge: es gelang ihm nicht, die Feder auf das Papier aufzudrücken. Man wird nun nicht bestreiten wollen, dass P. . . . den lebhaften Wunsch hatte, seine Unterschrift zu vollenden, und dass er die Notwendigkeit dieser Handlung einsah. Man wird auch nicht in Abrede stellen können, dass das Organ, welches den Handzug ausführen sollte, vollkommen unversehrt war. Die handelnde Person schien ebenso gesund zu sein wie ihr Werkzeug, sie konnte aber mit demselben in keine Fühlung kommen. Offenbar versagt der Wille. Dieser Kampf dauerte drei viertel Stunden. Endlich, als ich schon alle Hoffnung aufgegeben hatte, wurden die fortgesetzten Anstrengungen doch noch mit Erfolg gekrönt: der Handzug wurde zwar sehr ungeschickt ausgeführt, aber er kam doch zu stände. Ich bin ein Zeuge dieses Kampfes gewesen, ich habe ihn mit dem grössten Interesse verfolgt, und ich möchte behaupten, dass kaum irgend ein anderer Fall auf eklatantere Weise darthun könnte, wie manche Individuen unfähig sind, das, was sie wünschen, auch zu wollen'). „Einige Tage später hatte ich Gelegenheit, eine Unfähigkeit derselben Art zu konstatieren. Wir wollten nach dem Essen einen kleinen Spaziergang machen. P. . . . hatte die grösste Lust dazu, da er sich, wie er sagte, gern einen allgemeinen Ueberblick über die Stadt verschafft hätte. Er nahm seinen Hut und traf in stehender Haltung alle übrigen Anstalten zum Ausgehen. Doch vergebliches Hoffen! Sein Wille konnte den Beinen nieht befehlen, sich in Bewegung zu setzen und ihn auf die Strasse zu bringen. Das wiederholte sich fünf Tage hintereinander. „„Ich bin offenbar ') Wir geben diesen Bericht dem Wortlaut gemäss wieder, ohne uns irgend ein Urtheil über die psychologischen Theorieen des Verfassers zu erlauben.
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I. Kap. Die Schwächungen des Willens.
mein eigener Gefangener"", sagte er, „ „ S i e hindern mich nicht hinauszugehen, meine Beine bereiten mir auch keine Schwierigkeiten; woran liegt es nun eigentlich?"" In dieser Weise beklagte P. sich, dass er, trotz dem Vorhandensein eines Wunsches, n i c h t w o l l e n k ö n n e . Endlich am sechsten Tage gelang es ihm nach einer letzten Anstrengung hinauszukommen, aber schon nach fünf Minuten kam er wieder zurück, keuchend und in Schweiss gebadet, als hätte er mehrere Kilometer im Laufschritt zurückgelegt, und selbst höchlichst erstaunt über seine Heldenthat. „Aehnliches ereignete sich jeden Augenblick. Wenn P . . . . den W u n s c h hatte, ins Theater zu gehen, so war er unfähig, hingehen zu w o l l e n . Sass er bei Tisch in angenehmer Gesellschaft, so w ü n s c h t e er wohl an der Unterhaltung teilzunehmen, aber das gleiche Unvermögen verfolgte ihn auch hier. Oft allerdings bestand die Unfähigkeit sozusagen nur in der Befürchtung: er f ü r c h t e t e , nicht zu können, und doch k o n n t e er häufiger als er glaubte; in vielen Fällen freilich waren seine Befürchtungen wieder gerechtfertigt." Nach einem sechstägigen Aufenthalt in Marseille schifften sich Arzt und Patient nach Neapel ein, „aber erst nach unerhörten Schwierigkeiten". An jedem der sechs Tage „hatte P . . . . ausdrücklich erklärt, dass er nicht aufs Schiff gehen würde, und den entschiedenen Wunsch ausgesprochen, nach Paris zurückzukehren, da ihn schon im voraus der Gedanke ängstlich machte, mit seinem kranken Willen in einem fremden Lande zu sein. Er hatte gesagt, man würde ihn binden müssen, wenn man ihn wegbringen wollte. Auch am Eeisetage selbst gewann er es erst über sich, das Hotel zu verlassen, als er glaubte, ich sei entschlossen, Gewalt anzuwenden. Als er aus dem Hause heraus war, blieb er auf der Strasse stehen und würde wohl auch nicht weiter gegangen sein, wenn mir nicht vier Matrosen zu Hülfe gekommen wären, deren blosses Erscheinen ihn zur Nachgiebigkeit bewog. „Ein anderer Fall ist geeignet, die Läsion des Willens noch deutlicher zu zeigen. Wir kamen nach Rom gerade an dem Tage,
Schwäche oder Fehlen des Antriebes.
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als Pius IX. gewählt wurde, und P. . . . sagte zu mir: „„Das wäre j a ein recht glückliches Zusammentreffen, wenn ich nur nicht krank wäre. Ich wünschte, ich könnte der Krönung beiwohnen, aber ich weiss nicht, ob ich es können werde; ich will es versuchen. " Am Tage der Feier erhob er sich um fünf Uhr, zog seinen Frack an, rasierte sich und sagte zu mir: „„Sie sehen, ich thue schon viel; aber dennoch weiss ich noch nicht, ob ich meine Absicht werde ganz ausführen können."" Als dann die Krönungsstunde herangekommen war, raffte er sich zu einer letzten Anstrengung zusammen und stieg auch thatsächlich die Treppe hinab, wennn auch nur unter den grössten Schwierigkeiten. Zehn Tage darauf, am Peter-Pauls-Tage, führten die gleichen Vorbereitungen und Anstrengungen zu keinem Ergebnisse. „„Ich bin und bleibe mein eigener Gefangener"", sagte P. . . . „„Am Wunsche fehlt es mir nicht, denn schon seit drei Tagen treffe ich Vorbereitungen; ich bin eben jetzt fertig gekleidet und rasiert, ich habe sogaT schon die Handschuhe an, und doch kann ich nicht hinaus." " In der That war es ihm unmöglich zu der Feier zu gehen. Ich hatte ihn sehr dazu gedrängt, aber geradezu zwingen wollte ich ihn auch nicht. „Ich werde diesen Bericht, der schon etwas lang geworden ist, mit der Bemerkung schliessen, dass bei unserem Patienten die instinktiven Bewegungen, d. h. diejenigen Bewegungen, die unabhängig von dem eigentlichen "Willen stattfinden, nicht in derselben Weise gehemmt waren wie die, welche man „„anbefohlene"" nennen kann. Dies zeigt z. B. folgendes Vorkommnis. Auf unserer Rückreise überfuhr unsere Postkutsche eine Frau. Im Augenblick hatte P. . . . seine ganze Thatkraft wiedererlangt, und ohne auf das Anhalten des Wagens zu warten, warf er seinen Mantel ab, öffnete den Schlag und war der Erste, welcher der Verunglückten Hülfe leistete." Billod fügt noch hinzu, dass die Reise nicht die erwartete Wirkung hatte. Der Kranke befand sich indes, wie er sagt, im Wagen besser, besonders wenn derselbe schlechte Federn hatte und auf holprigen Strassen fuhr. Schliesslich kehrte P. . . . un-
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I. Kap. Die Schwächungen des Willens.
gefähr in demselben Zustande zu seiner Familie zurück, in welchem er sie verlassen hatte 1 ). Die angeführten Fälle repräsentieren eine scharf abgegrenzte Gruppe. Sie geben uns mehrere sehr bestimmte Thatsachen an die Hand und gestatten uns einige Schlussfolgerungen, welche den Eindruck grosser Wahrscheinlickeit macheh. Betrachten wir zuerst die Thatsachen: 1. Das Muskelsystem und die bei der Bewegung beteiligten Organe sind unversehrt. Von dieser Seite kommt also keine Hemmung. Ebenso bleibt die automatische Thätigkeit, welche die gewöhnliche Routine des Lebens bildet, im Gange. 2. Auch die Intelligenz ist vollkommen erhalten; wenigstens berechtigt nichts zu der Annahme, dass sie die geringste Einbusse erlitten hätte. Das Ziel wird klar ins Auge gefasst, ebenso die Mittel zur Erreichung desselben, aber der Uebergang zur Handlung ist unmöglich. Wir haben demnach hier eine Erkrankung des Willens im strengsten Sinne des Wortes vor uns. Diese Erkrankung leistet uns, wie wir beiläufig bemerken wollen, die Dienste eines interessanten Experimentes. Sie schafft aussergewöhnliche Bedingungen, die auf keine andere Weise hergestellt werden könnten. Sie spaltet den Menschen in zwei Teile, indem sie die persönliche Reaktion aufhebt, alles andere aber unversehrt lässt. Auf diese Weise zeigt sie uns, soweit es überhaupt möglich ist, ein Wesen, das ganz auf seine reine Intelligenz beschränkt ist. Wollen wir nun die Frage beantworten, woher diese Unfähigkeit des Willens kommt, so müssen wir uns mit blossen Schlussfolgerungen zufrieden geben. Es sind nur zwei Hypothesen über die unmittelbare Ursache jener Schwächung möglich: entweder liegt der Grund in einer Schwächung der motorischen ') Billod, Annales médico-psychologiques, Band X , p. 172 ff. Der Verfasser führt noch mehrere andere Fälle an, die wir aber hier nicht mitteilen wollen, weil sie weniger instruktiv sind. (Vgl. ebda p. 184 und 319 ff.)
Schwäche oder Fehlen des Antriebes.
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Zentren 1 ) selbst, oder er ist in einer Schwächung der Anregungen zu suchen, von welchen diese Zentren getroffen werden. Esquirol überliefert uns eine bemerkenswerte Antwort, die ihm ein Patient nach seiner Heilung gab. „Diese Unfähigkeit zu handeln", sagte derselbe, „kam daher, dass meine Empfindungen zu schwach waren, um einen Einfluss auf meinen Willen auszuüben. " Esquirol hat auch die tiefgehende Veränderung beobachtet und beschrieben, welche derartige Kranke in ihrem Gemeingefühl durchmachen. „Mein Dasein", schrieb ihm einer derselben, „ist unvollständig. Die Verrichtungen und Handlungen des gewöhnlichen Lebens sind mir geblieben; aber bei jeder fehlt etwas, nämlich die Empfindung, welche ihr eigentümlich ist, und die Freude, welche darauf folgt. . . . Jeder meiner Sinne, jeder Teil meiner selbst ist wie von mir getrennt und kann mir keine Empfindung mehr zukommen lassen." Könnte ein Psycholog besser sagen, wie sehr in einem solchen Falle das Gemütsleben in seinen allgemeinsten Bethätigungen Schaden gelitten hat? — Billod erzählt von einer jungen Italienerin „von hervorragender Geistesbildung", welche aus Liebesgram wahnsinnig wurde und nach ihrer schliesslichen Genesung in einen Zustand tiefster Apathie verfiel, aus dem nichts sie erwecken konnte. „Sie urteilt und spricht verständig über alles; aber sie besitzt keinen eigenen Willen mehr, sie hat keine Kraft zu wollen, keine Liebe, und kein Bewusstsein von dem, was ihr widerfährt, was sie fühlt oder was sie thut. . . . Sie versichert, dass sie dahinlebe, wie ein Mensch, der zwischen Tod und Leben in einem beständigen Schlummer liege. Die Dinge der Aussenwelt sieht sie in einer Nebelhülle, die Personen bewegen sich vor ihren Augen wie Schatten, und die Worte scheinen ihr aus einer fernen Welt herüberzutönen 2 )." ') Wir betonen, dass es sich hier nicht um den Zustand der B e w e g u n g s o r g a n e , sondern um den der B e w e g u n g s z e n t r e n handelt. Wie man über das Wesen und die Lokalisation derselben denkt, ist dabei gleichgültig. *) Billod, Annales médico-psychologiques, a. a. 0 . p.. 184.
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I. Kap. Die Schwächungen des Willens.
Wenn, wie wir später noch ausführlicher nachweisen werden, der Willensakt aus zwei ganz verschiedenen Elementen besteht, nämlich einerseits aus einem Bewusstseinszustande, der absolut unfähig ist, eine Handlung zu veranlassen oder zu verhindern, und andererseits aus organischen Zuständen, welche allein diese Fähigkeit besitzen, — so muss man annehmen, dass diese beiden Elemente, die als Wirkungen einer und derselben Ursache gewöhnlich gleichzeitig auftreten, in den vorliegenden Fällen eine Dissoziierung erfahren haben. Die Unfähigkeit zum Handeln ist hier eine Thatsache. Ob aber die Intensität des Bewusstseinszustandes (die doch jedenfalls Unterbrechungen aufweist) ebenfalls eine Thatsache ist, kann mit Fug und Recht bezweifelt werden. Wäre sie eine Thatsache, so müsste man annehmen, dass für sie, aber auch nur für sie, die erforderlichen Vorbedingungen in genügender Weise vorhanden wären. Viel wahrscheinlicher kommt es uns aber vor, dass sie eine Illusion ist. Der brennende Wunsch zum Handeln, welchen einige jener Kranken zu hegen glauben, dürfte nichts weiter sein als eine Wahnvorstellung ihres Bewusstseins. Die Lebhaftigkeit eines Wunsches ist etwas ganz Relatives. In einem derartigen Zustande allgemeiner Apathie geht mancher Antrieb, der dem Patienten sehr stark erscheint, in Wahrheit noch nicht einmal über das Niveau einer mittleren Intensität hinaus: daher die Unthätigkeit. Wir werden später den Zustand des Willens bei dem Somnambulismus untersuchen und dabei finden, dass manche Individuen überzeugt sind, das Handeln oder Nichthandeln hänge von ihnen selbst ab, dass aber diese Leute durch die Erfahrung schliesslich doch dahin gebracht werden, ihren Irrthum einzusehen und zuzugeben, dass ihr Bewusstsein sie vollständig irreführt*). Ueberkommt sie dagegen eine Erregung ganz plötzlich und unerwartet und mit grosser Heftigkeit, besitzt also diese Erregung in jeder Weise die erforderliche Stärke, so bleibt eine Wirkung ') Vgl. unten, Kap. 5.
Schwäche oder Fehlen des Antriebes.
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anch meist nicht aus. Wir brauchen nur an den oben besprochenen Patienten Billod's zu erinnern, der seine ganze Thatkraft wiederfand, als es galt, ßine überfahrene Frau zu retten 1 ). Uebrigens können wir alle uns diesen Zustand der Abulie vorstellen; denn jeder hat wohl schon Stunden allgemeiner Abspannung durchlebt, in denen alle äusseren oder inneren Anregungen, alle Empfindungen oder Ideen ohne Wirkung auf ihn blieben, in denen ihn, wie man zu sagen pflegt, alles „kalt liess". Das ist eine milde, vorübergehende Form der Abulie, von welcher sich die wirklich krankhafte Willenlosigkeit nur dadurch unterscheidet, dass sie chronisch und stärker ausgeprägt ist. Wenn derartige Patienten nicht wollen können, so kommt dies daher, dass die von ihnen geplanten Unternehmungen in ihnen nur ein schwaches Begehren erwecken, welches nicht dazu ausreicht, sie zum Handel anzutreiben. Wir drücken uns in dieser Weise aus, um uns der Sprache des gewöhnlichen Lebens anzupassen; in Wirklichkeit wird die Unthätigkeit nicht dadurch herbeigeführt, dass etwa die Wünsche als rein seelische Zustände zu wenig lebhaft wären; es mag so scheinen, aber man darf sich dadurch nicht täuschen lassen. Wie wir im Vorhergehenden gezeigt haben, setzt sich jeder Zustand des Nervensystems, der einer E m p f i n d u n g oder V o r s t e l l u n g entspricht, erst dann leicht in eine Bewegung um, wenn er von Nervenzuständen begleitet ist, die G e m ü t s e r r e g u n g e n entsprechen. Eine zu geringe Intensität derartiger Zustände ist es, welche bei der Abulie die Unthätigkeit bewirkt; die Schwäche der Begehrungen ist nur ein Symptom dafür. Als eigentliche Ursache erscheint uns demnach eine verhältnismässige Empfindungslosigkeit, eine allgemeine Schwächung der Sensibilität. Die Erkrankung betrifft das Gemütsleben, die innere Erregbarkeit. Woher der krankhafte Zustand selbst kommt, ist in erster Linie eine physiologische Frage. Ganz entschieden ') Ich habe später von Billod gehört, dass der betreffende Kranke seine Fähigkeit zum Handeln infolge der Junitage des Jahres 1848, welche ihn aufs heftigste bewegten, bleibend wiedererlangte.
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I. Kap. Die Schwächungen des Willens.
zeigen die an Abulie leidenden Individuen eine bemerkenswerte Herabsetzung der Lebensfunktionen, was bei manchen so weit geht, dass alle Fähigkeiten Schaden leiden, bis die Patienten schliesslich zu empflndungs- und bewegungslosen Körpern werden. Es ist dies der Zustand, welchen die Aerzte als Melancholie, Lypemanie und Stupor bezeichnen, und dessen physische Symptome Verlangsamung des Blutumlaufs, Sinken der Körpertemperatur und eine fast völlige Unbeweglichkeit sind. Derartige schwere Fälle gehören nicht in den Rahmen dieser Studie, aber sie sind deshalb für uns wertvoll, weil sie uns über die letzten Ursachen der Willensschwächungen Aufschlüsse geben. Jede Herabsetzung der allgemeinen Lebensspannung, mag sie oberflächlich oder tiefgehend, flüchtig oder anhaltend sein, hat ihre Wirkung. Der Wille ist nichts weniger als ein unumschränkter Herrscher, vielmehr wird er jeden Augenblick von den allergeringfügigsten und verborgensten Ursachen beeinflusst, denen er wie ein Spielball preisgegeben ist. Und doch ist man berechtigt zu sagen, dass er unser eigentliches Ich repräsentiere, denn er wurzelt in biologischen Vorgängen, welche sich in der tiefsten Innerlichkeit unserer Gewebe abspielen. Man könnte auch eine andere Hypothese aufstellen und die Erklärung der Abulie auf dem Gebiete der motorischen Kundgebungen suchen. Zwischen der Entschliessung, welche in einem „Ich will" zum Ausdruck kommt und die ein rein geistiger Akt ist, und der Ausführung der gewollten Bewegungen, welche ihrerseits ein rein physischer Akt ist, liegt ein Zwischenstadium: das Erwecken und weitere Beleben der B e w e g u n g s v o r s t e l l u n g e n . Alle unsere Bewegungen werden zuerst aufs Geratewohl ausgeführt, hinterlassen aber Spuren (Residua), aus denen sich nach und nach eine Art Bewegungsgedächtnis zusammensetzt; dieses dient, wenn die Periode des Tastens und Lernens vorüber ist, dem gesunden Willen als ein Werkzeug, mit dem er spielend arbeiten kann: er braucht nur zu sprechen, und sofort wird sein Befehl zur Ausführung gebracht. Es wäre nun denkbar, dass in den oben er-
Schwäche oder Fehlen des Antriebes.
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wähnten Krankheitsfällen die Bewegungsbilder entstellt oder ausgelöscht wären, und dass der Wille deshalb gewissermaassen in der Luft schwebte und nicht die Fähigkeit besässe, in eine Handlung überzugehen.
Und doch muss diese Hypothese, so einleuch-
tend sie auch auf den ersten Blick erscheinen mag, von der Hand gewiesen werden.
Denn sie würde aus den Krankheiten des
Willens Gedächtniskrankheiten machen; die Abulie i s t aber keine Amnesie: ein Mensch, der nicht mehr schreiben kann, weil ihm die Bewegungsbilder abhanden gekommen sind, steht auf einem ganz anderen Standpunkte als der Patient Billod's, der in dem Augenblick, wo es ihm schliesslich gelingt, seine Absicht auszuführen, gerade so richtig schreibt wie irgend ein anderer. Eher liesse sich die Abulie den von Reynolds, Charcot und anderen untersuchten psychischen Paralysen an die Seite stellen. Patienten, die an solchen leiden, sind nur deshalb gelähmt, weil sie sich für gelähmt h a l t e n , und das ganze Heilverfahren besteht darin, dass man versucht, sie von dieser schwächenden Wahnvorstellung zu befreien.
Sobald sie daran glauben, dass sie handeln
können, handeln sie auch 1 ).
Damit kommen wir aber Wieder auf
die erste Hypothese zurück.
Denn die Vorstellung von einer Un-
fähigkeit zu Bewegungen kann doch nur dann wirksam werden, wenn sie von einem Depressionszustand, d. h. von einer Erregungsschwächung, begleitet und getragen ist. Der Leser mag zwischen den beiden dargelegten Hypothesen wählen; wir geben der ersten den Vorzug 2 ). ') Solche seelische Lähmungen lassen sich auch bei der Hypnose durch Suggestion herbeiführen. Man kann die Sprachorgane, einen Arm, ein Bein oder andere Partieen des Körpers lähmen. Eine suggerierte Behauptung ruft die Paralyse hervor, eine gegenteilige Suggestion hebt sie wieder auf. ") Eine sehr genaue Beschreibung eines besonderen Falles von Abulie, der Zweifelsucht findet man in der Revue philosophique, März und April 1891, aus der Feder von Pierre Janet. Der Verfasser sucht den Grund in einer „seelischen Zersetzung" (désagrégation psychique).
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I. Kap. Die Schwächungen des Willens. 2. Wir kommen nunmehr zu Willenskrankheiten einer anderen
Kategorie, welche den im Vorhergehenden besprochenen sowohl in den Wirkungen als auch in den Ursachen gleichen, insofern sie wie diese eine Schwächung des Willens herbeiführen und auf herabstimmenden Einflüssen beruhen.
Sie unterscheiden sich von
denselben nur dadurch, dass bei ihnen die Anregung zum Handeln nicht geschwunden ist.
Bei der ersten Kategorie hat die
Unthätigkeit positive, bei der zweiten hat sie negative Ursachen. Die Hemmung ist dabei die Folge eines Widerstreites. In den Fällen, welche wir besprechen werden, rührt die Schwächung des Willens durchgehends von einem Furchtgefühl her, das jeder vernünftigen Begründung entbehrt; dieses Gefühl findet sich in allen Abstufungen von der einfachen Beklommenheit bis zur Todesangst und zu dem alles lähmenden Entsetzen. Bei einigen Patienten erscheint die Intelligenz unversehrt, bei anderen ist sie geschwächt.
Manche Fälle sind auch weniger klar,
sodass man nicht mit Bestimmtheit sagen kann, ob sie allein auf eine Erkrankung des W i l l e n s
hindeuten 1 ).
Als Uebergang von der ersten Kategorie zur zweiten mag folgender Fall dienen, der eigentlich zu beiden gehört. Ein Herr wurde im Alter von dreissig Jahren in Strassenkämpfe verwickelt, welche ihm einen heftigen Schrecken verursachten.
Er
hat seitdem zwar nichts von seiner geistigen Klarheit eingebüsst, er verwaltet sein Vermögen musterhaft und leitet ein bedeutendes Handelshaus, aber „er kann weder auf der Strasse noch in seinem Zimmer allein gelassen werden: immer muss jemand bei ') Wir wollen hier ein für allemal bemerken, dass wir in unserer Arbeit nur diejenigen Störungen behandeln können, welche den Willen a l l e i n betreffen, und dass wir deshalb solche Fälle ganz ausschliessen müssen, in denen die Seelenthätigkeit in ihrer Gesamtheit gelitten hat, und ebenso solche, in denen die Störungen des Willens nur eine Wirkung und ein Ausdruck des intellektuellen Irreseins sind.
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Schwäche oder Fehlen des Antriebes.
ihm sein. Hat er sein Haus verlassen, so würde es ihm unmöglich sein, allein wieder dahin zurückzugelangen. Denn wenn einmal der seltene Fall eintritt, dass er sich wirklich allein hinauswagt, so bleibt er nach kurzer Zeit mitten auf der Strasse stehen und würde dort für immer regungslos verharren, wenn man ihn nicht zurückführte. Er scheint einen Willen zu haben, in "Wahrheit aber ist dies der Wille seiner Umgebung. Macht man den Versuch, das Widerstreben des Kranken auf irgend eine Weise zu brechen, so fällt er sofort in tiefe Ohnmacht 1 )." In jüngster Zeit haben mehrere Irrenärzte eine von ihnen als Agoraphobie oder Platzangst (peur des espaces, peur des places) bezeichnete sonderbare Beängstigung beschrieben, welche den Willen lähmt und von dem Individuum entweder garnicht oder nur auf indirektem Wege bekämpft werden kann. Als typisches Beispiel mag eine Beobachtung Westphal's dienen. Derselbe kennt einen Reisenden von kräftigem Körper und durchaus gesundem Geiste, dessen Bewegungsvermögen in keiner Weise gestört erscheint, der aber bei dem Anblicke eines Platzes oder eines anderen einigermaassen ausgedehnten Raumes stets von einem intensiven Angstgefühl ergriffen wird. Soll er über einen der grossen Berliner Plätze gehen, so hat er das Gefühl, als betrüge die Ausdehnung desselben mehrere Meilen, und als könnte er niemals die andere Seite erreichen. Die Angst wird geringer oder verschwindet ganz, wenn er an den Häusern entlang um den Platz herumgeht, wenn ihn jemand begleitet, oder auch schon, wenn er sich auf einen Spazierstock stützt. Carpenter beschreibt nach Bennett 2 ) eine „Willenslähmung", welche uns zu derselben Kategorie zu gehören scheint. „Ein Mann konnte, wenn er auf der Strasse an eine Lücke in der fortlaufenden Häuserreihe kam, nicht weiter gehen; sein Wille hörte plötzlich auf zu wirken. Der Anblick eines Platzes hemmte seine
2
Billod, a. a. 0. p. 191. ) a. a. 0. p. 385.
T h . E i b o t , Der Wille.
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I. Kap. Die Schwächungen des Willens.
Schritte unfehlbar; es fiel ihm auch sehr schwer, quer über eine Strasse zu gehen, und hatte er beim Betreten oder Verlassen eines Raumes eine Schwelle zu passieren, so blieb er immer erst mehrere Minuten stehen." Andere fühlen sich im Freien nur dann wohl, wenn sie an Büschen entlang oder unter Bäumen hin gehen können. So liessen sich noch zahlreiche Beispiele anführen, wir würden aber davon keinen weiteren Nutzen haben, denn die Grundthatsache bleibt immer dieselbe 1 ). Ebensowenig können wir uns hier auf medizinische Erörterungen über diese Krankheitsform einlassen. Als psychologische Thatsache ergiebt sich ein Furchtgefühl, wie man deren so viele antrifft; der . Umstand, dass dieses Gefühl auf kindischen und eingebildeten Ursachen beruht, ist dabei ganz gleichgültig; wir haben nur die "Wirkung desselben festzustellen, die in einer Hemmung des Willensaktes besteht. Wohl aber müssen wir uns fragen, ob dieser deprimierende Einfluss allein den an sich intakten Willensantrieb aufhält, oder ob auch die individuelle Reaktionsfähigkeit geschwächt ist. Die letztere Annahme wird sich kaum zurückweisen lassen; das Furchtgefühl ist, wie das Verhalten der Patienten in gewissen Fällen zeigt, nicht unüberwindlich, und so dürfte in der That die individuelle Reaktionsfähigkeit bei ihnen unter das gewöhnliche Niveau herabgesunken sein, so dass die Hemmung aus zwei in derselben Weise wirkenden Ursachen hervorgeht. Leider kennt man die physiologischen Voraussetzungen dieser Schwächung nicht. Vermutungen sind allerdings darüber in Menge aufgestellt worden. Cordes, der selbst an einer derartigen Stö') Näheres sehe man bei Westphal, Archiv für Psychiatrie, 3. Band (2 Aufsätze); Cordes, ebenda; Legrand du Saulle, Annales ûiédico-psychologiques, p. 405, 1876, mit einer Besprechung des Gegenstandes; Ritti, Dictionnaire encyclopédique des sciences médicales, Artikel ,Folie avec conscience'; Maudsley, The Pathology of Mind, London 1879, p. 319 und 431.
Schwäche oder Fehlen des Antriebes.
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rung leidet, sieht in ihr eine funktionelle Lähmung, die auf gewisse Modifikationen der motorischen Zentralherde hinweise und im stände sei, in uns Eindrücke entstehen zu lassen. In dem vorliegenden Falle sei es ein Furchteindruck, der die vorübergehende Lähmung hervorrufe; sein Einfluss sei beinahe verschwindend, wenn nur die Phantasie in Wirksamkeit trete, er könne aber den höchsten Grad erreichen, wenn noch andere Umstände dazu kommen. Der eigentliche Grund wäre demnach „eine paretische Erschöpfung des motorischen Nervensystems, d. h. jener Gehirnsphäre, von welcher nicht nur die Ortsveränderung, sondern auch die muskuläre Sensibilität beherrscht wird". Wäre diese Erklärung hinlänglich gestützt, so würde sie für uns von der grössten Wichtigkeit sein. Sie würde zeigen, dass die Unfähigkeit des Willens von einer Unfähigkeit der motorischen Zentren abhängt, und damit hätten wir für unsere Untersuchung eine feste physiologische Grundlage gewonnen. Wir halten es aber für richtiger, derartige Schlüsse erst am Ende unserer Arbeit zu ziehen. Ueber einen anderen geistigen Zustand, die sogenannte Zweifel- oder Grübelsucht (folie du doute, manie de fouiller), wollen wir in aller Kürze sprechen. Wie die Abulie eine krankhafte Form der gewöhlichen Apathie ist, so repräsentiert die Zweifeloder Grübelsucht eine krankhafte Steigerung der gewöhnlichen Unentschlossenheit. Es ist ein Zustand fortwährenden Zauderns auf Grund der nichtigsten Motive, verbunden mit der Unfähigkeit, zu irgend einem bestimmten Abschlüsse zu gelangen. Das Zaudern beherrscht zunächst die Sphäre des reinen Denkens. Der Kranke stellt sich Fragen in endloser Folge. Legrand du Saulle erzählt z. B. von einer geistig sehr geweckten Frau, welche nicht auf die Strasse gehen konnte, ohne sich folgende Fragen zu stellen: Wird nicht etwa jemand aus einem Fenster herabstürzen und mir vor die Füsse fallen? Wird die betreffende Person ein Mann oder eine Frau sein? Wird sie bloss Verletzungen davontragen oder sterben? Wird sie sich den Kopf oder die i*
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I. Kap. Die Schwächungen des Willens.
Beine verwunden? Wird auf dem Trottoir eine Blutlache entstehen? Woran soll ich, falls sie tot ist, dies erkennen? Soll ich Hülfe herbeirufen oder fliehen, oder soll ich ein Gebet hersagen? Wird man mich anklagen, den Unglücksfall veranlasst zu haben? Wird meine Unschuld an den Tag kommen? u. s. w. u. s. w." So folgt bei dieser Frau unaufhörlich Frage auf Frage, und auch bei vielen anderen Individuen hat man etwas Aehnliches beobachtet '). Wenn die Krankheit sich auf dieses „seelische Wiederkäuen", wie Legrand du Saulle den beschriebenen Zustand nennt, beschränkte, so würden wir hier von derselben nicht zu reden haben ; die krankhafte Unschlüssigkeit und Ratlosigkeit, von der die Intelligenz beherrscht wird, giebt sich aber auch in den Handlungen zu erkennen. Der Patient wagt nichts mehr zu thun, ohne dabei endlose Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Schreibt er einen Brief, so liest er ihn mehrere Male wieder durch, aus Furcht, er könnte etwas vergessen oder orthographische Fehler gemacht haben. Hat er ein Fach verschlossen, so muss er noch mehrere Male nachsehen, ob es auch wirklich zu ist. Ebenso prüft er beim Verschliessen seines. Zimmers das Schloss zu wiederholten Malén, fühlt nach dem Schlüssel in seiner Tasche, überzeugt sich, dass diese kein Loch hat, u. s. w. Andere, die sich in einem noch schlimmeren Krankheitsstadium befinden, wagen, von einer kindischen Furcht vor Unreinlichkeit oder Ansteckung gepeinigt, nicht mehr, vielberührte Gegenstände, wie Geldstücke, Thürklinken oder Fensterwirbel, anzufassen, und leben auf diese Weise in beständiger Furcht dahin 2 ). So erzählt uns Morel von einem • Kirchenschweizer, der, seit 25 Jahren von sinnlosen Befürchtungen gequält, seine Hellebarde ') Man vgl. folgende Arbeiten: Legrand du Saulle, La folie du doute avec délire du toucher, 1875; Griesinger, Archiv für Psychiatrie, 1869; Berger, ebenda 1876; Ritti, Dict. encycl. a. a. 0 . 2 ) Viel Interessantes hierüber findet man bei Legrand du Saulle a. a. 0 . und Baillarger, Annales médico-psychologiques 1866, p. 93.
