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German Pages 367 [368] Year 1974
Horst Grünert Spradie und Politik
W G DE
Studia Linguistica Germanica Herausgegeben von Ludwig Erich Schmitt und Stefan Sonderegger
10
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1974
Horst Griinert
Sprache und Politik Untersuchungen zum Sprachgebrauch der 'Paulskirche'
Walter de Gruyter • Berlin · New York 1974
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
© ISBN
3110036096
Library of Congress Catalog Card Number: 7 4 - 8 0 6 3 4 Copyright 1974 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Gösdien'sdie Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit & Comp., Berlin 30 — Printed in Germany — Alle Redite der Ubersetzung, des Nachdrucks, der photomechanisdien Wiedergabe und der Anfertigung von Mikrofilmen — auch auszugsweise — vorbehalten Satz und Drudi : Walter de Gruyter & Co., Berlin Bindearbeiten : Lüderitz & Bauer, Berlin
1848 - 1973
Jede Zeit hat ihre eigenen Begriffe Golo Mann
Vorwort Die Arbeit wurde 1965 begonnen und 1970 von der Philosophischen Fakultät der Philipps-Universität Marburg als Habilitationsschrift angenommen. Der Druck hat sich verzögert. Es war aus zeitlichen und arbeitstechnischen Gründen nicht möglich, die seit dem Absdiluß der Arbeit erschienene wissenschaftliche Literatur zu verarbeiten. Der 2. Teil der Untersuchung konnte aufgrund seines Umfangs in der ursprünglichen Fassung nicht veröffentlicht werden. Er wurde radikal gekürzt und enthält nun nur noch exemplarische Beschreibungen einiger ausgewählter Debatten. Die sich daraus für den 3. Teil sowie für die Gesamtanlage der Untersuchung ergebenden Härten konnten nicht durchweg vermieden werden. Den Druck hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft ermöglicht. Dafür sei an dieser Stelle gedankt. Dank ist auch abzustatten all denen, die das Entstehen der Arbeit verständnisvoll und kritisch begleitet haben. H . G.
Inhalt Vorwort 1. Einleitung 1.1. Sprache und Politik / Politik und Sprache 1.2. Gegenstand, Ziel und Methode der Untersuchung 1.3. Modell der Zweiwertigkeit 1.4. Modell der Argumentation 1.5. Lesehinweise
VII 1 1 11 21 25 34
2. Politische Thematik und Ideologiesprache Destination 2.1. Die Frankfurter Nationalversammlung 2.2. Die politisch-rechtliche Stellung der Nationalversammlung: Alleinentscheidungsrecht oder Vereinbarungsprinzip? 2.3. Die provisorische Centraigewalt 2.3.1. Bundesdirektorium oder Vollziehungsausschuß? 2.3.2. Monarchie oder Republik? 2.4. Die Grundrechte des deutschen Volkes 2.4.1. Die Gleichheit vor dem Gesetz: Die Gesellschaftsordnung . 2.4.2. Die Gleichheit vor dem Gesetz: Die soziale Frage . . . . 2.5. Die Reichsverfassung 2.5.1. Der Gebietsumfang des Reiches 2.5.2. Der Reichstag 2.5.3. Das Reichsoberhaupt 1. Das demokratisch-republikanische Reichsoberhaupt . . 2. Das Erbkaisertum 2.5.4. Das Scheitern der Reichsverfassung 2.6. Die Nationalitätenfrage und die deutsche Außenpolitik . . . .
35 35 37 58 59 67 80 81 89 97 97 116 141 141 150 159 167
3. Das ideologische Zeichen-Inventar Fundation — Motivation — Kausation — Konsekution 3.1. Fundation 3.1.1. Die rechte Seite Das Organische
191 191 191 191
X
Inhalt
Rechtsboden
195
Volkssouveränität Der Boden der Tatsachen
197 202
Die Parteien
203
3.1.2. Die linke Seite Rechtsboden Revolution Volkssouveränität
209 209 212 214
Die Parteien 3.2. Motivation 3.2.1. Die rechte Seite Volk Vaterland Deutschland, deutsch, die Deutschen Zeit Ehre, Pflicht, Interessen Emotionale Motivation Politisches Handeln 3.2.2. Die linke Seite Volk
218 222 222 222 226 228 230 231 233 235 241 241
Zeit
245
Sekundäre Motivationen Ehre
246 247
Politisches Handeln
248
3.3. Retrospektive Kausation 3.3.1. Die rechte Seite Politische Verhältnisse Klassen Polizeistaat 3.3.2. Die linke Seite Klassen Polizeistaat Politische Verhältnisse 3.4. Prospektive Konsekution 3.4.1. Die redite Seite Freiheit Ordnung Einheit Soziale Frage Nationalitätsprinzip Destruktion / Konstruktion
252 252 252 254 258 260 261 266 269 272 272 272 277 278 283 285 292
Inhalt
XI
3.4.2. Die linke Seite
298
Freiheit
298
Einheit und Freiheit
302
Soziale Frage
306
Nationalitätsprinzip
309
Destruktion / Konstruktion
313
4. 15 Thesen zur ,Spradie in der Politik'
323
5. Register und Literaturverzeichnis
325
5.1. Namenregister
325
5.2. Schlagwortregister
328
5.3. Literaturverzeichnis
348
1. Einleitung 1.1. Sprache und Politik / Politik und Sprache 1.1.1. Eine Untersuchung, die sich dem Thema .Sprache und Politik' / ,Sprache in der Politik' widmet, muß nicht nur um eine Klärung des Begriffs Sprache wie des Begriffs Politik bemüht sein, sie muß vor allem die vielfältigen Relationen erfassen und darstellen, die zwischen Spradie und Politik bestehen. Bei diesen Relationen handelt es sich um eine sehr komplexe Erscheinung. Daraus folgt, daß eine begrenzte und notwendig zu begrenzende Untersuchung nur Teilaspekte bieten kann. Ich möchte daher meine Untersuchung einschränken auf die Frage: Wie artikuliert sich Politik in oder durch Spradie? Oder anders formuliert: Welche Funktionen kommen Sprache zu bei der Artikulation von Politik, bei der verbalen Kodierung von Politik 1 ? Dabei geht es mir nicht darum, allgemein die Möglichkeiten des Gebrauchs von Sprache in der Politik zu analysieren, sondern es geht darum, diese Frage an ein konkretes historisches Beispiel zu stellen und zu beantworten. Es gibt darüber keinen Zweifel, daß mit Politik, mit politischem Handeln zugleich sprachliches Handeln gemeint ist, was freilich keine Identität bedeutet 2 . Politik ist an das Wort gebunden. Politisches Handeln wird durch Sprache vorbereitet, ausgelöst, von Spradie begleitet, beeinflußt, gesteuert, geregelt, durch Spradie beschrieben, erläutert, gerechtfertigt, beurteilt, verantwortet, kontrolliert, kritisiert. Politisches Handeln ist mit Kommunikationsprozessen verbunden. Wo Politik sprachlos wird, ist sie keine Politik mehr. Politisches Handeln ist nicht möglich ohne den Austausch von Zeichen, Signalen, Symbolen 3 . Mit dieser Feststellung ist allerdings nichts gesagt über die Art und den Wert politischen Handelns, ebenso wie damit nichts gesagt ist über die Art und Weise eines bestimmten Sprachgebrauchs. Diese FormaiFeststellung gilt für eine faschistische Diktatur nicht weniger als für eine parlamentarische Demokratie oder für eine kommunistische Herrschaftsform. Die Erfahrung hat gezeigt und zeigt nodi, daß in einer Diktatur, wo dodi die Möglichkeit der Zwangsausübung besteht, nicht weniger ,geredet' wird als in einer De-
1
2 3
Es braucht in diesem Zusammenhang nur darauf verwiesen zu werden, daß Politik sich audi durch nicht-sprachliche Zeichen oder Symbole artikulieren kann, allerdings auf der Grundlage sprachlicher Zeichen. Hier geht es, dem Thema entsprechend, nur um die Untersuchung verbaler Zeichen. vgl. Sternberger 1966 S. 79—91 vgl. Haseloff 1969 S. 152
Einleitung
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mokratie, wo es diese Möglichkeit nicht in dem Maße gibt. Eher ist das Gegenteil der Fall 4 . Ein — allerdings sekundäres — Indiz für die Bedeutung, die der politischen Sprache in der Diktatur für die Stabilisierung der Macht der Herrschenden zukommt, kann man wohl u. a. an dem Interesse erkennen, das die Wissenschaft der Sprache in/von Diktaturen entgegengebracht hat und noch entgegenbringt. Bisher war viel mehr der politische Sprachgebrauch in Diktaturen Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen als der politische Sprachgebrauch in Demokratien 5 . 1.1.2. Der Begriff der Politik und des politischen Handelns muß präzisiert werden. Das Lexikon versteht unter Politik „staatliches oder auf den Staat bezogenes Planen und Handeln" 6 . Das Wörterbuch bezeichnet als Politik „alle Maßnahmen zur Führung eines Staates hinsichtlich seiner inneren Verwaltung und seines Verhältnisses zu anderen Staaten" 7 . Hier soll unter Politik — und zwar in der parlamentarischen Demokratie — verstanden werden der Prozeß der Willensbildung und seine Umsetzung in konkretes soziales Handeln, der sich vollzieht zwischen den Organen des staatlichen Herrschaftsapparates, den politischen Parteien, den verschiedenen sozialen Gruppen/Schichten/Klassen mit ihren entsprechenden ökonomischen Interessen, den übrigen Interessengruppen und der öffentlichen Meinung in bezug auf die Bestimmung der Formen, des Inhalts und der Aufgaben des Staates nach innen und außen. Politisches Handeln bedeutet in erster Linie Kampf um Macht und Herrschaft, um Teilnahme an der Machtausübung und ihre Sicherung zur Durchsetzung bestimmter Vorstellungen und Interessen. In der Politik geht es, wie Max Weber formuliert hat, um die Macht und nur um die Macht. Wenn diese Definition richtig ist, so bedeutet das für die Relation von Sprache und Politik, daß Sprache eingesetzt wird als Instrument des Machtgewinns, der Machtausübung, der Machtsicherung, der Machtkontrolle. Damit ist eine erste vorläufige Antwort gegeben auf die eingangs gestellte Frage nach der Funktion von Sprache bei der Artikulation von Politik: Sprache hat eine Instrumentalfunktion. Auf den in der Demokratie handelnden Politiker, auf den politisch Handelnden — womit Individuen und Gruppen in gleicher Weise gemeint sind — bezogen heißt das: er redet und muß reden, um Macht zu erringen, Macht auszuüben, um an der Macht zu bleiben, um Macht zu kontrollieren. Der Politiker in der Demokratie muß Rede und Antwort stehen, gegenüber seinen Wählern, gegenüber der Opposition, gegenüber der öffentlichen Meinung. Damit wird von der personalen Seite her die Instrumentalfunktion bestätigt, die die Sprache in der Politik hat. Sprache dient, wie Ernst Topitsch formuliert, als
vgl. Dieckmann 1969 S. 28 ff und die dort angeführte Literatur vgl. die Literaturangaben bei Dieckmann 1969 S. 25 und den allgemeinen Forsdiungsüberblick bei Dieckmann 1964 « ,Der Volksbrockhaus' 1969 S. 716 7 Wahrig 1968 Sp. 2751 4
5
Sprache und Politik / Politik und
Sprache
3
Instrument „der gesellschaftlichen Handlungssteuerung" 8 . Die Instrumentalfunktion der Sprache erscheint hier präzisiert als Steuerungsfunktion 9 . Von einem bestimmten System aus wird ein anderes System, werden andere Systeme mit Hilfe von Zeichen, Signalen, Symbolen in bestimmter Weise gesteuert. Dieser Prozeß vollzieht sich allerdings nicht im Sinne des Behaviorismus als einfache Beziehung von Reiz (Sprache) und Reaktion (Handlung). Der Prozeß stellt sich komplizierter dar: Politisches Sprechen sucht eine Änderung oder Stabilisierung von Meinungen und Attitüden, von Einstellungen und Urteilen zu bewirken, um auf diesem Wege künftiges Handeln und Verhalten von Mensdien auszulösen, zu beeinflussen, zu steuern 10 . Es ist deutlich, daß damit die Frage besonders relevant wird, auf der Basis welcher Interessen sich politisches Handeln und damit politisches Sprechen vollzieht. 1.1.3. Politisches Handeln, so haben wir betont, ist mit Kommunikationsprozessen, u. d. heißt mit Austausch von I n f o r m a t i o n e n ' verbunden. Primäres Kommunikationsmittel ist die Sprache. Kommunikation und somit Sprache sind soziale Phänomene. Wenn Kommunikation Zustandekommen soll, müssen mindestens zwei Kommunikanten zueinander in Beziehung treten, ein Sprecher oder Schreiber, der Sender oder Expedient, und ein Hörer oder Leser, der Empfänger oder Rezipient, mit ihren jeweiligen personal-sozialen Voraussetzungen und Bedingungen. Die Beziehungen zwischen Sender und Empfänger kommen nur zustande, wenn beide auf der Basis eines gemeinsamen verbal-kommunikativen Repertoires kommunizieren. Kommunikation ist also immer Kommunikation mit jemandem, und sie ist zugleich immer Kommunikation über etwas. Kommunikation stellt sich dar als selektive Kodierung und Dekodierung, und sie vollzieht sich im Rahmen einer gesamtgesellschaftlichen Realität unter den Bedingungen von konkreten Redekonstellationen oder Kommunikationssituationen im weitesten Sinne. Es braucht hier nicht ein ausführliches Kommunikationsmodell entwickelt zu werden 1 1 . Hier geht es allein um die Frage nach dem Kommunikationsprozeß im Bereich der Politik. Das bedeutet einmal die Öffentlichkeit der Kommunikation, d. h. sie ist nicht privat, individual, begrenzt, sondern sie ist öffentlich, sozial, unbegrenzt; sie vollzieht sich auf dem Boden der Öffentlichkeit in der Gesellschaft und zwischen ihren Gruppen. Das bedeutet zum anderen, daß der Kommunikationsprozeß stattfindet zwischen Kommunikanten, die bestimmte politisch-gesellschaftliche Vorstellungen und Positionen vertreten. Das bedeutet schließlich, daß es sich bei den Kommunikationsinhalten nicht um Nachrichten,
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Topitsdi 1969 S. 83ff • vgl. Hayakawa 1967 S. 124f 10 vgl. Haseloff 1969 S. 151 11 Die Literatur zum Problem der Kommunikation ist außerordentlich umfangreich. Für eine erste Einführung und Auswahl sei verwiesen auf das ,Wörterbuch der Publizistik' 1969 S. 189ff
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Einleitung
um ,Informationen' schlechthin handelt, sondern um Nachrichten zu einem bestimmten Zweck. Im Bereich des Politischen ist jeder Kommunikationsprozeß final organisiert. Auf eine Formel gebracht heißt das: Das Zeichen Ζ wird vom Individuum a, das der Gruppe A angehört, benutzt, um den Zweck χ gegenüber dem Individuum b, das der Gruppe Β angehört, zu erreichen12. Um einen bestimmten Zweck zu erreichen, ist die intendierte Selektion von Zeichen notwendig. Es müssen solche Zeichen verwendet und sie müssen so verwendet werden, daß der jeweilige Kommunikationspartner bereit und in der Lage ist, am Kommunikationsprozeß teilzunehmen. Die Möglichkeit der Interpretation von Zeichen durch den Rezipienten in einem vom Expedienten nicht gewünschten Sinne ist mit dieser Feststellung keineswegs negiert. Im Gegenteil. Abgesehen davon, daß dasselbe Zeichen von verschiedenen Rezipienten unterschiedlich interpretiert werden kann 13 , tritt im Kommunikationsprozeß „fast immer eine mehr oder weniger erhebliche ,Verzerrung' der Nachricht durch den Empfänger ein. Er versteht die Nachricht stets in Abhängigkeit von seinem eigenen einschlägigen Vorwissen und von den Erwartungen, die bei ihm bezüglich der den Inhalt der Nachricht betreffenden Sachverhalte und Ereignisse bestehen" 14 . Eine solche ,Verzerrung' muß den Kommunikationsprozeß im ganzen jedoch nicht beeinträchtigen, da es genügend Redundanzen und Korrekturmöglichkeiten gibt. Im übrigen kann politisches Sprechen auch so intendiert sein, daß es mit Störungen von Kommunikationsprozessen rechnet und sie für die eigenen Zwecke auszunutzen versucht. 1.1.4. Die Tatsache, daß Menschen miteinander kommunizieren können, ist gewährleistet durch die Systemhaftigkeit von Sprache. Sprache ist ein System, besser Systemoid von Zeichen und Regeln zur Kombination von Zeichen, das, im weitesten Sinne, zum Austausch von Informationen dient. Die Relationen, die zwischen den Zeichen bestehen, machen die syntagmatisdie und paradigmatische Struktur des Systemoids aus. Unter (verbalen) Zeichen verstehen wir Einheiten unterschiedlicher Komplexität, die aus einem materiellen Signal (gesprochene Lautkette / geschriebene Buchstabenfolge = Signifikant) bestehen, dem eine bestimmte Information (Bedeutung = Signifikat) zugeordnet ist15. Sprachliche Zeichen sind Einheiten, die für etwas anderes stehen, etwas anderes bezeichnen, etwas anderes repräsentieren. Wesentlich ist, daß mit Sprache Außersprachliches ( = ,das andere') nicht festgestellt, sondern festgesetzt wird. Der Gebrauch sprachlicher Zeichen ist an die in einer Sprachgemeinschaft gültigen Normen und Konventionen gebunden. Es kann hier nicht ausführlich über allgemeine Probleme des sprachlichen Zeichens gehandelt werden. Wohl aber sollen kurz die unterschiedlichen Re12 13 14 15
Idi beziehe midi hier auf Klaus 1968 S. 63, habe aber dessen Ansatz erweitert. vgl. Lasswell 1969 S. 55 Haseloff 1969 S. 154 vgl. Martinet 1963 S. 23
Sprache und Politik / Politik und Sprache
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lationen und Beziehungen dargestellt werden, die sprachliche Zeidien eingehen bzw. die für sie konstitutiv sind. Entsprechend den unterschiedlichen Relationen, in denen sprachliche Zeidien stehen, wird sich eine Zeichen- oder Sprachanalyse auf verschiedenen Ebenen vollziehen können 16 . 1. Die Zeidien einer Spradie stehen in syntagmatisch-linearen Beziehungen zu anderen Zeidien derselben Sprache, sie sind mit anderen Zeichen zu größeren Zeidienkomplexen kombiniert. Die Kombination ist möglich auf verschiedenen Ebenen und führt zu unterschiedlichen Zeichenqualitäten. Hier handelt es sich um den kombinatorischen Aspekt von Spradie. (Die Syntaktik stellt dabei nur einen speziellen Aspekt dar). 2. Die Zeidien einer Sprache sind Ausdruck der Relation zwischen ihrer materiellen Repräsentation und ihrer Bedeutung. Sprachliche Zeichen haben (per definitionem) eine Bedeutung. Sie sind die Existenzform eines gedanklichen Abbilds, sie stellen die materielle (phonische / graphische) Fixierung und Objektivierung von Bewußtseinsinhalten dar. Hier handelt es sich um den interpretatorischen (semantischen) Aspekt von Sprache. 3. Die Zeichen einer Spradie stehen in Beziehung zu den Objekten der außersprachlichen Wirklichkeit, die sie bezeichnen. Das Zeichen hat nicht nur eine Bedeutung, es hat auch eine Bezeichnungsfunktion, es benennt, bezeichnet, prädiziert Außersprachliches. Die Beziehung zu dem Objekt der außersprachlichen Wirklichkeit wird allerdings vermittelt über das im Zeidien repräsentierte gedankliche Abbild. Hier handelt es sich um den prädikativen Aspekt von Sprache. Klaus spricht vom sigmatischen Aspekt 17 , und er mißt der Untersuchung der sigmatisdien Beziehung besondere Bedeutung bei, „weil das Wissen über die sigmatischen Beziehungen in den Prozeß der semantischen Analyse eingeht" 18 . 4. Die Zeidien einer Sprache stehen schließlich in Relation zu den Menschen, die sie benutzen. Die Zeichen werden gebraucht im Kommunikationsprozeß als Informationsträger zur Informationsübermittlung zwischen Menschen. Hier handelt es sich um den applikativen Aspekt. Es wird dieser Aspekt auch als pragmatischer Aspekt, als Pragmatik zusammengefaßt1®. Ich möchte aber in unserem Zusammenhang den pragmatischen Aspekt nicht so allgemein fassen, sondern ihn einschränken auf die Frage nach den intentionalen und resultativen Bedingungen von Spradie, d. h. auf die Frage nach der Verwendung und Wirkung sprachlicher Zeichen. 1.1.5. Es ergibt sich nun die Frage, welche der genannten Aspekte für die Analyse politischer Sprache relevant ist. Grundsätzlich ist die Untersuchung politischer Spradie auf jeder Ebene möglich. Es könnte also die Syntax eines politischen Textes analysiert werden, und als Ergebnis einer solchen Analyse 16
17
18 19
Ich beziehe mich hier mit Klaus 1968 auf Morris 1955, gehe aber mit Klaus über Morris hinaus, indem idi zwischen Bedeutungs- und Bezeichnungsrelation unterscheide. Zur Notwendigkeit der Unterscheidung von Bedeutungs- und Bezeichnungsrelation vgl. Frege 1966 S. 46f Klaus 1968 S. 14 vgl. Klaus 1968 S. 15
6
Einleitung
wäre die Feststellung möglich und denkbar, daß sich die syntaktische Struktur eines politischen Textes gegenüber der eines poetisdien Textes (wesentlidi) unterscheidet. Aber ein solches Ergebnis ist ein syntaktisches und sagt per se nichts aus über die Funktion politischer Sprache. Ähnliches gilt für die Semantik. Auch hier könnte etwa als Ergebnis erwartet werden, daß die Semantik politischer Spradie sich (wesentlich) unterscheidet von der der Umgangssprache und daß sie ganz bestimmte, nur ihr eigene Strukturen aufweist. Ein solches Ergebnis wäre für die Analyse politischer Spradie durchaus wichtig, aber es würde sich für den anstehenden Komplex eben nur um ein Teilergebnis handeln. Da wir es bei Politik mit politischem Handeln von Menschen und mit der Verbalisierung ihres Handelns zu tun haben, so scheint mir der pragmatische Aspekt im oben dargelegten Sinne dem Thema angemessen. Bei einer Untersuchung politischer Sprache / Texte / Diskurse 20 kann letztlich von den Kommunikanten und den Kommunikationsinhalten, d. h. von den wesentlichen Faktoren des Kommunikationsprozesses nicht abgesehen werden. Untersuchungen auf syntaktischer, semantischer, sigmatischer Ebene sind durchaus sinnvoll und nützlich, aber sie müssen, sofern es den anstehenden Komplex betrifft, zum pragmatischen Aspekt der Untersuchung hinführen, und das heißt zur Einbeziehung des Menschen und damit der Gesellschaft. Wenn den Linguisten ein Text als politischer interessiert, wenn die Analyse politischen Sprachgebrauchs von Individuen und Gruppen 21 sein wissenschaftliches Ziel ist, oder wenn es ihm, wie Dieckmann sagt, um die Beschreibung typischer Gebraudisweisen der Spradie in einem politischen Funktionsbereidi geht22, so kann nicht von den Beziehungen zur jeweiligen Gesellschaft abstrahiert werden, aus der die Spradie hervorgegangen ist23. Der pragmatische Aspekt impliziert die übrigen genannten Aspekte, und nur das wissenschaftliche Bedürfnis nach Analyse führt zur Differenzierung. Es erweist sich im Zusammenhang mit unserem Thema als notwendig, noch eine weitere Relation einzuführen, die zwischen den Menschen und den Objekten seiner Umwelt 24 . Diese Relation gehört nicht mehr in den Bereich der Pragmatik, denn sie fragt nicht nach dem Gebrauch sprachlicher Zeichen und dem Verhalten ihnen gegenüber, wohl aber berührt sie sich mit dem pragmatischen Aspekt, „weil sie letztlich die Motive des Gebrauchs sprachlicher Zeichen und die Bedingungen, unter denen sprachliche Zeichen Wirkungen ausüben, bestimmt" 25 . Hier treten über den Menschen Außersprachliches und Innersprachliches miteinander in Beziehung, eine Beziehung, ohne die ,Sprache in der Politik' nicht sinnvoll analysiert werden kann. Von der externen Welt kann nicht abgesehen 20
21 22 23 24
25
,Text' soll hier und im weiteren entsprechend dem engl, discourse verstanden werden als eine individuell-realisierte Folge von Zeichen. Klaus würde hier von .Klassen' sprechen vgl. Dieckmann 1969 S. 107 vgl. Klaus 1968 S. 89 Idi beziehe midi hier auf Klaus 1968 S. 95f, modifiziere aber sein System im Sinne meines Themas vgl. Klaus 1968 S. 96
Sprache und Politik / Politik und Sprache
7
werden, und Dieckmann sagt mit Redit, daß der politische Wortschatz als Objekt ohne Bezug auf den Sachbereich der Politik gar nicht greifbar wird 26 . 1.1.6. Wir haben Sprache bezeichnet als ein Systemoid von Zeichen und Regeln zur Kombination von Zeichen, das zum Austausch von Informationen dient, und wir haben der ,Sprache in der Politik* die Funktion der Meinungs-, Verhaltens- bzw. Handlungssteuerung zugesprochen. Beide Feststellungen bedürfen im Hinblick auf unser Thema einer Präzisierung. Ich beziehe mich zunächst auf Georg Klaus, der feststellt, „daß die Sprache nicht nur zur Informationsübermittlung verwendet wird, zur Beschreibung von Sachverhalten und Ereignissen, sondern audi, um bestimmte Gefühle des Sprechers (Sympathie, Empörung usw.) auszudrücken und um beim Empfänger von Zeichen einen bestimmten inneren Zustand hervorzurufen, der sich in Lust- und Unlustgefühlen, in bestimmten Einstellungen zum Mitgeteilten, bestimmten Handlungsplänen und schließlich in bestimmten Verhaltensweisen und Handlungen selbst ausdrückt" 27 . Schon Karl Bühler hatte zwischen der Darstellungs-, Appell- und Kundgabefunktion von Sprache unterschieden28, wobei die Kundgabefunktion auf den Sprecher, die Appellfunktion auf den Hörer, die Darstellungsfunktion auf den Sachverhalt gerichtet ist. Bühler verwendet dann auch die Termini Symbolfunktion, Signalfunktion, Symptomfunktion. Dieser Terminologie schließt sich Georg Klaus im wesentlichen an 2 9 . Andere Linguisten gehen über die Dreiteilung Bühlers hinaus, so Roman Jakobson 3 0 . In seiner Zeichentheorie geht Charles Morris von vier möglichen Arten des Gebrauchs von Zeichen aus, denen er vier Dimensionen von Zeichen entsprechen läßt, eine designative (informative), appraisive (wertende), präskriptive (überredende) und formative (organisierende) Dimension 31 . Es ist unschwer zu erkennen, daß bei all den Versuchen, Spradifunktionen zu bestimmen, die Tridiotomie von ,docere, delectare, movere' der antiken Rhetorik immer wieder eine Rolle spielt. Es ist aber offensichtlich, daß Bühler eher an Funktionen von Sprache als an Arten des Gebrauchs von Sprache denkt. Wenn wir politischen Sprachgebrauch analysieren wollen, und zwar im Zusammenhang von Kommunikationsprozessen, die final organisiert sind, so heißt das, daß wir von den Intentionen des Senders (Sprechers / Schreibers) auszugehen haben, der sprachliche Zeichen — eben aufgrund seiner Intentionen — in bestimmter Weise selektiert und organisiert, um beim Empfänger (Hörer / Leser) einen bestimmten Zweck zu erreichen. Der Intention des Senders können wir die Funktion von Sprache entsprechen lassen, um auf diese Weise Abstraktionen vom jeweils individualen Sprachgebrauch zu gewinnen. Idi werde mich im folgenden des Begriffs der Funktion bedienen. vgl. Dieckmann 1969 S. 12 Klaus 1968 S. 20 2 8 vgl. Bühler 1965 2 » vgl. Klaus 1968 .Kybernetik' S. 481 3 0 vgl. die Darstellung bei Lepschy 1969 S. 85ff 31 vgl. dazu Klaus 1968 S. 64ff 28 27
Einleitung
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Wir sind ausgegangen von der Annahme, daß Sprache in der Politik immer die Funktion der Meinungs- und Verhaltenssteuerung hat, wodurch bestimmte Handlungsdispositionen geschaffen werden sollen, sofern Sprache nicht selbst der unmittelbaren Handlungssteuerung dient. Oder anders gesagt: Der Sender intendiert eine Meinungs- und Verhaltens- bzw. eine Handlungsbeeinflussung. Den Versuch der Beeinflussung werde ich als persuasive Intention des Senders bzw. als persuasive Funktion von Sprache bezeichnen. Persuasion kann somit als Beeinflussung von Menschen durch Menschen mittels Sprache verstanden werden. Ich greife bewußt auf diesen Terminus zurück, weil ich nicht differenzieren möchte zwischen ,überreden' und ,überzeugen'. Persuasion kann sich auf zweierlei Weise vollziehen. Ich bezeichne die beiden Weisen als Information und als Affektion. Sprache (in der Politik) hat zunächst einmal die Funktion, Tatsachen mitzuteilen über Personen, Dinge, Ereignisse, Sachverhalte usw. 32 . Ich nenne das die informative Funktion oder Information. Das entspricht der Symbolfunktion Bühlers 33 oder der designativen Funktion bei Morris 34 . Damit wird konstatiert, daß Information nicht wertfrei verstanden wird, denn in der politischen Sprache ist schon ein bloßes Mitteilen ein Bewirken 35 . Alle übrigen nicht-informativen Funktionen von Sprache fasse ich als affektive Funktion, als Affektion zusammen. Dabei handelt es sidi im einzelnen um redit unterschiedliche Funktionen, denen aber allen gemeinsam ist, daß sie nicht primär informative Funktion haben. Die Sprache hat einmal die affektive Funktion, Gefühle, Empfindungen, Affekte, Emotionen auszudrücken bzw. hervorzurufen. Ich nenne das die emotive Funktion oder Emotion. Das entspricht im wesentlichen der Symptomfunktion Bühlers 36 , Segerstedt nennt das die emotionelle Funktion 3 7 . Die Sprache hat weiter die affektive Funktion, beim Rezipienten ein bestimmtes Verhalten vorzubereiten bzw. auszulösen. Bühler nennt das die Signalfunktion 3 8 , Morris die preskriptive Funktion 3 9 . Ich spreche hier allgemein von der appellaviten Funktion oder Appellation und differenziere je nach der .Verfügungsgewalt', die der Expedient gegenüber dem Rezipienten hat, zwischen einer präskriptiven Funktion oder Proskription (.müssen*) und einer evokativen Funktion oder Evokation (,sollen'). Das entspricht etwa der Differenzierung zwischen der direkten Handlungsanweisung und der Funktion zur Vorbereitung des Handelns, wie sie Segerstedt formuliert 4 0 . Schließlich hat die Sprache die affektive Funktion, Dinge, Sachverhalte, Zustände, Ereignisse, Denk- und Verhaltensweisen, Personen und Personengruppen zu werten.
32 33 34 35 38 37 38 39 40
vgl. Weizsäcker 1959 S. 33ff vgl. Bühler 1965 vgl. Klaus 1968 S. 64ff vgl. Lübbe 1967 S. 355 vgl. Bühler 1965 Segerstedt 1947 S. 161 vgl. Bühler 1965 vgl. Klaus 1968 S. 68ff vgl. Segerstedt 1947 S. 138ff
Sprache und Politik
/ Politik
und
Sprache
9
Ich spreche hier von der ästimativen Funktion oder der Ästimation. Morris nennt das die appraisive Funktion 41 , Klaus die Bewertungsfunktion 42 . Idi stelle die Sprachfunktionen / Senderintentionen nodi einmal tabellarisdi zusammen. Sie scheinen mir für den Komplex .Sprache und Politik' relevant, mit ihnen läßt sidi politische Sprache adäquat beschreiben: Persuasion 1. Information (informativ)
2. Affektion (affektiv; a) Emotion (emotiv) b) Appellation (appellativ) b' Präskription (präskriptiv) b" Evokation (evokativ) c) Ästimation (ästimativ)
Es versteht sich, daß die Systematik dieser Funktionen eine Abstraktion darstellt. In der sprachlichen Realität sind die Funktionen nidit nur eng miteinander verbunden, sie bedingen teilweise einander. Idi habe schon darauf verwiesen, daß jedes Mitteilen, jedes Informieren in der politischen Sprache zugleich ein Bewirken ist. Informationen können gegenüber Wertaussagen oder Direktiven, die an sie gebunden sind, völlig in den Hintergrund treten. Reich hat in diesem Zusammenhang auf die Funktion des Adjektivs hingewiesen, das eine Sachaussage zugunsten einer Wertaussage weitgehend verdrängen kann 43 . Umgekehrt enthält audi jede wertende Aussage Informationen über die Realität bzw. natürlich über die Meinung des Senders von der Realität 44 . 1.1.7. Information und Affektion oder informative und affektive Intention werden realisiert (verbalisiert) durch Selektion sprachlicher Zeichen und durch ihre Organisation in Texten / Diskursen, wie umgekehrt Texte / Diskurse als informativ und/oder affektiv interpretiert werden. Es kann hier nidit die schwierige Frage behandelt werden, ob/inwiefern sprachliche Zeichen per se — das heißt als Einheiten eines Lexikons — informativ oder affektiv sind, oder ob/inwiefern sie die entsprechenden Funktionen erst über den jeweiligen Kontext aktualisieren. Idi verweise in diesem Zusammenhang nur auf die von W. Schmidt vorgeschlagene Differenzierung in lexikalische und aktuelle Bedeutung 45 , sowie auf Weinridis Differenzierung in Bedeutung und Meinung 46 . Zweifellos stehen jedem Sprachteilhaber in seinem (internalisierten) individuellen und gruppenspezifisdien Zeicheninventar Zeichen zur Verfügung, die eine primär
41 43 43 44 45 48
vgl. vgl. vgl. vgl. vgl. vgl.
Klaus 1968 S. 66ff Klaus 1968 .Kybernetik' S. 481 Reich 1968 S. 253 Reich 1968 S. 320 Schmidt 1967 Weinrich 1966 S. 15ff
10
Einleitung
informative und solche, die eine primär affektive Funktion haben (vgl. Auto — Karre, Fahrrad — Drahtesel usw.). Kein Zweifel auch, daß über den Kontext informative Zeichen affektiviert werden können. Pareto hat auf den besonderen Zusammenhang zwischen akzessorischen Gefühlen und sprachlichem Ausdruck hingewiesen47. Dieser Vorgang gewinnt dann besondere Bedeutung, wenn sich ein individual/okkasioneller Sprachgebrauch zum sozial/usuellen weitet. An informative Zeichen lagern sich affektive Elemente an 48 , zum begrifflichen Inhalt eines Zeichens treten Nebensinn und Gefühlswert 49 . Entsprechend unterscheidet Haseloff zwischen Bedeutungskern und Bedeutungsspektrum eines Zeichens mit den entsprechenden gefühlsbesetzten Zusatz- und Nebenbedeutungen 50 . Der dargestellte Sachverhalt wird auch unter der terminologischen Dichotomie von Denotation und Konnotation erfaßt 51 . Es ist einleuchtend, daß der Gebrauch affektiver Zeichen und die Organisation affektiver Texte/Diskurse für die ,Sprache in der Politik' besonders bedeutsam sind. Dieckmann hat auf Probleme der Konnotationsforschung hingewiesen, und er hat vor allem auch Möglichkeiten .werbender Sprachanwendung' in Texten aufgezeigt: die besondere Handhabung der Wörter, Fragen der Worthäufigkeit, die Stereotypisierung der Sprache, Eigenheiten der syntaktischen Fügung und des Stils, Mittel der Rhetorik im weitesten Sinne52. Er kann sich dabei wesentlich auf Methoden und Ergebnisse der vorwiegend von Lasswell entwickelten Inhaltsanalyse stützen 53 . Auch Hayakawa hat auf die besondere Bedeutung affektiver Elemente für die politische Sprache aufmerksam gemacht, und er verweist dabei speziell auf die Metapher, die er als unmittelbaren Ausdruck von Wertungen bezeichnet und die überall da zwangsläufig auftreten, wo es um besondere Wirkungen geht 54 . Der Anteil von Information und Affektion an der politischen Sprache ist variabel und hängt ab von der Finalität, die mit dem politischen Text erstrebt wird. In jedem Falle aber handelt es sich bei den affektiven Funktionen der Sprache gegenüber den informativen Funktionen um redundante Funktionen im Sinne der Informationstheorie. Redundanz aber, und dabei braucht im Augenblick gar nicht auf die Differenzierung zwischen förderlicher und leerer Redundanz eingegangen werden 55 , ist in jedem Falle eine wichtige Voraussetzung für die Erhöhung der Effizienz von Aussagen, und das heißt, daß Redundanz nicht nur ein charakteristisches, sondern zugleich ein notwendiges Merkmal politischer Sprache ist.
47 48 49 50 51 52 53 54 55
vgl. vgl. vgl. vgl. vgl. vgl. Zur vgl. vgl.
