Handbuch Sprache in Politik und Gesellschaft 9783110296310, 9783110295863

This work examines the linguistic construction of knowledge in history, politics, and society. It presents a range of di

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German Pages 611 [612] Year 2017

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Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Sprachliche Einheiten
1. Sprachhandlung und Sprachhandlungsmuster
2. Wortschatz I: Schlagwörter, politische Leitvokabeln und der Streit um Worte
3. Wortschatz II: quantifizierende Analyseverfahren
4. Kollokationen, n-Gramme, Mehrworteinheiten
5. Metaphern
6. Phraseologismen
7. Saliente Sätze
8. Argumentation in Texten
9. Topoi
10. Texte und Textsorten
11. Multimodalität
II. Akteure und Handlungsfelder
12. Personen als Akteure
13. Parteien als Akteure
14. Massenmedien als Handlungsfeld I: Printmedien
15. Massenmedien als Handlungsfeld II: audiovisuelle Medien
16. Massenmedien als Handlungsfeld III: digitale Medien
17. Institutionen als Handlungsfeld I: Legislative
18. Institutionen als Handlungsfeld II: Exekutive
19. Institutionen als Handlungsfeld III: Judikative
III. Interdisziplinäre Forschungsperspektiven
20. Geschichtswissenschaft
21. Soziologie
22. Politikwissenschaft
23. Kommunikationswissenschaft
24. Geographie
25. Erziehungswissenschaft
Sachregister
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Handbuch Sprache in Politik und Gesellschaft
 9783110296310, 9783110295863

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Handbuch Sprache in Politik und Gesellschaft HSW 19

Handbücher Sprachwissen

Herausgegeben von Ekkehard Felder und Andreas Gardt

Band 19

Handbuch Sprache in Politik und Gesellschaft

Herausgegeben von Kersten Sven Roth, Martin Wengeler und Alexander Ziem

ISBN 978-3-11-029586-3 e-ISBN [PDF] 978-3-11-029631-0 e-ISBN [EPUB] 978-3-11-039507-5

 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress.

 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
 © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Typesetting: fidus Publikations-Service GmbH, Nördlingen Printing and binding: CPI books GmbH, Leck ♾ Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis Kersten Sven Roth/Martin Wengeler/Alexander Ziem Einleitung   IX

I

Sprachliche Einheiten

Werner Holly 1. Sprachhandlung und Sprachhandlungsmuster 

 3

Martin Wengeler 2. Wortschatz I: Schlagwörter, politische Leitvokabeln und der Streit um Worte   22 Alexander Ziem 3. Wortschatz II: quantifizierende Analyseverfahren  Noah Bubenhofer 4. Kollokationen, n-Gramme, Mehrworteinheiten  Constanze Spieß 5. Metaphern 

 94

Stephan Stein 6. Phraseologismen  Josef Klein 7. Saliente Sätze 

 116

 139

Thomas Niehr 8. Argumentation in Texten 

 165

Manfred Kienpointner 9. Topoi   187 Melani Schröter Texte und Textsorten  10. Christine Domke/Stefan Meier 11. Multimodalität   234

 212

 47

 69

VI 

II

 Inhaltsverzeichnis

Akteure und Handlungsfelder

Heidrun Kämper 12. Personen als Akteure  Steffen Pappert 13. Parteien als Akteure 

 259

 280

Hans-Jürgen Bucher 14. Massenmedien als Handlungsfeld I: Printmedien 

 298

Martin Luginbühl 15. Massenmedien als Handlungsfeld II: audiovisuelle Medien  Hajo Diekmannshenke 16. Massenmedien als Handlungsfeld III: digitale Medien  Maria Stopfner 17. Institutionen als Handlungsfeld I: Legislative 

 371

Dorothee Meer 18. Institutionen als Handlungsfeld II: Exekutive 

 398

Dietrich Busse 19. Institutionen als Handlungsfeld III: Judikative 

III

 422

Interdisziplinäre Forschungsperspektiven

Marian Füssel 20. Geschichtswissenschaft  Reiner Keller 21. Soziologie 

 449

 468

Martin Nonhoff 22. Politikwissenschaft 

 491

Christian Pentzold 23. Kommunikationswissenschaft 

 514

 354

 334

Inhaltsverzeichnis 

Annika Mattissek 24. Geographie 

 533

Inga Truschkat/Inka Bormann 25. Erziehungswissenschaft  Felicitas Macgilchrist 26. Psychologie  Sachregister 

 589

 568

 553

 VII

Kersten Sven Roth/Martin Wengeler/Alexander Ziem

Einleitung

Das vorliegende Handbuch ist einem Forschungsfeld gewidmet, das im Gefolge der pragmatischen Wende der Linguistik in den letzten vier Jahrzehnten im deutschsprachigen Raum eine ganz eigene Forschungstradition herausgebildet hat und sich vor allem auch aus spezifischen gesellschaftlichen Interessen am Gegenstand Sprache/Sprachgebrauch speist. Als interdisziplinärer Gegenstand weist er interessante Berührungspunkte zu benachbarten insbesondere sozialwissenschaftlichen Disziplinen auf. Zudem ist die gesellschaftliche Relevanz der in diesem Handbuch betrachteten Wissensdomäne insbesondere durch das gegeben, was die Grundkonzeption der Handbuchreihe „Sprachwissen“ ausmacht: Gerade im Bereich „Politik und Gesellschaft“ geht es darum, in welcher Weise der Sprachgebrauch die politische, gesellschaftliche Wirklichkeit konstituiert, d. h. (nach Warnke 2009) konstruiert, legitimiert und distribuiert: Welches (kollektive, gesellschaftliche, gruppenspezifische, aber auch individuelle) ‚Wissen‘ wird durch welche Akteure und Institutionen mit welchen sprachlichen Mitteln geschaffen, begründet und durchgesetzt? Wie wird es jeweils sprachlich bewerkstelligt, dass ‚wir‘ glauben, dass bezüglich gesellschaftlicher, öffentlich-politischer Problemverhalte etwas Bestimmtes der Fall ist – was dann unser ‚Wissen‘ zu diesem ‚Gegenstand‘ ausmacht? Weil solches kollektives Wissen in gesellschaftlichen Diskursen geschaffen, verhandelt und verbreitet wird, ist für das vorliegende Handbuch ein diskurslinguistischer Zugang zur „Sprache in Politik und Gesellschaft“ zentral. Damit unterscheidet es sich in seiner theoretischen Grundlegung von bisher vorliegenden Überblicksdarstellungen zum Thema „Sprache und Politik“ elementar. Entsprechend der Idee der Handbuchreihe deckt es außerdem vom Umfang und der adressierten Leserschaft her einen anderen Bereich ab. Konnte lange Zeit als deutschsprachige Einführung in den Gegenstand lediglich auf das – das wissenschaftliche Feld überhaupt erst konstituierende – Buch Walther Dieckmanns von 1975 „Sprache in der Politik“ verwiesen werden, so sind in den letzten 15 Jahren einige Einführungsbücher und Forschungsüberblicke publiziert worden, die einen sehr komprimierten Einblick in das Forschungsfeld bieten, die aber zum großen Teil nicht ausdrücklich die hier zentrale wissens- und wirklichkeitskonstituierende Leistung der Sprache in gesellschaftlichen Diskursen in den Mittelpunkt stellen. Einführungsbücher für Studierende liegen von Girnth (2002), Schröter/Carius (2009) und Niehr (2014) vor. Inzwischen nicht mehr ganz aktuelle Forschungsüberblicke liefern zudem z. B. Burkhardt (2002 und 2003), Klein (1998) sowie Diekmannshenke (2001), der auch eine Bibliographie zum Thema in der Reihe Studienbibliographien Sprachwissenschaft (2006) vorgelegt hat. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung hat 2010 ein online zugängliches „Dossier: Sprache und Politik“ zusammengestellt (http://www. bpb.de/politik/grundfragen/sprache-und-politik/; 08.04.2016), das Studierenden DOI 10.1515/9783110296310-203

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einen schnellen Einblick in das Forschungsfeld ermöglicht. Am anderen Ende des Spektrums von Überblicksdarstellungen erscheint 2017 im Ute Hempen Verlag ein weitaus ausführlicheres und alle Facetten der Forschung zur Sprache in der Politik abdeckendes vierbändiges Handbuch, das das politolinguistische Feld in der Weise ausmisst, wie es die HSK-Bände (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft) für andere linguistische Forschungsgegenstände mit dem Ziel leisten, den State of the Art in umfassender Weise zu dokumentieren. Das vorliegende Handbuch verortet sich inhaltlich und hinsichtlich seines Umfanges zwischen diesen beiden Polen und konzentriert sich dabei auf den genannten diskurs- und wissensanalytischen Zugang zum Thema. Institutionell wird das in diesem Handbuch dargestellte Feld in der Germanistischen Linguistik seit 1992 von der Arbeitsgemeinschaft Sprache in der Politik e. V. (http://www.sprache-in-der-politik.de/) abgedeckt, die den Anspruch hat, sich mit linguistischer Expertise in öffentlich-politische Debatten einzubringen. Regelmäßige Tagungen und Publikationen der AG tragen dazu bei, das Thema in Linguistik und Öffentlichkeit präsent zu halten. In diesem Zusammenhang sind die Forschungsergebnisse dieses wissenschaftlichen Feldes in den letzten zwanzig Jahren auch in zwei eigenen Publikationsreihen dokumentiert worden: Der Reihe „Sprache, Politik, Öffentlichkeit“, die von 1992 bis 1996 im de Gruyter Verlag erschien, folgte die Reihe „Sprache, Politik, Gesellschaft“, die seit 2008 im Ute Hempen Verlag publiziert wird. Die im vorliegenden Handbuch fokussierte diskurslinguistische Ausrichtung der Erforschung von „Sprache in Politik und Gesellschaft“ wird aber auch in den de Gruyter-Reihen „Linguistik. Impulse und Tendenzen (LIT)“ sowie „Sprache und Wissen (SuW)“ berücksichtigt. Auf dem deutschsprachigen Zeitschriftenmarkt sind es insbesondere die „Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie (OBST)“ sowie „Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur“, in denen des Öfteren Beiträge oder Themenhefte zum Gegenstand dieses Handbuches erscheinen. Die in diesem Handbuch nicht gesondert einbezogene, sondern lediglich in den Einzelbeiträgen berücksichtigte englischsprachige Forschung hat sich in anderen, eigenen Traditionslinien entwickelt. Während die frühe Forschung von Murray Edelmans Klassiker „Politik als Ritual. Die symbolische Funktion staatlicher Institutionen und politischen Handelns“ mit dem von ihm geprägten Begriff der „symbolischen Politik“ geprägt war, wird die Erforschung der „Sprache in Politik und Gesellschaft“ seit Langem vor allem im Zeichen der Critical Linguistics (CL) und der Critical Dis­ course Analysis (CDA) betrieben, die sich als gesellschaftlich engagierte und eng mit sozialwissenschaftlichen Zugängen zum Thema korrespondierende Linguistik begreifen und eine entsprechend rege Tagungs- und Publikationstätigkeit aufweisen. Knappe Überblicke dazu bieten etwa Einführungs- und Handbücher von Norman Fairclough (2010; 2014), Paul Chilton (2004) oder Ruth Wodak (Wodak/Koller 2008; Wodak/Meyer 2009). Als führende Zeitschriften in diesem Feld können insbesondere das seit 2002 erscheinende „Journal of Language and Politics“, „Discourse & Society“ (seit 1990) sowie „Critical Discourse Studies“ (seit 2004) genannt werden. Im US-ame-

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rikanischen Kontext fokussiert insbesondere George Lakoff im Rahmen seiner kognitions- und framelinguistischen Arbeiten die politische Sprache und bemüht sich dabei auch um Einfluss auf den politischen Diskurs (z. B. Lakoff 2004). Das vorliegende Handbuch konzentriert sich im Sinne seiner diskurslinguistischen Ausrichtung im wissensanalytischen Interesse auf zwei Aspekte, die in einem dritten Teil mit einem Einblick in komplementäre Forschungen aus Nachbardisziplinen ergänzt werden: Die erste Sektion „Sprachliche Einheiten als Gegenstände linguistischer Untersuchungen“ fokussiert systematisch verschiedene Ebenen der Organisation sprachlicher Zeichen, die sich linguistisch in der Domäne „Politik und Gesellschaft“ untersuchen lassen: Wissen und Wirklichkeit werden in oder mit einzelnen Lexemen (prototypisch: Schlagwörtern), Mehrworteinheiten, Metaphern, Phraseologismen, Sätzen, Sprachhandlungen und Argumentationsmustern, Texten/Textsorten und auch durch die Kombination von Texten mit Bildern konstituiert, denen allen dementsprechend in der Forschung jeweils viel Aufmerksamkeit zuteil geworden ist und die daher hier in Einzelbeiträgen vorgestellt werden. In der zweiten Sektion stehen „Akteure und Handlungsfelder als Gegenstände linguistischer Untersuchungen“ im Mittelpunkt der Betrachtungen. Wie entsteht sprachliches Wissen in politischen und gesellschaftlichen Handlungsfeldern wie z. B. in Behörden, im Gericht oder im Parlament? Welchen Bedingungen unterliegt der Sprachgebrauch in öffentlich relevanten Institutionen und Handlungsfeldern? Wie verhalten sich Akteure in diesen Institutionen und Handlungsfeldern, und welche Rolle spielen sie in einschlägigen Diskursen? Wie beeinflussen oder prägen Print-, audiovisuelle und digitale Medien die Sprache in Politik und Gesellschaft? Die dritte Sektion „Interdisziplinäre Forschungsperspektiven“ zeigt exemplarisch Zugänge zum Sprachgebrauch in Politik und Gesellschaft auf, die zwar ebenfalls linguistisch-epistemologische Erkenntnisinteressen verfolgen, dies jedoch aus der Perspektive benachbarter Fachdisziplinen. Diese Sektion gliedert sich entsprechend nach relevanten Fachdisziplinen. Teil I behandelt das Themenfeld des Handbuchs in einer sprachsystematischen Ordnung. Die einzelnen Beiträge sind dementsprechend jeweils sprachlichen Einheiten und ihrer Relevanz für das Verständnis politischen Sprachhandelns und gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse in öffentlichen Diskursen gewidmet. Wenn in diesem Sinne das Interesse an Sprache immer gleichzusetzen ist mit einem Interesse am Sprachhandeln, ist jedoch zunächst die Frage zentral, was dabei unter „Handeln“ zu verstehen ist und was die Spezifik politischen Handelns durch Sprache ausmacht. Diesen Fragen widmet sich einleitend der Beitrag von Werner Holly, theoretisch ausgehend von Luhmann und unter besonderer Betonung der Kennzeichen der Theatralität und der medialen Inszenierung von politischer Kommunikation. Am Anfang des systematischen Teils steht mit den lexikalischen Einheiten – den einfachen oder komplexen Wörtern also – diejenige Strukturebene, der im Rahmen der traditionellen politolinguistischen Forschung die größte Aufmerksamkeit zuge-

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kommen ist. Martin Wengeler stellt in seinem Beitrag zum einen die etablierten, semantisch und pragmatisch definierten Kategorien politischer Schlagwörter und die einschlägige Denkfigur vom „Begriffe besetzen“ vor, zum anderen diskutiert er verschiedene Ansätze ihrer empirischen Erforschung. Schließlich schlägt er im kritischen Vergleich den Bogen von dieser traditionellen Forschungspraxis zu neueren theoretischen Konzepten wie der Framesemantik. Auch Alexander Ziem widmet sich anschließend lexikalischen Einheiten, anders als Wengeler jedoch mit dem Ziel, einen Überblick über korpuslinguistische Verfahren zur Analyse von Bedeutungsprägungen (politischen, massenmedialen usw.) geben. Dabei geht es nicht so sehr um funktionale Unterschiede zwischen verschiedenen Typen von lexikalischen Einheiten im öffentlichen Diskurs als um methodologische Aspekte ihrer Untersuchung; die Beiträge von Wengeler und Ziem stehen somit in einem komplementären Zusammenhang. Ebenfalls korpuslinguistisch ist der dritte Beitrag von Noah Bubenhofer angelegt. Dieser richtet sich auf Mehrworteinheiten, zielt also auf eine Ebene oberhalb der Lexik. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Darstellung moderner korpuslinguistischer Methoden, die es ermöglichen, auch solche lexikalische Phänomene systematisch zu erfassen, die – wie etwa Kollokationen – die Grenzen des einzelnen Wortes überschreiten. Mit derartigen quantitativ gestützten Untersuchungen rücken Muster des Sprachgebrauchs in den Fokus, die einerseits nicht in jedem Fall unmittelbar ins Auge fallen, andererseits aber im Sinne vorgefertigter sprachlicher Bausteine eine große Rolle bei der Produktion politischer Äußerungen spielen und bei der Konstitution und Affirmation von Diskurswissen von besonderer Bedeutung sein können. Auch Metaphern, die der Gegenstand des Beitrags von Constanze Spieß sind, gehören zu den in der Diskurslinguistik schon früh und besonders intensiv untersuchten Gegenständen. Dabei wird im Anschluss an die kognitive Metapherntheorie, die eine ursprünglich rhetorische Sicht wieder stark gemacht hat, die Metapher nicht als rein ausdrucksseitige ‚Zutat‘ betrachtet, sondern es gilt das Interesse der Leistung, die metaphorisches Sprechen bei der sprachlichen Konstitution von Wirklichkeit in spezifischen kulturellen Kontexten erbringt. Stephan Stein beschäftigt sich im anschließenden Beitrag mit Phraseologismen. Auch dabei geht es um den semantischen Mehrwert, den solche festen Wortverbindungen aufweisen, dann vor allen Dingen aber auch um die verschiedenen Funktionen, die sie im politischen Sprachhandeln erfüllen können, was Stein mit konkreten exemplarischen Analysen demonstriert. Einer lange Zeit von der linguistischen Forschung zum politischen Sprachgebrauch vernachlässigten sprachlichen Strukturebene widmet sich Josef Klein in seinem Beitrag zu „salienten Sätzen“. Er entwickelt darin eine Systematik aus formalen und pragmatischen Bedingungen, die ein Syntagma erfüllen muss, um als Kondensat diskursiven Wissens im kollektiven Gedächtnis präsent zu bleiben. Schließlich zeigt Klein die große Bandbreite an politisch-kommunikativen Funktionen auf, die mit solchen markanten Satzformeln erfüllt werden können. Zwei Beiträge sind der Argumentation gewidmet, die – obgleich aufgrund ihrer geringen ausdrucksseitigen Fixierung sprachanalytisch nicht immer leicht zugäng-

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lich – ebenfalls schon längere Zeit zu den wichtigen Gegenständen der linguistischen Erforschung politisch-gesellschaftlichen Sprachhandelns gehören. Thomas Niehr stellt Argumentation zunächst als eine zentrale Leistung des einzelnen Texts im politischen Diskurs in den Mittelpunkt. Er geht zwar vom traditionellen Modell des alltagssprachlichen Arguments aus der Sprachphilosophie, dem „Toulmin-Schema“, aus, plädiert dann jedoch für eine weitere Auffassung von Argumentation, die auch die implizite Argumentationskraft von sprachlichen Einheiten wie Schlagwörtern und Metaphern würdigt. Im Anschluss daran befasst sich Manfred Kienpointner mit Topoi, also mit argumentativen Mustern, die sich über den Einzeltext hinaus in Diskursen nachweisen lassen und diese ganz wesentlich strukturieren und konstituieren. Den Ausgangspunkt bildet dabei der aristotelische Topos-Begriff, den er in seinen unterschiedlichen Implikationen und Konsequenzen für die diskurslinguistische Analyse darstellt. Der sprachsystematisch gegliederte erste Teil des Handbuches wird abgeschlossen durch zwei Beiträge zur Ebene des Textes. Melani Schröter betont in ihrem Beitrag die besondere Relevanz, die die Kategorie des Texts und der Texthaftigkeit alles politischen Sprechens für die linguistische Analyse hat und exemplifiziert dies unter Rückgriff auf einschlägige Systematiken am Beispiel der Textsorte „Wahlplakat“. Mit dem Beitrag von Christine Domke und Stefan Meier wird schließlich die Grenze des ausschließlich Sprachlichen überschritten. Im Anschluss an den in den letzten Jahren innerhalb der Linguistik weitgehend hergestellten Konsens, dass Sprache und Sprachhandeln nur in einer multimodalen Perspektive, also unter Einbezug ihrer nicht-sprachlichen Begleitbedingungen angemessen gewürdigt werden können, demonstrieren sie ebenfalls anhand der Textsorte „Wahlplakat“ Möglichkeiten der Analyse von Text-Bild- und Text-Raum-Beziehungen im Bereich politischgesellschaftlicher Diskurse. Teil II umfasst Beiträge, die erläutern, welche Rolle zentrale Akteure (Einzelpersonen und politische Parteien) für den politischen Diskurs spielen, wie die Massenmedien den öffentlich-politischen Sprachgebrauch prägen und wie unterschiedlich die für die Gewaltenteilung in der Demokratie zuständigen Institutionen der Legislative (Parlamente), der Exekutive (Behörden, Schule, Hochschule u. a.) und der Judikative (Justiz) die „Sprache in Politik und Gesellschaft“ beeinflussen. Zunächst entwirft Heidrun Kämper einen theoretischen diskurslinguistischen Rahmen zur Rolle von Einzel- und Kollektivakteuren im Diskurs. Es werden komplexe Akteurskonstellationen in initialen Diskursphasen, unterschiedliche Akteurspositionen im Verlauf von Diskursen, die diskurssteuernde Funktion von Eliten sowie die Position der „Konsumenten“ skizziert. Als Effekte der unterschiedlichen Positionen von Diskursakteuren werden abschließend Konsensualitäts- und Agonalitätsphänomene dargestellt. Als einer der in einer Demokratie wichtigsten kollektiven Diskursakteure werden im Artikel von Steffen Pappert Parteien in den Blick genommen. Er nimmt eine Systematisierung parteilicher Kommunikation vor und zeigt anschließend, in welcher Weise die Parteien unter dem Einfluss und mit der Nutzung alter und neuer Medien

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Diskurse initiieren, prägen oder lenken können bzw. auf jene reagieren. Pappert entwickelt schließlich eine Idee, wie Parteien als Diskurs-Akteure systematisch erfasst und analysiert werden können. Als kollektive Akteure in Diskursen können auch die unterschiedlichen Massenmedien aufgefasst werden. Systematisch betrachtet werden in diesem Handbuch zunächst die Printmedien, sodann die audiovisuellen Medien und abschließend die sogenannten Neuen, also die digitalen Medien. Hans-Jürgen Bucher fokussiert vor allem die Handlungsoptionen und normativen Grundlagen der Printmedien, die in einer pressespezifischen, komplexen Akteurskonstellation zwischen PolitikerInnen, Journalisten und dem Publikum gegeben sind und von denen aus die Einflussmöglichkeiten und die realen Einflüsse der Presse auf den öffentlich-politischen Diskurs zu beschreiben und zu bewerten sind. Auf die spezifischen Handlungslogiken, die sich aus der gegenseitigen Beeinflussung von Politik und Massenmedien ergeben, geht auch der Beitrag von Martin Luginbühl zu audiovisuellen Medien, also vor allem zum Fernsehen ein. Unter dem Schlagwort ‚Mediatisierung der Politik‘ wird diskutiert, inwiefern sich die Politik der ‚Medienlogik‘ anpasst und inwiefern diese Medienlogik durch Marktlogik und/oder durch normative Logik geprägt ist. Als jüngsten medialen Einflussfaktor auf die Politik betrachtet Hajo Diekmannshenke schließlich internetbasierte elektronische Kommunikationsformen. Er skizziert die Entwicklung und Nutzung der einzelnen Kommunikationsformen, von den ersten Homepages von PolitikerInnen und Parteien über Chats und Gästebücher bis hin zu den aktuelleren Sozialen Netzwerken, zu Twitter und zu YouTube-Kanälen. Die Partizipation der UserInnen an politischen Diskursen wird dabei als zentrale neue Möglichkeit der digitalen Medien herausgestellt. Im letzten Segment von Teil II werden institutionelle Handlungsfelder und damit auch spezifische, für die repräsentative Demokratie zentrale Institutionen als Diskursakteure in ihren sprachlichen und diskursiven Spezifika behandelt. Zunächst geht Maria Stopfner auf die zentrale legislative Institution, das Parlament, ein und reflektiert zunächst die Handlungsvoraussetzungen der parlamentarischen Akteure, die ja im Parlament nur die zuvor in anderen Gremien verhandelten Positionen und beschlossenen Entscheidungen vor der Öffentlichkeit inszenieren und legitimieren. Vor diesem Hintergrund werden die kommunikativen „Spielregeln“, an die sich die Abgeordneten vor der Öffentlichkeit halten, exemplarisch beschrieben. Die sprachliche Konstitution und Weitergabe von Wissen sowohl in mündlichen Gattungen wie in schriftlichen Textsorten exekutiver Institutionen analysiert anschließend Dorothee Meer anhand der Institutionen Verwaltung, Polizei, Schule und Hochschule. Sie unterscheidet dabei zwischen Verfahrenswissen, deklarativem Wissen und Datenwissen, die in einem engen Zusammenhang stünden, und betont die Kontrollmechanismen in solchen Institutionen, an die die Wissenskonstitution jeweils gekoppelt sei. Im letzten Beitrag dieser Sektion skizziert Dietrich Busse zunächst den institutionellen Charakter von Sprache und Wissen in Recht und Politik, um daraus Konflikte zwischen beiden herleiten und erklären zu können. An Beispielen der Präim-

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plantationsdiagnostik und des Gewalt-Begriffes werden solche Konflikte zwischen rechtlicher und politischer Wissenskonstitution anschaulich gemacht, um zuletzt die Vermischung von institutionell-juridischen und politischen Aktivitäten als eine spezifische Erscheinungsform der modernen „Mediendemokratie“ deutlich zu machen. Teil III des Handbuches umfasst Überblicksbeiträge aus Nachbardisziplinen der Sprachwissenschaft, die sich ebenfalls dem Gegenstandsbereich „Sprache und Gesellschaft“ unter diskursanalytischer Perspektive widmen. Diese letzte Sektion gliedert sich dementsprechend nach Fachdisziplinen, nämlich der Geschichtswissenschaft, Soziologie, Politikwissenschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaft, Geographie, Erziehungswissenschaft und Psychologie. In diesen fachdisziplinären Zusammenhängen haben sich jeweils eigene Zugänge zum Sprachgebrauch in Politik und Gesellschaft etabliert, die zwar ebenfalls linguistisch-epistemologische Erkenntnisinteressen verfolgen, dies jedoch mit je eigenen thematisch-inhaltlichen Schwerpunkten und unter methodologischen Vorzeichen, die sich innerhalb der Fachdiskurse auf je spezifische Weise herausgebildet haben. Teil III wird eröffnet durch einen Beitrag von Marian Füssel, der aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive die konstitutive Relevanz von Sprache für die Kon­ struk­tion historischer Gegebenheiten beleuchtet. Ausgehend von einem Überblick über einschlägige Forschungsansätze wie die Begriffsgeschichte nach Koselleck und die so genannte Cambridge School gibt Füssel einen Überblick über geschichtswissenschaftliche Forschungsfelder. Eigenheiten eines spezifisch historischen Zugangs arbeitet er abschließend am Beispiel der Historiographie zur Französischen Revolution heraus. Auch im Beitrag von Reiner Keller stehen Aspekte der sozialen Wirklichkeit im Mittelpunkt, allerdings aus einem spezifisch soziologischen Blickwinkel. Handeln, auch sprachliches Handeln, wirkt sich – so der Ausgangspunkt – auf gesellschaftliche Strukturen aus. Ihre Untersuchung im Symbolischen Interaktionismus begreift Keller als eine frühe Ausprägungsform der soziologischen Diskursforschung, die sich seit den 1980er Jahren insbesondere im deutschsprachigen Raum weiterentwickelt und ausdifferenziert hat. Einschlägige Ansätze und Forschungsschwerpunkte werden dargestellt und erläutert. Teilweise in enger Verbindung zur linguistischen Forschung, aber dennoch in eigenständiger Weise, hat sich in den Medien- und Kommunikationswissenschaften seit den 1990er Jahre eine breite Forschung zum strategischen Sprachgebrauch in gesellschaftlichen, insbesondere politischen Zusammenhängen etabliert. Diesen Entwicklungen Rechnung tragend stellt Christian Pentzold in seinem Beitrag Konzepte und Methoden vor, mit denen sich Deutungsmuster in Diskursen rekonstruieren lassen. Im Mittelpunkt seiner Darstellung stehen so genannte Medienframes in der politischen Kommunikation. Ergänzt und erweitert wird dieser Fokus durch den Beitrag von Martin Nonhoff, der das genuin politikwissenschaftliche Forschungsfeld am konkreten Beispiel einer Hegemonieanalyse umreißt. Geht es in diesem diskursanalytischen Zugriff um analytische Annäherungen an Austragungen von politischen Positionen und Konflikten, so gehört der öffentliche Sprachgebrauch dabei

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zu einem wichtigen politikwissenschaftlichen Gegenstandsbereich. Nonhoff skizziert politikwissenschaftliche Zugänge, die in diesem Grenzbereich von Sprache, Diskurs und Politik verankert sind, wobei ein besonderes Augenmerk auf der Dimension der Narration und Argumentation liegt. Die letzten drei Handbuchartikel der Sektion III entstammen schließlich drei weiteren Fachdisziplinen, in denen sich in jüngerer Zeit lebhafte Forschungsfelder im Spannungsfeld von Sprache und Gesellschaft herausgebildet haben. Zunächst gibt Annika Mattissek einen Überblick darüber, mit welchen sprachwissenschaftlichen Konzepten in der (kulturwissenschaftlich orientierten) Geographie die gesellschaftlich elementare Größe des sozialen Raumes untersucht wird. Ausgangspunkt bildet die Annahme, dass Räume nicht als objektive Größen zu verstehen sind, sondern vielmehr erst symbolisch, insbesondere mit sprachlichen Mitteln, konstruiert und kon­ sti­tu­iert werden müssen. Dimensionen dieser gesellschaftlichen Konstruiertheit zeigt Mattissek am Beispiel einer Untersuchung von Stadtimages auf. In dem konkreten gesellschaftlichen Handlungsfeld der Erziehung beleuchten Inga Truschkat und Inka Bormann, auf welche Weise in der Erziehungswissenschaft diskursanalytische Methoden genutzt werden, um gegenstandsspezifisches Wissen kritisch nach seinem Zustandekommen und seiner Funktionalität zu hinterfragen. Diskursanalytische Reflexionen über den Sprachgebrauch in der Fachliteratur selbst dienen dazu, je spezifische Erkenntnisinteressen unter Einbezug von Machtfaktoren freizulegen. Eine ähnlich disziplinkritische Meta-Perspektive nimmt abschließend Felicitas Macgilchrist ein, wenn sie für die Disziplin der Psychologie zusammenfassend drei Ansätze (sozialer Konstruktivismus, diskursive Psychologie, Wissenschaftskritik) vorstellt, in denen – unter anderem mit linguistischen Mitteln – Grundfesten der Mainstream-Forschung in Frage gestellt werden. Der gemeinsame Tenor – der für das Handbuch generell in Anspruch genommen werden kann – lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass Sprache und Sprachgebrauch konstitutiv an gesellschaftliche und soziale Bedingungen gebunden sind. Wie Macgilchrist am Beispiel von Erinnerungspraktiken verdeutlicht, ergibt sich so die Notwendigkeit, psychologischen Fragestellungen unter Einbezug von situativen und kontextuellen Parametern nachzugehen. Das vorliegende Handbuch ist das Ergebnis eines längeren Arbeitsprozesses, der ohne die tatkräftige Unterstützung von Jana Baltus, Björn Fritsche, Melissa Müller, Miriam Olk und Sebastian Thome nicht zum vorliegenden Ergebnis geführt hätte. Wir Herausgeber möchten uns bei ihnen dafür ganz herzlich bedanken.

