Sprachgeschichte und Sprachkritik: Festschrift für Peter von Polenz zum 65. Geburtstag [Reprint 2010 ed.] 9783110885682, 9783110135831


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German Pages 378 [380] Year 1993

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Table of contents :
Vorwort
Schriftenverzeichnis: Peter von Polenz
Sprache oder Kommunikation? Zur neuerlichen Debatte über das Erkenntnisobjekt der Sprachwissenschaft
Selbstkritik
Zur Stellung der Eigennamen im Wortschatz
Empirie in der Sprachgeschichtsschreibung
Zwischen Modernität und Tradition. Die Anfänge der Leserbriefkommunikation in der Zeitung
Spuren gesprochener Sprache in den Protokollen eines Schiedsmannbuches (1902–1918)
Literaten als Chronisten der Sprache. Am Beispiel von Arno Schmidt und Botho Strauß
Sprachgeschichte als Problemgeschichte der Gegenwart. Vorstellung eines Konzepts
Läßt sich die deutsche Orthographie überhaupt reformieren?
Zu einer Alltagsrhetorik des Bewertens. Negationsausdrücke und Negationsformeln
„Würze in Kürze“. Zur Technik des Tagesspruchs im „Schwäbischen Tagblatt“
Zur Interpretationsstruktur deutscher Komposita
Das epistemische weil Bedeutungswandel einer Konjunktion
Behauptungen mit und ohne Vorbehalt. Linguistische Beobachtungen zur Berichterstattung in deutschen Tageszeitungen
Sprachkritische Momente in der Grammatik
Pragmatik in die Schulgrammatik!
Wortgeschichte und Sprachkritik. Ein Beitrag zur Diskussion über Euphemismen
Regionale phonetisch-phonologische Entwicklungen in der jüngeren deutschen Sprachgeschichte und in der Gegenwartssprache als Objekte der Sprachkritik
Riegel am Kaiserstuhl: Regula – Helvetum? 21 Thesen über die Namenkontinuität bei einer antiken Verwaltungs- und Amtsbezirksbezeichnung und über einen verschollenen Siedlungsnamen
Literatur
Register
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Sprachgeschichte und Sprachkritik: Festschrift für Peter von Polenz zum 65. Geburtstag [Reprint 2010 ed.]
 9783110885682, 9783110135831

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Sprachgeschichte und Sprachkritik

Sprachgeschichte und Sprachkritik Festschrift für Peter von Polenz zum 65. Geburtstag Herausgegeben von Hans Jürgen Heringer und Georg Stötzel

W DE G

Walter de Gruyter · Berlin · New York 1993

® Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsauf nähme

Sprachgeschichte und Sprachkritik : Festschrift für Peter von Polenz zum 65. Geburtstag / hrsg. von Hans Jürgen Heringer und Georg Stötzel. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1993 ISBN 3-11-013583-3 NE: Heringer, Hans Jürgen [Hrsg.]; Polenz, Peter von: Festschrift

© Copyright 1993 by Walter de Gruyter & Co., 1000 Berlin 30. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz und Bauer-GmbH, Berlin

Vorwort Peter von Polenz arbeitet seit mehr als 30 Jahren auf vielen Forschungsgebieten der germanistischen Linguistik. Und er darf — nun da er 65 wird — mit Fug und Recht als Mitgestalter der erneuerten Disziplin gesehen werden. Viele Auszeichnungen — darunter DudenPreis 1980 und Aufnahme in die Sächsische Akademie der Wissenschaften 1992 — bestätigen Wichtigkeit und Wirkung seiner wissenschaftlichen Arbeiten. In pathetischeren Zeiten hätte man ihn einen Nestor der germanistischen Linguistik nennen können. Wir waren in den frühen sechziger Jahren an der Universität Heidelberg seine ersten Assistenten. Wir haben ihn, jung noch, als vorbildlichen und verantwortlichen akademischen Lehrer kennengelernt. Vor allem seine Ernsthaftigkeit und die Achtung der Interessen anderer haben uns beeindruckt. Von seinem wissenschaftlichen Engagement und Impetus zu schwärmen ist hier nicht der Platz. Die vorliegende Festschrift von Schülern und Freunden ist als öffentlicher, ehrender Dank gedacht. Möge sie ihm etwas Freude bringen zu einem Anlaß, der sicherlich nicht nur freudig erlebt wird. Die Beiträge zur Festschrift — wie sehr sie auch die individuellen Interessen der Verfasser widerspiegeln — zielen alle auf das zentrale Forschungsthema des Geehrten: die Sprachgeschichtsschreibung des Deutschen. Denn so könnte man — ein Ziel des Jubilars Peter von Polenz steckend — sagen: Alles Sprachgeschichte! Hans Jürgen Heringer (Augsburg) Georg Stötzel (Düsseldorf)

im Frühjahr 1993

Inhalt Vorwort

V

Schriftenverzeichnis: Peter von Polenz

l

Ludwig Jäger Sprache oder Kommunikation? Zur neuerlichen Debatte über das Erkenntnisobjekt der Sprachwissenschaft

11

Volker Beeh Selbstkritik

34

Rainer Wimmer Zur Stellung der Eigennamen im Wortschatz

46

Hans Jürgen Heringer Empirie in der Sprachgeschichtsschreibung

52

Ulrich Püschel Zwischen Modernität und Tradition. Die Anfänge der Leserbriefkommunikation in der Zeitung 69 Siegfried Grosse Spuren gesprochener Sprache in den Protokollen eines Schiedsmannbuches (1902-1918) 89 Helmut Henne Literaten als Chronisten der Sprache. Am Beispiel von Arno Schmidt und Botho Strauß 100 Georg Stötzel Sprachgeschichte als Problemgeschichte der Gegenwart. Vorstellung eines Konzepts 111 Horst Haider Munske Läßt sich die deutsche Orthographie überhaupt reformieren? . 129 Barbara Sandig Zu einer Alltagsrhetorik des Bewertens. Negationsausdrücke und Negationsformeln 157

VIII

Inhalt

Heinrich Weber „Würze in Kürze". Zur Technik des Tagesspruchs im „Schwäbischen Tagblatt" 185 Eis Oksaar Zur Interpretationsstruktur deutscher Komposita

204

Rudi Keller Das epistemische weil. Bedeutungswandel einer Konjunktion . 219 Günther Öhlschläger Behauptungen mit und ohne Vorbehalt. Linguistische Beobachtungen zur Berichterstattung in deutschen Tageszeitungen . . . 248 Gisela Zifonun Sprachkritische Momente in der Grammatik

266

Werner Holly Pragmatik in die Schulgrammatik!

291

Wilfried Seibicke Wortgeschichte und Sprachkritik. Ein Beitrag zur Diskussion über Euphemismen 311 Rudolf Große Regionale phonetisch-phonologische Entwicklungen in der jüngeren deutschen Sprachgeschichte und in der Gegenwartssprache als Objekte der Sprachkritik 325 Hugo Steger Riegel am Kaiserstuhl: Regula — Helvetian*. 21 Thesen über die Namenkontinuität bei einer antiken Verwaltungs- und Amtsbezirksbezeichnung und über einen verschollenen Siedlungsnamen 333 Literatur

341

Register

368

Schriftenverzeichnis Peter von Polenz

Monographien Die Altenburgische Sprachlandschaft. Untersuchungen zur ostthüringischen Sprach- und Siedlungsgeschichte. (Mitteldeutsche Forschungen 1). Tübingen 1954. Landschafts- und Bezirksnamen im Frühmittelalterlichen Deutschland. Untersuchungen zur sprachlichen Raumerschließung. Bd. 1: Namentypen und Grundwortschatz. Marburg 1961. Funktionsverben im heutigen Deutsch. Sprache in der rationalisierten Welt. (Beihefte zur Zeitschrift 'Wirkendes Wort' 5). Düsseldorf 1963. Geschichte der deutschen Sprache. 6. bis 9. völlig neubearb. u. erw. Auflage der älteren Darstellung von Hans Sperber. (Sammlung Göschen 915/915a, 4015, 2206). Berlin/New York 1966, 1968, 1972, 1978. (6. u. 7. Aufl. als Sperber/v. Polenz). Übers, ins Portugiesische v. J.F. da Silva u. A. Almeida, Lisboa 1973. Übers, ins Japanische v. Eijiro Iwasaki/Yutaka Shioya/Tohru Kaneko/Shigero Yoshijima, Verlag Hakusuisha 1974. Übers, ins Koreanische v. Duk Ho Lee, Seoul 1983. Wie man über Sprache spricht. Über das Verhältnis zwischen wissenschaftlicher und natürlicher Beschreibungssprache in Sprachwissenschaft und Sprachlehre. (Rede anläßlich der Überreichung des Konrad-DudenPreises 5.3.1980). Mannheim 1980. (DUDEN-Beiträge H.45). Deutsche Satzsemantik. Grundbegriffe des Zwischen-den-Zeilen-Lesens. Berlin/New York 1985. (Sammlung Göschen 2226). 2. Aufl. 1988. Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Bd. I: Einführung, Grundbegriffe, Deutsch in der frühbürgerlichen Zeit. Berlin/New York 1991. (Sammlung Göschen 2237).

2

Schriftenverzeichnis v. Polenz

Editionen Schelmuffsky, von Christian Reuter. Abdruck der Erstausgaben 1696 A/B, 1697. 2. verbesserte Aufl. (Neudrucke deutscher Literaturwerke 57-59). Tübingen 1956. Ferdinand de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, übers, v. H. Lommel, 2. Aufl. m. neuem Register und einem Nachwort. Berlin 1967. Bibliographien Arbeiten zum Deutschen Wortatlas. In: Deutsche Wortforschung in europäischen Bezügen, Bd. 2. Gießen 1963, 525-548. Namenkunde. In: Dahlmann-Waitz, Quellenkunde zur deutschen Geschichte, 10. Aufl. Stuttgart 1968, Abschn. 33, Nr. 1-842; 158, Nr. 916942; 160, Nr. 1217-1229; 161, 488-511; 179, 1-13; 216, 1-38; 254, 159; 293, 1-12. Aufsätze 1956a

Der Name "Dithmarschen". Volksumdeutung und Gelehrtenumdeutung im Mittelalter. In: Jb. d. Ver. f. niederdt. Sprachforschung 79, 1956, 59-66.

1956b

Gaunamen oder Landschaftsnamen? Die pagus-Frage sprachlich betrachtet. In: Rhein. Vierteljahresblätter 21, 1956, 77-96.

1957

Das Wort "Reich" als unpolitische Raumbezeichnung. In: Zs. f. dt. Philologie 76, 1957, 80-94.

1958

Einrichi 'Einöde'. Deutung eines frühmittelalterlichen Landschaftsnamens. In: Hess. Blätter f. Volkskunde 49/50, 1958, 220-229.

1959/60 Karlische Renaissance. Karlische Bildungsreformen und die Anfänge der deutschen Literatur. In: Mitt. d. Marburger Universitätsbundes 1959/60, 27-39. 1960a

Mundart — Umgangssprache — Hochsprache am Beispiel der mehrschichtigen Wortkarte 'voriges Jahr'. In: Hess. Bl. f. Volkskunde 51/52, 1960, 224-234.

1960b

Vorfränkische und fränkische Namenschichten in der Landschafts- und Bezirksbenennung Ostfrankens. In: Jb. f. frank.

Schriftenverzeichnis v. Polenz

3

Landesforschung 20, 1960, 157-174. 1960/61 Name und Wort. Bemerkungen zur Methodik der Namendeutung. In: Mitteilungen für Namenkunde 8, 1960/61, 1-11. 1961

Raumnamen und Personengruppennamen im frühmittelalterlichen Deutschland. In: Actes et momoires Vie Congres International des Sciences Onomastiques. München 1961, 608-614. Neudruck in: Probleme der Namenforschung. Darmstadt 1977, 375-382.

1962

Otfrids Wortspiel mit Versbegriffen als literarisches Bekenntnis. In: Festschrift f. Ludwig Wolff. Neumünster 1962, 121134. Neudruck in: Die Genese der europäischen Endreimdichtung. Darmstadt 1977, 196-212.

1963a

"durchführen" in der Stilnot substantivischer Tätigkeitsbezeichnung. In: Muttersprache 73, 1963, 193-201.

1963b

Sprachkritik und Sprachwissenschaft. In: Neue Rundschau 74, 963, 391-403. Neudruck in: Deutsch — gefrorene Sprache in einem gefrorenen Land? Hg. v. Fr. Handt, Berlin 1964, 102113. Neudruck (Auszug) in: Sternberger/Storz/Süskind, Aus dem Wörterbuch des Unmenschen. Neue erweiterte Ausgabe mit Zeugnissen des Streits über die Sprachkritik. 1968, 289310.

1963c

Slawische Lehnwörter im Thüringisch-Obersächsischen, nach dem Material des Deutschen Wortatlas. In: Deutsche Wortforschung in europäischen Bezügen, Bd. 2, Gießen 1963, 265296.

1964a

"erfolgen" als Funktionsverb substantivischer Geschehensbezeichnung. In: Zs. f. dt. Sprache 20, 1964, 1-19.

1964b

Sprachnormung und Sprachentwicklung im neueren Deutsch. In: Der Deutschunterricht 16, 1964, H. 4, 67-91.

1966

Zur Quellenwahl für Dokumentation und Erforschung der deutschen Sprache der Gegenwart. In: Wirkendes Wort 16, 1966, 3-13, und in: Satz und Wort im heutigen Deutsch, hg. v. H. Moser (Sprache d. Gegenwart Bd. 1), Düsseldorf 1967, 363-378.

1967a

Sprachpurismus und Nationalsozialismus. Die 'Fremdwort'-

4

Schriftenverzeichnis v. Polenz Frage gestern und heute. In: Germanistik — eine deutsche Wissenschaft (edition suhrkamp 204), Frankfurt 1967, 111165, und in: Nationalismus in Germanistik und Dichtung, Berlin 1967, 79-112.

1967b

Fremdwort und Lehnwort sprachwissenschaftlich betrachtet. In: Muttersprache 77, 1967, 65-80. Neudruck in: Peter Braun (Hg.), Fremdwort-Diskussion. München 1979, 9-31.

1968a

Sprachkritik und sprachwissenschaftliche Methodik. In: Sprachnorm, Sprachpflege, Sprachkritik, hg. v. H. Moser (Sprache der Gegenwart Bd. 2), Düsseldorf 1968, 159-184.

1968b

Ferdinand de Saussure und die deutsche Sprachwissenschaft heute. In: Muttersprache 78, 1968, Heft 4/5, 152-154.

1968c

Wortbildung als Wortsoziologie. In: Wortgeographie und Gesellschaft, hg. v. W. Mitzka, Berlin 1968, 10-27.

1968d

Ableitungsstrukturen deutscher Verben. In: Zs. f. dt. Sprache 24, 1968, 1-15, 129-160.

1968e

Funktionsverben im heutigen Deutsch. Sprache in der rationalisierten Welt (Auszug aus der Monographie 1963). In: Sternberger/Storz/Süskind, Aus dem Wörterbuch des Unmenschen. Neue erweiterte Ausgabe mit Zeugnissen des Streits über die Sprachkritik. 1968, 246-268.

1969a

Der Pertinenzdativ und seine Satzbaupläne. In: Festschrift für Hugo Moser, hg. v. U. Engel/P. Grebe/H. Rupp, Düsseldorf 1969, 146-171.

1969b

Gibt es eine germanistische Linguistik? In: Ansichten einer künftigen Germanistik, hg. v. J. Kolbe (Reihe Hanser 29), München 1969, 143-171.

1972a

Sprachnorm, Sprachnormung, Sprachnonnenkritik. In: Linguistische Berichte 17, 1972, 76-84. Neudruck in: Hugo Steger (Hg.), Soziolinguistik. Ansätze zur soziolinguistischen Theoriebildung. Darmstadt 1982, 373-384. Ins Niederländische übersetzt von M. van de Velde. In: Spieghel Historiael van de Bond van Gentse Germanisten 14, 1972, 37-51.

1972b

Neue Ziele und Methoden der Wortbildungslehre. In: Beitr. z. Gesch. d. dt. Sprache und Literatur 94, Tübingen 1972, 204-

Schriftenverzeichnis v. Polenz

5

225, 398-428. 1973a

Sprachkritik und Sprachnormenkritik. In: Angewandte Sprachwissenschaft und Deutschunterricht, hg. v. G. Nickel, München 1973, 118-167. Neudruck in: Hans Jürgen Heringer (Hg.) Holzfeuer im hölzernen Ofen. Aufsätze zur politischen Sprachkritik. Tübingen 1982, 70-93.

1973b

Synpleremik I: Wortbildung. In: Hans Peter Althaus/Helmut Henne/Herbert E. Wiegand (Hg.), Lexikon der germanistischen Linguistik. Tübingen 1973, 145-163.

1973c

(zusammen mit Mitherausgebern), Warum und wozu diese Zeitschrift gegründet wurde. In: ZGL l, 1973, 1-5.

1974

Idiolektale und soziolektale Funktionen von Sprache. In: Leuvense Bijdragen 1974, 97-112.

1977a

Raumnamen und Personengruppennamen im frühmittelalterlichen Deutschland. In: Probleme der Namenforschung. Darmstadt 1977, 375-382.

1977b

Otfrids Wortspiel mit Versbegriffen als literarisches Bekenntnis. In: Die Genese der europäischen Endreimdichtung. Darmstadt 1977, 196-212.

1977c

Wie war's mit Präpostpositionen? In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 5, 1977, 219-221.

1978a

Syntax ohne Satzsemantik? Nochmals zu Präpostpositionen und Präpositionalzusätzen. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 6, 1978, 186-188.

1979a

Resümee der Tagung. In: Fachsprachen und Gemeinsprache. Jahrbuch 1978 des Instituts für deutsche Sprache. Düsseldorf 1979, 317-324.

1979b

Was sind Vorurteile? Podiumsdiskussion im Rahmen des Internationalen Ferienkurses der Universität Trier 1978 (zusammen mit Egon Stephan/Werner Holly/Volker Kapp/Manfred KochHillebrecht). In: Trierer Beiträge VI, Juni 1979, 25-36.

1980a

Wortbildung. In: Hans Peter Althaus/Helmut Henne/Herbert E. Wiegand (Hg.), Lexikon der germanistischen Linguistik. 2., vollst, neubearb. Aufl. Tübingen 1980, 169-180.

6

Schriftenverzeichnis v. Polenz

1980b

Zur Pragmatisierung der Beschreibungssprache in der Sprachgeschichtsschreibung. In: Horst Sitta (Hg.), Möglichkeiten einer pragmatischen Sprachgeschichte. Zürcher Kolloquium 1978. Tübingen 1980, 35-51.

1980c

Möglichkeiten satzsemantischer Textanalyse. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 8, 1980, 133-153.

1981 a

Der Ausdruck von Sprachhandlungen in poetischen Dialogen des deutschen Mittelalters. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 9, 1981, 249-273.

1981b

Über die Jargonisierung von Wissenschaftssprache und wider die Deagentivierung. In: Theo Bungarten (Hg.), Wissenschaftssprache. München 1981, 85-110.

1982

Der Streit um die Sprachkritik. Dialog mit HJ. Heringer. In: Hans Jürgen Heringer (Hg.), Holzfeuer im hölzernen Ofen. Aufsätze zur politischen Sprachkritik. Tübingen 1982, 161175.

1983a

Sozialgeschichtliche Aspekte der neueren deutschen Sprachgeschichte. In: Literatur und Sprache im historischen Prozeß. Vorträge des Deutschen Germanistentages Aachen 1982, hg. v. Thomas Cramer. Bd. 2: Sprache. Tübingen 1983, 3-21.

1983b

Deutsch in der Bundesrepublik Deutschland. In: Ingo Reiffenstein/Heinz Rupp/Peter v. Polenz/Gustav Korlen, Tendenzen, Formen und Strukturen der deutschen Standardsprache nach 1945. Marburg 1983, 41-60.

1983c

Die Sprachkrise der Jahrhundertwende und das bürgerliche Bildungsdeutsch. In: Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht 52/1983, 3-13.

1983d

Eskapismus und Sprachkrise um 1900. In: Welt und Roman, Visegräder Beiträge zur deutschen Prosa zwischen 1900 und 1933. Hg. v. Antal Mädl/Miklos Salyämosy. Budapest: Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur der Loränd-EötvösUniversität, 1983, 27-49. (Budapester Beiträge zur Germanistik 10).

1983e

"Gelehrter Schnack". Sprachpragmatische Interpretation eines Dialogs in Thomas Manns "Der Erwählte". In: Festschrift für

Schriftenverzeichnis v. Polenz

l

Laurits Saltveit. Hg. v. John Öle Askedal u.a. Oslo/Bergen/ Trömsö 1983, 164-170. 1984a

Entwicklungstendenzen des deutschen Satzbaus. In: B. Carstensen/F. Debus/H. Henne/P, v. Polenz/D. Stellmacher/H. Weinrich, Die deutsche Sprache der Gegenwart. Vorträge gehalten auf der Tagung der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften Hamburg am 4. und 5. November 1983. Göttingen 1984, 29-42.

1984b

Sprachnormen und Sprachfunktionen. In: Zeitschrift für deutsche Sprache und Literatur, Seoul Nr. 26/1984, 5-20.

1984c

Die Geschichtlichkeit der Sprache und der Geschichtsbegriff der Sprachwissenschaft. In: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Hg. v. Werner Besch/Oskar Reichmann/Stefan Sonderegger. Erster Halbband. Berlin/New York 1984, 1-8.

1985a

Sprachnormung und Ansätze zur Sprachreform im Deutschen. In: Language Reform. History and Future. Hg. v. Istvän Fodor/Claude Hagege. Vol. III. Hamburg 1985, 23-52.

1985b

Substantivische Prädikate in der deutschen Valenzgrammatik und Satzsemantik. In: Energeia, hg. v. Arbeitskreis für deutsche Grammatik 11, 1985, 13-14. Asahi Verlag, Tokyo.

1986a

Altes und Neues zum Streit über das Meißnische Deutsch. In: Albrecht Schöne (Hg.), Kontroversen, alte und neue. Bd. 4, Tübingen 1986, 183-202.

1986b

Grundsätzliches zum Sprachwandel. In: Der Deutschunterricht 38, 1986, H. 4, 6-24.

1986c

Resümee, zusammengestellt aus Beiträgen der Forumsleitung und von Teilnehmern der Abschlußdiskussion. In: Albrecht Schöne (Hg.), Kontroversen, alte und neue. Bd. 4, Tübingen 1986, 159-161.

1986d

(zusammen mit H. Henne/H.E. Wiegand), Germanistische Linguistik, woher? wofür? wohin? Ein Brieftrilog für Eis Oksaar zum 60. Geburtstag von ihren Mitherausgebern. In: ZGL 14, 1986, 204-220.

1987a

Funktionsverben, Funktionsverbgefüge und Verwandtes. Vor-

8

Schrißenverzeichnis v. Potenz schlage zur satzsemantischen Lexikographie. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 15, 1987, 169-189.

1987b

Historische Tiefe in der Sprachforschung. In: Sprachreport 1/1987, 5-7.

1988a

Ludwig Erich Schmitt zum 80. Geburtstag am 10. Februar 1988. Ansprache in der Gratulationsfeier am 13. Februar 1988 in der Aula der Philipps-Universität Marburg/Lahn. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 55, 1988, 137-145.

1988b

(zusammen mit Horst H. Munske): Ludwig Erich Schmitt. Eine wissenschaftsbiographische Skizze. In: Deutscher Wortschatz, hg. v. Horst H. Munske u.a., Berlin/New York 1988, XI-XIX.

1988c

Argumentationswörter. Sprachgeschichtliche Stichproben bei Müntzer und Forster, Thomasius und Wolff. In: Deutscher Wortschatz, hg. v. Horst H. Munske u.a., Berlin/New York 1988, 181-199.

1988d

'Binnendeutsch' oder plurizentrische Sprachkultur? Ein Plädoyer für Normalisierung in der Frage der 'nationalen' Varietäten. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 16, 1988, 198-218.

1989a

Glanz und Elend der sächsischen Sprachkultur. In: 900-JahrFeier des Hauses Wettin, Festschrift, hg. v. Hans-Assa v. Polenz/Gabriele v. Seydewitz. Bamberg 1989, 225-232.

1989b

Das 19. Jahrhundert als sprachgeschichtliches Periodisierungsproblem. In: Dieter Cherubim/Klaus J. Mattheier (Hg.), Voraussetzungen und Grundlagen der Gegenwartssprache. Sprachund sozialgeschichtliche Untersuchungen zum 19. Jahrhundert, Berlin/New York 1989, 11-30.

1989c

Die Schreib- und Lese-Expansion um 1400 als Einleitung der frühneuhochdeutschen Epoche. In: Sabine Heimann u.a. (Hg.), Festschrift für Rudolf Große zum 65. Geburtsstag, Stuttgart 1989, 67-80.

1989d

Verdünnte Sprachkultur. Das Jenninger-Syndrom in sprachkritischer Sicht. In: Deutsche Sprache 17, 1989, 289-307.

1989e

Funktionsverbgefüge im allgemeinen einsprachigen Wörter-

Schriftenverzeichnis v. Polenz

9

buch. In: Franz Josef Hausmann u.a. (Hg.). Wörterbücher. Ein internationales Handbuch zur Lexikographie, 1. Teilband, Berlin/New York 1989, 882-887. 1990a

Nationale Varietäten der deutschen Sprache. In: International Journal of the Sociology of Languages 83, 1990, 5-38.

1990b

Martin Luther und die Anfänge der deutschen Schreiblautung. In: Sprache in der sozialen und kulturellen Entwicklung, hg. v. Rudolf Große. Berlin 1990. (Abhandl. d. Sachs. Ak. d. Wiss. zu Leipzig, Phil.-hist. Kl. Bd.73, H.l), 185-196.

1990c

Laudatio auf den Dudenpreisträger 1989 Hans Jürgen Heringer. In: Mannheimer Hefte 1990, H.2, 114-118.

1990d

Anfänge sprach(en)politischen Verhaltens in Deutschland. In: Werner Besch (Hg.), Deutsche Sprachgeschichte. Grundlagen, Methoden, Perspektiven. Festschrift für Johannes Erben zum 65. Geburtstag. Frankfurt u.a. 1990, 431-441.

1991

Mediengeschichte und deutsche Sprachgeschichte. In: Erscheinungsformen der deutschen Sprache. Festschrift zum 60. Geburtstag von Hugo Steger, hg. v. Jürgen Dittmann/Hannes Kästner/Johannes Schwitalla. Berlin 1991, 1-18.

1993

Sprachsystemwandel und soziopragmatische Sprachgeschichte in der Sprachkultivierungsepoche. In: Andreas Gardt/Klaus J. Mattheier/Oskar Reichmann (Hg.). Sprachgeschichte des Neuhochdeutschen. Gegenstände, Methoden, Theorien. Tübingen (demnächst).

Tagungsberichte 1978b

(zusammen mit Werner Holly): Fachsprachen und Gemeinsprache. Bericht über die Jahrestagung des IdS 1978. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 6, 1978, 189-196.

1986e

(zusammen mit Hans Peter Althaus/Helmut Henne/Werner Holly/Klaus Mattheier/Günther Öhlschläger/Barbara Sandig/Herbert E. Wiegand): Kontroversen, alte und neue. VII. Kongreß der Internationalen Vereinigung für germanische Sprachund Literaturwissenschaft, Göttingen 25.-31. August 1985. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 14, 1986, 108-122.

10

Schriftenverzeichnis v. Polenz

1986f

(zusammen mit Armin Burkhardt): Sprachtheorie. Der Sprachbegriff in Wissenschaft und Alltag. Jahrestagung des IdS 1986. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 14, 1986, 362372.

1986g

(zusammen mit Reiner Hildebrandt): Sprache in der sozialen und kulturellen Entwicklung. Internationales Kolloquium zum 100. Geburtstag von Theodor Frings, 22. bis 25. Juli 1986 in Leipzig. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 14, 1986, 385-391.

1987c

Nationale Varianten der deutschen Hochsprache. Podiumsdiskussion auf der VII. Internationalen Deutschlehrertagung in Bern am 5. August 1986. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 15, 1987, 101-103.

1989f

Neuere Methoden in der Erforschung der historischen Syntax des Deutschen. Internationale Fachkonferenz Eichstätt 4. bis 6. Mai 1989. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 17, 1989, 367-369.

Herausgebertätigkeit 1970-74 (zusammen mit Klaus Baumgärtner/Hugo Steger), Linguistische Reihe. München: Hueber. Bd. 1-19, 1970-1974. 1973-

(zusammen mit Helmut Henne/Eis Oksaar/Herbert E. Wiegand), Zeitschrift für germanistische Linguistik. Deutsche Sprache in Gegenwart und Geschichte. Jg. l- , 1973-. Berlin/ New York: de Gruyter.

1986

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(zusammen mit Horst H. Munske/Oskar Reichmann/Reiner Hildebrandt), Deutscher Wortschatz. Lexikologische Studien, Ludwig Erich Schmitt zum 80. Geburtstag von seinen Marburger Schülern. Berlin/New York: de Gruyter 1988. I + 927 S.

Sprache oder Kommunikation? Zur neuerlichen Debatte über das Erkenntnisobjekt der Sprachwissenschaft Ludwig Jäger

1. Die Struktur-Funktion-Kontroverse Wir können gegenwärtig in der theoretischen Diskussion der Sprachwissenschaft das Neuaufleben einer Debatte erleben, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts die Geschichte der Sprachwissenschaft durchzogen hat: die Debatte darüber, was das Erkenntnisobjekt der Linguistik sei. Seit sich die Sprachwissenschaft von ihren Herkunftskontexten - der Klassischen Philologie, der Theologie und der Philosophie - gelöst hat, seit Schleiermacher das Problem der sprachlichen Verständigung "für einen wesentlichen Teil des gebildeten Lebens" erklärte, "abgesehen von allen philologischen und theologischen Studien",1 und seit Jacob Grimm die Einschränkung von Grammatik und Philologie auf den "engen zweck" kritisierte, "uns die erhaltenen denkmäler der spräche und geschichte zu erklären und zu erläutern", weil dies "der höchsten bestimmung" der Sprachwissenschaft nicht gerecht werde, "selbständige entdeckungen zu machen und in die natur der sprachen um der spräche selbst willen vorzudringen" (Grimm 1964: 302), kurz: seit sich das Problem der Sprache als ein autonomes wissenschaftliches Untersuchungsfeld etablierte, ist der Streit darüber, worin die Natur der Sprache bestehe, was das Wesen der Sprache ausmache, zu keinem Ende gekommen. Die Geschichte der Sprachwissenschaft läßt sich als eine Geschichte konkurrierender Theoriehorizonte beschreiben, in deren Licht das Erkenntnisobjekt Sprache in jeweils widerstreitenden Gegenstandskonstitutionen modelliert wurde: Für Herder etwa ist die Sprache im Kontext seiner Geschichtsphilosophie das "natürliche Organ des Verstandes" (Herder 1877-1913: Bd. 5, 47);

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für Humboldt ist sie - erkenntnistheoretisch ebenso hochrangig - "das bildende Organ des Gedanken" (v. Humboldt 1903-1936: Bd. 7, 53); Karl Ferdinand Becker dagegen betrachtet Sprache bereits biologisch als "organisches Zeugnis der menschlichen Natur" (Becker 1827), ebenso wie August Schleicher, der in ihr einen "Naturorganismus" (Schleicher 1861: 6) sieht; für Whitney und die Junggrammatiker - etwa für Hermann Paul - stellt Sprache vor dem Hintergrund der Herbartschen Psychologie einen psycho-physischen Mechanismus (Paul 1920: 6) dar, während Saussure und der Strukturalismus sie als Zeichensystem konzeptualisieren; Searle schließlich faßt sie - in dezidiertem Gegensatz zu Chomsky - als ein System konstitutiver Sprechhandlungsregeln (Searle 1971) auf, während letzterer in einer - wie wir sehen werden - kognitivistischen Reformulierung der Organ-Metapher Sprache als "mentales Organ" des Geistes (Chomsky 1981a: 241) betrachtet. Versuchte man in der Kette dieser verschiedenen Modellierungen des Gegenstandes sprachwissenschaftlicher Erkenntnis einen Grundgegensatz zu entdecken, so ließe sich dieser als der Gegensatz zwischen im weitesten Sinne Struktur- und funktionsorientierten Sprachtheorien beschreiben. Auch auf die Gefahr hin, problematische Vereinfachungen vorzunehmen, möchte ich beide Modelle wie folgt charakterisieren: (1) Strukturorientierte Theorien tendieren dazu, einen systematischen Zusammenhang zwischen Struktur und Funktion der Sprache zu negieren; insbesondere die intentional-kommunikative Funktion der Sprache wird als ein unwesentlicher Aspekt ihrer Natur betrachtet; dies trifft für die älteren Organismus-Theorien Beckers und Schleichers ebenso zu wie für die Form-Substanz-Unterscheidung des linguistischen Strukturalismus oder Chomskys Auffassung von der Sprache als mentalem Organ. (2) Funktionsorientierte Theorien neigen dazu, zumindest in phylogenetischer Hinsicht einen systematischen Zusammenhang zwischen Struktur und Funktion zu postulieren; sie halten die intentional-kommunikative Funktion der Sprache für eine ihrer konstitutiven Eigenschaften; auch hier läßt sich eine Traditionslinie ziehen, die v. Humboldts Dualis-Auffassung der Sprache bis zu Searles Sprechhandlungstheorie reicht. Searle charakterisiert mit Blick auf Chomsky beide Modelle so: "Zwei radikal verschiedene Konzeptionen von Sprache stehen hier im Konflikt: Die eine (...) betrachtet die Sprache als ein in sich abgeschlossenes formales System, das mehr oder weniger beiläufig auch zur Kommunikation verwendet wird. Die andere betrachtet Sprache als ein wesentlich auf Kommunikation ausgerichtetes System" (Searle 1974: 436).

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2. Kommunikation - Sprache - Grammatik: die Sprache als Epiphänomen Die hier natürlich nur in allerkürzester Form angedeutete Gegenstandsdebatte der Sprachwissenschaft, die die linguistische Fachgeschichte entlang der Struktur-Funktion-Demarkationslinie durchzieht, ist nun nicht nur nicht abgeschlossen; es hat vielmehr den Anschein, als sei sie schärfer entbrannt als jemals zuvor. Angestoßen wurde die neuerliche Diskussion insbesondere durch das gegenwärtig wohl einflußreichste Paradigma der Sprachwissenschaft, den linguistischen Kognitivismus Noam Chomskys. Ganz in der Tradition der älteren Organismus- und Struktur-Theorien hat Chomsky eine Auffassung von Sprache entwickelt, in der diese zu einem beinahe vollständig genetisch determinierten, von der Variation kultureller Kontexte und sozial-historischer Randbedingungen weithin unabhängigen kognitiven Vermögen des Menschen wird. Hatte bereits Karl Ferdinand Becker 1841 in seinem "Organism der Sprache" die "Gesetze des geistigen Lebens", die der "Verrichtung des Sprechens" zugrundeliegen, in Analogie zu "Organen des Leibes" als geistige Organe verstanden (Becker 1841: VIII), so betrachtet nun auch Chomsky die Sprache als ein "mentales Organ", ein autonomes Modul eines insgesamt modular organisierten Geistes. Und hatte bereits Becker die These vertreten, daß sich die Sprache als Organ, "welches nicht mit Willkür und Bewußtsein, sondern nach innerer Notwendigkeit hervorgebracht ist, (...) von jedem Werke menschlicher Erfindung und Kunst (unterscheidet)" (Becker 1827: Vorrede), so lesen wir auch bei Chomsky in den "Aspekten der Syntax-Theorie": "Die Struktur der einzelnen Sprachen kann weitgehend bestimmt sein durch Faktoren, die sich der bewußten Kontrolle durch das Individuum entziehen und für die die Gesellschaft wenig Wahlfreiheit hat" (Chomsky 1969: 82). In unserem Zusammenhang ist nun allerdings vor allem die Radikalisierung von Interesse, die Chomskys Versuch in jüngerer Zeit erfahren hat, funktionale Sprachauffassungen, für die der kommunikative Zweck ein wesentliches Bestimmungsmoment der Sprache darstellt, zu destruieren. Chomsky hat nämlich seine theoretische Modellierung des Erkenntnisobjektes Sprache in einer Weise transformiert, daß sich die Frage stellt, ob es sich überhaupt noch um eine Sprachtheorie im genuinen Sinne handelt. Werfen wir einen Blick auf diesen Transformationsprozeß: Ausgangspunkt der Chomskyschen Modellierung des Sprachbegriffs ist das 1965 zum ersten Mal vorgestellte Idealisierungs-Konzept der Sprache, das er 1980 wie folgt formuliert: "Wir können uns eine ideale

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homogene Sprachgemeinschaft vorstellen, in der es keine Stil- oder Dialektvariationen gibt. Wir können weiter annehmen, daß die Sprachkenntnis dieser Sprachgemeinschaft im Geist jedes ihrer Mitglieder gleichförmig repräsentiert ist als ein Element in einem System kognitiver Strukturen" (Chomsky 1981 a: 220). Als Erkenntnisobjekt der kognitivistischen Linguistik ist also ein kognitives Teilsystem des Geistes anzusehen, das Chomsky "Kenntnis der Sprache" nennt. Wir dürfen allerdings den Terminus Sprache hier nur in einem sehr eingeschränkten Sinne verstehen: "Die im Alltagssprachgebrauch tatsächlich als 'Sprachen' bezeichneten Systeme sind ohne Zweifel keine 'Sprachen' im Sinne unserer Idealisierungen, und sei es nur wegen der Inhomogeneität der tatsächlichen Sprachgemeinschaften" (Chomsky 1981a: 35). Tatsächlich gehört nämlich zur "Kenntnis der Sprache" im kognitivistischen Sinne "vornehmlich die Kenntnis der Grammatik" (Chomsky 1981a: 94), die "als eine bestimmte Struktur von Regeln, Prinzipien und Repräsentationen im Geiste analysiert" werden soll (Chomsky 1981a: 95). Allerdings ist nun Chomskys Gebrauch des Begriffs "Kenntnis der Sprache" nicht sehr konsistent: einmal versteht er darunter "grammatische Kompetenz" im eben angedeuteten Sinne; zum ändern aber auch jenes "uneinheitliche Phänomen" insgesamt, das "in mehrere getrennte, aber zusammenwirkende Komponenten" - unter Einschluß des "konzeptuellen Systems" und der "pragmatischen Kompetenz" - "aufgelöst werden kann" (Chomsky 1981a: 61, 9). Sieht man von dieser Ungenauigkeit ab, so ist doch klar, daß er eigentlich mit "Kenntnis der Sprache" oder "Sprachvermögen"2 ausschließlich die grammatische Kompetenz meint. Auch sein Zugeständnis, daß es vielleicht zukünftig eine "vollständigere Darstellung der Sprachkenntnis" geben könnte, die "das Zusammenspiel von Grammatik mit anderen Systemen berücksichtigt, insbesondere mit dem System der konzeptuellen Strukturen und der pragmatischen Kompetenz",3 ändert nichts an der Überzeugung, daß es sich bei einem Begriff von Sprache, der konzeptuelles System und pragmatische Kompetenz einschließt, allenfalls um einen "vage(n) Alltagsbegriff' (Chomsky 1981 a: 123) handeln kann. Wenn wir überhaupt im theoretischen Sinne von Sprache reden wollen, dann sollten wir - so Chomsky - nur einen Sprachbegriff verwenden, der durch den Begriff der Grammatik definiert ist (Chomsky 1981a: 123).

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Das "uneinheitliche Phänomen" Sprache, das wir vor uns haben, wenn wir den kommunikativen Gebrauch von Sätzen in Sprechhandlungen mit einbeziehen, läßt sich für Chomsky nur als eine abgeleitete Größe betrachten: "Die fundamentale kognitive Beziehung ist eine Grammatik kennen; das durch sie bestimmte Kennen der Sprache ist abgeleitet";4 wir müssen nämlich - wie Chomsky betont - "die grundlegende konzeptuelle Unterscheidung zwischen der Erzeugung von Sätzen durch die Grammatik einerseits und die Produktion und Interpretation von Sätzen durch den Sprecher andererseits im Auge behalten" (Chomsky 1981a: 223). Dieser letztere Aspekt ist von nachgeordneter Bedeutung: er bezieht sich auf kein wesentliches Moment dessen, was wir Sprachkenntnis nennen. Von den drei Fragen "Was ist die Natur der Sprachkenntnis?", "Wie wird sie erworben?" und "Wie wird sie gebraucht?" hat die erste "konzeptuelle Priorität": "Wir können" - so Chomsky - "Einsicht in den Erwerb und den Gebrauch der Sprachkenntnis nur in dem Maße erwarten, in dem wir verstehen, was dasjenige ist, was wir erwerben und gebrauchen" (Chomsky 198Ib: 223). Da wir die Ansicht verwerfen müssen, "daß Kommunikation der Zweck der Sprache ist", kann auch die Antwort auf die Frage, wie die Sprache gebraucht wird, kein Licht auf die Klärung des Problems der Sprachkenntnis werfen. Chomskys Bemerkung macht mit aller wünschenswerten Klarheit deutlich, daß das Wesen der Sprachkenntnis in keiner Hinsicht durch die kommunikative Verwendung dieser Kenntnis bestimmt wird: "Wenn wir" - so heißt es in "Sprache und Geist" - "hoffen, die menschliche Sprachfähigkeit (...) zu verstehen, so müssen wir zuerst fragen, was sie ist, und nicht, wie oder zu welchen Zwecken sie gebraucht wird" (Chomsky 1970: 116). Wenn auch die Unterscheidung des grammatischen von anderen kognitiven Systemen, die der Sprachverwendung zugrundeliegen, auf den ersten Blick nur einen begrifflich-methodischen Sinn zu haben scheint, so wird bei näherem Besehen deutlich, daß ihre eigentliche Intention in der radikalen definitorischen Einschränkung des linguistischen ErkenntnisObjektes liegt: Es geht Chomsky nämlich um eine zweifache Transformation des Sprachbegriffs, die sich zweier Begriffs-Substitutionen bedient: einmal der Substitution des Begriffs Kommunikation durch den der Sprache und zum zweiten der Substitution von Sprache durch Grammatik.5 Der Begriff Sprache wird nicht nur seines kommunikativen Gehalts entleert, sondern er wird auch seinerseits im Lichte der überragenden Bedeutung des grammatischen Kenntnissystems zur Peripherie erklärt.

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Insofern wir nämlich Sprache als das Produkt eines Vermögens verstehen, dem auch ein konzeptuelles und ein pragmatisches Kenntnissystem zugrundeliegt, handelt es sich lediglich um ein Epiphänomen,6 um ein nicht nur "abgeleitetes", sondern auch "nicht sehr interessantes" (Chomsky 1981a: 94), "relativ unwichtiges" (Chomsky 1981a: 129; auch Chomsky 1981b: 232) Konzept: "Wir können sogar darauf verzichten, ohne viel zu verlieren" (Chomsky 1981a: 129). Die konzeptuell-pragmatischen oder - wie wir auch sagen können - die informativ-kommunikativen Aspekte der Sprache werden also nicht nur begrifflich vom grammatischen Aspekt unterschieden, sondern sie werden nachhaltig marginalisiert, weil es - wie Chomsky glaubt - falsch ist, anzunehmen, "der menschliche Sprachgebrauch sei, tatsächlich oder in der Intention informativ" (Chomsky 1970: 116), und weil wir - wie Chomsky meint - die Ansicht verwerfen müssen, "daß Kommunikation der wesentliche Zweck der Sprache ist (Chomsky 1981 a: 231).

3. Legitimiert der Galileische Stil die Struktur-Hypothese? Daß der Sprachwissenschaft ihr Erkenntnisobjekt Sprache nicht unmittelbar vor Augen liegt, darf als eine Einsicht betrachtet werden, die zumindest in der nicht am Positivismus orientierten Geschichte des Faches nicht ganz neu ist. Bereits 1821 hat Wilhelm v. Humboldt den erkenntnistheoretischen Grundsatz formuliert, daß "die vollständige Durchschauung des Besonderen immer die Kenntnis des Allgemeinen voraussetzt, unter dem es begriffen ist" (v. Humboldt 1903-36: Bd. 4, 46) und vor dem Hintergrund dieser Einsicht die zeitgenössische Sprachwissenschaft zweifach der Theorielosigkeit geziehen: "In Absicht der philosophischen Idee" sei sie "fast nur innerhalb des dürftigen Gebietes der allgemeinen Grammatik stehen geblieben", "in Absicht des historischen [= empirischen, L. J.] Stoffes" habe sie sich nicht nur darauf beschränkt, "Materialien zusammenzutragen, allein auch dies weder vollständig, noch rein genug", sondern "zu noch grösserem Unglück fast überall daran Urtheile geknüpft, denen man es nur zu sehr ansieht, dass es ihnen an der sicheren Grundlage gehörig aufgestellter leitender Ideen fehlt" (v. Humboldt 1903-36: Bd. 7, 624). Wenig verwunderlich war es deshalb für Humboldt, daß "die Meisten, Gelehrte und Sprachgelehrte nicht ausgenommen, ihr ganzes Leben in ihnen [den Sprachen, L. J.] herum wandern, ohne sich einmal auf den

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Standpunkt zu stellen, von welchem sie das Ganze und seine Anordnung zu übersehen im Stande wären" (v. Humboldt 1903-36: 625). Einen solchen Standpunkt nun, der seinen erkenntnistheoretischen Grundsatz methodologisch auf die Linguistik anwendet, hat Humboldt so formuliert: "Die Grundlage alles Sprachstudiums muss immer die philosophische seyn, und bei jedem einzelnen Punkt, jedem noch so concreten Falle muss man sich mit vollkommner Klarheit bewusst werden, wie er sich zum Allgemeinen und Nothwendigen in der Sprache verhält" (v. Humboldt 1903-36: Bd. 5, 450). Daß es ohne die sichere Grundlage gehörig aufgestellter leitender Ideen kein linguistisches Erkenntnisobjekt Sprache gibt, hat ungefähr siebzig Jahre später Ferdinand de Saussure der positivistischen Sprachwissenschaft des auslaufenden 19. Jahrhunderts vor Augen gehalten: "Da sich uns die Sprache in keiner ihrer Kundgabeformen als Substanz, sondern allein in Form kombinierter oder isolierter Tätigkeiten physiologischer, physischer und mentaler Kräfte darbietet, und da gleichwohl alle unsere Unterscheidungen, unsere gesamte Terminologie, alle unsere Arten über die Sprache zu sprechen von der unfreiwilligen Unterstellung geprägt sind, die Sprache sei eine Substanz, darf man sich keinesfalls der Einsicht verschließen, daß es die wesentliche Aufgabe der Sprachtheorie sein wird, aufzuklären, was es mit unseren ersten Unterscheidungen auf sich hat. Wir können auf keinen Fall akzeptieren, daß man das Recht hat, eine Theorie zu entwickeln, ohne sich dieser Arbeit der Definition zu unterziehen".7 Die theoretische Konzeptualisierungsarbeit ist in der Linguistik deshalb ein so schwieriges Unterfangen, weil uns die Sprache - so Saussure - als "ein komplexer, vielförmiger und in seinen verschiedenen Aspekten seltsamer" Phänomenbereich entgegentritt, in dem "physische, psychische, oder auch individuelle und soziale" Aspekte eine Rolle spielen (EC 32, III C 263: 161); sie erscheint uns nicht als ein einheitliches Erkenntnisobjekt; vielmehr "befremdet (sie) uns, denn es ist ihre Haupteigenschaft, sich auf den ersten Blick nicht als konkrete Einheit darzubieten" (EC 242, II R 35, 1753): "Wenn man die Sprache von ihrer inneren Seite her, in der ihr eigenen Gegenständlichkeit betrachtet, verblüfft sie uns, weil es ihre erste Eigenschaft ist, keine konkreten, von vorneherem greifbaren Einheiten zu bieten" (EC 242, II C 29, 1753). Die Sprache ist also "kein der Erkenntnis unmittelbar dargebotenes Objekt" (EC(N) 27, N 12, 3299, 9); es ist, wie Saussure formuliert, "der heikelste Punkt in der Linguistik, sich darüber Rechenschaft abzulegen,

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was die Existenz irgend eines sprachlichen Terms ausmacht, denn keiner ist uns als eine vollkommen klare Gattung von Entitäten gegeben" (EC(N) 27, N 12, 3299, 9); es bedarf deshalb vorgängiger, theoretischer Gesichtspunkte, um die Sprache als theoretisches Konzept der Linguistik zu konstituieren:8 "Die Linguistik hat die Aufgabe zu bestimmen, welches ihre in jeder Hinsicht gültigen Einheiten sind. Man kann nicht sagen, daß sie sich bislang darüber Rechenschaft abgelegt hat, denn sie hat kaum mehr getan, als über schlecht definierte Einheiten zu diskutieren. Diese Bestimmung der Einheiten, mit denen sie umgeht, ist nicht nur die dringlichste, sondern die Aufgabe schlechthin der Linguistik" (EC 250f, II R 37: 1811, 1815, 1814). Das Beispiel Humboldts und Saussures macht überaus deutlich, daß die Geschichte der Sprachwissenschaft als Einzelwissenschaft von Beginn an durch die Spannung geprägt war, in der Phänomenkomplexität und Theorie der Sprache zueinander standen. Mit der Herauslösung des Sprachproblems aus den Paradigmen von rationalistischer und empiristischer Philosophie auf der einen und Rhetorik und Klassischer Philologie auf der anderen Seite emanzipierte zwar die Sprachwissenschaft die Sprache vom "Zwang einer fremden Legitimation" (Pleines 1967: 35), aber sie sah sich auch einem weiten Feld heterogener Daten gegenüber, das nach integrierenden theoretischen Konzepten verlangte. Die Sprachwissenschaft konstituierte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts gerade dadurch als Einzelwissenschaft, daß sie die in verschiedenen Disziplinen verstreute Sprache durch genuin sprachtheoretische Konzeptualisierungen zum möglichen Gegenstand linguistischer Erkenntnis machte. So ist es zu verstehen, wenn Humboldt dafür plädiert, "die Sprache an und für sich selbst als ein wichtiges und gemeinnütziges Studium zu zeigen" (v. Humboldt 1903-36: Bd. 7, 601), d.h. sie "wie überhaupt jeden Gegenstand, den man wahrhaft ergründen will, nur um ihrer selbst, willen, und unabhängig von jedem andren Zwecke (zu) studieren" (v. Humboldt 1903-36: Bd. 4, 430). Die Sprache um ihrer selbst willen zu ergründen, heißt seit Beginn des 19. Jahrhunderts, Theorien zu formulieren, die es erlauben, hinter der komplexen Erscheinungsform sprachlicher Phänomene die Natur jenes humanspezifischen Besitzes theoretisch zu erklären, den man alltagssprachlich "Sprache" nennt. So kontrovers die verschiedenen Konzeptualisierungen der Sprache auch gewesen sein mögen,9 so hat es im Verlaufe der linguistischen Fachgeschichte doch nur wenige Sprachwissenschaftler gegeben, die sich nicht

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darüber im klaren gewesen wären, daß die wissenschaftliche Aufhellung der Natur der Sprache von theoretischen Modellen abhängt, in deren Licht sich die Sprache allererst als Erkenntnisobjekt konstituiert, von Modellen freilich, die hinsichtlich ihrer empirischen Triftigkeit legitimationsfähig sein müssen. Daß also dasjenige, was wir in wissenschaftlicher Hinsicht unter Sprache verstehen, eine Frage theoretischer Bestimmung und nicht alltagssprachlichen Vorverständnisses oder der unmittelbaren Beobachtung ist, gehört - wie der kurze Blick in die Geschichte der Sprachwissenschaft zeigen sollte - zu den Selbstverständlichkeiten im Bestand wissenschaftstheoretischer Grundannahmen. Vor diesem Hintergrund ist es nun einigermaßen überraschend, daß Chomsky nicht nur glaubt, die Entdeckung der methodologischen Einsicht, daß die Komplexität des "Sprache" genannten Phänomenbereichs zu seiner wissenschaftlichen Rekonstruktion idealisierender und abstrahierender Modelle bedarf, sei der kognitiven Revolution10 in der Linguistik zu verdanken, sondern daß er darüber hinaus auch noch annimmt, diese von ihm "Galileischer Stil" genannte Einsicht sei besonders gut geeignet, seine Struktur-Hypothese der Sprache zu legitimieren. Betrachten wir deshalb Chomskys Charakterisierung des "Galileischen Stils" etwas näher. In "Regeln und Repräsentationen" argumentiert Chomsky etwa folgendermaßen: Wie in der Physik, in der es üblich sei, abstrakte mathematische Modelle des Universums zu konstruieren, denen zumindest die Physiker einen größeren Realitätsgehalt zusprächen als der alltäglichen Welt der Sinneseindrücke (Chomsky 1981a: 218), vermöchten auch die Linguisten Sprache in der alltäglichen Welt der (sprachlichen) Sinneseindrücke nicht aufzufinden; auch hier seien also - wie in der Physik - theoretische Modellierungen notwendig. Weil "das Konzept 'Sprache'" - wie es heißt - "kaum klar" sei, müßten "einige Abstraktionen und Idealisierungen vorgenommen werden" (Chomsky 1981a: 219); deshalb sollte es auch Linguisten nicht überraschen, "daß ein sinnvoller Begriff von 'Sprache' als Gegenstand rationaler Forschung nur auf der Grundlage recht weitgehender Abstraktionen entwickelt werden kann" (Chomsky 198la: 220). Wenn wir uns nun vor dem Hintergrund unserer kleinen historischen Reminiszenz fragen, in welcher Hinsicht Chomsky glauben könnte, daß es sich bei dem, was er "Galileischer Stil" nennt, (1) um ein methodologisches Verfahren handelt, das in der Sprachwissenschaft neu ist, bzw. das (2) zu einer Destruktion funktionaler und zu einer Legitimation struk-

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turaler Sprachauffassungen geeignet sein könnte, werden wir erst einmal nicht fündig. Betrachten wir deshalb im Hinblick auf unsere Fragen die drei offensichtlichen Lesarten, die das Plädoyer für den "Galileischen Stil" haben könnte: (1) Einmal können wir die Argumentation für die Notwendigkeit weitgehender Abstraktionen etwa so verstehen, daß die Sprache als theoretisches Konzept der Linguistik nicht in der alltäglichen Welt der Sinneseindrücke aufgefunden werden könne, weil Sprache nicht, wie etwa noch Paul oder Whitney meinten, in "unmittelbarer Perzeption" (Paul 1901: 200), bzw. in "direkter Beobachtung"11 gegeben ist. Für diese Lesart spricht folgende Bemerkung Chomskys: "Die 'Ausstattung der Welt' liegt nicht von vorneherein sortiert in der Form von Individuen mit Eigenschaften vor, es sei denn, Menschen greifen in sie ein: entweder mit einer durch kognitive Systeme geleisteten Analyse, die wir 'Common-Sense-Verständnis' nennen können, oder mit bewußter vorgenommenen Idealisierungen des Wissenschaftlers, der einen Aspekt der physikalischen oder geistigen Realität zu erfassen versucht" (Chomsky 1981a: 219). In "Sprache und Geist" wendet Chomsky seine methodologische Einsicht folgendermaßen auf die Sprache an: "Als Sprecher einer Sprache haben wir einen breiten Bestand an Daten zur Verfügung. Aus eben diesem Grund ist es leicht, dem Irrtum zu verfallen, daß es nichts zu erklären gibt, daß das, was an organisierenden Prinzipien oder zugrundeliegenden Mechanismen existieren mag, ebenso 'gegeben' sein muß wie die Daten selbst."12 Unterstellt man - wofür einiges spricht - diese Lesart, dann formuliert Chomsky - was natürlich nicht ehrenrührig ist - nur erneut, was man das Humboldt-Saussure-Popper-Argument nennen könnte: "Beobachtung ist stets Beobachtung im Licht von Theorien";13 weil "die vollständige Durchschauung des Besonderen immer die Kenntnis des Allgemeinen voraussetzt" (v. Humboldt 1903-36: Bd. 4, 46), können die allgemeinen Hypothesen nicht schlicht den Daten entnommen werden. Ich denke, es ist nicht abwegig, Chomskys Argument so zu verstehen. Nur wäre das Plädoyer für den "Galileischen Stil" in diesem Sinne zumindest nicht sehr originell; der "Galileische Stil" wäre in jedem Falle wenig geeignet, die revolutionäre Innovativitat des linguistischen Kognitivismus gegenüber älteren linguistischen Forschungsprogrammen (wenn man von Positivismus und Behaviorismus absieht) zu begründen. Insbesondere würde auch nicht deutlich, inwiefern der "Galileische Stil"

