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German Pages 632 [641] Year 2000
PARADEIGMATA 21
PARADEIGMATA Die Reihe Paradeigmata präsentiert historisch-systematisch fundierte Abhandlungen, Studien und Werke, die belegen, daß sich aus der strengen geschichtsbewußten Anknüpfung an die philosophische Tradition innovative Modelle philosophischer Erkenntnisse gewinnen lassen. Jede der in dieser Reihe veröffentlichten Arbeiten zeichnet sich dadurch aus, in inhaltlicher oder methodischer Hinsicht Modi philosophischen Denkens neu zu fassen, an neuen Thematiken zu erproben oder neu zu begründen.
Sven K. Knebel, Jahrgang 1958, ist Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin. Arbeitsfeld: Geschichte des Aristotelismus, vorzugsweise der Ontologie und Theologie. Dissertation: In genere latent aequivocationes. Zur Universalienkritik aus dem Geist der Dihärese. Hildesheim 1989.
SVEN K. KNEBEL
Wille, Würfel und Wahrscheinlichkeit Das System der moralischen Notwendigkeit in der Jesuitenscholastik 1550-1700
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der ursprüng lichen Ausgabe identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für unvermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod
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INHALT
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Allgemeines ......................................... . 1.2 Die Frage nach dem Ursprung der mathematischen Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Wahrscheinlichkeit in der posttridentinischen Scholastik . . . . . . . . . . . . .
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2.1 Allgemeine Strukturmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Ereigniswahrscheinlichkeit (Albertini, Sforza Pallavicino) 2.3 Schlußfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77 92 124
3
Begriff der moralischen Notwend(f!keit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
127
3.1 3.2 3.3 3.4
Logik . . . . . . . . . . . Modalontologie . . . . Handlungsmetaphysik: Schlußfolgerungen . .
................................... ................................... Necessitas Moralis vs. Scientia Media ...................................
130 143 170 195
4
Das Inklinationsparadigma der moralischen Notwendigkeit . . . . . . . . . .
197
4.1 Kompatibilismus im 17. Jahrhundert (Ruiz de Montoya) . . . . . . . . . . 4.2 Die Jansenismuskrise (Fenelon) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Die moralische Notwendigkeit als statistischer Modalbegriff . . . . . . .
198 236 261
5
Das statistische Paradigma der moralischen Notwendi,Rkeit . . . . . . . . . . .
275
5.1 5.2 5.3 5.4
Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aleatorische Begründung (Molina, Sforza Pallavicino) . . . . . . . . . . . . Der Chancenansatz (Herrera, Esparza)
279 329 380 437
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Konsequenzen für die Wahrscheinlichkeitssemantik
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6.1 Ontologie des >moralischen< Seins (Suarez) . . . . . . . . . 6.2 Probabilistische Fassung der moralischen Notwendigkeit (Perez, Oviedo) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Theologie der Wahrscheinlichkeit (Sforza Pallavicino) . . 6.4 Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
..........
488
.......... .......... ..........
519 544 556
VI
Inhalt
Who is Who? Literaturverzeichnis
.........................................
Index rerum et distinctionum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Index nominum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
559 575 613 623
VORWORT
Dieses Buch ist, hier und da verbessert, eine Habilitationsschrift ftir das Fach Philosophie. Unter dem Titel Das System der moralischen Notwendigkeit. Handlungsmetaphysik und Wahrscheinlichkeit in der Scholastik zwischen Molina und Leibniz wurde sie 1998 von dem Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität Berlin angenommen. Zwei kirchengeschichtliche Daten, das Trienter Rechtfertigungsdekret von 1547 und die Bulle Unigenitus von 1713, markieren eine Epoche, in der Theologen gewaltige Anstrengungen unternahmen, um Freiheit und Notwendigkeit spekulativ zu vermitteln. Die Idee, das könne ftir die von Ian Hacking gestellte Frage nach den Rationalisierungsbedingungen der Wahrscheinlichkeit im 17. Jh. wichtig sein, kam mir während der Sommerferien 1984 bei Lagerarbeiten in einem traditionsreichen Osnabrücker Antiquariat. Durch die Berliner Hermeneutik war damals mein Interesse an Fragen der Neuzeitgenealogie geweckt. Meine Lehrer, der verstorbene Jacob Taubes und Professor Wolfgang Hübener, waren sich darin einig, daß sich um die Theologie kümmern muß, wer den Geist der Prämoderne ohne das idealistische Klischee will. Die Selbstverständlichkeit, mit der ich von dem Zusammenhang zwischen der Scholastik und der frühneuzeitlichen Philosophie ausgehe, verdanke ich Hübeners Unterweisung. Daß ihm seinerzeit der Auftakt einer Artikelserie zur scholastischen Vorgeschichte von Leibnizens Optimismus gefiel, hat mich ermutigt, eine Darstellung des Systems folgen zu lassen, von welchem die Necessitas moralis Dei ad optimum ein besonderer Anwendungsfall ist. Über mangelnde Förderung darf ich mich auch sonst nicht beklagen. An Ort und Stelle sei denjenigen gedankt, die mich mit Hinweisen unterstützten. Die Großzügigkeit, mit welcher namentlich die Berliner Freunde Michael Firsching und Thomas Hengst mich laufend von ihren eigenen Forschungen haben profitieren lassen, kann nur jemand würdigen, der sich nicht mit der eigenen Beschränktheit skeptisch abgefunden hat. Professor Estanislao Olivares SJ (Granada), dem Kenner der andalusischen Jesuitentheologie, danke ich ftir einen Briefwechsel und besonders ftir die Freundlichkeit, mit der er mir Manuskripte in Granada und Rom zugänglich gemacht hat. Der grandiose Altbestand der Bibliothek der Philosophisch-Theologischen HochschuleSt. Georgen in Frankfurt a.M., auf dessen Existenz Hübener mich hingewiesen hatte, wäre ohne das verständnisvolle Entgegenkommen des Leiters Dr. Miczka für mich ein Buch mit sieben Siegeln geblieben. Sehr verbunden bin ich darüber hinaus den Professoren Wilhelm Schmidt-Biggemann (Berlin), Klaus Reinhardt (Trier) und Franz-Xaver Kaufmann (Bielefeld) für ihr Votum, das mir 1988 interdisziplinär zu einem Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft und einer Bibliotheksreise nach Spanien verhalf. Einige
VIII
Vorwort
Wochen lang stand mir 1989 die Schatztruhe der Universitätsbibliothek Salamanca offen. Den Professoren Michael Murray (Lancaster/Penn.) und Robert Sleigh Jr. (Amherst/Mass.) danke ich flir das meinen Ergebnissen frühzeitig von seiten der amerikanischen Leibnizforschung entgegengebrachte Interesse. Es hat mich 1994/95 ftir ein Jahr in die USA geftihrt. Von Murray steht eine Abhandlung zu erwarten, in welcher die Konsequenzen, die sich aus dem 4. Kapitel dieses Buchs ftir die Rekonstruktion der Leibnizschen Handlungsmetaphysik ergeben, gezogen werden. Selten hat man die Freude, daß jemand anders das von einem selber entdeckte Quellenmaterial unter einer verwandten Fragestellung souverän, arbeitsteilig und mit dem glücklichsten Erfolg zu behandeln weiß. Diese Freude hat mir Dr. Ti/man Ramelow Uetzt Fr. Anselm Ramelow OP, derzeit Los Angeles) bereitet, dessen große Münchener Dissertation unter dem Titel Gott, Freiheit, Weltenwahl. Die Metaphysik der Willenfreiheit zwischen Antonio Perez S.J. (1599-1649) und G. W Leibniz (164 6-1716) inzwischen erschienen ist. Professor john P. Doyle (St. Louis/Miss.) hat daftir gesorgt, daß eines meiner wichtigsten Beweisstücke in einer lateinisch-englischen Ausgabe 1996 vorab neu veröffentlicht wurde. Den Fachgutachtern Professor Theo Kobusch (Bochum) und Privatdozent Dr. Stephan Meier-Oeser (Berlin) danke ich ftir die überaus eingehende und wohlwollende Würdigung meiner Forschungsergebnisse. Professor Wo[kang Kluxen (Bonn) hat sich liebenswürdigerweise ftir eine Aufnahme in das Verlagsprogramm von Felix Meiner verwendet. Daß das fertige Buch sich sehen lassen kann, ist das Verdienst vonjens-Sören Mann. Mir bleibt noch die angenehme Pflicht, der Deutschen Forschungsgemeinschaft ftir das Wohlwollen zu danken, das sie mir über die Jahre bis zuletzt bewahrt hat. Ohne sie wäre dieses Buch nie zustandegekommen. Berlin, im Mai 2000
Sven K. Knebel
1 EINFÜHRUNG
Es ist moralisch notwendig, daß Gott die beste aller möglichen Welten gewählt hat. Es ist moralisch unmöglich, daß im Würfelspiel tausendmal hintereinander die gleiche Augenzahl herauskommt. Für Leibnizens Zeitgenossen hingen diese beiden Sätze miteinander zusammen. Wodurch ist sowohl die Möglichkeit jedes der beiden Sätze als auch ihr Zusammenhang bedingt? In der vorliegenden Abhandlung wird das System der moralischen Notwendigkeit ausgegraben und gezeigt, daß wir es hier mit einer diskursiven Großformation des Zeitraums 1580/1730 zu tun haben, welche, unbekannt wie sie ist, auch bekannte Tatsachen der Geschichte der Philosophie des 17. und 18. Jhs. neu ordnet. Die Untersuchung verfolgt den doppelten Zweck, allgemein einen Beitrag zur Philosophiegeschichte (1.1) und speziell einen Beitrag zur wissenschaftsgeschichtlichen Diskussion um den Ursprung der mathematischen Wahrscheinlichkeit (1.2) zu leisten.
1. 1 Allgemeines Diese Abhandlung wird es nicht leichthaben. Es könnte geradezu scheinen, als wäre alles, was melancholisch stimmt und gegen sie einnimmt, hier mit Fleiß versammelt. Sie schwelgt in Fußnoten. Lateinisch sind ihre Quellen, meist mehrbändige Folianten. Spanien ist für sie der Nabel der frühen Neuzeit, nicht Frankreich, Holland oder England. Scholastische Theologen sind ihre Gewährsleute, nicht die Antiaristoteliker aller Couleur. Das akademische und kirchliche Establishment kommt gut weg, Ketzer kommen gar nicht erst vor. Und schließlich dreht sich auch noch alles um längst vergessene Jesuiten, die vertraute Gipfellinie der Klassiker dagegen zeichnet sich nicht einmal von fern ab. Ein paar Worte der Erklärung daher vorweg.
1. 1.1 Fußnoten Was hier vorgetragen wird, ist ein historisches Argument. Es ist nicht einzusehen, warum Argumente im Bereich der Philosophiegeschichtsgeschreibung sich der Beweislast, die jedes andere empirische Argument trägt, sollen überhoben dünken und diese Freiheit, die sie sich nehmen, rhetorisch in die beliebte Verachtung der Fußnote kleiden dürfen. Die Fußnote ist ftir eine historische Disziplin das einzige Mittel, ihre Aussagen unmittelbar nachprüfbar zu halten. Diese ehrwürdige Institution ist zugleich liberal. Sie ermöglicht es dem Autor, sich im Text auf sein Argument zu beschränken, und dem Leser, dem Argument zu folgen, ohne sich um das Beweis-
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Einführung
material kümmern zu müssen. Die Fußnote dient der Entlastung des Lesers, ohne ihn deswegen, nach Art ihrer vornehmen Verächter, zu entmündigen. Die alte Entschuldigung, Fußnoten seien typographisch zu aufwendig, ist hinfallig. Die Fußnotenverwaltung ist dank einer neuen Technik spielend leicht, die Fußnote selber unendlich mobil geworden.