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Literatur Burkhardt, Armin (2002): Politische Sprache. Ansätze und Methoden ihrer Analyse und Kritik. In: Jürgen Spitzmüller u. a.: Streitfall Sprache. Sprachkritik als angewandte Linguistik? Mit einer Auswahlbibliographie zur Sprachkritik (1990 bis Frühjahr 2002). Bremen, S. 75–114. Burkhardt, Armin (2003): Das Parlament und seine Sprache. Studien zu Theorie und Geschichte parlamentarischer Kommunikation. Tübingen. [S. 128–148] Chilton, Paul (2004): Analysing Political Discourse: Theory and Practice. London. Dieckmann, Walther (1975): Sprache in der Politik. Eine Einführung in die Pragmatik und Semantik der politischen Sprache. 2. Aufl. Heidelberg. Diekmannshenke, Hajo (2001): Politische Kommunikation im historischen Wandel. Ein Forschungsüberblick. In: Hajo Diekmannshenke/Iris Meißner (Hg.): Politische Kommunikation im historischen Wandel. Tübingen, S. 1–27. Diekmannshenke, Hajo (2006): Politische Kommunikation im historischen Wandel. Tübingen. [Studienbibliographien Sprachwissenschaft 34] Fairclough, Norman (2010): Critical Discourse Analysis. The Critical Study of Language. Second Edition. Harlow u. a. Fairclough, Norman (2014): Language and Power. Third Edition London. Girnth, Heiko (2002): Sprache und Sprachverwendung in der Politik. Eine Einführung in die linguistische Analyse öffentlich-politischer Kommunikation. Tübingen. Girnth, Heiko/Andy Alexander Hofmann (2016): Politolinguistik. E-Book Heidelberg. Klein, Josef (1998): Politische Kommunikation – Sprachwissenschaftliche Perspektiven. In: Otfried Jarren/Ulrich Sarcinnelli/Ulrich Saxer (Hg.): Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch mit Lexikonteil. Opladen, S. 186–210. Lakoff, George (2004): Don’t Think of an Elephant! Know Your Values and Frame the Debate. The essential guide for progressives. White River Junction/Vermont. Niehr, Thomas (2014): Einführung in die Politolinguistik. Gegenstände und Methoden. Göttingen. Schröter, Melani/Björn Carius (2009): Vom politischen Gebrauch der Sprache. Wort, Text, Diskurs. Eine Einführung. Frankfurt a. M. Warnke, Ingo H. (2009): Die sprachliche Konstituierung von geteiltem Wissen in Diskursen. In: Ekkehard Felder/Marcus Müller (Hg.): Wissen durch Sprache. Theorie, Praxis und Erkenntnisinteresse des Forschungsnetzwerks „Sprache und Wissen“. Berlin/New York, S. 113–140. Wodak, Ruth/Veronika Koller (Hg.) (2008): Handbook of Communication in the Public Sphere. Berlin. Wodak, Ruth/Michael Meyer (Hg.) (2009): Methods for Critical Discourse Analysis. Rev. Second Edition London.

I Sprachliche Einheiten

Werner Holly

1. Sprachhandlung und Sprachhandlungsmuster Abstract: Der bis heute zentrale Begriff Handlung steht in der Sprachwissenschaft außerhalb der üblichen hierarchischen Einheitenbildung vom ‚Laut’ bis zum ‚Diskurs’, als paradigmaprägende Kategorie einer pragmatischen Sprachauffassung; auch wenn nicht alles Sprachliche Handlungscharakter hat, ist er für die Beschreibung politischen Sprachgebrauchs unerlässlich. Als Kriterium zur Abgrenzung ‚politischer’ Sprachhandlungen können (nach Luhmann) Kontexte von bindenden Entscheidungen und Macht gelten, eher als das Vorkommen in einem bestimmten Kommunikationsbereich. Sprachhandlungsbezogene Typologien von Mustern sind auf verschiedenen Ebenen angesiedelt, allerdings fällt deren eindeutige Fixierung schwer. Als wesentliche Merkmale öffentlicher politischer Sprachhandlungen muss man Theatralität und professionelle Medieninszenierungen berücksichtigen. 1 Sprachhandlungen: Begriffliches 2 Politische Sprachhandlungen? 3 Sprachhandlungsbezogene Kommunikationstypologien für die Politik 4 Theatralität und Medieninszenierungen 5 Fazit 6 Literatur

1 Sprachhandlungen: Begriffliches Sprachhandlungen gehören seit den 1970er Jahren zu den zentralen Bestandteilen von Beschreibungen des Sprachgebrauchs. Inwiefern sie aber sprachliche Einheiten sind, bedarf der Diskussion. Sie haben keinen festen Rang in den üblichen Hierarchien vom Laut zum Text (oder sogar Diskurs), sie sind keine sprachlichen Zeichen mit Ausdrucks- und Inhaltsseite; man kann sie also nicht ohne Weiteres an bestimmten sprachlichen Formen festmachen. Die sprachliche Handlung ist dagegen die paradigmaprägende Kategorie einer pragmatischen Sprachauffassung, die davon ausgeht, dass (nahezu) jeglicher Sprachgebrauch als Handeln konzeptualisiert werden kann. Für Feilke (1996, 16 ff.) ist sie  – in einer „metatheoretischen Reflexion“ von drei gängigen Modellierungen – die Bestimmungsgröße in einer Perspektivierung von „Sprache als HandlungsINSTRUMENT“; die beiden anderen sind Sprache als „Grammatik-ORGAN“ bzw. als „Zeichen-SYSTEM“. Zur „Instrument“-Perspektive gehört, dass ‚Pragmatik’ nicht eine Komponente neben anderen wie Phonologie, Syntax oder Semantik darstellt, also DOI 10.1515/9783110296310-001

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nicht nur ein Modul eines Grammatik-Modells, sondern dass sie eben eine eigenständige Sprach-Modellierung liefert, deren Pointe es ist, auf der Mikroebene den Beitrag verschiedener sprachlicher Einheiten in einer Handlungsperspektive zu beschreiben, auf der Makroebene die sprachlichen Verhältnisse als Ergebnisse des Sprachhandelns der Sprachteilhaber. Das heißt allerdings nicht, dass alle sprachliche Phänomene restlos als Sprachhandlungen oder als Ergebnisse von Sprachhandlungen gesehen werden können (s. auch Holly 2012, 161 ff.). Es gibt in der Sprache eine Reihe von Automatismen, verstanden als „Abläufe, die sich einer bewussten Kontrolle weitgehend entziehen“ (Bublitz u. a. 2010, 9). Dazu gehören nicht nur die paraverbalen und non-verbalen Zeichen, die durch die Verkörperung beim Sprechen als Stimme, Mimik, Gestik, insgesamt als „Körpersprache“, zu den nur schwer kontrollierbaren Anteilen der Semiose gerechnet werden müssen (Krämer 2002, 340); es ist insgesamt zu bedenken, dass die Sprecher auch sonst zwar prinzipiell zu verantworten haben, was sie sagen, dass es aber für Handlungen nur konstitutiv ist, grundsätzlich kontrollierbar zu sein, nicht in jedem Fall tatsächlich kontrolliert. Man kann dann zwar von Handlungen sprechen, sie haben aber zugleich den Charakter von Automatismen. Verschärft gilt diese Einschränkung der Kontrolliertheit individuellen Handelns für die grundsätzlich polyauktorialen Strukturen der Kommunikation in und mit technischen Medien, die nicht selten dem einzelnen Handelnden die Autorisierung der Letztfassung eines Kommunikats entziehen, wie sich etwa an Polit-Talkshows sehr schön zeigen lässt (s. Holly 2010, 2012, 2014, 2015). Dazu kommen einige Tücken des Handlungsbegriffs. Meist wird darunter nur ein Prototyp des Handelns gefasst, das als Rationalhandeln mit Absicht, Wille und Bewusstheit ausgestattet ist. Als (sprachliche) Handlungen zu verantworten sind aber auch Fälle von Zwangshandeln (ohne Willen, aber mit Absicht und Bewusstheit), Routinehandeln (ohne Absicht und Bewusstheit, aber mit Willen) oder Versehenshan­ deln (ohne Absicht, Wille und Bewusstheit) (dazu Holly/Kühn/Püschel 1984, 275– 312). Schon die Konversationsanalyse hat herausgearbeitet, dass Gesprächsverhalten zunächst quasi-automatisch abläuft, sich dabei aber permanent an den Erfordernissen der wechselseitigen Verständigung orientiert (Schegloff/Jefferson/Sacks 1977). Wir sind als Sprecher zugleich unsere ersten Hörer, die in Interaktion mit anderen Schritt für Schritt das, was wir sagen, mit dem, was wir sagen wollten, abgleichen und gewissermaßen von Korrektur zu Korrektur voranstolpern. Jäger (2007, 36) weist darauf hin, dass dies gar nicht anders sein kann, weil wir keinen vorsprachlichen Zugang zu unseren Gedanken haben, weil Sprechen immer an Ausdrucksseiten, also medial gebunden ist, wie es schon von Humboldt sprachtheoretisch entwickelt wurde. Dazu kommt weiterhin, dass (sprachliches) Handeln soziales Handeln ist und damit an überindividuelle Muster gebunden (Feilke 1996), die dem einzelnen Grenzen der Verfügbarkeit von Handlungsoptionen setzen. Dies gilt generell für alle sprachlichen Strukturen, die – nach Keller (1990) – „Phänomene der dritten Art“ sind, d. h.

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weder direkt intendiert, noch natürlich entstanden, sondern als kollektive Ergebnisse vieler Einzelhandlungen zu sehen sind, Resultate von invisible hand-Prozessen. Die Regeln und Muster der Sprache und der sprachlichen Handlungen existieren aber – wie die Ethnomethodologie formuliert hat – nur „im Vollzug“ und sind alles andere als deterministische Zwangsjacken (Domke/Holly 2011); sie sind offen für Abweichungen und damit für stetigen Wandel; das zeigt schon ein flüchtiger Blick auf Varietätenlinguistik und Sprachgeschichtsschreibung. Solche Muster sind eben nicht nur als Beschränkungen der individuellen Handlungsmöglichkeiten zu sehen, sondern vor allem als Grundlagen eines jeden Verstehens, das auf soziale Gemeinsamkeiten angewiesen ist, zugleich aber wegen der möglichen Varianzen und den damit verbundenen Vagheiten immer nur relativ möglich ist, oder in der klassischen Formulierung Humboldts (1827–1829/1963, 228): „Alles Verstehen ist daher immer zugleich ein Nicht-Verstehen […]“. Die Sprechakttheorie von Austin und Searle hat mit ihrem Versuch, Handlungsstrukturen auf Satzstrukturen abzubilden, zunächst größtes linguistisches Interesse gefunden. Bald wurde aber deutlich, dass die komplexen Bedeutungsstrukturen von Äußerungen in Situationen mit der Idee eindeutiger Entsprechungen von Ausdrücken und Inhalten nicht zusammengehen. Vielmehr sind mitgemeinte Bedeutungen, die nur aufgrund von situativen Elementen zu erschließen sind, eher die Regel als die Ausnahme, sodass das Format von Illokution und Proposition in der Beschreibung von Texten und Gesprächen rasch an Grenzen kommt. Immerhin hat die Diskussion um Sprechaktklassifikationen zu einer Reihe von Einsichten in die Fülle und Heterogenität möglicher Sprachhandlungsmuster geführt; in der interpretativen Praxis haben sich aber andere Konzepte wie z. B. Grices Konversationsmaximen oder aber die ethnomethodologische Konversationsanalyse als ergiebiger erwiesen; auch Ergebnisse der analytischen Handlungstheorie waren hilfreich, etwa die Einsicht in die Polyfunktionalität von sprachlichen Äußerungen, der sogenannte Ziehharmoni­ kaeffekt ihrer Beschreibungen, d. h. die Möglichkeit, einer Handlung mehrere Muster zuzuordnen, die mit einer indem-Relation miteinander verbunden sind (s. z. B. Feinberg 1965/1985, 202 ff.). Trotz der genannten Einschränkungen liegt der Vorteil einer handlungsorientierten Interpretation sprachlicher Äußerungen darin, dass mit der Kategorie Handlung mehr als nur linguistische Einzelaspekte wie Lexik oder semantische Strukturen in den Blick genommen werden; eine pragmatische Interpretation muss nämlich immer alle möglichen relevanten Elemente einer Äußerung einschließlich ihres Kontextes heranziehen; dies ist besonders in einem Kommunikationsbereich wie dem der Politik gefordert, in dem es ja überwiegend um Entscheidungen geht, also jeweils um die Frage, wie man handeln soll, und in dem alles kommunikativ ist.

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2 Politische Sprachhandlungen? Gibt es überhaupt spezifische Sprachhandlungen in der Politik? Oder handelt es sich bei den Mustern, die in der Politik verwendet werden, um solche, die auch in anderen Kommunikationsbereichen vorkommen? Worin könnte die Spezifik politischer Sprachhandlungsmuster bestehen? Es ist auf Anhieb plausibel, dass sich in der politischen Kommunikation typische Muster herausgebildet haben, besonders in institutionellen Kontexten, die stark formalisiert und ritualisiert sind. Entsprechend sind hier zahlreiche Deklarativa zu finden, für die auch von Sprechakttheoretikern gerne politische Beispiele herangezogen werden. Rolf (1997, 201 ff.) nennt etwa ein Parlament, ein Komitee, eine Arbeitsgruppe auflösen; ein Votum abgeben; ein Veto ein­ legen; von einem Amt zurücktreten; jmdn. als Kandidaten nominieren; jmdn. ernennen; jmdn. von einem Amt suspendieren. Aber erstens gibt es Deklarativa auch in anderen Kommunikationsbereichen (taufen, segnen, verurteilen), zweitens sind auch Muster aus anderen Sprechaktklassen in der Politik nötig, wie etwa dementieren (assertiv), einen Amtseid ablegen (kommissiv), eine Anordnung treffen (direktiv), Protest einle­ gen (expressiv). Immerhin erkennen wir an den verwendeten Sprechaktbezeichnungen, dass es zumindest politikspezifische oder politiktypische Varianten bestimmter Sprechakte gibt. Was aber macht diese Varianten zu politischen Mustern, außer der Tatsache, dass sie in der Politik vorkommen, was natürlich auch für andere ‚unpolitische‘ Muster gilt wie ‚sich entschuldigen’? Man könnte für dieses Problem eine einfache Lösung darin sehen, politische Sprachhandlungen danach zu bestimmen, ob sie von Politikern stammen oder in einem vorab identifizierten politischen Bereich stattfinden (Girnth 2002; Schröter/Carius 2009). Hausendorf (2007, 49 ff.) verweist in dieser Frage auf die Luhmannsche Systemtheorie, die als Spezifikum des politischen Systems „die Funktion des kollektiv bindenden Entscheidens“ vorsehe (ebd., 49), bzw. „das Bereithalten der Kapazität zu kollektiv bindendem Entscheiden“ (Luhmann 2000, 84), und damit – so Hausendorf – einen „Fluchtpunkt, auf den hin sich politische Kommunikation zu erkennen geben muss, um als solche in Erscheinung treten zu können“ (Hausendorf 2007, 49). Wie für die anderen gesellschaftlichen Funktionssysteme (Wirtschaft, Recht, Wissenschaft, Religion) ist bei Luhmann auch der Politik ein „symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium“ zugeordnet, und zwar das Medium Macht, das mit seinem Kode der Unterscheidung von Machthabern und Machtuntergebenen bestimmte Erwartungen und entsprechende Handlungen wahrscheinlich macht. Damit liefert Luhmann für Hausendorf (ebd., 50) ein Kriterium für die Abgrenzung von politischer Kommunikation: Der Luhmannsche Machtbegriff bietet eine heuristische These, mit der man versuchen kann zu rekonstruieren, wie im Gegenstandsbereich selbst  – vereinfacht gesagt: durch die Beteiligten selbst  – Politik als relevante Kommunikationsorientierung hergestellt wird. […] Wann immer ‚Akteure’ (welcher Art auch immer) politisch relevant agieren, sollte die Orientierung an der

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Unterscheidung von machtunterlegenen und –überlegenen an der Oberfläche der sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungsformen der Kommunikation nachweisbar sein.

Entsprechend orientiert sich die Bestimmung politischer Handlungsmuster nicht an der Frage, ob sie von Politikern ausgeführt werden oder in einem Kommunikationsbereich, den wir vorab als politisch identifiziert haben, sondern an der Frage, ob die Beteiligten „als Träger kollektiv bindender Entscheidungen zu profilieren“ sind, die sich entsprechend kommunikativ positionieren (ebd., 60). Unabhängig von diesem theoretisch wohlfundierten Kriterium hat man politischen Sprachgebrauch auf unterschiedlichen Analyseebenen lokalisiert, verankert in verschiedenen Typologien, mit mehr oder weniger Bezug zu Sprachhandlungen, mehr oder weniger logisch-deduktiv bzw. empirisch-induktiv gewonnen.

3 Sprachhandlungsbezogene Kommunikations­ typologien für die Politik Während Luhmann das politische System mit seiner kommunikativen Struktur zur Abgrenzung nach außen auf einen (oder zwei) Nenner zu bringen versucht (Entscheidung, Macht), beschäftigen sich andere gerade mit dessen kommunikativer Binnendifferenzierung, anhand sehr unterschiedlicher, nicht immer ganz und gar reflektierter Kriterien, unter denen Sprachhandlungskategorien aber auch eine prominente Rolle spielen. Seit der grundlegenden Arbeit von Edelman (1964) ist es üblich, die Breite möglicher politischer Kommunikation anhand sowohl institutioneller als auch sprachfunktionaler Aspekte mehr oder weniger konsistent zu gliedern (s. Holly 1990, 29–39). Während mit ersteren nach klassischen Gewaltenteilungsvorstellungen operiert wird (Edelman 1964; Dieckmann 1975; Bergsdorf 1983), dominieren mit letzteren pragmalinguistische Ideen von Sprachfunktionen à la Bühler oder Sprachspielen à la Wittgenstein (Dieckmann 1983, Grünert 1984; Strauß 1986). Diese Bemühungen setzen sich fort bei Girnth (2002, 36 ff.), der vier Handlungsfelder mit zugeordneten Text­ sorten in Verbindung bringt, die außerdem auch zu Sprachfunktionen in Beziehung stehen (ebd., 38 ff.). Dabei (wie auch bei Schröter/Carius 2007, 57 ff.) werden grundlegende Überlegungen von Klein (1991; 2000) zu Textsorten in der Politik herangezogen (s. auch Klein 2001 zu mündlichen Formen). Einen umfassenden Überblick über politische Kommunikationstypologien gibt Reisigl (2011). Im Folgenden soll es darum gehen, wie Sprachhandlungen in verschiedenen Typologien vorkommen: auf einer Makroebene, wo man eher von kommunikativen Subbereichen der Politik ausgeht (Abschnitt 3.1), dann auf einer Mesoebene, auf der Gattungen, Textsorten, Gesprächsund Redetypen oder Praktiken thematisiert werden (Abschnitt 3.2), und schließlich auf einer Mikroebene mit einzelnen Mustern oder Verfahren (Abschnitt. 3.3).

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3.1 Makrotypen: Formen, Stile, Felder, Sprachspiele, Grundfunktionen und Diskurse Um etwas Ordnung in die Vielfalt der sprachlichen Handlungsmuster in der Politik zu bringen, hat man sich zunächst auf bestimmte institutionelle Bereiche besonnen, auch wenn Edelman (1964, 134), von dem eine frühe Einteilung in „Formen“ oder „Stile“ stammt, von vorfindbaren Sprachformen auszugehen vorgibt, mit Kritik an der Lehre von getrennten Funktionen wie Exekutive, Legislative, Judikative (dazu Dieckmann 1975, 87 f.). Auch Dieckmann (1975, 86–101), der in Anlehnung daran ebenfalls „Sprachstile“ unterscheidet, aber zusätzlich zu den „internen“ Formen vor allem die „öffentliche“ Kommunikation (Meinungssprache) berücksichtigt haben will, diskutiert solche kommunikativen Großbereiche wie „Sprache des Gesetzes, der Verwaltung, der Verhandlung, der Überredung“, die zwar in verschiedensten politischen Institutionen vorkommen, aber doch prototypisch für bestimmte Texte bzw. kommunikativen Prozesse in den elementaren politischen Abläufen sind. Verhan­ deln als Muster des Interessenausgleichs ist zentral im Vorfeld aller Entscheidungen; mit Überredung (besser Persuasion) operieren alle deliberativen Phasen z. B. bei der Gesetzgebung; insofern sind hier entsprechende Sprachformen in solchen Prozessen, die man am ehesten mit Willensbildungsvorgängen in Exekutive und Legislative in Verbindung bringt, durch zentrale Sprachhandlungsmuster eher typisiert als extensional bestimmt. Die beiden anderen Stile/Formen sind ohnehin mit den Termini Gesetz und Verwaltung nach den Bereichen von Rechtsetzung (Legislative) und Rechtsprechung (Judikative) bzw. von Exekutivhandeln (auf verschiedenen Ebenen) benannt, betreffen also ebenfalls ganze Bereiche politischen Handelns. Wichtig dabei ist, dass man jeweils nicht einzelne Sprachhandlungen oder Texte meint, sondern komplexere Einheiten, eben „Formen“ oder „Stile“ des politischen Sprachgebrauchs mit zentralen Funktionen auf zentralen „Feldern“ der Politik, von denen z. B. Bergs­dorf (1983) spricht. In diesem Sinne größerer pragmatischer Bereiche mit sehr komplexen Handlungsabläufen sind wohl auch die (mit Bezug auf Wittgenstein so genannten) „Sprachspiele“ bei Grünert (1984) gedacht, die er sehr abstrakt als regulativ, inst­ rumentell, informativ-persuasiv und integrativ bezeichnet; er hält sie für allgemeine „Denk-, Sprach- und Handlungsstrukturen […], wie sie für politische, soziale, kulturelle Gemeinschaften kennzeichnend sind“ (ebd., 31). Auch Strauß (1986), von dem die elaborierteste Typologie politischer Kommunikation stammt, verwendet den Terminus ‚Sprachspiel’ (in einer „Makro“- und fünf „Mikro“-Varianten, allesamt auf einer Makroebene lokalisiert). Sie sind nicht als fundamentale oder prototypische Sprachhandlungen gedacht, sondern es sind politische Kommunikationsbereiche, also „Teile einer bestimmten sozialen Wirklichkeit“ (ebd. 33); sie sind Konstellationen von Problemsituationen, Handlungsbeteiligten mit bestimmten Beziehungen und gemeinsamem Wissen, mit Handlungszielen, Strategien, innerhalb bestimmter Organisationsformen und Institutionen. Die eigentlichen Sprachhandlungsmuster

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fasst Strauß in „kommunikative Verfahren“, die ebenfalls in einer Makro- und Mikrovariante existieren und die in den Sprachspielen „eingesetzt“ werden. So ergibt sich bei ihm ein relativ umfassendes Bild der politischen Kommunikation in der BRD mit folgender Grobstruktur; dem alles überdachenden Makrosprachspiel „politische Meinungs- und Willensbildung in der BRD“ sind fünf „Mikro“-Sprachspiele zugeordnet: (1) (2) (3) (4) (5)

Meinungs- und Willensbildung in Institutionen, öffentlich-politische Meinungsbildung, politische Werbung, Meinungs- und Willensbildung in Parteien und Gruppen, politische Bildung, Aufklärung, Belehrung.

In diesen Sprachspielen werden insgesamt zehn Makroverfahren eingesetzt (wobei nicht immer ganz klar wird, welche genau wo): (1) Aktivieren, (2) Informieren, (3) Argumentieren, (4) Unterweisen, (5) Regulieren/Normieren, (6) Legitimieren, (7) Deliberieren, (8) Verhandeln, (9) Solidarisieren/Integrieren, (10) Protestieren. Es scheint, dass diese Makroverfahren einerseits zwar relativ abstrakt sind, weil sie in verschiedenen Sprachspielen vorkommen können; andererseits sind sie aber wohl konkrete Sprachhandlungsmuster, die prototypisch für bestimmte Großbereiche, d. h. Sprachspiele sind. Strauß (1986, 33) beschreibt das Verhältnis so: „Sprachspiele lassen sich u. a. durch die spezifische Häufigkeit oder Kombination von kommunikativen Verfahren charakterisieren.“ Girnth (2002, 36–43) verbindet die Ansätze von Strauß und Grünert, spricht aber statt von Sprachspielen von „Handlungsfeldern“ bzw. von „Sprachfunktionen“ und ordnet diesen jeweils Textsorten zu. Da er politische Bildung außer Acht lässt, bleiben bei ihm die vier anderen ‚Handlungsfelder’ (das erste nennt er nun ‚Gesetzgebungsverfahren’); dazu kommen nun vier Sprachfunktionen, und zwar die (1) regulative (2) poskative (statt ‚instrumentale’ bei Grünert) (3) integrative (4) informativ-persuasive.

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In einer späteren Fassung (Girnth 2011) kommen zu diesen vier Grundfunktionen als fünfte noch die Imagebildungsfunktion; dies trägt dem ohnehin ubiquitären Charakter von Imagearbeit Rechnung (Holly 1979, 40, 114ff; 2001, 1386), die aber in der Politik gelegentlich das Ausmaß von „propagandistischem Overkill“ anzunehmen scheint (Holly 1990, 187 ff., 271; s. auch Holly 2012a). Beide, Handlungsfelder und Sprachfunktionen, werden dann bestimmten Text­ sorten (bzw. Interaktionsformaten) zugeordnet; zum Verhältnis von Handlungsfeldern und Sprachfunktionen heißt es: Es hat sich schon angedeutet, dass grobe Zuordnungen von Texten mit gleicher Funktion zu einem Handlungsfeld möglich sind. So sind beispielsweise Texte mit informativ-persuasiver Funktion primär eine Domäne des Handlungsfeldes ‚Gesetzgebungsverfahren’. Es muss aber kritisch auf die Gefahr einer allzu schematischen Zuordnung von Handlungsfeld und Sprachfunktion aufmerksam gemacht werden. (Girnth 2002, 42 f.)

Mit dem Hinweis auf gleiche Funktionen von Texten aus verschiedenen Handlungsfeldern und auf verdeckte Funktionen „wird deutlich, dass die Grenzen zwischen Handlungsfeldern und Sprachfunktionen fließend sind“ (ebd., 43). Ähnlich weist auch Reisigl, der im übrigen den Girnthschen Handlungsfeldern noch vier weitere hinzufügt (zwischenparteiliche Willenbildung, zwischenstaatliche Beziehungsgestaltung, politische Exekutive und politische Kontrolle/Protest; Reisigl 2011, 459), darauf hin, dass sich auch Textarten, Kommunikationstypen bzw. sprachliche Handlungsmuster nicht immer genau einem einzigen Handlungsfeld zuordnen lassen, da sie unterschiedliche politische Funktionen erfüllen können (ebd., 460).

Eine noch andere Makro-Orientierung kommt mit dem von Foucault inspirierten Begriff des Diskurses in den Blick (Warnke 2007). Hier sind meist nicht Sprachhandlungstypen oder funktionale Großbereiche gemeint, sondern thematische Komplexe. Man sollte sie unter Einbeziehung von Sprachhandlungen beschreiben, aber diese sind nur ein Analyseaspekt unter vielen (Spitzmüller/Warnke 2011). Girnth (2011) setzt sie optional mit allen Handlungsfeldern in Beziehung, da ein Themenkomplex in unterschiedlichen politischen Handlungszusammenhängen bearbeitet werden kann. Die Schwäche komplexer Diskursanalysemodelle liegt zweifellos darin, dass sie zu viele Aspekte einbeziehen wollen und damit methodisch unklar bleibt, wie aus den vielfältigen Befunden ein Gesamtbild entstehen soll, welches das funktionale Zusammenspiel einzelner Elemente und damit auch die Rolle einzelner Sprachhandlungen durchsichtig macht (Holly 2015a). Auf der Ebene des Diskurses gibt es natürlich immer viele Akteure und sie ist deshalb bestenfalls geeignet, Sprachhandlungssequenzen zu erfassen; intentionale Qualitäten und damit Sprachhandlungseigenschaften kommen eben nur einzelnen Beiträgen zu, nicht aber dem ganzen Diskurs, der grundsätzlich ein „invisible-hand-Phänomen“ darstellt (Keller 1990),

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das man durch Handlungen zu beeinflussen versuchen kann, ohne allerdings nichtintentionale Effekte wirklich zu kontrollieren.

3.2 Mesotypen: Textsorten, Interaktionsformate, Gattungen, Praktiken Vor dem Hintergrund der bisher besprochenen Kommunikationsbereiche, Handlungsfelder, Grundfunktionen oder auch der Diskurse sind Textsorten und vergleichbare Kategorien auf einer Mesoebene angesiedelt. Zwar hat man Textsorten nach verschiedensten Gesichtspunkten klassifiziert, was ihrer empirischen Verankerung im praktischen Sprachgebrauch der Gesellschaftsmitglieder entspricht (s. z. B. Dimter 1981), dennoch gelten in älteren und neueren Arbeiten zur Textlinguistik meistens funktionale Aspekte und damit ihre „wesentliche“ Sprachhandlung als primäres Merkmal (z. B. Brinker 1992, 133; Hausendorf/Kesselheim 2008, 171). Die umfassenden Typologien politischer Textsorten und mündlicher InteraktionsFormate von Klein (2000; 2001) orientieren sich an pragmatischen Kategorien; für die Textsorten (das sind schriftliche und mündliche von einem Emittenten zu verantwortende Muster) zunächst die Emittenten und Adressaten, dazu die Grundfunktionen (Klein 2000, 734), sodass sich für die insgesamt 74 Typen folgende Gruppen ergeben: (1) von Volksvertretungen emittierte (1a) primär außenadressierte: z. B. Verfassung, Gesetz, Entschließung (1b) primär binnenadressierte: z. B. Geschäftsordnung, Ausschussbericht, Enquête (2) von Regierungen emittierte (2a) außenpolitische: z. B. Staatsvertrag, Note, Kriegserklärung (2b) parlamentadressierte: z. B. Regierungsbericht, Antwort auf Anfrage (2c) primär verwaltungsadressierte: z. B. Rechtsverordnung, Verwaltungsverord­ nung (3) von Parteien/Fraktionen emittierte (3a) außengerichtete (3aa) wählergerichtete (3aaa) Wahlkampftextsorten: z. B. Wahlslogan, -spot, -programm (3aab) nicht auf Wahlkämpfe beschränkte: z. B. Leistungsbilanz (3ab) parteiengerichtete: z. B. Koalitionsvertrag (3b) primär parteiintern gerichtete: z. B. Grundsatzprogramm, Rechenschaftsbe­ richt (3c) fraktionsemittierte: z. B. Große Anfrage, Kleine Anfrage (4) von Politikern/Politikerinnen als personalen Repräsentanten emittierte (4a) schriftliche: z. B. Mandatsannahmeerklärung, Abgeordnetenfrage (4b) mündliche oder mündlich vorgetragene (4ba) formelle Sprechakte: z. B. Sitzungseröffnung, Zwischenruf

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(4bb) (4bba) (4bbb) (5) (6)

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politische Reden dissensorientierte: z. B. Debattenrede, Regierungserklärung konsensorientierte: z. B. Gedenkrede, Fernsehansprache politikadressierte externer Emittenten: z. B. Protestresolution, Pressekom­ mentar emittentenunspezifische: z. B. Denkmaltexte

Zur Beschreibung einzelner Textsorten verwendet Klein weitere pragmatische, aber auch semantische, grammatische und rhetorische Kategorien (ebd., 735). Es zeigt sich dabei, dass er für die Außenabgrenzung von Textsorten (vs. Interaktionsformaten) wie für die Binnendifferenzierung mit Kriterien wie „Verantwortung“, „Handlungsbeteiligung“ (Emittent und Adressat) und vor allem „kommunikative Grundfunktion“ letztlich Begriffe einer Sprachhandlungstheorie heranzieht. Auch in seiner Typologie politischer Interaktionsformate (Klein 2001) „spielt das kommunikative Handlungs­ muster die Rolle des wichtigsten Einteilungskriteriums“ (ebd., 1591). Er kommt damit zu drei Mustern, die entsprechende Formate begründen; außerdem gibt es offenere Formate („Containerformate“) mit Mustermischungen und „Gesprächstypen von Abgeordneten bzw. Kandidaten“ (insgesamt 22 Formate): (1) Diskussions- und Debattenformate (1a) Entscheidungsdebatten: Parteitags- und Fraktionsdebatten (1b) Legitimationsdebatten: Plenardebatten, Fernsehdiskussionen (2) Verhandlungsformate (2a) Konferenz (2b) Koalitionsverhandlung (2c) Gespräch mit Interessenvertretern Verhandlung einer Wahlkampfschiedsstelle (2d) (3) Frage-Antwort-Formate (3a) parlamentarische Befragungen (3aa) Befragung der Bundesregierung (3ab) Fragestunde Anhörung (Hearing) (3b) (3c) Interview (3d) Pressekonferenz (4) Containerformate (4a) Sitzung (4b) Versammlung (4ba) Parteiversammlung (4bb) Bürgerversammlung (4bba) von Bürgerinitiativen veranstaltete (4bbb) Bürgerunterrichtung Abgeordneten- und Kandidatengespräche (5)

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Canvassing (Kurzgespräche im Wahlkampf) (5a) Kontaktgespräch mit lokalen Meinungsführern (5b) (5c) Abgeordneten-Sprechstunde informelle Kollegengespräche (5d) Schon der alte rhetorische Begriff der Gattung war mit den drei Idealtypen der Gerichtsrede, Beratungsrede und Lob-/Tadelrede mindestens z. T. auf politische, jedenfalls auf öffentliche Kontexte gemünzt (Engels 1996; Reisigl 2011, 446 ff.). In der Tradition der Wissenssoziologie hat man mit einer Neubelebung des Gattungsbegriffs für auch im Alltag verankerte mündliche Formen eine neue interdisziplinäre Konzeptualisierung gewählt und kommunikative Gattungen als Verfestigungen verstanden, die „mehr oder minder wirksame und verbindliche ‚Lösungen’ von spezifisch kommunikativen ‚Problemen’“ (Luckmann 1986, 202) darstellen, die aber  – wie in der ethnomethodologischen Konversationsanalyse herausgearbeitet  – immer wieder in der Praxis der Interaktion hervorgebracht werden müssen (Domke/Holly 2011; vgl. auch Ayaß 2011). Ähnlich wie mit dem heute gerne verwendeten Begriff der ‚kommunikativen Praktiken’, der auch als kommunikationsformübergreifender Terminus für mündliche und schriftliche Formen dient (z. B. Fiehler 2005, Stein 2011), wird damit auf die interaktionale Genese und die kontextuelle, soziale und institutionelle Einbettung solcher Verfestigungen hingewiesen.