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geeignet sein sollte, besser als die Funktions-Hypothese die StrukturHypothese zu legitimieren. (2) Man könnte zum zweiten die Pointe des Plädoyers für den "Galileischen Stil" so verstehen, daß seine Anwendung notwendig ist, weil der "vage Alltagsbegriff von Sprache" (Chomsky 1970: 123) für theoretische Zwecke nicht geeignet ist, so daß er - "wenn man ihn schon für irgend einen Zweck theoretisch rekonstruieren will"14 - durch irgendein idealisiertes Konzept, z.B. durch das Konzept einer "im Geiste repräsentierten Grammatik" (Chomsky 1970: 123) rekonstruiert werden sollte. Auch in dieser Lesart klingt das Plädoyer für den "Galileischen Stil" eher trivial. Mir ist keine Sprachtheorie bekannt, die dafür eintreten würde, mit vagen Alltagskonzepten von Sprache in dem Sinne zu operieren, daß man auf theoretische Konzeptualisierungen verzichten könnte (auch wenn es de facto so sein mag, daß der einen oder anderen Theorie nur vage Alltagskonzepte zugrundeliegen). Insbesondere ist nicht ersichtlich, inwiefern eine kommunikative Sprachauffassung gezwungen wäre, einen Undefinierten Alltagsbegriff von Sprache zu verwenden. Eben dies scheint Chomsky dieser aber zu unterstellen. (3) Man könnte zum dritten die Forderung nach der Anwendung des "Galileischen Stils" in der Linguistik so verstehen, daß er in der Sprachwissenschaft noch nicht ernsthaft angewandt wurde. Dies würde dann verständlich machen, daß Sprache bislang "kein wohldefiniertes Konzept in der Linguistik" ist (Chomsky 1970: 218), und daß erst das Programm des linguistischen Kognitivismus ein solches vorzulegen vermag. Unabhängig davon, ob dies der Fall ist, machte eine solche Behauptung aber nur Sinn, wenn mit Bezug auf bestimmte linguistische Theorien gezeigt würde, inwiefern sie über kein wohldefiniertes Konzept der Sprache verfügen. Denn daß die Linguistik insgesamt über kein (einheitliches) theoretisches Sprachkonzept verfügt, ist angesichts der Theorienvielfalt, die in ihr herrscht, wiederum trivialerweise wahr und deshalb auch nicht weiter verwunderlich oder gar beklagenswert. Alle drei Lesarten des Plädoyers für den "Galilieischen Stil" machen also nicht recht deutlich, warum Chomsky in ihm eine innovative Leistung des linguistischen Kognitivismus sieht oder warum er ihn für besonders geeignet hält, die Struktur-Hypothese der Sprache besser zu rechtfertigen als eine Funktions-Auffassung. Tatsächlich greift Chomsky lediglich ein methodologisches Konzept wieder auf, das so alt ist wie die Linguistik als Einzel Wissenschaft, ja ein Konzept, dem sich die Linguistik als Einzelwissenschaft geradezu ver-

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dankt. Das Problem besteht wohl weniger darin, Rechtfertigungen dafür zu liefern, daß in der Sprachwissenschaft Idealisierungen und Abstraktionen notwendig sind - wer wollte das bestreiten - als darin, die spezifischen Annahmen zu legitimieren, die mit einer bestimmten Idealisierung, sei diese nun strukturalistisch oder funktionalistisch, verbunden sind. Daß, wie Chomsky betont, "einige Abstraktionen und Idealisierungen vorgenommen werden (müssen)", "wenn man die menschliche Sprache erforschen will (...)", dürfte völlig unstrittig sein. Strittig können allerdings durchaus die Idealisierungen und Abstraktionen selber sein, die vorgenommen werden. Das Chomsky-Paradigma betreibt einen großen argumentativen Aufwand, um die Notwendigkeit des "Galileischen Stils" zu rechtfertigen. Es erweckt dabei fälschlicherweise den Anschein, als müsse mit diesem Plädoyer gegen die dominanten funktionalistischen Forschungsprogramme aus einer kleinen aber feinen Minderheitenposition15 argumentiert werden. Die vorgebliche Opposition, die konstruiert wird, ist die zwischen einer kommunikativen Linguistik, in der "'Sprache' (...) kein wohldefiniertes Konzept (ist)", weil sie sich unter Vernachlässigung des "Galileischen Stils" von einem vagen alltagssprachlichen Konzept von Sprache leiten läßt und einer galileischen, kognitiven Linguistik, die ein solches wohldefiniertes Konzept vorlegt. Die argumentative Rechtfertigung des "Galileischen Stils" durch den linguistischen Kognitivismus ist sicher sehr eindrucksvoll und schlagend, wenn sie auch weder originell noch neu ist. Sie dürfte sogar der einzige Konsens sein, der Chomskyaner und Nicht-Chomskyaner miteinander verbindet. Der Rechtfertigungsdruck entsteht deshalb auch nicht hinsichtlich der Legitimität der Anwendung des "Galileischen Stils" in der Sprachwissenschaft, sondern vielmehr hinsichtlich der Art, wie er angewendet wird. Nicht daß Idealisierungen vorgenommen werden müssen, wenn wir Sprachtheorie betreiben, ist legitimationsbedürftig, sondern welche. Wenn sich Chomsky also in einer Minderheitenposition befände, was ich zumindest mit Blick auf die deutsche Szene bezweifle, dann nicht deshalb, weil ansonsten in der Linguistik keine theoretischen Sprachkonzepte vorliegen, sondern eben andere. Tatsächlich hat das Plädoyer für die "Galileische Methode", insbesondere in seiner zweiten Lesart, natürlich einen strategischen Sinn. Daß Chomsky nämlich alle funktional-kommunikativen Konzeptualisierungen der Sprache verdächtigt, sich von einem "vagen Alltagsbegriff von Sprache" leiten zu lassen, dient vor allem einem: der Denunziation des Begriffs "Sprache". Es dient der Vorbereitung eines "strukturellen"

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Sprachbegriffs, aus dessen theoretischer Bestimmung unter dem Titel Grammatik alle jene funktionalen Momente getilgt sind, die in konkurrierenden Theorien als konstitutive Aspekte des Sprachbegriffs betrachtet werden: Spracherwerb in einem nicht ausschließlich wachstumstheoretischen und Sprachgebrauch in einem nicht ausschließlich idiolektal-monologischen Sinne. Chomsky wendet den "Galileischen Stil" als eine Art methodologischer Inquisition gegen den "falschen" Glauben der Linguistik an, die Sprache als kommunikatives Vermögen (und nicht die Grammatik) sei ihr Erkenntnisobjekt - und das ironischerweise im Namen Galileis. Kurz: Wenn es eine 'revolutionäre' Bedeutung des "Galileischen Stils" geben sollte, dann liegt sie darin, daß der linguistische Kognitivismus das Erkenntnisobjekt der Linguistik in einer Weise theoretisch als Grammatik "idealisiert" (Bierwisch 1966: 148),16 daß Sprache zum Epiphänomen wird, dann liegt sie darin, daß Sprache aufhört, der Gegenstand der Sprachwissenschaft zu sein. In einem MIT-Paper von 1980 formuliert Chomsky diese Position programmatisch folgendermaßen: Wir verlagern, indem wir die zentralen Fragen eines kognitivistischen Programmes in der Linguistik verfolgen, "unseren Fokus von der Sprache zu der im Geist/Gehirn repräsentierten Grammatik. Die Sprache wird nun ein Epiphänomen; sie ist, was immer sie auch sei, durch die Regeln der Grammatik charakterisiert (...). Die Grammatik im Geist/Gehirn einer Person ist real; sie ist eines der realen Dinge in der Welt. Die Sprache (was immer das sein mag) ist es nicht."17

4. Die Organ-Metapher oder: das funktionslose Sprach-Organ Die methodologische Verfahrensform des "Galileischen Stils" dient Chomsky - wie wir gesehen haben - dazu, das Erkenntnisobjekt der Linguistik in einem außerordentlich restriktiven Sinn als "Grammatik" zu konzeptualisieren, und zwar derart, daß sich der klassische Untersuchungsgegenstand der Sprachwissenschaft, "Sprache", unversehens im Status eines epiphänomenalen Restbereichs wiederfindet. Chomsky bedient sich zur Begründung seiner 'galileischen' Gegenstandskonstitution verschiedener Argumentationsstrategien, von denen ich hier nur eine etwas näher diskutieren möchte.18 Als eine solche Argumentationslinie betrachte ich Chomskys "Organ"Theorie, also die Überlegungen, die er im Umfeld seiner Behauptung anstellt, bei der Sprache qua Grammatik handele es sich um ein autono-

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mes Modul eines insgesamt modular organisierten Geistes, wobei er die Module auch als "mentale Organe" bezeichnet: Der Geist kann - so Chomsky - "als ein System von 'mentalen Organen'" aufgefaßt werden, "wovon eines das Sprachvermögen ist. Jedes dieser Organe hat seine spezifische Struktur und Funktion, die in allgemeinen Zügen von unserer genetischen Ausstattung bestimmt sind und die auf Weisen zusammenwirken, die in großem Ausmaß ebenfalls biologisch festgelegt sind, um unserem mentalen Leben die Grundlage zu geben" (Chomsky 1981a: 241). Die "Organ"-Theorie, die ich natürlich nur knapp skizzieren werde, ist deshalb für unsere Zwecke besonders gut geeignet, weil hier die zentralen Annahmen der "kognitiven Revolution" Chomskys wie in einem Brennpunkt gebündelt sind. Dies gilt insbesondere für das StrukturFunktions-Problem,19 in dessen Behandlung sich die zentralen Argumente Chomskys für die Epiphänomenalisierung der Sprache finden; es gilt aber auch für das Problem der Beziehung von kognitivem System und physikalischer Basis sowie für das der Beziehung des kognitiven Systems zu seiner gattungsgeschichtlichen Evolution. Beide Probleme kann ich hier nicht erörtern. Chomsky leitet seine These, das menschliche Sprachvennögen könne als ein "mentales Organ" des Geistes aufgefaßt werden, von einer Überzeugung her, die er mit Lenneberg teilt, von der Überzeugung nämlich, bei der Sprache handele es sich um "einen Aspekt der biologischen Natur des Menschen, der in derselben Weise erforscht werden sollte, wie z. B. seine Anatomie" (Chomsky 1981a: 187). Weil sie strukturelle Analogien zu körperlichen Organen aufweisen, können geistige und psychische Organe in der gleichen Weise wie Körperorgane untersucht werden: sie sind "gleichermaßen durch speziesspezifische, genetisch angelegte Eigenschaften bestimmt", und in beiden Fällen ist im Hinblick auf die ontogenetische Entwicklung "Interaktion mit der Umwelt" nur notwendig, "um das Wachstum auszulösen" (Chomsky 1980: 52). Wie der Anfangszustand von Körperorganen ist also - so Chomsky auch der des mentalen Organs Sprache durch "ein hoch strukturiertes genetisches Programm" (Chomsky 1981 a: 248) bestimmt, das den Entwicklungsprozeß zum reifen Endzustand zu einer "Angelegenheit von Wachsen und Reifen innerhalb der vom genetischen Programm auferlegten Grenzen" (Chomsky 1981a: 239) macht, wobei die Erfahrungsumwelt nur für die Fixierung bestimmter Optionen zuständig ist, die das genetische Programm unspezifiziert enthält: "Die Umgebung bestimmt, wie die

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im Anfangszustand der Sprachfähigkeit noch unspezifizierten Optionen fixiert werden (...)"·20 Und wie bei Körperorganen sichert das genetische Programm dem mentalen Organ Sprache qua Grammatik eine weitgehende Autonomie gegenüber anderen mentalen Organen, weil wir davon auszugehen haben, "daß der Geist eine hochdifferenzierte Struktur mit ziemlich getrennten Teilsystemen ist."21 Aus der Analyse der Eigenschaften eines dieser Systeme lassen sich deshalb nicht die Eigenschaften ableiten, "nach denen die anderen Systeme funktionieren und organisiert sind" (Chomsky 1981a: 34). Die Sprachkenntnis enthält also vor allem solche Prinzipien, "die sich von jenen anderer kognitiver Systeme unterscheiden" (Chomsky 1981a: 181). Wenn dem so ist, wenn also "das menschliche Sprach vermögen anderen, der Biologie bekannten Organen sehr ähnlich ist" (Chomsky 1981a: 234), "können wir die Sprachfähigkeit praktisch so betrachten, wie ... ein Körperorgan" (Chomsky 1981a: 187), kann auch das "mentale Organ" Sprache im Hinblick auf (a) seine Funktion, (b) seine Struktur, (c) seine physikalische Grundlage, (d) seine Entwicklung im Individuum und schließlich (e) seine evolutionäre Entwicklung untersucht werden. Chomsky plädiert deshalb auch hinsichtlich der Sprache für ein solches Organ-Untersuchungsprogramm, wobei er als Modell Rubels und Wiesels22 Analyse des visuellen Systems heranzieht (Chomsky 1981a: 228). Nun wäre der heuristische Wert einer am biologischen Untersuchungsprogramm von Organen orientierten Analyse der Sprache beträchtlich, unabhängig davon, ob man die theoretische Konzeptualisierung der Sprache als Organ für plausibel hält oder nicht. Chomsky, der sie ja für außerordentlich plausibel zu halten scheint, verblüfft uns allerdings damit, daß er die von ihm selbst herbeibemühte Analogie zwischen Sprache und Körperorganen forschungsstrategisch nicht weiter ernst nimmt, sondern von den Forschungsdimensionen (a) bis (e) letztlich nur die Struktur-Dimension (b) und die Ontogenie-Dimension (d) für relevant erklärt, wobei letztere in gewissem Sinn von der Struktur-Dimension abhängt. Da nämlich diese das "mentale Organ" Sprache vom genetischen Anfangszustand der Universalgrammatik bis zum Endzustand der einzelsprachlich fixierten Sprachkenntnis umfaßt, ist notwendigerweise auch die Dimension (d), die sich auf den Übergang vom Anfangszustand zum Endzustand bezieht, von Belang.

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Die übrigen Untersuchungsperspektiven des 'Sprachorgans', die funktionale (a), die neurophysiologische (c) und die evolutionsbiologische (e) hält Chomsky - im Gegensatz übrigens zu den Naturwissenschaften, auf die er sich zu beziehen vorgibt - für vernachlässigungsfähig. Obgleich nun die Vermutung nahe liegt, daß auch der Ausschluß der naturwissenschaftlichen Forschungsperspektiven (c) und (e) Gründe hat, die mit der spezifischen Idealisierung des linguistischen Erkenntnisobjektes zusammenhängen, kann ich die Argumente, mit denen Chomsky die neurophysiologischen und die evolutionsbiologischen Forschungsperspektiven und Evidenzfelder für irrelevant erklärt, hier nicht behandeln; ich werde im folgenden abschließend nur der kulturwissenschaftlich funktionalen Forschungsperspektive einige Überlegungen widmen. Wenn ich richtig sehe, hat das Struktur-Funktion-Argument Chomskys drei Stufen: (1) Funktionale Analysen (der Sprache) sind für die Untersuchung der Struktur (der Grammatik) nicht von Belang. (2) Selbst wenn die Relevanz funktionaler Analysen (der Sprache) für die Strukturuntersuchung (der Grammatik) gezeigt werden könnte, wäre unklar, was daraus folgt; denn "es ist schwer zu sagen, was der Zweck der Sprache ist, außer vielleicht der Ausdruck des Gedankens" (Chomsky 1981a: 231). (3) Insbesondere ist Kommunikation keine wesentliche Funktion der Sprache: "Die Sprache dient vielerlei Funktionen." Es ist deshalb - so Chomsky - "unklar, was mit der Behauptung, einige von ihnen seien 'zentral' oder 'wesentlich' gemeint sein könnte" (Chomsky 198la: 231). Betrachten wir die Stufen des Struktur-Funktion-Arguments im einzelnen. Die Ausgangsbehauptung Chomskys ist - wie wir gesehen haben - die, daß funktionale Analysen für die Untersuchung der Struktur nicht von Belang seien. Für die abstrakte Charakterisierung der Prinzipien, die dem Kenntnissystem "Sprache" als einem von mehreren "mentalen Organen" zugrundeliegen, ist die Analyse der Funktionen oder Zwecke, zu denen es gebraucht wird, nicht bedeutsam.23 Die Irrelevanz funktionaler Analysen für die Struktur von "Organen" begründet Chomsky unter anderem mit dem Hinweis, "daß funktionale Erwägungen nur im Zusammenhang von [evolutionärer Entwicklung] wirklich von Bedeutung sind" (Chomsky 1981a: 230); das aber heißt, daß sie keine sprachtheoretische Relevanz haben; denn die Untersuchung "evolutionärer Entwicklungen" ist ihrerseits - als "phylogenetischer Empirismus" - für die strukturelle Analyse der Sprache völlig belanglos;

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in einem Aufsatz über "Einige empirische Annahmen in der modernen Sprachtheorie" können wir hierzu lesen: "(...) selbst wenn der Begriff 'Entwicklung durch evolutionäre Mechanismen' auch nur einigermaßen präzisiert werden kann und die Behauptungen des 'phylogenetischen Empirismus' mit Hilfe dieses dann geklärten Begriffes verifiziert werden können, hätte die ganze Angelegenheit für die Untersuchung eines gegebenen Organismus nichts mit der Frage nach dem Ursprung von Wissen und Überzeugungen zu tun" (Chomsky 1974: 316). Nun ist die Abwertung der Evolutionsbiologie - unabhängig von dem argumentativen Stellenwert, den Chomsky ihr zumutet - an sich schon grotesk; Chomsky versteigt sich gar zu der Behauptung, daß "Begriffe wie 'zufällige Mutation' und 'natürliche Auslese' ebenso nur unser Nichtwissen verbergen, wie die ungefähr analogen Begriffe 'Versuch und Irrtum', 'Konditionierung', 'Verstärkung und Assoziation'" (Chomsky 1974: 316), und er leitet hieraus die unhaltbare These ab, daß die menschliche Sprachfähigkeit in keiner evolutionären Beziehung zu früheren Entwicklungsformen der Kommunikation etwa bei den Menschenaffen stünde. Abgesehen davon, daß Evolutionsbiologie wenig mit Behaviorismus zu tun hat, ist es auch eine ziemlich defekte These, zu behaupten, die Strukturen von Organen, die sich in der Evolution funktional ausgebildet haben, hätten in ihrer rezenten Verwendung keine systematische Beziehung zu ihrer Funktion. Yorick Wilks hat zurecht darauf hingewiesen, daß von Organen und ihrer Entwicklung zu sprechen heißt, "von ihrer Funktion zu sprechen":24 "Wie sehr es auch der Fall sein mag, daß Menschen nur aus Freude und ohne unmittelbaren Zweck sprechen, wer könnte - wenn er wenigstens allgemein an die Evolution glaubt - daran zweifeln, daß die Sprache in ihrem Ursprung und in ihrem Wesen aufgaben-orientiert ist?" Und Wilks fährt fort: "'Organ' ist die letzte und die am meisten marktschreierische Metapher Chomskys; denn wenn die Sprache in irgendeinem Sinne ein Organ ist, dann ist sie nicht nur aufgaben-orientiert, sondern dann hat sie auch eine evolutionäre Geschichte und existiert in einer Abfolge von Entwicklungsformen" (Wilks 1987: 205). Aber selbst, wenn uns Chomsky zugestehen müßte, daß funktionale Erwägungen bei der Untersuchung der Sprache auch strukturell von Belang sind, hätten wir immer noch seine zweite Verteidigungslinie zu überwinden, seine Behauptung nämlich, Kommunikation sei überhaupt

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keine Funktion und damit auch nicht ein wesentlicher Zweck von Sprache. Ich sage ein wesentlicher Zweck, weil natürlich sofort konzediert werden kann, daß sie nicht der einzige wesentliche Zweck der Sprache ist. In einem sehr allgemeinen Sinn kann man Chomsky durchaus zustimmen, daß "der Ausdruck des Gedankens" eine Funktion, wenn auch nicht - wie Chomsky meint - "vielleicht die einzige" Funktion der Sprache sei (Chomsky 1981a: 231). Ohne Zweifel hat die Sprache neben ihrer kommunikativen eine zweite, kognitive Funktion. Lassen wir also für einen Augenblick unsere Überzeugung beiseite, daß Kommunikation eine wesentliche Funktion der Sprache sei, und gehen wir mit Chomsky davon aus, die Funktion der Sprache sei es allenfalls, Gedanken auszudrücken. Was heißt es dann, daß die Sprache eine solche Funktion hat? Kann die Funktion des Gedankenausdrucks unabhängig von der kommunikativen Funktion gedacht werden? Nun - gegen diese Annahme sprechen verschiedene Argumente: (1) Einmal hat James Russell gezeigt, daß Gedankenausdruck - unter den theoretischen Voraussetzungen, die für sie gelten - keine mögliche Funktion der Chomsky-Sprache sein kann, weil von dem vorsprachlichen Gedanken, dem "Urteilsschema", das durch keinerlei sprachliche Eigenschaften charakterisiert ist, kein möglicher Weg zum sprachlichen Ausdruck dieses Gedanken führt. Die formale Repräsentation von Zeichen im grammatischen Kenntnissystem - etwa durch abstrakte phonologische Kategorien, syntaktische Rollen und abstrakte semantische Eigenschaften - erlaubt es dem Syntax-Modul nicht - ohne Rückgriff auf reales Weltwissen - abstrakte, nicht-sprachliche Urteilsschemata in konkrete Sprechäußerungen zu transformieren (Russell 1987: 225). (2) Aber selbst wenn wir annähmen - wofür, soweit ich sehe, nichts spricht -, daß der Einwand Russells nicht stichhaltig sei, greift noch ein zweiter Einwand gegen Chomskys Versuch einer Autarkisierung der Struktur gegenüber der Funktion: Betrachten wir Chomskys Bemerkung, daß wir Sprache häufig nicht kommunikativ verwenden, daß wir sie etwa benutzen, um Selbstgespräche oder Wettergespräche ohne kommunikative Absicht zu führen, folgt hieraus, wie Chomsky annimmt (Chomsky 1981 a: 231), daß Kommunikation kein Zweck der Sprache sein kann? Mitnichten! Es ist nämlich gleichwohl denkbar, daß die Möglichkeit der kommunikativen Interaktion eine konstitutive Voraussetzung für alle andere Formen der Sprach Verwendung, wie z. B. den Gedankenausdruck angesehen werden muß (Dummett 1989). Michael Dummett hat nachdrücklich gezeigt, daß nicht die Fähigkeit des Gedankenausdrucks die

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Voraussetzung der Fähigkeit zu kommunizieren ist, sondern daß umgekehrt letztere Gedankenausdruck erst ermöglicht. Denn wenn wir - wie Chomsky dies tut - davon ausgehen, daß ein intersubjektiv verständlicher Gedankenausdruck dadurch möglich ist, daß alle Sprecher einer Sprache die gleiche Sprache als kognitives System internalisiert haben - und zwar ohne jeglichen Einfluß sprachlicher Interaktion im Spracherwerb und im Sprachgebrauch, dann könnte - so Dummett - das Kriterium dafür, daß wir uns verstanden haben, allein in dem Glauben bestehen, daß wir uns verstanden haben. Wir hätten kein wirkliches Kriterium gelingender Intersubjektivität. Ein solches Kriterium kann - wie Dummett zeigt - nur in einer "angemessenen äußeren Manifestation des Verstanden-Habens" (Dummett 1989: 211; ebenso Bürge 1989) gefunden werden, in dem Sprachspiel nämlich, in dem sprachliche Interaktion und mit dieser verknüpfte Handlungen miteinander verwoben sind. Selbst also, wenn wir konzedieren, daß die einzige Funktion der Sprache der Ausdruck von Gedanken ist, können wir der Funktion des Gedankenausdrucks nur insoweit eine sinnvolle Lesart geben, als wir sie kommunikativ interpretieren. Wir können die - wie ich sie nennen möchte - kognitive Funktion der Sprache nicht von ihrer kommunikativen Funktion trennen. Beide Funktionen scheinen derart ineinander verschränkt zu sein, daß es wenig Sinn macht, sie in ein hierarchisches Verhältnis zueinander zu setzen oder eine für unabhängig von der anderen zu erklären. Searle hat - mit kritischen Blick auf Chomsky - diesen engen Zusammenhang so expliziert: Es gibt "keine Möglichkeit, die Bedeutung eines Satzes ohne Berücksichtigung seiner kommunikativen Rolle zu erklären, da beide wesentlich miteinander verknüpft sind. Solange man die Untersuchung auf die Syntax beschränkt, (...) kann man die Insuffizienzen dieser Konzeption vertuschen, da die Syntax als formales System auch unabhängig vom Gebrauch untersucht werden kann (...). Aber sobald wir eine Erklärung der Bedeutung, d.h. der semantischen Kompetenz versuchen, bricht die rein formalistische Konzeption in sich zusammen, da sie die Tatsache nicht erklären kann, daß es bei der semantischen Kompetenz zum größten Teil darum geht, zu wissen, wie man spricht, d.h. wie man Sprechakte vollzieht" (Searle 1974: 436). Allgemein können wir festhalten, daß funktionale Erwägungen für die Untersuchung der Struktur der Sprache von zentraler Bedeutung sind. Die Struktur des menschlichen Sprachvermögens ist in vielfältiger Hin-

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sieht mit den funktionalen Aufgaben verwoben, die dieser Fähigkeit in der Evolution zugewachsen sind und die sie auch heute noch grundlegend bestimmen, nämlich dem Menschen sowohl den Entwurf kognitiver Bilder der Welt als auch die kommunikative Bestimmung seines Ortes in ihr zu ermöglichen. Indem wir mit anderen kommunizieren, greifen wir nicht nur auf unsere Modelle der uns umgebenden physikalischen und sozialen Welt zurück, sondern wir bewähren sie auch - und damit uns selbst - in der sprachlichen Interaktion mit anderen. Kommunikativität und Kognitivität sind die eng miteinander verwobenen Grundeigenschaften des menschlichen Sprach Vermögens. Wir können deshalb eine wissenschaftliche Arbeitsteilung - wie Chomsky sie vorschlägt - zwischen der Königs-Disziplin Kognitive Linguistik, die die Struktur der menschlichen Sprache untersucht, und Vasallen-Disziplinen wie etwa Philologie und Angewandte Sprachwissenschaft, die es dann mit dem funktionalen (und letztlich unwesentlichen) Gebrauch der Sprache zu tun haben, nicht akzeptieren. Sprachtheorie ist heute nicht mehr ohne tiefe Einsichten in die Anwendungsdimensionen der Sprache zu betreiben. Und wer auch immer sich mit Angewandter Sprachwissenschaft beschäftigt, wird sich der eigenen sprachtheoretischen Reflexion nicht entschlagen können.

Anmerkungen 1. Vgl. F.D.E. Schleiermacher, Über den Begriff der Hermeneutik mit Bezug auf F. A. Wolfs Andeutungen und Asts Lehrbuch, in:Schleiermacher 1977: 315. 2. Vgl. Chomsky 1981a: 65; hier heißt es: "Ich verstehe 'grammatische Kompetenz' als den kognitiven Zustand, der all jene Aspekte von Form und Bedeutung und ihre Beziehung zueinander umfaßt, einschließlich der zugrundeliegenden Strukturen, die in diese Beziehung eintreten, die jenem spezifischen Teilsystem des menschlichen Geistes angemessen zugeordnet werden, das Repräsentationen der Form und der Bedeutung aufeinander bezieht. Ich werde, wenn vielleicht auch etwas mißverständlich, dieses Teilsystem weiterhin 'das Sprach vermögen' nennen." 3. Vgl. Chomsky 1981a: 95. In jüngerer Zeit liest sich diese Erwartung Chomskys vor dem Hintergrund seiner Unterscheidung der Sprache als des "cognitive system itself" und den "various processing systems that access the language" so: "When the study of language is approached in the manner I have just outlined, one would expect a close and fruitful interaction between

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linguistics proper and the investigation of such topics as language processing and acquisition." Vgl. Chomsky 1990: 633, 636. Chomsky 1981a: 76; an anderer Stelle geht Chomsky von der These aus, "daß die grundlegenden Konzepte Grammatik und Kenntnis einer Grammatik sind und daß Sprache und Kenntnis der Sprache daraus abgeleitete Konzepte darstellen." Neuerdings hat Chomsky eine begrifflich etwas anders gelagerte Unterscheidung zur Charakterisierung dieses Sachverhaltes eingeführt, die Unterscheidung zwischen der "I-Language" und der -Language"; vgl. Chomsky 1986. Bierwisch hat diese Unterscheidung wie folgt aufgegriffen: "Der Gegenstand der kognitiven Linguistik ist daher die Sprachkenntnis, die mentale Struktur, die dem Sprachverhalten zugrunde liegt. Von Interesse sind mithin nicht die sprachlichen Äußerungen als solche, also das, was man die externe Sprache nennen könnte, sondern das Kenntnissystem, das die Äußerungen organisiert, also das, was man die interne Sprache nennen kann." Vgl. Bierwisch 1987: 645. Vgl. etwa auch Grewendorf/Hamm/Sternefeld 1987: 24: "(..) der zentrale Begriff der Sprachwissenschaft ist nicht der Begriff der Sprache, sondern der Begriff der Grammatik (..), dessen Gegenstand die Strukturen der Sprache sind." Ebenso v. Stechow/Sternefeld 1988: 25: "Sprache wird in dieser Wissenschaft als ein relativ uninteressantes Phänomen angesehen. Es wird sogar behauptet werden, daß sich hinter diesem Wort kein vernünftiger wissenschaftlicher Gegenstand verbirgt." Chomsky 1981a: 88: "Die Sprache aber ist ein Epiphänomen"; an anderer Stelle spricht Chomsky von "der epiphänomenalen Natur des Begriffs 'Sprache'", wobei allerdings wohl weniger der Begriff epiphänomenaler Natur ist, als vielmehr der durch ihn konzeptualisierte Sachverhalt; vgl. Chomsky 1981a: 125. Vgl. F. de Saussure, Cours de linguistique generale, edition critique par R. Engler, Wiesbaden 1968, tome l, fasc. 1-3; im folgenden zitiert als EC; tome 2, fasc. 4, appendice, Notes de F. de Saussure sur la linguistique generale, Wiesbaden 1974; im folgenden zitiert als EC(N); hier EC, 276, N 9.1, 1976, 1977. EC 26, N 9.2, 131; auf die Problematik der Legitimation der theoretischen, gegenstandskonstitutiven Gesichtspunkte kann ich hier nicht eingehen. Vgl. hierzu etwa Jäger 1976: 222; ebenso Jäger 1978. Vgl. hierzu etwa Jäger 1991, insbesondere 145ff. Vgl. etwa Chomsky 1990, hier: 631, wo Chomsky die Generative Grammatik in den fünfziger Jahren "a major factor in the cognitive revolution" nennt. Vgl. Whitney 1875: 262; niemand hat - wie bereits angedeutet - schärfer als Saussure gesehen, daß die Illusion "von Dingen, die in der Sprache natürlich gegeben seien, tief sitzt" (EC 25, N 9.1, 129). Chomsky 1970: 48; allerdings scheint Chomsky hier noch von der Annahme

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18. Die Legitimationsstrategien richten sich im wesentlichen an den Kritikern aus, deren Argumente er in verschiedenen Schriften verarbeitet hat, insbesondere etwa Danchin, Dummett, Hintikka, Levelt, Marshall, Piaget, Putnam, Searle, Sinclair und Wilks; natürlich stellt diese Auswahl von Kritikern nur eine sehr idiosynkratische Liste dar. Arbeiten eines Großteils dieser Kritiker finden sich etwa in folgenden Schriften: Piatelli-Palmarini 1980; Mogdil/Mogdil 1987 und George 1989. 19. Vgl. hierzu etwa die Chomsky-Kritik Searles in Searle 1974 und die Replik Chomskys in Chomsky 1977: 70; im selben Zusammenhang von Interesse ist die Auseinandersetzung zwischen Dummett und Chomsky über Bedeutungstheorie in Dummett 1975 und 1976 und die Replik Chomskys in Chomsky 1981 a: 113ff; neuerlich hat Dummett die Debatte wieder aufgenommen in Dummett 1989; vgl. hierzu ebenso Bürge 1989. 20. Chomsky 1990: 634; vgl. zur Kritik des Wachstumstheorems, die ich hier nicht ausführen kann, Jäger 1991: 173 und 182. 21. Vgl. Chomsky 1981a: 34; vgl. zur Kritik der Autonomie these, die hier nicht Gegenstand der Erörterung ist, Jäger 1991: 170, 176. 22. Zum problematischen Charakter dieses Bezuges auf Hubel und Wiesel sowie auf die Neurophysiologie insgesamt vgl. Jäger 1990: 191. 23. Chomsky 1970: 116: "Wenn wir hoffen, die menschliche Sprache und die psychischen Fähigkeiten, auf denen sie beruht, zu verstehen, so müssen wir uns zuerst fragen, was sie ist, und nicht, wie oder zu welchen Zwecken sie gebraucht wird." 24. Wilks 1987: 205 (deutsche Übersetzung von mir, L. J.).

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In Holzfeuer im hölzernen Ofen hat HJ. Heringer das Bild einer zeitgemäßen Sprachkritik entwickelt.' Der Titel geht auf Fritz Mauthner zurück und weist der Reflexivität eine wesentliche Rolle zu.2 Wir beschreiben die Sprache in der Sprache, kritisieren die Sprache in der Sprache und sind deshalb in unserer Kritik beschränkt. Heringer postuliert Zusammenhänge zwischen bestimmten Formen der Sprachkritik und den Sprachtheorien, in deren Rahmen sie formuliert sind.3 Sprachkritik gedeihe schlecht in Abbildtheorien, Gebrauchstheorien seien ein fruchtbarer Boden. Mit Gebrauchstheorien sind wohl Theorien gemeint, die in der Bedeutung von Ausdrücken die Regel ihres Gebrauchs sehen. Die Gegenüberstellung von Abbildtheorien und Gebrauchstheorien entspricht dem Verhältnis zwischen dem früheren und dem späteren Wittgenstein und wird von Heringer unbestimmt verknüpft mit dem Gegensatz zwischen Theorien der Sprache, die die Reflexivität ernst nehmen, und solchen, die sie außer Acht lassen. Ich möchte zeigen, daß der Gedanke der Reflexivität von Wittgensteins Frühwerk zu der von Tarski entwikkelten Semantik führt. Das folgende besteht aus drei Teilen. Der erste befaßt sich mit der Idealsprache des jüngeren Wittgenstein, der zweite mit Tarskis semantischen Theoremen und der dritte stellt eine Verbingung zwischen den beiden her. Grund der Möglichkeit und der Notwendigkeit von Sprachkritik ist die Arbitrarität des Wortschatzes. Wittgenstein beruft sich in der Logisch-philosophischen Abhandlung von 1921 auf den Physiker H. Hertz.4 "Wir machen uns innere Scheinbilder oder Symbole der äußeren Gegenstände, und zwar machen wir sie von solcher Art, daß die denknotwendigen Folgen der Bilder stets wieder die Bilder seien von den naturnotwendigen Folgen der abgebildeten Gegenstände." Hertz beschreibt, was die Mathematik einen Homomorphismus nennt. Wesentlich ist ein Chiasmus, der z.B. an der Photographie einer Aussicht anschaulich wird.

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Ein Tea

des Photos (der Aussicht)

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eines Teils (der Aussicht)

Der Chiasmus beschreibt das Prinzip jeder Abbildung und beschreibt auch die Struktur gewisser Texte. Ein Teil einer Beschreibung einer Aussicht kann eine Beschreibung eines Teils der Aussicht sein. Die erste Hälfte einer Reportage eines Fußballspiels ist eine Reportage der ersten Halbzeit. Nach unten stößt das Prinzip jedoch an Grenzen. Es gilt noch bei manchen Konjunktionen. Links ist ein Berg und rechts ist ein Baum. Andere Satzverknüpfungen verlangen eine andere Beschreibung, und einfache Sätze lassen sich so nicht fassen. Das Prinzip von Hertz wird

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problematisch, wo Arbitrarität aufkommt. Bei vollständig arbiträren Ausdrücken, bei einfachen Wörtern ist es absurd. Teile einfacher Wörter sind keine Wörter und haben keine eigene Beziehungen zur Realität. In dem Wort Platte kommt der Ausdruck Latte vor, aber Platten bestehen nicht aus Latten. Entsprechend beschreibt de Saussure Arbitrarität als das Nicht-Vorliegen einer inneren Beziehung zwischen signifiant und signifie.5 Mit einer inneren Beziehung muß eine Abbildung gemeint sein. Das Prinzip von Hertz wird nicht nur in der Sprache nach unten ungültig, sondern auch z.B. bei Photographien. Wörter entsprechen Rasterpunkten (oder dem Korn). Rasterpunkte sind keine Bilder, sondern leiten ihre Beziehung zum Original aus dem Zusammenhang im Bild ab. Sie sind ebenfalls arbiträr. Arbitrarität (Willkürlichkeit, Beliebigkeit) war sowohl für den jüngeren Wittgenstein als auch für den Sprachwissenschaftler F. de Saussure ein Problem. De Saussure hat es zum Fundament seiner Sprachtheorie gemacht. Der jüngere Wittgenstein hat in ihm das Hauptübel gesehen und Arbitrarität zum Gegenstand seiner Sprachkritik gemacht. Die Logisch-philosophische Abhandlung beschreibt die Vision ihrer Rückbildung durch Ausdehnung von Hertz-Prinzip nach unten. Die logisch-semantische Analyse sollte arbiträre Ausdrücke schrittweise durch weniger arbiträre ersetzen, zum Verschwinden bringen und sowohl die Notwendigkeit als auch die Möglichkeit der Sprachkritik auflösen. Das Ergebnis hätte ein Bild der Welt sein sollen, das sich zu der gewöhnlichen Sprache verhält wie eine Schallplatte zu der Beschreibung eines Musikstückes oder wie die Darstellung der natürlichen Zahlen in Form von Strichfolgen j - j | - j j j - | j j j - ... zu der arabischen Darstellung l - 2 - 3 - 4 - ... Wittgenstein war der Meinung, mit der logisch-semantischen Idealsprache alle philosophischen Probleme gelöst zu haben. In einem gewissen Sinne hatte er recht, in einem anderen ist sein Ideal zum Inbegriff der Naivität geworden, weil die Lösung den Preis der Isomorphie der Sprache mit der Welt gekostet hätte.6 Ursprünglich hatte Wittgenstein mit dem Gedanken gespielt, Allaussagen mit langen Konjunktionen und Existenzaussagen mit langen Disjunktionen zu interpretieren. Später hat er sich zu einem anderen Vorgehen entschlossen,.7 Ich halte aber in diesem Zusammenhang an der älteren Auffassung fest, weil sie ausreicht für das, was ich zeigen will, und weil die spätere Theorie unklar scheint. Aus Alle Menschen sind sterblich hätte die Aussage werden sollen Ludwig Wittgenstein ist sterblich und Bertrand Russell ist sterblich und ... und Aus Es gibt einen sterblichen Menschen hätte die Aussage werden

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sollen Ludwig Wittgenstein ist sterblich oder Bertrand Russell ist sterblich oder ... oder — Die Idealsprache wäre aussagenlogisch gewesen und insofern einfacher als gewöhnliche Sprachen. In anderen Hinsichten wäre sie komplexer gewesen. Gewisse Aussagen hätten aus so vielen Konjunktions- bzw. Disjunktionsgliedern bestehen müssen, wie die Welt Gegenstände enthält. In einer endlichen Welt ist das nicht möglich. In einer unendlichen Welt hätten All- und Existenzaussagen unendlich lang sein müssen oder syntaktisch beliebig fein. Beide Möglichkeiten hätten nur teilweise einen normalen sprachlichen Ausdruck erlaubt, und deshalb wäre die Idealsprache vollständig nur außerhalb unserer Welt und innerhalb unserer Welt nur teilweise ausdrückbar gewesen. Es hat den Anschein, als ob der ausdrückbare Teil der Idealsprache schon aus syntaktischen Gründen nur teilweise sich selbst hätte beschrieben und damit reflexiv hätte sein können. Zwar wäre die Beziehung zwischen Sprache und Welt noch weniger beschreibbar gewesen. Aber es ist eine Pointe von Wittgensteins früher Philosophie, daß die Semantik so elementar sein sollte, daß sie keiner Beschreibung bedurfte. Die beschränkte Reflexivität gehört zu den unplausiblen Elementen der Logisch-philosophischen Abhandlung, Es ist doch evident, daß wir in unserer Sprache über unsere Sprache sprechen. Der spätere Wittgenstein unterscheidet sich in wenigstens zwei Hinsichten vom früheren. Einerseits wandte er sich weltlicheren und reflexiveren Sprachen zu. Andererseits überließ er dem handlungstheoretischen Charakter der Sprache den zentralen Ort, den er früher dem abbildenden angewiesen hatte. Die Verbindung beider Seiten mag triftige Gründe haben. Aus meiner von der Logik bestimmten Perspektive, von der der spätere Wittgenstein sich entfernt hatte, erscheint beides voneinander unabhängig. Die unmittelbare Weiterentwicklung der Logisch-philosophischen Abhandlung sehe ich nicht so sehr in Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen als vielmehr in der modell-theoretischen Logik und Semantik, d.h. in der Tradition, die auf das semantische Werk Alfred Tarskis zurückgeht, hauptsächlich auf die Schriften zum Wahrheitsbegriff in den formatierten Sprachen von 1935 und zum Begriff der Defmierbarkeit von 1953.8 Ich versuche ein Bild der Situation, in der Tarski sich befand. Die mathematischen Anwendungen der Logik waren Beschreibungen großer Gegenstandsbereiche, insbesondere unendlicher Mengen beliebiger Kardinalität. Zugleich hat man sich - aus Gründen, die ich übergehe - auf Sprachen mit (abzählbar) unendlich vielen Aussagen endlicher Länge geeinigt. Damit war die Frage aufgeworfen, wie mit relativ kleinen

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Sprachen über relativ große Dinge zu sprechen sei. Die Aussagen der Idealsprache waren dagegen im wesentlichen so groß wie die beschriebenen Dinge. Aus diesem Problem ist der heute übliche Unterschied zwischen Syntax und Semantik hervorgegangen.9 Die syntaktische Definition der Quantoren als Abkürzungen langer Konjunktionen bzw. Disjunktionen war dafür unbrauchbar. Quantoren mußten als logische Primitive verstanden werden, bei der Übersetzung in die Metasprache sozusagen erhalten bleiben und deshalb relativ zu oder in einem Gegenstandsbereich interpretiert werden (universe of discourse). Andererseits konnten Gegenstandsbereiche wegen der drohenden Antinomien nicht zu groß sein, und die Logik war in eine Vielzahl Sprachen bestimmter Typen zerfallen. Zugleich mußte die Frage der Reflexivitat neu formuliert werden. Die Sprachen der Logik waren unendliche Mengen von Ausdrücken und auf die Beschreibung unendlicher Mengen zugeschnitten. Ein einfaches syntaktisches Argument gegen die Reflexivitat wie in Wittgensteins Idealsprache gab es jetzt nicht mehr. Die Sprachen hatten jetzt Platz in den Gegenstandsbereichen, auf die sie sich beziehen. Kurt Gödel hatte in seinem Beweis der Unvollständigkeit der Arithmetik von 1931 gezeigt, wie man in bestimmten quantorenlogischen Sprachen über sprachliche Ausdrücke, Mengen von und Beziehungen zwischen Ausdrücken sprechen und insbesondere wie man in einer quantorenlogischen Sprache L über die Ausdrücke, Mengen von und Beziehungen zwischen Ausdrücken eben dieser Sprache L sprechen kann.10 Gödel hatte gezeigt, daß bestimmte Sprachen in dem Sinne reflexiv sind. Zwei der Elemente von Wittgensteins späterem Denken sind also ebenso wesentlich für die logische Entwicklung im engeren Sinne etwa ab 1930. Die Auflosung der Logik in eine Klasse beschränkter logischer Sprachen entspricht der Auflösung der Idealsprache in eine Familie von Sprachspielen. Und beide Seiten waren toleranter geworden gegen Reflexivitat. Die Toleranz konnte nicht unbegrenzt sein, und der Begriff der Reflexivitat wurde in verschiedene Aspekte zerlegt. Den ersten Aspekt habe ich schon erwähnt. In bestimmten Sprachen läßt sich über Ausdrücke, Mengen von Ausdrücken und Beziehungen zwischen Ausdrücken derselben und anderer Sprachen sprechen. Die Ausdruckskraft dieser Sprachen reicht zur Beschreibung der Syntax aus - auch der eigenen. Gödels Konstruktion ermöglicht in der Logik die Form der Reflexivitat, die in der gewöhnlichen Sprache gang und gäbe scheint, und die dem Übereifer des jungen Wittgenstein zum Opfer gefallen war. Ein zweiter Aspekt ist der folgende. Gödel hatte implizit bewiesen, was heute das Fixpunkt-

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theorem der Quantorenlogik genannt wird.11 Für jedes (einstellige) Prädikat gibt es eine Aussage, die sich selbst dieses Prädikat zuspricht. (Eine gewisse terminologische Ungenauigkeit ist hier schwer zu vermeiden.) So gibt es für das Prädikat beweisbar eine Aussage, die von sich selbst sagt, sie sei beweisbar, für das Prädikat widerlegbar eine Aussage, die von sich selbst sagt, sie sei widerlegbar usw. Für diese Form der Reflexivität hat sich der Begriff der Selbst-Referenz durchgesetzt. (Im genauen Sinne des Wortes liegt keine Selbst-Referenz vor. In den selbst-referentiellen Aussagen referieren die Subjekte auf die Ausagen und nicht auf sich selbst. Aussagen referieren überhaupt nicht.) Gödel hat hier das alte Problem entschieden, ob es einwandfreie Formen der Selbst-Referenz gibt. Wittgenstein hatte das für unmöglich gehalten, und die gewöhnlichen Sprachen scheinen unentschieden. Wenn aber Selbst-Referenz in der Logik konstruiert werden kann, gibt es wenigstens kein apriorisches Argument gegen ihr Vorkommen in natürlichen Sprachen. Tarski hat in seinen Abhandlungen von 1935 und 1953 u.a. folgende drei Theoreme bewiesen. Sei L eine quantorenlogische Sprache von einer gewissen Ausdrucksstärke (auf deren genaue Bestimmung es hier nicht ankommt). a Die Semantik von L ist teilweise in L beschreibbar, b Die Semantik von L ist in L selbst nicht (vollständig) beschreibbar. c Die Semantik von L ist in bestimmten Sprachen beschreibbar, die reicher sind als L. Das erste Ergebnis, Tarskis Theorem der partiellen Beschreibbarkeit,12 beschreibt einen dritten Aspekt der Reflexivität. Die Ausdruckskraft von Sprachen reicht nicht nur zur Beschreibung der Syntax aus, sondern auch zur partiellen Beschreibung ihrer eigenen Semantik. Das zweite Ergebnis - Tarskis bedeutendes Theorem der Nicht-Beschreibbarkeit13 - zeigt einen vierten Aspekt, und zwar einen, in dem Sprachen definitiv nicht reflexiv sind. Bei der Beschreibung der Semantik einer Sprache mit den Mitteln eben dieser Sprache ist keine Vollständigkeit möglich. Tarskis Argumentation könnte man folgendermaßen skizzieren. Die Semantik ist - was ich hier nicht ausführen muß - eng mit dem Problem der Wahrheit verbunden. Wenn Sprachen ihr eigenes Wahrheitsprädikat formulieren könnten, hätte das die Formulierbarkeit eines Prädikates der Falschheit zur Folge und nach dem Fixpunkttheorem die Existenz einer Aussage, die sich selbst falsch nennt. Diese Aussage wäre, falls sie möglich wäre, die endgültige Version einer 2500-jährigen Entwicklung des Lügner-Satzes. Die Existenz eines Lügner-Satzes hätte einen Widerspruch zur Folge. In

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konsistenten Verhältnissen gibt es darum weder ein Prädikat der Falschheit noch eines der Wahrheit. Zwar gibt es einen Gödelschen Satz, der von sich selbst sagt, er sei unbeweisbar, und einen Henkinschen Satz, der von sich selbst sagt, er sei beweisbar, und andere selbst-referentielle Sätze. Aber in konsistenten Verhältnissen ist weder ein Lügner-Satz möglich, d.h. ein Satz, der sich selbst falsch nennt, noch ein Wahr-Sager-Satz, d.h. ein Satz, der sich selbst wahr nennt. Diese Form der partiellen Nicht-Reflexivität ist der Kern, der von der Irreflexivität der Idealsprache übriggeblieben ist und bis in die Gegenwart die Semantik bestimmt.14 Der Kern ist härter als Wittgenstein angenommen hatte. Die Idealsprache war einfach deshalb nur beschränkt reflexiv, weil sie keinen Platz in ihrem Gegenstandsbereich hatte. Aus dem entsprechenden Grund hat Wittgenstein selbst-referentielle Aussagen für unmöglich gehalten. Nach der Logisch-philosophischen Abhandlung müßten sie nämlich ihr eigenes Zitat enthalten, und das wäre aus demselben Grunde unmöglich, aus dem eine Kiste in sich selbst keinen Platz hat.l5 Gödels Formulierung selbst-referentieller Aussagen verwendet nicht Zitate, sondern Kennzeichnungen,16 entgeht dieser Schwierigkeit und demonstriert, daß der Lügner-Satz und die Reflexivität nicht an syntaktischen, sondern an semantischen Problemen scheitern. - Tarskis drittes Theorem - das Theorem der Beschreibbarkeit,17 nach dem die Semantik einer Sprache in einer reicheren Sprache sich beschreiben läßt, entspricht einer Relativierung von Wittgensteins Annahme einer Idealsprache. Die Sprache, deren Semantik beschrieben werden soll, ist die Objektsprache, und die Sprache, die die Semantik beschreiben soll, die Metasprache. Die Semantik der Objektsprache kann als das Prinzip der Abbildung oder Korrespondenz zwischen der Realität und der Sprache angesehen werden, und dann besagt das Theorem der Beschreibbarkeit, daß ein Abbildungs- oder Korrespondenzprinzip in der Metasprache formuliert werden kann. Während jedoch Wittgenstein in seiner Vision in einem Schritt die Welt überschreiten wollte, um festen Boden zu erreichen, schreitet man nach Tarski von ärmeren Sprachen zu reicheren Sprachen fort, ohne unsere Welt zu verlassen. Man erreicht keine Grundlegung, sondern gerät in eine Abhängigkeit. Der junge Wittgenstein hatte die Vision einer Reduktion der Semantik auf ein selbstverständliches Prinzip der Abbildung bzw. der Korrespondenz zwischen Welt und Sprache. Der Preis, den er dafür bezahlen wollte, war die Tatsache, daß sowohl das Prinzip als auch das Ergebnis seiner Anwendung - das Bild der Welt - über die Welt hätte hinausragen

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müssen. Die Semantik der Idealsprache wäre einfach gewesen, dafür hätte ihre Syntax allein sie schon aus der Welt entrückt und uns keinen Standpunkt für Kritik an der gewöhnlichen Sprache geboten. Die mathematische Logik beschränkt sich auf Sprachen oder sprachliche Systeme, die wenigstens syntaktisch realistisch sind. Sie haben in der Welt Platz - in dem nicht unproblematischen Sinne, daß sie (abzählbar) unendliche Mengen von Aussagen endlicher Länge erzeugen. Diese Sprachen bzw. sprachlichen Systeme lassen sich syntaktisch in sich selbst beschreiben, aber ihre Semantik, d.h. das ihnen unterliegende Prinzip der Abbildung bzw. Korrespondenz läßt sich nicht vollständig in ihnen beschreiben, vielmehr nur in reicheren Systemen. Es gibt Prinzipien der Abbildung, aber diese ragen in eine Metasprache hinein. Im Hinblick auf natürliche Sprachen sind Metasprachen syntaktisch normal, semantisch übersteigen sie aber unsere Möglichkeiten und bieten uns ebenfalls keinen Standpunkt für Sprachkritik. Im dritten Teil versuche ich eine Konkretisierung im Hinblick auf die Sprachwissenschaft und das Thema dieser Festschrift. Sprachkritik richtet sich nicht in erster Linie auf Syntax oder auf die Regeln der semantischen Komposition, d.h. auf die Regeln, nach denen einfache Ausagen zu komplexen sich zusammensetzen. Sprachkritik richtet sich hauptsächlich gegen Wörter. Eine Kritik des Wortschatzes würde einen Standpunkt erfordern, d.h. die Kenntnis eines Prinzips, das die semantische Interpretation der Wörter bestimmt. Tarskis Konstruktion komprimiert die Semantik unendlich vieler Aussagen in eine Formulierung endlicher Länge. Der Wortschatz bleibt von der Reduktion im wesentlichen unberührt. Wörter (oder Symbole) werden einzeln in die Metasprache übersetzt. Vereinfachungen wie z.B. die Definition der Disjunktion (oder) mit Hilfe der Negation (nicht) und der Konjunktion (und) sind nicht wesentlich. Das Fehlen einer Reduktion des gesamten Wortschatzes auf ein lexikalisches Prinzip wurde als irritierendes Element und als Einwand empfunden, dem der jüngere Wittgenstein beigepflichtet hätte. Es ist die Frage, was man zur Beschreibung eines lexikalischen Prinzips braucht und wieviel davon in unserer Sprache vorhanden ist, d.h. inwieweit wir, - wenn schon nicht die gesamte Sprache, dann wenigstens den Wortschatz unserer Sprache in unserer Sprache beschreiben und gegebenenfalls kritisieren können. Der Einfachheit halber nehme ich an, der Wortschatz sei endlich und die einzelnen Wortbedeutungen seien in der Meta- und Objektsprache irgendwie beschreibbar. Die zweite Annahme ist unplausibel, aber das folgende hängt nicht von ihr ab. In diesem Falle

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können wir das semantische Prinzip des Wortschatzes unserer Sprache in unserer Sprache selbst beschreiben. Im besonderen lassen sich semantische Abhängigkeiten zwischen Wörtern beschreiben, deren syntaktische Rollen sich genügend ähnlich sind: Exklusion (rot - grün), Hyponymie (Möbel - Stuhl), Äquivalenz (fast - beinahe) und die vielleicht wichtigste Beziehung, die semantische Unabhängigkeit (rot - kalt - groß - teuer). Diese teilt den Wortschatz bestimmter syntaktischer Kategorien in Gebiete, die bis zu einem gewissen Grade mit dem zusammenfallen, was man nach J. Trier Wortfelder nennt.18 In Wittgensteins Logisch-philosophischer Abhandlung war die Syntax isomorph mit dem, was wir heute Semantik nennen, und deshalb waren Wortfelder identisch mit syntaktischen Kategorien. In der modell-theoretischen Semantik sind Wortfelder Mengen semantisch abhängiger Prädikate, und Prädikate verschiedener Felder sind voneinander unabhängig. Diese Auffassung würde eine Rekonstruktion der bis heute unklar gebliebenen Feldstrukturen im Wortschatz ermöglichen. Was man gewöhnlich unter Arbiträrität versteht, läuft auf eine andere Form der Unabhängigkeit hinaus, nämlich auf Unabhängigkeit der einfachen Wörter in ihrer semantischen Interpretation. Französisch rouge bedeutet (dasselbe wie) deutsch rot, franz. grand bedeutet (dasselbe wie) dt. groß und franz. rouge könnte seine Bedeutung änderen, ohne daß das Folgen für die Bedeutung anderer Wörter hätte.19 In diesem Sinne sind komplexere Ausdrücke wie z.B. Aussagen nicht unabhängig voneinander und deshalb auch nicht vollständig arbiträr. Wenn eine Aussage wie Wittgenstein ist der Verfasser der Logisch-philosophischen Abhandlung sich in ihrer Bedeutung verändern würde, so müßte sich wenigstens ein in ihr vorkommendes Wort oder eine semantische Regel, die die Bedeutung der Aussage aus den Bedeutungen der einfachen Wörter zusammensetzt, in seiner Bedeutung bzw. in ihrer Funktionsweise verändern. Dieses Wort bzw. diese Regel kommt aber auch in anderen Aussagen vor und hat dort entsprechende Veränderungen zur Folge. Was ich mit der Abhängigkeit komplexer Ausdrücke bezüglich ihrer semantischen Interpretationen meine, ist die Tatsache, daß die Regeln der semantischen Interpretation einfacher sind als die Liste der Ausdrücke zusammen mit den einzelnen Beschreibungen ihrer Bedeutung. Das scheint im Wortschatz anders zu sein. Arbitrarität bzw. Unabhängigkeit ist nicht die Unmöglichkeit eines semantischen Prinzips, das dem gesamten Wortschatz unterliegt, sondern die Unmöglichkeit eines solchen Prinzips, das einfacher ist als eine Wort-für-Wort-Korrelation zwischen den Ausdriic-

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ken der Wörter und Beschreibungen von Bedeutungen (in irgendeiner Form). De Saussure hat Arbitraritat als das Fehlen einer inneren Beziehung zwischen signifiant und signifie verstanden. Was er natürlich gemeint hat, war das Fehlen einer inneren Beziehung, deren Formulierung einfacher ist als die bloße Wort-fur-Wort-Korrelation. Die Tatsache, daß das hinter dem Wortschatz stehende semantische Prinzip nicht einfacher ist als der Wortschatz, entspricht der Tatsache, daß die Metasprache reicher ist als die Objektsprache, und daß Wittgensteins Idealsprache größer hätte sein müssen als unsere Welt. Die Arbitraritat entspricht in dieser Weise der Irreflexivität der Sprache und Tarskis Theorem der Nicht-Beschreibbarkeit. Erweitert man in einem bloßen Gedankenspiel die Perspektive über die allgemeine Geschichte, die Evolution der belebten und der unbelebten Welt hinaus zu einer umfassenden Theorie (was zu Wittgensteins Gesamtheit der Tatsachen paßt) und stellt man sich diese Theorie deterministisch vor, so kann man sich eine Formulierung der Semantik des Wortschatzes denken, die in der Sprache dieser Theorie einfacher scheint als die Wort-für-Wort-Erklärung unseres Wortschatzes in unserer Sprache. Im Licht dieser Formulierung schwindet die Arbitraritat. Wenn franz. rouge tatsächlich dasselbe bedeutet wie dt. rot, und franz. grand dasselbe wie dt. groß, dann hat das in dieser Theorie seine Gründe und könnte in ihrer Perspektive nicht anders gewesen sein. In stärkeren Theorien und reicheren Sprachen lassen sich einfache Prinzipien formulieren. Diese (von mir gedachte) Tatsache wäre die Entsprechung für Tarskis Theorem der Beschreibbarkeit im Falle des Wortschatzes. Wie Teile von Tarskis Beschreibung der Semantik von der Metasprache in die Objektsprache rückübersetzt werden können, so auch kleine Fragmente dieses semantischen Prinzips in unsere Wissenschaft. Die vernünftigsten Annäherungen sind die Fragmente der Sprachgeschichte und der Prinzipien der Sprachgeschichte im Rahmen der allgemeinen Geschichte und der allgemeinen Wissenschaften. In historischen Beschreibungen der Entstehung und der Entwicklung der Sprache sind Fragmente des Abbildungs- bzw. Korrespondenzprinzips enthalten. In ihrem Lichte erscheint die Arbitraritat des Wortschatzes minimal verringert. Im Sprachunterricht macht man sich das schon immer zunutze, wenn man das Memorieren von Vokabeln durch etymologische Geschichten erleichtert. Die minimale Verringerung der Arbitraritat durch perspektivische Erweiterung ist der Raum, in dem ich die Möglichkeit von Sprachkritik sehe.