Pareto 1967 S. 223 Topitsdi 1969 S. 85 Erdmann 1966 S. 103ÍT Haseloff 1969 S. 168 Hörmann 1967 S. 357 Dieckmann 1969 S. 86 Inhaltsanalyse vgl. Lasswell 1949 Hayakawa 1967 S. 153 Klaus 1968 S. 145f
Gegenstand,
Ziel und Methode
der
Untersuchung
11
1.2. Gegenstand, Ziel und Metbode der Untersuchung 1.2.1. Untersudiungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ist der Spradibraudi der ,Paulskirche', d. h. idi untersuche, wie die Politiker der ersten deutschen Nationalversammlung, der sogenannten Paulskirchenversammlung, als Individuen und als Mitglieder politischer Gruppen/Fraktionen Sprache gebrauchen, um in der parlamentarischen Debatte ihre politischen Zielvorstellungen zu artikulieren, zum Zweck der Durchsetzung dieser Zielvorstellungen. Die Materialgrundlage bilden die Reden, die in den 236 Sitzungen in der Zeit vom 18. Mai 1848 bis zum 18. Juni 1849 von den Mitgliedern der Nationalversammlung in der Paulskirche zu Frankfurt am Main (und vom sogenannten Rumpfparlament in Stuttgart) gehalten wurden. Die Reden liegen nadi stenographischer Niederschrift gedruckt vor 56 . Die Wahl des Untersuchungsgegenstandes bedarf einer Begründung. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Komplex ,Sprache und Politik' hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Das gilt speziell für die Sprachwissenschaft, aber nicht nur für sie. Es braucht hier nur an das Stichwort ,Inhaltsanalyse' erinnert zu werden 57 . Walther Dieckmann hat diese Entwicklung dargestellt58. Es ist deshalb nicht notwendig, darauf nodi einmal zurückzukommen. Worauf aber hingewiesen werden muß, das ist die Tatsache, daß die Mehrzahl der vorliegenden Arbeiten sidi zum einen auf das 20. Jahrhundert bezieht — von der alten ,Schlagwortforschung' einmal abgesehen —, zum anderen sich mit extremen Sprachverhältnissen beschäftigt, mit der politischen Sprache des Nationalsozialismus und mit der der DDR 59 . Es versteht sich von selbst, daß es unzulässig ist, beide Komplexe auf eine Ebene zu stellen. Andererseits ist aber nicht zu übersehen, daß es Übereinstimmungen im Sprachgebrauch gibt, die vorzugsweise daraus resultieren, daß in beiden Fällen politisches Handeln und damit politisches Reden als Affirmation verstanden wird, als ausschließliche Affirmation zu einer vorgegebenen politischen Doktrin. Das hat sprachliche Konsequenzen, deren Auffälligkeit unter anderem gerade die Untersuchung dieser extremen Sprachverhältnisse angeregt hat. Demgegenüber will diese Arbeit ,Sprache in der Politik' an einem historischen Gegenstand aus dem 19. Jahrhundert und zugleich an Verhältnissen untersuchen, in denen Politik auf dem Widerstreit von Meinungen und Interessen basiert, in denen die Affirmation durch die Negation aufgehoben werden kann, in denen eine demokratisch freie Auseinandersetzung möglich ist, wobei ich unter ,frei' ganz pragmatisdi die Tatsadie verstehe, daß die Negation einer bestimmten politischen Doktrin
58
57 58 59
.Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der deutschen konstituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt am Main', hrsg. von Franz Wigard. 9 Bände und 1 Registerband. Frankfurt 1848/49 vgl. Anmerkung 53 vgl. Dieckmann 1964 und 1969 vgl. Anmerkung 5
12
Einleitung,
nicht zum Verlust der persönlidien Freiheit des Redners führt. Die Untersuchung will also den Sprachgebrauch parlamentarischer Debatten beschreiben und zugleich versuchen, die Zeicheninventare verschiedener Parteien/Ideologien als interne und externe Beziehungssysteme zu analysieren. Denn der ideologische Gehalt eines Zeichens steckt, sofern es nicht Selbstbeschreibungswert hat, meist nicht, wie Dieckmann feststellt, im isolierten Zeichen selbst, sondern er hängt ab von seinem Stellenwert in einem ideologischen Bedeutungssystem, d. h. er hängt ab von den Trabanten- und Anti-Zeichen, zu denen er in Beziehung steht 60 . Damit geht die Arbeit über die atomistische Arbeitsweise der ,Schlagwortforschung' wie über die Beschreibung der Sprache abgeschlossener ideologischer Systeme hinaus. Der Ort, an dem der Widerstreit von Meinungen und Interessen sich institutionalisiert vollzieht und von dem aus er konkrete Auswirkungen im politischen Handeln hat, ist in der parlamentarischen Demokratie das Parlament. Wenn der Sprachgebrauch parlamentarischer Debatten, der demokratische Sprachgebrauch, wie idi kurz formulieren will, an dem Paulskirchen-Parlament untersucht wird, so hat das folgende Gründe: 1. Es ist das erste deutsche Parlament. Zwar gab es ältere Parlamente in Deutschland, Landtage, Ständekammern 61 , aber sie waren regional begrenzt und trotz einer liberalen Opposition in ihrer Diskussions- und Entscheidungsfreiheit eingeengt. Abgesehen davon, daß mit dieser Arbeit dem politischen Wortschatz des 19. Jahrhunderts, der bisher nur sehr lückenhaft erforscht ist, besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird, bietet der Sprachgebrauch der Paulskirche eine Bezugs- und Vergleichsebene für weitere mögliche Untersuchungen. 2. Das Parlament ist entstanden aus der bürgerlichen Revolution von 1848. Es war als verfassungsgebende Nationalversammlung vor allem beauftragt, eine Verfassung für Deutschland, für einen deutschen Bundesstaat zu schaffen. Damit waren die Debatten nicht nur von politischer Routinearbeit, sondern auch und vor allem von Grundsatzarbeit bestimmt. 3. Die — wenn auch von historischen Ereignissen bestimmte — zeitliche Begrenzung der Paulskirchenversammlung bietet ein Materialcorpus, das nicht willkürlich vom Bearbeiter festgelegt zu werden braucht und das zugleich eine synchrone Darstellung ermöglicht. ,Synchron' bedeutet dabei Beschränkung der Untersuchung auf einen begrenzten zeitlichen Querschnitt und Auffassung des Materials als eines simultanen Relationssystems. Die Frage nach der historischen Herkunft sprachlicher Zeichen wird für diese Arbeit nicht gestellt. 1.2.2. Idi habe oben angedeutet, daß die Beschreibung des Sprachgebrauchs demokratisch-parlamentarischer Debatten davon auszugehen hat, daß die Zeicheninventare verschiedener Parteien/Ideologien als interne und externe Beziehungssysteme zu verstehen sind. Die Tatsache nun, daß es innerhalb der mensch80 61
vgl. Dieckmann 1969 S. 31
Seit 1819/20 in Baden, Württemberg, Bayern, Sachsen; 1847 der Vereinigte preußische Landtag
Gegenstand,
Ziel und Methode
der
Untersuchung
13
lidien Gesellschaft politische Gruppen gibt — nationalstaatlidie Gruppen können hier außer Betracht bleiben —, seien es politische Klubs, Parteien, Faktionen, Fraktionen, Bezeichnungen, die von den politischen Gruppen der ,Paulskirche' selbst gebraucht werden, oder seien es politische und sonstige Interessenverbände allgemeiner Art, ist bedingt durch das Vorhandensein unterschiedlicher politischer Denkmuster, Wertvorstellungen und Zielsetzungen, die ihrerseits, wenn auch keineswegs gradlinig, abhängen vom gesamten Prozeß der gesellschaftlichen Produktion. Politische Interessen spiegeln, freilich auf eine sehr komplizierte Weise, ökonomische Interessen wider 62 . Dieser Gedanke soll hier nur angedeutet, nicht weiter verfolgt werden. Wichtig ist in unserem Zusammenhang die Feststellung, daß die unterschiedlichen Denkmuster, Wertvorstellungen, Zielsetzungen ihren Ausdruck finden in gruppen-spezifischen Zeichen-Inventaren, ZeichenEnsembles, Zeichen-Repertoires und in entsprechenden gruppenspezifischen Anwendungsstrategien. Auf die vielfältigen Zusammenhänge, auf die wechselseitigen Beziehungen, die zwischen politischen Gruppensprachen oder Subsprachen63 und der Standardsprache bestehen, braucht in diesem Zusammenhang nur verwiesen zu werden. Wichtiger ist die Feststellung, daß politische Gruppen- oder Subsprachen nicht als Sondersprachen klassifiziert werden dürfen. Wenn es zur Definition der Sondersprachen gehört, daß sie a) von einem begrenzten Personenkreis gebraucht werden, daß sie b) nicht primär sachbedingt sind und daß sie c) einen ausschließenden Effekt haben, so treffen für die politischen Gruppensprachen nur die Bedingungen a) und b) zu, nicht aber c). Wohl haben die politischen Gruppensprachen eine wichtige und notwendige soziale Signal- und Orientierungsfunktion 64 — gruppenspezifische Wörter sind Kennmarken, sind Identifikationszeichen —, und die Funktion politischer Sprache als gruppeneinender und gruppentrennender Faktor, ihre Solidarisierungs- und Separationsfunktion ist bekannt 65 , aber gerade der für die Sondersprachen charakteristische ausschließende Effekt gilt tendenziell für die politischen Gruppensprachen nicht. Denn es liegt im Wesen der politischen Gruppe, über die Gruppengrenzen hinaus zu wirken, und das heißt, dem gruppenspezifischen Zeicheninventar und dem gruppenspezifischen Sprachgebrauch zu allgemeiner Anerkennung zu verhelfen. Das schließt die Signal- und Orientierungsfunktion keineswegs aus. Es scheint mir deshalb geboten, zwischen den politischen Gruppensprachen und den als Sondersprachen bezeichneten Gruppensprachen zu differenzieren. Ich werde dafür die Termini externe und interne Gruppensprachen gebrauchen. Interne Gruppensprachen bleiben hier außer Betracht.
82
63 u 65
Idi beziehe mich hier exemplarisch nur auf Horkheimer 1967 S. 295f. Insgesamt wird auf die Ideologie-Diskussion verwiesen, vgl. Lenk 1967 vgl. Haseloff 1969 S.151ff vgl. Haselofi 1969 S. 175 und weiter Ich verweise hier nur auf die Ergebnisse von Segerstedt 1947, sowie auf Dieckmann 1964 und 1969 und auf Reich 1968
14
Einleitung
1.2.3. Der externen politischen Gruppensprache muß die politische Fachsprache entgegengestellt werden, die nicht primär gruppengebunden, sondern sachbezogen ist. Dabei handelt es sich weniger um eine .Sprache' als vielmehr um ein Zeichen-Inventar von besonderer Qualität, das Zeidien zur Benennung bestimmter Institutionen und Verwaltungseinrichtungen sowie für bestimmte Handlungsvollzüge und Verfahrensweisen in Institutionen, Verwaltungen, Parlamenten zur Verfügung stellt. Was als ,Fachsprache* bezeichnet wird, ist der Institutions·, Organisations-, Verfahrens- und Sadiwortschatz der Politik 68 . Politische Gruppensprache und politische Fachterminologie werden in jüngster Forschung als Meinungs- und Funktionssprache bezeichnet67. „Die Funktionssprache dient der organisatorischen Verständigung innerhalb des staatlichen Apparats und seiner Institutionen. In ihr wird der gesamte institutionelle und fadisprachliche Wortschatz der Politik aktualisiert. Sie ist wirklidikeitsbezogen und hat ein stark rationales Gepräge. Die Meinungssprache vermittelt die Deutungen, die die Ideologie von der Wirklichkeit gibt und richtet sidi nach außen an die Öffentlichkeit. Sie enthält einen starken Einsdilag ideologischen Vokabulars." 68 Diese Differenzierung zwischen interner Funktionssprache und öffentlicher Meinungssprache trifft durchaus bestehende Sachverhalte, nur scheint mir der Terminus Funktionssprache nicht glücklich gewählt, denn auch die Meinungssprache hat ja eine bestimmte Funktion. Es scheint mir daher sinnvoll, bei der terminologischen Scheidung von politischer Gruppensprache und fachsprachlicher Terminologie zu bleiben. Entscheidendes Kriterium der politischen Fachterminologie gegenüber der politischen Gruppensprache ist ihre Sachbezogenheit, womit ein hohes Maß an Wertfreiheit verbunden ist. Politische Fachtermini sind als Fachtermini nicht wertend determiniert. Ein Beispiel mag das verdeutlichen: Ein Zeichen wie ,Ministerium* gehört als Bezeichnung einer politischen Institution zur politisdien Fachsprache, ist ein politischer Fachterminus. Es ist sachbezogen und weithin wertfrei. Es hat eine eindeutige denotative Bezeichnungsfunktion. Wird das Zeichen determiniert, etwa durch das adjektivische Attribut reaktionär', so bleibt ,Ministerium' wohl weiterhin fachsprachlicher Terminus, aber als Teil einer größeren sprachlidien Einheit wird es zum Zeichen politischer Gruppen-, politischer Ideologiesprache. Es ist austauschbar durdi ein Simplex, etwa ^ a m a rilla', ein Zeichen, das von vornherein mehr wertende als begrifflich fixierende Funktion hat.,Sprache in der Politik' kann ohne fachsprachliches Zeidien-Inventar nicht auskommen, es ist aber charakteristisch, daß politische Gruppensprache fachsprachliche Zeichen in den eigenen Sprachgebrauch zu integrieren und damit zu entneutralisieren sucht69.
66
vgl. Dieckmann 1969 S. 51 vgl. Pankoke 1966 S. 253ff «8 Dieckmann 1969 S. 51 09 vgl. Grünert 1968 67
Gegenstand,
Ziel und Methode
der
Untersuchung
15
1.2.4. Es war bisher allgemein von politischen Gruppen und gruppenspezifischen Zeichen-Inventaren die Rede, in denen sich die jeweiligen politischen Auffassungen, Denkmuster, Wertvorstellungen und Zielsetzungen ausdrücken. Wenn ich den Begriff der politischen Gruppe auf die ,Paulskirche' anwende, so ziele ich damit auf die Parteien, auf die parlamentarischen Gruppen, auf die politischen Fraktionen der ersten deutschen Nationalversammlung. Die Fraktionen des Paulskirchen-Parlaments waren freilich keine fest in sich geschlossenen Gruppen, vielmehr waren sie durchlässig, personell wie sachlich. Abstimmungsergebnisse beweisen es. Dennoch gab es bereits Parteiprogramme 70 , in denen Leitbegriffe formuliert waren, die als einheitstiftende Symbole angesehen werden dürfen. Ernst Rudolf Huber hat in bezug auf den Vormärz fünf ,Parteien', Parteirichtungen konstatiert, die er mit bestimmten politischen Kernbegriffen verbindet: Konservatismus, politischer Katholizismus, Liberalismus, Radikalismus und Sozialismus71. In der ,Paulskirche' ist der Sozialismus ohne Bedeutung, wenngleich auch einzelne Redner der Linken durchaus sozialistische Interpretationen der Gesellschaft formulieren 72 . Ebenso spielt der politische Katholizismus als geschlossene parlamentarische Gruppe keine Rolle, abgesehen von der Debatte über das Verhältnis von Kirche und Staat im Zusammenhang mit den Verhandlungen über die Grundrechte. Es bleiben die Konservativen, die Liberalen und die Radikalen oder Demokraten. Dieser Dreigliederung entspricht die Gliederung des Parlaments in die Rechte, die Mitte oder das Zentrum und die Linke. Diese Gliederung entspricht auch dem Selbstverständnis der Paulskirchenversammlung. Darüber hinaus differenziert sich die Mitte in ein Rechtes und in ein Linkes Zentrum, je nachdem, ob diese Gruppen mehr nach der konservativen oder nach der radikalen, demokratischen Seite hin tendieren. Auch eine äußerste Rechte und eine äußerste Linke werden zuweilen als besondere Gruppenbildungen genannt 73 . Innerhalb dieser politischen Großgruppierung gibt es die politischen Klubs, die politischen Parteien, die aber keine politische Namen haben, sondern sich nach Frankfurter Gasthöfen nannten, in denen sie ihre Versammlungen abhielten. Sie reichen vom Donnersberg (Linke), dem Deutschen und dem Nürnberger Hof über Westendhall, Württemberger und Augsburger Hof, Landsberg und Casino bis zum Café Milani (Rechte). Eine Zeitlang gab es auch den Weidenbusch. Zahlreiche Mitglieder der Nationalversammlung waren keinem dieser Klubs angeschlossen. Als Kuriosum mag die von Ernst Moritz Arndt apostrophierte Partei der Weißköpfe ( = der Alten) vermerkt werden 74 .
70
71 72
73 74
vgl. dazu Johann Gottfried Eisenmann ,Die Parteyen der teutschen Reichsversammlung, ihre Programme, Statuten und Mitgliederverzeidinisse' Erlangen 1848; ferner Mommsen 1952 vgl. Huber 1960 Bd. 2 S. 324ff Sozialistische Vorstellungen werden etwa vom Abgeordneten Schütz aus Mainz vertreten vgl. Bertholdi 1849 S. 61 vgl. Ernst Moritz Arndt, Stenogr. Bericht I, 467b; 21
16
Einleitung
Die hier genannten politischen G r u p p e n , Klubs, Parteien, Fraktionen evozieren die Frage nach der Relevanz u n d Abgrenzbarkeit gruppenspezifischer Zeicheninventare. I d i werde auf diese Frage im Zusammenhang mit der Darstellung des ,Modells der Zweiwertigkeit' zurückkommen. H i e r soll nur noch auf das F a k t u m aufmerksam gemacht werden, d a ß sich die Zeicheninventare verschiedener politischer G r u p p e n decken können, und z w a r dann, wenn die D e k kung gleichsam von außen her ,erzwungen' wird. So k o m m t es in der ,Paulskirche' in den Debatten zur n a t i o n a l e n Frage' häufig zu solchen Deckungen gruppenspezifischer Zeicheninventare, unter denen die in anderen Fragen offenen Differenzen der Zeicheninventare verschwinden. H i e r w i r d die Sprache zum H a u p t f a k t o r des Nationalgefühls, ja auch des Nationalhasses, sie w i r d zum Symbol der N a t i o n 7 5 . 1.2.5. Ich habe oben darauf verwiesen, d a ß die Materialgrundlage dieser U n t e r suchung die Reden der ,Paulskirche' sind. Diese Feststellung ist insofern wichtig, als sich politische Sprache in unterschiedlichen Kommunikationszusammenhängen aktualisieren k a n n . Dieckmann spricht im Anschluß an M. Edelmann 7 8 von vier verschiedenen Sprachstilen in der politischen K o m m u n i k a t i o n , von der Sprache des Gesetzes, der Sprache der Verwaltung, der Sprache der V e r h a n d l u n g und der Sprache der Überredung 7 7 . M a n w i r d dieser Gliederung zustimmen können, allerdings sollte zudem die Sprache der öffentlichen Meinung, wie sie sich in verschiedenen Formen in den Massenkommunikationsmitteln, in Presse, R u n d f u n k , Fernsehen ausdrückt, ausgegliedert werden. D a m i t m u ß auch der Begriff der ,Sprache der Überredung' neu gefaßt werden. Ich sehe mit politischem H a n deln fünf verschiedene Möglichkeiten der Realisierung politischer Sprache verb u n d e n : die Sprache der Administration (Verwaltung), die Sprache der Diplomatie (Verhandlung), die Sprache der Legislation (Gesetzgebung), die Sprache der Deliberation (Beratung), die Sprache der O p i n i o n (Meinungsbildung). W a r bisher ausschließlich v o m gruppenspezifischen Aspekt politischer Sprache die Rede, so w i r d hier nun der funktionsspezifische Aspekt e r f a ß t . Funktionsspezifischer Sprachgebrauch u n d gruppenspezifischer Sprachgebrauch oder politische Funktionssprache 7 8 u n d politische Gruppensprache sind nur zwei Aspekte politischer Sprache, die ich als Ideologiesprache bezeichnen möchte in Abhebung von der politischen Fachterminologie oder dem fachsprachlichen Zeicheninventar, von dem schon die Rede w a r . Ideologiesprache u m f a ß t somit den f u n k t i o n a l e n Aspekt und verweist auf den funktionsspezifischen Sprachgebrauch in A d m i n i stration, Diplomatie, Legislation, Deliberation u n d O p i n i o n ; u n d sie u m f a ß t den sozialen Aspekt u n d verweist auf den gruppenspezifischen Sprachgebrauch. Ideo-
75 76 77 78
vgl. Dieckmann 1969 S. 33 vgl. Edelman 1964 vgl. Dieckmann 1969 S. 86ff Funktionsspradie wird hier anders verstanden als in der oben erwähnten Gegenüberstellung von Funktions- und Meinungssprache
Gegenstand,
Ziel und Methode
der
Untersuchung
17
logiesprache insgesamt hat die Funktion der Persuasion, wie sie unter dem Aspekt von I n f o r m a t i o n und/oder Afiektion beschrieben worden ist. Die Zusammenhänge zwischen Standardsprache, fachsprachlichem Zeicheninventar oder politischer Fachterminologie u n d Ideologiesprache unter ihrem doppelten Aspekt der politischen Funktions- u n d politischen Gruppensprache sollen in der folgenden Skizze schematisch visualisiert werden: PERSUASION
Information + Affektion
1.2.6. Gegenstand der Untersuchung ist also Ideologiesprache, ist der Sprachgebrauch politischer G r u p p e n , wie er sich unter dem funktionsspezifischen Aspekt der Deliberation, der öffentlichen politisch-parlamentarischen D e b a t t e realisiert.
18
Einleitung
Das aristotelische genus deliberativum 79 , das sidi im wesentlichen als Parlamentsrede, als parlamentarische Streit- und Beratungsrede aktualisiert, ist im Gegensatz zum genus demonstrativum nicht Hymnus, sondern Szene, sie ist Ereignis an einem Ort, nicht Gesang über den Wassern, wie Max Frisch formuliert 80 . Die parlamentarische Debatte ist ein geregelter Streit zwischen Parteien mit bestimmten politisch-ideologischen Grundpositionen, mit bestimmten Wertvorstellungen und Zielsetzungen. In Rede und Gegenrede geht es nicht um Wahrheitsfindung — die Wahrheit ist keine Frage von Mehrheitsentscheidungen —, sondern es geht um die argumentative Auseinandersetzung über politische Ziele und über Wege, die zu den angestrebten Zielen führen. Rede und Gegenrede in der parlamentarischen Debatte bewirken wohl kaum neue Überzeugungen, sie vermögen schon gar nicht zu überreden, sie dienen vielmehr wesentlich zur öffentlichen Klärung von politischen Positionen, ihrer Begründung und Rechtfertigung 81 . Die parlamentarische Debatte ist „die dialogische Aufhellung der parteipolitsch prästabilisierten Gegensätze" 8 2 . Das Dialogische gehört zu den existentiellen Bedingungen der parlamentarischen Rede. Es handelt sich hier nicht um beliebige politische Texte, sondern um gesprochene Texte — auch wenn sie schriftlich konzipiert und nach ihrer Realisierung schriftlich fixiert sind —, die auf dem Prinzip des Dialogs beruhen und die im überschaubaren Raum des Parlaments an konkrete Hörer gerichtet werden, was nicht ausschließt, daß die Öffentlichkeit als anonymer Adressat relevant ist. Der Sprachgebrauch der politischen Rede als direkte, unmittelbare Kommunikation ist an diese besonderen Bedingungen gebunden, und er ermöglicht auch, was die Kommunikationsforschung als Rückkopplung bezeichnet83, Korrektur und Neufassung des Sprachgebrauchs als Reaktion auf die Wirkung, die die Äußerungen des Senders bei den Empfängern hervorgerufen haben. 1.2.7. Die parlamentarische Debatte kann unter verschiedenen Aspekten beschrieben werden: unter dem Aspekt des politischen Gegenstandes, über den beraten wird, unter dem Aspekt des politisch-ideologischen Sprachgebrauchs der politischen Parteien, der Kommunikanten im parlamentarischen Kommunikationsprozeß also, die über den politsdien Gegenstand beraten, schließlich unter dem Aspekt der Rhetorik, unter dem Aspekt des Einsatzes stilistisch-rhetorischer Mittel. Alle drei Aspekte sind aufeinander bezogen, ein Aspekt bedingt den anderen. Es ist aber nicht möglich im Rahmen dieser Untersuchung, alle Aspekte in gleicher Weise darzustellen. Der politische Gegenstand ist zunächst ohnehin Untersuchungsobjekt des Historikers, des Politikwissenschaftlers, des Juristen wohl auch. Für die ,Paulskirche' liegt eine umfangreiche Literatur vor 8 4 . Die · vgl. Lausberg 1963 S. 20 Frisch 1965 8 1 vgl. Dieckmann 1969 S. 100 8 2 vgl. Hans Gresmann; Erinnerungszitat aus ,Die Zeit' 8 3 vgl. Haseloff 1969 S. 156 84 Die wichtigsten Werke sind in das Literaturverzeichnis aufgenommen 7
80
Gegenstand,
Ziel und Methode
der
Untersuchung
19
Rhetorik ist in einer Dissertation und in einigen kleineren Beiträgen untersucht worden 85 . Der rhetorische Aspekt kann hier weitgehend ausgegliedert werden. Der sachliche Aspekt aber bildet einen integralen Bestandteil der Untersuchung: Denn wenn es um die Frage geht, welche sprachlichen Mittel von den Kommunikanten eingesetzt werden zur Begründung der eigenen und zur Bekämpfung der gegnerischen Zielsetzung, dann kann diese Frage nur im Zusammenhang mit den politischen Gegenständen, die zur Beratung anstehen, beantwortet werden. Mit der in dieser Arbeit angestrebten Analyse von Ideologiesprache auf der Basis parlamentarischer Debatten werden zugleich Einsichten erwartet in Denkweisen konkreter, historisch-gesellschaftlich bestimmbarer Gruppen/Schichten/ Klassen, Denkweisen, die gebunden sind an Ideologien und deren Denkmuster und Kategorien 86 . Sprachanalyse kann und soll beitragen zur gesellschaftlichen Strukturanalyse 87 . Diese Feststellung bedarf einer Erläuterung. Wir haben Sprache als soziales Phänomen bezeichnet und zugleich von der Instrumentalfunktion der Sprache gesprochen. Es ist davon auszugehen, daß der Mensch in einer doppelten Relation steht, einmal in Relation zu seiner natürlichen, d. h. nicht-menschlichen Umwelt, zum anderen in Relation zu seiner menschlichen, d. h. gesellschaftlichen Umwelt. Beide Relationen finden ihren Niederschlag in der Sprache, und zwar in einem dialektischen Verhältnis 88 : Sprache als Instrument, mit dem der Mensch sich in und über die Wirklichkeit orientiert, mit dem er seine Erfahrungen registriert, verbalisiert und damit objektiviert, und Sprache als Instrument, mit dem er auf die Wirklichkeit, auf seine natürliche und gesellschaftliche Umwelt aktiv einwirkt, mit dem er soziales Zusammenleben organisiert. Sprache ist ein Produkt ausgesprochen gesellschaftlichen Charakters, sie ist ein Produkt der gesellschaftlichen Praxis im weitesten Sinne des Wortes 89 . Sie ist aber zugleich gesellschaftlicher Produzent, oder wie Schaff formuliert, sie ist nicht nur eines der Elemente, sondern auch einer der Mitschöpfer der Kultur 90 . Sprache ist zugleich Instrument wie Spiegel der Gesellschaft. Für das Individuum bedeutet das, daß es ,gesellschaftlich' denkt und spricht, d. h. die Gesellschaft im allgemeinen und die gesellschaftlichen Gruppen/Schichten/Klassen im besonderen üben bestimmenden Einfluß auf die Internalisierung und den Gebrauch sprachlicher Zeichen durch das Individuum aus91, und zwar im Sinne unmittelbar/ aktueller gesellschaftlicher Einflüsse wie auch im Sinne des Einflusses, der bedingt ist durch Wissen und Erfahrungen, die vergangene Generationen in Sprache eingebracht und kodifiziert haben 92 . Individuelles Denken und Sprechen ist an die gesellschaftliche Bedingtheit der Sprache in dem eben formulierten synchronen und
85 88 87 88 89 00 91 92
vgl. vgl. vgl. vgl. vgl. vgl. vgl. vgl.
Heiber 1953; u. a. im Literaturverzeichnis aufgeführte Autoren Reich 1968 S. 334 Schumann 1968 Klaus 1968 S. 195 Schaff 1964 S. 163 Schaff 1964 S. 183 Klaus 1968 S. 33 Schaff 1964 S. 163 und 172
Einleitung
20
diadironen Sinne gebunden, nicht starr freilich, sondern im Sinne einer dialektischen Kreativität. Damit muß aber zugleidi betont werden, daß von Spradistrukturen aus nicht notwendigerweise unmittelbar auf Denkstrukturen geschlossen werden kann93. Mit Recht betont Reich, daß Sprachformen nicht notwendiger Ausdruck eines bestimmten Denkens sind. Der Sprachgebrauch ist „nur unter Berücksichtigung der dem Sprecher im aktuellen Falle zur Verfügung stehenden Wahlmöglichkeiten signifikant"94. Das bedeutet, daß den Stereotypen im Denken, Sprechen und Handeln95 sowie dem Prozeß der sprachlidien Schabionisierung98 für die anstehenden Fragen eine besondere Bedeutung zukommt. 1.2.8. Die Analyse politischen Sprachgebraudis, des Gebrauchs von Ideologiesprache kann — ich habe darauf schon hingewiesen — nicht das isolierte sprachliche Zeichen zum Gegenstand haben, sondern nur das Zeidien in seinem Kontext 97 . Dabei soll hier Kontext in einem doppelten Sinne verstanden werden, als weiterer und engerer Kontext. Im weiteren Kontext, den ich den ideologischen Kontext nennen will, fasse idi die historisch-gesellschaftliche Situation, die politisch-ideologischen Bedingungen sowie die besonderen argumentativ-kommunikativen Faktoren des Sprachgebrauchs zusammen. Auf den weiteren Kontext werde ich im Zusammenhang mit dem Modell der Zweiwertigkeit zurückkommen. Unter dem engeren Kontext verstehe ich den sprachlichen Kontext, in dem ein Zeidien durch seine syntagmatischen und paradigmatischen Beziehungen zu anderen Zeichen bestimmt ist. Wert und Bedeutung98 sowie Funktion eines sprachlichen Zeichens werden bestimmt durch seine Position im weiteren oder ideologischen und im engeren oder sprachlichen Kontext. Nur im Kontext hat das Zeichen eine Bedeutung im semantischen und eine Funktion im pragmatischen Sinne. Sprachliche Zeichen stehen zueinander in Beziehung. Eine solche Beziehung auf syntagmatischer Ebene werde ich Kontinuation nennen. Dabei wird zu differenzieren sein zwischen fixen und variablen Kontinuationen, wobei ich unter fixen Kontinuationen, also festen Zeichenverbindungen, politische Slogans und Stereotypen verstehe. Eine Beziehung von Zeichen auf paradigmatischer Ebene werde idi Konnexion nennen. Kontinuationen und Konnexionen sind in besonderer Weise strukturiert. Für den Komplex .Sprache und Politik' sehe ich folgende Strukturen als relevant an: Kopulation (kopulative Beziehung) Zeidien sind so zueinander in Beziehung gesetzt, daß sie als qualitativ gleichwertig zu gelten haben.
93 94 95 96 97 98
vgl. Miller 1 9 6 9 S. 76 Reich 1968 S. 2 4 6 f . vgl. vgl. vgl. vgl.
Klaus 1968 S. 151ff König 1 9 6 9 S. 1 2 0 A m m e r 1958 Saussure 1 9 6 7 S. 132ff
Modell der Zweiwertigkeit
21
χ und y / nicht nur x, sondern auch y ζ. Β. Wir wollen die Freiheit und die Einheit. Konzession (konzessive Beziehung) Zeidien sind so zueinander in Beziehung gesetzt, daß sie in einer wertenden Rangfolge stehen. zwar χ, aber y / obwohl x, so doch y ζ. Β. Wir wollen zwar die Einheit, aber die Freiheit ist uns wichtiger. Aquation (äquative Beziehung) Zeidien sind so zueinander in Beziehung gesetzt, daß ein Zeidien ein anderes / mehrere andere assoziiert, bzw. daß ein Zeichen / mehrere Zeidien in einem anderen Zeichen impliziert ist / sind. χ ist gleichbedeutend mit y / χ ist enthalten in y ζ. Β. Wir wollen die Freiheit, und das ist gleichbedeutend mit Demokratie. Wir wollen die Freiheit, und die ist enthalten in der Republik. Opposition (oppositive Beziehung) Zeichen sind so zueinander in Beziehung gesetzt, daß ein Zeichen das andere aussdiließt, daß von zwei Zeichen nur eines wählbar scheint, daß ein Zeidien gegen das andere steht. χ, aber nicht y / χ oder y / χ gegen y ζ. Β. Wir wollen Freiheit, aber nidit Anarchie. Wollen wir Freiheit oder Anarchie? Unsere Freiheit steht gegen eure Anarchie. Die Zeidienverbindungen, wie sie hier vorgeführt wurden, sind nicht nur aus e i n e m Text ableitbar. Sie setzen auch das Verhältnis von Text und Gegentext voraus. Das führt uns zum folgenden Kapitel, in dem das Modell der Zweiwertigkeit vorgeführt werden soll.
1.3. Modell der
Zweiwertigkeit
1.3.1. Ich habe oben die Frage nadi der Relevanz und Abgrenzbarkeit unterschiedlicher gruppenspezifischer Zeidieninventare, unterschiedlicher gruppenspezifischer Ideologiespradien gestellt. Ich komme hier auf diese Frage zurück und suche sie auf der Basis eines Modells der Zweiwertigkeit zu beantworten. Bei der Zweiwertigkeit oder der zweiwertigen Logik handelt es sidi um das Grundprinzip der klassischen Aussagenlogik, das besagt, daß jede Aussage entweder wahr oder falsch ist, daß den Aussagen also nur zwei Werte zukommen können". Dieses Prinzip der Zweiwertigkeit übernehme ich für den Bereich der Politik und für die Sprache der Politik. Natürlich geht es hier nicht um die Problematik der Wahrheit und Falschheit von Aussagen im Sinne der Aussagenlogik, es geht in der Politik nicht um Wahrheitsfindung 100 — obwohl die Begriffe ,wahr* und 99 100
vgl. Klaus 1968 .Kybernetik* S. 48ff und S. 740f vgl. Erdmann 1952
22
Einleitung
.falsch' als wesentliche Argumentationselemente gelten können —, sondern es geht um politisches Handeln, um politische Entscheidungen und um ihre entsprechende verbale Artikulation. Politisches Handeln ist aber nur auf der Basis von Ja-Nein-Entscheidungen möglich, d. h. es kann in einer politischen Situation jeweils nur eine Entscheidung aus der Menge der möglichen Entscheidungen getroffen werden, und es kann eine solche Entscheidung von den daran beteiligten politischen Gruppen, Fraktionen, Parteien in der parlamentarischen Demokratie nur entweder abgelehnt, oder es kann ihr zugestimmt werden. Politisches Entscheiden kann verglichen werden mit Entscheidungen in einem Spiel, wo es um die Auswahl eines Zuges aus der Menge der in einer bestimmten Spielsituation zur Verfügung stehenden Züge geht 101 . So formuliert auch A. Gehlen: „Die Handlungen und Entscheidungen laufen aber, so wie die Wirklichkeit eingerichtet ist, zuletzt immer auf Alternativen hinaus." 102 Diese Ja-Nein-Relation ist Ausdruck dafür, daß das Denken des Menschen — bei aller inhaltlichen Mannigfaltigkeit — auf der Basis der Zweiwertigkeit beruht (ζ. B. Sein — Nichtsein, Identität — Verschiedenheit), und daß nur auf der Grundlage der Zweiwertigkeit Menschen miteinander in Kommunikation treten 103 . Sprache in der Politik, Ideologiesprache verstehe ich dementsprechend als ein System/Systemoid binärer Elemente, als ein Dual-System, als ein System von Zweiwertigkeiten. Oder anders gesagt: Ich sehe im Modell der Zweiwertigkeit 104 ein Modell, mit dem Ideologiesprache, mit dem ideologiesprachliche Zeicheninventare sinnvoll beschrieben werden können. Damit wird deutlich: Es geht nicht um die Beschreibung der Zeicheninventare und des Sprachgebrauchs einzelner politischer Gruppen, Fraktionen, Parteien schlechthin, sondern es geht um die Beschreibung von Ideologiesprache über den Faktor der politischen Entscheidung, der auf der Zweiwertigkeit beruht. Der jeweils politische Expedient steht auf einem bestimmten politischen Standpunkt, er bedient sich bestimmter Denkmuster, vertritt bestimmte Wertvorstellungen und erstrebt bestimmte Zielsetzungen, er verbalisiert sie und ist um ihre politische Realisierung bemüht. Das heißt aber, er muß die Differenz zwischen seinem Standpunkt und dem Standpunkt anderer politischer Expedienten (des/der politischen Gegner/s) artikulieren. Daraus ergibt sich mit Notwendigkeit ein bipolarer, binärer, dualistischer, alternativer Sprachgebrauch. Ideologiesprache ist also ableitbar vom Prinzip der Ja-Nein-Relation her, von der Relation von Affirmation und Negation, es sei denn, Politik erschöpft sich in der bloßen Akklamation zu vorgegebenen Doktrinen. Dabei spielt es formal gesehen keine Rolle, auf welchem politischen Stand101 102 103 104
vgl. Klaus 1968 .Kybernetik' S. 177 Gehlen 1957 S. 48 vgl. Klaus 1968 .Kybernetik' S. 740 Mit dem Problem der Zweiwertigkeit in der Politik beschäftigt sich H a y a k a w a 1967 in dem Kapitel ,Die zweiwertige Orientierung' S. 303ff. D i e .Allgemeine Semantik' lehnt die Zweiwertigkeit als Basis für die Sprache in der Politik ab und ersetzt sie durch eine mehrwertige Orientierung. Zur Kritik dieser Auffassung vgl. Neubert 1962, Schaff 1966, Klaus 1968
Modell der
Zweiwertigkeit
23
punkt der Expedient steht. Konkret: Wenn in der ,Paulskirche' ein Vertreter des Linken Zentrums in einer bestimmten politischen Situation eine bestimmte Auffassung des Rechten Zentrums ablehnt und ihr eine eigene entgegenstellt, so ist das eine ausschließliche, eine Ja-Nein-Entsdieidung. Das bedeutet aber nicht, daß in anderen Auffassungen zwischen den Parteien keine Übereinstimmungen bestehen können. Der Unterschied zwischen politischen Auffassungen artikuliert sich verbal immer binär, alternativ, ganz gleich, ob er zwischen ,benachbarten' oder ,extremen' Parteien besteht. Eine solche binäre, alternative Verbalisierung, die der dualistischen Struktur gruppenspezifischer Wirklichkeitssicht entspricht 105 , jst aber nicht notwendig identisch mit der Reduzierung der Politik auf ein Freund-Feind-Schema, bedingt sie nicht zwingend. Die Dualisierung ist notwendig zur Artikulation von Standpunkten, aber die Verbalisierung unterschiedlicher Standpunkte impliziert zugleich die Auseinandersetzung im dialektischen Wechselverhältnis von Rede und Gegenrede, von Spruch und Widerspruch, von Zustimmung und Kritik, von — konkretisiert — Regierung und Opposition, das erst eine Politik ermöglicht, die nicht bloße Deklamation und Akklamation ist 106 . Das J a und Nein in der Auseinandersetzung, das Für und Wider der Argumentation schließt den Kompromiß nicht aus, sondern macht ihn zur notwendigen Bedingung. Und so formuliert es Günther Grass: „Lernen wir endlich das J a und Nein im produktiven Wechselspiel zu verstehen: Kritik soll auch Fürsprache sein, und Fürsprache ist der schwierigste Teil der Kritik." 1 0 7 Ideologiesprachlicher Dualismus also — und ich meine damit einen Dualismus, der relevant ist innerhalb nationalstaatlicher Grenzen, denn ein Dualismus über nationalstaatliche Grenzen hinweg, gebunden zudem an unterschiedliche politisch-gesellschaftliche Systeme, erbringt eine zusätzliche Problematik — drückt sich aus in der Spannung zwischen einem ideologiesprachlichen Eigensystem und einem entsprechenden Fremdsystem. Vom Standpunkt des jeweiligen Expedienten aus stehen sich Selbstidentifikation und damit ideologiesprachliches Eigensystem und Fremdidentifikation, was die Einschätzung des politischen Gegners von außen meint, und damit ideologiesprachliches Fremdsystem entgegen. Es versteht sich, daß beide Begriffe konvers zu gebrauchen sind. Das ideologiesprachliche Eigensystem werde ich Internum, das ideologiesprachliche Fremdsystem Externum nennen. 1.3.2. Das Modell der Zweiwertigkeit versuche ich auf die in der ,Paulskirche' tätigen politischen Gruppen, Fraktionen, Parteien anzuwenden, die Ausdruck eines gesellschaftlichen Pluralismus mit seinen sozialen und ökonomischen, kurz ideologischen Konvergenzen und Divergenzen sind. Wenn ich dabei als Ordnungsbegriffe die Bezeichnungen ,rechte Seite' und ,linke Seite' gebrauche, so darf das nicht verstanden werden im Sinne einer Identifizierung mit Parteibezeichnungen wie ,die Rechte', ,die Linke', ,das rechte Zentrum', ,das linke Zentrum'.
