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German Pages 190 Year 1974
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 248
Sozialversicherung und Privatversicherung Dargestellt am Beispiel der Krankenversicherung
Von
Walter Leisner
Duncker & Humblot · Berlin
WALTER LEISNER
Sozialversicherung u n d Privatversicherung
Schriften
zum Öffentlichen B a n d 248
Recht
Sozialversicherung und Privatversicherung Dargestellt am Beispiel der Krankenversicherung
Von P r o f . D r . W a l t e r Leisner
D U N C K E R & H U M B L O T / B E R L I N
Alle Rechte vorbehalten © 1974 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1974 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 03229 2
Vorwort Die Sozialversicherung ist eine mächtige und allgemein anerkannte Realität i n der BRD. I n ihrer Entwicklung ist Deutschland bahnbrechend gewesen, diese Form sozialer Sicherung ist unverzichtbar, sie verdient wahrhaft den lobenden Namen einer sozialen Errungenschaft. I m freiheitlichen Rechtsstaat des Grundgesetzes findet jedoch jede Veranstaltung der Staatsgewalt i m weitesten Sinn des Wortes ihre Schranke i n der Freiheit des Bürgers. Dies gilt auch für die Sozialversicherung, die weithin auf hoheitlichem Zwang beruht und öffentlichrechtlich organisiert ist. Hier hat sich, vor allem i n den letzten Jahren, eine bedeutende Expansion gezeigt. Immer neue Gruppen der Bevölkerung sind i n die Sozialversicherung einbezogen worden, deutlich zeichnet sich der Zug zu einer allgemeinen Pflicht-Volks Versicherung ab. Viele sehen darin eine Übersteigerung der Gedanken der Sozialversicherung und warnen davor, den freien Bürger zum Kostgänger von Zwangsversicherungseinrichtungen zu machen, welche individuelle Lebensvorsorge ausschließen. Besonders betroffen durch die Expansion der Sozialversicherung sind die Unternehmen der privaten Versicherungswirtschaft, deren Möglichkeiten durch die Erweiterung der Pflichtversicherung, aber auch infolge der häufig ungleichen Konkurrenz m i t freiwilligen Leistungen der Sozialversicherung, erheblich, teilweise bis zur Existenzbedrohung, beschränkt werden. Es ist eine wichtige Frage der Grundrechtlichkeit, ob ein so bedeutender Zweig der freien, privaten Wirtschaft, wie i h n die Privatversicherung darstellt, durch eine Expansion der Sozialversicherung immer weiter zurückgedrängt oder gar beseitigt werden darf, ob darin nicht eine eigentümliche Form „kalter Sozialisierung" liegt. Dies soll hier unter besonderer Berücksichtigung der Krankenversicherung untersucht werden. Das Problem ist jedoch, weit darüber hinaus, von grundsätzlicher Bedeutung: Letztlich geht es um die Beziehungen zwischen Sozialversicherung und Privatversicherung ganz allgemein, vor allem darum, ob die Verfassung einer weiteren Expansion der Sozialversicherung Schranken setzt. Und hier treten nicht nur die großen Fragen des öffentlichen Rechts auf — von der Sozialstaatlichkeit bis zur LeistungsVerwaltung —: Dies ist ein wichtiger Aspekt des Grundproblems heutiger Staatlichkeit überhaupt, der individuellen Freiheit
Vorwort
6
i m Sozialstaat; denn hinter den Rechten der Privatversicherer steht das Recht jedes Bürgers auf individuelle Gestaltung seiner sozialen Sicherheit, seines Lebens. Hier muß ein angemessener Ausgleich zwischen Einzelpersönlichkeit und Gemeinschaft gefunden werden. I n einem Verfassungsstaat verlangt eine so bedeutsame Frage nach einer Lösung am Leitbild des Grundgesetzes. Dies ist die Aufgabe dieser Untersuchung. Herrn Dr. Helmut Lecheler danke ich sehr herzlich für all seine wertvolle Hilfe. Dem Inhaber des Verlages Duncker & Humblot gebührt mein besonderer Dank für die freundliche Übernahme der Arbeit i n die öffentlich-rechtliche Reihe. Erlangen, den 1. Mai 1974 Walter
Leisner
I n h a l t s verzeichni s A. Die Expansion der gesetzlichen sungsproblem — Allgemeines
Krankenversicherung
als Verfas11
I. Die Ausweitung der Sozialversicherung
11
1. Expansion der Krankenversicherung
11
2. Die Ausweitung der Sozialversicherung u n d die P K V
15
3. Die Gefährdung der P K V — Stand der Diskussion
18
4. Die Expansion der G K V als Problem der Sozialversicherung i m ganzen 20 I I . Die Expansion der Sozialversicherung als Verfassungsproblem
21
1. Gesetzgeberische Freiheit
21
2. Grundrechtsschranken
22
3. Staatsorganisatorische Begrenzungen
23
I I I . Plan der Untersuchung B. Grundrechtsverletzung
24 durch Erweiterung
der Sozialversicherung
..
I. Die beeinträchtigten Grundrechtsträger
26 26
1. Grundrechte der Pflichtversicherten — Die Zulässigkeit der Pflichtversicherung
26
2. Grundrechte der Heiltätigen
31
3. Grundrechte der Versicherer
32
I I . Verletzung der Berufs- u n d der Eigentumsfreiheit der privaten V e r sicherer durch Hoheitsmaßnahmen i m Bereich der Sozialversicherung
35
1. Verletzung der Berufswahlfreiheit
35
2. Verletzung der Eigentumsfreiheit
40
C. Rechtfertigung der Expansion
einer Erweiterung der Pflichtversicherung der Sozialversicherung
— Grenzen
I. Notwendigkeit einer Legitimation aus dem Begriff der Sozialversicherung 1. Erforderlichkeit der speziellen Hechtfertigung
47
47 47
2. Notwendigkeit der Legitimation aus bestimmten Aufgaben u n d Organisationsmerkmalen der Sozialversicherung 48
8
Inhaltsverzeichnis
I I . Die Aufgaben der Sozialversicherung — ihre E r f ü l l u n g als „überragend wichtiges Gemeinschaftsgut" 1. Sozialversicherung als Sozialpolitik
50 50
2. Die Aufgabe des „Ausgleichs" als Wesensmerkmal der Sozialversicherung
52
a) Sozialer Ausgleich als Aufgabe der Sozialversicherung
52
b) Unbestimmtheit des Begriffs
53
c) Ungeeignetheit als Abgrenzungskriterium
54
3. Die „Schutzbedürftigkeit"
55
a) Die Entwicklung des Begriffs der Schutzbedürftigkeit
55
b) Rechtsprechung
57
c) Die Abgrenzungsbedeutung der „Schutzbedürftigkeit"
58
d) Sozialversicherung als Grundsicherung
59
e) Schutzwürdigkeit u n d Grundrechtsschutz
61
4. Insbesondere: Das Schutzbedürftigkeitskriterium u n d die bisherige Rechtsprechung des BVerfG
62
I I I . Organisatorische Wesenselemente der Sozialversicherung als Schranken ihrer Expansion 1. Die allgemeine Bedeutung der „organisatorischen mente" der Sozialversicherung
Strukturele-
2. Exkurs: Sozialversicherung als Versicherung, Versorgung, Fürsorge oder als Mischform?
68 68 70
a) Sozialversicherung als Assekuranz
70
b) Sozialversicherung als Fürsorge — oder Versorgung
76
c) Unangemessenheit des Versorgungsbegriffs f ü r die K r a n k e n versicherung
79
d) Problematik der Begriffe Versicherung, Versorgung, Fürsorge — Notwendigkeit begrifflicher Neuorientierung
81
3. Die wesentliche Organisationsform der Sozialversicherung: A u t o nome Solidarität
84
a) Verhältnis von Autonomie u n d Solidarität
84
b) Die Selbstverwaltung u n d die Grenzen der Erweiterung der Sozialversicherung
84
c) Homogene Solidarität als Grenze der Sozialversicherungsexpansion
88
4. Organisationsprinzipien als Schranken u n d als Legitimation der Sozialversicherung — Zusammenfassung
96
a) Ergebnisse der organisationsrechtlichen Untersuchung
96
b) Selbstverwaltung u n d Homogenität
97
I V . Staatszuschüsse als Rechtfertigung u n d Grenze der Sozialversicherung
98
1. Staatszuschüsse — Wesenselement der Sozialversicherung? — E n t wicklungszustand, Fragestellung
98
2. Die Begründung der Staatszuschüsse
100
Inhaltsverzeichnis 3. Staatszuschüsse u n d Pflichtversicherung — Ersatz der Subventionen durch Expansion? 104 V. Die Quasi-Volksversicherung als „kalte Enteignung"
109
1. Expansion als Verstaatlichung
109
2. Verstaatlichungstendenzen i m Versicherungswesen
110
3. Unzulässigkeit einer Sozialisierung der Privatversicherung
112
4. Die „Sozialisierungsschwelle" i n der Versicherungswirtschaft — Bedeutung des Eigentumsschutzes f ü r die Grenzbestimmung der Sozialversicherung 114 V I . Legitimation der Expansion der Pflichtversicherung aus der Sozialstaatlichkeit 116 1. Die Fragestellung
116
2. Die Geltung des Sozialstaatsprinzips
117
3. Der „ I n h a l t " der Sozialstaatlichkeit und die Ausweitung der Sozialversicherung 121 4. Sozialstaatlichkeit u n d Sozialversicherung i n der Rechtsprechung 124 D. Die Sozialversicherung
als Konkurrenz
der Privatversicherung
. . . . 128
I. Die Fragestellung — Schwierigkeiten, der „Konkurrenz" Schranken zu setzen 128 I I . Die „freiwillige Sozialversicherung" als Leistungsverwaltung — voller Grundrechtsschutz 129 1. Gleichstellung von Pflicht- u n d freiwilliger Sozialversicherung . . 129 2. Die Folge: Voller Grundrechtsschutz auch gegen Veranstaltungen der freiwilligen Sozialversicherung 130 3. Der öffentliche Zweck — Legitimation der freiwilligen Sozialversicherung als Leistungsverwaltung, nicht als „wirtschaftliches Staatsunternehmen"? 132 4. Freiwillige Sozialversicherung unternehmen"?
durch
„wirtschaftliches
Staats-
133
I I I . Die freiwillige Sozialversicherung als Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen H a n d — Legitimation 136 1. Legitimation durch Grundrechte des Fiskus? 2. Freiwillige Sozialversicherung öffentliche Unternehmen"
als
„Wirtschaftslenkung
136 durch
138
3. Erwerbswirtschaftliche Konkurrenzunternehmen der öffentlichen Hand bedürfen keiner speziellen Legitimation 139 I V . Die Grundrechte als Schranken einer erwerbswirtschaftlichen w i l l i g e n Sozialversicherung 1. Grundrechtsschutz gegen Konkurrenz — Allgemeines
frei-
141 141
2. Grundrechtsschutz der Privatversicherung gegen freiwillige Sozialversicherung 143 a) Berufsfreiheit
143
Inhaltsverzeichnis
10 b) Eigentumsfreiheit
146
c) Wettbewerbsfreiheit
149
3. Ergebnis: Verpflichtung zur Zurückhaltung i n der Sozialversicherung
freiwilligen
150
V. Die Privilegien der freiwilligen Sozialversicherung i m Wettbewerb zur Privatversicherung 151 1. Der allgemeine Wettbewerbsvorsprung der Sozialversicherung — die Risikolosigkeit 151 2. „Zulässige" Privilegien der freiwilligen Sozialversicherung
154
3. Der Einsatz staatlicher Finanzhilfe — Auswirkungen zugunsten der freiwilligen Sozialversicherung 156 4. Die Notwendigkeit der Wettbewerbsverzerrrung freiwilligen Sozialversicherung
zugunsten der
158
5. Ergebnis aus dem Wettbewerbs vor sprung f ü r das Verhalten der öffentlichen H a n d 158 E. Institutionelle, staatsorganisatorische sicherungsverfassung" der BRD
Aspekte — Die „bipolare
Ver-
I. Die These von der „gemischten Versicherungsverfassung"
161 161
1. Die „gemischte" Versicherungsverfassung
161
2. Die Bedeutung des institutionellen Ansatzes f ü r den Versicherungsbereich 163 I I . Grundlagen u n d Begründung einer bipolaren Versicherungsverfassung 164 1. Kompetenzrecht u n d Bipolarität
164
2. Instituts gar antien u n d bipolare Versicherungsverfassung
167
I I I . Die bipolare Versicherungsverfassung u n d die „Wirtschaftsverfassung" des GG 170 1. Bipolare Versicherungsverfassung und „Wirtschaftsverfassung der sozialen Marktwirtschaft" 170 2. Die bipolare Versicherungsordnung als Ausdruck einer „gemischten Wirtschaftsverfassung" 173 I V . Zusammenfassung: Sicherung der Privatversicherung i n einer bipolaren Versicherungsverfassung 175 F. Prinzip und Formen versicherung
des Zusammenwirkens
von Privat-
und Sozial-
I. Der Grundsatz des komplementären Zusammenwirkens I I . Hauptformen möglichen Zusammenwirkens
177 177 178
1. Die Wahlmöglichkeit zwischen P r i v a t - u n d Sozialversicherung
178
2. Das „ M o d e l l " Grund- Individualversicherung
181
Schlußbemerkungen
184
Α . D i e E x p a n s i o n der gesetzlichen K r a n k e n v e r s i c h e r u n g als Verfassungsproblem — A l l g e m e i n e s I. Die Ausweitung der Sozialversicherung 1. Expansion der Krankenversicherung
a) Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) 1 zeigt seit ihrem Entstehen i m Jahre 1883 ein dauerndes Wachstum, dessen Kontinuität i m ganzen auch durch Kriegs-, Besatzungs- und Krisenzeiten nicht unterbrochen wurde. Die Zahl der gesetzlich Versicherten sowie derjenigen, welche entsprechende Beihilfen erhielten, betrug: 1885 1910 1930 1952 1969
4,3 13 19,5 22,5 24,4
Millionen Millionen Millionen Millionen Millionen 2 .
Das Wachstum verlangsamte sich i n den letzten Jahren, hielt jedoch an: 1969 1973
24,4 M i l l i o n e n 25,3 Millionen.
Die Verlangsamung der Expansion ist wohl allein darauf zurückzuführen, daß i m Jahre 1973 bereits 93,7 °/o aller Erwerbstätigen 3 öffentliche Leistungen der Krankenversicherung erhielten, während der Anteil der allein bei der privaten Krankenversicherung gesicherten Erwerbstätigen auf 5,6 °/o abgesunken ist. Die absolute Expansionsgrenze ist also nahezu erreicht. b) Die gesetzestechnische Form, i n der diese Ausweitung sich vollzog, war einerseits die Beseitigung einer Verdienstgrenze für die Weiterversicherung — sie wurde bereits 1941 vollzogen, als durch Erlaß des 1 Unter dieser Bezeichnung sowie unter dem Begriff „Sozialversicherung" werden i m folgenden die Einrichtungen der Sozialversicherung i. e. S. (AOK) sowie die Ersatzkassen zusammengefaßt (Stolte , E., Vesper , Ε. Α., Die Ersatzkassen der Krankenversicherung, 7. Α., 1973). 2 Zahlen nach Bogs, W., Grundlagen des Hechts der soz. Sicherheit u n d seiner Reform, 1955, S. 48 sowie nach dem Sozialbericht 1972, B T 6. Wahlp. Drucks VI/3432, S. 2. 3 Zahlen nach dem Sozialbericht 1972, a.a.O.
Die Expansion der
als Verfassungsproblem
R e i c h s a r b e i t s m i n i s t e r s die Grenze v o n d a m a l s R M 600 aufgehoben w u r d e 4 . V o r a l l e m aber w u r d e n l a u f e n d die Versicherungspflichtgrenzen erhöht — v o n D M 350 i m J a h r e 1949 b i s auf D M 1 200 i m J a h r e 1970, D M 1 575 i m J a h r e 1972. A u f diese Weise w u r d e v e r h i n d e r t , daß d u r c h d i e a l l g e m e i n e E i n k o m m e n s s t e i g e r u n g e i n i m m e r größerer Personenkreis aus d e r P f l i c h t v e r s i c h e r u n g herauswachsen k ö n n t e . Diese E n t w i c k l u n g ist v o r l ä u f i g d a m i t abgeschlossen, daß a b 1 . 1 . 1 9 7 1 die Beitragsbemessungs- u n d zugleich Pflichtversicherungsgrenze a u f 75 °/o der Beitragsbemessungsgrenze der R e n t e n v e r s i c h e r u n g festgesetzt w o r d e n i s t 5 . Diese D y n a m i s i e r u n g w i r d m i t S i c h e r h e i t z u m i n d e s t jene a l l g e m e i n e B e s i t z s t a n d s w a h r u n g b r i n g e n , w e l c h e die B u n d e s r e g i e r u n g wünscht6. c) D u r c h besondere, settoriale B,eformen w u r d e n w e i t e r e A u s w e i t u n gen i n letzter Z e i t vollzogen. I m M i t t e l p u n k t standen zwei Maßnahmen: — D i e soziale K r a n k e n v e r s i c h e r u n g w u r d e g r u n d s ä t z l i c h f ü r alle A n g e s t e l l t e n u n d d a m i t f ü r alle A r b e i t n e h m e r g e ö f f n e t 7 . D e r Gesetzgeber h a t sich d a b e i ü b e r B e d e n k e n hinweggesetzt, w e l c h e gegen diese E r w e i t e r u n g u n t e r B e r u f u n g a u f die S i t u a t i o n der l e i t e n d e n A n g e s t e l l t e n 8 u n d a u f die g e r i n g e V e r b e s s e r u n g der F i n a n z l a g e der 4 Dazu Ollmann, H., Probleme der Koexistenz zwischen privater u n d gesetzlicher Krankenversicherung, ZVersWiss 1970, S. 279 (280). Z u Bestrebungen nach 1945, eine feste Grenze wieder einzuführen, vgl. ders., a.a.O., S. 292. 5 Z u dieser Dynamisierung vgl. allg. Handwörterbuch des Steuerrechts, 1972, S. 946/7; zur hist. Entwicklung siehe Prange, P., Die gesetzliche K r a n kenvers. i n der Zeit der Weimarer Republik, Festgabe f. J. Krohn, B e r l i n 1954, S. 209 (2231). β Sozialbericht 1972, a.a.O., S. 11. 7 Vgl. dazu Sozialbericht 1971, B T 6. Wahlp. Drucks. VI/2155, S. 11: „Durch das Gesetz zur Weiterentwicklung des Rechts der gesetzlichen K r a n k e n versicherung v o m 21.12.1970 (BGBl I, S. 1770) ist allen Angestellten der B e i t r i t t zur gesetzlichen Krankenversicherung ermöglicht worden. Nach dem bisher geltenden Recht waren Angestellte i n der gesetzlichen K r a n k e n versicherung n u r dann versichert, w e n n i h r Gehalt die Versicherungsgrenze nicht überschritt oder w e n n sie sich nach dem Überschreiten dieser Grenze f r e i w i l l i g weiterversicherten. Angestellte, die als Berufsanfänger ein über der Versicherungspflichtgrenze liegendes Gehalt bezogen, hatten dagegen keinen Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung. Diese Benachteiligung der Angestellten gegenüber den Arbeitern, die ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Arbeitsentgeltes der gesetzlichen Krankenversicherung angehören, ist nunmehr beseitigt worden." — Z u r geschichtl. E n t w . vgl. hier Prange, P., (FN 5), S. 214, 218, 221; vgl. zur Entw. allg. Holler, Α., Der erste Schritt zur Weiterentwicklung der G K V ist erfolgt, Die Krankenversicherung, 1971, S. 5/6.
8 Vgl. dazu allg. Schmidt, W., Die Aufhebung der Versicherungspflichtgrenze i n der Rentenversicherung der Angestellten, B B 1968, S. 305 (307), vgl. auch Philipp, W., Verf.r. Zweifelsfragen i n der G V der leitenden A n gestellten, 35. Dt. Anwaltstag (1969).
I. Die Ausweitung der Sozialversicherung
13
G K V 9 vorgetragen wurden. Der Zusammenhang dieser „Öffnung" m i t ähnlichen Bestrebungen i n der Rentenversicherung ist unverkennbar 1 0 . Hauptargument war, daß sich die gesetzliche Abgrenzung der Versicherungspflichtigen und der (Weiter-)Versicherungsberechtigten auf kein plausibles Prinzip mehr gründen lasse und daher als willkürlich angesehen werden müsse 11 . — Für die Landwirte wurde eine gesetzliche Krankenversicherung geschaffen; damit gehört erstmals eine geschlossene Gruppe von Selbständigen zu dem geschützten Personenkreis 12 . Die Erweiterung ist u m so bedeutsamer, als hier auch die mitarbeitenden Familienangehörigen ohne Arbeitsvertrag der Krankenversicherungspflicht unterliegen. Auch hier ist die Verbindung m i t rentenrechtlichen Entwicklungen deutlich 1 ^. d) Die Expansion der sozialen Krankenversicherung beschränkt sich nicht darauf, daß der Kreis der (möglichen) Versicherten erweitert wird, sie zeigt sich auch i n der Verbesserung der Versicherungsleistungen. Das Schwergewicht liegt hier ζ. Z. bei der Früherkennung von Krankheiten 1 4 , sowie auf dem Ausbau der vorbeugenden Gesundheitspflege 15 , einem alten Anliegen der G K V 1 6 . Damit soll ersichtlich vor allem die A t t r a k t i v i t ä t der G K V dort gesteigert werden, wo diese i n Konkurrenz zur P K V steht. e) Die Expansion der GKV ist keineswegs abgeschlossen. Die auf Beschluß des Bundestages i m A p r i l 1970 eingesetzte Sachverständigen9 Zander, L., Krankenversicherungsreform u n d Finanzlage der K r a n k e n kassen, Die Sozialvers. 1969, S. 79 (81 f.). 10 Dazu etwa Bogs, W., Verf.r. Fragen zur Aufhebung der Jahresarbeitsverdienstgrenze i n der Rentenversicherung der Angestellten, DVB1 1969, S. 335 f. 11 So schon die Sozialenquête-Kommission i n i h r e m Bericht v o n 1966, „Soziale Sicherheit i n der B R D " , S. 259. Die Gutachter meinen sogar, die konsequenteste Lösung des Problems sei die „Pflichtmitgliedschaft aller Erwerbstätigen i n der G K V v o m E i n t r i t t i n das Erwerbsleben an" (a.a.O., S. 260; ähnlich allg. für die Sozialversicherung Achinger, H., Sozialpolitik als Gesellschaftspolitik, 1958, S. 95/6). 12 Sozialbericht 72, S. 1, Zahlen vgl. S. 15. Vgl. dazu ο. V., W a r u m die Glieder u n g gefährden?, D V Z 1970, S. 297/8; Tervooren, F., Lehrstück „ K v d L " , K r V 1972, S. 217 f.; Fischwasser, G., Das Gesetz über die Krankenversicherung der L a n d w i r t e , K r V 1972, S. 237 ff.; Bogs, W., Neue Rechtsgestaltungen i m landwirtschaftlichen Sozialrecht, SGb 1973, S. 1 (5). 13 Z u diesen, insbes. zur Altershilfe für Landwirte, vgl. u. a. Schieckel, M., Gesetz über die Altershilfe der Landwirte, Stand 1972 (4. Α.), insbes. die S. X X I V f. (allg. Ausf.) sowie zur Lage der L a n d w i r t e i n der Sozialversicherung Wannagat, G., Lehrb. d. Sozial-Vers.R. 1965, I., S. 378 f. 14 Einzelheiten vgl. i m Sozialbericht 72, a.a.O., S. 11/12, u n d Sozialbericht 73 BTDS 7/1167, S. 16/7. 15 Dazu Winterstein, H., Soziale Sicherung i m Spannungsfeld von Freiheit u n d Bindung, D V Z 1970, S. 101 (108/9). 16 Siehe Prange, P., (FN 5), S. 224/5.