3.3 Mikrotypen: Einzelmuster, Verfahren Es ist oben schon darauf verwiesen worden, dass spezifisch politische Sprachhandlungsmuster im Bereich der institutionell festgelegten Abläufe zu finden sind, etwa bei Bestellung und Entlassung von Amtsträgern oder in den Verfahrensformen von politischen Gremien, wie sie in Geschäftsordnungen geregelt werden (Holly 1996; 1998). Ansonsten gilt, dass die Muster, die in der Politik verwendet werden, erst durch politische Kontexte zu politischen Mustern werden, d. h. durch ihre Einbettung in oder Funktionalisierung hin auf politische Entscheidungszusammenhänge und Machtfragen, wie von Luhmann (2000) umrissen (s. o. Abschnitt 2). Problematisch bleibt auch immer die Unterscheidung von Einzelmustern und Mustern, die für bestimmte Großbereiche prototypisch sind, wie die sogenannten „kommunikativen Verfahren“ bei Dieckmann (1983), unter denen sich auch Auffordern befindet, oder die oben zitierten Makroverfahren bei Strauß (1986), die mitunter auch wieder als Mikroverfahren auftauchen (wie z. B. Argumentieren, Legitimieren). Auch die von Klein (2000) beschriebenen Textsorten muten in einigen Fällen an wie Einzelmuster bzw. Minimalsequenzen (z. B. Sitzungseröffnung, Zwischenruf). Umgekehrt sind Mikroverfahren selbst häufig schon komplex wie etwa Argumentieren, das aus mehr als nur einer isolierten Sprachhandlung besteht, weil es dabei z. B. einer Behauptung und einer dazu gehörigen Begründung bedarf.

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Man kann sich diese Dimensionsunschärfen handlungstheoretisch generell mit der schon erwähnten „Ziehharmonika-Struktur“ (Feinberg 1965/1985) erklären, dass man also je nach Detaillierungsgrad der Handlungsbeschreibung ein einzelnes Muster (wie z. B. Legitimieren) als „wesentliche TextHandlung“ sehen kann (dazu von Polenz 2008, 37 f., 328) und damit zugleich konstitutiv für eine ganze Textsorte, ja sogar als prototypisch für einen kommunikativen Großbereich. Dennoch kann man in einzelnen Textsorten musterhaft das Vorliegen bestimmter Handlungstypen und z. T. auch deren Sequenzierung identifizieren, wie z. B. in Neujahransprachen von Bundeskanzlern die Muster Erinnern und Bewerten, Orientieren, Solidarisieren, Danken, Gedenken, Wünschen, Grüssen (Holly 1996a), so dass in einer Textsorte nicht nur irgendwelche Muster auftauchen, die sich politisch funktionalisieren lassen, sondern eben durchaus solche, die man – zumindest teilweise – als textsortenkonstitutiv auffassen kann. Andere Muster wie solche der Werbung und Selbstdarstellung sind in öffentlicher politischer Kommunikation quasi ubiquitär, man kann sie also nicht mehr als spezifisch für bestimmte Textsorten bzw. Interaktionsformate ansehen. Davon soll im Folgenden noch genauer die Rede sein.

4 Theatralität und Medieninszenierungen Nicht zuletzt die grundsätzliche Polyfunktionalität von Handlungen erlaubt es, so zu tun, als würde man eine Handlung nach (nur) dem einen Muster vollziehen, während man gleichzeitig (auch noch) ein ganz anderes realisiert. Im Bereich der Politik, wo es definitionsgemäß um Macht und nicht selten auch um Geld geht, ist es deshalb nicht erstaunlich, dass hier Inszenierungen, die wir – wie Goffman (1969; 1977) immer wieder anschaulich gezeigt hat  – aus gutem Grund und wie selbstverständlich im Alltag praktizieren, eine besonders prominente Rolle spielen; dies ist mindestens seit der Zeit der antiken Rhetorik das Feld elaborierter Expertise, erreicht Höhepunkte der Offenheit und Schamlosigkeit in den Ratschägen des Macchiavelli und zeigt sich heute in der zunehmenden Bedeutung von professionellen Kommunikationsberatern, Public Relations-Agenturen und „spin doctors“ in der Politik. Aus Goffmans mikrosoziologischem Ansatz hat sich eine breite Forschung zu Techniken und Strategien der Selbstdarstellung entwickelt. Den Ergebnissen dieser Forschung zufolge erreicht man die Zustimmung anderer in Form verschiedener Attributionen wie „sympathisch“, „kompetent“, „moralisch“, „stark“, „hilfsbedürftig“, die aber allesamt in ein negatives Bild umschlagen können, wenn das entsprechende Verhalten übertrieben wird und wir die Dosis unserer Bemühungen nicht auf die Normen unserer Kommunikationspartner abgestimmt haben. Es besteht also immer die Gefahr, dass wir statt der Zuschreibung der angestrebten positiven Eigenschaften für „konformistisch“, „eingebildet“, „heuchlerisch“, „großmäulig“ oder „faul“ gehalten

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werden, wie man der im Folgenden wiedergegebenen Tabelle (aus Laux/Schütz 1996, 47) entnehmen kann, die neben den Strategien (linke Spalte) und den prototypischen Verhaltensweisen (rechte Spalte) angestrebte und riskierte negative Attributionen (in der Mitte) verzeichnet (vgl. Abb. 1): Bezeichnung der ­Strategie

Angestrebte ­Attribution

Riskierte negative Attribution

Prototypisches ­Verhalten

sich beliebt machen (ingratiation)

sympathisch, ­liebenswert

kriecherisch, konformistisch, unterwürfig

Meinungskonformität, Lob, Schmeicheln, Gefallen tun

Sich als kompetent darstellen (­self-promotion)

kompetent, effektiv

eingebildet, angeberisch, betrügerisch

eigene Leistungen und Fähigkeiten herausstellen

sich als Vorbild ­darstellen ­(exemplification)

moralisch überlegen, wertvoll, vorbildlich, selbstaufopfernd

heuchlerisch, ­scheinheilig

Selbstverleugnung, Helfen

andere einschüchtern (intimidation)

gefährlich, stark

großmäulig, kraftlos

drohen, Ärger zeigen, Imponierverhalten

sich als hilfsbedürftig darstellen (­supplication)

hilflos, glücklos, behindert

faul, fordernd, ­stigmatisiert

Selbstabwertung, Hilfegesuche

Abb. 1: Eine Taxonomie von Strategien der Selbstdarstellung (aus Laux/Schütz 1996, 47; adaptiert nach Jones/Pittman 1982)

Überhaupt hat man mit der positiven Selbstdarstellung das grundsätzliche Problem, dass man nach den üblichen Konventionen übertriebene Selbstbestätigung zu unterlassen hat („Eigenlob stinkt“), weil dieses Verhalten ansonsten gemäß der notwendigen Balance von Selbst- und Fremdachtung, die immer miteinander verknüpft sind, einer Korrektur bedürfte. Eine überproportionale Erhöhung ist nur für den anderen vorgesehen, z. B. durch Ehrungen und Komplimente, die dieser dann wiederum bescheiden herabmindern muss. Die Wertschätzung der eigenen Person muss immer relativiert werden und von entsprechenden Vorkehrungen gegen den Vorwurf der Eitelkeit begleitet werden. Hier liegt also ein systematisches Dilemma vor, das kommunikativ bearbeitet werden muss. Natürlich würde man vermuten, dass die Selbstdarstellungsstrategien von Politikern sich vor allem auf die Zuschreibung von Kompetenz beziehen, denn sie sollen ihre politischen Aufgaben ja aufgrund besonderer sachlicher Fähigkeiten erfüllen können. Zugleich ist aber – gerade angesichts der schwer einzuschätzenden Wissensund Kenntnisdomänen in immer komplexer werdenden Fachgebieten  – der Bürger darauf angewiesen, sich auf sein intuitives Vertrauen verlassen zu können, das auf

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allgemeine Menschenkenntnis und sehr allgemeine positive Eigenschaften rekurriert; intuitive schnelle Urteile sind demnach eher bei den anderen Eigenschaften (sympathisch, moralisch, stark) zu finden, wo wir nach Alltagskategorien urteilen können. Es ist deshalb kein Wunder, dass sich Politiker gerade um die Zuschreibung solcher Attribute bemühen, die im allgemein Menschlichen, den Gefühlen, dem Charakter und der äußeren Erscheinung verankert scheinen. Schwäche und Hilfsbedürftigkeit hingegen scheiden im Prinzip aus, denn es passt nicht zu dem Anspruch des Führungspersonals, anderen zu helfen und eben selbst nicht der Hilfe zu bedürfen; ein kleiner Schuss von Schwäche, etwas Fehlerhaftes darf allerdings dabei sein (andernfalls würde man mit dem Perfektionsimage nur Zweifel wecken und damit auch die Fallhöhe vergrößern, wenn einmal etwas nicht gelingt). Man kann die Auffassung vertreten, dass das heute übliche Ausmaß an Inszenierung, die nicht selten gezielte Täuschung und Lüge einschließt, immer aber die interessengeleitet persuasiv effektvolle Perspektivierung von Sachverhaltsdarstellungen, politisch notwendig ist, will der Kommunikator den heterogenen Anforderungen, die an politisches Handeln gerichtet werden, entsprechen. Das ergibt sich schon aus der simplen Tatsache, dass öffentliche Kommunikation, will sie erfolgreich sein, sehr unterschiedliche Rezipienten haben kann, also die hohe Kunst der Mehrfachadressierung berücksichtigen muss (Kühn 1995). Man kann aber noch weitergehen und wie Soeffner (1998, 220–226) argumentieren, dass Politikern im allgemeinen Interesse die „Berührung mit dem ‚Unreinen’“ zugestanden wird, weil politisches Handeln „die bewusste In-Rechnung-Stellung und Nutzung der Unmoral, des Täuschens und des potentiellen Mißbrauchs der Macht“ eben einschließt (s. dazu auch Holly 2008). Es lässt sich im Detail zeigen, dass die Kommunikationsstrukturen und -prozesse für simple Geradlinigkeit zu komplex sind und die immanenten Rollenkonflikte den Politiker zu vielfältig doppelbödigen und notwendig widersprüchlichen Zügen geradezu zwingen (Holly 1990, 272–273). Um dies halbwegs akzeptabel zu machen, bedarf es – so weiter Soeffner (ebd.) – in der Politik der rituellen Formen und Zeremonien (Wulf/Zirfas 2004), mit denen das Wechselverhältnis zwischen Repräsentierten und Repräsentanten als eine gleichsam heilige Ordnung stabilisiert wird, so dass eventuelle moralische Verstöße im Vorhinein immunisiert sind – „wenn es sein muß“: Das rituell gestützte Stellvertretungsabkommen besteht also bei genauerem Hinsehen  – nicht nur, aber auch  – darin, dass die Wähler ihren Repräsentanten eine Art kollektiver Erlaubnis dafür erteilen, moralische Verstöße zu begehen, sofern dies im Allgemeininteresse nötig zu sein scheint: Die Repräsentierten können ‚sauber’ bleiben, weil andere sich für sie beschmutzen. (Soeffner 1998, 224)

Repräsentative Elemente in der politischen Kommunikation (Gauger/Stangl 1992) bedeuten deshalb auch, dass Ästhetik dazu dient, ethisch Fragwürdiges „durch den Weihrauch von Zeremonialhandlungen“, durch den „Nimbus“ (Soeffner 1998, 220, 231) zu überdecken, ohne dass jede moralische Kontrolle aufgegeben werden darf.

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Hier öffnet sich ein schwieriges Feld von ständig auszuhandelnden Bewertungen, auf dem in jedem einzelnen Fall zu entscheiden ist, ob die Grenzlinie des „im allgemeinen Interesse“ Tolerierbaren überschritten ist; keinesfalls aber kann es darum gehen, grundsätzlich in der politischen Kommunikation allgemeine ethische Prinzipien des Kommunizierens außer Kraft zu setzen. Im Gegenteil: Gerade wenn man die strukturelle Gefährdung des politischen Bereichs erkannt und akzeptiert hat, kann man notwendige Gegenmechanismen, wie sie moderne Öffentlichkeiten etwa in Form der Kultivierung von Skandalen herausgebildet haben (z. B. Ebbighausen/Neckel 1989; Hondrich 2002; Burkhardt/Pape 2003; Holly 2003), besser verstehen und verstärken. Da die Bürger ihre Spitzenpolitiker in der Regel nicht persönlich und spontan erleben, sondern in offiziellen Situationen, die sorgfältig geplant werden und in den meisten Fällen durch technische Medien vermittelt sind, kommt es also auf die gelungene Medieninszenierung an, die eine solche günstige Selbstdarstellung bewerkstelligen soll. Hier sind die modernen Massenmedien und inzwischen auch die Kommunikationsformen des Internets Schauplätze entsprechender propagandistischer Bemühungen. Meyer (2001, 109 f.), der diese Verhältnisse als „Mediokratie“ bezeichnet hat, charakterisiert die Struktur dieser Art von Öffentlichkeit als wesentlich bildgesteuert: Politik präsentiert sich in der Mediengesellschaft immer mehr und immer gekonnter als eine Abfolge von Bildern, kameragerechten Schein-Ereignissen, Personifikationen und Images, bei denen Gesten und Symbole, Episoden und Szenen, Umgebungen, Kulissen und Requisiten, kurz Bildbotschaften aller Art zur Kernstruktur werden, zum Teil sogar von Werbe- und Kommunikationsexperten erdacht und von den Akteuren nachgestellt, damit die maximale Medienwirksamkeit garantiert sei.

Man kann in derlei Politspektakeln eine neue „Theatralität“ von Politik sehen, die mit allen kalkuliert eingesetzten Mitteln des Theaters arbeitet. Im Zentrum stehen (neben der Sprache) Aktionen des menschlichen Körpers mit Mimik, Gestik, Proxemik; aber auch Requisiten und Kulissen spielen keine geringe Rolle. Die verbalen und paraverbalen Sprachzeichen gelten nur noch als Teile einer insgesamt auf Bildlichkeit hin angelegten Inszenierung, die eine „Ästhetisierung der Öffentlichkeit“ betreibt, weg von Inhalten, hin zur Verpackung. Offen bleibt nämlich – so Meyer (2001, 111) –, „ob die gestellten Bilder durch politisches Handeln gedeckt sind oder nicht.“ Was Politiker kommunizieren, ist dann nicht mehr primär an Wahrhaftigkeit gebunden, wichtiger sind Personalisierung und Intimisierung, Emotionalisierung und Dramatisierung, Banalisierung und Unterhaltung (s. auch Holly 2008; 2010a; 2011). Insgesamt wird so die öffentliche Kommunikation entpolitisiert, mit durchaus politischen Folgen. Andererseits kann man auch die positiven Seiten einer solchen „symbolischen Expressivität“ sehen, soweit es ihr gelingen mag, Aufmerksamkeit zu bündeln, Motive wachzurufen, Handlungen anzuregen (Meyer 2001, 117); deshalb sei sie ein „legitimes und oft produktives Mittel der Politik“, so dass die Bilanz in der Beurteilung der theatralen Strategien ambivalent bleibe (ebd.).

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5 Fazit Für die Beschreibung von politischem Sprachgebrauch ist die Kategorie der Handlung nach wie vor unabdingbar, auch wenn nicht alle sprachlichen Phänomene als Handlungen gefasst werden können. Kriterium für die Identifikation von politischen Handlungen ist nicht in erster Linie das Auftreten im Kommunikationsbereich Politik oder entsprechende Autorschaft, sondern vor allem ein Kontext, der auf bindende Entscheidungen und Macht hin orientiert ist. Typologien auf der Grundlage von Sprachhandlungsmustern liegen von verschiedenen Autoren vor (Edelman, Dieckmann, Strauß, Girnth, Reisigl); sie sind sowohl auf der Makroebene (kommunikative Großbereiche, Handlungsfelder, Makro-/Mikro-Sprachspiele) angesiedelt, als auch auf der Mesoebene (Textsorten, Interaktionsformate) bzw. auf der Mikroebene (Einzelmuster, Mikro-Verfahren). Charakteristisch für die öffentliche politische Kommunikation ist deren ubiquitäre Berücksichtigung von Fragen der Selbstdarstellung, was zu permanenten Inszenierungen führt, auch wenn dabei Täuschungen und moralisch fragwürdige Verfahren nicht ausbleiben. Dies gilt umso mehr im Rahmen von technischen Medien, die eine entsprechende „Entpolitisierung“, die gleichwohl politisch ist, zusätzlich befördern.

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Martin Wengeler

2. Wortschatz I: Schlagwörter, politische Leitvokabeln und der Streit um Worte Abstract: Die Analyse lexikalischer Einheiten stellt von Beginn an den zentralen Forschungsbereich in der Wissensdomäne Politik und Gesellschaft dar. Dabei werden seit jeher semantische und pragmatische Herangehensweisen an politische Schlagwör­ ter integriert, da diese sich vor allem von ihrer Funktion im politischen Meinungskampf her bestimmen lassen. Sowohl die systematisch-typologische als auch die theoretisch-methodologische und erst recht die empirische Forschung zu diesem Feld sind sehr vielfältig. In diesem Artikel werden zunächst eine Begriffsklärung der relevanten lexikalischen Einheiten und damit einhergehend einige terminologische Differenzierungen sowie eine Systematik des Streits um Worte bzw. des Begriffe Beset­ zens präsentiert (Kap. 2). In Kap. 3 werden exemplarisch verschiedene Ausrichtungen empirischer Schlagwortforschung wie z. B. unterschiedliche diskurslexikographische Untersuchungen vorgestellt. Abschließend werden (in Kap. 4) ,moderne’, mit den Begriffen Frame und Framing arbeitende Ansätze behandelt und daraufhin begutachtet, welche neuen Erkenntnispotenziale sie im Vergleich zur traditionellen deutschsprachigen Schlagwortforschung liefern, die im Mittelpunkt des Artikels steht. 1 Einleitung 2 Eine Phänomenologie lexikalischer Einheiten im politischen Sprachgebrauch 3 Schlagwörterbücher und Diskurslexikographie 4 Frames und Framing: Alter Wein in neuen Schläuchen? 5 Literatur

1 Einleitung Ein politisches Schlagwort bezeichnet in stilistisch komprimierter und einprägsamer Form als Einzelwort oder Wortverband das gemeinsame Bewußtsein oder Wollen, eine bestimmte Tendenz, ein Ziel oder Programm einer Gruppe gegenüber einer anderen oder einer Mehrzahl von anderen, bewegt sich meist auf einer höheren Abstraktionsebene und vereinfacht die Wirklichkeit gemäß den Erfordernissen des kollektiven Handelns, hat die Aufgabe, Anhänger zu werben und zu sammeln oder den Gegner zu bekämpfen und zu diffamieren, ist in seiner appellativen Funktion hörerorientiert und zieht seine Wirkungen vornehmlich aus den angelagerten Gefühlswerten. (Dieckmann 1964, 79 f.)

DOI 10.1515/9783110296310-002

Wortschatz I: Schlagwörter, politische Leitvokabeln und der Streit um Worte 

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Diese frühe Definition des politischen Schlagwortes in der ersten systematischen deutschsprachigen Auseinandersetzung mit politischer Sprache kann auch heute noch als grundlegend für eine allgemeine Bestimmung desjenigen Gegenstandes linguistischer Forschung angesehen werden, der – ebenfalls bis heute – immer wieder im Fokus der Politikspracheforschung steht. Sie ist „prägnant und umfassend zugleich“ (Böke 1996, 34), auch wenn sie nach semantischen, pragmatischen und morphologischen Kriterien differenziert (vgl. Kaempfert 1990, 1200) oder in eine Vielzahl von Untertypen (s. u.) unterteilt werden kann. Für die in diesem Handbuch zentrale Fragestellung, welches (kollektive, gesellschaftliche, gruppenspezifische oder auch individuelle) ‚Wissen‘ durch welche Akteure und Institutionen mit welchen sprachlichen Mitteln geschaffen, begründet und durchgesetzt wird, ist besonders Fritz Hermanns Lesart von Dieckmanns späterer Festlegung „In den Schlagwörtern werden die Programme kondensiert“ (1975, 103) zentral: „Schlagwörter sind Vehikel – oder Chiffren – von Gedanken. Das sind allerdings auch viele andere Wörter. [… Für ein Schlagwort] entscheidend ist, daß es das Ziel oder ein Programm als Ziel (Programm) bezeichnet und zugleich auch propagiert“ (Hermanns 1994, 12). Damit sind für solche lexikalische Einheiten, die im politisch-öffentlichen Bereich eine wichtige Rolle innehaben, schon frühzeitig Gesichtspunkte angesprochen, die in der modernen Frame-Semantik, aber auch schon in Busses Programm einer Historischen Semantik systematisch ausgearbeitet worden sind (Busse 1987): Dass eine Vielfalt von verstehensrelevantem Wissen in eine angemessene semantische Analyse von Wortbedeutungen einzubeziehen ist, da dieses Wissen mit dem Gebrauch der Wörter vom Sprecher z. T. vorausgesetzt, z. T. aber auch konstituiert und sowohl bei ihm wie beim Hörer hervorgerufen, evoziert wird. Dies unterstellend und damit auch eine semantische und pragmatische Herangehensweise an den Forschungsgegenstand Sprache in Politik und Gesellschaft integrierend kann die Analyse lexikalischer Einheiten auch weiterhin als ein zentraler Forschungsbereich angesehen werden. Weil sowohl die systematisch-typologische wie auch die theoretisch-methodologische und erst recht die empirische Forschung zu diesem Feld äußerst vielfältig ist und damit kaum umfassend dargestellt werden kann, konzentriere ich mich hier auf eine Auswahl unter folgenden Gesichtspunkten: Zunächst werden einige terminologische Differenzierungen vorgestellt einschließlich der Systematisierungen des Streits um Worte (Kap. 2). In Kap. 3 werden exemplarisch verschiedene Ausrichtungen empirischer Schlagwortforschung wie z. B. unterschiedliche diskurslexikographische Untersuchungen behandelt. Abschließend werden (in Kap. 4) ,moderne’, mit den Begriffen Frame und Framing arbeitende Ansätze präsentiert.

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2 Eine Phänomenologie lexikalischer Einheiten im politischen Sprachgebrauch 2.1 Zur Entwicklung einer empirisch nutzbaren Terminologie Wie angedeutet markiert Dieckmanns Publikation aus den 1960er Jahren den Beginn der systematischen linguistischen Beschäftigung mit dem in politisch-gesellschaftlichen Auseinandersetzungen genutzten Wortschatz. Seine Einteilungen der politischen Sprache (Dieckmann 1975) werden bis heute zur systematischen Einordnung des in der Politik verwendeten Wortschatzes genutzt: Die „Sprache des Gesetzes“, „die Sprache der Verwaltung“ und „die Sprache der Verhandlung“ (Dieckmann 1975, 88 ff.) bzw. die „Institutionssprache“ und die „Sprache des verwalteten Sachgebiets“ (Dieckmann 1975, 50 f.; vgl. ähnliche Einteilungen bei Bergsdorf 1983, Strauß 1986 und Klein 1989, referiert u. a. bei Girnth 2002, 49 ff.; Burkhardt 2003, 126 ff.; Niehr 2014, 68 f.) sind im hier interessierenden Zusammenhang zu vernachlässigen; worum es hier geht, ist Dieckmanns Meinungssprache, die Sprache der Überredung (Dieckmann 1975, 97 ff.) bzw. das Ideologievokabular (Dieckmann 2005, 19; Niehr 2014, 65), weil diese(s) die Sprachgebrauchsbereiche umfasst, die sich auf die öffentliche Vermittlung von ‚Weltbildern‘, Positionen, Einstellungen, Meinungen, ‚Ideologien‘ richten. Zwar benutzt Dieckmann bzgl. dieser „Sprache der Überredung“ auch immer wieder die Begriffe Manipulation und Propaganda, die – ebenso wie die Bestimmung im Zitat oben: Schlagwörter „vereinfachen die Wirklichkeit“ – auf eine sprachrealistische Perspektive verweisen. Dennoch wird bei ihm schon die realitätskonstituierende Funktion der zentralen politischen Lexik deutlich. Im Zusammenhang mit seinen Reflexionen zum „Schlagwort Demokratie“ (1975, 66 ff.) wird zudem klar, dass Dieckmann zur adäquaten Analyse des begrifflichen Wandels eine diskurslinguistische Forschungsperspektive vorschwebt. Gerade der von ihm geprägte Begriff der ideologischen Polysemie – der den Sachverhalt bezeichnet, dass gleiche Wörter „ideologisch“ gänzlich Unterschiedliches bedeuten können (vgl. ebd., 71) – zeigt, dass die Welt durch den (politischen) Sprachgebrauch unterschiedlich organisiert und konstituiert wird: „Der Wortstreit in der Politik ist nicht Streit ums bloße Wort, sondern Ausfluß der politisch-ideologischen Auseinandersetzung“ (Dieckmann 1975, 72). Auch in der Bestimmung, dass in Schlagwörtern „Programme kondensiert“ (ebd., 103) sind, wird der wirklichkeitskonstitutive Charakter der Schlagwörter deutlich. Im Rahmen der Reflexion des emotiven und konnotativen Bestandteils von Wortbedeutungen wählt Dieckmann zudem eine Formulierung, die an heutige framesemantische Bestimmungen erinnert (vgl. etwa Ziem 2008, 7–13). In einigen Fällen sei „die Quelle für den emotiven Ausdrucksgehalt oder seine Wirkungskraft der gesamte sprachliche Hintergrund, aus dem ein Wort stammt und der bei seiner Nennung wachgerufen wird“ (1975, 79) – was andeutet, dass der

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verstehensrelevante Hintergrund in der Kommunikation sehr viel umfassender ist, als es die meisten Bedeutungsmodelle suggerieren. Als weitere frühe Untersuchung zur politischen Lexik kann Horst Grünerts Studie zum Sprachgebrauch der ‚Paulskirche‘ (1974) angeführt werden, die als erste empirisch umfassende Untersuchung lexikalischer Einheiten im politischen Zusammenhang gelten kann. Seine Analysen einerseits der ‚rechten‘ und andererseits der ‚linken Seite‘ des Paulskirchenparlaments von 1848/49 fokussieren auf den Gebrauch zentraler Schlagwörter wie Volk, Ehre, Freiheit, soziale Frage oder Klassen. Indem er die lexikalischen Einheiten im Rahmen eines eigens entwickelten Argumentationsmodells in ihrem Gebrauch und somit deren Funktionen untersucht, zeigt er, wie mit sprachlichen Zeichen unterschiedliche Denkweisen und Überzeugungen artikuliert werden, um andere von eigenen Positionen zu überzeugen. Er zeigt auch, dass es schon bei diesem ersten Demokratieversuch auf deutschem Boden um „bipolaren, binären, dualistischen, alternativen Sprachgebrauch“ (ebd., 22) widerstreitender Gruppen geht, also um das, was heute agonale Diskurse heißt, die sich in semanti­ schen Kämpfen manifestieren. Deutlich werden soll hier, dass vieles, was heute mit neuen Begrifflichkeiten als neu deklariert wird, offenbar dem Gegenstand Sprache in Politik und Gesellschaft so sehr inhärent ist, dass es schon von den frühesten als Politolinguistik avant la lettre zu bezeichnenden Studien vermerkt worden ist und dass Dieckmann und Grünert als Nestoren der Politolinguistik betrachtet werden können. Zur Präzisierung und Differenzierung des ,Gegenstandes’ lexikalische Einheiten im politisch-öffentlichen Sprachgebrauch haben insbesondere Hermanns, Burkhardt und Böke beigetragen. Fritz Hermanns hat in verschiedenen Beiträgen am klarsten und systematischsten auf die nicht nur kognitiven, sondern auch appellativen, emotiven und volitiven Dimensionen der lexikalischen und insbesondere der politischen Semantik hingewiesen (vgl. Hermanns 1995a). Methodisch folgen daraus seine vielfach aufgegriffenen Konzepte einer Begriffsgeschichte als Mentalitäts- und Diskursgeschichte (vgl. Hermanns 1995b), die er auch selbst an Beispielen wie Arbeit, Umwelt, Globalisierung und Deutsch(land) umgesetzt hat. Terminologisch geht auf ihn die Differenzierung politischer Schlagwörter in Fahnenwort, Stigmawort, Hochwert- und Unwertwort sowie Affirmationswort zurück (Hermanns 1994). Fahnenwörter  – so Hermanns in einem frühen lexikographischen Beitrag – „sind dazu da, daß an ihnen Freund und Feind den Parteistandpunkt, für den sie stehen, erkennen sollen“ (Hermanns 1982, 91); Stigmawörter sollen den gegnerischen Parteistandpunkt negativ kennzeichnen, u. a. auch, um nicht auf die positiven Selbstkennzeichnungen der Gegner zurückgreifen zu müssen (vgl. ebd., 92). In späteren Reflexionen dieser eingeführten Terminologie erschien Hermanns diese Zweiteilung des politischen Wortschatzes, die gerade auch für ideologisch polyseme Wörter gelten sollte, bei denen das Fahnenwort der einen das Stigmawort der anderen sein kann (Sozialismus, liberal, konservativ), als zu grob, da z. B. „nicht jedes positive ‚Schlagwort‘ auch ein Fahnenwort sein muß“ (Hermanns 1994, 17) (seine Beispiele: Staatsbürger in Uniform; Umwelt). Aufgrund

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der Beobachtung, dass sich Stigmawort allgemein für die Bezeichnung von „irgendetwas Negative[m] (das man allerdings bekämpfen möchte)“ (ebd., 19) durchgesetzt hat, ohne dass damit ein gegnerischer Parteistandpunkt negativ gekennzeichnet wird (seine Beispiele: Chaot, Sympathisant, Asylant), schlägt er als Pendant dazu Affir­ mationswort als Bezeichnung für etwas als positiv Prädiziertes vor, wovon Fahnen­ wort dann nur eine Unterkategorie darstellt. Auf der Ebene darüber führt Hermanns mit Berufung auf Burkhardt 1988 den Terminus Hochwertwort und dessen Pendant Unwertwort ein, die beide eben nicht parteilich-programmatisch gebunden sind und auf „über der aktuellen politischen Diskussion stehende“ positiv resp. negativ bewertete Konzepte verweisen: Zukunft, Frieden, Menschenwürde, Aufschwung, Gesundheit vs. Kommunismus, Bolschewismus, Rassismus, totalitär, Terrorist. Da aber gerade auch die Hochwertwörter ideologisch polysem sein können, insofern unter Sicherheit, Frei­ heit oder Gemeinschaft sehr Unterschiedliches verstanden werden kann, scheint mir die von Burkhardt (1998, 103) gewählte Systematik, bei der Schlagwörter als Oberbegriff fungieren und in die er noch vier weitere Kategorien einführt, konsequenter und differenzierter zu sein (vgl. Abb. 1, auch Niehr 2014, 74). Schlagwörter

überparteilich wertend positiv

negativ

Hochwertwörter

Unwertwörter

parteilich

neutral Zeitgeistwörter Programmwörter

wertend positiv

negativ

Fahnenwörter

Stigmawörter

neutral Themawörter Schelt- Gegenschlagwörter wörter

Abb. 1: Klassifikation von Schlagwörtern nach Burkhardt (1998)

Dabei sind Zeitgeistwörter „überparteilich und außerpolitisch“ sowie „an die charakteristischen Diskursthemen der jeweiligen Zeitabschnitte gebunden“ (Burkhardt 2003, 357; Postmoderne, Politikverdrossenheit), Themawörter heben lediglich „besonders wichtige Aspekte des Bezeichneten lexikalisch (bzw. semantisch)“ (ebd., 358) hervor: Standort Deutschland, Schwarzgeld-Affäre. Auf Seiten der positiv und negativ wertenden Schlagwörter werden der bis heute gängigen Terminologie von Fahnenund Stigmawörtern Programm- (Entspannung, Gesundheitsreform), Schelt- (Steuerlüge, Blockadepolitik) und Gegenschlagwörter (Neidsteuer, Herdprämie) hinzugefügt (vgl. ebd., 357 f.), deren definitorische Bestimmung sie aber ebenso unter die Kategorien von Fahnen- und Stigmawörter subsumierbar erscheinen lässt.