105 108 107
vgl. Reich 1968 S. 250 vgl. Pross 1967 Grass 1968, in: ,Die Zeit' vom 20. Dezember
24
Einleitung
Die Bezeichnungen ,rechte Seite' und ,linke Seite* zielen nicht auf die realen Parteiverhältnisse, auf die ich oben verwiesen habe, wenngleich damit natürlich impliziert ist, was man gewöhnlich unter rechten und linken Parteien versteht. Aber ich gebrauche die beiden Ordnungsbegrifie im Sinne der dargestellten J a Nein-Relation, und das heißt, sie stellen in bezug auf die konkreten politischen Vorstellungen der realen Parteien ein Ordnungssystem dar, das aber variabel und durchlässig ist nach beiden Seiten hin. Die Deskription dualistischer Denkmuster, Wertvorstellungen, Zielsetzungen, die aktualisiert sind im Dualismus politischer Sprache, ist auf doppelte Weise möglich, formal und inhaltlich. Eine formale Deskription könnte das binäre Zeichenpaar ,bewahren' und ,verändern' zugrundelegen. Das hieße: Politisches Handeln und politisches Sprechen würde als sich zwischen zwei Gruppen vollziehend angesehen, von denen die eine das Bestehende in Staat und Gesellschaft bzw. den bestehenden Staat und die bestehende Gesellschaft bewahren, erhalten, konservieren will, während die andere nach Veränderungen des Bestehenden strebt, im Sinne eines Fortschreitens, einer Fortentwicklung, einer Neukonzeption wohl auch, Veränderung also nicht als Rückführung zu einem alten Zustand. Diese beiden Gruppen könnten als die k o n s e r v a t i v e n ' und die progressiven' bezeichnet werden, was hier kein Werturteil implizieren soll. Alle anderen möglichen Gruppen wären dann nur Modifikationen dieser beiden dualistischen Gruppen und würden an dem grundsätzlichen Prinzip des Dualismus nichts ändern. Es muß aber verstanden werden, daß es sich bei beiden Zeichen um relative Zeichen 1 0 8 , um dialektische Zeichen handelt, weil progressive' durchaus bewahren wollen, wenn ein bestimmter historisch-gesellschaftlicher Zustand erreicht ist, wie das etwa für die Linke der ,Paulskirche' gilt, wenn sie ζ. B . die ,Errungenschaften der Märzrevolution' bewahren, ,konservieren' will. Eine inhaltliche Deskription der beiden dualistischen Gruppen ist deshalb notwendig. Ich gehe dabei von der rein hypothetischen Annahme aus, daß die .rechte Seite' nach Sicherung bzw. Wiederherstellung hierarchischer Strukturen in Staat und Gesellschaft strebt. Ihr sind gesellschaftliche Ordnung, Hierarchien, Rechte und Privilegien, Macht- und Herrschaftsverhältnisse gleichsam ewige, konstante, unveränderliche Werte. Sie motiviert die Rechtfertigung des Bestehenden mit dem Organismus-Modell und beruft sich auf das Numinose: Alles hat seinen organischen O r t in der göttlichen Welt. Dem entspricht die Wertschätzung des Gefühls vor der Ratio. Die ,linke Seite' erstrebt die Herstellung und Sicherung demokratischer Strukturen in Staat und Gesellschaft. Ihr sind gesellschaftliche Ordnung, Hierarchien, Rechte und Privilegien, Macht- und Herrschaftsverhältnisse keine ewigen und unveränderlichen Werte, sondern von Menschen unter bestimmten Bedingungen und in bestimmter Konstellation geschaffene Institutionen 1 0 9 und daher auch von Menschen veränderbar. U m erstarrte Verhältnisse in Staat und Gesellschaft im Sinne einer sozialen Humanisierung zu verändern, 108 109
vgl. Mannheim 1967 S. 257f und Dieckmann 1969 S. 64f vgl. Adorno 1967 S. 54
Modell der
Argumentation
25
beruft sie sich auf die Ideen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Staat und Gesellschaft werden durdi rational-kritische Aufklärung als human organisierbar gedacht. Wohlgemerkt : Die hier vorgetragene Deskription erstrebt keine Vollständigkeit, vor allem aber hat sie einen rein theoretisch-hypothetischen Charakter, sie ist ein reines Denkmodell, sie entspricht in keiner Weise den realen politischen Gegebenheiten, sie ist idealtypisch konstruiert, kann aber als Bezugssystem gelten, an dem der Sprachgebrauch der ,Paulskirche' gemessen werden kann. Es steht zu vermuten, daß mit dem ideologischen Prinzip der linken Seite die Interessen der Fabrik- und Landarbeiter, der Handwerker und des Kleinbürgertums, aber wohl audi der sogenannten Intellektuellen angesprochen sind, während das Prinzip der rechten Seite auf die Interessen des Adels, des Militärs, der Beamtenschaft, des Besitz- und Bildungsbürgertums zielt. Aber auch diese Aussage muß als rein hypothetische Annahme, als idealtypische Setzung gewertet werden und hat im wesentlichen heuristische Funktion. D a ß aber H y pothese und Empirie dicht beieinanderlagen, das wird deutlich an der im Selbstverständnis der Linken vorgenommenen Klassifikation der Gesellschaft in die besitzenden* und die ,Niditbesitzenden'.
1.4. Modell der
Argumentation
1.4.1. Die Analyse gruppenspezifischer/funktionsspezifischer Ideologiesprache kann nicht — ich habe das wiederholt betont — isolierte Einzelzeichen zum Objekt haben, sondern sie zielt auf Zeicheninventare als interne/externe Beziehungssysteme. Damit ist wieder auf den Kontext verwiesen. Einige Probleme, den engeren oder sprachlichen Kontext betreffend, sind dargestellt, ebenso mit dem Modell der Zweiwertigkeit die ideologische Komponente des weiteren Kontextes. Ideologiesprachliche Zeidien haben aber außerdem einen argumentativen Wert, sie haben eine Position, eine Funktion im Argumentationsprozeß. Ziel dieses Kapitels ist der Versuch, die argumentative Funktion sprachlicher Zeichen im weiteren Kontext zu beschreiben. Ich habe dafür ein Argumentationsmodell entwickelt, in dem die jeweiligen ideologiesprachlichen Zeicheninventare nach Argumentationskategorien auf einer präsentisch-horizontalen Achse und auf einer präterital/futurisch-vertikalen Achse präzisiert werden. Innerhalb der Argumentationskategorien werde ich einzelne Argumentationsklassen unterscheiden. Das Argumentationsmodell fasse ich als ein strategisches Modell auf, in dessen Rahmen sich Taktisches, also ζ. B. psydiopolitischer Sprachgebrauch, propagandistische Technik u. a., realisieren kann 1 1 0 .
110
vgl. Dieckmann 1964 S. 76ff
Einleitung
26 1.4.2 1.4.2.1.
Argumentationskategorien Destination
Es ist zunächst davon auszugehen, daß Politik, politisches Planen und Handeln auf bestimmte politische Gegenstände, Sachverhalte, Institutionen usw. hin orientiert ist, die im Zusammenhang mit umfassenden politischen Zielsetzungen stehen. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob und inwiefern dabei zwischen Anspruch und Wirklichkeit Differenzen bestehen, unerheblich auch, wie präzise oder unpräzise die jeweiligen mit den Gegenständen verbundenen Zielsetzungen formuliert sind. Die Sprachanalyse muß — und das ist meiner Meinung nach bisher zu wenig beachtet worden — diese Gegenstände, Sachverhalte usw. in ihre Untersuchung einbeziehen. Diese Gegenstände sind zwar außersprachlich, sie sind/ werden aber doch in Sprache kodiert. Für die funktionsspezifisdie Sprache der Deliberation bedeutet das, daß die entsprechenden Beratungsgegenstände in die Analyse von Ideologiesprache eingehen müssen. Eine Kontinuation wie ,Recht der rettenden T a t ' kann nur sinnvoll analysiert werden, wenn ihr ideologischer und zugleich ihr argumentativer Wert bestimmt wird, und das heißt, wenn der Bezug dieser Kontinuation auf einen bestimmten Expedienten und auf einen bestimmten politischen Sachverhalt artikuliert wird: Die rechte Seite der ,Paulskirche' wollte damit das absolute Veto des Staatsoberhaupts motivieren. Politische Gegenstände können globaler oder partieller Natur sein, sie können formuliert werden als revolutionärer Entwurf oder als parlamentarischer Antrag. Die Argumentationskategorie der politischen Gegenstände werde idi Destination nennen. Die Destination bildet den Schnittpunkt meines Argumentationsmodells, in ihr schneiden sich die präsentisch-horizontale und die präterital/futurischvertikale Achse. Alle anderen Argumentationskategorien sind auf die Destination bezogen 111 . Die Argumentationskategorie der Destination bildet das Ordnungsprinzip im 2. Teil dieser Arbeit. Dort geht es um die Beratungsgegenstände der ,Paulskirche' und um die Deskription ihrer verbalen Realisation, d. h. um die Deskription des Sprachgebrauchs in den Debatten. Um es deutlich zu sagen: die Untersuchung von politischen Tatsachen und die Untersuchung der verbalen Kodierung von Tatsachen sind zwei verschiedene Operationen. Nicht die Beratungsgegenstände an sich sind Objekt der Untersuchung, sondern ihre sprachliche Kodierung. Die sprachliche Kodierung von Tatsachen kann aber, wie mehrfach gesagt wurde, nicht von den Tatsachen selbst absehen. Im Zusammenhang mit der Destination waren zwei Fragen zu beantworten: 1. Sollen alle oder nur bestimmte Beratungsgegenstände, die während der Tätigkeit der Nationalver111
Wenn ich den Terminus .Destination' anstelle des auch möglichen ,Destinativum', also ein nomen actionis gegenüber einem nomen acti gebrauche, so soll damit die aktivisdie, dynamische Komponente bezeichnet werden gegenüber der bloß statischen. Dieses terminologische Prinzip gilt auch für die übrigen Argumentationskategorien.
Modell der
Argumentation
27
Sammlung 1848/49 zur Debatte standen, für eine Deskription erfaßt werden? 2. Welche Zeichen und Zeichenverbindungen als Repräsentationen gruppen- und funktionsspezifischen politischen Sprachgebrauchs sollen jeweils analysiert werden und aufgrund welcher Prinzipien soll die Auswahl erfolgen? Zu 1. Ursprünglich war daran gedacht, sämtlidie in der Nationalversammlung abgehandelten Beratungsgegenstände für die Analyse des Sprachgebrauchs auszuwerten. Das hat sich aber als unmöglich und zugleich auch als unnötig erwiesen. Eine Deskription des Sprachgebraudis sämtlicher Debatten (Beratungsgegenstände) hätte den normalen Umfang einer Untersuchung gesprengt. V o r allem aber hat sich nach einer ersten Durchsicht und Analyse des gesamten M a terials ein hoher Redundanzfaktor ergeben, so daß mit einer Auswahl durchaus eine repräsentative Darstellung der ideologiesprachlichen Zeicheninventare und des Gebrauchs von Ideologiesprache möglich war. Es kam nicht auf präzis bestimmbare Quantität, sondern auf die Qualität verbaler Äußerungen an. I n die Kategorie der Destination sind daher eingegangen die Beratungsgegenstände, die sich mit der Kompetenz der Nationalversammlung, der Schaffung einer provisorischen Centraigewalt, den Grundrechten, der Verfassung und der Nationalen Frage beschäftigen. Es versteht sich, daß innerhalb dieser Gegenstände eine weitere Auswahl getroffen werden mußte. Gegenüber der ursprünglichen Fassung der Arbeit mußte hier radikal gekürzt werden. Auf die Prinzipien der Auswahl ist jeweils bei den einzelnen Beratungsgegenständen verwiesen. Folgende Beratungsgegenstände wurden nicht behandelt: a) Alle Debatten, in denen es um Probleme ging, die Einzelstaaten wie Österreich, Preußen, Baden, Hannover direkt betrafen; b) Auswärtige Mächte betreffende Fragen, soweit sie nicht im Zusammenhang mit dem Nationalitätsproblem standen; c) Historische Ereignisse wie die Mainzer Ereignisse, der Aufstand vom 18. September 1848 in Frankfurt am Main, die revolutionären Ereignisse in Sachsen, der P f a l z und in Baden, über die im Parlament beraten wurde; d) Probleme der Wehrverfassung und der Volkswirtschaft, sofern sie nicht im Zusammenhang mit der Verfassung behandelt wurden; e) Besondere Probleme der Nationalversammlung selbst, vor allem das Thema politische Verbrecher'. Zu 2. Schwieriger als die Auswahl und Eingrenzung der politischen Gegenstände erwies sich die Deskription des Sprachgebrauchs in den Debatten. D e r Deskription mußte der abstrahierende Prozeß der Auswahl vorangehen. Ausgewählt wurde auf der Grundlage der Eigenkompetenz des Untersuchenden nach dem Auffälligkeitskriterium, wobei den politischen Symbol- und Schlüsselwörtern die entscheidende Funktion zukommt 1 1 2 . Die Deskription des Sprachgebrauchs in den Debatten erfolgte auf der Basis des Modells der Zweiwertigheit unter Anwendung der für die Zwecke dieser Arbeit modifizierten Lasswell'schen Kommunikationsformel 1 1 3 :
112 113
vgl. Haseloff 1969 S. 170f Die Formel lautet: Wer (control analysis) sagt was (content analysis) zu wem (audience analysis) mit welcher Wirkung (effect analysis); vgl. Lasswell 1949
Einleitung
28 Wer (Expedient) sagt was (Sprachgebrauch) zu wem (Rezipient)
in bezug auf welche Thematik (politischer Gegenstand) zu welchem Zweck (Intention). 1.4.2.2.
Fundation
I n der Argumentationskategorie, die ich Fundation nenne, stelle ich die verbale Kodierung politischer Prinzipien, politischer Doktrinen, politischer Standpunkte, kurz politischer Theorie und Philosophie dar zusammen mit den als Individuen und Gruppen auftretenden Vertretern solcher Prinzipien. Die politischen Prinzipien haben aber nicht nur einen theoretischen Anspruch, sondern, indem sie sich auf reale politische Zustände positiv oder negativ beziehen, zugleich einen Aufforderungscharakter im Sinne der Stabilisierung oder der Veränderung und damit der Neufixierung politischer Standpunkte 1 1 4 .
Gaetano
Mosca hat diese ,Lehren und Glaubenssätze', wie er formuliert, diese Prinzipien, mit denen der Machtanspruch der jeweils Herrschenden verbalisiert wird, die politische Formel' genannt 1 1 5 , wobei allerdings ergänzt werden sollte, daß p o l i tische Formeln' selbstverständlich auch für die nach der Macht Strebenden relevant sind. Bei der Formulierung politischer Theorien kommt der Metapher und der Analogie besondere Bedeutung zu. Ernst Topitsch hat auf diesen Zusammenhang aufmerksam gemacht und dabei biomorphe, anthropomorphe,
tedino-
morphe und soziomorphe Analogiemodelle unterschieden 116 . D e r Kategorie der Fundation kommt wegen ihres theoretischen Anspruchs und ihres Aufforderungscharakters die entscheidende Steuerungsfunktion für die Kategorie der Destination zu. Wenn also etwa eine politische Partei konservativen Grundsätzen verpflichtet ist, dann wird sie die politischen Beratungsgegenstände nach ihren, den konservativen Grundsätzen zu steuern, zu beeinflussen suchen. 1.4.2.3.
Motivation
Die dritte Kategorie auf der präsentisch-horizontalen Achse des Argumentationsmodells nenne ich Motivation. Sie gehört zu den wichtigsten Kategorien des Modells und dient dazu, eine bestimmte Destination zu ,motivieren', d. h. als notwendig bzw. als nicht-notwendig zu erweisen. Die Motivation geschieht durch Berufung auf ,Autoritäten' — im weitesten Sinne des Wortes — , auf individuelle oder kollektive, auf präsentische oder historische, auf erfahrungs- oder traditionsbedingte, auf interessenbedingte oder moralische , Autoritäten'. Mit der Berufung a u f , Autoritäten' sollen politische Ziele stabilisiert oder verunsichert und negiert werden. Es versteht sich, daß in dieser Kategorie der Anteil affektiver
114 115 116
vgl. Dieckmann 1969 S. 49 vgl. Mosca 1967 S. 226f vgl. Topitsch 1960 und 1 9 6 7 ; vgl. audi Dieckmann 1969 S. 16f
Modell der
Argumentation
29
Zeichen wie der affektive Sprachgebraudi überhaupt besonders bedeutsam ist. Hierher gehören auch die sogenannten Miranda, d. h. Zeidien, die Bewunderung erregen und die Gesinnung ansprechen sollen117. Der hohen Frequenz des Gebrauchs von Motivationszeichen steht aber ein nur begrenztes Inventar von ,Autoritäten' gegenüber. Ebenso sind die sprachlichen Strukturen, in/mit denen Motivation geschieht, begrenzt. Die Vielfalt der Destinationen wird immer wieder mit den gleichen Zeidien in den gleichen Strukturen motiviert, wobei voluntative (sich auf den Willen berufende) und nezessive (die Notwendigkeit betonende) Kontinuationen eine besondere Rolle spielen. Die Motivationszeichen werden weithin umgestimmt, unklar, vage, weitgespannt gebraucht118, indem präzisierende Determinationen vermieden werden. Es ist einleuchtend, daß in einer Argumentationskategorie, die vorwiegend durch affektive Zeichen und ihren undeterminierten Gebrauch gekennzeichnet ist, Behauptung und Gegenbehauptung als besondere Argumentationsweisen dominieren. Eine Behauptung, die nicht rational auflösbar und ebensowenig nachprüfbar ist, nenne idi Assertion. Die entsprechende Gegenbehauptung, die Widerlegung, nenne ich Refutation. Ein Beispiel mag den Zusammenhang verdeutlichen. Wenn die eine Seite behauptet, das ,Volk' will die Monarchie und nicht die Republik, so ist diese Assertion nicht nachprüfbar, es sei denn, daß in einer Abstimmung genau festgestellt würde, ob das tatsächlich der Wille der Mehrheit der Bevölkerung ist. Das Gleiche gilt für die entsprechende Refutation. Sie würde lauten: Das ,Volk' will die Monarchie nicht, sondern die Republik. Die präsentisdi-horizontale Achse des Argumentationsmodells ist also durch die Kategorien der Destination, der Fundation und der Motivation gekennzeichnet. Auf die politische Praxis angewandt heißt das: Eine politische Gruppe formuliert ein politisches Ziel (Destination), das sie zu erreichen sudit, macht es zum politischen Beratungsgegenstand. Diese Destination ist determiniert entsprechend der Fundation, die für die Gruppe relevant ist. Destination und Fundation ihrerseits evozieren die Motivation, allerdings in einem sehr weiten Sinne, denn die Motivation umfaßt alle verbalen Elemente und Sprachgebrauchsweisen, die für die Erreichung eines politischen Zieles größtmögliche Effektivität bedeuten.
1.4.2.4. R e t r o s p e k t i v e
Kausation
Der präsentisch-horizontalen Achse ist im Argumentationsmodell die präterital/futurisch-vertikale Achse zugeordnet, und zwar über die Kategorie der Destination, von deren Schnittpunktfunktion bereits die Rede war. Das will besagen, daß einerseits die Notwendigkeit einer bestimmten Destination begründet wird mit einer präteritalen Kategorie, der retrospektiven Kausation, daß andererseits die Folgen einer bestimmten Destination artikuliert werden mit einer 117 110
vgl. Dieckmann 1969 S. 49 vgl. Dieckmann 1969 S. 62, Weinrich 1966 S. 16ff
30
Einleitung
futurisdien Kategorie, der prospektiven Konsekution. D a ß Kausation und Konsekution von der Kategorie der Fundation gesteuert werden, von ihr determiniert werden, braucht nadi den bisherigen Ausführungen nicht nodi einmal besonders betont zu werden. Die retrospektive Kausation bedeutet im Argumentationsmodell die präteritale Kategorie. Sie begründet (,Kausation' = Begründung) eine bestimmte Destination mit der Beschreibung der allgemeinen politischen, staatlichen, gesellschaftlichen Verhältnisse der Vergangenheit, wobei die Vergangenheit bis in die unmittelbare Gegenwart der Zielformulierung hineinreichen kann. Um auch hier wieder ein einfaches Beispiel zu geben: Wenn von einer Seite als Destination ,die Schaffung geordneter Rechtsverhältnisse' gefordert wird, so kann diese Destination begründet werden mit einer Darstellung der politischen Verhältnisse der Vergangenheit/Gegenwart, die durch den ,Polizeistaat' gekennzeichnet sind. 1.4.2.5. P r o s p e k t i v e
Konsekution
Die Kategorie meint im Argumentationsmodell die futurische Kategorie. Hier werden die Folgen dargestellt, die sich aus der Realisation bzw. Nicht-Realisation einer bestimmten Destination ergeben können (,Konsekution' = Folgerung). Es wird konstatiert, was sein soll und sein wird bzw. was nicht sein soll und nicht sein wird. Es liegt nahe anzunehmen, daß in dieser Kategorie die Assertion und die Refutation als Argumentationsmodi eine besondere Rolle spielen, weil eine Nachprüfbarkeit nicht möglich ist. Der Redner ist zu nichts verpflichtet, wenn er etwa mit der Schaffung der ,Republik' die .wahre Freiheit' verbindet, oder wenn er aus der ,Republik' das Entstehen von ,Anarchie' folgert. Es ist daher keineswegs überraschend, wenn die großen ideell-politischen Begriffe einer Zeit mit der Kategorie der Konsekution verbunden sind. Die Kategorien der vertikalen Achse sind eng miteinander verbunden. Die Kausation ist nur denkbar durch den Bezug auf die Destination, und die Destination impliziert notwendigerweise die Konsekution. Es handelt sich zwar um selbständige Kategorien, aber sie sind eng aufeinander bezogen. Deutlich wird dabei die Schlüsselfunktion der Destination: Eine bestimmte Destination, wesentlich gesteuert von der Kategorie der Fundation, bedingt eine bestimmte Kausation, wie umgekehrt eine Kausation so formuliert werden kann, daß daraus nur eine bestimmte Destination abgeleitet werden kann. Ähnliches gilt für das Verhältnis von Destination und Konsekution. Es werden aus einer bestimmten Destination nur bestimmte Konsekutionen gefolgert, positive wie negative, und umgekehrt kann eine Konsekution so formuliert sein, daß sie sich nur auf eine ganz bestimmte Destination beziehen kann. Der Argumentationsweg kann somit auch von der Konsekution ausgehen, in der — wie bereits erwähnt — die ideellpolitischen Begriffe der Zeit als abstrakte Handlungsziele formuliert werden, von denen her das konkrete politische Ziel, der politische Beratungsgegenstand, die Destination, als notwendige Konsequenz abgeleitet wird. Damit ändert sich auch die Stellung der Motivation im Argumentationsmodell. Der Argumentations-
Modell
der
Argumentation
31
weg führt jetzt nicht mehr von der Motivation zur Destination und von da zu Kausation und Konsekution, sondern von der Motivation über die Konsekution zur Destination, die dann nodi durch die Kausation begründet sein kann. Ein Beispiel mag das verdeutlichen. Die rechte Seite sagt: Das Volk (Motivationszeichen) will die konstitutionelle Monarchie (Destinationszeichen) ; nur die Monarchie führt zu und garantiert Ruhe und Ordnung (Konsekutionszeichen). Dazu die Konverse: Das Volk (Motivationszeichen) will Ruhe und Ordnung (Konsekutionszeichen); das ist aber nur gewährleistet durch die Schaffung einer konstitutionellen Monarchie (Destinationszeichen). Es ist offensichtlich, daß die Konverse effektiver ist als die .normale', von der Destination ausgehende Argumentation. Ich habe schon darauf verwiesen, daß die großen politischen Begriffe der Zeit Begriffe der Kategorie der Konsekution sind, und diese Begriffe treten auf dem konvers-argumentativen Weg stärker in das Bewußtsein des Rezipienten und positivieren oder negativieren die entsprechende Destination. 1.4.3. Es läßt sich somit das entwickelte Argumentationsmodell auf folgende Weise visualisieren:
1.4.4. Einige Elemente, die in das Argumentationsmodell eingegangen sind, bedürfen noch einer weiteren Erläuterung. Zunächst ist es notwendig, das Modell der Zweiwertigkeit in das Argumentationsmodell zu integrieren. Politische Aus-
32
Einleitung
einandersetzung, politische Argumentation vollzieht sich, so haben wir gesehen, binär, dualistisch. Es stehen sich politische Kontrahenten, es stehen sich Argumentationssysteme gegenüber. Das Argumentationssystem einer politischen Gruppe kann — in deren eigener Sicht — als Internum, das des politischen Gegners als Externum verstanden werden, was notwendigerweise die jeweilige Konverse impliziert. Daraus ergibt sich, daß ideologiesprachliche Zeicheninventare, ideologiesprachliche Argumentationssysteme eine doppelte Funktion haben: Sie sind einmal zu' einem inneren Beziehungssystem organisiert, sie sind innenbezogen, sind intern, und das heißt, sie ermöglichen Selbstdarstellung, Selbstidentifikation; sie sind zum anderen aber zugleich auf andere ideologiesprachliche Zeicheninventare, ideologiesprachliche Argumentationssysteme bezogen, sie sind außengerichtet, sind extern, und das heißt, sie ermöglichen Fremddarstellung, Fremdidentifikation. Die eigene politische Zielsetzung einer Gruppe impliziert den Angriff gegen die Zielsetzung des politischen Gegners und umgekehrt. Das bedeutet eine Erweiterung des Argumentationsmodells, insofern die jeweils positive Argumentation der eigenen Gruppe mit der gegen den politischen Gegner gerichteten negativen Argumentation verknüpft ist. Im jeweiligen Internum stehen sich die positivierten eigenen Vorstellungen im System der Selbstidentifikation und die negativierten Vorstellungen des politischen Gegners im System der Fremdidentifikation entgegen. Im System der Fremdidentifikation spiegelt sich das negativierte Externum. Aus der Tatsache der besonderen Bedeutung der Kategorie der Konsekution im Argumentationsmodell — wir haben sie die Kategorie der großen politischen Begriffe genannt, wir könnten aber auch von der Kategorie der ,Schlagworte' sprechen — erklärt sich die hohe Frequenz der Doppelargumentation von Selbst- und Fremdidentifikation gerade in dieser Kategorie. Die Zeichen sind hier in zweifacher Weise aufeinander bezogen: Zunächst wird f ü r das Internum festgestellt, daß die eigene Destination bestimmte positive Folgen haben wird, nicht aber die negativen Folgen, wie der politische Gegner behauptet (Selbstidentifikation). In der Konverse wird dann geäußert, daß die entsprechende Destination des politischen Gegners bestimmte negative Folgen haben wird, nicht aber die positiven Folgen, wie vom politischen Gegner behauptet wird (Fremdidentifikation). Diese doppelte Beziehung kann an einem einfachen Beispiel modellhaft demonstriert werden. In einem Internum wird selbstidentifikatorisch behauptet, die eigene Destination wird ,Ordnung' zur Folge haben, nicht aber ,Anarchie', wie der politische Gegner behauptet. Die fremdidentifikatorische Konverse würde dann heißen: Die entsprechende Destination des politischen Gegners wird zur ,Anarchie' führen, nicht aber zur ,Ordnung', wie vom politischen Gegner behauptet wird. Dieses Beziehungssystem ließe sich wie folgt visualisieren:
Modell
der
33
Argumentation
System der Selbstidentifikation
System der Fremdidentifikation
negativiertes N-Zeichen
negativiertes P-Zeichen
— θ
— φ
Wir haben es in diesem Beziehungssystem theoretisch mit vier Leerstellen zu tun. In den beiden oberen Stellen stehen sich jeweils ein positives und ein negatives Zeichen entgegen. (Von den an anderer Stelle behandelten Zeichenverbindungen kann hier abgesehen werden). Ich werde in der Arbeit von P-Zeichen (positives Zeichen) und N-Zeichen (negatives Zeichen) sprechen. Die beiden unteren Stellen enthalten jeweils das negativierte N-Zeichen und das negativierte P-Zeichen. Es kommt somit zu einer doppelten, einer horizontalen und einer vertikalen Opposition. Natürlich müssen im Argumentationsmodell nicht immer alle Leerstellen besetzt sein, wohl aber sind sie potentiell besetzbar. Die Komplexität des Argumentationsmodells wird vor allem dadurch potenziert, weil das jeweilige Internum zugleich als Externum verstanden werden muß und umgekehrt. Das führt jeweils auf der einen und/oder der anderen Seite zu Doppelinterpretationen von Zeichen, oder anders gesagt: das lineare Argumentationsmodell weitet sich zu einem dreidimensionalen Modell, weil die jeweiligen ideologiesprachlichen Argumentationssysteme nicht nebeneinanderstehen, sondern aufeinander projiziert werden müssen. Das läßt sidi etwa an den Beziehungen der Zeichen Freiheit — Despotie, Anarchie — Ordnung demonstrieren. Wenn die eine Seite (Internum 1) selbstidentifikatorisch das P-Zeichen ,Freiheit' gebraucht, so läßt sie diesem Zeichen im Externum oppositiv das N Zeichen ,Despotie' entsprechen. Umgekehrt ersetzt die andere Seite (Internum 2) in ihrem Selbstverständnis das N-Zeichen ,Despotie' intern durch das P-Zeichen ,Ordnung', interpretiert aber das vom Internum 1 gebrauchte Zeichen ,Freiheit' extern-negativ als, Anarchie'. Die Projektion von ideologischen Zeicheninventaren, von ideologischen Argumentationssystemen ergibt somit nicht lineare, sondern räumliche Beziehungen, es ergeben sich Schichten, die freilich nicht statisch/abgeschlossen, sondern
34
Einleitung
dynamisch/offen zu verstehen sind. Wesentlich ist: Erst mit einem solchen Raummodell läßt sich die Funktion, läßt sich der Stellenwert ideologiesprachlicher Zeichen letztlich adäquat beschreiben.
1.5.
Lesehinweise
Der 2. Teil der Untersuchung enthält die exemplarische Beschreibung des argumentativen Sprachgebrauchs einiger ausgewählter Debatten über bestimmte Beratungsgegenstände. Er erfüllt die Kategorie der Destination. Das Ordnungsprinzip ist bestimmt durch die jeweiligen Argumentationsschwerpunkte der rechten und der linken Seite im Sinne positiver Selbstidentifikation und negativer Fremdidentifikation. Das Kapitel 2.1. dient der kurzen Information über Entstehung, Tätigkeit und Ende der Nationalversammlung. Die Kapitel 2.2. bis 2.6. enthalten petit-gedruckte einleitende Abschnitte, die über die historischen Zusammenhänge der jeweiligen Beratungsgegenstände informieren. Die gleidie informative Aufgabe erfüllen die einleitenden Abschnitte zu den einzelnen Teilen des Kapitels 2.5. Zitierte Einzelzeichen und kürzere Zeichenverbindungen sind kursiv gedruckt. Auf eine genaue Stellenangabe mußte hier verzichtet werden. Längere Textpassagen sind in Anführungszeichen gesetzt, mit dem Namen des jeweiligen Redners und einer Zahl für den entsprechenden Stellennachweis gekennzeichnet. Das Register unter 5.2. gibt Auskunft über die berufliche und politische Stellung der Redner sowie über ihre örtliche Herkunft. Der 3. Teil der Untersuchung gibt eine Analyse des ideologischen ZeichenInventars im Zusammenhang interner und externer Beziehungssysteme auf der Basis des Argumentationsmodells sowie des Modells der Zweiwertigkeit, d. h. dieser Teil ist gegliedert nach den Argumentationskategorien Fundation, Motivation, Kausation und Konsekution. Innerhalb jeder Argumentationskategorie wird zwischen den Zeichen-Inventaren der rechten und linken Seite differenziert. Die Argumentationsklassen sind jeweils als besondere Abschnitte gekennzeichnet. Alle kursiv gedruckten Einzelzeichen und Zeichenverbindungen sind Zitate. Entsprechend der Intention dieses Teils konnte auf Stellennachweise verzichtet werden, obwohl durch die radikale Kürzung des 2. Teils gegenüber der ursprünglichen Fassung der Untersuchung der Ort eines Zeichens in den Debatten nicht mehr in jedem Falle fixiert werden kann. Auf eine Gesamtzusammenfassung wurde verzichtet. Statt dessen sind im 4. Teil der Untersuchung 15 Thesen zur,Sprache in der Politik' formuliert. Der 5. Teil enthält ein Namenregister der zitierten Redner, ein Schlagwortregister sowie das Literaturverzeichnis.
2. Politische Thematik und Ideologiesprache Destination * 2.1. Die Frankfurter
Nationalversammlung1
Die Frankfurter Nationalversammlung (NV), das verfassungsgebende Parlament in der Revolution von 1848/49, ist entstanden aus der bürgerlichen Bewegung, die seit 1847 die Wahl einer nationalen deutschen Volksvertretung gefordert hatte (Offenburger Versammlung der Radikalen, Heppenheimer Versammlung der Liberalen). Die französische Februar-Revolution von 1848 gab den Anstoß zu revolutionären Bewegungen in Österreich, den deutschen Mittelstaaten (Baden, Bayern) und schließlich auch in Preußen. Im März 1848 brach das System des Deutschen Bundes zusammen. Der in F r a n k f u r t tagende Bundestag mußte an die revolutionäre Bewegung weitreichende Zugeständnisse machen: er setzte einen Ausschuß von 17 Vertrauensmännern ein, der den Entwurf einer neuen deutschen Verfassung ausarbeiten sollte, und er beschloß am 30. 3., die Regierungen der deutschen Einzelstaaten aufzufordern, Volkswahlen f ü r eine deutsche verfassungsgebende Versammlung abzuhalten. Vom 30. 3. bis 3. 4. 1848 tagte das sogenannte Vorparlament, in dem alle Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften der Einzelstaaten sowie eine Reihe weiterer Persönlichkeiten vertreten waren. Das Parlament erarbeitete Wahlgrundsätze und berief einen Fünfziger-Ausschuß, der die Wahl beschloß, die auf der Grundlage entsprechender einzelstaatlicher Gesetze nach allgemeinem und gleichem Wahlrecht im Gebiet des Deutschen Bundes und in den nicht zum Bundesgebiet gehörenden östlichen Provinzen Preußens und in Schleswig stattfand. Am 18. 5.1848 wurde die Deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche in F r a n k f u r t eröffnet. Sie wählte Heinrich von Gagern zu ihrem ersten Präsidenten. Der Nationalversammlung war die Aufgabe gestellt, eine Verfassung zu schaffen, die den Deutschen Bund durch einen deutschen Bundesstaat ablösen
* Die römischen Zahlen bezeichnen den jeweiligen Band der Stenographischen Berichte, die arabischen Zahlen nach dem Komma bezeichnen die Seitenzahlen. Der Buchstabe a) bezeichnet jeweils die linke Spalte, der Buchstabe b) die rechte Spalte der betreffenden Seite. Die arabische Zahl nach dem Semikolon bezeichnet die Sitzung. 1 Dieses Kapitel dient einmal einer kurzen Information über Entstehung, Tätigkeit und Ende der Nationalversammlung, es dient zum anderen dazu, den historischen Ort der Beratungsthemen, deren Sprachgebrauch beschrieben wurde, zu fixieren. Das Kapitel erhebt nicht den Anspruch der Eigenständigkeit. Es ist wesentlich den Darstellungen und Formulierungen der .Enzyklopädie' des Brockhaus Bd. 4 S. 479f und Bd. 6 S. 460f verpflichtet. Auf einzelne Zitatangaben wurde bewußt verzichtet.
36
Politische Thematik
und
Ideologiesprache
sollte. Dabei ging es sowohl um das Ziel der politischen Freiheit wie das der nationalen Einheit. Das bedingte in jedem Fall eine Auseinandersetzung mit den deutschen Einzelstaaten und erforderte von der Nationalversammlung eine Präzisierung ihrer politisch-rechtlichen Stellung (Kapitel 2.2.). Die Einsetzung einer ,provisorisdien Centralgewalt' war der erste Schritt zu einer zentralen Exekutive (Kapitel 2.3.). Es zeigte sich aber sehr bald, daß sich die Zentralgewalt, der es zudem an einem entsprechenden Verwaltungsapparat fehlte, gegen die größeren Einzelstaaten nicht durchsetzen konnte. In den ersten Monaten beschäftigte sich die Nationalversammlung im wesentlichen mit den Grundrechten und schuf mit dem .Gesetz über die Grundrechte des deutschen Volkes' vom 27. 12. 1848 ein umfassendes System von Freiheitsrechten (Kapitel 2.4.). Die Behandlung der .Deutschen Frage', die Beratung über Umfang und Organisation des geplanten Deutschen Reiches, die Beratung über die Verfassung also (Kapitel 2.5.), wurde zunächst beeinflußt durch das ungeklärte Schicksal der habsburgischen Monarchie, dann aber seit Herbst 1848 beeinträchtigt durch den Sieg der Reaktion in Österreich und Preußen: am 31. 10. eroberte Fürst Windisdi-Grätz das aufständische Wien (Robert Blum, der Führer der Linken, wird erschossen), und die neue österreichische Regierung unter Felix Fürst zu Schwarzenberg ging daran, die habsburgische Monarchie in absolutistischer und zentralistisdier Form wiederherzustellen; in Preußen oktroyierte das Ministerium Brandenburg-Manteuffel am 5. 12. eine neue Verfassung. Zudem wurden die Verfassungsberatungen erschwert dadurch, daß sich die N V im Zusammenhang mit Nationalitätsfragen und Außenpolitik (Kapitel 2.6.) in einer schweren Krise befand: wegen des Drucks der Großmächte mußte sie den zwischen Preußen und Dänemark geschlossenen Waffenstillstand zu Malmö anerkennen und damit Schleswig-Holstein preisgeben. Die Folge war ein blutiger Aufstand der radikalen Demokraten in Frankfurt und in Baden. Die Auseinandersetzungen zwischen der kleindeutschen erbkaiserlichen Partei und der großdeutschen Opposition um den Eintritt Österreichs in den deutschen Bundesstaat wurden heftig geführt. Heinrich von Gagern, der am 18. 12. 1848 die Leitung des Reichsministeriums übernommen und damit Anton Ritter von Schmerling abgelöst hatte — als Präsident der Nationalversammlung wurde Eduard Simson gewählt —, versuchte die Gegensätze durch das Programm des Engeren und Weiteren Bundes zu versöhnen. Nachdem aber die österreichische Regierung am 4. 3. 1849 eine Gesamtverfassung für die Monarchie vorweggenommen hatte, war nur noch die kleindeutsche Lösung mit einer preußischen Spitze möglich. Am 28. 3. 1849 wurde Friedrich Wilhelm IV. von Preußen mit 290 Stimmen bei 248 Enthaltungen zum erblichen deutschen Kaiser gewählt. Die Wahl wurde jedoch erst dadurch gesichert, daß der Linken in der Frage des Wahlrechts Konzessionen gemacht worden waren. Der preußische König schlug jedoch die Kaiserkrone aus, da er sie nicht aus den Händen des Volkes — der Nationalversammlung —, sondern von den Regierungen der Einzelstaaten annehmen wollte. 28 deutsche Regierungen hatten die Verfassung bedingungslos anerkannt. Preußen aber lehnte die Verfassung ab und zog, wie Österreich und die größeren deutschen Staaten, seine Abgeordneten
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aus der Paulskirche zurück. Heinrich von Gagern trat zurück. In Sachsen, der Pfalz und in Baden brachen Aufstände der Republikaner aus, sie wurden aber mit preußischer Hilfe niedergeschlagen. Der Rest der Abgeordneten, ein etwa aus hundert radikalen Demokraten bestehendes Rumpfparlament', hatte seinen Sitz nach Stuttgart verlegt, wurde dort aber am 18. 6. 1849 von der württembergischen Regierung unter Einsatz von Militär aufgelöst. Die Übergabe der Festung Rastatt durch die badischen Republikaner an preußische Truppen am 23. 7.1849 beendete die Revolution.