1.1.2 Lateinisch Philosophie- und wissenschaftshistorische Darstellungen der frühen Neuzeit kommen zunehmend ohne jede Bezugnahme auf lateinische Quellen aus. Durch ein sich ausbreitendes, stillschweigendes Einverständnis exotisiert wird die Sprache, die bis tief ins 19. Jahrhundert die akademische Umgangssprache war und die internationale und, wichtiger noch, interkonfessionelle scientific community herstellte 1 • Durch das nationalsprachliche Selektionsprinzip 2 wird das längst erodierte Vorurteil immer neu befestigt, zur Scholastik könne sich die frühe Neuzeit allenfalls negativ verhalten. Nebenbei begünstigt es die intellektuelle Entwicklung in England und Frankreich, wo die Wendung zur Nationalsprachlichkeit früher eingesetzt hat 3 , durch eine auf der Basis jedenfalls ungerechtfertigte Hegemonievermutung 4 . Vielleicht ist es daher legitim, einmal umgekehrt auf die lateinische Karte zu setzen und zu sehen, wie weit man damit kommt 5 . 1
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Eine Auswertung von RISSE (1998), dem monumentalen, annalistisch aufgebauten Repertorium der philosophischen Druckschriften der frühen Neuzeit, ergibt, daß die Quote der lateinischsprachigen Neuerscheinungen (einschließlich Neuauflagen) erst ab 1750 unter 50 Prozent sinkt. Vgl. GRACIA (1993) 502 (•• ... Latin, a language with which very few philosophers are familiar today«). Besonders in der englischsprachigen Literatur hat sich die Nationalsprachlichkeit als pragmatisches Epochenkriterium der »modern philosophy« durchgesetzt. Vgl. DEELY (1985) 510. Diese Entlastung erklärt z. B. das auf den ersten Blick so eindrucksvolle Quellenverzeichnis von DASTON (1989) 388-400. LEIBNIZ (1875ff.) IV, 144; MUDROCH/ROTHER (1998) 52ff. Übrigens auch im Unterschied zu Holland, wo an der Universität Utrecht der lateinische Unterricht erst 1877 eingestellt wird. Daß z. B. BEISER (1996) 5 f. England als die »Wiege der Aufklärung« feiert, folgt unvermeidlich daraus, daß seine dem Zeitraum 1594/1737 gewidmete Studie zur theologisch-philosophischen Kontroverse um die Glaubensregel keine einzige lateinische Quelle dieser Zeit heranzieht. Obwohl FATTORI (1992 ff.) die zeitgenössische Scholastik ausklammert (JJ 6.1.1.2.1), gesteht ein Rezensent angesichts der bisher erschienenen zwei Faszikel dieses Thesaurus der frühneuzeitlichen lateinischen philosophischen Terminologie: ... elles montrent de maniere saississante I' extraordinaire vitalite du latin, et son importance determinante comme Iangue europeenne des doctes, dans Ia constitution de Ia culture moderne (CAVAILLE (1996) 321). Daß, sobald die lateinischen Quellen fair berücksichtigt werden, sich die Landschaft der frühen Neuzeit schlagartig verändert, zeigt die Entdeckung dessen, was als die Schule von Salamanca inzwischen auch einen festen Platz in der Geschichte der Volkswirtschaftslehre hat: With the exception of
Allgemeines
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1.1.3 Folianten Bis heute hat sich die scholastische Literatur der frühen Neuzeit von dem Spott nicht erholt, der über sie ausgeschüttet worden ist, weil sie nicht Taschenbuchformat hat 6 . Obwohl es keinen triftigen Grund gibt, warum etwas, das von vornherein ftir die Anschaffung durch Hochschulbibliotheken bestimmt war, deswegen eine historisch vernachlässigbare Größe sein soll, wird eine immense Literaturgattung so behandelt, als existierte sie nicht. Was neulich im Hinblick auf ein anderes Beispiel ftir die in den Philosophiegeschichten tradierte Verachtung der großformatigen Werke des 17. Jhs. diagnostiziert wurde, >>eine ob der quantitativen Dimensionen ... verständliche Berührungsangst und eine daraus resultierende notorische Textunkenntnis>Mit dem Übergang von Folio- zum Quart- oder Oktavformat setzt sich eine Tendenz zur Handlichkeit durch, die zwangsläufig auch den Inhalt betrifft. Die Texte werden Lehrbücher; ausfUhrliehe Problemdiskussionen haben in solchen keinen Platz« (MEIER-OESER (1997) 17 4). Die fehlende Lust zum Foliantenstudium ist den zahllosen textbook-Autoren anzumerken und war etwas, wogegen immer neu angekämpft werden mußte. Der Franziskaner Lallemandet, immerhin selber Verfasser eines mehrbändigen Cursus theologicus, bekommt z.B. von einem gelehrten Jesuiten zu hören:>> ... Aber weil er ft.irchtete, wie er einleitend zu seiner Disputation gegen die Scientia Media sagt, Zeit und Leben möchten ft.ir die Lektüre des ganzen Bandes De scientia Dei unseres Diego Ruiz nicht reichen, ist er vermutlich Schwierigkeiten erlegen, die jene anderen, kürzeren Autoren gegen die Scientia Media erhoben hatten, und von denen wir überzeugt sind, er würde sie gemeistert haben, wenn er nur seine Furcht abgelegt und Ruiz durchgelesen oder wenigstens, davor kapitulierend, sich dem Studium anderer, nicht ganz so ausflihrlicher Jesuiten gewidmet hätte« (HENAO (1665) 200a/b). Die Rezeptionsprobleme verschärften sich dadurch, daß Autoren wie Ruiz, vom Systemgeist beseelt, sowohl durch die Häufung von Querverweisen als auch explizit (RUIZ DE MONTOYA (1630) 134) von dem Leser eine Berücksichtigung ihres Gesamtwerks erwarten, das dabei oft genug nur teilweise im Druck vorliegt. LEINKAUF (1993) 12 mit Bezug auf die barocke >>Universalwissenschaft«.
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Einftihrung
und die Mondscheinsonate zur Aufführung, und die schlicht durchgezählten Symphonien ließe man als >monolithisch< liegen. Aber eine andere Erklärung gibt es nicht für den unglaublichen Umstand, daß die im folgenden vorzugsweise ausgewerteten Disputationen zur Summa theologica des Thomas von Aquin nicht nur noch nie im Zusammenhang betrachtet, sondern vom Historiker zum Teil noch nie aufgeschlagen worden sind.
1.1.4 Spanien Als Foucault nach einem Symbol ftir das Spiel der von ihm analysierten Repräsentationsbeziehungen des dge classique suchte, fand er es nicht, wie man nach der Anlage von Les mots et les choses erwarten würde, in Versailles, sondern im Escorial. Daß Spanien bei ihm ansonsten nicht vorkommt, verleiht seiner Auslegung, daß aufVelazquez' Las meninas der Souverän gerade nicht ins Bild kommt, eine ungewollte Pointe. In der Tat: Man stelle sich die politische Welt des 17.Jhs. vor ohne die spanische Krone, den Träger des habsburgischen Commonwealth a Man stelle sich die Malerei vor ohne einen Velazquez oder EI Greco, die Literatur ohne einen Calder6n oder Gracian. Genauso glänzt der spanische Kulturkrei' des siglo de oro aber auch in der Hochschulpolitik 9. Hier sind das moderne Pri--
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Wie sehr, nach immerhin dreihundertftinfzigJahren, das Urteil der Historiker über das Spanien unter Felipe III und Felipe IV von ihrer Einstellung zu der durch die casa de Austria, durch die Allianz der Höfe in Madrid und Wien, repräsentierten strategischen Vision eines Commmzwealth abhängt, zeigt auf der einen Seite CHAUNU (1966) 108 (>>L'insertion de l'Espagne dans le grand ensemble multinational des Habsbourgs est une cause de ralentissement, puis de paralysie de l'evolution politique«) und auf der anderen Seite STRAUB (1980) 234f., wo der Vergleich zwischen der spanischen und der französischen Buropapolitik im Dreißigjährigen Krieg deutlich zuungunsten Frankreichs ausfallt. Der Herrschaftsbereich dessen, was man mit einem nicht zufallig der Kunstgeschichte entlehnten und in anderer Beziehung keineswegs glücklichen Begriff »Barockscholastik« getauft hat (ESCHWEILER (1928) 307), deckt sich geographisch annähernd mit dem habsburgischen Commonwealth. Daß es nicht unter der Rubrik »spanische Philosophie« abgehandelt werden kann, betont zu Recht auch der amerikanische Philosophiehistoriker GRACIA (1993) 475 f. Anstatt aber einen habsburgischen Commonwealth anzuerkennen, macht er die Scholastik des 16./17.Jhs. zum Goldenen Zeitalter einer autochthon >>Hispanic philosophy«, womit die Abkehr der iberischen Halbinsel vom Rest Europas (482, 487, 498f.) und ihre Hinwendung zu Lateinamerika gemeint ist. Hinter dieser Konstruktion steckt das Bedürfnis, mit einem Gegenstück zur >>angloamerikanischenMarxismus-Leninismus< sowjetischer Prägung13. 10 GORDLEY (1991) 3f. 11 The scholastics thus found it necessary to descend from theology into the everyday world of economic realiry, of early capitalism, foreign trade, monopoly, banking, foreign exchange and public finance. What one knew about these things in the School ofSalamanca was hardly less than Adam Smith knew two hundred years later, and more than most students know today 0- Niehans zitiert nach GRICE-HUTCHINSON (1993) x). Heute ist anerkannt, daß der spanische Beitrag zur Geldtheorie im 16.Jh. nicht nur zeitlich die Priorität vor dem französischen gehabt hat, sondern ihm qualitativ, durch den Folgerungsreichtum, auch überlegen war. V gl. WEBER (1962) 97 ff., 152; GRICE-HUTCHINSON (1993) xi. Dieser einleitende Forschungsbericht (vii-xxix) analysiert sehr lehrreich die Widerstände, die dem Hinweis auf Spanien lange Zeit entgegengesetzt wurden. 12 General histories of philosophy seldom, if ever, do justice not only to the historical relations between lberian and Latin American philosophers, but also to the philosophy ofSpain, Catalonia, Portugal, and Latin America ... This becomes quite evident when one turns to ... the sixteenth century and part of the seventeenth century (GRACIA (1993) 477).- La historia general de Ia filosofia espanola de los siglos XVII y XVIII esta por hacer (CENAL (1972) 290).La historia del pensamiento hispano-portugues en su expresi6n peninsular y en su extensi6n a los vastos dominios de ambas naciones, durante el siglo XVII, no ha recibido aun toda Ia atenci6n y aprecio que merece tanto en su aportaci6n cuantitativa como en su valoraci6n y proyecci6n europea. Espaiia y Portugal han sido maestros de Europa no solamente en literatura, arte, religi6n, etc., sino tambien en orden a Ia historia de Ia 16gica, del metodo y de Ia matematizaci6n del pensamiento discursivo, especialmente a traves de sus grandes escolisticos y dellulismo (MUNOZ DELGADO (1982) 279). Vgl. seine nützliche, wenn auch bei weitem nicht vollständige Kompilation des hier in Betracht kommenden Quellenmaterials (311-90). - Die Chance, welche der neue Überweg geboten hätte, ist in bezug auf die iberische Halbinselleider vertan. Der der spanischen Schulphilosophie gewidmete Abschnitt von RIVERA DE VENTOSA (1998) 353-93 ist zwar um eine gewisse Vollständigkeit bemüht, kennt den Gegenstand aber nicht aus Autopsie und bietet daher nicht mehr als das übliche Geklapper unbegründeter Werturteile. Nicht einmal auf die biographischen Daten ist Verlaß. 13 >>Aber wollen Sie wirklich dogmatisch sein? Bedenken Sie, wohin Dogmen fuhren! Denken Sie an Faschismus, Kommunismus und die spanische Inquisition>solipsisti«. Genauso beklagen sich Angehörige anderer katholischer Ordensschulen über ein nach Suarez' Tod entstandenes Zitierkartell: Arriaga glaube wohl. >>außerhalb der Gesellschaft Jesu existierte überhaupt keine Scholastik, und es gäbe nur Jesuiten, die schreiben« (MASTRI I BELLUTO (1659) 361b; disp. 5 §78).