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Das vollständige und zugleich einfache Prinzip ist natürlich nicht in unserer Sprache formulierbar und umgekehrt können wir weder die Sprache des einfachen Prinzips vollständig verstehen noch eine umfassende und eventuell deterministische Gesamttheorie. Vollständigkeit wird auch nicht möglich durch einen Übergang von Abbild- bzw. Korrespondenztheorien der Sprache zu Handlungstheorien, Gebrauchstheorien und Sprachspieltheorien. Ich vermute, daß die Attraktivität handlungstheoretischer Beschreibungen der Sprache wenigstens zum Teil ihrer scheinbaren theoretischen Geschlossenheit entspringt. Das dürfte als eine Täuschung sich herausstellen, die auf einer Unterschätzung von Tarskis negativem Theorem beruht. (Das Theorem entspricht dem rekursionstheoretischen Theorem der Unlösbarkeit des sog. Halteproblems, dessen Unüberwindlichkeit anschaulicher ist.) Tatsächlich verhält es sich umgekehrt. Tarskis Theorem der Nicht-Beschreibbarkeit der Semantik einer Sprache in derselben Sprache überträgt sich auf Erweiterungen der Semantik und hat in diesen eine entsprechende Unabgeschlossenheit zur Folge. Weil die in unserer Sprache ausgedrückten semantischen Beschreibungen notwendig unvollständig sind, können handlungstheoretische Beschreibungen und Erklärungen ebenfalls keine Vollständigkeit erreichen. Weil in einer vollständigen und deterministischen Theorie alles beschreibbar wäre, hat das Theorem von Tarski die Auswirkung, daß uns wenigstens eine solche Theorie nicht zugänglich ist (unabhängig davon, ob das Weltall an sich - was immer das heißen mag - deterministisch ist oder nicht.) Erweiterungen des Rahmens der Abbild- bzw. Korrespondenztheorien vergrößern nicht die Basis für eine Kritik an der Sprache.

Anmerkungen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Heringer 1982. Heringer 1982: 34. Heringer 1982: 14-19. Hertz 1894. Wittgenstein 1961: Satz 4.04. De Saussure 1972: 100. Wittgenstein 1961: 4.032-4.0412, insbesondere 4.04. Wittgensteins Aussagen zu der Natur der Quantoren, z.B. 5.52-5.525, sind in dieser Hinsicht nicht klar. 8. Tarski 1935. Mostowski/Robinson/Tarski 1953. 9. Vgl. die klassisch gewordene Charakterisierung der Aufgabe eines syntaktischen Systems durch Chomsky 1957: 24: "A finite state grammar is the

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simplest type of grammar which, with a finite amount of apparatus, can generate an infinite number of sentences." 10. Gödel 1931. 11. Z.B. Mendelson 1987: 160. Boolos/Jeffrey 1989: 173. 12. Vgl. z.B. Boolos/Jeffrey 1989: 208, Theorem 1. 13. Spezielles Theorem der Nicht-Definierbarkeit in Tarski 1935: 5 Satz I. Allgemeines Theorem der Nicht Definierbarkeit in Tarski/Mostowski/Robinson 1953: 46, Theorem 1. 14. Vgl. z.B. Barwise/Etchemendy 1987. 15. "Kein Satz kann etwas über sich selbst aussagen, weil das Satzzeichen nicht in sich selbst enthalten sein kann (das ist die ganze Theory of Types)." Satz 3.332, vgl. 4.442. 16. In der Formulierung der Kennzeichnungen spielt die sog. Diagonalisationsfunktion die wesentliche Rolle. 17. Tarski 1935: 3 & 4. 18. Trier 1931. 19. Ich sehe keinen Widerspruch zu de Saussures Postulat der gegenseitigen Abhängigkeit aller sprachlichen Einheiten.

Zur Stellung der Eigennamen im Wortschatz Rainer Wimmer

1. Einleitung Die in der Linguistik allgemein (keineswegs nur in der germanistischen Linguistik) bis heute angenommene, weithin akzeptierte und gelehrte Dichotomie zwischen Name (Eigenname = EN) und Wort hat eine sehr alte, bis in die Antike zurückreichende Tradition und wird bis heute gestützt durch die in vielen Sprachgesellschaften verbreitete und intuitiv für plausibel gehaltene Vorstellung, daß es zwei grundverschiedene Dinge sind, eine Person oder einen Gegenstand mit einem Eigennamen (EN) zu benennen und fortan zu bezeichnen oder aber eine bestimmte Person bzw. einen bestimmten Gegenstand mit einem Wort, also einem Appellativum (dieser Mann, mein Onkel) zu bezeichnen. Eigenname und Wort gelten als sprachlich grundverschieden, was oft auch so ausgedrückt wird, daß Eigennamen gar nicht zum Wortschatz einer Einzelsprache gehören, sondern übereinzelsprachliche Qualität haben (Wird die Stadt London nicht in allen Sprachen mit London bezeichnet?) und deshalb auch mit Recht nicht in einem Sprachwörterbuch des Deutschen, Italienischen, Englischen, Chinesischen usw. aufgeführt werden, sondern allenfalls (nämlich bei entsprechender "Bedeutung" der bezeichneten Gegenstände) in Enzyklopädien der Sachen, der Personen, Länder, Ereignisse usw. Von daher nährt sich die Meinung, EN hätten bezüglich des Wortschatzes einer Einzelsprache eine Randstellung, sie hätten nur peripher mit der Bedeutungsstruktur eines Einzelsprachwortschatzes zu tun. Diese Meinung kann allerdings nur dann substantiiert werden, wenn man unter dem Wortschatz einer Sprache das Langue-Abstraktum einer Gesamtsprache wie des Deutschen versteht, d.h. den deutschen Wortschatz. Aber was ist das? Kennt oder beherrscht ihn ein einzelner Deutscher? Antwort: Nein. Die "Rückläufige Wortliste" (Brückner/Sauter

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1984) über gegenwartssprachliche Texte des Deutschen, die im Institut für deutsche Sprache maschinenlesbar für lexikographische und grammatische Untersuchungen genutzt werden, enthielt schon vor Jahren mehr als 150.000 Einträge (Wörter); Lexikographen sprechen sonst von 450.000 bis 500.000 Wörtern der deutschen Gegenwartssprache; also: Wenn der aktiv beherrschte Wortschatz eines einzelnen Sprechers des Deutschen fünf- bis zehntausend Wörter umfaßt (wie meistens angenommen wird), dann kann ein einzelner Sprecher nicht den deutschen Wortschatz insgesamt beherrschen; aber er beherrscht die für ihn wichtigen Eigennamen. Ich ziehe aus solchen (groben) Zahlen den Schluß, daß man zwischen dem Wortschatz einer Gesamtsprache (wie dem Deutschen) und dem von einzelnen Sprechern beherrschten Wortschatz strikt unterscheiden muß. Der Wortschatz eines einzelnen ist in Wortschätzen von Einzelsprachen enthalten; jeder Wortschatz einer Einzelsprache geht über den Wortschatz eines einzelnen Sprechers hinaus. Aber: Einzelne Sprecher partizipieren auch (mehr oder weniger) an den Wortschätzen verschiedener Sprachen. Lehnwörter bereichern nicht nur das Wörterbuch einer Langue als Gesamtsprache, sondern auch den Wortschatz jedes einzelnen Sprachteilnehmers, oft ohne daß diesem der übereinzelsprachliche Gebrauch von Wörtern und Wendungen bewußt ist. Beim Gebrauch von Fachsprachen und anderen terminologisch fixierten Ausdrucksformen gehen wir mit Selbstverständlichkeit davon aus, daß wir es in vielen Fällen mit einem übereinzelsprachlichen Wortschatz, d.h. mit Internationalismen zu tun haben (vgl. Braun/Schaeder/Volmert 1990); der "interlinguale" Charakter von Ausdrucken wie Demokratie, Politik, Liberalismus, Sozialismus - um einige Beispiele aus dem Bereich des politischen Sprachgebrauchs zu nennen - wird heute von vielen Sprachteilnehmergruppen akzeptiert, obwohl - und das scheint mir sehr bemerkenswert die Meinungen darüber, was mit Demokratie usw. jeweils bezeichnet wird, und damit die Gebrauchsweisen bzw. Bedeutungen der Ausdrücke weit auseinandergehen und bei den Sprechern sogar ein Bewußtsein für die zum Teil extremen Bedeutungsdivergenzen vorhanden ist. Ich ziehe aus diesen allgemeinen Vorbemerkungen zu Wortschatzfragen folgende Konzequenzen: - Die Themafrage nach der Stellung der EN in Wortschatz muß vor allem unter der Perspektive einer notwendigen Differenzierung des Wortschatzbegriffs betrachtet werden. - Der Begriff "Langue-Wortschatz einer Einzelsprache" beinhaltet eine sehr viel weitergehende Abstraktion von der Individualsprache (nicht:

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"Privatsprache") und Individual-Sprachkompetenz des einzelnen Sprechers als etwa der Begriff der "Einzelsprachensyntax", und dies insofern, als spezifische Gebrauchsweisen bzw. Bedeutungen von Wortschatzelementen (z. B. Termini, EN) im Rahmen der Sprachkompetenz einzelner Sprecher einen weitergehend interlingualen Charakter haben als spezifische Syntaxregeln. Die schwierige Frage, inwieweit man hier unter Bezug auf das Konzept einer Universalgrammatik von einer Parallele zwischen Syntax und (Wortschatz-)Semantik sprechen könnte - was ich persönlich nicht glaube - lasse ich außer Betracht. - Die Wortschatzkompetenz des einzelnen Sprachteilnehmers ist sehr viel weniger einzelsprachlich ausgeprägt, als es das Sprachbewußtsein der Sprecher, vor allem das Nationalsprachenbewußtsein der Deutschen seit dem 19. Jahrhundert, und die auf das Einzelsprachsystem orientierte linguistisch-strukturalistische Theoriebildung wahrhaben wollen.

2. Thesen Die Vorbemerkungen deuten bereits eine bestimmte These zur EN-Semantik an; und sie sind deshalb auch nicht als ein Referat gängiger linguistischer Meinungen zu Wortschatzfragen aufzufassen. Entgegen verbreiteter Auffassungen in der Linguistik und in der Alltagsreflexion über Sprachfragen möchte ich die These vertreten, daß (a) die unter semantischen Gesichtspunkten angenommene strikte Trennung zwischen Appellativs einerseits und EN andererseits im Wortschatz einer Sprache nicht adäquat und nicht sehr fruchtbar ist, wenn man die sprachliche Kommunikation unter Verstehensgesichtspunkten analysieren, beschreiben und erklären will, (b) die verbreitete Auffassung, EN seien "deskriptiv leer", hätten im Gebrauch lediglich eine Bezeichnungsfunktion und seien deswegen möglicherweise sogar semantisch "defizitär", unter den angedeuteten kommunikationsanalytischen Gesichtspunkten nicht sinnvoll erscheint, (c) die Rolle, die EN-Bedeutungen im (individualsprachlichen) Wortschatz spielen, linguistisch meistens unterschätzt wird. Möglicherweise kann der Aufbau von EN-Bedeutungen im Laufe von Kommunikationsgeschichten sogar als prototypisch für den Aufbau und die Weiterentwicklung von Bedeutungen im substantivisch-appellativischen Wortschatz angesehen werden.

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Diese aus mehreren Teilen bestehende These kann im folgenden natürlich nur relativ knapp und grob erläutert, vielleicht auch plausibel gemacht werden. Soweit die These weit verbreitete und grundsätzliche Positionen in der germanistischen Lexikologie und Lexikographie zu relativieren versucht, wären ausführliche, ja langwierige Erörterungen, auch mit wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive, erforderlich, wollte man die Hoffnung haben, die Begründetheit der These für mehr als einen kleinen Kreis von ohnehin unkonventionell Denkenden zu erweisen. Ich vermute, daß merkmalsemantisch orientierte Lexikologen und Lexikographen (auch wegen der Konsequenzen für die praktische Wörterbucharbeit) die These eher für gewagt bis abwegig halten, daß linguistische Namenforscher die Position diskutabel finden könnten und daß sprachphilosophisch orientierte Semantiker vielleicht gar nichts Neues an all dem finden, eher noch die mangelnde Konsequenz bemängeln müßten. Es ist aus linguistischer Sicht bemerkenswert, daß die Eigennamensemantik in der wahrheitswert-funktional orientierten philosophischen Semantik immer schon eine wichtige, wenn nicht gar zentrale und prototypische Rolle gespielt hat. Seit über hundert Jahren dominiert die Kontroverse um die Eigennamentheorie wichtige Bereiche der philosophischen Semantik (vgl. Wolf 1985, dort auch die Einleitung, S. 9-41), und man kann sich sehr wohl fragen, ob darin nicht doch auch ein Indiz dafür gesehen werden darf, daß die Struktur der EN-Bedeutung nicht völlig peripher für den semantischen Aufbau des (natürlichsprachlichen) Wortschatzes ist.

3. "Randphänomen" Eigenname Peter von Polenz hat in seinen früheren onomastischen Arbeiten von der "Ausschaltung der Wortschatzstruktur beim Namen" (v. Polenz 1960/61: 9) gesprochen, dies allerdings bezogen auf den Namengebrauch nach dem erfolgten Namengebungsakt. In der Tat ist das Bild vom "Ausschalten" der Wortschatzstruktur ein treffendes Bild für die im Nachhinein oft schlagartig erscheinende Veränderung der Bezeichnungsmotivik und -funktion von Ausdrücken im Namengebungsakt bzw. "Referenzfixierungsakt" (vgl. Wimmer 1973; 1979): Wer in einem Namengebungsakt gut motiviert mit der Berufsbezeichnung Müller (als einem Familiennamen) bedacht wird, ist möglicherweise bereits unmittelbar nach der Namengebung nicht mehr als Müller tätig (d.h. die semantischen Merkmale der Berufsbezeichnung Müller treffen nicht mehr auf ihn zu), ja selbst im Augenblick der Namengebung müssen die semantischen Merkmale nicht unbedingt auf den zukünftigen Namenträger zutreffen; es

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genügt, wenn die appellativischen Merkmale als Motive bei den Namengebern fungieren. Freilich gibt eine solche Beschreibung ("Ausschaltung der Wortschatzstruktur") nicht die tatsächlichen sprachhistorischen oder kommunikationshistorischen Verhältnisse wieder; der Weg vom Appellativum zum EN ist oft lang; der umgekehrte Weg übrigens auch. Das Phänomen des Wechsels zwischen bedeutungsvollem Appellativum und einem Sprachzeichen, das als EN im wesentlichen nur mit Bezeichnungsfunktion gebraucht wird, läßt sich aber auch aktuell beobachten, beispielsweise bei Spitznamen, Beinamen oder Übernamen. Werner Kany hat am Beispiel von "inoffiziellen Personennamen" gezeigt, wie Sprecher mit dem Wechsel von mehr prädikativ-deskriptivem Wortgebrauch zu rein referierendem EN-Gebrauch (und umgekehrt) spielen (vgl. Kany 1992). Mit der Bezeichnung Osram für einen Fußballtrainer kann nur der richtig umgehen, der weiß, daß der Kopf dieses Trainers in Erregungszuständen wie eine Glühbirne erscheint (Beispiel aus der Belegsammlung von Kany). Es ist ein Topos in der Onomastik und auch in der allgemeinlinguistischen Beschreibung von EN (vgl. z. B. Ziff 1960: 86), daß mit EN bezeichnet wird, ohne daß mit einer solchen Bezeichnung bestimmte Prädikationen über den bezeichneten Gegenstand verbunden werden; d.h. EN werden als rein referentiell, als nicht-deskriptiv angesehen. Jeder Sprecher verbindet mit dem Gebrauch von Ausdrücken wie Tisch, Stuhl, Hocker; Rappe, Schimmel (derartige Ausdrücke werden vorzugsweise in der einschlägigen Handbuchliteratur behandelt) bestimmte semantische Merkmale ('zum Sitzen', 'vier Beine', 'mit Lehne'; 'schwarz', 'weiß'); das gehört zur Sprachkompetenz der Sprecher. Anders bei EN: Die Möglichkeit, mit einem EN wie Apollo sowohl auf einen griechischen Gott wie auch auf ein amerikanisches Raumfahrtprogramm wie auch auf einen Hund (Haustier; die Reihe ließe sich fortsetzen) Bezug zu nehmen, soll gerade deshalb gegeben sein, weil EN nicht mit bestimmten semantischen Merkmalen verknüpft sind. Die Beobachtung der sog. Bedeutungslosigkeit von EN wird oft mit folgenden Hinweisen gestützt: - EN werden meistens nicht übersetzt. - EN werden normalerweise nicht in einsprachige Wörterbücher aufgenommen. Es gibt in vielen Sprachen eine relativ strikte Trennung zwischen Wörterbüchern einerseits und Namenlexika bzw. Enzyklopädien andererseits. - Das Lernen von EN-Verwendungen wird normalerweise nicht als Teil des Sprachenlernens beim Zweitsprachenerwerb angesehen.

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- EN nicht zu kennen, gilt normalerweise nicht als Mangel in der Sprachkompetenz. Daß EN als ein "Phänomen" am Rande des Wortschatzes einer Sprache angesehen werden, hängt mit all diesen angenommenen Eigenschaften von Namen zusammen. Aber kann man nicht mit meiner oben formulierten These fragen, ob EN in der individuellen Sprachkompetenz eines Sprechers nicht eine ganz andere Rolle spielen? Man mag das Experiment machen (letztlich wird man es keine zwei Stunden am Tag durchhalten), zu kommunizieren, ohne die vertrauten EN aus dem eigenen Lebenszusammenhang zu gebrauchen, ohne sie auch nur zu erwähnen. Wäre das möglich? Sind nicht die EN eigentlich das Kernstück unserer individuellen sprachlichen Orientierung in unserem alltäglichen Umfeld?

4. Der Eigenname als der Prototyp im Wortschatz Am EN hängt sich die Bedeutungsentwicklung beim Erstspracherwerb auf. Man kann darüber spekulieren, ob die sog. Einwortsätze, von denen die Spracherwerbstheoretiker sagen, sie seien der Anfang des Grammatik- und damit auch Bedeutungserwerbs der Kinder, EN sind. Aber warum eigentlich nicht? Eigennamen (Personennamen, Ortsnamen usw.) stellen den Kern des sprachlichen und "mentalen" Wissens dar, mit dem wir uns in unserer Umwelt orientieren. Wenn man "Lexikon" systematisch doppeldeutig versteht, wie es Linguisten meistens tun, nämlich als das, was einerseits im Kopf von Sprechern als Wortschatz "gespeichert" ist und was andererseits als Beschreibung dessen in Wörterbüchern aufgeschrieben ist, so kann man sich fragen, warum diese beiden Lexika so sehr divergieren sollen? Warum sollen in den aufgeschriebenen und publizierten Wörterbüchern für eine Sprache nicht auch die EN verzeichnet werden, die in unseren Köpfen eine so große Rolle spielen? Meine These ist, daß die Linguistik gut daran täte, die strikte (theoretische) Trennung zwischen EN einerseits und Appellativa andererseits aufzugeben. Der Universal-Duden nimmt ein Wort wie Isis (ägyptische Göttin) als Lemma auf. Warum nicht auch Iphigenie, die in vielen deutschen Köpfen eine größere Rolle spielt? Die Eigennamen in unserer engeren und weiteren Alltagsumgebung sind die Kristallisationspunkte für den Aufbau von Wortbedeutungen. Daß Schimmel weiß sind und Rappen schwarz, ist peripher für unser Sprachhandeln.

Empirie in der Sprachgeschichtsschreibung Hans Jürgen Heringer

Empirie und empirisch sind keine Stichwörter in den beiden monumentalen HSK-Bänden "Sprachgeschichte". Man freut sich schon, wenn man wenigstens unter Daten etwas findet wie das hohle Datenerhebungsprinzip (Band 1: 562), das nur besagt, daß man Daten erheben muß. Genaueres regeln die Datenerhebungsmethoden, die leider im Register und in den Bänden (?) nicht vorkommen. Jedenfalls ist ein Platz vorgesehen, der es mir erleichtert, tastende Schritte in den Leerraum zu tun. Man kann ja sogar froh sein, wenn der Methoden-Raum leer ist, weil weniger zu entrümpeln ist. So denkt man. Andernorts (Band 1: 797) bekommt man wenigstens den Hinweis, daß die Daten stumm sind. Also scheint es sie doch zu geben. Und auch mit der Empirie scheint es aufwärts zu gehen. Zumindest stellt Busse fest, daß die diachrone Lexikographie "in den letzten Jahren einen neuen theoretischen und empirischen Auftrieb bekommen hat" (Busse 1991: 2). 1. Die wahren Daten sind die großen Taten. Dies ist eine - vielleicht etwas vulgäre - Auffassung der allgemeinen Geschichtsschreibung. Häufig wird sie übertragen auf die Sprachgeschichte. Da war es dann Goethe, der uns Mitleid lehrte, oder Thomas Mann, der - ganz erstaunlich - den englisch-amerikanischen Ausdruck to make love als Liebe machen lehnübersetzt haben soll, oder die Mystiker, die der deutschen Sprache ganz neue Ausdrucksmöglichkeiten eröffneten, oder Freud, der eine epochemachende Betrachtungsweise einführte, oder gar der dänische Dichter Baggesen, der 1800 das deutsche Umwelt geprägt haben soll. Der neue Paul listet uns diese Helden des Deutschen dankenswerterweise im Sachregister auf, mit den Wörtern, die sie dem Deutschen geschenkt haben: Campe, Goethe, Kant, Klopstock, Lessing, Luther, Nietzsche, Paracelsus. Damit hätte man die Schöpfer von vielleicht 0,0001 Promille des deutschen Wortschatzes festgestellt. So glaubt man.

Empirie in der Sprachgeschichtsschreibung

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2. Solche Darstellungen sind zumindest windschief. Man muß sich erst einmal fragen, ob denn der Heros tatsächlich jener war, der die neue Verwendung zuerst machte. Ist es vielleicht nur einseitige Quellendiät des Sprachgeschichtsschreibers, die ihn diese Belege finden läßt? Fehlt "eine genügende Ausnutzung der Quellen" (Paul 1895: 54)? Belege gestatten sowieso keinen Schluß auf die Entstehung (Paul 1895: 59). Oder ist es die Überlieferungslage, die vielleicht jenen Heros begünstigte, so daß seine Äußerungen uns geblieben sind? Und wäre der Heros tatsächlich der Entschöpfer gewesen: Ist es dann nicht eher so, daß er eben darum der Heros ist, weil er zum vergifteten Brunnen wurde, von dem so vieles seinen Ausgang nahm? Anders gesagt: Besteht das Heroentum nicht gerade darin, in dieser Weise rezipiert zu werden? Und ist es nicht nur die Kehrseite der Auffassung, daß so vieles von jenen Geistern seinen Ausgang nahm? Nehmen wir mal an, daß die selektionale Betrachtung auch im Geistigen greift und daß wir eben hinterher erkennen und erklären, wer die Selektion so bravourös passierte. Dann sehen wir auch unseren eigenen Anteil an der Sprachgeschichte und den unserer schlichten Vorfahren. Wir sind es nämlich, die die sprachlichen Entschöpfungen erst nachschöpfen, aufnehmen, verstehen, passieren lassen. Das Verstehen und das Aufnehmen sind für ihre Existenz vielleicht wichtiger als der Schöpferwille. Innovationen werden gefunden oder gemacht, aber sie werden auch von einzelnen akzeptiert und damit erst verbreitet. Und dazu braucht es uns, die simplen Sprecherschreiber. So wie eine Schwalbe keinen Sommer, macht kein Heros einen Wandel. Fragen wie, warum die Schwalben sich einvernehmlich sammeln, warum und wieso zum gleichen Zeitpunkt, kommen der heroischen Geschichtsschreibung nicht in den Blick. Mit so vielen und so vielen Daten hat sie nichts im Sinn. 3. "Manche neuen, erfolgreichen Wortbildungen sind Schöpfungen von Einzelpersonen ..." (v. Polenz 1991: 41). Woher wissen wir das? Selbstverständlich hat immer ein einzelner ein neues Wort als erster verwendet. Gemeint ist hier aber doch, wir wüßten manchmal wer. Wer hat das Wort Besserwessi gebildet? Können wir das ermitteln? Im Zitat scheint eher gemeint, wir könnten eine Person ausmachen, mit der die Verbreitung einer Neubildung verbunden wird, einen Multiplikator also. Aber wissen wir, ob nicht vielleicht der politische Redenschreiber das

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Wort gebildet hat? Und wissen wir, wo er es aufgeschnappt hat? Die Frage ist, ob wir als Sprachgeschichtsschreiber dem überhaupt nachgehen sollen. Was wir aber sicher nicht tun sollten, ist, den Propagator zum Kreator zu erklären. Das wäre Beihilfe zur - üblichen - historischen Kumulation auf wenige Figuren. Und was wir erst recht nicht tun sollten, ist, uns in den Mittelpunkt zu stellen und unsere Schlüsse aus selektiver Lektüre zur Realität zu erheben. 4. Eine andere übliche Betrachtungsweise ist, daß alles einfach so passiert; nicht unbedingt, daß die Sprache es selber mache, sondern eine Art Naturwüchsigkeit existiere. Betrachtet werden vor allem (fiktive) Zustände, die als Ergebnisse eines Wandels aufgefaßt werden. Die Zustände sind linguistische Konstrukte. Der Wandel selbst bleibt außen vor. Dies schon, weil eine dynamische Darstellung der Sprache nicht entwickelt ist. Gradualität, Varietät, Übergänge gehören kaum zum Darstellungsbereich oder zur Kunst der modernen Linguistik. Die agenslose Auffassung der Sprachgeschichte findet sich vor allem im Bereich der Phonologie. Dies wird vielleicht als defizitärer Darstellungsmodus empfunden, weil man da schwer Handelnde und Schöpfer ausmachen kann. Anders als auf dem Gebiet der Wortbildung und Semantik. 5. Einigkeit besteht ja wohl unter Linguisten, daß die eigentlichen Daten die sprachlichen Akte der Sprecher sind. Einzelne Handlungen, historische Ereignisse also. Auf diesem Untergrund sind sprachhistorische Aussagen wie nun > mein kühn. Dieser Wandel ist im Rahmen des Lautwandels i > ei zu sehen. Und die schlichte Aussage besagt wohl: Wo früher (im 10. Jh.) die Sprecher i gesagt haben, sagen später (im 14. Jh.?) die Sprecher ei. In der Ausbuchstabierung sehen wir allerlei: (i) Es sind nicht die gleichen Sprecher, von denen die Rede ist. (ii) Es sind nur analoge Umgebungen, die in der Darstellung schematisch gleichgesetzt werden. (iii) Es sind Identitäten vorausgesetzt: die Umgebungen, die Wörter u.a. Die theoretischen Probleme, die sich daraus ergeben, wurden z.T. schon von de Saussure diskutiert. Sie können wohl in der Praxis nur schwerlich ernst genommen werden. So das Problem der großen Zahl: Wieviele Akte, - bzw. ei-Äußerungen oder Zwischendinge, wären die Basis für die unschuldige i > ei-Behauptung? Vielleicht 10'° Akte oder 10?15 Jedenfalls eine immense Zahl. Und da stellt sich doch die Frage, welcher Sprachhistoriker sich mit wievielen solcher Akte befaßt hat.

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6. Aussagen über phonetische Tatsachen sind die problematischsten nicht. Die Daten liegen vor in schriftlichen Fixierungen; die muß man nur dekodieren. Hier tun sozusagen die Sprecherschreiber die halbe Arbeit des Linguisten: Sie fassen die Vielfalt der Nuancen, die Varianten der Realisierungen schon in Grapheme. Bringen sie sozusagen auf den Begriff (ob auf den richtigen, ist eine andere Frage, die den detektivischen Spürsinn des Linguisten herausfordert). Ganz anders in der Semantik. Da gibt es kein zweites oder sekundäres Medium. Alles ist in den Wörtern. Auch ihre Bedeutung. Die Sprecherschreiber haben nur für sich selbst als Hörerleser gearbeitet. Der Semantiker steht vor dem Text wie der Ochs vorm Ölberg. 7. Die Bedeutung ist der Gebrauch. Der Gebrauch ist unüberschaubar. Also muß man ihn kondensieren. So könnte er überschaubar werden. Der praktische Nutzen besteht darin, daß jemand das Kondensat wieder verlängern oder verdünnen könnte. Das geht mit semantischen Definitionen. Scheint es. Sie geben den klugen Benutzern Ansatzpunkte, von denen aus sie weiterdenken und arbeiten können. Aber in einer semantischen Empirie geht es nicht darum, selber weiterzudenken (wenngleich dies die Strategie vieler Linguisten ist): Die Daten sollten sprechen. Oder viel besser: Zum Sprechen gebracht werden. 8. Der Kontext spielt nach allgemeiner Ansicht die entscheidende Rolle für das Verstehen wie für die Entwicklung einer Sprache. Der Kontext weise den Übergang von der Syntagmatik zur Paradigmatik. Der Kontext - so kann man annehmen - ist parole, die Bedeutung ist langue. Aber kann man zwischen langue und parole einen infinitesimalen Übergang ansetzen? Welche Beziehung besteht zwischen langue und parole? Kommen wir von einer einheitlichen Bedeutung schrittweise hinab zu einer immer feineren Ausfaltung der Polysemien, und steht an deren Ende die einzelne Verwendung und ihre Deutung? Wohl kaum. Und der Sprecher, kommt er von den einzelnen Verwendungen in kleinen Schritten zur Bedeutung? Oder sollte es zwischen langue und parole einen qualitativen Sprung geben? Die Bedeutung ist ein Verwendungspotential, die einzelne Deutung oder der Sinn gehört zur einzelnen Verwendung. Wie aber grenzt man eine Verwendungsweise von einer ändern ab? Wo liegt die Grenze? Wo passiert der Übergang von der Syntagmatik zur Paradigmatik?

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9. Eine gängige Grundannahme ist, es gebe eine Definition der Bedeutung, etwa mit zwei oder wenigen Merkmalen. Der Linguist, der tatsächliche Verwendungen untersucht, der tatsächliche semantische Entwicklungen erforscht, kann natürlich damit nicht auskommen. Vor all den Varianten und Übergängen muß er Zuflucht nehmen zur Polysemie. Aber so wird er natürlich mit den Übergängen gerade nicht fertig. Das Heilmittel selbst ist paradox: Übergänge darstellen, indem man Grenzen zieht, wo keine sind. Wenn man Sprachwandel und Sprachleben unvoreingenommen betrachtet, wenn man bedenkt, wie Bedeutungen entstehen, sich wandeln, von Sprechern gelernt werden, müßte man es für ein Wunder halten, wenn die Bedeutung eines Wortes durch eine einheitliche Definition, durch eine schlichte Definition überhaupt wiedergegeben werden könnte. Die psycholinguistischen Untersuchungen der Sprachproduktion, der Sprachrezeption, der Spracherlernung legen jedenfalls nahe, daß eine Bedeutung eher ein ganzes Netzwerk ist. 10. Einem Lexikologen sind die "differenzierten fließenden Übergänge ... nicht ganz geheuer" (Baidinger 1987: 179). Die Lexikologen aber sind die Praktiker der Bedeutung. Sie prägen nicht nur das vulgäre Verständnis von Bedeutung. Warum eigentlich werden alte Erkenntnisse nicht ernst genommen? Jacob Grimm: "Ich hoffe, es wird dem deutschen Wörterbuch gelingen, durch eine Reihe ausgewählter Belege darzutun, welcher Sinn in dem Wort eingeschlossen ist, wie er immer verschieden hervorbricht, anders gerichtet, anders beleuchtet, aber nie völlig erschöpft wird: der volle Gehalt läßt sich durch keine Definition erklären" (Grimm 1847/1969: 811). Bleibt die Frage, ob wir uns mit Exemplifikation begnügen und auf den Lernwillen der Hörerleser bauen wollen. 11. Als Gegenschlag gegen das karge Merkmalesisch hat seinerzeit Labov die Bedeutung von englisch cup untersucht. Oder hat er eigentlich Tassen untersucht? In ähnlicher Absicht hat Gipper den merkmalesischen Stuhluntersuchungen eine bunte Palette von Stuhlkandidaten gegenübergestellt und ermittelt, wieviele Sprecher in jedem Fall bereit waren, von Stuhl zu sprechen. Das Ergebnis war natürlich so sauber nicht wie die schönen Fächer der Semanalytiker. Bedeutungswandel durch Sachwandel. Analog die Trennung von Sprachgeschichte und Sachgeschichte, von Sprachgeschichte und Ideengeschichte. Bekanntlich ist die Trennung nicht ganz einfach. Denn unsere Kenntnis der Dinge wird sich auf die Bedeutung unserer Wörter nieder-

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schlagen. Wüßten wir nicht, daß Tiger gestreift sind, hätte das Wort für uns eine andere Bedeutung. Die entscheidende Frage ist, welches Wissen normalerweise dazugehört, welches wir brauchen, um die gewöhnliche Rede zu verstehen. Das sollte doch die Bedeutung sein. Was normalerweise gewußt und geglaubt wird, steht allerdings in Texten. Schlagend scheint diese Argumentation bei Gedankendingen und Institutionen. Sie sind ja nur, was wir von ihnen wissen oder glauben. Allerdings unterscheiden, ob wir von Wörtern reden oder von dem, was sie bedeuten, wollen wir auch weiterhin. In welchem Zusammenhang die Liebe auftaucht (Kapl-Blume 1988: 218), ist nicht gerade eine linguistische Frage. 12. Erst die graduelle Auffassung der Bedeutung ist in der Lage, den sanften Wandel zu verstehen. Neue Komponenten kommen nicht abrupt ins Spiel. Sie sind immer schon angelegt, werden nur wichtiger, rücken näher ins Zentrum. Die graduelle Auffassung der Bedeutung kann auch kleine Nuancen erfassen. Sie kann im Zoom auch den mikroskopischen Wandel sehen. Mikroskopie lehrt uns "que revolution est beaucoup plus complexe qu'on aurait pu le soupgonner" (Baidinger 1989: 11). Doch wer auf viele Belege schaut, bekommt leicht die Flatter. Mikroskopischer Wandel und makroskopischer sind eine Frage der Betrachtungsweise, und so sind auch Sprachgeschichte und Sachgeschichte nur unterschiedliche Betrachtungsweisen. 13. Dem historischen Semantiker bleiben als Daten nur Belege, elizitieren kann er kaum. So scheint das brennendste Problem: Wie kommt man von Belegen zur Bedeutung? Als Probanden haben historische Semantiker meist sich selbst. Sie lassen die Daten durch ihr Sprachgefühl sprechen, allerdings durch methodisch domestizierte Kompetenz. Nur, wo sind die Methoden niedergelegt? Wo untersucht? Wo validiert? Eine Bedeutung kann in Belegen bestenfalls exemplifiziert sein. Sie ist ein Kondensat aus vielen Verwendungen, aus vielen Belegen. Deshalb brauchten wir eine Beleglehre, die etwa folgende Fragen klärt: - Wie erfiltert der Linguist die Bedeutung aus einem Beleg? - Wieviel Belege braucht er, um die Bedeutung zu eruieren? - Welche Belegeigenschaften gehen in seine Beschreibung ein? - Wieviel Belege rechtfertigen die Annahme einer Bedeutung? - Wie hoch muß der Anteil entsprechender Belege im Belegkorpus sein? Und wenn wir die Extraktion beherrschen, bleibt noch die Frage, wie die Bedeutung darzustellen ist.

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14. Nehmen wir einmal an, ein Traum sei wahr geworden: Wir hätten ein distributionelles Verfahren, das aus großen Belegkorpora die Bedeutung extrahiert. Die Extraktion liefere ein Kondensat der Umgebungen, der Distribution also. Das Kondensat bestünde darin, daß zu einer Wurzel affine Wörter gegeben werden. Die Distanz dieser Satelliten zur Wurzel gebe die semantische Affinität wieder. Ein solches Kondensat sehe für lieb in Grass' Blechtrommel etwa so aus:

l a i danschia r 11

tandl ich

liebestoll

Abb. l LIEB bei Grass, n = 300 Das distributive Bild ist deutungsfähig und interpretationsbedürftig. Die Wurzel lieb spielt ihre Rolle vor allem in Liebe und lieben, die ihr sehr nahe stehen und als ihre wichtigsten Manifestationen angesehen werden können. Viele Satelliten sind plausibel, etwa leidenschaftlich, liebestoll, ungeniert; wir deuten sie als Charakteristika der Liebe. Andere sind verblüffend: Was haben Radieschen mit Liebe zu tun? Was Jazzmusikert Andererseits glauben - Liebe - Hoffhungl Und außerdem Gott, das eine Komponente andeutet, die in den meisten Wörterbucherklärungen vorkommt. Hier ganz ohne Syntax, Objekt oder Subjekt zu lieb. Das entspricht einem üblichen Verständnis. Denn Gott ist sowohl Subjekt als auch Objekt der Liebe, wie es in der Ambivalenz von Gottesliebe zu Tage tritt.

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15. Es scheinen bei Grass zwei konträre Komponenten der Liebe eine Rolle zu spielen: einerseits die Dimension der Leidenschaft und der sexuellen Liebe, andrerseits die spirituelle Liebe. Was aber haben Matzerath, Oskar und Maria mit lieb zu tun? Was mit der Bedeutung von lieb! Ist das nicht grass-spezifisch und weniger für die deutsche Sprache relevant? Wir sind uns hier ganz sicher. Wir, die klugen Semantiker, wissen, daß diese Beziehung sich nicht als Sinnrelation niedergeschlagen hat. Wir können an diesen Stichwörtern den Grass-Plot identifizieren, und wir wissen, daß der nicht einen neuen Idealtypus der Liebe geschaffen hat. Wir wissen viel. Andrerseits: Was hat das alles überhaupt mit der Bedeutung von lieb zu tun? Ist der Übergang von der Deutung zur Bedeutung nur eine Frage der Häufigkeit? Gibt es eine direkte Bedeutungsinfektion durch Textnachbarn? Der Weg vom bloßen Kontakt zur Infektion ist nicht exploriert. Aber noch einmal: Was haben Radieschen mit lieb zu tun? Auch hier vermuten wir Idiosynkratisches. Dies ist die Stelle, die durchschlägt: "Und aus lauter Liebe nannten sie einander Radieschen, liebten Radieschen, bissen sich, ein Radieschen biß dem anderen das Radieschen aus Liebe ab. Und erzählten sich Beispiele wunderbarer himmlischer, aber auch irdischer Liebe zwischen Radieschen und flüsterten kurz vorm Zubeißen frisch, hungrig und scharf: Radieschen, sag, liebst du mich? Ich liebe mich auch. Aber nachdem sie sich aus Liebe die Radieschen abgebissen hatten und der Glaube an den Gasmann zur Staatsreligion erklärt worden war, blieb nach Glaube und vorweggenommener Liebe nur noch der dritte Ladenhüter des Korintherbriefes: die Hoffnung." In unserem Korpus ist die Infektion durch diese Passage möglich. Denn 300 Belege sind nicht viel. Da schlagen nicht nur Vorlieben durch, sondern tatsächlich das Gesagte. Nur hat das Gesagte eben viel mit der Bedeutung zu tun. Je öfter mit einem Wort das Gleiche gesagt wird, umso mehr wird es zur Bedeutung. Anders kann man sich die Genese von Bedeutungen doch kaum vorstellen. Würden Radieschen immer wieder mit Liebe in Zusammenhang gebracht, würde die Liebe schärfer. Für das Deutsche haben die paar Grass-Belege allerdings wirklich nicht viel zu sagen.

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Mann

•Lieben&uürd igke i t

Neigung

Herz

gut

grop

Abb. 2 LIEB bei Goethe, n = 3000 16. Goethes Stern sieht anders aus. Er stellt uns neue Fragen. Erst einmal bekommt das Herz sein Recht, und die Neigung. Und wir verstehen gut die Nähe von allerliebst, lieblich und liebevoll zu lieb. Von Geschlechtlichkeit ist wenig zu spüren. Wir dürfen die Satelliten nicht falsch deuten: Liebhaber und Liebhaberei sind Goethisch, nicht sexuell aktiv. Die Satelliten sprechen nicht ohne weiteres unsere Sprache. Sie gehören der Zeit an. Eine scheinobjektive Metasprache gibt es hier nicht. Die Sterne sind nicht stumm, sie sprechen zu uns. Aber wir wissen nicht recht, was sie sagen. Dreihundert Belege bei Grass, könnte das in irgendeinem Sinn repräsentativ sein für unsere Zeit? Nach der Zahl natürlich nicht; aber auch prinzipiell nicht. Denn die Basis, für die repräsentative Aussagen gelten sollten, ist uns nicht gegeben. Wir kennen sie nicht, und strenggenommen gibt es sie vielleicht nicht, weil die Bedeutung doch ein Potential ist. Trotzdem finden wir gängige Bedeutungszüge bei Grass und auch bei Goethe, jeweils vermengt oder gewürzt mit individuellen Zügen. Wenigstens verstehen wir es so. Wo die Grenzen liegen, wissen wir aber nicht.

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17. Dreitausend Belege bei Goethe. Ist das schon eher zeitspezifisch? Aber wann wird es zeitspezifisch? Naheliegend ist auch hier, ein repräsentatives Korpus zugrundezulegen, das für den untersuchten Zeitraum angemessen ist. Nur dies ist grundsätzlich unmöglich, sieh oben. Also bleiben Annäherungen. Soviel X, soviel Y: Soviel Grass, soviel Goethe; soviel Tageszeitung, soviel Wissenschaft. Aber wieviel Grass? Wieviel Wissenschaft, welche Wissenschaft, welche Linguistik? Viele empirisch orientierten Semantiker glauben mittlerweile, man müsse sich auf einzelne Korpora beschränken. Übergreifende Aussagen seien unmöglich. Mir scheint das aber zum einen eine graduelle Frage. Und wenn man weiterdenkt, käme man ohne Kriterium auf den einzelnen Beleg. Zum ändern sollten wir bedenken, daß wir nicht klüger sind als unsere Ergebnisse. Wir wissen eben nicht vorher, wie die Ergebnisse aussehen sollten. Wir müssen aus ihnen lernen. Eine ganz andere Frage ist, ob denn je ein Sprachhistoriker 3000 Belege ausgewertet hat. Und auch, wie er dies methodisch abgesichert getan haben könnte. Ist es nicht eher so: Ein Sprachhistoriker schaut sich einige typische Belege an. (Woher weiß er, was typisch ist?) Ein Sprachhistoriker schließt nach seiner Kompetenz, inwiefern das Stichwort in diesen Belegen anders zu deuten ist als heutzutage, und wie es anders zu deuten ist. Letztlich ist er darauf angewiesen, die Sprache jener Zeit zu lernen, und damit kann er die Ausdrücke dann verstehen und uns erklären. "Einen grossen Vorteil hat das Sprachgefühl zunächst dadurch, dass darin unmittelbar die usuelle Bedeutung ... gegeben ist, während in den Sprachdenkmälern eine occasionelle Verwendung vorliegt, aus welcher das Usuelle auszuscheiden nicht immer leicht, mitunter unmöglich ist" (Paul 1895: 61). Eine methodische Kontrolle könnte nur darin bestehen, daß wir gemeinsam auf die Belege zurückgehen. Auch die Kontrolleure müssen lernen. Die Ergebnisse beurteilen kann letztlich nur der, der die dazugehörige Sprache kann. Ich denke, da könnten uns die distributiven Bilder schon helfen. Aber letzten Halt gibt uns nichts.

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Lieb l ir»o

l iabaisol l

grop l i et. l Icll

Abb. 3 LIEB bei Mann, n = 8000 18. Auch Thomas Mann atmet nicht den Geist von Grass, beileibe nicht. Wenngleich sie fast Zeitgenossen sind. Da ähnelt Mann schon eher Goethe. Nicht umsonst kommt Goethe hoch, und viele liebe Bekannte: Liebhaber, liebenswürdig, Vorliebe, liebevoll, Freund. Aber hier endlich Tod. Ein ganz anderer Aspekt der Liebe. Was einem da alles einfallt. Und dann natürlich Won. Die Liebe zum Wort? Ja, aber nicht nur. Denn auch Liebe ist nur ein Won. Und dann Worte der Liebe und liebe Wone. Das Amalgam der beiden in der Idee der Literatur als Weg zur Liebe und der erklärenden Macht der Sprache. Der Liebesverbalismus gipfelt in Wone als Äquivalent der Liebe und Orgasmus des Gehirns. Hier fügt sich auch Geist ein. Einmal der Gegensatz von Geist und Liebe, Geschlecht und Geist; dann stärker die Überhöhung der Liebe durch den Geist. Des Geistes Werk sichert der Liebe eine höhere Vereinigung. Insgesamt charakterisiert das Umfeld die Liebe als recht abstrakt und eher begrifflich, machen finden wir nicht. Das war ja sowieso ein Einzelbeleg, der nach unsrer Überzeugung kaum auf die Bedeutung von lieb bei Mann durchschlagen sollte.

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Nach*t· lleb·

Liebespaar

Abb. 4 LIEB Zeitung 1987, n = 3000 19. Wenn wir moderne deutsche Sprache untersuchen, kommen - anders als bei den Dichterfürsten - Mann und Frau beide wieder vor mit lieb, und wir können wohl auch davon ausgehen, daß wir verstehen, was mit Liebhaber gemeint ist. Es spricht nichts dagegen, beide Aspekte mitschwingen zu lassen: den Liebhaber der Frauen bis hin zu dem, der den Gatten meuchelt. Und auf der anderen Seite der eher übertragene Gebrauch in Liebhaber der Künste und der Dichtung bis zur Liebhaberei als bloßem Hobby. Insgesamt steht hier der Mensch im Mittelpunkt, die Nächstenliebe erscheint als wichtiger Aspekt der Liebe. Der ganze Stern bestätigt jene nicht, die glauben, in unserer Zeit stehe der sexuelle Aspekt im Vordergrund. Übrigens ist uns groß schon öfter untergekommen. Es bietet nicht ein Merkmal der Liebe, sondern eröffnet sozusagen eine Dimension, in der es üblich ist Liebe zu beurteilen: Die Liebe kann groß sein oder nicht. Und das ist wichtig. Die große Liebe ist das Thema, der schöne Traum der Berichte und Stories.

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Tod trank

Uorlieba

Li ebesschul·

Kl

inter·ssicrl

He tMat

Abb. 5 LIEB im STERN 1989, n = 1000 20. Wir kommen hier wieder auf den Boden der Tatsachen. Einmal ist die Familie versammelt. Die Liebe hält Mann und Frau zusammen, und sie erstreckt sich auch auf die Kinder, vielleicht nur, weil die auch lieb sein können. Sollen wir besonders vermerken, daß hier nicht Mann, sondern Männer erscheint? Sollte die Beziehung der Geschlechter pluralisiert sein: eine Frau - mehrere Männer? Vorsicht bei der Deutung. Aber das könnten viele im Zug der Zeit sehen. Bemerkenswert ist, daß nicht stillschweigend die Dauer der Liebe vorausgesetzt scheint, sondern auch die kürzeren und weniger tiefen Aspekte hervortreten, die in verliebt und Verliebtheit angesprochen sind. Erstaunlich demgegenüber, daß auch hier Tod auftaucht. Diesen tragisch-romantischen Zug hätten wir im "Stern" vielleicht nicht erwartet. Ebensowenig das Riskante der Liebe, wie es in Test zum Ausdruck kommt. Die andere Botschaft des "Stern" ist: Liebe geht durch den Magen. Sie manifestiert sich im Lieblingsgericht und in der Lieblingsspeise.

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21. Die letzten beiden Sterne waren für jene gedacht, die nicht der Meinung sind, der sprachliche Markt laufe in der Literatur. Die erste Freude, die uns überkommt, ist, daß endlich Frau die Bühne betritt. Aber keine falsche Freude. Es bleibt die Frage, in welchem Sinn die Bedeutung etwas über die soziale Realität besagt, in welchem Sinn sie diese formt. Ist es nicht so, daß lieb hier eine etwas andere Bedeutung hat und ein Phänomen bezeichnet, bei dem die Frauen eine Rolle spielen oder eine andere Rolle als bei dem Goetheschen Phänomen? Beim heutigen Liebesphänomen spielten die Frauen damals eine ähnliche Rolle. Nur gehen die Fragen weiter. Das heutige Phänomen gab es vielleicht damals nicht. Wie sollten wir über es etwas wissen, wenn wir keine Texte, keine Wörter finden? Das damalige Phänomen gibt es vielleicht heute nicht. Nicht umsonst ist das Wort als kommunikativer roter Leitfaden identisch geblieben. Es hat sich nur gewandelt. Und mit seiner Wandlung hat sich die soziale Realität gewandelt. Die Annahme, die heutige Liebe habe es immer schon gegeben, ist schlicht dogmatisch, falsch und geschichtlicher Imperialismus. 22. Die Sterne führen uns vor Augen, daß die Betrachtung sprachimmanent bleiben muß, und weitgehend auch zeitimmanent. Einen objektiven Standpunkt außerhalb jedenfalls gibt es nicht. Eine übergreifende Semantiksprache ebensowenig. Darum bewegt sich auch am Rand des Unsinns, wer den Liebesbegriff untersuchen will. Die Frage, welches Wort um 1800 die Bedeutung des heutigen lieb hatte, ist Unsinn. Ein Unsinn wie die Frage, was Macbeth zwischen dem zweiten und dem dritten Akt gemacht hat. Der Königsweg ist der Vergleich. Interessant ist beispielsweise die Frage, warum bei Goethe das Verb der Wurzel lieb so viel näher steht als das Substantiv. Steht bei Goethe - im Gegensatz zu den anderen - der aktive Aspekt mehr im Vordergrund? Oder zieht eine großtheoretische Erklärung wie, das Substantiv bringe das Phänomen auf den Begriff, es folge historisch dem Verb und um 1800 werde vieles auf den Begriff gebracht. Oder gibt es eine andere Erklärung? Der Vergleich könnte uns auch dazu verleiten, den Durchschnitt zu bilden und all die schönen Einzelheiten zu verdampfen. Das Ergebnis wäre dies:

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Liebe-

LIEB

-l i eben

Abb. 6 Durchschnitt aller Sterne Ist das die Bedeutung von lieb! Das wäre etwas ärmlich, zu klein selbst als gemeinsamer Nenner. Immerhin bringt schon die Beschränkung auf die neueren Texte ein kleines bißchen mehr, aber Wichtiges: Die Frau im Fokus der Liebe.

-l leben

Abb. 7 Alle Texte 20. Jahrhundert

Empirie in der Sprachgeschichtsschreibung Die literarischen Texte bringen noch mehr Gemeinsamkeiten:

Liebenswürdigkeit sagen lieblich . iebhab«

Uorliebe

Freund

Abb. 8 Goethe und Mann Die geistige Verwandtschaft zeigt sich in der Fülle.

liebeuoll l ieben Liebe-j

Freund

Abb. 9 Alle literarischen Texte

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23. Allerdings sollte man solche Manipulationen nicht überbewerten. Die Bedeutung ist nie ein Durchschnitt. Dann wäre sie zu oft leer. Was würde uns daran hindern, die Bedeutung als Vereinigung zu sehen? Die Tendenz semantischer Methodik ist die Beschränkung. Durch Beschränkung werden viele Probleme gelöst. Ein verdrängtes Problem ist die historische Datenarmut. Ein zweites ist der Mangel an Methode, der uns nicht merken läßt, daß wir nicht wissen, wie man Bedeutungen bestimmt. Ein drittes sind schließlich dogmatische Überzeugungen: Die Bedeutung ist etwas Festes, Angebbares. Aber wäre dann der Wandel nicht unmöglich? Die Bedeutung ist einfach und klar geschnitten. Aber wie sollte sie das sein? Doch wohl nur, wenn man den Gebrauch sehr weit einkocht. Einkochen aber bedeutet Vitamin- und Aromaverlust, es erzeugt etwas ganz anderes. (Marmelade ist kein Obstsalat.) 24. Wenn die unsichtbare Hand in der bisherigen Sprachgeschichtsschreibung nicht sichtbar wurde, so nicht, weil sie wirklich nicht zu sehen wäre. Es liegt vielmehr daran, daß wir nicht richtig kucken. Worum es geht, ist, die wahren Daten zu betrachten und den Mythos vom Sprachwandel durch intentionale Taten aufzulösen, zum Verschwinden zu bringen oder zu destruieren. Ein Weg dahin ist: Wir sollten uns vor dürren Konstrukten hüten und uns weniger mit unseren bescheidenen Erfahrungen zufrieden geben. So bliebe zu hoffen, daß auch der Jubilar vor dem nächsten Jubiläum diese Ansätze nicht mehr im Konjunktiv darstellt, sondern wie die traditionellen im Indikativ, und dann vielleicht sogar den Mythen den verdienten Konjunktiv reserviert.

Anmerkung Die überwiegende Zahl meiner Belege verdanke ich dem Institut für Deutsche Sprache. Hoffentlich haben Sie den Eindruck, der schöne Service zahlt sich wissenschaftlich aus.