2.2. Die politisch-rechtliche Stellung der Nationalversammlung: Alleinentscheidungsrecht oder Vereinbarungsprinzip? In der 2. Sitzung der N V am 19. 5. 1848 hatte Franz Raveaux den Antrag gestellt, die N V möge beschließen, „daß diejenigen Mitglieder aus Preußen, welche für Berlin und Frankfurt gleichzeitig gewählt sind, das Recht haben, beide Wahlen anzunehmen." 1 Nach einer Vorberatung in der 3. Sitzung am 22. 5. 1848, in der Raveaux seinen Antrag dahin erläuterte, daß er es nicht für statthaft halte, daß sich einzelne deutsche Ständeversammlungen mit Verfassungsfragen beschäftigen, wurde der Antrag an einen zu bildenden Ausschuß verwiesen. Die Beratung über den vom Ausschuß vorgelegten Bericht fand in der 8. Sitzung am 27. 5. 1848 statt. In ihr ging es wesentlich um das politische Selbstverständnis der N V . Die Abstimmung, die sich an die Debatte ansdiloß, ergab eine starke Majorität für den Antrag des Linken Zentrums. Damit war der Satz: .Reichsverfassungsrecht bricht Landesverfassungsrecht' schon bei Beginn der Verfassungsarbeit zum deutschen Verfassungsprinzip erhoben 2 .
Bereits im Vorparlament und im Fünfziger-Ausschuß war festgelegt worden, „es könnten neben der constituierenden N V in Frankfurt keine anderen constituierenden Versammlungen in irgendeinem Lande des deutschen Vaterlandes einberufen werden." 3 Da jedoch bereits einzelne Ständeversammlungen einberufen worden waren, ζ. B. in Preußen, so ging es in der Debatte wesentlich darum, festzustellen, wie die Kompetenzen zwischen der N V und den einzelnen Ständeversammlungen abzugrenzen seien. Dabei ergaben sich in der N V im wesentlichen vier Auffassungen, die sich bis auf eine in dem Ausschuß gebildet hatten und die in vier Hauptanträgen formuliert waren: 1. Die Rechte beantragt, daß die N V zur Tagesordnung übergehen solle, und zwar in dem begründeten Vertrauen, „daß sämtliche Staaten Deutschlands alle Punkte ihrer besonderen Verfassungen, die nach Vollendung des allgemeinen deutschen Verfassungswerkes mit demselben in Widerspruch stehen, abändern . . ."« 2. Das Rechte Zentrum, das die Mehrheit des Ausschusses bildete, stellt folgenden Antrag: „Die aus dem Gesamtwillen des deutschen Volkes hervorgegangene N V zur Gründung einer die Einheit und politische Freiheit Deutschlands be1 2
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zweckenden Verfassung erklärt, daß alle Bestimmungen deutscher Verfassungen, welche nach Vollendung des allgemeinen Verfassungswerkes mit diesem nicht übereinstimmen, abzuändern und mit der deutschen Verfassung in Einklang zu bringen sind." 5 3. Der vom Linken Zentrum gestellte Antrag lautet: „Die deutsche N V , als das aus dem Willen und den Wahlen der deutschen Nation hervorgegangene Organ zur Begründung der Einheit und politischen Freiheit Deutschlands, erklärt: daß alle Bestimmungen einzelner deutscher Verfassungen, welche mit dem von ihr zu gründenden allgemeinen Verfassungswerke nicht übereinstimmen, nur nach Maßgabe des letzteren als gültig zu betrachten sind, ihrer bis dahin bestandenen Wirksamkeit unbeschadet." 6 4. Der Antrag der Linken gliedert sich in vier Punkte, von denen der erste am wichtigsten ist, weil er ein Prinzip ausspricht: „Die constituierende N V , als das aus den Wahlen des deutschen Volkes hervorgegangene einzige Organ des Gesamtwillens der deutschen Nation zur Begründung der Einheit und Freiheit Deutschlands, sowie zur Errichtung einer auf diese gebauten Verfassung, erhebt folgende Bestimmungen . . . zu ihrem Beschlüsse: I. Die Beschlußnahme über die Verfassung Deutschlands ist einzig und allein ihr, der constituierenden deutschen N V , überlassen . . ." 7 In diesen vier Kernanträgen drücken sich vier politische Willensrichtungen aus, die in den Bezeichnungen die Rechte, das Rechte Zentrum, das Linke Zentrum, die Linke ihre parlamentarische Bestätigung finden. Auch wenn Georg von Vincke sich dagegen verwahrt, „daß die Versammlung nach bestimmten politischen Schattierungen in eine rechte und linke Seite, ein linkes und rechtes Centrum geteilt s e i ; . . ." 8 , so läßt doch der Sprachgebrauch in den Anträgen nicht nur Schattierungen, sondern auch politische Extreme deutlich werden. Und das bedeutet: Es ging in der Debatte um die prinzipielle Frage: Alleinentscheidungsrecht oder Vereinbarungsprinzip? Es ging um die Frage: War die N V nach ihrem Auftrag und ihrer Vollmacht alleiniger Träger der verfassungsgebenden Gewalt, oder mußte sie die Verfassung durch einen Vertrag mit den einzelstaatlichen Gewalten zustandebringen? 9 Der Antrag der Rechten erwähnt zwar die N V , nimmt aber keinen Bezug auf ihre Begründung und ihre Aufgabe. Zugleich lehnt er die Behandlung der Frage überhaupt ab und beantragt die Tagesordnung in dem begründeten Vertrauen zu sämtlichen Staaten Deutschlands. Die Linke fordert eine prinzipielle Entscheidung. Für sie ist die N V das einzige Organ des Gesamtwillens der deutschen Nation, hervorgegangen aus Wahlen des deutschen Volkes. Auf das attributive ,einzige' ist der besondere Akzent gesetzt. Die N V hat einzig und allein die Verfassung Deutschlands zu beschließen. Damit ist das Prinzip der Souveränität festgestellt, aus dem sich folgerichtig ergibt, daß die N V die im Antrag folgenden Sätze zum Beschlüsse erhebt und nicht nur erklärt, 5 6
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wie es in den Anträgen 2 und 3 formuliert ist. Die Opposition von ,erklärt' und ,beschließt', die das Mandat und damit die Souveränität der N V betrifft, durchzieht die ganze Debatte. Während im Antrag der Rechten — wie bereits erwähnt — die ausdrückliche Nennung der Aufgabe der N V fehlt, stimmen die drei übrigen Anträge darin überein, daß sie sowohl die Begründung der ,Einheit' wie der ,Freiheit' als Hauptaufgabe der N V formulieren. Was die prinzipielle Frage betrifft, stehen sich die Anträge 1 und 4 als Extreme gegenüber, dagegen berühren sich die Anträge 2, 3 und 4 in bezug auf die Formulierung der Aufgabe. Die Anträge 2 und 3 wiederum decken sich in ihrem Vordersatz, sie scheiden sich dagegen in ihrer Schlußfolgerung, denn Antrag 2 impliziert darin unausgesprochen das Vertrauen zu den Einzelstaaten, indem er alle den Bestimmungen der Gesamtverfassung entgegenstehenden Bestimmungen der Länderverfassungen abgeändert wünscht, während Antrag 3 diese entgegenstehenden Bestimmungen für ungültig erklärt. Die Anträge 2 und 3 wiederum unterscheiden sich vom Antrag 4, indem sie sowohl auf das ,einzig' verzichten, als sich auch mit dem ,erklären' begnügen. Mit diesen vier Anträgen sind die Fixpunkte gegeben, um die sich die Debatte bewegt. Die Basis, von der Georg von Vincke ausgeht, ist die Verfassung, die repräsentiert wird durch die Bundesakte, die nach Ansicht des Redners im Augenblick der Debatte noch das Grundgesetz von Deutschland ist. Das bedeutet eine Anerkennung der Gewalten, die diese Bundesakte geschaffen haben: „Ith bin der Ansicht, daß diejenigen, welche die Bundesakte und die früheren organischen Verträge gemacht haben, die rechtmäßig constituierten, die rechtsgiltigen Gewalten von Deutschland waren, daß sie verfassungsmäßig berufen waren, das Volk zu vertreten, und daß deshalb diese Verträge volle Gültigkeit haben." 10 Der Gedanke einer organischen, d. h. naturgesetzmäßigen Entwicklung, wird auch im folgenden deutlich: „Für alle organischen Veränderungen dieser Bundesakte haben sich die einzelnen Stämme und Staaten ausdrücklich das Recht der Zustimmung vorbehalten." 11 Georg von Vincke lehnt alles .Gewaltsame' im politisch-staatlichen Leben, jede Revolution ab. Sie ist für ihn gleichbedeutend mit einem ungeordneten Zustand. Sie ist etwas Unorganisches. Er muß zwar einräumen, daß es in Deutschland eine Revolution gegeben hat. Aber sie war nach seiner Meinung unrechtmäßig, gesetzwidrig. Die NV habe daher als ihren höchsten Beruf anzusehen, aus dem Stadium der Revolution herauszukommen und einen ordentlichen Rechtszustand wiederzubegründen, an die Stelle ungeordneter Zustände wieder einen geordneten Rechtsboden zu setzen. Es müssen Zeiten und Zustände überwunden werden, „wo der morgende Tag den heutigen verschlingt wie Saturn seine Kinder." 12 Aus der Bundesakte ergibt sich für von Vincke weiter, daß sich die einzelnen deutschen Staaten zu einem Staatenbund, aber nicht zu einem Bundesstaat zu10 11
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sammengesdilossen haben. Für von Vincke heißt das, daß es noch keine deutsche Nation gibt, sondern daß im Gegenteil in Deutschland noch 38 verschiedene Völker, nodi 38 verschiedene Nationen, noch 38 verschiedene Nationalitäten existieren, ein Gedanke, der mehrfadi wiederholt wird. Zwar beklagt von Vincke diesen unseligen, desperaten Zustand, diese Misere, das Elend, aber dieser Zustand dient ihm doch zugleich dazu, den Gedanken der Volkssouveränität und damit der Souveränität der NV als einer Gesamtsouveränität zu negieren, zumal es sich bei der Volkssouveränität ohnehin um eine sehr epineuse Frage handele. Einer alleinigen Souveränität der N V habe das Volk kein Mandat erteilt, und im übrigen sei dieser Gedanke audi aus praktischen Erwägungen abzulehnen. Bemerkenswert ist, daß sich von Vincke in diesem Zusammenhang gleichsam probeweise auf den Standpunkt der Volkssouveränität stellt, aber nur, um ihn scharf pointiert als gefährlich zu kennzeichnen. Dem Prinzip der Volkssouveränität hält er das Prinzip der Vereinbarung entgegen: „Wenn das Volk souverän ist, so sind wir dann höchstens Geschworene, die die Entscheidung finden im Namen des Volkes. Das Volk wird dann den Cassationshof bilden." 13 Eine solche Konstruktion lehnt von Vincke ab. Jede Prinzipienfrage wünscht von Vincke vermieden zu sehen, da damit eine Schroffheit ausgesprochen wird. Wenn wir „den einzelnen Staaten und Regierungen dieses Prinzip ins Gesicht schleudern und ausrufen: ,Wir sind allmächtig und ihr andern seid nichts', so fordern wir gerade die Opposition recht heraus." 14 Bemerkenswert ist einmal, daß hier der N V wieder Staaten und Regierungen, nicht aber Völker gegenübergestellt werden, zum anderen ist es der Zeichenkomplex ,ins Gesicht schleudern', der die N V vor einem bestimmten Handeln warnen und sie bereit machen soll, dem Antrag der Rechten zuzustimmen, der eben eine solche Schroffheit vermeide. Für von Vincke gilt es nicht, vom Wünschenswerten auszugehen, sondern von dem, was ist, „und wir können deshalb, weil wir etwas, was wünschenswert ist, anstreben oder zweckmäßig finden, uns dodi nicht über das, was einmal ist, was einmal existiert, hinwegsetzen."15 Jedes Handeln in dieser Frage kann für von Vincke nur auf der Basis des Vertrauens gesdiehen, wobei sich das Vertrauen bei ihm aber nur auf die alten Mächte bezieht. ,Vertrauen' muß sich somit für die andere Seite als Euphemismus erweisen, mit dem ausgedrückt wird, daß die Verfassung nur auf der Grundlage des alten Rechtsbodens im Wege der Vereinbarung zwischen N V und Regierungen der Einzelstaaten Zustandekommen kann. Den Gedanken des Vertrauens pointiert von Vincke am Schluß seiner Rede, indem er Beckeraths Bild vom ,deutschen Dom' (s. u.) wieder aufgreift: „Idi hoffe, daß wir bauen einen deutschen Dom der Freiheit und Einheit, worin noch viele künftige Geschlechter behaglich sich versammeln. Lassen Sie uns dann aber endlidi beginnen, die Bausteine zusammenzutragen, und der Mörtel sei Mäßigung und Vertrauen, nicht Schroffheit und Mißtrauen. Die Gesdiichte wird über das Werk richten, wenn es 13 14
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vollendet ist. Lassen Sie es uns beginnen mit den Worten, und diese Worte als Inschrift auf das fertige Gebäude setzen, die Worte des großen Römers, des Ersten, der über Germanien schrieb: ,Concordia res parvae crescunt, discordia magnae dilabuntur.'" 1 8 Audi Graf Arnim stellt sich auf den Standpunkt des Vertrauens, und er geht von der Überzeugung aus, „daß das, was wir hier schaffen, dereinst Gesetz wird, daß Deutschland sich ihm unterwerfen werde." 1 7 Graf Arnim glaubt diesen Standpunkt festhalten zu müssen, weil nodi nicht darüber entschieden sei, was zur rechtlichen Vollendung der deutschen Reichsverfassung gehört. Damit wird das Souveränitätsprinzip für die N V abgelehnt und statt dessen die Vereinbarung mit den einzelnen Regierungen gefordert. Es heißt für Graf Arnim keine Sympathien wecken, wenn von Deutschland verlangt wird, daß es sich der N V unterwerfen soll, „solange Deutschland uns noch nicht an unseren Werken erkennen kann." 1 8 Damit wird einmal der N V das Attribut des Autoritären beigelegt, zum anderen aber die Verfassung von der Zustimmung der Regierungen abhängig gemacht. Seine Auffassung verdeutlicht der Redner an einem Beispiel: „Welcher Gesetzgeber, der ein Gesetzbuch geben will, dessen Seiten aber nodi vollkommen weiß und unbeschrieben sind, schickt die erste Seite des Buches allein in die Welt mit der Ankündigung: Das Gesetz, welches ich schaffen werde, soll euch alle binden, und kein anderes soll neben ihm bestehen, das nicht mit ihm übereinstimmt? Idi habe noch kein Gesetzeswerk so anfangen sehen . . ." 1 9 Allerdings übergeht Graf Arnim die Tatsache, daß Gesetze vor der Revolution von 1848 ohne die Zustimmung einer Volks-Repräsentation erlassen wurden. Es ist bemerkenswert, daß sich der Redner gegen den Vorwurf wehren zu müssen glaubt, als gehöre er zu den Männern der Reaktion. Einen solchen Vorwurf weist er von sidi. Statt dessen bezeichnet er seine politische Auffassung als die eines Konservativen, womit er gegenüber dem Rückschreitenden das Bewahrende angedeutet wissen will. Den Vorwurf, ein Separatist zu sein, nimmt dagegen Graf Arnim auf sich, wobei er allerdings ein in diesem Zeichen liegendes negatives Bedeutungsmoment zu eliminieren sucht, indem er ihm eine eigene Bedeutung gibt: „Man versteht darunter diejenigen, welche sich zu stützen gewohnt sind auf ihr eigenes Vaterland, welche daran hängen, weil sie es mit der Muttermilch eingesogen haben. Man möge sie nicht geringsdiätzen. Aber diese Separatisten schrecken und gewinnen Sie nicht durch ein solches Decret, das Sie in die Welt senden." 20 Das Zeichen gewinnt hier seine Spannung aus dem Gegensatz von Einzelstaat und Staatenbund bzw. Bundesstaat. Den Gedanken Graf Arnims, daß sich die N V das Vertrauen der Wähler erst erwerben müsse, nimmt auch M. Ottow auf, und er stellt „das erste Decret, 16 17 18
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welches wir Willens sind, in die Welt hinein zu senden" 21 in den Gegensatz von Vertrauen und Mißtrauen. Eine Lebensfrage, und um eine solche handele es sich hier, kann nach Meinung des Redners nur als Schlußstein des großen Gebäudes gesetzt werden. Was unter Lebensfrage zu verstehen ist, wird nicht deutlich gesagt, aber es geht auch hier um das Prinzip der Volkssouveränität bzw. der Souveränität der N V . Ottow lehnt ein Gesetz ab, dessen Inhalt noch unbekannt ist. Für ihn ist das kein Gesetz, sondern ein Ukas. Damit wird ein Zeichen aus dem Bereich eines absoluten Regimes, des absolutistischen Rußland, auf die Tätigkeit der N V , genauer auf die Absichten der Linken übertragen. Für Ottow kommt es in dieser Frage auf die moralische Kraft und nicht auf die kräftigen Worte an. Die mögen die Volksredner gebrauchen, die zum Volk sprechen, das von Flammenworten angeregt sein will. Schließlich ruft der Redner aber auch die Kraft des Volkes und die Kraft der Geschichte an, ohne daß präzisiert würde, was darunter verstanden werden soll. Hier werden mit ganz allgemeinen und vagen Zeichen unbestimmte Assoziationen geweckt, die den Antrag der Rechten unterstützen helfen sollen. Die gleiche Funktion kommt dem Zitat zu, mit dem Ottow seine Rede schließt: „,Es wächst der Mensch mit seinem Zweck', sagt der Dichterfürst." 22 Der Bezug zwischen Zitat und konkret-politischem Ziel bleibt unklar. Das ist in diesem Zusammenhang wohl auch nicht entscheidend. Entscheidend ist der Stellenwert des Zitats im politischen Kontext: Wenn von ,Dichterfürst' die Rede ist und wenn sich der Redner auf den Dichterfürsten beruft, so wird zumindest der Versuch unternommen, die eigene politische Zielvorstellung als ,edles Streben' zu charakterisieren, und der Dichterfürst wird zum Zeugen und zugleich zum Promotor eines solchen ,Strebens' genutzt. Ein in eine ganz anders strukturierte Situation übertragenes Zitat wird zur Motivation des Antrags einer politischen Partei genutzt. Die Konnexion von ,Vertrauen' und ,edles Streben' muß bzw. soll zumindest die Assoziation hervorrufen, daß sich von der Basis des Vertrauens, das heißt konkret gesprochen, vom Antrag der Rechten aus, alle Probleme, die sich der N V stellen, lösen lassen. Als Vertreter des Rechten Zentrums lehnt Johann Gustav Heckscher zwar den Antrag der Rechten auf Übergang zur Tagesordnung ab, weil die Ehre der NV eine bestimmte Erklärung fordere. Andererseits aber weiß sich Hedischer mit der Rediten darin einig, daß Prinzipienfragen, wie sie im Antrag der Linken enthalten waren, aus der Debatte ausgeklammert werden müßten. Der Raveaux'sche Antrag könne auch ohne Eingehen auf diese Prinzipienfragen entschieden werden. Der erste Teil der Rede gibt die Antwort darauf, warum Heckscher eine Entscheidung dieser Prinzipienfragen für unzweckmäßig und auch für nicht notwendig hält. Drei Gründe werden angegeben. Der Hauptgrund ist der, daß zur Zeit kein allgemeines Einverständnis über diese Frage vorherrsche: „Ich betrachte daher das Anregen derselben wie das Hineinwerfen eines unreifen Zankapfels in eine Versammlung, welche erst nodi ins Leben tritt, welche betroffen ist über 21
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ihre eigene Macht, erschrocken beinahe über ihr eigenes Dasein, und vor lauter Besorgnis noch nicht weiß, wozu sie befugt ist und mit welcher Entschiedenheit sie sich aussprechen soll." 23 Mit diesen Worten wird der N V von vornherein das Attribut der Schwäche beigelegt, ein Eingeständnis, das den alten Mächten sehr bald wieder die Zuversicht für die Wiedergewinnung ihrer Herrschaft geben mußte. Der zweite Grund beruht für Heckscher auf der Rücksichtnahme auf die Eigentümlichkeiten der Volksstämme. Dabei verweist der Redner auf Preußen, Bayern und Österreich, deren Besonderheiten geschützt werden müßten. Warum soll man viele Deutsche, die an ihrem speziellen Vaterlande hängen — wie es schon Graf Arnim ausgedrückt hat —, verletzen? Schließlich der dritte Grund: „Endlich halte ich die Entscheidung jetzt nicht für zweckmäßig, weil in der Tat eine Art logischen Fehlers darin liegt. Ich möchte beinahe sagen, man macht den natürlichen Schluß zum Vordersatz, den Epilog zum Prolog, es kommt mir vor wie eine Ouvertüre ohne Oper, oder ein Vorwort ohne Buch, es ist ein vortrefflicher, tief eingreifender Schlutzsatz, aber eine unnötige Vorrede." 24 Auch dieser Gedanke war schon von der Rechten, von Graf Arnim, geäußert worden. Mit dieser dreifachen Begründung hat Heckscher nun gar nicht die Behandlung des Prinzips abgelehnt, sondern er hat das Prinzip selbst abgelehnt, und damit steht er auf dem gleichen Boden wie die Rechte der NV, auch wenn er deren Antrag selbst verwirft. Heckscher wendet sich auch gegen die beiden anderen Anträge. Seine Begründung: Den Antrag des Linken Zentrums hält er für härter als den des Rechten Zentrums; den Antrag der Linken sieht er zwar als konsequent und scharf durchdacht an, aber er enthalte der Logik zu viel, dagegen der Politik und der Klugheit zu wenig, eine bemerkenswerte Gegenüberstellung. Auch Hermann von Beckerath lehnt es ab, die zur Diskussion stehende Frage durò ein Vertrauensvotum zu umgehen, auch er fordert eine Entscheidung, und zwar weil der Gesamtwille des deutschen Volkes „uns einen hohen Auftrag erteilt (hat), und je mehr wir uns von diesem großen Bewußtsein durchdrungen fühlen, desto mehr werden wir es als unsere Pflicht erkennen, diesen Auftrag bis zuletzt durchzuführen."25 Was Beckerath unter dem ,Gesamtwillen des deutschen Volkes* versteht, das formuliert er so: „Wir sind aus dem Gesamtwillen des deutschen Volkes hervorgegangen. Die Regierungen haben die Wahlen angeordnet ( — wobei freilich die näheren Umstände nicht erwähnt werden —), das Volk hat gewählt, und durch dieses Zusammenwirken von Volk und Regierung hat sich der legale Gesamtwille des deutschen Volkes kundgegeben."26 Das bedeutet, daß die N V nicht .einzig und allein' souverän ist, daß der Weg der Verständigung mit den Regierungen beschritten werden muß, daß nicht alle und jede Mitwirkung der Regierungen ausgeschlossen ist. Wie sich freilich die 23 24
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Endbeschlußnahme der NV über die allgemeine deutsche Verfassung vollziehen soll, das wird von Beckerath offengelassen. Schwierigkeiten für das Verfassungswerk könnten sidi durch die eigentümliche Entwicklung ergeben, die in den verschiedenen deutschen Stämmen stattgefunden hat. Aber diese Schwierigkeiten lassen sich ebenfalls besiegen, und zwar durch weise Schonung eben der Individualität der Stämme. Um nun diese Stammesverschiedenheit mit dem Gedanken der deutschen Einheit verbinden zu können, bedient sich Beckerath einer poetisierenden Sprache, die die emotionale Metapher an die Stelle der rationalpolitischen Argumentation setzt: „Das deutsche Leben ist vielfach gegliedert, und gerade dieser reichen Mannigfaltigkeit wegen einer desto höheren und kräftigeren Einheit fähig." 27 Was unter einer .höheren und kräftigeren Einheit' zu verstehen ist, wird nicht gesagt, wie auch keine rationale Begründung dafür gegeben wird, warum die ,Mannigfaltigkeit' zur ,Einheit' führen muß. Statt dessen fährt der Redner fort: „Was den Tyroler von seinen Bergen her heimatlich anweht, was den Bewohner der Nordküste beim Anblick der Meereswogen freudig durchdringt, die tausendfachen Beziehungen, mit welchen die Eigentümlichkeit der Stammesentwicklung, Gewohnheit und besondere Einrichtungen uns alle an die engere Heimat fesseln, darin liegt kein Hindernis der Einigung. Denn alle diese Elemente des indviduellen Lebens werden von einer mächtigen Sehnsucht zu einem großen nationalen Gesamtdasein hingetrieben." 28 ,Tyroler' und ,Bewohner der Nordküste' werden als die beiden geographischen Polaritäten zum Beispiel für eine enge Heimatverbundenheit abstrahiert und zugleich als Zeugen für den Einheitswillen der Deutschen aufgerufen, wobei die sprachliche Stilisierung des ,heimatlich anwehen' und ,freudig durchdringen' nur emotionale Assoziationen erstreben kann. Schließlich wird der ganze Prozeß als unaufhaltsame Naturgewalt gefaßt, denn ,die Elemente des individuellen Lebens' werden ,zu einem großen nationalen Gesamtdasein hingetrieben'. Auch Sprache und Geschichte werden zu solchen bewegt-bewegenden Elementen hypostasiert: „Eine Geschichte von Jahrtausenden hat uns verbunden, auf unzähligen Schlachtfeldern haben unsere Väter für eine und dieselbe Sache geblutet; eine und dieselbe Sprache umschlingt uns mit einem unsichtbaren, aber starken Bande; sie ist die Trägerin unseres edelsten Lebens, sie birgt, wie ein hoher geistiger Dom, die Heiligtümer unseres Volkes, sie hat sie bewahrt auch in der Zeit der tiefsten Erniedrigung, und als aus Deutschlands Fluren die Freiheit verschwunden, da lebte sie noch unzerstörbar in den Gesängen unserer Dichter." 29 Der emotionale Superlativ beherrscht diese Sätze. Die deutsche Geschichte mißt nach Jahrtausenden',,unzählige Schlachtfelder' werden beschworen, wobei die Frage unbeantwortet bleibt, was unter ,ein und derselben Sache' zu verstehen ist, für die ,unsere Väter' geblutet haben. Die Sprache wird hypostasiert zum unsichtbaren, aber starken Bande'. In dreimaligem anaphorischem Ansatz 27 28
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,sie ist', ,sie birgt', ,sie hat' wird sie mit einem ,hohen, geistigen D o m ' verglichen, der ,die Heiligtümer unseres Volkes' bewahrt. Auch hier wieder bleibt die Frage offen, was unter Sprache als .Trägerin unseres edelsten Lebens', was unter H e i ligtümern' verstanden werden soll. D e r Begriff der Freiheit wird ins emotionale Bild transformiert, denn es heißt nicht einfach, daß die Freiheit aus Deutschland verschwunden ist, sondern es werden die ,Fluren' Deutschlands dazu bemüht. Emotional-gehobene Adjektive treten gehäuft auf, vor allem aber werden die Pronomina .unser' und ,uns' (als Objektkasus) häufig gebraucht, womit eine emotionale Gemeinsamkeit geschaffen werden soll. Keines der hier gebrauchten sprachlichen Zeichen läßt sich auch nur annäherungsweise rationalisieren. Was sie miteinander verbindet, das ist ihr Gefühlswert, der ein Denken überflüssig macht bzw. verhindert. An die ,Gesänge unserer Dichter* knüpfen die nächsten Sätze an: „Nun aber soll das Wort zur Tat, die Dichtung Leben werden, ein anderer hoher D o m muß sich erheben, ein starker, fester Bau politischer Formen, ich sage muß sich erheben, denn nach meiner innigsten Überzeugung kann nur ein solcher starker politischer Bau unsere Freiheit begründen, unser nationales Dasein vor dem Untergang bewahren." 3 0 In einer doppelten Polarität stellt Beckerath Wort und T a t , Dichtung und Leben gegenüber, und er verbindet die Zeichen T a t und Leben zur Aufforderung an die N V , im Sinne des Antrags des Rechten Zentrums zu entscheiden. Auch das Bild vom Dom wird wieder aufgenommen, aber aus dem geistigen Dom ist der politische Bau geworden, der — hypostasiert — allein ,unser nationales Leben vor dem Untergang bewahren' kann. Dann setzt Beckerath zum Schluß an: „Meine Herren! Alle Blicke sind auf uns, die Bauleute, gerichtet, schwere Leiden lasten auf unserem Volke, der Nationalwohlstand ist bedroht, zum Teil zerrüttet, Furcht und Hoffnung wechseln in den Gemütern. Wohlan, die Furcht wird schwinden, die Hoffnung wird erfüllt werden, sobald wir zeigen, daß wir weise Bauleute sind, daß wir das eigentümliche Leben der verschiedenen
Stämme
Deutschlands und die politischen Formen, die es sich geschaffen, nicht zerstören, vielmehr veredeln wollen, daß wir jedes einzelne Glied als ein berechtigtes, lebensvolles Glied eintreten lassen wollen in den Organismus des Großen G a n zen, eines Ganzen, das von den geheiligten Grundlagen der N a t u r und der Geschichte getragen wird, und dessen höherem Rechte das Einzelne sidi fortan nicht mehr entziehen k a n n ! " 3 1 Zum Bild des Domes treten nun die Bauleute, die ,weise Bauleute' sein müssen, ein Gedanke, der sich in anderen Reden in den Begriffen der Mäßigung, Schonung, Vertrauen äußerte. Furcht und Hoffnung werden zweifach gegenübergestellt, und in wiederum dreifacher sich steigender Anapher werden die Bedingungen vorgeführt, die dazu führen sollen, daß die .Furcht schwinden', die .Hoffnung erfüllt' wird. Das letzte Ziel ist der .Organismus des großen Ganzen' mit seinem höheren Rechte gegenüber dem Individuum, dem Einzelnen. 30
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Um die Polarität von Einzelnem und Gesamtheit geht es Johann Münch, und er fordert, daß das Partikulare dem Allgemeinen unterzuordnen sei, ein Grundsatz, der mit aller Macht gehalten werden müsse: „Es ist gewiß unsere heilige Pflicht, unerschütterlich festzustehen und zu wachen, daß die uns anvertraute Machtvollkommenheit eines Volkes von 40 Millionen von keiner Seite verletzt . . . werde." 3 2 Die Einheit dürfe nicht durch Sonderinteressen gehemmt oder gestört werden, Deutschland dürfe nicht in ungeheure Spaltungen und in Ohnmacht verfallen. Andererseits gelte es jedes Mißtrauen auszuschließen, denn es gibt nach Münch eine unverwerfliche Bürgschaft gegen jede reaktionäre Absichten. Diese Bürgschaft sieht der Redner einmal darin, daß die jetzigen deutschen verantwortlichen Ministerien volkstümlichen Charakter haben und sich die Minister selbst als gesinnungstüchtige deutsche Männer gezeigt haben, zum anderen in dem gesunden Sinn und in dem deutschen Volkshewußtsein „unserer in die Partikular-Ständeversammlungen nach demokratischen Wahlgesetzen als Abgeordnete oder Stellvertreter erwählten Mitbürger." 3 3 Münch bezieht auch die Volksstämme in dieses Zutrauen ein, indem er ihnen den echten Volksgeist und die treue Vaterlandsliebe zuerkennt, was sich in dem alten, in den europäischen Revolutionen bewährten Grundsatz der Staatsweisheit ausdrückt, „das Bestehende soweit zu achten und zu schonen, als es erforderlich ist, damit für das neu aufzuführende Staatsgebäude der geschichtliche Boden und mit ihm das feste Fundament nicht entweiche." 34 Münch faßt Ministerien (also Institutionen), Minister, Abgeordnete und Volksstämme zusammen und läßt sie positiv determiniert erscheinen durch sich variierend-wiederholende Zeichen bzw. Kontinuationen: volkstümlicher Charakter', ,deutsches Volksbewußtsein', ,echter Volksgeist', ,gesunder Sinn', ,treue Vaterlandsliebe',,gesinnungstüchtig', ohne daß er dabei zu rationaler Definition gezwungen wäre. Auch Alexander Pagenstecher basiert seine Argumentation ganz auf dem Gedanken des Vertrauens. Zwar habe das preußische Gouvernement durch den Beschluß, die preußische konstituierende Versammlung einzuberufen, sich dem Verdacht einer Schwäche, eines beabsichtigten Zerwürfnisses, vielleicht gar einer Reaktion ausgesetzt, und dieser Beschluß habe zu allgemeinem Erstaunen, vielfachem Mißtrauen, Mißstimmung und Spaltung Anlaß gegeben, und zwar nicht nur bei solchen Männern, denen man anarchische Gesinnungen beizulegen pflegt, sondern bei den Wohldenkendsten der Nation. Das preußische Ministerium aber habe sich inzwischen auf eine glänzende Weise gerechtfertigt, indem es verkünden ließ, daß ihm die Einigkeit und die Einheit Deutschland über alles gehe. Daraus ergibt sich für Pagenstecher, daß die Beziehungen zwischen der N V und den Ständeversammlungen — den preußischen Landtag einbezogen — sowie den Regierungen der einzelnen Staaten auf Vertrauen basieren können. Die N V ist 32 33
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dazu nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet. Für diese Beziehungen müsse eine einfache und nicht verletzende Form gefunden werden. Bemerkenswert in dieser Rede ist die Gegenüberstellung von ,Männern mit anarchischer Gesinnung' und den .Wohldenkendsten der N a t i o n ' in Verbindung mit dem Gedanken des Mißtrauens, grammatisch kopulativ, semantisdi jedoch oppositiv. Gerade durch diese semantische Opposition wird das geforderte Vertrauen um so stärker akzentuiert. Carl Welcker, der ohne Zweifel die konsequenteste Rede im Sinne des Rechten Zentrums gehalten hat, lehnt zwar von vornherein den Antrag der Rechten ab, d. h. er will die Entscheidung nicht auf dem Vertrauen basieren, „weil man da, wo die Notwendigkeit gebietet, die Sache nicht auf das Vertrauen stellen muß," 3 5 dennoch war seine Rede am ehesten geeignet, eine Brücke zur Auffassung der Rechten zu schlagen. Die ganze Rede bezieht sich auf die Grundlagen des Rechts, die Krafl des Rechts, sie zielt auf die Bewahrung der Rechtsgrenzen. Um der Auffassung, daß das Verfassungswerk nur rechtlich, d. h. durch Vereinbarung Zustandekommen könne, besondere Resonanz und Wirkungskraft zu verleihen, wird sie mit der Aussage verknüpft: Wir sprechen als deutsche Männer. Damit wird die Assoziation bezweckt: Wer nicht so handelt, d. h. wer dem Antrag des Rechten Zentrums nicht zustimmt, kann nicht f ü r einen Deutschen gelten, womit eine ganze Skala negativer Implikationen evoziert wird. D a ß die Ansichten über die Bedingungen des Rechts verschieden sein können, gesteht allerdings auch Welcker ein. Ausgehend von den gehörigen Grundlagen sittlicher Gerechtigkeit ergibt sich f ü r Welcker zunächst, daß kein deutsches Verfassungswerk, ob in Berlin, Wien oder in den verschiedenen deutschen Staaten, aufgeschoben wird. Er will nicht — noch stärker pointiert —, daß diese Männer, d. h. die Abgeordneten in den Ständekammern, auseinandergesagt werden, er will, daß „alle meine deutschen Brüder in den Genuß ihrer Redite und Freiheiten versetzt werden," 3 6 er will nicht, daß „bei allen unseren 38 verschiedenen bis jetzt selbständigen Staaten und 38 bis jetzt selbständigen Regierungen, ehe noch ein rechtmäßiges Werk zustandegekommen, alle Selbständigkeit gänzlich f ü r aufgelöst und aufgehoben erklärt" wird. 3 7 Welcker leitet diese Forderungen von der Tatsache ab, daß seit dem März dieses Jahres eine gute Witterung für die Volksfreiheiten und volksfreien Verfassungen ist. Die Rechtsgrenze sieht Welcker aber vor allem darin, daß kein Beschluß über Prinzipien gefaßt wird. Die Versammlung solle sich am praktischen Verstände der Engländer orientieren, in der Mitte der Dinge zusammengekommen und sich nicht in deutsche Schulstreitigkeiten verlieren, zumal das deutsche Volk, „so brav und tüchtig es audi ist, doch den Vorzug nicht hat, durdi eine lange politische Schule gegangen zu sein und eine Reife seiner politischen Ansichten zu haben." 3 8