Allgemeines
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Bezogen auf Logik und Metaphysik muß das kein Nachteil sein, wie man überhaupt feststellt, daß Niveau und Produktivität des scholastischen Disputationswesens mit der Anzahl gemeinsamer Prämissen positiv korrelieren. Vielleicht nur so bringt ein solcher Diskurs mit der Zeit auch alles hervor, was in ihm steckt. Bezogen auf die Theologie wird man sich fragen müssen, wovon man genau meint, daß daran Anschluß zu finden sie durch ihre Abkapselung versäumt hätte. Meint man die mangelnde Berücksichtigung von Geschichte und Philologie2s, so ist zu bedenken, daß >scholastische< Theologie nun einmal nicht Bibelexegese ist, sondern philosophische Aufbereitung des Lehrbegritfs. Ohne sich ftir das eine oder ftir das andere der zwei frühneuzeitlichen Gnadensysteme entschieden zu haben (sin haverse declarado primero por una de las dos escuelas de predeterminationes o sciencia media), brauchte man sich in Salamanca und AlcaLi als Theologe gar nicht erst blicken zu lassen 26 . Bei Lichte besehen ist es gerade die humanistische Abneigung gegen das Disputationswesen, welche im 18.Jh. dem Fach, das bis dahin >scholastische Theologie< geheißen hat, das Denken abgewöhnt und daraus >Dogmatik< macht 27 . Meint man hingegen das fehlende Eingehen auf die konfessionelle Konkurrenz Nordeuropas, so ist zu bedenken, daß es um die Prärogative der Vernunft in Glaubensdingen nirgendwo prekärer stand als im Protestantismus 28. Man hätte also zu zeigen, daß dieser theologisch überhaupt konkurrenzfähig gewesen wäre, wenn er
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So STELLA (1982) 188 zur Situation in der zweiten Hälfte des 17.Jhs.: L'Espagne donnait encore des marques de sa vitalite propre dans Je domaine de Ia scolastique avec le Cursus theologiae des theologiens de Salamanque, mais elle se vouait a une position marginale et declarait son indifference a l'egard de Ia production etrangere dans Je champ speculatif. Saenz de Aguirre, dans l'introduction de son Auetorilas infallibilis (1683), ironisait sur Ia >superstitio< philologique des Fran~ais et revendiquait pour !es theologiens espagnols une place a part, sans s'inquieter de l'isolement qu'entrainait cette attitude.- Der spanische Hinterwäldler Aguirre (zu seiner Theologie und Philosophie vgl. PEREZ GOYENA (1917) 51-54; CENAL (1970) 306-13; (1972) 300) war Abonnent der in Leipzig erscheinenden Acta Eruditorum. Obwohl sie zu dem Zeitpunkt schon seit Jahren auf dem römischen Index stehen, findet er sie >>unvergleichlich besser« als die in Paris, London und Holland erscheinenden Rezensionsjournale: Kardinal Saenz de Aguirre anJ.B. Lardito OSB., Rom 9.11.1692, in COLOMBAS (1960) 382. Kardinal Saenz de Aguirre an den spanischen Großinquisitor, Rom 20.7.1692, in COLOMBAS (1960) 373 f.- Nam licet Graves aliqui Theologi conati fuerint ab una, et altera sententia declinare, necessarium omnino videtur in unam, vel alteram incidere (ULLOA (1713) 329). Das ließe sich an der Umwidmung der Scholastiklehrstühle zur Zeit der sog. katholischen Aufklärung zeigen: 1771 in Padua wird die >barbarische< Theologia scholastica abgeschafft und daftir eine >kultivierte< Theologia dogmatica errichtet. Ähnlich in Spanien: CHAVERO BLANCO (1995) 1180ff. Zum Disputationswesen, wie es an einer Jesuitenuniversität praktiziert wurde, vgl. am Beispiel Freiburgs i. Br. KURRUS (1977) 317-66. Das gilt nicht nur ftir das Reformationszeitalter. Selbst ein ftir die Scholastik aufgeschlossener calvinistischer Theologe wie der Groninger MARESIUS (1659) *3b meint König Gustav Adolph nachrühmen zu sollen, daß er in Schweden nicht allein ein Metaphysiklehrverbot erlassen, sondern auch sämtliche Exemplare metaphysischer Schriften polizeilich habe einziehen lassen.
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Einfuhrung
nicht seinerseits im 17.Jh. wenigstens versucht hätte, Spanien zu imitieren und eine protestantische Scholastik auszubilden 29 . Wenn die Scholastik im 17.Jh. eine spanische Angelegenheit zu sein scheint, wäre also die Exportbilanz zu prüfen, ehe daraus auf intellektuelle Isolation geschlossen werden kann. Obwohl nun viel daflir spricht, daß Salamanca, Valladolid, Alcala, Coimbra3o, Sevilla, NeapeP 1 und nicht zuletzt das in der Scholastik zeitweilig überwiegend aus Spaniern ergänzte Collegio Romano 32 ftir Europa und
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Der kulturkämpferische Neuprotestantismus war nicht gut beraten, diese von der protestantischen Historiographie des frühen 18.Jhs.ja längst eingestandene Abhängigkeitsbeziehung zu bestreiten.Vgl. ESCHWEILER (1928) 271 ff., 300ff. in Kritik an Emil Weber. >>Die gewöhnlich >scholastische Orthodoxie< genannte Periode der lutherischen Theologie ist ihrem philosophischen und spekulativen Gehalt nach überwiegend von der Lehre der Jesuitenschule bestimmt wordenSuarezianer>nominalistischen Willkürgott des Spätmittelalters« als das angebliche Repoussoir der frühen Neuzeit ist es, seit Wolfgang Hübencrs ebenso gelehrten wie dialektisch brillanten Einwänden gegen Hans Blumenbergs Le,Ritimität der Neuzeit (vgl. besonders HÜBENER (1985) 16ff., 116ff.; (1983) 67ff.; (1984) 43ff.), merklich stiller geworden. Die Leugnung der Existenz Gottes bleibt im 17./18.Jh. eine marginale, in der Regel auch obskure Position. In seiner grundlegenden Untersuchung über die Entstehungsbedingungen des Atheismus als philosophischer Option kehrt SCHRÖDER (1998) 79 das in der Whi,Rhistory übliche Vorurteil um und argumentiert, daß >>noch im 18.Jahrhundert der Atheismus und nicht der Theismus die Zumutung eines sacrificium intellectus mit sich ftihrteeine von theologischen Implikationen freie philosophische
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Einführung
streifbaren Deismus reduziert werden kann 5 4 , kommen Faktoren ins Spiel, die, obwohl sie innerneuzeitlich in die Latenz zurückgetreten sein mögen, deswegen doch nicht weniger wirksam gewesen sind. Es ist Sache des Philosophiehistorikers, die Arbeit des Begriffs da zu entdecken, wo sie geleistet wird, und im Spanien des 16./17.Jhs. findet man sie nun einmal, nach wie vor, von den religiösen Orden geleistet 55 . Philosoph und Mönch sind nicht nur in Calder6ns Großem Welttheater personalidentisch 56 . Gonzalo Diaz Diaz hat recht, wenn er in seiner unentbehrlichen Biobibliographie Hombres y documentos de Ia filosoj{a espaiiola ftir diesen Zeitraum fast ausschließlich Ordensgeistliche verzeichnet, Leute also, die das, was damals unter >Philosophie< lief, nie zeitihres Lebens trieben, sondern deren Karriereziel der erste theologische Lehrstuhl in Salamanca oder AlcaLi war. Nur mußten sie sich dazu erst als Philosophen qualifiziert haben. Philosophie und Theologie, d. h. eine am Corpus Aristotelicum und an der Summa theologica des Thomas von Aquin 57 orientierte Folge von Abhandlungen (disputationes), bildeten kurrikular wie lebensgeschichtlich ein vollständig aufeinander abgestimmtes scholastisches Pensum 5B. Der Philosophiekurs war die Vorberei-
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Haltung nicht notwendigerweise >wissenschaftlicher< (im heutigen Sinn des Wortes) war« (644). Noch an der Wende zum 18.Jh. hält der scholastische Theologe den Willen als Gottesprädikat ftir von keiner Seite ernstlich infragegestellt: Unde haec veritas adeo omnibus nota est, ut teste Ruiz ... nullus haereticorum aut Philosophorum ad tantum delirium pervenerit, ut Deo expresse voluntatem negaverit (GORMAZ (1707) I, 160a, unter Bezug auf RUIZ DE MONTOYA (1630) 3a). Die hohe Quote der Ordensgeistlichkeit am akademisch vertretenen Klerus fiel schon zeitgenössischen Beobachtern an Spanien auf: JANSENIUS (194 7) 505, 513. Für einen sachkundigen, nicht nur literargeschichtlichen, Überblick über das theologische Profil einiger derbeteiligten Orden vgl. immer noch PEREZ GOYENA (1923) SOff. (Dominikaner, Franziskaner), 215fT. (Augustiner, Benediktiner). Außerdem speziell zu den Benediktinern PEREZ GOYENA (1916) 307 ff. (Gnadenlehre) und (1917), sowie zu den Merzedariern PEREZ GOYENA (1919). Um seinen eigenen Orden, die Jesuiten, hat dieser bedeutende Gelehrte leider einen Bogen gemacht. Die anderen beiden großen spanischen Ordenshistoriker dieses Jahrhunderts, der Dominikaner V. Beltran de Heredia und der Merzedarier V. Munoz Delgado, haben sich, ebenso wie Friedrich Stegmüller und seine Schule, mehr für die Scholastik des 16.Jhs. interessiert. A las familias religiosas se debe Ia mayor parte de Ia producci6n 16gica y filos6fica de este periodo (MUNOZ DELGADO (1982) 289).- L'ontologia postridentina fu opera in gran parte di religiosi ed uomini ecclesiastici (DI VONA (1994) 7).- BALD! NI (1998) 640 (Logik), 666f. (Metaphysik). Vgl. die Bestandsaufnahme der mißverständlich so genannten >>Thomaskommentatoren« von MICHELITSCH (1924). Obwohl unvollständig und fehlerhaft, ist diese Kompilation immer noch durch nichts Besseres ersetzt. »Viele bedeutende Gestalten der spanischen Scholastik des 16. und 17.Jhs. kennt man nahezu ausschließlich durch ihre veröffentlichten theologischen Traktate. Bekanntlich pflegte man aber seinerzeit auf die theologischen Lehrstühle nur zu kommen, nachdem man einmal oder auch öfter den vollständigen dreijährigen Kurs der >ArtesTheologie< im 17.Jh. ist die Durchführung des program-
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legen, auf welche er seine theologischen Reflexionen errichten würde; der gesamten Theologie lag eine bestimmte philosophische Konzeption zugrunde>textbooks« zu reden, wie die Klassifizierung gern lautet, ist bezogen auf diese Philosophie in Folio überhaupt unpassend. Bezeichnend und von der Publikationspolitik des Ordens ganz unabhängig ist die Tendenz, sich als Theologe zumindest sein Opus metaphysicum noch vorzubehalten. Vgl. die Unterscheidung bei MARTINEZ DE RIPALDA (1634) I, 462b (disp. 32 §35) zwischen zwei von ihm verfaßten Metaphysiken. Die >Altersmetaphysiken< (weitere Beispiele JJ Kap. 5, Anm. 695), die aus der Theologie hervorgegangen und leider meistens unveröffentlicht geblieben sind, sind mit ihrem Schwerpunkt auf Erkenntnistheorie und Modaltheorie im Verhältnis zur Aristoteleskommentierung ähnlich selbständige Kompositionen, wie es im 14.Jh. die Formalitätentraktate waren. Vgl. SUAREZ (1597) XXV, 696a (19.2.11). Cum grano salis: DerTheologe handelt de ente supernaturali (ein im 17 .Jh. auch häufig verwendeter Buchtitel, schon vor Martinez de Ripalda). Der Gegner dieser Art Theologie charakterisiert das Ens supernaturale zutreffend als >>tout contingent et tout extrinseque« (LUBAC (1946) 161).