Die Expansion der
als Verfassungsproblem
kommission z u r W e i t e r e n t w i c k l u n g der G K V befaßt sich 1 7 v o r a l l e m m i t der m ö g l i c h e n E r w e i t e r u n g der G K V i n d e n bereits (vgl. oben c, d) vorgezeichneten B a h n e n : Erweiterung des geschützten Personenkreises (vor a l l e m a u f Studenten 18, Behinderte, möglicherweise Beamte19), andererseits Verbesserung der Leistungen u n d d a m i t zugleich noch größere A t t r a k t i v i t ä t i m K o n k u r r e n z b e r e i c h m i t der P K V 2 0 . H i n t e r diesen B e s t r e b u n g e n steht e i n größeres Konzept der Bundesregierung, das der B u n d e s m i n i s t e r f ü r A r b e i t u n d S o z i a l o r d n u n g w i e folgt erläutert hat: „Solche Reformen deuten eine grundsätzliche Kursänderung i n unserem System der sozialen Sicherheit an: Die Sozialversicherung — bisher v o r wiegend auf die Arbeitnehmer ausgerichtet — w i r d i n Z u k u n f t den einzelnen Staatsbürger i n den M i t t e l p u n k t ihrer Überlegungen rücken, gleichgültig ob er berufstätig ist oder n i c h t 2 1 . " F ü r die K r a n k e n v e r s i c h e r u n g bedeutet dies: Das E n d z i e l i s t eine a l l gemeine V o l k s - K r a n k e n v e r s i c h e r u n g i m R a h m e n d e r G K V . O f f e n b l e i b t d a n n n u r e i n Zweifaches: — S o l l eine solche V o l k s s i c h e r u n g i m K r a n k h e i t s f a l l a u f eine G r u n d s i c h e r u n g b e s c h r ä n k t b l e i b e n oder v o l l e n Versicherungsschutz, i n j e d e r g e w ü n s c h t e n H ö h e a n b i e t e n können? 17 Dazu i m einz. Sozialbericht 71, a.a.O., S. 16; vgl. auch Schmatz, H., Reiter, H., Entwicklungstendenzen i n der gesetzlichen Krankenversicherung, K r V 1971, S. 224/5. 18 die sie inzwischen vorgeschlagen hat, vgl. Sozialbericht 73, S. 16. Bundesarbeitsminister Arendt hatte dies besonders hervorgehoben, i n : Kennzeichen sozial — Wege u n d Ziele der sozialen Sicherung, 1972, S. 153; zu dem Problem vgl. grdl. Isensee, J., Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, 1973, m. umfangr. Nachw.; Scholz, R., Isensee, J., Z u r Krankenversicherung der Studenten, PKV-Dokumentation, 1973; Bogs,H., Die verf.r. Zulässigkeit der bundesgesetzlichen Einführung einer Pflichtversicherung d. Studenten, Gutachten (masch.), 1971; zur früheren Lage: Albrecht, G., Die Versicherungsfreiheit entgeltlicher Beschäftigungsverhältnisse Studierender, Die Sozialversicherung 1968, S. 363 ff.; zur Schülerunfallversicherung: Hahn, R., S chülerunf all Versicherung — Privatversicherung oder Sozialversicherung, D V Z 1971, S. 5 f. Die Sachverständigenkommission beim B M i n f. Arbeit und Sozialordnung regt an, die eingeschriebenen Studierenden an Hochschulen und Fachhochschulen i n die Pflichtversicherung der G K V einzubeziehen (vgl. K r V 1972, S. 290); neuerdings hat die CDU/CSU-Fraktion i m B T einen entsprechenden A n t r a g betr. „Neuordnung der studentischen Krankenversicherung" eingebracht, der auf Pflichtversicherung m i t Befreiungsmöglichkeit hinausläuft (BT 7. Wahlperiode, Drucks. 7/1096). !9 Dazu Köttgen, Α., Der soz. Bundesstaat, Festg. f. Muthesius, 1960, S. 20 (37). Vgl. dazu auch den Bericht der Studienkommission f. d. Reform d. öff. Dienstrechts, 1973, S. 333 f. 20 Die Sachverständigenkommission p r ü f t dabei insbesondere die Verbesserung der medizinischen Versorgung i n Randgebieten u n d die des Vertrauensärztlichen Dienstes sowie die Stärkung der Position der G K V auf dem Arzneim i t t e l m a r k t (vgl. Sozialbericht 71, a.a.O., S. 16). 21 I n : Kennzeichen sozial, 1972, S. 153.
I. Die Ausweitung der Sozialversicherung
15
— W i r d eine Befreiungsmöglichkeit von der G K V für den Fall vorgesehen, daß ein voller privater Versicherungsschutz nachgewiesen wird? Die mögliche, zu erwartende weitere Expansion w i r d sich also jedenfalls i n zwei Richtungen vollziehen: — „horizontal" durch die Einbeziehung weiterer Kategorien i n Pflicht oder Möglichkeit der Versicherung i n der GKV. — „vertikal" durch Hinaufsetzen der Grenze des Versicherungszwangs sowie durch Steigerung des Versicherungsangebotes der GKV, über mannigfache Formen der Zusatzversicherung bis zu einer Vollversicherung. W e n n beides e r r e i c h t ist, so besteht d i e „ V o l k s v e r S i c h e r u n g " 2 2 . 2. Die Ausweitung der Sozialversicherung und die P K V
a) Die Rivalität zwischen G K V und P K V besteht von jeher 2 3 : Beide sind i m selben Bereich, auf demselben „ M a r k t " tätig. Daß das „Geschäft" der P K V durch die G K V beeinträchtigt wird, bedarf hier keiner Begründung. Wesentlich ist jedoch die rechtliche Qualifikation der Beeinträchtigungen, welche die P K V hinzunehmen hat; sie liegen auf zwei rechtlich zu unterscheidenden Ebenen: — Durch hoheitlichen Eingriff w i r d der P K V ein erheblicher Teil des Versicherungsgeschäfts unmöglich gemacht, das ihr sonst unbestritten weitgehend zufiele: soweit Pflichtversicherung besteht, verbunden m i t dem Versicherungsmonopol der GKV, also ohne Befreiungsmöglichkeit durch privaten Versicherungsschutz. Hier setzt der Staat obrigkeitliche Gewalt gegen Staatsbürger ein und beeinträchtigt als klassischer Hoheitsstaat deren wirtschaftliche Freiheitssphäre. — Durch Konkurrenz seitens der G K V w i r d die P K V i n verschiedenen Bereichen getroffen: Soweit Versicherungspflicht m i t Befreiungsmöglichkeit besteht. ^
I n allen Fällen der Weiterversicherung
22 Z u Tendenzen i n diesem Sinn vgl. Heyn, W., Die soziale Sicherung der Selbständigen, Festg. f. J. Krohn, 1954, S. 126 (144f.); Paschek, W., Z u r Problematik der Vers.Pfl. i n den gesetzl. Rentenversicherungen, Diss. B e r l i n 1968, S. 46; Bogs, H., Die Sozialversicherung i m Staat der Gegenwart, 1973, S. 324, 394; Wannagat, G., A u f dem Wege zur Volksversicherung, Festschr. f. E. Fechner, 1973, S. 207 (insbes. 216); k r i t . Liefmann-Keil, E., Z u r E n t w i c k lung der Sozial vers.reform, Versicherungswissenschaft 1951, S. 223 f. 23 Allg. zur hist. Entwicklung Zweigert, K., Reichert-Facilides, F., Verfassungsfragen der Gebäudepflicht- und -monopolversicherung, ZVersWiss 1971, S . l (111).
Die Expansion der
als Verfassungsproblem
•tK I n den Bereichen, wo (von Anfang an) lediglich die Möglichkeit einer G K V eröffnet ist, ohne daß diese aber je Pflicht wäre Überall dort, wo die G K V über eine (Pflicht-)Grundsicherung hinaus weitergehenden (freiwilligen) Versicherungsschutz anbietet. b) Die horizontale und vertikale Expansion der GKV beeinträchtigen beide die PKV durch hoheitlichen Eingriff und Konkurrenzer Weiterung: Die Öffnung der G K V bewirkt bei Einbeziehung weiterer Gruppen i n die Pflichtversicherung eine eindeutige Marktverengung für die PKV, bei Eröffnung der Versicherungsmöglichkeit schafft sie der G K V ein neues Feld der Konkurrenz. Die vertikale Ausweitung bei gleichbleibendem Personenkreis, dem der Zugang zur G K V eröffnet ist, w i r d dagegen sowohl über eine Veränderung der Pflichtversicherungsgrenze, als auch über eine Verbesserung der Leistungen, insbesondere durch das Angebot weitergehenden Versicherungsschutzes erfolgen und damit einerseits neue Wettbewerbsräume der G K V erschließen, andererseits die Konkurrenzsituation der P K V allgemein verschlechtern. Bei einer horizontalen Ausweitung der G K V verbinden sich also u. U. hoheitlichmonopolisierende Beeinträchtigungen m i t verschiedenartigen Verschiebungen der Wettbewerbslage, w e i l das gesamte i n anderen Bereichen geltende System der Weiter- und Zusatzversicherungsmöglichkeit zugleich auch auf den neu einbezogenen Personenkreis erstreckt wird. Dasselbe gilt aber auch für die vertikale Expansion: Auch hier w i r d i. d. R. eine und dieselbe hoheitliche Maßnahme (Anhebung der Pflichtversicherungsgrenze) zugleich den bisherigen Markt der P K V verengen und, wenigstens indirekt, die Konkurrenzsituation i n den verbleibenden Bereichen zuungunsten der P K V verschieben, vor allem durch verbesserte finanzielle Möglichkeit der Zusatzleistungen bei Erhöhung des Aufkommens aus der Pflichtversicherung 24 . Die vertikale Expansion kann allerdings, ebenso wie die horizontale, allein durch Konkurrenzeröffnung, ohne Einsatz hoheitlicher Gewalt, wirksam werden 2 5 . c) Die vorstehend versuchte nähere begriffliche Erfassung und Kategorisierung des Phänomens der Expansion der Sozialversicherung durch die Begriffspaare horizontale-vertikale, obrigkeitliche-konkurrenzerweiternde Veränderung ist Voraussetzung für eine vertiefende Erfassung der Auswirkungen der SKV auf die P K V . Es ergeben sich 24 Dies ist übrigens auch das erklärte Ziel der Expansion der G K V , vgl. etwa Arendt, W., i n : Kennzeichen sozial, 1972, S. 149; für die Rentenvers, vgl. Bogs, W., DVB1 1969, S. 335 (337); Schmidt, W. (FN 8), S. 307; Zander, L. (FN 9). 2 5 I n d e m etwa (vertikal) Zusatzversicherungen von der G K V angeboten oder (horizontal) die Beitrittsmöglichkeit ohne Beitrittszwang eröffnet w i r d .
I. Die Ausweitung der Sozialversicherung
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daraus, als Ausgangspunkt der folgenden Untersuchung, wesentliche Erkenntnisse: — Die P K V w i r d gleichermaßen durch die horizontale wie durch die vertikale Expansion der G K V getroffen. Da allerdings schon weit über 80 °/o der möglichen Versicherungsnehmer (irgendwie) bei der G K V versichert sind, sind den Auswirkungen einer horizontalen Erweiterung durch Einbeziehung neuer Personenkreise Grenzen gesetzt. Die vertikale Expansion ist dagegen in einer für die PKV gefährlichen Weise Steigerungsfähig: Durch das Angebot P K V gleicher Zusatzversicherungen könnte, wenn dies zulässig wäre, das private Versicherungsgeschäft i n diesem Bereich völlig zum Erliegen gebracht werden. — Horizontale und vertikale Expansion der GKV werden zwar kombiniert werden, wenn es etwa darum gehen sollte, durch Einführung einer Volks-Krankenversicherung die P K V völlig zu verdrängen. Begrifflich aber wie praktisch läßt sich beides ohne weiteres trennen: Der Gesetzgeber könnte ebenso der P K V das Versicherungsgeschäft für einzelne Gesellschaftsgruppen völlig überlassen, für die anderen jedoch gesetzliche Vollversicherung einführen, wie er auch die horizontale Expansion der G K V vollenden, diese jedoch (weiterhin) als eine A r t von Grundsicherung auffassen kann, über die hinaus private Zusatzversicherung möglich sein soll. Die bisherige Entwicklung zeigt zwar, daß meist beide Richtungen zugleich eingeschlagen worden sind; aus sozialpolitischen Gründen ist es jedoch kaum vorstellbar, daß nur die vertikale Expansion vorangetrieben, die horizontale dagegen unterbrochen werden wird: Je „besser" die G K V funktioniert, desto größer w i r d der Anreiz sein, weitere Gruppen i n sie einzubeziehen. Die P K V w i r d also allenfalls zunächst versuchen können, sich beiden Expansionsformen gleichermaßen zu widersetzen. Die Entscheidung wird jedoch bei der vertikalen Expansion fallen. Gelingt hier der G K V ein Durchbruch, so w i r d die volle Einbeziehung aller noch außerhalb der G K V stehenden Gruppen die notwendige Folge sein. Wie zugkräftig immer also auch Argumente gegen die Einbeziehung weiterer Kreise i n die G K V sein mögen, sie werden voraussichtlich dann völlig überholt, wenn der G K V eine entscheidende vertikale Expansion gelingt. — Sämtliche Expansionsformen werden zugleich durch hoheitliche und durch konkurrenzerweiternde staatliche Maßnahmen verwirklicht. Dabei bestehen vielfache Wechselwirkungen zwischen hoheitlichem Eingriff gegen die P K V und Zulassung der G K V zur Konkurrenz mit dieser auf neuen Gebieten. Als Expansionsinstrumentarien sind beide 2 Leisner
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— Eingriff und Konkurrenzerweiterung — weitgehend austauschbar: Wenn etwa eine attraktive volle Zusatzversicherung von der G K V angeboten wird, so bedarf die öffentliche Hand nicht mehr der hoheitlichen Waffe des Versicherungszwangs, um weitere Gruppen i n die G K V zu drängen, sie werden von selbst beitreten, wenn nicht echte, volle Konkurrenzgleichheit besteht. Ob diese überhaupt möglich ist, w i r d noch zu untersuchen sein 26 . Sozialpolitisch und wirtschaftlich w i r d man also die Beziehungen G K V - P K V weithin als eine Einheit sehen und nicht nach den Mitteln differenzieren können, durch die sie — obrigkeitlich oder durch Konkurrenzerweiterung — verändert werden. Rechtlich jedoch muß unterschieden werden, ob ein hoheitlicher Eingriff vorliegt (Pflichtversicherung ohne Befreiungsmöglichkeit), oder ob die öffentliche Hand i n Wettbewerb zu privaten Unternehmen tritt. Die Problematik der rechtlichen Betrachtung liegt gerade darin, daß sie nach Instrumenten differenzieren muß, wo die Wirkungen weithin identisch sind. Der heutigen Verfassungsdogmatik entsprechend w i r d also vom hoheitlichen Eingriff auszugehen sein, jener Pflichtversicherung, welche ja auch die Konkurrenzsituation wesentlich berührt. Erst dann kann nach der Zulässigkeit einer Wettbewerbserweiterung gefragt werden, vor allem, wenn diese ähnliche oder gleiche Wirkungen hervorbringt. 3. Die Gefährdung der P K V — Stand der Diskussion
Angesichts der außerordentlichen Dynamik der Expansion der SKV ist es kaum verständlich, daß i m Schrifttum die Gefährdung der P K V bisher nur am Rande erwähnt und dann noch meist m i t beruhigenden Äußerungen rasch abgetan worden ist. So w i r d behauptet, eine eigentliche „Konkurrenz" gebe es hier gar nicht 2 7 , die heutige wirtschaftliche Wirklichkeit biete ein B i l d der Befriedung 28 , es gehe hier nur um Grenzstreitigkeiten 2 ^. Angesichts der Größenordnung der Erweiterung der G K V seien die Besorgnisse der P K V unbegründet 30 — während zugleich diese Maßnahmen als bedeutender sozialpolitischer Schritt dargestellt werden. Die Privatversicherung sei ständig gewachsen, 26 Vgl. unten D.V. 27 So Schricker, H., Wirtsch. Tätigkeit der öff. H a n d u n d unlauterer W e t t bewerb, 1964, S. 46, m i t der unzutreffenden Behauptung, auch bei einem Wahlrecht der Versicherten sei kein Wettbewerb gegeben, w e i l j a lediglich die Privatunternehmer die Z a h l ihrer Abnehmer erhöhen wollten. 28 Zweigert, K., Reichert-Facilides, F. (FN 23), S. 13. 29 Bogs, H., Sozialversicherung, S. 476. 30 So Arendt, W., i n : Kennzeichen sozial, 1972, S. 149, anläßlich der E r weiterung der G K V i m Angestelltenbereich.
I. Die Ausweitung der Sozialversicherung
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zwischen SKV und P K V gebe es keinen Kampf u m einen fest begrenzten Markt, vielmehr dehne sich der für beide Institutionen vorhandene Raum ständig aus 31 . Daß diese Behauptung versicherungswirtschaftlich nicht richtig sein kann, bedarf hier keines Nachweises. Selbst wenn die P K V angewachsen ist, so schließt das Benachteiligungen durch die G K V nicht aus, weil ja gefragt werden müßte, wo die P K V angesichts der jetzigen Wirtschaftsentwicklung stünde, wenn es die G K V oder einzelne ihrer Veranstaltungen nicht gäbe. Ganz offensichtlich ist also die Diskussion, sieht man vom eigentlichen Verbandsschrifttum ab, von einer allgemeinen Beruhigungs-, Ausklammerungs- und Stillhaltetendenz geprägt. Nur selten w i r d überhaupt auf die Gefährdung der P K V hingewiesen 32 , und die rechtlichen Aspekte sind, für den Bereich der Krankenversicherung jedenfalls 33 , kaum behandelt worden 3 4 . Das Schrifttum w i r d von Autoren beherrscht, deren Hauptproblem ersichtlich die Darstellung und dogmatische Bewältigung der Expansion der Sozialversicherung ist, nicht deren Auswirkung auf die PKV. Die P K V kann also nicht damit rechnen, daß sie i n ihrer Konkurrenzposition (i. w. S.) gegenüber der G K V auf dogmatisch gesichertem Boden steht 35 . Diesen müßte sie vielmehr erst schaffen. Erschwert w i r d dies 31 A.S., H a t die Individualversicherung ihre Z u k u n f t schon hinter sich?, Z f V 1973, S. 183 berichtet dies aus einem Vortrag von Jantz auf der Tagung d. Dt. Vereins f. Vers.wiss. i n K i e l 1973. 52 Vgl. etwa XJllmann, H. (FN 4), passim; Frey , E., Die Z u k u n f t d. P r i v a t assekuranz, i n : VersW 1968, S. 9 f. 33
Gelegentlich finden sich Äußerungen zum Konkurrenzverhältnis Sozialversicherung - Privatversicherung (vgl. etwa Paschek, W., Z u r Problematik der Versicherungspflicht i n der gesetzlichen Rentenversicherung, Diss. B e r l i n 1968, S. 131 f.; Rohrbeck, W., Roehrbein, E., Z u m Problem der Realisierbarkeit der Vorschläge d. Rothenfelser Denkschr. über „Die Neuordnung d. soz. Leistungen", S. 28 f. ; Möller, M., Sozialversicherung u n d Privatversicherung, i n : SGb 1970, S. 81 (83)). Sie bleiben meist i m Allgemeinen. 34 Erst i n neuester Zeit beginnt die Diskussion, vgl. Scholz, R., P K V - D o k . 1973, S. 42; Isensee, J., Umverteilung, S. 71 - 3. Bogs, H., Sozialversicherung, S. 475 f. Gerade die Behandlung d. Problems durch Bogs läßt die Schwierigkeiten dieses Neulandes deutlich erkennen. Früher finden sich soweit ersichtlich n u r allgemeine Äußerungen so etwa Schneider, H., Die Alterssicherung freier Berufe nach dem GG, 1959, S. 27/8. 35 Grundrechtsdogmatisch ist die Frage bisher offenbar n u r anläßlich des Streits u m die Gebäudeversicherung aufgetreten u n d auch n u r für diesen besonderen Bereich sind Vorstellungen entwickelt worden, die sich nicht ohne weiteres auf die Privatversicherung i m ganzen oder auf die P K V i m besonderen übertragen lassen, w e i l hier die speziellen Fragestellungen der »Sozialversicherung nicht auftreten. Vgl. v o r allem Bettermann, Κ . Α., Die Verfassungsmäßigkeit von Versicherungszwang u n d Versicherungsmonopolen öff.r. Anstalten, insbes. b. d. Gebäudefeuerversicherung, Wirtsch.R. 1973, S. 184 ff., 241 ff. (195 f.); Zweigert, K., Reichert-Facilides, F. (FN 23), S. 4 f. 2*
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erheblich dadurch, daß die bisherige Diskussion weit mehr versucht hat, die sozialpolitischen Entscheidungen des Gesetzgebers zu systematisieren und weiter zu denken, als sie auf ihre Berechtigung grundsätzlich zu untersuchen. So kann geradezu der Eindruck entstehen, als bewege sich die G K V i n einer A r t von verfassungsfreiem Raum der Sozialgestaltung. Die folgende Untersuchung hat diese Vorstellungen kritisch zu untersuchen. 4. Die Expansion der G K V als Problem der Sozialversicherung i m ganzen
Die Erweiterung der G K V hat sich von Anfang an stets i m Rahmen der Entwicklung der gesamten Sozialversicherung vollzogen; i n den letzten Jahren ist die Einbindung der G K V i n die allgemeine Dynamik der Sozialversicherung, vor allem der Rentenversicherung, besonders deutlich geworden 36 . Es finden sich zwar gelegentlich Äußerungen zur Sonderstellung der Krankenversicherung von grundsätzlichem Gewicht 3 7 , ein dogmatisch entwickeltes „Recht der Krankenversicherung" aus der Sicht des öffentlichen Rechts gibt es nicht. Für die P K V hat sich dies i m ganzen ungünstig ausgewirkt: Hinter den Beschränkungen, denen sie durch die Ausweitung der Sozialversicherung unterworfen wird, steht die ganze sozialpolitische Macht der gesamten Sozialversicherung, insbesondere die Rechtfertigung der Rentenversicherung. M i t ihr muß sich auseinandersetzen, wer der Expansion der G K V irgendwo Schranken setzen w i l l . Hier zeigen sich die dogmatischen Wirkungen der RVO-Kodifikation. Und mag rechtstechnisch die lex specialis vorgehen — sozialpolitisch und rechtsgrundsätzlich schlägt i n der Regel die lex generalis durch. Die konkreten Abgrenzungsversuche G K V - P K V müssen dieser „Grundstimmung" Rechnung tragen, die den gesamten Bereich aus der Sicht der Sozialversicherung heraus bereits fest geprägt hat; sie dürfen daher nicht nur punktuelle Lösungen anbieten, müssen diese vielmehr i n einem gesamtorganisatorischen Systemdenken an der Gesamtentwicklung der Sozialversicherung orientieren, mit deren Begründungen i n Einklang zu bringen suchen. I n diesem Sinn versteht sich die folgende Untersuchung als ein Beitrag zum gesamten Sozialversicherungsrecht, so wie die Beziehung P K V - G K V nur ein Einzelphänomen derselben ist. Darin liegt auch die vielleicht größte Gefahr für das private Versicherungswesen: Die grundsätzliche, von der Literatur ratifizierte Ein36 Vgl. dazu oben 1. b, c. 37 So etwa Bogs, W., nach dem die Krankenpflege immer mehr aus dem System der Versicherung herausfällt (FN 2), S. 59 f. (62).