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Schwäche oder Fehlen des Antriebes.
nicht zu berühren wagte, bis er sich selbst darüber Vorstellungen machte, sich in Gedanken ausschalt und es schliesslich auch dahin brachte, sein Widerstreben zu besiegen. Dieser Entschluss kostete ihm. aber eine solche Ueberwindung, dass er fürchten musste, am nächsten Tage dazu nicht wieder fähig zu sein 1 ). Die geschilderte Willenskrankheit rührt zum Teil von einer allgemeinen Schwäche des Charakters her, zum Teil ist sie eine Folge des intellektuellen Zustandes.
Es ist ganz natürlich, dass
der Strom von sinnlosen Ideen einen Ausdruck in sinnlosen, an die wirklichen Verhältnisse nicht angepassten Handlungen findet; eine ebenso grosse Rolle spielt aber, wie gesagt, dabei die Unfähigkeit zur individuellen Reaktion, also die Charakterschwäche.
Man
findet dementsprechend bei den Patienten auch eine Herabsetzung der allgemeinen Lebensspannung.
Das beweisen die Ursachen
des krankhaften Zustandes (vererbte Nervenleiden, schwächende Krankheiten);
ebenso die Konvulsionen und Ohnmachtszufälle,
welche der angestrengte Versuch zu handeln herbeiführen kann; und endlich beweisen es auch die schwersten Formen der Krankheit, wo die unglücklichen Patienten, von endlosen Bedenken gefoltert, nicht mehr schreiben, nicht mehr zuhören und nicht mehr mit anderen reden, sondern nur noch Selbstgespräche führen, erst halblaut, dann leise und immer leiser, bis sie schliesslich ihre Gedanken nur noch durch ein Bewegen
der Lippen zum Aus-
druck bringen. Zum Schluss wollen wir noch die Fälle erwähnen, in denen die Schwächung des Willens an eine völlige Vernichtung desselben grenzt.
Wenn ein Bewusstseinszustand, der fortwährend
das ganze Denken eines Individuums beherrscht, von einem Gefühl heftigen Schreckens begleitet ist, so wird dadurch eine fast absolute Hemmung bewirkt, und der Patient macht den Eindruck eines Blödsinnigen, ohne wirklich blödsinnig zu sein.
Dies war
z. B. bei einem jungen Manne der Fall, von dem uns Esquirol ') Archives générales de médecine, 1866.
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I. Kap. Die Schwächungen des Willens.
berichtet.
Derselbe benahm sich durchaus wie ein Idiot: man
musste ihn anziehen, zu Bett bringen und füttern; nach seiner Heilung aber erzählte er, es habe ihm fortwährend eine innere Stimme zugerufen: „Wenn du dich rührst, bist du ein Kind des Todes1)!" Auch Guislain teilt einen merkwürdigen Fall mit, bei dem aber leider das Fehlen psychologischer Dokumente Schwierigkeiten bereitet und eine wirkliche Klarstellung verhindert.
„Ein Mäd-
chen, dem ein junger Mann den Hof machte, wurde von einer Art Irrsinn ergriffen, dessen wahre Ursache man nicht kannte, und der sich hauptsächlich in einem starken Widerspruchsgeist kundgab.
Schliesslich verfiel die Patientin in ein krankhaft hart-
näckiges Schweigen.
Nur zweimal im Laufe von zwölf Jahren
gab sie auf Fragen eine Antwort, das erste Mal nach einer energischen Aufforderung ihres Vaters, das zweite Mal bei ihrem Eintritt in unsere Anstalt.
In beiden Fällen waren ibre Antworten
von auffallender Kürze." Zwei Monate lang stellte dann Guislain wiederholte Heilversuche mit dieser Patientin an.
„Meine Anstrengungen", sagt er,
„waren zunächst vergeblich, und meine Aufmunterungen blieben ohne Erfolg.
Ich liess mich aber dadurch nicht irre machen, und
endlich bemerkte ich eine Veränderung in ihren Gesichtszügen, vor allem einen intelligenteren Ausdruck in den Augen.
Etwas
später begann sie von Zeit zu Zeit Sätze zu sprechen, j a sie gab sogar kurze, bestimmte Erklärungen ab, doch folgten darauf wieder Perioden langen Schweigens: immer noch kostete es ihr die grösste Ueberwindung, meinem Drängen nachzugeben. . . .
Man konnte
auch sehen, dass es stets ihrem Selbstgefühl schmeichelte, wenn sie wieder einmal einen Sieg über sich davongetragen hatte.
In
ihren Antworten war nie eine Spur von Irrsinn zu finden; das geistige Leiden bestand einzig und allein in einer Erkrankung des impulsiven Willens. J)
Oft schien sie auch durch eine Art Scham
Esquirol, II. Band, p. 287.
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Schwäche oder Fehlen des Antriebes. vom Sprechen zurückgehalten zu werden. aber schliesslich an
Jedenfalls begann ich
die Möglichkeit ihrer Heilung zu glauben.
Nachdem sie wieder auf zwei, drei Tage verstummt war, kehrte infolge weiterer Bitten ihre Sprache wieder, und schliesslich nahm sie sogar auf eigenen Antrieb an den Unterhaltungen teil, die in ihrer Gegenwart geführt wurden. . . .
Diese Heilung ist eine der
wunderbarsten, die ich j e erlebt h a b e 1 ) . "
Wie Guislain dann
noch bemerkt, war die Wiederherstellung eine vollständige und dauernde. Die geschilderte krankhafte Stumpfheit und Regungslosigkeit, deren Typus die Abulie ist, und bei der das „Ich will" niemals zu einer Handlung führt, zeigt, welch grosser Unterschied zwischen dem Willensakt als einem Vorgang im reinen Bewusstsein einerseits
und der wirkungskräftigen
andererseits besteht.
Fähigkeit
zum
Handeln
Wir können aber jetzt auf diesen Punkt
nicht näher eingehen, sondern müssen uns vielmehr mit der für die Psychologie so äusserst wichtigen Frage nach dem Wesen der A n s t r e n g u n g beschäftigen; denn gerade die Anstrengung ist es, die in den vorliegenden Fällen fehlt oder nicht
die genügende
Stärke besitzt. Das Gefühl der Muskelanstrengung ist von William James in so gründlicher und sorgfältiger Weise studiert worden, dass wir uns hier darauf beschränken können, die Ergebnisse seiner Untersuchungen kurz in Erinnerung zu bringen.
James hat nachge-
wiesen, dass das Gefühl der bei irgend einer Bewegung aufgewendeten Muskelkraft „eine zusammengesetzte zuleitende (zentripetale) Empfindung ist, welche durch die Zusammenziehung der Muskeln, die Dehnung der Bänder und das Zusammendrücken der Gelenke, durch das feste Einstellen der Brust, die Schliessung der Stimmritze, das Runzeln der Augenbrauen, das Aufeinanderpressen der Kinnladen und durch andere Vorgänge bewirkt wird". ') Guislain a. a. 0 . Band IT, p. 227 f. *) The feeling of effort, 4°. Boston, 1880.
Er
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I. Kap. Die Schwächungen des Willens.
hat, auf seine experimentelle Erfahrung gestützt, Schritt für Schritt die entgegengesetzte Ansicht bekämpft, welche aus jenem Gefühl eine mit der motorischen Entladung verbundene, auf dem Ausströmen der Nervenenergie beruhende ableitende (zentrifugale) Empfindung macht. Besonders hat James im Anschluss an Eerrier und andere Physiologen eine Erklärung für den Umstand gegeben, dass bei Lähmungen das Gefühl der Muskelanstrengung nicht selten fortdauert, ohne dass der Patient irgendwie im stände wäre, das gelähmte Glied zu rühren. Es kommt dies eben daher, dass die Vorbedingungen für das Bewusstwerden der Anstrengung fortbestehen, während der Kranke das entsprechende Glied oder Organ der entgegengesetzten Körperseite bewegt. James macht aber mit Recht einen Unterschied zwischen der Muskelanstrengung und der Willensanstrengung, welche letztere in vielen Fällen gar keine unmittelbar damit zusammenhängende Bewegung oder höchstens einen äusserst geringen Aufwand von Muskelkraft involviert. So ist es, um eines seiner Beispiele hier anzuführen, bei einem Manne, welcher nach langem Zögern den Entschluss fasst, in das Trinkglas seiner Frau Arsenik zu thun und sie so zu vergiften. Uebrigens kennt ja auch jedermann aus eigener Erfahrung jenen Zustand des Ringens, bei welchem die Anstrengung eine rein innerliche ist. — In einem Punkte müssen wir dem Verfasser leider widersprechen. Derselbe verlegt die Willensanstrengung in eine besondere übersinnliche Sphäre, wir aber glauben, dass sie sich von der Muskelanstrengung nur darin unterscheidet, dass ihre physiologischen Voraussetzungen wenig bekannt sind, so dass man darüber fürs eiste nur Hypothesen aufstellen kann. Es giebt zwei Hauptarten der Willensanstrengung: die eine hemmt die Regungen des Instinktes, der Leidenschaften oder der Gewohnheiten, die andere überwindet Weichlichkeit, geistige Schwerfälligkeit oder Schüchternheit. Jene führt in negativer Weise zu einer Hemmung, diese in positiver Weise zu einem Antriebe. In beiden Fällen gilt der Satz, dass eine Anstregung nur
Schwäche oder Fehlen des Antriebes.
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dann stattfindet, wenn der Willensakt sich nach der Seite hin wendet, wo er den grössten Widerstand findet. Stimmt der Antrieb oder die Hemmung mit der Wahl überein, haben also unsere natürlichen Bestrebungen von vornherein dasselbe Ziel wie das „Ich will", oder entscheidet sich, um es noch deutlicher zu machen, das Individuum gleich anfangs für das, was ihm u n m i t t e l b a r angenehm ist, so kann eine Willensanstrengung nicht stattfinden. Immer jedoch findet eine solche statt, wenn sich zwei Gruppen antagonistischer Bestrehungen das Feld streitig machen. Es handelt sich dabei, wie jedermann weiss, um einen Kampf zwischen niederen Tendenzen mit beschränkter und höheren mit komplizierter Anpassung. Die ersteren sind von Natur immer die stärkeren, die letzteren können bisweilen durch künstliche Mittel eine überwiegende Kraft erlangen. Die einen repräsentieren eine im Organismus wirklich registrierte Gewalt, die anderen sind ein Erwerb der jüngsten Zeit. Dass die höheren Tendenzen hin und wieder den Sieg davontragen, erklärt sich daraus, dass ihnen das „Ich will" zu Hülfe kommt. Als einfacher Bewusstseinszustand könnte ihnen dasselbe freilich nicht viel helfen, aber hinter dem Willensakte, der schliesslich wieder eine Wirkung ist, stehen jene bekannten, halbbekannten und unbekannten Ursachen, welche wir schon so häufig kurz als den „individuellen Charakter" bezeichnet haben. Alle diese kleinen Ursachen, die in ihrem Zusammenwirken das physische und psychische Individuum ausmachen, sind keineswegs blosse Abstraktionen. Es sind physiologische oder psychophysiologische Prozesse, von denen jeder eine gewisse Arbeit in den Nervenzentren voraussetzt. Man darf deshalb unbedenklich behaupten, dass das Gefühl der Willensanstrengung ebenfalls eine Wirkung jener physiologischen Prozesse ist, und es lässt sich höchstes einwenden, dass die Wissenschaft augenblicklich noch nicht im stände ist, den Mechanismus der betreffenden Vorgänge bestimmt anzugeben. Die Lösung dieser Frage wird besonders dadurch erschwert, dass zur Erzeugung eines Antriebes doch sicher ein
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I. Kap. Die Schwächungen des Willens.
anderer Mechanismus gehört als zur Hervorbringung einer Hemmung, weshalb auch das Gefühl der Willensanstrengung in beiden Fällen nicht das gleiche sein kann. Auf den inneren Kampf folgt oft ein sehr starkes Gefühl der Ermüdung.
Obschon man über das Wesen und die Ursachen
des Müdewerdens noch ziemlich im Unklaren ist, so nimmt man doch im allgemeinen an, dass selbst bei der Muskelanstrengung der Sitz der Ermüdung nicht in den Muskeln, sondern in den Nervenzentren zu suchen ist, von denen der Befehl zur Zusammenziehung ausgeht, dass also nicht eine muskuläre, sondern eine nervöse Erschöpfung eintritt.
Man bemerkt j a auch bei reflek-
torischen Zusammenziehungen keine Ermüdung.
Bei hysterischen
Individuen finden Kontrakturen in fast endloser Aufeinanderfolge statt, ohne dass die Kranken das geringste Gefühl von Ermüdung spüren; das eigentlich Ermüdende ist die Willensanstrengung und nicht die Verkürzung des Muskels 1 ). Obschon wir also in Wahrheit über die Sache noch nichts Bestimmtes wissen, haben wir doch auch keinen Grund, in der Willensanstrengung
etwas
Stehendes zu erblicken.
Aussergewöhnliches,
für
sich allein
In allen den Fällen, wo eine solche An-
strengung stattfinden soll, fragt es sich, ob die Nervenelemente fähig sind, während einer gegebenen Zeit eine Mehrarbeit zu leisten, oder ob sie infolge ihrer natürlichen Beschaffenheit oder auch aus Mangel an Erziehung und Uebung einer schnellen Erschöpfung anheimfallen und nicht im stände sein werden, neue Kräfte zu erwerben, oder mit anderen Worten, es fragt sich, ob in ihnen eine hinreichende, verfügbare Kraftmenge aufgespeichert liegt oder nicht.
Hierin gipfelt das Problem der Aktion in der
Richtung des grössten Widerstandes. Was in dem Gefühl der Willensanstrengung zum Ausdruck kommt, ist also diese verborgene und fast unbekannte Arbeit, und ') Riebet, Physiologie des nerfs et des muscles, p. 477—490. — Delboeuf, Etüde psychopbysique, p. 92ff. in den Elements de psychophysique, 1. Band.
Schwäche oder Fehlen des Antriebes.
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das Gefühl der Anstrengung in allen seinen Formen ist ein subjektiver Zustand, der gewissen in den Nervenzentren und anderen Teilen des Organismus stattfindenden Vorgängen entspricht, wobei jedoch zu beachten ist, dass diese Vorgänge ihm ebensowenig gleichen, als die Schall- und Lichtempfindungen Aehnlichkeit mit ihren objektiven Ursachen haben. Soll ein Individuum die Fähigkeit besitzen, grosse Muskelanstrengungen auszuhalten, so müssen die den Muskeln zugeordneten Nervenzentren bei ihm im stände sein, eine bedeutende langandauernde Arbeit zu leisten, was wiederum von ihrer Beschaffenheit und von der Geschwindigkeit abhängt, mit welcher sie Kraftverluste ersetzen. Ebenso kann eine grosse moralische oder intellektuelle Anstrengung nur dann stattfinden, wenn die dabei in Frage kommenden angepassten Nervenzentren (über die wir, beiläufig gesagt, so gut wie gar nichts wissen) nicht sofort und auf die Dauer erschöpft werden, sondern fähig sind, eine intensive, wiederholt einsetzende Arbeit zu leisten. Die Fähigkeit, Anstrengungen auszuhalten ist demnach schliesslich eine Gabe der Natur. Um unsere Auseinandersetzungen noch durch ein konkretes Beispiel anschaulicher zu machen, wollen wir einen gewöhnlichen lasterhaften Menschen ins Auge fassen. Hat ein solcher, wie wir einmal der Theorie wegen annehmen wollen, niemals in seinem Leben aus sich selbst heraus oder unter der Einwirkung anderer einen Trieb zur Besserung verspürt, so rührt dies daher, dass bei ihm die moralischen Elemente mit den entsprechenden physiologischen Vorbedingungen überhaupt ganz und gar fehlen. Steigt aber in ihm unter irgend welchen Umständen einmal der Gedanke auf, dass er sich zu bessern habe, so ist dieses Ereignis zwar ein unwillkürliches, es setzt aber voraus, dass er vorher gewisse psychophysiologische Elemente in sich besessen hat, die nunmehr in Thätigkeit treten. Und wird dann jenes Ziel gewählt, gutgeheissen oder gewollt, hält aber der Entschluss nicht an, so liegt der Grund darin, dass der betreffende Mensch zu einer Anstren-
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I. Kap. Die Schwächungen des Willens.
gung unfähig ist, weil er nicht über die erforderliche Kraftmenge zu der oben beschriebenen wiederholt einsetzenden Arbeit verfügt; führt der Entschluss dagegen zu einem dauernden Streben, so kommt dies daher, dass er durch eine kräftige Anstrengung unterstützt wird, d. h. durch die innere Arbeit, welche die Hemmung der entgegengesetzten Zustände zu Wege bringt. Jedes Organ entwickelt sich durch üebung, und so ist es auch hier: nach jeder Wiederholung geht die Arbeit leichter von statten. Ist aber von vornherein nicht wenigstens ein erstes Grundelement mit einem gewissen Quantum potentieller Energie gegeben, so ist jede Hoffnung auf Erfolg aussichtslos. Das theologische Dogma von der Gnade, welches diese als ein ohne eigenes Verdienst verliehenes Geschenk hinstellt, scheint uns auf einer viel richtigeren psychologischen Beobachtung zu beruhen als die gegenteiligen Ansichten. Es lässt sich dieses Dogma, wie man sieht, leicht in einen physiologischen Lehrsatz umwandeln'). In den pathologischen Fällen, mit denen wir uns beschäftigt haben, würde das Leiden nach dem Gesagten in einer Unfähigkeit zur Anstrengung bestehen, die zwar nur zeitweilig und gelegentlich auftritt, sich aber dann fast über die ganze Organisation erstreckt. ') Man findet die Gnadenlehre schon bei den Hindus, besonders in der Bhagavad-Gitä, XI. 53. Vgl. Barth, Les religions de 1' Inde, p. 48 und 136.
IL Kapitel. Die Schwächungen des Willens. B. Zu grosse Stärke des Antriebes. 1. Bisher haben wir Fälle besprochen, in denen die intellektuelle Anpassung, d. h. das Korrespondenzverhältnis des intelligenten Wesens zu seiner Umgebung, normal war, während der Trieb zum Handeln entweder ganz fehlte oder wegen zu grosser Schwäche nicht ausreichte; physiologisch ausgedrückt bedeutet dies, dass in den betreffenden Fällen die Aktionen des Gehirns, auf welchen die Aktionen des Verstandes, wie z. B. die Erfassung eines Endzieles und der dazu führenden Mittel, die Wahl, u. s. w., beruhen, ungestört waren, dass sie aber nicht von jenen Zuständen begleitet wurden, welche die physiologischen Aequivalente der Gemütsbewegungen sind, und deren Abwesenheit das Eintreten der Handlung verhindert. Die Fälle, zu denen wir nunmehr kommen, stehen hierzu in einem gewissen Gegensatze. Die intellektuelle Anpassung ist bei ihnen sehr wenig fortgeschritten, jedenfalls äusserst unbeständig. Durch vernünftige Beweggründe wird das Handeln weder veranlasst noch gehemmt, und je mehr die höheren Triebe an Intensität verlieren, um so unwiderstehlicher werden die Triebe niederer Art. Der Wille, d. h. die vernunftmässige Thätigkeit,
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II. Kap. Die Schwächungen des Willens.
verschwindet, und das Individuum gerät wieder unter die Herrschaft der Instinkte. Wir erhalten so die besten Beweise dafür dass der Wille im strengsten Sinne des Wortes das letzte krönende Endziel einer Entwicklung und das Ergebnis des Zusammenwirkens einer grossen Zahl von Bestrebungen ist, die untereinander in ein Verhältnis der Ueber- und Unterordnung treten; wir sehen, dass man ihn als die vollkommenste Spezies des Gattungsbegriffes Thätigkeit bezeichnen kann. Dementsprechend liesse sich die min folgende Untersuchung auch überschreiben: Die allmähliche Schwächung und der schliessliche Untergang des Willens. Die beobachteten Thatsachen, welche dabei in Frage kommen, sind doppelter Art. Einmal sind es Fälle, welche deshalb, weil sie nicht zum Bewusstsein gelangen (und selbst dann, wenn sie es thun) mehr auf eine völlige Abwesenheit als auf eine Schwächung des Willens schliessen lassen. Andererseits sind es Vorgänge, die bei vollem Bewusstein stattfinden, bei denen der Wille aber nach längerem oder kürzerem Kampfe unterliegt oder nur mit fremder Hülfe zu Erfolgen gelangt. a. Bei den Fällen der ersten Art „kann der Antrieb plötzlich und unbewusst sein, er kann die Handlung sofort nach sich ziehen, ohne dass der Verstand auch nur Zeit hat, davon Kenntnis zu nehmen. — Der Akt hat dann alle Kennzeichen eines reinen Reflexvorganges, der ohne irgend ein Dazuthun des Willens nach den Gesetzen der blinden Notwendigkeit verläuft; es ist eigentlich nichts weiter als eine Konvulsion, welche sich von den gewöhnlichen Konvulsionen nur dadurch unterscheidet, dass sie aus Bewegungen besteht, die im Hinblick auf ein gewisses Endziel assoziiert und kombiniert sind. So ist es z. B. bei einer Frau, von der uns Foville erzählt 1 ). Dieselbe sass in einem aussergewöhnlichen Zustand unbegründeter Traurigkeit auf einer Gartenbank. Plötzlich erhob sie sich und sprang, anscheinend um sich das Leben zu nehmen, in einen nahen Wassergraben. Sie wurde ') Nouveau dictionnaire de médecine, Art. Folie, p. 342.
Zu grosse Stärke des Antriebes.
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gerettet, und erlangte ihre volle Geistesklarheit wieder. Nach einigen Tagen erklärte sie dann, sie sei sich durchaus nicht bewusst, selbstmörderische Absichten gehabt zu haben, und besinne sich überhaupt gärnicht auf ihre That." Bei Epileptikern kommen Antriebe dieser Art überaus häufig vor, und auch bei hysterischen Frauen sind sie etwas ganz Gewöhnliches; derartige Personen haben einen unwiderstehlichen Drang nach sofortiger Befriedigung ihrer Launen oder Bedürfnisse. Andere Antriebe haben weniger bedenkliche Folgen, müssen aber als Symptome desselben seelischen Zustandes angesehen werden. „Gewisse Kranke leiden an einer so grossen Ueberreizung der Bewegungskräfte, dass sie wie aufgezogene Automaten stundenlang umherwandern, ohne stehen zu bleiben und ohne sich umzuschauen." — Billod berichtet uns von einer Marquise von feiner Geistesbildung, „die häufig mitten im Verlaufe einer Unterhaltung einen Satz abbrach, um irgend jemanden in der Gesellschaft durch eine ungebührliche oder geradezu obszöne Benennung zu verunglimpfen. Während sie das betreffende Wort aussprach, errötete sie, und ihr Gesicht nahm einen bestürzten und verwirrten Ausdruck an; das Wort selbst wurde ruckweise von ihr hervorgestossen: es entfuhr ihr wie ein Pfeil, der gegen die Absicht von der Sehne schnellt. Eine andere Frau, welche früher hysterisch gewesen war, dabei aber einen sehr regen und klaren Verstand besass, empfand zeitweilig das Bedürfnis, an irgend einem abgelegenen Orte laute Schmähreden auszustossen, insbesondere drängte es sie, allerlei Beschwerden und Beschuldigungen gegen ihre Familie zum Ausdruck zu bringen. Sie wusste sehr gut, dass sie unrecht daran that, gewisse Geheimnisse laut auszusprechen, wie sie aber wiederholt versicherte, m u s s t e sie einfach reden und ihrem Grolle Luft machen')". Dieser letzte Fall bringt uns zu dem Kapitel der unwiderstehlichen mit Bewusstsein verknüpften Antriebe. Die bisher be») Billod, a. a. 0. 193 ff.
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II. Kap. Die Schwächungen des Willens.
handelten Fälle, denen wir noch zahlreiche ähnliche an die Seite stellen könnten, zeigen uns das Individuum auf der untersten Stufe der Thätigkeit, nämlich auf der der reinen Reflexe. Die Handlungen sind unbewusst (jedenfalls nicht überlegt), sie werden sofort und ohne jedes Gegenstreben ausgeführt, ihre Anpassung ist unveränderlich und wenig kompliziert. Physiologisch und psychologisch ist das menschliche Wesen unter diesen Umständen einem enthaupteten oder doch wenigstens einem seiner Grosshirnlappen beraubten Tiere vergleichbar. Wie man allgemein annimmt, beruht das Vermögen des Gehirnes, die Reflexe zu beherrschen, auf folgenden Verhältnissen: Ein von irgend einem Punkte des Körpers ausgehender Reiz verteilt sich nach seinem Eintritt ins Mark auf zwei Leitungsbahnen: zu dem Reflexzentrum gelangt er auf querem, zu dem Gehirn auf longitudinalem, aufsteigendem Wege. Nun setzt aber, wie Rosenthal's Versuche erwiesen haben, die quere Leitungsbahn der Uebermittelung des Reizes einen grösseren Widerstand entgegen als die longitudinale, sodass derselbe viel schneller ins Gehirn als in das Reflexzentrum gelangt. Das Gehirn wird dadurch in den stand gesetzt, noch rechtzeitig seine hemmende Thätigkeit zu entfalten und die Reflexe zu regulieren. Wenn aber, wie in den oben besprochenen Fällen, das Gehirn garnicht oder nur sehr wenig in Bewegung gesetzt wird, so kann wegen des Fehlens der notwendigen und zureichenden Voraussetzungen ein Willensakt überhaupt nicht stattfinden. b. Die Fälle der zweiten Kategorie verdienen eine eingehendere Betrachtung. Sie zeigen uns, wie der Wille zu Grunde geht, oder wie er bisweilen durch künstliche Mittel erhalten werden kann. Die betreffenden Kranken sind sich ihrer Lage voll bewusst. Sie fühlen, dass sie nicht mehr Herren ihrer selbst sind, und dass sie von einer inneren Macht beherrscht werden, welche sie mit unwiderstehlicher Gewalt dazu treibt, Handlungen zu begehen, die sie selbst missbilligen. Ihre Intelligenz ist hinlänglich gesund, nur in ihrem Handeln tritt ein Delirium zu Tage. Die einfachste Form dieses krankhaften Zustandes sind die
Zu grosse Stärke des Antriebes.
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fixen Ideen, von welchen die Patienten fortwährend beherrscht werden. Mancher kann sich nicht von der Sucht befreien, unaufhörlich alles, was er sieht oder angreift, alle gelesenen oder gehörten Worte, ja alle Buchstaben der Bücher, mit denen er zu thun hat, zu zählen. Er ist sich der Sinnlosigkeit seiner Arbeit wohl bewusst, und doch kann er nicht anders, er m u s s zählen. (Arithmomanie.) Manchen anderen plagt unausgesetzt das Verlangen, auf der Strasse oder auf Reisen die Namen aller ihm unbekannten Personen kennen zu lernen. Er versucht vergebens, sich von dieser kindischen Neugier zu befreien; er kann nicht anders, er m u s s die Namen wissen. (Charcot's und Magnan's Onomatomanie.) Immerhin haben solche und ähnliche Suchten noch ein Gutes. Da sie aus intellektuellen Zuständen (d. h. also aus reinen Ideen) und nicht aus affektiven Zuständen (Bedürfnissen oder Gemütsbewegungen) entspringen, so ist ihre Befriedigung nicht mit Gefahren verknüpft. Alles, selbst die Ausführung, trägt einen theoretischen, spekulativen Charakter. Anders ist es bei den unwiderstehlichen Trieben, die aus affektiven Zuständen, aus Bedürfnissen und Instinkten, hervorgehen. Wir wollen auch für diese einige Beispiele zitieren, und zwar aus einem heute etwas in Vergessenheit geratenen Buche von Marc ! ), das ein reiches, von späteren Schriftstellern oft benutztes Material enthält. An erster Stelle sei eine Dame erwähnt, die zeitweilig von Mordgelüsten geplagt wurde. Dieselbe verlangte jedesmal, wenn sie eine solche Anwandlung verspürte, von selbst, in eine Zwangsjacke gesteckt zu werden, und gab dann auch selbst den Zeitpunkt a n , wo die Gefahr vorüber war, sodass sie sich wieder ohne Schaden frei bewegen konnte. — Anders half sich ein Chemiker, der sich in dem gleichen Falle befand. Er liess sich vor jedem Anfalle beide Daumen mit einem Bande aneinanderfesseln ') De la folie considérée dans ses rapports avec les questions médico-judiciaires, 2 Bde. Paris 1840. T h . Ri b o t , Der Wille.
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IT. Kap. Die Schwächungen des Willens.
und fand in diesem einfachen Hindernis ein Mittel zum Widerstände gegen die Versuchung. — Eine Dienstmagd, die sich tadellos führte, konnte ein ihrer Pflege anvertrautes Kind nicht nackt sehen, ohne von einem wahnwitzigen Verlangen ergriffen zu werden, dem kleinen Wesen den Leib aufzureissen; schliesslich musste sie deshalb um ihre Entlassung nachsuchen. Eine andere Frau von hoher Geistesbildung „fing manchmal plötzlich an, ihre von ihr wirklich geliebten Angehörigen ganz gegen den eigenen Willen zu schlagen, und bat dann immer, man möchte ihr zu Hülfe kommen und sie auf einen Stuhl niederdrücken". Guislain erzählt uns von einem Schwermütigen, der von Selbstmordgedanken geplagt wurde, nachts aufstand, an die Thür seines Vaters klopfte und diesem zuschrie: „Komm schnell! Der Selbstmord verfolgt mich, ich kann ihm nicht mehr widerstehen 1 )." Ferner berichtet uns Calmeil in seiner Abhandlung über die Entzündungskrankheiten des Gehirns 2 ) folgenden von ihm selbst erlebten Fall, der hier in aller Ausführlichkeit wiedergegeben werden soll, weil er die Besprechung von vielen anderen Fällen überflüssig macht. „Ein gewisser Glénadel, der schon als Kind seinen Vater verloren hatte, wurde von seiner ihn abgöttisch liebenden Mutter erzogen. Bis zum sechzehnten Jahre war er verständig und fügsam; mit einem Male aber veränderte sich sein Charakter: er wurde finster und verschlossen, und auf die dringenden Fragen seiner Mutter hin verstand er sich endlich zu folgendem Bekenntnis: „„Mutter"", sagte er, „„ich verdanke dir alles, was ich bin und was ich habe, und ich liebe dich von ganzer Seele. Und doch treibt mich seit einigen Tages ein nimmer ruhender Drang, dich zu töten. Du musst es verhüten, dass ich schliesslich unterliege, und dass ein solches Unglück geschieht. Lass mich Soldat werden!"" _— Trotz flehentlicher Bitten blieb er unerschütterlich bei ») a. a. 0. I, 479. 2 ) Traité des maladies inflammatoires du cerveau.