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matischen Gedankens des Duns Scotus, daß nicht nur das Reich der notwendigen Wahrheiten ein metaphysisches Prinzip hat, sondern auch das Reich der Tatsachenwahrheiten (veritates contingentes). Die erste kontingente Wahrheit »Der Wille will« ( Voluntas vult) verankert es in Gott 63 . Wenn sich die scholastische Theologie überhaupt irgendworan hat scheitern sehen, dann angesichts des Dilemmas, entweder das Wollen metaphorisch zu verflüchtigen oder Kontingenz und Veränderlichkeit in Gott hineinzutragen, an den Antinomien der Freiheit dieses göttlichen Wollens 64 • Solange die frühneuzeitliche, d. h. posttridentinische, Theologie 65 historiographisch nicht verdaut ist, muß die Philosophie der frühen Neuzeit wie vom Himmel gefallen scheinen. Philosophie und Theologie gehören nicht nur scholastisch zusammen. Erstens waren die Heroen der frühen Neuzeit selber weit davon entfernt, diese Zusammengehörigkeit ftir überwundenes Mittelalter zu halten. Ausdrücklich im Hinblick auf bei des, die scholastische Philosophie und Theologie, beklagt Leibniz das Fehlen einer bis an die Schwelle des 18.Jhs. fortgeführten Geschichte der Scholastik 56. Zweitens gilt nicht nur ftir die scholastische, sondern auch ftir die frühneuzeitliche Philosophie, daß sie im Verhältnis zur Theologie der empfangende Teil war, 63
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Vgl. die geschickte Kompilation aus DUNS SCOTUS (1950ff.) I, 112-23 (Ord. Pro/. §§ 16982) und (1950ff.) IV, 324f. (Ord. I dist. 8 §§299-300) in der fur Unterrichtszwecke angefertigten Scotusbearbeitung von MONTEFORTINO (172R) 63 f.- Das hätte klargemacht werden müssen, ehe GRUA (1953) 13R daran hätte denken dürfen, bezogen auf die prima radix contingentiae einen Lehrgegensatz zwischen den Jesuiten und Scotus zu konstruieren, welcher sich so allenfalls im Licht der unter scholastischen Prämissen unmöglichen Hypothese eines unfrei handelnden Gottes ergibt. Auch Jesuiten lehren: Voluntas Dei ... est ratio ultima saltem partialis absolutae existentiae et non existentiae omnium contingentium et finitarum rerum secundum se possibilium et conditionate futurarum (STATTLER (1771) 33R). Innerhalb des von Jesuiten vertretenen Spektrums von Positionen ist das eine vergleichsweise gemäßigte, da sie die hypothetischen kontingenten Wahrheiten nicht von Gottes Willen abhängig macht. Vgl. die zunehmend skeptischen Kommentare von Suarez und Vazquez (bei VIVA (1712) I, 103a), RUIZ OE MONTOYA (1630) 145b, ARRIAGA (1632) 171b/72a und einem anonymen Arriagaschüler 1657 (bei LE BACHELET (1931) II, 357). Prätridentinische und posttridentinische Theologie markieren nach SUAREZ (1655) 615a. 627 f., die Trennlinie zwischen den »scholastici antiqui« und den »authores moderniJesuitenphilosophie< dabei aber nur an die Mathematik und Astronomie denkt. Zum Forschungsstand GORDLEY (1991) 5 f. Schon auf der vom Rechtshistorischen Institut der Universität Florenz im Oktober 1972 veranstalteten Tagung La seconda scolastica nella formazione del diritto privato moderno konnte eine eindrucksvolle Bilanz gezogen werden. Der Eröffnungsvortrag des Freiburger Rechtshistorikers Hans Thieme stand unter der Frage Was verdanken wir Juristen der spanischen Neu-Scholastik? Nicht ohne Grund durfte man feststellen: »Lange genug haben Juristen die Spätscholastik ftir nichts anderes angesehen als ein Kapitel Theologiegeschichte, haben sie die Impulse nicht wahrgenommen, die der Gang der Rechtsphilosophie, aber auch der juristischen Dogmatik und der Gesetzgebung aus der Theologie insbesondere der spanischen Dominikaner und Jesuiten von Vitoria bis Suarez empfing. Doch diese Einstellung ist überwunden, nicht erst seit heute - und gründlich genug« (OTTE (1973) 283). Mehr noch als ftir die Geschichte des Privatrechts (dazu zuletzt GORDLEY (1991) 69-111) gilt das bekanntlich ftir die des Völkerrechts. Dabei beschränkt sich die bei den Rechtshistorikern eingeftihrte Gruppenbezeichnung >teologo-juristas< auf deren Kommentierung von Teilen der Secunda Secundae und der Tertia Pars. Es dient nicht der Klärung, daß GRACIA (1993) 488ff. genau diesen bisher rechtshistorisch okkupierten Teil der scholastischen Theologie jetzt der >>Hispanic philosophy« des 16./ 17.Jhs. zuschlägt und damit den scholastischen Philosophiebegriff nur verwässert: The impact of the discovery (sc. Amerikas) on philosophy was an awakening to the need to deal with legal and ethical issues which were new to the times and which tended both to form a core of concerns which tied Iberian and Latin American thinkers together and at the same time to distance them from their European Counterparts who had other concerns and agendas.
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Einführung
erstreckt sich dessen Zuständigkeit sicherlich auf Teilbereiche der Theologie, aber gerade nicht auf die spekulative Dogmatik. Sie fällt gänzlich in die Kompetenz des Philosophiehistorikers.
1.1.6 Jesuiten Sucht man nach einem säkularen Ereignis, welches dem Epochenbegrifffrühe Neuzeit Kontur gibt, so ist es das Auftreten der Gesellschaft Jesu. Gegen 1630, kaum ein Jahrhundert nach ihrer Gründung, war das zentral geknüpfte Netz aus über sechshundert Jesuitenkollegien fertig, das Kontinentaleuropa und Teile Lateinamerikas dann bis zur Liquidierung der Gesellschaft 1767/73 überzog 71 . Keine Universität der Zeit, die von dieser schon architektonisch kolossalen und bedrohlich empfundenen Konkurrenz nicht in den Schatten gestellt worden wäre 72 . Kaum ein Heros der frühen Neuzeit, in dessen intellektueller Biographie die Jesuiten nicht eine Rolle gespielt hätten: Galilei 73, Descartes 74, Leibniz 75, Vico, Hume. Darüber hinaus hat das Thema >>Macht und Geheimnis der Jesuiten« in unendlichen Variationen die Phantasie einer Epoche beschäftigt und Protestanten und Jansenisten, Höfe und Aufklärer, Liberale und Antisemiten im paranoiden Haß vereint 76 • Es ist der Skandal der Geistesgeschichte, daß, obwohl sie als Institution einzigartig sichtbar, bibliographisch besser als jedes andere Kollektiv erschlossen 77 und der Gegenstand des vielleicht einzigen genuin neuzeitlichen Mythos sind, die Jesuiten als intellektueller Faktor der frühen Neuzeit lange Zeit praktisch nicht wahrgenommen wurden. So spärlich wir
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V gl. die graphische Darstellung bei HARRIS (1988) 322 und speziell zur geographischen Verteilung in Spanien (ohne Portugal, spanische Niederlande, Sizilien und Amerika) KAGAN (1974) 54. Was Italien betrifft, datiert BALDINI (1998) 683, 689 den Höhepunkt in der Zahl der Kollegien und Studenten sogar erst auf 1690/1720. Vgl. ESCHWEILER (1931) 255ff., GIARD (1995) xix/xx (mit Lit.), BALDINI (1998) 636-46 zur Defensive, in welche die alten Universitäten im katholischen Teil Europas gerieten. Ein Rezensent faßt die Forschungsergebnisse von WA. Wallace so zusammen: 90 percent of the early Galileo comes right out of Jesuit authors of scholastic persuasion, and it borders on certainty that the other 10 percent will turn up in writers of the same genre (QUINN (19801 351).Vgl.BALDINI (1998) 712. Vgl. SORTAIS (1929) 1-19. Der Schwerpunkt dieserunüberholten Studie liegt indessen aur· der Wirkungsgeschichte Descartes': Unetradition servilement suivie par !es ecrivains universitaires fran> ... Die positivistische und postpositivistische Historiographie hat nahezu konstant in der Universität den Repräsentanten einer >laizistischen< Position gesehen, den Garanten der Freiheit des Denkens und der Forschung und daher, wenigstens der Möglichkeit nach, den Träger einer >modernen< kulturellen Orientierung. Die Jesuitenkollegien hingegen hat sie als Niederlassungen einer entgegengesetzten Tendenz betrachtet.« V gl. auch BRIZZI (1995) 35: Le r6le assume par !es colleges des jesuites dans l'histoire de l'ecole en Italie a ete longtemps ignore et parfois deliberement meconnu. Jusqu'a ces derniers temps, ce domaine de recherche etait pratiquement reserve a l'attention empressee des jesuites et l'historiographie laique I' evitait avec soin. V gl. den interessanten Forschungsbericht Le retour en grace von GIARD (1995) xxv-liii: D' ou vient, en histoire des sciences, ce regain d'interet pour !es jesuites a Ia Renaissance? Antwort: daher, daß sie der Testfall ftir verschiedene wissenschaftshistorische Globalthesen sind, vor allem natürlich ftir Pierre Duhems Kontinuitätsthese. Ähnlich BALDINI (1998) 716f. One cannot study the history of mathematics in the sixteenth and seventeenth centuries without coming across Jesuits at every corner (SARTON (1949) 3). Der bekannte Organisator der Wissenschaftsgeschichte verband das schon vor ftinfzigJahren mit dem Aufruf, die vielen von H. Bosmans den belgischenJesuiten-Mathematikern gewidmeten Studien gesammelt neu zu veröffentlichen. Nachdem K.A. Fischer ftir eine nach Ländern geordnete Chronologie der Jesuitenmathematik gesorgt hat, vgl. ftir den Forschungsstand HARRIS (1995) und KRAYER (1991), der im Anhang (365-400) den (weitgehend erhaltenen) astronomischen Buchbestand des Mainzer Kollegs am Vorabend des Schwedischen Krieges verzeichnet. Für BALDINI (1992) 251-81 konkurriert mit der konservativen Scholastik eine fortschrittliche
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Einfuhrung
und der Nachholbedarf artikuliert sich in der zunehmend präzisen Themenstellung von Spezialstudien. Es entstehen Längsschnittuntersuchungen zur Lehrentwicklung in einzelnen Provinzen 81, ja an einzelnen Kollegien 82 • Davon regelmäßig ausgespart bleibt indessen der Sektor der jesuitischen Lehrtätigkeit, die Scholastik, auf welchem seinerzeit nicht nur das Hauptaugenmerk der Gesellschaft selber lag83, sondern in bezugauf welchen institutionelle Kurskorrektu-· renauch extern aufmerksam verfolgt wurden 84 . Für Philosophie und Theologie, von denen man erwarten würde, schon aus konfessionellen Gründen müßten sie als For-· schungsgegenstand einigermaßen etabliert sein, fehlt es an Voraussetzungen, welche in der Mediävistik seit langem Standard sind. Kaum die Namen sind ein Begriff, geschweige denn die Schulzusammenhänge 55. Wenn Namen fallen, dann versprengt