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Um lexikalische Einheiten für analytische Zwecke nicht nur besser unterscheidbar zu machen, sondern gleichzeitig deren jeweilige pragmatische Funktion schon in der Bezeichnung hervorzuheben, hat Karin Böke (1996) ein „fachterminologisches Instrumentarium“ (31) entwickelt, das sich an Kleins (1991) Differenzierung der verschiedenen zeichentheoretischen Aspekte eines Lexems orientiert. Dabei wird zunächst als Oberbegriff wegen des „pejorativen Gebrauchs in der Umgangssprache“ (32, Fn. 25) auf den Ausdruck Schlagwort verzichtet und der Terminus politische Leit­ vokabel, der synonym zu politisches Schlüsselwort gemeint sei, gewählt. Diese seien nicht nur positiv, sondern auch negativ konnotierte Ausdrücke bzw. Ausdruckskomplexe […], die innerhalb der jeweiligen Diskussionen eine politische Leit(bild)funktion erlangen, d. h. einen bestimmten „Leitgedanken“ oder ein „Leitbild“ konstituieren oder transportieren bzw. auf einem (zeittypischen) „Leitgedanken“ beruhen (Böke 1996, 33).

Als die Referenz bzw. Extension fokussierende Termini werden die folgenden – aufgrund ihrer Durchsichtigkeit hier nicht jeweils erklärten, aber z. T. mit Beispielen aus den von Böke untersuchten Diskursen illustrierten – Bezeichnungen genutzt: Selbstund Fremdbezeichnung, Ziel- und Programmvokabel (echter Föderalismus), Zustands(falscher Föderalismus) und Vorgangsbezeichnung (Zerstückelung Deutschlands). Auf den Ausdruck heben die Bezeichnungen Neuwort/Neologismus (Schwangerschafts­ abbruch), Ablösevokabel (Vertriebener statt Flüchtling) und Alternativbezeichnung (Bundesstaat statt Föderalismus) ab. Hier wie in den folgenden Kategorien wird deutlich, dass es der Analyse von Diskursen und nicht einzelner Texte oder Wörter bedarf, um die Funktion und damit die Bedeutung und den Bedeutungswandel der lexikalischen Einheiten adäquat zu erfassen und zu beschreiben. Und genau dann sind solche Bezeichnungen sinnvolle Analysetermini, weil mit ihnen der Diskurs mitbedacht wird. Um deskriptive und deontische Bedeutungsdimensionen sprachlicher Zeichen einzubeziehen, nutzt Böke neben den Termini Fahnen- und Stigmawort im oben beschriebenen Hermannsschen Sinn die Begriffe spezifische Kontextualisierung (Liedtke 1989) und Interpretationsvokabel, mit denen jeweils auf die unmittelbare sprachliche Umgebung der analysierten Leitvokabeln Bezug genommen wird, die per Kollokations- bzw. Kookkurenzanalyse inzwischen (s. Ziem in diesem Band) systematisch in die Untersuchung lexikalischer Einheiten im Bereich Sprache in Politik und Gesellschaft einbezogen wird. Werbewort (Familienzusammenführung, natürliche Ordnung), Legitimationsvokabel (Recht auf Heimat, Selbstbestimmungsrecht), Vor­ wurfsvokabel und Integrationsvokabel (Vertriebene) bezeichnen hingegen die kommunikativen Leistungen/Funktionen von Leitvokabeln, insofern mit ihrem Gebrauch die jeweils in den Bestimmungswörtern der Komposita genannten sprachlichen Handlungen regelmäßig vollzogen werden. Neben Metaphern, die ja ebenfalls in der Form von Lexemen oder Phrasemen als lexikalische Einheiten (vgl. Spieß in diesem Band) realisiert werden, wird als letzte analytische Kategorie von Böke der Euphe­ mismus genannt als „zur Charakterisierung von Ausdrücken [geeignet], die wichtige,

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aber negativ bewertete Eigenschaften des Bezeichneten ausblenden“ (Böke 1996, 41). Organische Gleichberechtigung nennt Böke als Beispiel aus dem frauenpolitischen Diskurs der 1950er Jahre, womit die Vorrangstellung des Mannes gegenüber der Frau bezeichnet wurde. Die mit Euphemismus gemeinte Beschönigung, Verschleierung, Verharmlosung durch in politischen Diskursen genutzte lexikalische Einheiten ist schon seit langem ein Gegenstand der Forschung und wurde zuletzt von Forster (2009) bezogen auf die nationalsozialistische Sprache intensiv reflektiert. Als wissenschaftliche Analyse- und nicht politische Bewertungskategorie bleibt der Begriff trotz aller Differenzierungsversuche als ein der Abbildtheorie zugehöriger Begriff allerdings umstritten (vgl. dazu auch Heringer 1982, 16; Burkhardt 2003, 139 ff.) Bevor im folgenden Kapitel auf die linguistischen Systematisierungen des Streits um Worte eingegangen wird, muss noch kurz ein den bisher dargestellten Terminologien konkurrierendes Konzept vorgestellt werden. Es knüpft mit dem Begriff der Nomination („ein Terminus, der im Rahmen einer sowjetischen Nominationstheorie entwickelt worden ist und dann auch in der westlichen Forschung Anwendung und Präzisierung gefunden hat“ (Herrgen 2000, 136)) einerseits eng an sprechhandlungstheoretische, pragmatische Konzepte an, andererseits geht er inhaltlich nicht über das mit dem vorgestellten Instrumentarium Beschreibbare hinaus, erschwert aber eher die Verständlichkeit der Analysen in der fachexternen Öffentlichkeit. Zudem erscheint mir das Konzept die gegenstandskonstitutive bzw. realitätskonstituierende Funktion sprachlicher Zeichen zumindest zu vernachlässigen, wenn diese in expliziter Form nur den Abstrakta zugestanden wird: Im Falle der Abstrakta fallen sprachliche Konzeptualisierung und Gegenstandskonstitution sogar zusammen: Erst der Akt der Begriffsbildung konstituiert Abstrakta als Entitäten, und erst deren kommunikative Vermittlung durch Ausdrücke macht sie intersubjektiv wahrnehmbar (ebd., 133).

Für andere Bereiche des Wortschatzes geht das Nominationskonzept – in Anlehnung an die Sprechakttheorie Searlescher Prägung – offenbar davon aus, dass die ,Gegenstände’ der Welt vorsprachlich in der Weise vorhanden sind, dass die SprecherInnen mit ihren sprachlichen Handlungen auf diese Gegenstände Bezug nehmen, d. h. referieren und etwas über diese Gegenstände prädizieren. Der ,Witz’ des Nominationsbegriffs (und des von Volmert 1989 eingeführten ,Vorläufers’ Etikettierung) ist es nun, dass er zum Ausdruck bringt, dass schon im Referenzakt etwas über die ,Gegenstände’ prädiziert wird, dass also schon mit der Wahl des jeweiligen Wortes bewertend und die Einstellung des Sprechers zum Ausdruck bringend auf die Gegenstände referiert wird: „Nomination ist Referenz plus […] Wertungspragmatik“ (Bellmann 1996, 11). Da somit mit den benutzten Wörtern auch Sichtweisen auf die Welt sowie die Haltung des Sprechers gegenüber den Gegenständen ausgedrückt wird, wäre zu konzedieren, dass auch dieses Konzept in jeglichem Wortgebrauch die wissens- und realitätskonstitutive Funktion der sprachlichen Zeichen

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berücksichtigt. In jedem Fall hat das Konzept auch den Vorteil, dass im Begriff der Nomination der pragmatische Charakter des Wortgebrauchs, die Tatsache, dass die Wörter nur im Gebrauch ihren ,Sinn’, ihre Funktion haben, impliziert ist. Das Konzept wird jedenfalls in einigen politolinguistischen Arbeiten wie bei Herrgen 2000 oder im Einführungsbuch von Girnth 2002 empirisch angewendet und differenziert. So findet sich in diesem Einführungsbuch auch eine differenzierte Einteilung des politischen Wortschatzes nach sechs „Nominationssektoren“ (2002, 59 f.), die „für das politische Sprachhandeln zentrale Wirklichkeitsausschnitte“ (ebd.) repräsentieren. Auch der im folgenden Kapitel näher zu beschreibende Streit um Worte wird mit der Terminologie des Nominationskonzepts dargestellt, wobei die im Folgenden vorzustellenden, in der Politikspracheforschung gängigeren Begriffe und Kategorien als Nominations­ konkurrenz und (denotative und evaluative) Lesarten-Konkurrenz ,übersetzt’ werden.

2.2 Der Streit um Worte/Semantische Kämpfe Als charakteristisch für die öffentliche ,Meinungssprache’ kann die seit langem und immer wieder auch in der Öffentlichkeit beobachtete Tatsache gewertet werden, dass „Schlagwörter in der Politik generell umkämpft sind“ (Burkhardt 1996, 360). Denn entgegen der in den 1970er Jahren von SPD-nahen Intellektuellen mit ihrem BuchTitel Worte machen keine Politik (Fetscher/Richter 1976) geäußerten Überzeugung legt es gerade die Annahme der realitäts- und wissenskonstitutiven Funktion der Sprache nahe, dass es in einer gesellschaftlichen Domäne, in der es um die Aushandlung der ,richtigen’ bzw. dem jeweiligen Problemverhalt angemessenen Überzeugungen und Handlungen geht, nicht gleichgültig ist, mit welchen Bezeichnungen, Begriffen und mit welchen Bedeutungen dieser Begriffe auf die Welt Bezug genommen wird. Dass also diesem Feld Der Streit um Worte inhärent und er für die Akteure unverzichtbar ist, darauf hatte im deutschsprachigen Raum schon 1967 der Philosoph Hermann Lübbe nachdrücklich aufmerksam gemacht (vgl. zu einem Vorläufer im angloamerikanischen Raum Gallie 1962). U. a. anhand des Streits um die Benennung derjenigen, die nach 1945 aus den ehemaligen östlichen deutschen Gebieten in die BRD gekommen waren (Heimatvertriebene wollten sie heißen und nicht etwa Flücht­ linge), zeigte Lübbe, dass „die aristotelische Regel, nicht um Worte zu streiten“, für die öffentlich-politische Auseinandersetzung in der Demokratie nicht gelten könne: „Wer hier nachgibt, ist nicht immer der Klügere“ (1975, 109), denn er räumt dem politischen „Gegner einen Alleinvertretungsanspruch bezüglich der hohen Zwecke ein, die in jenen Worten Parole sind“ (ebd., 108). „Daß die Worte [ihren …] schwankenden Gebrauch haben“, damit müsse jeder politisch Handelnde „rechnen, und entsprechend bleibt es auch im Verhältnis zum politischen Gegner unvermeidlich, die Auseinandersetzung mit ihm nicht zuletzt als Wortstreit zu führen“ (ebd., 107). Diese abgeklärte Haltung eines konservativen Intellektuellen war in den frühen 1970er Jahren im politischen Feld nicht vorhanden, als der damalige CDU-Generalsekretär

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Kurt Biedenkopf mit seiner Rede auf einem Hamburger CDU-Parteitag 1972 den sog. „Semantikkampf“ einläutete (vgl. Behrens/Dieckmann/Kehl 1982). Mit der Diagnose, dass die politischen Gegner eine Revolution eingeleitet hätten, indem sie die Begriffe besetzt hätten, machte er – wenn auch aus rein sprach- und politikstrategischen Interessen  – öffentlich auf die wirklichkeitskonstitutive Kraft der Sprache aufmerksam und bewirkte, dass sich in der Folge auch Linguisten mit dieser Metapher und mit semantischen Kämpfen beschäftigten (vgl. zu den Vorläufern der Thematisierung von Begriffs- und Themensetzungen Gramsci, Bloch und Marcuse u. a. Wengeler 2005, zu Biedenkopf und den Folgen Behrens/Dieckmann/Kehl 1982, Klein 1991 und Hermanns 1994). In Heringers Sammelband von 1982 Holzfeuer im hölzernen Ofen beschäftigten sich nicht nur Behrens/Dieckmann/Kehl intensiv und kritisch mit der Sprachpolitik und den Sprachauffassungen von konservativen Intellektuellen und der CDU in den 1970er Jahren, hier wurden auch Georg Stötzels sprachtheoretische Grundlegungen zum „konkurrierenden Sprachgebrauch in der deutschen Presse“ (Stötzel 1982; vgl. auch schon Stötzel 1978) und damit zu semantischen Kämpfen wieder veröffentlicht. Der Begriff semantische Kämpfe wurde – anders als heute oft suggeriert wird – also schon in dieser frühen Phase der Politiksprachforschung etabliert, seine erste linguistische Verwendung findet sich in Rudi Kellers Beitrag zu kollokutionären Akten, in dem er „Diskussionen und Kämpfe um einen Sprachgebrauch“ in den Medien thematisiert: „Ich möchte solche Kämpfe semantische Kämpfe nennen“ (Keller 1977, 24). Stötzel macht an einigen Einzelbeispielen von semantischen Kämpfen wie Berufs­ verbot, BRD, KZ-Ei die politische Relevanz der Tatsache deutlich, „daß es sich bei der Wortverwendung keineswegs um ein unproblematisches Zuordnungsverhältnis eines Namens zu einer vorsprachlich als inhaltlich bestimmten Sache handelt“ (1982, 280). Vielmehr sei „verschiedener Sprachgebrauch Ausdruck einer unterschiedlichen Interpretation von Problemverhalten“: „Sogenannte Tatsachen [erscheinen] immer nur sprachvermittelt“. Stötzels Presseanalysen sollen somit „zu Einsichten in die Konstitutionsproblematik führen, d. h. zu Einsichten in die Problematik der sprachlichen Verfassung einer ‚Weltanschauung‘ (im neutralen Sinne Humboldts, d. h. wie wir die Welt anschauen)“ (ebd., 281). Josef Klein unternimmt es dann seit 1989 in einigen Aufsätzen, die „Typen des (politischen) Kampfes um Wörter“ (1989, 17; 1991, 50) danach zu unterscheiden, „auf welche zeichentheoretischen Aspekte des Wortes sich die strategische Operation [des Versuchs, einen Begriff zu ,besetzen’] primär bezieht“ (1991, 50). Gemeint sind die Aspekte Ausdruck, deskriptiver Bedeutungsaspekt, deontischer Bedeutungsaspekt (vgl. dazu grundlegend Hermanns 1989), assoziativer Bedeutungsaspekt und Referenzobjekt. In neueren Arbeiten (Klein 2016) kommt die emotionale Bedeutung hinzu. Als Typen unterscheidet er in diesen Arbeiten die folgenden (vgl. den entsprechenden Überblick in Wengeler 2005, ebenfalls referiert u. a. bei Niehr 2014, 88 ff.): 1. die ausdrucks- und inhaltsseitige Prägung eines Begriffs durch die eigene Gruppierung, die häufig bei der Formulierung politischer Zielvorstellungen verwendet

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wird (Soziale Marktwirtschaft, Demokratisierung, Chancengerechtigkeit; Generati­ onengerechtigkeit, nachhaltige Entwicklung) das parteiliche Prädizieren, die Bezeichnungskonkurrenz: die Bezeichnung eines vorhandenen, meist umstrittenen Sachverhalts mit einem Ausdruck, in dem die eigene Deutung des Sachverhalts dominant ist (Anschluss vs. Beitritt (der DDR zur BRD), Arme vs. sozial Schwache, Nachrüstung vs. Aufrüstung; Gesundheitsprä­ mie vs. Kopfpauschale, Reform des Sozialstaats vs. Sozialabbau, multikulturelle Gesellschaft vs. Parallelgesellschaften) das Umdeuten, die deskriptive Bedeutungskonkurrenz: die Durchsetzung der Bedeutung eines politisch wichtigen Wortes, die in die eigene Position passt (Soli­ darität, Gerechtigkeit, Subsidiarität, Freiheit, Subventionen, Patriotismus) das Umwerten, die deontische Bedeutungskonkurrenz: Es handelt sich zumeist um unterschiedlich bewertete Selbst- und Fremdbezeichnungen für politische Einstellungen, Systeme und Gruppierungen (Beispiele: konservativ, Sozialismus, liberal, multikulturell) das Ausbeuten von Konnotationen, die Konkurrenz um positiven Glanz: der Versuch, ein positiv bewertetes sprachliches Zeichen mit der eigenen Position oder Person zu verbinden, es als ,Erkennungsmarke’ zu etablieren (Beispiele: menschlich, Freiheit, Sicherheit, Zukunft, nachhaltig, Mitte, Reformer).

In neueren Arbeiten kommt der Typ der „mehrdimensionalen Bedeutungskonkurrenz“ hinzu, die bei abstrakten Begriffen auftrete, die „je nach Verwendungskontext konzeptuell unterschiedlich konkretisierbar“ (Klein 2016, 6) seien. Bedeutungskonkurrenz entstehe dann bezüglich aller Bedeutungsaspekte, also hinsichtlich deskriptiver, emotionaler und deontischer Bedeutung, hinsichtlich Konnotationen und Referenzobjekten. Am Beispiel Reform zeigt Klein, wie dieser Begriff bezüglich aller genannten Dimensionen als sozialliberaler Begriff in den 1960er/70er und als marktliberaler Begriff seit den 1990er Jahren unterschiedlich geprägt worden ist. Dabei sei erst ein ganzes Schlagwortnetz dafür verantwortlich, dass der ,neue’ Reform-Begriff lange Zeit parteiübergreifend funktionieren und dadurch mitbestimmen konnte, wie ,wir’ die wirtschaftliche und soziale Welt sehen bzw. gesehen haben: Sprachliche Durchschlagskraft gewann der marktliberale Reform-Diskurs dadurch, dass die Hauptargumente in Begriffen komprimiert sind. Sie bilden ein Schlagwort-Netz (Reform-Politik) […]. Der Zentral- oder Schlüsselbegriff eines Diskurses – hier Reform – wird durch die mit ihm verknüpften Schlagwörter mit Bedeutung aufgeladen. So hat das Schlagwortnetz zugunsten marktliberaler Reform-Politik erheblichen Anteil am Verblassen des Reform(en)-Begriffs (1) und der Etablierung von Reform(en)-Begriff (2). (Klein 2016, 8 f.)

Auch hier zeigt sich also, dass die moderne politolinguistische Forschung nicht ohne die Einbettung ihres Gegenstandes in einzeltext- und einzelwortübergreifende Diskurse auskommt.

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3 Schlagwörterbücher und Diskurslexikographie Die bis hierher dargestellten Terminologien und Konzepte zur Beschreibung lexikalischer Einheiten und ihrer Funktionen im politischen und öffentlichen Diskurs sind in der Forschung in vielfacher Hinsicht genutzt worden, um Ausschnitte des politischen Wortschatzes in verschiedenen Themenfeldern und/oder Zeitabschnitten systematisch und zumeist auf der Grundlage großer Textkorpora zu erforschen und zu beschreiben. Dabei stand zumeist das Interesse im Hintergrund, darüber aufzuklären, mit welchen Begriffen jeweils von wem welche Wirklichkeitsausschnitte wie konstituiert worden sind. Die Analyse lexikalischer Einheiten, ihres Gebrauchs und ihres Bedeutungswandels ist also seit langem ein zentrales Forschungsfeld diskurslinguistischer Studien, deren Ergebnisse vor allem auch in Wörterbuchform präsentiert und dabei z. T. auch als diskurslexikographische Untersuchungen bezeichnet werden. Es lassen sich folgende Forschungstraditionen in der deutschsprachigen Forschung bezogen auf die deutsche Sprache und Sprachgeschichte unterscheiden: 1. Schlagwortforschung für die Zeit bis zum 20. Jahrhundert 2. Die Kaempfert-Schule mit Schlagwortstudien zum 20. Jahrhundert 3. Die Düsseldorfer Schule als diskurslinguistische Erforschung kontroverser Begriffe 4. Die Diskurslexikographie am Institut für Deutsche Sprache 5. Lexikographische Projekte im Kontext von political correctness 6. Nicht-linguistische Wörterbücher: Geschichtliche Grundbegriffe und Glossar der Gegenwart Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die jeweilige Forschung gegeben. In der Flugschriftenliteratur [des frühen 16. Jh., der Zeit der Reformation und der Bauernkriege] allgemein sind die Anfänge politischen deutschen Wortgebrauchs zu erkennen, einerseits mit einer Fülle pejorisierender Personenbezeichnungen, […] andererseits mit Bezeichnungen ideologischer Richtungen und Aktivitäten sowie mit Schlüssel- und Fahnenwörtern nach dem Freund-/ Feind-Schema. Damit war das Grundarsenal des modernen politischen Wortschatzes etabliert […]. (v. Polenz 1991, 264)

Dieser frühe Schlagwortschatz mit polemischen Gegnerbezeichnungen wie papist, Lutherist, römling oder bapstketzer und politischen Richtungsbezeichnungen wie Lutherei, Kirchthum und Wiedertäufer ist von Diekmannshenke (1994) umfassend untersucht worden. Ebenso wie spätere Arbeiten reflektiert Diekmannshenke zu Beginn den Begriff des „Schlagwortes“ in Abgrenzung zu anderen Begriffen wie „Leitwort“ oder „Terminus“, um zu erläutern, welche lexikalischen Einheiten er im Folgenden in ihrer Gebrauchsweise durch ,die Radikalen’ näher beschreibt. Eine solche umfassende terminologische Reflexion zeichnet auch die Untersuchung der chronologisch anschließenden Zeit, der des Dreißigjährigen Krieges, durch Beatrice Wolter (2000) aus, die u. a. eine differenzierte „Typologie der Schlagwortfunktionen“ (26 ff.) vorlegt. Inhaltlich besonders interessant auch für spätere Jahrhunderte sind Wolters

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nach Lemmata geordneten Darstellungen des Schlagwortgebrauchs „im publizistischen Kampf der Religionsparteien“ (168 ff.) von evangelisch über Ketzer bis zu Pfaffe und Antichrist und der „patriotischen Schlagwörter“ (315 ff.) Alamode, Mutterspra­ che/Hochdeutsch und Teutschland/Vaterland. Für die Folgezeit sind am umfassendsten von Historikern und Romanisten „politisch-soziale Grundbegriffe in Frankreich 1680–1820“ (Reichardt/Schmitt 1985 ff.) untersucht worden, die hier insbesondere erwähnt seien, weil das ,Handbuch’ theoretisch und methodologisch vorbildhaft auch für spätere diskurslinguistische und diskurslexikographische Studien ist (vgl. dazu Wengeler 2003, 32 ff.) und weil es mit seiner belegreichen narrativen Darstellung der Wortgebrauchsgeschichte in Wortartikeln von 20 bis 70 Seiten von agiotage bis utopiste Maßstäbe gesetzt hat. Als wortbezogene Einzelstudie für das deutsche Jakobinertum in dieser Zeit sei auf die schon zitierte Arbeit von Herrgen (2000) über die Sprache der Mainzer Republik (1792/93) verwiesen. Eine wichtige Epoche und Gruppierung des 19. Jahrhunderts deckt Wülfing mit seiner Arbeit zu den Schlagworten des Jungen Deutschland (1982) ab, die „als erste moderne Schlagwortanalyse einer historischen Epoche“ (Diekmannshenke 2001, 13) gilt und auf die daher auch mit ihrer Schlagwort-Bestimmung vielfach Bezug genommen worden ist. Wie schon erwähnt, können auch Horst Grünerts Untersuchungen zum Sprachgebrauch der ‚Paulskirche‘ (1974) trotz ihrer argumentationsanalytischen Anlage als eine umfassende Untersuchung lexikalischer Einheiten, die Grünert als „das ideologische Zeichen-Inventar“ (191) überschreibt, im ersten deutschen Parlament gelten. Für die Bismarckzeit konzentriert sich die Arbeit von Cobet (1973) auf den „Wortschatz des Antisemitismus“ und leistet damit ebenso wie Clasons Studie „zum polemischen Wortgebrauch des radikalen Konservatismus in Deutschland zwischen 1871 und 1933“ (1981) wichtige wortschatzbezogene Aufklärungsarbeit über die Traditionen, aus denen nationalsozialistische Sprache schöpfen bzw. an die sie andocken konnte (vgl. dazu zusammenfassend v. Polenz 1999, 538 ff.). Diese selbst wird in Schmitz-Bernings „Vokabular des Nationalsozialismus“ (1998) lexikographisch dokumentiert. Für das 20.  Jahrhundert sollen nicht chronologisch, sondern systematisch verschiedene Ansätze der Schlagwortforschung betrachtet werden. In den 1990er Jahren initiierte Manfred Kaempfert in Bonn eine moderne Schlagwortforschung, die sich intensiv mit der bis dahin vorliegenden, unter dem Label Schlagwörterbücher firmierenden Literatur von Ladendorf (1906) bis Nunn (1974) auseinandersetzte und daraus einen operationalisierbaren Schlagwort-Begriff und ein Konzept von Schlagwörterbüchern (Kaempfert 1990a,b) entwickelte, das von seinen Schülern in mehreren, einzelne Zeiträume des 20. Jahrhunderts abdeckenden Wörterbüchern umgesetzt wurde. Christian Schottmann (1997) untersucht und dokumentiert Politische Schlagwörter in Deutschland zwischen 1929 und 1934, Dieter Felbick (2003) Schlagwörter der Nach­ kriegszeit 1945–1949 und Thomas Niehr (1993) Schlagwörter […] in der BRD von 1966 bis 1974. Die Darstellung der Schlagwörter zeichnet sich in diesen Werken dadurch aus, dass eine überschaubare Zahl von als für die jeweilige Zeit auf der Grundlage größerer Pressetextkorpora als zentral eruierten Schlagwörtern in ihrem Gebrauch

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zunächst komprimiert beschrieben werden. Eine relativ hohe Anzahl von Belegen, auf die im vorangehenden Text jeweils verwiesen wurde, dokumentiert und zeigt anschließend die vorherige Darstellung der Bedeutungsentwicklung. Ähnlich sehen auch einige Ergebnisse der beiden folgenden, stärker eine Tradition der Behandlung der Wortschatzentwicklung im öffentlich-politischen Raum begründenden Forschungsrichtungen aus. Das zentrale Werk des im diskurslinguistischen Zusammenhang des Öfteren Düsseldorfer Schule genannten Forschungsparadigmas Kontroverse Begriffe (1995) wählt allerdings eine andere Darstellungsform. Dieser Band fußt auf den hier zugrunde gelegten sprachtheoretischen Grundlagen der Diskurslinguistik (s. o.: Stötzel 1978, 1982 sowie Busse 1987) und stellt daher eine diskurslexikographische Publikation dar, denn er praktiziert, wie Hermanns schreibt, eine „Wortsemantik als Diskurssemantik“ (1994, 52 f.). Diese war zuvor von Busse (1987) programmatisch in Auseinandersetzung mit dem Projekt der Geschicht­ lichen Grundbegriffe der Historiker entwickelt worden. In seiner Darstellungsweise beschreibt Kontroverse Begriffe (Stötzel/Wengeler u. a. 1995) ebenso wie der Band Politische Leitvokabeln in der Adenauer-Ära (Böke/Liedtke/Wengeler 1996) narrativ die Gebrauchsgeschichten und somit die Bedeutungen einer Vielzahl in unterschiedlichen Themenfeldern in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wichtig gewordener und oft öffentlich umstrittener Schlagwörter. Als Schlagwörterbuch können die Bände nur insofern gelten, als über das Schlagwortregister die im Rahmen der jeweiligen diskursiven Aushandlungen benutzten Wörter in ihrer jeweiligen diskursiven Funktion erschlossen werden können. In Nachfolgeprojekten des Düsseldorfer Forschungsparadigmas wurde allerdings der Benutzerfreundlichkeit willen diese narrative Darstellungsform aufgelöst und in eine genuin lexikographische Form überführt: Das Zeitgeschichtliche Wörterbuch (Stötzel/Eitz 2002) bringt die Ergebnisse der Kontroversen Begriffe in eine lemmatisierte Form von Bedeutungsbeschreibungen 50 ausgewählter Schlagwörter. Das Wörterbuch der Vergangenheitsbewältigung (Eitz/ Stötzel 2007/2009) hingegen arbeitet von vornherein semasiologisch und erzählt die Gebrauchsgeschichte von insgesamt 65 Wörtern anhand einer Vielzahl kommentierter Belege, angeordnet nach den zentralen Lemmata, die als diskursrelevant bestimmt wurden (z. B. Befreiung/Niederlage, Machtergreifung, Schlussstrich). In der aktuellen Diskursgeschichte der Weimarer Republik (Eitz/Engelhardt 2015) wird wieder zu der narrativen Darstellung unterschiedlicher thematischer Felder (= Diskurse) zurückgekehrt, innerhalb derer die Wortgebrauchsgeschichten zeigen, welche Weltsichten diskutiert werden und welche davon sich gegebenenfalls durchsetzt. Eine dritte Darstellungsvariante stellt das onomasiologische Wörterbuch Ausländer und Migranten im Spiegel der Presse (Jung/Niehr/Böke 2000) dar, das für sieben thematische Bereiche aus dem Migrationsdiskurs (z. B. „Flüchtlinge und Asylsuchende“ und „Ausgrenzung und Ablehnung“) die in der Geschichte der Bundesrepublik genutzten und diskutierten Schlagwörter komprimiert darstellt und dabei auf eine Vielzahl abgedruckter Belege für die jeweils beschriebene Verwendung verweist. Dieses Wörterbuch deklariert sich selbst als „diskurshistorisches Wörterbuch“, womit es terminologisch in die

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Nähe der diskurslexikographischen Projekte rückt, die von Heidrun Kämper am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim durchgeführt worden sind. Zuvor allerdings war am IDS in den 1980er Jahren ein Projekt ,schwerer Wörter’ ins Auge gefasst worden, mit dem in aufklärerischer Absicht der ,schwere’ Wortschatz der Politik in lexikographischer Form einer politisch interessierten Öffentlichkeit vermittelt werden sollte. Nach frühen Publikationen, in denen eine eigenständige Typologie der hier interessierenden „gesellschaftspolitischen Lexik“ (Strauß/Zifonun 1986) und das Konzept ,schwerer Wörter’ (Strauß 1986) vorgestellt wurden, entschied man sich schließlich für ein Wörterbuch mit dem Titel Brisante Wörter (Strauß/Haß/Harras 1989), das – nach der obligatorischen Klärung der Begrifflichkeit zur Beschreibung politischer Lexik  – ausgewählte ,brisante’ bzw. Schlagwörter der Themenbereiche Politik/Ideologie, Umwelt und Kultur/Bildung nach einer kurzen Einführung in die Herkunft der Wörter synchron in ihrer Verwendungsweise beschreibt und anschließend mit einer Vielzahl von Presse-Textbelegen veranschaulicht. In der Nachfolge dieses Projekts wurden am IDS die Schlüsselwörter der Wendezeit (Herberg/Steffens/ Tellenbach 1997) erschlossen und dokumentiert. Das Ergebnis stellt „den öffentlichen Gebrauch ausgewählter Lexeme in einem bestimmten Zeitabschnitt der Wendezeit dar […], erläutert und dokumentiert“ ihn, wobei „die Schlüsselwörter im Wörter-Buch im Zusammenhang mit sprachlich und/oder thematisch verwandtem Wortmaterial dargestellt“ sind (http://www.owid.de/wb/swwz/start.html; 26.2.2015). Systematisch als Diskurslexikographie begreift aber erst Heidrun Kämper ihre Analysen und Wörterbücher zum Schuld-Diskurs der Nachkriegszeit (1945 bis 1955) (Kämper 2005; 2006) und zum Demokratiediskurs der späten 1960er Jahre (Kämper 2012). Sie stellen „die semantische Prägung lexikalischer Einheiten unter den Bedingungen des Diskurses dar“ (Kämper 2006, 338), der hinsichtlich Thema, Diskursbeteiligten, Zeitraum, Textsorten und Funktionen in Form eines konkreten Textkorpus zusammengestellt ist und daher jeweils beansprucht, genau diesen ausgewählten Diskurs adäquat zu beschreiben: „Die Aufgabe eines Diskurswörterbuchs ist, das relevante, einen Diskurs konstituierende und realisierende Vokabular nach spezifischen lexikographischen Prinzipien darzustellen und zu beschreiben.“ (http://www. owid.de/wb/disk45/projekt/modulinfo.html; 26.02.2015) Dementsprechend wird der Anspruch erhoben, dass die erarbeiteten Diskurswörterbücher diejenigen lexikalischen Einheiten präsentieren, „die hinsichtlich Frequenz oder Funktion den [… jeweiligen Diskurs] konstituieren und verdichten“ (http://www.owid.de/wb/disk68/start. html; 26.02.2015). Interessant, weil innovativ, benutzerfreundlich und dem Anspruch gerecht werdend, die Vernetzung der lexikalischen Einheiten in ihrem diskurs- und damit welt- und wissenskonstituierenden Charakter deutlich zu machen, ist nun die Präsentation der Ergebnisse dieser Wörterbuchprojekte  – auch des WendezeitWörterbuchs  – auf dem Wörterbuchportal des IDS, bei dem entsprechend komfortabel die jeweiligen Bedeutungsbeschreibungen und Gebrauchsentwicklungen der Wörter und eine Vielzahl von Belegen zugänglich sind: http://www.owid.de/index. jsp (26.02.2015).