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heit der Problematik erlaubt es dem Sozialgesetzgeber, zahllose kleine Schritte auf den verschiedenen Versicherungsgebieten zu tun und damit das „sozialpolitische Tempo" nicht nur frei zu bestimmen, sondern auch zu verschleiern. Durch die zentral einheitlichen Begründungen sind eben diese vielen Einzelbewegungen stets i n eine einzige Richtung gelenkt — auf die eine große soziale Sicherung hin. Und damit w i r k t auch jeder Einzelschritt wieder als Begründung des nächsten; denn wer die Prinzipien der Deduktion beherrscht, kann jedes Einzelphänomen induktiv auf diese Ziele „hinauf" ausrichten: Jeder Einzelschritt kann der Begründung entraten — und w i r d doch zugleich zur Begründung des nächsten. Diese quantitativ so bedeutsame, qualitativ eigenartige, i m ganzen aber für die private Versicherung gefährliche Expansion der Sozialversicherung gilt es nun als Verfassungsproblem zu erfassen, wobei stets drei Fragen zentral sind: 1. Gibt es Grenzen der horizontalen Ausdehnung? Dürfen (alle) weiterein) Personenkreise i n die Sozialversicherung einbezogen werden? 2. Kann sich die Sozialversicherung vertikal unbegrenzt ausdehnen: darf sie insbesondere alle (Zusatz-)Leistungen anbieten? 3. Welche Formen des Zusammenwirkens, der Gemeinsamkeit von G K V und P K V kommen i n Betracht zur Herstellung eines Zustandes, der „möglichst nahe bei der Verfassung" steht? II. Die Expansion der Sozialversicherung als Verfassungsproblem Ι . Gesetzgeberische Freiheit
Das Schrifttum befaßt sich weit überwiegend entweder m i t einer Beschreibung und Systematisierung des geltenden Gesetzeszustandes oder aber mit dessen sozialpolitischer Begründung oder K r i t i k . Dies ist nicht Gegenstand der folgenden Untersuchung: Sie beschäftigt sich weder mit Gesetzestechnik noch primär mit Rechtspolitik. Es geht vielmehr darum, welche Grenzen die Verfassung dem Gesetzgeber zieht. I m Sozialversicherungsrecht ist diese Problematik als solche — dies muß einmal deutlich gesagt werden — kaum mehr bewußt. Für viele mag die weite gesetzgeberische Freiheit, die das BVerfG dem Gesetzgeber gewährt 3 8 , das Problem überhaupt aufheben. Praktisch vollzieht 38 erheblicher Spielraum" (E 29, S. 221 (232)); „nicht jede Enttäuschung 44 ist unzulässig (E 24, S. 220 (230)) ; „weiter Raum zur freien Gestaltung" (E 18, S. 257 (273)) ; „Entscheidungen des Gesetzgebers (sind) hinzunehmen, solange nicht offensichtlich fehlsam oder m i t der Wertordnung des GG unvereinbar" (E14, S. 288 (301)); „weites Gestaltungsermessen des Gesetzgebers" (E10, S. 354 (371)).
Die Expansion der
als Verfassungsproblem
sich die Diskussion meist so, daß der Gegenstand geschaffen w i r d durch ein „souveränes Schalten m i t den Möglichkeiten der Sozialversicherung zugunsten höherer Zwecke"; „erst wenn das Gesetz da ist u n d einige Zeit i n K r a f t bleibt, verlegt sich die Argumentation auf den Disput u m die dem Gesetz selbst entnommenen Begriffe, bis sich schließlich diese Begriffe i n ihrer eigenen Welt völlig befestigen und abgrenzen" 39 . Die Diskussion ist nicht akzessorisch.
so sehr verfassungsrechtlich
als vielmehr
gesetzes-
Demgegenüber gilt es hier, die Grenzen der gesetzgeberischen Freiheit aufzuzeigen — oder den Nachweis zu führen, daß das Recht der Sozialversicherung ein verfassungsfreier Raum ist. 2. Grundrechtsschranken
a) Das Schrifttum vermittelt w e i t h i n den Eindruck, als bewege sich die gesetzgeberische Sozialpolitik i n einem wenn nicht verfassungs-, so doch grundrechtsfreien Raum. Das BVerfG bezieht sich i n seinen allgemeinen Wendungen 4 0 nicht auf Individualrechte. M i t beachtlichen Gründen ist prinzipiell bezweifelt worden, ob gegenüber (solchem) typisch sozialstaatlichem Vordringen des Gesetzgebers Grundrechte überhaupt eine Schranke bilden können 4 1 . Dennoch hat diese Untersuchung von den Grundrechten der privaten Versicherer auszugehen. Nicht nur, w e i l i h r Wesensgehalt jedenfalls den Gesetzgeber auch hier bindet 4 2 , sondern vor allem, w e i l sich aus ihnen i m wesentlichen jene „Wertordnung" des GG ergibt, welche die Grenze des gesetzgeberischen Ermessens bildet. b) Das Schwergewicht etwaiger Grundrechtswirkung liegt dabei jedoch mehr auf ihren institutionellen Wirkungen 43, als auf ihrem individual-rechtlichen Anspruchsgehalt: Die Grundrechte sind, gerade i n der Sozialpolitik, zu verstehen als „besondere und selbständige Verstärkungen und Verbürgungen bestimmter Rechtspositionen, Einrichtungen und Verfassungsprinzipien, die jeweils von der aktuellen geschichtlichen Lage und dem Schutzbedürfnis gegen spezielle Gefährdungen der menschlichen Lage i n ihrer Ausformung geprägt werden" (Scheuner). 39 Achinger, H., Sozialpolitik als Gesellschaftspolitik, 1958, S. 114/5; zur haushaltsrechtlichen Freiheit des Gesetzgebers vgl. Röttgen, A. (FN 19), S. 43. 40 Vgl. F N 38. 41 Grundlegend dazu Weber, W., Die verfassungsrechtlichen Grenzen sozialstaatlicher Forderungen, Der Staat 4 (1965), S. 409 (436 f.). 42 Lerche, P., Schutz der Persönlichkeitssphäre i m Bereich der sozialen Sicherheit, in: Freiheit und Bindung i m Recht der soz. Sicherheit, Bd. I X d. Schriftenreihe d. Dt. SG-Verbandes, o. J., S . U . 43 Dazu grdl. (neben Weber, W. (FN 41)) Scheuner, U., DÖV 1971, S. 505.
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Schranken können der Sozialversicherung letztlich nicht punktuell, sondern nur „systematisch" gezogen werden, denn — gegen die „kleinen Schritte" h i l f t nicht der konkrete Anspruch, sondern allein der institutionelle Ansatz. — es ist nicht nur politisch aussichtslos, der sozialpolitischen Dynamik m i t einzelnen Abgrenzungen begegnen zu wollen, es ist auch verfassungsdogmatisch verfehlt, weil i n aller Regel das öffentliche Interesse der Sozialpolitik seine Grenze nicht i n einzelnen Individualinteressen finden kann, sondern nur i n deren Bündelung, welche allein die institutionelle Grundrechtswirkung schafft. Wie nur organisierte Individualinteressen Sozialpolitik mitgestalten können, so kann diese auch nur i n institutionell integrierter Grundrechtlichkeit ihre Schranke finden. 3. Staatsorganisatorische Begrenzungen
a) Institutionell verstandene Grundrechte 44 wirken als Prinzipien der Staatsorganisation. Damit sind die eigentlichen, wirksamen Grenzen einer unangemessenen Ausweitung der Sozialversicherung nicht so sehr i m klassischen Grundrechtsbereich, als vielmehr i m Staatsorganisationsrecht zu finden. Die Sozialversicherung ist Teil der Staatsorganisation, sie beschäftigt einen erheblichen Teil der öffentlichen Bediensteten i m Bundesgebiet. Ihre Gestaltung ist ein zentrales Element der Finanzverfassung i n der grundgesetzlichen Ordnung 4 5 . Die Bestimmung ihrer Aufgaben ist von wesentlicher Bedeutung für die Dogmatik der Staatsaufgaben und für die organisatorischen Formen ihrer Erledigung (Monopole). Dies alles aber kann, selbst wenn man von grundrechtsgesicherten Institutionalisierungen absieht, nicht als VerwaltungsGesetzes-Problematik abgetan werden; angesichts der fundamentalen Bedeutung für die gesamte Staatsorganisation gewinnt es vielmehr verfassungsrechtliche Dimension. M i t Recht w i r d daher neuerdings die Frage der Versicherungsverfassung des GG systematisch aufgeworfen 46 . Diese wesentlich staatsorganisatorische, von individuellen Ansprüchen gelöste Betrachtung w i r d von den Kompetenznormen des GG ausgehen, haushaltsrechtliche Gesichtspunkte berücksichtigen und schließlich die institutionellen Grundrechts verbürgungen zum Tragen bringen 4 7 . 44 Vgl. oben l . b . 45 Dazu Isensee, J., Umverteilung, S. 9 f., 29 f. 46 Vgl. etwa Bogs, H., Sozialversicherung, S. 476 f.; ders., Gutachten (FN 18), S. 8; Zweigert, Κ . , Reichert- Facilides, F. (FN 23), S. 11 f. 47 I m Sinne der „grundrechtsinstitutionellen Festlegung von Sozial werten", Stern, K., Burmeister, J., Die kommunalen Sparkassen, verfassungs- u n d verwaltungsrechtliche Probleme, 1972, S. 101.
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b) Die Besonderheit dieser gesamtsystematisch-staatsorganisatorischen Betrachtungsweise, verbunden m i t der institutionellen Wirkung der Grundrechte, schließt es aus, daß diese Untersuchung überall scharfkantige, anspruchsabgrenzende Ergebnisse anstreben kann. Es kommt hier weniger auf die Verfassungswidrigkeit einiger unter den „kleinen Expansionsschritten" der Sozialversicherung an, als vielmehr darauf, ob deren Ziele m i t der Verfassung vereinbar sind. Und dabei muß der Allgemeinheit der Freiheitsbedrohung die Allgemeinheit des Maßstabes des staatlichen Handelns entsprechen: Es kann also nicht nur die eine oder andere Norm des GG bemüht werden, entscheidend ist dessen systematischer Zusammenhang, wesentlich ist hier wirklich einmal der zu oft beschworene „Geist des Grundgesetzes". Der Buchstabe der Verfassung könnte die Sozialpolitik töten, ihr Geist allein kann sie frei machen, sie i n Freiheit erhalten. c) So steht denn diese Untersuchung nicht nur vor sachlichen, sie hat auch ein methodisches Problem: Kann es gelingen, durch Staatsgrundsätzlichkeit allgemeiner Gesellschaftspolitik letzte Grenzen zu setzen — oder drängt falsch verstandener Positivismus jede echte Rechtsgrundsätzlichkeit i n die Unverbindlichkeit der Verfassungspolitik? Dazu soll die hier geforderte staatsorganisatorische Betrachtung nicht verführen. I h r geht es allein u m systemkonforme Grenzen dynamischer Sozialversicherungspolitik. Diese w i r d und kann nicht vor Rechten und Privilegien einzelner Halt machen. Sie muß aber ihre Grenzen i n der Staatsordnung finden, welche Sicherheit und Freiheit 4 8 allen Bürgern garantiert. Die Expansion der Sozialversicherung ist ein Faktum, sie ist kein unabänderliches sozialpolitisches Schicksal 49 . Die Verfassung kapituliert nicht vor Entwicklungen, sie ordnet sie. I I I . Plan der Untersuchung Zunächst ist zu klären, welche Grundrechte gegenüber der Sozialversicherung den Freiheitsraum des Bürgers sichern (Teil B). Sie bestimmen zugleich auch die Wertordnung, welche das Organisationssystem 48 Z u r grundsätzlichen Freiheitsbedeutung der Problematik vgl. u. a. Scheuner, U., V V d S t L 28, S. 231/2; Ipsen, H.P., ebda, S. 246/7; Achinger, H. (FN 39), S. 98 f.; ders., Zur Problematik der Einkommensverteilung, i n : K ü l p , B., Schreiber, W., Soziale Sicherheit, 1971, S. 199 (2041); ders., Neuordnung d. soz. Leistungen, 1955, S.22f.; Bogs, W. (FN 2), S. 31; Paschek, W. (FN 22), S. 200 f.; Hug, W., Priv.vers. u n d Soz.vers. — Schweiz. Zeitschrift f. Soz.vers. 1963, S. 1 ff., 98 ff., 135 ff. (200/1). 49 M i t Recht rügt Zacher (Soziale Sicherung i n der sozialen Marktwirtschaft, VSSR 1973, S. 97 (120 f.)), daß sie „generell allzu unbesehen als u n u m k e h r barer Prozeß hingenommen w i r d " .
I I I . Plan der Untersuchung
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der Versicherungsverfassung prioritätsmäßig berücksichtigen muß. Freiheitsbeeinträchtigungen durch die Sozialversicherung sind hier unter dem Gesichtspunkt des hoheitlichen Eingriffs zu behandeln, d. h. der Pflichtversicherung m i t Monopolcharakter und ihrer (hoheitlichen) Auswirkungen auf das Konkurrenzverhältnis G K V - PKV. Die Stellung der Grundrechtsfrage w i r d ergeben, daß die Expansion der Sozialversicherung grundrechtsbeschränkend w i r k t . Sie bedarf daher der Rechtfertigung, sei es aus dem Wesen einer Sozialversicherung, die als solche verfassungsrechtlich legitim ist, sei es aus allgemeinen oder speziellen Verfassungsnormen (Teil C). Beantwortet ist damit die Frage nach den Grenzen staatlicher Eingriffsmöglichkeit i n der Sozialversicherung durch Einsatz hoheitlicher Gewalt. Da aber die Beeinträchtigung Privater, die Ausgestaltung der Versicherungsverfassung schlechthin, wesentlich durch Eröffnung neuer Konkurrenzräume erfolgt, ist noch besonders zu prüfen, ob hier der öffentlichen Hand weitergehende Möglichkeiten eröffnet sind als bei hoheitlichen Eingriffen, ob insbesondere die grundrechtsgeprägte sozialrechtliche Wertordnung gegen Auswirkungen staatlicher Konkurrenz i n gleicher Weise wie gegen Eingriffe geschützt ist. Vorgreiflich ist die Entscheidung der Frage, ob es in diesem Bereich überhaupt „echte Konkurrenz" geben kann (Teil D). Damit läßt sich nicht nur die Frage nach den grundrechtlichen Grenzen der Sozialversicherungsexpansion prinzipiell beantworten, es werden auch die Ordnungsprinzipien des objektiven Rechts der „Versicherung sverfcissung" deutlich, in deren Rahmen sie sich halten muß (Teil E). Schließlich sind unter Berücksichtigung der aufgefundenen Grenzen der Sozialversicherung mögliche Leitlinien verfassungskonformer künftiger Sozialpolitik aufzuzeigen, welche insbesondere die Möglichkeiten des Zusammenwirkens öffentlicher und privater Träger berücksichtigen (Teil F).
Β . Grundrechtsverletzung d u r c h E r w e i t e r u n g der Sozialversicherung I. Die beeinträchtigten Grundrechtsträger Als Modellfall für eine mögliche Grundrechtsverletzung gelte i m folgenden die Einbeziehung neuer Personenkreise, etwa sämtlicher freiberuflich Tätiger i n die Pflichtversicherung. Nach dem hoheitlichen Eingriffscharakter steht dem gleich die Erhöhung der Pflichtversicherungsgrenze oder deren Abschaffung. Durch solche Maßnahmen könnten Grundrechte der Versicherten, Versicherer oder Heiltätigen verletzt werden.
der
1. Grundrechte der Pflichtversicherten — die Zulässigkeit der Pflichtversicherung
a) Das BVerfG vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, die deutsche Sozialversicherung sei grundsätzlich Pflichtversicherung und deshalb von der Zustimmung der Versicherten nicht abhängig 50 . Das Gericht hat dementsprechend die Ausdehnung der Pflichtversicherung auf verschiedene neue Kategorien ausdrücklich gebilligt: auf die höherverdienenden Angestellten 51 , auf gewisse freiberuflich Tätige 5 2 und auf die Landwirte 5 3 . Das Schrifttum hat dem nicht mehr widersprochen 54 und auf die Notwendigkeit des Versicherungszwanges zugunsten der Sozialversicherung so Vgl. etwa BVerfGE 10, S. 354 (363); 12, S. 319 (323 f.); 14, S. 288. si BVerfGE 29, S. 221 (236 f.); dem Gesetzgeber bleibt hier die Bestimmung der „Schutzbedürftigkeit" — wer aus der Pflichtversicherung wegen höherem Verdienst ausscheidet, ist eben dann nicht sicherungsbedürftig (E 24, S. 220 (235)). 52 B V e r f G E 10, S. 354 (365 f.); 11, S. 105 (117 f.); 12, S. 319 (323). a. A. zur Begründung aus dem Begriff der Sozialversicherung B a y V e r f G H n F 12 I I , S. 14 (18). 53 BVerfGE 25, S. 314 (315 f.). 54 Vgl. etwa Wannagat, G., Lehrbuch I, S. 393; Bogs, W., Bericht auf dem 43. DJT, „Die E i n w i r k u n g verfassungsrechtlicher Normen auf das Recht der soz. Sicherheit", G 5 (34/5) (dort Nachw. zu abweichenden Auffassungen); Bogs, H., Sozialversicherung, S. 531 f.
I. Die beeinträchtigten Grundrechtsträger
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hingewiesen, die andernfalls ihre Aufgaben kaum erfüllen, insbesondere keinen „Ausgleich" herbeiführen könne 5 5 . Damit sind zwei Entscheidungen gefallen: Einerseits w i r d der Ver Sicherungsztvang als zulässig angesehen, zum anderen die Zwangsversicherung bei den Einrichtungen der Sozialversicherung. Beides berührt die Freiheitssphäre der Pflichtversicherten, denn eine Pflichtversicherung mit Wahlrecht des Versicherers beläßt immerhin, wie i m Fall der KfzVersicherung, dem Bürger ein Wahlrecht und ist daher weniger freiheitsbeschränkend als der Zwangszusammenschluß i n einer öffentlichrechtlichen Zwangskörperschaft 56 . I n den Verfassungsprozessen gegen die Pflichtversicherung haben sich die Betroffenen gegen die Verpflichtung als solche, nicht primär gegen die Form der Zwangsorganisation gewendet. Das BVerfG hat daher beides zugleich ohne die an sich gebotene Differenzierung unter Hinweis auf Wesen und Bedürfnisse der Sozialversicherung gerechtfertigt. Bedauerlicherweise ist deshalb das an sich durchaus mögliche Modell einer Pflichtversicherung mit Wahlmöglichkeit nicht näher untersucht worden. Diese Rechtsprechung mag überhaupt weithin den Eindruck hervorgerufen haben, daß m i t der ersten Grundsatzentscheidung des BVerfG die Frage des Grundrechtsschutzes gegen die Sozialversicherung endgültig und allgemein zugunsten der öffentlichen Gewalt entschieden worden sei. Dies ist jedoch unzutreffend. Nur über die Grundrechtsberührung der Pflichtversicherten ist geurteilt worden, und selbst hier zeigt die Rechtsprechung, daß die Frage weder allgemein entschieden worden ist, noch überhaupt so entschieden werden kann: — Das BVerfG hat i n allen Entscheidungen zur Sozialversicherung stets die Grundrechte der Pflichtversicherten grundsätzlich eingehend geprüft. Sie bilden also prinzipiell auch hier eine Schranke der Gesetzgebung 57 . — Das BVerfG betrachtet die Gestaltung der Sozialversicherung als eine Ermessensentscheidung des Gesetzgebers, der die i h m von der Verfassung gezogenen Grenzen beachten muß 5 8 . Insbesondere müssen sich stets einleuchtende Gründe für Differenzierungen finden lassen 59 . 55 Wannagat, G., a.a.O., S. 18; Bogs, W. (FN 2), S. 26; grdl. dazu bereits Richter, L., Sozialversicherung 1939, S. 13 f.; zur „ P r a k t i k a b i l i t ä t " vgl. BVerfGE 29, S. 221 (243); 29, S. 245 (257). 56 K l a r erkannt ist diese Unterscheidung bei Bettermann, K . A . (FN 35), S. 190 f. 57 BVerfGE 28, S. 324 (348/9). 58 BVerfGE 18, S. 38 (46). 59 a.a.O., S. 47 f.
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Β . Grundrechtserletzung durch Erweiterung der SozV
— Die Erforderlichkeit 6 0 und die Verhältnismäßigkeit 6 1 des Grundrechts eingriff s müssen auch i m Sozialversicherungsrecht stets gewahrt werden. b) Praktisch bedeutsame Schranken werden sich allerdings aus diesen Prinzipien i n Zusammenhang m i t Grundrechten der Pflichtversicherten nur selten gewinnen lassen. Dies ergibt sich jedoch nicht so sehr aus dem Wesen der Sozialversicherung und einer etwaigen besonderen Bedeutung derselben. Es folgt vielmehr daraus, daß die Pflichtversicherung i n aller Regel die so Verpflichteten grundrechtlich nur am Rande berührt und daher im allgemeinen insoiueit verfassungsgemäß ist. — Art. 9 Abs. I GG I'Vereinigungsfreiheit) ist begrifflich nicht berührt 6 2 und zwar nicht, weil A r t . 9 Abs. I GG „nur" das Recht zu privaten Zusammenschlüssen betrifft — auch dieses w i r d übrigens durch den Zwangszusammenschluß öffentlichen Rechts verletzt — vielmehr richtet sich der Zugriff des Staates nicht primär auf den Zusammenschluß-Aspekt der Freiheit des Bürgers, sondern auf das Ob und Wie der sozialen Sicherung. Daß diese i n einem Zusammenschluß mit anderen erfolgt, ist, wie sich noch zeigen wird, nicht von wesentlicher Bedeutung für die Sozialversicherung. Sachnahe Grundrechte sind Art. 12 und 14 GG, weil die soziale Sicherung keinen „wesentlichen Vereinigungsaspekt" hat. — Art. 12 Abs. I GG (Berufsfreiheii) w i r d bei den Pflichtversicherten in der Regel nicht verletzt. Die Berufstätigkeit w i r d meist nicht so zentral beeinflußt, daß eine Berufswahlregelung vorläge 63 . Als Berufsausübungsregelung 64 w i r d die Pflichtversicherung jedoch durch den allgemeinen Gesetzesvorbehalt gedeckt. — Art. 14 GG (Eigentumsrecht) w i r d schon deshalb i n der Regel nicht verletzt, weil den Versicherten keine Eigentumsposition entzogen wird. Sie werden vielmehr verpflichtet, sich eine solche zu schaffen — wenn man überhaupt sozialversicherungsrechtliche Stellungen als „Eigentum" ansieht 65 . 60 Dazu Bettermann, K . A. (FN 35), S. 190; k r i t . zu neueren gesetzgeberischen Begründungen unter diesem Gesichtspunkt Schmidt, W. (FN 8), S. 306. Vgl. etwa BVerfGE 29, S. 221 (242); dazu Bogs, H., Sozialversicherung, S. 496, 514 f.; vgl. auch Bogs, W., DVB1. 1969, S. 335 (337/8). 62 Nachw. zur Rspr. d. B V e r f G und zum Meinungsstand siehe bei Isensee, J., Umverteilung, S. 66/7, sowie noch Bogs, H., Sozialversicherung, S. 483; Doerry, Α., Die Rechtsstellung der Pflicht- u n d Monopolanstalten der Gebäudeversicherung, i m Gem. M a r k t , Diss. Hamburg 1965, S. 68/9; Zweigert, K., Reichert-Facilides, F. (FN 23), S. 9/10. es BVerfGE 10, S. 354 (362). 64 Bogs, H., Sozialversicherung, S. 513. 65 Überblick über Rspr. u. L i t . bei Meydam, J., Eigentumsschutz u n d sozialer Ausgleich i n der Sozialversicherung, 1973, S. 15 f.