Zwischen Modernität und Tradition Die Anfänge der Leserbriefkommunikation in der Zeitung Ulrich Püschel

1. Mediengeschichte und Sprachgeschichte In seinen Überlegungen zum Zusammenhang von Mediengeschichte und Sprachgeschichte betrachtet Peter von Polenz die Mediengeschichte "als vermittelndes Glied zwischen der sozialgeschichtlichen Fundierung von Sprachgeschichte und Textsortengeschichte" (v. Polenz 1991: 1). Diesen Zusammenhang skizziert er in einem groben historischen Überblick, wobei für die Mitte des 19. Jahrhunderts überdeutlich zu erkennen ist, wie technische und kommerzielle Innovationen im Medienbereich und deutsche Sprachgeschichte zusammenspielen (ebd. 5). Doch speziell die Veränderungen und Entwicklungen in der deutschen Tageszeitung, die mit dem Beginn der vierziger Jahre einsetzen, lassen sich nicht geradlinig mit den genannten Faktoren erklären. Vielmehr sind hier auch die rigiden Zensur- und Unterdrückungsmaßnahmen in Rechnung zu stellen, die erst kurz vor der Jahrhundertmitte in ihrer Wirksamkeit nachlassen und mit der Märzrevolution grundsätzlich in Frage gestellt werden.' Auch wenn die Zeitung bis in die vierziger Jahre eine reine Nachrichtenpresse ist, in der Ereignisse nur berichtet und nicht kommentiert werden dürfen, finden sich schon im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, aber auch punktuell in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Ansätze und Bestrebungen, das Gesicht der deutschen Tageszeitung hin zur Meinungspresse zu verändern (vgl. Püschel 1991a: 428ff). Dabei darf durchaus vermutet werden, daß zumindest bis zum letzten Drittel des 18. Jahrhunderts die Nachrichtenpresse den Leserbedurfnissen entspricht (Welke 1981). Denn der Forderung nach Diskussion politischer Fragen in der Öffentlichkeit und darüber hinaus der Wunsch nach Teilnahme an dieser Diskussion setzt die Herausbildung eines räsonierenden Publikums voraus, das sich in Deutschland erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahr-

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hunderts etabliert hat. Dementsprechend hätte sich die Zeitung im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts sehr wohl zu einem Forum der öffentlichen Meinungsbildung2 und Diskussion entwickeln können, wenn dieser Prozeß nicht unterdrückt worden wäre. Das Ende dieser "mediengeschichtlichen Retardierungsphase" (v. Polenz 1989: 27) - soweit sie direkt durch die Zensur bewirkt wird - läßt sich sehr genau datieren: Am 24. Dezember 1841 lockert das Königreich Preußen die Zensurgesetzgebung. Damit ist im Prinzip der Weg frei für tiefgreifende Veränderungen in der Zeitungskommunikation, die ihre Spuren - wenn auch vielfach gebrochen und durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflußt - bis heute hinterlassen haben.3 Ab jetzt mischen sich die Zeitungen offen in "allgemeine Angelegenheiten" ein, indem sie beginnen, über brisante Themen zu berichten und zu räsonieren - sie werden "zur Verkünderin und Macherin der öffentlichen Meinung" zugleich (Groth 1963: 118). Vor allem die liberalen Zeitungen profilieren sich als Organe der öffentlichen Meinung und vertreten kämpferisch Interessen des liberalen Bürgertums, aber auch ärmerer Bevölkerungsschichten. Die neuartige Berichterstattung - so entsteht beispielsweise eine Lokalberichterstattung - und das Aufkommen des Räsonnements fuhren zu Veränderungen bei den berichtenden Textsorten und zur Etablierung kommentierender Textsorten. Außerdem öffnen die Zeitungen ihre Spalten für kontroverse Diskussionen, an denen sich auch schreibende Zeitungsleser beteiligen, weshalb das Jahr 1842 als das Geburtsjahr des Leserbriefs in der deutschen Zeitung bezeichnet werden kann. Otto Groth hat die Situation unmittelbar vor und während der Märzrevolution 1848 mit den Worten umrissen: "Volk und Journalisten diskutieren gemeinsam in der Presse" (Groth 1963: 119). Das ist gewiß eine sehr vereinfachende und idealisierende Beschreibung der Situation - was heißt in diesem Zusammenhang beispielsweise Volk oder was diskutieren! Um solche Fragen zu klären, empfiehlt es sich, die Liste der Stichwörter 'sozialgeschichtliche Fundierung', 'Textsortengeschichte' und 'Mediengeschichte' um das Stichwort 'Medienkommunikation' zu erweitern. Dann kommen nämlich explizit die Handlungsbeteiligten und ihre Sprachhandlungen in den Blick (vgl. v. Polenz 1988: 328ff), denen mit den Mitteln eines sprachpragmatisch-stilistisch und satzsemantisch orientierten Analyseverfahrens nachgegangen werden kann. Dies werde ich am Beispiel einer frühen Leserbriefkommunikation tun, wobei ich zuerst nach den unmittelbaren Handlungsbeteiligten frage

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(Kap. 3) und nach der Art von Kommunikation, die sie miteinander führen (Kap. 4). Im Anschluß daran wird das Textmuster, dem die Schreiber folgen, genauer untersucht (Kap. 5). Abschließend geht es noch um die stilistische Flexibilität, mit der die Schreiber ihre kommunikativen Aufgaben bewältigen (Kap. 6). Doch zuerst stelle ich noch das Material vor, das ich für meine Einzelfallstudie benutze.

2. Das Material Die Leserbriefkommunikation stammt aus der "Trier'sehen Zeitung" (TZ), die zu Beginn der vierziger Jahre zu dem etwa Halbdutzend liberaler Zeitungen in Preußen, ja in Deutschland gehört. Nun wäre die Behauptung übertrieben, daß mit der Lockerung der preußischen Zensur in den Zeitungen alle Dämme gebrochen wären. Denn einerseits ist die Zensur keineswegs abgeschafft, und andererseits müssen sich die Herausgeber ganz offensichtlich auf die neue Lage erst einmal einstellen, wie die folgende Bemerkung in der TZ belegt: (1) Seitdem durch die Circular=Verfügung vom 24. December v. J. für die Besprechung öffentlicher Angelegenheiten eine größere Freiheit gegeben ist, zeigt sich in unseren Zeitungen ein überaus reges Leben. Zwar haben die Redactionen derselben sich noch nicht entschlossen, ihren Lesern, wie man es allgemein erwartete, fortlaufend raisonnirende Artikel zu liefern, und sie scheinen dabei (die "Vossische Zeitung" wenigstens hat dies deutlich ausgesprochen) von der Ansicht auszugehen, daß es bei den jetzigen Verhältnissen, ungeachtet der durch die erwähnte Verfügung gegebenen Erlaubniß, immer noch sowohl an Stoff zu öffentlichen Besprechungen, als an der nöthigen Freiheit der Behandlung der wenigen sich von selbst darbietenden Gegenstände fehlt [...] (TZ Nr. 70 vom 13. März 1842) Was für die Herausgeber gilt, gilt natürlich auch für die Leser, denen erst ein Bewußtsein davon vermittelt werden muß, daß sie nun ihre Meinung zu strittigen Themen in der Zeitung in Form von Leserbriefen4 äußern können; so ruft die TZ beispielsweise ausdrücklich zur Meinungsäußerung auf: (2) Wohl aber wäre es zu wünschen, daß sich recht viele Stimmen vom Lande in den Tagesblättern über diesen Gegenstand äußern würden. (TZ Nr. 301 vom 5.11. 1842)

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Von diesem noch sehr unterentwickelten Bewußtsein zeugt auch die Tatsache, daß sich in der TZ von 1842 zwar mehrfach Texte finden, die mit dem Vermerk "Eingesandt" versehen oder namentlich gezeichnet sind, bei denen es sich also um Leserbriefe handelt. Aber alles in allem gibt es in diesem Jahrgang nicht einmal eine Handvoll von Diskussionen, an denen sich Leser beteiligen. Zudem betreffen solche Leserbriefkommunikationen Themen wie den Wert oder Unwert von Wallfahrten, die Lehrerbesoldung oder die Unsitte, sich während der Weinlese auf den Weingütern als ungeladener Gast verköstigen zu lassen. Die kontroverse und öffentliche Behandlung dieser Themen war aus unterschiedlichen Gründen wohl relativ unproblematisch.5 Offenbar haben aber die TZ und einige ihrer Leser bis zum Herbst 1842 Mut und Erfahrung gesammelt, denn im November und Dezember finden sich zwei scharfe Auseinandersetzungen über politisch und sozial brisante Themen. Die eine betrifft die Einführung einer neuen Gemeindeordnung in den linksrheinischen preußischen Provinzen (dazu Püschel 1991c), die andere den Pauperismus und speziell die mangelhafte Versorgung der ärmeren Bevölkerung mit Brennholz. Die wirtschaftliche Not und die Verelendung der Winzer und Bauern an Mosel und Ahr, in Eifel und Hunsrück ist eines der ersten Themen, über die die TZ im Jahr 1842 kontinuierlicher zu berichten beginnt. Zugespitzt auf die mangelhafte Holzversorgung der Bevölkerung wird das Thema am 8. November zum Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung. Diese Leserbriefkommunikation umfaßt insgesamt 10 Artikel, die von sieben Personen stammen. Fünf davon sind anonym (sie werden mit Buchstaben bezeichnet); die sechste Person ist der Herausgeber der TZ (Dr. Friedrich Walthr), der einen von F stammenden Artikel nachgedruckt hat; als siebte Person ist der Oberpräsident der Rheinprovinz mit Sitz in Koblenz zu nennen, der seinen Artikel auch mit dieser Funktionsangabe gezeichnet hat. Der folgende Überblick, an den sich noch einige Erläuterungen anschließen, soll grob über den Gang und Inhalt der Leserbriefkommunikation orientieren: (3) Die Leserbriefkommunikation zum Thema 'Brennholzmanger in der "Trier'schen Zeitung" 1842 Tl: Nr. 304 vom 08.11. A ERÖFFNET die Leserbriefkommunikation und MACHT das Thema 'Brennholzmangel' ÖFFENTLICH, indem er über die mangelhafte Versorgung mit Brennholz in Hillesheim BERICHTET. A MACHT die Obrigkeit dafür VERANTWORTLICH.

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T2: Nr. 308 vom 12.11. B ERWIDERT auf Tl, indem er A ANGREIFT; B WEIST die Beschuldigung der Obrigkeit ZURÜCK und MACHT den Holzwucher VERANTWORTLICH. T3: Nr. 309 vom 13.11. C BERICHTET ERGÄNZEND, indem er über den Mangel an Brennholz in den Schulen BERICHTET. C MACHT ebenfalls die Obrigkeit dafür VERANTWORTLICH. T4: Nr. 316 vom 20.11. A ERWIDERT auf T2, indem er B ANGREIFT und SICH VERTEIDIGT. A NIMMT dabei auch BEZUG auf T3. T5: Nr. 323 vom 27.11. D ERWIDERT auf T4, indem er A ANGREIFT; D WEIST ebenfalls die Beschuldigung der Obrigkeit ZURÜCK und MACHT die vom Holzmangel Betroffenen selbst für ihre Notlage VERANTWORTLICH. D NIMMT dabei auch BEZUG auf Tl und T3. T6: Nr. 325 vom 29.11. E BERICHTET ERGÄNZEND, indem er weitere BEISPIELE für die Notlage der Bevölkerung GIBT und BEHAUPTET, daß die Forstbeamten durch ihr Verhalten die Situation noch verschärfen würden. T7: Nr. 328 vom 02.12. A ERWIDERT auf T5, indem er D ANGREIFT und SICH VERTEIDIGT. T8: Nr. 334 vom 08.12. E WIDERRUFT seine Behauptung über die Forstbeamten in T6. T9: Nr. 342 vom 16.12. Der Herausgeber der TZ WEITET das Thema AUS, indem er den Artikel von F aus der "Rheinischen Zeitung" NACHDRUCKT, in dem F Vorschläge zur Linderung des Holzmangels macht. T10: Nr. 345 vom 19.12. Der Oberpräsident der Rheinprovinz GREIFT einen Artikel in der "Rheinische Zeitung" AN und BEDROHT dessen Verfasser. Er BEENDET damit zugleich die Leserbriefkommunikation. ERÖFFNET wird die Diskussion mit dem BERICHT der Person A über die mangelhafte Holzversorgung in der Gemeinde Hillesheim (Tl). Daß wir es hier mit dem ERÖFFNUNGSZUG in einer Leserbriefkommunikation zu tun haben, wird allerdings erst klar, wenn vier Tage später die ERWIDERUNG von B erscheint. Die eigentliche Kontroverse entwickelt sich zwischen A und seinen beiden Kontrahenten B und D, wobei nicht die mangelhafte Holzversorgung und die Notlage der ärmeren Bevölkerungs-

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teile strittig ist, sondern die Frage der Schuldzuweisung. Die Personen C und E mischen sich nicht unmittelbar in diesen Streit ein, sondern BERICHTEN ERGÄNZEND,6 wobei sie allerdings mit ihren Berichten die kritische Sichtweise von A STÜTZEN (T3, T6 und T8). Text T9 ist der NACHDRUCK eines einschlägigen Artikels aus der "Rheinischen Zeitung", mit dem ebenfalls ERGÄNZEND BERICHTET wird. Mit diesem Artikel GREIFT der Herausgeber Walthr also sichtbar in die Diskussion EIN - ein Indiz dafür, daß Leserbriefe und redaktionelle Beiträge noch nicht voneinander getrennt werden.7 Der Artikel des Oberpräsidenten (T10) ist ein scharfer ANGRIFF gegen einen Artikel in der "Rheinische Zeitung", dessen Verfasser dazu aufgefordert wird, seine Anschuldigungen gegen die Obrigkeit zu beweisen und außerdem aus der Anonymität herauszutreten. Vordergründig gesehen, gehört dieser Artikel nicht zur beschriebenen Leserbriefkommunikation, tatsächlich BEENDET er sie aber. Zwar sieht es so aus, als ob sich der Oberpräsident ebenfalls mit einem Leserbrief in den öffentlichen Diskurs einschaltet, aber als Vertreter der Obrigkeit ist er nicht einfach ein räsonierender Bürger, der nur eine andere Meinung vertritt. Sein Artikel ist kein Zug unter anderen in der öffentlichen Auseinandersetzung, sondern er zielt auf Einschüchterung und Unterdrückung kritischer Äußerungen in der Zeitungsöffentlichkeit. Auf jeden Fall erscheinen nach der obrigkeitlichen "Verlautbarung" keine Leserbriefe mehr.8

3. Die anonymen Handlungsbeteiligten

Anders als heutzutage sind die frühen Leserbriefe - wie auch die übrigen Artikel - nicht namentlich gezeichnet. Es liegt auf der Hand, daß diese Anonymitat auch dem Schutz der Schreiber dient, vor allem wenn sie sich kritisch gegen den Staat und seine Vertreter äußern. Natürlich ist die Anonymitat der Obrigkeit ein Dorn im Auge, und deshalb verwundert es nicht, daß der Oberpräsident in T10 gerade die Anonymität nutzt, um den Verfasser eines kritischen Artikels zu diskreditieren: (4) [...] sollte der Herr Verfasser Anstand nehmen, aus seinem anonymen Dunkel hervorzutreten, so würde ich zu meinem Bedauern in dem Falle sein, den ganzen Artikel als eine böswillige Verläumdung zu bezeichnen [...] (T10) Die Anonymität der Verfasser wirft aber ganz allgemein die Frage auf, wer die Beteiligten an solchen Leserbriefkommunikationen sind. Für die TZ bekommen wir auf diese Frage keine genaue Antwort, sondern blei-

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ben auf Vermutungen angewiesen.9 Auch darüber, wer im Jahre 1842 aus der Trierer Region in der TZ berichtet, gibt es lediglich Vermutungen. So nennt Wilhelm Becker als ziemlich wahrscheinlich den Trierer Arzt Dr. Schleicher - "ein enragierter Republikaner" (Becker 1920: 9) und den Staatsprokurator Schornbaum. Der Weingutsbesitzer Friedrich Herrmann aus Mühlheim an der Mosel soll der älteste lokale Mitarbeiter der TZ gewesen sein (ebd. 10). Ärzte, Gutsbesitzer, Beamte, gewiß auch Rechtsanwälte - also Vertreter des liberalen und gebildeten Bürgertums10 - sind also die ersten Mitarbeiter der TZ; aus diesem Personenkreis werden auch die Leserbriefschreiber stammen, die sich zum Thema 'Holzmangel' äußern, und es ist nicht ausgeschlossen, daß der eine oder andere von diesen Schreibern vom schreibenden Privatmann zum ständigen Korrespondenten der TZ aufgestiegen ist." Partiell stützen lassen sich die Vermutungen über den sozialen Status und den Berufsstand der Leserbriefschreiber mit vereinzelten Hinweisen in den Texten. Wenn sich beispielsweise A in Tl als Augenzeuge präsentiert, der die Not in den Hütten der Armen aus eigener Anschauung kennt, liegt die Annahme nahe, daß er Arzt ist (vgl. Zitat (12)); in T7 findet sich dann die Bestätigung dieser Annahme, wenn A die Ärzte wegen ihrer Kenntnis der allgemeinen Not als seine Zeugen aufbietet und sich ausdrücklich zu dieser Berufsgruppe zählt (vgl. Zitat (15)). Auch vom Schreiber von T3 wissen wir genaueres, da von ihm in T4 gesagt wird: (anscheinend) ein Beamter. Für die Richtigkeit dieses Hinweises spricht zudem gehäuftes Auftreten behördensprachlicher Elemente in T3: komprimierte Formulierungen wie Der Verfasser des die lauterste Wahrheit enthaltenden Aufsatzes oder dieselben an der ihnen zustehenden Nutznießung wider Gebühr hingehalten sieht, Gebrauch der Demonstrativpronomen dieselben, derselbe, denselben und der Konjunktion deßhalber sowie das attributiv gebrauchte desfällige. Außerdem hat er offenbar genaue Kenntnis der amtlichen Verfügungen und weiß darüber hinaus, wo Behörden gegen diese Verfügungen verstoßen haben. Wie solche Belege zeigen, entstammen die Handlungsbeteiligten nicht nur der vor allem auf dem Lande schmalen Schicht des Bürgertums, sondern gehören einem wohl eher kleinen Kreis politisch Engagierter an, dessen Mitglieder sich zumindest teilweise kennen und trotz aller Anonymität der Zeitungsartikel wissen, wer da schreibt. Dies bestätigt auch T7, wo es heißt: daß nach dem Ausdrucke eines alten H. f=HillesheimerJ Bürgers, der selbst bei jenem Hrn. Verfasser {= Schreiber D von T5J in hoher Achtung steht, die Gemeinde ruinin worden wäre.

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4. DISKUTIEREN im öffentlichen Diskurs Auch wenn - wie bereits erwähnt - das Bewußtsein davon, daß sich jeder in der Zeitung zu öffentlichen Angelegenheiten äußern darf, im Jahre 1842 noch nicht allzu weit verbreitet ist, so ist es gewiß bei den Handlungsbeteiligten an der Leserbriefkommunikation vorhanden. Die Schreiber verstehen sich als Teilnehmer am öffentlichen Diskurs, was zum Beispiel B in T2 ausdrücklich THEMATISIERT: wenn man in der jetzt eröffneten Discussion über öffentliche Angelegenheiten [...] Und E BERUFT sich in T8 AUF dieses Verständnis, um zu ERKLÄREN, warum er T5 geschrieben hat: (5) Die in der letzten Zeit immer allgemeiner gewordene öffentliche Besprechung aller, das Wohl des Volkes berührenden Angelegenheiten hatte auch uns veranlaßt, Ihrem Blatte einen Artikel einzusenden. «7-Typen vorkommen: (35) Er ist nach Hause gegangen, da die Geschäfte gleich zumachen, denn er bekommt heute abend Besuch. (36) Er ist nach Hause gegangen, weil die Geschäfte gleich zumachen, weil er bekommt heute abend Besuch. Die da- und denn-S'a,tze lassen sich ebensowenig miteinander vertauschen wie die beiden we//-Sätze, und zwar aufgrund der dargestellten unterschiedlichen Reichweite und der unterschiedlichen logischen Funktion. 3. Das epistemische Gewicht. Da mit dem faktischen weil "nur" ein faktischer Grund bzw. eine Ursache genannt wird, mittels des epistemischen weil jedoch ein Gedanke als Argument vorgebracht wird, erweckt der Satz mit dem epistemischen weil einen "gewichtigeren" intellektuellen Eindruck, auch da, wo die Begründung in Wahrheit trivial ist. Das epistemische weil ist Teil unseres gegenwärtigen Imponierrepertoires; es "macht mehr her", wie ein einfacher Vergleich zweier Trivialitäten zeigt: (37) Er hat die Wahl gewonnen, weil er die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen konnte. (38) Er hat die Wahl gewonnen, weil er konnte die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen. Küper nennt die Hauptsatzstellung in diesem Zusammenhang einen "machtvollen illokutiven Indikator" (Küper 1991: 146) und weist zu Recht auf die Ikonizität dieses Konstruktionstyps hin: "Größere illokutive Selbständigkeit und größeres illokutives Gewicht [...] wird [...] ausgedrückt durch das syntaktische Mittel der Hauptsatzstellung" (Küper 1991: 150). Eine Folge der PräsuppositionsVerhältnisse sowie der Epistemizität ist die wohl nicht unerwünschte Tatsache, daß dem Sprecher eine epistemische vm'/-Begründung gar nicht ohne weiteres bestritten werden kann,26 wie die drei folgenden fiktiven Dialoge deutlich machen: (39) Er ist nach Hause gegangen, weil er Kopfweh hatte. - Nein, nicht weil er Kopfweh hatte, sondern weil er keine Lust mehr hatte. (39a) *Er ist nach Hause gegangen, weil er hatte Kopfweh. - Nein, nicht, weil er hatte Kopfweh, sondern weil er hatte keine Lust mehr. (39b) *Er ist nach Hause gegangen, weil sein Mantel hängt nicht mehr an der Garderobe. - Nein, nicht weil sein Mantel hängt nicht mehr an der Garderobe, sondern weil sein Auto steht nicht mehr im Hof.

Das epistemische weil

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4. Die Implikationsbeziehung. Fast (s. 1.) jeder faktische weil- Satz kann durch einen epistemischen w«7-Satz ersetzt werden, nicht aber umgekehrt. Eine gute Begründung einer Erkenntnis muß nicht immer in der Angabe eines faktischen Grundes für das Erkannte bestehen. Erkenntnisse lassen sich durch Evidenzen begründen, die nicht Gründe des Erkannten sind. Mein Wissen, daß sein Mantel nicht an der Garderobe hängt, kann meine Erkenntnis, daß er nach Hause gegangen ist, möglicherweise hinreichend begründen. Aber daß der Mantel da nicht hängt, ist nicht der Grund dafür, daß er nach Hause gegangen ist. Auf der anderen Seite ist die Kenntnis eines faktischen Grundes stets auch eine gute Begründung einer Erkenntnis. Daß einer Kopfweh hat, ist eine guter Grund für ihn, nach Hause zu gehen. Mein Wissen, daß er Kopfweh hatte, ist für mich eine gute Begründung dafür, daß er nach Hause gegangen ist. Mit anderen Worten: Die Kenntnis seines Grundes ist für mich stets eine geeignete Begründung. Das heißt: Der Sprecher kann jeden faktischen Grund "epistemifizieren", nicht aber umgekehrt. Er kann somit, wenn er die epistemische Version wählt, (fast) nichts falsch machen. Er ist auf der sicheren Seite und macht darüber hinaus noch einen besseren Eindruck. Das Fazit ist: Das epistemische weil hat viel Vorzüge und ist ein neuer Beitrag zur Bereicherung unseres intellektuellen Wortschatzes. Gegenwärtig werden von den Sprechern die Kosten, die die Verletzung geltender Normen im schriftsprachlichen Bereich darstellt, noch höher eingeschätzt als der Nutzen der Verwendung. Aber das wird sich ändern, weil schlechtere Alternativen, die nur deshalb in Gebrauch sind, weil es immer schon so war, halten sich nicht lange.

Anmerkungen 1. Petra Radtke, Christof Küper, Klaus Mudersbach sowie all den Diskutanteo, die Teile dieses Aufsatzes als Vortrag gehört haben, danke ich für ihre kritischen Hinweise. 2. Zum Problem der Erklärungsadäquatheitvon Theorien sprachlichen Wandels s. Keller 1992. 3. Siehe dazu vor allem Lakoff/Johnson 1980. 4. Zur Teil-Ganzes-Beziehung im Bereich kognitiver Modelle s. Lakoff 1987: 78. 5. Lakoffs und Johnsons "Metaphors We Live by "(1980), Lakoffs "Women, Fire, and Dangerous Things" (1987) oder Sweetsers Buch "From Etymology

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to Pragmatics; Metaphorical and Cultural Aspects of Semantic Structure" (1990) sind die vielleicht wichtigsten Veröffentlichungen auf diesem Gebiet. Zur Syntax von weil s. Thümmel 1979, Thim-Mabrey 1982, Küper 1984, Eisenberg 1989; zum parataktischen Gebrauch von because s. Schleppegrell 1991. Vgl. dazu etwa Paul 1894: 72., Gaumann 1983 und in "sprachkritischer Hinsicht" Zimmer 1986: 38. Küper 1991 unterscheidet vier Gebrauchsweisen von weil. Darauf werde ich noch eingehend zu sprechen kommen. Gaumanns Interpunktion wird, wenn es sich um ihre eigenen Beispielsätze handelt, übernommen; ansonsten setze ich vor weil ein Komma. Ihre Gepflogenheit, vor dem weil mit Verbzweitstellung einen Punkt zu setzen und somit einen neuen Satz mit weil zu beginnen, scheint mir mit ihrer Nachfeldthese inkompatibel zu sein. Zu den Präsuppositionsverhältnissen in >v«7-Sätzen vgl. Kindermann 1985: 67-69. (5) ist in diesem Sinne ambig. Der weil-Satz bezieht sich nicht nur "auf den illokutiven Modus des Vorgängersatzes", wie Gaumann schreibt (Gaumann 1983: 114), sondern auf den gesamten illokutionären Akt. vgl. auch Küper 1984, wo er den propositionalen Gebrauch vom sprechaktbezogenen Gebrauch unterscheidet, ohne jedoch das weil mit Verbzweitstellung zu thematisieren. Küper 1991: 136; die Numerierung der Beispielsätze entspricht nicht dem Original. Unklar ist auch sein Bezug an dieser Stelle auf Pasch 1983: "Für Renate Pasch, die weil mit Hauptsatzstellung nicht behandelt, ist weil (im Gegensatz zu denn und da) ein rein propositionaler Operator." Dies ist zweifellos richtig. Aber Pasch hätte, wenn sie die Verbzweitstellung mitberücksichtigt hätte, das weil mit Hauptsatzstellung ebenso zweifellos nicht als propositionalen Operator angesehen, weil, in Paschs Terminologie gesprochen, die Operanden von weil mit Verbzweitstellung einen "Einstellungsoperator" enthalten; mit anderen Worten, weil die Argumente von weil mit Verbzweitstellung keine reinen Propositionen, sondern Propositionen samt der illokutionären Rollen, unter denen sie stehen, sind. Küper 1991: 136f. Die Interpunktion entspricht dem Original. Andere Möglichkeiten, wie die Ersetzung von weil durch da oder denn, seien hier außer acht gelassen. Selbstverständlich gibt es noch andere Mittel der Epistemifizierung, etwa das derzeit so häufig verwendete vorgeschaltete ich denke: Ich denke es hat Frost gegeben, weil der See zugefroren ist. Küper 1991: 137; Gaumann 1983: 111. Der Satz ist mit Gaumannscher

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Interpunktion wiedergegeben. 20. Einige wenige Sprechakte wie "Guten Tag", "Hallo" oder "Danke" enthalten keine Proposition. 21. Küper 1991: 138; von Küpers Beispielen ist jeweils eines ausgewählt. 22. Die Akzente sollen deutlich machen, daß bei thematischem Haupsatz der Hauptakzent auf dem Wort ohnehin liegt. 23. Die vorsichtige Redeweise soll der Tatsache Rechnung tragen, daß auch Kontexte denkbar sind, in denen sich die Begründung nicht auf das Urteil, sondern den Akt seiner Kundgabe bezieht. 24. Genau genommen sind sie natürlich nicht äquivalent, denn die Frage "Warum fragst du das?" läßt die Antwort "weil ich das wissen will" zu. Umgekehrt gilt das nicht. 25. Zu den unterschiedlichen Funktionen von weil, da und denn siehe Pasch 1983. 26. Diesen Hinweis verdanke ich Klaus Mudersbach.

Behauptungen mit und ohne Vorbehalt Linguistische Beobachtungen zur Berichterstattung in deutschen Tageszeitungen Günther Öhlschläger

1. "Beim Abdruck von Agenturmeldungen wird eine der großen Fiktionen, mit denen Nachrichtenredakteure arbeiten, besonders deutlich, eine Fiktion, die der normale Leser nicht wahrnimmt. Ein Beispiel: Der Leser registriert ganz direkt, daß fern in der Türkei ein Eisenbahnunglück passiert ist. Bei genauem Hinsehen könnte er jedoch entdecken, daß seine Gazette lediglich meldet, eine Nachrichtenagentur habe berichtet, daß das Verkehrsministerium in Ankara in einer amtlichen Mitteilung über das Eisenbahnunglück Kenntnis gegeben habe. Die Zeitungsredaktion stiehlt sich also aus ihrer Verantwortung heraus und schiebt sie auf die Agentur. Die Agentur wiederum bezieht sich auf das türkische Ministerium. - Dem Zeitungsredakteur darf das Festhalten an der Fiktion nicht übelgenommen werden. Seine Mitteilung an den Leser, daß die Agentur XY über ein Unglück berichtet hat, ist wahr. Was wirklich passiert ist, kann er nicht nachprüfen" (Rathert 1975: 221). - Mit diesen Worten formuliert Hans Michael Rathert, der in den siebziger Jahren für den Nachrichtenteil bei der "Frankfurter Rundschau" verantwortlich war, ein Grundproblem jedes Nachrichtenredakteurs: In der Regel hat er keinen direkten Zugang zu dem, worüber berichtet werden soll, sondern ist auf andere Informationsquellen - am häufigsten Nachrichtenagenturen - angewiesen, wobei - wie in Ratherts Beispiel - auch diejenigen, auf deren Berichte und Meldungen sich der Nachrichtenredakteur stützen muß, ihrerseits wieder oft auf andere Informationsquellen angewiesen sind. Und oft ist die Kette der Informanten noch länger, was die Zuverlässigkeit der Nachricht nicht gerade erhöht. Dem Nachrichtenredakteur darf - hierin muß man Rathert zustimmen das Festhalten an der genannten Fiktion nicht übelgenommen werden, -

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er könnte sonst nicht arbeiten, denn auch durch den Bezug mehrerer Nachrichtenagenturen und durch eigene Korrespondenten läßt sich der Zuverlässigkeitsgrad vielleicht etwas erhöhen, das grundlegende Problem der Indirektheit, der Vermitteltheit von Nachrichten bleibt jedoch auch dann bestehen. Umso wichtiger ist es deshalb, diese Fiktion für den Adressaten zumindest bis zu einem gewissen Grad durchschaubar zu machen, ihm bewußt zu machen, daß das, was er als Nachricht präsentiert bekommt, oft schon mehrere Instanzen durchlaufen hat, sowie vor allem - wenn irgend möglich - auch explizit zu machen, auf welche Quelle die Information zurückgeht. Denn ob der Adressat etwas glaubt, ob er das, was er hört oder liest, für wahr hält, ob er es nur für wahrscheinlich oder für möglich hält oder aber es gar nicht glaubt, hängt ja sehr stark davon ab, aufweiche Quelle die betreffende Nachricht zurückgeht, ob der Adressat diese Quelle für absolut glaubwürdig, für bedingt glaubwürdig oder für unglaubwürdig hält. Die Medien bedienen sich auch verschiedener Mittel, die Indirektheit, die Vermitteltheit sowie die Quellen ihrer Informationen explizit zu machen - etwa bei Zeitungsnachrichten durch die Angabe der Nachrichtenagentur(en), auf die sie sich stützen. Wesentlich wichtiger sind jedoch bestimmte sprachliche Mittel wie die direkte und die indirekte Rede, adverbiale Nebensätze wie wie es heißt, wie aus Washington verlautete u.a., Präpositionalphrasen mit nach, laut und zufolge und die Modalverben sollen und wollen: Wer einen Satz wie (1) Hundert Flugzeuge der Alliierten wurden abgeschossen, behauptend verwendet,1 übernimmt die Garantie dafür, daß das von ihm Behauptete wahr ist, d.h., er legt sich auf die Wahrheit des von ihm Behaupteten fest, bezieht also eine Position, an die bestimmte institutionelle Folgen geknüpft sind: Er muß bestimmte Einwände als relevante (nicht unbedingt als richtige) Einwände akzeptieren, muß auf Verlangen Gründe, Argumente für die Wahrheit des von ihm Behaupteten anführen usw.2 M.a. W.: Er behauptet ohne jeden Vorbehalt, daß hundert Flugzeuge der Alliierten abgeschossen wurden. Worauf die Übernahme der Garantie beruht, worauf sich der Behauptende bei seiner Behauptung stützt, bleibt offen, bleibt unspezifiziert. Wer dagegen Sätze wie (2), (3) oder (4) verwendet, (2) Die Nachrichtenagentur AP meldete, daß hundert Flugzeuge der Alliierten abgeschossen worden seien.

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(3) Nach Angaben der Nachrichtenagentur AP wurden hundert Flugzeuge der Alliierten abgeschossen. (4) Hundert Flugzeuge der Alliierten sollen abgeschossen worden sein, versieht seine Behauptung mit einem Vorbehalt, indem er sie als Wiedergabe der Äußerung anderer kennzeichnet genauer: er behauptet gar nicht, daß hundert Flugzeuge der Alliierten abgeschossen worden seien, sondern behauptet, daß die Nachrichtenagentur AP gemeldet habe, daß hundert Flugzeuge der Alliierten abgeschossen worden seien, übernimmt also nur hierfür eine Wahrheitsgarantie. Ich möchte im folgenden am Beispiel von Zeitungsnachrichten zum Golfkrieg - bei dem die Nachrichtensituation besonders komplex, undurchsichtig und widersprüchlich war - etwas genauer betrachten, wie Zeitungen mit dem Problem der Indirektheit, der Vermitteltheit von Nachrichten umgehen, wobei der Schwerpunkt auf den verschiedenen sprachlichen Mitteln liegen soll, mit denen man Behauptungen mit einem Vorbehalt versehen kann, indem man sie als Äußerungen anderer kennzeichnet. Ich möchte versuchen, zumindest ansatzweise herauszuarbeiten, worin Unterschiede und Gemeinsamkeiten dieser sprachlichen Mittel bestehen. Mein Ziel ist also nicht eine vergleichende Studie der Berichterstattung verschiedener Tageszeitungen zum Golfkrieg, sondern nur, auf einige m.E. wichtige und interessante Gesichtspunkte bei der Formulierung von Nachrichten aufmerksam zu machen, einige Fingerzeige zum "Zwischen-den-Zeilen-Lesen" von Nachrichtentexten zu geben. Ich bin mir dabei darüber im klaren - um möglichen Einwänden gleich zu begegnen - daß die Wahl sprachlicher Mittel bei Nachrichtentexten nicht immer - und sicherlich sehr oft nicht - bewußt erfolgt, daß der Zeitdruck, der zur Verfügung stehende Raum, daß bestimmte stilistische Vorgaben der Redaktion, daß Gesichtspunkte der Verständlichkeit u.a. zu berücksichtigen sind, daß unterschiedliche sprachliche Mittel oft nur der stilistischen Variation dienen und die Wahl eines bestimmten sprachlichen Mittels daher nicht überinterpretiert werden sollte. Und ich bin mir auch darüber im klaren, daß es bestimmte redaktionelle Absprachen gibt, die einem bestimmten sprachlichen Mittel "seinen genauen Stellenwert in der Skala der möglichen Formulierungen zuweisen", daß "je nachdem ..., für wie glaubwürdig die Redaktion die Meldung einer (oder mehrerer) Agentur(en) hält, ... sie eine bestimmte Formel" (Burger 1984: 118) wählt. All dies ändert aber nichts daran, daß zwischen den verschiedenen sprachlichen Mitteln, Behauptungen als Behauptungen anderer zu kennzeichnen, Unterschiede bestehen, die das Verständnis des Lesers jeweils

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in eine bestimmte Richtung lenken, die das Verständnis der Leser beeinflussen,3 und zwar unabhängig von den jeweiligen - mehr oder weniger bewußten - Absichten des Textautors, unabhängig von bestimmten redaktionellen Absprachen, die dem normalen Leser ja ohnehin nicht durchsichtig sind.4 Und nur um diese Unterschiede, nur um diese Spezifika der einzelnen sprachlichen Mittel geht es mir, nicht um die eventuellen Absichten, die der Textautor gehabt haben mag. 2. Meiner Untersuchung zugrundegelegt habe ich die Nachrichten zum Golfkrieg in vier überregionalen Tageszeitungen im Zeitraum vom 17. bis 21. Januar 1991: aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (im folgenden als "FAZ" abgekürzt), der Frankfurter Rundschau (= FR), der Süddeutschen Zeitung (= SZ) und der WELT. Eine erste Durchsicht dieser Nachrichtentexte läßt schon schnell erkennen, daß die Zeitungen der komplexen Nachrichtensituation im Golfkrieg durchaus Rechnung tragen, denn Hinweise auf die Vermitteltheit und die Quelle der Informationen finden sich deutlich häufiger als normalerweise. Allerdings - und auch dies zeigt sich recht schnell - tragen die verschiedenen Zeitungen dieser komplexen Nachrichtensituation in durchaus unterschiedlicher Weise und auch in durchaus unterschiedlichem Umfang Rechnung. Bei meiner Zielsetzung kann ich dieser - zweifellos sehr interessanten - Frage aber nicht weiter nachgehen, sondern möchte mich stattdessen darauf beschränken, etwas genauer zu beobachten, auf welche Weise die Indirektheit der Informationen zum Ausdruck gebracht wird, wobei es mir zunächst darum geht, wie die Komplexität der Nachrichtenlage vermittelt wird; auf die Unterschiede zwischen den verschiedenen sprachlichen Mitteln werde ich dann in Teil 3 zu sprechen kommen. Eine Möglichkeit, die Komplexität zu vermitteln, die aber nur in der FR genutzt wird, besteht darin, den Weg der Information zumindest teilweise nachzuzeichnen: (5) Die Bomberstaffeln der alliierten Streitkräfte haben laut einem Bericht der US-Fernsehgesellschaft NBC aus Tel Aviv auch irakische Stellungen im Westen Iraks getroffen. Dies hätten Amateurfunker aus dem Funkverkehr britischer Streitkräfte geschlossen. (FR 18.1.91) (6) Auch der US-Fernsehsender CNN berichtete, daß es doch zu Verlusten auf alliierter Seite gekommen sein könnte. Einige US-Flugzeuge könnten getroffen worden sein, hieß es unter Berufung auf Kreise im Pentagon. (FR 18.1.91)

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(7) In London sagte ein irakischer Oppositioneller, nach seinen Informationen hätten die Luftangriffe "Hunderte ziviler Opfer" gefordert. (FR 19.1.91) Eine andere Möglichkeit besteht - insbesondere bei sich widersprechenden Informationen - darin, die Aussagen verschiedener Quellen nebeneinander zu stellen: (8) Irak meldete 14 abgeschossene US-Flugzeuge, London und Washington gaben dagegen an, jeweils eines ihrer Flugzeuge verloren zuhaben. (FR 18.1.91) (9) Schwarzkopf bestätigte, daß bisher insgesamt sieben Flugzeuge der Alliierten abgeschossen wurden ... Der Irak berichtete dagegen, es seien in den ersten 36 Stunden des Krieges 65 alliierte Flugzeuge abgeschossen worden. (FAZ 19.1.91) (10) Nach Schwarzkopfs Angaben sind bis Freitagmittag insgesamt sieben alliierte Flugzeuge verlorengegangen. Radio Bagdad meldete am Freitag hingegen, es seien 94 angreifende Flugzeuge abgeschossen worden. (SZ 19.1.91) Teilweise wird bei sich widersprechenden Informationen allerdings auch nur eine mit einer Quellenangabe versehen, als wiedergegebene Rede gekennzeichnet, die andere dagegen "ohne Vorbehalt" übernommen: (11) Sieben Flugzeuge der Alliierten sind bislang verlorengegangen; die irakische Führung spricht von 40 bis 72 Flugzeugen. (WELT 19.1.91) (12) Bislang werden 13 Piloten vermißt, während die irakische Führung von 142 abgeschossenen Bombern spricht. (WELT 21.1.91) (13) Die Allianz verlor bis zum Sonntag ebenfalls zehn Flugzeuge durch Luftabwehrfeuer oder technischen Defekt. Der irakische Rundfunk meldete demgegenüber den Abschuß von 154 feindlichen Flugzeugen. (FAZ 21.1.91) Außer den genannten und illustrierten Möglichkeiten thematisieren die verschiedenen Zeitungen - allerdings auch hier in unterschiedlichem Ausmaß - auch noch die Informationsbedingungen, die Vermitteltheit der Nachrichten explizit, um auf diese Weise die Leser in Stand zu setzen, die ihnen offerierten Meldungen besser im Hinblick auf ihre Glaubwürdigkeit, auf ihren Wahrheitsgehalt einschätzen zu können: (14) Nach einer mehr als zwölfstündigen erzwungenen Unterbrechung konnte die amerikanische Fernsehanstalt CNN in der Nacht zum Freitag ihre Sendungen aus Bagdad wieder aufnehmen, doch steht sie unter strenger Zensur. (FAZ 19.1.91)

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(15) Trotz einer restriktiven Informationspolitik der amerikanischen Militärs wurde bekannt, daß am Golf zunehmend auch am Boden und auf See gekämpft wird. (SZ 21.1.91) (16) Der Leiter des israelischen Presseamtes, Jossi Olmert, gab bekannt, daß nun eine völlige militärische Zensur für Medienberichte in Kraft sei. (FR 21.1.91) Am deutlichsten wird die Problematik in der FR, die täglich folgendes in einem Kasten mitten in die Nachrichten über den Golfkrieg setzte: (17) Kriegsberichte zensiert Alle Korrespondenten und Fotografen, die über den Krieg aus SaudiArabien und anderen Teilen der Golfregion berichten, unterliegen in ihrer Berichterstattung der von den USA, Großbritannien, Irak, Israel und anderen offiziellen Stellen verfügten militärischen Zensur. Sie gilt auch für die Berichte über Opfer. 3. Ich komme damit zum Hauptteil meines Beitrags, in dem es um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der verschiedenen sprachlichen Mittel der Quellenangabe, der Kennzeichnung als wiedergegebene Rede gehen soll. Die expliziteste Form der Redewiedergabe, die direkte Rede, wird in den ausgewerteten Zeitungsnachrichten nicht allzu häufig gewählt. Es finden sich aber alle Möglichkeiten der Abfolge von Redekennzeichnung und wiedergegebener Rede: Redekennzeichnung vor wiedergegebener Rede wie in (18) und (19), Redekennzeichnung zwischen der wiedergegebenen Rede wie in (20) sowie Redekennzeichnung nach der wiedergegebenen Rede wie in (21) und (22): (18) Das irakische Oberkommando meinte: "Unsere Raketen-Streitkräfte haben politische und wirtschaftliche Ziele in Tel Aviv, Haifa und anderen Gebieten getroffen." (FR 19.1.91) (19) Der Korrespondent der amerikanischen Fernsehgesellschaft ABC berichtete aus Bagdad: "Wir können Lichter in einer Formation auf uns zukommen sehen." (SZ 17.1.91) (20) "Riesige Feuerbälle kamen aus dem Himmel", beschrieb ein Bewohner von Tel Aviv den Anflug der Raketen: "Nach gewaltigen Explosionen sah ich eine rote Sonne, die auf mich zukam wie ein Meteor." (WELT 19.1.91) (21) "Alle Piloten sind am Leben", sagte der Minister. (FR 19.1.91) (22) "In einigen Räumen gehören sie zu den schwierigsten Luftabwehren der Welt", sagte der General, der die multinationalen Truppen am Golf befehligt. (FAZ 19.1.91)

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Die Verwendung direkter statt dem Normalfall der indirekten Rede kann verschiedene Gründe haben: Zum einen - darüber besteht weitgehend Einigkeit - wirkt direkte Rede unmittelbarer, lebendiger, anschaulicher, auch emotionalisierender - daß gerade die Berichte über Raketen- und Bombenangriffe oft in direkter Rede wiedergegeben werden, ist deshalb sicherlich kein Zufall, - zum ändern wird sie dann eingesetzt, wenn es auf Authentizität, wenn es auf den genauen Wortlaut ankommt. Diese Funktion wird in einem Fall in meinem Material sogar explizit gemacht: (23) Wörtlich sagte er: "Es hat eine Verschiebung von den ersten Zielen gegeben. Wir konzentrieren uns nun auf die Republikanergarde und einige Streitkräfte an der Front." (FAZ 21.1.91) Was die Unterschiede in der Abfolge zwischen Redekennzeichnung und wiedergegebener Rede angeht, so hat dies sicherlich nichts mit der Abfolge "bekannt vor neu" bzw. "geringerer vor größerem Informationswert" o.a. zu tun, denn in einem Satz wie (21) ist im unmarkierten Fall nicht der Minister, sondern sind am Leben fokussiert. Entscheidend für die Abfolge scheint mir in diesen Fällen stattdessen die Rolle der Satzanfangsposition zu sein, die - darüber besteht allgemeine Übereinstimmung - hinsichtlich der Informationsgliederung von Sätzen eine besonders wichtige Rolle spielt; welche Rolle dies genau ist, darüber besteht allerdings alles andere als Einigkeit. In jedem Fall steckt sie aber - um es neutral zu formulieren - den Rahmen für das Verständnis des Folgenden ab, das je nachdem, wie die Satzanfangsposition besetzt ist, unter einem bestimmten Blickwinkel gesehen wird. Dementsprechend wird in Fällen wie (18) und (19), also mit der Redekennzeichnung am Anfang, der Charakter der Vennitteltheit sicherlich stärker betont als in den Fällen wie (21) und (22), mit der Redekennzeichnung am Ende. Es kommt hinzu, daß es - angesichts der Bedeutung der jeweiligen Quelle für die Glaubwürdigkeit einer Information - ebenfalls nicht unwichtig ist, ob diese Quelle schon am Anfang, in der Mitte oder erst am Ende genannt wird, d.h., ab wann man eine Information, eine wiedergegebene Rede als Äußerung einer bestimmten Person oder Institution identifizieren kann. Zu den am häufigsten verwendeten Mitteln der Redewiedergabe gehört die indirekte Rede, die in unseren Nachrichtentexten allerdings in unterschiedlicher Form auftritt, neben eingebetteten daß-Sätzen wie in (24) und (25) stehen eingebettete Verb-Zweit-Sätze mit dem finiten Verb im Konjunktiv wie in (26) und (27) - wobei letztere sogar wesentlich häufiger sind - sowie vereinzelt auch eingebettete infinite Sätze wie in (28):

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(24) Ein Journalist sagte, daß er den Abschuß von mindestens 40 Cruise Missiles beobachtet habe. (FR 18.1.91) (25) Am Nachmittag verlautete, daß weitere 46 US-Kampfflugzeuge aufgestiegen seien. (SZ 19.1.91) (26) Aus dem Pentagon verlautete, mit Marschflugkörpern (Cruise Missiles), abgefeuert von US-Kriegsschiffen, habe der Angriff begonnen. (WELT 18.1.91) (27) Präsident Bush sagte am Donnerstag im Weißen Haus, die Operation "Wüstensturm" verlaufe bislang "sehr gut". (FAZ 18.1.91) (28) Ein amerikanischer Pilot in Saudi-Arabien gab an, bei einem Luftkampf über Bagdad ein irakisches Flugzeug abgeschossen zu haben. (FAZ 18.1.91) Ein wichtiger Grund für die Häufigkeit indirekter gegenüber direkter Rede in unseren wie generell in Nachrichtentexten liegt natürlich in der Notwendigkeit der Zusammenfassung, der Komprimierung dessen, was andere gesagt haben. Die indirekte Rede bietet gegenüber der direkten Rede aber auch eher die Möglichkeit, die Informationsquelle anonymer, unbestimmter zu lassen. Während nämlich in den Redekennzeichnungen direkter Rede immer von bestimmten Personen bzw. Institutionen die Rede ist - dem irakischen Oberkommando, einem Korrespondenten von ABC, einem Bewohner von Tel Aviv, dem französischen Verteidigungsminister oder General Schwarzkopf in (18)-(22), finden sich solche Quellenangaben zwar auch bei Redekennzeichnungen indirekter Rede wie in (24), (27) und (28), daneben aber auch unbestimmtere Angaben wie in (26) oder (29) sowie - durchaus nicht selten - ein gänzlicher Verzicht auf eine Quellenangabe wie in (25) oder (30): (29) In Kreisen des US-Verteidigungsministeriums hieß es, bei den ersten Luftangriffen am Donnerstag seien die meisten der festen irakischen Abschußrampen für SCUD-Raketen zerstört worden. (FR 19.1.91) (30) Entgegen ersten Meldungen, in denen "viele Verletzte" befürchtet worden waren, hieß es später, 17 Menschen hätten bei dem Angriff meist leichtere Verletzungen erlitten. (FR 21.1.91) Ein Grundproblem der indirekten Rede besteht darin, daß der Wiedergebende immer die Möglichkeit hat, zusätzliche Informationen in seine Wiedergabe einfließen zu lassen. Dies beginnt schon - was allerdings auch für die direkte Rede gilt - bei der Wahl des Sprachhandlungsverbs in der Redekennzeichnung. Hierin weisen die zugrundegelegten Nachrichtentexte keinerlei Auffälligkeiten auf: Alle Zeitungen bedienen sich

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durchweg neutraler Sprachhandlungs- und ähnlicher Verben - sagen, berichten, mitteilen, verlauten, heißen u.a. -, sind also bemüht, sich jeglicher Stellungnahme zu enthalten. Noch gravierender ist das Problem, daß auf Grund der Möglichkeit für den Wiedergebenden, zusätzliche Informationen in die Wiedergabe einzubringen, prinzipiell offen bleibt, inwieweit die Wiedergabe in der Wortwahl, in der Formulierung der Originaläußerung entspricht; es ist also prinzipiell nicht möglich, die Originaläußerung aus der Wiedergabe in indirekter Rede zu rekonstruieren.5 Auch diesem Problem versuchen die Zeitungen allerdings zumindest teilweise zu begegnen, indem sie in die indirekte Rede immer wieder wörtliche Zitate einfügen, vgl. etwa (7), (27) oder (31)-(33): (31) Aus dem Pentagon wurde berichtet, daß eine "Welle von Raketen", die von den Kriegsschiffen im Golf abgeschossen wurden, den nächtlichen Angriff eröffnet habe. (FR 18.1.91) (32) Der Irak besitze zwar noch Chemiewaffen, doch seien die Trägersysteme "neutralisiert" worden, sagte Schmitt. (SZ 18.1.91) (33) Der irakische Rundfunk meldete, bis zum Abend habe die irakische Luftabwehr 55 feindliche Kampfflugzeuge und "eine große Zahl Raketen" abgeschossen. (SZ 18.1.91) Ob auch die Moduswahl etwas mit einer Stellungnahme des Wiedergebenden zu tun hat, ist umstritten. Ich möchte auf diese Frage aber nicht näher eingehen, da sie zum einen ausführlicherer Überlegungen bedürfte, die den gegebenen Rahmen sprengen würden, und die zugrundegelegten Nachrichtentexte zum ändern auch keine Besonderheiten in dieser Hinsicht aufweisen: Bei den eingebetteten Verb-Zweit-Sätzen ist der Konjunktiv ohnehin obligatorisch, und der Konjunktiv II wird statt des Konjunktiv I nur in den Fällen verwendet, in denen Formengleichheit von Indikativ und Konjunktiv I vorliegt: (34) Oberbefehlshaber Norman Schwarzkopf erklärte, täglich würden 2000 Einsätze gegen den Irak und dessen Stellungen in Kuwait geflogen. (WELT 19.1.91) (35) In Kreisen der Ölindustrie hieß es, zunächst hätten die Iraker entgegen ihren Drohungen keine Ölfelder in Brand gesetzt. (SZ 18.1.91) Nur bei eingebetteten da/?-Sätzen gibt es wenige Fälle mit dem Indikativ: (36) Schwarzkopf bestätigte, daß bisher insgesamt sieben Flugzeuge der Alliierten abgeschossen wurden. (FAZ 19.1.91) (37) Er sagte, daß von den ersten 1000 Einsätzen rund 190 von saudiarabischen Piloten geflogen wurden. (FAZ 19.1.91)

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Wie schon bei der direkten Rede lassen sich auch bei der indirekten Rede unterschiedliche Abfolgen von Redekennzeichnung und wiedergegebener Rede verzeichnen: Redekennzeichnung vor wiedergegebener Rede wie etwa in (34) und (35), Redekennzeichnung nach wiedergegebener Rede wie etwa in (32) oder (38) sowie Redekennzeichnung inmitten der wiedergegebenen Rede wie in (39): (38) Der Angriffsdruck auf Irak und Kuwait werde verstärkt, sagte ein Vertreter des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums in Washington. (FR 21.1.91) (39) Die Widerstandskraft Iraks in diesem Bereich, so hieß es, sei offenbar bei weitem nicht erschöpft. (FR 21.1.91) Diese verschiedenen Möglichkeiten weisen jedoch nur die eingebetteten Verb-Zweit-Sätze auf; bei den eingebetteten doß-Sätzen steht dagegen die Redekennzeichnung immer am Satzanfang, bei allen entsprechenden Beispielen in meinem Material liegt immer diese Abfolge vor. Dies ist kein Zufall, sondern in der Funktion begründet, die die entsprechenden Sätze im jeweiligen Zusammenhang haben: Bei unseren Redewiedergabesätzen geht es nämlich im jeweiligen Zusammenhang nicht darum, ob jemand etwas gesagt, wer etwas gesagt hat o.a., sondern darum, ob der Sachverhalt, über den etwas gesagt wird, besteht oder nicht. Auf ein Beispiel wie (37) bezogen: Im gegebenen Zusammenhang der Nachrichten über den Golfkrieg geht es hier nicht darum, ob General Schwarzkopf sagte, daß von den ersten 1000 Einsätzen rund 190 von saudiarabischen Piloten geflogen wurden, auch nicht darum, wer dies gesagt hat, o.a., sondern es geht darum, ob von den ersten 1000 Einsätzen rund 190 von saudiarabischen Piloten geflogen wurden. Und in dieser Funktion sind Sätze mit indirekter Rede mit eingebetteten daß-Sätzen am Satzanfang nicht möglich, im Unterschied zu solchen mit eingebetteten VerbZweit-Sätzen: Ein Satz wie (40) Daß von den ersten 1000 Einsätzen rund 190 von saudiarabischen Piloten geflogen worden seien, sagte er. ist kontextuell nur angemessen, wenn es darum geht, was er gesagt hat, wer dies gesagt hat, ob er dies gesagt hat - je nach fokussiertem Element. Dieses unterschiedliche Verhalten von eingebetteten daß-Sätzen und eingebetteten Verb-Zweit-Sätzen hat damit zu tun, daß sich diese beiden Möglichkeiten hinsichtlich der kommunikativen Gewichtung von Redekennzeichnung und wiedergegebener Rede deutlich voneinander unterscheiden: Im Verb-Zweit-Fall kommt der wiedergegebenen Rede da-

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durch, daß das subordinierende daß fehlt und der Satz dadurch die sonst für Hauptsätze charakteristische Wortstellung aufweist, wesentlich größeres Gewicht zu als im daß-Fall. Dementsprechend sind Verb-Zweit-Sätze mit Konjunktiv auch ohne Redekennzeichnung möglich, wenn in einem der vorangehenden Sätze eine solche Kennzeichnung vorhanden ist: (41) Vor der Presse in Dhahran teilte er mit, daß täglich rund 2000 Einsätze geflogen würden. An den Angriffen hätten sich bisher Kampfflugzeuge der USA, Saudi-Arabiens, der kuwaitischen Exilregierung, Großbritanniens, Kanadas, Frankreichs und Italiens beteiligt. Bisher hätten die Verbündeten insgesamt sieben Flugzeuge verloren. Im Golf seien drei irakische Kriegsschiffe versenkt worden. Mit Jajß-Sätzen ist dies nicht möglich. Ein weiterer Unterschied zwischen daß- und Verb-Zweit-Sätzen besteht darin, daß letztere eine wesentlich flexiblere Wortstellung erlauben als daß-Sätze, bei denen - von unbetonten Pronomina abgesehen - stets das Subjekt an der ersten Stelle nach dem daß stehen muß. So wäre beispielsweise der (33) entsprechende Satz mit einem eingebetteten daß-Saiz bei dieser Abfolge ungrammatisch: (42) *Der irakische Rundfunk meldete, daß bis zum Abend die irakische Luftabwehr 55 feindliche Kampfflugzeuge und "eine große Zahl Raketen" abgeschossen habe. Und der (35) entsprechende Satz (43) ist zwar grammatisch, hat aber eine andere syntaktische Struktur und eine andere Bedeutung als (35), da sich der Bezugsbereich von zunächst geändert hat: (43) In Kreisen der Ölindustrie hieß es, daß zunächst die Iraker entgegen ihren Drohungen keine Ölfelder in Brand gesetzt hätten. Eine noch weitgehendere Komprimierung des Inhalts der wiedergegebenen Äußerung(en) stellt die der indirekten Rede verwandte, teilweise als "Redebericht" bezeichnete Form der Redewiedergabe dar,6 die zudem die Gegenstände, um die es jeweils geht, noch mehr in den Mittelpunkt rückt: (44) Irak meldete 14 abgeschossene Flugzeuge. (FR 18.1.91) (45) Von der Grenze zwischen dem besetzten Kuwait und Saudi-Arabien wurden am Freitag erste Scharmützel zwischen amerikanischen Marineinfanteristen und irakischen Armee-Einheiten gemeldet. (FAZ 19.1.91) (46) Der israelische Rundfunk berichtete von 13 Personen, die in Krankenhäusern hätten behandelt werden müssen. (FR 19.1.91)