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Abschließend sollen noch jene Wörterbücher angesprochen werden, die im Rahmen der öffentlichen Auseinandersetzungen um die sog. political correctness publiziert worden sind. Gemeint sind damit nicht seit den 1970er Jahren für die politische Auseinandersetzung geschriebene Wörterbücher wie Schlagwörter der Neuen Linken (von Weiss 1974) auf der einen oder Aus dem neuen Wörterbuch des Unmen­ schen (Jogschies 1987) auf der anderen Seite des politischen Spektrums, mit denen jeweils der Wortgebrauch der politischen Gegenseite als wirklichkeitsverzerrend und manipulativ dargestellt werden sollte, sondern die seriös wissenschaftlich, wenn auch parteilich-sprachkritisch vorgehenden anti-rassistischen ,Nachschlagewerke’ Afrika und die deutsche Sprache (Arndt/Hornscheidt 2004), Rassismus auf gut Deutsch (Nduka-Agwu/Hornscheidt 2010) und Wie Rassismus aus Wörtern spricht (Arndt/ Ofuatey-Alazard 2011). Herausgegriffen werden diese auch, weil sie ein lexikographisches Ergebnis einer Debatte um lexikalische Einheiten sind, die in den letzten zwanzig Jahren z. T. vehement in der Öffentlichkeit geführt und linguistisch begleitet oder auch forciert wird: Die Diskussion eben um die sog. political correctness und um Unwörter. Deren ,Klassiker’ sind in Deutschland die Debatten um das diskriminierende Potential und den Sinn der Vermeidung von Ausdrücken wie Neger(kuss), Zigeuner(schnitzel), um das generische Maskulinum, um NS-,belastete’ Wörter wie vergasen, ausmerzen oder Führer oder um die Tilgung von Wörtern wie Negerkönig aus der Kinderliteratur in der pc-Debatte. Die Diskussionen um Unwörter werden geführt über Sinn und Unsinn der Kür von ,Unwörtern des Jahres’ wie Döner-Morde, Sozialtou­ rismus und Lügenpresse. Die genannten ,Nachschlagewerke’ gehen davon aus, dass Wörterbücher „das Potenzial [haben], die Gesellschaft für ihren Sprachgebrauch zu sensibilisieren und dadurch etwa Rassismus aufzudecken“ (Arndt/Hornscheidt 2004, 33). Da allgemeine Wörterbücher des Deutschen dies weder leisten könnten noch wollten, legen die Autorinnen thematische Spezialwörterbücher vor, und zwar mit einer theoretischen Grundlage, die die wirklichkeitskonstitutive Funktion der Sprache zum Anlass nimmt, Ausdrücke, mit denen aus Sicht der Autorinnen rassistische Konzepte zum Ausdruck gebracht werden, mit ihrer kolonialistischen Geschichte und ihrer heutigen diskriminierenden Verwendung zu beschreiben, um zu Sprachreflexion und -sensibilität gegenüber dem Gebrauch dieser Ausdrücke anzuregen: „Durch Benennungen werden Dinge, Sachverhalte, Emotionen und Menschen […] überhaupt erst sichtbar und wahrnehmbar. Dadurch wird ein Blickwinkel auf Wirklichkeiten zum Ausdruck gebracht.“ (Arndt/Hornscheidt 2004, 7). Ausgewählt werden z. B. im ältesten der drei genannten Spezialwörterbücher 32 Begriffe von Bastard über Einge­ borene und Mohr bis hin zu Sippe und Stamm nach dem Kriterium „der Präsenz dieser Begriffe im aktuellen Sprachgebrauch und der Relevanz für dominierende Konzeptualisierungen von Afrika“ (ebd. 66). Von den nicht-linguistischen wissenschaftlichen Beschäftigungen mit lexikalischen Einheiten, also mit Wörtern bzw. Begriffen seien abschließend das Historiker-Lexikon Geschichtliche Grundbegriffe (1972 ff.), die politologisch inspirierte Textsammlung von Greiffenhagen Kampf um Wörter und das insbesondere von Soziologen

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konzipierte Glossar der Gegenwart (2004) vorgestellt. Das Wörterbuch-Projekt der Geschichtlichen Grundbegriffe (GG) versucht, Begriffsgeschichte als eine Form der Sozialgeschichte zu etablieren. Die GG sind zum „vollständigsten Werk über das Verhältnis zwischen den politischen und sozialen Begriffen einer Nation und ihrer allgemeinen Geschichte“ (Richter 1991, 169) geworden und werden als Informationsquelle weithin konsultiert. In sieben Bänden sind insgesamt 115 zumeist umfangreiche Wortartikel von Adel/Aristokratie bis Zivilisation/Kultur erschienen, die ihren Gegenstand häufig als Geschichte eines Begriffes, seltener als Geschichte eines Wortes und seiner Derivationen (z. B. Anarchie, Anarchismus, Anarchist) oder Kompositionen (z. B. Bauern, Bauernstand, Bauerntum) oder als Geschichte bedeutungsähnlicher Ausdrücke (z. B. Partei, Fraktion) behandeln. Für die Linguistik gaben die GG den Anstoß zur intensiven Beschäftigung mit den theoretischen Grundlagen einer Historischen Semantik (Busse 1987), wobei insbesondere das viel zitierte Diktum des konzeptionell führenden Herausgebers Reinhart Koselleck, dass Grundbegriffe „Indikatoren und Faktoren für die Sozialgeschichte“ (Koselleck 1979, 30) seien, den sprachtheoretischen Anschluss zum hier vertretenen diskurstheoretischen Blick auf lexikalische Einheiten herstellt. Denn mit diesem Diktum wird einerseits zwar ein realitätsspiegelnder, gleichzeitig aber auch ein wirklichkeitskonstituierender Charakter sprachlicher Benennungen behauptet: Begriffe sind einerseits „Indikatoren geschichtlicher Bewegung“, sie sagen also etwas über geschichtliche Prozesse aus, andererseits sind sie aber auch (mit)bewirkende „Faktoren des geschichtlichen Prozesses“ (Koselleck 1972, XIII), d. h. sie schaffen geschichtliche Wirklichkeiten, wie sie von den Beteiligten erfahren und von den Historikern analysiert werden. Wichtig für Kosellecks Methode ist auch, dass er fordert, nicht nur die Geschichte einzelner Begriffe zu untersuchen. Vielmehr müsse das ganze semantische Feld „ausgemessen werden“ (1979, 32). Parallel- und Gegenbegriffe, Allgemein- und Spezialbegriffe sowie Überlappungen zweier Ausdrücke seien einzubeziehen (vgl. zur späteren Entwicklung der historiographischen Begriffsgeschichte z. B. Steinmetz 2008). In den 1970er Jahren griffen insbesondere Politologen den seit der oben erwähnten Begriffe besetzen-Rede von Kurt Biedenkopf und im Rahmen der ideologischen Grundsatzdiskussionen der 1970er Jahre geführten öffentlichen Streit um die Relevanz von Sprache in der Politik in einigen parteilichen Publikationen wie Kaltenbrunner 1975, Fetscher/Richter 1976 und Bergsdorf 1979 auf. Wissenschaftlich ernst zu nehmen und über den Tag hinaus relevant war in diesem Zusammenhang der Band von Martin Greiffenhagen Kampf um Wörter von 1980, in dem der Politologe sich einerseits intensiv mit den hier dargestellten linguistischen Grundlagen politischer Sprache von Dieckmann u. a. beschäftigte und andererseits 54 Autorinnen und Autoren aus Politik und Wissenschaft die ideologische Polysemie von Schlagwörtern wie Chancengleichheit, Emanzipation, Entspannung, Leistung, Reform oder Soziale Marktwirtschaft in der Weise darstellen ließ, dass zumeist zwei im traditionellen politischen Rechts-Links-Spektrum konträr zu verortende AutorInnen ihre Vorstellung von den jeweiligen Begriffen bzw.  – da es sich zumeist um Politologen, Soziologen

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oder Politiker handelte – von den mit ihnen bezeichneten Konzepten vorstellten. Als theoretische Grundlage diente – wenn auch nicht den Autoren, so doch dem Herausgeber  – die der Begriffe besetzen-Strategie inhärente Überzeugung: „Wer die Dinge benennt, beherrscht sie. Definitionen schaffen ‚Realitäten‘. Wer definiert, greift aus der Fülle möglicher Aspekte einen heraus, natürlich denjenigen, der ihm wichtig erscheint“ (Greiffenhagen 1980, 12). Die realitätskonstitutive Kraft solcher Benennungen veranschaulicht er an den 70er-Jahre-Begriffen Konsumterror und Sympathisanten (des RAF-Terrors; ebd., 13). Vor diesem Hintergrund verfolgt Greiffenhagens Sammelband das hehre aufklärerische Ziel, „den Bürger über die Unbestimmtheit politischer Begriffe, dazu über die jeweils vorliegende Art dieser Unbestimmtheit in Kenntnis zu setzen“ (ebd., 32). Dies ist ein Ziel, das der Politologe mit vielen der oben dargestellten lexikographischen Projekte gemein hat, das er aber in einer gänzlich anderen Art und Weise verfolgt, indem er nämlich die antagonistischen Positionen, die die ,unbestimmten’ Begriffe nutzen, im Original zu Wort kommen lässt. Der theoretischen Ausrichtung des vorliegenden Handbuchs sehr nahe kommt auch das von Soziologen konzipierte Suhrkamp-Bändchen Glossar der Gegenwart von 2004, in dem insgesamt 44 „Begriffe, die in den aktuellen politischen und kulturellen Debatten eine Schlüsselstellung einnehmen“, analysiert werden und zwar solche, die „sich durch die fraglose Plausibilität aus[zeichnen], die ihnen über politische Fraktionierungen und soziale Milieus, über Disziplingrenzen und fachliche Zuständigkeiten hinweg zukommt“, und die von „hoher strategischer Funktion“ sind. Denn sie umfassen „Deutungsschemata, mit denen die Menschen sich selbst und die Welt, in der sie leben, interpretieren“ (Bröckling u. a. 2004, 10 f.). Weniger lexikographisch als soziologisch, d. h. hinsichtlich der im Zitat angedeuteten gesellschaftlichen Funktion behandelt werden Begriffe wie Beratung, Test, Mediation und Evaluation, aber auch Globalisierung, Nachhaltigkeit, Sicherheit und Zivilgesellschaft, ein relativ heterogenes Begriffsspektrum also. Ihm wird aber die Gemeinsamkeit zugeschrieben, dass die Begriffe – im Sinne Foucaults – gelesen werden können „als Programme des Regierens, die Probleme definieren, sie in einer bestimmten Weise rahmen und Wege zu ihrer Lösung vorschlagen“ (ebd., 12). Sie „formen die Realität“, prägen „Wahrnehmungs-, Beurteilungs- und Handlungsweisen“ und funktionieren als „Brille“, mit der „man die Gegenwart unter der Perspektive des jeweiligen Leitbegriffs beobachtet“ (ebd., 12). Wie allerdings aus der bisherigen Darstellung deutlich geworden sein sollte, war dies immer schon die Funktion von Leitbegriffen, weshalb der Streit um ihre inhaltliche Füllung, um ihre ,Besetzung’ den politisch Handelnden lohnenswert erschien. Insofern ist diese an Foucault orientierte ,Entdeckung’ der Soziologen doch so neu nicht, wie sie suggerieren. Das Neue an den im Glossar ausgesuchten Leitbe­ griffen dürfte allerdings sein, dass viele dieser aus Ökonomie, Psychologie und Soziologie stammenden Begriffe stärker als die abstrakten Hochwertbegriffe der 1970er Jahre in die alltäglichen Lebensvollzüge aller hineinragen, somit den Lebensalltag ,regieren’ und damit den von Foucault diagnostizierten Übergang von der Disziplinarin die Kontrollgesellschaft anzeigen.

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4 Frames und Framing: Alter Wein in neuen Schläuchen? Mit der zuletzt zitierten Ausdrucksweise der Soziologen, dass mit ihren Leitbegriffen Probleme „in bestimmter Weise gerahmt“ würden und dass sie Deutungsschemata umfassten, „mit denen die Menschen sich selbst und die Welt, in der sie leben, interpretieren“, ist der Begriff des Framings angesprochen, der abschließend ebenso wie der eher kognitionslinguistische Frame- bzw. Wissensrahmen-Begriff als jüngerer Zugang zur Analyse lexikalischer Einheiten in der Sprachgebrauchsdomäne Politik und Gesellschaft vorgestellt und zum bisher Dargestellten in Beziehung gesetzt werden soll. Ich beginne mit dem der Linguistik näher stehenden Wissensrahmen-/ Frame-Begriff. Kognitionswissenschaftlich orientierte frame-analytische Ansätze gehen davon aus, dass der gegenstandskonstitutiven Rolle von Sprache nur dadurch angemessen Rechnung getragen wird, dass die kognitiven Aspekte der Bedeutungskonstruktion einbezogen werden (vgl. Ziem 2009). Gerade politische Schlagwörter zeichnen sich  – wie das auch aus den bisher dargestellten konventionellen Bestimmungen von Schlagwörtern hervorgeht  – dadurch aus, „dass sie einen komplexen Wissenszusammenhang vor dem Hintergrund unterstellter ‚Fakten‘ auf eine spezifische, innerhalb einer Sprachgemeinschaft konventionalisierte Weise rahmen“ (Wengeler/ Ziem 2014, 503). Alexander Ziem hat einen solchen Konventionalisierungsprozess am Beispiel des metaphorischen Schlagworts Heuschrecke im Jahre 2005 akribisch nachgezeichnet. Dem damaligen SPD-Arbeitsminister Franz Müntefering war es gelungen, zumindest für einige Jahre den Ausdruck als eine pejorative Bezeichnung von Finanzinvestoren zu etablieren, die marode Firmen aufkaufen, um sie nach einer kurzen Sanierung wieder mit hohem Gewinn zu verkaufen. Ziem zeigt, wie innerhalb kurzer Zeit im Jahre 2005 der komplexe Bedeutungsgehalt der Metapher zu einem festen Wissensrahmen/Frame geworden ist, der beim Gebrauch der Metapher nicht mehr eigens erläutert werden muss. Damit hat Ziem in der deutschsprachigen Forschung zur Sprache in Politik und Gesellschaft sowohl theoretisch wie methodisch einen Weg aufgezeigt, politische Schlagwörter in ihrer kognitiven Verfestigung mit bestimmten Wissenselementen zu bestimmten Zeiten und auch die Veränderungen ihrer Bedeutungsgehalte  – gestützt i. d. R. auf ein größeres Textkorpus  – wissenschaftlich valide nachzeichnen zu können. In neueren Arbeiten hat er seine Methodik erweitert und auf weitere Begriffe wie Krise im Wirtschaftskrisendiskurs angewendet (vgl. als Überblick Ziem in diesem Band und Ziem 2016). Dieser in den letzten Jahren vielfach aufgegriffene Ansatz (z. B. Kalwa 2013; Olk 2014) der Frame-Analyse nimmt für sich in Anspruch, mit seiner methodischen Akribie und seiner Korpusbasiertheit zum einen der Forderung gerecht zu werden, dass semantische Analysen gerade des öffentlich-politischen Wortschatzes den gesamten verstehensrelevanten Hintergrund von Schlagwörtern berücksichtigen und systematisch bestimmen sollten. Zum

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anderen könnten die rein heuristischen und hermeneutischen Setzungen und Auswahlkriterien bisheriger Schlagwortanalysen dadurch überwunden werden, dass die „Frequenz des Vorkommens von Wörtern in großen Textkorpora zum ergänzend hinzuziehenden, wenn nicht sogar zum maßgeblichen Kriterium für die Bestimmung der zu untersuchenden Wörter als politische Schlagwörter“ (Wengeler/Ziem 2014, 507) gemacht würde. Dietrich Busse stellt in einem aktuellen Handbuch-Artikel im Anschluss an sein großes Kompendium zur Frame-Semantik (Busse 2012) die für die Erforschung der politischen Lexik relevante theoretische Herleitung des Frame-Konzepts insbesondere von Fillmore, der auch Beispiele aus dem politischen Wortschatz nutzt, sowie die Grundzüge einer „Frame-Semantik als Methode“ (Busse 2016, 9) vor. In diesem Zusammenhang würdigt er die bisherigen frame-analytischen Versuche zur Beschreibung politischer Lexik von Klein (1999, 2002) zu Lohnnebenkosten und zur Koloni­ alpolitik, von Fraas (1996, 2005) zu Deutsche und zu Identität und von Ziem (2005) zu Studiengebühren. Auch seine eigene frühe Schlagwort-Analyse zu Chaoten in den 1980er Jahren reformuliert Busse als Frame-Analyse und zeigt so die „Leistungen und Grenzen einer semantischen Frame-Analyse“ (2016, 26) des politischen Wortschatzes. Es zeigt sich somit, dass mit der kognitionslinguistisch verankerten Frame-Analyse der politolinguistischen Schlagwort-Forschung ein theoretisch fundiertes und methodisch und empirisch ertragreiches neues Forschungsparadigma zur Verfügung steht, das allerdings gerade wegen seines Anspruchs, alle für den Gebrauch und die Rezeption von Schlagwörtern notwendigen verstehensrelevanten Aspekte einzubeziehen und der daraus abgeleiteten Akribie in der empirischen Beschreibung seine Brauchbarkeit für über Einzelwörter und kurze Zeiträume hinausgehende Forschungen noch erweisen muss. Einen für die gesellschaftliche Relevanz ihrer Forschung weiter reichenden Anspruch verfolgen demgegenüber Untersuchungen, die sich oft an den in der Soziologie von Erving Goffman für die Alltagskommunikation entwickelten Frame-/Rahmen-Begriff anlehnen und in diesem Zusammenhang auch den Handlungsbegriff des Framing benutzen, mit dem ausgedrückt wird, dass Diskursakteure durch den Gebrauch der ihrer Weltsicht, ihrem Verständnis eines Problemverhalts entsprechenden und insofern mit einer bestimmten Bedeutung ,aufgeladenen’ Wörter politische Themen, Sachverhalte und Problemlösungsvorschläge bewusst in einem Rahmen/ einem Frame verorten und sich damit politische Vorteile und Gefolgschaft verschaffen bzw. Rezipienten ,manipulieren’. Wiederum kognitionslinguistisch begründet wird dieses Framing-Konzept von George Lakoff (vgl. z. B. Lakoff 2004; Lakoff/Wehling 2008), der damit aber stärker politische bzw. politolinguistische Aufklärungsarbeit als empirische Forschung verknüpft, wenn er in Publikationen, in dem Versuch der Etablierung eines liberalen Think-tanks in den USA und in öffentlichen Stellungnahmen erläutert, wie durch – aus seiner kognitiven Metapherntheorie heraus zumeist als metaphorisch betrachtete – Schlagwörter wie Achse des Bösen, Krieg gegen den Terror oder Obamacare politische Debatten in den USA seit Jahrzehnten von den Republi-

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kanern durch ihre geschickte Sprachpolitik dominiert würden. So politisch wichtig für die USA solche Erkenntnisse zur Relevanz des Begriffe Besetzens und deren kognitionswissenschaftliche Begründung auch sind, so sind in der deutschsprachigen politolinguistischen Forschung im hier dargestellten Zusammenhang solche Aspekte doch schon seit den 1970er Jahren intensiv diskutiert worden. Im Vergleich zu den dargestellten linguistisch-frame-analytischen Ansätzen urteilt Busse, dass „der Fra­ ming-Ansatz, der in den USA in jüngster Zeit vergleichsweise breit bei der Analyse politischer Kommunikation eingesetzt wird […] und der (insbesondere bei Nicht-Linguisten, etwa bei Politologen und Soziologen) auch im deutschen Sprachraum zunehmend beachtet wird“, an dessen empirische „Differenzierungsmöglichkeiten“ (Busse 2016, 28) nicht heranreiche. Als methodisch ambitionierter und empirisch ertragreicher können demgegenüber kommunikationswissenschaftliche Ansätze angesehen werden, die ebenfalls mit dem Framing-Begriff arbeiten und dabei auch einzelne Schlag- bzw. Schlüsselwörter für zentral halten, um Framing-Prozesse sowohl auf Seiten der Produzenten wie auf Seiten der Rezipienten öffentlich-politischer Kommunikation zu erfassen. So werden von Entman (1993), auf dem eine Tradition solcher kommunikationswissenschaftlicher Forschung aufbaut, „Frames ausdrücklich als Phänomene charakterisiert […], die sprachlich verankert sind und im Sprachgebrauch ihren Niederschlag finden“ (Ziem 2013, 166): A frame repeatedly invokes the same objects and traits, using identical or synonymous words and symbols in a series of similar communications that are concentrated in time. These frames function to promote an interpretation of a problem situation or actor and (implicit or explicit) support of a desirable response, often along with a moral judgment that provides an emotional charge. (Entman/Matthes/Pellicano 2009, 177)

Ziem (2013) vergleicht die auf solchen Bestimmungen aufbauende kommunikationswissenschaftliche Frame-Analyse mit der kognitionslinguistischen und entwirft erste Ideen zur interdisziplinären Integration der beiden Methoden, bei denen jeweils auch politische Schlagwörter ins Zentrum der Untersuchung gestellt werden können. Ebenso noch nicht ausgearbeitet ist die Idee, den Goffmanschen Rahmenbegriff, gerade weil er nicht (nur) auf Einzelwörter, auf Schlagwörter zu beziehen ist, mit linguistischen Methoden wie den aus der Slot-Filler-Struktur der kognitionslinguistischen Frame-Analyse hergeleiteten Fragenkatalogen an Texte, mit denen der jeweils im Text aufgemachte Rahmen gefüllt wird, zu verbinden, um etwas über das durch die Texte verbreitete kollektive Wissen zu erfahren (vgl. Kreußler 2015). In jedem Fall können diese neueren, aus benachbarten Disziplinen und aus der Kognitionslinguistik stammenden Konzepte der Frame- und Framing-Analyse die traditionelle Schlagwortforschung nicht nur mit ,modernen’ Begriffen aufpeppen, sondern auch zu neuen, theoretisch besser begründeten, methodologisch abgesicherteren, interdisziplinär anschlussfähigen und empirisch gegebenenfalls tiefer greifenden oder weiter ausholenden Ergebnissen führen, mit denen gerade diskurslinguistisch orientierte

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Schlagwortforschung Neues über kollektives Wissen, über durch Sprache konstruierte Wirklichkeit(en) zutage fördert.

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Alexander Ziem

3. Wortschatz II: quantifizierende Analyseverfahren Abstract: Der Beitrag erläutert, an Beispielen illustriert, inwiefern sich korpuslinguistische Methoden zur Untersuchung von Wortschatz(-strukturen) und Wortbedeutungen innerhalb konkreter Sprachgebrauchszusammenhänge (Diskurse) einsetzen lassen. Unterschieden wird zwischen einem quantifizierenden Zugriff (a) auf die Lexik eines Diskurses insgesamt und (b) auf einzelne sprachliche Bedeutungen bzw. Bedeutungsprägungen diskursiv zentraler Wörter (wie Schlag-, Schlüssel-, Fahnen-, Stigmawörter usw.). Um Wortformen hinsichtlich ihrer Distribution in Diskursen global zu erforschen, dienen lexikometrische Methoden und das Konzept des Schlüsselwortes. Ergänzend dazu stellt der Beitrag zur Untersuchung von Wortbedeutungen das Instrument der Kollokations- und Prädikationsanalyse vor. Erweitert wird diese um eine Analyseperspektive, die auch Einbettungsstrukturen von lexikalischen Einheiten (grammatischen Konstruktionen, Textgenres etc.) Rechnung trägt. 1 Einleitung 2 Wortschatz und Wortschatzstrukturen als Gegenstand der Diskurslinguistik 3 Quantifizierende Analyseverfahren I: Vermessungen des Wortschatzes im Diskurs 4 Quantifizierende Analyseverfahren II: Wortbedeutungen im Diskurs 5 Einbettungsstrukturen von Wörtern und Wortbedeutungen 6 Fazit 7 Literatur

1 Einleitung Auch wenn lexikalische Einheiten spätestens seit Anfang des 20.  Jahrhunderts, so etwa durch die Schlagwortforschung Otto Ladendorfs (1906), zentraler Gegenstand diskursanalytisch orientierter Ansätze sind, hat ihre quantifizierende Erfassung zwangsläufig so lange auf sich warten lassen müssen, bis die technischen Voraussetzungen es erlaubt haben, große digitale Textkorpora maschinell zu verarbeiten und statistisch auszuwerten. Inzwischen stehen für quantitative Korpusanalysen von sprachlichen Einheiten eine Vielzahl an linguistischen Verfahren und Methoden bereit (vgl. etwa die Überblicksdarstellungen Orpin 2005, Baker 2007, Bondy/Scott 2010, McEnery/Hardie 2012, Gries 2014). Diejenigen, die sich besonders gut für diskursanalytische Untersuchungen lexikalischer Einheiten eignen, stehen im thematischen Mittelpunkt des vorliegenden Beitrages. DOI 10.1515/9783110296310-003

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In der Diskurslinguistik ist ein quantifizierender Zugang zum Wortschatz in mindestens zwei Hinsichten von zentraler Bedeutung: Zum einen erlaubt er es, (Sub-)Diskurse auf der Ebene der Lexik mit dem Ziel zu vergleichen, relative Häufigkeiten von lexikalischen Einheiten auszumachen, um neben Gemeinsamkeiten auch  – im statistischen Sinne – signifikante Unterschiede zu identifizieren. Zum anderen können quantifizierende Verfahren wie Kollokations- und Prädikationsanalysen dazu beitragen, diskursive Prägungen von Wortbedeutungen zu ermitteln. Vor diesem Hintergrund besteht das Ziel des vorliegenden Handbuchartikels darin, die einschlägigen korpuslinguistischen Verfahren an Beispielen illustriert vorzustellen. Dies geschieht in komplementärer Ergänzung zu dem vorangehenden Handbuchartikel von Martin Wengeler. In Orientierung an der Überblicksdarstellung in Ziem (im Druck) soll es mithin nicht um die Unterscheidung und Charakterisierung von verschiedenen Typen lexikalischer Einheiten hinsichtlich ihrer Funktion als diskursive ‚Anker‘ gehen (vgl. hierzu auch Hermanns 1994); vielmehr liegt der inhaltliche Schwerpunkt auf quantifizierenden Verfahren, mit denen man sich in einem ersten Schritt einen – methodisch geleiteten – Zugang zu diesen lexikalischen Einheiten verschaffen kann. Der Beitrag gliedert sich wie folgt: Zunächst wird die Relevanz der sprachlichen Strukturebene der Lexik für diskurslinguistische Studien erläutert (Abschnitt 2). Analytisch wird weiter zwischen zwei Zugriffsbereichen quantifizierender Analyseverfahren differenziert. Während zum einen lexikometrische Methoden und Schlüsselwortanalysen dazu verwendet werden können, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Diskursen auf der Ebene der Lexik zu eruieren (Abschnitt 3), können Kollokations- und Prädikationsanalysen dabei behilflich sein, Bedeutungen und Bedeutungsprägungen von diskursiv zentralen lexikalischen Einheiten (wie Schlag-, Schlüssel-, Fahnen-, Stigmawörtern usw.) im Detail zu untersuchen (Abschnitt 4), und zwar auch unter Einbezug ihrer jeweiligen kotextuellen und kontextuellen Einbettungsstrukturen (Abschnitt 5). Abschnitt 6 fasst abschließend die zentralen Punkte im übergeordneten Zusammenhang des Artikels zusammen.

2 Wortschatz und Wortschatzstrukturen als Gegenstand der Diskurslinguistik In diskurssemantischen Studien wird im Anschluss an Hermanns (1986, 1989) üblicherweise zwischen einer denotativen, evaluativen und deontischen lexikalischen Bedeutungsdimension unterschieden. Während denotative Aspekte den inhaltlichkonzeptuellen Gehalt sprachlicher Ausdrücke  – und mithin den Kernbereich der lexikalischen Semantik  – betreffen, zielt die evaluative Dimension auf lexikalisch implizite Bewertungsparameter (vgl. exemplarisch schäbig vs. ansprechend). Die deontische Dimension ist schließlich eine insbesondere für den politischen Sprachgebrauch zentrale Kategorie; sie bezieht sich auf implizite Handlungsaufforderun-

Wortschatz II: quantifizierende Analyseverfahren 

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gen, die in der lexikalischen Semantik eines Ausdrucks angelegt sind; so wohnt beispielsweise „Weltschlagwörtern“ (Wengeler 1996, 302) wie Freiheit oder Men­ schenrecht gleichsam der Imperativ inne, diese(s) umzusetzen. Auch wenn diese drei Bedeutungsdimensionen für die Differenzierung von Typen lexikalischer Einheiten im öffentlichen Sprachgebrauch (vgl. Wengeler in diesem Band) relevant sind, so richten sich die in Abschnitt 4 zu thematisierenden semantischen Analyseverfahren vorrangig auf inhaltlich-konzeptuelle Bedeutungsaspekte. Dabei liegt das diskurssemantische Erkenntnisinteresse darin, innerhalb eines Diskurses zentrale lexikalische Einheiten zu identifizieren und semantische Ausprägungsformen von diesen im jeweiligen Gebrauchszusammenhang zu ermitteln und zu beschreiben. Aus diesen Zielsetzungen leitet sich zum einen ein konkretes Anforderungsprofil für quantifizierende Analyseverfahren ab. Zum anderen machen sie deutlich, dass der avisierte Gegenstandsbereich der Diskurssemantik über den Forschungshorizont gängiger semantischer Ansätze, wie etwa Mehr-Ebenen-Modellen oder der formalen und logischen Semantik, hinausgeht, insofern insbesondere die epistemischen Voraussetzungen für diskursive Funktionen von lexikalischen Einheiten im Fokus der Analyse stehen (Ziem 2008, 119 ff.). Gesellschaftliches Wissen, so die Annahme, wirkt maßgeblich am Prozess der lexikalischen Bedeutungskonstitution mit. Diskurssemantik ist nach diesem Verständnis eine Spielart der „linguistischen Epistemologie“ (Busse 2008, Ziem 2013a), also einer mit sprachwissenschaftlichen Mitteln durchgeführten Analyse der diskursiven Verwendungsbedingungen, denen sprachliche Zeichen unterworfen sind. Mit Blick auf die empirische Analysepraxis, aber auch in theoretischer Hinsicht, ist es weder sinnvoll noch möglich, zwischen Sprachwissen und Weltwissen trennscharf zu unterscheiden (Fillmore 1985); theoretisch erweist sich eine solche Trennung als unhaltbar (Ziem 2008, 117–172), empirisch führt sie dazu, semantische Prägungen im Diskurs nicht oder nur sehr unzureichend zu berücksichtigen. Typischerweise umfasst ein diskurssemantisches Analyseverfahren, das sich auf die Untersuchung der Lexik und ausgewählter lexikalischer Einheiten im Diskurs richtet, mindestens folgende Schritte: (a) Quantitativer Zugriff auf die Distribution lexikalischer Einheiten: Quantifizierende Verfahren, wie die Ermittlung des gemeinsamen und jeweils spezifischen Vokabulars (vgl. Abschnitt 3), dienen dazu, Besonderheiten des Vokabulars eines Diskurses (im Vergleich zu anderen Diskursen) insgesamt zu eruieren, auch um Indikatoren für lexikalische Bedeutungsprägungen identifizieren zu können. (b) Ermittlung diskursiv zentraler lexikalischer Einheiten: Gestützt durch die erzielten Untersuchungsergebnisse und ergänzt um Schlüsselwortanalysen gilt es, ein Inventar an lexikalischen Einheiten zu bestimmen, das sich aus diskursanalytischer Perspektive lohnt, semantisch detailliert zu untersuchen. (c) Entwicklung von Forschungshypothesen: Die Ergebnisse, die bei der quantitativen Auswertung der Distribution lexikalischer Einheiten im Korpus erzielt wurden, dienen als empirischer Ausgangspunkt zur Entwicklung von Forschungshypo-

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thesen, insofern sie als Indikatoren für die diskursive Relevanz lexikalischer Einheiten zu bewerten sind. D. h., sie helfen bei der Auswahl jener Ausdrücke, die einer detaillierten Bedeutungsanalyse zu unterziehen sind. (d) Semantische Analysen ausgewählter lexikalischer Einheiten: Korpusgesteuerte Distributionsanalysen bereiten semantische Untersuchungen vor, können selber aber diskursive Bedeutungsprägungen nicht ausweisen. Dazu sind in der Regel korpusbasierte Verfahren wie Prädikations- oder Kollokationsanalysen nötig, mit denen sich Zielausdrücke nach semantischen Kriterien annotieren und im Anschluss auswerten lassen. (e) Erweiterte semantische Analyse: Je nach Forschungsfrage und -interesse bietet es sich an, über den unmittelbaren lokalen Kotext hinaus auch übergeordnete Einbettungsstrukturen in die Analyse einzubeziehen, um etwa semantische Prägungen durch Textgenres, dem Massenmedium usw. Rechnung tragen zu können. Dieser programmatischen Analyseheuristik folgend werden in den nächsten Abschnitten quantifizierende Analyseverfahren und -methoden vorgestellt, wobei sich Abschnitt 3 auf die Analyseschritte (a) bis (c) beziehen, Abschnitt 4 auf Schritt (d) eingeht und Abschnitt 5 die unter (e) firmierende erweiterte Analyse thematisiert. Zur Veranschaulichung wird dabei auf Studien zurückgegriffen, die in dem Forschungsprojekt „Sprachliche Konstruktionen sozial- und wirtschaftspolitischer Krisen in der BRD von 1973 bis heute“ durchgeführt wurden (vgl. zusammenfassend Wengeler/Ziem 2014); im Zentrum der Darstellung stehen aber nicht die dort erzielten inhaltlichen Untersuchungsergebnisse, sondern die angewendeten quantifizierenden Verfahren.