I. Die beeinträchtigten Grundrechtsträger
29
— Art. 2 Abs. I GG (allgemeine Handlungsfreiheit der Versicherten) ist zwar Maßstab der Sozialversicherungsgesetzgebung 66 w i r d jedoch von dieser i n der Regel nicht verletzt 6 7 , weil er unter allgemeinem Gesetzesvorbehalt steht. — Eine Verletzung des Art. 3 Abs. I GG (Allgemeine Gleichheit) ist an sich möglich, doch steht dem Gesetzgeber hier ein so weiter Ermessensraum offen 68 , daß eine Erweiterung der Versichenmgspflicht kaum als verfassungswidrig erscheinen kann, es sei denn, sie erfolge aus eindeutig sachwidrigen Erwägungen 69 . Angesichts der jetzigen Ausdehnung der Versicherungspflicht w i r d sie sogar i n der Regel mit Gleichheitserwägungen gerechtfertigt werden 7 0 . Insoweit sind die Grundrechte der Versicherten eher Begründung als Grenze des Versicherungszwanges. — Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. I I GG) 7 1 gewährt begrifflich auch die Freiheit, den Weg der Wiederherstellung angegriffener Gesundheit oder zur Rettung bedrohten Lebens durch Heilbehandlung frei zu wählen. Es begründet zwar wohl kein Recht auf Tätigwerden der staatlichen Gesundheitsvorsorge 72 , jedenfalls keinen Anspruch auf eine bestimmte A r t der Versorgung 7 3 ; dies schließt aber nicht aus, daß es einen Abwehranspruch gegen Eingriffe der Staatsgewalt i n die A r t und Weise der Wiederherstellung der Gesundheit verleiht. Hierzu gehört auch die A r t und Weise der Krankenversicherung, welche heute weitgehend A r t und Umfang der Heilbehandlung bestimmt, Wem eine Zwangsversicherung aufgenötigt wird, dem w i r d ein bestimmter Weg zur Wiederherstellung seiner Gesundheit, ja zur Rettung seines bedrohten Lebens hoheitlich auf gezwungen. Dies kann nicht damit gerechtfertigt werden, daß die Sozialversicherung die „Zwangsheilung" 66 Vgl. BVerfGE 10, S. 354 (363); 29, S. 221 (236/7). 67 Dazu Bogs, W., DVB1 1969, S. 337; Zweigert, K., Reichert-Facilides, F. (FN 23), S. 5 f., 14; Frowein, J. u n d Ipsen, H. P. i n W d S t L 28, S. 248; Schmidt, W. (FN 8), S. 308. 68 „ B e i der Prüfung des A r t . 3 Abs. I GG k a n n n u r gefragt werden, ob das System der Sozialversicherung auf dem Hintergrund seiner geschichtlichen Entwicklung i m ganzen gesehen w i l l k ü r l i c h ist" (BVerfGE 29, S. 221 (244)). 69 BVerfGE 18, S. 38 (47 f.). 70 Dies geschieht auch laufend, vgl. etwa Sozialenquete, S. 187, 259; Achinger, H. (FN 39), S. 95/6. 71 Das i n diesem Zusammenhang erstaunlicherweise, soweit ersichtlich, bisher noch nicht näher untersucht worden ist. 72 Dazu Maunz-Dürig-Herzog, GG, A r t . 2 Abs. I I Rdnr. 26. 73 h. L. vgl. u. a. Leisner, W., Unverletzlichkeit d. Körpers, E v S t L Sp. 1081 f.; Schmidt-Bleibtreu-Klein, GG, A r t . 2 A n m . 20/1; v. Mangoldt-Klein, BGG, I , S. 187 f.; BVerfGE 1, S. 104 f.
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Β. Grundrechtserletzung durch Erweiterung der SozV
unter gewissen Voraussetzungen rechtfertigen mag 7 4 , denn dieser Heilungszwang ist seinerseits eine Folge des Versicherungszwanges und kann daher nicht zu dessen Begründung dienen. Ebenso wenig ist der Impfzwang analogiefähig, weil er dem Schutz eines spezifischen Rechtsgutes, der Volksgesundheit unter dem Aspekt des Seuchenschutzes, dient und überdies keinen so weitgehenden Zwang einsetzt wie i h n der Zwangszusammenschluß i n einer Körperschaft darstellt. Rechtfertigen läßt sich jedoch der Versicherungszwang gegenüber A r t . 2 Abs. I I GG unter Hinweis auf den allgemeinen Gesetzesvorbehalt und aus Überlegungen, welche die Einschränkung der freien Arztwahl begründen. Das Sozialversicherungsrecht beschränkt den Pflichtversicherten i n der Auswahl des Arztes; es schreibt i h m damit einen i n Grenzen, wenn auch nicht i m einzelnen bestimmten Weg zur Wiederherstellung seiner Gesundheit vor. Wenn dies aber m i t der Verfassung vereinbar ist 7 5 , so kann auch gegen die Versicherungspflicht kein Einwand aus Art. 2 Abs. I I GG abgeleitet werden: Sie ist dann als obrigkeitliche „Vorbestimmung des Heilweges" grundsätzlich zulässig, wenn es eine so wichtige Folge dieser Beschränkung, die Einschränkung der freien Arztwahl ebenfalls ist. Die Legitimation ist stets dieselbe — es soll gerade dadurch eine Verbesserung der Heilversorgung ermöglicht werden. Die Vereinbarkeit der hoheitlichen Sozialversicherungsmaßnahmen m i t den Grundrechten der Pflichtversicherten hängt also m i t der besonderen Interessenlage dieser Grundrechtsträger zusammen. Ihre Grundrechte können daher in der Tat bei der folgenden Betrachtung i m wesentlichen unberücksichtigt bleiben. c) Dies bedeutet jedoch nicht, daß damit die hoheitlichen Eingriffe der Sozialversicherungsexpansion auch schon gegenüber den privaten Versicherungsträgern gerechtfertigt wären. Ihre Lage nämlich ist mit der der Versicherten unvergleichbar: — Sie sind unter keinem Aspekt „Begünstigte" dieser Regelungen, sie werden von ihnen lediglich beeinträchtigt. Ein interessenabwägender „Vorteilsausgleich" aus der Pflichtversicherung, wie er der Rechtsprechung des BVerfG hier stets zugrundeliegt 76 , scheidet bei ihnen also aus. 74 Dazu u.a. Maunz-Dürig-Herzog, GG, A r t . 2 Abs. I I Rdnr. 26 f.; O V G Lüneburg, DVB1 1952, S. 569; zur allg. Operationsduldungspfl. vgl. den Bericht v. Casselmann über die Sozialgerichtsbarkeitstagung von 1971 i n „Der Sozialrichter" 1971, S. 42/3. 75 So aber BVerfGE 16, S. 286 (303/4). 76 Typisch BVerfGE 29, S. 221 (242), welche die Maßnahme m i t den I n t e r essen der so Gesicherten begründet.
I. Die beeinträchtigten Grundrechtsträger
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— I n ihre Berufsfreiheit w i r d nicht „am Rande", sondern zentral eingegriffen, wenn ihnen (mögliche) Marktanteile durch hoheitlichen Eingriff entzogen werden. — Die Pflichtversicherung greift i n ihren Geschäftsbetrieb ein und kann daher — anders als bei den Pflichtversicherten — eigentumsrechtlich problematisch werden. Die Grundrechte der Pflichtversicherten mögen also bei der weiteren Untersuchung zurücktreten; über die Grundrechtmäßigkeit der Expansion der Sozialversicherung ist damit noch nicht entschieden. 2. Grundrechte der Heiltätigen
Durch eine Erweiterung der Pflichtversicherung können berührt werden: die Ärzte und die paraärztlichen Heilberufe sowie die Träger von Krankenhäusern. a) Die Ärzte sind nicht die „Begünstigten" einer derartigen Sozialversicherungsreform. Sie werden vielmehr i n ihrer Berufsfreiheit, möglicherweise auch i n ihrem Eigentumsrecht an der Praxis 7 7 betroffen. Von jeher, vor allem aber i n der Weimarer Zeit, hat sich daher die Ärzteschaft nachdrücklich, ja leidenschaftlich gegen eine Erweiterung der Pflichtversicherung gewandt 78 . I m Jahre 1931 wurden die Grundlagen des seither geltenden „Systems der kassenärztlichen Vergütung" geschaffen, welches die kassenärztlichen Vereinigungen zu festen Partnern der G K V machte. Damit verschob sich der Streit von dem Problem der Ausweitung der G K V auf die Frage der Leistungen der Sozialversicherung an die Ärzteschaft und, vor allem, auf die der Zulassung der Ärzte zu Dienstleistungen für die GKV. Den Ärzten ging es nicht mehr um Freiheit, sondern um (möglichst günstige) Teilhabe. Nur i n diesem Rahmen, als Frage des status positivus, nicht des status negativus gegenüber dem die Pflichtversicherung ausweitenden Staat, ist auch nach 1945 das Kassenarztproblem verfassungsrechtlich behandelt worden. Das BVerfG hat hier eine Entscheidung getroffen, welche Grundrechte der Ärzte als Grenzen der Expansion der Sozialversicherung ausschließt: Die Tätigkeit als „Kassenarzt" ist kein eigener Beruf, der dem des frei praktizierenden Arztes gegenübergestellt werden könnte, sondern nur eine Ausübungsform des Berufes des frei praktizierenden 77
Vgl. zu dem hier analogiefähigen F a l l der Rechtsanwaltspraxis als „Berufsbetrieb" m. Nachw. Leisner, W., Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz der Rechtsanwaltspraxis, N J W 1974, S. 478. ™ Nachw. dazu bei Prange, P. (FN 5), S. 209 (214, 218, 226 f.).
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Β. Grundrechtserletzung durch Erweiterung der SozV
Arztes. Die Zulassung zur Kassenpraxis ist daher nur eine Berufsausübungsregelung i. S. des Art. 12 Abs. I GG innerhalb der Beruf Sphäre des „frei praktizierenden Arztes"™. Voraussetzung für die Zulassung zur kassenärztlichen Tätigkeit ist die Existenz der Sozialversicherung i n ihrer herkömmlichen Form, damit also auch der Versicherungszwang. Seine Erweiterung kann sich auf die Ärzte allenfalls so auswirken, daß ihnen größere Chancen für eine Zulassung als Kassenarzt eröffnet werden — oder daß sie, wegen Rückgang ihrer „Privatpraxis", i n verstärktem Maß auf diese Zulassung angewiesen sind. Wenn aber jener „Übergang" von einer Spielart der ärztlichen Berufstätigkeit zur anderen lediglich Berufsausübungsregelung darstellt, so kann auch die Erweiterung der Pflichtversicherung, welche diese trägt, allenfalls die Berufsausübung, nie die Berufswahl berühren. Sie w i r d daher i n aller Regel 80 nicht gegen ärztliche Grundrechte verstoßen 81 . b) Die Krankenhausträger sind durch eine Erweiterung der Pflichtmitgliedschaft i n der G K V betroffen. Sie müssen weitgehend kalkulieren auf Grund der pauschalen Pflegesätze der GKV. Dennoch w i r d man nicht von einer Beeinträchtigung der Berufswahl, sondern allenfalls von einer solchen der Berufsausübungsfreiheit sprechen können. Überdies ist es nicht die Ausdehnung der Versicherungspflicht als solche, welche unmittelbar zu einer Gefährdung der Krankenhausträger führt, sondern allenfalls die Gestaltung der Pflegesätze. Nur sie könnte also gegebenenfalls verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen — soweit nicht die staatlichen Subventionen hier ausgleichend w i r k e n 8 2 7 8 3 . 3. Grundrechte der Versicherer
Erstaunlicherweise haben gerade die Grundrechte derjenigen bisher noch nicht zum Verfassungsstreit geführt, die doch primär und unmittelbar durch eine Ausweitung der Sozialversicherung, insbesondere 79 BVerfGE 14, S. 11, 41 f. Unter dem letzten Vorbehalt der Beachtung der allgemeinen Grundsätze der Erforderlichkeit usw. der Regelung, vgl. oben 1. a); w i e weitgehend übrigens die kassenärztlichen Rechte zur Disposition des Gesetzgebers stehen, zeigt auch eine Entscheidung des BVerfG aus neuester Zeit, BVerfGE 33, S. 171 (179, 187). 81 Gegenüber A r t . 14 GG erscheint sie dann lediglich als Sozialbindung des Eigentums an der ausgeübten u n d eingerichteten Arztpraxis. 82/83 Z u r Krankenhausfinanzierung vgl. Bachof, O. - Scheuing, D. H., Krankenhausfinanzierung u n d GG, Rechtsgutachten, Stuttgart usw. 1971; Eisholz, K., Krankenhausfin.G und BPflegesatzVO, Komm., Baden-Baden 1973; Meydam, J. (FN 65), S. 72 f.; Krauskopf-Ziegler, Krankenhausfinanzierungsgesetz m i t Nebenbestimmungen; Lüh er, Krankenhausfinanzierungsgesetz, erläuterte Textausgabe, 1972; Harsdorf, Neuregelung der Krankenhausfinanzierung, D O K 1972, S. 607 f.; Brandecker, K., Das Interesse des K r a n k e n hauses am Selbstzahler, P K V - D o k u m e n t a t i o n 1974. 00
I. Die beeinträchtigten Grundrechtsträger
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durch eine Erweiterung der Pflichtversicherung betroffen sind: die privaten Krankenversicherer. Uber ihre Rechte ist nicht schon implizit dadurch entschieden worden, daß die Erweiterung der G K V Grundrechte der Versicherten nicht verletzt 6 4 . a) Grundrechtsträger
können hier sein:
— Die privaten Ver Sicherung sunternehmen, Rechtsform 85 .
unabhängig von
ihrer
— Die i n diesen Versicherungen als private „Kranken versicher er" tätigen natürlichen Personen; diese Kategorie muß nicht auf die Mitglieder der Leitungs- und Aufsichtsorgane der Privatversicherung beschränkt werden 8 6 , sie umfaßt vielmehr jedenfalls auch die „Versicherungsagenten" 87 , i m ganzen alle diejenigen natürlichen Personen, welche für sich das Berufsbild des „privaten Krankenversicherers" 88 i n Anspruch nehmen können, also auch die für den Versicherungsbereich spezialisierten Mitarbeiter der PKV. — Die Mitglieder der Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit sowie die Aktionäre der Versicherungsgesellschaften, wobei u. U. nach Grundrechten zu differenzieren ist: I n ihrer Berufsfreiheit etwa werden sie nur beeinträchtigt, wenn sie entweder selbst als natürliche Personen i n der Versicherung tätig, oder „Eigentümer von Beruf" 8 9 sind. I n der Regel greift zu ihren Gunsten lediglich der Eigentumsschutz ein. Da sie „hinter den Versicherungsunternehmen" stehen, können sie Grundrechte nur geltend machen, soweit diese auch den Unternehmen als solchen zustehen. Sie werden daher i m folgenden nicht jeweils besonders erwähnt. Auch für die Versicherungsagenten kann i m Ergebnis grundrechtlich nichts anderes gelten als für die Versicherungsgesellschaften: Die Berufsfreiheitsaspekte decken sich. Während aber die Gesellschaften Eigentumsrechte geltend machen 84 Dazu oben l . c ) ; m i t Recht meint Bettermann, K . A. (FN 35), S. 194, die Beschränkung der Rechte der Versicherungsnehmer könne keineswegs schwerer wiegen als die der Versicherer — sie wiegt, w i e sich zeigen w i r d , leichter. 85 Also die Versicherungsaktiengesellschaften u n d die Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit; vgl. dazu Bogs, H., Sozialversicherung, S. 393; Bettermann, Α. Κ . (FN 35), S. 258; Obermayer, Κ . , Steiner, U., Die Monopole der öff. Sachversicherung u n d das GR der Berufsfreiheit, N J W 1969, S. 1457 (1460). Daß sämtliche Grundrechte, die dabei i n Betracht kommen, auch juristischen Personen zustehen können (Art. 19 Abs. I I I GG), bedarf hier keiner näheren Begründung. 86 Vgl. Bogs, H., a.a.O. 87 Zutr. Bettermann, Κ . Α., a.a.O., S. 194, 269. 88 Dazu näher unten b). 89 Vgl. allg. Leisner, W., JZ 1972, S. 33 f. 3 Leisner
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Β . Grundrechtserletzung durch Erweiterung der SozV
können, scheidet dies bei den versicherungstätigen natürlichen Personen zum Teil aus. Es werden daher i m folgenden nur die Versicherungsunternehmer als i n diesem Zusammenhang „volle Grundrechtsträger" berücksichtigt. b) Die Versicherungsunternehmen können gegenüber einer Erweiterung der gesetzlichen Pflichtversicherung allein die Grundrechte der Art. 12 Abs. I (Berufs- und Gewerbefreiheit) und des Eigentums (Art. 14 Abs. I GG) geltend machen (dazu i. einz. unten II). Es scheidet dagegen aus: — Art. 2 Abs. I GG: Soweit diese Vorschrift die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten und das Eigentum der Privatversicherung sützt, sind A r t . 12 und 14 GG leges speciales. Ein Recht auf Wettbewerbsfreiheit und -gleichheit aber wird, wenn es sich aus A r t . 2 Abs. I ergeben sollte, nicht durch die Ausdehnung der Pflichtversicherung als solche, sondern allenfalls durch die Verschiebung der Wettbewerbslage, insbesondere durch die Eröffnung neuer Konkurrenzmöglichkeiten zuungunsten der P K V berührt (vgl. dazu unten E). — Art. 2 Abs. II GG: Die Privatversicherer sind nicht i n ihrem Recht auf Gesundheit berührt. Wollte man aus Art. 2 Abs. I I den institutionell wirkenden Grundsatz der „Garantie einer freien Heilordnung" herauslesen — wofür bei der heutigen Institutionalisierungstendenz der Grundrechte einiges spräche — so würde sich daraus so wenig eine unbedingte Garantie der Privatversicherung gewinnen lassen wie Art. 2 Abs. I I GG die freie Arztwahl gewährleistet 90 . — Art. 3 Abs. I GG: Eine Erweiterung des pflichtversicherten Personenkreises würde i n der Regel alle Unternehmen der P K V grundsätzlich i n gleicher Weise von einem Teil des Marktes verdrängen. Daß einzelne Unternehmen der Branche härter getroffen würden als andere, wäre eine rein faktische Beeinträchtigung, die nur dann rechtliche Relevanz gewinnen könnte, wenn ein oder einzelne Unternehmen rechtlich geschützte (Quasi-)Monopolstellungen innehätten. Dies aber ist i m Bereich der P K V nicht der Fall. — Art. 9 Abs. I GG: Die Unternehmen der P K V werden durch solche Maßnahmen weder an Zusammenschlüssen gehindert, noch zu solchen verpflichtet. Wenn es durch hoheitlich verordnete Marktverengung zu einem Konzentrationszwang kommt, so ist dies eine faktisch-ökonomische, nicht eine rechtliche Wirkung der Expansion der Sozialversicherung. 90
Dazu oben l . b ) .
I I . Berufs- u n d Eigentumsfreiheit der Privatversicherer
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I I . Verletzung der Berufs- und der Eigentumsfreiheit der privaten Versicherer durch Hoheitsmaßnahmen im Bereich der Sozialversicherung 1. Verletzung der Berufswahlfreiheit
Eine Erweiterung der Pflichtversicherung verdrängt die Privatversicherung durch hoheitliche Maßnahmen mehr oder weniger weitgehend vom Markt; eine volle obligatorische Volksversicherung müßte sie völlig zum Erliegen bringen. Daß also die Freiheitssphäre der Berufsund Gewerbefreiheit beeinträchtigt wird, kann begrifflich nicht zweifelhaft sein. a) Das Verhältnis G K V - P K V ist nach A r t . 12 GG zu beurteilen 91 , der mit Recht als grundlegende Ordnungsnorm dieses Bereiches angesehen wird. Dies w i r d auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß jedenfalls bei der Pflichtversicherung ein Verwaltungsmonopol der öffentlichen Hand vorliegt 9 2 . Gelegentlich ist zwar behauptet worden, Verwaltungsmonopole seien jedenfalls insoweit nicht an A r t . 12 GG zu messen, als sie i n verfassungsrechtlich zulässiger Weise nach Erlaß des GG fortbestünden, was dann auch für die Sozialversicherung gelten müßte 9 3 . Die ganz h. L. erkennt demgegenüber A r t . 12 GG als Schranke auch der Verwaltungsmonopole an 9 4 , und das BVerfG prüft Verwaltungs- wie Finanzmonopole am Maßstab des A r t . 12 GG 9 5 . Damit ist 91
„Die G r u n d n o r m einer freien privaten Versicherungswirtschaft dürfte A r t . 12 Abs. I GG sein, der die Berufsfreiheit garantiert", Bogs, H., Sozialversicherung, S. 393, vgl. auch S.482; ders., G A (FN 18), S. 32 f.; Bett ermann, K . A. (FN 35), S. 188; den Ordnungscharakter des A r t . 12 GG betont besonders Scheuner, U., W d S t L 11, S. 62. 92 Die Sozialversicherung ist kein Finanzmonopol (für die Sachversicherung vgl. Bettermann, K . A . (FN 35), S. 210), sondern ein Verwaltungsmonopol, verbunden mit Zwangsrechten, „bei welchen die Erzielung hoher Uberschüsse nicht eigentlicher Zweck des Staatsbetriebes ist", (so Manes, Α., Versicherungswesen I, 1924, S. 70/1; ebda, auch guter Uberblick über die staatlichen Monopolformen i m Versicherungsbereich). Sie stellt allerdings, auch bei erheblicher Ausdehnung der Versicherungspflicht, noch keine „ V e r staatlichung eines Berufes" dar, w e i l die privaten Versicherer nicht „dem Recht des öffentlichen Dienstes unterstehen, oder zu unabhängigen Trägern eines öffentlichen Amtes qualifiziert werden" (Hoffmann, H., Die Verstaatlichung von Berufen, DVB1 1964, S. 457). 93 Grdl. i n diesem Sinne Bachof, O., Freiheit d. Berufes, i n : Die G r u n d rechte I I I / l , S. 200 f.; vgl. auch Maunz-Dürig-Herzog, GG, Rdnr. 97 zu A r t . 12; Doerry, A (FN 62), S. 66/7. 9 * Vgl. u.a. Bettermann, K . A. (FN35), S. 196f.; Badura, P., Das V e r w a l tungsmonopol, 1963, S. 338; Hoff mann, H. (FN 92), S. 460; Obermayer, Κ., Steiner, U. (FN 85), S. 1457; Püttner, G., Die öffentlichen Unternehmen, 1969, S. 171; Klein, H. H., Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen W e t t bewerb, 1968, S. 180 f.; Emmerich, V., Die kommunalen Versorgungsunternehmen zwischen Wirtschaft u n d Verwaltung, S. 62 f. «5 Vgl. BVerfGE 21, S. 245 (248 f.); 14, S. 105 (1131). 3®
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Β . Grundrechtserletzung durch Erweiterung der SozV
noch nicht entschieden, ob ein bestimmtes (Teil-)Monopol, hier also die (Ausdehnung der) Versicherungspflicht, vor der Verfassung bestehen und m i t welchen Begründungen 96 es gerechtfertigt werden kann. Wesentlich ist hier allein, daß die Voraussetzungen erfüllt sein müssen, welche das GG für so einschneidende berufliche Beschränkungen aufstellt, wie sie ein Verwaltungsmonopol m i t sich bringt. Das Verwaltungsmonopol genießt als solches kein berufsrechtliches Verfassungsprivileg. b) Die Anwendung des Art. 12 GG zum Schutz der privaten Versicherer scheitert nicht daran, daß es etwa kein „Berufsbild des privaten Krankenversicherers" gäbe. Es mag hier dahinstehen, inwieweit dem Gesetzgeber i m Falle des Verwaltungsmonopols eine (gesteigerte) Möglichkeit der Gestaltung von Berufsbildern eröffnet ist 0 7 . Diese kann keinesfalls soweit gehen, daß die Schaffung oder jede Erweiterung eines Verwaltungsmonopols implizit als eine entsprechende Verengung des Berufsbildes des so verdrängten Privaten anzusehen wäre. A u f diese Weise würde dann das Berufsbild des privaten Versicherers durch die jeweilige Ausdehnung der Sozialversicherung bestimmt, d. h. es würde das grundsätzliche Ergebnis des nach h. L. hier anwendbaren Art. 12 GG über das Berufsbild wieder aufgehoben. Die Krankenversicherung ist berufsrechtlich, wie jeder Betrieb eines bestimmten Versicherungszweiges, anzusehen als ein selbständiger Beruf „ m i t eigener rechtlicher Prägung und Tradition, m i t spezifischen versicherungstechnischen Merkmalen und besonderen wirtschaftlichen Voraussetzungen" 98 . Dies kann nicht m i t der Begründung i n Zweifel gezogen werden, die Unternehmen der P K V betrieben nicht ausschließlich Krankenversicherung oder sie könnten jedenfalls i n andere Versicherungszweige ausweichen 99 . Jeder Grundrechtsträger kann verschiedene Berufe ausüben und beliebig kombinieren. Das Krankenversicherungsgeschäft ist bei den Versicherungsunternehmen organisatorisch und bilanzmäßig von anderen versicherungsrechtlichen Aktivitäten getrennt; die Krankenversicherung ist auch als Branche verbandsmäßig organisiert und seit langem als solche Gesprächspartner staatlicher Instanzen. 96 Vgl. dazu etwa den Überblick bei Bachof, O., a.a.O. sowie, f ü r die Sozialversicherung, näher unten C. 97 Siehe dazu Bettermann, K . A. (FN 35), S. 201 i n k r i t . Auseinandersetzung m i t Lerche. 98 So zutr. zum versicherungsrechtlichen Berufsbegriff Obermayer, K., Steiner, U. (FN 85), S. 1460; a. Α. für die dort behandelte Gebäudeversicherung Bettermann, K . A. (FN 35), S. 260/1; Zweigert , Κ . , Reichert-Facilides, F. (FN 23),S. 42. Grdl. zum Berufsbegriff u n d zum Berufsbild der Versicherer Schmitt-Lermann, H., Gebäudepflichtversicherung u n d Berufsfreiheit 1972, insbes. S. 18 f., 65 f. 99 So Zweigert, K., Reichert-Facilides, F., a.a.O.