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>>mathesis mixta gesuitica« (Statik, Mechanik, Astronomie), im Hinblick auf die sich die wissenschaftliche Aktivität der Jesuiten zu der frühneuzeitlich entstehenden mathematischen Physik überhaupt erst sinnvoll in Beziehung setzen lasse (43). Baldini und seine Schule adoptieren bereitwillig die üblichen Vorurteile gegen die Jesuiten in bezug auf ihre Aristoteliker und Theologen (vgl. 287 u. ö.: >>tensioni tra i matematici gesuiti e i confratelli filosofi e teologi«) und sehen in Philosophie und Theologie nur einen Hemmschuh fllr die Jesuitenphysik (409f.; GATTO (1994) 121 ff., 226fT., 262fT.). Zwar bemüht man sich neuerdings um eine differenziertere Sicht, indem zwischen einem veränderungsträgen, d. h. mathematisierungsresistenten, Zentrum der Jesuitenphilosophie und ihrer Peripherie unterschieden wird (BALD! NI (1998) 732). In das Zentrum soll die Metaphysik, nicht aber die Logik gehören. Zur Logik hätten im 17 .Jh. die Jesuiten, und zwar fast ausschließlich sie, >>nennenswerte Beiträge>die geringe Anzahl von Studien über die philosophischen Bemühungen der Jesuiten« zu beklagen (682). Aber daran wird festgehalten: >>Die entscheidenden lehrmässigen Veränderungen des Jesuitenordens in Italien im 17. Jahrhundert stammten oder wurden verbreitet von jesuitischen Mathematikern, die sich oft der Begriffe und Verfahren ihrer Disziplin bedienten, um traditionelle Lehrstücke der Philosophen zu widerlegen>dominieren die Gutachten über philosophische und theologische Werke, und die Gutachten über wissenschaftliche Werke z.B, obwohl der absoluten Zahl nach nicht unbeträchtlich, sind jedenfalls vergleichsweise wenigeMolinismusSuarezismus< 86 . Dieses Desinteresse ist umso erstaunlicher, als wir es hier zumindest teilweise mit der natürlichen Fortsetzung des in der Mediävistik seit langem durchgesetzten 14. Jhs. zu tun haben 87 . Es gibt keine kürzere Weise, um die uns im folgenden beschäftigende Gruppe jesuitischer >Thomaskommentatoren< vorläufig zu charakterisieren, als sie die Nachkommen eines Aureoli, Durandus, Burley, Ockham, Buridan, Chatton, Crathorn, Wodeham, Gregor von Rimini oder Andreas von Novocastro zu nennen. Die Streuungsbreite ist so immer noch erheblich. Trotzdem ist diese Ähnlichkeit stärker und ließe sich detaillierter belegen als das ihnen mit den katholischen Theologen nur hundert Jahre früher gemeinsame Band des gegenreformatorischen Impulses 88 . Die Jesuitenscholastik des 17. Jhs. ist nicht zuletzt die Renaissance des 14.Jhs. 89 Es gibt nicht viele Punkte ihrer Philosophie und Theologie, 86
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So im günstigsten Fall. Meistens wird die Ordenszugehörigkeit einzelner bekannter Figuren »entweder als in keinem Zusammenhang mit ihren Ideen stehend betrachtet oder aber nur ftir die dogmatische und fideistische Beschränkung der Denk- und Redefreiheit verantwortlich gemachtmolinistische< Definition der Willensfreiheit (11. 3.2.2.1), um die Lehre von der Volkssouveränität und um die sog. >Jesuitenmorak Zur Biobibliographie OLIVARES (1986), KNEBEL (1995a). Der heute fast vergessene Autor hat es in seiner Zunft frühzeitig zu Klassikerruhm gebracht: ... gravissimus et eruditissimus Didacus Ruiz, qui solus ad praeclarum ornamentum nostri saeculi suffleeret . . . (RIBADENEIRA (1655) 344) .... eminent in nostra Schola quatuor Societatis Iumina, Molina, Sua-
Allgemeines
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Granado (1571-1632) 93 ,jahrelang gemeinsam gelehrt. Nach dem Gesagten wundert es nicht, daß, außer in der Kunst- und Literaturgeschichte, die gängige Neuzeittopographie Sevilla nicht verzeichnet. Um 1600, unter dem Habsburger Philipp III., steht Sevilla auf dem Höhepunkt seines Wohlstandes. Als Tor zur Neuen Welt ist es eine prosperierende Großstadt, eine der größten Städte 94 und einer der ersten Finanzplätze des damaligen Europa. Die Achse Antwerpen-Sevilla bildet Spaniens kommerzielles Rückgrat95. Der Han-
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rez, Vazquez et Valentia, quibus annumerari potest eruditissimus Pater Ruiz de Montoya ... (RAMIREZ (1702) I, 1).Also selbst aus einem gehörigen zeitlichen Abstand zählt Ruiz zu den Koryphäen der Jesuitentheologie, nicht z. B. die Kardinäle Bellarmin oder Lugo. SCHEEBEN (1873) 480 stellt ihn über Vazquez: >>Viel gediegener war Ruiz, welcher in den von ihm vollendeten umfangreichen Traktaten an Erudition und Tiefe Suarez noch überholte.« Einhellig, wenn auch stereotyp, gelobt wird seine Gelehrsamkeit: »eruditissimus noster Didacus Ruiz>Barockscholastik« getaufte Forschungsprojekt ist nach dem Vorgang Carl Werners von Kar! Eschweiler, damals Privatdozent in Bonn, entwickelt worden. Er betonte, daß >>es vieler Hände und Köpfe bedarf, um das außerordentlich weitschichtige und seinem bloßen Dasein nach noch kaum gesichtete Material durchzuarbeiten« (ESCHWEILER (1928) 252). Vgl. auch ]ANSEN (1938) 11f.: >>Während die Scholastik des Mittelalters und des 16. Jahrhunderts im allgemeinen, im besonderen auch der Jesuiten, verhältnismäßig gut erforscht ist, liegt die Scholastik des 17. und 18. Jahrhunderts fast völlig im Dunkeln. Das gilt von der Philosophie wie von der Theologie ... >sterminata ampiezza del movimento scolastico dell'etl. moderna« und dem >>strabocchevole numero di autori ehe vi parteciparono« spricht, sind das auch Ausdrücke der Verzweiflung des Philosophiehistorikers, der sich nahezu nur auf sich gestellt dieser Tatsache gegen übersieht. Die Scholastik des 17.Jhs. sei >>uno mondo sommerso ... , di cui l'uomo contemporaneo non sa nulla e, generalmente, non vuole saper nulla« (11), »somehow a Cinderella of philosophical historiography until recent times>almost virgin territory for present day historians>in many respects ... still an untouched field>forgotten century« in the philosophical historiography of Latin America (REDMOND (1972) xi). Das alles gilt womöglich noch gesteigert für das spanische Mutterland. Daß »die erhaltenen unveröffentlichten Texte auch heute noch sehr viel zahlreicher sind als die veröffentlichtenideal< (i.e. of >objective existencest denn die Topik etwa die Wissenschaft, aus welcher sich die Wahrscheinlichkeit bei Lotterien oder bei Wirtwenkassen oder bei öffentlichen Policeianstalten oder bei gerichtlichen Beweisen oder die Philosophie der Geschichte finden läßt?« 163 Gegenstand der Topik waren die »Vorurtheile« 164 . >>Eine Wissenschaft von dem, was leicht Beifall erhält, ... war, deucht mich, gerade der Antipode von einer Philosophie über das Wahrscheinliche. Denn diese will sichere Gründe finden.« 165 Interessanter als die (von der lateinischen Scholastik fortgesetzte166) topische Tradition des Probablen sei daher die akademische und pyrrhonische Skepsis: Wenn schon, führe die Vorläufersuche zu Sextus Empiricus 167 . Über Ansätze seien die Griechen allerdings auch hier nicht hinausgediehen, von einer Theorie des Wahrscheinlichen finde sich >>bey ihnen nicht die geringste Spur« 168 . Unter den verschiedenen Gründen ft.ir diese Fehlanzeige, der unterentwickelten Arithmetik, der fehlenden Bürokratie und dem Einfluß, welchen >>die Sprache auf das Erkenntnissystem eines Volkes hat«, erwägt er auch, die Griechen könnten fixiert geblieben sein auf allzu elementare erkenntnistheoretische Probleme 169. Daß die Wahrscheinlichkeitsrechnung genauso gut auch hätte von den Griechen entwickelt worden sein können, diese Möglichkeit, die einem so gründlichen Kenner der Materie und zu-
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FRÖMMICHEN (1773) 14f. Ebd. 34. Ebd. 8. Ebd. 9. Ebd. 11. Ebd. 21f. Diese Affinität wird· zu einer Abhängigkeitsthese verschärft von SCHNEIDER (1981) Sf., 10: Die Renaissance der antiken Skepsis habe im 17.Jh., unter Umgehung der topischen Tradition, den direkten Rückgriff auf einen gradualisierenden Begriff des Wahrscheinlichen ermöglicht. Dazu die Antwort von HACKING (1981) 107ff. INEICHEN (1996) 136 findet hier zwar eine Gradualisierung, aber keine Quantifizierung. FRÖMMICHEN (1773) 18. Auch der jüngste Bearbeiter des Themas beabsichtigt nicht, >>die Vorgeschichte der Wahrscheinlichkeitsrechnung in die Antike zurückzuverlegen. Davon kann keine Rede sein.« >>Die grundlegenden Begriffe der heutigen Stochastik sind nicht in der Antike geprägt worden ... « (INEICHEN (1996) 128f.). Ebenso CROMBIE (1994) 1298, 1309. >>Vielleicht hielt endlich auch die Frage über den Unterschied der Wahrheit vom Scheine. welche die älteren Philosophen Griechenlands so sehr beschäftigte, sie zurück, daß sie nicht so vollkommen auf eine Theorie des Wahrscheinlichen denken konnten. Stellen uns die Sinne die Sachen so vor, wie sie sind? oder lehret uns der Verstand nur, was in den Sachen wahr ist? oder dürfen wir beiden, oder keinem von beiden trauen? Diese Frage heftete ihre Untersuchungen vielleicht zu sehr auf die Empfindungen, auf die erste Vorstellung der Sache, bei der sie frugen, ob sie auch wirklich so wäre, wie sie sich dieselbe vorstellten: das hielt die Untersuchung aufthe emergence of probability« 183 , von dem >>enigma 177