3 Quantifizierende Analyseverfahren I: Vermessungen des Wortschatzes im Diskurs Warum quantifizieren? So naiv diese Frage in Zeiten von „Big Data“, also der Verfügbarkeit von sehr großen Datenmengen und der Möglichkeit ihrer maschinellen Auswertung, auch sein mag, so überraschend ist zugleich, dass diskursanalytische Annäherungen an die Lexik oft nur auf einem sehr reduzierten Begriff von Datenbasiertheit beruhen. Ein hoher Stellenwert wird in der Regel hermeneutischen Verfahren eingeräumt, demzufolge diskursiv zentrale lexikalische Einheiten (wie etwa Schlag-, Fahnen-, Stigmawörter innerhalb eines Diskurses) durch individuelle Textlektüre und -interpretation ermittelt und semantisch ausgewertet werden können. Belegstellen erfüllen demnach die Funktion von Indikatoren für eine Analyse (und gegen andere), sie legen gleichsam eine zu verallgemeinernde Analyse nahe. Ein solcher diagnostischer Befund kann insofern ohne prognostischen Wert sein, als er nicht immer dazu taugt, verlässliche Vorhersagen zum untersuchten sprachlichen Phänomen in Diskurssegmenten zu treffen, die nicht Gegenstand der Analyse

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gewesen sind. Denn zum einen sagen einzelne Belegstellen kaum etwas über die tatsächliche Relevanz der jeweiligen sprachlichen Einheit im Diskurs aus, und zwar schon deshalb nicht, weil der tatsächliche Diskurs zwangsläufig eine so große Menge an Daten umfasst, dass eine vollständige nicht-maschinelle Erfassung unmöglich ist. Zum anderen schafft ein hermeneutischer Zugang eine nur unzureichende empirische Grundlage dafür, reliable Aussagen über semantische Prägungen im Diskurs zu fällen, weil dafür zumindest robuste Analysekategorien nötig wären, die ein Mindestmaß an Generalisierungen erlauben, also über die untersuchten Einzelfälle hinaus solide Voraussagen über semantische Prägungen in nicht untersuchten Diskurssegmenten ermöglichen. Dies ist keineswegs als eine Fundamentalkritik an hermeneutischen Text- und Diskursanalysen zu verstehen; diese erheben in der Regel ja gar keinen solchen Anspruch auf Generalisierbarkeit ihrer Untersuchungsergebnisse. Deutlich gemacht werden soll vielmehr, dass dieser Anspruch aber durchaus auf der Basis textstatistischer Erhebungen eingelöst werden kann. Damit stehen stärker hermeneutisch orientierte Ansätze und maschinelle Auswertungsverfahren weniger in einer Konkurrenz- als in einer Ergänzungsbeziehung. Der Zweck von quantifizierenden Verfahren ist mithin darin zu sehen, das diskurskonstituierende Datenmaterial möglichst umfassend, idealerweise erschöpfend, zu sichten, um es sodann in toto einer induktiven Analyse zu unterziehen. Scharloth, Eugster und Bubenhofer beschreiben diesen Schritt folgendermaßen: Statt eine Hypothese mit vorher festgelegten Analysekategorien zu überprüfen, werden in einem Korpus sämtliche Muster berechnet, die sich bei der Anwendung vorher festgelegter Algorithmen ergeben. Diese Muster werden im Anschluss kategorisiert. Damit geraten häufig Evidenzen in den Fokus, die entweder quer zu den vorher existierenden Erwartungen stehen und die Grundlage für neue Hypothesen sind, oder im besten Fall sogar solche Evidenzen, die die Bildung neuer interpretativer linguistischer Analysekategorien nahelegen. (Scharloth/Eugster/ Bubenhofer 2013, 348)

Für die Untersuchung der Lexik eines Diskurses heißt das, dass ein solcher korpusgesteuerter („corpus-driven“, vgl. Tognini-Bonelli 2001, 84–101) Zugang zunächst darin besteht, lexikalische Rekurrenzen diskursspezifisch zu errechnen, ohne dabei von festen Vorannahmen, etwa über die diskursive Relevanz einzelner lexikalischer Einheiten, auszugehen. Im Vordergrund stehen Fragen wie die folgenden: – Worin besteht das spezifische Vokabular innerhalb des zu untersuchenden Diskurses? – Inwiefern überschneidet sich umgekehrt das Vokabular eines Diskurses mit dem lexikalischen Inventar eines anderen Diskurses? – Strukturieren bestimmte Wortfelder einen Diskurs derart, dass sie für diesen als charakteristisch gelten können? – In welchem Maße dominieren einzelne lexikalische Einheiten einen Diskurs? Können mit ihnen Eigenheiten dieses Diskurses (in Abhebung von anderen) erschlossen werden?

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Diese Leitfragen deuten bereits an, dass reliable Ergebnisse von Untersuchungen der Lexik insbesondere mit diskursvergleichenden Analysen zu erwarten sind. Am Beispiel lexikometrischer Methoden möchte ich dies im nächsten Abschnitt illustrieren.

3.1 Der Wortschatz im Diskursvergleich: Multifaktorenanalyse, Basisvokabular und spezifisches Vokabular Zur exemplarischen Veranschaulichung dienen Krisen-Diskurse in der BRD von 1972 bis 2009. Die Datenbasis bildet dabei ein thematisches Textkorpus im Umfang von ungefähr 11.000 Zeitungsartikeln aus fünf deutschen Leitmedien (Bild, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Der Spiegel, Die Zeit). Das Korpus ist im Rahmen des o. g. Forschungsprojektes „Konstruktionen von Krisen“ aufgebaut und systematisch ausgewertet worden (vgl. etwa Ziem/Scholz/Römer 2013, Scholz/Ziem 2013, Scholz/Ziem 2015; zusammenfassend Wengeler/Ziem 2014), wobei im Folgenden ein besonderes Augenmerk auf methodische Aspekte lexikometrischer Analysen der Lexik gelegt werden soll. Die Methodik der Lexikometrie wurde in Frankreich seit den 1970er Jahren sukzessiv mit dem Ziel entwickelt, unter ideologiekritischen Gesichtspunkten den Wortschatz eines Textkorpus relativ zu Vergleichskorpora statistisch auszuwerten (Lebart/ Salem/Berry 1998). Insbesondere textstatistische Verfahren sollten dabei behilflich sein, in Absehung von der individuellen Textrezeption ideologische Momente im Sprachgebrauch zu identifizieren. Die Maßgabe, mit multivariaten Analyseverfahren das Vokabular eines Korpus exhaustiv und systematisch zu vermessen (vgl. Scholz 2014, 246), gilt unter diskursanalytischen Vorzeichen ganz analog: Solche quantifizierenden Verfahren eignen sich bestens dazu, valide Hypothesen über dominante Muster im Sprachgebrauch sichtbar und damit analysierbar zu machen (Scholz/Ziem 2015, 285 f.). Zwei Verfahren sind zunächst zu unterscheiden: die so genannte Multifaktorenanalyse einerseits und die Ermittlung des so genannten Basisvokabulars und spezifischen Vokabulars eines (Teil-)Diskurses andererseits. Da erstere eine diskursanalytisch weniger prominente Rolle spielt, sei auf sie nur kurz eingegangen. Bei der lexikometrischen Multifaktorenanalyse handelt es sich um ein mächtiges korpuslinguistisches Instrument, das es erlaubt, alle Wortformen eines Korpus mit allen Wortformen eines anderen Korpus unter quantitativen Gesichtspunkten zu vergleichen. Die Häufigkeitsverhältnisse, d. h. der systematische Vergleich der relativen Auftretenshäufigkeit der Wortformen, lassen sich graphisch in einem zweidimensionalen Koordinatensystem veranschaulichen. Die Ähnlichkeit des Wortschatzes zwischen (Teil-)Diskursen macht die Multifaktorenanalyse auf diesem Weg sichtbar. Dadurch, dass signifikant frequente Wortformen eines Diskurses zu einem so genannten „Faktor“ zusammengefasst und in das Koordinatensystem entsprechend eingetragen werden, lassen sich globale Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen zwei oder

Wortschatz II: quantifizierende Analyseverfahren 

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mehreren Diskursen auf der Ebene der Lexik erkennen. Je näher zwei Faktoren im Koordinatensystem auftreten, desto stärker ähnelt sich der Wortschatz der jeweiligen Diskurse. Ein großer Abstand deutet umgekehrt darauf hin, dass es verhältnismäßig wenige Wortformen gibt, die in den jeweiligen Diskursen im gleichen Maße überproportional häufig vorkommen. Im Fall des Vergleichs von fünf Krisen-Diskursen der Nachkriegszeit, nämlich zur im Projekt so genannten „Ölkrise“ (1973), „Parteipolitischen Wende“ (1982), „Arbeitsmarktkrise“ (1997), „Agenda 2010“ (2003) und „Finanzkrise“ (2008/2009), zeigt sich beispielsweise, dass sich die Agenda 2010 und die Arbeitsmarktkrise auf der Ebene der Lexik stark ähneln; beide Koordinaten sind dicht beieinander. Der Diskurs zur Ölkrise weist hingegen hinsichtlich seines Wortschatzes kaum Ähnlichkeiten zu den anderen Krisen-Diskursen auf; seine Koordinate ist weit von den anderen entfernt (vgl. die weiterführenden Ausführungen in Scholz/ Ziem 2015, 296–292). Wichtig zu sehen ist, dass die Multifaktorenanalyse zwar den Blick schärft für globale Ähnlichkeiten und Unterschiede in der Lexik von Diskursen, diskursive Prägungen lexikalischer Bedeutungen aber weder nachweisen noch ausweisen kann. Vielmehr dient sie dazu, erste Hypothesen über nachweisbar zentrale lexikalische Einheiten in einem Diskurs zu entwickeln. Dies gilt auch für die lexikometrische Errechnung des spezifischen Vokabulars und des Basisvokabulars. Die Multifaktorenanalyse erlaubt es, die Lexik von Diskursen global miteinander zu vergleichen. Inwiefern sich im Einzelnen das Vokabular tatsächlich unterscheidet oder überschneidet, bleibt unbestimmt. Um darüber detailliert Aufschluss zu bekommen, bietet sich eine lexikometrische Errechnung des jeweils spezifischen bzw. gemeinsamen Vokabulars an. Zur Veranschaulichung der hierzu geeigneten lexikometrischen Werkzeuge dient ein kurzer Vergleich der Diskurse über die Arbeitsmarktkrise und die Agenda 2010. Beide, so hat die Multifaktorenanalyse nahegelegt, ähneln sich stark auf der Wortschatzebene. In welchem Umfang bestehen aber Überlappungen und Differenzen? Und welche lexikalischen Einheiten sind jeweils davon betroffen? Das Basisvokabular ist definiert als die Menge aller Wortformen, die in den zu vergleichenden Diskursen proportional gleich distribuiert sind. Diskursanalytisch betrachtet können nominale Wortformen des Basisvokabulars somit die Funktion von lexikalischen Indikatoren für gemeinsame inhaltliche Ausrichtungen und gemeinsame thematische Schwerpunkte verschiedener (Teil-)Diskurse erfüllen. Gewissermaßen komplementär dazu deckt das spezifische Vokabular der Diskurse die Menge jener Wortformen ab, die in einem Diskurs in Relation zu einem oder mehreren anderen Diskursen im statistischen Sinne überrepräsentiert sind. Die lexikometrische Berechnung des spezifischen Vokabulars basiert dabei auf Signifikanztests (insbesondere so genannter hypergeometrischer Verteilungen, vgl. Bertels 2014, 263, ausführlich: Lebart/Salem/Berry 1998, 129 ff.), mit denen sich Wahrscheinlichkeitsverteilungen lexikalischer Einheiten ermitteln lassen. Eine Wortform, die zum spezifischen Vokabular eines Diskurses zählt, zeichnet sich dadurch aus, dass sie in

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dem jeweiligen diskurskonstituierenden Korpus signifikant häufig auftritt (relativ zu einem Vergleichskorpus bzw. zu Vergleichskorpora). Ein konkretes Beispiel: Vergleicht man alle fünf Krisen-Diskurse hinsichtlich des jeweils spezifischen Vokabulars miteinander, so führt dies für jeden Diskurs zur Ermittlung einer Menge an Wortformen, die innerhalb dieses Diskurses in Relation zu allen anderen überrepräsentiert sind. Dies schließt nicht aus, dass sich das jeweils ermittelte spezifische Vokabular von Diskursen partiell überschneidet. Solche Überlappungen des spezifischen Vokabulars liegen beispielsweise in den Diskursen zur Agenda 2010 und zur Arbeitsmarktkrise vor, konkret bei den nominalen Wortformen Reform, Steuerreform, Sozialhilfe und Arbeit (vgl. hierzu ausführlich Scholz/Ziem 2015, 161–168). Aus diesem Befund lässt sich der Schluss ziehen, dass die gemeinsame größte Differenz zu allen anderen Krisen-Diskursen in der inhaltlichen Verankerung im sozialpolitischen Thema der Arbeitsmarktentwicklung liegt. Abgesehen von den erwähnten Überschneidungen ist das spezifische Vokabular beider Diskurse aber weitgehend distinkt; während etwa, wie es erwartbar war, der thematische Schwerpunkt des Diskurses zur Arbeitsmarktkrise etwa in der Überrepräsentation von Wortformen wie Arbeitsplätze und Arbeitslosigkeit Ausdruck findet, sind für den Diskurs zur Agenda 2010 überrepräsentierte Wortformen wie Kündigungsschutz und Wachs­ tum charakteristisch. Solche Befunde können als Ausgangspunkte für weiterführende Fragen zum Wortschatz eines Diskurses dienen: Warum spielen gerade diese lexikalischen Einheiten eine so herausgehobene Rolle? Inwiefern übernehmen sie in den verschiedenen Diskursen ähnliche Funktionen? Welche Gründe könnten dafür verantwortlich sein, dass sie zum spezifischen Vokabular gehören? Eine weitere Frage liegt auf der Hand: Gehören die Wortformen Reform, Steu­ erreform, Sozialhilfe und Arbeit nicht nur zum spezifischen Vokabular der Diskurse zur Arbeitsmarktreform und zur Agenda 2010, sondern auch zu ihrem gemeinsamen Basisvokabular? Tatsächlich ist dies nur eingeschränkt der Fall; aus der Menge der nominalen Wortformen des Basisvokabulars ist allein Sozialhilfe in beiden Diskursen überproportional häufig repräsentiert. Auch aus diesem Befund ergeben sich neue Forschungsfragen, denen sich nachzugehen lohnt: Inwiefern ist die Sonderstellung dieser Wortform ein Indikator für ihren hohen Grad an (inter-)diskursiver Relevanz? Erfüllt sie für beide Diskurse eine Schlüsselwort-Funktion? Lassen sich semantische Prägungen dieser lexikalischen Einheit identifizieren, die als diskursspezifisch zu bewerten sind? In diesem Sinne können lexikometrische Verfahren zur systematischen Generierung von Forschungshypothesen und -leitfragen genutzt werden.

3.2 Wörter im Diskursvergleich: Schlüsselwörter Während die statistische Ermittlung von Wortformen des Basisvokabulars und des spezifischen Vokabulars eine probate Methode zur globalen Analyse von Wortschatzstrukturen eines Diskurses ist, handelt es sich bei der Schlüsselwortanalyse um ein

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korpuslinguistisches Instrument zur gezielten Identifizierung einzelner diskursiv zentraler Wortformen. Anders als Erstgenanntes ist die Schlüsselwortanalyse kein spezifisch lexikometrisches Werkzeug; vielmehr hat sie sich seit den 1990er Jahre zunehmend als diskursanalytische Analysekategorie bewährt und etabliert. Genauso wie für das spezifische Vokabular und das Basisvokabular eines Diskurses gilt auch für Schlüsselwörter, dass sie sich nur diskurvergleichend ermitteln lassen; was, zumindest in der korpuslinguistischen Tradition, ein Schlüsselwort ist, ergibt sich nämlich aus der Auftretenshäufigkeit eines Worttokens innerhalb eines Textkorpus in Relation zu seiner Auftretensfrequenz in einem Vergleichskorpus (vgl. zusammenfassend: Baker 2007, 121–148). Nicht jede in linguistischen Diskursanalysen gebräuchliche Definition von Schlüsselwörtern beruht jedoch auf statistischen Signifikanz-Werten. So steht einem solchen quantitativ orientierten ein stärker textanalytisches Verständnis gegenüber, nach dem Schlüsselwörter in öffentlichen Auseinandersetzungen um ein streitbares Thema zentrale Positionen und Konzepte gleichsam auf den Punkt bringen (vgl. etwa Böke 1996, Jung 1997, Herberg 1994, Hermanns 2003). In diesem Sinne versteht Liebert (1994, 10) Schlüsselwörter als „Drehund Angelpunktwörter“ in gesellschaftlichen, oft politischen Diskussionen. Aus Sicht der semantischen Prototypentheorie könnte man auch sagen, dass sich Schlüsselwörter mithin durch eine hohe „cue validity“ auszeichnen (Lakoff 1987, 52–54), insofern sie Zugang zu einem ganzen Diskurszusammenhang bzw. einer öffentlich ausgetragenen Debatte eröffnen. Bei der Schlüsselwortanalyse handelt es sich freilich erst dann um ein quantifizierendes Analyseverfahren, wenn qualitativ-interpretative Kriterien zur Identifizierung von diskursiv zentralen Wortformen zumindest ergänzt werden um das textstatistische Kriterium der relativen Auftretensfrequenz. Den Grad an Signifikanz geben dabei die gängigen Korpusmanagement- und Konkordanzprogramme, von AntConc bis WordSmith, meist durch einen Chi-Quadrat- oder Log-likelihood-Wert an; das gilt auch für die lexikometrische Software Lexico3. Der methodische Nutzen und Mehrwert der Berechnung von Schlüsselwörtern besteht insbesondere darin, objektivierte und empirisch validierte Aussagen über strukturelle Eigenschaften eines Datensets fällen zu können, das sich meist schon aufgrund seines Umfanges lesend nur sehr rudimentär erschließen lässt. Kurz: Die textstatistische Schlüsselwortanalyse macht sichtbar, was sonst übersehen worden wäre (möglicherweise auch, weil es nicht der eigenen Intuition entspricht). Gleichwohl bleibt für quantifizierende Analyseverfahren generell und für solche mit eingebauten Signifikanztests insbesondere festzuhalten, dass sie keineswegs frei von forschungsleitenden Prämissen und subjektiven Erkenntnisinteressen sind: Bereits der Aufbau eines Textkorpus zum Zwecke diskursanalytischer Untersuchungen folgt bekanntlich individuellen Forschungshypothesen und materiellen Verfügbarkeiten (Busse/Teubert 1994). Hinzu kommt, dass sich statistische Signifikanzen rechnerisch aus dem Abgleich von mindestens zwei Korpora (unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Größe) ergeben. D. h., dass Signifikanzwerte in dem Maße variieren,

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wie sich das Vergleichskorpus ändert. Ein statistischer Signifikanztest (etwa bezogen auf die Auftretensfrequenz einer sprachlichen Einheit) ist zwar ein mächtiges Instrument für lexikalisch-diskursvergleichende Studien, denn signifikante Auftretensfrequenzen von Wortformen sind verlässliche Indikatoren für die diskursive Relevanz und ggf. Brisanz ebendieser Wortformen; Generalisierungen über das Untersuchungskorpus und das Vergleichskorpus hinweg erlauben statistische Erhebungen aber nicht. Auch für Schlüsselwortanalysen bleibt festzuhalten, dass sie methodologisch primär eine diskurserschließende Funktion erfüllen: Sie zeigen auf, welche lexikalischen Einheiten sich genauer zu untersuchen lohnen und markieren diskursvergleichend Unterschiede auf der lexikalischen Ebene (vgl. exemplarisch etwa Baker 2008, 128–138; Mulderrig 2008 sowie die Beiträge in Bondi/Scott 2010). Somit bereiten sie semantische Analysen allenfalls vor, weshalb Baker beizupflichten ist, wenn er neben den Chancen und Möglichkeiten auch die ‚Gefahr‘ herausstreicht, lexikalische Einheiten im Zuge ihrer textstatistischen Vermessung unabhängig von ihrem Gebrauch zu betrachten: A keyword list is a useful tool for directing researchers to significant lexical differences between texts. However, care should be taken in order to ensure that too much attention is not given to lexical differences whilst ignoring differences in word usage and/or similarities between texts. (Baker 2007, 148)

Zu den Gebrauchsbedingungen von Schlüsselwörtern (und anderen lexikalischen Einheiten) gehört, dass sie als Teil von grammatischen Konstruktionen und Sätzen und weiter als Teil von Texten in konkreten Kommunikationszusammenhängen fungieren. Ihnen Rechnung zu tragen, ist die Aufgabe diskurssemantischer Analyseverfahren. Sie richten sich auf dynamische Entstehungs- und Prägungsprozesse von Wortbedeutungen im Diskurs.

4 Quantifizierende Analyseverfahren II: Wortbedeutungen im Diskurs Bislang haben sich die dargestellten quantifizierenden Analyseverfahren global auf diskursspezifische Wortschatzstrukturen (spezifisches Vokabular, Basisvokabular) und diskursspezifisch dominante lexikalische Einheiten (Schlüsselwörter) gerichtet. Dabei dürfte deutlich geworden sein, dass derartige korpuslinguistische Zugänge deswegen keinesfalls mit semantischen Analysen gleichzusetzen sind, weil letztere diskursive Bedeutungsprägungen zu ihrem Gegenstand haben, deren Ermittlung sich textstatistischen Erhebungen entziehen. Insofern lässt sich der erwähnte methodologische Rigorismus einer strikt induktiven Vorgehensweise, wie er von Bubenhofer,

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Scharloth und anderen vertreten wird (vgl. etwa Bubenhofer/Scharloth 2013; Scharloth/Eugster/Bubenhofer 2013; Bubenhofer/Scharloth/Eugster 2015), auf diskurssemantische Untersuchungen im engeren Sinne nicht sinnvoll übertragen. Zu nutzen sind vielmehr Werkzeuge, die sich für korpusbasierte Untersuchungen eignen (im Sinne von Tognini-Bonelli 2001, 65–83). Eine korpuslinguistisch vielfach genutzte Möglichkeit, lokalen Einbettungsstrukturen analytisch Rechnung zu tragen, besteht darin, Konkordanzen zu erstellen. In Gestalt so genannter KWIC-Listen („key word in context“) ermöglicht der Einbezug des unmittelbaren Kotextes einen ersten Zugriff auf bedeutungsrelevante Parameter (vgl. am Beispiel von Krisenszenarien exemplarisch Ziem 2010); dazu zählen etwa – grammatische Funktionen des Zielausdrucks – kotextuell präferierte Lesarten (insbesondere im Fall von polysemen Wörtern) – durch Modifikatoren und andere sprachliche Mittel herausgehobene Bedeutungsnuancen und – metaphorische, metonymische etc. Verschiebungen. Im Folgenden stehen zwei quantifizierende Verfahren zur Analyse von kontextuell bedingter Bedeutungsprägung und semantischer Varianz im Zentrum: Kollokationsanalysen (Abschnitt 4.1) und Prädikationsanalysen (Abschnitt 4.2).

4.1 Kollokationen und Kollokationsprofile Die Idee, dass rekurrent in der Nachbarschaft eines Wortes auftretende Ausdrücke über die Bedeutung ebendieses Wortes Aufschluss geben können, geht auf den Linguisten John Rupert Firth zurück. Nach Firths inzwischen klassischer Definition sind Kollokationen „actual words in habitual company“ (Firth 1957, 195). Ausgangspunkt seiner Überlegungen bildet der empirische Befund, dass es eine begrenzte Anzahl an Wörtern (und komplexeren / abstrakteren sprachlichen Strukturen wie Mehrworteinheiten oder grammatischen Konstruktionen) gibt, die nachweislich frequent mit einem Zielausdruck zusammen auftreten. Ist diese Häufung statistisch signifikant, so spricht man von einer „Kollokation“ bzw. einer „Kookkurrenz“, d. h. von „Zeichenketten, die im Vergleich mit ihrem Gesamtvorkommen statistisch überproportional häufig in der Umgebung anderer Zeichenkettenkonfigurationen vorkommen“ (Belica/ Steyer 2008, 12). Die Ausdrücke, die innerhalb einer jeweils zu definierenden Umgebung vom Zielausdruck signifikant häufig auftreten, heißen entsprechend Kollokate bzw. Kookkurrenzen/kookkurrente Ausdrücke. Entscheidend aus diskurssemantischer Sicht ist nun, dass das gemeinsame Auftreten von Zielausdruck und Kollokat im statistischen Sinn nicht zufällig ist, sondern vielmehr System hat. Wie Stubbs (1995) betont, begleiten zwar Intuitionen und Interpretationen Kollokationsanalysen von Anfang an, gleichwohl bleibt ein textstatistischer Zugriff unersetzbar, denn

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[…] quantitative procedures can identify lexical sets largely on the basis of the frequency and distribution of lexical items in a corpus, leaving the human analyst to discard a few irrelevant collocates which the procedure throws up […], and to interpret the resulting lexical sets. (Stubbs 1995, Abschnitt 6.1)

Über den Grund für die gegenseitige Bindung zwischen Zielausdruck und Kollokat lässt sich nur spekulieren. Generell deuten Kollokationen aber auf eine semantische Nähe und/oder Kompatibilität hin, die man sich diskurssemantisch zunutze machen kann: Lassen sich innerhalb eines Diskurses besonders starke Bindungen feststellen, so können solche Kollokate als Hinweise auf diskursspezifisch relevant und dominant gesetzte Bedeutungsaspekte fungieren. Mit der Kollokationsanalyse steht somit ein Instrument zur Verfügung, mit dem sich für einen bestimmten Kommunikationszusammenhang (Diskurs) Bedeutungsprägungen quantifizieren und individuell messen lassen. Kollokationsanalysen erweisen sich für diskurssemantische Analysen von lexikalischen Einheiten auch deshalb als äußerst nützlich, weil Kollokate auf typische Sprachgebrauchszusammenhänge hinweisen, in denen der Zielausdruck innerhalb eines Diskurses rekurrent auftritt. Kollokationen dokumentieren mithin das, was Belica und Steyer (2008, 8) als „korpusbezogene Usualität“ bezeichnen, nämlich Ausprägungsformen lokaler Muster im Sprachgebrauch einer Diskursgemeinschaft. Errechnen lassen sich solche Usualitäten nur diskursvergleichend, denn die Wahrscheinlichkeit der Kookkurrenz von zwei Wortformen ergibt sich statistisch aus dem Vergleich der Kookkurrenz dieser Wortformen in mindestens zwei Korpora. Hier zeigt sich abermals, dass sich der Aufbau des Korpus unmittelbar auf die Untersuchungsergebnisse auswirkt bzw. auswirken kann. Zur Illustration ein Beispiel. Zum Basisvokabular der Öl-Krise (1973/1974) und der Finanzkrise (2008/2009) gehören unter anderem folgende nominale Wortformen (hier geordnet nach abfallender Signifikanz): Zukunft, Wachstum, Investitionen, Fragen, Mitte, Brüssel, Folge, Arbeit, Amerikaner, Landes, Ziel, Gewinne (vgl. ausführlich Ziem/ Scholz/Römer 2013, 341). Dass sich diese Nomen dadurch auszeichnen, dass sie in beiden Diskursen überproportional häufig repräsentiert sind, heißt nicht zwangsläufig, dass ihre Bedeutungen im Diskurs deckungsgleich sind oder sich zumindest ähneln; auch in funktionaler Hinsicht können sie sich unterscheiden. So machen Kollokationsanalysen zur Wortform Wachstum deutlich, dass diese Wortform im Diskurs zur Öl-Krise und zur Finanzkrise tatsächlich in ähnlichen kotextuellen Gebrauchszusammenhängen verwendet werden. Konkret legt eine Reihe an Kollokaten, die in beiden Diskursen mit dem Zielausdruck Wachstum auftreten, nahe, dass der Begriff des Wachstums in beiden Diskursen ähnliche semantische Prägungen aufweist. Zu den gemeinsamen Kollokaten gehören, abermals geordnet nach absteigender Signifikanz, die Wortformen Wohlstand, Beschäftigung, Stabilität, Prozent, Bruttosozialpro­ dukt, Bruttoinlandsprodukt, Wirtschaftswissenschaftlern. Im thematischen Kontext

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von Krisen scheint dieses Cluster an Kollokaten eine Rahmung vorzugeben, in der volkswirtschaftliche Kriterien die Oberhand haben. Generell bietet es sich zum Zwecke einer detaillierten Untersuchung an, Konkordanzen (KWIC) auszuwerten. Je nach Erkenntnisinteresse kann dies stärker unter qualitativ-interpretativen Gesichtspunkten oder auf der Basis semantischer Annotationen geschehen. Ersteres ist beispielsweise möglich, indem Belegstellen als Ausprägungsformen von Krisen-Narrativen (im Sinne von Lyotard 1987) interpretiert werden (vgl. hierzu Ziem/Scholz/Römer 2013, Abschnitt 3.1). Letzteres ist hingegen der Fall, wenn man Kollokate etwa hinsichtlich ihres semantischen Potentials analysiert, die Bedeutung des Zielausdruckes näher zu bestimmen. Dazu ist es nötig, die Kollokate semantisch zu annotieren, und zwar entweder mithilfe vorgegebener Annotationskategorien (z. B. aus FrameNet, vgl. https://framenet.icsi.berkeley.edu, letzter Zugriff: 2.5.2016) oder mithilfe induktiv aus den Belegstellen heraus entwickelter Kategorien (vgl. hierzu ausführlich Scholz/Ziem 2015, 298–308). Das analytische Verfahren ist an dieser Stelle nicht korpusgesteuert, sondern korpusbasiert (im Sinne von TogniniBonelli 2001, 65–83), weil der Korpuszugriff maßgeblich hypothesengeleitet erfolgt. Wenn die ermittelten Kollokate in hierarchischen Kookkurrenzclustern systematisiert und geordnet werden, lässt sich die Kollokationsanalyse – auch im Dienste diskurssemantischer Erkenntnisinteressen – noch einen Schritt weitertreiben. Diese statistisch ermittelten Kookkurrenzcluster – wir nennen die Gesamtheit für eine Bezugseinheit (z. B. das Bezugswort) das Kookkurrenzprofil – stellen nicht nur einfach usuelle Wortverbindungen einer Sprache dar, sondern elementare Konstituenten der Sprache, Syntagmen, die durch massenhaften Gebrauch entstanden sind und als Bausteine wiederum eingesetzt werden. Kookkurrenzcluster liefern also als holistische Entitäten Evidenzen für rekurrente Muster auf allen Ebenen des Sprachsystems. (Belica/Steyer 2008, 14)

Das Kookkurrenz- bzw. Kollokationsprofil zeigt die Bandbreite an statistisch signifikanten Kollokationspartnern eines Zielausdruckes innerhalb eines Korpus. Kollokate sind dabei nicht beschränkt auf lexikalische Größen, es kann sich vielmehr auch um syntagmatisch komplexe Einheiten handeln, die phraseologisch mehr oder weniger stark verfestigt sein können. Variiert das Kookkurrenzprofil eines Ausdrucks abhängig vom übergeordneten Thematisierungszusammenhang, so gibt dies Aufschluss über die diskurssemantische Dynamik des Ausdrucks. Mit anderen Worten: Das Kookkurrenzprofil macht „systematisierte Kontextmuster“ (Belica/Steyer 2008, 14) innerhalb eines Diskurses sichtbar, aus dem sich das diskursspezifische Inferenzpotential des Ausdrucks ableiten lässt. Bei diesen Kontextmustern handelt es sich nicht um lexikalische Kollokationspartner, sondern um phrasale oder andere Mehrworteinheiten, in die der Zielausdruck eingebettet ist oder die mit dem Zielausdruck zusammen auftreten. Kookkurrenzprofile lassen sich auf der Grundlage der Kookkurrenzdatenbank des Instituts für Deutsche Sprache ermitteln (http://corpora.ids-mannheim.de/ccdb/,

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letzter Zugriff: 2.5.2016). Für das erwähnte Beispiel Wachstum illustriert dies ausschnitthaft Abbildung 1.