I I . Berufs- u n d Eigentumsfreiheit der Privatversicherer
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Es gibt also nicht nur den „Beruf des Privatversicherers" 100 : Die zur Begründung dieser These vorgebrachten Argumente überzeugen nicht. Eine „gesellschaftliche Anschauung" 1 0 1 w i r d i n einer so „technischen" Frage kaum nachzuweisen sein; die Berufsausbildung mag ein Indiz, sie kann nicht entscheidend sein — auch i m juristischen Bereich gibt es eine Einheitsausbildung für unterschiedliche Berufe; die „Marktstruktur" schließlich ist hier wesentlich abhängig von den Veranstaltungen der Sozialversicherung. Daß die P K V heute weithin m i t anderen Versicherungsbranchen verbunden wird, hängt nicht zuletzt m i t der Bedrohung durch die G K V zusammen. Der Staat würde also einen Zirkelschluß einsetzen und sich letztlich auf eigenes Unrecht berufen, wenn der Schutz der Berufsfreiheit mit der Begründung versagt würde, es liege eine Berufsstruktur vor, die durch eben jene staatlichen Maßnahmen weithin bedingt ist, gegen welche A r t . 12 GG schützen soll. Die Rechtsprechung des BVerfG zum Berufsbild zeigt übrigens deutlich, daß man nicht auf diesem Wege grundrechtsfreie Räume schaffen, sondern nur dann den speziellen Schutz versagen wollte, wenn eine Berufsform durch eine andere „mitgeschützt" war, auf die der Betroffene unschwer ausweichen kann, eine „Modalität" also, in welcher der „eigentliche" Beruf ausgeübt w i r d 1 0 2 . Eine Erweiterung der Berufstätigkeit 1 0 3 , insbesondere eine rein quantitative Ausdehnung 1 0 4 , schafft daher keinen neuen Beruf. Meist war der enge Zusammenhang mit einem typischen Beruf und die Tatsache maßgebend, daß die „typische" Tätigkeit als „Nebenfunktion" des Hauptberufs ausgeübt wurde 1 0 5 . Von all dem kann hier keine Rede sein: Die Tätigkeit des Krankenversicherers ist nicht wesentlich „gleich" der des Lebens Versicherers, denn sie bezieht sich auf ganz andere soziologische Gegebenheiten (Risiken); sie ist keine „quantitative Ausdehnung" oder eine „Nebenfunktion" anderer Versicherung. Es gibt eben keine „allgemeine Versicherung", der gegenüber die Krankenversicherung etwas „Spezielles" wäre. Dies aber müßte nach der Berufsbildrechtsprechung nachzuweisen sein, wollte man der P K V grundsätzlich den Schutz der Berufsfreiheit versagen. A u f ein „Ausweichen" i n andere Bereiche kann 100 So Bogs, H., Sozialversicherung, S. 512. ιοί I n Anlehnung w o h l an BVerfGE 17, S. 232 (241), die „allgemeine" gesellschaftliche Anschauungen verlangt. i ° 2 So beim Kassenarzt gegenüber dem frei praktizierenden Arzt (BVerfGE 11, S. 30 (41)), ebenso beim Kassenzahnarzt (BVerfGE 12, S. 144 (147)), beim Chefarzt, der zugleich Privatpraxis ausübt (BVerfGE 16, S. 283 (294/5)), bei gewissen Außenhandelsgeschäften (BVerfGE 12, S. 281 (294)) oder beim Interzonenhandel (BVerfGE 18, S. 353 (361)). 103 B V e r f G E 16, S. 283 (295 f.). 104 BVerfGE 17, S. 232 (242). los Eindeutig BVerfGE 16, S. 283 294/5).
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Β . Grundrechtserletzung durch Erweiterung der SozV
man sie schon deshalb der Sozialversicherung gegenüber nicht verweisen, w e i l diese ebenso von der Sozialversicherung bedroht sind. M i t ähnlichen Argumenten könnten dann ja die „ausweichenden" Krankenversicherer aus der etwa bedrohten Lebensversicherung wieder i n die Krankenversicherung zurückverwiesen werden . . . Wenn schließlich dem Staat eine gewisse — indirekte — Berufsbildfixierungsfunktion über das GKV-Recht zugestanden wird, so spricht auch diese eindeutig für ein Berufsbild des Krankenversicherers: Von seinen Anfängen her ist das soziale Krankenversicherungsrecht stets als eine besondere Materie und meist durch spezielle Gesetzgebungsakte fortentwickelt worden 1 0 6 . Die Versicherungsaufsicht erfolgt nach Versicherungszweigen. Dann aber muß der Staat auch den korrespondierenden Beruf achten. c) Die (Ausdehnung der gesetzlichen) Zwangs Versicherung berührt die P K V n:cht auf der „Stufe" 1 0 7 der Berufsausübung 108 , sondern sie w i r k t sich auf die Möglichkeit aus, den Beruf überhaupt auszuüben; sie hat gewisse berufssperrende Auswirkungen und berührt damit die Berufswahlfreiheit. Dies ergibt sich nach der Rechtsprechung des BVerfG daraus, daß hier die Berufsfreiheit durch ein Verwaltungsmonopol zurückgedrängt w i r d 1 0 9 ; es gilt auch i m Versicherungsbereich 110 : Wo immer Versicherungszwang zugunsten der G K V besteht, kann sich die P K V m i t keiner möglichen Anstrengung einen Markt schaffen, das Monopol bewirkt mit hoheitlicher Gewalt eine objektive Zulassungssperre. Die Wahl des Berufes w i r d dann völlig unmöglich, wenn der Betrieb einer P K V auf den verbleibenden Restbereichen nicht mehr möglich ist. Eine solche Unmöglichkeit liegt auch dann vor, wenn die P K V infolge der Pflichtversicherung m i t Notwendigkeit zu einem unselbständigen Annex anderer Versicherungszweige wird, überhaupt nur mehr i n Verbindung mit diesen betrieben werden kann: Als Berufssperre w i r k t grundsätzlich auch der Zwang zu einer Berufskombination, der das bisherige Berufsbild (vgl. oben b)) aufhebt. Die Freiheit der Berufswahl w i r d jedoch nicht nur durch eine Totalsperre beeinträchtigt; auch ein Teilmonopol der öffentlichen Hand muß die Voraussetzungen des Art. 12 GG auf der Stufe der Berufswahl i°6 Dies zeigt i m einzelnen überzeugend die Arbeit v o n Prange, P. (FN 5). io? Nach dem Stufenmodell des BVerfG, vgl. E 7, S. 377 (400 f.). los So unzutr. Bogs, H., Sozialversicherung, S. 513. 109 BVerfGE 21, S. 245 (249 f.); 261 (266 f.); 271 (283). „Sofern der Gegenstand einer Monopolisierung eine Tätigkeit ist, die ohne die Monopolisierung als Beruf oder Gewerbe ausgeübt werden könnte, ist die Begründung des Verwaltungsmonopols ein Eingriff i n die Freiheit der Berufswahl" (Badura, P., Verwaltungsmonopol, S. 339). no Überzeugend Obermayer, K., Steiner, U. (FN 85), S. 1457, 1460.
I I . Berufs- u n d Eigentumsfreiheit der Privatversicherer
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erfüllen. Ob dies auch dort gilt, wo die Beeinträchtigung nur i n Randzonen erfolgt, wie weit dem Bürger zugemutet werden kann, sich auf derartige Marginal eingriff e einzustellen, kann hier offenbleiben. Die P K V w i r d bereits heute durch die G K V zentral getroffen; weiteres Vordringen derselben bringt sie i n Existenzgefahr und w i r k t damit eindeutig berufssperrend. d) Die vertikale oder horizontale Ausdehnung der G K V ist nach dem BVerfG 1 1 1 als Berufssperre nur unter „besonders strengen" Voraussetzungen zulässig: — „ i m allgemeinen w i r d nur die Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut diesen Eingriff i n die freie Berufswahl rechtfertigen können" — es ist ferner zu prüfen, „ob gerade dieser Eingriff zum Schutz jenes Gutes zwingend erforderlich ist, m i t anderen Worten, ob der Gesetzgeber diesen Schutz nicht m i t Regelungen auf einer vorausgehenden Stufe hätte durchführen können". Diese Prinzipien sind, gegenüber der Sozialversicherung, bisher nie voll bewußt geworden. Sie haben hier aber dieselbe Brisanz wie i n den Fällen, anhand deren sie bisher entwickelt worden sind — bei der Abschaffung der Bedürfnisprüfung. Hier lag die Vermutung nahe, die Beschränkung des Zugangs zum Beruf solle dem Konkurrenzschutz der bereits i m Beruf Tätigen dienen (was aber nie den Eingriff i n die Berufswahlfreiheit rechtfertigen könnte) 1 1 2 . Gerade dagegen aber w i r d auch verstoßen, wenn die Pflichtversicherung die G K V nur i n der möglichst ungestörten konkurrenzlosen Ausübung ihrer Tätigkeit schützen soll; dadurch eben werden auch hier „fachlich und moralisch voll geeignete" andere Bewerber, nämlich die i n der P K V Tätigen, von der Ausübung des Versichererberufes ausgeschlossen. Die Besonderheit liegt also nur darin, daß der „Konkurrenzschutz" (i. w. S.) nicht Privaten, sondern der öffentlichen Hand gewährt wird. Die Pflichtversicherung der G K V ist daher kein „Sonderfall", der schon begrifflich den scharfen Anforderungen des „Rechts der Berufsordnung unter Privaten" gar nicht unterfiele. Es müssen vielmehr hier nachgewiesen werden — ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut und — die Unmöglichkeit m E 7, S. 377 (408/9). us BVerfG, a.a.O.
seines Schutzes durch die PKV.
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Β . Grundrechtserletzung durch Erweiterung der SozV
Da schließlich i m Rahmen von Art. 12 GG allgemein der Erforderlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten ist, muß an diese Voraussetzungen ein um so schärferer Maßstab angelegt werden, je härter, existenzbedrohender sich der Eingriff auf Private auswirkt. Das Begründungsgewicht muß mit der Eingriffsschwere wachsen; i n diesem Sinn gilt ein Gesetz der Dynamisierung des Begründungszwanges als Funktion der Eingriffstiefe. M i t ihm allein kann schrittweiser Aushöhlung berufsrechtlicher Positionen begegnet werden. Die etwaige Zulässigkeit des bisher erreichten Expansionszustandes der Sozialversicherung besagt also nichts für, sondern alles gegen die Zulässigkeit weiterer Ausdehnung. Die nächsten Schritte bedürfen weit sorgfältigerer Begründung — wenn sie sich überhaupt noch legitimieren lassen. Die drohende Nähe des berufsrechtlichen breaking point der (quasi-)totalen Berufssperre muß sich bereits auf die berufliche Zulässigkeitsprüfung i n dessen unmittelbarem Vorfeld auswirken; an sie sind besonders hohe Anforderungen zu stellen. Die Anwendung dieser Kategorien auf das Verhältnis P K V - G K V verlangt ein grundsätzliches rechtsdogmatisches Umdenken. Hier ist i n der bisherigen Entwicklung keineswegs bereits ein „Grundurteil gegen die P K V " ergangen, der Sozialversicherung ist kein verfassungsrechtlicher Blankoscheck auf Besetzung des gesamten Versicherungsterritoriums ausgestellt worden. Die stillschweigend weithin angewandte Methode des „Wenn schon — dann auch!" ist jedenfalls an diesem Punkt der Entwicklung generell unzulässig. Die Grundrechtsdogmatik begründet vielmehr die Frage: „Wenn schon — dann auch noch?" I m Bereich der Krankenversicherung ist „die Freiheit nicht generell durch Sozialversicherung ersetzt". Jeder Schritt der Sozialversicherung bedarf der Legitimation. Ausdrücklich gilt gegenüber der Pflichtversicherung nach Art. 12 GG — i n dubio pro Libertate. 2. Verletzung der Eigentumsfreiheit
a) Das private Versicherungsunternehmen stellt einen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb dar. Dieser w i r d daher seit langem vom verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz umfaßt 1 1 3 , der auch gegen „Eingriffe und Störungen von Seiten der öffentlichen Gewalt" w i r k t 1 1 4 . Der Schutz bezieht sich auf die gesamte Erscheinungsform des Unterneh113 v g l . f. viele B G H Z 29, S.65; 30, S. 338 (355/6); 45, S. 150 (154); Huber, E. R., Der Staat u n d das Wirtschaftsverfassungsrecht, D Ö V 1956, S. 172; Weber, W., Eigentum u n d Enteignung, i n : Die Grundrechte I I , S. 331 (353); Berger, J., Das K r i t e r i u m der Unmittelbarkeit i n d. Rspr. d. BGH, Diss. Würzburg 1970, S. 113 f. 114 BVerfGE 1, S. 264 (277).
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mens 1 1 5 und auf all seine Erscheinungsformen 116 , i n denen es sich i n der jeweiligen Situation 1 1 7 darstellt: Geschützt ist also die Krankenversicherung selbst dann, wenn sie i n Zusammenhang m i t anderen Versicherungsarten betrieben w i r d und m i t diesen zusammen unternehmensrechtlich eine Einheit darstellt. Eigentumsrechtlich gesichert ist auch nicht nur ein Bestand sächlicher M i t t e l 1 1 8 , sondern alle w i r t schaftlichen Werte des Betriebes 1 1 9 , soweit sie bereits konkret vorhanden sind 1 2 0 . Dies alles ist i m einzelnen nach wirtschaftlicher, hier versieherungswirtschaftlicher Betrachtungsweise zu ermitteln 1 2 1 . Besonders wichtig für die Versicherungsunternehmen ist, daß zwar reine Geschäftschancen keinen Eigentumsschutz genießen 122 , daß jedoch die Geschäftsbeziehungen, der Kundenstamm zum eingerichteten Betrieb gehören 123 , wobei es aber gleichgültig ist, ob der Betrieb „ i n Gang" ist oder nicht 1 2 4 . Hier hat sich eine Änderung der Rechtsprechung vollzogen: Das RG hat früher 1 2 5 sehr zurückhaltend entschieden und für eine Beeinträchtigung der Erwerbschancen, ja eine Schmälerung des Ertrags, i n der Regel Entschädigung versagt. Der B G H hat m i t dieser Judikatur i n Grundsatzentscheidungen 126 ausdrücklich gebrochen und i n Erweiterung des Schutzbereiches des Gewerbebetriebes vor allem auch den Good W i l l eines Unternehmens als Eigentumsbestandteil anerkannt. Wenn aber „auch die Laufkundschaft und die Möglichkeit, auf die vorübergehenden Fußgänger einzuwirken" vom Eigentumsschutz des Betriebes erfaßt werden, so greift i n diesen a fortiori die Errichtung eines Verwaltungsmonopols ein, welche jede Geschäftsberührung zu einem nicht ganz unbedeutenden Kreis potentieller Kunden unmöglich macht, während sie bisher gepflegt werden konnte. Iis BVerfGE 13, S. 225 (229); Nachw. z. Rspr. d. B G H b. Kröner, H., Die Eigentumsgarantie i n der Rspr. d. BGH, 2. A. 1969, S. 51. ne B G H Z 23, S. 157 (162); 45, S. 150 (155); 48, S. 65 (66). i n B G H Z 23, S. 157 (162/3). Ii® Nachw. b. Kröner, H., a.a.O. 119 B G H Z 45, S. 83 (87). 120 B G H Z 14, S. 363 (367) m. Nachw.; 30, S. 338 (355/6); B G H J Z 1961, S. 374; B G H M D R 1961, S. 752. 121 B G H Z 45, S. 150 (154); B G H JZ 1961, S. 347; B G H E G H V I I , S. 14 (18). 122 Siehe B G H E G H V I I , S. 14 (18); B A G E 19, S. 14 (23 f.); BVerfGE 28, S. 119 (142). 123 Kröner , H., a.a.O. m. Nachw., sowie noch B G H Z 45, S. 150 (155); 48, S. 65 (66). 124 B G H Z 30, S. 338 (355/6). 125 Nachw. z. Rspr. d. RG i n B G H Z 29, S. 65 (67). 126 Vor allem B G H Z 23, S. 157 (162 f.); 29, S. 65 (68); für die Versicherungsunternehmen k a n n also heute nicht mehr vertreten werden, daß n u r Erwerbschancen geschmälert w ü r d e n (so Schneider„ H., Die ö.r. Alterssicherung freier Berufe u. d. GG, 1959, S. 35).
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Β. Grundrechtserletzung durch Erweiterung der SozV
I n das Eigentum am Versicherungsbetrieb w i r d also nicht nur dann eingegriffen, wenn bestehende Versicherungsverträge hoheitlich verändert oder gar aufgehoben werden. Eine Eigentumsverletzung liegt auch darin, daß sich ein solches Unternehmen infolge der Pflichtversicherungssperre nun m i t einem Mal überhaupt nicht mehr auf einem Markt bewegen kann, der ihm bisher eröffnet war. Hier handelt es sich auch nicht um Erschwerungen, auf die sich eine elastische Geschäftspraxis einstellen könnte, es w i r d vielmehr der Good W i l l des Unternehmens, der i n der (möglichen) Geschäftsbeziehung zu gewissen Kundenkreisen liegt, völlig zerstört. Besonders deutlich w i r d dies i m Fall der totalen Pflichtversicherung: Hier wäre den PKV-Unternehmen allenfalls noch Abwicklung der geschlossenen Versicherungsverträge möglich, sie würden i n die Stellung von Abwicklungsunternehmen ohne jeden werbenden Charakter gedrängt. Daß dadurch das Eigentum am Unternehmen getroffen würde, kann nicht zweifelhaft sein. b) Die Versicherungsunternehmen sind in besonderem Maße auch auf geschäftliche Kontinuität angewiesen, die gleichmäßige Einwirkungsmöglichkeit auf einen einigermaßen (voraus-)bestimmbaren Personenkreis gehört zum Wesen dieses Sektors und damit auch zum Eigentum an dem einmal i n einem gewissen Bereich errichteten und betriebenen Versicherungsunternehmen. Dies ergibt sich vor allem aus dem „Gesetz der großen Zahl", das versicherungstechnisch die Geschäftsmöglichkeiten bestimmt 1 2 7 ; es w i r d als Beweis für die Notwendigkeit der Pflichtversicherung angeführt 1 2 8 , als Vorteil ausgedehnter Sozialversicherung überhaupt 1 2 9 . Dabei übersehen die Verteidiger der expandierenden Sozialversicherung, daß die „große Zahl" für die Privatversicherung dieselbe Bedeutung hat wie für die GKV, ja noch eine erheblich größere: Die G K V ist durch das gesetzliche Monopol so fest abgegrenzt gesichert, daß sie weitgehend gar nicht darauf angewiesen ist, versicherungstechnisch zu kalkulieren. Die PKV-Unternehmen dagegen erhalten erst durch eine größere Zahl die Grundlage einer Rahmenvorausschau, welche Kalkulation überhaupt möglich macht. Wenn also die große Zahl für die G K V ein wesentlicher Gewinn ist, so ist die Ausdehnung der Pflichtversicherung für die P K V ein großer Verlust und damit ein Eingriff i n das betriebliche Eigentum ihrer Unternehmen. Daß sich aus der durch eine Ausweitung der Pflichtversicherung bew i r k t e n Veränderung des (künftigen) Mitgliederbestandes der P K V Auswirkungen auf die Deckungstechnik 13a und damit wieder auf die 127 128 129 1958, 130
Dazu Richter, L . (FN 55), S. 6/7. Wannagat, G., Lehrb. I , S. 18; Bogs, W. (FN 2), S. 26. Sozialenquête , S. 189; Plath, W., H d W B d. Versicherungswesens, Sp. 2398 (2400). Z u den „Deckungstechniken" vgl. Richter, L., a.a.O., S. 9 f.
II,
I I . Berufs- u n d Eigentumsfreiheit der Privatversicherer
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Möglichkeit der Erhaltung eines bestehenden Good W i l l ergeben können, mag vertiefter versicherungswissenschaftlicher Untersuchung vorbehalten bleiben. Aus all diesen Gründen ist m i t Recht anerkannt, daß die privaten Versicherungsunternehmen den Eigentumsschutz der Verfassung i n Anspruch nehmen können 1 3 1 . Dem kann auch nicht mit der Behauptung entgegengetreten werden, die Versicherer müßten sich eben auf Änderungen der Gesetzeslage einstellen 1 3 2 — auf Grundrechtsverletzungen braucht sich begrifflich niemand einzustellen, der Staat hat sie zu unterlassen. c) Der Eigentumseingriff durch Erweiterung der Pflichtversicherung ist auch nicht etiva begrifflich eine Sozialbindung, die ohne Entschädigung i n beliebiger Intensität zulässig wäre. Es kommt vielmehr hier wie auch sonst auf die Schwere des hoheitlichen Eingriffs an 1 3 3 . Bei einer (quasi-)totalen Verdrängung der P K V durch Pflichtversicherung wäre m i t Sicherheit Enteignung anzunehmen. Diese würde auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß allen Unternehmen der Branche dasselbe widerführe 1 3 4 . Hier müßten vielmehr allenfalls Vergleiche zu Opfern angestellt werden, die (in Grenzen) vergleichbaren Unternehmen des tertiären Bereichs zugemutet werden können, ohne daß die Enteignungsschwelle überschritten wird. Begrifflich jedenfalls kann ein derartiger Eigentumseingriff, der ja keine Entschädigung vorsieht, durchaus gegen Art. 14 Abs. I und I I I GG als unzulässige Enteignung verstoßen. Für den Enteignungscharakter eines solchen Eingriffs spricht auch die Parallele zum Berufsfreiheitsrecht. Maßnahmen, welche nur die Berufsausübung regeln, nicht aber die Berufswahl berühren, werden vom BVerfG i n der Regel auch als zulässige Eigentumsbeschränkungen i m Rahmen der Sozialbindung angesehen 135 . Nun hat zwar das Gericht die Umkehrung des Satzes noch nicht ausgesprochen — was die Berufs131 Bogs, H., Sozialversicherung, S. 484; Isensee, J., Umverteilung, S. 73. Vgl. allg. Altrock, A. v., Der Stand der Sozialversicherung i m Rechtsgefüge, Festg. f. W. Bogs, 1959, S. 15 (32 f.); Rüfner, W., Formen öff. Verwaltung i m Bereich der Wirtschaft, 1967, S. 213 betont m. Recht, daß ein Verdrängungswettbewerb auch A r t . 14 GG „tangiere", daß er „auf eine gezielte E n t wertung des vorhandenen Eigentums an Produktionsmitteln hinausliefe". 132 Schneider, H. (FN 126), S. 35/6. 133 Z u den Abgrenzungskriterien Enteignung — Sozialbindung vgl. Leisner, W., Sozialbindung des Eigentums, 1972, S. 43 f. 134 Leisner, W., a.a.O., S. 141 f. 135 Vgl. BVerfGE 16, S. 147 (187); 17, S. 232 (248/9); 18, S. 315 (339). I n BVerfGE 21, S. 150 (155 f.) w i r d zunächst die Vereinbarkeit der Regelung m i t A r t . 14 GG geprüft u n d sodann festgestellt (S. 160), die Beschränkungen hätten den Charakter einer Berufsausübungsregelung u n d seien m i t A r t . 12 Abs. I GG vereinbar. Die Gründe, welche die Regelung vor A r t . 14 GG rechtfertigten, seien „vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls, die sie auch als Berufsausübungsregelungen tragen".