Zu grosse Stärke des Antriebes.
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seinem Entschlüsse, er verliess die Heimat und wurde ein brauchbarer Soldat. Aber immer noch trieb ihn ein geheimer Wille unaufhörlich dazu an, zu desertieren und seine Mutter zu töten. Am Ende seiner Dienstzeit beherrschte ihn dieser Gedanke noch ebenso mächtig wie bei seinem Eintritte. Er ging deshalb ein neues Dienstverhältnis ein. Der Mordtrieb dauerte fort, aber mit einem Male wählte er sich ein anderes Ziel. Glenadel dachte jetzt nicht mehr daran, seine Mutter zu töten, sondern Tag und Nacht quälte ihn fortan der entsetzliche Drang, seine Schwägerin ums Leben zu bringen. Der Arme beschloss infolgedessen, nie wieder in seine Heimat zurückzukehren. „Um diese Zeit kam ein Landsmann zu seinem Regimente. Glenadel vertraute ihm seinen Kummer an und erhielt darauf die tröstliche Antwort, dass das Verbrechen durch den kürzlich erfolgten Tod der Schwägerin auf immer unmöglich gemacht worden sei. F r o h , wie ein befreiter Gefangener, sprang Glenadel auf, bat um Urlaub und reiste sofort in die Heimat, die er seit seiner Jugend nicht wiedergesehen hatte. Wer beschreibt aber sein Entsetzen, als er dort erfuhr, die Schwägerin sei garnicht gestorben! Er stiess einen Schrei aus, und aufs neue erfasste ihn der alte Trieb mit ganzer Gewalt. Noch am Abend liess er sich von seinem Bruder festbinden. „„Nimm einen starken Strick*" 1 , sagte er zu ihm, „„binde mich fest an wie einen Wolf in der Scheuer und schicke zu Herrn Calmeil!"" Calmeil erwirkte ihm auf seine Bitten die Aufnahme in ein Irrenhaus. Am Abend vor der Uebersiedelung schrieb Glenadel an den Direktor der Anstalt: „„Geehrter Herr! Ich bin im Begriff, in Ihr Haus überzusiedeln. Ich werde mich dort ebenso gut aufführen wie bei meinem Regimente. Man wird mich für geheilt halten, und bisweilen werde ich vielleicht selbst diesen Schein zu erwecken suchen. Glauben Sie mir niemals! Sollte ich den W r unsch aussprechen, freigelassen zu werden, so verdoppeln Sie, bitte, Ihre Wachsamkeit! Ich würde die Freiheit lediglich zur Ausführung eines Verbrechens missbrauchen, an das ich nur mit Schaudern denken k a n n . " " 5*
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II- Kap. Die Schwächungen des Willens.
Man glaube ja nicht, dass dieses Beispiel vereinzelt dasteht oder auch nur zu den seltenen Vorkommnissen gehört. Denn wiederholt erzählen die Irrenärzte, dass Individuen, gequält von dem Triebe, geliebte Personen zu ermorden, eine Zufluchtsstätte in Irrenhäusern suchen und selbst um ihre Festnahme bitten. Die unwiderstehlichen, dabei aber zum Bewusstsein gelangenden Antriebe zum Diebstahl, zur Brandstiftung oder zur Zerrüttung des eigenen Körpers durch übermässigen Genuss von Alkohol gehören in dieselbe Kategorie'). Maudsley hat in seinem Buch über die Pathologie der Seele s ) eine so reichhaltige Sammlung von Belegfällen gegeben, dass wir den Leser wohl am besten auf seine Ausführungen verweisen. Alle diese verhängnisvollen Tendenzen, die man in verschiedene Klassen einordnet und speziell als Dipsomanie (Trunksucht), Kleptomanie (Diebstahlstrieb), Pyromanie (Trieb zur Brandstiftung), Erotomanie (Liebeswahnsinn), Mordmanie und Selbstmordmanie (monomanie homicide et suicide) bezeichnet, werden heute nicht mehr als verschiedene Krankheitsformen, sondern nur als Symptome einer und derselben Erkrankung angesehen, und zwar ist diese Erkrankung die Degenereszenz oder Entartung, d. h. das Aufhören der psychischen Stabilität und Koordination. Nichts ist häufiger als die Umwandlung eines krankhaften Triebes in einen anderen: die Mordmanie kann z. B. zur Selbstmordmanie werden, und umgekehrt. In einem sehr lehrreichen von Morel mitgeteilten Falle 3 ) wird ein Entarteter abwechselnd zum Selbstmorde, zur Ermordung anderer, zu geschlechtlichen Ausschweifungen', zum Alkoholismus und zu Brandstiftungsversuchen getrieben. Es wäre für die Psychologie interessant, wenn festgestellt werden könnte, warum die eine Ursache sich in so verschiedenen Wirkungen äussert, hier auf die eine und dort auf die ') Vgl. Trelat, Folie lucide; und Maudsley: Die Zurechnungsfähigkeit der Geisteskranken, übs. v. Rosenthal, bes. Kap. V. 2 ) The Pathology of Mind, London 1879, Kap. VII., p. 312ff. 3 ) Maladies mentales, p. 420.
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andere Weise: warum der Epileptiker besonders zur Kleptomanie neigt, der Blödsinnige zur Brandstiftung, u. s. w. Wie es scheint, liegt der letzte Grund solcher Verschiedenheiten in der Idiosynkrasie des betreffenden Entarteten, also in seiner physischen und geistigen Konstitution 1 ). Wie die Frage schliesslich einmal gelöst werden wird, interessiert uns hier aber weniger. Es genügt zu konstatieren, dass alle diese Triebe die gleichen Merkmale haben: sie sind bewusst, nicht koordiniert, und erzeugen keine Gegenbestrebungen. 2. Es muss bemerkt werden, dass der Uebergang vom gesunden Zustande zu jenen Krankheitsformen ein fast unmerklicher ist. Die vernünftigsten Menschen spüren in sich gelegentlich wahnwitzige Triebe. Nur bleiben bei ihnen derartige plötzliche und ungewohnte Bewusstseinszustände ohne Wirkung: sie führen nicht zu Handlungen, weil sie von entgegenwirkenden Kräften, die in der allgemeinen Gewöhnung des Geistes wurzeln, unterdrückt werden. Das Missverhältnis zwischen dem einen vereinzelten Bewusstseinszustände und den antagonistischen Zuständen ist so gross, dass nicht einmal ein Kampf zwischen den beiden Parteien entsteht. In anderen Fällen, denen man gewöhnlich wenig Bedeutung beimisst, begehen Personen wunderliche Akte, „die an sich jedoch nichts Tadelnswertes oder Gefährliches haben; solche Akte können, wenn sie sich wiederholen, eine Art sonderbarer Gewohnheit, eine Marotte oder auch eine Art „„Manie"" (im gewöhnlichen Sinne des Wortes) bilden. „In wieder anderen Fällen sind die Akte schon bedenklicher, obschon sie auch da noch nicht gerade kompromittierend genannt werden können: sie bestehen im sinnlosen Schlagen unbelebter Gegenstände, im Zerreissen der Kleider, oder in anderweitigem *) Vgl. Schule, Handbuch der Geisteskrankheiten, p. 69.
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II. Kap. Die Schwächungen des Willens.
Zerstören. Wir beobachten gerade jetzt eine junge Frau, die alle ihre Kleider aufisst. Von einem Kunstliebhaber erzählt man, dass er in einem Museum beim Betrachten eines wertvollen Gemäldes den instinktiven Trieb in sich fühlte, die Leinwand einzustossen. Sehr oft bleiben derartige Antriebe ganz das Geheimnis dessen, der sie empfindet 1 )." Manche seltsame oder geradezu unvernünftige fixe Ideen drängen sich dem Geiste mit solcher Gewalt auf, dass er sie nicht hindern kann zu Handlungen zu werden, obwohl er deutlich einsieht, wie sinnlos sie sind. Man findet über diesen Punkt interessante Mitteilungen in einer Arbeit von Westphal „Ueber Zwangsvorstellungen" 2 ). So wird z. B. ein Mann von der Idee verfolgt, er könnte einmal auf ein Stück Papier schreiben, dass er irgend ein Verbrechen begangen habe, und könnte dieses Papier dann verlieren. Er verwahrt infolgedessen alle Papiere, die ihm in den Weg kommen, auf das sorgfältigste, hebt sogar einzelne Schnitzel von der Strasse auf, überzeugt sich, dass sie nichts Geschriebenes enthalten, und nimmt sie schliesslich mit nach Hause, um sie einer Sammlung einzuverleiben. Er ist sich der Ungereimtheit dieser ihn unausgesetzt quälenden Idee klar bewusst, und doch besitzt er nicht die Kraft, sich davon frei zu machen 3 ). Zwischen den kindischsten und den gefährlichsten Akten steht nur ein quantitativer Unterschied: was bei den einen verkleinerte^ Maassstabe erscheint, zeigt sich bei den anderen der Vergrösserung. Wir wollen nun versuchen, uns klar
bein in zu
') Foville, a. a. 0. p. 341. > Berlin 1877. 3 ) In gewissen Fällen werden Personen durch die heftige Furcht vor einer Handlung gerade zu der betreffenden Handlung getrieben. So bewirkt z. B. das Gefühl des Schwindels, dass manche Menschen sich aus dem Fenster stürzen, weil sie fürchten, hinauszufallen; andere verletzen sich aus purer Angst vor der Verletzung, u. s. w. Alles dies erklärt sich dadurch, dass die geistige Vorstellung infolge ihrer übergrossen Lebhaftigkeit schliesslich unaufhaltsam zur Handlung wird. 2
Zu grosse Stärke des Antriebes.
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machen, auf welche Weise die Zerrüttung des Willens von statten geht. Im normalen Zustande wird von dem Individuum ein Endziel gewählt, gutgeheissen und schliesslich erreicht; d. h. alle oder doch die meisten Elemente seines Ichs arbeiten auf diesen einen Punkt hin; die Bewusstseinszustände (also die Vorstellungen und Gemiitsregungen mit ihren motorischen Tendenzen) und die Bewegungen der Gliedmaassen bilden einen Consensus, der mit mehr oder weniger Anstrengung und vermöge eines komplizierten Mechanismus von Antrieben und Hemmungen nach dem betreffenden Ziele hin konvergiert. So zeigt sich der Wille in seiner vollendeten, typischen Form; er erlangt aber diese Ausbildung nicht durch das blosse Walten der Natur, sondern bedarf dazu der Kunst, der Erziehung und der Erfahrung. Man kann ihn mit einem langsam und allmählich emporwachsenden Gebäude vergleichen. Sowohl die objektive als auch die subjektive Beobachtung lehrt, dass jede Form der Willensthätigkeit die Frucht einer Eroberung ist. Die Natur liefert nur die Materialien, nämlich einige einfache Bewegungen physiologischer Art und einige einfache psychische Assoziationen. Mit Hülfe dieser einfachen und fast unveränderlichen Anpassungen müssen nach und nach immer kompliziertere und wandlungsfähigere Anpassungen hergestellt werden. Das Kind hat zunächst die Aufgabe, sich durch fortwährendes Tasten und Versuchen die Herrschaft über die beweglichen Teile seines Körpers, vornehmlich über die Arme und Beine, zu erwerben, indem es die geeigneten Bewegungen kombiniert und die überflüssigen unterdrückt. Später müssen die so ausgebildeten einfachen Bewegungsgruppen weiter zu komplizierteren Gruppen vereinigt werden, diese wieder zu noch komplizierteren Gruppen, und so fort. Auch auf psychischem Gebiete ist ein derartiges Verfahren erforderlich. Nichts Kompliziertes lässt sich gleich auf einmal erwerben. Wie man leicht begreift, können bei einem so allmählich entstandenen Gebäude nur die zu allererst eingefügten Materialien
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II. Kap. Die Schwächungen des Willens.
wirklich stabil sein. Je komplizierter die Neuerwerbungen sind, um so geringer wird ihre Beständigkeit. Die einfachsten Handlungen sind die stabilsten, einerseits aus anatomischen Gründen, weil sie angeboren und dem Organismus fest eingeprägt (also wie man zu sagen pflegt, in Fleisch und Blut übergegangen) sind, und andererseits aus physiologischen Gründen, weil sie in dem routinemässigen Alltagsleben des Individuums fortwährend wiederkehren, und — wenn man die Erblichkeit mit hereinziehen will, welche hier einen Ausblick in weite Fernen eröffnet — auch deshalb, weil sie sich schon seit unendlichen Zeiten in dem gewöhnlichen Leben der Gattung und der Art immer aufs neue wiederholt haben 1 ). Es muss nach alledem schliesslich überraschen, dass eine so komplizierte und hochentwickelte Thätigkeit wie der Wille überhaupt jemals eine dominierende Bedeutung erlangen kann. Die Ursachen, welche ihm zu dieser Machtstellung verhelfen und ihn darin erhalten, sind dieselben, welche beim Menschen die Intelligenz über die Empfindungen und die Instinkte erheben; die Herrschaft des Willens ist auch, wie eine Betrachtung der Menschheit im grossen und ganzen lehrt, ebenso unsicher wie die der Intelligenz. Wenn bei den zivilisierten Völkern die Verstandes') Da das Vermögen zu wollen darauf beruht, dass gewisse Gruppen von Bewegungen gewissen Gruppen von Bewusstseinszuständen gehorchen, so kann man hier als pathologischen Fall folgende von Meschede 1874 im Correspondenzblatt mitgeteilte Beobachtung anführen. „Ein Mann befand sich in der unangenehmen Lage, dass er oder vielmehr seine Muskeln jedesmal dann, wenn er etwas aus eigenem Antriebe oder auf fremden Befehl hin thun wollte, gerade das Gegentheil davon ausführten. Wollte er nach rechts sehen, so wandten sich seine Augen nach links, und auch bei allen anderen Bewegungen trat dieselbe Anomalie zu Tage. Es war einfach eine umgekehrte Direktion der Bewegungen ohne irgend welche geistige Störung; von den unwillkürlichen Bewegungen unterschied dieselbe sich dadurch, dass sie immer nur dann erfolgte, wenn der Patient es wollte."
Zu grosse Stärke des Antriebes.
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thätigkeit trotz der zahlreichen Hindernisse schliesslich oft die Oberhand behält, so erklärt sich dies aus der grossen Entwicklung der Gehirnmasse bei den betreffenden Rassen und aus dem Einfluss der Erziehung sowie der durch dieselbe herbeigeführten Gewöhnung. Die oben mitgeteilten pathologischen Thatsachen erweisen zur Genüge, dass der Wille nicht eine mit angeborenem Rechte herrschende (wenn auch bisweilen auf Ungehorsam stossende) Wesenheit ist, sondern dass wir in ihm eine niemals beständige, stets der Zerlegung in ihre Teilkräfte ausgesetzte Resultante, in Wahrheit also das Werk eines glücklichen Zufalles zu erblicken haben. Es lehren uns jene Krankheitsfälle, denen sich noch zahlreiche andere an die Seite stellen Hessen, einen Zustand kennen, den man mit gleichem Rechte als eine „Zerrenkung" des Willens oder als eine Rückschrittsform der Thätigkeit bezeichnen kann. Fassen wir die Fälle ins Auge, bei denen unwiderstehliche Antriebe bei vollem Bewusstsein zu konstatieren waren, so sehen wir, dass dort jene gegenseitige Ueber- und Unterordnung der Tendenzen, welche das eigentliche Wesen des Willens bildet, eine Spaltung in zwei Teile erlitten
hat: an die Stelle der inneren
Uebereinstimmung (des Consensus), der ersten Voraussetzung jedes Wollens, ist ein Kampf zwischen zwei Gruppen von antagonistischen und beinahe gleich starken Tendenzen getreten,
so dass
man thatsächlich also von einer „Zerrenkung" des Willens reden kann1). ') Wenn hier der Ort dazu wäre, könnten wir bei dieser Gelegenheit nachweisen, wie hinfällig und unsicher die Einheit des Ichs ist. Denn wer will sagen, ob bei solchen inneren Kämpfen das wahre Ich dasjenige ist, welches handeln will, oder das, von dem die Hemmung ausgeht? Entscheidet man sich nicht für eines von beiden, so muss man ein doppeltes Ich annehmen. Und giebt man dem einen den Vorzug, so muss man wieder zugestehen, dass die Gruppe, für welche man sich entschieden hat, das Ich höchstens mit dem Rechte vertreten kann, mit welchem in der Politik eine geringe mit Mühe erlangte Majorität den Staat vertritt. Doch lassen
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Kap. Die Schwächungen des Willens.
Wenn wir den Willen nicht mehr als ein von vornherein fertiges Ganzes, sondern als den Höhepunkt einer Entwicklung ansehen, so werden wir sagen müssen, dass in den oben geschilderten Krankheitsfällen die niederen Formen der Thätigkeit die Oberhand gewinnen, dass also die menschliche Thätigkeit dabei Rückschritte m a c h t Die Bezeichnung „niedere" ist übrigens durchaus nicht im moralischen Sinne zu nehmen. Es ist eine natürliche Inferiorität, denn eine Thätigkeit, die ganz darauf ausgeht, einer fixen Idee oder einem blinden Triebe zu genügen, muss beschränkter Art sein, weil sie nur dem gegenwärtigen Augenblicke und einer sehr kleinen Zahl von Umständen angepasst ist, während die vernunftmässige Thätigkeit über die Gegenwart hinausreicht und sich einer grossen Menge von Umständen anpasst. Man muss wohl sagen (allerdings im Gegensatz zu dem gewöhnlichen Sprachgebrauch), dass der Wille gerade so gut wie die Intelligenz seine Idioten und seine Genies hat, mit allen erdenklichen Uebergangsstufen von dem einen Extrem zu dem anderen. Es würden dann die bei der ersten Gruppe angeführten Fälle mit Antrieben ohne Bewusstsein den Idiotismus des Willens, oder noch besser den Blödsinn (dementia) desselben repräsentieren, und bei der zweiten Gruppe würden gewisse Fälle von Willensschwäche eine Vergleichung mit manchen intellektuellen Schwächen zulassen. Von der analytischen Betrachtung der beobachteten Thatsachen können wir uns nunmehr zur Erforschung ihrer Ursache wenden. Dabei fragt es sich zu allererst, ob die Zerrüttung des Willens durch das Vorherrschen der Reflexe bewirkt wird, oder ob sie zu dieser Erscheinung in einem ursächlichen Verhältnisse steht; mit anderen Worten, man hat festzustellen, ob die Schwächung des Willens das Primäre oder das Sekundäre ist. Eine allgemeine Antwort lässt sich auf diese Frage nicht geben. Die sich diese Fragen nicht so beiläufig erledigen, man vgl. darüber unsere Maladies de la personnalité.
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Zu grosse Stärke des Antriebes.
Beobachtung lehrt, dass Beides vorkommt, und man kann die Antwort deshalb nur speziell für einen bestimmten Fall geben, dessen einzelne Umstände genau bekannt sind.
Ohne Zweifel ist oft der
unwiderstehliche Antrieb, insofern derselbe einen dauernden pathologischen Zustand bildet, die Quelle des Uebels.
Wir haben es
dann mit einem psychischen Vorgange zu thun, der mit der Hypertrophie eines Organs oder mit der übermässigen Wucherung eines Gewebes in irgend einem Körperteile (z. B. bei Krebsgeschwüren) verglichen werden kann. Die Fälle, in denen die Willensthätigkeit unmittelbar, also nicht erst durch eine indirekte Rückwirkung, geschädigt worden ist, sind für uns die interessantesten.
Was in einem solchen
Falle geschehen ist: ob die Koordinationsfähigkeit oder das Hemmungsvermögen gelitten hat, oder ob sie beide zu Schaden gekommen sind, ist leider noch nicht aufgehellt, und bis jetzt sind über diesen Punkt nur Hypothesen möglich. Um wenigstens einige Klarheit zu gewinnen, wollen wir zwei neue Gruppen von Thatsachen ins Auge fassen: erstens die künstlichen und nur kurze Zeit dauernden Schwächungen durch den Genuss von Berauschungsmitteln,
und zweitens die chronischen
Schwächungen, welche durch eine Verletzung des Gehirnes verursacht werden. Bekanntlich Haschisch
bewirkt
die
auf
den
Genuss
von
Alkohol,
oder Opium folgende Trunkenheit zuerst eine über-
mässige Erregung, dann aber eine bemerkenswerte Schwächung des Willens.
Der Berauschte selbst wird sich dessen mehr oder
weniger bewusst; noch besser können es andere an ihm beobachten.
In einem weiteren, bald darauf folgenden Stadium wer-
den, besonders unter dem Einflüsse des Alkohols, die Antriebe wieder übermässig stark.
Zahllose Ungereimtheiten, Gewalttätig-
keiten, j a Verbrechen sind schon in diesemZustande begangen worden. Ueber die Art und Weise, in welcher der Rausch nach und nach den Körper durchzieht, hat man schon viel gestritten.
Im
allgemeinen wird angenommen, dass er beim Gehirn anfängt, um
II Kap. Die Schwächungen des Willens.
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dann auf das Rückenmark und das verlängerte Mark zu wirken und endlich noch den grossen Sympathikus zu ergreifen.
Es findet
dabei eine intellektuelle Abstumpfung statt, d. h. die Bewusstseinszustände werden immer unbestimmter und verlieren immer mehr ihre scharfe Abgrenzung und ihre Lebhaftigkeit: die ganze physiopsychische Thätigkeit des Gehirnes nimmt ab. Diese Schwächung erstreckt sich auch auf das Bewegungsvermögen.
Ober-
steiner hat durch Experimente nachgewiesen, dass man unter dem Einflüsse des Alkohols weniger schnell reagiert, obschon man selbst in dem betreffenden Zustande das Gegenteil zu bemerken glaubt Nicht nur das reine Vorstellungs- und Denkvermögen, auch die ideomotorische Thätigkeit hat gelitten.
sondern
Dabei geht die
Koordinationsfähigkeit entweder ganz verloren oder sie kommt nur noch in flüchtigen, schwachen Versuchen zum Ausdruck.
Da bei
der Koordination zweierlei in Frage kommt, nämlich erstens das Hinlenken gewisser Antriebe auf ein gemeinsames Ziel, und zweitens die Hemmung nutzloser oder entgegenstrebender Triebe, so muss man aus der übermässigen Steigerung und Heftigkeit der reflektorischen Bewegungen auf eine Läsion des Hemmungsvermögens schliessen (ganz abgesehen von der Natur und dem Mechanismus desselben), und es ergiebt sich somit, dass dieses Vermögen bei dem Zustandekommen und bei der Erhaltung der Willensthätigkeit eine ganz bedeutende Rolle spielt. Noch
weitere
Beobachtungsthatsachen
zur
Unterstützung
dieser Annahme verdanken wir der Gehirnpathologie.
Dieselben
sind noch überraschender, weil sie uns bei dem Individuum eine plötzliche Veränderung zeigen, die dann einen dauernden Zustand herbeiführt. ') Brain, January 1879. Es sind zahlreiche Versuche mit immer gleichen Ergebnissen über diesen Punkt angestellt worden. Man vgl. Exner in Pflüger's Archiv 1873, Dietl und Vintschgau (ebenda 1877) und eine wichtige Arbeit von Kraepelin, die im psychophysischen Laboratorium von Wundt entstanden und in den Philosophischen Studien p. 573 ff. veröffentlicht worden ist.
Zu grosse Stärke des Antriebes.
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Ferner und andere Schrifsteller führen z. B. Fälle an, in denen eine Verletzung der Stirnwindungen, besonders der ersten und der zweiten, einen fast vollständigen Verlust des Willens zur Folge hatte und das Individuum in jenen dem reinen Automatismus nahekommenden Zustand versinken liess, bei dem nur noch die instinktive Thätigkeit herrscht, ohne dass irgend eine Hemmung möglich wäre. So wurde z. B. ein Knabe mit einem Messer in der Stirnlappengegend des Gehirns verletzt. Siebzehn Jahre darauf erfreute er sich noch der besten Gesundheit, „aber er war unfähig, Beschäftigungen vorzunehmen, welche eine geistige Arbeit erforderten. Er war reizbar, besonders wenn er getrunken hatte oder in irgend eine ungewöhnliche Erregung geraten war." Ein Patient Lepine's, der einen Abszess am rechten Stirnlappen hatte, war in eine Art Stumpfsinn verfallen. „Er schien zwar das, was man zu ihm sagte, zu verstehen, aber nur mit Mühe konnte man ihn dazu bringen, ein Wort zu sprechen. Wurde es ihm befohlen, so setzte er sich; wenn man ihm aufhalf, konnte er dann ohne Beistand einige Schritte machen." Ein Mann, dem durch einen heftigen Schlag der grösste Teil der ersten und der zweiten Stirnwindung zerstört worden war, „hatte den Willen verloren. Er verstand Worte, die man an ihn richtete, und that, was man ihm anbefahl, aber in einer ganz automatischen und mechanischen Weise." So sind noch andere Fälle beschrieben worden, welche dem zuletzt angeführten ähneln. Die grösste Wichtigkeit für uns besitzt darunter der Fall des „amerikanischen Steinbrechers". Bei dem Springen einer Mine war dem betreffenden Manne eine Eisenstange durch den Schädel gefahren und hatte dabei die vordere Stirngegend verletzt. Der Patient wurde geheilt und lebte nach der unglücklichen Begebenheit noch 12'/ 2 Jahre. Ueber seinen geistigen Zustand nach der Genesung wird aber Folgendes berichtet. „Seine Arbeitsgeber, die ihn vor dem Unfälle als einen ihrer besten und geschicktesten Werkführer ansahen, fanden ihn so verändert, dass sie ihm seinen alten Posten nicht wieder an-
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II. Kap. Die Schwächungen des Willens.
vertrauen konnten. Das Gleichgewicht zwischen den intellektuellen Fähigkeiten und den instinktiven Neigungen schien bei ihm völlig verlorengegangen zu sein. Er war nervös, zeigte keine Ehrerbietung mehr und fluchte oft in der rohesten Weise, was ihm alles früher völlig fremd gewesen war. Kaum gegen seinesgleichen war er höflich. Widerspruch ertrug er sehr ungern, und auf Ratschläge, die seinen Ideen zuwiderliefen, hörte er überhaupt nicht. Es gab Augenblicke, in denen er eine ungemeine Halsstarrigkeit an den Tag legte, während er sonst gewöhnlich launenhaft und unentschlossen war. Oft machte er Zukunftspläne, die er gleich darauf wieder fallen liess, weil ihm neue Projekte eingefallen waren. Seine Intelligenz und seine intellektuellen Aeusserungen waren die eines Kindes, seine Leidenschaften und Instinkte die eines Mannes. Obschon er ohne Schulbildung aufgewachsen war, hatte er doch früher einen allseitig normal entwickelten Geist besessen und hatte als ein fähiger, scharfsinniger und bei der Ausführung seiner Pläne thatkräftiger und ausdauernder Mann gegolten. Alles dies war anders geworden, sodass ihn sogar seine Freunde kaum wiedererkannten')." Dieser Fall ist sehr deutlich. Er zeigt uns, wie das Schwächerwerden des Willens mit dem Zunehmen der niederen Thätigkeit gleichen Schritt hält. Dazu hat der Fall den Wert eines Experimentes, insofern es sich dabei um eine plötzliche Veränderung handelt, die durch einen Unfall unter ganz bestimmten Umständen herbeigeführt wird. ') Vgl. hierüber und über andere Fälle Ferrier, The Goulstonian Lectures on the Localisation of Cerebral Disease (Brit. med. Journal 1878) und Boyer, Études cliniques sur les lésions corticales des hémisphères cérébraux (1879), p. 48. 55. 56. 71. Bei der Hälfte der von ihm beschriebenen 23 Fälle von Geschwülsten, Verwundungen und Abszessen der Stirnlappen hat Allan Star als einzige Symptome die folgenden festgestellt: Veränderung des Charakters, Unfähigkeit zur Selbstbeherrschung und Verlust des Aufmerksamkeitsvermögens. Brain, Nr. 32, p. 570.
Zu grosse Stärke des Antriebes.
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Es ist zu bedauern, dass uns nicht noch eine grössere Anzahl derartiger Beobachtungen zu Gebote steht, denn es wäre damit viel für die Erklärung der Willenskrankheiten gewonnen. Leider beziehen sich die meisten der bisher erschienenen fleissigen Arbeiten über die Lokalisation der Gehirnfunktionen auf die motorischen und sensorischen Regionen, zu denen bekanntlich die Stirngegend nur zum kleinsten Teile gehört. Auch fehlt uns noch eine kritische Prüfung der gegenteiligen Fälle, in denen keine Schwächung des Willens stattgefunden zu haben scheint. Wenn diese Arbeit gemacht wäre, würde Ferrier's These, dass in den Stirnlappen Hemmungszentren für die intellektuellen Operationen existieren, mehr Halt gewinnen, und wir besässen damit eine feste Grundlage für die Ermittelung der Ursachen. Wie die Sache jetzt liegt, muss man sich damit begnügen, Vermutungen aufzustellen. Vergleichen wir die Abulie mit den unwiderstehlichen Antrieben, so finden wir, dass bei diesen beiden Krankheitsformen die mangelhafte Bethätigung des Willens ganz verschiedene Vorbedingungen hat. In dem ersten Falle ist die Intelligenz ganz unversehrt, es fehlt aber der Antrieb; im zweiten Falle fehlt das Koordinations- und das Hemmungsvermögen, weshalb die ganze Kraftsumme des Antriebes der automatischen Thätigkeit zu gute kommt.
in. Kapitel. Schwächungen der willkürlichen. Aufmerksamkeit. Wir kommen jetzt zu einer Kategorie von weniger auffallenden Willensschwächungen,
nämlich
willkürlichen Aufmerksamkeit.
zu den Schwächungen
der
Ihrem Wesen nach unterscheiden
dieselben sich nicht von den Willensschwächungen der zuletzt besprochenen Gruppe,
da sie wie diese in einer Schwächung des
Direktionsvermögens und der Anpassungsfähigkeit bestehen.
Sie
zeigen uns im strengsten und engsten Sinne des Wortes eine Verminderung des Willens, die selbst von solchen Psychologen, welche sich hartnäckig auf die innere Selbstbeobachtung
beschränken,
nicht bestritten werden kann. Ehe wir uns mit den hier in Frage kommenden
erworbe-
n e n Schwächezuständen beschäftigen, wollen wir die a n g e b o r e n e Schwäche der willkürlichen Aufmerksamkeit etwas näher betrachten.
Wir lassen dabei beschränkte
oder mittelmässige Geister,
bei denen Gefühle, Intelligenz und Wille den nämlichen Grad von Schwäche zeigen, ganz aus dem Spiel und fassen lieber einen mit hoher Intelligenz begabten Mann ins Auge, der im stände ist, lebhaft zu fühlen, dem aber die Direktionsfähigkeit fehlt, so dass bei ihm der Gegensatz zwischen Denken und Wollen scharf hervortritt.
Als Beispiel kann uns Coleridge dienen.
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Angeborene Schwäche der Aufmerksamkeit.