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(47) Schwarzkopf berichtete auch von Gefechten auf See. (SZ 19.1.91) Während die bisher behandelten sprachlichen Mittel der Redewiedergabe sowohl dann verwendet werden können, wenn es - ich erinnere an die Diskussion um (37) - darum geht, ob jemand etwas gesagt hat, wer etwas gesagt hat usw., als auch dann, wenn es darum geht, ob der Sachverhalt, über den etwas gesagt wird, besteht, sind die sprachlichen Mittel, die im folgenden etwas näher betrachtet werden sollen, hinsichtlich des jeweiligen Zusammenhangs markiert. Genauer: sie sind nur verwendbar, wenn es um das Bestehen des SachVerhalts, über den in der Originaläußerung gesprochen wurde, geht, nicht aber, wenn es darum geht, ob jemand etwas gesagt hat, wer etwas gesagt hat usw. Sie sind also nur dann verwendbar, wenn - wie ich es nenne - nur der Sach verhalt, auf den in der Originaläußerung Bezug genommen wurde, zum thematischen Zusammenhang des jeweiligen Textes gehört, nicht aber die Äußerung selber (im Sinne des Äußerns).7 Das erste dieser sprachlichen Mittel sind die sog. parenthetischen Konstruktionen wie in (48) und (49) :8 (48) Am Donnerstagnachmittag wurden die Bombardierungen fortgesetzt, teilte der britische Kommandant Mutch auf einem britischen Luftwaffenstützpunkt am Golf mit. (FR 18.1.91) (49) Bisher, so verlautete weiter, gibt es noch keine Befehle zur Durchdringung der "Saddam-Linie". (FR 19.1.91) Diese Beispiele scheinen Sätzen wie (26), (27), (29), (30) usw. zwar sehr verwandt, unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Eigenschaften aber doch beträchtlich von diesen Sätzen, und zwar nicht nur hinsichtlich des Verbmodus. So ist ein Satz wie (50) auch dann kontextuell angemessen, wenn es z.B. darum geht, wer diese Mitteilung gemacht hat, ein Satz wie (48) dagegen nicht: (50) Am Donnerstagnachmittag seien die Bombardierungen fortgesetzt worden, teilte der britische Kommandant Mutch ... mit. Dies hängt u.a. damit zusammen, daß die Abhängigkeit des eingebetteten Satzes in (48) überhaupt nicht mehr sprachlich realisiert ist - weder durch ein daß noch durch den Konjunktiv. Dadurch verschiebt sich auch die kommunikative Gewichtung von Redekennzeichnung und wiedergegebener Rede noch mehr in Richtung wiedergegebener Rede. Umgekehrt sind die syntaktischen Verhältnisse in (51) und (52): (51) Wie inoffiziell in Washington zu erfahren war, hat die israelische Regierung den USA zugesagt, vorläufig von Gegenschlägen abzusehen. (WELT 19.1.91)

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(52) Erneut beteiligten sich an den Angriffen auch wieder französische Kampfflugzeuge, wie Verteidigungsminister Jean-Pierre Chevenement in Paris mitteilte. (FR 19.1.91) In diesen Fällen erscheint die wiedergegebene Rede im Hauptsatz, die Redekennzeichnung dagegen nur noch in einem adverbialen Nebensatz, der sowohl - wie in (51) - am Anfang als auch - wie in (52) - am Ende als auch - hierfür liefert das zugrundegelegte Material allerdings kein Beispiel - in der Mitte stehen kann: (53) Die israelische Regierung hat, wie inoffiziell in Washington zu erfahren war, den USA zugesagt, vorläufig von Gegenschlägen abzusehen. Die adverbiale Realisierung der Redekennzeichnung in Form von Präpositionalphrasen mit nach, zufolge oder laut ist zweifellos die häufigste Form der Redekennzeichnung in Nachrichten, nicht nur in den hier zugrundegelegten Nachrichtentexten: (54) Nach Informationen der ägyptischen Nachrichtenagentur Mena haben bislang mindestens 50 Besatzungen irakischer Panzer kapituliert. (WELT 18.1.91) (55) Schwarzkopf zufolge trafen die alliierten Flugzeuge teils auf starke Luftabwehr. (FAZ 19.1.91) (56) Laut Nachrichtenagentur AP wurde die Polizei angewiesen, die Bewohner zum Aufsuchen versiegelter Räume aufzufordern und sich auf einen Gasangriff vorzubereiten. (SZ 18.! .91) Solche Präpositionalphrasen sind wie parenthetische Konstruktionen und vwe-Sätze markiert hinsichtlich des thematischen Zusammenhangs, d.h. hinsichtlich des thematischen Zusammenhangs entspricht ein Satz wie (54) dem Satz (57), ein Satz wie (55) entspricht (58) usw.: (57) Bislang haben mindestens 50 Besatzungen irakischer Panzer kapituliert. (58) Die alliierten Flugzeuge trafen teils auf starke Luftabwehr. Die Präpositionalphrasen reduzieren das kommunikative Gewicht der Redekennzeichnung aber noch mehr zugunsten der wiedergegebenen Rede, nicht zuletzt dadurch, daß sie noch stärker in den Satz integriert sind als die adverbialen wie-Nebensätze. Dies zeigt sich vor allem in den topologischen Möglichkeiten, die es in weit stärkerem Maße als die besprochenen sprachlichen Mittel der Redekennzeichnung erlauben, Einfluß auf die Informationsstruktur der betreffenden Sätze zu nehmen: (59) Nach Angaben des irakischen Botschafters in Spanien gab es viele zivile Opfer. (FR 18.1.91)

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(60) Irak hat nach Aussage seines Informationsministers Latif Nassif alDschassem mehrere Raketen auf Saudi-Arabien abgefeuert. (FR 19.1.91) (61) Die internationale Allianz am Persischen Golf hat dem Irak nach Angaben des Pentagon "schwere Schläge" versetzt. (FAZ 18.1.91) (62) Auch mittags flogen alliierte Kampfflugzeuge Augenzeugenberichten zufolge alle zehn bis 15 Minuten Angriffe gegen Stellungen in und um Bagdad. (FR 18.1.91) (63) Teile der britischen Infanterie haben am Donnerstag nach Informationen der BBC ihr Trainingsgebiet in Saudi-Arabien verlassen und rücken gegen die Grenze zu Kuwait vor. (FR 18.1.91) Es kommt hinzu, daß Präpositionalphrasen mit nach, zufolge und laut auch in Nebensätzen zur Redekennzeichnung eingesetzt werden können von den bislang betrachteten sprachlichen Mitteln gestatten dies nur noch die wte-Sätze, die allerdings zu wesentlich komplexeren, zu wesentlich unübersichtlicheren Sätzen führen: (64) Im Irak, wo nach Regierungsangaben bislang 23 Menschen bei den Angriffen ums Leben kamen, wurden Hunderttausende mit Waffen versorgt. (WELT 19.1.91) (65) Präsident Saddam Hussein, der nach den Worten des amerikanischen Stabschefs Powell nicht "direkt ins Visier" genommen worden sei, überlebte die erste Bombennacht. (FAZ 18.1.91) Gleichzeitig erlauben auch solche Präpositionalphrasen einen ganz unterschiedlichen Grad von Präzision der Quellenangabe, die vom präzisen Schwarzkopf zufolge in (55) oder nach Aussage seines Informationsministers ... in (60) über die etwas unspezifischeren nach Regierungsangaben in (64) oder Augenzeugenberichten zufolge in (62) bis zu völlig unspezifischen Angaben wie in (66) und (67) reichen: (66) Nach bislang vorliegenden Informationen verloren sowohl die Amerikaner als auch die Briten ... je eine Maschine. (WELT 18.1.91) (67) Am Freitag rückten Bodentruppen in Saudi-Arabien dem Vernehmen nach in die endgültigen Stellungen vor, aus denen der Angriff zur Rückeroberung Kuwaits beginnen soll. (FR 19.1.91) Völlig unbestimmt hinsichtlich der Quelle ist das satzadverbial gebrauchte angeblich, das ansonsten die gleichen syntaktischen und informationsstrukturellen Eigenschaften aufweist wie die Präpositionalphrasen mit nach, zufolge und laut. Allerdings wird es in der Regel wertend verwendet, um Skepsis hinsichtlich des Bestehens des bei der Originaläuße-

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rung behaupteten Sachverhalts zum Ausdruck zu bringen. Dennoch findet sich angeblich fünfmal in meinem Material, zwei Beispiele mögen als Belege genügen: (68) Iraks Luftabwehr schoß angeblich am Sonntag über Bagdad einen Tomahawk-Marschflugkörper ab. (FR 21.1.91) (69) Die Stellungen der Elitetruppen wurden angeblich auch aus großer Höhe von B-52-Bombern angegriffen, die Bomben abwarfen. (FAZ 18.1.91) Gleichfalls unbestimmt hinsichtlich der Quelle ist das Verb sollen, das allerdings teilweise - wie etwa in (72) und (73) - durch eine Quellenangabe ergänzt wird: (70) Durch die Luftangriffe, bei denen auch Langstreckenbomber vom Typ B-52 eingesetzt wurden, sollen 50 Prozent der irakischen Luftwaffe vernichtet worden sein. (WELT 18.1.91) (71) 100 Wohnungen sollen zerstört, 16 Menschen leicht verletzt worden sein. (SZ 21.1.91) (72) Laut Meldungen des US-Fernsehsenders ABC soll eine Rakete unweit des Verteidigungsministeriums eingeschlagen sein. (FR 21.1.91) (73) Eine Rakete soll nach Augenzeugenberichten in Riad eingeschlagen sein. (SZ 21.1.91) Was die Stellungsmöglichkeiten und damit den Einfluß auf die Informationsgliederung der betreffenden Sätze angeht, unterscheidet sich sollen jedoch deutlich von allen anderen sprachlichen Mitteln der Redewiedergabe: die Stellung des finiten Verbs - sollen in dieser Bedeutung kommt immer nur finit vor - ist jeweils durch den Satztyp bestimmt. Allerdings ist durch die Lokalisierung der Redekennzeichnung im finiten Verb die wiedergegebene Rede so deutlich gegenüber der Redekennzeichnung gewichtet wie bei keinem anderen Mittel der Redewiedergabe. Bis auf die Unbestimmtheit der Quelle entspricht wollen dem Modalverb sollen: die Quelle der Information, derjenige, der die Originaläußerung vollzogen hat, ist bei wollen ja immer die durch das Subjekt bezeichnete Person. In meinem Material kommt wollen nur zweimal vor, wobei beide Belege auf Grund der ganz ähnlichen Formulierung wohl auf den gleichen Agenturbericht zurückgehen: (74) Irak will 154 Flugzeuge abgeschossen haben. (FR 21.1.91) (75) Während die Iraker insgesamt 160 Flugzeuge der Angreifer abgeschossen haben wollen, nannten die Amerikaner und Briten 15 Flugzeug-Verluste. (SZ 21.1.91)

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Nach einer weitverbreiteten Meinung ist mit sotten und insbesondere mit wollen eine Distanzierung verbunden in der Weise, daß derjenige, der einen Satz mit sollen oder \vollen äußert, damit zum Ausdruck bringt, daß er skeptisch ist, ob die Originaläußerung wahr ist bzw. daß er sie sogar für falsch hält. Daß Äußerungen von Sätzen mit sollen und wollen oft als solche Distanzierungen empfunden werden, ist wohl unstrittig; allerdings liegt der Grund hierfür m.E. nicht an der Bedeutung von sollen und wollen, sondern darin, daß der Sprecher - wie generell bei der Verwendung von Redekennzeichnungen - explizit keine Garantie für die Wahrheit der Originaläußerung übernimmt, sondern sie als Äußerung anderer charakterisiert. Und daß die Distanzierung bei wollen normalerweise stärker empfunden wird als bei sollen - es ist kein Zufall, daß wollen in Nachrichtentexten kaum vorkommt -, ist darauf zurückzuführen, daß als Quelle nur der genannt wird, der selbst die fragliche Handlung vollzogen hat oder selbst in dem fraglichen Zustand ist, dessen Äußerung folglich vielleicht nur interessengeleitet zu verstehen ist.9 Teilweise werden Vorbehalte hinsichtlich der Übernahme einer Wahrheitsgarantie in Nachrichtentexten aber auch noch auf andere Weise zum Ausdruck gebracht; allerdings fallen diese Möglichkeiten gegenüber den hier skizzierten Mitteln der Redewiedergabe kaum ins Gewicht: (76) Alle Anzeichen deuteten am Wochenende darauf hin, daß die USA bei der "Operation Wüstensturm" im Norden eine zweite Front gegen den Irak eröffnet haben. (SZ 21.1.91) (77) Anscheinend waren zumindest die mit chemischen und konventionellen Waffen ausgerüsteten festen Raketenstellungen vom Typ "Scud" rechtzeitig getroffen worden. (FAZ 18.1.91) (78) Der massive Angriff scheint die irakische Luftabwehr völlig überrascht zu haben. (FAZ 18.1.91) (79) Möglicherweise war der Palast Präsident Saddam Husseins ein Ziel der Angreifer. (FR 18.1.91) Mit solchen sprachlichen Mitteln wird charakterisiert, wie es um die Begründungssituation, wie es um den Grad der Stützung für die Wahrheit der betreffenden Behauptungen steht, objektiv wie in (76) und (77), subjektiv wie in (78) und (79). Natürlich beruhen diese Einschätzungen in der Regel auch wieder auf Äußerungen, auf Berichten anderer; dies wird hier aber nicht sprachlich ausgedrückt. Nicht selten finden sich in den vorliegenden Nachrichtentexten aber auch Charakterisierungen der Begründungssituation als so ausreichend, daß keine Vorbehalte mehr angebracht seien:

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(80) Es bestehen keine Zweifel, daß von dort eine Vielzahl von Kampfflugzeugen starten, um militärische Ziele im Norden des Irak anzugreifen. (WELT 21.1.91) (81) Größere Kämpfe von Bodentruppen gab es am Donnerstag offenbar noch nicht. (FR 18.1.91) (82) Zivile Ziele wurden offenbar weitgehend geschont. (SZ 18.1.91) 4. Behauptungen ohne Vorbehalt sind - um noch einmal zum Anfang und zum Titel meines Beitrags zurückzukommen - solche Behauptungen, bei denen der Sprecher für das, was er behauptet, eine Wahrheitsgarantie übernimmt; Behauptungen mit Vorbehalt sind solche Behauptungen, bei denen der Sprecher keine solche Wahrheitsgarantie übernimmt, sondern nur zur Begründungssituation, zum Grad der Stützung für die Wahrheit des fraglichen Sachverhalts Stellung nimmt, indem er die Begründungssituation charakterisiert, wie sie sich objektiv darstellt, indem er den Grad seiner subjektiven Gewißheit zum Ausdruck bringt, oder aber, indem er auf die Behauptungen anderer Bezug nimmt, den Wahrheitsanspruch also als Wahrheitsanspruch anderer kennzeichnet. Von diesen verschiedenen Möglichkeiten dominiert in Zeitungsnachrichten eindeutig die letzte, fast ausschließlich wird der Vorbehalt hier durch Mittel der Redewiedergabe zum Ausdruck gebracht. Je nach dem gewählten sprachlichen Mittel wird dieser Vorbehalt jedoch auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck gebracht, denn diese Mittel unterscheiden sich - wie ich in 3. herauszuarbeiten versucht habe - in mehreren Hinsichten, von denen nur die wichtigsten noch einmal genannt seien: 1. Bestimmte sprachliche Mittel der Redewiedergabe sind markiert hinsichtlich des thematischen Zusammenhangs des Textes; sie bringen zum Ausdruck, daß es im gegebenen Zusammenhang um das Bestehen des Sachverhalts geht, über den in der Originaläußerung gesprochen wurde, nicht aber um diese Äußerung selbst. Andere sprachliche Mittel sind dagegen hinsichtlich des thematischen Zusammenhang unmarkiert. 2. Es bestehen graduelle Unterschiede in Bezug auf die kommunikative Gewichtung zwischen Redekennzeichnung und wiedergegebener Rede. 3. Die verschiedenen Mittel unterscheiden sich hinsichtlich der Möglichkeiten, die jeweilige Quelle der Information, d.h. den Sprecher der Originaläußerung, explizit zu machen bzw. mehr oder weniger oder ganz unbestimmt zu lassen.

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4. Sie unterscheiden sich z.T. beträchtlich in ihren topologischen Eigenschaften: durch die je verschiedenen Stellungsmöglichkeiten beeinflussen sie die Informationsgliederung der betreffenden Sätze bzw. Äußerungen auf je unterschiedliche Weise. 5. Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Nähe zur Originaläußerung. Obwohl - wie ich am Ende von l. einschränkend angemerkt habe - die Wahl eines bestimmten sprachlichen Mittels der Redewiedergabe bei Zeitungsnachrichten oft nicht bewußt getroffen wird, wirkt sich die Wahl eines bestimmten Mittels jeweils auf bestimmte Weise auf das Verständnis des Lesers aus, wird durch die jeweilige Formulierung das Verständnis des Lesers in eine bestimmte, ihm in der Regel allerdings nicht bewußte Richtung gelenkt, wird auch der Vorbehalt mehr oder weniger ins Blickfeld gerückt.

Anmerkungen 1. Ich verwende behaupten hier nicht im alltagssprachlichen Sinne, sondern in der in der Sprachphilosophie und Linguistik gebräuchlichen Bedeutung 'einen Wahrheitsanspruch erheben'. In dieser Bedeutung entspricht behaupten also assertieren. 2. Vgl. hierzu vor allem Schwab 1980: 35 sowie Tugendhat 1976: 246. 3. Genauer müßte es eigentlich heißen "lenken kann" und "beeinflussen kann", denn sehr oft wird bei der Rezeption von Nachrichten - auch von Zeitungsnachrichten - nur der Inhalt, nicht aber die sprachliche Gestaltung wahrgenommen, vgl. hierzu auch Hoppenkamps 1977: 33. 4. Vgl. auch hierzu Burger 1984: 118. 5. Vgl. hierzu u.a. Steube 1983 sowie Coulmas 1986. 6. Vgl. etwa Kurz 1966: 42. 7. Zum Begriff des thematischen Zusammenhangs vgl. Öhlschläger 1986 und 1989: 226. 8. Diese Bezeichnung geht auf Urmson 1952 zurück. 9. Zu sollen und wollen in dieser Bedeutung vgl. auch Öhlschläger 1989: 233.

Sprachkritische Momente in der Grammatik Gisela Zifonun

1. Inwiefern sprachkritische Momente in der Grammatik? Eine Vorbemerkung Grammatiken als Texte einer bestimmten Textart gelten nicht eben als der ausgezeichnete Ort sprachkritischer Reflexionen.' Ebensowenig setzt die äußerungsbezogene Text- oder Redekritik in erster Linie bei den jeweils verwendeten grammatischen Mitteln und Verfahren an. Nach wie vor sind Wortverwendungen, kontextabgelöste (Schlag-)Wörter oder aber die Begriffe, die sich hinter den Wörtern verbergen sollen, bevorzugter Ansatzpunkt von Sprachkritik, die sich dann - von diesen Wörtern und Begriffen ausgehend - zu einer kritischen Analyse ganzer um die Wörter kristallisierter Kommunikationszusammenhänge und -geschichten zu Ideologiekritik und Mentalitätsgeschichte verdichten kann. Demgegenüber hat Peter von Polenz ins Bewußtsein gerückt, daß sprachkritische Textanalyse auf verschiedene Ebenen zugreift. Erst die Entwicklung "neuerer Teildisziplinen wie Soziolinguistik, Textlinguistik, Satzsemantik, Sprachpragmatik und Argumentationslehre" ermögliche die wünschenswerte "vielseitige Analyse" - so von Polenz in seinem Dialog mit Hans Jürgen Heringer über den "Streit um die Sprachkritik" (Heringer 1982: 168). Mit seiner "Satzsemantik" (v. Polenz 1985) hat von Polenz dann vorgemacht, wie eine solche vielseitige Analyse - mit dem Schwerpunkt der satzsemantischen Analyse - aussehen kann, wie sie mit konkreten Einzeltexten umgeht, und wie man zu einer generellen Beschreibung semantischer Verfahren gelangen kann, die ihrerseits unter den Gesichtspunkten einer kommunikativen Ethik bewertet werden können. Satzsemantik, wie von Polenz sie betreibt, ist nun in meiner Sicht eine pointierte Form der Beschäftigung mit Grammatik. Pointiert insofern, als sie keine Detailanalyse der grammatischen Form, der grammatischen

Sprachkritische Momente in der Grammatik

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Mittel und der syntaktischen Struktur liefert, sondern diese voraussetzt. Pointiert auch insofern, als sie strikt deszendent ausgerichtet ist, d. h. den Inhalt ganzer Sätze in eine Hierarchie von Teil-Gehalten wie "propositionaler Gehalt" oder "pragmatischer Gehalt" mit ihren jeweiligen Unterdifferenzierungen zerlegt, und auch insofern pointiert, als Satz-Syntax und Satz-Semantik als voneinander unabhängig betrachtet werden (vgl. v. Polenz 1985: 91). Diese Pointierungen zeigen dem Grammatiker ein Janusgesicht: Zum einen erkennt er, daß er künftig seiner Aufgabe kaum gerecht werden wird, wenn er Satzsemantik nicht einbezieht, und daß ihm damit auch die \ufgabe zuwächst, das sprachkritische Potential satzsemantischer Phänomene mitzubehandeln. Zum anderen wird er sich mit dem Getrennt— Fahren bei der Beschreibung von sprachlichen Mitteln und Satzsyntax einerseits und Satzsemantik andererseits kaum zufriedengeben können. Denn ihn wird ja nach wie vor besonders interessieren, wie durch sprachliche Form sprachliche Funktion zustandekommt, das heißt, er wird einer strikteren Bindung an die grammatische Ausdrucksseite verpflichtet bleiben. Ich werde daher im folgenden - nach einem situierenden Einstieg über aktuelle sprachkritisch relevante Gegenstände und teilweise anhand dieser Gegenstände - eine Reihe von grammatischen Einzelphänomenen behandeln, die in in der sprachkritischen Diskussion eine Rolle spielen: die Argumentstruktur von Prädikaten, das Passiv und Konjunktiv sowie erlebte Rede als mögliche Mittel einer "Distanzierung". Im ersten Fall, bei der Frage der Argumentstruktur von Prädikatsausdrücken, handelt es sich um ein grammatisch-semantisches Phänomen aus dem Uberschneidungsbereich von Grammatik und Lexikon, das ich jedoch primär aus der grammatischen Sicht des Aufbaus von Satzbedeutungen betrachte. Bei diesen Einzelreflexionen sollte immer folgendes bedacht werden: Der Beitrag, den grammatische Analyse zur Äußerungskritik liefert, muß notwendigerweise bescheiden bleiben. Denn nicht auf die Tatsache des Gebrauchs von sprachlichen Mitteln, die auf dem "Index" der grammatischen Sprachkritik stehen, als solche kommt es an, sondern auf deren sprachpragmatischen Stellenwert im Gesamttext: Von Polenz hat verschiedentlich (1985,1989) daraufhingewiesen, daß erst die Häufung von Mitteln und Verfahren wie Subjektschub, De-Agentivierung, Nominalisierung, ihr strategisch-manipulativer oder auch unreflektierter Gebrauch Anlaß zu sprachkritischer Beobachtung geben. Nur der Beitrag unterschiedlicher Mittel zum Gesamttext kann kritisch gewürdigt werden.

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Die Hilfestellung, die grammatische Analyse dabei oder dafür geben kann, besteht zum einen in der genaueren Klärung der Einzelphänomene selbst. Worin z. B. besteht der syntaktisch-semantische Unterschied zwischen Aktivsätzen und entsprechenden Sätzen im sogenannten Vorgangspassiv, der das sprachkritische Potential überhaupt erst aufkommen läßt? Solchen Überlegungen dienen im einzelnen die Abschnitte 3. bis 5. Eine zweite Aufgabe des sprachkritischen Grammatikers sollte die allgemeine Reflexion darüber sein, welche grammatischen Mittel oder Verfahren überhaupt aufgrund welcher Eigenschaften sprachkritisch relevant werden können. Diese Frage tippe ich im abschließenden Abschnitt 6. nur kurz an. Bei allem habe ich stets im Hinterkopf, daß es letztlich gilt, beiden Lesarten meines Titels gerecht zu werden: Sprachkritische Momente finden sich zuerst und vor allem als Potentiale bestimmter grammatischer Mittel. Sprachkritische Momente sollten dann aber - dies reflektierend - auch als konkrete Textbausteine Eingang finden in die grammatischen Textbücher selbst: Das sprachkritische Potential des Passivs/Konjunktivs usw. ist in diesem Fall in einer Grammatik des Deutschen mitzubeschreiben.

2. Ein Einstieg: Zur Aktualität der Sprachkritik

Politische Sprachkritik bleibt aktuell. Der "gigantische Paralleltext" (Spiegel 47/1991: 276) zur DDR-Literatur, die Kilometer Stasi-Akten, bieten reichlich Material, ebenso wie der in den Medien ausgetragene Streit um die Verstrickung von Politikern, Kirchenleuten, Intellektuellen und Profi-Sportlern in die kriminellen Machenschaften der Staatssicherheit. Jürgen Fuchs, der bespitzelte, für ein Jahr inhaftierte und schließlich 1977 in die BRD abgeschobene, aber durch einen "Zentralen Operativen Vorgang" noch bis Ende 1989 begleitete Schriftsteller dokumentiert in einer Spiegel-Serie diese "Landschaften der Lüge". Er zitiert aufschlußreiche Passagen aus Berichten von Inoffiziellen Stasi-Mitarbeitern, Verhörprotokollen, Aktennotizen, Maßnahmeplänen, gehalten in jener "grotesken Amtssprache" (Spiegel), in der neben dem Geheimcode der Abkürzungen (IM für "Inoffizieller Mitarbeiter", ZOV für "Zentraler Operativer Vorgang" usw. usw.), neben den blumigen Benennungen einzelner "Operativer Vorgänge" wie "Pegasus", "Weinberg", "Opponent", "Ikarus", "Revisionist" oder "Lyrik" (Spiegel 4771991: 284), viele bekannte Phänomene wiederkehren oder eine neue Variation erhalten.

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Fuchs kommentiert dazu, er "mute" die Stasi-Sprache "zu mit all ihren Abkürzungen, der Syntax, die dazugehört, den Reihungen und Substantivierungen, wir sind in Deutschland, nicht wahr, Victor Klemperer hat seine "LTI" geschrieben, nun wird geschrieben die "LQI", die Sprache des vierten Reiches" (Spiegel 47/1991: 282). Ich zitiere beispielhaft eine Anweisung, in der der Leiter des "Amtes für nationale Sicherheit" (AfNS) noch am 10.12.89, also in der Regierungszeit Modrow, folgenden "Löschauftrag" zur Vernichtung von Stasi-Akten formulieren konnte: An die Abteilung XII im Hause Betr.: Löschauftrag. In Fortführung der Durchsetzung der Minimierung der Aufgaben des AfNS als Rechtsnachfolger des MfS und infolge des Wegfalls der Bedingungen, die zur Bearbeitung verschiedener Personen geführt haben, sowie zum Schutz der Quellen wird der Bestand an IM-Unterlagen reduziert. Dazu ordne ich an: Die in der Anlage aufgeführten Akten sind der Verkollerung (Haus II, Keller) zuzuführen und die betroffenen Personen sind aus den Speichern der Abt. XII zu löschen. Termin: sofort Verantwortl.: Ltr. Abt. XII Ltr. der IM-führenden DE (Spiegel 49/1991: 97) Da ist vieles beisammen. Am auffälligsten sicher die Häufung von Verb— Nominalisierungen, die im ersten Satz des Texts zu einem Monstrum von komplexer Phrase kombiniert sind: Sie besteht aus drei koordinierten Präpositionalphrasen, die jeweils unterschiedliche adverbiale Bestimmungen ausdrücken: zunächst eine Art Komitativbestimmung (in Fortführung bis MfS), sodann eine Konsekutivbestimmung (infolge des Wegfalls bis haben) und letztlich eine Finalbestimmung (zum Schutz der Quellen). Die ersten beiden Konjunkte enthalten jeweils mehrere hierarchisch gestufte Attribute, die zum Teil ihrerseits (durch ein attribuiertes Adjunkt bzw. einen Relativsatz) ausgebaut sind. Eine inhaltliche Analyse würde zeigen, daß sich hinter der Verwendung von Abstraktnomina wie Wegfall der Bedingungen oder Schutz der Quellen äußerst brisante Tatbestände verbergen: 'Weggefallen' sind die Bedingungen zum Ausforschen, Denunzieren und Drangsalieren von Menschen durch den Bankrott des Regimes, durch das Ende der DDR-Diktatur. Aus der Sicht des vorliegenden Texts jedoch ist sozusagen die Geschäfts-Grundlage abhanden gekommen, so einfach ist das. Der Textautor benennt mit der Vorgangsbezeichnung Wegfall und dem unscharfen, wertungsneutralen Ausdruck

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Bedingungen einen Sachverhalt, den andere, die Opfer, aus ihrer Sicht als allfällige Beendigung einer unrechtmäßigen, menschen verachtenden und vielfach verbrecherischen Praxis bezeichnen würden, die von Vertretern einer staatlichen Behörde und ihren Zuträgern ausgeübt wurde. Dieses Ende haben - so sehen wir es heute - protestierende und in Komitees organisierte Bürger erzwungen, indem sie ihre Forderung nach Akteneinsicht vielfach in die Tat umsetzten. Der Schutz der Quellen wiederum wäre umzuschreiben als Vertuschungs-, wenn nicht gar Strafvereitelungsmaßnähme großen Stils.

3. Verschiebungen in der Argumentstruktur von Handlungsverben Ein besonders aufschlußreiches Mittel, bei dem ich etwas verweilen werde, ist die zunächst ungewöhnlich erscheinende Kombination bestimmter Handlungs verben oder ihrer Nominalisierungen mit Personenbezeichnungen in der Funktion von Objekten. Wir würden hier, zumindest in der jeweils vorliegenden Bedeutung(snuance), üblicherweise unbelebte Patiens-Objekte erwarten. In dem kurzen Text finden sich zwei solche Fälle: Bearbeitung verschiedener Personen und Personen sind aus den Speichern der Abt. XII zu löschen. Bei der Verwendung von löschen ist, so scheint es, nur eine Kleinigkeit vergessen: Nicht die Personen, würden wir sagen, sind zu loschen, sondern ihre Namen, die Decknamen sowie alle sie betreffenden Einträge. Oder wurde doch nicht einfach nur ökonomisch formuliert, sondern ist es nicht eher so, daß Personen hier in der Tat nur in der Existenzform ihrer Akte interessieren und insofern der Sprachgebrauch im Sinne des Gemeinten ganz und gar nicht abweichend ist. Man vergleiche auch die folgende, inhaltlich in den gleichen Kontext gehörende, nominalisierte Verwendung des objekt-verschobenen löschen, die auch der "Spiegel" für besonders zitierenswert hält: "Die Löschung von Einzelpersonen von Sicherungsvorgängen", heißt es in einer Dienstanweisung des MfS-Chefs von Erfurt, "hat mit Form 5a (Löschauftrag) bei gleichzeitiger Übersendung der Indexblätter zu erfolgen ..." (Spiegel 3/1992: 33). Bearbeiten wird mit personalem Akkusativobjekt nur in den Bedeutungsnuancen 'mit etw. heftig schlagen, wiederholt auf jmdn. einschlagen' ( = Bedeutungsstelle 3., Duden, "Das große Wörterbuch", Bd. 1) sowie 'eindringlich auf jmdn. einreden, einwirken, um ihn von etwas zu überzeugen oder für etwas zu gewinnen' (= Bedeutungsstelle 5.) verzeichnet. Beides kann hier kaum gemeint sein: Die erstgenannte Variante scheidet

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schon deshalb aus, weil das bei dieser Variante mitgenannte oder zumindest immer mitzudenkende Instrument der Bearbeitung in den Stasi-Texten nicht erscheint. Die zweite Variante kann kaum gemeint sein, wenn man bedenkt, daß Überzeugungs- und Gewinnungsarbeit im Umgang der Staatssicherheit mit den Bürgern der DDR nicht angesagt war. Die übrigen Bedeutungsvarianten ohne personales Akkusativobjekt sind laut Duden: 'sich mit einem Gesuch, einem Fall als entsprechende Instanz prüfend oder erforschend beschäftigen [und darüber befinden]' (= Bedeutungsstelle 1.), 'zu einem bestimmten Zweck körperliche Arbeit an etwas wenden/mit etw. behandeln' (= Bedeutungsstelle 2. a/b), 'unter einem bestimmten Gesichtspunkt neu gestalten, überarbeiten, verändern'/'durchforschen, untersuchen; über etw. wissenschaftlich arbeiten' (= Bedeutungsstelle 4. a/b). Von diesen steht die hier vorliegende Verwendung offenbar der Variante 1. am nächsten. Es scheint eine Ausdehnung der Verwendung 'sich mit einem Gesuch, einem Fall als entsprechende Instanz prüfend oder erforschend beschäftigen' auf Personen und Personengruppen vorzuliegen. Wie sich bei dieser Ausdehnung die Gebrauchsbedingungen und mit ihnen die Verwendungsregel von bearbeiten verschieben, wird erst deutlich, wenn wir den Bezugsrahmen betrachten, in den nicht nur bearbeiten und löschen gehören, sondern auch steuern, traktieren und vor allem zersetzen. Mit bearbeiten werden sämtliche Aktionen bezeichnet, die bei der "Feindbehandlung" (Spiegel 49/1991: 94) so anfallen. Dazu heißt es in einem "Maßnahmeplan" des "Stellvertreters Operativ" Seidel mit Bezug auf den Pfarrer Schilling aus Braunsdorf:2 "In einem ... laufenden operativen Prozeß (OV "Spinne") wird eine antisozialistisch wirkende Person bearbeitet, die ihre berufliche Stellung als Pfarrer dazu nutzt, um bereits über einen längeren Zeitraum breite Kreise Jugendlicher mit negativdekadenten Verhaltensweisen um sich zu sammeln und gegen den Staat und seine Organe aufzuwiegeln versucht". (Spiegel 48/1991: 73; letzter Teil ungrammatisch?) Worin die Bearbeitung bestand, wird weiter unten etwas deutlicher: "Uns gelang es in diesem Jahr, die erneut geplante kirchliche Jugendgroßveranstaltung "JUNE 80" mit 5000 Teilnehmern zu verhindern und Voraussetzungen zu schaffen, dieses Rustzeitheim vorübergehend zu schließen". (Spiegel) An anderer Stelle heißt es über einen Inoffiziellen Mitarbeiter: "Sehr gute Leistungen zeigte der IM bis zu seiner Inhaftierung 1973 bei der

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Bearbeitung negativer Studentengruppierungen der Friedrich-Schiller Universität Jena, ihrer Verbindung zu anderen Universitäten, zum Schriftsteller Heymund, zur Hauptgeschäftsstelle der ESG (Evangelische Studentengemeinde - Red.) in Berlin". (Spiegel 51/1991: 126) Als lockerere, jargonhaftere Variante findet sich statt bearbeiten auch traktieren. Ich zitiere den ganzen Abschnitt aus Jürgen Fuchs' Dokumentation; denn sie macht deutlich, was bearbeiten und traktieren konkret bedeuten: Einmal ging es Ev und Frank Rub etwas besser, obwohl die "Aktion Ärger" lief und 1MB (Inoffizieller Mitarbeiter mit Feindberührung - G. Z.) "Tilo Buchholz", ein Kunstfreund und Vertrauter der Familie, im Bericht vom 12.10.84 mitteilte, "sie hätten die Ausreiseabsicht vorläufig erst einmal aufgegeben" - bei dieser Zeile findet sich die handschriftliche Randnotiz eines MfS-Mitarbeiters: "Wir müssen Rub traktieren, sonst schläft der ein." (Spiegel 49/1991: 108) Bearbeiten ist also eine Art, 'Ärger' zu machen, mit dem Ziel, unliebsame Personen in die Enge zu treiben, ihre privaten und politischen Beziehungen zu zerstören und sie z. B. zur Ausreise oder aber zur Mitarbeit zu zwingen. "Die Palette reichte von zermürbenden Schikanen bis zu Mordanschlägen" (W. Biermann in: Spiegel 5/1992: 181). So gesehen, schillert der Gebrauch von bearbeiten nach wie vor: Die 'bearbeiteten' Personen sind für den Inoffiziellen Mitarbeiter zu bearbeitende Fälle, sie werden aber auch traktiert wie Werkstücke aus Holz oder Stein, und schließlich ist die Bearbeitung - wenn man den zynischen Blick der Bearbeiter teilt - eine Art Gewinnungsversuch. Schlüssel zu dem ganzen System der Handlungen im Rahmen der "Feindbehandlung" - und damit auch Schlüssel zu dem Gebrauch der entsprechenden Verben - ist das Verständnis von operativer Vorgang und Zersetzung(smaßnahmen), zersetzen. Nach der Definition von "Operativer Vorgang", die das MfS-"Wörterbuch der politisch-operativen Arbeit" gibt, handelt es sich um ... den einzelnen Prozeß der Vorgangsbearbeitung, in dem der Verdacht strafbarer Handlungen (Staatsverbrechen oder operativ bedeutsame Straftat der allgemeinen Kriminalität) einer oder mehrerer, bekannter oder unbekannter Person(en) geklärt wird. (Spiegel 48/1991: 79) Zu dieser Vorgangsbearbeitung gehören z. B. die Entscheidung über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, die "Uberwerbung", die Anwerbung, vor allem aber die "Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung". Operativ avanciert zum Kennwort, zum Markenzeichen und Symbol die-

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ses ganzen Tätigkeitskreises: Es wird zum bevorzugten adverbialen Begleiter aller auf die Tätigkeit der Stasi-Mitarbeiter bezogenen Handlungsverben: operativ auswählen, operativ plazieren, operativ begleiten (Spiegel 51/1991: 126). Alles, was Operativ' geschieht, ist wohlgetan. Bei Zersetzung wiederum handelt es sich laut "Wörterbuch der politischoperativen Arbeit" um eine operative Methode des MfS zur wirksamen Bekämpfung subversiver Tätigkeit ... Ziel ... ist die Zersplitterung, Lähmung, Desorganisierung und Isolierung feindlich-negativer Kräfte ... Hauptkräfte der Durchführung der Z. sind die IM ... Die Durchführung ... ist einheitlich und straff zu leiten ... Die politische Brisanz ... stellt hohe Anforderungen hinsichtlich der Wahrung der Konspiration. (Spiegel 49/1991: 108) Fuchs kann anhand von Dokumenten zeigen, daß im Gefolge des Helsinki-Prozesses der 'Zersetzung' immer größere Bedeutung zuwuchs. Solche Maßnahmen der "Verunsicherung, Zurückdrängung, Kriminalisierung (im Original unterstrichen, G. Z.) oder Disziplinierung" (Spiegel 48/1991: 72) mußten nun verstärkt an die Stelle von offenen Maßnahmen wie Ermittlungsverfahren oder Inhaftierung treten, da diese von der Weltöffentlichkeit gegebenenfalls als Verstoß gegen die in der Schlußakte von Helsinki garantierten Bürgerrechte hätten angeprangert werden können. Fuchs kommentiert: "Zersetzung kann auch heißen, was im OV Revisionist (Reg. -Nr. X 39/74) gegen den Psychologen Jochen Anton Friedel und seine Freunde praktiziert wurde. Quälerei von 1974 bis 1998, unzählige 'Abarbeitungsgespräche', Ausweis-Entzug, Promotionsverhinderung, IM-Anwerbung und IM-Einsatz, Reisesperren und Ausbürgerungen." (Spiegel 49/1991: 108). Zum Lemma zersetzen heißt es im Duden ("Das Große Wörterbuch der deutschen Sprache", Bd. 6): "durch Agitation o. ä. eine zerstörende Wirkung auf eine bestehende Ordnung o. ä. ausüben; den Bestand von etwas untergraben: die Moral, die Widerstandskraft..." Im Sprachgebrauch des MfS wurde diese Verwendung so nach den Bedürfnissen zurechtgebogen, daß der Spiegel-Autor von "Zersetzung von Vertrauensverhältnissen" (Spiegel 50/1991: 24), Zersetzung von Freundeskreisen (Spiegel 47/1991: 276) sprechen kann, an anderer Stelle von einer "Zersetzung der Ehe" (Spiegel 3/1992: 30) oder der Zersetzung der polnischen Opposition (Spiegel 51/1991: 126). Patiens-Objekt von zersetzen kann somit offenbar auch ein Ausdruck sein, der zwischenmenschliche Beziehungen, Gruppen oder auch Paarbildungen bezeichnet.

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Zersetzen ist also ein Pendant zu bearbeiten, bei dem einerseits der Aspekt des Subversiv-Destruktiven offener hervortritt, anderseits nicht Einzerfalle' oder -personen Objekte sind, sondern Kollektive und ihre Beziehungen. Zweifellos spielen bei dieser speziellen Funktionalisierung von Handlungsverben mit (in dem am Beispiel zersetzen erläuterten weiteren Sinne) personalen Patiens-Objekten allgemeinere Merkmale der Behördensprache, der Sprache der "verwalteten Welt", eine Rolle. Die Vermittlung einer Sehweise, in der Menschen primär als Verwaltungsnummern oder Betroffene von (operativen) Maßnahmen gesehen werden, über solche Objekt-Schübe hat eine lange, in der Literatur aufgearbeitete Tradition. Man denke an das sprachkritische Thema der Verschiebung in der sprachlichen Bezeichnung von Menschen und Sachen. Betreuung ist dort (vgl. z. B. Sternberger/Storz/Süskind3 1968) das Stichwort, das als exemplarischer Ausdruck dieser Mentalität gesehen und kritisiert wurde. Bearbeiten erweist sich in seiner beschriebenen Funktionalisierung als unmittelbares Nachbarwort von betreuen. Nicht von ungefähr bezeichnet Wolf Biermann die Bearbeitungs-Maßnahmen als "Stasi-Betreuung": "Die Betreuung durch Mielkes Dienstleistungskonzern war umfassender als wir wußten" (Spiegel 5/1992: 181). Die Traditionslinie führt sicher auch über den Sprachgebrauch der NSDiktatur. Ich erinnere an die zu Beginn dieses Abschnitts zitierte Anmerkung von J. Fuchs, in der er von der LTI und der LQI spricht. Die Diskussion über die Angemessenheit eines Vergleichs oder einer Kontrastierung dieser Art hat begonnen. Die Affinität zwischen der Stasi-Sprache und der Sprache der NS-Diktatur soll hier nicht untersucht werden. Dies mit der notwendigen Kenntnis zu können, maße ich mir nicht an. Auch bleiben solche Vergleiche, da stimme ich Kopperschmidt (1990: 266) zu, dem Oberflächlichen verhaftet, wenn nicht "material" analysiert wird, wenn "mit der Sprache" nicht "die Verhältnisse zur Verhandlung" (Sternberger/Storz/Süskind 1968: 526) stehen. Die Verhältnisse aber, die zu einer "Sonderbehandlung" von Menschen führten, sind doch noch andere als diejenigen, die die Bearbeitung von Personen möglich machten. Betrachten wir nun diese Patiens-Verschiebungen als sprachkritisches Moment für die Grammatik! Solche - mehr oder weniger auffälligen Veränderungen in den Gebrauchsbedingungen von Prädikatsausdrücken rütteln an der naiven Grammatiker-Überzeugung, es gäbe so etwas wie "Selektionsrestriktionen" (Terminologie der Generativen Grammatik),

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"klassematische Bedingungen" (Terminus des europäischen Strukturalismus) oder "kategorielle Bedeutungen" (Terminus in der Grammatik Engel 1988), die "die inhärenten Bedeutungen umgebender Elemente" festlegen und die "wesentlicher Bestandteil der Inhaltsvalenz eines Wortes" sind (Engel 1988: 865). In diesem Fall würden also die Handlungsverben bearbeiten, zersetzen o. ä. in der genannten BedeutungsVariante z. B. für das Akkusativobjekt als inhärente Bedeutung das Merkmal 'unbelebt' festlegen. Solcherlei Festschreibungen finden sich in Valenzwörterbüchern und Grammatiken allenthalben. Mit Recht jedoch zeigen sich z. B. neuere Versionen der Generativen Grammatik eher zurückhaltend in dieser Hinsicht. Denn solche Merkmale sind viel zu rigide und unflexibel und legen meist deutlich Zeugnis davon ab, daß abbildtheoretische Vorstellungen Pate gestanden haben. Wo es um sprachkritische Fragen geht, zeugen derartige Festlegungen von naivem Sprachmoralismus: Personen gehören nicht bearbeitet; menschliche Beziehungen gehören nicht zersetzt. Moralismen dieser Art sickern dann in die deskriptive Beschreibung satzsemantischer Beziehungen ein, indem bestimmte Kombinationen als Verstöße gegen Selektionsrestriktionen ausgeschlossen werden. Als hätte "die" Sprache die Moral, die die Sprecher nicht haben, als verhindere eben diese Moral der Sprache die Unmoral der Sprecher. Genauer betrachtet, verhält es sich jedoch anders: Zwar reden z. B. die Stasi-Autoren nicht so über Menschen, wie wir es gerne hätten. Aber sie verhalten sich sehr wohl - zynischerweise - gemäß anerkannten Prinzipien der kommunikativen Ethik. Sie bezeichnen Gegenstände und Sachverhalte mit den Ausdrücken, die diese Gegenstände und Sachverhalte so charakterisieren, wie sie als Sprecher sie sehen: Sie sprechen ihre eigene Sprache. Sie folgen der Maxime "Sprich, daß ich dich sehe", die nach Heringer (1989: 116) auf Sokrates zurückgehen soll. 4. Passiv, Argumentreduktion und Prädikatklassenveränderung Belege für Passivkonstruktionen sowie andere Konversen finden sich in den Stasi-Texten in großer, mit Sicherheit gegenüber dem Vorkommen in einem gemischten Korpus schriftsprachlicher Texte überdurchschnittlichen Zahl. Dies entspricht der allgemeinen Tendenz in Texten der "Gebrauchsliteratur".4 In Anweisungstexten, vor allem aus dem Bereich der behördlichen Verwaltung, in Satzungen, Bestimmungen, Anordnungen, Aufträgen usw. kommen als weitere Charakteristika die gehäufte Verwendung der modalen sein-zu-Konverse sowie die generelle Tendenz

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zur "Ersparung" des Aktiv-Subjekts hinzu. Diese Charakteristika des Textsortenstils lassen sich in den "Maßnahmeplänen" aus den Stasi-Akten am deutlichsten belegen. Ich zitiere auszugsweise aus dem zur "Bearbeitung" des Ehepaares Gerd und Ulrike Poppe erstellten Maßnahmeplan. Punkt l der Maßnahme: "Um Ulrike Poppe in ihren vorhandenen Trennungsabsichten zu unterstützen, wird ihr die Aufnahme eines Fachschulstudiums in Aussicht gestellt..." Punkt 2: "Zur Verschärfung der Ehekrise und Unterstützung der Trennungsabsichten der POPPE, Ulrike wird die Kontaktperson Harald an die POPPE mit dem Ziel herangeschleust, zwischen beiden ein Intimverhältnis aufzubauen. Termin: Juli 1987..." Punkt 3: "POPPE, Gerd ist durch gezielte anonyme Informationen an seiner Arbeitsstelle zu diskriminieren ..." Punkt 4: "Vorbereitung der Veröffentlichung eines Artikels in der Tageszeitung Junge Welt über die Tochter des POPPE, Gerd aus erster Ehe, POPPE, Grit. In diesem Artikel soll ihre bisherige positive schriftstellerische Arbeit unter Hinweis auf eine 'feste politische Überzeugung' gewürdigt werden. Durch einen geeigneten IM wird auf der Grundlage dieses Artikels die Glaubwürdigkeit des POPPE, gegenüber anderen, operativ bearbeiteten Personen in Frage gestellt. Tennin: Mai 1987." Punkt 5: "Über die Direktorin der 15. Oberschule Berlin-Prenzlauer Berg ist die zielgerichtete langfristige positive Beeinflussung und Entwicklung des POPPE, Jonas zu gewährleisten." (Spiegel 3/1992: 30) Die unter Punkt 2 geschilderte Maßnahme schätzte man offenbar als besonders wirkungsvoll ein. W. Biermann schildert eine ähnliche Maßnahme, mit der seine Frau bedacht werden sollte: "Ein Spitzel, der damals auf meine Frau angesetzt wurde - "1,83 Meter groß, dunkle Haare, Frauentyp" - erhielt den delikaten Auftrag: 'Eine echte Liebesbeziehung ist zu entwickeln'." (Spiegel 5/1992: 184) Die funktionalen Aspekte des Passivgebrauchs im Deutschen können heute aufgrund der Arbeiten von Brinker (1971), Schönthal (1976 und 1987), Pape-Müller (1980), Eroms (1974 und 1987) als weitgehend geklärt gelten. Wesentlich ist dabei die Unterscheidung zweier funktionaler Aspekte: Zum einen weisen Passivsätze gegenüber den entsprechenden Aktivsätzen Argumentrestrukturierung auf, zum anderen nicht obligatorisch, jedoch fakultativ Argumentreduktion. Argumentrestrukturierung oder Konversion bedeutet, daß das Subjekt des entsprechenden Aktivsatzes "degradiert" wird zu einer mit von oder durch angeschlosse-

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nen Präpositionalphrase, das Akkusativobjekt hingegen - beim bekommen-Passiv das Dativobjekt -, sofern es überhaupt in der Konstruktion vorhanden ist, zum Subjekt "promoviert" wird (vgl. dazu Zifonun 1992). Kritisch wird dabei nach wie vor besonders die Möglichkeit der Argumentreduktion beurteilt: In allen Passiv-Arten (dem werden-, sein- und dem bekommen-Passiv) sowie in den modalen Konversen mit sein zu, gehören ist das degradierte Aktiv-Subjekt weglaßbar. Man hat nun durchaus gezeigt, daß die Ersparung dieses 'Ereignisbeteiligten' - wie ich zunächst einmal neutral sagen will - nicht per se negativ, also auf der Soll-Seite, zu verbuchen und sprachkritisch zu beurteilen ist. Argumentreduktion ist generell immer dann unproblematisch, wenn der gemeinte Ereignisbeteiligte im Vortext - gelegentlich auch im Folgetext - genannt wird, also für den Textadressaten unmittelbar präsent ist. In diesem Fall können allenfalls, wenn z. B. die Nennung sehr weit zurückliegt, Textverständnisschwierigkeiten auftreten. Argumentreduktion liegt häufig auch dann vor, wenn der fehlende Ereignisbeteiligte aus dem Wissen (von Sprecher und Hörer) unmittelbar und eindeutig erschlossen werden kann. So ist es z. B. in bestimmten Anweisungstexten, etwa Gebrauchsanweisungen, Kochbüchern, Spielregeln, nicht notwendig, denjenigen zu benennen, der die Handlungen, zu denen hier angeleitet wird, durchführt. Jeder Leser ist ein potentieller Handelnder. Von daher erweist sich die argumentreduzierte, konverse Formulierung als der Textsorte durchaus angemessen. Trifft dieses Urteil nun nicht auch für die Passivformen in den Maßnahmeplänen der Stasi-Akten zu? Zum Teil sicher. Zwei Überlegungen jedoch legen hier eine kritischere Beurteilung nahe: Zum einen wurden ja solche Maßnahmepläne zum Teil nicht für ganz bestimmte durchführende Personen geschrieben, sondern für beliebige mit der Durchführung betraute oder noch zu betrauende. D.h., hinter dem fehlenden Ereignisbeteiligten verbirgt sich gar keine konkrete handelnde Person, die verantwortlich gemacht werden könnte, sondern eine beliebige Adresse, ein Rädchen im Getriebe, das, funktional austauschbar, auf Anweisung den operativen Ablauf in Gang hält. Zum anderen ist es sicher zutreffend, daß Passivkonstruktionen allein schon aufgrund der unterschiedlichen Perspektivierung der Ereignisbeteiligten eine "den Handlungscharakter verdeckende Wirkung" haben können (v. Polenz 1985: 183). Diese Umperspektivierung liegt in den Stasi-Texten generell vor: Das vom ursprünglichen Aktiv-Subjekt Bezeichnete, also gegebenenfalls eine handelnde Person, wird im Passiv in den Hintergrund gerückt, ein ande-

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rer Ereignisbeteiligter kann als neues Subjekt in den Vordergrund treten. Typischerweise erscheinen solche in den kognitiven Hintergrund gerückten Aktiv-Subjekte in den Stasi-Texten als Präpositionalphrasen mit durch oder gar über, also als eine Art instrumentaler oder medialer Bestimmungen, nicht etwa mit dem eher agentischen von; man vergleiche dazu die entsprechenden Phrasen in Punkt 4 des Maßnahmeplans gegenüber Poppe. In anderen Konstruktionen, so im sogenannten unpersönlichen Passiv, gibt es gar kein kognitives Vordergrundelement in Form eines Subjekts mehr, sondern es wird nur über gleichermaßen im Hintergrund befindliche Beteiligte gehandelt (es wurde ihm auf das entschiedenste widersprochen) bzw. es werden überhaupt keine Beteiligten mehr genannt, das Geschehen selbst bildet den Vordergrund (es wurde geredet und geredet).5 Am kritischsten wird das Passiv dann beurteilt, wenn über diese generelle Defokussierung des Handlungsaspekts hinaus beim argumentreduzierten Passiv "beabsichtigte Vagheit" (v. Polenz 1985: 184) oder gar Täterverschweigung vorliegt. Beabsichtigte Vagheit ist z. B. mit der formelhaften Nennung des potentiellen Aktiv Subjekts in der Phrase im Namen von bzw. im Namen + Genitiv verbunden. Die verschleiernde Wirkung dieser Konstruktion ist inzwischen ins allgemeine Bewußtsein gedrungen. So kommentiert Biermann im Zusammenhang mit dem an J. Fuchs gerichteten Tadel, dessen Wort vom "Auschwitz in den Seelen" sei "monströs" (so Ulrich Greiner in der "ZEIT"): Die Ostdeutschen tappten von der braunen in die rotgetünchte Diktatur, die Verwüstung in den Seelen dieses vom Untertanengeist verstümmelten Volkes ist gründlich. Also darf Jürgen Fuchs so etwas sagen. Damit verharmlost er ganz und gar nicht das Verbrechen an sechs Millionen Juden, ein Verbrechen, das nicht im deutschen Namen begangen wurde, wie Kohl immer salbadert, sondern von den Deutschen". (Spiegel 3/1992: 166) Wesentlich für ein Verständnis des semantischen Potentials, das dem sprachkritischen Urteil über Passivformen zugrundeliegt, ist die Betrachtung der jeweiligen semantischen Formen von Aktiv und Passiv. Von Polenz scheint davon auszugehen, daß diese jeweils verschieden sind. So heißt es: "Prädikatsklassen-Veränderung: Die semantische Prädikatsklasse, die im Aktivsatz HANDLUNG ist, wird im Passivsatz zugunsten der (durch werden bzw. bekommen) ausgedrückten Prädikatsklasse VORGANG in den Hintergrund gerückt ("Vorgangspassiv"). Auch im Aktivsatz ist das Prädikat nur vom AGENS her gesehen eine HANDLUNG, vom

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OBJEKT her dagegen ein VORGANG; im Passivsatz, mit dem ja vom OBJEKT her prädiziert wird, dominiert VORGANG" (v. Polenz 1985: 183). Anders als hier vorgeschlagen, meine ich, die semantische Form sollte nicht an den Prädikaten allein festgemacht werden, sondern an den Propositionen/Sachverhaltsbezeichnungen insgesamt. Die unterschiedlichen Klassifikationsversuche (z. B. Vendler 1967, Dowty 1979) zeigen, daß nicht die Prädikatsausdrucke (Verben) allein über den semantischen Status entscheiden, sondern häufig der gesamte propositionale Kontext. Dies gilt sowohl für den Aspekt der Zeit/Abgeschlossenheit, nach der z. B. 'Aktivitäten' (Vendlers "activities") von 'Vollendungen' (Vendlers "accomplishments") unterschieden werden,6 als auch, was hier besonders interessiert, für die Abgrenzung zwischen 'Handlungen' und 'Verursachungen': Nur bestimmte Verben wie etwa kaufen, mitteilen, prüfen werden immer als Handlungsprädikate gebraucht, andere wie etwa wachmachen, stören können je nach Kontext zur Bezeichnung von Handlungen (Hans störte mich, um mich von der Arbeit abzulenken) oder zur Bezeichnung von Verursachungen (Der dicke Fettfleck störte mich) gebraucht werden (vgl. dazu Schumacher 1986: 17). Dies gilt nun auch generell für die passivfähigen Verben. Unter ihnen sind nicht nur im engeren Sinne Handlungsverben, sondern (zum überwiegenden Anteil) im generelleren Sinne Kausatiwerben, darüber hinaus auch Verben, mit denen (bereits im Aktiv) Vorgänge oder Zustände bezeichnet werden (Schnee bedeckt das Land. Der Fluß teilt die Stadt in zwei Teile). Wie steht es nun aber - wenn wir uns auf den Bereich der Handlungen beschränken - mit dem von von Polenz angesprochenen Prädikatsklassenoder Propositionsklassenwechsel? Zunächst einmal scheint dies einzuleuchten: Der Handlungscharakter einer Proposition hängt am Argumentstatus eines Ausdrucks, der einen ausgezeichneten Ereignisbeteiligten bezeichnet, nämlich den (potentiell) wissentlich und absichtsvoll Handelnden. Wenn der Ausdruck für diesen Ereignisbeteiligten fehlt oder "degradiert" ist, ist auch der Handlungsstatus verschwunden oder marginalisiert. Übrig bleibt im wesentlichen der - aus der Perspektive des neuen Subjekts - gültige Status als Vorgang. Der empirische Befund bestätigt diese Annahme jedoch nicht. In handlungsbezeichnenden Aktivsätzen können typischerweise Adverbialia gebraucht werden wie bewußt, absichtlich, freiwillig, mit Absicht, mit voller Absicht, zu Recht, zu Unrecht, wissentlich usw., mit denen Modalitäten bezeichnet werden, die für das menschliche Handeln konstitutiv

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sind: Intention, Freiwilligkeit, Wissen, Rechtlichkeit. In genuinen Vorgangspropositionen sind solche Adverbialia unangemessen:7 © Es regnete absichtlich. ® Wir wachten zu Unrecht auf. ® Wir wurden absichtlich naß. gegenüber Wir ließen uns absichtlich naß werden. Dagegen ist der Gebrauch dieser Adverbialia im sogenannten Vorgangspassiv, ebenso auch im Zustandspassiv, durchaus angemessen und üblich. Ich nenne einige Belege, verweise aber zunächst darauf, daß von Polenz' Textbeispiel selbst einen solchen Ausdruck enthält: (1) Ich zögere zum anderen, weil von polnischer Seite aus politischen Gründen Prozeßmaterial bewußt zurückgehalten wird, das jetzt herausgegeben werden müßte, (v. Polenz 1985: 183) (2) ... ungeklärt bleibt weiterhin, ob die Enthüllungen über Waldheim wirklich von der SPÖ als Wunderwaffe im Präsidentenwahlkampf frühzeitig vorbereitet und absichtlich gezündet wurde, was eine Fehleinschätzung der österreichischen politisch-mentalen Strukturen gewesen wäre. (ZEIT 15.5.87, 49) (3) ... gar keine Frage, Menschen, die zu Unrecht verurteilt sind, müssen gerettet werden. (STERN 6.8.87, 008) (4) Angaben zum Jahr der Eheschließung, zu Urlaubs- und Erholungsreisen und zur Gesundheit können freiwillig gemacht werden. (Mannheimer Morgen 15.5.85, 02) (5) In Niger wurden Tausende Peulh-Nomaden mehr oder minder freiwillig angesiedelt. (Mannheimer Morgen 24.4.85, 03) Wenn wir das Vorkommen solcher Bestimmungen zum Abgrenzungskriterium erheben, werden wir sagen müssen, Propositionen im werdenund sein-Passiv können Handlungspropositionen sein; wobei beim seinPassiv vor einer Generalisierung noch eine genauere Untersuchung erforderlich ist. Wir können daraus schließen, daß allen strukturellen Veränderungen zwischen Aktiv und Passiv zum Trotz eine Art semantisches Gedächtnis, in dem der Status als Handlung vorgemerkt ist, erhalten bleibt. Insofern ist allenfalls eine vorsichtige Redeweise, etwa vom 'Zurücktreten des Handlungscharakters', wie auch von Polenz sie praktiziert, angemessen. Dieser differenziertere grammatische Befund sollte auch die künftige sprachkritische Behandlung von Passivkonstruktionen beeinflussen.