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Β . Grundrechtserletzung durch Erweiterung der SozV
wähl tangiere, überschreite in der Regel auch die Enteignungsschwelle. Eine derartige Parallele liegt jedoch nahe. Die Tatsache, daß hier der Berufswahlaspekt der Privatversicherer berührt ist (vgl. oben 1. c)), spricht also für die Annahme einer Enteignung. Selbst wenn aber die Ausdehnung der Pflichtversicherung als Sozialbindung anzusehen wäre, so könnte diese doch nur zulässig sein, wenn sie ebenso erforderlich und verhältnismäßig wäre, wie dies auch nach A r t . 12 GG Voraussetzung eines verfassungsgemäßen Eingriffs ist. „Die gesetzlichen Eigentumsbindungen müssen von dem gesetzlichen Sachbereich her geboten sein; sie dürfen nicht weiter gehen als der Schutzzweck reicht, dem die Regelung dient" 1 3 6 (Erforderlichkeit). Sie sind ferner nur zulässig, soweit das öffentliche Interesse sie unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtfertigt 1 3 7 — auch die „an sich" zur Zielerreichung erforderlichen Mittel sind noch darauf zu prüfen, ob der durch ihre Anwendung verursachte Eingriff i n das Eigentum i n einem angemessenen Verhältnis zum Ziel des Eingriffs steht. Für das Verhältnis der gegenüber Art. 12 GG und 14 GG erforderlichen Begründung eines hoheitlichen Eingriffs i m Rahmen der Sozialversicherung bedeutet dies: — Eine weitere Ausdehnung der Pflichtversicherung beeinträchtigt die Berufswahlfreiheit und ist daher nur zulässig, wenn sie zum Schutz eines überragenden Gemeinschafts gutes zwingend erforderlich ist. Läßt sich dies nachweisen, so wäre der Eingriff auch als Sozialbindung zulässig, wenn er eine solche darstellte. Die Zulässigkeitsprüfung kann insoweit eine einheitliche sein. — Selbst wenn aber der Eingriff vor Art. 12 GG Bestand haben kann, so wäre er nach Art. 14 Abs. I und I I I GG u. U. dann verfassungswidrig, wenn nach Eigentumsrecht eine entschädigungspflichtige Enteignung und nicht mehr eine Sozialbindung vorläge — wenn nämlich das Gesetz nicht zugleich eine Entschädigungsregelung vorsähe. Ob aber Sozialbindung oder Enteignung gegeben wäre, müßte nach Eigentums-, nicht nach berufsrechtlichen Gesichtspunkten entschieden werden, d. h. nicht primär nach der Intensität des verfolgten öffentlichen Interesses (Beruf s wahlfreiheit), sondern nach der Schwere des Eingriffs ins Eigentum (Art. 14 Abs. I I I GG) 1 3 8 . 136 BVerfGE 21, S. 73; vgl. auch B G H N J W 1965, S. 1907; O L G Stuttgart BBB1 1953, S. 259. 137 BVerfGE 21, S. 150 (155); vgl. auch BVerfGE 18, S. 121; B V e r w G R d L 1968, S. 23. 138 Diese Unterschiedlichkeit der Prüfung ist grundrechtssystematisch gerechtfertigt: E i n solcher Eingriff ist nur unter erschwerten (berufsrechtlichen) Voraussetzungen überhaupt zulässig. Zulässig ist er dann auch nach Enteignungsrecht — n u r löst er dort eine Entschädigungspflicht aus.
I I . Berufs- u n d Eigentumsfreiheit der Privatversicherer
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d) Die privaten Ver sicherungsunter nehmen werden zugleich durch Art. 12 und Art. 14 GG geschützt, Art. 12 GG ist hier nicht lex specialis. Die beiden Grundrechte können i n Schutzkonkurrenz stehen. Sie sind bisher regelmäßig „nebeneinander" geprüft worden 1 3 9 . Zwar hat neuerdings das BVerfG eine allgemeine Abgrenzung angedeutet: „Art. 14 Abs. I GG schützt das Erworbene, das Ergebnis der Betätigung, Art. 12 Abs. I GG dagegen den Erwerb, die Betätigung selbst . . . greift somit ein A k t der öffentlichen Gewalt eben i n die Freiheit der individuellen Erwerbs- und Leistungstätigkeit ein, so ist der Schutzbereich des Art. 12 Abs. I GG berührt; begrenzt er mehr die Innehabung und Verwendung vorhandener Vermögensgüter, so kommt der Schutz des Art. 14 GG in Betracht" 1 4 0 . Es läßt sich jedoch keine derart eindeutige Eingriffsrichtung einer Erweiterung der Pflichtversicherung feststellen, daß diese etwa „vor allem" die Berufsfreiheit beträfe. Zugleich und gleichgewichtig w i r d vielmehr das Eigentumsrecht der Aktionäre oder Vereinsmitglieder, der juristischen Person beeinträchtigt. Der Extremfall der „totalen Versicherungspflicht" zeigt dies klar: Hier würde das Unternehmenseigentum völlig zerstört, i m Wege einer A r t von „Sozialisierung der Versicherung" 141 . Daß eine solche aber an Art. 15 GG zu messen und daher eigentumsrechtlich relevant ist, bedarf keiner Begründung. Die Eigenart des Eingriffs i n den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb liegt gerade i n der gleichzeitigen Berührung der Berufs- und Eigentumsfreiheit. Das BVerfG hat dies ausdrücklich anerkannt und seine allgemeine Abgrenzungsaussage entsprechend abgeschwächt 142 . I n Fällen der Verletzung der Berufswahlfreiheit dürfte demnach i n der Regel auch ein „Eingriff i n die Substanz des Eigentums am Gewerbebetrieb" vorliegen — jedenfalls dann, wenn der Betrieb eine besondere eigentumsrechtliche Verselbständigung aufweist, wenn insbesondere eine sichtbare Fixierung der Betriebssubstanz i n einem festen Bestand sächlicher und persönlicher Mittel" vorliegt und eine Verfestigung des Good W i l l i n Geschäftsbeziehungen zu einem bestimmten (virtuellen) Kundenkreis deutlich ist. Dies alles ist bei den Unternehmen der P K V 139 Vgl. etwa BVerfGE 8, S. 71 (79/81) (Weinanbaubeschränkung); 10, S. 55 (58/9) (tierische Erzeugnisse); 21, S. 150 (155 f., 160) (Weinanbaubeschränkungen); BVerfGE 5, S. 114 (115/6) (Fortführung einer Apotheke durch Apothekerwitwe). N u r i n B V e r w G E 5, S. 283 (286) bleibt offen, ob die Sicherung des Eigentums nicht „ i m Wesensgehalt des Grundrechts der Berufsfreiheit von vornherein Inbegriffen sei". 140 BVerfGE 30, S. 292 (334/5). 141 Vgl. unten C. V. 1 4 2 „Es k a n n dahingestellt bleiben, ob (auch) der Schutzbereich des Art. 14 GG berührt wäre, w e n n die einem Unternehmen auferlegten Handlungspflichten i m Ergebnis soweit gingen, daß sie sich i m wirtschaftlichen Ergebnis als Eingriff i n die Substanz des Gewerbebetriebes darstellten", BVerfGE 30, S. 292 (335).
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Β . Grundrechts Verletzung durch Erweiterung der SozV
der Fall. Gerade hier darf also die Berufsfreiheit nicht zur Aushöhlung des Eigentums eingesetzt werden 1 4 5 , wo Unternehmen von der Sozialisierung ausgeschlossen sind, sonst könnte ein Eingriff i n Eigentum als Berufsausübungsregelung abgetan und damit der Schutz des Art. 14 GG versagt werden. Dem Geist der Verfassung würde es widersprechen, wollte man i m Namen des berufsrechtlichen Liberalismus die Grundlagen des Liberalismus zerstören — das freie, private Eigentum. Die Untersuchung gelangt daher hinsichtlich der grundrechtlichen Fragestellung gegenüber einer (weiteren) Expansion der Pflichtversicherung zu folgendem Ergebnis: 1. Die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit hat sich auf die Grundrechte der privaten Versicherer (Versicherungsunternehmen) zu beschränken. 2. Als Schranken der Sozialversicherung kommen A r t . 12 und 14 GG i n Betracht. 3. Die Berufsfreiheit w i r d nicht nur i n ihrem Aspekt der Ausübungs-, sondern auch der Wahlfreiheit verletzt; dem Eigentum gegenüber könnte eine nicht erforderliche oder übermäßige Sozialbindung vorliegen oder, je nach Schwere des Eingriffs, eine Enteignung. 4. Zu prüfen ist demnach, ob a) eine Erweiterung der gesetzlichen Krankenversicherung zum Schutze eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes zwingend erforderlich ist — dies würde den Eingriff gegenüber der Beruf s wahlfreiheit und als Sozialbindung rechtfertigen. b) die Expansion der Pflichtversicherung nicht selbst dann, wenn die Voraussetzungen zu a) vorliegen, so tief i n das Eigentum am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingreift, daß Enteignung (Sozialisierung) anzunehmen wäre. Sie könnte dann erfolgen, die privaten Versicherer müßten jedoch entschädigt werden.
143 Davor w i r d allgemein i m Schrifttum gewarnt: Forsthoff, E., Verfassungsmäßiger Eigentumsschutz u n d Freiheit des Berufes, Jub. Sehr. z. 100jährigen Bestehen d. dt. VerwGbk., 1963, S. 19 (21 f.); siehe auch MaunzDürig-Herzog, GG, A r t . 14 Rdnr. 15; Rüfner, W., Überschneidungen und gegenseitige Ergänzungen der Grundrechte, Der Staat 6 (1968), S. 41 (49 f.); Hub er, H., Gewerbefreiheit u n d Eigentumsgarantie, Festgabe f. Gutzwiller, 1959, S. 535 f.
C. R e c h t f e r t i g u n g einer E r w e i t e r u n g der P f l i c h t v e r s i c h e r u n g — Grenzen der E x p a n s i o n der Sozialversicherung I. Notwendigkeit einer Legitimation aus dem Begriff der Sozialversicherung 1. Erforderlichkeit der speziellen Rechtfertigung
Die Grundfrage der folgenden Untersuchung lautet: W i r d eine weitere Expansion der Pflichtversicherung i n der G K V gedeckt dadurch, daß hier „Sozialversicherung" betrieben wird? Dieses Argument wäre zugleich eine A n t w o r t auf die beiden Fragen, die sich nach A r t . 12 Abs. I und Art. 14 GG stellen: Was ist das „überragend wichtige Gemeinschaftsgut", muß es gerade i n dieser Form geschützt werden? M i t dem Hinweis auf „Sozialversicherung" ist Schutzgut wie organisatorische Form des Schutzes unter Verweis auf traditionelle Gestaltungen angesprochen. Aber eben nur angedeutet. Der Hinweis auf „Sozialversicherung" allein kann nicht genügen. Es wäre i m Rechtsstaat unerträglich, wollte man unter Verweis auf einen nicht näher bestimmten Gattungsbegriff 1 4 4 private Berufstätigkeit unmöglich machen, große Eigentumswerte entziehen oder zerstören. Noch weniger kann — bei aller Bedeutung des Herkommens, gerade i n diesem Bereich 145 — der einfache Hinweis auf „Tradition" genügen, vor allem deshalb nicht, weil es ja hier u m Evolution, u m Erweiterung des Bestehenden geht 1 4 6 . Die etwaige Zulässigkeit bisheriger Pflichtversicherung begründet aber keineswegs auch die jeder zukünftigen Erweiterung — i m Gegenteil, sie macht eine besonders strenge Prüfung am Maßstab der Verfassung nötig 1 4 7 . 144 Z u r Sozialversicherung als Gattungsbegriff vgl. Isensee, J., Umverteilung, S. 44/5. 145 Der Satz, die Versicherungstradition schwäche grundrechtlich geschützte Interessen (im Sinne einer privaten Versicherungslösung) ab, Bogs, H., Sozialversicherung, S. 503, k a n n allgemein nicht gebilligt werden. „Traditionsorientierte Tendenzen" (dazu Zweigert, K., Reichert- Facilide s, F. (FN 23), S. 28, 32) mögen ihre Bedeutung bei der Rechtfertigung herkömmlicher Finanzmonopole haben (vgl. Bachof, O., i n : Die GRe, I I I / l , S. 201), die E r weiterung von Verwaltungsmonopolen tragen sie nicht. 146 Gegen eine „Versteinerung" des Sozialversicherungsbegriffs werden m i t Recht Bedenken vorgebracht (vgl. Bogs, H. F N 18), S. 15). 147
Vgl. dazu näher oben Β . II., 1. d).
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C. Rechtfertigung u n d Grenzen erweiterter Pflichtversicherung
Der Staat kann sich also nicht durch einen Pauschalverweis auf den Begriff „Sozialversicherung" für jede Veranstaltung freizeichnen, die irgendwie i n diesen Bereich fällt. Dies muß einmal deutlich unterstrichen werden, weil bisher die Zulässigkeitsprüfung meist sogleich abgebrochen wird, wenn dieses Wort fällt. Wie stark die politischen Kräfte sein mögen, die hinter einer Expansion der Sozialversicherung stehen, wie groß — m i t Recht! — der Konsens über Existenz und Grundprinzipien der Sozialversicherung auch sei — die höchstrangigen Werte der Rechtsstaatlichkeit und der Freiheit der Bürger gebieten eine Legitimation im einzelnen. Den Staat trifft hier ganz ebenso die detaillierte grundrechtliche Beweislast wie in allen anderen Fällen des Eingriffs in Grundrechte. Das GG kennt kein globales Sozialversicherungsprivileg. 2. Notwendigkeit der Legitimation aus bestimmten Aufgaben und Organisationsmethoden der Sozialversicherung
Die Expansion der Sozialversicherung kann nur dann gegenüber der Berufs- und Eigentumsfreiheit legitimiert, ihre Grenzen können nur dann m i t rechtsstaatlicher Präzision fixiert werden, wenn sich Organisationsmerkmale und Aufgaben rechtlich faßbar festlegen und i n ihrem Legitimationsgehalt gegenüber der Freiheit der Bürger bestimmen lassen. Daß dies bisher kaum versucht worden ist, enthebt nicht der Notwendigkeit einer Prüfung. Die Rechtsprechung hat bisher die Versicherungspflicht damit gerechtfertigt, daß es sich dabei u m ein Wesensmerkmal der Sozialversicherung handle 1 4 8 , jedenfalls liegt ihr dies als eine — auch unausgesprochene — Prämisse zugrunde. Der Begriff „Sozialversicherung" muß also, bei aller Wandlungsfähigkeit, gewisse „wesentliche Strukturelemente" aufweisen 1 4 9 , denen jede weitere Expansion entsprechen muß, wenn sie vor den Freiheitsrechten bestehen w i l l , die insbesondere durch Erweiterung der Pflichtversicherung nicht gefährdet oder aufgehoben werden dürfen. „Sozialversicherung" kann daher kein „vollständig offener" Begriff sein, wenn sie als weiträumiger Gesetzes vorbehält gegenüber zentralen Grundrechten wirken soll. Es mag hier offen bleiben, ob eine kompetenzrechtliche „Offenheit" des Sozialversicherungsbegriffs anzunehmen ist und wie weit sie geht 1 5 0 . 148 BVerfGE 10, S. 354 (363); 12, S. 319 (323 f.); 13, S. 21 (26); 14, S. 288; bemerkenswert ist dabei übrigens, daß diese Aussage i n den späteren Entscheidungen weit ausdrücklicher erscheint als i n den früheren, vor allem i n der ersten Grundsatzentscheidung, auf die immer wieder verwiesen w i r d . 149 So BVerfGE 23, S. 12 (23) f ü r die Unfallversicherung. 150 Z u r „Offenheit" A r t . 74 Nr. 12 GG vgl. Bogs, W., Z u m verfassungsrechtlichen Begriff der Sozialversicherung, Festgabe f. Muthesius, S. 47, 1960;
I. Notwendigkeit einer Legitimation aus dem Begriff der SozV
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Wenn das BVerfG hier nicht abstrakte Begriffsmerkmale addiert, sondern auf das „ B i l d der modernen Sozialversicherung abstellt", wenn es keinen definierbaren Klassen- oder Allgemeinbegriff, sondern einen „Typus- und Ordnungsbegriff" der Kompetenz „Sozialversicherung" zugrundelegt, i n dem sich eine unabgeschlossene Fülle von Merkmalen zu einer Struktur ordnet und anschaulich w i r d 1 5 1 — dann mag dies kompetenzrechtlich noch erträglich sein 1 5 2 ; bei der Legitimation von hoheitlichen Eingriffen i n die Freiheit des Bürgers, i m Zentrum der Rechtsstaatlichkeit, müssen feste Wesensmerkmale einer „Institution" bestimmbar sein, wenn allein schon die Zuordnung zu ihrem Bereich eine so weitgehende Legitimation tragen soll, wie sie die unumgängliche Sicherung eines höchstwertigen Gemeinschaftsgutes darstellt. Wollte man dem nicht folgen, so könnte unter Berufung auf die Notwendigkeit der Ausweitung der Sozialversicherung morgen jede beliebige staatsinterventionistische Maßnahme vor den Grundrechten gerechtfertigt werden — von der Garantie von Mindestlöhnen über totale Lohngleichheit bis zur Übernahme der Brotversorgung durch den Staat . . . Eine völlig „offene Sozialversicherung" könnte zur völligen Zerstörung der freiheitlichen Ordnung durch einfache Gesetzgebung dienen. I n gleicher Weise könnten dann andere „offene" Begriffe eingesetzt werden, etwa die „Verteidigung". „Sozialversicherung" als (impliziter) allgemeiner Gesetzes vorbehält gegenüber allen Grundrechten wäre bedenklich genug. „Sozialversicherung" als offener, d. h. unbestimmter Gesetzesvorbehalt ist verfassungsdogmatisch unerträglich. Es muß also versucht werden, Wesenselemente der Sozialversicherung herausarbeiten, welche zugleich die erforderliche Elastizität gewährleisten und sowohl Einzelbegründung für eine Expansion der Sozialversicherung wie, gegebenenfalls, deren Schranke darstellen. Die Aufzählung des BVerfG 1 5 3 kann hier Anhaltspunkte bieten. Wesentlich w i r d es jedoch auf diejenigen Merkmale ankommen, welche i n SchriftBogs, H. (FN 18), S. 15 f.; Nipperdey, H. C., Z u r verfassungsrechtlichen Problematik von Finanzausgleich u n d Gemeinlast, B e r l i n 1969, S. 15/6; Selmer, P., Steuerinterventionismus u n d Verfassungsrecht, 1972, S. 187 m. Nachw.; Isensee, J., Umverteilung, S. 44/5; Maunz-Dürig-Herzog, GG, A r t . 120, Rdnr. 25. 151 So Isensee, J., a.a.O. m i t guten Gründen, insbes. unter Hinweis auf BVerfGE 11, S. 105 ff. 152 Obwohl auch dagegen erhebliche u n d grundsätzliche Bedenken bestehen: H i n t e r methodologischen Erwägungen verbirgt sich hier nichts anderes als die K a p i t u l a t i o n der Verfassungsdogmatik vor der begrifflichen Bewältigung des Kompetenzkataloges, welche die Gewaltenteilung zwischen B u n d u n d Ländern i n Gefahr bringt. Die Verfassung „beschreibt" nie, sie ordnet stets normativ. 153 E 11, S. 105 (113). 4 Leisner
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C. Rechtfertigung u n d Grenzen erweiterter Pflichtversicherung
t u m und Rechtsprechung zum Begriff „Sozialversicherung" entwickelt worden sind. Sie sind i m folgenden auf ihre legitimierende und begrenzende Bedeutung für eine Pflichtversicherungsausdehnung zu untersuchen. Die Schwierigkeit liegt darin, daß stets die Gefahr der Überinterpretation droht, weil die freiheitsrechtliche Fragestellung bisher vernachlässigt worden ist und sich vor allem das Schrifttum meist i n rechtlich mehr oder weniger unfruchtbaren Deskriptionen ergeht. Diese Wesensmerkmale können sich entweder aus der Aufgabenstellung oder aus der für die Sozialversicherung typischen Art der Bewältigung dieser Aufgaben ergeben. II. Die Aufgaben der Sozialversicherung — ihre Erfüllung als „überragend wichtiges Gemeinschaftsgut" Die Aufgaben der Sozialversicherung sind bei der Legitimation der Pflichtversicherung gegenüber den Grundrechten von entscheidender Bedeutung. Sie müssen „überragend wichtige Gemeinschaftsgüter" betreffen und daher doch m i t einer gewissen Eindeutigkeit abgrenzbar sein. Die Judikatur des BVerfG, von der hier auszugehen ist, bringt hier übrigens eine Überraschung: M i t den Aufgaben der Sozialversicherung beschäftigt sie sich nur sehr am Rande. 1. Sozialversicherung als Sozialpolitik
a) Zwar w i r d anerkannt, daß hier eine „öffentliche Aufgabe" erfüllt werde 1 5 4 . Dieser Begriff ist jedoch seit langem derart ausgeweitet, daß aus i h m rechtliche Folgerungen kaum mehr gezogen werden können, keinesfalls kann die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe m i t dem Schutz eines „überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes" gleichgesetzt werden 1 5 5 . b) Die Sozialversicherung w i r d m i t Recht als „Element einer allgemeinen Sozial- und Gesellschaftspolitik" anerkannt 1 5 6 ; sie entspreche der Idee einer sich zu einer allgemeinen Gesellschaftspolitik ausweiten-
154 BVerfGE 14, S. 312 (317); vgl. auch E 10, S. 354 (362) für die soziale Ärzteversorgung. 155 Siehe dazu Leisner, W., Werbefernsehen u n d öffentliches Recht, 1967, S. 22 f. m. Nachw.; allg. zu den Staatsauf gaben Bull, H. P., Die Staatsaufgaben nach dem GG, 1973. 156 BVerfGE 29, S. 221 (231).
I I . Die Aufgaben der SozV als Legitimation u n d Grenze
51
den Sozialpolitik 157. Das gilt nicht nur für die Renten-, es t r i f f t auch für die Krankenversicherung zu. Nun ist die sozialpolitische Zielsetzung der Sozialversicherung unbestritten 1 5 8 . Dies kann jedoch die eigentlichen Aufgaben der Sozialversicherung nicht hinreichend umschreiben: — Gesellschaftspolitik ist nahezu alles, was der Staat unternimmt; gesellschaftspolitische Auswirkungen haben alle seine Maßnahmen. Wenn dies alles auch dem Schutz überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter diente, so gäbe es überhaupt keine Sicherung der Grundrechte mehr gegen den Hoheitsstaat. — Die gesellschaftspolitischen Vorstellungen wandeln sich dauernd. I m Bereich der Sozialversicherung gilt dies i n besonderem Maße 1 5 9 . Der Verweis auf „Gesellschaftspolitik" könnte schon deshalb den A n forderungen rechtsstaatlicher Bestimmtheit nicht genügen. — Es ist kaum möglich, die gesellschaftspolitischen „Aufgaben" von den lediglich sozialpolitischen Auswirkungen zu unterscheiden. I n dem weiteren Sinn aber, daß Sozialversicherung ein „Instrumentarium" zur Erzielung gewisser Effekte sei, läßt sich dies für nahezu alle Sektoren des Gemeinschaftslebens sagen — so etwa für den Agrarbereich 1 6 0 oder für die Strukturpolitik, die Stabilitätspolitik, die Wirtschaftspolitik überhaupt 1 6 1 . Eine sozialpolitische Zielsetzung kommt schließlich auch Veranstaltungen der Privatversicherung zu („materielle Sozialversicherung") 162 . Dieses K r i t e r i u m kann schon deshalb nicht den Bereich der unbedingt vom Staat hoheitlich zu schützenden höchstrangigen Gemeinschaftsgüter umschreiben.