„Kein Mensch seiner Zeit," sagt Carpenter 1 ), „vielleicht überhaupt kein Mensch in irgend einer Zeit hat in höherem Grade als Coleridge scharfes philosophisches Denken mit dichterischer Phantasie und seherhafter Inspiration vereinigt. Niemand vielleicht hatr in der vorigen Generation einen tieferen Eindruck auf die mit den höchsten Spekulationen beschäftigten Geister hervorgebracht. Cnd doch giebt es vielleicht auch niemanden, der bei einer so hervorragenden Begabung mit seinem Pfunde so wenig gewuchert hat wie er, da eben der Grundfehler seines Charakters der war, dass er nicht den Willen besass, seine Anlagen nutzbar zu machen. Es ging dies so weit, dass er, obgleich ihm fortwährend zahlreiche und riesenhafte Pläne vor der Seele schwebten, niemals den ernstlichen Versuch gemacht hat, auch nur einen einzigen derselben zur Ausführung zu bringen. So fand er schon im Anfange seiner Laufbahn einen grossmütigen Verleger, der ihm dreissig Guineen für einige von ihm vorgetragene Gedichte anbot, unter der Bedingung, dass die volle Zahlung bei der Uebergabe des Manuskriptes erfolgen sollte. Obschon nun also eine einfache Niederschrift jener Gedichte genügt hätte, um das Geschäft zum Abschluss zu bringen, zog Coleridge es vor, sich von Woche zu Woche in der erniedrigendsten Weise die versprochene Summe zur Befriedigung seiner täglichen Bedürfnisse zu erbetteln, ohne auch nur eine einzige Zeile zu liefern. Die von ihm früher angenommene und nie ganz aufgegebene Gewohnheit, seine Nerven durch Reizmittel wie Alkohol oder Opium aufzuregen, schwächte seine Willenskraft noch mehr, so dass es schliesslich nötig wurde, ihn zu lenken und zu leiten wie ein Kind. Die Abfassung seines poetischen Bruchstückes Kubla Khan, über welche er in seiner Biographia literaria berichtet, lässt sich als ein typisches Beispiel für automatische Geistesarbeit anführen. Er war mit Lektüre beschäftigt und schlief darüber ein. Beim Erwachen fühlte er, dass er [im Anschluss an das Gelesene]2) ') Mental physiology, p. 266 ff. ) [Er schlief über folgender Stelle ein: — Here the K h a n
2
T h . R i b o t , Der Wille.
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ID. Kap. Schwächungen d. willkürl. Aufmerksamkeit.
nicht weniger als zwei- oder dreihundert Verse gedichtet hatte, welche er nur noch niederzuschreiben brauchte. Ohne dass er sich irgend einer Empfindung von Anstrengung bewusst geworden wäre, waren die Phantasiebilder wie Erscheinungen der Wirklichkeit vor seinem geistigen Auge aufgestiegen, und mit ihnen zugleich die zur Wiedergabe des Geschauten geeigneten sprachlichen Ausdrücke. Es umfasst dieses eigentümliche Bruchstück so, wie es uns vorliegt, im ganzen 54 Verse, welche Coleridge nach dem Erwachen in fliegender Eile niedergeschrieben hat. Als er so weit gekommen war, wurde er von einem Manne unterbrochen, der ihn in einer geschäftlichen Angelegenheit sprechen wollte und ungefähr eine Stunde bei ihm blieb. Dann wollte er wieder zu seiner Arbeit zurückkehren, machte aber zu seinem Staunen und Aerger die Entdeckung, dass er zwar noch eine unbestimmte, dunkle Erinnerung añ den allgemeinen Inhalt seiner Vision besass, dass aber alles Uebrige mit Ausnahme von acht oder zehn zusammenhangslosen Versen und Bildern auf Nimmerwiederkehr aus seinem Gedächtnis verschwunden war. Aus den Erzählungen der Zeitgenossen über die unversiegbare Unterhaltungsgabe des Dichters, sowie über seine Gewohnheit laut zu träumen und ganz das Vorhandensein der Personen, die mit ihm sprachen, zu vergessen, gewinnt man ebenfalls den Eindruck, dass er eine überreiche, aber völlig automatisch arbeitende Intelligenz besass. Es existieren darüber zahlreiche merkwürdige und zum Teil auch scherzhafte Anekdoten; wir wollen jedoch keine derselben anführen, sondern ziehen es vor, die Schilderung K u b l a c o m m a n d e d a p a l a c e to be b u i l t , and a stately g a r d e n thereunto: and thus t e n m i l e s of f e r t i l e g r o u n d were i n c l o s e d with a wall." Dementsprechend lautet der Anfang des Gedichtes: In Xanadu did Kubla K h a n a stately p l e a s u r e - d o m e d e c r e e : where Alph, the sacred river, ran through caverns measureless to man down to a sunless sea. So t w i c e f i v e miles of f e r t i l e g r o u n d w i t h walls and towers were g i r d l e d r o u n d : and there were g a r d e n s etc. — P.]
Angeborene Schwäche der Aufmerksamkeit.
$3
des eigentümlichen Mannes der Feder eines Meisters zu überlassen. „Das Gesicht Coleridge's und sein ganzes Aeusseres", sagt Carlyle in der Lehensbeschreibung seines Jugendfreundes John Sterling'), „hatte bei einem allgemeinen Gepräge von Güte und Liebenswürdigkeit etwas Weiches und Unentschlossenes. Man sah, wie schwach er trotz seiner Fähigkeit zur Kraftentwicklung war. Seine Gliedmaassen hingen schlotternd am Körper, und mit gebeugten Knieen wankte er in gebückter Haltung einher. Sein Gang hatte auch im Uebrigen etwas Verwirrtes und Unregelmässiges; wenn ihn z. B. sein "Weg durch eine Gartenallee führte, konnte er sich niemals endgültig für eine der beiden Seiten entscheiden und bewegte sich immer in einer Zickzacklinie. „Seine Unterhaltung strömte von Gedanken und Worten förmlich über; sie hatte aber stets im buchstäblichsten Sinne des Wortes den Charakter eines Selbstgesprächs, denn er duldete keine noch so respektvolle Unterbrechung und wies jede fremde Beifügung oder Anmerkung, selbst wenn sie in der besten Absicht ihn aufzuklären gemacht wurde, als etwas ganz Ueberflüssiges und nicht zur Sache Gehöriges von sich. Dazu bewegte sich seine Rede nicht wie ein Fluss in einer bestimmten Richtung, sondern strömte in unentwirrbarem Laufe nach allen Seiten, sodass sie in ihren wirbelnden Verschlingungen oft einem Meeresstrudel glich. Mit Schrecken bemerkte man, dass seiner Gedankenentwicklung jedes Ziel fehlte, und dass sie häufig sogar der blossen Verständlichkeit entbehrte: man konnte sich in diesem Chaos mit seinen gewöhnlichen Begriffen einfach nicht zurechtfinden und fühlte sich verschlungen und beinahe ertränkt von der Flut geistreicher Worte, die sich uferlos und unaufhaltsam ergoss, als ob es gölte, die Welt unter Wasser zu setzen. „Sein Ausgangspunkt konnte ein ganz beliebiger sein. Man brauchte ihm nur eine anregende Frage oder Bemerkung hinzu•) Kap. 8. 6*
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III. Kap. Schwächungen d. willkürl. Aufmerksamkeit.
werfen, und sofort begann er, statt zu antworten, einen furchtbaren Apparat von logischen Schwimmblasen, transszendentalen Sicherheitsvorkehrungen und anderen derartigen Schutzmitteln und Vehikeln aufzuhäufen. Er brach vielleicht schliesslich unter der Last zusammen, aber bald konnte ihn wieder ein neues Wild zur Verfolgung reizen, und so hetzte er weiter von Jagd zu Jagd durch die ganze Welt, ohne sich über ein bestimmtes Ziel oder über die Möglichkeit der Erreichung desselben klar zu werden. Seine Unterhaltung trug, wie er selbst, den Stempel der Unentschlossenheit. Ganz den Eingebungen des Augenblickes folgend, wogte sie planlos dahin, ohne sich an bestimmte Voraussetzungen zu binden oder Nebensächliches auszuscheiden. Der Zuhörer mit seinen bescheidenen Versuchen, gelegentlich auch seine eigene Meinung geltend zu machen, war für sie nichts als eine blosse Folie. „Es gab in dieser Flut wohl glänzende Inseln voll balsamischer Wohlgerüche, sonnige, gesegnete Inseln des Verständlichen! Ich habe sie aus dem Nebel auftauchen sehen, aber sie kamen selten und zeigten sich nur, um gleich darauf wieder von dem allgemeinen Elemente verschlungen zu werden. „Immer konnte man bei ihm glücklich gewählte, genial treffende Ausdrücke zu hören bekommen, ab und zu auch Ansichten, die eine durchdringende Verstandesschärfe verrieten; seinen Worten fehlte selten der Ton eines edlen, wenn auch seltsam gefärbten Mitgefühls; im allgemeinen aber konnte diese ziellose, aus Wolken geformte und auf Wolken fussende Unterhaltung, die ohne ein vernünftiges Gesetz hin und her irrlichtelierte, nicht vortrefflich, sondern nur überraschend genannt werden. Sie erinnerte an Hazlitt's bittere Worte: „„Er weiss vortrefflich zu plaudern, wenn man ihn von keiner Prämisse ausgehen lässt, um zu keinem Schlüsse zu gelangen." Wir wenden uns jetzt zu der e r w o r b e n e n Schwächung der willkürlichen Aufmerksamkeit, welche man ziemlich häufig beobachten kann. Es existieren zwei Formen derselben: Die erste Form kennzeichnet sich durch eine bis zum Ueber-
Erworbene Schwäche der Aufmerksamkeit.
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maass gehende Steigerung der intellektuellen Thätigkeit, durch einen Ueberfluss von Bewusstseinszuständen, eine anormale Produktion von Gefühlen und Ideen in einer gegebenen Zeit. Wir lfaben davon schon bei der Besprechung des Alkoholiausches zu reden gehabt. Diese übermässig lebhafte Gehirnthätigkeit tritt noch mehr bei den intelligenteren Rauschzuständen zu Tage, welche der Genuss des Haschischs oder des Opiums zur Folge hat. Das Individuum fühlt sich in einem derartigen Rausche von dem unhemmbaren Strom der Ideen gleichsam überflutet, und seine Sprache ist nicht im stände, der Schnelligkeit des Gedankens zu folgen; zu gleicher Zeit aber wird die Fähigkeit, den Ideen eine bestimmte Richtung zu geben, immer schwächer, und die lichten Augenblicke verlieren mehr und mehr an Dauer 1 ). Dieser Zustand übermässig gesteigerter Geistesthätigkeit führt immer zu demselben Resultat, gleichviel ob er durch Fieber, Anämie des Gehirns oder eine Gemütserregung verursacht wird. Es besteht also ein ausgesprochener Gegensatz zwischen ihm und der Aufmerksamkeit: beide schliessen sich gegenseitig aus. — Wir haben es übrigens dabei lediglich mit einem besonderen Fall der übermässigen Steigerung der Reflexthätigkeit zu thun, nur dass die Reflexvorgänge hier psychischer Art sind; jeder aktuelle Bewusstseinszustand hat nämlich das Bestreben, sich irgendwie Luft zu machen, und er kann dies nur auf zwiefache Art thun: entweder kann er eine Bewegung, eine Handlung herbeiführen, oder er kann nach den Gesetzen der Assoziation andere Bewusstseinszustände erwecken. Im letzteren Falle entsteht ein Reflex komplizierterer Art, ein psychischer Reflex, doch ist derselbe ebenso wie der andere, welcher die Handlung bewirkt, nur eine Form der automatischen Thätigkeit. Die zweite Art der erworbenen Aufmerksamkeitsschwächung führt uns wieder zum Typus der Abulie zurück: sie besteht in ') Moreau, Du hachich et de l'aliénation mentale, p. 60. — Richet, Les poisons de l'intelligence, p. 71.
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HI- Kap. Schwächungen d. willkürl. Aufmerksamkeit.
einer fortschreitenden Abnahme des Direktionsvermögens, die schliesslich so weit geht, dass das Individuum zu jeder intellektuellen Anstrengung unfähig wird. „In der Anfangsperiode gewisser Gehim- und Geisteskrankheiten klagen die Patienten darüber, dass sie nicht mehr im stände seien, ihre Aufmerksamkeit zu beherrschen und derselben eine bestimmte Richtung zu geben. Sie finden, dass es ihnen ohne eine fühlbar peinliche Anstrengung nicht mehr möglich ist, ihre gewohnte Geistesarbeit zu verrichten, zu lesen oder den Inhalt eines Briefes, einer Zeitung oder auch nur weniger Seiten in einem Lieblingsbuche zu verstehen; der Geist gerät in ein unsicheres Hinundherschwanken und vermag nicht mehr in zusammenhängender Folge zu denken. „Im Bewusstsein der erlittenen Schwächung seiner Energie versucht der Patient wohl das Verlorene wiederzugewinnen. Er nimmt ein Buch in die Hand, entschlossen, gegen das intellektuelle Unvermögen, die psychische Mattigkeit und die Schwäche des Gehirns anzukämpfen; aber oft sieht er nun erst recht ein, dass er jedes geistige Gleichgewicht, jedes Vermögen, seine Ideen zu konzentrieren und zu koordinieren, verloren hat. Bei seinen Versuchen, den Sinn des vor ihm Liegenden zu verstehen, liest er entschlossen und scheinbar mit siegreicher Energie gewisse in die Augen springende Stellen des Buches immer von neuem wieder durch, ist aber doch nicht im stände, einen Komplex ganz einfacher Ideen zu erfassen oder mit Erfolg eine elementare Gedankenentwicklung durchzumachen. Ein solcher Versuch, die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Punkt zu konzentrieren, vermehrt oft, besonders wenn er länger ausgedehnt wird, die Verwirrung des Geistes und verursacht eine physische Empfindung von Ermüdung und Kopfschmerzen 1 )." Bei der allgemeinen Paralyse treten die Kranken häufig, nachdem sie eine Periode übermässig gesteigerter Geistesthätigkeit, ') Forbes Winslow, On the obscure Diseases, of the Brain, etc., p. 216.
Aufmerksamkeit und Wille.
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riesenhafter Projekte, maassloser Ankäufe, zweckloser Reisen und nie ruhender Redseligkeit durchgemacht haben (wobei der Wille von den Reflexen beherrscht wird), in ein Stadium, wo der Wille infolge von Atonie machtlos ist; die Anstrengung dauert dann immer nur einen Augenblick, und schliesslich führt diese immer mehr zunehmende Passivität zum Blödsinn 1 ). Ohne dass wir noch weitere Erklärungen oder Beispiele hinzuzufügen brauchten, wird der Leser aus dem Gesagten ersehen, dass die Störungen der willkürlichen Aufmerksamkeit auf die oben beschriebenen Typen zurückgeführt werden können. Wir wollen jetzt näher untersuchen, welche Aufklärungen uns der Zustand des Geistes, den man Aufmerksamkeit nennt, über das Wesen des Willens geben kann, und welche Folgerungen derselbe uns für die Schlussergebnisse unserer Arbeit nahe legt. Wir können hier nicht das Wesen der Aufmerksamkeit selbst untersuchen, so interessant und wenig erforscht dieses Thema auch ist; vielmehr dürfen wir die Frage nur so weit betrachten, als sie auch den Willen mit angeht. Wir fassen unsere Ansichten darüber in folgende Sätze zusammen: 1. Die willkürliche Aufmerksamkeit, deren Wunderthaten man gewöhnlich preist, ist nichts als eine künstliche, unbeständige ') In einigen, ziemlich seltenen Fällen machen solche Kranke eine Kampfesperiode durch, welche deutlich zeigt, bis zu welchem Grade der Wille Herrscher ist, und wie er schliesslich unterliegt. So erzählt Billod (a. a. 0.) „Ich habe es erlebt, dass ein Paralytiker, der am ausgesprochensten Grössenwahnsinn litt, in einer Nacht, wo der Regen in Strömen floss, von Bicetre entwich, um barfuss bis nach Batignolles zu gehen. Er blieb darauf ein Jahr lang in Freiheit und kämpfte während dieser Zeit mit aller Energie gegen sein intellektuelles Leiden an, da er wohl fühlte, dass man ihn bei der ersten Aeusserung einer Wahnidee wieder nach Bicetre bringen würde. Und doch entging er seinem Schicksal'nicht. — Auch in einigen anderen Fällen habe ich beobachtet, dass der Wille bei der allgemeinen Paralyse in dieser Weise noch ziemlich lange intakt erhalten, blieb."
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HI. Kap. Schwächungen d. willkürl. Aufmerksamkeit.
und unsichere Nachahmung der spontanen oder ungewollten Aufmerksamkeit. 2. Diese letztere allein ist natürlich und wirksam. 3. Die unwillkürliche Aufmerksamkeit beruht in ihrem Entstehen und in ihrer Dauer auf gewissen affektiven Zuständen, auf dem Vorhandensein angenehmer oder unangenehmer innerer Gefühle; kurz, sie ist ihrem Ursprünge nach sensorisch, wodurch sie sich den Reflexen nähert. 4. Eine wichtige, aber noch nicht recht aufgeklärte Rolle in dem Mechanismus der Aufmerksamkeit scheinen die Hemmungsvorgänge zu spielen. Zum Beweis dieser Sätze werden wir zunächst die unwillkürliche Aufmerksamkeit einer Prüfung unterziehen, indem wir die verschiedensten Formen derselben betrachten. Bei dem TieT, welches gespannt einer Beute auflauert, bei dem Kinde, welches begierig irgend ein alltägliches Schauspiel verfolgt, bei dem Meuchelmörder, welcher im Waldesdüster sein Opfer erwartet (hier ersetzt das Vorstellungsbild die Wahrnehmung des wirklichen Ge. genstandes), bei dem von einer Vision ergriffenen Dichter, bei dem Mathematiker, welcher die Lösung eines Problems zu finden sucht'): bei allen zeigt die Aufmerksamkeit im wesentlichen dieselben äusseren und inneren charakteristischen Merkmale. Wir würden den Zustand lebhafter unwillkürlicher Aufmerksamkeit gern mit Sergi als eine Differenzierung der Wahrnehmung definieren, die in gewissen Nervenzentren eine grössere seelische Kraftentwicklung veranlasst, während die anderen Zentren dafür während der betreffenden Zeit einer Art Erstarrung anheimfallen s ); ') Natürlich handelt es sich nur um solche, welche von Natur, und nicht durch Erziehung Dichter oder Mathematiker sind. 2 ) „Der komplizierte Prozess der Aufmerksamkeit beruht auf denselben anatomisch-physiologischen Zuständen der Gehirnorgane, welche in einfacherer Form bei den Sinneserregungen entstehen. Die betreffenden Zustände hängen von dem Differenzierungsprozess ab, welchen die Nervenelemente fortwährend durchmachen. Einen
Ursprung der Aufmerksamkeit.
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doch haben wir hier, wie gesagt, nicht die Aufmerksamkeit an sich zu studieren, es kommt uns lediglich darauf an, ihren Ursprung und ihre Ursache festzustellen. Es liegt auf der Hand, dass bei den oben angeführten Zuständen und bei solchen, welche diesen gleichen, die wahre Ursache ein affektiver Zustand ist, ein Gefühl der Lust, der Liebe, des Hasses oder der Neugier, kurz ein mehr oder weniger komplexer, angenehmer, unangenehmer oder gemischter (d. h. teils angenehmer, teils unangenehmer) Zustand. Das Tier, das Kind, der Mathematiker und der Mörder sind aufmerksam, weil die Beute, das Schauspiel, das zu lösende Problem und die Vorstellung von dem Opfer in ihnen eine intensive und lange genug andauernde Erregung zu stände bringt. Fiele diese Erregung fort, so würde alles aufhören. So lange sie anhält, hält auch die Aufmerksamkeit an. Der ganze Vorgang ist also hier derselbe wie bei den Reflexen, welche anhaltend zu sein scheinen, weil sie durch eine unaufhörlich wiederholte und sich immer gleich bleibende Erregung im Gange erhalten werden, bis die nervöse Erschöpfung eintritt. ersten Differenzierungsvorgang haben wir schon in der Einschränkung der diffusen Flutwelle des Stroms der Nervenenergie auf eine bestimmte Bahn, d. h. in dem Uebergange von der Empfindung zur deutlichen Wahrnehmung gesehen, was eine Lokalisation im Gehirn bedingt. Ein Differenzierungsprozess in noch viel grösserem Umfange ist nun auch das, was wir Aufmerksamkeit nennen: die erregende Welle wird hier noch mehr eingeschränkt und noch intensiver, sie wird genauer lokalisiert und direkter: die ganze Erscheinung gewinnt dadurch eine klare, deutliche Form." (Sergi, Teoria fisiologica della percezione, Kap. XII, p. 216. Ausser in diesem wichtigen Kapitel findet man Studien über die Aufmerksamkeit vom Standpunkte der neueren Physiologie bei: Lewes, Problems of life and mind, 3. Serie, p. 184; Maudsley, The physiology of Mind, London 1876, p. 310ff.; Wundt, Grundzüge der physiol. Psychologie, 2. Aufl., p. 391; Ferrier, Die Funktionen des Gehirns, übs. v. Obersteiner, § 102.
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HI. Kap. Schwächungen d. willkürl. Aufmerksamkeit.
Damit die Gegenprobe nicht fehlt, wollen wir noch darauf hinweisen, dass Kinder, Frauen und überhaupt flüchtige Geister nur sehr kurze Zeit hindurch aufmerksam sein können, weil die Dinge in ihnen nur oberflächliche und unbeständige Gefühle hervorrufen; höheren, komplizierteren und gründliches Nachdenken erfordernden Fragen bringen sie überhaupt keine Aufmerksamkeit entgegen, weil dieselben sie, wie man zu sagen pflegt, völlig „kalt lassen"; dagegen sind sie auf unbedeutende und nichtige Dinge aufmerksam, weil sie sich dafür interessieren. Wir könnten auch noch daran erinnern, dass Redner und Schriftsteller die Aufmerksamkeit ihres Hörer- oder Leserkreises dann am besten fesseln, wenn sie sich an ihre inneren Gefühle (Behagen, Schrecken u. s. w.) wenden. Man mag die Frage drehen und wenden, wie man will, immer gelangt man zu demselben Schlüsse, und wir würden eine so evidente Wahrheit garnicht erst mit solchem Nachdruck auseinandersetzen, wenn es uns nicht schiene, als ob die Psychologen, welche sich mit der Aufmerksamkeit beschäftigt haben, diesen wichtigsten Einfluss ganz übersehen hätten.. Die unwillkürliche Aufmerksamkeit ergiebt bei einem Minimum von Anstrengung ein Maximum von Wirkung, während umgekehrt die willkürliche Aufmerksamkeit bei einem Maximum von Anstrengung nur ein Minimum von Wirkung erzielt, ein Gegensatz, der um so schärfer hervortritt, je unwillkürlicher die eine und je willkürlicher die andere ist. Die willkürliche Aufmerksamkeit auf ihrer höchsten Stufe ist ein künstlicher Zustand, in dem wir mit Hülfe gemachter Gefühle unter grossen Anstrengungen gewisse Bewusstseinszustände festhalten, welche mit aller Gewalt danach streben zu verschwinden (z. B. wenn wir aus Höflichkeit eine sehr langweilige Unterhaltung fortführen). In dem ersten Falle wird die Spezialisierung unseres Bewusstseins durch unsere g a n z e Individualität bewirkt, in dem zweiten nur durch einen sehr schwachen und beschränkten Teil derselben.' Man könnte hieran viele Fragen knüpfen, doch haben wjr hier, wie gesagt, nicht die Aufmerksamkeit an sich.zu studieren.
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Dauer der Aufmerksamkeit.
Wir wollten lediglich zeigen (und das ist. uns hoffentlich gelungen), dass die Aufmerksamkeit auf gleiche Weise wie die Reflexe entsteht; dass sie in ihrer unwillkürlichen Form die Regelmässigkeit und Wirkungskraft derselben besitzt, während sie da, wo sie unter dem Einfluss des Willens steht, viel weniger regelmässig und mächtig ist; dass aber in beiden Fällen! das, was sie verursacht, erhält und in ihrer Intensität bestimmt, eine Gefühlserregung ist. Man findet so wieder einmal den Satz bestätigt, dass das Willkürliche durch das Unwillkürliche zu stände kommt, dass es auf diesem beruht, daraus seine Kraft zieht und im Vergleich dazu recht hinfällig ist.
Die Erziehung der Aufmerksamkeit be-
steht in letzter Linie nur darin, dass man jene künstlichen Gefühle erweckt und entwickelt, und dass man versucht, denselben durch häufige Wiederholung Beständigkeit zu verleihen; da es aber keine Schöpfung aus dem Nichts giebt, so bedarf man hierzu immer einer natürlichen Grundlage, so klein sie auch sein mag. Wir wollen, um diesen Punkt zum Abschluss zu bringen, noch bekennen, dass wir unsererseits den so oft bekämpften paradoxen Satz des Helvetius annehmen, „dass alle intellektuellen Verschiedenheiten zwischen den Menschen von der Aufmerksamkeit herrühren", mit dem Vorbehalte, dass damit nur die spontane Aufmerksamkeit gemeint sein soll; es heisst dies dann schliesslich nichts anderes, als dass alle Unterschiede der Menschen untereinander angeboren und natürlich sind. Nachdem wir gezeigt haben, wie die Aufmerksamkeit zu stände kommt, müssen wir noch untersuchen, wodurch sie Dauer erhält.
Schwierigkeiten macht in dieser Hinsicht nur die gewollte
Aufmerksamkeit.
Das Fortdauern der unwillkürlichen Aufmerk-
samkeit erklärt sich ja, wie wir gesehen haben, von selbst.
Dier
selbe hält an, weil die Erregung anhält, durch welche sie verursacht wird. J e willkürlicher dagegen die Aufmerksamkeit ist, umso anstrengender und unbeständiger wird sie.
In beiden Fäl-
len handelt es sich Schliesslich um einen Kampf zwischen zwei
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III. Kap. Schwächungen d. willkürl. Aufmerksamkeit.
Bewusstseinszuständen. Im ersten Falle ist ein Bewusstseinszustand, oder besser gesagt, eine Gruppe von Bewusstseinszuständen so lebhaft, dass sie sich mit aller Gewalt aufdrängen und ein Ankämpfen gegen sie unmöglich wird. Im zweiten Fall dagegen ist die betreffende Gruppe von Bewusstseinszuständen nicht intensiv genug, um sich in dieser Weise aufzudrängen; sie kann sich nur Geltung verschaffen, wenn ihr noch eine Kraft, nämlich der Wille, zu Hülfe kommt. Allem Anschein nach wirkt der Wille dabei durch eine hemmende Bewegung. Wir kommen also damit wieder zu dem Problem der Hemmung, das hier noch dunkler ist als sonst. Wir wollen sehen, welche Hypothesen sich darüber aufstellen lassen. Zunächst ist es kaum nötig daran zu erinnern, dass das Gehirn ein bewegendes Organ ist, d. h. dass sehr viele seiner Bestandteile dazu bestimmt sind, Bewegung hervorzurufen, und dass es nicht einen einzigen Bewusstseinszustand giebt, der nicht in irgend einem Grade bewegende Elemente enthielte. Daraus folgt, dass jeder Aufmerksamkeitszustand das Vorhandensein solcher Elemente involviert. „Bei den Bewegungen unserer Gliedmaassen und unseres Leibes haben wir ein ganz deutliches Gefühl von einer bestimmten Operation 1 ). In geringerem Grade haben wir dieses Gefühl bei dem fein mechanisierten Einstellen der Augen, Ohren u. s. w. Nur durch Induktion kommen wir zu diesem Gefühl bei dem noch feiner mechanisierten Einstellen der Aufmerksamkeit und der Auffassung, welche ebenfalls — und zwar nicht bloss bildlich, sondern im wirklichen Sinne — als Akte des Geistes bezeichnet werden müssen. Die allerabstraktesten geistigen Kombinationen bedingen ebenso notwendig wie die Kombinationen der Muskeln bei körperlichen Arbeiten Bewegungen mit den dieselben begleitenden Gefühlen. Das Gefühl der Anstrengung oder des Ausruhens, welches wir haben, wenn wir unseren Weg durch eine Menge dunkler und verwirrter Ideen suchen oder gefunden
') Lewes, Problems of Life and Mind, 3. Serie, p. 397.
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Dauer der Aufmerksamkeit.
haben, ist nur eine abgeschwächte Form, des Gefühls, weiches wir haben, wenn wir unseren Weg durch einen dichten, finstern "Wald suchen oder
finden."
Wir wollen auch noch daran erinnern, dass jeder Bewusstseinszustand, besonders wenn er sehr intensiv ist, danach strebt, eine Handlung herbeizuführen, d. h. also sich in Bewegung umzusetzen, und dass er von dem Augenblicke an, wo er in die motorische Phase eintritt, an Intensität verliert und das Streben zeigt, aus dem Bewusstsein zu verschwinden. — Ein aktueller Bewusstseinszustand kann sich aber, wie gesagt, auch auf eine andere Weise Luft machen.
Er kann nach dem Mechanismus der
Assoziation seine Spannung auf andere Bewusstseinszustände übertragen.
An die Stelle des Ausströmens nach aussen tritt dann
ein Ausströmen nach innen.
Indessen vollzieht sich die Asso-
ziation, welche von dem gerade gegenwärtigen Bewusstseinszustände ausgeht, nicht immer nur auf eine Art.
Bei der spon-
tanen Aufmerksamkeit wiegen gewisse Assoziationen ausschliesslich vor, und sie thun dies von selbst kraft ihrer eigenen Intensität.
Bei der gewollten Aufmerksamkeit (deren höchste Stufe die
Reflexion ist) werden wir uns einer Ausstrahlung nach verschiedenen Seiten bewusst.
J a in Fällen, wo uns die Aufmerksamkeit
grosse Mühe kostet,
sind die vorwiegenden Assoziationen sogar
solche, die von uns nicht gewollt werden, die wir nicht gewählt und für deren Festhalten wir uns nicht entschieden haben. Wie kommt es nun,
dass die schwächeren Assoziationen
sich in dieser Weise behaupten können? Um uns einigermaassen ein Bild davon zu machen, was in einem solchen Falle geschieht, wollen wir ähnliche Vorgänge von etwas greifbarerer Natur betrachten. Mann, welcher lernt,
Nehmen wir z. B . einen
ein Musikinstrument zn spielen oder ein
Werkzeug zu handhaben, — oder noch besser ein Kind, welches sich im Schreiben übt.