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5. Konjunktiv und erlebte Rede als Mittel der Distanzierung bzw. der Reduktion von Distanz Mit diesem Thema verlasse ich zumindest partiell den aktuellen thematischen Kontext und wende mich zwei grammatischen Erscheinungen zu, die häufig, zuletzt vor allem im Zusammenhang mit der Rede Philipp Jenningers zum 10. November 1988, sprachkritisch diskutiert wurden. Ein Wort zur Vorklärung: Konjunktiv und erlebte Rede liegen auf völlig verschiedenen Ebenen. Mit Konjunktiv beziehen wir uns auf morphologische Eigenschaften einzelner Wortformen, wir bezeichnen damit eine Menge von Formen des verbalen Paradigmas, somit eine 'Einheitenkategorie' im Sinne von Eisenberg (1989). Seine Funktion ergibt sich aus der grammatischen Opposition mit dem Indikativ insofern, als beide der Kategorisierung 'Modus' zugehören. Die erlebte Rede hingegen ist eine komplexe Stil'form' oder Stilfigur vor allem literarischer Rede, an der eine Vielzahl einzelner grammatischer und im weiteren Sinne rhetorischer Mittel teilhaben und die durch die Einheitlichkeit ihrer Stilfunktion zusammengehalten wird. Trotz dieses unterschiedlichen Stellenwerts werden beide Phänomene häufig mit einem oppositiven Begriffspaar zu fassen gesucht: Der Konjunktiv (der indirekten Rede) sei ein Mittel der Distanzierung, die erlebte Rede dagegen eine Stilfigur, die der Reduktion von Distanz zwischen Autor und dargestellten Personen diene bzw. aus der intendierten Sicht eines möglichen Rezipienten, der Reduktion von Distanz zwischen Leser und dargestellter 'innerer' Wirklichkeit. Kann nun Distanzierung - jeweils affirmiert oder negiert - in beiden Fällen überhaupt Vergleichbares meinen? Wovon distanziert sich der Autor jeweils (nicht)? Was heißt es überhaupt, sich mit grammatischen oder rhetorischen Mitteln zu distanzieren? Doch sicherlich nicht dasselbe, wie wenn ich sage: Ich distanziere mich von dem, was ich sage. Diskutieren wir zunächst den Konjunktiv der indirekten Redewiedergäbe. Ich gebe ein kurzes Textbeispiel, an dem ich mich orientiere. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus einem ZEIT-Artikel vom 24.1.1992: der den Titel Neues von "Czerni" trägt. Es geht dabei um die Frage der Identität von Lothar de Maiziere und dem Inoffiziellen Stasi-Mitarbeiter "Czerni", insbesondere um die Art der Kontakte, die de Maiziere als Mitglied der Bundessynode zur Stasi hatte. Es heißt dann: Damit wäre aber bereits die Darstellung de Maizieres durchlöchert, seine Kontakte mit der Stasi hätten sich ausschließlich aus seiner Tätigkeit als Anwalt und im Interesse seiner Mandanten ergeben; "Czerni" hatte auch

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über Interna der Kirche berichtet. Lothar de Maiziere erklärte dazu gegenüber der ZEIT, dies alles mache für ihn überhaupt keinen Reim. Er sei damals zum ersten Mal in diesem Kreis gewesen und hätte noch nicht einmal alle Namen der Teilnehmer gekannt, geschweige denn am Tag danach berichten können" (ZEIT 24.1.1992: 3). Von Polenz schreibt zur indirekten Redewiedergabe: "Abschwächung des Wahrheitswerts in etwas anderer Weise ist die DISTANZIERUNG von der Verantwortlichkeit für den Wahrheitswert von Aussagen, die man nicht überzeugt WEIß, selbst BEHAUPTET oder aus eigener Initiative MITTEILT, sondern nur VERMITTELT, in verschiedenen Arten der Redeerwähnung. DISTANZIERUNG wird dabei angezeigt durch: Konjunktiv in indirekter Rede: 'die Ankündigung, die ... wolle ... gerichtlich feststellen lassen'" (v. Polenz 1985: 215).8 Die hier gegebene Beschreibung "Distanzierung von der Verantwortlichkeit für den Wahrheitswert von Aussagen" stellt gegenüber dem argumentlosen Ausdruck Distanzierung eine Präzisierung dar, die in die richtige Richtung weist. Während der Sprecher mit einer Behauptung Verantwortlichkeit für das Zutreffen des beschriebenen Sachverhalts übernimmt, tut er dies bei einer Redeerwähnung nicht. Er kann anders als bei einer selbst verantworteten Behauptung nicht zur Rechenschaft gezogen werden, wenn die Aussage sich als unzutreffend erweist. Festlegungen, die sich aus der wiedergebenen Aussage ergeben, geht er nicht ein; er legt sich gar nicht fest. Aber reicht dies nicht? Kann man sich von einer Festlegung oder einer Verantwortlichkeit überhaupt distanzieren? Man kann Verantwortung, vielleicht auch Verantwortlichkeit übernehmen oder es unterlassen bzw. zurückweisen, sie zu übernehmen. Man kann auch offenlassen, ob man eine Verantwortung übernimmt. Die Redeweise, man distanziere sich von Verantwortlichkeit, erscheint überflüssig. Es sei denn, man nimmt die richtige Präzisierung "von der Verantwortlichkeit" in Gedanken zurück und versteht Distanzierung wie hergebracht als Distanzierung von der Aussage selbst, d. h. als das Zu-Erkennen-Geben von Distanz, Skepsis oder Zweifel gegenüber dem Wahrheitsgehalt der Aussage. Nun ist es aber zweifellos ein Unterschied, ob ich zu verstehen gebe: (6) "Dies alles macht für mich keinen Reim", sagt Lothar de Maiziere und ich, der ZEIT-Autor, lasse offen, ob dies - für Lothar de Maiziere oder für mich - keinen Reim ergibt. oder ob ich zu verstehen gebe: (7) "Dies alles macht für mich keinen Reim", sagt Lothar de Maiziere,

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und ich, der ZEIT-Autor, melde Bedenken an gegenüber dem Wahrheitsgehalt dieser Aussage. Man kann die Modalität von (6) als 'Wiedergabe ohne Gewähr' bezeichnen, die Modalität von (7) als 'Wiedergabe mit Vorbehalt'. Beide Modalitäten werden mit dem Gebrauch des Konjunktivs in der indirekten Rede in Zusammenhang gebracht und bisher nur unscharf differenziert. 'Wiedergabe ohne Gewähr' - so verstehe ich von Polenz' Analyse - ist jede Redewiedergabe zunächst einmal. Der Wiedergebende hält sich bedeckt, hat er doch in vielen Fällen gar nicht die Möglichkeit, das, wofür er Gewähr bieten müßte, selbst einzusehen oder nachzuprüfen. Daher ist auch der Indikativ, sofern er eindeutig im Kontext einer Redewiedergabe steht, der Modus einer 'Wiedergabe ohne Gewähr', nicht etwa per se ein 'Modus der verbürgten Wiedergabe'. Kritischer Punkt ist die Frage: Wie ermittle ich eindeutig den Skopus einer indirekten Redewiedergabe? So zielen die als normative Richtschnur für den Sprachgebrauch gedachten "Empfehlungen für den Gebrauch des Konjunktivs" (vgl. Jäger 1970) in erster Linie darauf ab, das Vorliegen und die Reichweite von Redewiedergabe mit sprachlichen Mitteln, soweit dies möglich ist, klar erkennbar zu machen. Sie legen fest, daß innerhalb eines Satzes, der ein referatanzeigendes Verb oder Nomen enthält, ein abhängiger redewiedergebender daß-, ob- oder w-Satz nicht im Konjunktiv formuliert sein muß; hier soll der Indikativ den Modus der 'Wiedergabe ohne Gewähr' ausreichend markieren. Hingegen müsse ein abhängiger Verbzweitsatz ("Hauptsatz"), wie er in unserem Beispiel vorliegt (dies alles mache für ihn überhaupt keinen Reim), durch den Konjunktiv als Redewiedergabe markiert sein. Bekannt ist nun aber, daß in der informellen, vor allem gesprochenen Kommunikation diese Festlegungen "untererfüllt" werden, in Textsorten der öffentlichen Kommunikation, vor allem in massenmedialen (Nachrichten-)Texten jedoch "übererfüllt". D.h., einerseits wird in gesprochener Sprache auch dort, wo aus Differenzierungsgründen Konjunktiv empfohlen ist, der Indikativ gesetzt. In mündlicher Rede könnte es also sehr wohl heißen: De Maiziere sagte, dies alles macht für ihn keinen Reim. Andererseits wird in Zeitungstexten meist auch dort Konjunktiv gesetzt, wo dies nicht gefordert ist, z. B. in abhängigen daß-Sätzen. Der Konjunktiv ist der Normalmodus der indirekten Redewiedergabe in öffentlicher Kommunikation. Es gilt also, zwischen den unterschiedlichen Kommunikationsbereichen und ihren Textsorten zu unterscheiden. Ich konzentriere mich hier, wie

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in sprachkritischem Zusammenhang üblich, auf öffentliche Kommunikation. Wenn, so argumentiere ich, in öffentlicher Rede der Konjunktiv Normalmodus der indirekten Redewiedergabe ist, so kommt ihm dort auch die Funktion zu, die Modalität der 'Wiedergabe ohne Gewähr' auszudrükken. Die kommunikativ sehr viel markiertere Funktion der 'Wiedergabe mit Vorbehalt' kann er als Normalmodus kaum erfüllen. In ähnlichem Sinne verstehe ich auch Hoffmann/Schwitalla (1989: 7), wenn sie sagen: Wer wiedergibt, was andere gesagt haben oder denken mögen, distanziert sich damit noch nicht. Es sei denn, es handle sich um Inhalte, deren Unsinnigkeit oder Falschheit schon zum gemeinsamen Wissen gehört, so daß die bloße Erwähnung den Partner entsprechend reagieren läßt. Ansonsten aber muß deutlich gemacht werden, daß man nicht wiedergibt, was man selbst auch glaubt bzw. wofür der Sprecher selbst einsteht. Sehr viel eher als der Konjunktiv ist der Indikativ in der indirekten Redewiedergabe im öffentlichen Sprachgebrauch funktional offen. Er wird - wir betrachten immer noch den Fall, bei dem sich die Referatanzeige innerhalb desselben Satzes befindet - häufig dann verwendet, wenn eine 'Wiedergabe mit Gewähr' ausgedrückt werden soll, wenn also ein aus der Sicht des Referierenden unstrittiger Sachverhalt referiert wird. Auch dies sei an einem Beispiel demonstriert. In einem ausführlichen Feuilleton-Beitrag unter dem Titel "Die Krankheit Lüge" setzt sich die Redakteurin Iris Radisch in der ZEIT vom 24. Januar 1992 mit der in Stasi-Verdacht geratenen Dichterszene vom Prenzlauer Berg auseinander. Sie interviewt den Hauptverdächtigen Sascha Anderson, informiert und reflektiert über dessen Lebenshintergrund, spricht mit seinen Gefährten und gibt deren Aussagen, Meinungen, auch Gefühle wieder. Dort heißt es über Sascha Anderson: Der junge Familienvater kommt wegen Scheckbetrugs ins Gefängnis, wird amnestiert, hat keine Arbeit, tritt als Rocksänger auf, macht mit seinen Freunden Helge Leiberg, Rolf Kerbach und Cornelia Schleime die ersten Malbücher, hat keinen festen Wohnsitz, schläft bei Freunden auf dem Fußboden. Von sich hat er nie gesprochen. Aber viel gelogen. Ständig schwankt die Zahl seiner Kinder und seiner Lebensjahre. Sein Vater, verbreitet Anderson, sei ein Shakespeare-Forscher. Niemand hat das Lügen damals gestört, erzählt Helge Leiberg, dessen Atelier in der Stasi-Aktion "Totenhaus" zerschlagen wurde" (ZEIT 24.1.1992:52).

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Hier liegt der Kontrast auf der Hand. Die offenkundige Lüge des Sascha Anderson wird im Konjunktiv wiedergegeben, die glaubwürdige Aussage des Leiberg im Indikativ. Dieser Kontrast ist jedoch nicht ein Resultat der Gegenüberstellung des Distanzierungsmittels 'Konjunktiv' mit dem Indikativ als Mittel einer nicht-distanzierten Wiedergabe, sondern der Gegenüberstellung des Normalmodus einer 'Wiedergabe ohne Gewähr' (Konjunktiv) mit dem markierten Modus der 'Wiedergabe mit Gewähr' (Indikativ). Werfen wir nun noch einen Blick auf die Redewiedergaben, die über die Satzgrenze hinausgehen. Der oben zitierte "Czerni"-Text bietet ein Beispiel. Fest steht, daß der Indikativ nach der Satzgrenze nicht mehr als Referatanzeige dienen kann. Der Gebrauch des Konjunktivs wird hier so sagen es auch die Empfehlungen - obligatorisch, wenn man überhaupt im Indirektheitskontext verbleiben will. Der Gebrauch des Indikativs im Folge-Text zeigt einen Modus-Wechsel an von der Wiedergabe (mit und ohne Gewähr) in die Autorenrede, also auf die Ebene des Mitteilens oder Behauptens aus Autorensicht. Der Autor referiert nicht mehr fremde Äußerungen, sondern sagt selbst aus. Dies gilt auch dann, wenn diese Autorenrede ihrerseits auf den Aussagen anderer fußt. Sie gelten nun nicht mehr als das Wiedergegebene, sondern das Gewußte, in das eigene Wissen Integrierte, aus dem der Autor schöpft. Genau dieser Unterschied liegt z. B. zwischen der von Heringer (1990: 34) besprochenen Passage aus einer Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten und dessen anschließendem Umformulierungsvorschlag vor: Ein 43jähriger Mann ist schon lange arbeitslos. Er schreibt mir, er leide am meisten unter der Teilnahmslosigkeit, ja Gefühlskälte um ihn herum. Er verstecke sich vor anderen Menschen, weil sie sich von seinen Sorgen belästigt fühlten und ihre eigenen für viel wichtiger hielten (Bulletin der Bundesregierung 177, 1565). Weizsäcker verwendet den Konjunktiv als Zeichen der indirekten Redewiedergabe, als Berichtender distanziert er sich nicht. Wirklich nicht? Hören Sie selbst: Ein 43jähriger Mann ist schon lange arbeitslos. Er schreibt mir, er leide am meisten unter der Teilnahmslosigkeit, ja Gefühlskälte um ihn herum. Er versteckt sich vor anderen Menschen, weil sie sich von seinen Sorgen belästigt fühlen und ihre eigenen für viel wichtiger halten. Wäre das nicht angebrachter? Konfligiert die stilistische Distanz nicht eigenartig mit der Teilnahme? Ich glaube, wenn man dieses Thema an-

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spricht, ist weniger Distanz als vielmehr sympathetische Haltung gefragt. Nach meinem Dafürhalten geht es bei dem mit Er versteckt sich ... /Er verstecke sich beginnenden Satz nicht um ein Mehr oder Weniger an Distanz, sondern um unterschiedliche Darstellungs-Modi: Wenn Weizsäcker im Konjunktiv fortfährt, setzt er die Perspektive des Referierenden fort, er bleibt Sprachrohr und läßt das eigene Urteil, das ja Authentizität auch stören kann, beiseite. Ein weiteres, abschließendes Beispiel für mehrfachen Modus-Wechsel bringt ein Ausschnitt aus dem Leitartikel der ZEIT vom 24. Januar 1992, in dem wiederum die Stasi-Debatte thematisiert wird: Der große Renegat Arthur Koestler hat einmal bemerkt, wenn Macht korrumpiere, dann stimme auch das Gegenteil: Verfolgung korrumpiere das Opfer. Es genügt nicht, Opfer zu sein. Aus erlittenem Unrecht folgt nicht die moralische Überlegenheit in jedem Fall. Biermann hat, als er in den Westen mußte, gesagt, er sei vom Regen in die Jauche gekommen, und jahrelang hat er das Lied der Oma Meume gesungen, die den lieben Gott anfleht, den Kommunismus siegen zu lassen. Das hat uns gefallen. (ZEIT 24.1.1992: 1) Der Anspruch Koestlers, der so offensichtlich die Zustimmung des ZEIT-Autors findet, wird im Normalmodus der Redewiedergabe, dem Konjunktiv, formuliert. Das generalisierende Fazit, das der ZEIT-Autor zieht und mit dem er den Referat-Modus verläßt, steht im Indikativ. Was Biermann gesagt hat, wird uns im Konjunktiv mitgeteilt, was er getan und wie das gewirkt hat, im Indikativ. Ich ziehe daraus auch für die Darstellung in einer Grammatik den Schluß, daß eine Funktionsdarstellung des Konjunktivs (der indirekten Rede) als Distanzierungsmittel verkürzt, wenn nicht gar falsch ist. Vielmehr kommt es darauf an, wie teilweise in der Literatur bereits geschehen, die Funktionsüberschneidung und -abgrenzung mit dem Indikativ sowie mit weiteren auch lexikalischen Mitteln (Ausdrücke wie angeblich, epistemische Verwendungen der Modalverben sollen, wollen) in unterschiedlichen Kommunikationsbereichen herauszuarbeiten. Wichtig erscheint mir dabei vor allem auch der Hinweis für Sprachbenutzer und Sprachkritiker, daß morphologische Mittel wie der Konjunktiv nicht wie Wörter mit denotativer Bedeutung beschrieben und eingeschätzt werden können. Es hieße solche Mittel einfach überfordern, wenn man sie als Ausdrücke zur Bezeichnung von Sprechereinstellungen wie 'distanzierte Haltung' oder, wie es beim Konjunktiv II häufig geschieht, 'Zweifel',

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'Skepsis' einordnete: Wer Zweifel ausdrücken will, soll sagen ich bezweifle das; wer als Sprachkritiker will, daß Sprecher sich distanzieren, tut zu wenig, wenn er nach dem Konjunktiv verlangt. Über den Gebrauch der 'erlebten Rede' bei öffentlichen Anlässen ist eine rege Diskussion in Gang gekommen (vgl. vor allem v. Polenz 1989 sowie Hoffmann/Sehwitalla 1989 und Heringer 1990). Ich gehe nur auf einige kontroverse Punkte ein. Umstritten ist hier vor allem, wieweit erlebte Rede im Bannkreis der Reflexionen, Einstellungen und Gefühle des "Primärsprechers" (so Heringer) bleibt und inwieweit sie Schlüsse auf die Einstellungen des Redners zuläßt. Das Stück erlebter Rede aus Jenningers Rede, das vor allem zur Debatte steht, ist: Und was die Juden anging: Hatten sie sich nicht in der Vergangenheit doch eine Rolle angemaßt - so hieß es damals -, die ihnen nicht zukam? Mußten sie nicht endlich einmal Einschränkungen in Kauf nehmen? Hatten sie es nicht vielleicht sogar verdient, in ihre Schranken gewiesen zu werden? Und vor allem: Entsprach die Propaganda - abgesehen von wilden, nicht ernstzunehmenden Übertreibungen- nicht doch in wesentlichen Punkten eigenen Mutmaßungen und Überzeugungen? (zit. nach v. Polenz 1989: 310) Von Polenz meint hier im Anschluß an Hoffmann/Schwitalla: "Durch suggestive Verneinung und affirmative Modalwörter wie ja, doch, sogar, endlich einmal, vor allem, unbezweifelbar werden hier Sprechereinstellungen nahegelegt, die in diesem Kontext ohne weiteres auf den Redner, statt auf die Täter, Mitläufer und Mitschweiger der 'erzählten' historischen Situation, bezogen werden konnten ... (v. Polenz 1989: 297) Sicher 'konnten' diese Einstellungen von den Hörern auf den Redner bezogen werden; dies ist ja in der Tat geschehen. Aber doch nur, weil hier die Stilfigur der erlebten Rede mißverstanden wurde, und weil Jenninger diesem Mißverständnis nicht vorgebeugt hat - sei es durch Vermeidung der literarischen Stilfigur, sei es durch explizitere "pragmatische Sinngebung" (v. Polenz 1989: 297). Durch einen anderen 'distanzierenden' Partikelgebrauch innerhalb der erlebten Rede hätte Jenninger jedoch für sich selbst nichts bewirkt. Denn in der erlebten Rede werden nicht nur denotative Wörter, also Prädikatsausdrücke im weiteren Sinne wie etwa hier die Ausdrücke anmaßen, verdienen, Einschränkungen, aus der Perspektive des Primärsprechers bzw. -reflektierenden gewählt, sondern - abgesehen von der Tempusreferenz und kommentierenden Parenthesen - auch Einstellungsausdrücke, Modal- und Abtönungsparti-

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kein. Wenn dann z. B. das "modale" nicht in dieser erlebten Rede aus der Sicht des Primärsprechers gewählt ist, dann ist auch die mit dem modalen nicht formulierte "tendenziöse Frage" aus der Sicht des Primärsprechers formuliert. Hoffmann/Schwitalla (1989: 7) sagen zur "tendenziösen Frage" in diesem Abschnitt: "Sie gehört zu den Bestätigungsfragen und transportiert die starke Erwartung, daß der Hörer den ausgedrückten Sachverhalt, von dem der Sprecher selbst überzeugt ist, bestätigt. Hätte der Fragende auf eine Zurückweisung des SachVerhalts gezielt, hätte er nicht durch etwa ersetzt." Selbstverständlich, halte ich dagegen, läßt das Stilmittel der erlebten Rede die Setzung von etwa anstelle von nicht hier nicht zu. Denn dann würden wir ja unsere Primärsprecher nicht mehr wiedererkennen: Es wären nicht mehr die Deutschen der 30-er Jahre, die sich der Antworten auf ihre Frage ja sicher waren, sondern Zweifler, Grübler, ganz andere Deutsche. Jenninger jedenfalls wäre auch dann nicht zu hören - er kann sich gar nicht "distanzieren" mit Hilfe der Setzung einer anderen Partikel, denn diese würde innerhalb der erlebten Rede nicht ihm, sondern dem Primärsprecher zugerechnet. Jenninger oder seine Redenschreiber haben schon - da stimme ich Heringer (1990: 172) zu - "die erlebte Rede perfekt realisiert." Aber verstehen wir erlebte Rede wirklich so gut, wie Heringer meint? Die verheerende Wirkung der Jenninger Rede scheint da eher von Polenz recht zu geben, der vor der Verwendung des Stilmittels in brisanter öffentlicher Rede als Textsortenfehler, als Ausdruck verdünnter Sprachkultur eindringlich warnt. 6. Abschließend: Was macht grammatische Mittel sprachkritisch interessant? Ich habe nur ein paar vorläufige Gedanken beizusteuern. Sprachkritisch interessant scheinen vor allem solche grammatischen Mittel zu sein, bei deren Verwendung bestimmte semantische Klarstellungen gefährdet sind. Solche Klarstellungen betreffen u. a. - die Ebene des Entwurfs von Gegenständen, der Referenz und Quantifizierung. Hier kann z. B. der Gebrauch des bestimmten oder unbestimmten Artikels (aber auch des 'bloßen Plurals') in genetischer Verwendung die "semantische Unterscheidung zwischen GESAMTMENGE, TEILMENGE und TYPUS aufheben", wie von Polenz (1985: 150) sagt, und insofern Klarstellung gefährden; man denke an den ersten Satz der

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zitierten Jenninger-Passage: "Und was die Juden anging?" die Ebene des SachVerhaltsentwurfs. Hier kann z. B. wie beim Passiv durch die Aussparung eines Ereignisbeteiligten oder durch sogenannte "Subjektschübe mit AGENS-Schwund" (v. Polenz 1985: 186) die Klarstellung des Handlungscharakters, und damit die Klarstellung von Verantwortlichkeit, gefährdet sein. die Ebene der Geltungsansprüche. Hier kann z. B. durch den Gebrauch von Indikativ oder Konjunktiv in der indirekten Redewiedergabe oder durch komplexe Formen wie die erlebte Rede unklar bleiben, wie der Sprecher die Gültigkeit thematisierter Sachverhalte einschätzt, und insofern die Klarstellung von Geltungsansprüchen gefährdet sein. Dabei, ich habe das schon im Zusammenhang mit dem Konjunktiv angedeutet, sind Klarstellungen mit grammatischen Mitteln sehr viel diffiziler zu erreichen und auch entsprechend zu beurteilen als solche mit lexikalischen. Grammatische Mittel wie Artikel Wörter, Modi (Konjunktiv, Indikativ), Genus Verbi (Aktiv/Passiv) sind häufig polyfunktional und vermitteln die jeweiligen Klarstellungen nur indirekt. Dabei sind die FunktionsWörter, also neben den Artikeln z. B. auch Subjunktoren, Konnektoren oder andere Partikeln, die in größeren lexikalischen Paradigmen fungieren, einer differenzierteren Einzelanalyse noch eher zugänglich. Grammatikalisierte Formen des verbalen Paradigmas wie die Modi und die Genera Verbi enthalten noch abstraktere Informationen, die mit den Mitteln einer denotativen oder pragmatischen Erklärungssprache gelegentlich allzu zupackend gefaßt werden.

Anmerkungen l. Ich lege hier insgesamt einen engeren Begriff von 'Sprachkritik' im Sinne von Äußerungskritik oder Kritik am "verfestigten Sprachbrauch" (v. Polenz 1982: 82) zugrunde, bei der vor allem das öffentliche oder politische Sprechen zur Debatte steht. Insbesondere meine ich, wenn ich von sprachkritischen Momenten in der Grammatik spreche, nicht die sprachbewertenden oder normativen Aussagen, etwa zu grammatischen Unterschieden zwischen Hoch- und Umgangssprache oder zur Entwicklung des Genitive als Objektskasus usw. Diese - ebenso berechtigten - Aspekte einer sprachbewertenden Tätigkeit des Grammatikers behandeln z. B. Cherubim (1984), Eisenberg/Voigt (1990). Nicht zu verkennen ist allerdings, daß zwischen grammatischer Sprachbrauchskritik und Kritik am System häufig ein enger Zusammenhang hergestellt wird, insofern, als bestimmte Verwendungsmöglichkei-

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Gisela Zifonun ten des grammatischen Systems, etwa der verstärkte Gebrauch personaler Akkusativobjekte z. B. bei be-Verben, dem System selbst angelastet werden. Kursivsetzungen innerhalb von Belegen dienen der Hervorhebung des betreffenden grammatischen Phänomens und sind von mir, G. Z., gesetzt. Man vergleiche zum Thema "Nazi-Vergleiche" in Bezug auf DDR-Verhältnisse, z. B. den offenen Brief Wolf Biermanns im Spiegel 3/1992: 166; zum Thema allgemein vgl. Stötzel 1989. Auf einen Vergleich bestimmter Aspekte der Systeme, also nicht auf die sprachliche Seite, hebt Dohnanyi im Spiegel 5/1992: 36 ab. Nach Brinker (1971: 69) ist das werden-Passiv mit etwa 5,1% an den Gesamt-Finita beteiligt. In Texten der Gebrauchsliteratur erhöht sich der Anteil auf 10,5%. Zum hier angesprochenen Konzept des 'kognitiven Vordergrundes/Hintergrundes' vgl. Zifonun 1992. So bezeichnen etwa die Sätze Gestern gingen wir durch die Stadt. Gestern diskutierten wir über das Problem, unabgeschlossene 'Aktivitäten', dagegen die folgenden Sätze mit denselben Verben 'Vollendungen': Gestern gingen wir zum Strand. Gestern diskutierten wir das Problem endlich aus. Semantische Unangemessenheit wird durch das Zeichen ® markiert. Von Polenz nennt an dieser Stelle noch weitere Distanzierungsmittel, nämlich Modaladverbien wie angeblich, Modalverben wie sollen, Floskeln wie wie es heißt sowie das Zitat mithilfe von Anführungsstrichen.

Pragmatik in die Schulgrammatik! Werner Holly

1. Zwei alte Bilder für Schulgrammatik: Domina oder Fundament Was ich mit Pragmatik meine, darauf werde ich noch kommen. Was mit Schulgrammatik gemeint ist, davon haben die meisten wohl ein Bild, das mehr oder weniger leidvoll geprägt ist. Nicht umsonst erscheint die Grammatik in den mittelalterlichen Darstellungen1 mit der Rute, eine Art Domina des Schulunterrichts. Nur wenige haben die dazugehörige masochistische Lust entwickelt, und so verwundert es nicht, daß die Einstellungen zu Grammatik sich in der Schule überwiegend auf einer Skala von lustloser Langeweile bis entschiedener Abscheu bewegen, bei Lehrern wie Schülern. Ich erinnere mich noch an unterstrichene Satzteile in der dritten Klasse ("Satzgegenstand" - "Satzaussage"), ein Wunder, daß ich mich überhaupt noch erinnere, denn - zumindest im Deutschunterricht - hat diese Übung nie wieder eine Rolle gespielt, oder wenn doch, dann weiß ich nicht mehr, welche. Deutlicher in Richtung Abscheu bzw. masochistischer Unterwerfung ging dann der Lateinunterricht, der mit einem Regelheft begann: Seite l - Wortarten, Seite 2 - Satzteile usw. Die Regeln differenzierten sich immer mehr aus und gipfelten in so etwas wie "Maskulina der 3. Deklination sind die Hauptwörter auf -nis und mensis, orbis, ensis.fons, ...", was sich mir eingegraben hat. Aber im Ernst: Im Muttersprachunterricht erweckt Grammatik-Stoff leicht den Verdacht, überflüssige Abstraktionen zu vermitteln; im Fremdsprachunterricht sieht Grammatikstoff meist nach vielleicht nützlicher, aber doch lästiger Formenlehre aus, allesamt keine Kandidaten für Begeisterung. Und doch - und das ist das andere Bild aus den mittelalterlichen Lateinschulen2 - gilt Grammatik auch als Fundament, auf dem alle anderen Disziplinen, zunächst die Logik und die Rhetorik, aufbauen. Ohne Grammatik geht gar nichts im Schulwissen, folgt man diesem Bild.

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Auch wenn man nicht mehr an den strikt hierarchischen Aufbau des Wissens und die damit verbundene Fächersystematik glaubt, so zeigt es doch, daß Grammatik nicht etwas Isoliertes ist, daß anderes dazugehört. Als Bauruine, auf die nichts aufbaut, ist Grammatik aber tatsächlich nicht sehr ansehnlich. Daß etwas dazu muß, mindestens etwas, das ich hier Pragmatik nenne, wird meine These sein.

2. Standpunkte aus der Diskussion um den Grammatikunterricht Man kann allerdings nicht so tun, als gäbe es nicht eine didaktische Dauerdiskussion um die Frage, wie man die grammatische Domina loswird oder besänftigt bzw. wie man die Bauruine besser in der Landschaft "situiert" oder in die Landschaft "integriert". 2.1 Ist Grammatik im Muttersprachunterricht überflüssig? Schon Jacob Grimm, der ja zu Recht als ein Gründervater der wissenschaftlichen Grammatik in Deutschland gilt, war gleichzeitig für Vertreibung des Grammatikunterrichts aus dem "einheimischen" SprachGarten: wo alles "von selbst" wächst und sich "einpflanzt", ist jedes Eingreifen überflüssig und sogar schädlich. Man kann nicht bestreiten, daß die Beherrschung der Regeln in der Muttersprache auch ohne Grammatikunterricht klappt, jedenfalls über weite Strecken. "Wozu sollte man auch noch wissen, was man schon kann?", fragen die Kritiker. Dagegen ist nun Verschiedenes vorgebracht worden: zunächst kann man gar nicht alles "von selbst". Auch in der Muttersprache ist die Beherrschung der Regeln nämlich nie ganz zweifelsfrei. Wer sich für grammatisch perfekt hält, der schlage vielleicht einmal den entsprechenden Duden auf ("Richtiges und gutes Deutsch. Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfalle"), und er wird sich seiner Zweifel bewußt werden. Diese Zweifelsfälle entstehen zum einen an Übergangsstellen des Sprachwandels: Heißt es nun "Du wirst von mir den Satzbau gelehrt" oder "Dir wird von mir der Satzbau gelehrt"? Zum ändern zeigt sich immer wieder, daß die Sprache nichts völlig Homogenes ist, sondern Varianten zuläßt: Generationen von Deutschlehrern konnten Süddeutsche nicht daran hindern, "größer wie" zu sagen, bis schließlich auch der Duden kapitulierte, der heute beides ("als" und "wie") zuläßt, für die gesprochene Umgangssprache jedenfalls. So großzügig man in der gesprochenen Sprache sein kann, wenn nur die

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Verständigung klappt, - wenn es ans Schreiben geht, dann wollen wir verbindliche Nonnen, und sogar Leute, die als Schüler Grammatikfeinde waren, greifen plötzlich zum grammatischen Telefon und wollen wissen, wie es "richtig" heißt. Wenn man dann als Sprachwissenschaftler mit großer Normentoleranz wachsweiche Auskünfte gibt, hinterläßt man Unzufriedenheit. Die noch härtere Zuchtrute der normativen Grammatik muß her, man will sich schließlich nicht blamieren, wo der vermeintliche Fehler schwarz auf weiß festgehalten ist. Spätestens im Bewerbungsschreiben wird einem klar, daß sprachliche Bildung nicht nur ein Statussymbol ist, sondern auch über Lebenschancen entscheiden kann. Und die Verhältnisse kehren sich um: der Sprachbenutzer will strengere Regeln als der Grammatiker sie bieten kann oder besser gesagt, er will Vorschriften, Normen, wo eigentlich Regeln sind.

2.2 Spracherwerb und die Entwicklung von Sprachbewußtheit Ganz ohne grammatisches Wissen scheint es also nicht zu gehen, und deshalb ist die Vertreibung der Grammatik als Disziplin keine Losung. Auch wenn der mündliche Spracherwerb noch ganz und gar erfahrungsund handlungsbezogen bleibt und quasi naturwüchsig erscheint, - mit der Schrift wird man aus diesem Sprachurwald herausgeführt. Mit dem Eintritt in die Schule wird Sprache etwas anderes, Äußerliches, sie ist nicht mehr dialektgebunden, sondern ein überregionaler Standard, und dann ist geschriebene Sprache für das Kind "ein eigenständiges Objekt mit einer spezifischen, durch innersprachliche Relationen konstituierten Struktur" (Andresen 1985: 195). Mit der Schrift sind wir genötigt, über Sprachliches zu reflektieren, weil uns mit ihr Sprache als etwas Fremdes gegenübersteht. "Schriftlichkeit ist Selbstentfremdung" (Gadamer 1965: 368). Ivo (1988a) hat dargelegt, daß die Herausbildung von "Grammatik" als Wissensgebiet in verschiedenen Phasen der Geschichte mit der Aneignung fremder Sprachen und mit der Entstehung moderner Nationalsprachen und -literaturen zusammenhing. Nicht anders ergeht es dem einzelnen, der beim Lesen- und Schreibenlernen nicht ohne Reflexion, nicht ohne die Entwicklung von Sprachbewußtheit auskommt. Die Frage ist allerdings, wie diese Entwicklung von Sprachbewußtheit aussieht, vor allem, ob dabei das Fremde wirklich angeeignet wird oder ob das grammatische Wissen - vergleichbar der Schrift - zur Entfremdung von der eigenen Spracherfahrung führt, wie schon Grimm geargwöhnt hat. Sprachliche Reflexion setzt aber nicht erst mit Schrift und dem Erlernen grammatischer Kategorien in der Schule ein. Die moderne psycholingui-

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stische Forschung hat gezeigt, daß man schon mit dem mündlichen Spracherwerb die Fähigkeit ausbildet, sich Sprache bewußt zu machen und über Sprache zu sprechen.3 Geht man in die Details, sieht man zwar, daß mit "Bewußtheit" hier ganz Unterschiedliches gemeint sein kann: das reicht von dem Maß an Wahrnehmung sprachlicher Strukturen, das man zu spontanen Selbst- und Fremdkorrekturen braucht, bis zum Herauslösen sprachlicher Phänomene aus ihrem Kontext und ihrer reflektiertabsichtsvollen Behandlung. Es zeigt sich auch, daß semantische und pragmatische Probleme, etwa sprachliche Metaphern oder Duzen/Siezen, mehr in den Blick genommen werden als syntaktische. Immerhin läßt sich aber sagen, daß Reflexion über Sprache nicht etwas ist, was erst die Schule den Kindern aufnötigt. Man kann also in der Schule anknüpfen an das, was Kinder spontan an sprachreflexiven oder metasprachlichen Aktivitäten ohnehin schon tun oder erleben, und vermeidet so einen Bruch zur Alltagserfahrung, leistet umgekehrt einen Beitrag zur wirklichen Aneignung grammatischen Wissens.

2.3 Einbindung von Grammatik in Kommunikation Isoliertes grammatisches Wissen, da sind sich die meisten wohl einig, das Einpauken (ich vermeide den Ausdruck "Einpeitschen") grammatischer Termini und Kategorien, von denen man nicht weiß, wozu man sie wissen sollte, das würde ja den Prozeß der Entfremdung von der eigenen Sprache, der mit dem Schriftspracherwerb ohnehin droht, nur noch verstärken, und hierin liegt auch der Hauptvorwurf, den man dem traditionellen, am Lateinunterricht orientierten Grammatikunterricht gemacht hat. "Der andere Grammatikunterricht" - so lautete der verheißungsvolle Titel des Buches von Boettcher und Sitta (1978) - war deshalb eingebettet in Situationen, die von sich aus schon "grammatikträchtig" waren, "Grammatik in Situationen" (Boettcher/Sitta 1979) war das programmatische Schlagwort. Grammatisches wird thematisiert, wo es sich anbietet, weil die entsprechende Unterrichtssituation bei interessanten sprachlichen Phänomenen angekommen ist, die dann eine grammatische Reflexion als sinnvoll erscheinen läßt; so kommt man etwa im Zusammenhang mit Höflichkeit in der Kommunikation auf Formulierungsmöglichkeiten von Aufforderungshandlungen. Gegen dieses unterrichtsmethodisch und lerntheoretisch plausible Konzept kann man eigentlich gar nichts einwenden, so könnte man meinen. Es hat aber doch einige Kritik gegeben, auf die ich hier allerdings nicht in allen Details eingehen kann. Bemerkenswert erscheint mir vor allem

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der Einwand von Ossner (1987), es werde dabei - trotz der Beteuerung der Autoren - keine "kommunikative" Grammatik vorgestellt, d.h. die Verbindung von den kommunikativen Anlässen zu grammatischen Kategorien gelinge nur für einen Teil dieser Kategorien, eben nur für die kommunikativ unmittelbar relevanten; so lassen sich etwa Satzformen wie Befehlssätze und Fragesätze in Zusammenhang setzen mit kommunikativen Handlungen wie 'Befehlen' und 'Fragen', und dieser Zusammenhang läßt sich dann problematisieren. Nachdem aber so aus der Grammatik die kommunikativen Rosinen herausgepickt sind, müsse dann der Rest an Kategorien, der sich nicht so ohne weiteres mit kommunikativen Anlässen in Verbindung bringen lasse, also so etwas wie Kasus oder Präpositionen, dieser Rest müsse nach wie vor langweilig gepaukt werden. Nun, das wäre nicht das Schlimmste, wenn auf diese Weise wenigstens einiges an grammatischem Wissen besser motiviert untergebracht werden könnte, wobei vielleicht allzu vieles von der spontanen Kompetenz des ohne Lehrbuch vorgehenden Lehrers abhängig gemacht wird. Die eigentliche Schwäche dieses Vorgehens scheint mir aber zu sein, daß sich eine ziemlich unzusammenhängend und sehr heterogen wirkende Liste von Gegenständen ergibt, hinter der keinerlei systematische Struktur mehr zu stehen scheint. Das opfert nicht nur den übersichtlichen Aufbau traditioneller Grammatik, die vom Laut zum Satz immer komplexere Einheiten behandelt, es widerspricht auch allem, was wir von Sprache wissen. Es entsteht ein bißchen der Eindruck, als ob nur manches in der Sprache kommunikativ sei und das Kommunikative völlig chaotisch. Dieser Eindruck wäre aber völlig falsch. Mag sein, daß vieles in der Sprache chaotisch anmutet und weniger geregelt ist, als die Grammatiker es gerne hätten, aber in großen Bereichen ist dieses Chaos geordnet! Der Vorwurf der Rosinenpickerei richtet sich im übrigen auch an ein verwandtes, parallel entwickeltes Konzept kommunikativ orientierten Grammatikunterrichts, das "integrativ" genannt wurde, weil eine enge Verflechtung mit anderen Lernbereichen, eben vor allem mit der mündlichen und schriftlichen Kommunikation, angestrebt wird, allerdings ohne die strenge Fixierung auf vorgefundene Situationen und ohne Verzicht auf ein Lehrbuch. So sinnvoll die angestrebte Integration erscheint, - was in Wirklichkeit fehlt, ist die Integration der kommunikativen Aspekte selbst in einem Modell, das mit Grammatik, wie sie dann betrieben werden soll, nicht nur irgendwie, sondern durchschaubar zusammengebracht werden kann.

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3. Pragmatik: zwei Leistungen für die Schulgrammatik Nun wissen wir also, was wir nicht mehr wollen: den sturen abgehobenen Grammatikunterricht der schlechten alten Zeit, die Rute. Wir sehen die Bemühungen, sie durch etwas anderes zu ersetzen, Einbindung in das, was auch den Muttersprachler interessiert; aber wir befürchten, daß die Situierung, der Einbau nicht recht gelingen will, daß da Grammatik nicht als schönes Fundament eines möglichst kunstvollen und zweckmäßigen Gebäudes errichtet wird, sondern eher in Brocken herumliegt als teils vielfach nutzbare Bauruine, teils unzugängliches Gelände, das insgesamt keinen so richtig verlockt. An dieser Stelle ist es allerhöchste Zeit, daß ich auf den ersten Begriff meines Themas zu sprechen komme: Pragmatik. Mit der sogenannten "pragmatischen Wende" vor mehr als 20 Jahren hat ja die neuere Unzufriedenheit über den traditionellen Grammatikunterricht begonnen, und jetzt, wo der Begriff schon dabei ist, außer Mode zu geraten, sollte man sich auf ihn besinnen.4 Was heißt eigentlich Pragmatik? - Grob gesprochen geht es um die "Handlungs"aspekte von Sprache, nach dem griechischen pragma 'Handlung'. Pragmatik ist aber nicht einfach nur ein Baustein, ein Modul - wie man jetzt gerne sagt - in einem Sprachmodell, neben anderen wie Syntax/Satzbau oder Lexikon/Wortschatz. Pragmatik ist in erster Linie ein theoretischer Rahmen, innerhalb dessen man die verschiedenen Komponenten eines Sprachmodells "pragmatisiert" hat, d.h. unter Handlungsaspekten neu angegangen ist, so daß sich auch eine Erweiterung des Modells ergeben hat. Damit konnte man wieder an Traditionen anknüpfen, die Sprache nicht nur als ein mehr oder weniger geschlossenes System von Regularitäten gesehen haben, sondern als ein Werkzeug, das man handelnd verwendet, das einen "Sitz im Leben" hat, das Menschen in Kommunikationen benutzen. Die pragmatische Perspektive kann also zweierlei leisten: 1. eine Erweiterung des Blickfeldes um die Handlungszusammenhänge, in denen Sprache immer steht und in denen Sprache immer für jeden bedeutsam ist. Pragmatisierung hat deshalb zum Verlassen des Elfenbeinturmes geführt, in den sich die Sprachwissenschaft zu großen Teilen zurückgezogen hatte, wobei sie in strenger Askese auf das meiste von dem verzichtete, das uns als alltägliche Sprachbenutzer interessiert. Für den Sprachunterricht hat Pragmatisierung deshalb bedeutet, daß das Thema Sprache von neuem interessant wurde, indem unsere kommunikativen Bedürfnisse und Probleme aufgegriffen werden konnten.

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Aber die pragmatische Perspektive leistet mehr, nämlich 2. eine Neustrukturierung des Grammatikmodells selbst, indem man fragt, was man jeweils eigentlich tut, wenn man Laute zu Wörtern, zu Sätzen, zu Texten zusammenfügt, um zu kommunizieren. Dabei werden nicht nur - wie in der Systemperspektive - formale Ausdrucke-Strukturen von Lauten, Wörtern, Sätzen dargestellt, sondern es werden die inhaltlichen Funktionen dieser formalen Strukturen thematisiert und in ein zusammenhängendes Bild sprachlicher Funktionen eingefügt: was wir erhalten, ist eine wirklich kommunikative Grammatik, ein Modell sprachlicher Handlungen und Teilhandlungen, bei denen wir dann fragen können, mit welchen formalen Mitteln sie realisiert werden. Neu ist dabei nicht nur die funktionale Perspektive, neu ist auch die Erweiterung der Grammatik über die Satzgrenze auf die Textebene. Ich will nun noch einmal fragen, was die beiden Leistungen der Pragmatisierung bisher für den Grammatikunterricht gebracht haben und was sie noch bringen könnten. 3.1 Einbettung von Grammatik in Stilistik und Rhetorik Es fällt auf, daß die erste Leistung der Pragmatisierung, die Erweiterung der Perspektive auf Handlungszusammenhänge sehr viel rascher für den Unterricht genutzt wurde, als die zweite, die ein neues Grammatikmodell zum Gegenstand hat. Der Grund hierfür ist sehr einfach: mit dem Grammatikmodell war man einfach noch nicht so weit, und das ist kein Wunder, denn diese Aufgabe ist sehr viel anspruchsvoller. Das haben auch die Vorkämpfer des "anderen Grammatikunterrichts", Boettcher und Sitta, so gesehen. Sie schreiben im Jahre 1979: "Eine "Pragmatisierung" des traditionellen Grammatikunterrichts ist auf zwei Wegen denkbar: erstens durch Integration grammatischer Reflexionen in einen insgesamt sprachverwendungs- und -wirkungs-bezogenen Sprachunterricht unter Beibehaltung traditioneller Analysekategorien (Wortartunterscheidungen, Satzgliedunterschei-dungen usw.), also durch die Verwendung traditioneller grammatischer Instrumentarien unter neuen Fragestellungen; zweitens durch die Ersetzung der traditionellen Analysekategorien durch neue "pragmatik-trächtigere". Dieser zweite Weg scheint uns (gegenwärtig) nur insoweit realisierbar, als man im Grammatikunterricht vorrangig solche traditionelle grammatische Regularitäten thematisiert, die zur rekonstruierenden Erfassung und Erklärung bestimmter sprachlicher Wirkungen besonders hilfreich sind ..." (Boettcher/Sitta 1979: 13f.) Mit anderen Worten: durch Rosinenpickerei. Das führt natürlich nicht

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sehr weit und kann auf Dauer kein Ersatz für ein besseres Grammatikmodell sein. Insofern ist Ossners Kritik völlig berechtigt; man sollte den Autoren allerdings zugute halten, daß sie selber gesehen und gesagt haben, was ihr Konzept "kommunikativer Grammatik" ist und was es nicht ist. Es verführt vor allem dazu, unter dem Grammatik-Etikett alles möglich zu handeln, was in Wirklichkeit gar nichts mehr mit Grammatik zu tun hat, weil nämlich gar keine Formstrukturen mehr explizit behandelt werden, also etwa Normprobleme im Zusammenhang mit Dialekt oder Fachsprache. Nicht daß dies keine legitimen und sehr interessanten Gegenstände des Sprachunterrichts wären oder man daran nichts Grammatisches lernen könnte, aber die Frage ist natürlich, ob man von den interessanten, den kommunikativen "Sachen" zu den formalen Strukturen kommt. Jeder, der im Sprachunterricht einmal versucht hat, sprachliche Strukturen oder gar linguistische Kategorien mit Hilfe aktueller Texte interessanter zu verpacken, kennt das kleine Fiasko: niemand will sich mit Wortbildungsmustern oder Syntaxstrukturen beschäftigen, wenn doch der Inhalt der Texte, wenn die "Sachen" die Gemüter bewegen. Dies ist durchaus ein Problem für den Sprachunterricht - und hier zitiere ich eine Formulierung von Harald Weinrich (1985: 262) - "für den Sprachunterricht, der ja darauf angewiesen ist, die Aufmerksamkeit der Sprachschüler zu einem nicht geringen Teil bei den Wörtern und Sprachstrukturen festzuhalten und sie nicht vorschnell zu den Sachen durchzulassen." Die Frage ist also: Wie kommt man zu den Formstrukturen? - Ossner (1987 und 1988) scheint darauf zu vertrauen, daß der funktionale Zusammenhang von Ausdrucksstrukturen und letztlich kommunikativen Zwecken, ist er erst einmal eingeführt, schon gewährleistet, daß man sich für die Ausdrucksstrukturen interessiert. Er benutzt das Bild von den Schülern als Heimwerkern, die in einem Prozeß der Professionalisierung zu Handwerkern gemacht werden sollen und die dabei Werkzeuglehre und Produktionslehre brauchen, entlang der beiden Fragerichtungen: wie funktionieren die Werkzeuge und mit welchen Werkzeugen kann ich meine Ziele realisieren? Er räumt aber auch ein, daß der Unterschied zwischen dem Heimwerker und dem Handwerker nicht so aussieht, daß der eine es kann und der andere nicht; der einzige Unterschied sei der, daß der eine es nur tue, während der andere auch noch wisse, was er tue. Der Unterschied liegt also wieder auf der Ebene der Sprachbewußtheit, die willkürliche Beherrschung ermögliche. Ich frage mich aber:

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warum sollte ich von einem erfolgreichen Heimwerker, der schon alles kann, zum außerdem wissenden Handwerker werden? Warum sollte ich willkürlich beherrschen wollen, was ich schon beherrsche? Der Verdacht drängt sich auf, daß hier unter allen Umstanden versucht wird, der Grammatik einen autonomen Status zu bewahren und gegen jede pragmatische Einbettung zu rechtfertigen, daß Grammatik ein Gegenstand mit autonomer Motivationskraft sei. Ohne Zweifel gibt es aber gute Gründe "von außen", sich mit formalen Strukturen zu beschäftigen, dann nämlich, wenn es darum geht, erfolgreich zu kommunizieren: sei es produktiv im Reden und Schreiben, sei es rezeptiv im Verstehen und Interpretieren. Die Frage nach dem Funktionieren der Werkzeuge kommt eben nicht auf, wenn alles bestens klappt, sondern da, wo es nicht klappt oder noch besser klappen könnte. Wir haben am Anfang argumentiert, daß auch die Muttersprachler in Zweifelsfällen von grammatischem Wissen profitieren können, aber die Fälle, in denen es um richtige, d.h. grammatisch richtige Sätze geht, werden nicht allzu häufig sein. Ungleich wichtiger werden Situationen sein, in denen es um gute, d.h. stilistisch angemessene Äußerungen geht. Das klassische Bewährungsfeld grammatischen Wissens in der Muttersprache ist die Stilistik und Rhetorik, als deren Fundament Grammatik von jeher gilt; Stilistik und Rhetorik liefern die pragmatische Einbettung für Grammatik und alle drei haben nichts an Bedeutung verloren. Im Gegenteil: der wachsende Markt für Rhetorik- und Schreibtrainings in der beruflichen Weiterbildung zeigt an, daß es an Bedarf nicht fehlt. Fragt sich allerdings, ob das, was da geboten wird, den Bedarf nicht vielleicht enttäuscht. Vieles scheint dort aus der Mottenkiste der normativen Stilistik zu stammen, die wenig systematisch und kaum funktional ausgerichtet war. Vor allem hatte sie wenig Erklärungen parat, warum etwas gut oder nicht gut war. Eine wirklich kommunikative Grammatik, die den Bedeutungsbeitrag der Formen aufzeigen kann, die den unterschiedlichen Wert von Ausdrucksalternativen sichtbar macht, kann diese Lücke in einer pragmatisch verstandenen Stilistik füllen. Am schmerzlichsten haben wir in der Schule diese Lücke dort zu spüren bekommen, wo unsere Texte Fehler vermerkt und Zensuren erhalten haben, ohne daß man uns klar sagen konnte, was den nun eigentlich fehlerhaft oder unangemessen war und wie. Derjenige, der wirklich wissen muß, was er sprachlich tut, ist der Lehrer, der korrigiert und beurteilt. Hier ist das höchste Maß an Sprachbewußtheit gefordert, und

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wenn es überhaupt einer Legitimation für einen funktional-kommunikativen Grammatikunterricht bedarf, dann wird sie von den stilistischen Urteilen im Aufsatzunterricht geliefert, die von der möglichen Explizitheit so oft meilenweit entfernt sind. Die Abschottung des Grammatikunterrichts von anderen, über die Grammatik hinausweisenden Fragestellungen erscheint mir deshalb künstlich, und sie ist auch gar nicht möglich, wenn man Grammatik funktional begreift. Mit der Frage nach den Zwecken, die man den Formen zuschreiben kann, ist eben sehr schnell das Ganze der Kommunikation im Spiel. Dies wird etwas deutlicher werden, wenn ich nun noch einmal auf die zweite Leistung der Pragmatisierung zu sprechen komme, die Veränderung des Grammatikmodells selbst. 3.2 Neustrukturierung des Grammatikmodells durch Satzsemantik und Textsemantik Wir haben gesehen, daß die erste Leistung der Pragmatisierung, die Wiedervereinigung der Grammatik mit ihrer "natürlichen" Umgebung (Stilistik, Rhetorik) rasch in der Sprachdidaktik aufgegriffen wurde ("Situativer", "integrativer" Grammatikunterricht), während die zweite Leistung, die Umstrukturierung des Grammatikmodells, die jetzt von Ossner u.a. für die Sprachdidaktik gefordert wird, immer noch aussteht. (Es handelt sich - wie man sieht - um verschiedene Leistungen, die man deshalb nicht gegeneinander ausspielen sollte, sondern die beide gebraucht werden.) Was ist eigentlich so schwierig an dieser Neugestaltung, daß man so lange dazu braucht? Ich könnte einfach antworten, daß Sprache eben etwas so Komplexes ist, daß jede ganzheitliche Perspektive, wie sie mit Pragmatik eingenommen wird, anspruchsvoller ist als der Froschblick auf die formalen Details, aber eben auch interessanter, so daß Johannes Erben schon 1986 seinen "Versuch einer Orientierungskizze" zu diesem Thema mit der Überschrift versah: "Warum Grammatik wieder interessant sein kann." Es sind vor allem zwei Probleme zu bewältigen: das erste ist das Ausdrucks-Inhaltsoder auch Form-Funktions-Problem; das zweite ist das Text-Problem. Traditionelle Grammatik ging überwiegend von Ausdrucksstrukturen und Formen aus: Wortarten, Satzteile. Sie waren durch ausdrucksseitige Kriterien zu bestimmen, meist durch ihre formalen Merkmale: Substantive, Adjektive und Pronomenen sind deklinierbar, Verben konjugierbar usw. Das Subjekt und die Objekte sind durch Kasus, adverbiale Bestimmungen durch Präposition markiert, das Prädikat durch ein finites Verb.