157 BVerfGE 10, S. 354 (368). 158 v g l . Wannagat,G., Lehrb. I, S. 17, 27; Bogs, W. (FN 2), S. 24; Weddigen. W., H d w S W Bd. 9, 1956, S. 595. 159 So wurde etwa früher das „sozialpolitische Ziel" darin gesehen, „ i m wesentlichen" der Arbeitnehmerschaft zu helfen, vgl. etwa Stelzig, R., Die Rechtsnatur der Sozialversicherung, 1933, S. 70. 160 BVerfGE 25, S. 322. 161
Bogs, W., Entwicklungstendenzen der Sozialversicherung i m Rahmen eines Gesamtsystems sozialer Sicherung, ZVersWiss. 1970, S. 227 (236 f.). 162 Manes, A . (FN 92), S. 9; Breipohl, D., Die Stellung der Versicherungswirtschaft nach § 102 G W B i m System d. Wirtsch.verf., Diss. Tübingen 1972, S. 88 f.; das Versicherungsprinzip sei auch schon i n die private Versicherung eingedrungen, Schmidt, R., Gedanken z. Begr. d. Versicherung, Festg. f. E. Prölss, 1957, S. 254; vgl. ferner Achinger, u.a., Neuordnung der sozialen Leistungen, 1955, S. 45/6. Uber Mischformen i n der Schweiz berichtet Hug, W., Schweiz. Ztschr. f. Soz.Vers., S. 181 f.; z. Begr. d. „materiellen Sozialversicher u n g " (Privatversicherung als Sozialversicherung) vgl. die Rspr. zur Umstell u n g der Rentenansprüche, B G H Z 4, S. 197 (201 f.); 4, S.208 (2141). 4®
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C. Rechtfertigung u n d Grenzen erweiterter Pflichtversicherung 2. Die Aufgabe des „Ausgleichs" als Wesensmerkmal der Sozialversicherung
a) Sozialer Ausgleich als Aufgabe der Sozialversicherung Der „soziale Ausgleich" w i r d i m Schrifttum häufig nicht nur allgemein als eine Aufgabe 1 6 3 , sondern geradezu als ein Wesensmerkmal und ein Grundprinzip der Sozialversicherung bezeichnet 164 : Leistungen für eine Gruppe von Versicherten werden aus Beitragsteilen mitgetragen, die für eine andere Gruppe von Versicherten erhoben werden — Leistungen an Familienangehörige von Beiträgen Lediger, an Ältere von Beiträgen Jüngerer, an geringer Verdienende aus Leistungen der höher Verdienenden 165 . Der Ausgleich erfolgt also nach Versicherungszeiten, nach Generationen, nach Bedarfsgrundsätzen und nach unterschiedlichem Arbeitsverdienst 1 6 6 . Besonders deutlich sichtbar w i r d er i n der sozialen Krankenversicherung bei den sog. „Sachleistungen" (ärztliche Behandlung und Versorgung m i t Arzneien, Krankenhauspflege) ; diese kommen allen Versicherten gleichmäßig zugute, ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Beitrages 167 . Ferner findet hier eine generelle Prämienbemessung statt; das unterschiedliche Risiko (nach Alter, Geschlecht, Krankheitsanfälligkeit) kann — anders als bei der P K V — nicht berücksichtigt werden. Zwar kompensieren sich diese letzten Umverteilungseffekte i n gewissem Umfang, wenn man davon ausgeht, daß die Versicherung auf den gesamten Zeitraum des Berufslebens und darüber hinaus i n einem gewissen Umfang auch auf das Rentenalter abstellt; es bleibt dennoch ein erheblicher Ausgleichseffekt 168 vor allem zuungunsten der Höherver163 Vgl. u . a . Wannagat, G., Lehrbuch I, S. 17; Krohn, J., Rechtliche u n d sozialpolitische Folgen aus der Rechtsnatur der Sozialversicherung, Festg. f. E. Roehrhein, 1962, S. 123 (127); Isensee, J., Umverteilung, S. 17; Bogs, W., 43. DJT (G 58); ders. (FN 2), S. 25; der s., Z u r Rechtsnatur der Versorgungseinrichtungen freier Berufe — Zugleich ein Beitrag über die Abgrenzung von Versicherung, Versorgung u n d Sozialversicherung, Festschr. f. J. Krohn, 1954, S. 35 (46 f.); Weddigen, W., HdSW Bd. 9 (1956), S. 595; Selmer, P., Steuerinterventionismus u n d Verf.r., 1972, S. 186; Meydam, J. (FN 65), S. 70/1 m. weit. Nachw. 164 Meydam, J., a.a.O., Vorwort, S. 86 f.; Hax, K., Die Entwicklungsmöglichkeiten der Individualversicherung i n einem pluralistischen System der sozialen Sicherung, Schriftr. d. B M f. Arb. Heft 15, 1958, S. 16 spricht er v o m „sozialen Risikoausgleich" i m Gegensatz zum „Versicherungstechnischen". 165 Krohn, J. (FN 163), S. 127. 166 Schewe, D., Über den sozialen Ausgleich i n der Rentenversicherung, Festschr. f. W. Bogs, 1959, S. 333 (338); zu Einzelheiten vgl. Sozialenquête, S. 62. 167 Z u den Einzelheiten hier m. Nachw. Meydam, J. (FN 65), S. 70 f. 168 Dazu Sozialenquête, S. 206; Meydam, J., a.a.O., S. 72/3 m. weit. Nachw.; Schreiber, W., K r a n k h e i t u. soz. Sicherung, Sonderdr. P K V - V e r b a n d , 1972, S. 52 f.
I I . Die Aufgaben der SozV als Legitimation und Grenze
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dienenden, ganz abgesehen davon, daß eben eine so weitgehende Typisierung allein schon 169 nicht unbedenklich und ihrerseits wieder eine Form des „Ausgleichs" ist, welcher der Legitimation bedürfte. Der „soziale Ausgleich" ist also bei der G K V — anders als bei der P K V 1 7 0 — eine sehr bedeutsame Realität, was allerdings weder bedeutet, daß er ein faßbarer Rechtsbegriff wäre, geschweige denn i n sich bereits eine Legitimation trüge. b) Unbestimmtheit
des Begriffs
Eine allgemein anerkannte Begriffsbestimmung für den „sozialen Ausgleich" gibt es bisher nicht 1 7 1 . Geboten werden Beschreibungen, aus denen jedoch kaum rechtliche Konturen gewonnen werden können 1 7 2 . Dies gilt auch für die Rechtsprechung, die den Ausgleichscharakter ständig betont 1 7 3 . Dabei bleibt der Begriff des „Ausgleichs" jedoch — vielleicht bewußt — nahezu völlig i m Unklaren. Daß hier „dem einen gegeben, dem anderen genommen" wird, ist tautologisch. Das Verhältnis von Ausgleich und Schutzbedürftigkeit — die nebeneinander gestellt werden — bleibt offen, obwohl doch beides begrifflich nicht zusammenfällt. Gerade i n der Entwicklung des Begriffs „sozial" stellen die Gedanken des „Schutzes" und des „Ausgleichs" durchaus getrennte Komplexe dar, die auch verschiedene Entwicklungsphasen bezeichnen. Wenn aber vom Ausgleich innerhalb einer Solidargemeinschaft ausgegangen wird, so liegt ein schichtenmäßig verengter, spezifischer ständeähnlicher Ausgleichsbegriff zugrunde. Das für die Sozialversicherung Wesentliche ist dann aber nicht „der Ausgleich schlechthin", sondern die Tatsache, daß er innerhalb einer Solidargemeinschaft erfolgt, d.h. i m Rahmen einer bestimmten Organisationsform. I n diesem Zusammenhang ist der Ausgleich daher insoweit zu prüfen 1 7 4 , nicht aber hier, wo es u m die 169 Der „normale" Mensch „heiratet eben zu einer bestimmten Zeit", „hat eben" (eine gewisse Anzahl) K i n d e r usw. 170 Dazu Bogs, W. (FN 25), S. 25; zur Krankenversicherung RohwerKahlmann, Die Fürsorge, Ztschr. f. soz. Reform, 1967, S. 10. 171 So zutr. Meydam, J., a.a.O., S. 70. 172 Meydam, J., a.a.O., V o r w . meint, der Begriff des „sozialen Ausgleichs" sei ein „Leitbegriff" der Sozialversicherung, der jedoch „wegen seines G r u n d sat zchar akter s . . . intensiver rechtlicher Einengung n u r schwer zugänglich" sei. 173 Vgl. etwa BVerfGE 11, S. 105 (113); 11, S. 221 (226); 28, S. 324 (348) (Die G K V beruht „auf dem Gedanken der Solidarität" u n d des „sozialen Ausgleichs"); 14, S. 312 (317); BSGE 6, S. 213 (227), wo der „soziale Ausgleich" neben dem „Risikoausgleich" genannt w i r d ; BSG Sozialrecht, Nr. 2 zu § 4 G A L 1965, A a 4. 174 v g l . dazu unten I I I . , 3. c).
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C. Rechtfertigung u n d Grenzen erweiterter Pflichtversicherung
„Erfüllung der Aufgabe Ausgleich" als solche geht. Neuerdings ist versucht worden, den „sozialen Ausgleich" als „bestimmenden Wesenszug der Sozialversicherung" näher zu umreißen 1 7 5 : Die „Solidarfunktion" bestehe darin, daß jeder zur Förderung der eigenen wie der fremden Existenz mithelfen müsse. Die „Zielfunktion" liege i n der Verbesserung der Lebensverhältnisse, i n „sozialgerechter Teilhabe an den Gütern der staatlichen Gemeinschaft"; die Mittelfunktion liege in der Belastung von einzelnen oder Gruppen nach ihrer Leistungsfähigkeit zur Erreichung sozialer Gerechtigkeit. Keine dieser Aussagen bringt ein brauchbares Definitionselement. Sie sind so allgemein gehalten, daß sie zur Beschreibung jeder staatlichen Maßnahme geeignet, zu einer Grenzziehung der Staatsgewalt gegenüber jedoch völlig ungeeignet sind. Sie weichen i n Allgemeinstformeln aus, die als solche rechtlich überhaupt nicht mehr faßbar sind. Es ist dann besser, die Sozialversicherung gleich als völlig grundrechtsfreien Raum ohne faßbar e Grenzen zu bezeichnen. c) Ungeeignetheit
als Abgrenzungskriterium
„Ausgleich" ist als solcher ein dogmatisch ungeeigneter Abgrenzungsbegriff. Er beinhaltet nur eine gewisse Nivellierungstendenz, die ja der Sozialversicherung zugrunde liegen mag 1 7 6 , sagt jedoch nichts darüber aus, zwischen wem, was, m i t welchem Ziel und bis zu welcher Grenze abzugleichen ist. Wenn er, wie noch näher darzustellen sein wird, in einem gewissen SpannungsVerhältnis izum „Versicherungselement" steht 1 7 7 , das der Sozialversicherung ja auch wesentlich sein soll, so könnte er ohnehin nie allein, sondern allenfalls i n einer Zusammenschau m i t der Organisationsform „Versicherung" eine Wesensbestimmung und Rechtfertigung der Sozialversicherung tragen. Das BVerfG stellt besonders strenge Anforderungen an das „überragend wichtige Gemeinschaftsgut", dessen unbedingt erforderlicher Schutz allein einen Eingriff i n die Beruf s wahlfreiheit legitimieren kann. Ein solches Gemeinschaftsgut kann nicht m i t der Leerformel „sozialer Ausgleich" bezeichnet werden.
175 Meydam, J., a.a.O., S. 87. 176 Dazu allg. Wannagat, G., Lehrb. I, S. 28 f.; Stelzig, R. (FN 159), S. 73; k r i t . Heyn, W., Die soziale Sicherung der Selbständigen, Festgabe f. J. Krohn, 1954, S. 126 (152 f.) ; Altendorf, R., Der soziale Ausgleich i m System der Sozialversicherung, Diss. K ö l n 1971, insbes. S. 194 f. 177 Vgl. dazu f. viele Bogs, W. (FN 2), S. 26; Schewe, D. (FN 166), S. 333; Hax, Κ . (FN 164), S. 16.
I I . Die Aufgaben der SozV als Legitimation und Grenze
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3. Die „Schutzbedürftigkeit"
a) Die Entwicklung
des Begriffs
der Schutzbedürftigkeit
aa) Die Sozialversicherung war ursprünglich 1 7 8 m i t einer Aufgabenstellung geschaffen worden 1 7 9 , die einigermaßen faßbar erscheint: Sie sollte das Wohlergehen „namentlich der schwachen und hilfsbedürftigen Mitglieder der Gemeinschaft" fördern; sie war als eine der Maßnahmen gedacht, welche zur „Verbesserung der Lage der besitzlosen Klassen ergriffen werden können", als „eine Weiterentwicklung der Idee, welche der staatlichen Armenpflege zugrunde liegt" 1 8 0 . Die Kaiserliche Botschaft vom 17.11.1881 nannte als Ziel der Sozialversicherung, „den Hilfsbedürftigen größere Sicherheit und Ergiebigkeit des Bestandes" zu ermöglichen. Die Wesensmerkmale der G K V zu ihrer Entstehungszeit sind ebenfalls deutlich bestimmbar 1 8 1 : Genau definierten Gruppen sollte i m Wege der Einkommensverteilung zwischen den Mitgliedern und i m Verhältnis zwischen ihnen und ihren Arbeitnehmern die Uberwindung von Notsituationen ermöglicht werden. Es ging also u m Hilfe für die bestimmten Kategorien der Lohnarbeiter und der „proletaroiden Selbständigen" 18 -. Diese Selbständigen waren kleine Gruppen und i n ihrer sozialen Situation „arbeitnehmerähnlich" 1 8 3 . I n einer Zeit, der die strenge verfassungsrechtlich gesicherte Rechtsstaatlichkeit fremd war, ist also die Sozialversicherung keineswegs als ein grundrechtsfreier Raum, sondern i n einer Weise konzipiert worden, welche heutiger Rechtsstaatlichkeit und Grundrechtsdogmatik genügen würde. bb) Das Eigenartige an der Entwicklung der „Schutzbedürftigkeit" als rechtliches Wesenselement der Sozialversicherung ist, daß ihre Bedeutung nahezu i n derselben Proportion abzunehmen scheint, in der 178 Z u den Vorläufern der Bismarckschen Reformen vgl. Richter, L., G r u n d riß der Reichsversicherung, 1935, S. 14; Werth, W., H d w . Buch d. Versicherungswesens, I I , 1958, Sp. 2926 (2927). 179 Z u r Schaffung der Sozialversicherung u n d ihrer E n t w i c k l u n g i n den Jahren 1883 ff. vgl. f. viele Peters, H., Die Geschichte der Sozialversicherung, 1959; Maries, Α., Sozialversicherung, 1921, S. 13 f.; Vogel, W., Bismarcks Arbeiterversicherung, ihre Entstehung i m Kräftespiel d. Zeit, 1951, passim m. zahlr. Nachw.; Werth, W., a.a.O.; Savelsberg, G., H d S W Bd. 9, S. 607; Rohwer-Kahlmann, H., Die SV als T e i l des Sozialrechts, Festschr. f. Jantz, K., 1968, S. 63 (65). 180 so Manes, Α., a.a.O., S. 8, der aus der Begründung des ersten Sozialversicherungs-Gesetzentwurfes zitiert.
181 So zutr. Sozialenquête, S. 202. 182 Wannagat, G., Lehrb. I, S. 23; Rohw er-Kahlmann, 183 Bogs, H., Sozialversicherung, S. 320.
H. (FN 179), S. 65 f.
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C. Rechtfertigung u n d Grenzen erweiterter Pflichtversicherung
die Rechtsstaatlichkeit als Grundprinzip bewußt wird. Sicher war dabei das nationalsozialistische
tendenzen
185
Intervall
184
m i t seinen Volks Versicherungs-
nicht unwesentlich. Insbesondere wurde i n dieser Zeit durch
die E i n f ü h r u n g der Handwerkerversorgung
1938 der Grundsatz der
„Arbeiter Versicherung" entscheidend durchbrochen. Die Sozialversicherung sollte „einer Gesamtheit, i m wesentlichen der Arbeitnehmerschaft, Beistand leisten" 1 8 € — und damit bahnte sich bereits die Aufgabe des strengen „Bedürftigkeitskriteriums" an. cc) Nach 1945 187 vollzog sich die bereits dargestellte Erweiterung der Sozialversicherung 188 i n immer rascherem Zug. Man sprach nunmehr auch von einem grundlegenden Wandel i n der Aufgabenstellung der Sozialversicherung 189 , die i n einer total veränderten sozialen Umwelt zu erfüllen sei 1 9 0 . Der moderne Sozialstaat betreibe nicht mehr bloße Armenfürsorge, er beschränke sich nicht mehr auf Sicherung des Existenzminimums 1 9 1 . Nach solcher Auffassung ist die Sozialversicherung „über die ersten Bestrebungen, vor der nackten Not zu schützen, hinausgewachsen. Sie beschränkt sich nach A r t und Höhe der Leistungen nicht mehr auf das Ziel, die Not zu lindern, sondern w i l l dem Versicherten und seinen Hinterbliebenen die erworbene Stellung i m Sozialgefüge erhalten" 1 9 *. Die Aufgabe der Sozialversicherung wäre dann i n einer allgemeinen sozialen Besitzstandswahrung wenn nicht aller, so doch der QuasiTotalität der Bürger zu sehen — fürwahr eine gewaltige Aufgabe!
184 Z u r Sozialversicherung i n der NS-Zeit vgl. u. a. Dersch, H., Die Sozialversicherung, i n : Die Grundrechte I I I / l , S. 502 (506); Richter, L . (FN 178), S. 5 f. u n d passim; ders. (FN 55), S. 2 1 ; Rohrbeck, W., Versicherungswissenschaft u n d Versicherungswirtschaft, 1941, S . 2 3 1 ; Bogs, W. (FN 161), S. 232/3; Werth, W. (FN 178), Sp. 1929/30. iss v g l . insbes. Werth, W., a.a.O.; vgl. zu den Gedanken von Robert Ley Baginsky, Α., Freiheit beginnt m i t Zwang, 1947, S. 9. 186 Stelzig, R. (FN 159), S. 70. ι 8 7 z. Sozialversicherungsentw. i n dieser Periode allg. vgl. u. a. v. BethusyHue, V., Das Sozialversicherungssystem der BRD, 1965, insbes. S. 6 2 1 ; Werth, W., a.a.O.; Peters, H. (FN 179), S. 113 f. 188 Vgl. oben Α., I., 1. f. 189 Wannagat, G., Lehrb. I, S. 23 f.; die K o n t i n u i t ä t betont demgegenüber Peters, H., Der Gesichtswandel der Sozialversicherung, Der Arbeitgeber 1961, S. 52 f. 190 Mackenroth, G., Die Reform der Sozialpolitik durch einen deutschen Sozialplan, i n : Külp, B., Schreiber, W., Soziale Sicherheit, 1971. S. 265. 191 Rüfner, W., 49. DJT, A b t . E , S. 1 (19/20). 192 Jantz, K., Strukturprinzipien der sozialen Sicherung i n der Gegenwart, i n : Schewe, D., Nordhorn, K., Übersicht über die soziale Sicherung i n Deutschland, 1967, S. 1 (3).
I I . Die Aufgaben der SozV als Legitimation und Grenze
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b) Rechtsprechung Diese Auffassung kann sich, so mag es scheinen, auf die Rechtsprechung, vor allem auf das BVerfG, berufen. Dieses räumt zwar ein, daß die Sozialversicherung „der Idee nach" nicht für alle Berufstätigen, sondern für die Abhängigen geschaffen worden ist 1 9 3 . Der B G H hat auch noch i n seiner früheren Rechtsprechung anerkannt, daß das „sozialpolitische Ziel der Sozialversicherung seit ihrem Beginn darin besteht, den des Schutzes besonders bedürftigen minderbemittelten Schichten der Bevölkerung . .. einen Schutz gegen die Wechselfälle des Lebens zu geben" 1 9 4 . Nach dem BVerfG muß sich jedoch die Sozialversicherung nicht auf Notfälle beschränken 195 , ebensowenig auf die Versorgung für die „sozial schwächsten Bevölkerungskreise" 196 oder auf die Arbeitnehmer 1 9 7 . Dennoch kann die Auffassung von der Aufgabe der Sozialversicherung als einer allgemeinen sozialen Besitzstandsioahrung (vgl. oben c) nicht aufrechterhalten und auch nicht auf die Rechtsprechung des BVerfG gestützt werden. Von der „Wahrung des Lebensstandards" spricht dieses nur dort, wo es den mitversicherten Hinterbliebenen eine soziale Kontinuität sichern w i l l 1 9 8 . Die Besitzstandswahrung verbindet also Hinterbliebene und Primär versicherte, sie ist kein Wesenselement der Sozialversicherung als solcher. I n derartiger Allgemeinheit wäre sie auch i n einer freien Wirtschaftsordnung unerträglich. Der Staat kann sich dazu schon aus volkswirtschaftlichen, insbesondere stabilitätspolitischen Gründen gar nicht verpflichten, es wäre dies das Ende jeder sozialpolitischen Dynamik und i m negativen Sinn „konservativ". Eine solche Besitzstandswahrung kann nicht einmal als ein Ziel oder gar als ein Wesensmerkmal des Beamtenstatus oder der Beamtenversorgung bezeichnet werden. Das BVerfG hat es abgelehnt, die Sozialversicherung schlechthin als die Veranstaltung der „sozialen Sicherheit" anzusehen 199 — und diese 193 BVerfGE 29, S. 221 (242). 194 So B G H Z 4, S. 197 (203) i m Anschluß an Manes; ebenso meint der B a y V e r f G H zur Begründung seiner (restriktiven) Auslegung von A r t . 74 Ziff. 12 GG, m i t Sozialversicherung sei die „Versicherung der sozial schwächeren Schichten, insbesondere der Arbeitnehmer gemeint . . n i c h t aber eine Versicherung, die sämtliche Angehörige eines freien Berufes" erfasse (n.F. Bd. 12/11, S. 14 (18)). 195 BVerfGE 28, S. 324 (348) i m Anschluß an E 11, S. 105 (113). 196 BVerfGE 28, S. 324 (328). 197 BVerfGE 11, S. 105 (113). 198 BVerfGE 17, S. 1 (33). 199 BVerfGE 11, S. 105 (111), vgl. dagegen BSG E 6, S. 213 (218).