Ein solches Band macht zuerst eine grosse
Zahl von völlig nutzlosen Bewegungen: es rührt die Zunge, den Kopf, die Beine, und erst ganz allmählich lernt es, seine Glied-
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HI. Kap. Schwächungen d. willkürl. Aufmerksamkeit.
maassen zu beherrschen und sich auf die notwendigen Bewegungen der Hände und der Äugen zu beschränken. Bei der gewollten Aufmerksamkeit ist der Vorgang ein ganz ähnlicher. Die Assoziationen, welche sich nach allen Seiten hin verbreiten, lassen sich mit jenen unnützen Bewegungen vergleichen. In beiden Fällen handelt es sich darum, an Stelle der unbeschränkten Verbreitung eine begrenzte, eingeschränkte treten zu lassen. Zu diesem Zwecke hemmen wir die Assoziationen, welche für unsere Absicht nutzlos sind. Genau genommen u n t e r d r ü c k e n wir nicht Bewusstseinszustände, sondern wir hindern sie nur daran, Sprossen zu treiben und, indem sie analoge Bewusstseinszustände erwecken, gewissermaassen in Nachkommen fortzuleben. Es ist übrigens bekannt, dass dieser Versuch oft ein vergeblicher ist, dass er immer grosse Mühe macht und in gewissen Fällen unaufhörlich wiederholt wird. Dadurch, dass wir diese Verbreitung nach allen Seiten hin hindern, sparen wir zugleich die verfügbare Nervenenergie, die uns nun anderweitig zu statten kommt. Die Verminderung der nutzlosen Ausstrahlung bedeutet eine Vermehrung der nützlichen Konzentration. So ungefähr kann man sich jenen dunklen Vorgang veranschaulichen, wenn man versucht, in den Mechanismus desselben einzudringen, anstatt zu einem vermeintlichen Aufmerksamkeitsv e r m ö g e n seine Zuflucht zu nehmen, durch welches garnichts erklärt wird. Man muss übrigens mit Ferrier zugeben, dass die Frage nach der physiologischen Grundlage, auf welcher jene Kontrolle der Ideenbildung beruht, eine sehr schwierige ist, und dass eine Lösung derselben auf experimentellem Wege kaum zu erwarten ist 1 )." Schliesslich sei noch bemerkt, dass das eben Gesagte nur eine annähernde Verdeutlichung, nicht eine wirkliche Erklärung sein soll. ') Genaueres über diese Frage findet man. in unserer Psychologie de l'atteation. Paris. Alcan.
IY. Kapitel. Die Herrschaft der Launen. Wollen heisst wählen, um zu handeln: so lautet für uns die Definitionsformel des normalen Willens. Die bisher untersuchten Anomalieen zerfallen der Hauptsache nach in zwei Gruppen. Bei der ersten Gruppe fehlt der Antrieb, und es kommt kein Streben nach dem Handeln zu stände (Abulie); in den anderen Fällen verhindert die zu grosse Plötzlichkeit oder Stärke des Antriebes die Wahl. Ehe wir Fälle mit einer gänzlichen Vernichtung des Willens studieren, d. h. solche, in denen weder eine Wahl noch eine Handlung stattfindet, wollen wir einen Charaktertypus betrachten, bei welchem der Wille entweder garnicht zu stände kommt oder doch wenigstens schwankend, unbeständig und wirkungslos bleibt. Das beste Beispiel hierfür ist der hysterische Charakter. Genau genommen haben wir es bei diesem weniger mit einer pathologischen Störung als mit einer konstitutionellen, in der ganzen Körperanlage begründeten Eigentümlichkeit zu thun. Der unwiderstehliche einmalige Antrieb hat Aehnlichkeit mit einer akuten Erkrankung; die permanenten und dabei unbesiegbaren Antriebe gleichen einer chronischen Krankheit; der hysterische Charakter ist eine Krankheitsanlage. Er ist ein Zustand, bei dem die Existenzbedingungen des Willensaktes fast stets fehlen. Es sei uns gestattet, dem Bilde, welches Dr. Huchard kürz-
96
IV. Kap.
Die Herrschaft der Launen.
lieh von dem Charakter der hysterischen Personen entworfen hat, einige Züge zu entlehnen, die zu unserem Thema in Beziehung stehen: „Eines der ersten Merkmale ihres Charakters ist die Beweglichkeit. Von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, ja von Minute zu Minute wechseln sie mit unglaublicher Schnelligkeit zwischen Freude und Traurigkeit, zwischen Lachen und Weinen; sie sind wetterwendisch, phantastisch oder launenhaft; zu gewissen Zeiten entwickeln sie eine erstaunliche Redseligkeit, während sie dann wieder düster und verschlossen werden und entweder ganz schweigen oder in einem Zustande von Träumerei oder geistiger Niedergeschlagenheit verharren. Es überkommt sie in solchen Augenblicken ein unbestimmtes und undefinierbares Gefühl von Traurigkeit, sie empfinden einen Druck in der Magengegend, ihr Schlund zieht sich krampfhaft zusammen, und es ist ihnen, als steige vom Magen her eine Kugel zur Kehle empor; sie brechen in Schluchzen aus oder gehen, um sich auszuweinen, an einsame Oerter, zu denen es sie immer wieder hinzieht; zu anderen Zeiten dagegen brechen sie plötzlich und ohne vernünftigen Grund in ein maassloses Gelächter aus. Sie betragen sich, wie Richet sagt, gleich Kindern, die mit Kummerthränen im Auge auf das herzlichste lachen können. „Ihr Charakter wechselt wie die Bilder eines Kaleidoskops, weshalb Sydenham mit Recht sagen konnte, dass das Allerbeständigste bei ihnen ihre Unbeständigkeit sei. Waren sie gestern fröhlich, liebenswürdig und freundlich, so sind sie heute schlechtgelaunt, empfindlich und zum Zorne geneigt; sie ärgern sich über alles und jedes, murren und schmollen aus reiner Laune und sind mit ihrem Schicksal unzufrieden; nichts interessiert sie, alles kommt ihnen langweilig vor. Gegen eine Person, welche sie gestern liebten und achteten, empfinden sie heute die grösste Abneigung, oder sie legen statt dessen eine ganz unbegreifliche Vorliebe für irgend eine andere Person an den T a g . . . . „Bisweilen wird ihre Empfindlichkeit durch die allerunbe-
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Der hysterische Charakter.
deutendsten Anlässe erhöht, während dieselbe gleichzeitig von den aufregendsten Ereignissen fast unberührt bleibt. Sie erscheinen beinahe gleichgültig, ja empfindungslos bei der Nachricht von einem wirklichen Unglücksfall, während sie in dem harmlosesten Scherz eine Beleidigung sehen und wegen eines geringfügigen Missverständnisses Thränenströme vergiessen und in Verzweiflung geraten. Diese „„moralische Ataxie"" tritt bei ihnen selbst in Augenblicken zu Tage, wo ihre wichtigsten Interessen auf dem Spiele stehen: so zeigt die eine hysterische Frau die grösste Gleichgültigkeit gegen schlechte Streiche ihres Gatten, die andere wird durch eine Gefahr, die ihr ganzes Vermögen bedroht, nicht im mindesten erregt. Sie sind, wie Moreau von Tours sagt, abwechselnd sanft und heftig, wohlthätig und grausam, ferner bis zum Uebermaass für Eindrücke empfänglich, selten Herrinnen ihrer ersten Regungen, und unfähig, gegen Antriebe der widersprechendsten Art anzukämpfen; so zeigen sie einen Mangel an Gleichgewicht zwischen den höheren moralischen Fähigkeiten, dem Willen und dem Gewissen einerseits, und den niederen Fähigkeiten, den Instinkten, Leidenschaften und Begehrungen andererseits. „Diese übergrosse Beweglichkeit in dem Geisteszustände und in den Gemütsstimmungen der hysterischen Frauen, die Unbeständigkeit ihres Charakters, der Mangel an fester Ordnung und die Unstetigkeit in ihren Ideen und Willensregungen, alles dies lässt uns verstehen, warum sie unfähig sind, ihre Aufmerksamkeit längere Zeit auf eine Lektüre, ein Studium oder irgend eine andere Arbeit zu konzentrieren. „Die beschriebenen Veränderungen vollziehen sich sämtlich mit der grössten Geschwindigkeit. Zwar sind die Antriebe bei den hysterischen Frauen nicht, wie bei den Epileptikern, vollständig der Kontrolle des Verstandes entzogen; aber die Handlungen folgen auch bei ihnen den Antrieben mit grosser Lebhaftigkeit. Daher ihre plötzlichen Zornesregungen und Aeusserungen der Entrüstung, die oft ganz unüberlegten Anwandlungen von Begeisterung, die halb wahnsinnigen Verzweiflungszustände, die oft ebenso Th. R i b o t ,
Der Wille.
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IV. Kap. Die Herrschaft der Launen.
tollen Freudenausbrüche, die Anwandlungen von Zärtlichkeit und plötzlicher Rührung, und die ungestümen Aufwallungen, bei denen sie wie kleine Kinder mit den Füssen stampfen, Möbel zerbrechen und einen unwiderstehlichen Drang zum Schlagen haben. . . . „Die hysterischen Frauen sind in beständiger Aufregung und stehen ganz unter der Herrschaft der Leidenschaften. Man fasst so ziemlich alle verschiedenen Modalitäten ihres Charakters und Geisteszustandes zusammen, wenn man sagt, dass sie nicht zu wollen v e r s t e h e n , nicht wollen k ö n n e n und nicht wollen w o l len. Ihr Wille ist immer schwankend und ohnmächtig, sein Gleichgewicht wird fortwährend gestört, und wie eine Wetterfahne dreht er sich beim geringsten Windhauch. Aus allen diesen Gründen haben die hysterischen Frauen jene Beweglichkeit und Unbeständigkeit, und jene Veränderlichkeit in ihren Wünschen, Ideen und persönlichen Zuneigungen 1 )." Dieses vollständige Bild erspart uns ausführlichere Erklärungen. Der Leser erhält dadurch eine Vorstellung von jenem Zustande des mangelhaften Zusammenwirkens, des gestörten Gleichgewichts, der Anarchie und der „moralischen Ataxie". Wir müssen aber noch die oben von uns aufgestellte Behauptung begründen, dass hier eine k o n s t i t u t i o n e l l e Ohnmacht des Willens vorliegt und dass derselbe deshalb nicht entstehen kann, weil ihm die Daseinsbedingungen fehlen. Wirklich eingehend und mit zureichendem Beweismaterial werden wir diese Frage allerdings erst am Schlüsse unserer Arbeit behandeln können, doch wollen wir im Interesse der Klarheit diesen späteren Auseinandersetzungen schon etwas vorgreifen. Nehmen wir einen mit mässiger Willensstärke begabten Erwachsenen, so werden wir bemerken, dass seine Thätigkeit (d. h. seine Fähigkeit, Handlungen zu vollbringen) im grossen und ganzen drei Abstufungen zeigt. Zu unterst finden wir die automatischen Akte, die einfachen oder zusammengesetzten Reflexe, die Gewohn') Axenfeld et Huchard, Traité des névroses, 2. Aufl. 1883, p. 958—971.
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Ursachen der Unbeständigkeit.
heiten; höher stehen dann die durch Gefühle, Gemütserregungen und Leidenschaften hervorgerufenen Akte, und die oberste Stufe nehmen die vernünftigen Handlungen ein. Diese letzte Stufe setzt die beiden anderen voraus, sie beruht auf ihnen und hängt demzufolge auch von ihnen ab, obschon erst sie ihnen Koordination und Einheit verleiht. Die launischen Charaktere, für welche die hysterische Frau als Typus dienen kann, zeigen nur die zwei untersten Stufen; die dritte ist bei ihnen sozusagen atrophiert. Fast überall ist die vernünftige Thätigkeit ihrer eigenen Natur gemäss die schwächste. Sie kann nur dann das Uebergewicht erlangen, wenn die Ideen gewisse Gefühle erwecken, welche ihrerseits in viel höherem Grade als die Ideen die Fähigkeit besitzen, sich in Handlungen umzusetzen. Wir haben gesehen, dass die motorischen Tendenzen der Ideen um so schwächer werden, je abstrakter die Ideen sind. Bei den hysterischen Frauen entstehen die regulatorischen Ideen entweder gamicht, odeT sie bleiben wirkungslos, d. h. gewisse Vernunftbegriffe, wie Nützlichkeit, Anstand, Pflicht u. s. w., bleiben für sie leere Begriffe, die von ihnen nicht g e f ü h l t werden und in ihrem Gemüt keinen Widerhall finden. Dieselben gehen nicht in das eigentliche Wesen des Individuums ein, sondern bilden immer einen .fremden, von aussen hinzugekommenen Bestandteil. Sie haben keine Wirkungskraft und sind praktisch so gut wie nicht vorhanden. Die Fähigkeit des Individuums zum Handeln ist verstümmelt und unvollständig. Die Tendenz der inneren Gefühle und der Leidenschaften, sich in Handlungen umzusetzen, ist doppelt stark: denn sie ist schon an und für sich sehr mächtig, und es kommt noch dazu, dass es nichts über ihr giebt, was sie hemmen und ihr das Gegengewicht halten könnte; und da es eine charakteristische Eigentümlichkeit der Gefühle ist, dass sie, wie die Reflexe, geradeswegs auf ihr Ziel zugehen und nur eine einseitige Anpassung haben (im Gegensatz zu der vernunftmässigen Anpassung, welche vielseitig ist), so geben die Wünsche, rasch entstanden und sofort befriedigt, gleich wieder anderen ähnlichen oder entgegengesetzten Wünschen Baum, je 7*
100
IV. Kap.
Die Herrschaft der Launen.
nach den fortwährend wechselnden Stimmungen des Individuums. Dieses hat nur noch Launen, oder höchstens Gelüste, d. h. formlose Ansätze zu Willensregungen 1 ). Diese Thatsache, dass die Begehrung nur in einer einzigen Richtung verläuft, und dass sie das Streben hat, sich sofort zur Geltung zu bringen, erklärt indessen nicht die Unbeständigkeit der hysterischen Personen und ebensowenig ihre Willenlosigkeit. Wo ein stets befriedigter Wunsch immer von neuem auftaucht, ist doch eine gewisse Beständigkeit vorhanden. Das Vorwiegen des Gefühlslebens schliesst nicht mit Notwendigkeit den Willen aus: eine starke, beständige, vom Individuum gebilligte Leidenschaft ist sogar die Grundlage jedes energischen Charakters; man findet eine solche mächtige Leidenschaft bei grossen Ehrgeizigen, bei dem in seinem Glauben unerschütterlichen Blutzeugen und bei dem Indianer, welcher unter Folterqualen seine Feinde verhöhnt. Wir müssen also die Ursache der Unbeständigkeit bei den hysterischen Personen noch etwas tiefer suchen, und zwar kann dieselbe nur in einem Zustande der Individualität, d. h.' in letzter Linie in einem Zustande der Organisation liegen. Wir nennen einen Willen dann fest, wenn er ein festes Ziel hat, gleichgültig, welcher Art dieses Ziel ist. Die Verhältnisse können wechseln und mit ihnen die Mittel zur Erreichung des Zieles, indem fortwährend neue Anpassungen an die neue Lebenssphäre stattfinden, — der Mittelpunkt aber, dem alles zustrebt, bleibt bei einem festen Willen immer derselbe. Das Verharren des Individuums bei demselben Ziele ist ein Beweis für die Beständigkeit seines Charakters. Denn wenn es dem einmal gewählten Ziele auch fernerhin treu bleibt, so kommt dies eben daher, dass es selbst sich im Grunde nicht verändert. Denken wir uns daJ
) Wir machen beiläufig darauf aufmerksam, wie sehr man in der Psychologie die aufsteigende Gradation der Erscheinungen berücksichtigen muss. Die Willensregung oder der Willensakt ist nicht ein scharf und deutlich abgrenzbarer Zustand, der entweder da ist oder nicht da ist: es giebt auch Ansätze und Versuche dazu.
Ursachen der Unbeständigkeit.
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gegen einen Organismus mit unbeständigen Funktionen, einen Organismus, dessen Einheit (ein blosser Consensus) durch den raschen und unvermittelten Wechsel der Funktionen, auf welchen sie beruht, unaufhörlich gestört und nach immer neuen Plänen wiederhergestellt wird, so sehen wir ohne weiteres, dass unter derartigen Verhältnissen die "Wahl kaum zu stände kommen und jedenfalls keine Dauer haben kann, und dass dabei nur für Gelüste und Launen Kaum ist. So verhält es sich in der That bei den hysterischen Frauen. Die Unbeständigkeit ist hier ein Faktum. Ihre Ursache liegt höchst wahrscheinlich in den funktionellen Störungen. Die Anästhesie der Einzelsinne oder der allgemeinen Sensibilität, die Hyperästhesieen, die Störungen des Bewegungsvermögens, die Kontrakturen, Konvulsionen und Lähmungen, die Verwirrungen in den organischen, vasomotorischen und sekretorischen Funktionen, welche nacheinander oder gleichzeitig auftreten, — alles dies erhält den Körper fortwährend in einem Zustande des gestörten Gleichgewichts'), und der Charakter, welcher ja nur der seelische Ausdruck des Organismus ist, weist demzufolge dieselben Schwankungen auf. Es wäre geradezu ein Wunder, wenn sioh auf so unsicheren Grundlagen ein beständiger Charakter entwickelte. Wir haben somit die wahre Ursache für die Unfähigkeit des Willens, ins Dasein zu treten, gefunden, und sehen, dass diese Unfähigkeit, wie wir oben sagten, eine konstitutionelle ist. Diese Theorie wird auch noch durch Thatsachen bestätigt, welche ihr auf den ersten Blick zu widersprechen scheinen. Die hysterischen Frauen werden nämlich nicht selten von irgend einer fixen Idee beherrscht, über welche sie nicht hinwegkommen können. Die eine weigert sich zu essen, die andere zu sprechen, die dritte will nicht sehen. Als Grund geben sie an, dass ihnen die Arbeit der Verdauung, bezw. der Gebrauch der Stimme oder der der Augen Schmerzen verursache. Häufiger noch findet man bei Näheres a. a. 0. p. 987—1043.
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IV. Kap. Die Herrschaft der Launen.
ihnen jene Art Lähmung, welche man als psychische oder „ideelle" Paralyse bezeichnet. Diejenigen, welche an dieser Schwäche leiden, bleiben Wochen, Monate oder Jahre hindurch im Bett liegen, da sie sich für unfähig halten, zu stehen oder zu gehen. Die Heilung kann durch eine moralische Erschütterung oder auch einfach durch den Einfluss einer anderen Person herbeigeführt werden, welche sich ihr Vertrauen zu erwerben oder Einfluss auf sie zu erlangen weiss. So wird die eine Kranke vielleicht durch die Nachricht vom Ausbruche einer Feuersbrunst in Bewegung gebracht, eine andere erhebt sich, um ihrem nach langer Abwesenheit heimkehrenden Bruder entgegenzugehen, eine dritte endlich entschliesst sich aus blosser Furcht vor dem Arzte zum Essen. Briquet berichtet in seinem Traité de l'hystérie von mehreren Frauen, die er einfach dadurch heilte, dass er in ihnen den Glauben an die Möglichkeit ihrer Genesung erweckte. Man könnte noch viele derartige „Wunderkuren" anführen, die seit den Tagen des Diakonus Paris 1 ) bis in die jüngste Zeit hinein die Neugierde des Publikums beschäftigt haben. Ueber die p h y s i o l o g i s c h e n Ursachen dieser Lähmungen ist viel gestritten worden. Soweit dieselben ein p s y c h o l o g i sches Phänomen sind, konstatieren wir dabei das Vorhandensein einer fixen Idee, durch welche eine Hemmung herbeigeführt wird. Da nun eine Idee nicht von selbst entsteht, sondern immer auf gewissen Verhältnissen im Gehirne beruht, und da sie nur ein Teil eines psychophysiologischen Ganzen ist, — nämlich der bewusste Teil, — so muss man annehmen, dass jene fixe Idee einem anormalen Zustande des Organismus, vielleicht im beson') [Der Diakon François de Paris, ein jansenistischer Theologe, wurde am 30. Juni 1690 in Paris geboren und starb daselbst am 1. Mai 1727. Sein Name hat durch die an seinem Grabe im S.anktMedardus-Kirchhofe zu Paris stattgefundenen Wunderheilungen Berühmtheit erlangt. Vgl. Laianne, Dictionnaire historique de la France, s. v., und Alzog, Universalgeschichte der christl. Kirche, § 966, wo sich noch nähere Litteraturangaben finden. — P.]
Psychische Lähmungen.
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deren einem anormalen Zustande der motorischen Zentren, entspricht und aus diesem hervorgeht. Jedenfalls aber haben wir es hier nicht, wie gewisse Aerzte hartnäckig behaupten, mit einer „Exaltation" des Willens zu thun; die Abnormität besteht vielmehr gerade im Fehlen des Willens. Wir kommen damit auf einen schon im Obigen untersuchten Krankheitstypus zurück, der sich von den unwiderstehlichen Antrieben nur formell unterscheidet, insofern er nämlich hemmend wirkt. Es giebt aber gegen die fixe Idee keine Reaktion, die direkt von dem Individuum selbst ausginge. Ein fremder Einfluss muss sich gebieterisch geltend machen und einen entgegengesetzten Bewusstseinszustand nebst den damit zusammenhängenden Gefühlen und physiologischen Zuständen hervorrufen. Das Ergebnis ist dann ein mächtiger Antrieb zum Handeln, welcher den Hemmungszustand unterdrückt und an seine Stelle tritt; man kann dies kaum einen Willensakt nennen, höchstens einen Willensakt unter fremder Beihülfe. Auch hier also haben wir Fälle vor uns, in denen ein wirkliches Wollen nicht zu stände kommt 1 ). Nähere thatsächliche Angaben bei Briquet, Traité de l'hystérie, Kap. 10; Axenfeld et Huchard, 1. c. p. 967—1012; Cruveilhier, Anatomie pathologique, Buch 35, p. 4 ; Macario, Ann. médico-psychol., Band 3, p. 62; Ch. Richet, Revue des Deux Mondes, 15. Jan. 1880; P. Richer, Etudes cliniques sur l'hystéro-épilepsie, etc., 3. Teil, Kap. 2 (nebst den historischen Bemerkungen).
Y. Kapitel. Die Vernichtung des Willens. Wir wenden uns jetzt zu Fällen, in denen eine völlige Vernichtung des Willens stattgefunden hat, da es bei ihnen weder zu einer Wahl noch zu einer Handlung kommt. Wenn die ganze psychische Thätigkeit aufgehoben ist oder aufgehoben zu sein scheint, wie im Schlafe, in der künstlich herbeigeführten Anästhesie, bei der Schlafsucht und in ähnlichen Fällen, so haben wir es mit einer Rückkehr zum vegetativen Leben zu*thun, die hier für uns kein Interesse besitzt; der Wille verschwindet dabei, weil eben alles verschwindet. Anders in den Fällen, mit denen wir uns hier zu beschäftigen gedenken. Bei diesen giebt es keine Wahl und keine Handlung, obwohl eine gewisse Art Geistesthätigkeit fortbestehen bleibt. Man begegnet einer solchen Vernichtung des Willens in der Verzückung (Ekstase) und bei dem Somnambulismus. 1. Es werden verschiedene Arten der Ekstase unterschieden, die profane, mystische, krankhafte, physiologische, kataleptische, somnambulische Ekstase, u. s. w. Doch sind diese Unterscheidungen für uns nicht von Belang, da der Zustand des Geistes
Die Verzückung.
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überall im Grunde derselbe ist. Die meisten Ekstatiker geraten in ihren Zustand auf ganz natürliche "Weise, nämlich einfach infolge ihrer Körperanlage. Andere helfen der Natur durch künstliche Mittel nach. Die religiöse und philosophische Literatur des Morgenlandes, besonders diejenige Indiens, ist reich an diesbezüglichen Aufzeichnungen, nach denen man eine Art praktischen Handbuchs zur Herbeiführung der Ekstase hergestellt hat. Starres Ansehen des Himmels, eines glänzenden Gegenstandes, der Nasenspitze oder des Nabels') bei völlig unbeweglicher Körperhaltung, fortwährendes Wiederholen des Wortes Um (Brahm), wobei man sich das höchste Wesen vorzustellen sucht; „Anhalten des Atems", d. h. Verlangsamung der respiratorischen Bewegungen; „vollständige Unbekümmertheit um Zeit und Ort: das sind die Mittel, welche den Geist des Menschen dem ruhigen Licht einer Lampe gleich machen, die an einem windstillen Orte steht 3 )". ') Auf diese Weise versetzten sich z. B. im 14. Jahrhundert die unter dem Namen Hesychasten oder Omphalopsychoi (Omphalopsychiten), d. h. „Nabelseelen" bekannten quietistischen Mönche auf dem Berge Athos in Ekstase. [„Sie lebten ein beschauliches Leben in fortwährendem Gebet, wobei sich jeder Einzelne in einen Winkel setzte, das Kinn auf die Brust legte und das Auge unermüdet nach dem Nabel hin richtete. Sie meinten hierdurch zu einer leiblichen Anschauung des unerschaffenen Strahlenlichtes der göttlichen HerrJichkeit zu gelangen." (Meyer's Konvers.-Lex. s. v. Hesychasten. Vgl. dort noch die einschlägige Litteratur.)] 2 ) Bhagavad-gitä, Kap. VI. Die buddhistischen Gelehrten nehmen vier Stufen der beschaulichen Betrachtung an, welche zum irdischen Nirväna führt: Die erste Stufe ist das tiefinnerliche Gefühl von Glückseligkeit, welches in der Seele des Büssers entsteht, wenn er endlich sagen kann, dass er zur entscheidenden Erkenntnis der Dinge gelangt ist. Der Yogin hat dann keinen anderen Wunsch mehr als den Wunsch nach dem Nirväna; er urteilt und denkt noch vernunftgemäss: aber er ist frei von allem, was Sünde und Laster erzeugt. Auf der zweiten Stufe beflecken ihn gleichfalls Laster und Sünde nicht mehr, er hat aber nun auch das vernunftmässige
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V. Kap.
Die Vernichtung des Willens.
Wenn dieser Zustand erreicht ist, so gewahrt man an dem Verzückten gewisse charakteristische physische Symptome. Bald ist derselbe unbeweglich und stumm, bald bringt er die Vision, welche ihm vorschwebt, durch Worte, Gesänge oder Körperstellungen zum Ausdruck. Selten verlässt er seinen Standort. Sein Gesicht ist ausdrucksvoll; aber seine Augen sehen nicht, wenn sie auch weit offen sind. Töne haben auf ihn keine Einwirkung mehr, höchstens in gewissen Fällen die Stimme irgend einer bestimmten Person. Die allgemeine Sensibilität ist erloschen; keinerlei Berührung wird empfunden; weder Stechen noch Brennen ruft Schmerzen hervor. Was er innerlich empfindet und schaut, kann nur der Ekstatiker selbst sagen, und wenn er beim Erwachen nicht eine deutliche-Erinnerung davon behielte, würden die Uneingeweihten auf blosse Vermutungen und Schlüsse angewiesen sein. Vergleicht man nun die Erzählungen und schriftlichen Mitteilungen der Ekstatiker mit einander, so bemerkt man mit Erstaunen, dass diese Berichte trotz aller Verschiedenheiten der Rassen, des Geistes, der Zeit und des Ortes eine überraschende Aehnlichkeit Denken und Urteilen aufgegeben; sein Verstand beschäftigt sich nur noch mit dem Nirväna und f ü h l t nur die Lust der inneren Befriedigung, ohne dieselbe zu beurteilen oder auch nur zu begreifen. Bei der dritten Stufe ist die Lust der Befriedigung verschwunden, der Weise ist gegen die Glückseligkeit, welche sein Verstand noch fühlte, gleichgültig geworden. Die einzige Lust, welche ihm bleibt, ist ein unbestimmtes Gefühl physischen Wohlbefindens, welches seinen ganzen Körper durchströmt; er hat immer noch ein verwirrtes Bewusstsein seiner selbst. Auf der vierten Stufe endlich besitzt der Togin auch dieses Gefühl des physischen Wohlbefindens nicht mehr, so dunkel und unklar dasselbe gewesen war; er hat jetzt auch jedes Erinnerungsvermögen verloren, und schliesslich sogar das Gefühl seiner Gleichgültigkeit. Frei von jeder Lust und jedem Schmerz, ist er zur Unempfindlichkeit gelangt, welche dem Nirväna so nahe kommt, als dies auf Erden überhaupt möglich ist. (Barth. Saint-Hilaire, Le Bouddha et sa religion, p. 136. 137.)
Die Verzückung.
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mit einander haben. Der geistige Zustand der Verzückten beschränkt sich auf ein bestimmtes Vorstellungsbild, das entweder allein oder mit einer Gruppe anderer Vorstellungen zusammen, denen es als Mittelpunkt dient, das ganze Blickfeld des Bewusstseins ausfüllt und sich in demselben mit äusserster Zähigkeit behauptet. Mehrere Mystiker haben diesen Zustand mit grossem Scharfsinn und lobenswerter Genauigkeit beschrieben, so besonders .die heilige Theresia von Jesus, [deren Schriften bei den katholischen Mystikern in so hohem Ansehn stehen, dass sie fast in alle europäischen Sprachen übersetzt worden sind] 1 ). Um dem Leser eine authentische Beschreibung der Ekstase zu geben, wollen wir einige Stellen aus ihrer „Selbstbiographie" ausziehen. Zur Vereinigung mit Gott führen nach ihrer Angabe 3 ) vier Stufen des „Gebets", welche sie mit vier verschiedenen immer leichter werdenden Methoden der Gartenbewässerung vergleicht. „Meines Bedünkens kann die Bewässerung auf vielerlei Art stattfinden; entweder dadurch, dass man das Wasser aus einem Brunnen schöpft, was nur mit grosser Mühe geschieht; oder mittelst eines umgedrehten Schöpfrades, oder durch Zugröhren; diese Art ist minder mühsam als die andere, und man ') [Sie wurde 1515 zu Avila in Altkastilien geboren, wo sie 1535 in ein Karmeliterkloster trat. 1582 starb sie im Kloster zu Alba de.Liste (ebenfalls in Altkastilien) und wurde 1622 heiliggesprochen. Die wichtigsten ihrer Schriften sind die »Selbstbiographie", welche sie auf Geheiss ihres Beichtvaters schrieb, die „Seelenburg" und ihre Briefe. Ins Deutsche wurden ihre Werke übersetzt von Schwab, Regensburg, 5. Bde. (3. Aufl. 1870) und von L. Clarus in der „Sammlung der vorzüglichsten mystischen Schriften aller kathol. Völker" (Werke der hl. Th. v. J., zum ersten Male vollständig aus dem spanischen Original übersetzt von L. Clarus, Regensburg 1851 u. ö.) — P.] ^ [In der „Selbstbiographie". Wir folgen hier der ebengenannten Uebersetzung von Clarus, in dessen Sammlung die „Selbste biographie" den 1. Band b i l d e t . P ' . ]
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V. Kap. Die Vernichtung des Willens.
schöpft mehr Wasser; oder man leitet das "Wasser aus einem Flusse oder Strome her, so begiesst es sich weit besser, und das Erdreich hat länger Ueberfluss an Wasser; oder endlich es regnet häufig, und der Herr begiesst, ohne dass wir unsrerseits irgend Mühe anwenden; diese Weise ist ohne Vergleich besser als alle genannten 1 )." Bei den ersten beiden Stufen haben wir nur Ansätze zur Ekstase, auf welche die Heilige kurz hinweist: „Es begegnete mir zuweilen über dem Lesen, dass mich unversehens eine Empfindung von der Gegenwart Gottes anwandelte, sodass ich durchaus nicht daran zweifeln konnte, dass er in mir, oder ich ¡pnz in ihn versenkt sei. Dies war jedoch keine Art von Gesicht; es erhebt die Seele derart, dass dieselbe völlig ausser sich zu sein scheint. Der Wille ist voll Liebe; das Gedächtnis erscheint fast erloschen, der Verstand denkt, wie mir vorkommt, nicht, verliert sich jedoch auch nicht')." Auf einer höheren Stufe, welche weder eine Entzückung noch ein geistiger Schlummer ist 3 ), „beschäftigt sich der Wille allein derart, dass er, ohne zu wissen wie, sich gefangen giebt; er willigt nur ein, dass Gott ihn also in Haft nimmt, wie jemand sich mit vollem Bewusstsein dem gefangen giebt, den er liebt. Die anderen beiden Kräfte (Verstand und Gedächtnis) helfen dem Willen, sich zum Genüsse eines so grossen Gutes geschickt zu machen, wenn schon es zuweilen sich begiebt, dass sie dem Willen, obwohl er bereits in der Einigung ist, sehr hindernd entgegentreten. In diesem Falle muss der Wille ihrer nicht achten, sondern in seinem Genüsse und seiner Ruhe verharren. Wollte er sich sammeln, so würde er sie und sich vera. a. 0. Kap. 11. *) a. a. 0. im Anfang des 10. Kap. *) [Wörtlich heisst es: „hier findet ein Zurückziehen der Seelenkräfte in sich statt, damit die Seele sich dieser Freude mit höherem Genüsse hingeben könne; allein sie (die Kräfte) verlieren sich nicht, noch schlafen sie." (Kap. 14, im Anfang.) — P.]