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Umstritten ist die Pionierleistung von CARDANO (1565). Vgl. einerseits MAISTROV (1967) 18ff., BYRNE (1968) 7, HOWSON (1978) 275, HALD (1990) 36ff., andererseits GARBER/ ZABELL (1979) 48, GNEDENKO (1988) 389ff. Aber wie dem auch sei, der erst 1663 veröffentlichte Text habe keinen Einfluß auf den Gang der Ereignisse gehabt: SCHNEIDER (1972) 1; DASTON (1989) 15. Die verbreitete (KENDALL (1956) 7; MAISTROV (1967) 18; DASTON (1989) 15) Frühdatierung des Traktats auf »circa 1530« steht übrigens im Widerspruch zu Cardanos präzisem Selbstzeugnis in (1565) 270a/b. Richtig: HALD (1990) 37 [Hinweis:Thomas Hengst, Berlin]. The theory of probability originated in the period from 1654 (correspondence between Pascal and Fermat on probability) to 1713 (posthumous publication of J. Bernoulli's Ars conjectandi) (SHEYNIN (1977) 202). The story of the beginning of mathematical probability is a familiar one (FRANKLIN (1991) 124). Sehr nützlich CROMBIE (1994) 1322-1420. SCHNEIDER (1972) 1;HACKING (1975) 1;DASTON (1989) 8;FRANKLIN (1991) 125. KENDALL (1956) 9: Why was it that the calculus of probabilities was so long in emerging?BELLHOUSE (1988) 63: What held up the f!owering of probability until 1654? - SHEYNIN (1977) 204: ... it is possible to imagine the beginnings of a probability calculus (say, the appearance of a treatise resembling that of Huygens) emerging in the middle of the 16plebejische< Problemstellung des >>wissenschaftlichen Dilettanten aus Edinburgh« dieser auch der Entdecker des Induktionsproblems sei 226 . "Möglich« gemacht habe dies jedoch nicht, ftigte Fred Wilson hinzu, ein neuer Begriff der Wahrscheinlichkeit, sondern der Skeptizismus der frühen Neuzeit 227 . Ihnen beiden sowohl als auch Hacking gegenüber erinnert Brown nun nachdrücklich an Duhems bekannte These, ausgerechnet die skeptischen Konsequenzen der Allmachtstheologie des 14. Jhs. hätten den modernen, von hochgespannten Wahrheitsansprüchen entlasteten Theorietyp gezeitigt: Humes Vorläufer seien dieselben Nicolaus von Autrecourt,Johannes Buridan und Johannes von Mirecourt 228 , die zwischen deduktiver und nicht-deduktiver Evidenz systematisch unterschieden 229 und >Wahrscheinlichkeit< explizit auch mit relativer Häufigkeit konnotiert hätten 230 . Während Hackings Verteidiger gegen entsprechende Hinweise von Garher und Zabell ein222
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Hier distanzieren sich von ihm sogar GARBOL!NO I MORINI (1987) 31, während SCHNEIDER (1981) 6f. zwar noch zustimmt, selber aber doch lieber auf den Frühkapitalismus setzt. Vgl. auch SCHNEIDER (1988b) 220. LAUDAN (1978) 418. BROWN (1987) 670. Ebd. 657. Er selber bezieht sich aufjulius Weinberg und kennt leider nicht MAlER (1963). LAUDAN (1978) 430. V gl. auch MILTON (1987) 69 ff. WILSON (1978) 595; CROMBIE (1994) 1322. BROWN (1987) 664f., 670. To claim, as Hacking does, that the medieval thinkers in general thought non-deductive evidence to be somehow not genuine is to neglect one of the basic controversies of the fourteenth century (Ebd. 661). In sum, Hacking's historical thesis depends upon the frequency sense of probability not being known to such medieval thinkers as John of Mirecourt, Buridan and Nieholaus (Ebd. 660).
Ursprung der mathematischen Wahrscheinlichkeit
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wenden, das Wahrscheinliche sei die mit seinem Ausschluß aus dem aristotelischen Wissenschaftsbegriff verbundene »epistemologische Inferiorität« im Aristotelismus nie losgeworden 231 , beurteilt Brown dessen Folgelast nüchterner: Weder habe die scholastische Physik beansprucht, überhaupt Wissenschaft im strikt deduktiven Sinn zu sein und sein zu können, noch hätten ftir die Scholastik die >high sciences< (Astronomie usw.) und die >low sciences< (Medizin usw.) epistemologisch auch nur annähernd so weit auseinandergelegen, wie Hackings Konstruktion von ihnen unterstellt 232 . Brown äußert sich nicht darüber, ftir wie stark er den Zusammenhang hält, welchen er zwischen der >protohumeanischen< Situation um die Mitte des 14.Jhs. und der mit relativer Häufigkeit konnotierten >Wahrscheinlichkeit< sieht. Eine bei Simo Knuuttila entstandene Dissertation von Ilkka Kantola läßt darauf schließen, daß der Zusammenhang schwach ist: Es reicht bereits, es an Aristotelikern des 13. Jhs. zu überprüfen, neben Thomas von Aquin namentlich an Boethius von Dacien, Petrus Johannes Olivi und Alexander von Alexandria, um Hackings kraß einseitiges 233 Mittelalterbild zu falsifizieren 234.
1.2.4.2 Moraltheologische Quellen der epistemischen Wahrscheinlichkeit Kantola teilt vor allem nicht die ftir Hackings Beweisftihrung zentrale und merkwürdig selten hinterfragte Verachtung des moraltheologischen Probabilismus 235 . Den Themenkomplex >Probabilismus< identifiziert er richtig als das scholastische Pendant heutiger Theorien zur Entscheidungsfindung unter Bedingungen der Ongewißheit. Abgesehen davon, daß der Stellenwert der extrinsischen Probabilität des Zeugnisses, im Hinblick worauf Hacking den Wahrscheinlichkeitsbegriff des Probabilismus verwirft, nur ein Punkt in der subtilen probabilistischen Logik ist, muß sich Hacking belehren lassen, daß in die Schwellenzeit ausgerechnet im Jesuitenorden auch der Angriff auf den Probabilismus und die Konzeption eines Probabiliorismus fiel236. Auch hier, wie bei Browns Hinweis auf die philosophische Mediävistik, liegt der erzielte Fortschritt weniger in einem originellen Forschungsbeitrag als darin, daß seit langem bekannte Tatsachen endlich anfangen gewürdigt zu werden. 231 232
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GARBOLINO/MORINI (1987) 29. BROWN (1987) 666ff., 670. CROMBIE (1994) 1297f. und SGHERRI (1997) belegen, daß schon Aristoteles selber die in der antiken Medizin vorhandenen Ansätze zu einer statistischen Betrachtungsweise in den von ihm vertretenen Wissenschaftsbegriff integriert hat. BROWN (1987) 660. My aim in this study is first to show that the supposed distinction between medieval/late medieval and modern understanding of probability does not convey the whole truth regarding the history of probability (KANTOLA (1994) 12).Vgl. CROMBIE (1994) 1310-21 (m. Lit.). Vermutlich wieder ein Fall von schlicht sprachlicher Inkompetenz: As a matter of fact, the Iiterature which has resulted from discussions of these moral systems is far more extensive than the uninitiated could ever imagine. But, unfortunately, the vast majority of the works in question were written and have remairred in Latin (BYRNE (1968) 6). KANTOLA (1994) 143-78, der sich dabei auf die Vorarbeit u.a. von DÖLLINGER I REUSCH (1889) stützen kann.
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Einführung
Ebenfalls zu einer Integration des Probabilismus 237 fuhrt die Weise, auf die James Frank/in Hackings These entdramatisiert. In Fortsetzung einer älteren französischen Tradition 238 zeigt er, daß das pragmatische Motiv für die von Pascal, Huygens und de Witt begonnene Mathematisierung der Wahrscheinlichkeit die Lösung bestimmter Probleme des fair play war (Teilungsproblem bei vorzeitigem Spielabbruch, Leibrentenberechnung), welche in dieser Form die Jurisprudenz teilweise längst 239 , teilweise aber auch erst die zeitgenössische moraltheologische Kasuistik professionell beschäftigt hätten. Die Problemstellung von Pascal-Fermat und Huygens müsse auf die entsprechenden Abschnitte der großen Traktate De Justitia et Jure katholischer Moraltheologen des 16. und 17. Jhs. bezogen werden, wo der vertragsrechtliehen Analyse von Risiko und Chance regelmäßig breiter Raum gewidmet gewesen sei 240. Lorraine Daston leistet zwar zur Aufhellung dieser Provenienz keinen selbständigen Beitrag, aber dafür überbietet sie noch die französische These 241 , indem sie ihr Augenmerk auf die Blütezeit der >klassischen< Theorie der Wahrscheinlichkeit richtet: Nicht nur als pragmatisches Motiv für die einsetzende Mathematisierung habe der juristische Zweck der Übung den Pionieren des 17.Jhs. ständig vor Augen gestanden, sondern das ganze 18. und das frühe 19 .Jh. über habe diese Affinität (>>the close connection between the calculus of probabilities and jurisprudence«) auch angedauert und der Theorie der Wahrscheinlichkeit ihren Stempel aufgedrückt. Sie sei der Grund dafür, daß der klassische Kalkül die >Wahrscheinlichkeit< epistemisch, als Grad der Gewißheit, interpretiert erst verhältnismäßig spät zu dem Ansatz >gleichwahrscheinlicher< Fälle gefunden hat242. Dieser Strang der Kritik an Hackings These bestätigt die schon unabhängig davon geäußerte Vermutung 24 3, daß bestimmt nicht die epistemische Konnotation der Wahrscheinlichkeit im 17.Jh. erklärungsbedürftig ist. Ob es sich deswegen auch erübrigt, nach einer Erklärung für das Auftauchen des >>dual concept of probability« zu suchen, darüber sind die Meinungen geteilt: Brown meint ja, denn ein solcher Konzept sei nun einmal nicht aufgetaucht 244 . Franklin meint nein, denn im 17.Jh. sei es 237 238 239
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FRANKLIN (1991) 137. BOUTROUX (1908), COUMET (1970). FRANKLIN (1991) 126fT. Das Thema ist nicht annähernd ausgereizt. Spanische Juristen des 16.Jhs. diskutieren ausgiebig die Berechnungsgrundlagen des gerechten Preises von Annuitäten, darunter auch, welchen Stellenwert Präsumtionen zur Lebenserwartung des Erwerbers haben sollen. Vgl. etwa COVARRUVIAS (1552) 249fT. (lib. [[[ cap. 9-10: De iusto anrmi reditäs pretio).Von Professor James Franklin (School ofMathematics, University ofNew South Wales, Sydney) ist übrigens, laut brieflicher Mitteilung an den Autor vom 5.5.1998, demnächst eine größere Abhandlung The Sciet1Ce of Conjecture: Probability before Pascal zu erwarten, in der die Geschichte der Jurisprudenz eingehend berücksichtigt ist. FRANKLIN (1991) 12fT.; COUMET (1970) 579fT., 592; CROMI3IE (1994) 1318ff., 1325. DASTON (1989) 7, 18f., wo sie sich aufCoumet bezieht. Ebd. 13-33. BLACKBURN (1976) 478;WILSON (1978) 595;BROWN (1987) 671. BROWN (1987) 671.