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Eine solche Feststellung hindert Welcker allerdings nicht, sich dennoch ausführlich und zwar in prinzipieller Weise zur Frage der Souveränität zu äußern. Er geht dabei von der Feststellung aus, daß die N V keinen revolutionären Charakter habe, denn die Heidelberger Versammlung habe beschlossen, die bestehenden Rechtsgrundlagen zu achten und die Einheit, Würde und Freiheit der deutschen Nation auf dem Rechtsboden zu erkämpfen. Das bedeutet aber nach Welcker, daß die N V nicht ausschließlich souverän ist, daß daher das Verfassungswerk nicht ausschließlich von der N V zustande gebracht werden kann: „Wir wollen eine gemeinschaftliche Macht der deutschen Volksstämme und Regierungen und der hier von den Bürgern gewählten Repräsentanten, wir wollen dadurdi das, was unsere Geschichte trübt und schwärzt, alles größte Unglück, das unser Vaterland betroffen hat, für die Zukunft abwenden."39 Dieses Unglück besteht für Welcker in der einseitigen, ausschließlichen, absoluten Souveränität, und zwar sowohl des Absolutismus in der Gestalt der Regierungssouveränität wie auch als ausschließliche Volkssouveränität, wofür Welcker entsprechende historische Beispiele gibt. Von beiden Extremen kann man sich nur lösen, wenn man die Grundprinzipien des Vertrags anerkennt, welche für England bereits seit der Magna charta gültig seien. Der Redner glaubt sich freilich wegen solcher Ansichten gegen mögliche Vorwürfe zur Wehr setzen zu müssen, als halber Reaktionär oder gar als Abtrünniger zu gelten. Diese Vorwürfe könnten ihn nicht treffen: „Mehr als dreißig Jahre verteidige ich unerschütterlich dieselben Grundansichten (Bravo!), aber glauben Sie nicht, daß ich dreißig und mehr Jahre gegen die Schmeichler der Fürsten und ihre falschen Theorien mutig gekämpft habe, um nun feig den Tagesansichten des Volkes zu sdimeicheln (Bravo!); ich werde meine Ansicht und Überzeugung durchführen."40 Bemerkenswert ist hier die Gegenüberstellung nicht von Fürsten und Volk, sondern der ,Schmeichler der Fürsten' mit dem ,Volk', womit die Fürsten gleichsam über die Gesellschaft auf eine ,höhere' Stufe gehoben werden. Dieser Gedanke wird noch einmal ausdrücklich formuliert. Dabei geht es Welcker darum, „die jetzt bestehenden Regierungen nicht zu bloßen willenlosen Dienern einer anderen Macht zu erniedrigen"41 und die großen deutschen Volksstämme ohne Rücksicht auf ihre besonderen individuellen Bedürfnisse und Meinungen nidit zu verletzen und zu kränken, weil dadurch ein Krawall angeregt und den Wühlern in die Hände gearbeitet wird: „Wir dürfen nur anfangen die Regierungen herabzuwürdigen, das ist der beste Weg, den Wühlern sie in die Hände zu geben; dann aber fallen auch wir ihnen in die Hände." 42 Dieser Weg führt zu den Gefahren der Reaktion. Auch wenn die augenblicklichen Tagesereignisse die Reaktion stumm machen sollten, sie arbeitet fort, schafft und unterminiert, bis unser Bau zusammenfällt. Aber es geht nach Welcker nicht nur um die Regierungen und Volksstämme, sondern vor allem um die Fürsten, und er erhebt mahnend seine Stimme: „Wenn Sie die Würde des Für39 40
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stentums, die erblichen Fürstengeschlechter zum Voraus, ehe Sie eine gute Verfassung gemacht haben, in ihrer Existenz angreifen, dem allgemeinen Spott und H o h n aussetzen, o! dann haben Sie nicht diese Fürsten allein beleidigt; wer noch eine moralische Ader in seinem politischen Systeme hat, der ist mitbeleidigt. (Bravo!)" 4 8 Damit wird diese Frage, die nach Welcker eigentlich eine praktische sein sollte, zu einer prinzipiellen und zu einer moralischen gemacht, und die Verknüpfung mit dem Antrag des Rechten Zentrums hat zur Folge, daß jeder, der dem Antrag des Rechten Zentrums nicht zustimmt, als .unmoralisch' Handelnder klassifiziert werden kann. Für Welcker ist die Einheit Deutschlands nur auf dem Wege der friedlichen Verständigung, des Vertrags, der Vereinbarung zwischen den genannten Mächten möglich. Jeder verletzende Prinzipienstreit könnte nur zu Revolutionen und Bürgerkriegen führen. Schließlich stellt Welcker eine Konnexion her zwischen dem Antrag der Rechten, den ,Rechten der Nation', der ,Kraft des Volkes' und ,Gott': „Aber der Gott, der unsere Fürstenstühle wankend gemacht hat, weil von ihren Regierungen viel Unrecht ausgegangen ist, der Gott, der die Kraft des Volkes weckte, um eine Versammlung wie diese zu vereinigen; mit anderen Worten, die sittliche Macht und die unverjährbaren Rechte unserer Nation und die darin ruhenden unzerstörlichen Kräfte werden die Grundlage einer freien und friedlichen Vereinbarung sein, und wenn dann, was Gott verhüten möge, ein Teil das Unrecht wollte, dann würde aus der Gewalt der Dinge eine Macht entstehen, die mit Gott und mit dem Rechte geht." 44 Auch wenn Welcker im folgenden die ganze ,Paulskirche' in seine Überlegungen einbezieht, so wird dodi deutlich, daß er die Attribute des OrganischLebendigen auf seine eigene Partei bezieht, Attribute, die den Antrag des Rechten Zentrums unwiderlegbar machen sollen: „Hier (in der Paulskirche) ist das Herz, von wo aus das gesunde Blut durch die Adern des gesamten deutschen Vaterlandes rinnt, hier ruht, hier wächst und gedeiht die Einigkeit und Einheitskraft, lassen Sie uns dieses Blut in seiner Gesundheit erhalten, es wird den ganzen Körper stets frisch und belebend durchströmen." 4 5 Welcker schließt seine Rede, indem er sich auf jenen alten Cato und den einen Satz bezieht, der mein ganzes Herz ausfüllt, den Satz: Eintracht macht stark! Johann Peter Werner vom Linken Zentrum bedauert zwar, die Prinzipienfrage behandelt zu sehen, da aber diese wichtige Frage angeregt ist, komme es darauf an, daß die Versammlung erklärt, auf welchen Standpunkt sie sich zu stellen gedenkt. Für Werner ist der Standpunkt allein schon dadurch gegeben, daß wir ja „dem Volke keine Freiheiten nehmen, sondern zubringen" 4 8 wollen. Dabei geht der Redner auf den Begriff des Rechtsbodens ein, „aber nicht auf den Rechtsboden, über welchen durch die Zeit gerichtet worden ist, sondern auf den neuen Rechtsboden, auf welchen die N V gestellt ist und welcher eine neue Ära f ü r die Geschicke Deutschlands bildet." 4 7 43 44
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Dieser Rechtsboden ist gelegt worden vom Vorparlament und auch von den Vertrauensmännern, vor allem aber durch die Ereignisse selbst, d. h. durch die Revolution: „Die Bande der Ordnung waren gelöst, die Macht der Fürsten war so erschüttert, daß sie dem Laufe der Ereignisse nicht mehr gewachsen waren. Hierdurch war ihre Souveränität gefährdet; denn es gibt keine Machtvollkommenheit (Souveränität) ohne Macht. Es wurde in dieser Lage ein Heilmittel nötig, und dieses war die Zusammenberufung der N V . " 4 8 Die N V ist für Werner ein selbständiger Körper, der nicht von der Willenserklärung der Regierungen abhängig ist: „Sie soll das Werk des Friedens beschließen, auf daß alle Bestrebungen in ihr richtiges Geleis zum wahren Wohle des deutschen Vaterlandes geleitet, die Reaktion wie die Anarchie in ihre Sdiranken zurückgewiesen werden." 49 Wendet sich Werner mit der Feststellung der Souveränität der N V gegen die Auffassung der Rechten, so spridit er sich audi gegen den Antrag des Rediten Zentrums aus, weil damit das Verfassungswerk auf Jahre verzögert werden könnte, wobei Werner auf die deutsche Geduld und Gründlichkeit anspielt, hier natürlich im negativen Sinne. Die Anträge der rechten Seite bilden eine Gefahr für die Einheit. In deutlichem Bezug gegen von Vincke: „Wir wollen ein schönes und festes Band der deutschen Einheit, kein Flickwerk von 38 Stücken, die nach und nadi zusammengetragen werden! Wir haben keine österreichische, keine preußische, keine bayerische, keine liditensteinische Nation (Bravo!). Wir haben eine deutsdie Nation (Stürmisches Bravo.)." 5 0 In diesem Zusammenhang spricht Werner häufig von Landesteilen und Landesgebieten statt von deutschen Staaten. Das Verfassungswerk muß nach Werner sofort als ein allgemeines deutsches Gesetz erachtet werden, das nicht von der Zustimmung der Einzelstaaten abhängig gemacht werden darf. Wird das als Grundsatz anerkannt, dann ist einmal die deutsche Einheit gesichert, zum anderen sind die staatsbürgerlichen Rechte der Deutschen gewährleistet, „dann kann der Deutsche sicher sein, daß er nicht in dem einen deutschen Lande frei umhergeht, während er in dem andern der Polizeigewalt verfällt; er weiß, daß er überall seine Meinung frei äußern kann; er weiß, daß er überall durch ein unabhängiges Gericht persönlichen Schutz gegen Unrecht findet; seine Rechte sind damit festgestellt, ein- für allemal." 5 1 Werner schließt seine Rede mit der Berufung auf das heilige Mandat, „das große Deutschland frei zu machen durch Gründung einer tüchtigen Verfassung." 52 Christian Widenmann sieht in dem Antrag des Linken Zentrums die rechte Mitte zwischen den Extremen, was sachlich bedeutet, daß die N V nicht auf dem Boden des Vertrags mit den Regierungen der Einzelstaaten steht. Das schließt freilich ein mögliches Einvernehmen mit den Regierungen nidit aus, aber das von 48 49 50
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der N V definitiv festgestellte Verfassungswerk muß Endgültigkeit haben. Die Tatsache, daß in einzelnen Staaten konstituierende Versammlungen zusammengetreten sind, führt Widenmann zu der Frage, wie sich die N V gegenüber diesen konstituierenden Versammlungen zu verhalten habe. In dieser Situation ist klares Handeln nötig, d. h. es genügt nicht der bloße Ausspruch eines Vertrauens, eines Erwartens, eines vertrauensvollen Erwartens. Das Übergehen zur Tagesordnung, wie es der Antrag der Rechten vorsieht, ist nach Widenmann eine unselige Halbheit, und er knüpft daran die allgemeine Einsicht, „halbe Maßregeln sind immer schädlich, aber am allerschädlichsten da, wo Entschiedenheit geboten ist." 53 Es ist also Pflicht der N V , separatistische Tendenzen niederzudrücken, niederzukämpfen. Audi hier formuliert Widenmann allgemeine Einsichten: „Egoismus ist die Erbsünde wie der einzelnen Mensdien, so der Staaten. Wenn man den Einzelnen zu frei gewähren läßt, so wird er vergessen, daß er Glied eines höheren Ganzen ist, daß er nur ein Teil ist, und er wird sich eine Selbständigkeit anmaßen, die ihm im Verhältnis zum Ganzen unmöglich zugestanden werden kann." 5 4 N u r der Antrag des Linken Zentrums ist der einzig konsequente, weil er nach Widenmann die rückwirkende Kraft auszuschließen im Stande ist. Compes wendet sich vorzugsweise gegen den Antrag des Rechten Zentrums. Er glaubt dabei aber eine doktrinäre Beratung ablehnen zu müssen. Er stehe auf dem Standpunkt derjenigen, die sagen: „Greift frisch in das Leben hinein, sprecht es aus aus voller Brust, ihr müßt die Competenz dort finden. Ich habe sie gefunden." 5 5 Für Compes gilt der Grundsatz, daß die schließliche Entscheidung dem Parlament, der N V verbleiben müsse. Wie Widenmann schließt er aber ebenfalls nicht aus, daß es zu einer Verständigung mit den Regierungen kommt. Auch Compes kommt auf die Grundlagen der N V zu sprechen: „Man hat gesagt, man solle sich niciit auf den Boden der Revolution stellen. Meine Herren! Auf welchem Boden stehen wir? Auf dem Boden der Geschichte, der Tage des Vorparlaments und der auf diese folgende Zeit. Nennen Sie das den Boden der Revolution, so habe ich nidits dagegen. Aber es ist der Boden der Geschichte, und es wird wohl überall die Ansicht bestehen, daß wir hierher gesandt sind, nicht um ein Vertragsverhältnis zu gründen, sondern um ein Verhältnis herzustellen, welches, als von uns ausgegangen, f ü r ganz Deutschland als bindend betrachtet werden soll. Der Boden des Vertrags ist für die Zeitverhältnisse, um mich des Ausdrucks zu bedienen, der doctrinäre, der andere, ich will nicht sagen, der revolutionäre, sondern der populäre; in ihm liegt die Stimme, welche uns hierher gesandt hat." 5 6 Für Compes sind die Abgeordneten die Legislatoren von Deutschland, und es darf keine Partikulargesetzgebung geben, die den Beschlüssen der N V entgegen53 54
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treten könnte. Den einzelnen Staatsregierungen bleibt lediglich die Exekution, die Ausführungsverordnung. Am Schluß seiner Rede wendet sidi Compes auch gegen die Anträge der Rechten wie der Linken, denn: Les extrêmes se touchent. Und wenn von Vincke meine, man solle sich auf den Boden der Mehrheit stellen, so stimmt Compes dem zu, „aber die Mehrheit des Volkes will, daß wir Maß halten sollen, sowohl in den Sachen selbst, als in den Formen." 57 Peter Knoodt trennt zunächst die Frage der Souveränität in die Frage nach der Souveränität des Volkes und in die Frage nadi dem Verhältnis der Souveränität dieser Versammlung zu der der anderen partikulären Versammlungen in Deutschland und zu den andern partikulären Gesetzgebungen. Die Frage, ob das Volk die alleinige Souveränität habe, das sei eine reine Prinzipienfrage, die man einstweilen der Literatur überlassen könne und die nicht in diese Versammlung gehöre. Dennoch macht Knoodt einige Marginalien hierzu, so wenn er Volk und Untertan gegenüberstellt und wenn er das Volk mit seinen Volksrechten mit einem Medusenhaupt vergleicht, das manchen schrecke. Dagegen sei die Frage der Souveränität der N V eine Lebensfrage, denn sie berühre die Wirksamkeit der N V unmittelbar. Knoodt wendet sich gegen Redner, die die Sache so dargestellt haben, als „wenn wir alle nichts als lebendige Fragezeichen wären. Herr Graf von Arnim hat hinter das Recht aller unserer Beschlüsse, hinter das Recht jedes einzelnen, ein Fragezeichen gestellt, indem er behauptete, daß es erst von der Güte unserer Beschlüsse abhängen würde, ob sie zu Recht bestehen, und ins Leben eingeführt werden würden. Ich für meinen Teil mag kein solches Fragezeichen sein . . ." 58 Der Beruf der N V besteht für Knoodt darin, sich das volle ungeschmälerte Recht beizulegen, die Beschlüsse zu geben, welche für das gesamte Deutschland gelten sollen. Der Redner knüpft hieran die Drohung: „Und wahrlich, die Fürsten sollten hinterdrein nicht an unserm Redite schmälern. Und audi diejenigen, weldie sich selbst vor kurzem noch Autonomen nannten, sollten audi uns und dem Volke die Autonomie zuerkennen, sonst nimmt sich das Volk die Autokratie." 5 9 Diese Drohung wird aber gleich wieder abgeschwächt: „Wir wollen nicht Grau in Grau malen, wir wollen einen reidigegliederten, lebendigen Organismus, einen Gesamtstaat, einen Bundesstaat. Ein solcher Organismus besteht aus vielen Gliedern, ein jedes Glied hat seine eigene Funktion. Diese Unterschiede werden wir gerne anerkennen. Oder wollen wir mit unserer Souveränität den Fürsten ihr Ansehen nehmen, sie noch mehr herabdrücken, oder wollen wir die Stämme verletzen, die treue an ihren Fürsten hängen? Wollen wir das?" 60 Knoodt geht schließlich auf die Frage der Einheit ein, und mit Bezug auf von Vincke kann er nicht bedauern, daß 38 verschiedene Staaten bestehen, er will sie gerne aufrecht erhalten und anerkannt wissen. Aber Knoodt fürchtet, daß von Vincke mit seinem Streben nach Einheit Rosen ausgestreut habe, „und unter 57 58
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den Rosen lauert die Schlange. Welcher soll dann der eine Staat sein, der gleichsam mit Verschlingung der anderen noch fortbestehen soll?" 6 1 Knoodt wehrt sich gegen die Vorherrschaft eines Staates, und so fordert er, daß jeder Staat etwas von seiner Souveränität aufgibt, damit die Einheit Deutschlands als endliches Resultat allen zuteil wird. Heinrich Zachariä will nur den staatsrechtlichen Gesichtspunkt hervorheben, indem er von dem Gegensatz zwischen Bundesstaat oder auch Gesamtstaat und Staatenbund ausgeht. Durch die Existenz der N V sei eine staatsrechtliche Einheit für Deutschland schon erobert. Sie brauche nidit erst erobert zu werden. Die Existenz der N V beruhe auf der gesetzlichen Wahl und dem Vertrauen des Volkes. Wenn Zachariä auch wünscht, daß der Weg der Vereinbarung betreten und möglichst verfolgt werde, so steht doch auch er auf der Grundlage der Souveränität der Nation, was besagen will, daß das, was dem allgemeinen Willen der urteilsfähigen Nation entspricht, in Deutschland notwendig zum Gesetz erhoben werden muß. Als letzter Redner spricht Carl Biedermann für den Antrag des Linken Zentrums. Auch für Biedermann ist die Frage der Volkssouveränität eine außerhalb der Sache stehende. Hier geht es nur darum festzustellen, wie die einzelnen Verfassungen zu dem vollendeten allgemeinen Verfassungswerke stehen. Der Redner demonstriert das an dem Verhältnis des preußischen Landtags zu den Provinzen und Kommunen. Wie die ordnungsmäßigen Beschlüsse des allgemeinen Landtags bindend seien für die Provinz oder Kommune, so die der N V gegenüber den Landtagen. Da dieses Verhältnis feststeht, muß es auch bestimmt festgesetzt und nicht nur als bloßes Vertrauen ausgesprochen werden. Besonders gegenüber von Vincke betont Biedermann, wie notwendig es sei, ein Recht auch auszusprechen, besonders dann, wenn es zweifelhaft gemacht worden sei, und es seien Äußerungen gefallen, die das Recht der Allgemeinheit gegenüber der Partikularität in Zweifel stellen. Ein Recht muß ausgesprochen werden, „denn ein Nichtaussprechen gilt leicht für das Bekenntnis eines Nichtvorhandenseins." 62 Zur Stützung seiner Ansicht kommt Biedermann auf den Begriff der Souveränität zurück, wobei er zwischen der Souveränität des Volkes und der der Nation unterscheidet: „Die Souveränität der Nation — das ist das Höchste, worauf wir fußen müssen. Als souveränes Volk stehen wir bloß den Regierungen gegenüber, als souveräne Nation aber dem Partikularismus, und das ist der schlimmere Feind, gegen den wir kämpfen müssen." 63 Als erster Redner der Linken begegnet Wilhelm Michael Schaffrath sogleich dem Vorwurf, der ihm von Johann Gustav Heckscher gemacht worden war, nämlich daß der Antrag der Linken zuviel Logik, aber zuwenig Klugheit und Politik enthalte, indem er Klugheit oder Politik mit Diplomatie gleichsetzt und somit alle Attribute evoziert, die in den vergangenen Jahren mit dem Zeichen D i p l o matie' verbunden waren: „Allein, ich und die Männer, welche das Sondergut61 82
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achten unterschrieben haben, sind keine Freunde des Temporisierens, keine Freunde der Diplomatie und der diplomatischen Sprache. Die Diplomaten haben zuviel Unglück über Deutschland gebracht, als daß wir sie nodi nachahmen sollen. Wir wollen unsere Gesinnung nicht verheimlichen, wir sind Freunde der offenen und männlichen Sprache, wir wünschen, daß das deutsche Volk heute wisse, und nicht erst in vier Wochen, wes Geistes Kind wir sind." 64 Das bedeutet für Schaffrath, daß von Anfang an, und zwar im Interesse des Volkes, über das Prinzip der Souveränität, über unsere Machtvollkommenheit klar entschieden werden muß, damit das Volk wisse, ob noch eine Möglichkeit der Einheit Deutschlands vorhanden sei oder nicht. Die Souveränität wird damit zur Voraussetzung für die Einheit Deutschlands gemacht, und Schaffrath läßt keinen Zweifel, daß es für ihn wie für die meisten um Sein oder Nichtsein geht. Der Redner begründet nun die Souveränität, aber nicht nur damit, daß die N V das Recht dazu auf historischem Wege erlangt hat, sondern weil es die Notwendigkeit Deutschlands erfordert. Dem Prinzip der Souveränität haben die intelligentesten Männer des Vorparlaments und der Fünfziger-Ausschuß beigestimmt, und zwar Männer, die nicht für Feinde des Rechts oder gar für Revolutionäre gelten. Schließlich hat das ganze deutsche Volk das Prinzip der Souveränität einstimmig anerkannt. Deshalb kann sich Schaffrath darauf berufen und jedes Abweichen von diesem Prinzip verurteilen : Das Abweichen von diesem Prinzip, das Aufgeben der Souveränität nennt er Reaktion, Rückschritt. Daran knüpft der Redner eine überraschende Aussage, die einen Begriff der gegnerischen Partei für die eigene Partei dienstbar macht: „Also wir, die Urheber des Sondergutachtens, sind die Conservativen, wir wollen das, was errungen worden ist, nicht aufgeben." 65 Schaffrath macht sich hier die wörtliche Bedeutung des Zeichens zunutze und positiviert es zugleich, indem er es in neue historische Zusammenhänge stellt: ,Bewahrt' werden soll nicht mehr das alte System, ,bewahrt' werden sollen die neuen Errungenschaften. Zum Schluß seiner Rede verbindet Schaffrath die Aufgaben der N V mit dem Gedanken der Allmacht des Volkes, auf der die Kraft und zugleich die Führungsrolle der N V beruht: „Denn wenn wir das deutsche Volk hinter uns haben, dann werden alle unsere Beschlüsse realisiert werden; haben wir es aber nicht hinter uns, so können wir beschließen, was wir wollen, aus der Einheit Deutschlands wird dann nichts werden." 66 Jede Abhängigkeit von der Gnade oder Ungnade einzelner Regierungen oder Ständekammern weist Schaffrath zurück: „Das Volk will, daß wir entschieden und stark sind, daß wir vorangehen mit gutem Beispiele, besonnen, aber entschieden . . . Ich will nichts von Gnade, ich will nur das notwendige Mittel zum Zwecke der Einheit als Recht, und keine Gnade." 6 7 Robert Blum, der als einer der letzten Redner sprach, bedauert ebenfalls, daß die prinzipielle Frage nach der Volkssouveränität in die Debatte getragen wurde, 64 65
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aber nicht, weil es sich dabei um eine Angelegenheit der ,Literatur' etwa handele, sondern weil er „die Entscheidung darüber für die feierlichste, für die gewichtigste, für die gewaltigte (hält), die wir treffen können, und deshalb hätte ich gewünscht, daß sie für sich allein, selbständig gegeben worden wäre." 68 Den Standpunkt der N V vergleicht Blum mit dem eines Feldherrn: „Er sudit sich einen Platz aus, wenn er kann, wo er die Schlacht liefern will; aber wenn er angegriffen wird, dann verteidigt er sich und schlägt sidi, wo es immer sein mag; so mit uns."6® Damit ist die Position angedeutet, von der aus Blum agieren will. Es ist die kämpferische. Immer wieder fordert er, daß das Prinzip der Souveränität der N V gegenüber allen anderen Versammlungen und Regierungen klar und eindeutig ausgesprochen werden muß, und das bedeutet, daß die N V beschließen und nicht nur erklären soll : „Wenn wir eine Erklärungsversammlung sind, dann können wir nur nach Hause gehen. Das können wir auch zu Hause abmachen mit gleicher Wirksamkeit und mit viel weniger Kosten für das Volk." 70 Wenn Hecksdier meint, man fange beim Schwänze an, eine prinzipielle Erklärung sei wie eine Ouvertüre ohne Oper, wie eine Vorrede ohne Buch, so kehrt Blum diese Aussage um: „Unsere Arbeit ohne diese Erklärung ist wie ein Haus ohne Fundament, wie ein Baum ohne W u r z e l . . . Wenn wir e i η Deutschland hier bauen sollen, so versteht es sich von selbst, daß wir allein bauen müssen; denn wenn man an zwei Orten baut, so baut man eben zwei Deutschländer und nicht eins (Gelächter), abgesehen davon, daß am Ende jede der heute entdeckten 38 Nationen dasselbe Recht hat, für sich zu bauen." 71 Dem Einwand, daß man nicht ein leeres Gesetzbuch herausgeben könne mit der Erklärung: Mein Gesetz gilt für alle unbedingt, begegnet Blum mit dem Argument, daß das der Gesetzgeber tun könne, der allein das Recht hat, ein solches Gesetz zu geben. Das ist die N V kraft ihrer Souveränität. Wenn auf die amerikanische Verfassung verwiesen wird, in der eine solche Erklärung am Ende stünde, so kann Blum auf die patriotische Haltung verweisen, daß kein einziger Staat konstituiert hat, „als man den ganzen Staat bauen wollte; man hat gewartet, man war patriotisch genug, die Bedürfnisse und Forderungen des einzelnen Staates zurückzustellen." 72 Audi den Begriff des Rechtsbodens greift Blum auf, aber er definiert ihn als historischen Rechtsboden, der bestimmt ist durch die Bundesakte, durch die Bundesbeschlüsse, „die drum und dran hängen, die ganzen sogenannten Gesetze, die uns bis jetzt regiert, oder vielmehr unterdrückt haben." 73 Es muß ein neuer Rechtsboden gefunden werden, wozu eben ein entschiedener Ausspruch gehört. Den Begriff des historischen Rechtsbodens faßt Blum im Bild, er ist für ihn „nichts anderes als der trügerische Spiegel einer Eisdecke, von dem Froste einer Nacht; darunter fließt der Strom fort, und wer sich der gleißneri98 ββ 70
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sdien Decke vertraut, der versinkt. Auch unter uns, scheuen wir uns nicht, es auszusprechen, fließt der Strom der Revolution, dem wir unser Dasein verdanken, ruhig f o r t ; wir können keine Decke darüber legen, wir können ihn nur dämmen, in den Schranken halten, in denen er erhalten werden muß, oder wir werden von ihm verschlungen." 7 4 Die D r o h u n g ist trotz des schiefen Bildes nicht zu überhören. Bemerkenswert ist aber die trotz der Anerkennung der Revolution gemäßigte Auffassung, die nodi a n anderer Stelle deutlich w i r d , u n d z w a r in E r w i d e r u n g auf das von Georg von Vincke gebrauchte Bild des Geschworenengerichts. Die Vorstellung, d a ß das Volk ein Appellhof sein könnte, der in letzter Instanz entscheidet, erscheint Blum so ultra-r evolutionär, d a ß er sich trotz seiner Zugehörigkeit zur Linken entsetzt habe: „ N u r einmal in der Geschichte ist es dagewesen, d a ß man das Volk direkt entscheiden ließ über die Verfassung. Das w a r 1793, u n d diese Verfassung w a r wegen ihres ultra-revolutionären C h a r a k t e r s nicht lebensfähig. Wenn daher die Linke ihr Mißfallen gegen den Sprecher äußern sollte, so tut sie es d a r u m , weil sie so revolutionär nicht sein will." 7 5 Die Tatsache, d a ß der preußische L a n d t a g einberufen ist u n d eine Verfassung beschließen u n d damit die Souveränität der N V verletzen könnte, läßt entgegen anderen Rednern in Blum ein tiefes Mißtrauen entstehen, das er auch d u r d i andere H a n d l u n g e n Preußens begründet findet: „Während man in verschiedenen deutschen K a m m e r n , selbst in den ersten K a m m e r n , auf A u f h e b u n g derselben anträgt, w i r d uns in Preußen, treu dem G r u n d s a t z einer ,Erbweisheit ohne Gleichen' eine erbliche Pairie geboten, eine Pairie mit einem Census, der unerhört ist. W ä h r e n d wir, mindestens viele von uns, hier glauben, es werde der Geist der N a c h t v o m 4. August 1789 auch über diese Versammlung kommen, d a ß sie die Torheit vergangener J a h r h u n d e r t e sühne u n d erkläre: Die Menschen sind gleich, — da schafft m a n d o r t (oder stellt es wenigstens in Aussicht) das Recht, den Adel zu ernennen u n d zu vermehren." 7 6 Mit D r o h u n g u n d Entrüstung sucht Blum den A n t r a g der Linken zu verteidigen. Auch der Spott u n d die Ironie spielen eine Rolle, so w e n n er — sich auf Welcker beziehend — bei Ablehnung der Reichsverfassung durch die einzelnen Länderregierungen keine andere H o f f n u n g sieht, als den lieben Gott anzurufen. Einen sarkastischen T o n schlägt Blum im Zusammenhang mit den Aussichten an, die sich ergeben, wenn die N V keine klare Entscheidung fällt und — wie die Rechte wollte — zur Tagesordnung übergeht: „Gehen Sie zur Tagesordnung über, meine H e r r e n — ich fürchte z w a r nicht Reaktionen auf allen Seiten, ich fürchte auch nicht, wie andere Leute, d a ß Jeder in der Westentasche ein halb D u t z e n d Revolutionen trägt, die er nur herausspringen lassen kann — allein ich besorge doch, wenn die Tagesordnung beschlossen wird, d a ß dann die Tageso r d n u n g unserer Versammlung überhaupt sehr abgekürzt wird." 7 7
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Der Redner schließt mit der Annahme, daß, wenn die H o f f n u n g auf Einheit bankrott werden könnte, „im allgemeinen Bankbrudie jeder Einzelstaat genötigt sein (wird), f ü r sich zu sorgen, dann heißt es, um die Zeit nicht ungenutzt dahingehen zu lassen, f ü r jeden derselben: Sauve qui peut!" 7 8 Der Antragsteller Franz Raveaux und der Berichterstatter Friedrich Römer kamen sowohl zu Beginn als auch am Schluß der Debatte zu Worte. Während sich Raveaux hinter den Antrag des Linken Zentrums stellt, empfiehlt Römer den Antrag des Rechten Zentrums. Raveaux als erster Redner in der Debatte setzt sich mit den vier Anträgen auseinander. Den Antrag der Rechten lehnt er von vornherein ab, weil eine Frage von so hoher Wichtigkeit offen und entschieden beantwortet werden muß und nicht ihrem Schicksal überlassen werden darf. Dem Antrag der Linken könnte Raveaux möglicherweise zustimmen, aber er fürchtet, dieser Antrag könnte keine Majorität erhalten, „es wäre aber ein Unglück, wenn wir in einer soldien Frage vielleicht die Majorität gegen uns hätten." 7 9 Die beiden mittleren Anträge unterscheiden sich nach Raveaux darin, daß der eine klar und deutlich, der andere aber unklar und undeutlich ist. Daher drängt Raveaux auf Annahme des Antrags des Linken Zentrums, und er m a h n t : „Hüten wir uns, uns darüber nicht klar und deutlich auszusprechen — wir dürfen kein Mäntelchen der Sache umhängen: wir müssen geradezu sagen und klar aussprechen: Das darf nicht sein, das ist der Wille der N V — so und nicht anders!" 8 0 In seinem Schlußwort geht Raveaux nicht nodi einmal auf alle vorgetragenen Ansichten ein, sondern fordert die N V auf, einen Beschluß zu fassen, der die Einheit Deutschlands auf einmal und schnell proklamiert. Das Volk will die Einheit jetzt. Dazu kann keinesfalls das Vertrauen gegenüber Regierungen und Ständen dienen, sondern eine bezeichnende Handlung gegenüber dem Volk : „Das Wort Vertrauen, meine Herren! ist ein abgenütztes Wort, es ist ein Wort, welches man bei uns nicht mehr anzuführen wagt. Man würde an dem gesunden Menschenverstände desjenigen zweifeln, der es wagte, jenes Wort in einer Volksversammlung noch einmal in Anregung zu bringen." 8 1 So ergeht am Ende an die Redite und die Linke die Aufforderung, sidi mit dem Antrag des Linken Zentrums zu vereinigen. Friedridi Römer als Berichterstatter des Ausschusses geht im wesentlichen nur auf die Unterschiede zwischen den beiden mittleren Anträgen ein, wobei er den Weg, daß den Regierungen und Ständeversammlungen das Recht zustehe, die erforderlichen Abänderungen der Länderverfassungen selbst zu machen und nicht eo ipso stattfinden zu lassen, als den einzig gangbaren hält. Bemerkenswert ist freilich der Satz: „Wie wir, und ob wir allein das Reichsgesetz zu vollenden haben, wird die Folge lehren." 82 Damit werden Zweifel an der Souveränität der N V angedeutet, wenn auch andererseits die Souveränität der N V von der Zustimmung des Volkes abhängig 78
1,151a; 8 •"> 1,127b; 8 80 1,128b; 8
81
1,153a; 8
82
I, 154a; 8
Politische Thematik
58
und
Ideologiesprache
gemacht wird: „Wir sind souverän, wenn wir das Volk für uns haben, und wir werden es für uns haben, wenn wir vernünftige, zeitgemäße Beschlüsse fassen; wir werden es aber nicht für uns haben, wenn wir keine zeitgemäßen Beschlüsse fassen, und wenn wir audi zehnmal beschließen, wie seien souverän. Volkssouveränität ist als W o r t ein leerer Schall, auf weldies ich keinen Wert lege, so lange man ihm keine Folge geben kann, und Folge kann man ihm bloß dann geben, wenn das Volk mit uns einverstanden ist." 8 3 Die Vorstellungen des Rechten Zentrums werden hier als ,vernünftig' und ,zeitgemäß' bezeichnet. Beide Zeichen bieten Raum für alle möglichen Assoziationen. Römer nutzt diese Möglichkeit für den Antrag des Rechten Zentrums, einem Antrag, der weit hinter dem zurückbleibt, was die linke Seite und speziell die Linke unter ,zeitgemäß' versteht.
2.3. Die provisorische
Centraigewalt
In der ersten großen, sich über mehrere Tage erstreckenden Debatte der N V ging es um die Bildung einer provisorischen Centralgewalt, d. h. um die Bildung einer Exekutive, die bis zur definitiven Verabschiedung und Inkraftsetzung der zukünftigen Reidisverfassung die Regierungsgeschäfte in Deutschland übernehmen sollte. Der Plan für eine solche Centralgewalt ging auf Anregungen des Fünfziger-Ausschusses zurück. Nachdem in der 6. Sitzung der N V am 25. 5. 1848 die Dringlichkeit eines Antrags Ludwig Simons zur Bildung eines ,Vollziehungsausschusses' abgelehnt worden war, kam in der 11. Sitzung am 3. 6.1848 dieser Antrag erneut zur Sprache. Es wurde auf Vorschlag des Ausschusses für Begutachtung der Priorität der Anträge' und nach dem Antrag Ludwig Simons beschlossen, für die Prüfung dieser Frage einen besonderen ,Ausschuß für Errichtung einer provisorischen Centralgewalt' zu bilden. Dieser Ausschuß legte seinen Bericht in der 18. Sitzung am 19. 6.1848 der NV vor. Damit begann die Debatte, die in der 27. Sitzung am 29. 6. 1848 mit der Wahl Erzherzogs Johann von Österreich zum Reichsverweser ihren Abschluß fand. Das Gesetz über die Einführung einer provisorischen Centralgewalt für Deutschland und die Wahl des Reichsverwesers war ein Kompromiß zwischen den Parteien der NV, den Ernst Rudolf Huber einen großdeutsch-monarchistisch-unitarischen nennt1. „Daß die N V einen Österreicher zum vorläufigen Reichsoberhaupt bestellte, war ein Sieg des großdeutschen Gedankens, für den die Linke und überwiegend audi die Rechte eintrat, über das kleindeutsche Programm der Casinopartei. Daß die N V einen Fürsten als Träger der Zentralgewalt berief und ihm die staatsrechtliche Unverantwortlichkeit zuerkannte, war ein Erfolg der Mitte und der Rechten über die republikanische Linke. Daß die N V statt eines Direktoriums den Einmann-Grundsatz einführte und den Träger der Zentralgewalt durch Wahl ohne Mitwirkung der einzelstaatlichen Regierungen berief, war ein Triumph des nationaldemokratischen Unitarismus und Zentralismus über das traditionelle Föderativprinzip." 2 Der Bundestag wurde durch das Gesetz aufgehoben, und zwar mit großer Mehrheit. — Die Debatte über die Bildung einer provisorischen Centralgewalt läßt sich unter vier Fragestellungen gliedern: 1. Warum ist eine Centralgewalt notwendig? 2. Wer soll die Centralgewalt bilden? 3. Wie soll die Centralgewalt aussehen? 4. Welche politischen Zielvorstellungen ver-
83
1, 153/54; 8
1 2
Huber 1960 Bd. 2 S. 628 Huber 1960 Bd. 2 S. 628
Die provisorische
Centraigewalt
59
binden sich mit der Bildung der Centralgewalt? Idi werde je ein Thema zur dritten und vierten Frage aufgreifen und den Sprachgebrauch beschreiben. 2.3.1. Bundesdirektorium
oder
Vollziehungsausschuß?