Die Verzückung.
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lieren; denn sie gleichen alsdann den Tauben, welche sich nicht mit dem Futter begnügen, das ihnen der Herr des Taubenschlags reicht, und das sie ohne Mühe haben, sondern auch noch anderwärts hinfliegen, um Nahrung zu suchen; sie finden dieselbe aber so übel, dass sie wieder umkehren 1 )." — Bei dieser Stufe „halte ich es . . . für einen sehr grossen Vorteil, wenn ich mich über dem Schreiben im Gebet befinde. Ich erkenne alsdann deutlich, dass nicht ich es bin, die da spricht; denn weder ordne ich es mit dem Verstände, noch weiss ich hinterher, wie ich darauf gekommen bin, so zu sprechen; das begegnet mir häufig V Auf der dritten Stufe verläuft die Ekstase in folgender Weise: „Es tritt ein Schlaf der Seelenkräfte ein, welche sich weder gänzlich verlieren, noch ein Bewusstsein ihrer "Wirksamkeit haben Die Seele gleicht einem Sterbenden, dem man bereits die Kerze in die Hand gegeben, und welchem nur noch wenig dazu fehlt, um den Tod zu sterben, nach welchem ihn verlangt; sie empfindet in diesem Todeskampfe die höchste "Wonne, welche man aussprechen kann; es kommt mir nicht anders vor, als wie ein fast gänzliches Absterben in allen Dingen der "Welt, und als ein Genuss Gottes. Ich weiss nicht, wie ich es mit anderen Worten sagen oder erklären soll. Auch weiss die Seele alsdann nicht, was sie vornehmen soll; denn sie weiss nicht, ob sie sprechen, ob sie schweigen, ob sie lachen, ob sie weinen soll. Es ist eine Verrücktheit voll Herrlichkeit, ein himmlisches Thörichtsein, aus denen man die wahre Weisheit lernt. Für die Seele ist ein Zustand des wonnevollsten Genusses eingetreten 3 )." — [Die vierte Gebetsstufe wird schliesslich in folgender Weise beschrieben:] „Wenn die Seele auf diese Art Gott sucht, empfindet sie unter höchst lieblicher Wonne, wie sie fast gänzlich ihre Kräfte verliert und eine Art Ohnmacht über ') Kap. 14 im Anfang. ) Kap. 14 in der Mitte. 3 ) Kap. 16 im Anfang. 2
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V. Kap.
Die Vernichtung des Willens.
sie kommt, sodass ihr der Atem und alle körperlichen Kräfte dergestalt ausgehen, dass sie die Hände nur unter heftigen Schmerzen bewegen kann. Die Augen fallen ihr zu, ohne dass sie dieselben schliessen will, und wenn sie dieselben offen hat, sieht sie fast nichts. Wenn sie liest, kann sie keinen Buchstaben recht aussprechen, ja sie vermag kaum, dieselben richtig zu erkennen; sie sieht wohl einen Buchstaben da, allein da der Verstand nicht hilft, so kann sie, wie sehr sie auch möchte, nicht lesen. Sie hört, aber sie versteht nicht, was sie vernimmt. So helfen ihr ihre Sinne nichts Alle äussere Kraft geht verloren. Dagegen nimmt die der Seele zu, so dass sie seiner') Herrlichkeit desto besser geniessen kann Allerdings geht dieser Gebetszustand im Anfange (wenigstens geschah es mir also) so schnell vorüber, dass er, wenn er nur kurz andauert, sich weder durch diese äusseren Zeichen noch durch die Abwesenheit der Sinne zu erkennen giebt Man habe acht darauf, wie die Zeit, während welcher die Seele sich in dieser Aufhebung aller Kräfte befindet, selbst im günstigsten Falle sehr kurz ist; wenn es eine halbe Stunde wäre, möchte es schon viel sein. Bei mir hat es, wie mich dünkt, niemals so lange gedauert. Man kann allerdings nicht wohl darauf merken, wie lange es währt, da man keine Empfindung hat; indessen behaupte ich doch, dass es bei einem jeden Male nicht lange währt, bis eine oder die andere Seelenkraft wieder zu sich kommt. Der Wille ist es, welcher am längsten gefesselt bleibt, die beiden andern aber fangen bald wieder an, lästig zu werden. Weil aber der Wille ruhig bleibt, hebt er sie wiederum auf, sie weilen dann noch einmal ein wenig bei ihm und werden wieder lebendig. Hierin können einige Stunden des Gebetes vorübergehen, und es geschieht auch; Allein dieses gänzliche Verlorensein und der völlige Mangel aller Einbildungskraft (welche meines Bedünkens sich gleichfalls ganz verliert) dauert, wie ich ') [ihrer? oder seiner = Gottes? •— P.]
Die Verzückung.
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wiederhole, nur eine kurze Zeit; freilich kommen die Geisteskräfte nicht so bald gänzlich zu sich, dass sie nicht einige Stunden wie betäubt blieben, und nur nach und nach sich wieder einfinden, je nachdem Gott sie zu sich sammelt Wer dieses erfahren hat, wird etwas hiervon begreifen; denn es lässt sich nicht deutlicher aussprechen, weil, was hier vorgeht, so dunkel ist. Ich werde nur sagen können, wie die Seele sich vorstellt, bei Gott zu sein, und sie behält hiervon eine solche Gewissheit, dass sie durchaus nicht davon ablassen kann, es zu glauben. Hier mangeln alle Seelenkräfte und werden dergestalt aufgehoben, dass man, wie ich gesagt, durchaus nicht begreift, was sie wirken. Wenn die Seele über ein Stück nachdenkt, so verliert sie es dergestalt aus dem Gedächtnisse, als hätte sie es niemals darin gehabt; liest sie, so erinnert sie sich dessen, was sie gelesen hat, nicht, . . . . so dass dieser lästige Schmetterling des Gedächtnisses sich hier die Flügel verbrennt und nicht mehr flattern kann. Der Wille wird wohl sehr in der Liebe beschäftigt sein. Allein er versteht nicht, wie er liebt. Wenn der Verstand versteht, versteht er nicht, wie er versteht, wenigstens kann er von dem, was er versteht, nichts begreifen 1 )." Wir wollen der heiligen Theresia nicht in ihrer Beschreibung der „Verzückung" folgen 2 ), die sie mit einem göttlichen Adler vergleicht, welcher die Seele mit plötzlichem Ungestüm ergreife und emporhebe. Die von uns mitgeteilten Auszüge genügen für unsere Zwecke; wer dieselben aufmerksam durchliest, wird kein Bedenken tragen, ihnen den vollen Wert einer guten psychologischen Beobachtung zuzusprechen 3 ). ') Kap. 18. — Man vgl. noch Plotin's VI. Enneade und Tauler: Institutiones divinae, Kap. 12. 26. 35. *) Kap. 20. ') Die Heilige beschreibt ihren körperlichen Zustand während der Verzückungsperioden in folgender Weise: „Ich sage also, wie es mir mehrmalen vorgekommen, als würde mein Körper so leicht, als ob mir die ganze Schwere von demselben hinweggenommen
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V. Kap.
Die Vernichtung des Willens.
Eine Prüfung der eingehenden Berichte anderer Ekstatiker (auf deren Wiedergabe wir hier verzichten müssen) lehrt, dass wir mit Rücksicht auf unser Thema zwei Hauptarten der Ekstase zu unterscheiden haben. Bei der Ekstase der ersten Art bleibt das Bewegungsvermögen bis zu einem gewissen Grade erhalten. Der Verzückte verfolgt die Leidensgeschichte, die Geburt Christi oder irgend eine andere religiöse Begebenheit in ihrer Entwicklung und bringt das Geschaute durch entsprechende Bewegungen zum Ausdruck. Er hat eine Reihe von sehr lebhaften Vorstellungen, deren Ausgangspunkt immer derselbe bleibt, und deren Verkettung sich bei jedem Anfalle ganz automatisch in stets gleicher Weise wiederholt. Bekannte Beispiele dafür sind [die stigmatisierten Jungfrauen] Maria von Morl und Louise Lateau. Die andere Art der Ekstase ist die Ekstase im Zustand der Ruhe. Hier herrscht allein die Idee, gewöhnlich eine abstrakte oder metaphysische Idee: bei der hl. Theresia ist es Gott, bei den Buddhisten das noch gestaltlosere Nirväna. Die Bewegungen werden unterdrückt, man fühlt nur noch „die Nach wehen einer inneren Erregung". Wir wollen im Vorbeigehen darauf hinweisen, wie sehr dies unsere obige Behauptung bestätigt, dass bei den abstrakten Ideen die Tendenz zur Bewegung auf ein Minimum reduziert sei. Je worden, und zwar zuweilen dergestalt, dass ich gleichsam nicht spürte, wie ich die Füsse auf den Erdboden setzte. Wenn jemand sich in der Verzückung befindet, bleibt der Leib wie tot, so dass er oftmals mit sich nichts vornehmen kann; wo sie ihn erfasst, sitzend, mit geschlossenen, mit offenen Händen, so bleibt er allezeit. Denn wenn man auch nicht oft die Sinne verliert, so ist mir's doch etliche Male begegnet, dass ich völlig bewusstlos geworden bin, jedoch selten und nicht lange. Das Gewöhnliche ist, dass man in Verwirrung gerät und dass, wenn man auch äusserlich nichts vorzunehmen im Stande ist, , man doch, wie aus der Ferne, versteht und hört. Ich behaupte aber nicht, dass, wenn es mit der Verzückung aufs höchste gekommen, man etwas verstehe oder höre." (Kap. 20.)
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Die Verzückung.
mehr bei diesen Ideen, die nur Vorstellungen von Vorstellungen, also reine Schemata sind, das vorstellende Element an Intensität verliert, um so schwächer wird notwendigerweise auch das bewegende Element. In beiden Fällen aber findet bei dem ekstatischen Geisteszustände eine völlige Durchbrechung der Gesetze des normalen Bewusstseinsmechanismus
statt.
Das Bewusstsein
existiert nur
unter der Voraussetzung eines fortwährenden Wechsels, es ist seinem Wesen nach
diskontinuierlich;
ein
sich immer
bleibendes kontinuierliches Bewusstsein wäre ein Unding.
gleich Die
Ekstase bringt so viel Kontinuität zu stände, als unter den obwaltenden Verhältnissen überhaupt möglich ist.
Wie wir aber
eben von der heiligen Theresia gehört haben, verschwindet dann entweder das Bewusstsein, —
oder es kehrt das Auffassungs-
vermögen mit dem Erinnerungsvermögen (d. h. also mit anderen Worten die Diskontinuität) zurück, und das Bewusstsein wird dadurch wieder belebt. Zu dieser psychologischen Anomalie kommt noch eine andere hinzu.
Jeder Bewusstseinszustand
hat im geraden
Verhältnis
zu seiner Lebhaftigkeit das Streben, sich irgendwie zu äussern. Bei der höchsten Ekstase findet gar keine, oder doch wenigstens nur eine sehr geringe derartige Aeusserung statt, und weil somit die motorische Phase fehlt, dauert die intellektuelle Erregtheit mit gleicher Stärke fort. Verhältnissen zugleich
Das Gehirn, das unter normalen
ein intellektuelles
Organ ist, hört auf, motorisch zu sein. intellektuellen Thätigkeit
und ein
motorisches
Ja noch mehr: bei der
sind die vielfältigen und unter sich
ungleichartigen Bewusstseinszustände, Geistesleben ausmachen, verschwunden.
welche
das
gewöhnliche
Die Empfindungen sind
unterdrückt, und mit ihnen die Assoziationen, welche durch sie hervorgerufen werden. absorbiert.
Alles wird von einer einzigen Vorstellung
Vergleicht man die normale psychische Thätigkeit
mit einem im Umlauf befindlichen Kapital, welches unaufhörlich durch die Einnahmen und Ausgaben modifiziert wird, so kann T h . R i b o t , Der Wille.
8
114
V. Kap. Die Vernichtung des Willens.
man andererseits sagen, dass unter den aussergewöhnlichen Verhältnissen, wie sie die Ekstase aufweist, das Kapital als ein Ganzes aufgehäuft liegen bleibt: statt der Verbreitung nach verschiedenen Seiten haben wir hier eine Konzentration, statt der Extensität Intensität. Es darf uns demnach nicht wunder nehmen, wenn die Verzückte in diesem Zustande intellektueller Ueberreiztheit wie umgewandelt und gleichsam über sich selbst hinausgehoben erscheint. Freilich haben die grobsinnlichen Visionen jener von Sanderet beschriebenen Bäuerin, welche eine heilige Jungfrau aus purem Golde in einem silbernen Paradiese erblickte, wenig Aehnlichkeit mit denen eines Plotin oder einer Theresia von Jesus. Aber jede Intelligenz leistet im Augenblicke der Ekstase doch das Höchste, was sie leisten kann. Nach dem Gesagten wird es kaum nötig sein, Untersuchungen darüber anzustellen, warum in jenem Zustande weder eine Wahl stattfindet, noch Handlungen ausgeführt werden. Eine Wahl ist deshalb nicht möglich, weil eine solche das Vorhandensein jenes komplizierten Ganzen, des sogenannten Ichs, voraussetzt, welches hier verschwunden ist; die Persönlichkeit ist auf eine einzige Idee oder Vision beschränkt, und es kann aus diesem Grunde keinen Zustand geben, der gewählt, d. h. allein und mit Ausschliessung aller übrigen Zustände dem Ganzen einverleibt würde; kurz, es giebt nichts, was wählen, und nichts, was gewählt werden könnte. Ebenso gut liesse sich eine Wahl ohne Wähler und ohne Kandidaten denken. Auf gleiche Weise wird jedes Handeln schon im Keime erstickt. Es bestehen nur die elementarsten Formen der Thätigkeit fort, ohne welche das organische Leben nicht möglich wäre, z. B. die Atembewegungen. Es ist dies ein interessanter Fall von Wechselwirkung oder psychologischem Antagonismus: was die eine Funktion gewinnt, geht der anderen verloren; je mehr das Denken . in den Vordergrund tritt, um so schwächer wird die Bewegung. Die Ekstase ist somit gerade das Gegenteil von denjenigen Zuständen, bei welchen das Bewegungsvermögen die
Der Somnambulismus.
115
Oberhand erlangt (z. B. Veitstanz, Epilepsie, Konvulsionen). Bei diesen haben wir ein Maximum von Bewegung mit einem Minimum von Bewusstsein, bei der Ekstase eine grosse Lebendigkeit des Bewusstseins mit einem Minimum von Bewegung. Dem Organismus steht in jedem gegebenen Augenblicke nur ein bestimmtes Kapital von nervöser und seelischer Kraft zur Verfügung. Wird dieses von einer Funktion ganz und gar aufgebraucht, so bleibt für die anderen Verrichtungen nichts übrig. Welche Funktion in dieser Weise das Uebergewicht erlangt, hängt von der Natur des Individuums ab. Nachdem wir so die Vernichtung des Willens auf ihrem Höhepunkte studiert haben, wollen wir noch darauf hinweisen, dass man in der beschaulichen Betrachtung und im tiefen Nachdenken mildere und abnehmende Formen dieser Willensertötung zu sehen hat. Die Unfähigkeit beschaulicher Geister zum praktischen Handeln hat physiologische und psychologische Gründe, über welche die Ekstase uns näheren Aufschluss gegeben hat. 2.
Es würde von gleichem Interesse für die Psychologie und für die Physiologie sein, wenn man wüsste, wodurch jene Aufhebung des Bewusstseins bei dem natürlichen oder künstlich herbeigeführten Somnambulismus bewirkt wird, und auf welchen organischen Verhältnissen dieselbe beruht. Zwar ist gerade diese Frage während der letzten Jahre viel behandelt worden, doch ist man über blosse Theorieen dabei noch nicht hinausgekommen, und wir haben die Wahl zwischen verschiedenen Hypothesen. Einige Forscher, wie Schneider und Berger, betrachten die in Rede stehende Erscheinung als eine Folge der „erwartenden" Aufmerksamkeit, welche eine einseitige und anormale Konzentration des Bewusstseins herbeiführe. Preyer erklärt dieselbe durch seine Theorie vom Schlaf. Wieder andere, wie Rumpf, nehmen dabei reflektorische Veränderungen des Blutumlaufs im Gehirne an, d. h. also Erscheinungen von Blutüber8*
116
V. Kap.
Die Vernichtung des Willens.
füllung oder Blutleere in der Oberfläche der Gehirnhemisphären. Heidenhain, welcher die letzte dieser Theorieen bekämpft, glaubt, dass der Hypnotismus durch einen Hemmungsakt herbeigeführt werde. Er meint, die Thätigkeit gewisser Rindennervenzellen erleide dabei eine Unterbrechung, vielleicht infolge einer Veränderung in der Anordnung der Moleküle, durch welche die funktionelle Bewegung der grauen Substanz aufgehoben werde. Diese Erklärung scheint den meisten Anklang zu finden. Da sie, wenigstens vom psychologischen Standpunkt aus, als eine einfache Konstatierung von Thatsachen angesehen werden muss, so können wir uns ebenfalls mit derselben zufrieden geben. Eine Schilderung des so oft eingehend beschriebenen hypnotischen Zustandes') möchten wir uns hier ersparen. Wir wollen nur darauf hinweisen, dass mit Somnambulismus, Hypnotismus und den anderen entsprechenden Ausdrücken nicht ein Zustand bezeichnet wird, der bei allen Individuen und unter allen Verhältnissen derselbe ist. Vielmehr findet man bei einem und demselben Individuum vielerlei Abstufungen desselben von der einfachen Einschläferung bis zur tiefsten Betäubung; und auch von einem Individuum zum anderen bemerkt man mannigfache Variationen desselben, nach Maassgabe der Konstitution, der Gewohnheit, der pathologischen Verhältnisse u. s. w. Es wäre deshalb unrichtig, wenn man bei jedem einzelnen Falle von vornherein eine Vernichtung der Willenskraft annehmen wollte. Wir werden vielmehr sehen, dass dies bisweilen recht zweifelhaft ist. Nehmen wir zuerst diejenige Form des Hypnotismus, welche mehrere Schriftsteller als die lethargische bezeichnet haben. Die geistige Starrheit und Unthätigkeit ist hier eine vollständige; das Bewusstsein ist erloschen; die Reflexe sind übermässig gesteigert — eine Erscheinung, die immer mit der Schwächung der höheren Geistesthätigkeit verknüpft ist. Der Hypnotisierte erhebt sich auf den Befehl des Hypnotiseurs, geht, setzt sich, sieht abwesende >) Man vgl. besonders die Aufsätze von Eichet in der Revue philosopbique vom Oktober und November 1880 und vom März 1883.
Der Somnambulismus.
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Personen, glaubt sich auf Reisen und beschreibt Landschaften. Er hat, wie man sagt, keinen andern Willen als den des Hypnotiseurs, oder wenn man den Vorgang etwas wissenschaftlicher beschreiben soll, es wird auf dem leeren Blickfelde seines Bewusstseins ein Zustand erregt, und da jeder Bewusstseinszustand das Streben hat, in einen Akt überzugehen, — entweder sofort oder nachdem er Assoziationen wachgerufen hat —, so erfolgt darauf ein Akt. Wir haben es also hier nur mit einem besonderen Falle zu thun, in dem ein wohlbekanntes Gesetz zur Anwendung kommt, welches auf psychologischem Gebiete dem für die Reflexe geltenden physiologischen Gesetze entspricht; und zwar ist der Uebergang zur Handlang hier um so leichter, als er durch nichts gehindert wird, weder durch ein Hemmungsvermögen noch durch einen antagonistischen Bewusstseinszustand; denn die suggerierte Idee herrscht ja allein in dem eingeschläferten Bewusstsein. — Auf gleiche Weise erklären sich gewisse Thatsachen, die dem Anscheine nach noch wunderbarer sind. Wenn man nämlich die Glieder eines Hypnotisierten in bestimmte Stellungen bringt, so erweckt man dadurch in seinem Geiste die Gefühle, durch welche diese Stellungen sonst hervorgerufen werden, z. B. Stolz, Schrecken, Demut oder fromme Andacht. Stellt man seine Gliedmaassen zum Klettern ein, so beginnt er zu klettern, und giebt man ihm irgend ein Werkzeug in die Hand, mit welchem er vertraut ist, so beginnt er damit zu arbeiten. Die Stellung, in welche man die Glieder gebracht hat, erregt in den Gehirnzentren die entsprechenden Bewusstseinszustände, mit denen sie durch zahlreiche Wiederholungen verknüpft worden ist; und es ist ganz gleichgültig, ob die betreffende Idee auf diesem Wege oder durch einen Befehl, bezw. eine direkte Suggestion des Hypnotiseurs hervorgerufen wird; das Ergebnis bleibt dasselbe. Man kann demnach alle diese Fälle dahin formulieren, dass man den Hypnotisierten als einen Automaten bezeichnet, welchen der Hypnotiseur je nach der Beschaffenheit seiner Organisation funktionieren lässt. Der Wille ist dabei vollständig aufgehoben, denn
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V. Kap.
Die Vernichtung des Willens.
das Bewusstsein des Ichs ist auf einen einzigen Zustand beschränkt, der nicht gewählt und auch nicht verworfen, sondern einfach als etwas von aussen Aufgenötigtes hingenommen wird. Bei dem natürlichen Somnambulismus ist die automatische Thätigkeit eine spontane, d. h. sie hat irgend einen Zustand des Gehirns zur Voraussetzung, der selbst wieder auf eine besondere Erregung im Organismus zurückgeht.
Oft ist sie in diesem Falle
von höherer Art: die Reihe der wachgerufenen Bewusstseinszustände ist eine lange und besteht aus lauter komplexen Gliedern.
Als typisches Beispiel kann man jenen Sänger anführen,
von dem Mesnet erzählt 1 ).
Wenn man diesem Manne einen
Spazierstock reichte und ihm suggerierte, derselbe sei eine Flinte, so erwachten in ihm die Erinnerungen an seine Soldatenzeit: er lud die vermeintliche Waffe, legte sich platt hin, zielte sorgfältig und machte die Bewegungen des Schiessens.
Reichte man ihm
dagegen eine Papierrolle, so wurde dadurch in seinem Geiste die Erinnerung an seinen damaligen Stand geweckt: er rollte das Blatt auf und begann zu singen.
Obschon aber in solchen
Fällen die Handlungen komplizierterer Art sind, wiederholen sie sich doch bei jedem neuen Anfalle mit einer solchen Gleichförmigkeit, dass sie dadurch ganz und gar das Gepräge eines automatischen Thuns erhalten, bei welchem jede Aeusserung des Willens ausgeschlossen erscheint. Wie überall, giebt es freilich auch hier zweifelhafte Fälle. Burdach z. B. erzählt von einer „sehr schönen" im somnambulischen Zustande gedichteten Ode.
Ein Abbé, der häufig an-
geführt wird, soll in diesem Zustande Predigten verfasst und dabei sogar Ausdrücke verbessert und ganze Sätze umgearbeitet haben.
Andere Personen machen wiederholt Selbstmordversuche
und verwenden dazu bei jedem neuen Anfalle andere Mittel. Die Berichte, welche wir über Vorkommnisse dieser Art besitzen, De l'automatisme de Ia memoire et du souvenir dans le somnambulisme pathologique. Paris, 1874. Vgl. auch P. Richer, 1. c. p. 391 ff.
Der Somnambulismus.
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sind so zahlreich, dass man sich denselben gegenüber nicht ganz skeptisch verhalten darf, wenn natürlich auch manches dabei auf Rechnung der Leichtgläubigkeit und Uebertreibung gesetzt werden muss. Man kann nun sagen: derartige Handlungen setzen eine Vergleichung voraus, welche eine Wahl, eine Bevorzugung zur Folge hat; und das ist gerade das, was man einen Willensakt nennt. Findet aber ein Willensakt statt, so muss auch ein Willensvermögen, d. h. eine selbsteigene Reaktion des Individuums vorhanden sein; dieses Willensvermögen ist unklar und beschränkt, aber es bethätigt sich doch in wirksamer Weise. Andererseits aber kann man auch behaupten, dass die automatische Thätigkeit allein schon zur Ausführung der in Rede stehenden Handlungen ausreichen müsse. Es ist ja eine anerkannte Thatsache, dass auch im normalen Zustande die geistige Arbeit des Menschen nicht selten eine automatische ist, und dass sie dadurch gelegentlich sogar an Wert gewinnt. Die sogenannte Inspiration der Dichter z. B. ist doch wohl nur eine unwillkürliche Gehirnarbeit, die fast unbewusst vollzogen wird oder doch wenigstens nur in der Form von Resultaten ins Bewusstsein gelangt. Aehnlich verhält es sich mit den Verbesserungen, die uns beim zweiten Durchlesen eines von uns verfassten Konzeptes oft ganz von selbst in den Sinn kommen: die Bewegung des Denkens führt in unserem Gehini zu neuen Assoziationen von Worten und Ideen, und diese treten alsbald an die Stelle der zuerst vorbanden gewesenen. Es ist demnach wohl denkbar, dass auch in Fällen der oben beschriebenen Kategorieen das Individuum gar nicht als ein wählendes und bevorzugendes Wesen thätig ist. Will man noch feinere Unterschiede machen, so kann man allerdings wieder behaupten, dass alle diese verschiedenen Fälle einander nicht in jeder Hinsicht gleichgestellt werden dürfen. Man kann sagen: die automatische Thätigkeit genügt wohl zur Abfassung einer Ode, nicht aber zur Korrektur derselben; denn bei der Korrektur muss eine Wahl stattfinden, so flüchtig und
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oberflächlich man sich dieselbe auch vorstellen mag. Der Wille ist also hier nicht gleich Null, er ist nur auf ein Minimum reduziert. — Schliesslich würde sich diese zweite Ansicht aber doch wieder mit der ersten berühren, oder es würde wenigstens zwischen den beiden nur eine ganz geringe Differenz bestehen. Der Leser mag sich selbst für eine der beiden Erklärungen entscheiden. Wir wenden uns nunmehr zu Fällen, bei denen die Verhältnisse etwas klarer liegen. Garnicht selten zeigen die Hypnotisierten eine gewisse Widersetzlichkeit. Sie gehorchen einem Befehle nicht oder nehmen eine Suggestion nicht sofort an. Die Magnetiseure des vorigen Jahrhunderts empfahlen deshalb bei magnetischen Kuren dem Arzte einen gebieterischen Ton, und den Patienten Glauben und Zutrauen, weil dadurch die Einwilligung erzielt und der Widerstand verhindert werde. Richer erzählt Folgendes: „Die Patientin B. führt im somnambulischen Zustande auf Befehl gewisse Handlungen aus, während sie andere verweigert. In den meisten Fällen will sie nicht lesen, obschon sie, wie wir feststellen konnten, trotz der scheinbaren Schliessung ihrer Augenlider sehen kann. Bringt man ihre Hände in eine betende Lage, so drängt sich ihrem Geiste ein Gebet auf, und sie erklärt auf Befragen, dass sie zur heiligen Jungfrau bete, dass sie dieselbe aber nicht sehe. Solange die Hände in der betreffenden Stellung bleiben, fährt sie in ihrem Gebete fort, und wenn man sie davon abzulenken sucht, giebt sie ihre Unzufriedenheit deutlich zu erkennen. Werden dann die Hände in eine andere Lage gebracht, so hört das Gebet alsbald auf. Obgleich nun hier das Gebet sich dem Geiste als etwas ganz Unvermeidliches aufdrängt, trägt dasselbe doch in gewisser Hinsicht einen vernunftmässigen Charakter, weil die Kranke den Ablenkungsversuchen widersteht und fähig ist, sich mit dem, welcher sie unterbrechen will, auseinanderzusetzen 1 )." ') P. Richer, Etüde sur l'hystero-epilepsie, p. 426 f.