Ursprung der mathematischen Wahrscheinlichkeit
53
immerhin, wenn auch nur zeitweilig, zur »Verschmelzung« von juristischer (epistemischer) und mathematischer (aleatorischer) Wahrscheinlichkeit gekommen 245 .
1.2.5 Moral certainty: Auffanglinie ftir Hackings Diskontinuitätsthese? Diese letzte These gehört zu einer verbesserten und inzwischen häufig vertretenen Version von Hackings Versuch, die Mathematisierung der Wahrscheinlichkeit an eine veränderte Konstellation von Begriffen zu knüpfen. Daston akzeptiert die Einwände von Garher und Zabell246. Trotzdem spricht sie von einer »neuen Sorte Rationalität«, welche annähernd gleichzeitig mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung selber entstanden sei 247 . Gemeint ist der von den anglikanischen >Latitudinariern< 248 propagierte und in der Folge von der Royal Society zur Diskursnorm erhobene >konstruktive SkeptizismusGewißheit< und, anstelle der hoch angesetzten Gewißheit der demonstrativen Wissenschaft, ftir alle Lebens- und Wissensbereiche die Orientierung an >moral certainty< gewesen 249 . Moral certainty, so Richard Popkin und seine Schule, habe die höchstmögliche Gewißheit geheißen, wo immer Fakten und Erfahrung im Spiel sind 250 . Die Einrichtung erst dieser Gewißheitsebene, ursprünglich gedacht, um der protestantischen Apologetik eine rationale Basis zu sichern 251 , dann eine Theologen, Juristen und Naturwissenschaftlern gemeinsame Idee, habe es der britischen Physik des 17. Jhs. erlaubt, sich auf Wahrscheinlichkeit einzulassen. Moral certainty sei nämlich etwas von der Sphäre des Wahrscheinlichen nicht qualitativ Verschiedenes 252 . Sie
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FRANKLIN (1991) 139ff. (»The fusion ofthe two probabilitiesWahrscheinlichkeit< behauptet, über die Zeit eine Gewichtsverlagerung von der Fundierung im äußeren Zeugnis zu einer Fundierung im Zeugnis der Sinne vollzogen 254 , die Grenzen zwischen physischem und moralischem Wissen seien fließend geworden 2 55. So rekapituliert Barbara Shapiro dasselbe Evangelium von der moral certainty, das andere, im Hinblick auf Condorcets >science sociale>klassischemoralischen Gewißheit< an den auch von ihr vorher beschworenen britischen Kontext wieder lockern und betonen, daß dieser Begriff zu derselben Zeit auch auf dem Kontinent Verwendung gefunden hat, z. B. in den einschlägigen Abschnitten der Art de penser und in Bernoullis Ars conjectandi 260 . Das wird sich kaum auf den Einfluß Englisch schreibender Latitudinarier zurückfuhren lassen. Der Begriff >moralische Gewißheit< ist schließlich erheblich älter, die certitudo moralis scholastisch wohlbezeugt 261 . Auch auf diese Version von Hackings These
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Ebd. 3, 9, 15f. u.ö. Originally, moral certainty had focused on testimony. Increasingly, however, the testimony of the senses and therefore of natural facts was included (Ebd. 32). Ebd. 84. CAMBURSANO (1960) 83f.; BAKER (1975) 133ff., 178, 184f. Noch SUPPES (1984) 82 meint, die moral certairlfy gehöre zu den ungehobenen Schätzen des 18.Jhs. Whether we speak in terms of family of ideas, or climate of opinion, or dominant intellectual movement, what is distinctive about seventeenth-century English intellectuals is that they were prepared to face the imperfections of all human knowledge and, nevertheless, to seek that intermediate goal which they called moral certainty (SHAPIRO (1983) 272). Genauso VAN LEEUWEN (1970) 143f. SHAPIRO (1983) 277. Sie bedauert, daß Hacking überwiegend auf die kontinentaleuropäi .. sehe Entwicklung eingeht. DASTON (1989) xi/xii. Daß der Epochenbegriff >classical probability< ein Artefakt sei, ver.. mutet HAUSER (1997) 224, leider ohne weitere Diskussion. DASTON (1989) 64; SCHNEIDER (1972) 47; VAN DER WAERDEN (1975) 13f.; HAUSER (1997) 100. Vgl. auch SHEYNIN (1977) 250, 252; DANNEBERG (1994) 44f. (Descartes, Clau-berg, Spinoza, Bierling). FRANKLIN (1991) 137; DANNEBERG (1996) 28f. Die von VOSS (1993) 580 über diese Entdeckung geäußerte Verblüffung ist nur verständlich, wenn man hinzunimmt, daß noch
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ist also kein Verlaß, jedenfalls so lange, wie man nicht aufhört, die idee directrice >moralische Gewißheit< antischolastisch zu deklinieren 262 , und keine Vorstellung davon hat, wo, wenn überhaupt, die Grenze ihrer scholastischen Leistungsfahigkeit verläuft263. Im U neerschied zu Hackings ursprünglicher These, die begriffsgeschichtlich steril war, hat das neu erschlossene latitudinaristische Textcorpus immerhin daftir gesorgt, daß das Auftauchen des Wortes >Wahrscheinlichkeit< im Glücksspielkontext jetzt vordatiert wird. Während das bisher der Art de penser 1662 zugeschrieben wurde 264 , was auch plausibel schien, weil man sich mit der Logik von Port Royal ja in Pascals Umgebung befand, stellt man jetzt fest, daß >probability< einige Zeit vor 1654 bei einem Vorkämpfer der moral certainty in diesem Kontext bereits vor-
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MILTON (1987) 63 unter Rekurs auf VAN LEEUWEN (1970) und SHAPIRO (1983) 84 gemeint hatte, die Ursprünge der >moral certainty< seien »surprisingly obscure«. Vgl. aber schon GRIFFIN (1962) 181f., der seinen Hinweis aufJohn Mairs 1519 erschienenen Kommentar zum IV. Sentenzenbuch mit der Erläuterung begleitet: lt is quite clear that >moral certainty< for Major referred to probabilities, and probabilities relating to practice rather than to mere assent. Griffin irrt nur darin, daß er meint (96f.), jene »revolution in theologymoralische Gewißheit< qualifiziert worden (STAKEMEIER (1947) 128). Tatsächlich partizipieren die Latitudinarier nur an dem großen posttridentinischen Projekt evidentia credibilitatis (dazu leider immer noch unüberholt SCHLAGENHAUFEN (1932)), dessen Ertrag flir eine Kultur der Wahrscheinlichkeit, trotz diesbezüglicher Hinweise z.B. bei LEIBNIZ (1875ff.) V, 456, 480, völlig unerforscht und so unbekannt ist, daß HACKING (1971) 351 sogar den Ausdruck >motif de croireprobability< in connection with gambling, occurs in Chillingworth's Religion of Protestanis a Safe Way to Salvation, of 1638 (FRANKLIN (1991) 139, unter Hinweis auf CHILLINGWORTH (1638) 214). Genauso GARBOLINOIMORINI (1987) 41f. So etwa GARBOLINO I MORINI (1987) 26, wenn sie behaupten, erst im 17.Jh. sei es dank der algebraischen Notation Vietas möglich geworden, das alte Teilungsproblem der Glücksspieleinsätze zu »konzeptualisieren«. BLACKBURN (1976) 478; GARBER I ZABELL (1979) 48f. Wilson is correct, therefore, in claiming that the concept of probability that appears in the seventeenth century is not dual but aleatory ... We are left, then, with the major question of why the aleatory concept did not emerge until the seventeenth century ... But it is not even clear that there are good reasons why the concept should have obtained mathematical expression earlier. What is clear, however, is that if there are such reasons Hacking's book does not describe them (BROWN (1987) 671). Vgl. WILSON (1978) 595f.- Der Begriff >aleatorische Wahrscheinlichkeit< ist allerdings nicht sehr scharf. Er dient in der englischsprachigen Literatur (vgl. SHAFER (1978) 312 ff.) zur Bezeichnung sowohl der kombinatorisch etablierten Chancenverhältnisse als auch der statistischen Häufigkeiten. HOWSON (1978) 278 f. beanstandet eine bei Hacking daraus entstehende Unklarheit. Tatsächlich ist es ein Fortschritt über Hacking hinaus, wenn HAUSER (1997) 9 ff. unterstellt, er habe das »Wechselverhältnis von statistischen und glücksspieltheoretischen Vorstellungen« behandeln wollen.
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1.2.6.1 Wahrscheinlichkeit und Zufall
Ivo Schneider und Glenn Shafer präzisieren deswegen Hackings Fragestellung: Arithmetisch mit Glücksspielen hat man sich auch schon im 15.Jh. befaßt. Warum ist bei dieser Beschäftigung aber nicht die Wahrscheinlichkeitsrechnung herausgekommen? Weil ihr der geeignete Wahrscheinlichkeitsbegr!ff fehlte. Das heißt nicht, gegen Hacking, an einem solchen hätte es überhaupt gefehlt, nur auf Glücksspiele galt er nicht ftir anwendbar 269 . Zu erklären sei, warum es bis zum 17.Jh. unmöglich blieb, Zufall und Wahrscheinlichkeit aufeinander zu beziehen. Nicht, daß er zur internen Evidenz in keinem Verhältnis gestanden hätte, bildete die innere Schranke des traditionellen Wahrscheinlichkeitsbegriffs, sondern daß er zum Zufall jedes Verhältnis vermissen ließ 270 . Das lag, zeigt Schneider, an der topischen Tradition der Wahrscheinlichkeit. Auch wo, wie im Aristotelismus, >Wahrscheinlichkeit< relative Häufigkeit konnotiert, habe das Glücksspiel nicht zum Gegenstand einer Wissenschaft von der Wahrscheinlichkeit werden können, denn der Zufall habe in die Klasse der seltenen Ereignisse gehört 271 . Ehe sich das Wahrscheinliche mit Hilfe der (davon an sich unabhängigen) Glücksspielarithmetik quantifizieren ließ, habe das Wort >wahrscheinlich< auf Zufallsereignisse anwendbar werden müssen 272. Diese Erweiterung des Anwendungsbereichs von >wahrscheinlich< sei das Verdienst der Art de penser. Wie Schneider sie zum Wendepunkt in der Wahrscheinlichkeitssemantik stilisiert273, hat er die Schwierigkeit, daß auf der einen Seite die Mathematisierung zu dem Zeitpunkt bereits angelaufen war, und zwar, wie er selber betont, ohne daß z. B. Huygens über einen anderen als den topischen Begriff der Wahrscheinlichkeit verfUgt hätte 274 , während auf der anderen Seite die Logik von Port Royal selber keinen Fortschritt in der Mathematisierung bedeutet 275 . Schneider hilft sich damit, daß er teleologisch alles auf Jakob Bernoulli zulaufen läßt. Nicht etwa, trotz seinem zugestanden großen Einfluß, Huygens276, sondern Bernoulli sei der wahre Urheber 269 27
SCHNEIDER (1981) 3f.
° Considerable progress had been made in the theory of games of chance before 1660 ... But
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in none of these writings do we find the word >probabilityprobabilis< to future chance events suggested the adoption, for the purposes of quantification, of the games of chance model which had developed independently of any understanding of probability (SCHNEIDER (1981) 10). SCHNEIDER (1981) 9f.; SHAFER (1978) 310 und 318. SCHNEIDER (1972) 25; (1981) 8.