Für die Bildung einer provisorischen Centralgewalt standen sich zu Anfang drei Systeme gegenüber, die etwa der groben Gliederung der N V in drei Parteirichtungen entsprachen. Die Linke wollte einen Vollziehungsausschuß, dessen Vorsitzender aus der N V von der N V gewählt werden sollte. Dieser Vollziehungsausschuß sollte die Beschlüsse der N V ausführen und die Vertretung Deutschlands nach außen übernehmen. Er sollte der N V verantwortlich sein. Die Rechte wollte drei mit der Exekutivgewalt betraute Männer von den Regierungen ernannt und als Minister der Regierungen oder auch der Bundesversammlung angesehen wissen. Die Zentren, vorwiegend das Rechte Zentrum, wollte ein aus drei Männern bestehendes unverantwortliches Bundesdirektorium, das von den deutschen Regierungen bezeichnet und ernannt werden sollte, wobei der N V das Recht der Zustimmung ohne Diskussion eingeräumt war. Drei Aufgabenbereiche sollten ihm zugewiesen werden: Vollziehende Gewalt in Fragen der Sicherheit und Wohlfahrt des deutschen Bundesstaates, Oberleitung des gesamten Heerwesens, völkerrechtliche Vertretung Deutschlands. Seine Gewalt sollte das Bundesdirektorium durch von ihm ernannte, der N V verantwortliche Minister ausüben. Während der Debatte wurde sehr bald deutlich, daß die Vorstellungen der Rechten keine Chance auf Verwirklichung hatten. Das Lager der Rechten, das nach Friedrich Christoph Dahlmann geglaubt hatte, „einen neuen Bau zu bauen auf dem alten, morschen und verzweifelten Grunde," 3 hatte sich schon früh aufgelöst, so daß sich die parlamentarische Diskussion um die Centralgewalt sehr bald zwischen der Linken und dem Rechten Zentrum vollziehen und auf die Frage reduzieren konnte: Vollziehungsausschuß oder Bundesdirektorium. Die beiden Systeme lassen sich wie folgt darstellen: Vollziehungsausdouß 1 Person — nicht-fürstlich Verantwortlichkeit γ Ernennung durch die Nationalversammlung Republik Bundesdirektorium 3 Personen — fürstlich Unverantwortlichkeit γ Ernennung durch die Regierungen bzw. Fürsten Konstitutionelle Monarchie
3
I, 522b; 23
Politische Thematik und Ideologiesprache
60
Zwischen diesen beiden Modellen liegen eine Reihe von Modifikationen, die sich auf die Anzahl der Personen, die rechtliche Stellung der Centraigewalt, auf den Modus ihrer Bildung usw. beziehen. Eng verbunden mit der jeweiligen Form der Centraigewalt sind die politischen Zielvorstellungen in bezug auf die Staatsform, die sich in dem Gegensatz Republik — Konstitutionelle Monarchie ausdrücken. Entsprechend diesen politischen Zielvorstellungen verbinden sich in der Debatte weitere motivierende Kernbegriffe mit diesen beiden Modellen. Die Vorstellungen der Rechten orientieren sich nach Joseph von Radowitz an der Wirklichkeit, die er als Verbindung von Vielheit und Einheit bezeichnet. Dabei kommt es dem Redner nicht auf den Namen der Centralgewalt an, ob man sie nun Kaiser, Präsident, Direktorium, Vorort oder anders nenne. Wichtig ist ihm die Übereinstimmung der Centraigewalt mit der richtigen constitutionellen Theorie, und wichtig ist für die Rechte vor allem die Tatsache, daß, wie Carl von Bothmer feststellt, ein völliger Umsturz der Verhältnisse nicht erfolgt sei. Das sei zu beachten: „Die bestehenden Regierungen haben, wenn auch geschwächt, die Macht noch in Händen. Wir müssen versuchen, das stürzende Gebäude, statt es einzureißen, zu stützen und auszubessern."4 Die Vertreter der Rechten stellen verbal die Verbindung von konstitutioneller Monarchie und Freiheit her, die sie bei ihrem Vorschlag gewährleistet sehen. Ihre Auffassung von Freiheit wird allerdings präzisierend eingeschränkt, wenn Joseph von Würth feststellt: „Freiheit wollen wir alle, aber nicht diese Freiheit wollen wir, welche alle Schranken durchbricht, sondern wir wollen eine Freiheit, die sich verträgt mit der Ordnung und dem Rechte."5 Ganz ähnlich fordert Hermann von Beisler die Herrschafl des Rechts und nur die Herrschafl des Rechts, „aber ich will auch nur die Freiheit innerhalb der Schranken des Gesetzes."6 Zweimal erscheint das Zeichen ,Schranken', mit dem gegen den Vorschlag der Linken argumentiert wird. Es wird zwischen einer wahren und falschen Freiheit unterschieden. Die wahre Freiheit wird als Ausdruck von Ordnung und Recht, die falsche Freiheit dagegen als Schrankenlosigkeit bezeichnet. Schrankenlos ist nach Auffassung der Rechten der Vollziehungsausschuß, mit welch unscheinbarem Wort die Linke die ungeheure Tragweite des Entwurfs, allerdings vergebens, wie von Würth sagt, zu verhüllen sucht. Diese ungeheure Tragweite sieht Ernst von Lassaulx in dem absoluten Fehler des Projekts, die ganze volle Überwucht der Macht in die Hände der einen N V zu legen. Das aber muß zum Verderben führen, was für von Radowitz und von Würth gleichbedeutend ist mit Republik. Eine gute Verfassung besteht für von Lassaulx nicht in der ,Überwucht der Macht', sondern darin, daß sie ein Gleichgewicht verschiedener Kräfte und verschiedener Staatsgewalten gewährleistet. Der Redner begründet diese Auffassung mit der Natur des menschlichen Herzens: „Wer die Macht hat, mißbraucht sie, diese Wahrheit ist so alt als die menschliche Gesellschaft."7 4 5
I, 382a; 18 I, 401a; 19
« I, 438b; 20 7 1, 455/56; 21
Die provisorische
Centraigewalt
61
So wird schließlich der Vorschlag der Rechten gleichsam vom menschlichen Charakter aus motiviert und begründet. Die Mitglieder des Rechten Zentrums, die die Mehrheit des Ausschusses stellten, sehen in ihrem System die richtige Mitte zwischen den beiden Extremen auf der rechten und der linken Seite. Ihr parlamentarischer Kampf gilt vorzugsweise der Auffassung der Linken. Im Gegensatz zum System der Rechten liegt in dem der Linken eine klare Alternative zum Bundesdirektorium der Zentren vor. Für den Ausschußantrag ergibt sich folgender semantischer Rahmen: Der Ausschußantrag schafft — nach der Vorstellung des Rechten Zentrums — wirkliche Regierungsgewalt und bewahrt Freiheit im Rahmen gesetzlicher Ordnung; er vermeidet zugleich das Übel des Partikularismus und damit politische Tatlosigkeit und völlige Unbeholfenheit; er vermeidet aber vor allem Republik und damit blutigen Bürgerkrieg und Anarchie. Der Ausschuß vertritt in seinem Antrag den mittleren Standpunkt und übt von da aus Kritik an den einander am schroffsten entgegenstehenden politischen Parteien, der Rechten und der Linken also: „Die einen laden vielleicht bei ihren politischen Gegnern den Vorwurf der bedenklichsten Neuerungen auf sich, erhalten dagegen von diesen den Vorwurf zurück, daß sie auf dem alten morschen Grunde das neue Gebäude aufführen wollen und somit nichts ausrichten werden." 8 Der Ausschußbericht stellt seine Auffassung als die einzig mögliche dar. Sie allein zeuge von echter Staatsweisheit, weil sie „alle jähen Sprünge in den staatlichen Dingen möglichst zu vermeiden sucht" 9 und weil sie zugleich den Forderungen der Gegenwart entspreche und die Aussicht in eine hoffentlich gehobene Zukunft unseres Vaterlandes verheiße. Der Ausschußbericht macht sich bei seiner Argumentation die Tatsache zunutze, daß die Mehrheit der N V der Revolution und revolutionärem Denken ablehnend gegenüberstand. Er versieht eine solche Haltung zugleich mit dem Prädikat echter Staatsweisheit, womit dem Gegner nachgesagt wird, daß es ihm an Staatsweisheit, zumindest an ,echter' Staatsweisheit fehle. Der Bericht identifiziert sich überdies mit den Forderungen der Gegenwart, einer Kontinuation, die zum Vokabular der Demokraten gehört. Diese Kontinuation kann vor dem möglichen Vorwurf der ,Reaktion' bewahren. Außerdem wird damit der Blick in die Zukunft gerichtet und die Möglichkeit offengehalten, den Begriff des Fortschritts f ü r den politischen Standpunkt der rechten Seite in Besitz zu nehmen. Dieser Ausschußbericht ist die Basis, von der aus die Auffassung der Rechten, vor allem aber die der Linken bekämpft wird. Würde der Vorschlag der Linken angenommen, so wäre der Weg zur Republik praktisch angebahnt mit all seinen verderblichen und verheerenden Begleiterscheinungen und Folgen wie langer Bürgerkrieg und lange Anarchie. Das rechte System dagegen verlängere das Übel 8
I, 356b; 18
9
I, 358a; 18
Politische Thematik
62
und
Ideologiesprache
der Vielherrschaft, und die Folge davon sei die politische Tatlosigkeit und völlige Unbeholfenheit eines Gemeinwesens von so vielen Millionen Deutschen. Republik und Anarchie auf der einen, Partikularismus und Machtlosigkeit auf der anderen Seite, das ist das Negativum, vor dem der Ausschußbericht die eigenen Vorstellungen positivieren kann. Nur der Vorschlag der Mitte gewährleiste eine wirkliche Regierungsgewalt, ohne in die Befugnisse der einzelnen Regierungen einzugreifen. Im Gegenteil, der Vorschlag der Mitte unterstützt die Regierungen ausdrücklich bei der Bekämpfung jeder anarchischen Gewalt, „welche in den einzelnen Bundesgebieten dem Ziel wahrer Freiheit störend entgegentreten möchte." 10 Andererseits bleibt der N V das Redit, darüber zu wachen, „daß den jungen Boden deutscher Freiheit die gesetzliche Ordnung fest umhege, indem sie die Verantwortlichkeit der Minister in vollstem Maße zur Anwendung bringt." 11 Die Redner des Rechten Zentrums beziehen sich in der Debatte auf den Antrag ihrer Ausschusses, und ihre Reden sind im wesentlichen nur Modifikationen bzw. Paraphrasen der Ausschuß-Thesen. Sie bekämpfen den Vollziehungsausschuß, weil sie nicht wollen, daß die N V zur Regierung wird. Denn wenn der Vollziehungsausschuß nur das zu vollziehen hat, was die Versammlung beschließt, dann wäre die N V die eigentliche Regierung. Für Friedrich Bassermann ist eine solche Regierung zu schwerfällig. In der jetzigen Lage Deutschlands, in diesen kritischen Zeiten braudien wir „eine Regierung, welche regiert, während wir hier die Verfassung beraten." 12 Felix von Lidinowsky möchte die Centralgewalt nicht zur Rolle eines Exekutors herabgewürdigt sehen, und Friedridi Christoph Dahlmann umschreibt in seiner Abschlußrede die Position der Centralgewalt, wobei es ihm um die Person des Reichsverwesers geht, des Einen, Hochgestellten. Für ihn „bedarf es wahrhaft fürstlicher Würdigkeit, bedarf es einer unantastbaren und freien Stellung, einer wirklidien Regierungsausstattung; einer Regierung, die es ist, darf kein fremder Wille aufgedrungen werden, sonst hörte sie auf, eine Regierung zu sein, sie wird regiert; statt eines regierenden Herrn, der nicht nein sagen darf, statt dessen berufe man einen Schreiber, einen Unterschreiber, denn er soll ja nichts tun, als unterschreiben, keinen Kaisersohn!" 13 Hier wird sehr deutlich die Frage der Verantwortlichkeit in den Vordergrund gesdioben. Hinzu kommt, daß das Rechte Zentrum nicht nur vermieden wissen möchte, daß die Centralgewalt zum bloßen Vollzugsorgan der N V wird, sondern sie möchte sich zugleich die Zustimmung der Regierungen bei der Bildung der Centralgewalt sichern. Hierfür gibt Max Duncker eine sehr ausführliche Begründung. Er hält den Minoritätsantrag der Linken für unpolitisch und unpraktisch, und zwar sieht er es als Fehler an, ein überwundenes System, die Elemente und Träger eines überwundenen Prinzips ganz zu Boden zu werfen. Man solle vielmehr die alten Elemente mit fortziehen und hineinnehmen in die Bewegung. 10 11
I, 357b; 18 I, 357b; 18
12 13
I, 379/80; 18 I, 525b; 23
Die provisorische
Centraigewalt
63
Nur so schneide man die Reaktion ab. Anders würde man den Sieg des neuen Systems aufs ernstlidiste gefährden: „Man hat uns despotisiert, und nun sollen wir wieder despotisieren? Ist dies das Richtige, das Politische, das Weise, ist dieses das Gute, das Nützliche? — Nein, es ist politisch falsch, und es ist sittlich falsch. Auf dem Grundsatz: Auge um Auge, Zahn um Zahn, auf der Rache, auf der Vergeltung, auf dem Niederwerfen des Gegners kann kein dauerndes Gebäude errichtet werden, auf solcher Grundlage wird kein festes Haus der Freiheit gebaut." 14 Es handelt sich aber nicht bloß um eine sittliche Frage, worauf Duncker den Akzent gelegt hat, sondern um eine politische Frage. Denn was geschieht, so fragt Friedrich Bassermann, wenn die Regierungen sich weigern sollten, dem Diktat des Vollziehungsausschusses nachzukommen? Die N V verfüge ja weder über Geld noch über Soldaten, d. h. praktisch nicht über Macht. Nach Bassermann müßte dann die N V zu Opposition und Umsturz aufrufen und müßte mit Freischaren die Regierungen unterwerfen. Das aber müßte zu Erschütterungen führen. Das ist nun eine Behauptung, die die Linke herausfordern mußte und die Ludwig Simon zu der Feststellung führt, daß das Heer genau wisse, was ihm die Zukunft bringt, was ihm die Vergangenheit geboten. Simon verknüpft diese Feststellung mit dem Begriff der Freiheit: „Die Freiheit ist der Tod des Junkertums. Dies weiß das Heer, und nun wiederholen Sie: Das Parlament hat keine Soldaten!" 15 Auch Wilhelm Zimmermann kann auf Volk und Heer als Stützen für die Centraigewalt verweisen, denn der Soldat fängt an, sich als Bürger zu fühlen, und im Heer geht ein Geist um, „der dem Herren- und Despotentum Feind und dem Bürgertum Freund ist." 16 Bassermann warnt schließlich davor, die Freiheit zu mißbrauchen und das Maß zu verlassen. Die Folge würde sein, daß sich die Bürger „lieber Ordnung ohne große Freiheit, als eine solche Freiheit ohne Ordnung" 17 ersehnten. Die Erschütterungen würden nach Bassermann zu Militärdespotismus, Guillotine und Reaktion führen. Auch Carl Welcher kann feststellen, daß es der N V an Geld, Soldaten und Vollzugsbeamten fehle, um ihre Beschlüsse zu vollziehen. Der Vollzug wird daher nur gelingen, wenn die Regierungen, die noch die wirkliche Macht sind, gern und willig vollziehen, was die N V beschließt. Das aber geht nur auf der Basis der Vereinbarung: „Die Zeiten sind vorbei, wo der Posaunendonner die Mauern von Jericho eingestürzt hat." 18 Wenn aber eine republikanische Garde aufgeboten werden sollte — die ,Freischaren' Bassermanns —, um die Vollziehung der Beschlüsse zu erzwingen, dann habe sich die N V „um den Frieden des Vaterlandes schlecht verdient gemacht Dann sage ich, meine Herren: lebe wohl, Friede des Vaterlandes, und erwarte die Republik." 19
14 15 1β
I, 384b; 18 1,408b; 19 I, 497a; 22
17 18 19
I, 381b; 18 I, 412b; 19 I, 413a; 19
64
Politische Thematik und
Ideologiesprache
Hermann von Beckerath steigert: ein Vollziehungsausschuß wird sich nur durch eine Schreckensherrschaft und einen Verwüstungskampf gegen die Volksstämme behaupten können. Der Vollziehungsausschuß führt nach Beckerath auf einen abschüssigen Gang, das ist nach Max Duncker der Weg, den der Convent in Trankreich gegangen ist: „Wir wissen, was auf dieser Bahn kommen muß, wir haben es uns an den Kinderschuhen abgelaufen. Es wäre ein Kinderspiel, das alte Stüde noch einmal aufzuführen." 20 Die Vorstellungen der Linken führen für Carl Edel zu nichts anderem als zum Sicherheits- und Wohlfahrtsausschuß eines Convents. Hermann von Beckerath stellt noch einmal die Folgen dar, die mit einem Vollziehungsausschuß eintreten werden. Eine solche Regierungsform ist keine heilbringende: „Eine absolut regierende Versammlung kann der Freiheit ebenso gefährlich werden, als ein einzelner Despot." 21 Die Fülle des freien Lebens erzeuge sich nur in einer gewissen Gegenseitigkeit der Gewalten. Wo eine einzige Macht regiert, tritt oft statt der Freiheit Willkür ein, „und der Schutz, die Pflege der Freiheit, das ist die erste Aufgabe aller Regierungen."22 Das ist der Grundtenor der Argumentation des Rechten Zentrums: Vollziehungsausschuß, das ist Anarchie, Terrorismus, Schreckensherrschaft. Adolf Lette gibt in diesem Zusammenhang eine Definition dessen, was er unter Anarchie versteht. Anarchie ist „die Agitation derer, welche unter der roten Fahne das Eigentum, sei es des Staates, sei es der Privatpersonen zerstören, die die Arbeiter um ihren Lohn bringen und diese Bewegung aufrecht erhalten, um den ganzen gesellschaftlichen Zustand über den Haufen zu werfen." 23 An den Begriff der Anarchie, auf den sich auch Dahlmann bezogen hatte, werden nun weitere Folgerungen geknüpft. So sieht Adolf Lette die Möglichkeit, daß sich aus der Anarchie eine Reaction entwickelt, und zwar insofern, als das Volk im Bedürfnis nach Ordnung sich der Despotie, der Tyrannei in die Arme werfen könnte. Das System der Auschuß-Minorität sei ganz dazu angetan, die Permanenz der Revolution aufrechtzuerhalten und Deutschland zuletzt einem Tyrannen in die Arme zu stürzen. Wir sehen um das Zeichen Vollziehungsausschuß einen ganzen Ring negativer Zeichen gelegt, mit dem diese Institution bekämpft, das Bundesdirektorium dagegen propagiert wird. So gewinnen auch die Schlußworte der Redner ihre besondere Funktion: sie sind alternativ formuliert und haben Appell-Charakter. Dabei wird von allen Rednern eine Beziehung konstitutiert zwischen der Weisheit und der Kraft der Beschlüsse und dem vom Rechten Zentrum geforderten Bundesdirektorium. Das will besagen: Nur wer diese Institution will, handelt weise, kraftvoll und besonnen zugleich. Dahlmann spricht dabei die Überzeugung aus, daß die N V in dem vom Rechten Zentrum gewünschten Sinne entscheiden wird: „Ihre Beschlüsse, die Weisheit und Kraft Ihrer Beschlüsse werden ein Hoff20
21
I, 385a; 18
1,415b; 19
22 23
I, 416a; 19 I, 404b; 19
Die provisorische
Centralgewalt
65
nungsanker sein für die edlen Freunde der Freiheit, sie werden ein Todesstoß sein für die Freunde der Anarchie." 2 4 Hier wird eine direkte Zuordnung vollzogen: Bundesdirektorium, das bedeutet Freiheit, Vollziehungsausschuß, das bedeutet Anarchie, wobei den .Freunden der Freiheit' noch das Attribut ,edel' beigegeben wird. Was bei Dahlmann optimistisch-eindimensional gerichtet ist, das wird bei Bassermann als Alternative offengehalten, wobei die Wahl der Worte zwingend natürlich nur den einen Weg offenläßt: Bundesdirektorium oder Vollziehungsausschuß, das heißt: Hier ein Hafen, Schlund,
Zersplitterung zu einem
in dem
hier Vertrauen
die deutschen und Wohlstand,
und ein teilweises
heilsamen
Ziele,
Hoffnungen Einheit
Preisgehen
ankern
und Kraft,
an das Ausland.
können, dort
dort
ein
Erschütterung,
D e r eine Weg führe
der andere im wahrscheinlichsten Falle zu neuen
Ge-
M a x Duncker ruft ebenso zur Besonnenheit auf, die in dem Ausschuß-
fahren.
vorschlag sichtbar werde: „Treffen wir unsere Entscheidung umsichtig, halten wir uns besonnen an die Verhältnisse, wie sie liegen, täuschen wir uns nicht über die Kräfte des Neuen, nicht über die Gewalt des Alten, nehmen wir die augenblickliche Agitation nicht für den großen Strom der öffentlichen Meinung. Fassen wir unsere Entscheidung weise, umsichtig, staatsmännisch." 2 5 Eine Entscheidung gegen das Bundesdirektorium wäre dann nach Auffassung des Rechten Zentrums nicht-weise, nicht-umsichtig, nicht-staatsmännisch. Carl Edel bedient sich schließlich eines Wortspiels, um für die Notwendigkeit der E n t scheidung für den Ausschußvorschlag zu argumentieren. Wenn die N V diesen Vorschlag annimmt, dann „haben Sie nach meiner Ansicht nicht das Vaterland verraten, Sie haben es wohl beraten, und unser Werk wird nicht mißraten." 2 6 Gegenüber der Negativierung der Vorstellungen des politischen Gegners steht die Positivierung der eigenen Zielvorstellungen. Für Hans von Auerswald ist es ausgemacht, daß der Ausschußantrag die Interessen
der Meisten
befriedigen wird.
Hermann von Beckerath ist gewiß, daß dieser Vorschlag der wahren Freiheit jeder
entspricht, zugleich wird damit aus der heiligen
Frevel
der Anarchie
Nähe
gesetzlichen
dieser
Freiheit
entfernt. Georg Waitz schließlich sieht das Bundes-
direktorium dazu berufen, „Deutschland die Früchte der großen letzten Ereignisse, die Errungenschaft der Freiheiten zu sichern." 27 Von den Rednern des Linken Zentrums sind es vor allem Oskar von Wydenbrugk und Christian Wiedenmann, die davor warnen, die Bahn
des
Convents
zu gehen, die also ganz im Sinne des Rechten Zentrums zwischen den Aufgaben der N V und der Centraigewalt trennen wollen. Demgegenüber bekämpft Wilhelm Jordan, zu dieser Zeit noch dem Linken Zentrum angehörend, den Ausschußantrag ganz im Sinne der Linken. Die Redner der Linken gehen von dem Zusammenhang zwischen Volkssouveränität und Vollziehungsausschuß aus, und die Voraussetzung ihrer Argumentation ist, daß nur der Vollziehungsausschuß dem Prinzip der Volkssouverä24 25
I, 364b; 18 I, 3 8 5 a ; 18
28 27
I, 500b; 22 I, 495b; 22
Politische Thematik und
66
Ideologiesprache
nität entspreche. Von dieser Basis aus werden die Angriffe gegen das Direktorium gerichtet. Der Kernvorwurf gegen den Ausschußantrag und damit gegen das Rechte Zentrum, wie ihn Carl Friedrich Rheinwald vorbringt, ist der, daß er die Souveränität des Volkes bedrohe, die sich das Volk durch heiße Kämpfe errungen hat. Robert Blum sieht in dem Direktorium nichts anderes als eine vollständige Aufwärmung der alten Wirtschaft, denn es führt nicht zum Bundesstaat, sondern zum Staatenbund mit seinen Sonderintèressen und seiner Zersplitterung. Es ist nichts entschiedener der Wirklichkeit entfremdet als der Ausschußbericht, wie Ernst Friedrich Schmidt feststellt. Nach Julius von Dieskau steht der Bericht nicht auf der Höhe der Zeit, er ist das Werk der Halbheit und Unentschiedenbeit, der Courtoisie und Rücksichtnahme: „Er hat die großen Fragen der Zeit nicht begriffen. Er weiß nicht, wieviel Uhr es ist an der großen politischen Weltenuhr der Jetztzeit." 2 8 Wenn von Dieskau den Ausschußantrag als Werk der Halbheit bezeichnet, so bezieht er sich auf die Vertreter des Rechten Zentrums, die ihren Vorsdilag als in der Mitte zwischen zwei Extremen stehend ansahen. Aber gerade diese Mitte wird von der Lifiken als Halbheit bekämpft. Dieser Antrag steht für Hugo Wesendonck nicht in einer richtigen, sondern einer unhaltbaren Mitte. Wilhelm Michael Sdiaffrath nennt sie die sogenannte Mitte, die nicht konsequent ist. Diese Inkosenquenz besteht darin, daß durch den Ausschußantrag die Centralgewalt nicht das Organ der Versammlung, sondern das Organ der Regierungen ist. Da aber die Männer an der Spitze mit dem alten System noch nicht gebrochen haben, so muß nach Robert Blum das Bundesdirektorium wieder zur alten Nacht führen. Der Vollziehungsaussdiuß dagegen „sichert die Versammlung vor jedem Mißbrauch, . . . , er sichert die Regierungen durdi die Wahl, . . er sichert aber auch das Volk vor möglichen Ubergriffen." 29 Das Direktorium dagegen sichert niemanden. Im Gegenteil, es ist die Despotie, die Diktatur, die schrankenloseste Diktatur. Da der Ausschuß die Ergebnisse der Revolution nicht beachtet, da er sich nicht an die Revolution anschließt, ist er Ausdruck der Conterrevolution, Ausdruck der Reaktion. Das aber muß nach Adolf Wiesner zu neuem Sturm und Revolution führen. Die Kraft, so sagt Blum, erregt die Gegenkraft. Damit wird von der Linken der Vorwurf, der Vollziehungsausschuß sei Ausdruck der Diktatur, an das Rechte Zentrum mit ihrer Vorstellung von einem Bundesdirektorium zurückgegeben, wobei vor allem die Frage der Verantwortlichkeit als Argument verwendet wird. Hier bietet sich zugleich die Gelegenheit, den Begriff der Anardiie aufzugreifen, den die rechte Seite zur Charakterisierung der Linken gebrauchte. Was, so fragt Robert Blum, ist denn eigentlich Anardiie? „Ist sie etwas anderes als die Zuckung der Ungeduld, die in dem gehemmten Leben sich kund gibt, die Zuckung der Kraft, die nach Außen oder nach Innen sich geltend machen will?" 3 0
28 29
I, 456b; 21 I, 403a; 19
80
I, 403b; 19
Die provisorische
67
Centraigewalt
Es wird also keineswegs geleugnet, daß es so etwas wie Anarchie gibt, aber sie wird positiv gewertet als Ausdruck der Unruhe und Bewegung. I n ähnlicher Weise sucht Wilhelm Michael Schaffrath den V o r w u r f der Anarchie als negativer Erscheinung zu entkräften, indem er den Ausschußbefürwortern vorwirft, daß sie unter Anarchie „überhaupt die geistig fortschreitende Bewegung denken; dieser wollen sie einen H a l t machen." 3 1 Schließlich werden aber die Seiten völlig vertauscht, wie Bernhard Eisenstuck es tut, wenn er von einer Anarchie
von oben spricht. E r bezieht sich dabei auf den
Aussdiußvorschlag, der der Centralgewalt Befugnisse Das nennt Eisenstuck Anarchie,
ohne Gesetz
geben wolle.
„und die Anarchie kann von allen Seiten kom-
men, audi von oben! . . . Auf diesem Wege ist dann alles zu befürchten, . . . Bürgerkrieg . . . und die Souveränität der Guillotine obendrein." 3 2 D a m i t ist eine völlige Konverse der Begriffe vollzogen. Alle Attribute, die von der rechten Seite der Linken zugeordnet wurden, sind vertauscht, so daß sich nun für die Linke mit den politischen Zielvorstellungen der rechten Seite Anarchie, Bürgerkrieg, Guillotine zu einer semantischen Kette verbinden. Aus alledem ergibt sich für Robert Blum die notwendige Folgerung: D e r Anarchie kann nur entgegengetreten werden im innigen
Anschluß
an die Revolution.
diesem Zusammenhang greift Blum auch den Begriff der Wühlerei
In
a u f : „Man
wirft mitunter schielende Blicke auf einzelne Parteien und Personen und sagt, daß sie die Anarchie, die Wühlerei und wer weiß was wollen. Diese Partei läßt sich den Vorwurf der Wühlerei gern gefallen; sie hat gewühlt ein Menschenalter lang, mit Hintansetzung von Gut und Blut, . . . ; sie hat den Boden ausgehöhlt, auf dem die Tyrannei stand, bis sie fallen mußte, und Sie säßen nicht hier, wenn nicht gewühlt worden wäre." (Stürmischer, anhaltender Beifall in der Versammlung und auf den Galerien) 3 3 H i e r bekommt der Begriff der Wühlerei seine historisch berechtigte und damit positive Erklärung. Die Argumentation ist somit ganz außengerichtet, d. h. gegen die Vorstellungen des politischen Gegners im Rechten Zentrum. Die V e r teidigung des eigenen Antrags wird von der Linken auf die Verbindung mit dem Begriff der Volkssouveränität basiert und erscheint damit ausreichend begründet.
2.3.2. M o n a r c h i e
oder
Republik?
Die Frage, ob an der Spitze der provisorischen Centraigewalt ein Fürst oder eine nicht-fürstliche Person stehen sollte, implizierte zugleich die Frage nach der zukünftigen Staatsform, und die Frage, ob eine Monarchie oder eine Republik in Zukunft bestehen sollte, stellte sich vor dem Hintergrund des Verhältnisses zwischen den ,Fürsten* und dem ,Volk'. J e nach dem politischen Standort der einzelnen Redner fiel die Entscheidung zugunsten der Republik oder der konstitutionellen Monarchie aus. Aber nur die Vertreter der Linken wollten die R e 31 32
I, 436a; 20 1,432b; 20
33
I, 403b; 19
Politische Thematik und
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Ideologiesprache
publik, während vom Linken Zentrum — von wenigen Ausnahmen abgesehen —, vom Rechten Zentrum und von der Rechten die konstitutionelle Monarchie angestrebt wurde. Die Argumente, die die Verteidiger der konstitutionellen Monarchie vorbringen, stammen weitgehend aus dem Bereich des Emotionalen, es sind meist reine Gefühlsbekundungen. Georg von Vincke faßt als einer der konsequentesten Vertreter der Rediten alles zusammen, was sich zur Bewertung von Fürsten und Monarchie sagen läßt: „Wir lieben unsere Fürsten, . . . wir lieben . . . die Monarchie, weil wir in ihr die Krone auf eine Höhe hinaufgerückt sehen, wo sie nicht durch den niederen Ehrgeiz angestrebt werden kann, weil wir glauben, daß unsere Fürsten sich des Ruhms erinnern werden, den ihre Väter ihnen hinterlassen haben; wir lieben die Fürsten, weil wir überzeugt sind, daß sie in Übereinstimmung mit dem Willen des Volkes regieren werden, und weil wir nur in ihnen die erblichen Träger jener ewigen Grundsätze des Rechts erblicken, die stärker sind als die ephemeren Launen des T a g e s . . . Wir wollen darum den Fürsten ihre Rechte erhalten wissen im Interesse der Ordnung und Freiheit, weil wir in der constitutionellen Monarchie die sicherste Bürgschaft für die Freiheit erblicken." 34 Hier wird eine reine Gefühlsbindung motiviert, indem das Ziel der Emotionen, Fürsten und Monarchie, die in eins gesetzt werden, mit bestimmten Attributen versehen werden. Fürsten und Monarchie sollen jeder kritischrationalen Bewertung entzogen werden, indem sie aus dem Zusammenhang geschichtlicher Veränderung gelöst und mit Ewigkeitswert versehen werden: einsame Höhe — nicht niederer Ehrgeiz, ewige Grundsätze des Rechts — nicht ephemere Launen des Tages, Ruhe, Ordnung und Freiheit, und all das gleichsam in Übereinstimmung mit dem Willen des Volkes. Die Zeit steht still, die Gesellschaft bleibt statisch, die Herrschaft unverändert. Das sind die Grundvoraussetzungen, von denen von Vincke ausgeht und an die sidi auch die meisten Redner der Rechten halten. Dabei wird vor allem eine innige Beziehung zwischen Fürsten und Volk konstruiert, mit der die Redner ihre politischen Zielvorstellungen motivieren. So steht es für Joseph von Würth fest, daß das Volk die Republik nicht will: „Das Volk in seiner großen, in seiner weit überwiegenden Mehrheit will die Constitutionen e Monarchie allein. Es lebt noch im deutschen Volke, in der großen Mehrzahl des deutschen Volkes die Treue gegen die angestammten Fürsten. Es lebt noch in der großen Mehrzahl des unverdorbenen Landvolks in allen Teilen Deutschlands... (Unterbrechung)... Es lebt im Landvolk ganz besonders jener echt germanische Zug, der von den ältesten Zeiten der deutschen Geschichte das Volk an seine Fürsten knüpfte." 35 Auch für Franz Xaver Dieringer besteht kein Zweifel, daß die Stämme trotz allem „mit dem Gefühl heiliger Pietät an ihrer Geschichte und ihren Fürstenhäusern hängen." 3 "
34 35
I, 4 4 1 a ; 20 1, 4 0 0 a ; 19
39
1 , 4 1 3 b ; 19
Die provisorische Centraigewalt
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Nach Ernst von Saucken-Tarputschen will die Gesamtmasse des Volkes in Deutschland die konstitutionelle Monarchie und nicht die Republik: „Die Anhänglichkeit an die Fürstenhäuser ist selbst durch die jahrelang erlittene Unbill nidit erloschen . . . Die alte deutsche Treue, sie ist kein leerer Schall, und selbst die brausenden Sturmeswogen der Gegenwart haben sie nicht zu verwehen gewußt." 3 7 Die Anhänglichkeit der Völker an ihre Fürsten ist schließlich audi für Georg Phillips eine Tatsache. Fürsten und Monarchie werden von der Rechten gleichgesetzt. Die Redner des Rechten Zentrums versuchen dagegen zu trennen zwischen Person und Institution, womit eine Sicherung des monarchischen Prinzips erreidit werden soll. So will Felix von Lichnowsky ausdrücklich keine Rede halten von der Liebe zu einzelnen Fürsten, ja, er gesteht, daß es Fürsten gäbe, „deren Mediatisierung ich nicht als ein Unglück ansehen würde." 3 8 Aber er verteidigt das monarchische Prinzip, indem er feststellt: „Und wenn durch Gottes Willen die 34 deutschen Souveräne und ihre Familien auf einmal hinweggenommen würden von dieser Erde, so bin ich der Überzeugung, man würde sidi vereinen und neue an die Spitze dieses Landes stellen, wenn auch nicht in so großer Anzahl. (Gelächter auf der Linken). Ich begreife Ihre Heiterkeit, meine Herren! Wenn ich das Gegenteil gesagt hätte, so würden meine Freunde geladit haben. (Allgemeine Heiterkeit)." 39 Das monarchische Prinzip ist die Grundlage, die es zu bewahren gelte. Georg Waitz nennt sich ausdrücklich Monarchist, und er verteidigt die abstrakte Idee der Monarchie, wenn er glaubt, „daß die Stärke und Heiligkeit der monarchischen Form und der Monarchie eben darin besteht, daß sie nicht herabgewürdigt und vernichtet werden kann, durch alles, was an einzelnen Inhabern der fürstlichen Würde getan und verschuldet wird. Nicht die Personen sind es, sondern der Begriff, welcher durch alle Geschichte gelebt hat und leben wird." 4 0 Während die Personen in den geschichtlichen Wandel gestellt werden, wird die Institution auf eine absolute und damit ungeschichtliche Position gehoben, um sie für den politischen Gegner unangreifbar zu machen. Was man dem einzelnen Fürsten auch vorwerfen mag — und selbst die Rechte konnte solche Vorwürfe nicht verdrängen —, die Monarchie selbst trifft das nicht. Das ist der Grundtenor, und das wird audi von Friedrich Christoph Dahlmann ausdrücklich bestätigt, wenn er die Haltung der Vertreter desjenigen Lagers verteidigt, die ihre Augen keineswegs vor den beweinenswürdigen Mißgriffen deutscher Fürsten verschließen, die aber aus solchen Mißgriffen keinen Tadel gegen die monarchische Ordnung ableiten. Sie lassen den Grund bestehen, dem unsere Vorfahren vertrauten. Die monarchische Ordnung hat in den Augen der rechten Seite Ewigkeitsgeltung, sie ist gleichsam etwas von der N a t u r Gesetztes, das außerhalb der Geschichte steht. Was den Vorfahren — und die werden teilweise bis in germanische Zei37 38
I, 485b; 22 I, 505a; 23
»» I, 505a; 23 40 I, 494a; 22
Politische Thematik und Ideologiesprache
70
ten' zurückverfolgt — als gut erschien, das muß audi für die Gegenwart und für alle Zukunft gut sein. Schließlich ist alles ein reines Erziehungsproblem. Es komme lediglich auf die Vervollkommnung der Träger dieser Ordnung an. Um ihrer Auffassung die nötige Autorität zu verleihen, berufen sidi die Redner des Rechten Zentrums, so wie es auch schon die Rechte getan hatte, auf das ,Volk c . Bereits der Ausschuß-Bericht hatte festgestellt, „daß die überwiegend große Mehrheit unseres Volkes der Monarchie anhängt." 41 Wilhelm Joseph Behr ist geradezu davon überzeugt, daß die Mehrheit des Volkes die N V zur Schaffung einer constitutionellen Monarchie beauftragt habe, und von Radowitz meint, daß die große Mehrzahl des deutschen Volkes, „besonders jene Teile, die Bestandteil einer großen Monarchie, einer alten Genossenschaft mit ruhmwürdigen Erinnerungen gewesen sind," 42 seine staatlichen Besonderheiten, d. h. aber die Monarchie, ni-
religiöse
Anarchie
Prospektive Konsekution