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Fragt man danach, was man mit solchen Wörtern und Satzteilen in Äußerungen tut, so erhält man ganz andere, inhaltliche, Strukturen und Kategorien, wie sie Peter von Polenz zur Grundlage seiner "Deutschen Satzsemantik" (1988) gemacht hat:5 Man bezieht sich/referiert auf etwas und prädiziert/macht eine Aussage darüber. Das sieht nun allerdings auf den ersten Blick wie die Zweiteilung in Subjekt und Prädikat aus, und tatsächlich ergeben sich für elementare Sätze einfache Entsprechungen, wie v. Polenz (1988: 53) zeigt. Ein Satz wie: Gott erschuf die Welt läßt sich ausdrucksseitig/syntaktisch und satzsemantisch zunächst ganz parallel beschreiben. Schaut man aber genauer hin und nimmt etwas andere Sätze, so kommt man schnell auf die Unterschiede. Die Menschen bewundern die Erschaffung der Weh ist ausdrucksseitig genauso gebaut, satzsemantisch liegen aber zwei Aussagen vor, die ineinander eingebettet sind: 'Die Menschen bewundern etwas' und 'Jemand hat die Welt erschaffen'. Diese Einbettungsstruktur kommt in einer etwas weniger kompakten Formulierung deutlicher zum Ausdruck: Die Menschen bewundern, daß jemand die Welt erschaffen hat. Noch mehr Asymmetrie besteht darin, daß jede Äußerung dazu eine weitere semantische Komponente enthält, die Austin 'Illokution' genannt hat, die nur selten völlig explizit gemacht wird und in den Satztypen (Aussagesatz, Fragesatz, Aufforderungssatz) nur vage und nicht immer direkt zum Ausdruck kommt; sie betrifft die kommunikative Geltung, also die Tatsache, daß Äußerungen BEHAUPTUNGEN, VERSPRECHEN, FORDERUNGEN, FRAGEN, TAUFEN, DROHUNGEN und dergleichen sind. Weitere satzsemantische Komponenten wie 'Quantifizierung der Bezugsobjekte/Referenzobjekte' oder 'Sprechereinstellungen' können hinzukommen. So ergibt sich auf der Satzinhaltsseite ein recht differenziertes Bild, das sich mit syntaktischen Ausdrucksstrukturen nicht mehr in eine l: l-Entsprechung bringen läßt, was v. Polenz (1988: 88-100) in der Gegenüberstellung von Satz- und Satzinhaltsstrukturen veranschaulicht. Anhand eines empirischen (nicht selbsterfundenen!) Beispielssatzes (von Jürgen Habermas) macht er deutlich, wie syntaktische Analyse und Analyse des Aussagegehalts sich ergänzen. Er zeigt, wie es mit einem solchen satzsemantischen Modell möglich wird, die traditionelle Fragerichtung der Grammatik umzukehren. Während man bisher von den Ausdrucksstrukturen her die inhaltlichen Funktionen nur bruchstückhaft und einseitig erschlossen hat, ist nun die komplementäre Perspektive möglich, und

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man kann die schwierige Ausdrucks-Inhalts-Beziehung systematisch auch von der anderen Seite her aufrollen. Hier sind für die praktische Stilistik und die sprachkritische Textanalyse wichtige Instrumente entstanden, die von der Sprachdidaktik genutzt werden sollten. Ich gebe nur drei Beispiele: so werden etwa Ausdrucksalternativen mit ihren unterschiedlichen stilistischen Werten nebeneinander sichtbar, z.B. eine ganze Liste passivischer Ausdrucksformen (neben dem werden-, sein- und bekommen-Passiv Funktionsverbfügungen mit kommen, geraten, Eignungsadjektive auf -bar, -lieh, der modale Infinitiv mit sein, das modale Partizip I, lassen mit Pseudoreflexiv). Es werden semantische Komponenten, die durch Ausdrücke nicht mehr repräsentiert sind, sichtbar, z.B. bei Täterausblendungen, ebenso wie indirekter Illokutionsausdruck. Wenn die Stewardess im Flugzeug sagt: Sie werden gebeten, das Rauchen einzustellen, verschweigt sie diskret, wer da etwas tut, nämlich sie selbst im Namen des Flugkapitäns, und sie beschönigt, daß es sich um einen 'Befehl' handelt. Dies ist nur ein winziger Ausschnitt der grammatischen Phänomene mit unmittelbar stilistischer und rhetorischer Bedeutung, die von der Inhaltsseite her mit ihren interessanten, d.h. kommunikativen Aspekten erfaßt werden können. Schwierig, aber deshalb interessant bleibt die Beziehung zwischen Ausdrucks- und Inhaltsstrukturen, weil sie nirgends ein-eindeutig ist, weil das, was an Ausdrücken dasteht mehr oder weniger sein kann, als das, was gemeint ist, weil die Ausdrucksstrukturen allesamt mehrdeutig sind und umgekehrt die Inhaltskomponenten auf verschiedene Weise zum Ausdruck gebracht werden können. Zu dieser satzsemantischen Neustrukturierung kommt ein zweiter Schub, der Grammatik wieder interessant macht, nämlich die Überschreitung der Satzgrenze. Damit wird die Mikroperspektive von unten nach oben, vielleicht sollte ich sagen, die Froschperspektive, durch eine Makroperspektive von oben nach unten, eine Adlerperspektive, ergänzt. Eine ganze Reihe grammatischer Phänomene können erst angemessen beschrieben werden, wenn man der Einsicht folgt, daß die eigentliche Einheit der Kommunikation nicht der Satz ist, sondern der Text. Spätestens auf der Textebene wird uns deutlich, daß es nicht ausreicht, grammatisch korrekte Sätze zu äußern, sondern daß wir beim Kommunizieren gleichzeitig auf verschiedenen Aufgabenfeldern handeln müssen. Das wichtigste Feld ist natürlich bestimmt von der Text/Redesorte, in der wir uns bewegen: ein 'Lebenslauf verlangt andere kommunikative Schritte (Illokutionen) als ein 'Bittbrief, eine 'Pausenunterhaltung'

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andere als eine 'formelle Diskussion'. Damit wir mit diesen Schritten erfolgreich ans Ziel kommen, haben wir ständig zwei andere Felder zu berücksichtigen: das erste betrifft die Organisation unseres Textes und damit eine Reihe von Teilaufgaben; das zweite die Beziehung zu unserem Kommunikationspartner. Beides sind höchst brisante Aufgabenfelder der Kommunikation, auf denen sich meist entscheidet, ob wir Erfolg haben oder scheitern, ob wir überzeugt oder manipuliert werden. Es lohnt sich deshalb, sie in der Analyse und beim Kommunizieren stärker zu beachten. Zur Organisation gehört vor allem die Gliederung und die Reihung der Schritte in eine zusammenhängende Abfolge. Das betrifft eine ganze Fülle grammatischer Mittel, von der Wortstellung über Verweismittel, Bindemittel, die bestimmte gedankliche Brücken schlagen, bis zu Satzzeichen, Interjektionen und Gliederungssignalen. Dazu kommen Mittel der Verständnissicherung und - in gesprochener Interaktion - die Regelung des Sprecherwechsels. Für die Herstellung von Kontakt und die Gestaltung der Beziehung zum Kommunikationspartner haben wir eine ganze Reihe von Routineformeln, aber auch subtilere Mittel wie Partikeln, Bewertungsausdrücke aller Art und besonders die Mittel, mit denen wir auf Personen Bezug nehmen, zunächst vor allem Personalpronomen. 4. Ein Beispiel: Personalpronomen in der Schulgrammatik Nach diesem flüchtigen Überblick über Felder einer Textgrammatik, zu der analog zur Satzsemantik eine Textsemantik gehört, will ich zum Ende meines Versuchs, die Rolle der Pragmatik für die Schulgrammatik zu skizzieren, noch ein schulgrammatisches Beispiel hernehmen, und zwar die zuletzt genannten Personalpronomen. Sie scheinen im Muttersprachunterricht keinen spannenden Stoff abzugeben und, obwohl sie zum traditionellen Kanon der Wortartenlehre gehören,6 auch höchstens unter dem Aspekt des Duzens/Siezens eine Rolle für die metasprachliche Reflexionsfähigkeit zu spielen. Hier geht es mir darum zu sehen, ob und wie man diesem Thema darüberhinaus unter pragmatischen Gesichtspunkten für den Schulunterricht etwas abgewinnen könnte, gerade im Hinblick auf Stilistik und Rhetorik. Dabei werde ich zwischen den beiden Perspektiven, von der formalen zur inhaltlichen Seite und zurück, hinund herpendeln. Außerdem werde ich von der Satz- auf die Textebene springen.

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Mein Vater war sehr stolz darauf, daß er die Flexion der Personalpronomen hersagen konnte: "ich, meiner, mir, mich; du, deiner ...". Viel geholfen beim Kommunizieren oder Verstehen hat es ihm wohl nicht. Auch Grammatiken beschäftigen sich natürlich zunächst mit der Flexion, stellen sie gerne in anschaulichen Kästchen dar und weisen auch darauf hin, daß man nach Numerus und Kasus unterscheide und nur in der 3. Person Singular auch noch nach dem Genus,7 eine Differenzierung, die sich in den anderen Fällen durch situative Eindeutigkeit erübrigt. Die eigentlich interessanten Fragen werden leider weniger systematisch behandelt, obwohl sie den Muttersprachler durchaus beschäftigen; zum einen der satzsemantische Aspekt, die Frage, worauf man sich mit Personalpronomen eigentlich referiert, zum ändern der textsemantische Aspekt, die Frage, wie man mit ihnen Beziehungen gestaltet.

4.1 Worauf bezieht man sich mit Personalpronomen? Es ist bemerkenswert, daß die Frage der referentiellen Bedeutung von Personalpronomen in Grammatiken des Deutschen - wie Plank (1984: 198) feststellt - "immer wieder falsch, unvollständig oder alles andere als optimal" beantwortet wird. So heißt es etwa im Duden (Drosdowski 1984: 317): "Man nennt diese Wörter Personalpronomen (persönliches Fürwort) und unterscheidet im einzelnen eine - 1. Person, die von sich selbst spricht (ich, wir); - 2. Person, die angesprochen wird (du, ihr); - 3. Person (oder Sache), von der gesprochen wird (er, sie, es; sie [Plural])." Sehr viel genauer und angemessener erfaßt Plank (1984) die Bedeutung mithilfe von Referenz-Mengen, die die drei 'Sprechakt-Rollen' von Sprecher, Adressat und Sprechakt-Unbeteiligtem als Elemente enthalten, z.T. mehrfach und in Kombinationen. Aus seiner Darstellung geht deutlich hervor, daß im Fall von wir und ihr/Sie eben nicht davon die Rede sein kann, daß sie sich analog zu den Singular-Formen immer einfach auf Sprecher- oder Angesprochenen-Mengen beziehen (Lyons 1968: 277; Levinson 1990: 71). Bei wir muß unterschieden werden: - eine Adressaten einschließende Variante (+S/+A) - eine Adressaten aus-, Dritte einschließende Variante (+S/A/ +D) - eine Adressaten und Dritte einschließende Variante (+S/+A/+D) - weitere drei 'chorische' Varianten mit mehr als einem Sprecher/Schreiber (+SS/+A; +SS/-A/+D; +SS/+A/+D).

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Ihr/Sie kann Adressaten einschließen oder Adressaten und Dritte, niemals aber den/die Sprecher. Gerade die unterschiedlichen Bedeutungsvarianten von wir und ihr/Sie sind in Kommunikationskonflikten immer wieder problematisch und deshalb ist der Hinweis auf bestehende Polysemien keineswegs nur eine pedantische Marotte. Dabei sind bisher noch gar nicht sogenannte "uneigentliche", aber doch regelhafte Gebrauchsweisen erfaßt; sie komplizieren das Bild ganz erheblich und führen auf weitere interessante Fälle, die auch nur lückenhaft und ziemlich beliebig in Grammatiken zusammengestellt werden. So kann man mit ich auf den Adressaten oder Dritte referieren, wenn man die ich-hier-jetzt-Ongo verschiebt, was bei Bühler (1934: 121ff) "Deixis am Phantasma" heißt, während Lyons (1977) von "deiktischer Projektion" spricht. Du kann ebenso wie sie generalisierend verwendet werden, im Sinne von man, während die dritte Person oder man sich auch auf Sprecher oder Hörer beziehen können. Nimmt man noch die Gebrauchsvarianten von wir und ihr hinzu, so kann man mit Eisenberg (1989: 190) feststellen, "daß ich, du, wir, ihr sowie das unpersönliche Personalpronomen man (das nur als Subjekt vorkommt) weitgehend ohne BedeutungsVeränderung gegeneinander austauschbar sind, wenn nur die Äußerungssituation genügend Hinweise auf das jeweils Gemeinte gibt." Noch einmal muß man die Besonderheiten bei wir erwähnen, wie sie in Grammatiken öfter, selten aber vollständig aufgelistet werden; zu den oben genannten Gebrauchsweisen kommen nämlich noch: - singularische Bedeutungsvarianten (+S/-A/-D), denen man verschiedene Motive zuordnen kann (Pluralis maiestatis, modestiae, auctoris) - sprecherausschließende Varianten (-S/+A/7D), die auch "pädagogisches" bzw. "Krankenschwestern-Wir" genannt werden - am Übergang von beiden eine auktoriale Variante, die Gemeinsamkeit stiften soll: wir haben gesehen, daß ... Worauf man sich mit einem Personalpronomen genau bezieht, ist also nicht nach dem einerseits zu einfachen, andererseits sehr unsystematischen Bild zu erfassen, das die Grammatiken hier zeichnen. Hoffmann (1984: 88) kritisiert deshalb zu Recht an der Darstellung in den "Grundzügen einer deutschen Grammatik" (Heidolph u.a. 1981) das Konzept fester referentieller Bedeutungen: "Im Kontext einer Referenztheorie müßte deutlich werden: es sind nicht Ausdrücke, denen statisch eine 'Referenz' zuzuweisen ist, sondern REFERIEREN ist jenes Element des sprachlichen Handlungsprozesses, das die Verständigung über (kommunikativ bestimmte) 'Gegenstände' ermöglicht."

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Die referentielle Bedeutung dieser Pronomen ist nämlich auch in der Kommunikationspraxis keineswegs immer klar, und es wäre nützlich, auch im Unterricht darauf das Augenmerk zu legen. Man könnte fragen lernen: wen meint der Sprecher/Schreiber eigentlich? Ist er nur schludrig oder läßt er gezielt, wenn nicht absichtlich, offen, wen er meint? Oder liegt gar ein "uneigentlicher" Gebrauch vor, der weitere Fragen nachzieht. All dies könnte zu dem nächsten Gesichtspunkt fuhren, wie wir textsemantisch mit Personalpronomen Beziehungen gestalten. 4.2 Wie gestaltet man mit Personalpronomen Beziehungen? Die Vielfalt des referentiellen Bedeutungspotentials der verschiedenen Pronomen läßt darauf schließen, daß sich hier ein Feld höchst differenzierter Ausrucksmöglichkeiten ausgebildet hat, auf dem wir sehr subtil und fast unbemerkt unsere jeweiligen, z.T. mehrfachen Ziele der Beziehungsgestaltung auf vielen, z.T. mehrfachen Wegen verfolgen. Obwohl auf Anhieb klar ist, daß Personalpronomen insgesamt besonders 'beziehungssensitive' Formen sind (Adamzik 1984: 134), beschränkt man sich doch in diesem Zusammenhang meist auf einige Regeln des Gebrauchs der Anredepronomen, die in der Tradition von Brown/Gilman (1960) mit den Kategorien 'power' und 'solidarity' beschrieben werden.8 Da zur Beziehungsgestaltung aber eine doppelte Ausrichtung auf das fremde und das eigene Image gehört (Goffman 1956; Holly 1979: 43), sind alle Referenzausdrücke für Adressat und Sprecher hier unmittelbar im Spiel, nicht nur die Anredepronomen. Dennoch will ich mich hie.: aber nicht mit allen möglichen Ausdrücken personaler Referenz beschäftigen, sondern auf die grammatische Kategorie der Personalpronomen beschränken, zu denen auch man gezählt werden muß (Eisenberg 1989: 190). Die Austauschbarkeit von ich, du, wir, ihr und man ohne Bedeutungsunterschied, die Eisenberg (1989: 190) feststellt, gilt natürlich nur im Hinblick auf den referentiellen Teil der Bedeutung. Darüber hinaus muß beschrieben werden, was ein Sprecher zusätzlich meinen kann, wenn er eine bestimmte Form verwendet. Daß dabei keine l:l-Entsprechung von Ausdrücken und Bedeutungsmöglichkeiten vorliegt, entspricht der üblichen Mehrdeutigkeit und Vagheit von Ausdrücken. Dabei kann man den Wert eines bestimmten Ausdrucks an einer bestimmten Stelle immer nur im Vergleich zu möglichen anderen Formen bestimmen. Dieser Wert wird besonders deutlich, wenn ein Sprecher/Schreiber im Verlauf seines Textes die Form wechselt, also beispiels-

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weise von ich zu man; in solchen Fällen wird der Prozeß der Beziehungsgestaltung unmittelbar wahrnehmbar. Wie das aussehen kann, möchte ich an einer Passage aus einem Fernsehinterview illustrieren, das im Rahmen einer Unterhaltungssendung geführt wurde;9 hier nähert sich der Interviewer, Günther Jauch, seinem Interviewpartner, dem Bundeskanzler Helmut Kohl, schrittweise, indem er nach der "Normalanrede" mit Sie zunächst zu einem verallgemeinernden unverfänglichen man überwechselt, um aber gleich darauf über Sie zu einem stark personalisierenden ich zu kommen: "Sie sind ein Mann, der jeden, spätestens jeden Montag von einem deutschen Nachrichtenmagazin angeschossen wird, der sicherlich viel auszuhalten hat. Kann man das so ohne weiteres oder sind da auch Empfindlichkeiten, bei denen Sie sich richtig ärgern und sagen: "Das steck ich nicht so einfach weg."?" Der Wechsel zu ich als Referenzausdruck für den Angesprochenen ist durch die empathische, aber zugleich auch intensivierende, fast zudringliche Versetzung in die Person der Adressaten möglich. Hier bewegt sich Jauch in einem Balancespiel, das - trotz Imageschonung zu Beginn - am Ende der Frage eine sehr persönliche Sicht suggeriert. Daß man auch umgekehrt zu Ende der Frage einen distanzschaffenden, imageschonenden Schritt machen kann, zeigt die folgende Passage aus demselben Interview: "Kann es sein, daß Sie - da kommt Zustimmung -, kann es sein, daß man, um eine vernünftige Politik zu machen gemäß dem Amtseid, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden, tatsächlich von Zeit zu Zeit tricksen, mauscheln und lügen muß?" Die Brisanz der Frage machte offensichtlich eine Entschärfung der Formulierung durch eine Verallgemeinerung mit man notwendig; aber sie bleibt hier durch eine offene Selbstkorrektur als eine bloße Ausdrucksalternative zur direkten Adressierung ziemlich gut wahrnehmbar, nur durch die dazwischengeschobene Parenthese etwas kaschiert. Solche Veränderungen in der Wahl des Referenzausdrucks sind gängige Mittel in der mikrokommunikativen Beziehungsgestaltung, die aber entscheidend dafür sind, ob Öl oder Sand ins Getriebe des Gesprächs kommt.10 Natürlich funktionieren sie nur im Zusammenspiel mit anderen sprachlichen Mitteln, wie z.B. Abtönungspartikeln, "Heckenausdrücken" aller Art11 oder verschiedenen modalen Komponenten. Sie geben den Ton, der die Musik macht, und deshalb ist es ein Ausweis kommunikativen Geschicks, wenn man sie rezeptiv erkennt und produktiv beherrscht.

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Der Schulunterricht überläßt derlei gerne dem natürlichen Talent der Schüler oder der außerschulischen Anregung. Hier sind wir aber an der Basis einer demokratischen Sprachkultivierung, hier kann ein verstärktes Sprachbewußtsein eine Sensibilisierung schaffen, die sich mit etwas Training in kommunikativen Chancen niederschlagen kann. Deshalb lohnt es die Mühe, sich mit dem Gebrauch solcher Ausdrucke detaillierter zu beschäftigen, selbst wenn keine messerscharfen Regeln herauskommen, sondern nur typische stilistische Gebrauchsweisen, die im jeweiligen Kontext etwas anders eingefärbt sein können. Das folgende Schema mit einigen solchen Ausdrucksvariationen ist deshalb nicht als ein starres Regelwerk zu verstehen, das alle Möglichkeiten expliziert. Es soll nur einen Eindruck geben, wie man einige Muster der Beziehungsgestaltung durch Personalpronomen ein bißchen übersichtlicher machen könnte. :&*Ä::i±::^^r:&::£i::x::::w iSSÄSWÄWWÄWAWiSWÄW:

i*SS*Si^sSigi;ifl;;;l;

Aufwertung

ich -* wir PRAHLEREI BESCHEIDEN

du -» Sie RESPEKT

Höflichkeit

Abwertung

ich -» man BESCHEIDEN UNSICHER

Sie -» du FRECH

Mißachtung

Personalisierung

man -» ich ich -» du, Sie AUFDRINGL. INTENSIV

man -» du/Sie du, Sie -» wir Sie -> du KONFRONTAT . SOLIDARITÄT

Nähe

Entpersonalisierung

ich -» man VERSCHLOSSS . ZURÜCKHÄLT.

du/Sie -> man du -» Sie FORMALITÄT RÜCKSICHT

Distanz

Beziehungsintensität

-» = 'wird ersetzt durch'

Dabei habe ich mich auf die beiden Dimensionen 'Bewertung' und 'Beziehungsintensität' beschränkt, die zugleich mit Kategorien wie Hof-

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lichkeit, Respekt, Mißachtung einerseits und Nähe/Distanz andererseits zusammenhängen. Der Wert, die Bedeutung für die Beziehungsgestaltung kommt nicht den Ausdrücken selbst zu, sondern nur einem Gebrauch, der an dieser Stelle als Wahlalternative zu einem anderen Ausdruck gesehen werden kann. Auch die Beschreibungsausdrücke (in Großbuchstaben) wie PRAHLEREI oder BESCHEIDEN sind für diese Wahlen nicht automatisch und obligatorisch, sondern nur typische Möglichkeiten. Verschiedene Textbelege werden hier verschiedene Beschreibungen nahelegen. Die Vielfalt und der Aspektreichtum in zwischenmenschlichen Beziehungen soll nicht auf ein paar dürre Muster reduziert werden. Es sollte aber deutlich werden, daß auch solche vagen, aber kommunikationsrelevanten Gegenstände nicht ungeregelt sind, daß es Muster gibt, die auch im Zusammenhang von Grammatikunterricht behandelt werden können und die durch ihre funktional-pragmatische Seite vielleicht mehr vom Sinn der Grammatik spüren lassen als die ungeliebte und unverständliche Rute der "Formen"-Grammatik. Deshalb immer noch und wieder: Pragmatik in die Schulgrammatik!

Anmerkungen 1. Ivo 1988: 452 verweist z.B. auf die Figur in der Vorhalle des Freiburger Münsters. 2. Auch hierfür gibt Ivo 1988: 453 ein Beispiel: es stammt aus Gregor Reischs (1467-1525) "Margarita philosophica" und zeigt ein turmartiges Gebäude mit den Grammatiken des Donatus und Priscianus als Sockel. 3. S. dazu Haueis 1989, darin besonders Gornik 1989. 4. Manche, z.B. Heringer, haben ihn allerdings immer gemieden und stattdessen lieber von "praktischer Semantik" geredet, mit guten Gründen, die hier aber zu weit führen. 5. Hier kann ich nur ein paar Andeutungen zum Zweck der Veranschaulichung machen. 6. So tauchen sie auch als Standardstoff in den "gleichförmigen" grammatischen Curricula auf (Ivo/Neuland 1991: 479ff). 7. Manche machen die Unterschiede zwischen der und 1. und 2. Person einerseits und der 3. Person andererseits viel größer; s. z.B. Diewald 1991: 203ff mit einem Überblick, oder auch Engel 1988: 649, der die ersteren als Partnerpronomina, die letzteren als Verweispronomina bezeichnet. 8. So auch Sager 1981: 357ff; s. dort weitere Literatur, ebenso in Holly 1979: 199 und Levinson 1990: 9 Iff; am ausführlichsten Brown/Levinson 1987. Eine Variante enthält Bayer 1979.

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9. Eine ausführliche Analyse des ganzen Interviews in Holly 1990. 10. Zu Gesprächsstilen z.B. Sandig 1983, zu Beziehungsgestaltung Sandig 1986: 214-268. 11. Dazu Kolde 1989 mit weiterer Literatur.

Wortgeschichte und Sprachkritik Ein Beitrag zur Diskussion über Euphemismen Wilfried Seibicke Es ist immer ein erhebendes Gefühl, einen Euphemismus aufgedeckt und auf diese Weise sprachmanipulatorische Machenschaften entlarvt zu haben. Man reiht sich damit ein in die stolze Phalanx der Aufklärer, und wer als aufgeklärt gelten möchte, tut gut daran, sich an solche Wertungen zu halten, damit er/sie nicht als Mucker oder Spießer, als konservativ oder gar als reaktionär eingestuft wird. Dennoch möchte ich den Sprachschulmeistern ein bißchen den Spaß verderben. Wort- und Wortgeschichtsforschung einerseits und sprachkritische Interpretation andererseits kommen nämlich keineswegs immer zu demselben Ergebnis. 1. Ich denke da zum Beispiel an das Wort Beinkleid. Die großen Wörterbücher der deutschen Gegenwartssprache1 kennzeichnen das Wort stilistisch als 'veraltet', 'gehoben' und '(noch) scherzhaft', aber nicht als euphemistisch. Dieser Klassifizierung wird man im großen und ganzen zustimmen; denn im heutigen Sprachgebrauch spielt Beinkleid keine Rolle. Es dürfte schwerfallen, aktuelle Beispiele zu finden, und es gibt ja auch keine gesellschaftliche Konvention, das Wort Hose zu meiden. Entstehungsgeschichtlich aber soll Beinkleid ein Euphemismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts sein, meint zum Beispiel S. Luchtenberg in ihrer Untersuchung der Euphemismen im Deutschen (Luchtenberg 1985). Läßt sich das wortgeschichtlich bestätigen? Beinkleid ist bereits im ersten Band des DWb bezeugt,2 und für die Zusammensetzung Beinkleidmacher bringt das Wörterbuch schon einen Briefbeleg von Herder aus der Zeit vor 1791. In beiden Wörterbuchartikeln weist außerdem nichts darauf hin, daß Beinkleid zu jener Zeit beschönigende Funktion gehabt habe. Mit Herders Komposition sind wir freilich noch längst nicht beim Ursprung des einstigen Neologismus. Ausführlicher informiert das Wörterbuch von Weigand über Beinkleid: Der Ausdruck kommt schon im 16. Jh. vor (1557 bei Mathesius Syrach

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3,51a) und erscheint auch im 17. u. 18. Jh. in Wörterbüchern (z.B. bei Comenius, Rädlein, Frisch), aber ohne sich zunächst recht einzubürgern, da ihn noch Adelung 1793 als neugebildet bezeichnet. (Weigand 1854: 192). Die Jahresangabe 1557 ist übrigens zweifelhaft, weil im Quellenverzeichnis des Weigandschen Wörterbuches "das Werk des Joh. Mathesius, in dem Beinkleid vorkommt, erst mit 1586 datiert" (Otto 1976: 217). Das ist in diesem Falle jedoch unerheblich, denn es gibt andere Belege aus der Zeit (Otto 1976: 217): Die kleinen liedern [= ledernen, W.S.] Bahr beincleider, l ßoren vor vij eilen Graw tuch, Lorentzen, dem vnmundigen, Zw einem Rock vnnd Beincleidernn, a. 1558; l Bahr Rothe Bein cleider, so des vatern gewesen, a. 1558. Ausgerechnet in der Zeit des Grobianismus Beinkleid als beschönigende Neubildung anzusetzen, ist nicht sehr plausibel. Die Kontexte der oben mitgeteilten Zitate sprechen auch nicht dafür. Bedeutsamer ist in diesem Zusammenhang, daß E. Otto, dem ich diese Belege verdanke, alle drei Bedeutungsangaben mit einem Fragezeichen versieht: "'Gamasche'?, 'Langstrumpf?, 'Hose'?" Die Neubildung fällt nämlich in eine Zeit des kostümkundlichen Sach- und des sprachlichen Bedeutungswandels: In alter Zeit gilt die Bezeichnung [erg.: Hose. W.S.] lediglich für das den Unterschenkel mitsamt den Füßen bedeckende Kleidungsstück, z.B. für die durch Riemen befestigte Umwicklung (aus Tuch oder Leder), den Strumpf, die Gamasche. Im 16. Jh. geht der Ausdruck auf das den Unterleib und die Schenkel bis zu den Füßen umhüllende Beinkleid [sie!] über (Pfeiffer 1989: 710). Um die Komplexität der sprachlichen Situation noch deutlicher zu machen, sei hinzugefügt, daß eine Wortbildung Beinling vorausging, mit der zunächst der "Teil eines Kleidungsstückes" bezeichnet wurde, "der die Beine bedeckt, seit dem 15.Jh. Oberer Teil des Strumpf es'"(Pfeiffer 1989: 146), und daß es schon im Mittelhochdeutschen mit Beinkleid vergleichbare Komposita gab: beinberge 'Beinschiene', beingewant, beinwat und sogar die Kombination beinhose (Lexer 1872: 160). Wie der heutige Wörterbuchverfasser dürften damals auch die Hersteller wie die Träger der Kleidungsstücke in Bezeichnungsnöten gewesen sein und ohne die geringste Absicht der Beschönigung oder Verschleierung das naheliegende durchsichtige, d.h. sprachlich motivierte Neuwort für 'Bekleidung der Beine' gebildet haben, wobei Bein - wie noch heute in den Mundarten - unterschiedliche Bereiche der unteren Extremitäten abdeckt. Ist es

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da nicht einleuchtend, davon auszugehen, daß Beinkleid als "ein Wort [...] der Schneider" (Götze 1939: 483), also als Fachwort entstand und sich über die Handwerkersprache ausbreitete? Ich fühle mich in dieser Deutung oder Sehweise bestätigt durch das "Technologische Wörterbuch" von 1781: Beinkleider, (Schneider) ein bekanntes Kleidungsstück der Mannsleute, womit die Hüften und Dickbeine bekleidet werden. Sie werden von den Schneidern, und wenn es lederne sind, auch von den Handschuhmachern, Beutlern und Weißgerbern verfertiget. Alle diese nehmen das Maas auf folgende Art ... (Jacobsson 1781: 167). (Es folgt eine ausführliche Beschreibung des Maßnehmens.) Wer Beinkleid unbedingt als Euphemismus "retten" möchte, könnte vielleicht zu seiner Rechtfertigung anführen, daß das Wort Hose, indem sein Signifikat von den Unterschenkeln her (wo es zweifellos keinerlei Anlaß zu irgendeiner Tabuisierung gab) in Richtung des Sexualbereichs aufwärts wanderte, immer "heißer" wurde und deshalb nach einer "neutralen" Neubenennung verlangte. Genau so hat es Johann Leonhard Frisch um die Mitte des 18. Jahrhunderts gesehen:3 Bein=Kleid kommt in den Gang an statt Hosen, welches anfängt unhöflich zu werden, femoralia, und Weil das Wort Hosen nunmehr mit der Bedeutung so wie am Leib gestiegen, von den untern Füssen biß an den Gürtel, ist es um vielen Mißbrauchs und unzüchtigen Scherzes willen verächtlich worden, und heissen die Hosen bey den meisten Schneidern anjetzt Bein=Kleider. Aber da hat das Wort schon 200 Jahre hinter sich, und es ist auch zu fragen, ob man "unhöflich" und "verächtlich werden" mit "tabuisiert werden" gleichsetzen darf. Liegt hier nicht eher eine Veränderung im Stilwert der Ausdrücke vor: Hose 'umgangssprachlich' oder 'vulgär', Beinkleid 'gehoben'? Ganz sicher kann man von Hose nicht behaupten: "Seit dem Rokoko gilt das Wort als verpönt" (Götze 1939: 483); denn es ist erstens stets im Gebrauch geblieben und zweitens seit langer Zeit eine stilistisch neutrale Bezeichnung. Bestenfalls wurde Hose in bestimmten Gesellschaftskreisen und/oder auf bestimmten Stilebenen eine Zeit lang gemieden, sei es als gesellschaftlich tabuisiertes, sei es als stilistisch niederes Wort. Jacob Grimm hat dergleichen anscheinend nicht mehr beobachtet. Erst Moriz Heyne schreibt 1877: "in gewählter spräche gern gemieden und durch beinkleid ersetzt",4 bezieht sich aber vor allem auf Frisch ("schon zu Frischs Zeiten"), bringt kein Beispiel der Gegenwart.

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Schließlich sei noch ein literarischer Beleg, auf den ich im WOG (1970: 490) stieß, erwähnt: In Carl Sternheims Komödie "Die Hose" (1909/10) sagt die junge und kesse Frau Deuter zu dem an anderer Stelle als "vornehm" bezeichneten, in blumigen Reden schwelgenden Schriftsteller Frank Scarron (II, 4): Hosen gibt's für die junge Frau; Verzeihung: Beinkleider sagt man in ihren Kreisen. Im ganzen Stück ist sonst nur von der Hose die Rede (gemeint ist damit eine Damenunterhose). Ob diese Bemerkung über den Gebrauch des Wortes Beinkleid einen sprachsoziologischen oder einen sprachstilistischen Befund darstellt, ist der kurzen Äußerung nicht mit Gewißheit zu entnehmen. Bei Heyne dagegen ist die Einschätzung des Wortgebrauchs als Stilistikum ('gewählt') eindeutig, und ich neige auch bei dem Sternheimschen Text zu dieser Interpretation.5 Nebenbei: Der hier aufkommende Verdacht, Hose sei im Kontext dieses Stückes ein verschämter Ausdruck, also ein Euphemismus für 'Unterhose', speziell 'Damenunterhose', ist nicht von der Hand zu weisen.6 Das trifft aber nur für dieses eine historische Beispiel zu, das heißt, es liegt in diesem Falle die euphemistische Verwendung eines semantisch neutralen Wortes vor. Keineswegs wird das Wort Hose dadurch zu einem lexikalischen oder lexikalisierten Euphemismus. Ich fasse zusammen: Die derzeit verfügbaren wortgeschichtlichen Daten geben keinen Anlaß zu der Annahme, daß Beinkleid als Ersatz für ein tabuisiertes Wort entstanden sei, und auch in der Folgezeit diente das Wort mehr der stilistischen Variation als der beschönigenden oder verhüllenden Bezeichnung, auch wenn es hier und da in dieser Funktion, also euphemistisch, verwendet wurde und wird. Als Euphemismus verwenden kann man ja (fast) jedes Wort (siehe oben Hose für Damenunterhose oder sterben für ein Geschehen, das angemessener mit elend abkratzen oder qualvoll zugrundegehen beschrieben würde), ohne daß die so verwendeten Ausdrücke damit zu "Langue-Euphemismen"(Luchtenberg 1985: 23) würden. Setzte man "höhere Stilebene" mit "Euphemismus" gleich, wäre in Wortreihen wie Antlitz - Gesicht - Visage oder Toilettenpapier - Klopapier - Arschwisch das jeweils voranstehende Wort ein Euphemismus für das folgende. Das letzte Glied dieser Kette wäre dann die "wahre" Bezeichnung des Sachverhalts - und damit befänden wir uns unversehens auf der Seite derer, die meinen, daß die Sprache physei sei!

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Der Gedanke von dem einzig wahren Wort, im Vergleich mit dem alle Synonyme entweder beschönigenden oder herabsetzenden (dysphemistischen7) Charakter haben, irrlichtert immer wieder durch die Euphemismus-Diskussionen,8 und ich möchte mit meinem Beitrag nicht zuletzt auf diesen zeichentheoretischen Aspekt des Problems aufmerksam machen. Als Musterbeispiel kann hierfür auch das in der Literatur über Euphemismen geradezu obligatorische Wortfeld 'sterben' herangezogen werden.9 Es gibt auch hier nicht eine einzig "wahre" Bezeichnung (sterben); denn es geht gar nicht darum, einen einzigen, immer gleichen Vorgang oder Sachverhalt sprachlich zu etikettieren. Zwar dreht sich hier alles um das "Aufhören des Lebens", aber das ist nur der begriffliche oder referentielle Kern der Nominationen. Für die lexikalisch-semantische Differenzierung wichtiger sind die Art und Weise des jeweiligen Sterbens und die stilistischen und soziolinguistischen (z.T. fachsprachlichen) "Zugriffe" auf diese Vorgänge. Manche der so gern als Euphemismen bezeichneten Synonyme für sterben wie heimgehen oder vom Herrn abberufen werden, das Zeitliche segnen sind von ihrer Entstehung, ihrer Motivation her eben keine beschönigenden Bezeichnungen, sondern Ausdruck christlichen Glaubens, und selbst bei in die ewigen Jagdgründe eingehen steht eine religiöse Vorstellung vom Weiterleben im Jenseits dahinter. Nur ein radikaler Anarchist kann all diese Ausdrücke - übrigens auch das Jenseits - als Euphemismen verstehen. Zum Abschluß dieses Abschnitts möchte ich noch daran erinnern, daß zu (Unter)Hose und Beinkleid ein Synonym gebildet wurde, das die Tabuisierung im Worte selbst zum Ausdruck bringt: die Unaussprechlichen. Aufgekommen ist diese Benennung anscheinend im Englischen: inexpressibles, ineffables ("a humorous euphemism"), inexplicables ("a vulgar euphemism") und unmentionables.10 In den 1840er Jahren entsteht die deutsche Lehnübersetzung. Seitdem "wird [sie] zwar verspottet und von Jac. Grimm bekämpft,11 [sie] hält sich aber, trotz aller anhaftenden Lächerlichkeit, bis heute" (Götze 1935). - Verräterisch ist daran die Wendung "trotz aller anhaftenden Lächerlichkeit" (vgl. auch engl. "a humorous euphemism"). Die Unaussprechlichen kann man nämlich heute nicht mehr - und konnte es vielleicht nie - ernsthaft als Euphemismus einsetzen, weil es keine Tabuisierung der Referenten und ihrer Benennungen gibt, und so reiht sich auch dieser Ausdruck in die Liste der Stilvarianten mit den Merkmalen 'geziert, gespreizt' oder 'scherzhaft, ironisch' ein.

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2. Als Euphemismus viel gescholten und schließlich gar für wert befunden, als Musterbeispiel der "politischen und kommerziellen Sprachlenkung und Sprachbeeinflussung" (Lewandowski Bd. l, 287) in ein terminologisches Wörterbuch der Linguistik aufgenommen zu werden: das Wortpaar Arbeitgeber, Arbeitnehmer. Stein des Anstoßes ist hier die angeblich nicht stimmige, die tatsächlichen Verhältnisse verkehrende Bezeichnung: "Eine sprachliche Bemerkung sei erlaubt: Der Arbeit'nehmer' gibt seine Arbeitskraft hin, er ist also Anbieter am Arbeitsmarkt. Der Arbeitgeber ist Nachfrager",12 also derjenige, der die angebotene Arbeitskraft (an)nimmt; folglich müßten wir "als adäquatere Beschreibung der Funktionsträger die Wortverbindungen Arbeitskrqftnehmer (statt Arbeitgeber) und Arbeitskraßgeber (statt Arbeitnehmer) bilden" (Ulmann 1976: 101). Aber wer oder was zwingt uns eigentlich, Arbeit in diesen Verbindungen mit Arbeitskraß gleichzusetzen? Man gehe nur einmal in einem beliebigen Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache die Wortbildungen mit Arbeit- und Arbeits- durch: arbeit(s)erleichternd, -erschwerend, Arbeitsuche(ender), Arbeitsablauf, Arbeitsamt, Arbeitsbeschaffungssmaßnahme usw. bis Arbeitszimmer, dann wird man schnell feststellen, daß Arbeit fast nie - erst recht nicht in dem Worte Arbeitskraß selbst - in der unterstellten Bedeutung gebraucht wird. Schade, denn wäre es anders, ließe sich das Problem der Arbeitslosigkeit sehr bequem lösen: Da selbstverständlich der/die auf die Straße Gesetzte seine/ihre Arbeitskraft behält, könnte es gar keine Arbeitslosen in diesem Wortsinne mehr geben! Nur stimmt das eben nicht mit dem "normalen" Sprachgebrauch und Wortverständnis überein. Woher dann die willkürliche Interpretation von Arbeit in Arbeitnehmer und Arbeitgeber! Arbeit in der Bedeutung 'Arbeitskraft' ist ein Fachwort der marxistischen Ökonomie, die Kritik an der Wortbildung Arbeitnehmer '-geber läßt sich bis auf die Väter des Marxismus zurückführen: So heißt auch im heutigen Deutsch der Kapitalist, die Personifikation der Sachen, die Arbeit nehmen, Arbeitsgeber, und der wirkliche Arbeiter, der Arbeit gibt, Arbeitsnehmer (Marx 1860/67). Es konnte mir nicht in den Sinn kommen, in das 'Kapital' den landläufigen Jargon einzuführen, in welchem deutsche Ökonomen sich auszudrücken pflegen, jenes Kauderwelsch, worin z. B. derjenige, der sich für bare Zahlung von anderen ihre Arbeit geben läßt, der Arbeitgeber heißt, und Arbeitnehmer derjenige, dessen Arbeit ihm für Lohn abgenommen wird (Marx 1884: 22).

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Interessant Engels' Zusatz-Argument aus sprach vergleichender Sicht: Mit Recht würden die Franzosen den Ökonomen für verrückt halten, der den Kapitalisten donneur de travail, und den Arbeiter receveur de travail nennen wollte. Die ersten Belege für Arbeitgeber und Arbeitnehmer stammen aus dem Umkreis der bürgerlichen Revolution von 1848. Ich zitiere im folgenden aus H. Gomberts Rezension von R.M. Meyers Buch "Vierhundert Schlagworte" (Gombert 1902: 55, 58). "Arbeitgeber (Nr. 102) hält Meyer für einen um 1859 entstandenen Titel und weiß als ältesten Beleg für das Wort einen aus Otto Ludwigs Studien (Schriften 6,71) anzuführen; doch finden wir das Wort schon im DWb., also wohl schon 1852. Sanders hat es allerdings noch nicht in seinem Hauptwerke und bringt es im Ergänzungs=Wb. erst aus Spielhagens Sturmflut und aus der Bundesgesetzgebung des Jahres 1869. Aber in den Beschlüssen des Arbeiterkongresses zu Berlin vom 23. August bis zum 3. Sept. 1848 lesen wir S. 10: "Zu dem Ende (zum Arbeitsund Arbeiternachweis) melden sich alle Arbeitgeber und Arbeiter des Ortes, wo dann das Comite Arbeit dem Arbeitsuchenden und Arbeiter dem Arbeitgeber zuweist". Desgleichen einige Monate früher wird in einer Volksversammlung vom 26. März 1848 (Wolff, Berliner Revolutionschronik l, 438) gefordert: "Ferner sollen die Arbeitgeber keine Mädchen und auch nicht mehr als drei Lehrlinge beschäftigen dürfen". Auch der von Meyer als erheblich jünger bezeichnete Ausdruck Arbeitnehmer ('wohl erst aus der Epoche unserer Arbeiterversicherung') findet sich in den Verhandlungen des Jahres 1848. Vgl. Wolffs Berliner Revolutionschronik 2, 158 (Adresse der Bürgergesellschaft an den Magistrat, vom 11. April 1848): "ein Wohllöbl. Magistrat allein die Behörde, der es zusteht, Verhältnisse dieser Art zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu ordnen". Das Wort Arbeitnehmer steht ebenso in den Beschlüssen des schon genannten Arbeiterkongresses S. 20: "Die Arbeitnehmer als solche hat noch keine Gesetzgebung anders berücksichtigt als wie einen Überrest aus dem Sklavenstand"; ebda. 21: "die Anzahl oder das Verhältnis der zum Kongreß zu berufenden Arbeitgeber und Arbeitnehmer". Die hier schon wiederholt als anscheinend geläufig gebrauchten Wörter Arbeitgeber und Arbeitnehmer gehören sicherlich schon der kommunistischen Sprache der voraufgehenden Jahre an; die Belege aber verstecken sich, mir wenigstens (Gombert 1902: 58). Die Vermutung, daß die Ursprünge der fraglichen Wörter in der Sprache der Kommunisten liegen, geht zweifellos fehl. Der Vorstellung von der

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bipolaren und antagonistischen Klassengesellschaft entsprechen eher antonymische Wortpaare wie Kapitalist und Proletarier!Arbeiter. Allerdings scheint von den beiden Neologismen der Arbeitgeber voranzugehen. Nach Adelberg ist diese Bildung bereits 1844 bezeugt;13 Spitzner fand Arbeitgeber erstmals 1845 bei Engels.14 Auch Wilhelm Heinrich Riehl stellt noch 1848 dem Arbeitgeber den Arbeiter und nicht den Arbeitnehmer gegenüber.15 Ich schließe daraus, daß Arbeitnehmer später und in Analogie oder als Gegenstück zu Arbeitgeber gebildet wurde. Es handelt sich bei Arbeitgeber um eine Ableitung aus einer Wortgruppe (Fleischer 1982: 138). Bildungen dieser Art sind besonders häufig von Wortgruppen mit den verbalen Elementen geben, nehmen und machen (Mater 1965: 482, 513). Die Wendung jmdm. Arbeit geben im Sinne von 'jmdm. die Möglichkeit zum Erwerb des Lebensunterhalts geben' kann natürlich erst entstanden sein, nachdem Arbeit die Bedeutung 'berufliche Tätigkeit' angenommen hatte. Dazu heißt es im "Frühneuhochdeutschen Wörterbuch" s.v. arbeit 6.: "mit der Nuance 'berufliche Arbeit' zunehmend häufig im späteren Frnhd.". Das Syntagma Arbeit geben wird jedoch nicht belegt. Ich fand es erst im DWb von 1878: "der meister gibt dem gesellen arbeit', nimmt ihn in arbeit",16 und ich kenne es aus dem Kinderspiel "Meister, Meister gib mir Arbeit!", das sicherlich ebenfalls ins 19. Jahrhundert - wenn nicht gar davor - gehört. Zimmermann hat daraufhingewiesen, daß es vergleichbare Wortbildungen sogar schon im Altgriechischen gab: ergo-labos 'Arbeit-Nehmer' und ergo-dotos ArbeitGeber'; er kommt jedoch für das Deutsche ebenfalls nicht vor 1848 zurück. In diesem Zusammenhang erinnere ich an Engels' sprachliche Kritik an den Neubildungen. Was besagt es schon, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Französischen nicht wortgetreu nachgebildet werden können? Doch nicht mehr, als daß es zwischen den beiden Sprachen keine Vokabelgleichheit gibt und daß sie unterschiedliche Wortbildungsmöglichkeiten haben oder gleiche Regeln unterschiedlich ausnutzen. Aus der Feststellung, daß die deutschen Bildungen nicht spiegelbildlich ins Französische übertragen werden können, zu schließen, sie seien deshalb auch im Deutschen "unmöglich", entbehrt jeder sprachtheoretischen Grundlage und ist nur als polemischer Ausfall zu verstehen. Im übrigen kann man der marxistischen Interpretation der beiden Neologismen weithin zustimmen. Ich zitiere aus Adelberg 1978: 162: Den vom Klassenstandpunkt der Arbeiterklasse aus geprägten terminologischen Bezeichnungen Arbeiter, Lohnarbeiter, Proletarier steht die

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terminologische Bezeichnung Arbeitnehmer gegenüber, die vom Standpunkt der Bourgeoisie aus geprägt ist: Die 'gegensätzlichen Positionen im Klassenkampf [führen] notwendigerweise zu unterschiedlichen Termini für die gleiche Erscheinung [...]. Sie wird unterschiedlich widergespiegelt und bewertet, dies findet in der Benennung seinen Ausdruck' (Fleischer 1973: 193-203). Und wenn man einmal davon absieht, daß Adelberg das Bibelzitat "geben ist seliger als nehmen" an den Haaren herbeizieht, um dem Wort Arbeitnehmer eine emotionale Konnotation der Art 'dem Arbeitgeber zu Dank, Anerkennung verpflichteter Empfänger von Arbeit und Brot' zuzuweisen,17 können auch folgende Beobachtungen zum Gebrauch und Verständnis der Neubildungen ohne weiteres nach vollzogen werden: Der Arbeiter ist als 'der im kapitalistischen Produktionsprozeß Arbeitende' nicht der 'Klassengegner der herrschenden Klasse' [...], sondern er ist 'der Vertragspartner der Arbeitgeber'; er ist nicht 'der Besitzlose an Produktionsmitteln' [...], sondern 'der Nichtbesitzer von Arbeitsmöglichkeit'..." (Adelberg 1978) Mit diesen Worten wird m.E. zutreffend die Motivation zur Bildung der neuen Bezeichnung im Umfeld der bürgerlichen Revolution von 1848 (die eben keine proletarische war) beschrieben. Eine Polarisierung zwar auch hier: Arbeitgeber vs Arbeitnehmer, aber nicht vom klassenkämpferischen Standpunkt aus, der mit Arbeiter nur einen Teil der Lohnabhängigen oder - wie man später in der DDR zu sagen pflegte - der Werktätigen erfaßt, sondern unter dem Aspekt der wechselseitigen Abhängigkeit, worin sich zweifellos auch ein erstarktes Selbstbewußtsein der Lohnabhängigen ausdrückt, die sich mit der parallelen Bezeichnung Arbeitnehmer auf eine Stufe mit den Arbeitgebern stellen. Zimmermann formulierte es am Schluß seiner kleinen wortgeschichtlichen Studie so: So wird denn der Schöpfer dieser Wörter dort zu suchen sein, wo der Wunsch bestand, die Kluft zwischen Kapitalisten und Arbeitern zu überbrücken, d.h. bei einer maßvollen Regierung oder bei einem Arbeitsfrieden wünschenden Unternehmer. Heute gebraucht wohl auch der Arbeiter, der sich als gleichberechtigt mit dem Kapitalisten fühlt, gern die Ausdrücke Arbeitgeber und Arbeitnehmer (Zimmermann 1931: 11). Man darf übrigens nicht vergessen, daß um 1848 im Bereich der gesellschaftlichen Produktion die Bezeichnungen der daran Beteiligten noch wild durcheinander gingen und terminologische Festlegungen herkömmlicher Wörter oder eben Neubildungen erwünscht waren und einen Fortschritt darstellten.