Abb. 1: Ausschnitt des Kookkurrenzprofils von Wachstum

Die systematisierten Kontextmuster (linker Bereich in Abbildung 1) zeigen – konkretisiert durch Beispiele (rechter Bereich) – die auffällig einseitige Dominanz wirtschaftlicher Dimensionen der Konzeptualisierung dessen, was begrifflich unter „Wachstum“ gefasst wird. An diese Befunde lassen sich semantische Detailanalysen anschließen. Als hilfreich erweisen sich dabei Konkordanzen, die sich zu jedem Kontextmuster individuell anzeigen lassen. Bislang ist zwar das Werkzeug des Kookkurrenzprofils nicht auf eigene Korpora anwendbar, es hat sich aber für diskursanalytische Zwecke als wirkungsvolles Instrument erwiesen (vgl. etwa Burel 2015, 114 f.; Jurish/Geyken/ Werneke 2016; Storjohann 2011, 128 f.). Über die thematisierten Varianten der Kollokationsanalyse hinaus erweist sich für diskurssemantisch angelegte Studien auch der Einbezug weiterer Kookkurrenzen als relevant: die Bindung von lexikalischen Einheiten an grammatische Strukturen (wie z. B. Argumentstruktur-Konstruktionen, Phrasenstrukturen), Textgenres, Medien und andere Einbettungsstrukturen; in Abschnitt 5 wird darauf näher eingegangen.

4.2 Prädikationen und Prädikationsstrukturen Kollokationsanalysen basieren auf der Annahme, dass habituell auftretende Einheiten des lokalen Kotextes Hinweise auf die Bedeutung des Zielausdrucks geben; sie berücksichtigen dabei nicht bzw. nur unzureichend, in welchem semantisch-syntaktischen Zusammenhang Zielausdruck und Kollokat stehen. Um diesem angemessen

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Rechnung zu tragen, bedarf es über eine maschinelle Auswertung hinaus stärker korpusbasierter Analysen. Ein solcher Zugang zu Wortbedeutungen liegt im Fall von Prädikationsanalysen vor (vgl. zusammenfassend Ziem 2008, 325 ff.). Die leitende Annahme besteht darin, dass Prädikate über ihr Bezugsobjekt (dem Referenten des Zielausdruckes) etwas aussagen und somit semantisch relevante Informationen bereitstellen, die sich für diskurssemantische Analysezwecke nutzen lassen. So können Prädikate hinsichtlich ihrer semantischen Rolle, die sie instanziieren, systematisch annotiert werden: In Sätzen wie Die Krise ebbt nicht ab oder Die Krise begann im letzten Jahr prädizieren beispielsweise die Verbphrasen dergestalt etwas über „Krise“, dass ihre zeitliche Erstreckung bzw. Dauer spezifiziert wird. Dieselbe semantische Rolle der Dauer kann syntaktisch auch anders realisiert werden, so etwa als attributive Bestimmung (wie in nicht abebbende Krise und letztes Jahr begin­ nende Krise) oder als abhängiger Relativsatz (wie in die Krise, die nicht abebbt und die Krise, die letztes Jahr begann); dies ändert nichts an der jeweiligen semantischen Funktion, die zeitliche Erstreckung einer Krise näher zu bestimmen. Die Annotation von Prädikaten eröffnet eine diskurssemantische Analyseperspektive, die sich forschungspraktisch folgendermaßen operationalisieren lässt. Empirische Grundlage der Annotation bilden Belegstellen, in denen der zu untersuchende Zielausdruck (hier: Krise) prädikativ spezifiziert wird. Die aus dem Korpus extrahierten Belege gilt es im Anschluss auszuwerten, indem die relevanten Prädikate identifiziert und in der Folge semantisch annotiert werden. Maßgabe für die Annotation sollte dabei sein, Prädikate in möglichst konsistente semantische Klassen (semantische Rollen) zusammenzufassen. Die quantitative Auswertung der Realisierung semantischer Rollen im Diskurs gibt Aufschluss über die Dominanz oder, umgekehrt, die Marginalisierung einzelner semantischer Rollen; sie zeigt mithin, welche Bedeutungsaspekte prägend sind. Wird eine semantische Rolle nicht oder kaum realisiert, weist dies auf eine möglicherweise diskursiv bedingte Ausblendung hin. Die Definition von semantischen Rollen kann entweder induktiv geschehen; in diesem Fall besteht das Ziel darin, im Zuge der Annotation aus den identifizierten Prädikaten ein möglichst konsistentes Set an semantischen Rollen zu entwickeln (vgl. exemplarisch Ziem/Scholz/Römer 2013, Abschnitt 4.2.1). Oder man greift bei der Annotation auf vordefinierte semantische Rollen zurück, wie sie in FrameNet zu finden sind (vgl. zum theoretischen Hintergrund vgl. Fillmore/Baker 2010). In Frage kommen hierzu vor allem die Frame-Elemente desjenigen Frames, den der Zielausdruck aufruft (wobei Frame-Elemente  – der gängigen FrameNet-Konvention folgend – in Kapitälchen gesetzt werden, während für Frame-Namen der Schrifttyp Courier New verwendet wird). Konkret ruft der Zielausdruck Krise den so genannten Catastrophe-Frame auf (vgl. https://framenet.icsi.berkeley.edu/fndrupal/index. php?q=frameIndex, letzter Zugriff 2.5.2016), in dem folgende Frame-Elemente angelegt sind: Patiens, Unerwünschtes Ereignis, Grund, Umstände, Ausmass, Art und Weise, Ort, Zeit (vgl. ausführlich hierzu Scholz/Ziem 2015). Im vorhin erwähnten Beispiel würde das Prädikat begann im letzten Jahr (bzw. im letzten Jahr begin­

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nende und die im letzten Jahr begann) als Instanz der semantischen Rolle Zeit annotiert werden. Prädikationsanalysen haben gegenüber Kollokationsanalysen den entscheidenden Vorteil, sehr feinkörnige semantische Analysen zu erlauben, die der ganzen Breite an Bedeutungsspezifikationen im Diskurs zumindest potentiell Rechnung zu tragen vermögen. Prädikationsanalysen haben dagegen den Nachteil, aufgrund der Notwendigkeit manueller semantischer Annotationen nur auf ein im Umfang begrenztes Set an Korpusdaten zugreifen zu können. In gewisser Weise ergänzen sich insofern Prädikations- und Kollokationsanalysen; wenn möglich, bietet es sich an, beide durchzuführen.

5 Einbettungsstrukturen von Wörtern und Wortbedeutungen Dass zum einen die Einbettungsstrukturen von Wörtern maßgeblich die Bedeutung ebendieser Wörter im Diskurs beeinflussen bzw. prägen können und dass zum anderen die Untersuchung dieser Einbettungsstrukturen einen zentralen Gegenstandsbereich quantifizierender korpuslinguistischer Verfahren bildet, hat sich am Beispiel der Prädikations- und Kollokationsanalyse gezeigt. Die Einbettung von lexikalischen Einheiten geht aber weit über den lokalen Kotext hinaus, der üblicherweise Gegenstand von diskurssemantischen Korpusanalysen ist. Sie betrifft insgesamt, geordnet nach aufsteigender Abstraktheit, mindestens die folgenden Einbettungsstrukturen: (a) grammatische Konstruktion (Phrasen-, Argument-, Satzstrukturen) (b) konzeptuelle Metapher (die der Zielausdruck instanziiert) (c) Argumentationsmuster (in dem der Zielausdruck als lexikalische Konstituente firmiert) (d) Textgenre (wie wissenschaftlicher Fachaufsatz, Zeitungsartikel usw., in dem der Zielausdruck auftritt) (e) (Massen-)Medium (wie Tages-/Wochenzeitung, Alltagsgespräch, Fernsehtalkshow usw., in der/dem der Zielausdruck benutzt wird). Wenngleich in der diskurslinguistischen Fachliteratur solche Einbettungsstrukturen bislang kaum Beachtung gefunden haben, ist es doch keineswegs abwegig, das gemeinsame habituelle Auftreten von einer lexikalischen Einheit mit solchen übergeordneten Größen unter dem Gesichtspunkt einer komplexen Form der Kollokation zu betrachten. Tatsächlich differenziert Firth (1957, 181–182) in seinen wegweisenden Studien selbst terminologisch zwischen „collocation“ und „colligation“, wobei er den zweiten Terminus für die Kookkurrenz eines Zielausdrucks mit einer grammatischen Struktur bzw. Einheit reserviert (vgl. auch Léon 2007). Im Anschluss daran ist unter konstruktionsgrammatischen Vorzeichen die so genannte Kollostruktionsanalyse

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entwickelt worden, mit der sich die habituelle Bindung einer lexikalischen Einheit an eine grammatische Struktur (z. B. Argumentstruktur) untersuchen lässt (Stefanowitsch/Gries 2003). Multifaktorielle Analysen erlauben es darüber hinaus, die Abhängigkeit von weiteren Variablen, wie Textgenres etc., einzubeziehen (vgl. hierzu exemplarisch Gries 2003). Abschließend soll beispielhaft die Relevanz und Notwendigkeit illustriert werden, übergeordnete Einbettungsstrukturen von Wörtern zu berücksichtigen, wenn Wortbedeutungen bzw. Wortbedeutungsprägungen im Diskurs Gegenstand der Analyse sind. Das erste Beispiel betrifft konzeptuell-metaphorische Bedeutungsverschiebungen, im Anschluss werden semantische Prägungen vorgestellt, die durch das benutzte Massenmedium motiviert sind. Gerade bei nominalen Einheiten, die im öffentlichen Sprachgebrauch als brisant gelten, handelt es sich vielfach um abstrakte Größen, die fast zwangsläufig auch metaphorisch konzeptualisiert werden. Treten Metaphorisierungen gleichförmig und rekurrent auf, können sich diese innerhalb des jeweiligen Diskurses auf die lexikalische Bedeutung des Zielausdrucks auswirken. Zur Identifizierung von metaphorischen Verwendungen reichen die in Abschnitt 4.1 skizzierten Verfahren der Kollokationsanalyse nicht aus; es müssen vielmehr zumindest die lokalen grammatischen Einbettungsstrukturen des Zielausdrucks einbezogen werden, um die Variationsbreite metaphorischer Konzeptualisierungen bestimmen zu können. Im Fall von Krise im Diskurs zur Finanzkrise 2008–2009 sind es beispielsweise drei grammatische Konstruktionen, die rekurrent als Einbettungsstruktur auftreten (vgl. hierzu ausführlich Ziem 2015, 66–73). Erstens ist Krise als grammatisches Subjekt in Transitiv-Konstruktionen (z. B. Die Krise betrifft auch Kleinanleger) eingebettet. Wird es in der semantischen Rolle eines Agens realisiert, resultiert daraus eine konzeptuell-metaphorische Verschiebung dergestalt, dass das Konzept der Krise personifiziert und mithin verdinglicht wird. Lakoff und Johnson (1980, 25–33) sprechen in solchen Fällen von einer ontologischen Metapher (als eine Untergruppe der konzeptuellen Metapher). Zweitens fungiert Krise als Genitivattribut in Possessiv-Konstruktionen (z. B. Konsequenzen der Krise, Bekämpfung der Krise). Zu einer metaphorischen Verschiebung kommt es in den Korpusbelegen nachweisbar dann, wenn Krise in der semantischen Rolle eines Spezifizierten Objektes (z. B. die Kräfte der Krise), eines Causativs (z. B. Auswirkungen der Krise) oder eines Affizierten Objektes (z. B. Verdrängung der Krise) realisiert wird. Auch hier liegen Instanzen einer ontologischen Metapher vor: Das abstrakte Ereignis-Konzept der Krise wird reifiziert. Drittens bildet Krise schließlich den nominalen Kern einer Präpositionalphrase (z. B. in der Krise, durch die Krise). Zwei Großgruppen sind hier zu unterscheiden, nämlich einmal Instanzen einer ontologischen Metapher, die prototypisch durch kausative Präpositionen zustanden kommen (z. B. wegen der Krise, durch die Krise), und einmal Instanzen einer Container-Metapher (vgl. Lakoff/ Johnson 1980, 51), die insbesondere durch lokative Präpositionen (z. B. inmitten der Krise, innerhalb der Krise) motiviert sind. Für alle drei Fälle ist zusammenfassend festzuhalten, dass es die grammatische Einbettungsstruktur ist, die sich maßgeblich

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für die konzeptuell-metaphorische Verschiebung verantwortlich zeigt. Wird sie einbezogen, ist es möglich, auch Bedeutungsprägungen, die sich aus metaphorischen Verschiebungen ergeben, aufzuspüren und differenziert zu beschreiben. Ähnliches gilt analog für andere Einbettungsstrukturen. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Bedeutung einer diskursiv zentralen lexikalischen Einheit nicht nur bedingt durch die grammatische Struktur, in der sie auftritt, variiert, sondern dass sich diese Struktur selbst in dem Maße als dynamisch erweist, wie sie ihrerseits von übergeordneten Variablen abhängt. Eine solche Variable ist z. B. das Massenmedium, in dem der Zielausdruck realisiert wird. Auf der Grundlage eines Korpus zur Finanzkrise im Umfang von 1.500 thematisch einschlägigen Artikeln, die in der Bild-Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen sind, wurde eine repräsentative Menge an Belegstellen mit Krise ausgewählt; annotiert wurde diese lexikalische Einheit hinsichtlich der grammatischen Funktion und der semantischen Rolle, die jeweils realisiert wird (vgl. Ziem 2013b). Es zeigte sich, dass die Realisierung semantischer Rollen wie auch grammatischer Funktionen in Abhängigkeit vom jeweiligen Massenmedium beträchtlich variiert. So lässt sich für Transitivkonstruktionen feststellen, dass Krise in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beispielsweise nur in jedem dritten Fall in der semantischen Rolle eines Agens auftritt, in der Bild-Zeitung hingegen in der Hälfte aller Instanzen. Auch die Realisierung der semantischen Rolle des Causativs in Transitivkonstruktionen fällt unterschiedlich aus; in der Bild-Zeitung ist die relative Anzahl anderthalbmal so hoch (FAZ: 6 Prozent, Bild: 9 Prozent). Diese Befunde sind wichtige Indizien dafür, dass das Ereignis der Krise in der Bild-Zeitung sehr viel stärker personifiziert und verdinglicht wird; diese Bedeutungsprägungen sind Effekte des Massenmediums, in dem der lexikalische Ausdruck verwendet wird. Einbettungsstrukturen von lexikalischen Einheiten, so machen die kursorischen Erläuterungen deutlich, verdienen, systematisch in semantische Analysen einbezogen zu werden. Ihre angemessene Berücksichtigung bedarf korpusbasierter quantifizierender Verfahren. Bislang sind Einbettungsstrukturen in diskurssemantischen Studien zwar kaum berücksichtigt worden, dieses Forschungsdesiderat eröffnet aber zweifellos vielfältige Analyseperspektiven für zukünftige Wortschatzstudien.

6 Fazit Der vorliegende Handbuchartikel hat versucht, ausschnitthaft einen Überblick über korpuslinguistische Ansätze und Methoden zur Untersuchung von Wortschatzstrukturen und Wortbedeutungen in Diskursen zu geben. Leitend war dabei die Unterscheidung zwischen einem quantifizierenden Zugriff auf die Lexik eines Diskurses einerseits und auf einzelne sprachliche Bedeutungen bzw. Bedeutungsprägungen von Wörtern andererseits. Während erster dazu dient, den Wortschatz und

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­Wortschatzstrukturen umfassend und global zu vermessen sowie durch die Ermittlung diskursiv zentraler lexikalischer Einheiten semantische Detailanalysen vorzubereiten, eignen sich Kollokations- und Prädikationsanalysen dazu, diskurssemantische Prägungen ausgewählter lexikalischer Konzepte konkret auszuweisen. Den Ausgangspunkt bildete die Beobachtung, dass obwohl der Wortschatz in diskurslinguistischen Studien bislang zumeist stärker interpretativ als quantitativ erschlossen worden ist (vgl. den vorangehenden Handbuchbeitrag von Martin Wengeler), doch der Bedarf an maschinellen Verfahren zur Auswertung von Texten in dem Maße wächst, wie die Erklärungsansprüche steigen. Diese betreffen erstens den Umfang an Texten, die Gegenstand der Untersuchung sind, wobei gilt: Je größer das Korpus, desto umfangreicher die Abdeckung der Kommunikationsgemeinschaft bzw. des Diskurses. Ein weiterer gesteigerter methodologischer Anspruch besteht zweitens darin, die zu analysierenden Texte möglichst umfassend und systematisch, idealerweise repräsentativ für eine Grundgesamtheit, zu erfassen; ausgeschlossen werden soll, dass Bereiche des Untersuchungsmaterials unbeachtet bleiben und so möglicherweise ganz andere Schlussfolgerungen als die erzielten gezogen werden können. Und drittens betreffen methodologische Ansprüche schließlich die Gütekriterien, an denen sich empirische Untersuchungen von großen Korpora messen lassen müssen, nämlich insbesondere Validität, Reliabilität (Reproduzierbarkeit) und Objektivität; diesen kann ein korpuslinguistischer Zugriff Rechnung tragen. Insgesamt kann die Relevanz quantifizierender Verfahren zur Analyse des Wortschatzes schon deshalb kaum überschätzt werden, weil diskurssemantische Analysen naturgemäß darauf abzielen, jenseits von – möglicherweise idiosynkratrischen – Einzelfallbeobachtungen diskurstypische Bedeutungen und Bedeutungsprägungen herauszuarbeiten. Der induktive Rückschluss von (einer Serie von) Einzelbefunden auf ein diskursspezifisches (sprachliches) Muster gelingt allein auf einer soliden methodologischen Basis. Diese kann unterschiedlicher Natur sein, etwa hermeneutisch-deskriptiver oder eben korpuslinguistisch-quantifizierender. Mit Blick auf letztere eignet sich auf der Ebene der Lexik potentiell eine Vielzahl an korpuslinguistischen Werkzeugen dazu, Musterhaftigkeiten im Diskurs zu identifizieren und zu analysieren. Es bleibt eine wichtige Aufgabe der zukünftigen Forschung, diese für diskursemantische Erkenntnisinteressen weiterzuentwickeln und forschungspraktisch anzuwenden.

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Wortschatz II: quantifizierende Analyseverfahren 

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 Alexander Ziem

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Noah Bubenhofer

4. Kollokationen, n-Gramme, Mehrworteinheiten Abstract: Der Beitrag beschreibt, wie die Berechnung von Kollokationen und Mehrworteinheiten in Textkorpora typische Sprachgebrauchsmuster freilegen kann. Zuerst werden in einer Gegenstandsbestimmung die verschiedenen Termini zur Bezeichnung von mehrgliedrigen Ausdrücken auf der sprachlichen Oberfläche diskutiert. Ein kurzer Forschungsüberblick nennt korpuslinguistische Arbeiten mit politolinguistischen Zielen, die Gebrauch von der Analyse solcher Mehrworteinheiten machen. Anschließend zeigt eine exemplarische Analyse von unterschiedlichen Typen von Mehrworteinheiten in parteispezifischen Teilkorpora der Wortprotokolle des Deutschen Bundestags die Einsatzmöglichkeiten. 1 Gegenstandsbestimmung 2 Forschungsüberblick 3 Exemplarische Analyse 4 Fazit 5 Literatur

1 Gegenstandsbestimmung Die Terminologie zur Benennung von Einheiten, die aus mehreren Wörtern bestehen, ist unübersichtlich. Mehrworteinheiten, Kollokationen, Phraseologismen, usuelle Wortverbindungen oder n-Gramme sind die wichtigsten Termini, wobei die Differenzierung unterschiedlich gehandhabt wird. Die Unterschiede rühren von den Provenienzen der Termini: Einerseits wurde mit dem britischen Kontextualismus der Begriff der Kollokation geprägt. Nach Firth (Firth 1957, 194) sind Kollokationen häufig auftretende Wortverbindungen, die für einen bestimmten Ausschnitt von Sprache typisch sind. Während bei Firth noch nicht genauer spezifiziert ist, was häufig und typisch bedeutet, wurde dieses Konzept in der Folge genauer spezifiziert und widerspiegelt heute die in der Korpuslinguistik dominierende Auffassung der „empirischen Kollokation“ (Evert 2009, 1213). Demnach sind Kollokationen Paare von Worteinheiten (auf der Basis von Wortformen, Lemmata oder anderen sprachlichen Einheiten), die innerhalb einer bestimmten Distanz zueinander kookkurrieren und eine statistisch feststellbare Bindung zueinander aufweisen. Typischerweise wird diese Bindung, Assoziation, als statistische Signifikanz ausgedrückt, nach der die beiden Einheiten in einem Korpus häufiger miteinander vorkommen, als es bei einer zufälligen Verteilung im Korpus erwartbar wäre. DOI 10.1515/9783110296310-004

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 Noah Bubenhofer

Neben dieser empirischen Auffassung von Kollokationen gibt es eine theoretische Auffassung, die Kollokationen enger fasst: Danach handelt es sich um lexikalische Einheiten, die z. B. in einer syntaktischen Beziehung zueinander stehen (etwa Adjektiv und Nomen in einer Nominalphrase) oder deren gemeinsame Bedeutung nicht dem Kompositionalitätsprinzip folgt, also opak ist (z. B. blinder Passagier). Besonders die Phraseologie lenkte die Aufmerksamkeit auf solche Konstruktionen und deswegen herrscht dort auch heute meist eine engere Auffassung von „Kollokation“ vor (Bartsch 2004; Evert 2009). Evert (2009, 1213) verwendet den Begriff „Kollokation“ für die empirische und „Mehrworteinheit“ („Multiword Expression“) für die theoretische Auffassung von Kollokationen. Die Begriffsverwendung ist in der Literatur jedoch nicht einheitlich. Prinzipiell sehen beide Konzepte Ausdrücke vor, die aus mehr als zwei Einheiten bestehen können. Die (empirischen) Kollokationen werden jedoch normalerweise als Paare aufgefasst, was auch daran liegt, dass es kaum Ansätze gibt, die die statistische Assoziation zwischen mehr als zwei Elementen messen können (Evert 2009, 1244). Um Kollokationen der Länge n zu bezeichnen, bietet sich darüber hinaus der Begriff n-Gramm (Bigramm, Trigramm etc.) an. Unter Mehrworteinheiten – oder auch „usuellen Wortverbindungen“ (Steyer 2013) – werden häufiger Einheiten verstanden, die aus mehr als zwei Wörtern bestehen können, da sich hier oft das Problem nicht stellt, mit statistischen Assoziationsmaßen arbeiten zu müssen. Ebenso offen ist die Frage, welches die Bestandteile von Kollokationen und Mehrworteinheiten sind. Neben den Wortformen können auch die Grundformen oder andere Kategorien wie Wortart- oder semantische Klassen verwendet werden, wie weiter unten gezeigt wird. Im Folgenden liegt der Fokus auf empirischen Kollokationen oder n-Grammen. Bei quantitativen Korpusanalysen ist es unabdingbar, eine algorithmisierbare Operationalisierung von mehrgliedrigen lexikalischen Ausdrücken nutzen zu können, um die Daten maschinell verarbeiten zu können. Im Nachgang können die berechneten Kollokationen manuell oder halbautomatisch kategorisiert werden, um daraus Mehrworteinheiten zu extrahieren, deren Assoziation nicht nur statistisch definiert ist.

2 Forschungsüberblick Arbeiten, die Kollokationen und Mehrworteinheiten in den Fokus politolinguistischer Analysen nehmen, finden sich über verschiedene Teildisziplinen verstreut. Ein wichtiger theoretischer Hintergrund solcher Arbeiten ist die korpuslinguistische Diskursanalyse in den verschiedenen Ausprägungen. Eine Einführung in die modernere Diskurslinguistik, wie diejenige von Spitzmüller und Warnke (2011), zeigt die Relevanz korpuslinguistischer Analysemethoden. Diskurslinguistische Arbeiten verfolgen meistens auch politolinguistische Fragestellungen. Die Vielfalt solcher Ansätze ist

Kollokationen, n-Gramme, Mehrworteinheiten 

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in einer Reihe von Sammelbänden ersichtlich (z. B. Bluhm u. a. 2000; Busse/Teubert 2013; Felder u. a. 2011; Jung 2001) und soll an dieser Stelle nicht erschöpfend dargestellt werden. Die in der Politolinguistik erarbeiteten Analysekategorien (etwa bei Burkhardt 2003; Girnth/Spieß 2006; Girnth 2002; Schröter/Carius 2009) wurden teilweise korpuslinguistisch operationalisiert. Hauptsächlich die angelsächsische Korpuslinguistik hat bereits früh auf die soziokulturelle Dimension von Korpusanalysen aufmerksam gemacht und vor allem Kollokationen als wichtige Analysedimension etabliert (etwa bei Sinclair 1991; Olsen/Harvey 1988; Teubert 2006; Tognini-Bonelli 2001) und dafür plädiert, die sprachliche Oberfläche und statistische Analyseergebnisse ernst zu nehmen. Die frankophone Tradition der Lexikometrie verfolgt dabei ähnliche Ziele und zog schon früh auch komplexere multivariate Analysemethoden hinzu (Dzudzek u. a. 2009; Glasze 2007; Lebart/Salem 1994; Mattissek 2005; Scholz 2010, 145 ff.). Die folgenden Arbeiten verfolgen im engeren Sinn politolinguistische Interessen und arbeiten mit statistischen Korpusanalysen: Im Kontext der Forschergruppe semtracks (www.semtracks.org) sind eine Reihe von Analysen entstanden, die vornehmlich mit komplexen n-Grammen und Kollokationsanalysen arbeiten, um Sprachgebrauchsmuster datengeleitet zu berechnen. Dies, um die partei- oder personenspezifischen Sprachcharakteristika (Bubenhofer u. a. 2009; Ebling 2010), extremistische Positionen (Ebling u. a. 2014) oder Phänomene der Skandalisierung (Bubenhofer 2013) zu beschreiben. Einen weiteren, stärker diskurslinguistischen Fokus, nehmen die diachronen Analysen von Veränderungen in Diskursen in der Wochenzeitung Die Zeit und dem Magazin Spiegel ein (Bubenhofer u. a. 2014; Scharloth u. a. 2013). Eine Einschränkung der Kollokationen auf Verbindungen mit Toponymen, an denen sich (auch) politische Diskurse über Orte und Regionen ablesen lassen, bietet das Konzept der Geokollokationen (Bubenhofer 2014). In der lexikometrischen Tradition arbeitet Scholz (2010) mit der Berechnung von Kollokationen und Mehrworteinheiten („wiederholte Segmente“), um Diskurse um die Europäische Union zu untersuchen. Eher argumentationstheoretisch, jedoch korpuslinguistisch unterstützt, untersuchen Ziem u. a. (2013) Krisendiskurse. Vogel (2010) schlägt einen korpuslinguistischen Ansatz für Imageanalysen vor und entwickelte auch eine entsprechende Software (Vogel 2012). Ebenso klar korpuslinguistisch gehen Storjohann und Schröter (2011) oder Koller und Farrelly (2010) vor, um den Diskurs der Finanz- und Wirtschaftskrise zu untersuchen (mit einem Fokus auf Metaphern bei Koller 2006 in Unternehmensdiskursen). Viele weitere Arbeiten wären zu zitieren, die nicht im engeren Sinn politolinguistisch, sondern eher diskurslinguistisch vorgehen, wobei eine Abgrenzung naturgemäß schwierig ist. Neben der linguistischen Tradition gibt es auch von politologischer Seite Ansätze, mit statistischen Verfahren an die Vermessung der sprachlichen Oberfläche zu gehen. Am bekanntesten ist wohl das „Wordscore-Verfahren“ (Laver u. a. 2003), bei dem anhand eines manuell z. B. nach politischen Positionen kategorisierten Trainingskorpus die typische Distribution von Lexemen dieser Positionen statistisch modelliert

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 Noah Bubenhofer

werden, um neue Texte maschinell kategorisieren zu können (vgl. z. B. Blätte 2012). Ähnlich gehen andere statistische Textklassifikationsalgorithmen vor, die hauptsächlich für Data-Mining-Aufgaben eingesetzt werden; die verschiedenen Topic-ModellingVerfahren (Anthes 2010) – z. B. LDA, „Latent Dirichlet Allocation“ (Blei u. a. 2003) – gehören zu den Algorithmen, die in den Geistes- und Sozialwissenschaften hin und wieder eingesetzt werden – vgl. die Website www.programminghistorians.org für entsprechende Beispiele und Anleitungen und Rohrdantz u. a. (2012) als Ansatz, visuell datengeleitet den Wandel der Semantik von Lexemen zu analysieren.

3 Exemplarische Analyse Für die exemplarische Analyse werden im Folgenden Protokolle des Deutschen Bundestags verwendet. Leitend für die Analyse soll die Frage sein, ob sich für die Parteien typische Muster des Sprachgebrauchs (Bubenhofer 2009) finden lassen. Die Hypothese hinter dieser Fragestellung zielt auf die Bedeutung von sprachlichen Mustern als Indikatoren für unterschiedliche, diskursiv geprägte Sprechweisen: Hypothese: Die für eine Partei im Vergleich zu allen anderen Parteien typischen Mehrworteinheiten sind Indikatoren für unterschiedliche Funktionen (Regierung vs. Opposition), Themensetzungen und Sprechweisen der Parteien zu diesen Themen.

An dieser Stelle kann keine vollständige Prüfung dieser Hypothese geleistet werden. Stattdessen sollen unterschiedliche methodische Zugänge zu den Daten diskutiert und deren Potenzial für politolinguistische Analysen aufgezeigt werden. Die Untersuchungskorpora speisen sich aus dem PolMine-Plenardebattenkorpus (PDK), das sämtliche Plenardebatten auf Bundes- und Landesebene seit 2000 korpuslinguistisch aufbereitet umfasst (Blätte 2013). Die Protokolle liegen in einem XML-Format vor, bei dem reichhaltige Metadaten zu den Sitzungen und Sprecher/ innen erfasst sind. Daraus wurden Teilkorpora erstellt, die alle Äußerungen der Parlamentarier/innen (ohne Äußerungen des Parlamentspräsidiums) der Wahlperiode 17 (2009–2013), nach Parteien gegliedert, umfassen. Die Auswahl beschränkte sich allerdings auf die Parteien Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU, Die Linke, FDP und SPD. Die Wortformen (Tokens) wurden mit Hilfe des TreeTaggers (Schmid 1995) maschinell nach Wortarten klassifiziert und lemmatisiert unter Verwendung der Standardbibliothek fürs Deutsche, die nach dem Stuttgart-Tübingen-Tagset (STTS) klassifiziert ist (Schiller u. a. 1995). Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Größe der Teilkorpora.

Kollokationen, n-Gramme, Mehrworteinheiten 

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Tab. 1: Datengrundlage der exemplarischen Analyse Korpus B90/Die Grünen CDU/CSU Die Linke FDP SPD Total

Tokens

Sätze

1.843.824 6.276.625 2.343.904 2.939.585 4.042.815 17.446.753

116.563 390.341 155.532 188.728 258.485 1.109.649

3.1 Methode 3.1.1 Berechnung der Mehrworteinheiten Die Berechnung einer Frequenzliste von Mehrworteinheiten in einem Korpus ist unkompliziert: Zunächst werden im Korpus Wort-1 Wort-2 Wort-3 Wort-4 Wort-5 Wort-6 Wort-7 … Wort-n

alle kombinatorisch möglichen n-Gramme der Länge n (hier 3) aufgeführt: Wort-1 Wort-2 Wort-3 Wort-2 Wort-3 Wort-4 Wort-3 Wort-4 Wort-5 …

Danach wird ausgezählt, wie oft jedes n-Gramm insgesamt im Korpus vorkommt. Je nach Definition der Mehrworteinheit verändert sich die Erstellung aller kombinatorisch möglichen Mehrworteinheiten: – Bestandteile der Mehrworteinheit: Mögliche Bestandteile sind die Wortformen, die Grundformen, Wortartklassen, andere linguistische Einheiten oder Annotationen (z. B. semantische oder syntaktische Klassen) oder eine Kombination davon. – Kookkurrenz: Die Mehrworteinheit kann als Kette unmittelbar aufeinanderfolgender Worteinheiten oder aber als in einem weiteren Kontext kookkurrierende Worteinheiten verstanden werden. Der weitere Kontext kann textoberflächlich über eine in Anzahl Wörtern gemessene Distanz angegeben werden oder aber sich an anderen Einheiten im Text orientieren (z. B. Kookkurrenz im gleichen Satz). Weiter sind aber auch syntaktische Restriktionen denkbar (z. B. nur Mehrworteinheiten die aus Nominalphrasen bestehen). Vgl. für weitere Ausführungen dazu Evert (2009, 1221 ff.).