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Die Einbeziehung des Zeichens Anarchie in diese Oppositionen ist bemerkenswert, da es die Übertragung aller mit ihm verbundenen Attributionen aus dem politisch-gesellschaftlichen in den kirchlich-religiösen Bereich ermöglicht. Die politischen ,Anarchisten' können somit als solche Kräfte determiniert werden, die an der Zerstörung von Religion und Kirche gleicherweise interessiert sind. An die N-Zeichen im System der Fremdidentifikation knüpft eine ganze Serie weiterer N-Zeidien an, die den Bereich a-religiöser, oder genauer a-kirchlicher Verhaltensweisen abdecken sollen. Da ist die Rede von dem Geist Voltaires, französischer Starkgeisterei und sogenannter Vernunftreligion, Indifferentismus und Religionsfabrikation, der Gefahr des alles zersetzenden Skeptizismus, und — metaphorisch — von der kalten eisigen Luft der bloßen Verstandes-Abstraktion. Verbunden werden mit diesen negativen Kontinuationen moralische Wertungen gegen die linke Seite, denn sie vertrete das Extrem der ärgsten Zügellosigkeit, das Extrem des äußersten Schmutzes, die Gleichgültigkeit gegen das Sittliche. Demgegenüber vertritt die rechte Seite große sittliche Güter, attribuiert mit dem Zeichen Gesundheit. Schließlich werden die Vertreter jener Richtung als Cäsarpapisten, als Russen, als Finsterlinge negativ qualifiziert, die Vertreter dieser Richtung aber als Deutsche positiviert. Diese Opposition hat ihre Konsequenzen für den politischen Bereich, denn sie evoziert die Assoziation, daß ein ,guter Deutscher', ein Deutscher überhaupt, die schrankenlose Freiheit im Religiösen und auch im Politischen nicht wollen kann. Jene aber, die die schrankenlose Freiheit wollen, können als die ,Feinde jeglicher Freiheit und Ordnung' apostrophiert werden. Ordnung: Ich habe im Zusammenhang mit dem Zeichen Freiheit schon die Funktion des Zeichens Ordnung beschrieben. Das Zeichen Ordnung kommt aber auch außerhalb der Verbindung mit ,Freiheit' vor, und zwar in enger Kombination mit ,Ruhe', zum anderen mit,Stetigkeit' und ,Stabilität'. Es handelt sich hier wieder um eine ganze Serie von Äquationen: Ruhe und Ordnung, Gesetz und Ordnung, Stetigkeit und Ordnung, Ordnung und Mäßigkeit, Ruhe und Sicherheit, Frieden und Ruhe, Ruhe und Ehre des Vaterlandes. Dazu Drei- und Mehrfadi-Kopulationen: Stetigkeit, Ruhe, Ordnung; gegenseitige Rechtsachtung, Frieden, Ruhe; Macht, Sicherheit, innerer Frieden; Sicherheit nadi außen, Herrschaft des Gesetzes, Ruhe und Ordnung im Innern. Alle diese Kontinuationen werden von der rediten Seite einmal als echte Konsekutionen formuliert, die sich aus der Realisierung der Destinationen der rechten Seite ergeben sollen, sie sind aber auch als Zielprojektionen zu verstehen, d. h. ,Ruhe und Ordnung' werden als politisches Ziel angegeben, das nur erreichbar ist über bestimmte Destinationen der rechten Seite. Eine wesentliche Funktion kommt hier dem Motivationszeidien Volk zu, denn das Bedürfnis nach Ordnung, nach dauernder Ordnung wird als ein Grundbedürfnis des ,Volks' interpretiert. Daher ergeht an die Nationalversammlung die Aufforderung, geordnete Verhältnisse nicht zu stören, mit denen das Volk zufrieden ist. Wenn die ,Ordnung' auf die Beruhigung der Gemüter und auf die
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Das ideologische
Zeichen-Inventar
Stabilität und die Beständigkeit der bestehenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse intendiert, so heißt das, daß Ordnung als positives Zeichen dem System des Wechsels, dem System des Schwankens oppositiv entgegengestellt wird. Während das System, das keinen Wechsel zeigt, d. h. das,System der Ordnung', also das System der rechten Seite, selbstidentifikatorisdi als ein logisch durchgeführtes System bezeichnet wird, gilt das ,System des Sdiwankens', also das der linken Seite, fremdidentifikatorisch als System der Unordnung, der allgemeinen Auflösung, schließlich als System des Nihilismus. Dabei werden Zeichen und Antizeidien eindeutig auf Monardiie und Republik bezogen. Ein System aber, das keine dauernde Politik, keine constante Politik, sondern nur eine unstetige Politik ermöglicht, könnte dazu führen, daß das Volk Ordnung um jeden Preis verlangt. Dieser Ordnungsbegriii nähert sich an einen absolutistischen Ordnungsbegriff an, wie er sich audi mit der Kopulation die Fürsten und die Ordnung ergibt. So kann selbst die Camarilla'als Ausdruck der Ordnung gebraucht werden gegenüber dem ewigen Aufruhr, eine Kontinuation, die mit der weniger emotiven Wendung das stete Hin- und H erfluten der öffentlichen Meinung gleichgesetzt wird. Vom Begriff der Ordnung aus, wie ihn die rechte Seite gebraucht, bestimmt sich audi die Negativität des Begriffs Demokratie. In der Kontinuation, daß die Verfassung neben demokratischen Elementen auch Elemente der Ordnung und des Conservatismus enthalte, wird deutlich, daß die demokratischen' Elemente nicht als Elemente der ,Ordnung' verstanden werden. Es ergibt sich damit trotz der kopulativen Zeichenverbindung eine negative Wertung des Zeichens demokratisch. Die als Zielprojektion formulierte Kopulation von Ruhe und Ordnung weist zurück auf das System der Destinationen der rechten Seite, das selbstidentifikatorisdi verstanden wird als ein hemmender Damm gegen die Wogen der Revolution, als ein Sicherheitsventil gegen republikanische Bestrebungen. Es bietet Schutz vor rasch umwälzenden Strebungen. Ordnung wird damit von der rechten Seite ausgewiesen als oppositives P-Zeichen gegen Revolution und Republik. Es steht äquativ zu Conservatismus und bezeichnet das Bemühen um die Sicherung bestehender Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Einheit: Das Zeichen Einheit ist neben Freiheit und Ordnung das dritte wichtige Zeichen in der Kategorie der Konsekution der rechten Seite. Die Relevanz, die es für die rechte Seite besitzt, wird deutlich daran, daß sie sich hier selbst auf die ,Revolution' beruft. Einheit wird geradezu als ein europäisches Revolutionswort, als Ausdruck einer großen revolutionären Idee bezeichnet. Zudem wird die Einheit als unser höchstes Prinzip gefaßt, formuliert in der Stereotype: deutsche Einheit über alles. Aber anders als Freiheit hat das Zeichen Einheit nicht nur .menschliche', sondern auch staatsrechtliche Konsequenzen. Dieser doppelte Aspekt findet seine Widerspiegelung im Sprachgebrauch. Die Einheit, und zwar als geistige, zielt auf die Einigkeit und hat dementsprechend als negative Antizeidien die Zwietracht, die Zerrissenheit gegen sich. Die Einheit, und zwar die
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materielle, zielt auf den Bundesstaat, den Föderativstaat und hat dementsprechend als negative Antizeidien den Staatenbund auf der einen, den Centralstaat auf der anderen Seite gegen sich. Von der Mehrheit der rechten Seite wird Einheit in diesem Sinne verstanden. Mit der Destination ,Bundesstaat' ist die Konsekution staatliche Einheit und menschliche Einigkeit verbunden, und umgekehrt sind für die rechte Seite Einheit und Einigkeit Bedingungen des Föderativstaates. Einheit zielt somit in zwei Richtungen und ist damit in jedem Falle vom Zeichengebraudi der linken Seite verschieden. Die Aquation von Einheit und Einigkeit oder Einigung wird durch bestimmte Kontinuationen bestätigt, durch die konzessive Kontinuation Einigung, aber niemals völlig Einheit, und durch Kopulationen, in denen Vielheit und Einheit, Selbständigkeit und Einheit, Einheit und Mannigfaltigkeit miteinander verbunden sind. Dabei wird diese d i a lektische' Einheit, wie sie bezeichnet werden könnte, mit dem deutschen Volkscharakter, mit unserem Charakter, dem deutschen Wesen, dem deutschen Leben motiviert. An die genannten Kopulationen schließen weitere paraphrasierende Zeichen an wie Vielseitigkeit, Mannigfaltigkeit, Vielerleiheit, Vielsinnigkeit, Vielfältigkeit. Der dahinter stehende Einheitsbegriff wird im Zeichen Einheit als seiner sprachlichen Realisierung zusätzlich affektiv determiniert, attributiv wie kopulativ. Es ist die Rede von einer tüchtigen Einheit, einer kraftvollen Einheit. Und wenn die reiche Mannigfaltigkeit in Deutschland, des deutschen Lebens erhalten bleibt, wird eine desto höhere und kräftigere Einheit möglich sein. Auch das Zeidien Volk wird in die Kontinuation eingebracht : die gemeinsame Einheit des Volkes, die Volkseinheit, die Staats- und Volkseinheit, ein Einheitsbegriff, der sich dann audi in der romantisierenden Devise Ein Kaiser, ein Reich äußern kann. Diesen Formulierungen entsprechen Kopulationen wie Einheit und Kraft, Einheit und Macht Deutschlands, Einheit, Würde und Kraft der Nation; Einheit, Würde und Freiheit der deutschen Nation; Einheit, Ehre und Macht der Nation, und auch der Aussage: Einheit macht stark. Die Affektion dieser Zeichenverbindungen ist deutlich, und sie wird bestätigt durch die Kopulation von Einheit und Vaterland. Die Konsekution wird hier ganz auf eine emotive Ebene gestellt in den Kontinuationen ein großes, einiges Vaterland; Freiheit und Einheit Germaniens, und wenn davon gesprochen wird, die neue Ära der deutschen Einheit mit Blute einzuweihen. Auch die Zeichen Vaterlandsliebe, Patriotismus und Volkskraft werden mit dem Begriff der Einheit verbunden. In einigen Kontinuationen verknüpft sich das Zeidien Einheit mit dem Zeidien Freiheit. Diese Verbindung hat aber eine andere Qualität als die zwischen ,Freiheit und Ordnung'. Freiheit und Einheit sind nicht nur syntaktisch kopulativ verbunden, sie sind es auch semantisch. Freiheit und Ordnung dagegen sind es nur syntaktisch, nicht aber semantisch, denn Ordnung ist immer Attribution zu Freiheit. Die Kopulation von Freiheit und Einheit muß aber im Internum der rechten Seite konzessiv verstanden werden, d. h. es besteht zwischen beiden Zeichen eine Rangfolge, so wenn diese .Einheit' als ,unser höchstes Prinzip' qualifiziert wird. Diese wertende Rangfolge wird auch ausdrücklich formuliert, indem die Möglichkeit angedeutet wird, sämtliche Freiheitsrechte aufzugeben, um da-
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Das ideologische Zeichen-Inventar
durch die Einheit und künflige Größe Deutschlands zu sichern. Damit ist die völlige Konverse gegenüber der Auffassung der linken Seite ausgedrückt. Es versteht sich, daß ,Einheit' eine besondere Rolle spielen mußte im Zusammenhang der Debatten um ,Großdeutschland' und ,Kleindeutschland'. Die Auseinandersetzung zwischen den ,Kleindeutschen' und den ,Großdeutschen' der rechten Seite um den Begriff der Einheit vollzieht sich auf emotionaler Basis, d. h. das Zeichen Einheit wird durch emotive Zeichen, vor allem aus der Sphäre des Organischen und der Ganzheit determiniert. Die Großdeutschen stellen die papierne Einheit, Ihre Einheit in Formen und Normen, die erlogene Einheit eines zerstückelten Deutschlands, des verwünschten Kleindeutschlands der Kleindeutschen und die lebendige Einheit der gesamten Nation, das einige und ganze deutsche Vaterland, die Einheit sämtlicher deutscher Volksstämme, die Integrität und Einheit Deutschlands, Großdeutschlands der Großdeutschen oppositiv gegenüber. Das halbe Deutschland, die preußische Einheit stellen sie gegen das ganze Deutschland, die deutsche Einheit. ,Preußisch' ist damit für die Großdeutschen N-Zeichen. Die Trennung Österreichs von Deutschland, und das bedeutete ja die ,preußische Einheit', erscheint in der Formulierung der Großdeutschen metaphorisch-emotiv als ein gewaltsamer Riß, ein Riß durch das Herz unseres Vaterlandes. Der Gebrauch emotiver Zeichen gilt in gleicher Weise für die Kleindeutschen. In jedem Falle evoziert das Zeichen Einheit weitere Zeichen mit emotiver Komponente. Ein bundesstaatliches Verhältnis ist für die Kleindeutschen der rechte Bau gegenüber einem völkerrechtlichen Bündnis mit Österreich, und sie ziehen — oppositiv formulierend — den beschränktesten Partikularismus gegenüber einer Universalität vor, sie wollen lieber den kleinsten Fleck rein deutscher Erde als diese wüste, weite Gesamtmonarchie. Wertneutrale Einzelzeichen wer den hier in oppositiv gebrauchte Kontinuationen gestellt und bekommen damit rein affektive Funktion. Bemerkenswert ist, daß das Zeichen Partikularismus in diesem Zusammenhang positiviert wird, wenn auch relativ. Aber es handelt sich immerhin um das wichtigste N-Zeichen im System der Fremdidentifikation der rechten Seite zur Bezeichnung der Interessen und der Politik der Dynastien. Hier muß aber deutlich gemacht werden, daß das Zeichen auf der rechten Seite zwei Funktionen erfüllt: Es bezeichnet als P-Zeichen den ,Partikularismus des Volkes und der Volksstämme', es bezeichnet als N-Zeichen-den ,Partikularismus der Dynastien'. Das Zeichen bedarf daher in jedem Fall der Determination. Das P-Zeichen wird gestützt durch die Tatsache, daß es auch im Bundesstaat, im Gesamtstaat, wie dafür auch formuliert wird, Partikularstaaten, d. h. die Einzelstaaten, die einzelnen Staaten gibt, daß neben der Reichsgesetzgebung eine Partikulargesetzgebung notwendig ist. Unter solchem Aspekt stehen nach Auffassung der rechten Seite die Interessen der Gesamtheit des Volkes, das Gesamtinteresse nicht im Widerspruch zu den Partikularinteressen der Einzelstaaten, den berechtigten Interessen der Einzelstaaten, den partikularen Interessen der Gemeinden. All diese Partikularinteressen verknüpfen sich im System der Selbstidentifikation der rechten Seite zu einem gesunden Volkspartikularismus. Selbst eine Kontinuation preußi-
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scher Partikularismus wird durch die Aquation mit preußisches Selbstgefühl positiviert. Außerdem finden diese Zeichen ihre positive Stützung durch die Formulierung: Preußen soll in Deutschland aufgehen, nicht untergehen. Entsprechend gilt der ,Partikularismus der Dynastien' als negativ. Audi undeterminiert gebraucht zielt das Zeichen als N-Zeichen gegen den dynastischen Partikularismus. Es überwiegen aber die negativierenden emotiven Determinationen: Reaktion des Partikularismus, üppig wuchernder Partikularismus, Intrigue des Partikularismus. Das Zeichen wird auch verbunden mit dynastisch' zum qualifizierenden Determinanten: dynastischer oder partikularistische Interessen, dazu als positive Anti-Kontinuation: eine rein deutsche Frage, ferner dynastische und partikularistische Sonder gelüste. Es genügen audi die reduzierten Kontinuationen dynastische Interessen, Sonderinteressen. Dazu wieder eine positive Anti-Kontinuation: Einheitsinteresse Deutschlands. Dieser ,dynastische Partikularismus' wird als Ausdrude undeutscher Gesinnung, oder — auf Österreich bezogen — als Ausdrude des Schwarzgelbtums bezeichnet. Die Vertreter des dynastischen Partikularismus endlich werden Partikularisten genannt, für die Fürsten gilt dazu der Superlativ die Partikulärsten. Die negative Ästimation des Zeichens Partikularismus erfolgt weiter über eine ganze Serie von Attributionen, die eine Qualifizierung bedeuten: Übel der Vielherrscbaft, Unbeholfenheit, Tatlosigkeit, Ohnmacht. Das positive AntiZeidien wird mit dem Bundesstaat verbunden. Vor allem aber werden die negativen Zeichen an das Zeichen Einigkeit geknüpft: Zerrissenheit, Zwietracht, Entzweiung, Zwiespalt, Zerrüttung, Zersplitterung, ungeheure Spaltung, Unfrieden, Zwist. Die hohe Frequenz dieser Äquationen macht die Relevanz deutlich, die die redite Seite der Opposition von Einheit und Partikularismus zumißt. Das Zeichen Katastrophe faßt alle N-Zeichen in diesem Bereich zusammen. Dem ,Partikularismus' auf der einen Seite entspricht auf der anderen Seite das N-Zeichen Unitarismus, das Prinzip des Unitarismus, die Centralisation. Metaphorisch wird hier auch vom Einheits-Schwindel gesprochen. Diese Negativierung in zwei Richtungen entspricht ganz dem Selbstverständnis der rechten Seite, wenn sie sich als Partei der Mitte versteht. Auf die staatsrechtliche Ebene übertragen bedeutet das die Opposition von einem Föderativ-System verbündeter Bruderstaaten im System der Selbstidentifikation und dem CentralisationsDespotismus im System der Fremdidentifikation. Während die Opposition von Einheit und Partikularismus, trotz der Doppelfunktion des Zeichens ,Partikularismus', eindeutig ist, erweist sich eine solche Differenzierung gegenüber der linken Seite als schwieriger, weil auch dort der Einheitsbegriff gebraucht wird. Die Abgrenzung der Zeichen geschieht auf doppelte Weise: Einmal werden Einheit ( = Einigkeit) und Centralisation oppositiv gebraucht, zum anderen die Zeichen Bundesstaat und Einheitsstaat. Centralisation ist für die rechte Seite ausgesprochenes N-Zeichen, das zusätzlich negativiert wird in der Kontinuation Centralisations-Despotismus bzw. in einer Konnexion mit dem Zeichen Polizei: Centralisation bedeutet Polizei machen. Gleich negativ ist das Zeichen Einheitsstaat, es steht dafür audi Centralstaat, das mit Republik gleichgesetzt wird. Die
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negative Wertung gilt natürlich auch für den Gebrauch der Zeichen als Determinanten: centralisierte Verfassung, centralbüreaukratischer Gedanke der Verwaltung, streng centralisierter Staatskörper, centralisierter Staatenstaat, eine von der russischen bis zur französischen Grenze reichende Republik mit der Centralisation in Frankfurt. An der zuletzt vorgeführten Kontinuation wird der Zusammenhang deutlich, den die rechte Seite zwischen Centralisation und Republik formuliert. Der Begriff zielt auf eine allgemeine, ungeheuer große Republik, eine Gesamtrepublik, eine république une et indivisible, die einzige und unteilbare Republik. Die Verbindung von ,Centralisation' und ,Republik' wird zudem negativ qualifiziert mit dem Anti-Zeichen zu dem Zeichen Vielseitigkeit, von dem schon die Rede war: Gleichförmigkeit, große Gleichheit, große Uniformität. Schließlich werden der .Centralisation', dem ,centralbüreaukratischen Gedanken der Verwaltung' oppositiv die positiven Zeichen das S elfgovernment, die Selbständigkeit, die Selbstbewegung, die Selbstregierung des Volkes entgegengestellt, und der grünende Bundesstaat (Nordamerika) mit seiner gesunden Rivalität, gesunden Concurrenz wird verglichen mit dem absterbenden Einheitsstaat (Frankreich) mit seiner Staatscorruption. Das Vokabular aus dem Bereich des Organischen wird auch hier wieder zur Oppositionsbildung verwendet. Mit der Centralisation verbindet die rechte Seite in ihrem System der Fremdidentifikation ausdrücklich weitere negative Konsekutionen: Sie bedeutet Zerstörung des Einzelwesens, des Communalwesens, alles individuellen Lebens der Provinzen, sie bedeutet schließlich Vernichtung der Freiheit. Und hier assoziiert sidi wie selbstverständlich das Zeichen Absolutismus. Das Zeichen wird damit in einem neuen Zusammenhang gebraucht, d. h. von den staatlichen Verhältnissen der Vergangenheit auf die der Zukunft übertragen, soweit sie mit der linken Seite verbunden sind. Demgegenüber bedeutet Einheit für die rechte Seite die feste Einigung der deutschen Bruderstämme, und das impliziert Rücksichtnahme auf die Eigentümlichkeiten der Volksstämme, weise Schonung der Individualität der Stämme. Ins romantisierende Bild gefaßt heißt das, daß unter der großen Reichsadlerfahne tarnende kleine Fähnchen und Wimpel mitflattern können. Ich fasse zusammen: Das Zeichen Einheit, so wie es auf der rechten Seite gebraucht wird, steht in einem sehr differenzierten Bedeutungssystem, indem es einmal oppositiv zum dynastischen Partikularismus', äquativ jedoch zum ,Volkspartikularismus' gebraucht wird, indem es zum anderen oppositiv gegen die Zentralisation' abgesetzt wird. Der Gebrauch des N-Zeichens Einheitsstaat hat keine negativen Auswirkungen auf das Zeichen Einheit, es kann völlig im positiven Sinne gebraucht werden, da Einheitsstaat' durch die Äquation von ,Centralstaat' und .Republik' sowie durch die Opposition zu ,Bundesstaat' im System der Fremdidentifikation der rechten Seite eindeutig fixiert ist. Die gleiche Fixierung gilt auf der Ebene der Attribution. Die doppelte Opposition von Einheit und Zerrissenheit wie von Einheit und Gleichförmigkeit ist aber nur möglich durch die Kopulation von Einheit und Mannigfaltigkeit.
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Soziale Frage: In der Kategorie der Kausation habe ich die Differenzierung der Gesellschaft in Klassen dargestellt. Aus dieser Kausation ergibt sich über bestimmte Destinationen die Konsekution, die hier als ,Lösung der sozialen Frage' bezeichnet werden soll33. Für die rechte Seite hat diese Frage zwei Aspekte, sie bezieht sich einmal auf die gesellschaftlichen und, in Abhängigkeit davon, auf die staatlichen Verhältnisse. Geht man von der Klassendifferenzierung aus, wie sie sich in den Debatten widerspiegelt, also von Adel — Bürgertum — Arbeiterklasse, so bedeutet im gesellschaftlichen Bereich ,die Lösung der sozialen Frage' für die rechte Seite eine doppelte Aufgabe. In bezug auf den Adel heißt sie Abschaffung der Ständeklassen, der Standesprivilegien, des Privilegiums, der Bevorrechtigung, d. h. also Gleichstellung von Adel und Bürgertum, gesellschaftliche und politische Gleidistellung des Bürgertums gegenüber dem Adel. Die Formulierungen entsprechen ganz der durchweg nachsichtig-verstehenden Darstellung des Adels in der Kategorie der Kausation. Sie zeigen zugleich, daß sich hier für das Bürgertum keine problematische Aufgabe zu stellen schien. Anders in bezug auf die Arbeiterklassen. Hier sieht sich die rechte Seite einmal auf die Aufgabe verwiesen, die sichtbar bestehende soziale Notlage der arbeitenden Klassen zu verbessern, zum andern aber zu verhindern, daß diese Klassen Anteil an der politischen Willensbildung und damit an der politischen Macht erlangen. Beide Aspekte finden ihren Ausdruck im Sprachgebrauch der rechten Seite. Die rechte Seite bezeichnet sich zunächst selbstidentifikatorisch als naturgemäße Freundin der handarbeitenden Volksklassen, und sie bezieht sich ausdrücklich auf die soziale Frage, die soziale Bewegung. Aus der Feststellung, daß die Umwälzung des März nicht nur politisch, sondern auch sozial war, wird abgeleitet, daß soziale Bestimmungen in den Grundrechten notwendig sind. Wenn der rechten Seite vom politischen Gegner unterstellt wird, daß sie solche Bestimmungen nicht wolle, so wird eine solche Assertion als perfide Wühlerei bezeichnet. Zur Formulierung sozialer Maßnahmen gebraucht die rechte Seite eine Reihe von Kontinuationen: Minderung des Pauperismus34, Beseitigung der sozialen Notstände, der krankhaften sozialen Zustände, Besserung der sozialen Lage der unteren Klassen, der Lage der arbeitenden Klassen, des Wohls der Arbeiter, des Wohls des Volkes überhaupt. Der Arbeiter soll ,Brot finden', die große Masse brotloser, gedrückter, hungernder Leute soll in einen besseren Zustand versetzt werden. Alle diese Maßnahmen sind nach Auffassung der rechten Seite ganz im Sinne der neuen Industrieverhältnisse, d. h. der kapitalistischen Verhältnisse, für die der Ausgleich von Capital und Arbeitskraft von besonderer Wichtigkeit ist. Nicht weniger häufig sind freilich Zeichen und Kontinuationen, die über einen Bezug auf die ,unteren Klassen' hinausgehen und allgemein auf die materielle 33 34
Vgl. Ladendorf 1968 S. 291. Das Schlagwort wird nur kurz abgehandelt. Ähnliches gilt für .Pauperismus' bei Ladendorf 1968 S. 237 f
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Entwicklung Deutschlands, auf Vertrauen und Wohlstand, Wohlstand und Macht, Wohlstand und Wohlfahrt der Nation intendieren, in engem Bezug auf Destinationen der rechten Seite. Im Zusammenhang mit dem Ausgleich von Capital und Arbeitskraft weist die rechte Seite allerdings Vorstellungen der linken Seite zurück und negativiert das positive Zeichen-Inventar der linken Seite in ihrem System der Fremdidentifikation: Schutz der Arbeiter, Schutz der Arbeit, Garantie der Arbeit, Arbeitsgewährung werden auf der rechten Seite als negative Kontinuationen gebraucht. Sie erscheinen als Ausdruck sozialer Theorien, wobei ,sozial* synonym steht für sozialistisch. Ihre negative Wertung erhalten die genannten Kontinuationen durch konsekutive Attributionen. Was in der sozialen Theorie der linken Seite formuliert ist, das verhindert nach Auffassung der rechten Seite die Selbständigkeit und Selbsttätigkeit, führt zur Lähmung des Fleißes, der Schwungkraft, zur Sanctionierung der Faulenzerei, führt schließlich zu regelrechten Bummlerorganisationen und verletzt endlich die sittliche Würde der Nation. Hier werden Vorstellungen des politischen Gegners durch negative Assertionen mit einem rein emotiven Zeichen-Inventar entwertet. Die Lösung der sozialen Frage gegenüber den arbeitenden Klassen ist nach Auffassung der rechten Seite nicht durch soziale Theorien im Sinne der linken Seite möglich, die als lichtlose Schwärmerei bezeichnet werden. Sie kann aber auch nicht eine Abschaffung der Klassen selbst bedeuten. Das politische System der rechten Seite verlangt, daß eine Unterscheidung nach Klassen notwendig ist. Die rechte Seite lehnt eine allgemeine Gleichheitsformel ab, sie wehrt sich dagegen, alle Lebensverhältnisse möglichst zu applanieren. Zwar gebraucht auch sie die Formel von der Gleichheit aller Staatsbürger, sie dürfe aber nicht dazu führen, daß alle gleichmäßig ins Verderben gelangen. Das Zeichen Gleichheit wird somit äquativ gebraucht zu Verderben. Nicht um Abschaffung der Klassen selbst geht es, sondern um die Beseitigung der Hindernisse, die der Eintracht unter allen Klassen der Staatsbürger im Wege stehen. Die wesentlichsten Hindernisse sind nach Auffassung der rechten Seite mangelhafte Befähigung, Bildung und Tugend der unteren Klassen. Die Lösung der sozialen Frage wird damit im Argumentationssystem der rechten Seite zu einer Frage der Veredlung des Menschen, oder wie es mit durchaus elitärem Anspruch heißt, der Erziehung des Volkes. Für dieses Verfahren gegenüber den unteren Klassen steht der rechten Seite eine ganze Serie von Zeichen und Kontinuationen zur Verfügung. Es geht dabei um Stärkung des sittlichen Willens, des sittlichen Mutes, Kräftigung der politischen Gesinnung, Begründung von Wahrheit und Treue, Beschränkung der Begierlichkeit, immer bezogen auf die unteren Klassen. Die unteren Klassen sind zudem heranzubilden für ihren hohen Beruf, sie sind zu unterrichten, befähigen, veredeln, erziehen zu Überzeugung und Bildung, Ehrfurcht vor dem Gesetz, Liebe für die wahre Freiheit, Ordnung und Mäßigkeit, Einfachheit, Zufriedenheit, Selbstachtung, Würde. Ihre Einsicht und Befähigung ist zu wecken, vor allem aber müssen sie dazu gebracht werden, Besitz zu erlangen, weil für die rechte Seite nur ,Bildung* und ,Besitz' zu .wahrer' politischer Einsicht befähigen.
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Ein ganzer Katalog von .Tugenden' wird zur Bedingung gemacht für die Herstellung der ,Eintracht' zwischen den Klassen. Die Finalität des Erziehungsprogramms wird darin gesehen, nicht nur den Reichen und Wohlhabenden, den reichen Deutschen, sondern auch den Ärmsten unserer Mitbürger, den armen Deutschen ein Gefühl zu verschaffen für die Freiheit, die Vaterlandsliebe, den Patriotismus. Die Aussage ist zwar überraschend nach dem langen, vorbereitenden Ansatz, aber sie ist doch folgerichtig, da ja die Lösung der sozialen Frage für die rechte Seite keinesfalls bedeutete, die unteren Klassen an der politischen Willensbildung und der Mathtausübung zu beteiligen. Das wird klar formuliert mit der Assertion, daß die soziale Frage nicht zu lösen ist durch politische Berechtigung der unteren Klassen. Mit anderen Worten: soziale Frage und politische Macht werden als voneinander unabhängig betrachtet. Die ,armen* Deutschen sollen und dürfen Patriotismus üben, politische Macht aber kommt ihnen nicht zu. Das N-Zeichen, das in dieser Argumentation der rediten Seite eine besondere Rolle spielt, ist Masse. Ich habe den Stellenwert dieses Zeichens schon dargestellt im Zusammenhang mit der Kategorie der Kausation. Diesem negativen Zeichen stellt die rechte Seite das positiv gebrauchte Führer entgegen. Die Opposition von Masse und Führer bedeutet eine bewußt elitäre Satzung. Da der ,Masse' ein irrationales, unberechenbares Handeln zugesprochen wird, müssen Zeichen wie Massenherrschafl — äquativ gebraucht mit unbedingter Herrschaft der Zahlenmajorität —, Masseneinfluß und Massenwahlen als potenzierte N-Zeichen gelten, die wiederum mit der Republik in Verbindung gebracht werden. Bezeichnend ist dabei die Berufung auf das Motivationszeichen Volkswillen, wenn Massenherrschaft als nicht dem Ausdruck des Volkswillens entsprechend angesehen wird. Ihre ,Irrationalität' und Launenhaftigkeit' macht die Masse zu einem Objekt fortgesetzter politischer Agitation, die betrieben wird durch Hetzer, Rhetoren, Volksverführer, Volksagitatoren, Volksschmeichler. Daraus ergibt sich für die rechte Seite die wiederholte Feststellung, daß die soziale Frage nicht politisch lösbar ist, wobei die politische Lösung* zugleich mit der roten Fahne auf den Barricaden metaphorisiert und in die Opposition von zerstören und aufbauen gebracht wird. Nach Auffassung der rechten Seite kann nur die heilige Gottesund Menschenliebe allein die soziale Frage lösen, womit die politische Unmündigkeit der ,Masse' bestätigt wird. Nationalitätsprinzip: Ich behandele diese Argumentationsklasse unter dem neutralen Begriff .Nationalitätsprinzip', ganz im Sinne der Konsekution, wie ich sie oben beschrieben habe. Es könnte ebenso gut das Zeichen Nationalismus' gebraucht werden, da dieses Zeichen Ausdruck des politischen Programms der rechten Seite in der .nationalen Frage' ist 35 . Das elitäre Bewußtsein, von dem im Zusammenhang mit der ,sozialen Frage' die Rede war, ist auch kennzeichnend für den Sprachgebrauch der rechten Seite in dieser Argumentationsklasse, hier natürlich bezogen 85
Bemerkenswert, daß dieser ganze Komplex bei Ladendorf keine Behandlung findet.
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auf andere Völker und Nationalitäten, vorzugsweise in Osteuropa. Eng verbunden mit dem Nationalitätsprinzip ist das Machtprinzip. Für das ZeichenInventar bedeutet das eine hohe Frequenz jener Zeichen, die die politische' und ,geistige' Überlegenheit der Deutschen ausdrücken. Dabei sind für den politischen Bereich drei Tendenzen erkennbar: das ,Macht'-Vokabular, der Gebrauch des Superlativs, und zwar in einem über die grammatische Kategorie hinausgehenden Sinne, schließlich die militärische Terminologie. Im geistigen Bereich wird rein oppositiv argumentiert, mit einer Zuordnung von P-Zeichen zur deutschen, von N-Zeichen zu den fremden Nationalitäten. Für beide Bereiche gilt der starke Gebrauch affektiver Zeichen. Das,Nationalitätsprinzip' verknüpft sich also wesentlich mit dem Prinzip der Macht. Das ist das Grundzeichen, das eng mit der ,Nation' bzw. mit .Deutschland' verbunden ist. Es geht für die rechte Seite um die nationale Macht, die deutsche Macht im Osten, die wirkliche Machtentwicklung. Die negativen AntiZeichen sind Schwäche und Machtlosigkeit. Der Macht-Begriff wird auf raumzeitlicher Ebene erweitert. Deutschland wird als eine welthistorische Macht bezeichnet, es geht darum, einer großen Nation ihre Stelle in der Weltgeschichte zu bereiten, es geht um den weltgeschichtlichen Beruf des deutsthen Volkes. Die Deutschen sollen das größte, mächtigste Volk auf diesem Erdenrund werden, Deutschland soll an der Spitze der Staaten von Europa stehen, es soll in die Reihe der politischen Großmächte des Weltteils eintreten, es soll als Großmacht in Europa, als politische Größe entstehen. Es geht schlechthin um die Größe Deutschlands. Deutschland soll einen mitteleuropäischen Riesenstaat bilden, ein Riesenreich, einen gesunden Riesenkörper, keinen Krüppel. Das führt am Ende zu der romantisierenden Forderung nach der Wiederherstellung des alten Reiches deutscher Nation. Was hier unter den komprimierenden Zeichen wie Großmacht, Riesenstaat usw. formuliert wird, das kann auch entfaltet werden: Deutschland soll weithin gebieten in Mitteleuropa, von der Nord- und Ostsee bis zum adriatischen Meer, über den Rhein und über die Weichsel; es soll alle Küsten wiedergewinnen an den Meeren, worin unsere Ströme münden, und unsere Flaggen flattern lassen auf der weiten See; es soll die Seeherrschaft den Engländern abringen, es soll gerüstet sein gegen Osten und Westen. Durch metaphorischen Zeichengebrauch wird der Gedanke der Macht affektiv potenziert: es ist von der Verteidigung unserer deutschen Grenzmarken die Rede, dabei spielen die Alpen als Mauern, Südtirol als Grenzfestung und die Bevölkerung Südtirols als die wackere Garnison eine besondere Rolle. Österreich wird in diesem Konzept die Funktion der Vormauer, des Bollwerks Deutschlands nach Osten zugedacht, und es wird schließlich die Standarte Hermanns apostrophiert, die man in diesem Reiche aufpflanzen müsse. Vor dem Hintergrund des Begriffs der Macht stellt die sprachliche Bewältigung des Nationalitätsprinzips die rechte Seite vor eine schwierige Aufgabe, denn sie muß sich einerseits notwendig zum Nationalitätsprinzip bekennen, sie muß es aber auf der anderen Seite einschränken, insofern es mit dem Machtprinzip kollidiert. Die sprachliche Formel, mit der die rechte Seite diese Schwierigkeiten zu
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überwinden sucht, ist die der Konzession 36 . Die rechte Seite geht bei ihrer Argumentation aus vom Nationalitätsprinzip, das audi emotiv umschrieben wird als das neue Völkerprinzip der Nationalität. Sie versteht darunter das Prinzip der Gleichberechtigung der Nationalitäten und setzt es äquativ zum Prinzip der Humanität. Sie bekennt sich ausdrücklich dazu, die Nationalität zu respektieren. Aber es wird von vornherein zwischen zwei verschiedenen ,Nationalitäten' differenziert, zwischen der eigenen und der der anderen Völker. So kann dann die Kontinuation gebraucht werden: keine unbedingte Anerkennung des Nationalitätsprinzips. Oder anders formuliert: das Prinzip der Nationalität wird abgelehnt in seiner engsten Auffassung, und es wird dazu auch gleich die Begründung gegeben, nämlich daß ein großes Volk — das deutsche Volk — seine unentbehrlichsten Bedürfnisse, die Bedingungen seiner Existenz nicht auf sein Sprachgebiet beschränken könne. Wird hier Rationalität' nodi verbal eingeschränkt — u n bedingt', .engste Auffassung' —, so wird schließlich Nationalität als N-Zeichen dem Interesse Deutschlands oppositiv entgegengestellt, d. h. das Interesse Deutschlands schließt die Rücksicht auf die Nationalität(en) aus. Das soll nun wohl nicht besagen, daß die betroffenen fremden Nationalitäten .vernichtet' werden müßten — obwohl auch dieser Gedanke in gewissen Formulierungen impliziert ist, wenn etwa von den Polen verlangt wird, daß sie zur Wahrung deutscher Interessen Opfer bringen müssen, oder wenn konkludiert wird, daß die czechische Bewegung vernichtet werden muß —, es wird den fremden Nationalitäten in Deutschland die Nationalität zugesichert, aber es wird ihnen die Selbständigkeit, d. h. die staatliche und politische Selbständigkeit abgesprochen. So wird ausdrücklich assertorisch formuliert, daß die Völker an der Donau zur Selbständigkeit weder Beruf noch Anspruch haben, daß sie vielmehr als Trabanten in unser Planetensystem einbezogen werden müssen. Damit verbindet die rechte Seite zugleich die welthistorische Aufgabe der Deutschen, die fremden Nationalitäten heranzuziehen, sie zu durchdringen, sie zu reifen für die Neuzeit. Und diese Aufgabe wird als eine schöne Pflicht der Humanität und Rechtlichkeit bezeichnet. Damit erweist sich das Zeichen Nationalität als Zeichen, das gegenüber fremden Nationalitäten wesentlich konzessiv, wenn nidit oppositiv gebraucht wird. In diesem Sinne gibt es für die rechte Seite nur den Standpunkt der deutschen Nationalität, den nationalen Standpunkt, der sich ausdrückt in einem deutschen Nationalgefühl, im Nationalstolz. Wenn nun verallgemeinernd formuliert wird, daß der Patriotismus als das heiligste Gefühl des Menschen zu gelten habe, daß das eigene Vaterland und die Größe der Nation als die Basis für die heiligsten und wichtigsten Interessen der Menschen angesehen werden müsse, so verdecken diese Kontinuationen, daß mit dem Zeichen Menschen die Deutschen gemeint sind. Denn gleichzeitig wird die Nationalversammlung aufgefordert, nicht für alle möglichen Nationalitäten zu schwärmen. Die Begründung ist eindeutig: die Wohlfahrt und Ehre des (eigenen) Vaterlandes müsse obenan stehen, des (eige36
vgl. Kapitel 1.2.