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Eine andere ebenfalls von Richer beobachtete Person lässt sich ohne jede Schwierigkeit in einen Offizier, einen Matrosen u. s. w. verwandeln, sträubt sich aber unter Thränen, ein Priester zu werden. Es erklärt sich dies hinreichend aus dem Charakter und den Gewohnheiten des Mannes, sowie aus der Umgebung, in welcher er gelebt hat. Es giebt demnach Fälle, in denen zwei Zustände nebeneinander existieren. Der eine verdankt einem äusseren, der andere einem inneren Einflüsse seine Entstehung. Wir kennen die automatisch wirkende Gewalt von Zuständen der ersteren Art. Hier tritt nun einem solchen ein entgegengesetzter Zustand hindernd in den Weg: es ist also etwas vorhanden, was einem Hemmungsvermögen ähnlich sieht. Dieses Vermögen ist aber so schwach, dass es gewöhnlich wiederholten Angriffen nachgiebt, und es ist so tinbestimmt, dass man über seine Natur nichts Genaueres angeben kann. Vielleicht ist es nur ein widerstrebender Bewusstseinszustand, der durch die Suggestion selbst mit hervorgerufen wird, so dass es sich schliesslich nur um das gleichzeitige Vorhandensein zweier antagonistischer Bewusstseinszustände handeln würde. Vielleicht aber auch ist es komplizierterer Art und repräsentiert die Summe der in dem Individuum noch existierenden Tendenzen und einige Ueberreste von dem, was seinen Charakter ausmacht. — Heidenhain sieht in dem sogenannten lethargischen Zustande eine vollständige Hemmung der funktionellen Thätigkeit; er glaubt, dass durch den Befehl oder die Suggestion nur unendlich wenige Nervenelemente in der Rindenschicht in Bewegung geraten, und dass da, wo ein Widerstand eintritt, dies daher rührt, dass einige derjenigen Elemente aus ihrem Schlummer erwachen, welche im normalen Zustande die physiologische und psychologische Grundlage des Individuums bilden, indem sie der synthetische Ausdruck seines Organismus sind. Selbst wenn man sich dieser zweiten Hypothese anschliesst, muss man doch zugeben, dass das, was dann von dem Willensvermögen, von der Fähigkeit des Individuums, seiner Natur
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gemäss zu reagieren, übrig bliebe, nur eine embryonale Anlage und ein so wenig wirkungskräftiges Vermögen sein würde, dass man es kaum noch einen Willen nennen könnte. Wir wollen auch noch darauf hinweisen, dass, wenn es schon für den Beobachter schwer ist, zu erraten, welche Reaktions fähigkeit das widerspenstige Individuum noch besitzt, dieses selbst sich darüber noch viel weniger ein Urteil bilden kann: „Eine aufmerksame Analyse der Erscheinungen, wie sie unterrichtete und intelligente Menschen geben können, die sich freiwillig der Einwirkung des Magnetisierens unterzogen haben, zeigt, dass es selbst für die hypnotisierte Person äusserst schwer ist, sich Rechenschaft davon abzulegen, ob sie nicht simuliert. Sollen derartige Beobachtungen angestellt werden, so darf der Schlaf nicht ein zu tiefer sein... . . Im Anfangsstadium der Hypnose bleibt das Bewusstsein noch wach, und doch beginnt schon ganz deutlich die automatische Thätigkeit. „Ein Breslauer Arzt hatte Heidenhain versichert, dass das Magnetisieren auf ihn keinerlei Wirkung ausüben würde. Nachdem er in den hypnotischen Anfangszustand versetzt worden war, konnte er auch nicht ein einziges Wort hervorbringen, erklärte aber, als er wieder geweckt worden war, er habe sehr gut reden können, und wenn es nicht geschehen sei, so liege der Grund darin, dass er nicht gewollt habe. Nach erneutem Bestreichen verfiel er wieder in den beschriebenen Zustand und konnte auch dieses Mal nicht sprechen. Als man ihn jetzt wieder weckte, musste er zugeben, dass er deshalb nicht gesprochen habe, weil es ihm einfach nicht möglich gewesen sei. „Einer meiner Freunde, den ich wiederholt in dieser Weise halb hypnotisiert habe, hat dieses eigentümliche Unvermögen, an welches der Hypnotisierte selbst nicht glaubt, genauer studiert. Wenn ich ihm eine Bewegung angebe, so führt er sie immer aus, selbst wenn er vor der Magnetisierung fest entschlossen war, mir ungehorsam z u sein. Gerade hierüber wundert er sich beim Erwachen am meisten. „Sicherlich", sagt er, „ k o n n t e ich
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Widerstand leisten, aber ich hatte nicht den W i l l e n , es zu thun." Er ist bisweilen versucht, zu glauben, dass er simuliere. „Wenn ich mich in dem hypnotischen Anfangsstadiujn befinde," sagt er, „simuliere ich die automatische Thätigkeit, obwohl ich, wie mir scheint, auch ganz gut anders handeln könnte. Ich habe anfangs den festen Vorsatz, nicht zu simulieren; sobald aber der Schlaf beginnt, kommt es mir vor, als ob ich es gegen meinen Willen doch thäte." Ein solches Simulieren ist aber in Wahrheit kein Simulieren. Dass die Thätigkeit wirklich automatischer Natur ist, wird schon dadurch bewiesen, dass glaubwürdige Personen im hypnotischen Zustande ganz und gar wie Automaten handeln und nicht anders handeln können. Ob sie sich e i n b i l d e n , dass sie sich schliesslich widersetzen könnten, ist dabei ganz gleichgültig. Sie widersetzen sich n i c h t , und nur darauf kommt es an, nicht auf ihre eingebildete Fähigkeit, Widerstand zu leisten 1 )." Immerhin ist dieses Widerstandsvermögen, so schwach es auch sein mag, nicht völlig gleich Null. Es ist ein letztes Lebenszeichen der auf ein Minimum reduzierten individuellen Reaktion; es steht an der Grenze der Vernichtung, ohne diese Grenze jedoch zu überschreiten. Die fälschliche Vorstellung von diesem schwachen Hemmungsvermögen muss irgend einem ebenso unsicheren physiologischen Zustande entsprechen. Im grossen und ganzen aber kann man den natürlichen und den künstlich herbeigeführten somnambulischen Zustand mit gutem Rechte als einen Fall von Willensvernichtung bezeichnen. Die Ausnahmen sind selten und dunkel; und doch können auch sie uns manches lehren. Sie zeigen wieder einmal, dass der Wille nicht eine unveränderliche Quantität ist, dass er vielmehr gelegentlich auf ein solches Minimum reduziert erscheint, dass man sein Vorhandensein ebenso gut leugnen wie behaupten kann. Beiläufig wollen wir noch eine Thatsache erwähnen, welche ') Ch. Richet, in dem angeführten Aufsatz, p. 348f.
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zwar mit der Pathologie des Willens direkt nichts zu schaffen hat,
die aber doch mancherlei zu denken giebt.
Es ist die
eigentümliche T a t s a c h e , dass man gewissen Hypnotisierten anbefehlen kann, eine Handlung n a c h d e m E r w a c h e n zu irgend einer bestimmten Stunde desselben Tages oder sogar erst nach längerer Zeit,
etwa nach acht oder zehn Tagen,
auszuführen,
und dass sie dies dann auch wirklich zu der vorgeschriebenen Stunde und an dem vorgeschriebenen Tage thun, indem sie gewöhnlich erklären, „nicht zu wissen, warum sie so handeln".
In
einigen noch wunderbareren Fällen geben die betreffenden Personen sogar Scheingründe für ihr Benehmen an, suchen also einen Akt zu rechtfertigen, welcher nicht ihrem eigenen Willen entspringt, sondern ihnen ohne ihr Wissen aufgezwungen worden ist. „Die Menschen", sagt Spinoza, „glauben nur darum frei zu sein, weil sie zwar ihrer Handlungen sich bewusst sind, die Ursachen aber nicht kennen, von denen sie bestimmt werden 1 )." Durch die eben angeführten Thatsachen und andere analoge Erscheinungen wird diese Behauptung gewiss nicht widerlegt 2 ).
') [Vgl- v - Orelli, Spinoza's Leben und Lehre, Aarau, 1850, S. 134 f. — P.] *) Die Frage nach dem Zustand des Willens bei den Hypnotisierten hat in letzter Zeit zu lebhaften Erörterungen von grösster praktischer Wichtigkeit geführt. Wir haben soeben gesehen, dass es ein Leichtes ist, gewissen Personen während der Hypnose Handlungen zu suggerieren, die sie später zu einer bestimmten Zeit ausführen sollen. Nach dem Erwachen scheint dann der Auftrag völlig aus dem Gedächtnis entschwunden zu sein, bis er in dem zu seiner Ausführung bestimmten Augenblicke darin wieder auftaucht. Der Hypnotisierte scheint demnach in der Hand des Magnetiseurs durch Vernichtung des Willens ein völlig passives Werkzeug zu werden, doch wird dies von einzelnen Gelehrten in Abrede gestellt. Die Schule von Nancy (Liébault, Beaunis, Bernheim, Liégeois) glaubt allerdings, dass bei einer zur Suggestion durchaus geeigneten Person die Aufhebung des Willens eine vollständige sei, und dass durch fortgesetzte Bemühungen schliesslich jeder Widerstand der
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betreffenden Person gebrochen werden könne. Der Hypnotisierte würde dann nur noch wie ein galvanisierter Leichnam agieren. Die Pariser Schule dagegen, deren Hauptvertreter Charcot und Brouardel sind, verwirft diese radikale Theorie, „da dieselbe sich auf Laboratoriumsverbrechen, gründe", d. h. auf Verbrechen, die das Gepräge des Gemachten und Simulierten tragen, weil sie mit einer gewissen entgegenkommenden Bereitwilligkeit ausgeführt werden. Sie behauptet, dass ein Widerstand möglich sei. Derselbe sei zwar nur sehr schwach, wenn der aufgegebene Akt keine grosse Bedeutung besitze, es sei aber anzunehmen, dass er in wirklich ernsten Fällen mit der Wichtigkeit der suggerierten Handlung zunehmen und sich dann in verschiedener Weise äussern würde: vielleicht würde die als Versuchsobjekt dienende Person sich weigern aufzuwachen, bis der Befehl widerrufen wäre, vielleicht würde sie im Augenblicke der Ausführung in Schlaf versinken oder von Konvulsionen befallen werden. „Der Hypnotisierte", sagen jene Gelehrten, „führt nur das aus, wozu er wirklich den guten Willen hat." Man vgl. über diese Frage: Beaunis, Le Somnambulisme provoqué; Bernheim, De la suggestion etc.; Liégeois, De la suggestion et du somnambulisme; Pitres, Des suggestions hypnotiques ; Gilles de la Tourette, L'hypnotisme et les états analogues, etc.
TL Kapitel. Schlussbetrachtungen. Nachdem wir so die verschiedenen Krankheitstypen studiert haben, wollen wir zusehen, ob sich nicht ein Gesetz finden lässt, welches die Ergebnisse der Pathologie zusammenfasst und dabei auch über den normalen Zustand einiges Licht verbreitet. Als etwas thatsächlich Gegebenes existiert nur der Willensakt, d. h. eine Wahl, auf welche Handlungen folgen. Das Stattfinden des Willensaktes ist an gewisse Vorbedingungen gebunden. Es kann durch das Fehlen eines Antriebes oder einer Hemmung, durch eine übermässige Steigerung der automatischen Thätigkeit oder durch das zu lebhafte Hervortreten einer Tendenz, eines Wunsches oder einer fixen Idee auf Augenblicke, Stunden oder Tage hinaus, ja während einer ganzen Lebensperiode unmöglich gemacht werden. Die Gesamtheit und das vereinte Wirken aller für einen Willensakt erforderlichen und zureichenden Voraussetzungen kann man W i l l e n nennen. Im Verhältnis zu den einzelnen Willensakten ist der Wille eine Ursache, obschon er selbst wieder eine Summe von Wirkungen, eine mit ihren Komponenten sich ändernde Resultante ist: das hat uns die Pathologie gezeigt. Die Komponenten, um die es sich dabei handelt, sind, wenn wir sie in aller Kürze angeben sollen, die folgenden:
D. Wille ist d. Abscbluss einer fortschreit. Entwickig.
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1. Die Tendenzen zur Handlung (oder zur Hemmung), welche in den Umständen, in der Lebenssphäre, in Ratschlägen oder in der Erziehung ihren Grund haben, d. h. überhaupt alle diejenigen Bestrebungen, welche als Wirkungen ä u s s e r e r Ursachen angesehen werden müssen. 2. Der Charakter, eine Hauptkomponente; derselbe ist eine Wirkung i n n e r e r Ursachen und darf nicht als eine Wesenheit aufgefasst werden, er ist vielmehr die Resultante aller der unendlich zahlreichen und einzeln genommen unendlich unbedeutenden Zustände und Tendenzen der anatomischen Elemente, welche sich zu einem bestimmten Organismus vereinigen, oder wenn wir es noch kürzer ausdrücken sollen, er ist für uns der psychologische Ausdruck eines bestimmten organisierten Körpers, von dem er seine eigentümliche Färbung, seine besondere Stimmung und auch seine relative Beharrlichkeit erhält. Auf dieser Grundlage beruht in letzter Linie die Möglichkeit des Wollens, und je nach ihrer Beschaffenheit ist der Wille energisch, schlaff, intermittierend, gewöhnlich oder aussergewöhnlich. Betrachten wir sodann nicht mehr die wesentlichen Grundelemente des Willens, sondern die Stadien, welche er durchlaufen muss, wenn er zu stände kommen soll, so sehen wir, dass der Willensakt den Abschluss einer fortschreitenden Entwicklung bildet, deren erste Stufe der einfache Reflex ist; er ist die höchste Form der Thätigkeit, d. h. der Fähigkeit, Handlungen auszuführen, oder des Reaktionsvermögens. Als Grundlage dient ihm das Erbe zahlloser Generationen, nämlich die im Organismus registrierte ursprüngliche automatische Thätigkeit mit einfacher Koordination, jene fast unveränderliche Thätigkeit, die in der fernen Urzeit von einem rudimentären Bewusstsein begleitet gewesen sein muss, später aber dieses immer mehr verloren hat, je fester und vollkommener sie wurde und je mehr sie sich bei der Gattung und bei der Art organisierte. Auf dieser Art von Thätigkeit beruht die bewusste und individuelle Thätigkeit der Begierden, Wünsche, inneren Gefühle
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VI. Kap.
Schlussbetrachtungen.
und Leidenschaften, welche eine viel kompliziertere und weit weniger beständige Koordination aufweist. Die oberste Stufe nimmt die ideomotorische Thätigkeit ein, die in ihren höchsten Aeusserungen eine sehr feste und sehr komplizierte Koordination erreicht. Damit sind wir bei dem vollkommenen Willensakte angelangt. Die grundlegende Voraussetzung des Willensaktes ist demnach eine stufenmässige Koordination, d. h. es genügt nicht, dass Reflexe mit Reflexen, Wünsche mit Wünschen, und vernünftige Tendenzen mit vernünftigen Tendenzen koordiniert sind, sondern es muss wieder eine Koordination dieser verschiedenen Gruppen untereinander stattfinden, und zwar eine Koordination mit gegenseitiger Ueber- und Unterordnung, die alles nach einem einzigen Punkte (dem zu erreichenden Ziele) hin konvergieren lässt. Man erinnere sich der im Vorhergehenden besprochenen Krankheitsfälle, besonders der unwiderstehlichen Antriebe, welche für sich allein schon beinahe die ganze Pathologie des Willens ausmachen, und man wird jetzt erkennen, dass überall da, wo die Uebermächtigkeit der Antriebe die Krankheitsursache ist, eine stufenmässige Koordination fehlt, und dass das Handeln -des Individuums in diesen Fällen ganz der Einheitlichkeit und Regelmässigkeit entbehrt und einen durchaus zügellosen, anarchischen Charakter trägt. Betrachten wir also den Willen nach seinen wesentlichen Grundelementen oder nach seinen Entwicklungsphasen (beides ist nicht von einander zu trennen), so sehen wir, dass sein letztes Ergebnis, der Willensakt, nicht eine von aussen hinzukommende Erscheinung unbekannten Ursprunges ist, sondern dass derselbe im tiefsten Inneren des Individuums wurzelt, ja dass sein Ursprung noch über das Individuum hinaus in der eigentümlichen Anlage der Art und der Gattung gesucht werden muss. Er kommt nicht von oben, sondern von unten; er ist sozusagen eine Sublimation der niederen Elemente. Man kann die vom Individuum gebilligte Willensregung mit dem Schlussstein eines Gewölbes vergleichen.
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Das Gesetz für die Auflösung des Willens. Das Gewölbe verdankt diesem Steine nicht allein seine sondern überhaupt sein Bestehen; der Stein aber stützende Kraft erst von den anderen Steinen, die und einschliessen, wie er seinerseits sie drückt und
Festigkeit, erhält die ihn halten festmacht.
Diese sehr abgekürzten Vorbemerkungen waren unerlässlich zum Verständnis des Gesetzes, welches für die Auflösung oder Zersetzung des Willens gilt; denn da Auflösung und Entwicklung immer einen entgegengesetzten Weg gehen, so müssen, wenn die obigen Ausführungen richtig sind, die kompliziertesten Willensäusserungen eher verschwinden als die einfachsten, und die einfachsten eher als die automatische Thätigkeit. Fassen wir also den Willensakt nicht als ein einzelnes Ereignis, sondern als die höchste Kundgebung der Thätigkeit, so können wir diesem Gesetze folgenden Wortlaut geben: d i e Z e r s e t z u n g g e h t r ü c k w ä r t s vom W i l l k ü r l i c h s t e n u n d K o m p l i z i e r t e s t e n z u m w e n i g e r W i l l k ü r l i c h e n u n d w e n i g e r K o m p l i z i e r t e n , d. h. s c h l i e s s l i c h bis z u r a u t o m a t i s c h e n T h ä t i g k e i t . Es fehlt uns auch nicht an thatsächlichen Beweisen für die Richtigkeit dieses Satzes. Wir brauchen unter den vorhandenen ärztlichen Berichten nur zu wählen. Im Jahre 1868 machte Hugblings Jackson bei der Besprechung gewisser Störungen des Nervensystems unseres Wissens zuerst darauf aufmerksam, „dass die willkürlichsten und speziellsten Bewegungen und Fertigkeiten bei den Erkrankungen zuerst und mehr als die anderen Schaden leiden" 1 ). Er stellte dieses „ Auflösungsgesetz" oder „Prinzip der Rückkehr zu einem automatischeren Zustande" als ein Gegenstück neben Herbert Spencer's Theorieen über die Entwicklung des Nervensystems. Als Beispiel nahm er einen der einfachsten Fälle, die gewöhnliche halbseitige Lähmung infolge einer Verletzung des Streifenhügels. Die experimentellen Voraussetzungen sind dabei durch einen in die Gewebe eingedrungenen Blutklumpen geschaffen worden. Wir ') Clinical and physiological Researches on the nervous System, London, 1875. T h . R i b o t , Der Wille.
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Schlussbetrachtungen.
sehen, dass der Patient, dessen Gesicht, Zunge, Arme und Beine gelähmt sind, auf der einen Körperseite die willkürlichsten Bewegungen eingebüsst, die automatischsten aber behalten hat. Das Studium der verschiedenen Fälle von halbseitiger Lähmung zeigt uns in der That, dass die äusseren Partieen, welche am meisten bei diesen Erkrankungen betroffen werden, diejenigen sind, welche psychologisch am meisten unter der Herrschaft des Willens stehen und physiologisch genommen die grösste Zahl von verschiedenartigen Bewegungen auszuführen haben, Bewegungen, die nicht nach Art der automatischen gleichzeitig stattfinden, sondern durch zahlreiche ungleich lange Zeitzwischenräume von einander getrennt werden. Ebenso macht Ferrier in seinen Vorlesungen über die Lokalisation der Gehirnkrankheiten darauf aufmerksam, dass die vollständige Zerstörung der motorischen Region in der Hirnrinde, sowie diejenige des Streifenhügels „die verschiedenen Bewegungen in derselben Weise beeinflusst, indem (wenigstens dann, wenn die erste Erschütterung vorüber ist) diejenigen am meisten von der Lähmung betroffen erscheinen, welche am meisten unter dem Einflüsse des Willens stehen. Die Gesichtslähmung hat ihren Sitz vornehmlich in dem unteren Teile des Gesichts und erstreckt sich dort auf die unabhängigsten Bewegungen: der Stirnmuskel und die Schliessmuskeln der Augenlider werden davon nur wenig betroffen. Die Bewegungen des Beines leiden bei Lähmungen weniger als die des Armes, und die Bewegungen des Armes weniger als die der Hand." Ferrier unterscheidet auch verschiedene Arten von Bewegungen mit verschiedener Lokalisation im Gehirn, nämlich einerseits „diejenigen, welche mit Bewusstseinserscheinungen verbunden sind, und die wir im strengsten Sinne des Wortes willkürliche Bewegungen1 nennen" (lokalisiert in den oberen Rindenzentren), und andererseits die, „welche als automatische, instinktive oder responsive. Bewegungen beschrieben werden, mit Einschluss der motorischen Gleichgewichtsanpassungen und derjenigen motori-
Das Gesetz für die Auflösung des Willens.
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sehen Koordination, welche zum instinktiven Ausdruck der Gemütserregungen dient." (Diese sind seiner Angahe nach mehr oder weniger vollständig in den unter der Hirnrinde liegenden Zentren organisiert.) Er weist darauf nach, dass die Bewegungen der zweiten Art eine verhältnismässige Unabhängigkeit besitzen, welche bei den niederen Wirbeltieren (z. B. bei Fröschen und Tauben) am grössten, bei den Affen und beim Menschen am geringsten ist. „Ich habe es gewagt", fährt er fort, „im voraus zu behaupten, dass auch bei den Tieren, deren motorische Fähigkeiten von einer zerstörenden Verletzung der Nervenzentren wenig zu leiden schienen, jedenfalls diejenigen Bewegungen gelähmt sein müssten, welche mit Bewusstseinserscheinungen verbunden zu sein pflegen und nicht automatisch organisiert gewesen sind, also die willkürlichen Bewegungen. Goltz hat z. B. gezeigt, dass die Pfote eines Hundes, dessen Hirnrinde verletzt worden ist, zwar nicht in ihren lokomotorischen Funktionen, wohl aber in allen denjenigen Verrichtungen, bei welchen sie nach Art einer Hand verwendet wird, eine endgültige Lähmung erleidet 1 ). Dieses letzte Experiment ist für uns von der grössten Bedeutung: es lehrt uns, dass bei einem Organe, welches zugleich zur Fortbewegung und zum Greifen eingerichtet ist, das Fortbewegungsvermögen, wenn es auch eine kleine Einbusse erleidet, der Hauptsache nach noch erhalten bleibt, wenn die Fähigkeit zu greifen, welche auf den feinsten und kompliziertesten Anpassungen und Koordinationen beruht, schon längst verschwunden ist. >) Bei den von Goltz angestellten Versuchen hat sich ergeben, dass der Hund dann, wenn seine linke Hirnhälfte verletzt wird, bei jeder Bewegung, zü welcher ihm die Vorderpfoten als Hände zu dienen pflegen, die rechte Pfote unbenutzt lässt. Er hält z. B. einen Knochen bloss noch mit der linken Vorderpfote, und nur mit dieser wühlt er im Boden, nur mit ihr berührt er seine Wunde. Ist das Tier abgerichtet gewesen, auf Befehl die Pfote zu geben, so reicht es nach der Verstümmelung nur die Linke hin, während die Rechte unbeweglich am Boden bleibt. (Goltz, nach dem Dictionnaire encyclop. des sciences medicales, Artikel Nerveux, p. 588.) 9*
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VI. Kap.
Schlussebtrachtungen.
Die Unbeständigkeit der willkürlichen, komplizierten oder höheren Thätigkeit (alle diese drei Attribute besagen im Grunde dasselbe) im Verhältnis zu der automatischen, einfachen oder niederen Thätigkeit zeigt sich auch noch in progressiver Form „Die ersten bei der allgemeinen Paralyse der Geisteskranken. Unvollkommenheiten des Bewegungsvermögens," sagt Foville, „nämlich diejenigen, welche in einer eben erst beginnenden und kaum bemerkbaren Störung der zwischen den verschiedenen Muskelkontraktionen hergestellten Harmonie bestehen, lassen sich um so besser beurteilen, je mehr sie feinorganisierte Bewegungen betreffen, zu deren Ausführung eine grosse Fertigkeit und Präzision erforderlich ist. Es darf uns also nicht wunder nehmen, dass sie zu allererst in den feinen Muskeloperationen zu Tage treten, welche zur Lauterzeugung dienen." Sprachstörungen sind bekanntlich das erste Symptom der allgemeinen Paralyse. Anfangs so unbedeutend, dass nur ein geübtes Ohr sie wahrnimmt, nehmen sie immer grössere Dimensionen an und schliesslich sinkt die Aussprache zu einem unverständlichen Lallen herab. „Die Muskeln, welche zur Artikulation dienen, haben ganz ihr einheitliches Zusammenwirken eingebüsst; sie können nur noch mit Mühe zusammengezogen werden; das Wort ist unkenntlich geworden. „Bei den Gliedmaassen werden zuerst nur diejenigen Bewegungen gestört, welche eine grosse Aufmerksamkeit und Präzision erfordern. Die Patienten können noch weite Wege machen und mit den Armen Arbeiten verrichten, zu denen nur Gesamtbewegungen nötig sind; sie sind aber nicht mehr im stände, kleine und feine Fingerbewegungen auszuführen, ohne dabei ein wenig zu zittern oder mehrmals von vorn zu beginnen. Man bemerkt dies besonders dann, wenn man sie ersucht, eine Nadel von der Erde aufzuheben, ihre Uhr aufzuziehen, oder etwas Aehnliches zu thun. Handwerker, welche durch ihren Beruf an sehr feine Arbeiten gewöhnt sind, verlieren die Fähigkeit, ihrer Beschäftigung obzuliegen, viel eher als Leute, die nur grobe Arbeiten
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zu verrichten haben. — "Wollen die Patienten schreiben, so halten sie die Feder mit einer Unsicherheit, welche sich auch in einer mehr oder weniger ausgesprochenen Unregelmässigkeit der Schriftzeichen verrät. Im weiteren Verlaufe der Krankheit, wird die Handschrift dann immer zitternder und ungeschickter, so dass man an Briefen, die zu verschiedenen Zeiten geschrieben sind, deutlich den Fortschritt des Leidens studieren kann, bis der Patient schliesslich überhaupt nicht mehr im stände ist zu schreiben. „Später zeigt sich die Unsicherheit der oberen Gliedmaassen sogar in den Gesamtbewegungen: das Zittern und die Entkräftung machen es dem Patienten unmöglich, Speisen direkt an den Mund zu bringen, sein Taschentuch herauszuziehen, es wieder einzustecken, u. s. w. „Bei den unteren Gliedmaassen nimmt die Krankheit einen ähnlichen Verlauf. Anfangs schreiten die Paralytiker fest und bestimmt einher, aber nur, wenn sie geradeaus gehen; wollen sie nach rechts oder links schwenken oder Umdrehungen am Ort ausführen, so tritt sofort das Zögern und der Mangel an Präzision zu Tage. Späterhin haben sie auch beim Geradeausgehen einen schweren schlecht koordinierten Schritt, und schliesslich macht ihnen die geringste Gehbewegung ausserordentliche Mühe 1 )." Wir wollen ferner noch auf die Motilitätsstörungen hinweisen, welche durch übermässigen Alkoholgenuss herbeigeführt werden. Eine der ersten Erscheinungen ist das Zittern, „von dem zunächst die Hände, dann die Arme, die Beiùe, die Zunge und zuletzt auch die Lippen befallen werden. Dieses Zittern nimmt immer mehr zu, und bald gesellt sich dazu eine noch bedenklichere Störung, die Schwächung der Muskeln. Dieselbe tritt zuerst an den oberen Gliedmaassen zu Tage. Die Finger werden ungeschickt und unbrauchbar, die Hand umfasst festzuhaltende Gegenstände nur noch unvollkommen oder lässt sie ganz fallen. Dann zeigen sich ähnliche Symptome am Unter- und Oberarm, Foville, Dictionnaire de médecine, etc., Artikel Paralysie générale, p. 97—99.
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Schlussbetrachtungen.
bis der Kranke sogar nicht mehr im stände ist, allein zu essen. Noch später kommen die unteren Gliedmaassen an die Reihe: dem Patienten macht das Stehen Mühe, und sein Gang wird unsicher und schwankend. So entwickelt sich das Leiden immer mehr, bis der Kranke schliesslich auch die Rückenmuskeln nicht mehr benutzen kann und deshalb im Bett bleiben muss 1 ). Im Anschluss hieran könnten wir auch noch die Vorgänge besprechen, die bei den Konvulsionen, beim Veitstanz u. s. w. stattfinden. Für den Arzt hat der Verlauf dieser Krankheiten nur eine klinische Bedeutung, wir aber können daraus manches für die Psychologie entnehmen. Alle diese Thatsachen, die man täglich zu beobachten Gelegenheit hat, werden unsere Leser wohl hinlänglich davon überzeugen, dass die Auflösung in der That vom Komplizierten und Willkürlichen zum Einfachen und Automatischen fortschreitet, dass sie also da anfängt, wo die Entwicklung aufgehört hat. Zwar haben wir bisher nur eine Desorganisation der Bewegungen studiert; wer aber die Psychologie als eine Naturwissenschaft auffasst, wird daran keinen Anstoss nehmen. Da der Willensakt für uns nicht eine Befehle erteilende Wesenheit ist, die in einer besonderen Welt regiert und sich wie eine Person von ihren Handlungen unterscheidet, sondern da wir in demselben vielmehr den letzten Ausdruck einer stufenmässigen Koordination erblicken, und da ausserdem jede einzelne Bewegung und jede Gruppe von Bewegungen in den Nervenzentren vertreten ist, so kann kein Zweifel darüber herrschen, dass jedesmal, wenn eine neue Bewegungsgruppe gelähmt wird, auch ein weiteres Element der Koordination verschwinden muss. Nimmt die Zersetzung einen fortschreitenden Verlauf, so wird die vorhandene Koordination durch die fortwährende Einbusse von Elementen immer ärmer, und durch die erfahrungsmässig nachgewiesene Thatsache, dass das Aufhören der Bewegungen im geraden Verhältnis zu ihrer ') Foumier, ebenda, Artikel Alcoolisme, p. 636 f.
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Kompliziertheit und zu der Feinheit ihrer Organisation steht, wird unser Satz endgültig bewiesen. Derselbe wird auch weiterhin noch durch den Verlauf der Sprachstörungen gestützt, die uns einen Einblick in das innerste Getriebe des Geistes gewähren. Man mag über diese den betreffenden Abschnitt in unsem Maladies de la Mémoire nachlesen, wo wir versucht haben, den Nachweis zu führen, dass die Aphasie in vielen Fällen auf einer motorischen Amnesie beruht, d. h. auf einem Vergessen der motorischen Elemente, jener Bewegungen, durch welche die artikulierte Sprache hervorgebracht wird '). Wir können auch an Trousseau's Bemerkung erinnern, dass „die Aphasie immer auf einen Gedächtnisverlust zurückgeführt werden kann, indem entweder die Lautzeichen oder die Mittel zur Artikulation der Worte vergessen werden", und ferner können wir darauf hinweisen, dass W. Ogle zwei Arten des Wortgedächtnisses unterscheidet, nämlich „erstens jenes allgemein anerkannte Erinnerungsvermögen, kraft dessen wir uns eines Wortes bewusst sind, und zweitens dasjenige Gedächtnis, welches uns befähigt, das betreffende Wort auszudrücken". Obschon dieses Vergessen der Bewegungen in erster Linie eine Krankheit des Gedächtnisses ist, lässt es uns doch auch eine Schwächung des Bewegungsvermögens, also eine Störung der willkürlichen Koordination erkennen. Der Kranke will sich ausdrücken, seine Willensregung aber führt zu keinem oder doch nur zu einem unvollständigen Ergebnis, d. h. die Summe der koordinierten Tendenzen, welche in dem betreffenden Augenblicke das Individuum, insofern es sich ausdrücken will, ausmachen, wird bei ihrem Uebergange zur Handlung teilweise gehemmt; und die Erfahrung lehrt, dass derartige Störungen der Ausdrucksfähigkeit zuerst bei den eigentlichen Worten, d. h. bei der vernunftmässigen Sprache zu Tage treten; später kommen dann die Ausrufesätze und die einzelnen Inteijektionen an die Reihe, also das, was Max Müller als „Ge') [In der dtsch. Uebers. S. 97ff.; vgl. auch Nord u. Süd XLI, S. 73 ff.]
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Schlussbetrachtungen.
fühlssprache" bezeichnet 1 ), und in sehr seltenen Fällen schliesslich sogar noch die Geberden. Auch hier also geht die Zersetzung vom Komplizierteren zum weniger Komplizierten und zum Einfachen, vom "Willkürlichen zum Halbwillkürlichen und zum Automatischen, welches letztere fast immer dem Auflösungsprozesse widersteht. Man kann auch versuchen, noch tiefer in das rein seelische Leben einzudringen, doch wird dann alles schwankend und unbestimmt. Da es auf diesem Gebiete nicht mehr möglich ist, jeden Willensakt mit einer Gruppe von Bewegungen des Sprachapparates oder der Lokomotions- und Greiforgane in Beziehung zu setzen, so tastet man der Hauptsache nach im Dunkeln umher. Immerhin lässt sich das Eine feststellen, dass die höchste Form des Wollens, die willkürliche Aufmerksamkeit 2 ), die allerseltenste und unbeständigste ist. Betrachtet man dieselbe nicht mit den Augen des inneren Psychologen, welcher sich auf die Beobachtung seiner eigenen Person beschränkt, sondern studiert man sie bei der grossen Masse der gesunden Erwachsenen, um zu ermitteln, welche Rolle sie in dem Geistesleben derselben spielt, so wird man sehen, dass sie nur äusserst selten zu stände kommt und meist von überaus kurzer Dauer ist. Wenn es möglich wäre, bei der ganzen Menschheit die Summe der in einer gegebenen Zeit durch willkürliche Aufmerksamkeit bewirkten Handlungen mit der Summe der Handlungen zu vergleichen, welche in derselben Zeit ohne diese Aufmerksamkeit ausgeführt werden, so würde sich herausstellen, dass die beiden Summen sich beinahe wie Null zu Unendlich verhalten. Gerade deshalb weil die willkürliche Aufmerksamkeit ein Zustand höherer Art ist und eine
') [Das Denken im Licht der Sprache, übers, v. E. Schneider, p. 183 ff.] 2 ) Wir bemerken ausdrücklich, dass das Gesagte nicht von der spontan eintretenden unwillkürlichen Aufmersamkeit gelten soll; vgl. darüber die ausführlichen Auseinandersetzungen auf S. 87ff.