SCHNEIDER (1981) 10. SCHNEIDER (1972) 15.
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Einführung
(»the true creator«) sowohl der Wahrscheinlichkeitsrechnung als auch des klassischen Wahrscheinlichkeitsbegriffs 277 . Diese Choreographie ist Ausdruck einer auch sonst zu beobachtenden Verlegenheit, wo der Wissenschaftshistoriker das Thema enger als Hacking zu fassen versucht278. Er kann es dabei trotzdem vermeiden wollen, einen relativ späten Stand der Dinge, von dessen normativer Bedeutung er gleichwohl überzeugt ist, zum Ausschlußkriterium zu machen. So distanziert sich Daston von Hacking darin, daß sie auf die These verzichtet, der Ursprung der >mathematischen< falle mit dem Ursprung der >begrifflichen< Wahrscheinlichkeit zusammen 279. Trotzdem hütet sie sich, den klassischen Kalkül aus der mathematischen Definition der Wahrscheinlichkeit zu entfalten und zäumt ihn statt dessen von Jurisprudenz und moral certainty her auf. Auf diese Weise wird der Verzögerung Rechnung getragen, mit welcher auch Daston zufolge erst relativ spät, im 18.Jh., als die Mathematisierung längst florierte, die Grundlegung des klassischen Kalküls in der bekannten Definition der Wahrscheinlichkeit erfolgt ist 280. 1.2.6.2 Fragestellung »Worin die mathematische Wahrscheinlichkeit besteht, weiß heute jeder. Gegeben eine Mehrheit verschiedener möglicher Fälle, deren einige einem Ereignis günstig sind, andere ungünstig, versteht man unter Ereigniswahrscheinlichkeit das Verhältnis der Zahl der günstigen Fälle zur Gesamtzahl der möglichen Fälle. Diese Definition kann uns noch so evident und natürlich vorkommen, aber dann müßte sie sich von jeher dem menschlichen Geist als ein notwendiger Satz aufgedrängt haben. Bevor sie eine fruchtbare Wahrheit war, hätte sie lange Zeit ftir absurd oder ftir eine Einbildung gegolten. Dem Zufall Gesetze diktieren zu wollen, heißt das nicht in derTat sich gegen den gesunden Menschenverstand auflehnen? Eine mathematische Formel zu suchen, um dieses schlechterdings ungewisse Etwas, die Chance eines Spielers, auszudrücken? ... Der Wahrscheinlichkeitskalkül hat nur langsam seinen Platz an der Sonne erobert. Wie kam dieser Kalkül auf die Welt, wie hat er sich entwickelt? Wie hat er, von ursprungswegen kontingent, nach und nach den Charakter der Notwendigkeit angenommen, mit dem wir ihn heute ausstatten? Für einen for-
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••• I maintain that the decisive program of finding a measure for probability conceived of as a degree or fraction of certainty and erecting upon this measure the first calculus of probabilities was carried out by Jakob Bernoulli, who took from his predecessors essentially little more than an inspiration (SCHNEIDER (1981) 11). Das ist namentlich auch aufLeibniz gemünzt (11-16). Ihm schließt sich HAUSER (1997) 71 an. Die diversen Gebrauchsweisen von >Wahrscheinlichkeit< im 17.Jh. müßten durch den Filter der Quantifizierbarkeit: DASTON (1989) 4f., 8. Unlike Hacking ... , I do not believe that the origins of mathematical probability were identical to those of conceptual probability (DASTON (1989) 13). Ähnlich HAUSER (1997) 69f. zu Hacking. DASTON (1989) 24.
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sehenden Geist wäre dies ein lohnender Gegenstand des Studiums und des Nachdenkens.« 281 Mit diesen Worten leitete der junge Wissenschaftshistoriker Pierre Boutroux 1908 einen Les origines du calcul des pr~babilites überschriebenen Aufsatz ein, der einerseits insofern bereits auf Hackings Linie liegt, als er die Frage auf die »histoire du concept de probabilite« zuspitzt282 und die Emergenzthese vorwegnimmt 2B3. Andererseits hat seine Problemstellung den Vorzug, auch manchen gegen Hacking erhobenen Einwänden avant Ia lettre Rechnung zu tragen. Boutroux artikuliert die Frage nach dem Ursprung der mathematischen Wahrscheinlichkeit in drei Punkten: 1. Wie ist eine bestimmte Definition der Wahrscheinlichkeit entstanden, die, ohne
eine analytische Wahrheit zu sein, uns inzwischen selbstverständlich dünkt? 2. Wie hat die Wahrscheinlichkeit der deduktiven Notwendigkeit unterworfen werden können, d. h. wie ist die Wahrscheinlichkeitsrechnung entstanden? 3. Wie ist die Überzeugung entstanden, ausgerechnet vom Zufall abhängige Ereignisse wären auf diese Weise berechenbar? Von dem zweiten Punkt, dem im engeren Sinn mathematikgeschichtlichen Thema (11 1.2.3), sei hier abgesehen. Boutroux macht den Ursprung der mathematischen Wahrscheinlichkeit an gut erkennbaren Strukturmerkmalen fest. Die Art von Wahrscheinlichkeit, fur deren Entstehung nach einer Erklärung gesucht wird, ist 281
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Tout Je monde sait aujourd'hui en quoi consiste Ia probabilite mathematique. Soit une variete de cas possibles, clont certains sont favorables a un evenement, certains defavorables; on entend par probabilite de l'evenement ie rapport du nombre des cas favorablesau nombre total des cas possibles.- Cette definition a beau nous semhier tres claire et tres naturelle, il s'en faut qu'elle se soit toujours imposee a l'esprit humain comme une proposition necessaire. Avant d'etre une verite feconde, elle a longtemps passe pour une absurdite ou pour une fantaisie. N'etait-ce pas, en effet, s'insurger contre Je bon sens que de vouloir dicter !es lois au hasard? que de ehereher une formule mathematique pour exprimer cette chose incertaine par excellence, Ia chance d'unjoueur? ... Le calcul des probabilites n'a conquis que lentement sa place au soleiL- Comment ce calcul est-il ne, comment s'est-il developpe? Comment, arbitraire a l'origine, a-t-il peu apeu revetu Je caractere de necessite que nous lui attribuons aujourd'hui? I! y aurait Ii, pour un esprit curieux, un interessant sujet d'etude et de reflexion (BOUTROUX (1908) 641). [Hinweis: Thomas Hengst, Berlin.] In dem ausgelassenen Textstück wird zum Beleg, Hir wie abwegig das im 17.Jh. entstandene Wahrscheinlichkeitsverständnis noch ein Jahrhundert früher gewirkt hätte, ein Humanist des 16.Jhs. zitiert.- Etwas anders versucht KENDALL (1956) 10, das Ungewöhnliche des uns gewöhnlich Gewordenen herauszukehren: ... we seem driven to the conclusion that the late emergence of the probability calculus was due to some more fundamental factor. The very notion of chance itself, the idea of natural law, the possibility that a proposition may be true and false in fixed relative proportions, all such concepts are nowadays so much part of our common routines of thought that perhaps we forget that they were not so to our ancestors ... Mathematics never Ieads thought, but only expresses it. BOUTROUX (1908) 642. ... Ainsi apres une longue maturation, l'idee de probabilite s' epanouit brusquement dans tous !es cerveaux a Ia fois (Ebd. 653).
60
Einftihrung
- nicht die Wahrscheinlichkeit einer Ansicht, einer Theorie, einer Hypothese, sondern die eines Ereignisses. Zwar ist die von Boutroux unterstellte Identität von >mathematischer Wahrscheinlichkeit< und >Ereigniswahrscheinlichkeit< nicht unumstritten 26 4 , doch gilt auch in der neueren Forschung schon allein der Ausdruck Ereigniswahrscheinlichkeit ftir neuzeitverdächtig 2 65. - numerisch durch einen Bruch definiert: das Verhältnis der Zahl der günstigen Fälle zur Zahl der möglichen Fälle. Auf diese sog. klassische Definition, sie wird in der Regel Laplace zugeschrieben, wird man sich trotz allem bis heute verständigen können 266. Die empiristischerseits erhobenen Einwände beziehen sich bekanntlich darauf, daß von gleichmöglichen Fällen höchstens in der durchsichtigen Glücksspielsituation die Rede sein kann, während überall sonst der Zahlenwert der Wahrscheinlichkeit sich aus dem Verhältnis zweier unterschiedlicher Häufigkeiten ergibt 267. So gesehen wäre die klassische Definition zu eng. Das braucht uns ftir unser Thema zwar nicht zu interessieren, wohl aber, ob sie auch ein hinreichend großes Volumen hat und tief genug in die Vergangenheit zurückreicht, um einer historischen Untersuchung zur Orientierungsmarke dienen zu können. - die Antwort auf die Frage nach der Theorie des Zufalls, und zwar unabhängig davon, ob ein deterministisches Weltbild, wie im klassischen Kalkül, z. B. bei Laplace, in >Zufall< und >Wahrscheinlichkeit< nur Funktionen des Nichtwissens sieht 266 , oder ob ein indeterministisches Weltbild beiden objektiven Status zugesteht 269 .Jeweils geht es darum, etwas, was sich nicht direkt berechnen läßt, indirekt zu berechnen, etwas, das bezogen auf den Einzelfall nicht vorhersagbar ist, trotzdem auf anderer, 28 4
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Vgl. BYRNE (1968) 46f.Vgl.jedoch z.B. NEWYORK TIMES 3.12.1995 p. 22Y: Probability in mathematics has been defined as assigning a number as a measure of the >chance< that a certain event will happen (aus dem Nachruf auf den im November 1995 verstorbenen russischen Mathematiker Roland L. Dobrushin; Hinweis: Prof.John P. Doyle, St. Louis). Vgl.z.B.SHAFER (1978) 320. V gl. INEICHEN (1996) 4. Vgl. REICHENBACH (1938) 187. »Die Theorie des Zufalls besteht also darin, alle Ereignisse, die in bezug auf ein Objekt stattfinden können, auf eine bestimmte Anzahl gleichermaßen möglicher Fälle zurückzuflihren, d. h. auf diejenigen, über deren Existenz wir gleichermaßen unentschieden sind, und die Anzahl der flir das Ereignis, dessen Wahrscheinlichkeit man sucht, günstigen Fälle zu bestimmen ... « (Laplace 1783, zit. nach SCHNEIDER (1988a) 71). »Die Frage, welche Ereignisse in den Geltungsbereich der Wahrscheinlichkeitsrechnung fallen, wird wohl allgemein dahin beantwortet: diejenigen, deren Eintritt vom Zufall abhängt« (M. von Smoluchowski: >>Über den Begriff des Zufalls und den Ursprung der Wahrscheinlichkeitsgesetze in der Physik«, 1918, zit. nach SCHNEIDER (1988a) 80). »Die wichtigste Anwendung der Wahrscheinlichkeitstheorie ist die auf >zufallsartige Ereignisseunberechenbaren< Charakter haben und von denen man auf Grund vieler vergeblicher Versuche annimmt, daß jede rationale Methode, ein solches Ereignis zu prognostizieren, versagt ... Gerade aus diesem Umstand, aus der Unberechenbarkeit der Ereignisse, pflegen wir nun zu schließen, daß auf sie die Wahrscheinlichkeitsrechnung angewendet werden kann ... « (POPPER (1966) 110). Popper nennt das einen »einigermaßen paradoxe[n] SchlußWahrscheinlichkeittrue< and >false