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nen) Vaterlandes Kraft und Wohlfahrt müsse über alles gehen. Das ,Vaterland' in Verbindung mit anderen emotiven Zeichen wird hier gebraucht, um die Notwendigkeit der Differenzierung zwischen der eigenen und den fremden Nationalitäten zu begründen. Dazu kommt die Relativierung des Nationalitätsprinzips durch das Staatenprinzip. Eng verbunden werden damit die Zeichen Sicherheit und Selbsterhaltung. Freiheit für alle und Gerechtigkeit (für alle Völker und Staaten) wird postuliert, aber es werden konzessiv eindeutige Prioritäten gesetzt. Zwar wird für die fremden Nationalitäten — und ganz besonders für die Polen — Mitgefühl, Sympathie, gerechte Trauer empfunden, aber: Vorrang eigener Sicherheit vor fremder Nationalität, Sicherheit für Deutschland, Pflicht der Sicherheit, Selbsterhaltung, Pflicht der Selbsterhaltung, Pflicht der eigenen Selbsterhaltung. Das sind Kontinuationen, die unter dem Zeidien gesunder Volksegoismus subsumiert werden, wobei das Zeidien Volk eine entscheidende Motivationsfunktion hat. An diese Feststellungen wird dann die Assertion geknüpft, daß nationales Recht für die anderen den Untergang für die Deutschen bedeuten müsse. Dem ,Machtprinzip' wird somit eindeutig Priorität eingeräumt gegenüber dem ,Nationalitätsprinzip', wenn es gegenüber fremden Nationalitäten gebraucht wird, ,Macht' und Rationalität' werden jedoch identisch gesetzt, wenn sie auf die deutsche Nationalität bezogen sind. Das äußert sich verbal im Gebrauch konzessiver und oppositiver Zeichenverbindungen einerseits, äquativer Zeichenverbindungen andererseits. Die Notwendigkeit der Lösung der Nationalitätenfrage wird nun auf verschiedene Weise begründet. Es wird einmal ein naturgesetzlicher Gegensatz, d. h. ein Gegensatz, der in der unveränderbaren Natur der Menschen begründet ist, konstruiert zwischen herrschenden und beherrschten Völkern, Kontinuationen, die äquativ gebraucht werden mit den siegenden Völkern und den geringeren Völkern, wobei sich dieser Gegensatz wesentlich auf das Verhältnis zwischen Deutschen und Slawen bezieht. Mit dem .Naturgesetz' wird zugleich die eiserne Notwendigkeit der Geschichte verbunden, was für die rechte Seite ausschließlich die Alternative von ,siegen' und ,untergehen' bedeutet. Während die siegenden Völker die Menschheit vorwärts bringen, werden die geringen, die schwachen Völker mit ehernem Fuß zertreten. Damit werden die Natur und eine personifizierte und zugleich anonyme metaphysierte Geschichte zu den bewegenden Faktoren erklärt und eine bloß kosmopolitische Gerechtigkeit der naturgesetzlichen Wahrheit entgegengestellt. Was hier hinter den genannten anonymen Faktoren verdeckt wird, das wird mit dem Gebrauch des ,Rechtsbegriffs' offen realisiert. Dabei geht die rechte Seite von einer besonderen Version des Völkerrechts aus, das mit der lateinischen Kontinuation begründet wird: beati possidentes. Das heißt, weil die Deutschen etwas besitzen, darum werden sie es behalten (Polen, Böhmen usw.). Zudem wird das Zeichen Recht so determiniert, daß es mit dem Zeichen Macht äquativ gebraucht werden kann. Damit wird das Völkerrecht als reiner Ausdruck der Macht interpretiert, gegen das Recht und das Nationalitätsprinzip. Das Recht der Gegenwart, das Recht der Lebenden, beide Kontinuationen bezogen auf und nur
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gültig f ü r die Deutschen, wird oppositiv gegen die pergamentene Vergangenheit, gegen das historische Recht gestellt. Dieses Redit der Deutschen ist das Recht des Stärkeren, der — nachdrücklich formuliert — das Recht der Eroberung beanspruchen darf, das schließlich zur Pflicht der Eroberung wird. Es ergibt sich somit eine ganze Serie von Äquationen, auf die alle das Attribut des .Natürlichen' bezogen wird, so daß ,das Recht des Stärkeren' — f ü r die Deutschen — als natürliches Recht bezeichnet werden kann. Die besondere Ästimation dieser .Rechte', determiniert als unsere Rechte, wird damit erreicht, daß sie einmal als tief im modernen Weltbewußtsein ruhend bezeichnet werden, daß sie zum anderen mit positiv bewerteten Zeichen konnektiert werden. So wird der Teilung Polens, die auf ein solches Recht des Stärkeren zurückgeht, eine revolutionäre humanistische Bedeutung beigemessen. Das heißt, die rechte Seite gebraucht hier Zeichen, mit denen sie das, was Ausdruck reiner Machtausübung war, als Ausdruck humanen Handelns bezeichnet. Zudem wird mit dem Zeichen revolutionär ein P-Zeichen der linken Seite in die Kontinuation eingebracht, womit der Anspruch einer gemeinsamen Haltung aller Parteien der Nationalversammlung in der Nationalitätenfrage impliziert scheint. Vor allem aber bekommt das Argument der geistig-kulturellen Überlegenheit der Deutschen eine entscheidende Funktion f ü r die Begründung des Herrschaftsanspruchs über fremde Nationalitäten. Hier werden Assertionen einander oppositiv entgegengestellt, die wesentlich durch affektive Zeichen bzw. durch Zeichen mit stark affektiver Komponente bestimmt sind. Die ,geistige Überlegenheit' ist eng mit den Zeichen deutsch, die Deutschen, Deutschland verbunden, während die negativen Anti-Zeichen vorzugsweise den Slawen attribuiert werden. Wenn Zeichen wieder aufgegriffen werden, die schon in der Kategorie der Motivation dargestellt worden sind, so ist das kein Widerspruch, denn hier handelt es sich um den eindeutig oppositiven Sprachgebrauch dieser Zeichen und um ihre außengerichtete Funktion. Hier zunächst einige oppositive Kontinuationen, wie sie im Argumentationssystem der rechten Seite gebraucht werden: Während Kultur und Bildung dem deutschen Element attribuiert werden, so die rohe Gewalt dem slawischen Element. Deutsche Gesittung und deutsche Freiheit stehen gegen den barbarischen Osten, deutsche Bildung und Gesittung gegen das Barbarentum, deutsche Freiheit gegen asiatischen Despotismus. Ebenso stehen deutsch und welsch oppositiv gegeneinander. Wie konkludiert wird, daß die Deutschen besser sind als die anderen Völker, die von ihnen abhängen, so daß die Zeichen deutsch und Deutschland gleichsam eine absolute, heilige, unverletzliche Wertung erhalten, so wird assertorisch festgestellt, daß fremde Nationalitäten — gemeint sind hier vor allem die Polen — nicht so viel humanen Inhalt haben wie das Deutschtum. Die Oppositionen beziehen sich darüber hinaus besonders auf w i r t schaftliche Tugenden'. Während mit den Deutschen Bildung, Gesittung, Humanität, Fleiß und edles Streben verbunden sind, während von deutscher Einfachheit, deutschem Ernst, deutschem Fleiß, deutschem Gewerbefleiß, deutscher Mühe und deutschem Geist die Rede ist, während die Deutschen mühsam, praktisch und unprosaisch arbeiten, Schweiß und Händearbeit zu ihren positiven Attributionen
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gehören, genügt für die andere Seite die ausschließliche Feststellung der leichtsinnigen Verschwendung und der Wirtschaflslosigkeit, womit der Anspruch der fremden Nationalitäten auf Selbständigkeit entkräftet scheint. Wenn Deutschland als Träger und Vermittler der Cultur, der Wissenschaft und der Freiheit nach dem Osten bezeichnet wird, wenn festgestellt wird, daß Deutschland das Licht der Freiheit und die Fackel der Bildung trägt, so werden hierzu zwar nicht ausdrücklich negative Anti-Kontinuationen formuliert, aber sie sind in diesen positiven Zeichenverbindungen impliziert. Aus einer solch grundsätzlich oppositiven Argumentation leitet die redite Seite die Sendung, die Mission der Deutschen ab, die zwar geistig-kulturell motiviert wird, jedoch machtpolitisch zu verstehen ist. Sie besteht ganz allgemein darin, den deutschen Einfluß im Osten zu sichern, vor allem aber mit dem germanischen Prinzip — was darunter zu verstehen ist, das wird nicht näher beschrieben und erläutert — die slawischen Stämme zu veredeln, emporzuheben auf die Höhe der Gesittung, die Slawen mit deutscher Freiheit und Bildung an Deutschland heranzuziehen, was zugleich den Vorteil einbringt, mit frischem Geiste jener naturkräftigen Völker die alternde Cultur Deutschlands zu verjüngen. Den fremden Nationalitäten werden freilich nicht alle Tugenden abgesprochen, wie an der eben dargestellten Kontinuation deutlich wurde. Außerdem werden die Polen als das ritterliche, chevalereske edle Volk bezeichnet, und es wird ihnen gesellschaftliche Liebenswürdigkeit, glühende, flackernde Vaterlandsliebe, ungestüme Tapferkeit bestätigt, allerdings wiederum nur nach konzessivem Modell, indem sofort die negativen Gegen-Tugenden angeknüpft werden, auf denen — wie wir gesehen haben — die rechte Seite unter anderem ihre Politik in der Nationalitätenfrage gründet. Als negativer Determinant kommt dabei dem Zeichen ultra besondere Funktion zu. So wird von den Ultradänischen gesprochen, den Ultraczechen, den fanatischen Ultraczechen, den ultraczechischen Gleißnern. Es wird auf der einen Seite auch das Zeichen Feind schlechthin gebraucht, auf der anderen Seite aber affektive Zeidien wie Schmarotzernester, Schmarotzergewächs, Zeidien, in deren Umkreis sich audi das Zeichen Nationalitätchen findet. Als eindeutiges N-Zeichen findet auch Fanatiker Verwendung, undeterminiert oder determiniert in der Kontinuation Sensenschliff der polnischen Fanatiker. Gemeint sind damit die polnischen Adligen, die zudem als Sturmvögel, als Sendboten des Unfriedens, als Condottieren jedes Aufruhrs bezeichnet werden. Sie gelten als die Epigonen des exilierten hundertköpfigen Epigonentums, und ihnen wird vorgeworfen, daß sie die Fahne der Revolution aufgesteckt, nichts aber für die Freiheit getan haben. Ähnlich affektiv werden die Tschechen als turbulente nomadische Elemente bezeichnet, oder aber es genügt die Feststellung, daß sie Abkömmlinge der Hussiten sind, womit sie negativ qualifiziert werden. Diese personalen Urteile finden ihr Pendant in den Handlungsurteilen gegenüber den fremden Nationalitäten. Das hier von der rechten Seite gebrauchte affektive Vokabular dient dazu, von dem Verhalten der fremden Nationalitäten gegenüber den Deutschen aus die eigene Politik zu rechtfertigen. So wird den Polen wie den Tschechen ein nationaler Fanatismus gegen alles Deutsche attri-
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buiert, fanatischer Fremderthaß, tiefster Haß. Es ist von Wühlereien der Slawen gegen die Deutschen die Rede, von slawischen Übergriffen, von frevelhaftem Übermut der Slawen, von der wilden Eroberungssucht der Ultraczechen, von der Tyrannei gegen die Deutschen, von slawischen Tyranneigelüsten, von Raub und Gewalttätigkeit. Das Handeln der Slawen wird auch personalisiert mit Hilfe des emotiven Zeichens Brüder. So wird vom Unrecht, vom schreienden Unrecht gegen unsere deutschen Brüder gesprochen, und es wird auf ihre deutschen gemißhandelten Brüder verwiesen. Den Slawen wird unterstellt, daß sie unter der Maske der Gleichstellung allein die Oberherrschaft erstreben. Sie erstreben die Knechtschaft und Sklaverei für die Deutschen, die Deutschen sollen zu Sklaven von Polen werden. Polonisierung ist das Kernzeidien, mit dem dieses Bestreben bezeichnet wird. Schließlich stellt die redite Seite fest, daß die Slawen ein allgemeines Gemetzel gegen die Deutschen wollen, den fürchterlichsten Vertilgungskrieg gegen die Deutschen, einen wirklichen Vernichtungskampf, die gänzliche Vernichtung der Deutschen. Daraus formuliert die rechte Seite die affektiv-metaphorische Stereotype: Der Slawismus klopft an die Tür. Von solchen Handlungs-Urteilen aus formuliert die rechte Seite die Konklusion: die Deutschen müssen vor fremder Untertänigkeit bewahrt werden, die Deutschen dürfen nicht an Polen preisgegeben werden, die deutsche Nation darf nicht untergehen in einem großen Slawenreich, in einem panslawistischen Ungeheuer. Audi hier wieder personalisiert die rechte Seite die Konklusion mit dem emotiven Zeichen Brüder: Es geht darum, den deutschen Bewohnern in Böhmen die Bruderhand mit Treue und Wärme zu reichen, es geht um den Schutz des Gutes und Blutes unserer deutschen Brüder, es geht schlechthin um unsere deutschen Brüder, unsere Volksgenossen, unsere Brüder, ihre Brüder, die Brüder. Und die Nationalversammlung wird aufgefordert, keinen Brudermord zu begehen. Die Argumentation in der Nationalitätenfrage erfordert für die rechte Seite auch eine Auseinandersetzung mit der linken Seite. Die Interpretation der Ziele der Slawen durch die linke Seite als Streben nach nationaler Selbständigkeit erkennt die redite Seite nicht an. Für sie handelt es sich hier um Separation und Separatismus, und sie zieht daraus die Folgerung, daß den Trennungsgelüsten ein Ziel gesetzt, diesem Unwesen ein Ende gemacht werden müsse. Die Ablehnung der Vorstellungen der linken Seite hindert die rechte Seite aber nicht, für ihre eigenen Vorstellungen Anleihen beim Zeicheninventar der linken Seite zu machen. So verbindet sie die Lösung der nationalen Frage, die Klärung des Nationalitätsprinzips — wie wir schon gesehen haben — mit den Zeichen Freiheit und Revolution. Sie sieht in der Durchsetzung ihrer eigenen Vorstellungen die Wahrung der Freiheit gegen Bedrückung und zugleich die Rettung der Revolution vor einer Contrerevolution. Das will besagen, daß die Bemühungen der fremden Nationalitäten um politische und staatliche Selbständigkeit als Contrerevolution gegen alle Errungenschaften deutscher Bildung und deutschen Rechts bezeichnet werden. Diese Kontinuation erweist sidi als eine verbale Kontamination von Zeichen aus ideologisch entgegengesetzten Zeicheninventaren, indem der erste
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Teil dem Zeidieninventar der linken Seite, der zweite Teil dem Zeicheninventar der rechten Seite zugehört. Destruktion! Konstruktion: In dieser Argumentationsklasse geht es um die Darstellung der negativen Zeichen im System der Fremdidentifikation, mit denen gegen die Destinationen des politischen Gegners argumentiert wird, sowie um die positiven Zeichen im System der Selbstidentifikation, mit denen die eigenen Destinationen positiviert werden. Argumentieren bedeutet hier nun im wesentlichen nur eine Akkumulation solcher Zeichen, deren affektive Elemente ihren begrifflichen Inhalt wesentlich dominieren. Der begriffliche Inhalt dieser Zeichen ist vage. Sie können daher in unterschiedlichen Kontexten aktualisiert werden, ohne daß damit ihre Bedeutung präzisiert würde, und sie können auf die verschiedensten Destinationen des politischen Gegners bezogen werden. So wird ein N-Zeichen wie Anarchie von der rechten Seite sowohl auf die Republik, das Einkammernsystem, das unbeschränkte Wahlrecht wie auf das suspensive Veto, Destinationen der linken Seite also, bezogen. Umgekehrt werden die gleichen P-Zeichen an die unterschiedlichsten Destinationen des Internums gebunden. Eine solche Feststellung bedeutet aber, daß f ü r diese Zeichen eine lineare Opposition, das heißt eine genaue Entsprechung von P - und N-Zeichen, nicht aufgestellt werden kann. Das Zeichen Anarchie kann als negatives Anti-Zeichen sowohl zu Freiheit wie zu Ordnung gebraucht werden, und es wird außerdem äquativ etwa zu dem Zeichen Terrorismus verwendet. Ich klassifiziere das ganze Zeicheninventar des Systems der Fremdidentifikation in der Kategorie der Konsekution unter dem Begriff Destruktion. Das will besagen, daß die rechte Seite mit dem gesamten politischen System der linken Seite wie mit den einzelnen Destinationen ,Destruktion' als Konsekution verbindet. Diese Feststellung impliziert, daß die rechte Seite ihr eigenes System als ein System der Konstruktion versteht, was sich in der Opposition von zerstören und aufbauen aktualisiert. Vom System der linken Seite wird ausdrücklich die Assertion aufgestellt, daß sein Ziel der Abgrund sei, daß es auf einen abschüssigen Gang führe. Der Haß gegen das Bestehende, der Wille zum Zerstören, gewaltsame Umsturzpläne werden mit den Vertretern dieser politischen Richtung — der linken Seite — verbunden. Ihre Politik führe zu den tiefsten Gebrechen, zu Verderben, Elend, Verarmung. Kein dauerhafter Bau, sondern nur schwankende, unsichere Verhältnisse sind die Folgen des gegnerischen Systems, dessen Vertreter als Verderber der Nation, als Wühler bezeichnet werden. Komplexe N-Zeichen, die mit dem gegnerischen System verbunden werden, sind Crawall, Wühlerei, determiniert als perfide Wühlerei, Anarchie, lange Anarchie, anarchische Gewalt, Revolution, Bruderkrieg, blutiger, langer Bürgerkrieg, Tyrannei und Terrorismus37. Das gegnerische System wird als System des Nihilismus bezeichnet, das 37
Neben den Einzelzeichen kennt Ladendorf 1968 S. 52 f audi das Schlagwort .Destruktive Tendenzen'.
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eine allgemeine Auflösung bedeuten muß. Der Weg, den die linke Seite gehen will, ist nach Auffassung der rechten Seite schlechthin unmoralisch. Wesentlich an der Mehrzahl dieser Zeichen ist, daß es sich um absolut-negative Zeidien handelt, denen kein positives Anti-Zeichen entspricht. Crawall, Wühlerei, Bürgerkrieg haben keine unmittelbare positive Entsprechung, es sei denn, daß dafür als allgemeinstes Zeidien Ordnung gebraucht wird. Mit der Kopulation von Freiheit und Ordnung lassen sich alle hier genannten N-Zeichen abgrenzen. Hier muß nun die Feststellung getroffen werden, daß die N-Zeichen, die sich gewöhnlich gegen die linke Seite richten, auch innerhalb der rechten Seite gebraucht werden, und zwar dann, wenn gegensätzliche oder zumindest unterschiedliche Destinationen innerhalb der rechten Seite relevant werden. Das gilt etwa für den Sprachgebrauch in der Oberhauptsfrage. Dabei ist bemerkenswert, daß das Inventar der positiven Zeichen bei den Großdeutschen restringierter ist als das der negativen Zeichen, während umgekehrt bei den Kleindeutschen das Inventar der positiven Zeichen umfassender ist als das der negativen Zeichen. Das kann in der Weise gedeutet werden, daß die Position der Großdeutschen in dieser Frage eine abwehrende, die der Kleindeutschen eine angreifende ist. Dabei ist klar, daß das jeweilige Inventar der N-Zeichen nidit nur Übereinstimmungen zwischen den Klein- und Großdeutschen aufweist, sondern daß es eben audi dem gegen die linke Seite gerichteten Inventar entspricht. Crawalle und Säbelherrschaft sind N-Zeichen der Großdeutschen, Intriguen, unedle Cabalen, Anarchie und "Wühlereien sind N-Zeichen der Kleindeutschen. Wenn das System der Kleindeutschen zum Erfolg führt, dann wird nach Meinung der Großdeutschen Deutschland wieder der Diplomatie in die Hände fallen, umgekehrt sehen die Kleindeutschen durch das System der Großdeutschen Deutschland durch anarchische Bestrebungen unterwühlt und zugrundegerichtet. Mit dem System der Großdeutschen verbindet sidi Machtlosigkeit und die alte zweiköpfige Staatenbevormundung, mit dem System der Kleindeutschen ist die Hegemonie Preußens verbunden. Die Zeidien, die idi oben vorgeführt habe, sind N-Zeichen allgemeiner Art, anwendbar auf die verschiedensten Destinationen, mithin also austauschbar. Es gibt aber auch Zeichen, die besonders eng an bestimmte Destinationen gebunden sind, und zwar an Destinationen mit hoher Emotionalität. Dabei entspricht die Emotionalität der Destination der Emotion der Zeichen. Ich habe dieses Verhältnis sdion an anderer Stelle dargestellt. Eine solche negativ-emotionale Destination ist für die rechte Seite die Republik. In Verbindung mit dem Zeidien Republik haben sich auf syntagmatischer wie auf paradigmatischer Ebene einige fixe Kontinuationen, sprachliche Stereotypen, herausgebildet, die wesentlich affektive Funktion haben. Die Republik ist immer die rote Republik, zusätzlich determiniert als die wilde rote Republik. Der Determinant ,rot' ist austauschbar mit .diktatorisch', so daß die rote Republik äquativ steht zu die diktatorische Republik. Ihr negatives Symbol ist für die rechte Seite die rote Fahne, eine fixe Kontinuation, die in verschiedenen kontextualen Zusammenhängen gebraucht wird. Als absolut negativer Determinant wird republikanisch gebraucht, so in
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den Kontinuationen der republikanische Mantel, die republikanische Mütze, wo auf metaphorischer Ebene die Republik negativiert wird. Dazu gehört die republikanische Garde. Die Konnexion dazu wird hergestellt, wenn von Burschen mit roten Mützen gesprochen wird, die die lästigen Überzeugungen anderer am Laternenpfahl zügeln. Damit ist deutlich, daß sich die rechte Seite bemüht, die Assoziation von Republik = Schrecken und Terror herzustellen. Das geschieht auf direktem oder auf indirektem Wege, d. h. dem der Ironie wie hier, oder wie in den folgenden Kontinuationen, in der die Republik als Culminationspunkt irdischer Glückseligkeit bezeichnet bzw. in der von einer republikanisch eingerichteten Häuslichkeit gesprochen wird, wo jeder ,gespießt' wird, der ,sich ennyiert'. Auch das Deminitivum Republikchen gehört in diesen Zusammenhang. Die negative Aquation von Republikaner und Kosaken, von republikanisch und kosakisch findet, wenn auch auf anderer Ebene, ihr Pendant in der Feststellung, daß ein Bündnis zwischen sdtwarzer Reaktion und roter Republik realisierbar bzw. schon realisiert ist, womit sich die Vorstellung verbindet, daß von der republikanischen Bewegung alles überflutet wird. Diesen emotiv-negativen Destinationszeichen entsprechen in der Kategorie der Konsekution die N-Zeichen, die wesentlich in Assertions-Kontinuationen gebraucht werden. Die Republik bedroht den Frieden des Vaterlandes, sie bedeutet die Verhöhnung, die Vernichtung der Monarchie, eine offene Kriegserklärung an die deutsche Monarchie, Kontinuationen also, die die Aquation von ,Monarchie' und ,Vaterland' ergeben. Die Tatsache, daß die Republik einen Angriff auf das Privateigentum darstellt, findet sich in dem Zeichen Räubergesellschaft wieder, mit dem die Republik bezeichnet wird. Republik wird im System der Fremdidentifikation der rechten Seite gleichgesetzt mit Despotie, Diktatur, Tyrannei, sie wird als ein Militärdespotismus, eine Militärdiktatur, eine militärische Despotie, eine Soldatenherrschaft determiniert, was äquativ gesetzt wird mit Terrorismus und Schreckensherrschaft. Die Republik bewirkt die Permanenz der Revolution und führt zum Vernichtungskampf, zum Kampf auf Leben und Tod. Die redite Seite assoziiert auch das ganze negative Zeicheninventar der französischen Revolution mit dem Zeichen Republik: Convent, Despotismus des Convents, Sicherheits- und Wohlfahrtsausschuß, Guillotine. Selbst vorrevolutionäre Verhältnisse werden auf die Republik projiziert, indem sie mit absolutistischen Bestrebungen, absoluter Gewalt verbunden wird, also ausgesprochenen N-Zeichen der linken Seite. Auch die von der linken Seite gebrauchte Opposition von Reaktion und Fortschritt wird von der rechten Seite adaptiert, indem der Republik das Attribut des Fortschritts, mit dem die linke Seite das Zeichen gebraucht, abgesprochen und dementsprechend mit dem Zeichen Reaktion verbunden wird. Die Republik ist kein Fortschritt, kein — und nun wird die Argumentation auf die metaphorische Ebene verlagert — Symptom der Gesundheit und Kraft, sondern ein Zeichen der Krisis und Krankheit, der heiße Fiebertraum einer Krankheit, ein eiskalter Fieberschauer. Ich habe oben schon auf das allgemeine N-Zeichen Wühlerei verwiesen. Mit der Republik verbindet sich im System der Fremdidentifikation der rechten Seite die Wühlerei als Prinzip, und es wird die feste Aquation von Republikaner und Wühler aufge-
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stellt. Wenn Teile der rechten Seite den Republikanismus in der Theorie anerkennen, so hindert das nicht an der grundsätzlichen Negativierung des Zeichens. Schließlich gehören zu den negativen Kernzeichen im System der Fremdidentifikation der rechten Seite die Zeichen Socialismus und Communismus, häufig kombiniert bzw. äquativ gebraucht mit dem Zeichen Anarchie. Die Konnexionen, die zwischen diesen Zeichen und dem Zeichen Republik bestehen, werden deutlich an gleichen bzw. ähnlichen Formulierungen, denn wie die Republik als Culminationspunkt irdischer Glückseligkeit ironisiert wurde, so wird auch vom socialistischen Volksbeglückungssystem gesprochen, und wie mit der Republik der Angriff auf das Privateigentum verbunden wird, so bedeutet der Sozialismus Gefahr für den Besitz (und für die Ehe außerdem). Wenn die Zeichen Socialismus und Communismus gebraucht werden, soll damit die Republik getroffen werden. Beide Zeichen haben die Funktion ausgesprochen ,furchterregender' Zeichen mit entsprechender appellativer Funktion. Die negative Qualifizierung von Sozialismus und Kommunismus versteht sich im Argumentationssystem der rechten Seite von selbst. Die sozialistischen Ideen werden als Irrlehren, als teils törichte, teils gefährliche Ideen, als exaltierte Theorien unreifer Reformatoren, als lichtlose Schwärmerei bezeichnet. Zwei Aspekte vor allem werden in den Vordergrund gerückt. Einmal die Feststellung, daß die socialistische Lehre die Lehre des bloß tierischen, augenblicklichen Genießens ist, daß sie die Genußsucht des Augenblicks propagiert. Dieser Formulierung entspricht die Verbindung dieser Theorie mit bestimmten Gesellschaftsklassen. Die Kontinuation unreife Reformatoren, die eben schon vorgeführt wurde, hat ihr Pendant in einigen exaltierten Köpfen. Dazu kommt die Kontinuation der arbeitsscheue Abfall der Gesellschaft, oder, wie audi formuliert wird, die ouvriers, qui ne travaillent pas, die unmittelbar mit der roten Fahne, dem N-Zeichen der rechten Seite für die Republik, in Verbindung gebracht werden. ,Die rote Fahne' ist die negative Kontinuation, die Socialismus, Republik und Anarchie miteinander verbindet. Denn Anarchie wird definiert als die Agitation derjenigen, welche unter der roten Fahne das Eigentum ... zerstören. Damit ist der zweite Aspekt aufgegriffen: Mit dem Kommunismus werden die gewaltsame Ausgleichung, die Angriffe auf den Besitz verbunden. Mit socialistischen Prinzipien ist nach Auffassung der rechten Seite keine materielle Ordnung möglich. .Besitz* und ,materielle Ordnung' werden äquativ gebraucht und zielen beide auf den Ordnungsbegriff, wie ich ihn oben dargestellt habe. Sozialismus und Kommunismus gefährden damit das Wohl des Staates, sie demoralisieren die Gesellschaft und werfen den gesamten gesellschaftlichen Zustand über den Haufen, d. h. Revolution, Aufruhr, Tumult sind mit den sozialistischen Prinzipien impliziert. Die negativen Attributionen sind schließlich Verblendung, Unverstand, blinder Zufall, Interesselosigkeit, Bestechung, Trug, Intrigue, negative Qualifikationen, die auch mit dem Zeichen Republik verbunden sein könnten. Dazu kommt die negative Attribution ,Faulheit'. Als Folge der sozialistischen Ideen sieht die rechte Seite die großartigsten Bummlerorganisationen entstehen, womit die sittliche Würde der Nation verletzt wird. Schließlich stellt die rechte Seite mit den Zeichen Socialismus und Communismus
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die Macht der Fäuste oppositiv der Macht der Gründe entgegen, eine Opposition, die ebenso wieder auf die Republik bezogen werden kann. Zum negativen Zeidien-Inventar der Argumentationsklasse Destruktion gehört auch der ganze mit dem Begriff ,Krieg' zusammenhängende Komplex. Die rechte Seite bezieht sich dabei direkt auf die Politik der linken Seite in der schleswig-holsteinischen Frage. Das Zeichen-Inventar, das hier gebraucht wird, hat rein affektive Funktion, d. h. es werden Zeichen gebraucht, bei denen die affektive Komponente dominiert. Der Gegensatz zwischen dem System der Selbstund der Fremdidentifikation reduziert sich für die rechte Seite auf die Opposition von Friedenswerk und Feuerbrand. Die wenigen P-Zeidien, die hier gebraucht werden, schließen sich an das Zeichen Friedenswerk an: Palme des Friedens, Frieden für Deutschland, Europa. Mit diesen Zeichen will die rechte Seite ihre Politik in dieser Frage und damit überhaupt positiv qualifizieren. Mit dem N-Zeidien Feuerbrand verbinden sich weitere metaphorische Zeichen: Brandfackel, Fackel des Bürgerkriegs, Fackel der Zwietracht, und der linken Seite wird vorgeworfen, daß sie sich auf das abscheuliche napoleonische Recht der Kanonen bezieht. Der Krieg, den die linke Seite will, erscheint der rechten Seite als Bürgerkrieg, als brudermörderischer Kampf. Daran knüpft sich eine ganze Serie emotiver Konsekutions-Zeidien : Gefahr für das Einigungswerk, Vaterland in Trümmern und Elend, große Opfer und Leiden, namenlose Leiden, unendliche Opfer, großes Blutvergießen, materielle Drangsale aller Art. Der Krieg führt schließlich in einen tiefen Abgrund. Die Emotionen sind sowohl an die Determinanten wie an die Determinate gebunden. Schließlich werden die Folgen der Politik der beiden Seiten in die Opposition gebracht: Achtung Europas und Einigung Deutschlands auf der einen Seite, Mißaditung Europas und Spaltung Deutschlands auf der anderen. Idi fasse zusammen: Das System der Fremdidentifikation in der Kategorie der Konsekution ist bestimmt durch die Fixierung auf wenige Begriffe mit einem sehr begrenzten Zeicheninventar. Dieses Zeicheninventar ist weithin normiert, was als Ausdruck einer gedanklichen Stereotypie zu verstehen ist. Die Restriktion des Zeicheninventars wird aber kompensiert durch eine hohe Frequenz im Gebrauch der Zeichen und durdi den starken Anteil emotiver Elemente. Dem eben vorgeführten negativen Zeichen-Inventar setzt die rechte Seite im System der Selbstidentifikation ihr konstruktives Zeichen-Inventar entgegen. Der Begriff der Konstruktion ist eng gebunden an die Bau-Terminologie, in der auf allgemeinste Weise konkrete Destinationen und Konsekutionen verbunden werden, d. h. die Destinationen der rechten Seite verbalisieren sich konsekutiv im Bild ,des festen Baus'. Die Kontinuationen sind zunächst ganz allgemeiner Art, determiniert durch die Zeichen stark, fest, neu. Idi führe solche Kontinuationen vor: das deutsche Staatsgebäude, ein neues Staatsgebäude, das neu aufzuführende Staatsgebäude, der rechte Bau, ein starker politischer Bau, wozu das feste Fundament gehört, ein starker, fester Bau politischer Formen, ein einziger und festgeschlossener Bau, der neue Bau des neuen Deutschland, dem das alte Deutschland als Sonstdeutschland entgegengestellt wird, der Neubau des deutschen
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Reichs, schließlich auch determiniert mit dem Pronomen ,unser': unser ganzes Bauwerk, eine Kontinuation, die schließlich auf das einfache Zeichen unser Werk, das Werk reduziert werden kann. Die Bau-Metapher ist austauschbar, so daß neben diesen Formulierungen Kontinuationen stehen können wie: ein neues Deutschland, ein festeres Deutschland, ein besseres Deutschland. Die Determinanten schließlich aktualisieren sich auch in selbständigen Zeichen, die das Ergebnis der Destinationen der rechten Seite bezeichnen: Stärke, Macht, Sicherheit. Die Baumetaphern werden auch kombiniert mit anderen Konsekutionszeichen, wobei im Zeichen Bau der Begriff der Ordnung impliziert ist: ein festes Haus der Freiheit, das Gebäude der deutschen Einheit, der Bau, der errichtet wird für die Freiheit und Einheit unseres Volkes. Über diese festumrissenen Konsekutionen hinaus weisen solche allgemeiner Art. So wird Deutschland als ein großes, geräumiges Gebäude bezeichnet, in dem alle Parteien den Frieden finden und friedlich nebeneinander wohnen können, und es wird von einem Haus auf festen Säulen mit weitgeöffneten Pforten gesprochen, durch welches der Geist der Freiheit und edlen Humanität weht. Die Emotion, die diese Kontinuationen bestimmt, ist besonders relevant bei der Übernahme von Zeichen aus der religiösen Sphäre, der Zeichen Dom und Tempel: ein hoher Dom, ein hoher geistiger Dom, ein deutscher Dom der Freiheit und Einheit, der Tempel der Freiheit, der Freiheit einen Tempel bauen, gründen wir diesen Tempel fest. Mit beiden Zeichen verbindet sich die Vorstellung des ,Ewigen'. Daher wird auch von einem dauernden Gebäude, dem Bau der Ewigkeit gesprochen, mit Ersatz von ,Bau' durch Deutschland: Deutschland sicher und fest für die Ewigkeit gegründet. Die Bau-Metaphorik, in die der Begriff der Ordnung impliziert ist, findet ihre politische Konkretisation in der Monarchie als Staatsform, mit der — für die Mehrheit der rechten Seite — das erbliche (preußische) Oberhaupt verbunden gedacht wird. Wie die Republik im System der Fremdidentifikation der redhten Seite durch N-Zeichen determiniert wird, so die Monarchie im System der Selbstidentifikation durch P-Zeichen. Daß es sich dabei um emotive Zeichen handelt, das ergibt sich aus der Emotionalität der Destination notwendigerweise. Determinanten aus der religiösen Sphäre spielen eine wichtige Rolle. Der Heiligkeit der monarchischen Form, der Monaràiie entspricht die Heiligkeit, Unverantwortlichkeit und Unverletzlichkeit des Regenten. Dazu korrespondiert die .moralische' Höhe, denn in der Monarchie gibt es keinen niederen Ehrgeiz, keine Leidenschaften des Ehrgeizes, keine ephemeren Launen des Tages, hier gelten nur die ewigen Grundsätze des Rechts. Dazu kommt die Interpretation der Monarchie als Ausdruck der politischen Vernunft und als Ausgangs- und Zielpunkt der künftigen Geschichte Deutschlands. Außerdem wird mit der Monarchie die Wärme des Familienlebens in das Staatswesen eingeführt. Schließlich erscheint der rechten Seite hier auch die Feststellung notwendig, daß Ubereinstimmung besteht zwischen den Fürsten und dem Willen des Volkes, denn die Höfe werden heruntersteigen zu dem Volke. Das widerspricht freilich der ,Heiligkeit' der Fürsten und der Monarchie, auf der ja gerade ihre besondere Stellung gegenüber der ,Profanität' der Republik basiert wird.
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Das ideologische
3.4.2. D i e
Zeichen-Inventar
linke
Seite
Freiheit: Das Zeidien Freiheit, so haben wir gesehen, gehört zu den wichtigsten Konsekutionszeichen der rechten Seite. Allerdings handelte es sich hier um eine g e schränkte' Freiheit, die sprachlich in der Formel von ,Freiheit und Ordnung' realisiert wird. Kernzeichen der linken Seite in der Kategorie der Konsekution ist ebenfalls Freiheit. Doch hat das Zeidien im Internum der linken Seite einen anderen Stellenwert. Er läßt sich ablesen an der Aufgabe, die die linke Seite für die Nationalversammlung formuliert, nämlich dem Volke keine Freiheiten zu nehmen, sondern zu bringen. Die Verbindung von Freiheit und Volk ist relevant f ü r den Freiheitsbegriff der linken Seite, wobei das Zeidien Volk in dem Sinne zu verstehen ist, wie idi ihn im Zusammenhang mit der Kategorie der Motivation besdirieben habe. Volksfreiheit, Freiheit des Volkes sind die charakteristischen Kontinuationen. Oppositiv stellt die linke Seite der alten aristokratischen Freiheit die neue Volksfreiheit entgegen. Dabei bedeutet ,die aristokratische Freiheit' im System der Fremdidentifikation der linken Seite ,Bewahrung alter Besitzrechte', während mit der ,Volksfreiheit' im System der Selbstidentifikation die Aufhebung bzw. zumindest die Infragestellung alter Besitzrechte verbunden ist. Mit anderen Worten: das Zeidien Freiheit erhält auf der linken Seite eine wesentliche soziale Komponente. Dieser soziale Bezug wird audi ausdrücklich formuliert in der Äquation : der Standpunkt der Freiheit ist der soziale Standpunkt. Daraus ergibt sich die Feststellung, daß erst mit der Lösung der sozialen Frage die Freiheit wahrhaft und fest gegründet ist. Der Freiheitsbegriff, wie ihn die linke Seite gebraucht, wird determiniert als die wahre Freiheit oder auch als die wirkliche Freiheit, Kontinuationen von hoher Frequenz. Die wahre Freiheit ist für die linke Seite die volksmäßige Freiheit, weil sie dem Volksgeiste entspricht. Es ergibt sich somit die Äquation von Freiheit = (soziale) Gerechtigkeit = Wahrheit. Von diesem Stellenwert her muß das Zeichen Freiheit in allen seinen Kontinuationen verstanden werden, auch wenn die Determinationen nicht ausdrücklich formuliert sind.,Volksfreiheit' bedeutet damit die Idee der Freiheit, das Prinzip der Freiheit, das freiheitliche Prinzip schlechthin. Alle Destinationen der linken Seite gelten damit der Sicherung der Freiheit unseres Volkes, des Volkes, dem Schutze unserer Freiheit, die audi als die deutsche Freiheit determiniert wird. Im Gegensatz zur rechten Seite wird das Zeichen Freiheit nicht mit dem Zeichen Ordnung kopulativ verbunden und damit determiniert, vielmehr stellt die linke Seite der ,beschränkten' Freiheit oppositiv die unbeschränkte Freiheit, die allerunbedingteste Freiheit, die volle Freiheit, die vollkommene Freiheit, die größte Freiheit, die Freiheit in allen Beziehungen entgegen. Mit den Determinationen wird ganz bewußt der Gegensatz gegenüber dem Freiheitbegriff der rechten Seite betont. Diese Opposition von aristokratischer oder beschränkter Freiheit' und .unbedingter oder Volksfreiheit' erscheint im Internum der linken Seite als Opposition von Absolutismus, Despotismus oder Willkür und Freiheit, eine Oppo-
Prospektive
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sition, an die sich sowohl auf der negativen wie auf der positiven Seite weitere Zeichen assoziieren. Dem Zustand der Gnade auf der rechten Seite entspricht der Zustand des Rechts auf der linken Seite, das Prinzip des beschränkten Untertanenverstandes steht gegen die volle Menschenwürde, das Helotentum steht gegen den freien Bürger, die Monarchie steht gegen die Republik. Das will nichts anderes besagen, als daß die linke Seite die Monarchie als Ausdruck der Despotie, die Republik dagegen als Ausdruck der Freiheit auffaßt. Dazu kommt im System der Selbstidentifikation die Kopulation von Demokratie und Freiheit oder von demokratischer Staat und volle Freiheit. Das soll für die linke Seite heißen, daß das eine die Bedingung des anderen ist: nur im demokratischen Staat gibt es Freiheit, und Freiheit ist nur möglich im demokratischen Staat. Von daher kann aus den Destinationen der rechten Seite ein Angriff auf die kaum errungene Freiheit, der Verrat an der deutschen Freiheit abgeleitet werden. Es ist damit — metaphorisch formuliert — das Schwert gegen die Freiheit des Volkes gerichtet, und die rechte Seite erweist sich aufgrund ihrer politischen Ziele im System der Fremdidentifikation der linken Seite als Feind der Freiheit und damit zugleich als ,Feind des Volkes'. Wenn die rechte Seite davon spricht, die Freiheit zu organisieren, so heißt das für die linke Seite in Wahrheit, die Freiheit zu desorganisieren, was auf Absolutismus und Despotismus zielt. Die linke Seite versteht also ihren Freiheitsbegriff in strikter Opposition zu dem der rechten Seite. Die Opposition wird verstärkt durch den Gebrauch emotiver Zeichen bzw. durch Zeichen mit emotiver Komponente. In bezug auf die rechte Seite geschieht das mit den Zeichen Absolutismus, Despotismus, Willkür, Verrat, im System der Selbstidentifikation geschieht das mit positiven Determinanten aus dem Bereich des Ethischen und Religiösen: Es ist von der edlen Freiheit, der Idee der sittlichen Freiheit die Rede, von dem heiligen Recht, dem ewigen Recht der Freiheit, von der heiligen Liebe zur Freiheit. Freiheit und Humanität werden kopulativ verbunden. In bezug auf die konkrete Destination des unbeschränkten Wahlrechts werden die Kontinuationen gebraucht: das heiligste Grundrecht der Freiheit für den Arbeiter, das heiligste Recht des freien und mündigen Mannes, das Paladium der Volksfreiheit. Und wenn von der rechten Seite die Republik stereotyp als ,rote Republik' bezeichnet wird, wobei damit die Vorstellung von Tyrannei und Gewaltherrschaft assoziiert werden soll, so stellt dem die linke Seite die Feststellung entgegen, daß die Republik die Staatsform ist, wo ein gesundes und kräftiges Volk für die Freiheit sich erhoben hat. Die zahlreichen Kontinuationen machen deutlich die Verbindung emotiver Zeichen mit dem Zeichen Volksfreiheit, das an sich schon starke emotive Elemente enthält. Die Emotion erweist sich auch an der von der linken Seite formulierten Opposition von gefahrvoller Freiheit gegenüber ruhiger Knechtschaft, einer Opposition, die zugleich die Staatsformen von Republik und Monarchie determiniert und die auf den Gegensatz von Bewegung und Ruhe, von Freiheit und Ordnung intendiert. Der Freiheitsbegriff der linken Seite hat verschiedene Aspekte, die sich realisieren in verschiedenen Zeichenverbindungen. So muß auf den Begriff der Volksfreiheit auch die Äquation bezogen werden, durch die Freiheit und Selbstbestim-
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mung gleichgesetzt werden, das heißt der Gebrauch des Zeichens Freiheit impliziert den Gebrauch des Zeichens Selbstbestimmung, das determiniert als freie Selbstbestimmung, als Freiheit der Selbstbestimmung ersdieint. Diese .Selbstbestimmung' bezieht sich auf die Selbständigkeit der Gemeinden und auf die Selbstregierung des Volkes, das Selbstregieren, das Selfgovernment. Die .Selbstregierung' wird geradezu als das Prinzip des neuen Staates, als demokratisches Prinzip definiert, womit eben nicht nur Selbst-Verwaltung, sondern ausdrücklich Selbst-Regierung gemeint ist. Alle diese Zeichen und Zeichen-Kontinuationen implizieren die oppositive Vorstellung, daß bisher andere regiert haben, nicht aber das Volk, eine Implikation, die sich auf die Fürsten bezieht. Wie die .Selbstregierung des Volkes' aussehen soll, das ergibt sich aus den Kategorien der Fundation und der Destination der linken Seite, d. h. es ist damit Volkssouveränität, unbeschränktes Wahlrecht etc. verbunden. Aus dem Zeichen Selbstregierung allein wird das nicht deutlich, aber das Zeichen komprimiert alle damit verbundenen Vorstellungen. Es werden der alten Autorität der Fürsten und ihrer Regierungen nun die Autorität des Volkes entgegengestellt. Als N-Zeichen stehen der Selbstregierung entgegen die Zeichen Büreaukratie, büreaukratische Eingriffe, Willkür einer Regierungsbehörde, System der Bevormundung, das alte System, Autorität, und diese Zeichen bestimmen von der negativen Seite her den Stellenwert des P-Zei