Das Gesetz für die Auflösung des Willens.
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äusserst komplizierte Koordination 1 ) voraussetzt, kann sie nur selten zu stände kommen und befindet sich, kaum entstanden, immer schon wieder auf dem Wege zur Auflösung. Wir können zum Beweise für die Unbeständigkeit der willkürlichen Aufmerksamkeit auch noch an die allbekannte Thatsache erinnern, dass die Unfähigkeit zu anhaltendem Aufmerken eines der ersten Symptome jeder Schwächung des Geistes ist, mag dieselbe, wie beim Fieber, vorübergehend, oder wie beim Irrsinn, dauernd sein. Die höchste Form der Koordination ist demnach auch auf rein psychischem Gebiete die unbeständigste. Uebrigens ist dieses Gesetz nur ein besonderer Fall jenes grossen von uns schon früher 2 ) besprochenen biologischen Gesetzes, dass die zuletzt ausgebildeten Funktionen zuerst der Entartung anheim fallen. Bei dem Individuum besteht die automatische Koordination vor derjenigen Koordination, welche aus den Wünschen und Leidenschaften hervorgegangen ist, und diese wiederum bildet sich vor der willkürlichen Koordination, bei der gleichfalls die einfacheren Formen eher entstehen als die komplizierteren. Bei der Entwicklung der Gattungen und Arten müssen, wenn die Evolutionisten recht haben, Jahrtausende hindurch vorerst nur die niederen Thätigkeitsformen existiert haben; dann, nachdem die Koordinationen immer komplizierter geworden waren, muss schliesslich der Wille entstanden sein. Die Rückkehr unter die Herrschaft der Impulse bedeutet demnach selbst bei Geistern, die dabei noch glänzende Eigenschaften entfalten, stets an und für sich einen Rückschritt. Als zusammenfassende J
) In derselben Weise wie Gruppen von einfachen Bewegungen organisiert und koordiniert werden müssen, wenn die höhere Koordination zu stände kommen soll, welche die feinen, komplizierten Bewegungen zur Voraussetzung haben, müssen auch Gruppen von einfachen Bewusstseinszuständen organisiert, assoziiert und koordiniert werden, wenn jene andere höhere Koordination entstehen soll, welche wir Aufmerksamkeit nennen. In den Maladies de la Memoire.
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VI. Kap.
Schlussbetrachtungen.
Schlussbetrachtung über diesen Punkt kann uns folgende Stelle aus Herbert Spencer dienen: „Bei chronisch nervösen Personen, deren Blut, von verschlechterter Beschaffenheit und nur schwach fortgetrieben, nicht mehr im stände ist, eine gehörige Lebhaftigkeit der molekularen Veränderungen aufrecht zu erhalten, . . . . , kann man alltäglich eine gewisse Reizbarkeit bemerken; diese Reizbarkeit beruht aber einfach auf der relativen Unthätigkeit der höheren Gefühle. Sie entsteht, wenn eine plötzliche Entladung, die infolge eines Schmerzes oder eines Leidens durch jene Plexusse entsendet wird, welche das Handeln schmerzlichen und betrübenden Einwirkungen anpassen, nicht von einer Entladung durch jene anderen Plexusse begleitet wird, die das Handeln einer grossen Anzahl von Umständen statt nur einem Umstände anpassen. Dass die mangelhafte Erzeugung von Nervenflüssigkeit einen solchen Verlust des emotionellen Gleichgewichts wohl zu erklären vermag, ist ein Ergebnis aus alledem, was vorausgeschickt wurde. Die Plexusse, welche die Verteidigungs- und Zerstörungsthätigkeiten koordinieren, und in denen die begleitenden Gefühle von "Widerspruch und Zorn ihren Sitz haben, sind von allen vorälterlichen Geschöpfen ererbt worden und sind daher sehr fest in unserer Organisation eingewurzelt — sie sind so innig mit derselben verschmolzen, dass schon ganz kleine Kinder 1 ) sie deutlich in Thätigkeit zeigen. Diejenigen Plexusse dagegen, welche, indem sie eine grosse Mannigfaltigkeit von niedrigeren Plexussen mit einander verbinden und koordinieren, unser Verhalten einer Mannigfaltigkeit von äusseren Erfordernissen anpassen, sind erst in späterer Zeit zur Entwicklung gelangt, weshalb sie auch, abgesehen davon, dass sie weniger ausgedehnt und netzförmig ausgebildet sind, auch aus weniger leicht durchgängigen Kanälen bestehen. Daher sind denn nun diese am spätesten entwickelten und höchsten Gebilde die ersten, welche uns im Stiche lassen, sobald das Nervensystem nicht mit vollem
') [Vetter übersetzt irrtümlicherweise „das Kind in. Waffen". — P.]
Mater. Voraussetzungen der Willenskoordination.
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Drucke arbeitet. Statt augenblicklich zu reagieren, kommen ihre Thätigkeiten, wenn sie überhaupt bemerkbar sind, in der Regel zu spät, um die Thätigkeit der untergeordneten Gebilde zu hemmen 1 )." 2. Nachdem wir so Schritt für Schritt die Zersetzung des Willens verfolgt haben, glauben wir zu dem grundlegenden Ergebnis gelangt zu sein, dass der Wille als eine Koordination von wechselnder Kompliziertheit und wechselnden Graden angesehen werden muss, dass diese Koordination dio notwendige Voraussetzung jedes Willensaktes ist, und dass, wenn sie ganz oder teilweise zerstört wird, das Wollen unmöglich gemacht oder sozusagen verstümmelt wird. Bei diesem Ergebnis möchten wir jetzt ein wenig verweilen, jedoch nur, um einige Punkte noch etwas näher zu besprechen; eine Monographie des Willens zu schreiben liegt, wie wir schon mehrmals betont haben, nicht in unserer Absicht. 1. Zunächst interessieren uns die materiellen Voraussetzungen jener Koordination. Der Wille, welcher bei einigen besonders bevorzugten Individuen eine so ausserordentliche Kraft erlangt und so grosse Dinge vollführt, hat einen sehr bescheidenen und niedrigen Ursprung. Er gründet sich in letzter Linie auf die sogenannte Reizbarkeit der lebenden Materie, d. h. auf die derselben immer und überall innewohnende Eigenschaft, gegen die Einwirkung äusserer Kräfte zu reagieren. Die Reizbarkeit, eine physiologische Form des Trägheitsprinzipes, ist gewissermaassen ein Zustand ursprünglicher Undifferenziertheit, aus dem später durch Differenzierung die Sensibilität im eigentlichen Sinne und die Motilität, jene beiden Hauptgrundlagen des psychischen Lebens, hervorgehen. Die Motilität (welche uns hier allein interessiert) tritt schon im Pflanzenreiche in verschiedenen Formen auf; sie bethätigt sich Herbert Spencer, Die Principien der Psychologie. v. Vetter. I. Band § 262.
Uebers.
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VI. Kap.
Schlussbetrachtungen.
z. B. in den Bewegungen gewisser Sporen und in dem eigentümlichen Verhalten der Mimosen und Droseraceen gegen äussere Reize'). Selbst die scheinbar noch ganz homogene Protoplasmamasse, welche für sich allein rudimentäre Wesen bildet, ist mit Motilität begabt; wir brauchen nur an die Thatsache zu erinnern, dass sich die Amöben und die farblosen Blutkörperchen mit Hülfe ihrer beliebig aus der Körpermasse hervorgestreckten Fortsätze wie mit Füssen langsam von der Stelle bewegen. Alle diese Beobachtungen, über die man in Spezialwerken ausführliche Auskunft erhalten kann, lehren uns, dass die Anfänge der Motilität viel eher konstatiert werden können als die rudimentärsten Ansätze zur Bildung der Muskeln und Nerven. Wir können hier nicht die Entwicklung dieser beiden Vervollkommnungsapparate auf den verschiedenen Stufen des tierischen Lebens studieren. Nur das Eine wollen wir erwähnen, dass die Arbeiten über die Lokalisation der motorischen Zentren, welche für den Organismus des Willens so wichtig sind, einige Gelehrte veranlasst haben, den Zustand jener Zentren bei neugeborenen Lebewesen zu untersuchen. Besonders Soltmann hat sich im Jahre 1875 sehr genau mit dieser Frage beschäftigt und ist dabei zu folgenden Ergebnissen gelangt: Bei Kaninchen und Hunden giebt es unmittelbar nach der Geburt auf der ganzen Hirnrinde keinen Punkt, durch dessen elektrische Reizung man bestimmte Bewegungen hervorrufen könnte. Erst am zehnten Tage entwickeln sich die den vorderen Gliedmaassen entsprechenden Zentren, und drei Tage später erscheinen die Zentren für die hinteren Extremitäten. Am sechzehnten Tage sind diese verschiedenen Gebiete schon deutlich von einander und von den Antlitzzentren abgegrenzt. Daraus ergiebt sich, dass das Fehlen einer willkürlichen Bewegungslenkung mit dem Fehlen der dazu bestimmten Organe zusammentrifft, und dass die Gehirnzentren, in welchen die Willensarbeit vor sich geht, sichtlich immer un!) Vgl. über diese und andere Pflanzenbewegungen Darwin's bekanntes Buch The power of movement in plants, 1880.
Physiol. Entwicklung der Willenskoordination.
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abhängiger werden, je mehr das Tier lernt seine Bewegungen zu regieren 1 )." Flechsig und Parrot 2 ) haben die Entwicklung des Gehirns beim Foetus und beim Kinde studiert. Parrot hat dabei nachgewiesen, dass die weisse Substanz in ihrer allmählichen Entwickelung nach und nach vom Hirnschenkel zum Sehhügel, dann zu der inneren Kapsel, zum Centrum semiovale Vieussenii und schliesslich bis zum Hirnmantel emporwächst. Diejenigen Teile, welche sich am langsamsten entwickeln, sind für die höchsten Funktionen bestimmt. Nach dem Abschluss der Ausbildungsperiode ist der Mechanismus eines Willensaktes etwa der folgende: Die Erregung geht von den sogenannten motorischen Regionen der Rindenschicht (insbesondere von der Scheitel-Stirn-Gegend) aus und folgt dann der Pyramidenbahn, welche einige Autoren „den Nervenstrang für die willkürlichen Bewegungen" genannt haben. Dieses Bündel, in welchem sich alle aus den motorischen Hirnwindungen hervorgehenden Fasern vereinigen, erstreckt sich durch das Centrum semiovale nach unten und bildet einen kleinen Teil der inneren Kapsel, welche in den Streifenhügel eindringt „wie ein Keil in ein Stück Holz". Es durchzieht dann den Hirnschenkel und das verlängerte Mark, wo es eine mehr oder weniger vollständige Kreuzung erfährt, und geht schliesslich nach der entgegengesetzten Seite des Rückenmarkes, indem es so eine grosse Kommissur zwischen den motorischen Windungen und der grauen Substanz des Markes bildet, aus welcher die Bewegungsnerven entspringen 3 ). Man kann sich nach dieser oberflächlichen Skizze ein Bild von der Kompliziertheit der zu einem Willensakte erforderlichen Einzelvorgänge und von dem engen Zusammenhange derselben untereinander machen. Dictionnaire encycl. des sciences médicales, François-Franck, Artikel Nerveux, p. 585. 2 ) Archives de physiologie, 1879, p. 505—520. 3 ) Huguenin, AUg. Path. d. Krkh. d. Nervensyst. 1. T., Anat. Einl.; Brissaud, De la contract. perman. des hémiplég., 1880, p. 9ff.
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Schlussbetrachtungen.
Leider bestehen Meinungsverschiedenheiten über die eigentliche Natur der Gehirnzentren, von welchen die Erregung ausgeht. Ferrier und viele andere halten dieselben für motorische Zentren im strengsten Sinne des Wortes, d. h. sie glauben, dass die Bewegung in ihnen und durch sie beginnt. Schiff, Hitzig und Nothnagel, sowie Charlton Bastian und Münk haben andere Erklärungen gegeben, die jedoch viel weniger wahrscheinlich und durchsichtig sind. Sie meinen, dass jene Zentren mehr einen sensorischen Charakter haben, während das eigentlich bewegende Element der Streifenhügel sei. „Die Nervenfasern," sagen sie, „welche sich bei den höheren Tieren und beim Menschen von der Hirnrinde nach den Streifenhügeln erstrecken, sind hinsichtlich ihrer Funktion vollkommen den Fasern vergleichbar, welche die sensorischen und motorischen Zellen in einem gewöhnlichen Nervenmechanismus für Reflexbewegungen verbinden 1 )." — Es sind, mit anderen Worten, in der Hirnrinde „umschriebene Stellen vorhanden, deren experimentelle Reizung in der entgegengesetzten Körperhälfte bestimmte, lokalisierte Bewegungen hervorruft. In diesen Punkten hat man eher Zentren für eine Willensassoziation als motorische Zentren im eigentlichen Sinne des Wortes zu erblicken. Sie sind die Ursprungsstelle von Anreizungen zu den willkürlichen Bewegungen, nicht aber schon die wirklichen Ausgangspunkte der Bewegung selbst, und können deshalb mehr mit den peripherischen Empfindungsorganen als mit den motorischen Apparaten der Vorderhömer des Rückenmarkes verglichen werden. Es sind p s y c h o m o t o r i s c h e Zentren, da sie durch ihren rein psychischen Einfluss "wirkliche motorische Apparate beherrschen. . . . Die verschiedenen Punkte, welche man als motorische Zentren für die Gliedmaassen, für das Angesicht u. s. w. bezeichnet, würden demnach denjenigen Apparaten ähnlich sein, welche die peripherischen Sinneseindrücke ') Charlton Bastian, Das Gehirn als Organ des Geistes. Deutsche Uebers. 1882. II, S. 261.
Psychol. Entwicklung der Willenskoordination.
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aufnehmen und in W i l l e n s r e i z e umsetzen. Es wären mehr Willenszentren (centres volitifs) als wirklich motorische Zentren 1 )." Wie man sieht, muss also diese Frage, deren Lösung für die Psychologie mindestens ebenso interessant sein würde wie für die Physiologie, vorläufig noch als eine offene betrachtet werden, und auch im Einzelnen bestehen unter den Fachleuten noch mancherlei Meinungsverschiedenheiten (so namentlich über die Rolle des kleinen Gehirns). Man kann aber trotzdem mit Charlton Bastian sagen, dass wir, wenn wir auch seit Hume's Zeit noch nicht völlig ergründet haben, durch welche Vorrichtungen es dem Willen ermöglicht wird, Bewegungen des Körpers hervorzurufen, doch wenigstens Einiges über die dabei hauptsächlich in Frage kommenden Organe und folglich auch über den von den Willenserregungen eingehaltenen Weg gelernt haben. 2. Betrachten wir die Frage von der psychologischen Seite, so sehen wir, dass es so viele verschiedene Formen und graduelle Abstufungen der Willenskoordination giebt, dass man sich darauf beschränken muss, die hauptsächlichsten Stadien derselben anzugeben. Es wäre das Natürlichste, dabei von unten anzufangen, aber im Interesse der Klarheit wollen wir lieber den umgekehrten Weg einschlagen. Die vollkommenste Koordination finden wir bei den Heroen des Willens, bei Männern von der Thatkraft eines Caesar, eines Michel-Angelo oder eines Vincent de Paula. Auf welchem Gebiete solche Leute ihre Wirksamkeit entfalten, ist dabei ganz gleichgültig. Die drei Hauptkennzeichen der vollkommenen Koordination sind Einheit, Beständigkeit und Kraft. Die äussere Einheitlichkeit des Lebens liegt in der Einheitlichkeit des Lebensz i e l e s , welches stets im Auge behalten wird, und dem zuliebe das Individuum je nach den Umständen immer neue Koordinationen und Anpassungen eintreten lässt. Diese äussere Einheit ist aber selbst wieder nur der Ausdruck einer inneren Einheit, ') Francis Franck, 1. c. p. 577 f.
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Schlussbetrachtungen.
der Einheit des Charakters. Das Ziel bleibt d e s h a l b immer das nämliche, weil der Mensch selbst sich gleich bleibt. Den Grund seines Wesens bildet eine mächtige, nimmer ruhende Leidenschaft, welche sein ganzes Vorstellen und Denken beherrscht. Diese Leidenschaft ist er selbst, sie ist der psychische Ausdruck seiner natürlichen Konstitution. Deshalb wird alles, was in diese Koordination nicht hineinpasst, zurückgedrängt und vergessen; es bleibt unwirksam und unfruchtbar und führt sozusagen nur ein Schmarotzerdasein. Nie kommt ein Misston in die Harmonie des Lebens, denn alle Gedanken und Bestrebungen haben immer denselben Mittelpunkt. Man begegnet übrigens ähnlichen Charakteren auch unter gewöhnlichen Verhältnissen, nur machen sie dort weniger von sich reden, weil entweder ihr Ziel kein hohes ist, oder weil die Umstände sich ihnen weniger günstig erweisen, in sehr vielen Fällen auch, weil ihre Leidenschaft bei aller Beständigkeit nicht die nötige Kraft besitzt. In etwas anderer Form haben die grossen Stoiker wie Epiktet oder Thrasea Paetus — ihren „Weisen", der nur ein abstraktes Ideal ist, lassen wir absichtlich aus dem Spiel — diesen höheren Typus des Willens ausgebildet, und zwar die negative Form desselben, das Hemmungsvermögen, nach dem Grundsatz der Schule: „Ertrage und sei enthaltsam!" Auf der nächstunteren Koordinationsstufe stehen diejenigen Individuen, deren Leben zwar für gewöhnlich einen festen Schwerpunkt hat, die aber doch hin und wieder Schwankungen unterworfen sind. Von Zeit zu Zeit löst sich bei diesen eine Gruppe von Bestrebungen mit beschränkter Wirksamkeit ab, welche, so lange sie existiert und sich bethätigt, eine Seite des Charakters zum Ausdruck bringt. Weder ihrem eigenen Gefühl nach noch in den Augen anderer haben solche Individuen die Einheitlichkeit, welche man bei den Heroen des Willens antrifft, und je häufiger und verwickelter die Störungen der vollkommenen Koordination sind, um so schwächer wird die Willenskraft. Man
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Hauptformen der Koordination.
kann in der Praxis die mannigfaltigsten Abstufungen dieses Charaktertypus beobachten. Weiter nach unten finden wir sodann Individuen, bei denen zwei antagonistische oder auch nur voneinander verschiedene Tendenzen abwechselnd die Oberhand erlangen. Es existieren hier sozusagen zwei Schwerpunkte, zwei Zentren, nach welchen die hintereinander in den Vordergrund tretenden, an sich nur partiellen Koordinationen konvergieren. Im ganzen genommen, ist dieser Typus vielleicht der gewöhnlichste; man halte nur einmal Umschau in seiner eigenen Umgebung oder bei den Dichtern und Moralschriftstellern aller Zeiten, welche immer und immer wieder betonen, dass es in uns zwei Menschen giebt 1 ). Die Zahl der Koordinationen, welche einander in dieser Weise ablösen, kann auch noch grösser sein, doch brauchen wir dies hier nicht weiter auszuführen. Noch eine Stufe tiefer, und wir befinden uns auf dem Boden der Pathologie. Besonders kommen hier die plötzlichen unwiderstehlichen Antriebe in Frage, welche den Willen fortwährend schwächen und ohnmächtig machen; unausgesetzt wird das Gleichgewicht der Persönlichkeit durch eine hypertrophierte Tendenz gestört, die wegen ihrer übermächtigen Stärke nicht mehr mit den anderen Tendenzen koordiniert werden kann. Sie durchbricht alle Schranken, und statt sich unterzuordnen, führt sie das Szepter. Treten dann im Laufe der Zeit jene anfangs nur gelegentlichen Antriebe gewohnheitsmässig auf, so dass sie fortan den g a n z e n Charakter, und nicht bloss eine einzelne Seite desselben repräsentieren, so kann man nicht mehr von intermittierenden Koordinationen reden; die Willenlosigkeit ist dann die Regel, der Wille die Ausnahme. Auf der nächstniedrigen Stufe erhält der Wille immer mehr das Gepräge des Zufälligen. Nur selten finden sich in dem Chaos ') [Vgl- darüber u. a. Edmond Roisset, Das „Doppel-Ich" in der neuesten französischen Litteratur. (Nord und Süd, 64. Band, 1893, S. 328 ff.), und Ribot, Les maladies de la personnalité. — P.] T h . R i b o t , Der Wille.
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Schlussbetrachlungen.
der von Minute zu Minute wechselnden Antriebe die Exisferizbedingen für eine mehr oder weniger schwankende Willensregusg. Fast alles gehört den Launen. Man wird sich erinnern, dass wir als Typus dieser vollkommenen Koördinationslosigkeit den hysterischen Charakter aufgestellt haben. Mit diesem sind wir an der unteren Grenze angelangt. Steigen wir noch tiefer hinab, so haben wir es nicht mehr mit K r a n k h e i t e n des Willens zu thun, sondern mit einer Entwicklungshemmung, durch welche derselbe überhaupt von Vornherein unmöglich gemacht wird. In diesem Stadium befinden sich die Idioten und Schwachsinnigen, bei denen wir jetzt zur Vervollständigung unserer pathologischen Studien noch einen Augenblick verweilen wollen. „Die Bestrebungen und Willensbewegungen der tiefstehenden Idioten", sagt Griesinger, „werden hauptsächlich durch die Triebe, vor allem durch das Nahrungsbedürfnis, in Bewegung gesetzt, das Meiste hat hier den Charakter kaum halbbewusster Reflexaktionen; gewisse stehend gewordene, einfache Vorstellungen, z. B. die Lust, mit Papierstreifchen zu spielen, u. dgl., können auch noch erregend auf die Bestrebungen wirken Noch bei manchen, nicht mehr der alleruntersten Stufe angehörigen fragt man sich oft, wenn man ihr Treiben beobachtet: w i l l denn überhaupt etwas in ihnen? und wer oder w a s kann denn hier wollen? „Für viele Idioten der untersten Klassen ist das Essen das Einzige, was ihre Seele Zu bewegen scheint; die allerniedersten äussern diese Bewegung nur durch Unruhe, grunzende Töne u. dgl., die um ein Weniges Besseren können schon Lippen und Hände darnach bewegen oder weinet), bis man ihnen etwas giebt; sie „„ w o l l e n " gefüttert sein „In den leichteren Fällen ist Haltlosigkeit und Stumpfheit des Gemüts und Schwäche des Willens wohl auch noch ein allgemeiner Charakter; die Gemütsart richtet sich indessen sehr nach der Umgebung und Behandlung des Individuums. Bei guter
Die vollkomm. Willenskoord. kommt selten zu stände.
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Behandlung, z. B. in den Idioten-Anstalten, zeigen sich die meisten Kinder gutmütig, folgsam, heiter und gesellig, bei harter Behandlung werden sie verbittert und bösartig 1 )." Ehe wir mit unserem Thema abschliessen, wollen wir noch auf Eins hinweisen. Ist der Wille eine Koordination, d. h. also eine Summe von Beziehungen, so wird man von vornherein behaupten können, dass er viel seltener zu stände kommt als die einfacheren Thätigkeitsformen, da ein komplizierter Zustand begreiflicherweise viel weniger Aussicht auf Entstehung und Fortdauer hat als ein einfacher. Und so ist es auch in der That. Denn bedenkt man, wieviel in jedem Menschenleben auf Rechnung des Automatismus, der Gewohnheit, der Leidenschaften und besonders auch auf die Rechnung der Nachahmung gesetzt werden muss, so wird man finden, dass die Zahl der im eigentlichen Sinne des Wortes rein willkürlichen Handlungen eine verschwindend kleine ist. Bei den meisten Menschen deckt die Nachahmung alles; sie begnügen sich mit dem, was einmal bei a n d e r e n Sache des Willens g e w e s e n ist, und wie sie mit den allgemein üblichen Ideen denken, so handeln sie auch in Uebereinstimmung mit dem Willen der Allgemeinheit. In dieser Weise hemmen den Willen auf der einen Seite die Gewohnheiten, welche ') Griesinger, Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, § 164. — Eine erschöpfende Behandlung der Frage findet man in dem kürzlich erschienenen Werke des Paters Sollier: Psychologie de l'idiot et de l'imbecile. Sollier weist nach, dass bei den Idioten und Stumpfsinnigen der Wille überhaupt nicht zu Stande kommen kann, weil die Voraussetzungen für seine Existenz fehlen. Die Verkümmerung der intellektuellen und affektiven Fähigkeiten macht die Entfaltung der Willensthätigkeit von vornherein unmöglich, was wieder ein Beweis dafür ist, dass man den Willen nicht als ein ursprüngliches „Seelenvermögen", sondern als einen erworbenen und aus einer Entwicklung hervorgegangenen komplizierten Zustand anzusehen hat. Die Schwachsinnigen kommen nicht über intellektuelle und affektive R e f l e x e hinaus: das Reich des Willens ist ihnen auf immer verschlossen.
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VI. Kap.
Schlussbetrachtungen.
ihn überflüssig machen, und auf der anderen Seite Krankheiten, die ihn verkümmern lassen oder vernichten, und wo er zu stände kommt, ist er, wie wir schon oben sagten, lediglich das Produkt eines glücklichen Zufalls. Wir brauchen wohl kaum noch darauf hinzuweisen, wie ähnlich diese immer komplizierter werdende Koordination von Tendenzen, welche die einzelnen Stufen des Willens bildet, jener anderen ebenfalls immer komplizierter werdenden Koordination von Wahrnehmungen und Vorstellungen ist, auf der die verschiedenen Grade der Intelligenz beruhen. Als grundlegende Voraussetzung hat die eine den Charakter, die andere die Formen des Denkens. Beide bedeuten eine mehr oder weniger vollständige Anpassung des Individuums an seine Lebenssphäre, die eine auf dem Gebiete des Handelns, die andere auf dem des Erkennens. Nunmehr können wir zu unserer schon öfters in Aussicht gestellten Schlussbetrachtung übergehen, die, wie wir hoffen, noch nachträglich auf den zurückgelegten Weg einiges Licht verbreiten wird. Wir haben etwa Folgendes zu sagen: Der Willensakt ist ein abschliessender Bewusstseinszustand, welcher aus der mehr oder weniger komplizierten Koordination einer Gruppe von bewussten, halbbewussten oder unbewussten (also rein_ physiologischen) Zuständen hervorgeht, deren Zusammenwirken eine Handlung oder eine Hemmung herbeiführt. Hauptfaktor der Koordination ist der Charakter, der seinerseits nur der psychische Ausdruck eines Einzelorganismus ist. Der Charakter giebt der Koordination ihre Einheit, — nicht die abstrakte Einheit eines mathematischen Punktes, sondern die konkrete Einheit eines Consensus. Der Vorgang, durch welchen diese Koordination gebildet und befestigt wird, ist die auf einer natürlichen Affinität beruhende Wahl. Für uns also ist der Willensakt, den die introspektiven Psychologen so oft beobachtet, analysiert und besprochen haben, weiter nichts als ein einfacher Bewusstseinszustand. Er ist nur eine Wirkung jener so häufig beschriebenen psychophysiologischen
Das wahre Wesen des Willensaktes.
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Arbeit, die nur zum Teil, in Form einer Erwägung, in das Bewusstsein eingeht. J a , e r b r i n g t s e l b s t n i c h t d i e g e r i n g s t e W i r k u n g h e r v o r . Die Handlungen und Bewegungen, welche auf ihn folgen, entspringen direkt den Tendenzen, Gefühlen, Vorstellungen und Begriffen, welche sich schliesslich auf dem Wege einer Wahl koordiniert haben. Von dieser Gruppe geht alles Wirken aus. Oder, um es noch kürzer und eindeutiger zu sagen: die psychophysiologische Arbeit des Erwägens führt einerseits zu einem Bewusstseinszustande, dem Willensakt, und andererseits zu einer Gruppe von Bewegungen oder Hemmungen. Das „Ich will" k o n s t a t i e r t e i n e S a c h l a g e , a b e r es s c h a f f t k e i n e s o l c h e . Wir möchten es mit dem Verdikt eines Geschworenenkollegiums vergleichen, welches vielleicht das Ergebnis langer Untersuchungen und leidenschaftlicher Debatten ist und vielleicht auf ferne Zukunft hinaus die schwerwiegendsten Folgen nach sich zieht, das aber doch im Grunde nicht als eine Ursache, sondern nur als eine Wirkung angesehen werden muss, da es im Gerichtsverfahren nur ein einfaches Konstatieren der Sachlage bedeutet. Versteift man sich hartnäckig darauf, aus dem Willen ein Seelenvermögen und eine Wesenheit zu machen, so wird sofort alles dunkel, und man bleibt ewig in Widersprüchen befangen. Nimmt man dagegen die Dinge wie sie sind, so entfernt .man damit wenigstens die künstlichen Schwierigkeiten. Man braucht sich nicht mehr mit Hume und anderen zu fragen, wie es möglich ist, dass ein „Ich will* die Gliedmaassen des Menschen in Bewegung setzt; man braucht dieses Rätsel nicht zu lösen, weil es überhaupt nicht existiert; denn der Willensakt ist, wie gesagt, in keinerlei Hinsicht eine Ursache. Das wahre Geheimnis des Handelns liegt in dem natürlichen Streben der Gefühle und Vorstellungen, sich in Bewegungen umzusetzen. Wir haben es dabei im Grunde nur mit einem äusserst komplizierten Sonderfalle des für die Reflexvorgänge geltenden Gesetzes zu t h u n , mit einem Falle, bei dem zwischen der sogenannten Erregungsperiode und der motorischen Periode ein psychisches Hauptmoment, der
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Schlussbetrachtungen.
Willensakt, eintritt, durch welches der Abschluss der ersten und der Beginn der zweiten Periode angezeigt wird. Wie leicht und einfach erklärt sich jetzt jene eigentümliche Krankheit, welche man Abulie nennt, und mit ihr die anderen ähnlichen Krankheitsformen, von denen wir oben gesprochen haben, bis zu der einfachen, kaum noch krankhaften Willensschwäche der Leute., welche zu wollen behaupten, aber nicht handeln. Der Grund aller dieser Abnormitäten liegt darin, dass der individuelle Organismus, auf den schliesslich alles zurückgeführt werden muss, sich nicht, wie es unter normalen Verhältnissen zu geschehen pflegt, in doppelter Weise äussert, sondern nur eine Wirkung, den Bewusstseinszustand und die Wahl bzw. Bejahung, hervorbringt, während die motorischen Tendenzen zu schwach sind, um Handlungen herbeizuführen. In diesen Fällen ist bei hinreichender Koordination der Antrieb nicht stark genug. Bei den Zwangshandlungen dagegen steigert sich der Antrieb bis zum Uebermaass, und die Koordination wird geschwächt oder zerstört. Wir verdanken also der Pathologie zwei Hauptergebnisse: einerseits liefert sie uns den Beweis dafür, dass das „Ich will" an sich in keiner Weise eine Handlung bewirken kann, und andererseits lehrt sie uns, dass der Wille bei dem vernünftigen Menschen eine äusserst komplizierte und unbeständige Koordination ist, unbeständig gphon wegen ihrer hohen Entwicklungsstufe; denn mit Recht bezeichnet Jlaudsley den Willen als „die höchste Kraftform, welche die Natur bisher gezeitigt, als die Blüte und Krone aller ihrer wunderbaren Werke"'). ') Maudsley, The Physiology of Mind, London 1876, p. 456.