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 Noah Bubenhofer

– Assoziation: Weiterhin kann die Bindungsstärke der Mehrworteinheit mittels eines Signifikanzmaßes berechnet werden. Während dies für binäre Kollokationen üblich ist, wird das bei Mehrworteinheiten, die aus mehr als zwei Einheiten bestehen, selten gemacht. Anpassungen für solche Mehrworteinheiten finden sich bei Zinsmeister/Heid (2003) und da Silva/Lopez (1999). Zudem gibt es unterschiedliche Implementierungen als Software-Tools, so z. B. das „Ngram Statistics Package“ (Banerjee/Pedersen 2003), bei dem ebenfalls für n-Gramme angepasste Assoziationsmaße verfügbar sind. Im Folgenden werden diese Typen von Mehrworteinheiten berechnet: – n-Gramme mit den Längen n von 3, 4 und 5 auf der Basis von Grundformen (Lemmata), direkt aufeinander folgend, – komplexe n-Gramme mit den Längen n von 3 bis 8 auf der Basis von Kombinationen von Wortformen und Wortartklassen, direkt aufeinander folgend; Wortformen mit den Wortartklassen Nomen, Eigenname, Artikel, Adjektiv, Adverb, Modalverben und Zahlausdrücke werden dabei durch Wortartklassen statt Wortformen ausgedrückt (mehr dazu weiter unten).

3.1.2 Berechnung der Keyness Ziel der Analyse soll die Berechnung der Mehrworteinheiten sein, die typisch für eine Partei im Vergleich zu allen anderen Parteien sind. Deswegen reicht es nicht aus, pro Partei die häufigsten Mehrworteinheiten zu berechnen, zusätzlich werden aus diesen Listen der Mehrworteinheiten mit den jeweiligen Frequenzen in jeder Partei diejenigen ausgewählt, die bei einer Partei häufiger vorkommen als in den anderen Parteien. Die übliche Methode, um für ein Korpus im Vergleich zu einem Referenzkorpus typische Einheiten (Lexeme, Mehrworteinheiten etc.) zu berechnen, ist der „Keyness“Ansatz (Scott/Tribble 2006; Bondi/Scott 2010), bei dem die Keyness, also die Typizität jedes n-Gramms im Untersuchungskorpus im Vergleich zum Referenzkorpus berechnet wird. Mit Keyness ist also ein Assoziationsmaß gemeint, mit dem ausgedrückt wird, ob ein bestimmtes Wort signifikant häufiger im Untersuchungskorpus vorkommt als im Referenzkorpus. Dieses Maß ist sehr verbreitet, um Schlüsselwörter (Keywords) in einem Korpus zu finden und in viele Korpustools implementiert. Natürlich kann dieses Verfahren auch eingesetzt werden, um die Keyness von Mehrworteinheiten zu berechnen, wie Bubenhofer (2009) gezeigt hat. Im Beispiel der vorliegenden Analyse stellt jeweils ein Parteienkorpus A das Untersuchungs- und das Gesamtkorpus Z (inkl. A) das Referenzkorpus dar. Für jede in Korpus A vorkommende Mehrworteinheit werden die Frequenzen in Korpus A und im Referenzkorpus Z berechnet und in einer Kontingenztabelle diese beobachteten Werte aufgeführt:

Kollokationen, n-Gramme, Mehrworteinheiten 

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Tab. 2: beobachtete Werte beobachtete Werte MWE („die Frage sein“) alle anderen Wörter Summen

Korpus A (SPD)

Korpus Z (alle)

Summen

235 4914087 4914322

640 22203651 22204291

875 27117738 27118613

In der Kontingenztabelle werden nicht nur die Frequenzen der Mehrworteinheit in den beiden Korpora aufgeführt, sondern auch die Anzahl aller anderen Mehrworteinheiten im Korpus und damit die Anzahl aller kombinatorisch möglichen Mehrworteinheiten in den Korpora und insgesamt (Summen). Daraus können nun die erwarteten Werte abgeleitet werden. Die erwarteten Werte orientieren sich an den Korpusgrößen: Im Beispiel oben würde man erwarten, dass die insgesamt in beiden Korpora vorkommenden 875 Mehrworteinheiten im Verhältnis der Korpusgrößen A und Z verteilt sind. Die Tabelle der erwarteten Werte sieht demnach folgendermaßen aus: Tab. 3: erwartete Werte erwartete Werte

Korpus A (SPD)

Korpus Z (alle)

Summen

MWE („die Frage sein“)

159 =4914322* 875/27118613 4914163 4914322

716

875

22203575 22204291

27117738 27118613

alle anderen Wörter Summen

Im nächsten Schritt wird nun gemessen, ob die Differenz zwischen den beobachteten und erwarteten Werten genug groß ist, um als signifikant, also nicht zufällig, eingeschätzt werden zu können. Dazu eignen sich sog. Signifikanztests, wobei der einfachste Test der „Chi-Quadrat-Test“ ist (Kilgarriff 2001): X2 = Ʃ

(O – E )2 E

O steht für die beobachteten (observed Values), E für die erwarteten Werte (expected Values). Für jede Zelle in der Kontingenztabelle wird der erwartete vom beobachteten Wert abgezogen und quadriert und dieses Ergebnis durch den erwarteten Wert dividiert. Die für die vier Zellen so berechneten Werte werden summiert und ergeben X2 (Chi Quadrat) – im Beispiel 45. Wenn X2 ≥ 3.84 beträgt, dann ist der Frequenzunterschied zwischen den beiden Korpora signifikant, bei X2 ≥ 6.64 hoch und bei X2 ≥

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 Noah Bubenhofer

10.83 höchst signifikant (vgl. dazu eine Tabelle der kritischen Werte der Chi-QuadratVerteilung). Anstelle eines Chi-Quadrat-Signifikanztests kann auch ein „Log-Likelihood-Maß“ verwendet werden, das bei kleinen erwarteten Frequenzen geeigneter ist (Kilgarriff 2001, 121; Rayson/Garside 2000). Wenn für jede Mehrworteinheit in jedem Teilkorpus das Signifikanzmaß (Chi Quadrat, Log-Likelihood oder ein anderes Maß) berechnet worden ist, können pro Korpus nach Signifikanzmaß absteigend geordnete Ranglisten der Mehrworteinheiten erstellt werden. Je weiter oben in der Rangliste die Mehrworteinheit steht, desto spezifischer ist sie für das jeweilige Korpus. Einige Korpusanalyseprogramme erlauben die bequeme Berechnung von Keywords, also einzelnen Lexemen, meist jedoch nicht die Berechnung der Keyness von Mehrworteinheiten.

3.1.3 Clustering der Mehrworteinheiten nach Ähnlichkeit Bei der Berechnung der Mehrworteinheiten ergeben sich umfangreiche Listen: Im hier verwendeten Korpus sind je nach Partei 2.000 bis 11.000 unterschiedliche Mehrworteinheiten der Längen 3–5 signifikant (p ≤ 0,05) für das jeweilige Korpus. Durch die verschiedenen Längen gibt es darüber hinaus eine Reihe von Mehrworteinheiten, die sich gegenseitig enthalten, wie z. B.: sein zuversichtlich , dass zuversichtlich , dass zuversichtlich , dass wir

Zudem gibt es Mehrworteinheiten, die sehr ähnlich sind. Mit einem Clustering-Verfahren sollen die Listen so gruppiert werden, dass ähnliche Mehrworteinheiten aufeinander folgen. Dafür eignen sich Verfahren des hierarchischen Clusterings: – Es wird eine Matrix erstellt, bei der als Spalten die in allen n-Grammen vorkommenden unterschiedlichen Einheiten (Wortformen, Lemmata, Wortartklassen) aufgeführt werden. Für jedes n-Gramm (als Zeilen in der Matrix) wird mit den Werten 0 und 1 angegeben, ob die entsprechende Einheit darin vorkommt. Daraus ergibt sich für jede Mehrworteinheit ein Zahlenvektor aus Nullen und Einsen. – Nun wird zwischen allen Vektoren die euklidische Distanz gemessen, um daraus ein Dendrogramm zu erstellen, das die Mehrworteinheiten so gruppiert, dass die jeweiligen Nachbarn möglichst ähnliche Vektoren aufweisen. – Optional können die Mehrworteinheiten dann in eine Anzahl k Gruppen ähnlicher Mehrworteinheiten aufgeteilt werden.

Kollokationen, n-Gramme, Mehrworteinheiten 

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Abbildung 1 zeigt einen Ausschnitt aus einem Dendrogramm. Die Endpunkte stellen die n-Gramme dar; die Kanten gruppieren die n-Gramme nach Ähnlichkeit.

Abb. 1: Dendrogramm Clusteranalyse (Ausschnitt)

Damit werden nun die folgenden n-Gramme (alle typisch für die CDU) einer Gruppe zugeordnet, wobei sie untereinander ebenfalls nach Ähnlichkeit geordnet sind: , dass es wir , dass wir es wissen , dass wir wir wissen , dass auch , dass wir , dass wir auch dass wir , , dass wir , , dass wir , dass wir wir darin , dass wir haben , dass wir

sagen , dass wir so , dass wir aufpassen , dass wir notwendig , dass wir darum , dass wir , dass wir hier Meinung , dass wir dass wir , wenn darüber , dass wir verweisen , dass wir einig , dass wir führen , dass wir

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 Noah Bubenhofer

Wie das Beispiel zeigt, wird bei diesem Vorgehen die Reihenfolge der Einheiten im n-Gramm ignoriert. So werden die beiden Mehrworteinheiten „dass es wir“ und „dass wir es“ gleich nebeneinander aufgeführt, da sich deren Vektoren gar nicht unterscheiden. Diese Ordnung erleichtert die Analyse der Mehrworteinheiten deutlich.

3.2 Ergebnisse und Diskussion Im Folgenden werden die Ergebnisse der Berechnungen in Teilen präsentiert und diskutiert. Die kompletten Ergebnisse können online eingesehen werden (www.bubenhofer.com/mwepol/).

3.2.1 Vorstudie: Keywords Die Berechnung von Mehrworteinheiten ist nur eine der vielfältigen Möglichkeiten, um typische Sprachgebrauchsmuster in einem Korpus zu finden. Eine naheliegende Sonderform der n-Gramme ist die Berechnung von Unigrammen, die typisch für ein Teilkorpus sind, also der Berechnung von Keywords. Tabelle 4 zeigt die 20 typischsten nominalen Keywords (lemmatisiert). Generell geben die Nomen politische Themen der Wahlperiode 17 wieder: Atom­ politik/Energiewende, Klimaschutz, Sozialwerke (Betreuungsgeld, Rente, Arbeitslosig­ keit), Außenpolitik etc. Interessanter sind jedoch parteitypische Schlüssel-, Schlagund Fahnenwörter (Hermanns 1994): „Atomkraftwerk“, „Klimaschutz“ (Grüne), „Kernenergie“, „Wettbewerbsfähigkeit“, „Sicherheit“ (CDU/CSU), „Krieg“, „Waffe“, „Armut“ (Linke). Dies setzt sich in anderen Wortartklassen fort, wie z. B. an „ökolo­ gisch“ oder „erneuerbar“ (Grüne) und „anständig“ oder „prekär“ (SPD) sichtbar ist.

Kollokationen, n-Gramme, Mehrworteinheiten 

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Tab. 4: 20 typischste Nomen in vier Parteien im Bundestag (WP 17) B90/Die Grünen

CDU/CSU

Die Linke

SPD

Bundesregierung Staatssekretär Atomkraftwerk Schwarz-Gelb Atomkraft Klimaschutz Leiharbeitskräfte Einwanderer Laufzeitverlängerung Subvention Ministerin Frage Wirtschaftsminister EU Regierungsfraktion Baustoff Ankündigung Kauch Grüne Antwort

Land Weg Opposition Zukunft Bereich Rahmen Erfolg Kernenergie Sicherheit Wettbewerbsfähigkeit Entwicklung Maßnahme CSU-Bundestags­ fraktion Währung Dame Grundlage Ziel Beitrag Bund Jahr

Linke Krieg Bank Beschäftigte Konzern Rente Lohn Waffe Bundesregierung Skandal Armut Euro Mensch Profit Erwerbslose Prozent Privatisierung Bevölkerung Leiharbeit Osten

Minister SPD-Bundestags­ fraktion Sozialdemokrat Ministerin Herr Staatssekretär Schwarz-Gelb Kanzlerin Sozialdemokratin SPD-Fraktion Regierung Staatssekretärin Betreuungsgeld Ankündigung Kauder Vorschlag Brüderle Kürzung Steuersenkung Frau

Keywords, basierend auf Wort- oder Grundformen, sind durchaus geeignet, um thematische Schwerpunkte, konkurrierende Wörter, Fahnenwörter etc. zu finden. Naturgemäß wird dabei aber der weitere Kontext ignoriert, weshalb Mehrworteinheiten eine wichtige Ergänzung dazu sind.

3.2.2 n-Gramme auf der Basis von Grundformen Die manuelle Sichtung der nach einem hierarchischen Clustering geordneten Mehrworteinheiten zielt nun darauf, diese zu kategorisieren. Die Art der Kategorisierung ist dabei abhängig vom jeweiligen Forschungsinteresse. Bei den meisten Daten sind Phänomene auf semantischer, grammatischer und pragmatischer Ebene sichtbar. Im Vergleich zu den Keyword-Analysen oben wird sofort deutlich, dass die Mehrworteinheiten Floskeln des Sprachgebrauchs wiedergeben, die weniger an Inhalten hängen, sondern pragmatische Funktionen erfüllen.

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 Noah Bubenhofer

Tab. 5: Mehrworteinheiten (lemmatisiert), typisch für Bündnis 90/Grüne (Auswahl) Mehrworteinheit

Freq. Korpus

Freq. Referenz

p

5 13 6 5 10 59

10 64 14 13 45 417

< 0.05 < 0.05 < 0.05 < 0.05 < 0.05 < 0.0001

31 5 9

228 13 37

< 0.01 < 0.05 < 0.05

5 5 8

9 9 25

< 0.05 < 0.05 < 0.05

18

99

< 0.01

36 85 7 9

222 759 10 34

< 0.001 < 0.05 < 0.01 < 0.05

Kritisieren, fragen Sie|sie sicherstellen wollen , wie erklären Sie|sie wie wollen Sie|sie eigentlich glauben Sie|sie eigentlich , Sie|sie haben versuchen , Sie|sie sagen , dass Verschleierung/Zusammenhänge nichts andere als eine schon bezeichnend , dass es sein schon interessant Anklage keine Wort dazu , einfach ignorieren , können Sie|sie ausschließen , Argument aus der Übereinstimmung aller wir alle wissen : Metaphorizität/Topoi Schritt in die richtig in die Praxis in die Versenkung verschwinden Regen stehen lassen .

Tabelle 5 zeigt eine Reihe von Mehrworteinheiten, die typisch für die Grünen im Vergleich zu allen anderen Mehrworteinheiten sind. Auffällig sind Mehrworteinheiten, die den typischen Sprachgebrauch einer Oppositionspartei widerspiegeln. So gibt es auffällig viele Muster, die mit dem Personalpronomen Sie vornehmlich die Regierung adressieren („wie wollen Sie eigentlich…“) und (rhetorische) Fragen stellen. Einige der Mehrworteinheiten tragen einen anklagenden Charakter („wie können Sie ausschließen…“, „kein Wort dazu…“) oder dienen dazu, eine angebliche Verschleierung anzuprangern („nichts anderes als eine…“). Auch die Referenz auf eine angebliche Mehrheit („wir alle wissen…“) dient der Behauptung, die wahren Zusammenhänge zu erkennen (Eggler 2006, 44).

Kollokationen, n-Gramme, Mehrworteinheiten 

 81

Tabelle 6: Mehrworteinheiten (lemmatisiert), typisch für die CDU (Auswahl) Mehrworteinheit

Freq. Korpus

Freq. Referenz

p

190 100 106

349 183 213

< 0.0001 < 0.01 < 0.05

54 29

92 40

78 253 33 26

162 493 51 36

< 0.05 < 0.0001 < 0.05 < 0.05

26 302 58

36 544 111

< 0.05 < 1e-06 < 0.05

59 49 132 30 29

101 84 239 42 37

< 0.05 < 0.05 < 0.01 < 0.05 < 0.05

Überzeugen davon überzeugt , dass zuversichtlich , dass froh , dass wir Wir-Gefühl haben wir in Deutschland dies Jahr haben wir wir Deutsche haben , sondern wir müssen Mensch in unser Land Bürger in unser Land unser Soldat ,

< 0.05 < 0.05

Verteidigung sein schlichtweg falsch . richtig , dass wir Sie|sie wissen ganz genau Werte Hilfe zu Selbsthilfe sozial Marktwirtschaft , Gott sein dank ich ganz offen unser freiheitlich-demokratisch ­Grundordnung

Bei den Mehrworteinheiten, die typisch für die CDU sind, zeigen sich andere kommunikative Funktionen (Tabelle 6). Als Regierungspartei müssen CDU-Angehörige das Parlament von Gesetzen überzeugen, indem sie sich selbstgewiss geben („davon überzeugt, dass…“, „froh, dass wir…“). Es gilt sich zu verteidigen („ist schlichtweg falsch“, „Sie wissen ganz genau…“) und natürlich versucht auch die CDU zu behaupten, für eine Mehrheit zu stehen. Dies realisiert sie auffällig oft über Referenzen auf das Land („haben wir in Deutschland“, „wir Deutsche haben…“) oder die Bürger/ innen („Menschen/Bürger in unserem Land“). Häufig sind auch Floskeln, die Werte widerspiegeln („Hilfe zur Selbsthilfe“, „soziale Marktwirtschaft“, „unsere freiheitlichdemokratische Grundordnung“), die teilweise zu Fahnenwörtern der Partei gehören oder wie „ich ganz offen“ für kommunikative Ideale stehen (Schröter 2011). Die Tabellen (die nur eine kleine Auswahl der Mehrworteinheiten zeigen) enthalten neben den Mehrworteinheiten auch Angaben zu den absoluten Frequenzen, mit denen die n-Gramme in den Korpora vorkommen, sowie das Signifikanzniveau (p),

82 

 Noah Bubenhofer

also die statistische Sicherheit dafür, dass die Mehrworteinheit signifikant häufiger im jeweiligen Parteienkorpus vorkommt als im Referenzkorpus. Diese Werte unterstützen den Interpretationsprozess, indem etwa die Bedeutung der Mehrworteinheit eingeschätzt werden kann. Zusätzlich sind Distributionsanalysen der Mehrworteinheiten interessant, um zu sehen, ob diese breit über mehrere Sprecherinnen und Sprecher und/oder Debatten streuen oder idiosynkratisch sind.

3.2.3 Komplexe n-Gramme Die Listen der parteitypischen komplexen n-Gramme sind schwieriger zu lesen. So ist beispielsweise für die Grünen das n-Gramm Wie/KOUS VMFIN Sie/PPER ADV

typisch, also die Konjunktion wie gefolgt von einem finiten Modalverb, dem Personalpronomen Sie und einem Adverb. Dieses Muster kommt in den Daten der Grünen 16 Mal vor, wobei es sprachlich folgendermaßen realisiert wird: Wie können Sie denn Wie wollen Sie denn Wie wollen Sie eigentlich Wie wollen Sie da

Das Muster streut zudem über 12 unterschiedliche Personen und kommt beispielsweise in folgenden Belegen vor: wir übrigens weit über 1 Billion Euro. Wie können Sie denn behaupten, dass diese Kosten eine Belastung für (28.02.13, Hans-Josef Fell) entziehen dem System Schiene Milliarden von Euro. Wie wollen Sie da etwas erreichen? (11.06.10, Dr. Anton Hofreiter) Das ist ein Ablasshandel zur Naturzerstörung . Wie wollen Sie eigentlich Ländern wie Brasilien und Indonesien erklären, dass (11.11.09, Bärbel Höhn) Wie wollen Sie denn Frauen in Unternehmen in Deutschland kriegen, wenn (28.03.12, Renate Künast) Wo ist denn das inhaltliche Konzept? Wie wollen Sie denn die gesellschaftliche Ausgrenzung benachteiligter Gruppen stoppen? (25.11.10, Stephan Kühn)

Erst mit diesen Informationen kann das Muster eingeschätzt und interpretiert werden. Daher ist es sinnvoll, bestimmte Kennzahlen zu berechnen und weiterfüh-

Kollokationen, n-Gramme, Mehrworteinheiten 

 83

rende Angaben bereit zu stellen. Die Produktivität eines Musters, also die Anzahl unterschiedlichen Realisierungsvarianten, die auf ein Muster kommen, kann beispielsweise durch ein Type-Token-Verhältnis ausgedrückt werden: Im vorliegenden Fall liegt das bei ¼, also 0,25. Im Vergleich zum komplexen n-Gramm oben ist das Muster VMFIN Sie/PPER ADV ADV

weit produktiver; das Type-Token-Verhältnis liegt bei 0,01 (1/78). Realisierungen sind beispielsweise: Können Sie bitte einmal Können Sie hier noch können Sie schon jetzt könnten Sie hier sofort müssen Sie endlich einmal müssen Sie schon selbst wollen Sie dann weiterhin wollen Sie denn da wollen Sie denn eigentlich wollen Sie doch sicherlich wollen Sie sogar noch

Damit ist dieses Muster auch weniger deutlich auf eine bestimmte pragmatische Funktion zu reduzieren  – trotzdem lassen sich die Realisierungen auf das gemeinsame Muster zurückführen, das generell die Funktionen der Aufforderung aber auch des (rhetorischen) Fragens und Anklagens erfüllt und die typische Funktion einer Oppositionspartei beschreibt. Tabelle 7 enthält eine kleine Auswahl von komplexen n-Grammen, die typisch für die Grünen sind, kategorisiert nach drei Bereichen. Auffallend sind Mehrworteinheiten, die kritisierende Funktionen aufweisen, wie z. B. die Konstruktion „ADV machen Sie ADV“: Abgemacht? – Nein. Jetzt machen Sie wieder einen Rückzieher; das kennen wir schon. (Anton Hofreiter, 14. 4. 2011) Da machen Sie überhaupt nichts. Da blockieren Sie nur. (Oliver Krischer, 8. 3.2012)

Damit wird dem politischen Gegner, meistens der Regierungskoalition, inkonsequentes Handeln vorgeworfen. Dies geschieht auch mit dem Muster „Sie haben ADV gesagt“: […] kann ich Ihnen immer noch nicht folgen. Sie haben selber gesagt, es gebe durchaus vorrangig zu bedienende Gläubiger […]. (Hans-Christian Ströbele, 19. 5. 2010)

84 

 Noah Bubenhofer

Oppositionelle Parteien kritisieren aber nicht nur, sondern machen auch Vorschläge für alternatives Handeln, wie das Muster „ADV wäre es ADJD“ zeigt: Wir wissen, dass die Aufstockung kommt. Aber meinen die Bundeskanzlerin und die Koalition nicht, dass man der Bevölkerung einmal reinen Wein einschenken sollte? Das führt mich zu Griechenland. Hier wäre es notwendig, deutlich zu sagen: Von Griechenland sind Anstrengungen notwendig. (Priska Hinz, 9. 2. 2012)

Allerdings könnte die pragmatische Funktion solcher Formulierungen komplexer sein, als nur eine alternative Handlung vorzuschlagen („es wäre besser, eine deutliche Aussage zu machen“). Zusätzlich scheint suggeriert zu werden, dass dieses Handeln vom Kritisierten sowieso nicht erwartet werden kann (vgl. für eine ausführliche Diskussion dazu Bubenhofer 2008; Hein/Bubenhofer 2015). Tab. 7: Komplexe n-Gramme mit Realisierungen, typisch für die Grünen (Auswahl) Mehrworteinheit

Freq. K.

Freq. R.

p

TTR

17

47

< 0.01

0,06

21

85

< 0.05

0,04

61

320

< 0.01

0,05

28

120

< 0.05

0,03

Inkonsequenz unterstellen ADV machen/VVFIN Sie/PPER ADV Da machen Sie überhaupt dann machen Sie auch dann machen Sie bitte dann machen Sie doch Nun machen Sie aber Stattdessen machen Sie nur Stattdessen machen Sie wieder Sie/PPER ADV keine/PIAT NN Sie auch keine Lösung Sie hier keine Antwort Sie hier keine Camouflage Sie hier keine Bereitschaft Sie also keine Unwahrheiten Sie/PPER haben/VAFIN ADV gesagt/VVPP Sie haben eben/selber/nämlich/außerdem/ja gesagt Verbote/Ideale aussprechen NN VMFIN sich/PRF nicht/PTKNEG Rassismus darf sich nicht Beschaffung darf sich nicht Staat darf sich nicht Behandlung dürfen sich nicht Kompromisses dürfen sich nicht Frauen müssen sich nicht Bundesregierung sollte sich nicht

Kollokationen, n-Gramme, Mehrworteinheiten 

 85

Tab. 7 (fortgesetzt) Mehrworteinheit

Freq. K.

Freq. R.

p

TTR

11

25

< 0.05

0,1

25

117

< 0.05

0,4

Fragen und kommentieren ADV ADJD gefragt/VVPP ganz konkret/deutlich/spezifisch/klar gefragt etwas salopp/präziser gefragt ADV wäre/VAFIN es/PPER ADJD so wäre es besser Heute wäre es richtig Vielleicht wäre es sinnvoll Hier wäre es notwendig So wäre es dringend Insofern wäre es wirklich

Weiterhin finden sich bei den Grünen typischerweise Aussagen, die über Modalverben Verbote aussprechen oder Ideale benennen („Rassismus/der Staat darf sich nicht“; „Frauen müssen sich nicht“). Bei der Partei „Die Linke“, während der untersuchten Wahlperiode ebenfalls in der Opposition, finden sich ähnliche Muster, die auf diese Rolle zurückzuführen sind (vgl. Tabelle 8). Allerdings finden sich verstärkt Muster, die das Personalpronomen „Sie“ enthalten und damit direkt die Regierung angreifen („Erklären Sie doch einmal“, „wissen Sie eigentlich auch“ etc.). Außerdem finden sich, wie bei allen Parteien, Mehrworteinheiten, die Zahlen beinhalten. Bei der Linken allerdings werden Zahlennennungen typischerweise in dass-Konstruktionen verwendet: Die Bundeskanzlerin hat in der gesamten heutigen Debatte keinen einzigen Satz zur Entwicklungspolitik gesagt. Keinen einzigen Satz! Angesichts der großen Herausforderungen, dass fast 1 Milliarde Menschen hungert und dass aufgrund der Wirtschaftskrise noch mehr Menschen in Armut gefallen sind, zeigt dies die Prioritätensetzung dieser Regierung. Es zeigt auch, dass diese Bundesregierung nicht nur in Deutschland, sondern auch in der internationalen Politik ein Totalausfall ist. (Heike Hänsel, 15. 9. 2010)

Bei der CDU/CSU scheinen die Zahlen nennenden Muster auf den ersten Blick eher deskriptiver Natur zu sein: „Ab dem Jahre CARD“, Nennung von Paragraphen „NN nach NN CARD“ („Telekommunikationsüberwachung nach § 100“) oder Nennung von Beträgen und Anteilen: „von ADV CARD NN“ – „von rund/etwa/fast/lediglich x Prozent/Milliarden“. Wiederum typisch für Oppositionsparteien sind „wir fordern“-Konstruktionen, wobei bei der Linken mit dem Muster „wir fordern ART ADJA“ typischerweise Adjektive in verstärkender Funktion eingesetzt werden („wir fordern die bedingungslose/ vollständige/sofortige […]“).

86 

 Noah Bubenhofer

Tab. 8: Komplexe n-Gramme mit Realisierungen, typisch für die Linke (Auswahl) Mehrworteinheit

Freq. K.

Freq. R.

p

TTR

7

9

< 0.05

0,3

80

310

< 0.05

0,5

24

53

< 0.01

0,25

7

17

< 0.05

0,2

12

25

< 0.05

0,3

45

193

< 0.05

0,03

53

372

< 0.05

0,3

10

25

< 0.05

0,1

13

01.02.04

< 0.05

0,08

58

274

< 0.05

0,02

30

116

< 0.05

0,2

Kritisieren, Inkonsequenzen aufzeigen Erklären/VVFIN Sie/PPER das/PDS ADV Erklären Sie das einmal/doch/mal ADV sagen/VVFIN Sie/PPER jetzt/aber/hier/nun/dann sagen Sie Wissen/VVFIN Sie/PPER ADV ,/$, Wissen Sie eigentlich/auch, NN gehört/VVFIN ADV ,/$, dass/KOUS ART Wahrheit/Praxis/Realität/Würde gehört auch, dass die/der ADV weitermachen/VVFIN wie/KOKOM ADV so/nur weitermachen wir bisher/zuvor VMFIN ,/$, VMFIN ADV will, muss auch/endlich soll/kann, muss auch darf, kann heute will, soll weiterhin Es/PPER VMFIN nicht/PTKNEG sein/VAINF ,/$, dass/KOUS Es kann/darf nicht sein, dass ADJD ist/VAFIN ADV ,/$, dass/KOUS Sie/PPER Schade ist auch/nur, dass Sie Wahr ist vielmehr, dass Sie dramatischer ist aber, dass Sie unverständlicher ist aber, dass Sie Traurig ist allerdings, dass Sie NN ADJD meint/VVFIN ,/$, Menschenrechtspolitik ernst meint, Kinderschutz ernst meint, Machtkontrolle ernst meint, UN-Behindertenrechtskonvention ernst meint, Bildungsdienst ernst meint, Beschäftigungssystem ernst meint, Mit Zahlen argumentieren ,/$, dass/KOUS ADV CARD , dass inzwischen [Zahl] , dass noch/nur [Zahl] ,/$, dass/KOUS ADV mehr/PIAT , dass zehnmal/immer/noch/wieder mehr

Kollokationen, n-Gramme, Mehrworteinheiten 

 87

Tab. 8 (fortgesetzt) Mehrworteinheit

Freq. K.

Freq. R.

p

TTR

25

65

< 0.01

0,05

Fordern Wir/PPER fordern/VVFIN ART ADJA Wir fordern ein umfassendes Wir fordern die sofortige/bedingungslose/vollständige Wir fordern den rechtssicheren

Die CDU/CSU-Vertreter/innen im Parlament argumentieren weniger angriffig (vgl. Tabelle 9). Viele Mehrworteinheiten haben das Potenzial, ein Wir-Gefühl auszulösen („unsere Bürgerinnen und Bürger“, „unserer gemeinsamen Sache“, „wirtschaftliche Erfolg unserer deutschen Unternehmen“). Zudem müssen die Angriffe der Oppositionsparteien abgewehrt werden, indem bestimmte politische Handlungen legitimiert werden. Dies geschieht z. B. durch Behauptung von Deutlichkeit und Offenheit: Abgewandert wird, weil in unserem Land gerade Hochschulabsolventen schlicht und ergreifend zu wenig gezahlt wird, weil sie mit Praktika abgespeist werden, während sie in anderen Ländern sofort unbefristete Anstellungen bekommen. Deswegen sage ich in aller Deutlichkeit: Es ist auch ein ganz entscheidender Beitrag der deutschen Wirtschaft gefragt, selbst etwas dafür zu tun, um attraktiver im Kampf um die klugen Köpfe in aller Welt zu werden. (Reinhard Grindel, 28. 10. 2010)

Um Gesetzesvorlagen zu legitimieren, beruft sich die CDU/CSU häufig auf „die Zukunft unseres Landes“  – oder auch die „Zukunftsfähigkeit“, „Sicherheit“ oder „Fortentwicklung“ des Landes. Die Vertreter/innen der Linken verwenden typischerweise weniger oft Referenzen auf die „Zukunft“ und es findet sich kein signifikantes Muster, das von der Zukunft „unseres Landes“ spricht. Zur Thematisierung der Zukunft passend verwendet die CDU/CSU signifikant häufiger als die anderen Parteien die Phrase „wir sind auf einem guten Weg“ (und Varianten), die meist eine beschwichtigende Funktion haben: Was Sie gesagt haben, ist nicht wahr! Das hat auf der Seite der Fachpolitiker natürlich keinen Jubel hervorgerufen; aber wir sind auf dem richtigen Weg und werden diesen Weg in den nächsten Beratungen fortsetzen. Wir haben eine Schuldenbremse in das Grundgesetz eingebaut. Diese Schuldenbremse wird erstmals 2011 Wirkung zeigen. (Jürgen Herrmann, 20. 5. 2010)

Eine ähnliche, beschwichtigende Funktion könnte der Mehrworteinheit „das eine oder andere Mal“, „die eine oder andere Diskussion“ etc. (mit Varianten) zugesprochen werden.

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 Noah Bubenhofer

Wir stehen am Anfang dieser neuen Regierungskoalition, die wir uns als Wahlziel gewünscht haben. Deswegen bin ich mir, auch wenn es die eine oder andere Diskussion gibt – wo gibt es sie nicht? –, sicher, dass uns dieser gemeinsame Wunsch, unserem Land zu helfen, aus der Krise herauszukommen, neue Perspektiven zu entwickeln und jungen Menschen Chancen zu geben, der getragen davon ist, Deutschland in eine gute Zukunft zu führen, die Kraft geben wird, nicht nur am Anfang stark zu sein, sondern über vier Jahre hinweg stark zu bleiben. (Volker Kauder, 10. 11. 2009)

Die großen Meinungsverschiedenheiten während der Koalitionsbildung relativiert Kauder im Zitat als „die eine oder andere Diskussion“, um danach die gemeinsame Grundlage der Koalition zu beschwören. Tab. 9: Komplexe n-Gramme mit Realisierungen, typisch für die CDU/CSU (Auswahl) Mehrworteinheit

Freq. K.

Freq. R.

p

TTR

87

149