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Um den Arbeiter rechtlich genauer zu bestimmen, wird im Deutschen Reich in der Reichsgewerbeordnung der seit den vierziger Jahren aufgekommene Begriff 'Arbeitnehmer* verwandt, unter den alsbald auch die Angestellten fielen. 'Arbeiter' wurde damit rechtlich eindeutiger als zuvor fixiert als ein gegen Lohn auf Grund eines Arbeitsvertrages abhängig (meist körperlich) Arbeitender, dessen Rechtsstellung zunehmend durch Arbeiterschutz, Sozialversicherung, Arbeitslosenhilfe oder Versicherung, Tarifschutz u. a. m. ausgebaut wurde. Dem 'Arbeitnehmer' stand der 'Arbeitgeber* gegenüber (Conze 1972: 223). Man mag zu den zitierten Äußerungen stehen, wie man will, eines geht aus ihnen deutlich hervor: daß nämlich die Neologismen nicht entstanden, um einen Ausdruck oder einen Sachverhalt zu beschönigen oder zu verschleiern, sondern um einen anderen Standpunkt, eine bestimmte Sehweise, ein neues Konzept sprachlich zu fassen. Selbst in den herablassenden Worten Zimmermanns ist das noch zu spüren, es sei denn, man hält "Kluft überbrücken", "maßvolles Regieren", "Arbeitsfrieden wünschen" aus klassenkämpferischen Gründen für eine verfehlte Gesellschaftspolitik; aber das ist eben auch nur eine Sicht18 (freilich eine, die immer von sich behauptet hat, die einzig richtige, wahre zu sein). Auf jeden Fall fehlt die Hauptvoraussetzung für die Bewertung der Wörter Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Euphemismen, nämlich ein Tabu. Was sollte denn hier tabuisiert sein? Arbeiter und Arbeitnehmer zum Beispiel werden auf dem ArbeiterkongreR in Berlin 1848 nebeneinander gebraucht! Außerdem ist das Wort Arbeitnehmer nicht gleichzusetzen mit Arbeiter im allgemeinen Sprachgebrauch wie auch im klassentheoretischen Sinne; es umfaßt vielmehr auch Angestellte (und könnte theoretisch auch noch die Beamten einbeziehen). Ebenso ist die Bedeutung von Arbeitgeber weiter als die von Kapitalist oder Unternehmer, weil es nicht nur natürliche Personen bezeichnet, sondern auch juristische wie Gesellschaften aller Art, und auch den Staat mit einschließt. Das - so nenne ich es einmal - bürgerlich-liberale Konzept, das in den zwei neuen Termini zu Worte kommt, geht von der gegenseitigen Abhängigkeit, dem Aufeinander-angewiesen-Sein der beiden großen gesellschaftlichen Gruppierungen aus und hält einen arbeitsrechtlichen "Vergleich" zwischen den unterschiedlichen Rollen und Interessen für möglich. Daraus resultieren dann auch tatsächlich Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände/Gewerkschaften, die miteinander Verträge aushandeln und sich an diese Abmachungen halten. Sie bilden Tarifgemeinschqften19 und sind als Vertragspartner zugleich Tarif- oder Sozialpartner,70 Auch die zwei letzt-

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genannten Ausdrücke sind oft als Euphemismen diskreditiert worden, weil dadurch angeblich "gesellschaftliche und politische Gegensätze verschleiert werden",21 doch sie benennen exakt Eckpfeiler des gesellschaftspolitischen Modells, das sich historisch bislang als das erfolgreichere (im Vergleich mit dem marxistisch-kommunistischen) erwiesen hat. Man muß es deshalb ja noch nicht für das bestmögliche halten, aber daß die genannten Termini unserer gesellschaftlichen Realität angemessen sind, steht außer Frage. Natürlich darf man den Bestandteilen dieser Komposita nicht nach Belieben Bedeutungen unterlegen, d.h., man darf Gemeinschaß nicht mit 'Gleichgesinntheit', 'Übereinstimmung der Interessen' (Radke 1966: 153) oder 'Kumpanei' verwechseln und Partner nicht am Partnerschaftsbegriff der modernen Sozialpsychologie messen. Ob Handelspanner erbittert miteinander prozessieren oder Ehepanner einander die Köpfe einschlagen: sie bleiben Panner, Vertrags- und Verhandlungspanner, solange die gegenseitigen rechtlichen Bindungen bestehen. Die vertragliche Regelung und Bindung - das ist das wesentliche Merkmal von Panner in Tarif- und Sozialpanner,22 und es trifft den Sachverhalt genau. Auf ähnliche Weise wie bei -panner wird bei dem Grundwort -park in Entsorgungspark gern - und durchaus in manipulativer Absicht - eine Äquivokation vorgenommen, indem man ihm die entstehungsgeschichtlich unzutreffende Bedeutung 'Grünanlage zur Erholung mit Bäumen, Sträuchern, Rasenflächen und Blumen' unterschiebt, obwohl bekannt ist, daß dies eine relativ junge Bedeutungsentwicklung ist (17./18. Jh.) und der fachsprachliche Gebrauch des Wortes Park als Bezeichnung für Sammelplätze aller Art, besonders militärisch-technische: Anillerie-, Fuhr-, Geschütz-, Kanonen-, Maschinen-, Munitions-, Traktoren-, Wagenpark,23 letztlich an den schon seit althochdeutscher Zeit bekannten Pferch in der Tierhaltung anknüpft. Überhaupt scheinen Fachwörter, wie wir gesehen haben, in der Öffentlichkeit besonders oft dem Verdacht der Aufwertung und Beschönigung ausgesetzt zu sein. Das trifft beispielsweise auch für die Neubildungen mit Kern- anstelle von Atom- zu, obwohl die Lehnübersetzung von nuclear sachlich gerechtfertigt ist, weil die technische Entwicklung das Atom, das 'Unteilbare' (griech. atomori), als teilbar, spaltbar erwiesen hat und die Kerntechnik eben nicht auf dem Atom, sondern dessen Zertrümmerung beruht. Man sollte schließlich eines nicht übersehen: Eine neue Bezeichnung kann ein Deckmantel für eine in Verruf geratene Sache sein, aber sie kann auch Leit- oder Fahnenwort eines neuen Programms, einer anderen

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Denkweise sein. Daß es heute keine Kriegs-, sondern nur noch Verteidigungsministerien gibt, garantiert zwar noch nicht, daß in den betreifenden Ministerien überall ein neuer Geist weht, aber der Neologismus selbst ist hervorgegangen aus einem neuen Geist, der Krieg nicht mehr als etwas Normales wie Wirtschaft, Finanzen, Verkehr usw. hinnimmt und Angriffs- und Eroberungskriege ächtet; und das neue Wort ist durchaus geeignet, zur Verbreitung und Stärkung dieses neuen Geistes beizutragen. 3. Weder die Rhetorik noch die historische Sprachwissenschaft haben dem von ihnen euphemistisch genannten Sprachgebrauch unterstellt, daß er auf Täuschung des Hörers ausgehe. Sie nennen als Sprechermotive: schonende Rücksichtnahme, Zartgefühl, ästhetisches Empfinden, Furcht vor gesellschaftlichen Sanktionen, Angst vor Tabu Verletzung, aber nicht gewollte Irreführung (Reich 1973: 229). Leider gibt es bislang keine Untersuchung der Wort- und Begriffsgeschichte von Euphemismus, euphemistisch. Laut "DUDEN-Herkunftswörterbuch" (1989: 166) wurde das Adjektiv "im 18./19. Jh. zu griech. euphemein 'gut reden, Unangenehmes mit angenehmen Worten sagen' gebildet"; erst danach kam das Substantiv hinzu. Das "Etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache" (Kluge 1989: 192) nennt nur das Substantiv und gibt als Entstehungszeit das 19. Jahrhundert an. Anders das EDW (386): "Euphemismus [...] in der 2. Hälfte des 18. Jhs. unter dem Einfluß von gleichbed. frz. euphemisme, engl. Euphemism aufkommend [...]" und: "euphemistisch [...], zu Euphemismus gebildet, [...] setzt sich in der ersten Hälfte des 19. Jhs. gegenüber vorausgehendem euphemisch (Anfang 19. Jh.) [...] durch." Diese Angaben sind alle recht vage und befassen sich auch nur mit dem Aufkommen und der Verbreitung der Wörter im Deutschen. Zwischen diesem modernen deutschen Wortgebrauch und den altgriechischen Vorbildern, deren Bedeutung schillernd zu sein und zum Teil von der neuzeitlichen beträchtlich abzuweichen scheint, klafft wortgeschichtlich eine riesige Lücke. Wir erfahren auch nichts über die Motive für die Wiederaufnahme des Fachwortes der antiken Rhetorik; vermutlich fällt sie in die Zeit um 1500.u Eine eingehende Beschäftigung mit den noch unbeantworteten Fragen der Terminologiegeschichte würde gewiß zur wissenschaftstheoretischen Klärung des Begriffs 'Euphemismus', zur Erhellung der Wissenschaftsgeschichte und zu einem behutsameren Umgang mit dem Wort Euphemismus beitragen.

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Anmerkungen 1. Klappenbach/Steinitz 1970-77; Duden 1976-81; Brockhaus/Wahrig 1980-84. 2. Grimm 1854: Sp. 1387. 3. Frisch 1741, Bd. 1: 78b u. 470C (s.v. Hose). Vgl. auch Götze 1939: "Als unanständiges Wort konnte Hose natürlich erst empfunden werden, seit sie [!] die Bekleidung auch des Unterleibes bezeichnete." 4. DWb, Bd. 10, Leipzig 1877, Sp. 1838 s.v. hose 4. 5. Vgl. auch das andere literarische Beispiel im WDG aus Manns Roman "Buddenbrooks": "ein Herr in glockenförmigem Gehrock und erbsenfarbenem Beinkleid". 6. "Das Lustspiel wurde, nachdem die Aufführung von dem Polizeipräsidenten von Berlin [...] 'aus Gründen der Sittlichkeit' anfangs untersagt worden war, unter dem Titel 'Der Riese' am 15. Februar 1911 (...) in Berlin uraufgeführt." (Hofmann im Nachwort zur Reclamausgabevon Sternheim "Aus dem bürgerlichen Heldenleben", Leipzig 1969 [=RUB 398], 375.) An dem Wort Hose allein kann es aber nicht gelegen haben; vgl. den unbeanstandeten Romantitel "Die Hosen des Herrn Bredow" (Alexis 1846-48). 7. Zum Terminus Dysphenusmus vgl. Allan/Burridge 1911. 8. Das ist auch leicht erklärlich; denn Wort und Begriff Euphemismus setzen eine Denkweise voraus, wonach zwischen dem "Namen" und dem damit Benannten eine wesenhafte, magische Beziehung besteht. 9. Siehe z.B. Bußmann 1983: 32; Lewandowski 1990: 287 und natürlich auch Luchtenberg 1985: Kap. , 5.1. 10. Oxford English Dictionary, Bd. V, Oxford 1933, 2. Hälfte, Sp. 239a, 247a und b. 11. "das ehrliche, uralte wort hose (franz. chausse) unaussprechlich zu finden, ist überaus albern" (Vorrede zum DWb, Bd. l, Sp. ffl). 12. Rittershausen 1970: 13, zit. nach Ulmann 1976: 101. 13. Adelberg 1978: 171, Anm. 66, leider ohne Belegnachweis. 14. Spitzner (1848-1919) 1986: 226. Weitere Belege bei Adelberg 1978 u. Zimmermann 1931: Fußn. 38. 15. Riehl 1883: 246. 16. DWb, Bd. 4, Sp. 1698 s.v. geben ll,14b. 17. Auf ähnliche Weise setzt Ulmann 1976: 114, -geber mit 'Wohltäter' und -nehmer mit 'Almosenempfänger' gleich. 18. Vgl. hierzu Reich 1973. 19. Tarifgemeinschaft ist spätestens ab 1897 gebräuchlich, s. Spitzner 1986: 231. Vgl. auch Kleeberg 1908: 579. 20. "Sozial- muß hier als 'gesellschaftlich* und nicht in der Begriffsverengung 'fürsorgerisch' verstanden werden" Radke 1966: 153. Wann die Ausdrücke Tarif- und Sozialpartner genau aufgekommen sind, konnte ich nicht ermitteln.

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Wilfried Seibicke

21. Luchtenberg 1985: 64, unter Berufung auf Ausführungen von Dieckmann/Oksaar. 22. Vgl. das Zitat aus Kleeberg zu Lohntarifgemeinschaft in Anm. 45. 23. Vgl. DWb 13, 1889, Sp. 1462 s.v. PARK 3, u. Mater 1965: 283. Als neutraler Fachausdruck, synonym mit -Zentrum, wird -park in solchen Zusammensetzungen auch gesehen von Strauß/Haß/Harras 1989: 554. 24. Schlaps 1988: 4ff.

Regionale phonetisch-phonologische Entwicklungen in der jüngeren deutschen Sprachgeschichte und in der Gegenwartssprache als Objekte der Sprachkritik Rudolf Große Es ist gewiß kein Zufall, daß die Sprachgeschichtsschreibung, je näher sie der Gegenwart kommt, desto weniger mit phonetisch-phonologischen Entwicklungen befaßt ist. Was Peter von Polenz in seiner "Deutschen Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart" (1991: 153166) in prägnanter Knappheit für Phonemik, Graphemik, Morphemik als "Umstrukturierung des Sprachsystems" im "Deutsch der frühbürgerlichen Zeit" (von der Mitte des 14. Jhs. bis um 1600) darlegt, macht im wesentlichen auch den Stand der heutigen Standardsprache aus, und er wird an der entsprechenden Stelle im Band II für das 17./18.Jh. und für das 19.720. Jh. nur noch Veränderungen in der phonetischen Realisierung und Verlagerungen bei den morphologischen Belegungsregeln zu registrieren haben, während Satzbau, Wortbildung und Wortschatz, vor allem aber Textsorten und Pragmatik sehr zu Recht noch mehr in den Vordergrund treten. Andererseits ist unverkennbar, daß Intonation und Lautung in den Urteilen, die aus dem volksläufigen Sprachbewußtsein, aus dem "sprachrelevanten Alltagswissen" (Mattheier 1986: 271), gespeist sind, eine große Rolle spielen. Wirkungen einer solchen "Volkslinguistik" (Hoenigswald 1964, Menge 1985, Brekle 1986) sind für die Sprachgeschichte, zumindest seit dem Spätmittelalter vorauszusetzen, auch wenn sie philologisch kaum zu fassen sind (vgl. aber zu Anfängen sprach(en)politischen Verhaltens v. Polenz 1990). Die Hochschätzung des Meißnisch-Obersächsischen im 16.718. Jh. beruhte ebenso wie der Niedergang seiner Wertschätzung im 19.720. Jh. in gewiß nicht geringem Maße auf Attitü-

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den in der gesprochenen Sprache (v. Polenz 1986, 1990b, Eichler/Bergmann 1967, Josten 1976, Weithase 1961). Im Rückblick auf die bitteren soziolektalen Erfahrungen während seiner Studentenjahre in Leipzig rücken Goethe in "Dichtung und Wahrheit" (6. Buch) zwar vor allem die ihm mit "strengem Verweis" bedachten "Gleichnisse und Anspielungen ... auf biblische Kernstellen", die "treuherzigen Chronikenausdrücke" und "sprichwörtliche Redensarten", die er nicht missen wollte, in die Erinnerung, aber "mit der Aussprache, mit deren Veränderung man sich endlich wohl ergäbe", hat doch wohl die Kritik der Leipziger an seinem Frankfurter Dialekt eingesetzt. Intonation und Lautung stehen auch heute im Vordergrund, wo sich das Sprachschicksal umgekehrt hat und die Sachsen wegen der mundartlichen Färbung ihrer standardsprachlichen Bemühungen belächelt oder gar verspottet werden. Dabei steht außer Zweifel, daß sich Intonation und Lautung in Leipzig und Umgebung seit dem 18. Jh. nicht so grundlegend verändert haben, als daß die Umkehr der Bewertung des Sächsischen darin seine Begründung finden könnte. Nicht die Sprache der Sachsen hat sich in den zurückliegenden zweihundert Jahren so entscheidend verändert, sondern ihre Beurteilung ist ins Gegenteil umgeschlagen. Im psychologischen Bereich (Prestige und Stigmatisierung vor allem) ist eine solche Umkehrung erklärlich, kaum dagegen im phonetisch-phonologischen, weder im artikulatorischen noch im auditiv-perzeptivem Bereich. Die Frage nach den Gründen außerhalb des betroffenen sprachlichen Teilsystems wie nach den außersprachlichen Hintergründen drängt sich auf. Dabei rückt sogleich die geschriebene Sprache ins Blickfeld, deren Übergewicht die Entwicklung soziolektal und regiolektal in der jüngeren Sprachgeschichte stark beeinflußt hat. Daß das Prinzip der Schriftllautung "Sprich, wie du schreibst!" auch auf die Lutherzeit und des Reformators oft zitiertes Dictum, er "rede nach der Sächsischen Cantzley" anzuwenden ist, hat P. v. Polenz (1986, 1990b) dargelegt. Er hat dabei auch mundartliche (nordobersächsische/elbostfälische) Lautmerkmale benannt, die Luther und die Gebildeten in Wittenberg im Bemühen um Schriftlautung vermieden haben dürften: Gott mit [g] statt [j], Teufel mit [t] statt [d], [01] statt [ai], [f] statt [v], Papst mit [p] statt [b], [a:] statt [o:]. Spirantisierung und Lenierung der Verschlußlaute, dazu Delabialisierung der Vokale machen aber heute noch die Differenzstufen zwischen Mundart (Basisdialekt) - Umgangssprache (Substandard) - Schriftsprache (Standardsprache) in dieser Region aus. Das rechtförmig schreiben oder reden zu fordern, so Fabian Frangk (Orthographia 1531), wie das Sylla-

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bieren in buchstabengerechter Aussprache in anderen Regelbüchern dieser Zeit (Penzl 1983) markieren die Anfange einer Sprachkritik in der Richtung auf eine Orthoepie. Ehe es zu einer Kodifizierung und Institutionalisierung kommt, werden diese Prozesse weitgehend von metasprachlichem Laienwissen geprägt, das letztlich auch die Orthographieund Rhetorik-Lehrbücher des 16.718. Jhs. bestimmte. Für diese Prozesse der jüngeren Sprachgeschichte wie auch der Gegenwart stellen sich in diesem Zusammenhang folgende Fragen: 1. Welche phonetische Qualität wurde den Buchstaben zugeschrieben? Welche Unterschiede bestanden dabei zwischen den Sprachlandschaften? 2. Welche Abweichungen von der angestrebten, später standardisierten Lautung waren und sind im Allgemeinwissen bewußt? 3. Welche Abweichungen werden im gelockerten Standard, d.h. auf einer kolloquialen Formstufe geduldet bzw. sogar bevorzugt? 4. Wie weit reicht lautphysiologisch die Möglichkeit einer Korrektur von in der Kindheit und Jugend erworbenen und gefestigten Artikulationsgewohnheiten? Die Fragen können bei ihrer physiologischen, psychologischen, soziologischen und pragmatischen Komplexität hier nicht eingehend behandelt, sollen nur im Ansatz formuliert und etwas paraphrasiert werden. 1. Ganz davon abgesehen, daß in der Phonetik der letzten Jahre die Koartikulation stärker hervorgehoben und der Laut weniger isoliert betrachtet wird (Lindner 1969, 1977, Kohler 1977, Vennemann 1986) und daß damit das Verhältnis von Laut und Buchstabe grundsätzlich einzubeziehen wäre (vgl. Lüdtke 1968), sind auch bei traditioneller Behandlung die Relationen von Lautklasse und Buchstabe nicht eineindeutig. Ob z.B. für die Klusilen stimmhaft/stimmlos, fortis/lemis oder behaucht/unbehaucht die relevanten Kriterien darstellen, hängt letztendlich von der Einordnung ins System ab. Rudimentäre Kenntnisse davon können auch im 'sprachrelevanten Alltagswissen' eingebaut sein (meist nicht unabhängig von der Schule); entscheidend aber ist wohl die eindeutige Beziehung auf die mundartliche Grundlage ("hart/weich" für die Verschlußlaute im Obersächsischen). Auch Luther lebte in Mansfeld und Wittenberg in einer Umgebung, die lenierte Verschlußlaute sprach ([ge:var] 'Käfer') und die Spirantisierung beim Guttural nicht auf den Inlaut beschränkte ([jenza] 'Gänse', Langner 1977: 134f.). Solche Lenierungen und Spirantisierungen, dazu die Stimmhaftigkeit der Frikative,

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z.B. [o:van] Ofen' * [ofan] Offen', Graven -schaffen (Penzl 1977: 86, mit Verweis auf H. Freyers Teutsche Orthographie von 1722), z.B. auch [manja] 'manche', [lelig] 'ledig, leer' (Langner 1977: 47, 128ff) mögen den Eindruck der "Weichheit, Leichtheit" (lingua facillimd) hervorgerufen haben, den Luther schon dem "Sächsischen" (d.h. dem MansfeldischElbostfälischen) und mehr noch dem benachbarten Märkischen zuschrieb (Schmidt 1984: 150f.). Andererseits hat Luther auch ein deutliches sprachkritisches Urteil über die "Oberlendische spräche" gehabt, die für ihn "nicht die rechte Teutzsche spräche" ist, "habet enim maximus hiatus et sonitus", was Aurifaber 1566 überträgt als "Nimpt den Mund vol und weit, vnd lautet hart" (Schmidt 1984: 150). Welche Lautmerkmale im einzelnen damit gemeint waren, ist kaum zu erschließen, wie auch heute solche generalisierenden Aussagen über die Sprache der anderen Regionen aufgrund des landläufigen Alltagswissens sehr vage bleiben. Unverkennbar ist jedoch, daß bei allem Bemühen die Schriftlautung zumeist eine als abweichend vermerkte Färbung behält, die historisch auf die dialektale Differenzierung zurückgeht. 2. Oft beziehen sich solche Laienurteile auf die andersartige Intonation; doch da stellt auch die wissenschaftliche Phonetik keine handfesten Kriterien zur Beschreibung geographischer Variation bereit (vgl. Stock 1980, Schädlich 1970). Auch über konkrete Lautunterschiede waren durchaus Kenntnisse im Alltagswissen verbreitet; sie bezogen sich allerdings bei den Mundartsprechern in der Regel auf die Nachbarorte oder die nähere Umgebung, so wie man in Leipzig wußte, daß in den Dörfern in Richtung Halle/Delitzsch/Torgau ne jud jebradne Jans ne Jude Jawe Joddes is ('eine gut gebratene Gans eine gute Gabe Gottes ist'). Noch im 19. Jh. lernte man dort buchstabieren ... e, ef, je ..., wie es nach Albrecht (1881: 12) auch in Leipzig üblich gewesen sein soll, wo er doch bereits für das g den Verschlußlaut registrierte, der in der städtischen Umgangssprache (wahrscheinlich im 17./18. Jh.) als Schriftlautung Eingang gefunden haben muß (Becker 1942, Penzl 1977: 89ff, Voge 1978: 103ff). Das Beispiel des Übergangs von mundartlichen (osterländischen)./- zum schriftbestimmten g- zeigt erstens, daß phonologische Regeln dabei nicht ausschlaggebend waren; denn der Vorgang führt, und zwar nur in Leipzig und seiner näheren Umgebung, zu einer Neutralisation der Opposition /j/ ^ /g/ z.B. /jerne/ 'gerne' ^ /gerne/ 'Kerne' > /gerne/ 'gerne' = 'Kerne', während die Opposition wenige Kilometer nördlich von Leipzig als /j/ ^ /g/ und einige Kilometer südlich und

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südöstlich als /g/ ^ /k/ weiterbesteht. Zum anderen zeigt sich, daß als Abweichung von der Schriftlautung nur das eine Merkmal Spirans/Klusil ins Bewußtsein tritt und damit zum Wandel fuhrt, während die Lautmerkmale Stimmhaftigkeit des [g] und Fortis des [k] nicht bewußt erfaßt werden. Es sind phonetische Eigenschaften, nicht phonologische Kriterien, die die Aufmerksamkeit wecken und zur Änderung der Aussprachenormen führen. Dabei muß eine gewisse Schwelle der Artikulationsintensität erreicht werden, ehe sich das sprachkritische Alltagsbewußtsein einschaltet (vgl. auch Back 1991: 26ff). Die fehlende Stimmhaftigkeit wird im Deutschen weithin nicht bewußt, auch an der hochdeutschniederdeutschen Sprachgrenze nicht deutlich (Langner 1977: 119), wie andererseits eine Neigung zur Diphthongierung von den Sprechern selbst meist nicht bemerkt wird: [bröud] 'Brot', [Sde'n] 'stehen' in Leipzig und Umgebung. Die Artikulation des r als Vibrant, sei es alveolar wie heute noch im westlichen und im sudlichen, hennebergischen Thüringen (Hukke 1961, Karte 10) und weithin im Oberdeutschen und Niederdeutschen, sei es cerebral-cacuminal wie das "dicke" r im Oberlausitzischen (Bellmann 1961), ist auffällig und muß im Sinne Schirmunskis zu den "primären Faktoren" (Schirmunski 1930, 1962) gerechnet werden. Das Zäpfchen-r (oder andere Ersatzformen) werden seit dem 18. Jh. getadelt (Penzl 1977, Voge 1978) als "Gurgeln" (Gottsched 1962), "Lallen" oder "Schnarren" (Adelung 1972), auch "Lorpfen oder Lurpfen" (Hast 1778); doch das uvulare r hat sich im Obersächsischen und Thüringischen durchgesetzt, ohne daß eine starke Stigmatisierung des Zungenspitzen-r erfolgt wäre. Die Entwicklung im Ruhrgebiet verlief in entsprechenden Bahnen ein Jahrhundert später (Harden 1981). 3. Damit ist bereits auf die unterschiedliche Anfälligkeit der Lauterscheinungen hingewiesen. Natürlich haben dabei soziologische und pragmatische Faktoren das größte Gewicht; doch auch bei den vielfältigen situationsbedingten Variationsmöglichkeiten spielen phonetische Eigenschaften, artikulatorische wie perzeptive, eine gewisse Rolle. Hinzuweisen ist vor allem auf die Abweichungen von der Standardaussprache in unbetonten Silben und unter dem Nebenton. Wie die Geographie der "schwachbetonten Wortformen in den deutschen Mundarten" von der Normalverteilung der Lautgeographie abweicht, hat Schirmunski (1956) mit überzeugendem Material dargelegt, auch mit Verweis auf W. Horns "Sprachkörper und Sprachfunktion" (1921). Die gleiche Tendenz liegt wohl zugrunde, wenn im kolloquialen Standard, der die entsprechenden Laut-

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kriterien der Hochlautung durchaus beibehält, nicht selten in Kleinwörtern wie ooch 'auch', keen 'klein', nyscht 'nichts' die mundartlich-umgangssprachliche Lautung durchdringt, auch wenn die Wörter betont erscheinen (zu den Abschwächungen ansonsten Meinhold 1973). Zu erwähnen wäre hier auch, daß die Toleranz gegenüber Abweichungen historischen Veränderungen unterliegt, wofür nur auf die bekannten Spannweiten bei einigen Reimen der Klassiker verwiesen sei (vgl. auch Weithase 1961). Die zunehmende Verbreitung der Kenntnis und der Akzeptanz standardsprachlicher Normen über wachsende Mobilität und den Einfluß der technischen Kommunikationsmittel ist gewiß die Grundlage dieser Entwicklung; doch die Ansatzstellen sind phonetisch-phonologisch eingebunden. Das bezieht sich nicht zuletzt auch auf die prosodischen Eigenschaften der Lautung, insbesondere natürlich, wenn sich Erscheinungsweisen wie nachdrückliche Bedächtigkeit oder urbane Hastigkeit sozialpsychologisch festmachen ließen. 4. Schließlich ist auf die Schwierigkeiten der bewußten, gezielten Korrektur phonetisch-phonologischer Regularitäten hinzuweisen (vgl. aus anderer Richtung dazu Andersen 1973). Die in der Kindheit und Jugend erworbenen und gefestigten Artikulationsgewohnheiten sind unter veränderten Anforderungen soziolektaler oder regiolektaler Natur schwer zu überwinden. Wer in einer Sprachgemeinschaft aufgewachsen ist, die keine stimmhaften Konsonanten und/oder keine labialisierten Vokale kennt, muß viel Übung und Selbstkontrolle aufwenden, um den Normen der Standardsprache zu genügen, und er wird auch dann noch oft genug rückfällige oder hyperkorrekte Kontaminationen seiner Aussprache in Kauf nehmen müssen. Die Korrektur erfolgt zudem meist durch eine Ersatzlautung: stimmhaft 7* stimmlos durch lenis ^ fortis, gerundete Vokale durch palatovelare Vokale usw. Auf diese Weise beeinflussen auch in der Gegenwart spontane, d.h. nicht-intendierte Lautveränderungen (Keller 1990) die Entwicklung der Standardaussprache. Ein bedenkenswertes Beispiel ist die im Westmitteldeutschen weitverbreitete, aber auch im Ostmitteldeutschen festzustellende Koronalisierung des ichLautes, die zum Zusammenfall von [ ] und [§] führt: [men§n] 'Menschen' und 'Männchen' (die Zahl der neutralisierten Minimalpaare ist nicht sehr hoch, wenn man von der Standardsprache ausgeht). In einem ihrer Zentralgebiete, im Rheinpfälzischen (Speyer) hat J. Herrgen (1986) diese Artikulationsverlagerung eingehend untersucht und eine ausführliche Einordnung in die theoretischen Zusammenhänge geboten, dabei

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auch die Aspekte der Ausspracheökonomie und der Struktur des Konsonantensystems berücksichtigend. Für Leipzig, Dresden und Chemnitz hatte ich schon 1957 die bei dialektgeographischen Erhebungen gewonnenen Einsichten vorgetragen und hatte die Ausgangspunkte des Lautwandels [9] > [S] < [§] polygenetisch in den Großstädten bestimmt ([3] bezeichnet einen palatalisierten, delabialisierten Zwischenlaut zwischen [ ] und [S], vgl. auch Herrgen 1986: 70, 226). Das Vordringen des Lautwandels ch und seh im östlichen und mittleren Thüringen hat Spangenberg (1974) aufgrund eigener Tonbandaufnahmen ausführlich beschrieben. Weder hier noch im Rheinland ist die Ausbreitung mit besonderem Prestige der jeweiligen umgangssprachlichen Varietät (des 'neuen Substandards') zu erklären; sie gehört, im überregionalen Vergleich eher negativ belastet, jedenfalls ohne eigenen Mehrwert zu besitzen, zum Alltagsleben der Durchschnittsbürger in den größeren, dann auch schon in den kleineren Städten. Aus deren Sprach verhalten ist zwar das eine oder andere Merkmal im Alltagsbewußtsein lebendig, zumeist traditionell geprägt. Erst seit wenigen Jahren scheint sich in Leipzig auch das seh aus ch (dies z.T. auf g und auch auf./- zurückgehend) als Charakteristikum bekannt zu machen. Das belegen Leserbriefe in der Presse, die die Umgangssprache wiederzugeben bemüht sind: zureschde 'zurecht', grieschn 'kriegen', schedenfalls 'jedenfalls', rischdsch 'richtig', Ärfolsch 'Erfolg', Famielsche 'Familie', Vorsschahr 'voriges Jahr'. Hörbelege aus gebildetem Munde zeigen an, wie die Artikulationsgewohnheit fesselt: [psy:§i§a] 'psychische', [m0ns"a] 'Mönche', [reaktsO:n] 'Reaktion', [teSniSa] 'technische'. An dieser Stelle ist die Hyperkorrektion von Interesse, wie sie im Rheinland weit verbreitet ist:

Basisdialekt

neuer Substandard Koronalisierung

[mencn]' Männchen' [men§n]' Menschen'

—| l '

Standard

Hyperkorrektion

>

]


[gaSiäta] > [gagicte] Da die Auffälligkeit von Hyperkorrektionen hoch ist und ihr Auftreten stark situativ gebunden und sozialpsychologisch bedingt erscheint, kommt es oft zur Stigmatisierung (z.B. durch Sprachspott wie etwa "Alle Männchen werden Brüder"). Deshalb meint Herrgen (1986: 230), die Wahrscheinlichkeit sei gering, daß die Hyperkorrektion ein Element der 'langue' werden könne; er vermerkt jedoch auch Beobachtungen an pfalzischen Dialekten, die Hyperkorrektionsergebnisse als systemisch integriert erweisen. Festzuhalten bleibt in jedem Fall, daß die Hyperkorrektion keinen Rückweg aus dem vollzogenen Lautwandel eröffnet, keine Restitution einer vorangegangenen Neutralisierung, keine Wiederherstellung nach Regelverlust darstellt. Insofern zumindest bestätigt sich die Konzeption der Natürlichen Phonologie (Wurzel 1977). Bei unseren Überlegungen sind die Fragen nach den externen Faktoren des Sprachwandels bereits mehrfach angeklungen. Es steht wohl weitgehend im Konsens, daß soziolinguistische und pragmalinguistische Momente in den Phasen der Dissemination und der Approbation maßgeblich sind (Große/Neubert 1982). In der Initialphase jedoch können phonetische, physiologische und psychologische Voraussetzungen ausschlaggebend sein. Mit unseren Bemerkungen sollten einige Fragen in dieser Richtung pointiert formuliert sein, gerade weil wir die komplexe kommunikationsgeschichtliche Darstellung der Sprachgeschichte als unsere eigentliche Aufgabe ansehen.

Riegel am Kaiserstuhl: Regula - Helvetum? 21 Thesen über die Namenkontinuität bei einer antiken Verwaltungs- und Amtsbezirksbezeichnung und über einen verschollenenSiedlungsnamen Hugo Steger

Peter von Polenz bin ich erstmals am Ende der 50er Jahre begegnet, als wir beide mit dem Abschluß unserer Habilitationsschriften zum Thema "Sprache und Geschichte" beschäftigt waren. Gerade weil wir inzwischen manche anderen sprach-soziologischen, -historischen und -systematischen Fragen, besonders der Neuzeit verfolgt haben, erschien es mir angemessen, ihm mit einer Arbeit zu gratulieren, die in die Raumnamenprobleme der Antike und des Frühmittelalters und damit in den Zusammenhang seines Buches über die "Landschafts- und Bezirksnamen im frühmittelalterlichen Deutschland" (v. Polenz 1961) führt und die sich gleichzeitig mit meinen heutigen Aufgaben am Südwestdeutschen Sprachatlas und an der Oberrheinischen Sprachgeschichte berührt. Als das Werk getan war, hatte ich ein Manuskript von zweihundert Seiten verfaßt, das natürlich nicht in einer Festschrift Platz hatte. Es wird 1993 voraussichtlich unter dem Titel "Regula/Riegel am Kaiserstuhl - Helvetum? Studien zur Namenkontinuität bei einer römischen Verwaltungs- und Amtsbezirksbezeichnung und zu einem verschollenen Siedlungsnamen in der gallo-romanisch-germanischen Kontaktzone am Oberrhein" (Reihe "Archäologie und Geschichte") erscheinen und Peter von Polenz freundschaftlich gewidmet sein. Um hier aber nicht ganz unter den Gratulanten zu fehlen, werden die wichtigeren Ergebnisse der größeren Arbeit thesenartig zusammengestellt. 1. Riegel ist eine Gemeinde am nordöstlichen Ausläufer des Kaiserstuhls, deren Siedlungsgeschichte seit der Steinzeit belegt ist. Die keltische

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Geschichte und Bedeutung des Ortes ist gekennzeichnet durch mehrere Kultstätten, sog. nemata (die früher als "Vierecksschanzen" bezeichnet wurden). Wohl schon in der Folge von Caesars "Gallischem Krieg" (58 v.Chr.) gehorte das Gebiet am südlichen Oberrhein und um den Kaiserstuhl zum römischen Herrschaftsgebiet. Eine römische Strecke, die bei Sasbach den Rhein überquerte und den Anschluß zum linksrheinischen Straßennetz herstellte, führte im ersten nachchristlichen Jahrhundert bis Riegel und bald auch über den Schwarzwald zum Kastell Brigobanne/ Hüfingen. In claudischer Zeit (ca. 41 - 45 n.Chr) und unter Vespasian (69 - 79 n.Chr.) wurden zwei Kastelle in Riegel erbaut,wovon das zweite mit einer Fläche von mindestens 7 - 8 ha einen erheblichen Umfang hatte und die strategisch wichtige Lage Riegels unmittelbar an der damaligen Nordgrenze des römischen Reiches erkennen läßt. Der Ort behält seine wichtige Funktion auch nach der Eroberung des Dekumatlandes: bekannt ist eine kaiserliche Verwaltung, ein Kultbezirk (Mithrasheiligtum, Metallverarbeitung, bedeutende Keramikwerkstätten, Ziegeleien). Nach dem alemannischen Limesdurchbruch wird Riegel und seine Umgebung nach 280 zu einem Gebiet an der Rheinlinie ("Donau-Iller-Rheinlimes"), in die sich römisches Leben noch eine Weile zurückziehen kann. Wegen der Überbauung des ganzen Areals kann wenig gegraben werden. Aber die Intensivierung der Forschung auf mehreren Gebieten hat in den letzten Jahrzehnten die Bedeutung des Ortes in der Antike und im früheren Mittelalter doch klarer als bisher heraustreten lassen. 2. Im Rahmen der neueren Forschungsaktivitäten bedurfte es auch einer Durchleuchtung des Namens Riegel, da die weithin akzeptierte Forschungsmeinung Probleme aufwarf. So mußten die seit 1825 andauernden Bemühungen dazu zusammengestellt und bewertet werden, und es war sowohl die Geschichte der historisch überlieferten Ausdrücke wie ihre Deutung zu behandeln. 3. Die Untersuchung der originalen und kopialen Quellenbelege seit 762 für den Ortsnamen Riegel ergibt, daß unter den bisher diskutierten Möglichkeiten allein die Rekonstruktion einer älteren Bezeichnung als regional-lat. *regula (f.) richtig sein kann. Die bisher oft vorgeschlagene Rückführung des Namens auf eine keltische, mittellateinische oder altfranzösische Form mit (kurzem) -i- in der Stammsilbe (*rigola, righol, rigole) ist sprachlich unmöglich.

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4. Der regionallat. Ausdruck *regula ist lautgesetzlich als germ. *regula (f.; mit sog. e2) an der röm.-germ. Kontaktstelle am Oberrhein in das Voralthochdeutsche übernommen worden. Die Übernahme erfolgte in der Völkerwanderungszeit, am wahrscheinlichsten im 4. Jh., durch den Kontakt von germanischsprachiger Bevölkerung mit RegionallateinischSprachigen. Dies steht in Parallele zur Übernahme einer Anzahl römischer Kulturwörter in das Germanische, vor der Zweiten Lautverschiebung. Der Ausdruck hat sich sodann (jedenfalls vor 700) mit regulärer Diphthongierung von germ. /e2/ zu dem frühahd. Femininum ""reagola: a 762, Kop. 16.-18. Jh. [riegola], a 770/781, Kop. 12. Jh. [reigula]; spahd.: a 972 [riegol] und weiter zu mhd. (die) riegel entwickelt. Die heutige oberrheinalemannische mundartliche Form [reagl] ist ebenfalls lautgesetzlich. 5. Aus den genannten sprachhistorischen Gründen kann die bisher fast allgemein angenommene inhaltliche Deutung des Namens als 'Abzugsgraben, -rinne, -kanal' o. ä. nicht aufrechterhalten werden. Einzelne andere Deutungsvorschläge scheitern ebenfalls aus solchen Gründen. 6. Für die inhaltliche Neuinterpretation des Namens Riegel kann dagegen ein formal paralleler Bezeichnungstypus in Norditalien herangezogen werden, der im Trentino, im Veneto sowie im südlichen Südtirol, in ehemals römischen Siedlungsgebieten, seit dem Hochmittelalter bis in die Neuzeit sehr häufig belegt ist. Er lautet regionallat. regula (f.), altoital. regola (f.) > nonstandardital. le regole, südtir.-mhd. rig(e)l/riegel (f.), mundartl. [rigl/riagl] (f.). 7. Nicht sicher entschieden werden kann aufgrund regionallateinischer ("vorromanischer") Lautentwicklungen, ob am Oberrhein regionallat. rZgula oder regula zugrundeliegt. In Oberitalien scheinen regionallat. r£gula und regula verbreitet gewesen zu sein, die lautgesetzlich als südtir.-bair. rigel bzw. riegel erscheinen. Der sprachliche Befund erlaubt es, den südtir.-bair. Ausdruck rigel < regula aufgrund linguistischer Methodik in das Frühmittelalter zurückzuführen, was mit dem Zeitpunkt bair.-regionallat. Kontakte in Oberitalien in Einklang steht. 8. Die lateinische Ausgangsform *regula und die lautgesetzliche Parallelität der Bezeichnungen in ihrer phonetischen und morphologischen

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Entwicklung kann so in allen betroffenen Regionen als sicher nachgewiesen gelten. Damit wird die Zusammenführung der oberitalienischen Ausdrücke mit unseren ebenfalls frühmittelalterlichen Belegen für den Ortsnamen Riegel möglich und zwingend. 9. Regionallat. regula und alle seine mittelalterlichen, lautgesetzlichen romanischen und germanischen Abkömmlinge im nördlichen Oberitalien bezeichnen stets Rechts- und Verwaltungsfunktionen in einem Verwaltungsbezirk, auf der Ebene der Dorfgemeinde bzw. der Talschaft und Samtgemeinde. Regula/Ri(e)gel ist dort also eine Bezirksbezeichnung im Sinne von P. von Polenz. Dasselbe Bild ergeben auch die morphologisch korrekten Ableitungen von regula als Bezeichnungen für Funktionsträger in Amtsbezirken, den regulae, wie altoital. regolani, südtir.-bair. ri(e)gler, aber auch gleichbedeutende Ausdrücke wie altoital. sindici, marici, jurati usw. 10. Der rechtshistorische sowie der rechts- und verwaltungssprachliche Hintergrund von regula liegt in der lateinischen Bedeutung dieser Bezeichnung als 'Rechtssatz', 'Statut', wie sie besonders seit Gaius, Institutionum commentarii quattuor, verfaßt etwa 160 n. Chr., und den aus Sabinius (Uh.) und Paulus (3. Jh.) schöpfenden Digesten des Codex iuris civilis (6. Jh.) erscheint und z. B. im Recht von Genua im Hochmittelalter weiterlebt. Aber auch Regula Ordensstatut' (vgl. z.B. die "Regula Benedict!") leitet sich von da her. Die neuere Forschung zu den italienischen Statuten des Hoch- und Spätmittelalters zeigt, daß das schriftliche Auftreten römischer Rechtsbegriffe sowohl mit dem im 11. Jh. beginnenden Verschriftlichungsprozeß der seit dem Ende des römischen Reiches weithin mündlichen lateinischen Institutionensprache zusammenhängt wie mit der damit verbundenen Renaissance des römischen Rechts überhaupt. 11. Unter den Funktionen, für die die oberital. und südtir. regolae/ ri(e)gel und ihre Amtsinhaber seit dem Mittelalter zuständig sind, die also die "Bedeutung" des Ausdruckes regula/ri(e)gel ausmachen, stehen Wirtschaftsaufgaben, wie die "Wald- und Feldaufsicht (saltneria)" im Vordergrund. Aber auch die "allgemeine Gerichts- und Polizeigewalt" wird öfters mit dem Ausdruck verbunden. Es ergibt sich also ein den mittelalterlichen Gemeinde- und Talschaftsverfassungen entsprechendes Bild und damit zunehmend eine gewisse

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Differenzierung von Gebieten und Verwaltungsfunktionen. Es hat den Anschein, als würden größere Gebiete und umfassendere Aufgaben am Anfang stehen, die man erst später differenziert hatte, wie z. B. das Auftreten von mehreren Rieglern in einer Gemeinde, teilweise unter einem regolano maggiore, sichtbar macht. Auch das Vorkommen eines Herrschaftsrieglers verweist auf andere (und ältere) Verhältnisse. 12. Die Bedeutung von regula/ri(e)gel wird auch als 'eine Volksversammlung abhalten'/'Gemeindeversammlung' beschrieben. 13. Der überwiegend aus den "amtlichen" Quellen des 13. bis 16. Jhs. erkennbare Umfang des Bezirks regula/ri(e)gel reicht von der Teilgemeinde bis zur großen (Samt-) Gemeinde, wie sie z. B. Kaldern darstellte. Auch für die regulae in Tälern wie dem Ledrotal, dem Valsugano und dem Piavetal um Cadore wird die Talschaft als "Samtgemeinde" als wichtiger Ordnungsfaktor sichtbar. Der Rang der Funktionsträger reicht im Mittelalter von "OrtsVorsteher" einer Teilgemeinde bzw. "Verwalter eines spezifischen Gemeindeamtes" bis zu "Bürgermeister einer aus mehreren Teilgemeinden bestehenden Gesamtgemeinde". 14. Da die oberitalienischen Bezeichnungen zeitlich aus der Antike und räumlich aus nachweislich römischen Siedlungsgebieten stammen müssen, liegt dort der Vergleich mit aus der Antike bis in die Neuzeit fortlebenden oberital. Bezirksbezeichnungen nahe. Im Ortsnamen Riegel a. K. dagegen kann man nur Indizien für in der Römerzeit mit dem Ort verbundene und im Ort ausgeübte Verwaltungsfunktionen im Rahmen eines Verwaltungsbezirks sehen. Der sprachliche Befund stimmt gut überein mit Schlüssen, die archäologische und historische Quellen ergeben. Insbesondere die Neulesung der Inschrift auf dem Opferstein des Mithräums in Riegel durch G. Alföldy (1986) macht eine kaiserliche Finanzverwaltung am Ort zwingend. 15. Die Bezeichnung für die Rechts- und Verwaltungsfunktionen der regula/riegel vom Ort ausgehend wird fortgeführt und erscheint bei den Alemannen im 4. Jahrhundert in einer lateinisch-germanischen Lehnbezeichnung Regula, die im Germanischen und Deutschen lautgesetzlich weiterentwickelt wird. Dies weist am ehesten auf eine Sichtweise "von außen" auf den Ort hin, zeigt aber gleichzeitig das Fortbestehen seiner

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Funktionen als Verwaltungsmittelpunkt auch für im ausgehenden 3. und im 4. Jh. neu zuziehende germanischsprachige Bevölkerung. Die Geschichte der heutigen Benennung des Ortes spricht dabei dagegen, daß sie von gemeinsam am Ort Siedelnden und standig im zweisprachigen Kontakt Kommunizierenden herbeigeführt wurde, denn dies hätte die Weiterführung des römischen Ortsnamens nahegelegt. Die Fortfuhrung von Regula durch Germanen setzt andererseits aber auch eine Wirkung des Ortes als Funktionsträger von Recht und Verwaltung in eine nähere oder weitere Umgebung voraus. Diese Situation ist in Riegel noch im 4. Jh. gegeben, wo bei einem - nach Ausweis der archäologischen Funde - relativ geringen Anteil von Germanischsprachigen am Oberrhein noch eine geordnete römische Verwaltung und ein auch mit linksrheinischen Verhältnissen vergleichbarer Münzumlauf (Strybrny 1991) stattfand, der stets auch die Anwesenheit von Militär erfordert. Es könnte sich dabei um eine ethnisch gemischte Miliz von bäuerlichen Siedlern gehandelt haben, für die die Verwaltungsfunktion und der Amtsbezirk der Regula weiterhin Bedeutung hatte. 16. In der symbiotischen Gemengelage zwischen zurückgebliebener romanisierter und neu ankommender germanischsprachiger Bevölkerung, in der das romanische Element langsam abstirbt, setzte sich offenbar nach dem Erlöschen der römischen Verwaltung die Funktionsbezeichnung Regula als Ortsname durch. Der starke Zuzug germanischer Siedler an den Kaiserstuhl seit dem 5. Jh. dürfte dies mit sich gebracht haben. Der römerzeitliche Ortsname ging dabei verloren. 17. Wir gewinnen damit - nach Langenbeck, Kleiber u.a. - einen weiteren Beitrag zur römisch-germanischen Sprachkontinuität am Oberrhein (wie auch in Oberitalien). 18. Von den Umfangen des oberitalienischen Regulae/Ri(e)gel als Rechts- und Verwaltungssprengeln des Mittelalters kann man nur vorsichtig in die Antike zurückschließen. Falls sich Regula/Riegel nur auf die heute recht große Gemarkung von Riegel bezöge, wäre ein Vergleich deshalb schwer, weil die antiken Verhältnisse im Bereich von aufgelassenen Kastellen und bedeutenderen vici und deren Umgebung (Villae rusticä) - gegenüber den mittelalterlichen wie auch denen bei Goten und Langobarden - erheblich unterschiedlich sind, auch wenn über vulgärrechtliche, römische Nachbarschaftsrechte (vicinitas) erkennbare Bezie-

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hungen zur mittelalterlichen Gemeindeentwicklung bestehen. Wenn man davon ausgeht, daß die mittelalterlichen Bedeutungen in Oberitalien eher von größeren gesamtheitlichen Einheiten und Funktionen ausgehen und zu kleineren und differenzierten zu fuhren scheinen, wird man für die antiken Verhältnisse eher an größere Verwaltungseinheiten denken. 19. In diesem Sinne wurde über die Bestimmung von fiskalischem Besitz des 7. bis 10. Jhs., dessen Bezug zum römischen Riegel schon von der bisherigen Forschung im Zusammenhang mit seiner zentralörtlichen Funktion in der Antike erörtert wurde, versucht, ein mögliches Bild eines größeren Verwaltungsraumes um Riegel zu umreißen, das ein antikes Relief fortsetzen könnte. Dabei wurde auch Bezug auf die von Riegel-Endingen ausgehende Kirchenorganisation genommen. Für den Amtssprengel der Regula käme ein engerer Bezirk in Frage, der etwa den Raum umfassen könnte, den 13 zum dortigen Königshof zinsende alte Orte seiner Umgebung einnahmen und die im 10. Jh. mit dem Königshof Riegel zusammen an Einsiedeln verschenkt wurden. (Dazu könnte evtl. weiterer alter Reichsbesitz kommen.) Es könnte aber ein weiterer Bezirk erwogen werden, bei dem auch noch der Forstbann von 1008 sowie Besitz in Betzenhausen und Zarten, der mit Riegel ebenfalls verschenkt wurde, hinzukämen, so daß der Verwaltungssprengel Riegel einen erheblichen Umfang gehabt hätte. 20. Am Ende des 4. Jh. wird so am Oberrhein auch bereits ein Nebeneinander, der ebenfalls durch von Polenz untersuchten völkerwanderungszeitlichen germanischen Raumnamen wie *brisihgawja und evtl. mortunouwa und der römischen Bezirksbezeichnung *regula sichtbar, bei der der römische Bezirksbezeichnungstypus unterliegt und nur singular im Ortsnamen Riegel fortlebt, wohl weil die Rechts- und Verwaltungsverhältnisse sich am Oberrhein unter germanischem und dabei besonders unter fränkischem Einfluß grundlegend änderten. In Oberitalien dagegen wird die regula als Bezeichnung eines Verwaltungssprengels, d. h. als Bezirksbezeichnung, neben anderen aus dem Romanischen und Germanischen stammenden Bezeichnungen fortgeführt und den jeweiligen geschichtlichen Bedingungen angepaßt. 21. In dem seit dem Frühmittelalter bezeugten Ortsnamen Riegel a.K. wird sicher nicht der ursprüngliche Name der keltischen Siedlung, des römischen Kastellortes des 1. Jhs. bzw. der späteren stadtähnlichen

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Anlage weiterleben. Dieser müßte formal eine andere Gestalt gehabt haben. Hierzu wird in Auseinandersetzung mit der geographischen Literatur der Antike und des frühen Mittelalters (Ptolemaeus, Itinerarium Antonini, Tabula Peutingeriana, Geograph von Ravenna) eine eigene Hypothese vorgetragen und diskutiert, wo der verschollene Siedlungsname des römerzeitlichen Riegel das vielfach diskutierte Helvetian der antiken Geographen war. Eine ausführliche Belegung und Begründung aller hier vorgetragenen Thesen findet sich in der eingangs angeführten umfangreicheren Untersuchung.

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368

Register

Register Abbildtheorien 34 Abbildung 35,40 Abweichungen 193 Abwertung 78 Allgemeinsprachliche Kompetenz 201 Alltagsrhetorik 157,159,162f. Analogieschluß 233 Anerkennen des Gedankens 242 Angemessenheit 201 f. Anonymitat 74 Arbitrarität 34,36,42 Architektur 187,202 Argumentstruktur 267 Assortieren 265 Assertion 239,241 Assoziatives Schließen 227 Aufhebung 202 Aufwertung 78 Bedeutung 68 Bedeutungsinfektion 59 Bedeutungswandel 56,220 Behauptend 249 Behauptung 242,264 Beleglehre 57 Beschreibbarkeit 39,43 Bewerten 157ff. Bewertungsausdrücke 160 Bewertungshandeln 160f. Bewertungsmaßstab 160ff. Bewertungs wissen 160 Bezeichnungskonkurrenz 119 Beziehungsgestaltung 310 Daten 52 De-Agentivierung 267 Diagnostischer Gebrauch 234f. Direkte Rede 81,253 Diskurs 201 Diskutieren 76f. Distanzierung 281

Dysphemismus 323 dysphemistisch 315 Einzelsprache 187 Einzelsprachliche Kompetenz 201 Engels 318 Epistemifizieren 245 Epistemisch 221,227,230f., 238,242,244 Epistemisches weil 245 Epistemizität 236 Erlebte Rede 267 Erwartungsnormen 193 Euphemismen 311 Evokation 193,203 Explikativ 234,238 Fachsprachlich 315 Fachwort 313 Faktisch 227,236,242 Faktisches weil 222,230f.,234,238 Fixpunkttheorem 38 Formeln 159 Formulierungs verfahren 159, 163,165 Gebrauchstheorien 34 Geburtsjahr 70 Gedanke 242 Gelegenheitskomposita 119 Gerichtetheit 226 Handlungsbeteiligte 74 Herder 311 Homomorphismus 34 Hypotaxe 188f.,192 Idealsprache 37f.,41 Ikon 225,232 Ikonisches Verfahren 226f. Illokution 187,202 Illokutionär231f. Illokutiv 239

Register Imagearbeit 79 Implikationsbeziehung 245 Indirekt 254,281 Individuelle stilistische Eigenschaften 80 Informationsgliederung 254,262 Informationsstrukturierung 261 Inkongruenz 193 Inkorrektheit 194 Irreflexivität 43 Kommunikation 159 Kommunikationsgeschichte 115 Kommunikativ 258 Kommunikative Gewichtung 259f.,264 Kompetenz 187 Kondensat 55,58 Kongruenz 202 Konjunktiv 267 Kooperationsprinzip 202 Korrektheit 202 Kosten-Nutzen-Relation 243 Kundgabe 242 Langue 187 Lehnübersetzung 321 Leserbriefkommunikation 71 Leserbriefschreiber 75 Mediengeschichte 69 mediengeschichtliche Retardierungsphase 70 Meinung 71 Meinungspresse 69 Metaikon 226 Metapher 219,226f. Metaphorisch 225,232,238 Metaphorisierung 227 Metaphorisierungsprozeß 220 Metasprache 40f.,43 Metonymie 219 Mikroskopie 57 Mitgemeintes 158 Modernes Deutsch 84

369

Modernität 85 Mündlichkeit 187f.,202 Muster 157 Nachrichtenpresse 69 Negation 159,162 Negationsausdruck 157f.,161,163 Negationsformeln 157 Negierung 163 Neologismen 119 Nettonutzenerwartung 243 Nominalisierung 267 Nominalstil 186,188,191 Norm 202 Objekt-Schübe 274 Objektsprache 40,43 Öffentlich 76f.,117 Ökonomieargument 243 Organ 70 Organonmodell 193 Parataxe 189,192 Parenthetisch 259 Passiv 267 Persuasiv 79 Phasen 113 Polysemie 56 Präsupponiert 238,241f. Präsuppositionsanalyse 227 Präsuppositionsargument 243 Präsuppositionsverhältnisse 229 Pressetexte 117 Problemkreise 120 Proposition 159,161 Propositionaler Gebrauch 234 Prozeß 220 Redebericht 258 Redewiedergabe 253,264 Reduktiv 236,238 Reduktiver Schluß 235 Reflexiv 37 Reflexivität 34,38 Regelbasiertes Schließen 227 Replikativer Schluß 236

370 Repräsentativ 60 Rhetorisch 79f.,84 Rollen Verständnis 76 Satzsemantik 157,267 Schriftlichkeit 187f. ,202 Schulrhetorik 80 Selbst-Referenz 39 Sinn 193,201,203 Sprache der Nähe 188 Sprachgeschichte 53,111 Sprachkritik 34,36,41,311 Sprachkritisch 85 Sprachlenkung 316 Sprachmanipulatorisch 311 Sprachverfall 220 Sprechaktbezogener Gebrauch 234,239,242 Sprechakttheorie 186,193 Sprecherhaltung 168 Stilblüten 193 Stil Varianten 315 Stilwert 313 Symbol 226,232 Symptom 225 Syntaktischer Wandel 187f., 220 Tabuisierung 313,315 Tagesspruch 186 Techniken 195,197 Textproduktion 158f. Thema-Rhema-Struktur 240 Thema-Rhema-These 241 Thematischer Zusammenhang 259f.,264 Thematisierung 117 Themenkreise 121 Unangemessenheit 195 Unifizierung 195,197 Unvollständigkeit 38 Urteil 242 Varietäten 187 Verbzweitstellung 222 Vergleich 175

Register Veröffentlichte Meinung 76 verschleiert 239 Wandel 53 Wortbildung 316 Wortfeld 42,315 Wortgeschichte 311 Wortschatz 41 Zäsuren 112 Zeichentheoretischer Aspekt 315 Zeitgeschichte 115 Zeitungskommunikation 81

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Deutsche Satzsemantik Grundbegriffe des Zwischen-den-Zeilen-Lesens 2., durchgesehene Auflage Oktav. 389 Seiten. 1988. Broschur DM 29,80 ISBN 3 11 0119552 (Sammlung Göschen, Band 2226) Lehrbuch für Germanistik-Studenten und sprachkritische Textanalyse. — Der zunehmend komprimierte Stil des öffentlichen deutschen Sprachgebrauchs hat das Verhältnis zwischen Satzbau und Satzinhalt kompliziert und unklar werden lassen. Dies wird durch eine Umkehrung der Grammatik auf der Grundlage einer praktischen Semantik durchschaubar gemacht. Die zweite Auflage ist durch kleine Korrekturen und Präzisierungen verbessert. Aus dem Inhalt: Entwicklungstendenzen deutschen Satzbaus, Wissenschaftsgeschichte — Prädikation, Referenz, Quantifizierung, Prädikatsklassen, Kasusrollen, Subjektschub — Sprecherhandlung, Bewirkung, Sprechereinstellung, soziale Beziehung — Einbettungen, Zusätze, Aussagenverknüpfungen — Thema/Rhema, Mitgemeintes, Mitzuverstehendes — Exemplarische Textanalyse, Regeln für sprachkritisches Zwischenden-Zeilen-Lesen — Literatur.

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Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart Band I: Einführung — Grundbegriffe — Deutsch in der frühbürgerlichen Zeit Oktav. 380 Seiten. Mit 10 Abbildungen. 1991. Broschur DM 24,80 ISBN 3 11 0124580 (Sammlung Göschen, Band 2237) Lehrbuch und Kompendium über die Sprach(en)geschichte in Deutschland seit etwa Mitte des 14. Jahrhunderts, Band I bis Ende 16. Jh.; mit einer Einführung in Grundbegriffe der Sprachentwicklung. Aus dem Inhalt: Veränderbarkeit von Sprache — Erkenntnisinteressen — Grundbegriffe der Sprachentwicklung — Medien-, Bildungs-, Textsortenentwicklung — Neustrukturierung des Sprachsystems — Konsolidierung des Satzbaus und Wortschatzes — Sprachenkontakte — Sprache der Reformation und der Volksaufstände — Anfange sprach(en)politischen Verhaltens.

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