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C. Rechtfertigung u n d Grenzen erweiterter Pflichtversicherung
Aussage hat sicher nicht nur kompetenzrechtliche Bedeutung 2 0 0 ; sie besagt materiellrechtlich, daß die Sozialversicherung auch nicht einfach global mit einer generellen „sozialen Sicherung" begründet werden kann: Dies würde einen Blankoscheck auf die Zulässigkeit von praktisch jeder Maßnahme der Sozialversicherung bedeuten und sich auf zahllose andere sozialpolitische Bereiche (etwa den Kündigungsschutz) erstrecken. Was überhaupt könnte übrigens nicht der sozialen Besitzstandswahrung dienen? c) Die Abgrenzungsbedeutung
der „Schutzbedürftigkeit"
Allgemeine Aufgabe der Sozialversicherung kann es also allenfalls sein, ein Sicherungsbedürfnis gegen Risiken und „Wechselfälle des Lebens" dort zu befriedigen, wo eine Schutzbedürftigkeit anzuerkennen ist 2 0 1 . Das BVerfG betont auch neuerdings, die Sozialversicherung diene „dem Schutz der wirtschaftlich und sozial schwachen Bevölkerungsteile, die der Wechselfälle des Lebens nicht Herr zu werden vermögen" 2 0 2 , es unterstreicht die „besondere Schutzwürdigkeit" gewisser Kategorien 2 0 3 . Seine Judikatur läuft darauf hinaus, daß diejenigen, die „ i m Wandel der Verhältnisse und Anschauungen nun ebenfalls i n gewissem Sinn und Umfang sozial schutzwürdig geworden sind", i n die Sozialversicherung einbezogen werden dürfen 2 0 4 . Der Gesetzgeber hat die Aufgabe, diese Schutzwürdigkeit i m Einzelfall zu bestimmen, das BVerfG folgt weitgehend seinen Wertungen, aber es prüft sie stets bis i n Einzelheiten hinein nach, und zwar immer unter dem Gesichtspunkt einer möglichst speziell zu begründenden Schutzbedürftigkeit 2 0 5 : Was das BVerfG m i t dieser Rechtsprechung vermeiden w i l l , ist deutlich: Dem sozialgestaltenden Gesetzgeber sollen keine formalistischen Grenzen gesetzt werden — freiberuflich Tätige — Abhängige, Notfälle — Normalfälle sind keine adäquaten Abgrenzungskategorien; das Gericht w i l l auch die Freiheit seiner Nachprüfung ersichtlich nicht allzusehr eingeschränkt sehen, i n ihrer Elastizität soll sie der Vielgestaltigkeit der Sozialpolitik entsprechen. 200 Z u dieser vgl. vor allem Bogs, H., Sozialversicherung, S. 270 f.; vgl. zu der Frage auch m. Nachw. Wannagat, G., Lehrb. I, S. 22 f. soi Dazu allg. Wannagat, G., Lehrb. I, S. 24, 30; vgl. Schneider, H. (FN 126), S. 49; Schreiber, W., Die G K V i n der freiheitlichen Gesellschaft, i n dem Sammelband gleichen Titels, hrsg. v. Schreiber, W., S. 9 (20/1) ; Paschek, W. (FN 22), S. 43/4; zu den sozialethischen Aspekten vgl. Jantz, K., Die sozialethischen Grundlagen der Sozialversicherung, Die Ortskrankenkasse 1968, S. 288 f. 202 BVerfGE 18, S. 257 (270). 2Ό3 BVerfGE 13, S. 21 (27). 2 °4 So ausdrücklich die erste Grundsatzentscheidung, E 10, S. 354 (367/8). 205 BVerfGE 24, S. 226 (232, 235); 25, S. 314 (322 f.).
I I . Die Aufgaben der SozV als Legitimation u n d Grenze
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Keineswegs aber kann aus der Judikatur abgeleitet werden, daß der Gesetzgeber souverän über die Schutzwürdigkeit zu entscheiden habe — sonst hätte das BVerfG nicht selbst gelegentlich entschiedene Aussagen über die Nicht-Schutzwürdigkeit getroffen 206 . Die Sozialversicherung bleibt — jedenfalls als Pflichtversicherung — eine staatliche Veranstaltung, die einer speziellen Legitimation aus einem „Sozialtatbestand" bedarf, welcher „eine ausgleichende Hilfe der Gemeinschaft rechtfertigt" 2 0 7 . Der Zusammenhang m i t den ursprünglichen Grundgedanken der Einführung der Sozialversicherung ist also nicht verloren gegangen, er ist nur entwicklungsgemäß modifiziert worden. Der Begriff der „Schutzbedürftigkeit" zur Bezeichnung des Wesens der Aufgabe der Sozialversicherung ist sicher nicht unproblematisch 208 ; hier kann und muß aber die allgemeine Entwicklung m i t ihren steigenden Risiken 2 0 9 , insbesondere muß die Geldentwertung berücksichtigt werden 2 1 0 . Auch ist der Übergang von der „Hilfs-" zur „Schutz-"bedürftigkeit nicht nur verbal: Es ist der Schritt von der Sicherung der nackten Existenz zur sozialen Grundsicherung. d) Sozialversicherung
als Grundsicherung
Der Gedanke der „Grundsicherung" ist wohl der beste Ausdruck für die Bewältigung der Aufgabe, der Schutzbedürftigkeit konkreter Gruppen Rechnung zu tragen 2 1 1 . Nur soweit kann der Staat den Bürger i n Pflichtversicherung nehmen, wie er selbst allein i n der Lage ist, das 206 z . B . E 24, S. 220 (235): „Gerade die Versicherten, die aus der Pflichtversicherung wegen der Höhe ihres Einkommens oder . . . wegen einer andersartigen Versorgung ausgeschieden sind, gehören i m Regelfall nicht zu den schutzbedürftigen Personen." 207 BVerfGE 11, S. 105 (113). 208 K r i t . dazu etwa Schreiber, W. (FN 201), S. 20, der fragt, ob denn die heute Pflichtversicherten w i r k l i c h als „schutzbedürftig" anzuerkennen seien. 209 v g l . dazu etwa BVerfGE 29, S. 221 (237/8); Sozialbericht 1970, B T Drucks. VI/643, S. 24 f.; Reuss, W., Jantz, K., Sozialstaatsprinzip u n d soziale Sicherheit, Schriftenr. d. Hochsch. Speyer, Bd. 10, 1960, S. 32 f. fiio z u dem Problemkreis vgl. Bogs, W. (FN 2), S. 104/5; Sozialenquête, S. 188; Paschek, W. (FN 22), S. 53/4. Die Problematik zeigt sich auch b. Schmatz, H., Wechsel-, Befreiungs- u n d Wahlmöglichkeiten zwischen Sozialversicherung u n d Individualversicherung, ZVersWiss. 1970, S. 269 (278). 211 Z u diesem Begriff vgl. grundlegend: Bogs, H., Sozialversicherung, S. 315 f., der zutr. den „ K e r n - oder Rahmenbegriff" der Sozialversicherung als eine „Grundsicherung für typische Bedarfslagen i m Erwerbsleben des Menschen" bestimmt u n d darin eine „zwar nicht ausschließliche, aber doch typusprägende Orientierung" sieht; die Sozialversicherung sei eben „wesensmäßig" auf Grundsicherung begrenzt, vgl. auch S. 545; ähnl. Weisser, G., HdSW Bd. 9, S. 409; Hug, W. (FN 162), S. 191.
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C. Rechtfertigung u n d Grenzen erweiterter Pflichtversicherung
erforderliche Maß an sozialem Gleichgewicht dauerhaft zu erhalten — und das ist eben das „Mindestmaß an sozialer Versicherung" 212 . Das BVerfG hat es ausdrücklich gebilligt, daß für Höher ver dienende die Sozialversicherung den Charakter einer „Mindestversorgung" ann i m m t 2 1 3 — als solche w i r d sie von diesen Kreisen ja auch heute wie früher geschätzt. Die zur Grundsicherung führende Schutzbedürftigkeit ist auch kein inhaltsloser Blankettbegriff, sie setzt vielmehr doch gewisse Schranken einer uferlosen Expansion der G K V i n vertikaler und horizontaler Hinsicht: — M i t dem Gedanken der Grundsicherung wäre es unvereinbar, wollte man sämtliche Leistungen, welche heute im Wege der Zusatzversorgung von der P K V erbracht werden, i n die Pflichtversicherung einbeziehen. Eine Schutzbedürftigkeit dafür ließe sich, selbst bei weitester Ausdehnung des Begriffes, hier nicht mehr konstruieren. — Folgt man dem Grundsicherungsprinzip, so erscheint es auch als ausgeschlossen, alle Freiberuflichen, ohne jede Rücksicht auf ihren sozialen Standard als Schutzbedürftige i n die G K V einzubeziehen. Hier wären ersichtlich die Grenzen zulässiger Typisierung überschritten. Aus dem Begriff „Grundsicherung" darf nicht abgeleitet werden, daß jeder Bevölkerungsgruppe notwendig eine gewisse Minimalsicherung von der G K V zu bieten wäre. Das t r i f f t nur dort zu, wo Schutzbedürftigkeit besteht, aus diesem Begriff kommt ja der Gedanke der Grundsicherung. „Schutzbedürftigkeit" bedeutet doch, wenn das Wort nur noch irgend einen Sinn behalten soll, daß es gewisse Kategorien von anderen abgrenzt, die eben nicht schutzbedürftig, weil anderweitig gesichert sind (Beamte) oder weil sie sich durch private Versicherung zu helfen vermögen. Schutzbedürftigkeit ist ein wesentlicher Abgrenzungsbegriff. Wo die Grenze im einzelnen verläuft, das mag der Gesetzgeber bestimmen. Es muß sie aber geben und sie muß sozialpolitisch noch ivirksam sein — daraus ergeben sich konkret für das Verhältnis G K V - P K V die eben entwickelten Ergebnisse. „Schutzbedürftigkeit" ist sicher ein entwicklungsbezogener Begriff 2 1 4 , und auch die Grundsicherung muß nach Sektoren unterschiedlich ver212 Hax, K . (FN 164), S. 14. 213 BVerfGE 10, S. 354 (369); 29, S. 221 (237). 214 Wenn man also allgemein sagt, die Sozialversicherung gehe „über eine Mindestsicherung heute weit hinaus" (so etwa Rüfner, W., 49. DJT, S. 20), so muß man klarlegen, was unter „Mindestsicherung" verstanden w i r d ; man darf diese natürlich nicht auf den Stand von 1883 festlegen wollen.
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standen werden 2 1 5 . Wesentlich aber ist, daß ein Raum bleibt, den die Grundsicherung nicht abdeckt, sonst ginge die legitimierende K r a f t der Sozialversicherung, von der Aufgabe her, verloren. Und dieser Bereich muß bestimmt werden nicht nur m i t Blick auf die schutzbedürftigen Versicherten, sondern auch auf die schutzbedürftigen privaten Versicherer, i n deren Berufswahlfreiheit hier eingegriffen wird. Das allenthalben bei Anwendung von A r t . 12 GG zu beachtende Verhältnismäßigkeitsprinzip gebietet eine Berücksichtigung beider Interessenkomplexe und damit die Belassung eines hinreichenden Aktionsraumes für die PKV — soweit nicht ganz zwingende Schutzbedürftigkeit der Pflichtversicherten entgegensteht. Das mag erscheinen als ein Ausweichen von einer Allgemeinformel i n die andere. Es ist aber doch etwas anderes als Blankettermächtigungen wie „Sozialpolitik" oder „sozialer Ausgleich" zugunsten der Sozialversicherung. Dieser werden hier grundsätzlich feste Schranken gezogen. Ihre Bestimmung i m einzelnen mag kontrovers bleiben — letzte Schranken lassen sich schon jetzt festlegen: Nach der Schutzbedürftigkeitsformel ist jedenfalls eine Kranken-Volksversicherung verfassungswidrig. e) Schutzwürdigkeit
und Grundrechtsschutz
Eine „Sozialversicherung", deren Aufgabe es ist, der Schutzwürdigkeit bestimmter Gruppen i n den „klassischen" Bereichen der Sozialversicherung Rechnung zu tragen, sichert damit zugleich jene Würde der Person (Art. 1 Abs. I GG) und persönliche Entfaltungsfreiheit (Art. 2 Abs. I GG), deren Schutz gelegentlich als Rechtfertigung der Sozialversicherung genannt werden 2 1 6 . Dem Einwand, die Sozialversicherung zerstöre die Eigenverantwortlichkeit menschlicher Sicherung, der Versicherungszwang entwickle sich zu einem neuen Herrschaftsinstrument 217 w i r d ja entgegen gehalten, die Sozialversicherung biete erst die Grundlage für freie, selbstverantwortliche Existenz 2 1 8 , sie nehme zwar Entscheidungsfreiheit bei der Einbeziehung i n die Versicherung, gewähre dafür aber „Situationsfreiheit" bei E i n t r i t t des Risikos 2 1 9 . 215 So k a n n sie bei der Rentenversicherung auch die volle Altersversorgung nach dem Stand des letzten Einkommens bedeuten. sie Breipohl, D. (FN 162), S. 87; Rohwer-Kahlmann, H. (FN 179), S. 67, 69 unter Hinweis auf Boettcher; Krüger, H., Von der reinen Marktwirtschaft zur gemischten Wirtschaftsverfassung, Hamb.ö.r. Nebenstudien, Bd. 15, 1966, S. 26/7; Scheuner, U., W d S t L 28, S. 231/2. 217 Vgl. Achinger u. a., Neuordnung d. soz. Leistungen, 1955, S. 29 f.
Siehe etwa Altendorf, R. (FN 176), S. 166. 219 Jantz, Κ . (FN 201), S. 290.
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C. Rechtfertigung u n d Grenzen erweiterter Pflichtversicherung
Es kommt sicher darauf an, ob der Zwang der Sozialversicherung „systemzerstörend oder systemerhaltend" 220 , d. h. freiheitsfördernd eingesetzt wird. Der Freiheitsbegriff realisiert sich heute nicht mehr nur i n der Staatsferne und i n der Abwehr staatlicher Eingriffe, sondern gerade auch i n der Prästation notwendiger staatlicher Leistungen 2 2 1 . Dieser status positivus, der durch die Zwangsversicherung realisiert wird, legitimiert durchaus gewisse Freiheitsbeschränkungen anderer, hier der privaten Versicherer. I m Gegensatz zum status negativus gehört es jedoch zum Wesen des status positivus, daß er weder unbedingt, noch prinzipiell grenzenlos gewährleistet werden kann; ihm ist vielmehr die konkrete, besondere Schutzbedürftigkeit, als Voraussetzung immanent, die den Staat als Freiheitsschützer auf den Plan ruft. W i r d diese begriffliche Schranke aufgegeben, so kann es keinen status negativus mehr geben, alle Freiheit verwandelt sich in Teilhabe. Dies aber entspricht nicht der freiheitlich-demokratischen, sondern der sozialistischen Grundrechtsvorstellung. Die Eingrenzung der Sozialversicherung auf spezielle Schutzbedürftigkeit folgt also m i t dogmatischer Notwendigkeit aus dem freiheitsschützenden Charakter dieser staatlichen Maßnahme. Nichts anderes ergibt sich, wenn man die Legitimation der Sozialversicherung i n der Vorstellung einer „menschenwürdigen Wirtschaftsverfassung" sucht. Denn gerade wenn es fraglich wird, „ob man eine solche Angelegenheit des Menschentums dem Markt überlassen dürfe" — dann kann jedermann auch nur ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit gewährleistet werden 2 2 2 , eben jene Grundsicherung, die eine Folge des freiheitsschützenden Charakters der Sozialversicherung ist. 4. Insbesondere: Das Schutzbedürftigkeitskriterium und die bisherige Rechtsprechung des BVerfG
a) Diese Grundsätze der Schutzbedürftigkeit, welche zur Grundsicherung als Aufgabe der Sozialversicherung führt, widersprechen auch nicht der Rechtsprechung zur bisherigen Ausweitung der Sozialversicherung; diese beruht vielmehr auf ähnlichen Erwägungen. Dies zeigt sich bei der Einbeziehung der Höherverdienenden, der freiberuflich Tätigen und der Landwirte 22*. 220 Dazu Herder-Dorneich, Analyse der gesetzlichen Krankenversicherung, 1965, S. 31. 22 1 Scheuner, U., a.a.O. 222 Krüger, H., a.a.O. (FN 216). 223 Nachw. zur Ausdehnung der Sozialversicherung u n d zur Diskussion u m ihre Zulässigkeit vgl. oben Α. I., 2.
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aa) Daß die höher verdienenden Angestellten nicht mehr von der Sozialversicherung freigestellt werden, mag einem Prinzip widersprechen, das lange Zeit gegolten hat, es ist jedoch verfassungsgemäß 224 ; es w i r d gebilligt als Einfügung des „Schlußsteines i n eine gradlinig verlaufende organische Entwicklung" 2 2 5 . Das BVerfG gewährt hier dem Gesetzgeber einen weiten 2 2 6 , aber keineswegs einen unbegrenzten Gestaltungsraum. I n seiner Grundsatzentscheidung sieht es die Rechtfertigung ausdrücklich und immer wieder darin, daß den Höherverdienenden eben nur eine Grundsicherung geboten werde, der von der Beitragsleistung freibleibende Betrag kann nach Belieben des einzelnen zu einer zusätzlichen Vorsorge i n anderer Form verwandt werden. Für die Bezieher hoher Einkommen stellt die gesetzliche Rentenversicherung demnach nur Mindestleistungspflichten auf, um eine Grundsicherung zu gewährleisten" 227 (Herv. v. Verf.). „Die Beitragsbemessungsgrenze läßt dem einzelnen, je höher sein Einkommen wächst, u m so mehr wirtschaftlichen Spielraum, sich anderer Formen der Alterssicherung noch neben der Sozialversicherung zu bedienen. Dem mit steigendem Einkommen sich verringernden Bedürfnis nach Schutz durch die Sozialversicherung entspricht eine größere wirtschaftliche Freiheit zur Eigenvorsorge" (Herv. v. Verf.) 2 2 8 . Eine undifferenzierte, volle Einbeziehung aller höherverdienenden Angestellten i n die Renten-Pflichtversicherung wäre nach diesen Grundsätzen m i t der Verfassung nicht vereinbar. Nichts anderes kann, mutatis mutandis, für die Krankenversicherung gelten. Auch hier gilt der Grundsatz, daß m i t steigendem Einkommen die Schutzbedürftigkeit abnimmt. Dem kann nur so entsprochen werden, daß dort keine Leistungen der A r t mehr über Pflichtversicherung geboten werden dürfen, wie sie heute i m wesentlichen durch die Zusatzversicherung angeboten werden. Die Grenze zur Zusatzversicherung mag i m einzelnen elastisch sein, „dem Grund nach" liegt sie von Verfassungs wegen fest. Und es ist eine deutlich freiheitsschützende Grenze für den Bürger, damit aber auch zugunsten jener privaten Versicherer, ohne deren Leistungsfähigkeit die „anderweitige Vorsorge" gar nicht möglich ist, von der das BVerfG spricht. Das Gericht hatte keine Veranlassung, sie ausdrücklich zu erwähnen, indirekt anerkennen die erwähnten Entscheidungen den beruflichen Freiheitsraum der Privatversicherung. Eine grenzenlose „vertikale" Erweiterung der Pflichtversicherung ist daher unzulässig. 224
So etwa f ü r die Arbeitslosenversicherung BVerfGE 18, S. 38 (46). 225 BVerfGE 29, S. 221 (242). 226 Frühere zurückhaltende Lösungen wurden ebenfalls gebilligt (BVerfGE 24, S. 220 (235)). 227 BVerfGE 2, S. 221 (237). 228
a.a.O., S. 242/3.
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bb) Die Einbeziehung der Freiberuflichen i n die Pflichtversicherung war von jeher umstritten; dies gilt vor allem für die Handwerker 2 2 9 . Der Streit ging aber dabei nicht darum, ob ein Grundsatz der Schutzbedürftigkeit anzuerkennen sei — davon wurde allgemein ausgegangen — sondern ob die spezielle Schutzbedürftigkeit dieser Schicht undifferenziert gegeben sei. Das BVerfG hat auch hier zurückhaltend, aber eindeutig nach dem Prinzip der Schutzbedürftigkeit entschieden. Es lehnt eine undifferenzierte Lösung aus dem Begriff der „freiberuflichen Tätigkeit" heraus ab 2 3 0 . Man würde jedoch das Gericht völlig mißverstehen, wollte man daraus eine Blankoermächtigung für die Einbeziehung jedes weiteren Berufsstandes i n eine volle Pflichtversicherung für alle Sparten ableiten. I n eingehenden Ausführungen sucht vielmehr das BVerfG nur einen Satz zu erweisen: daß die umstrittenen Gesetze (der Ärzteversorgung) eine „folgerichtige Weiterentwicklung sozialer Schutzeinrichtungen auf Kreise seien, die i m Wandel der Verhältnisse und A n schauungen nun ebenfalls i n gewissem Sinn und Umfang sozial schutzbedürftig geworden s i n d " 2 3 1 (Herv. v. Verf.). Nur so rechtfertigt sich auch methodisch die hier wie auch sonst i n allen einschlägigen Entscheidungen auftretende Begründung, die Betroffenen selbst hätten die Einbeziehung i n die Sozialversicherung gewünscht. Als Grundrechts verzieht wäre diese Legitimation höchst bedenklich. I n Wahrheit w i r d jedoch i n diesem Begehren nur ein Indiz dafür gesehen, daß die Schutzbedürftigkeit tatsächlich ökonomisch gegeben ist und soziologisch so empfunden wird. Wie könnte sie überzeugender dargetan werden? Das BVerfG hat auch i n einer neueren Entscheidung den freiberuflich Tätigen bescheinigt, daß ihre „soziale Gruppe" „ihrem Wesen nach auf die Freiheit eigener Lebensplanung i n allen Bereichen besonders bedacht i s t " 2 3 2 , und es billigt auch für sie die i n der Entwicklung der Sozialversicherung zum Ausdruck kommende sozialpolitische Tendenz: „Man w i l l erreichen, daß möglichst allen sozialen Schichten des Volkes eine Versorgung gesichert wird, die ihnen ein ausreichendes Maß an 229 Deren Einbeziehung als verfassungswidrig bezeichnet wurde, vgl. v. Altrock, A. (FN 131), 38 f.; vgl. ders., Der Standort der Sozialversicherung i m Rechtsgefüge, Festschr. f. W. Bogs, S. 15 (37/8); Bogs, H., Sozialversicherung, S. 322: Die ö. r. Alterssicherung der selbständigen Handwerker stellt „ i m Grunde" einen „Fremdkörper innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung dar, die materiell u n d organisatorisch ganz auf Arbeitnehmersolidarität aufgebaut ist". Z u ungünstigen praktischen Erfahrungen (Finanzierung der Handwerker durch die Arbeiter) vgl. Eike, S., Soziale Sicherung der Arbeitnehmer auch f ü r Selbständige, Dt. Vers. Ztschr. 1971, S. 110. 2 30 BVerfGE 10, S. 354 (364 f.); 11, S. 105 (117). 2
31 a.a.O., S. 368. 232 BVerfGE 29, S. 221 (242).
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Konsumkraft erhält" (Herv. v. Verf.) 2 3 3 . Wiederum geht es dabei also nicht um „vollen Bestandsschutz", u m eine „Dynamisierung der freien Wirtschaftsentwicklung i n die Sozialversicherung hinein", die staatspolitisch und stabilitätsmäßig gar nicht durchzuhalten wäre, sondern u m eine deutlich ausgesprochene Grundsicherung („ausreichend"), welche die Mitte hält zwischen armenpflegerischem Minimalschutz und wohlfahrtsstaatlicher Totalversorgung. Die Rechtsprechung zur Einbeziehung der Freiberuflichen gibt also nicht den Weg frei zu einer grenzenlosen horizontalen Ausweitung der Sozialversicherung. Sie verlangt jeweils eine strenge Prüfung der konkreten Schutzbedürftigkeit. „Die Einbeziehung jedes neuen, sich über das ganze Bundesgebiet erstreckenden Berufsstandes i n die Sozialversicherung setzt daher eine sorgfältige Prüfung seiner sozialen und wirtschaftlichen Situation voraus und verlangt wegen der weitreichenden und schwer übersehbaren Auswirkungen auf andere Lebensgebiete ein behutsames Vorgehen" 2 3 4 . Es läßt sich nicht allgemein sagen, welche freiberuflich Tätigen diese Voraussetzungen i m Falle der Krankenversicherung erfüllen. Dem Gesetzgeber bleibt hier ein Gestaltungsraum. Dem ganzen Sinn der Judikatur würde es aber zuwiderlaufen, wollte er aus staatsideologischen Gründen die Schutzbedürftigkeit für ganze Kategorien undifferenziert bejahen, ohne daß sich ein soziologischer Wandel feststellen ließe und dieser i n der Haltung der Betroffenen selbst zum Ausdruck käme. Durch eine vorsichtig abwägende Rechtsprechung bietet also das BVerfG hier den privaten Versicherungsunternehmen weit größeren Schutz als gemeinhin angenommen wird. cc) Für die Einbeziehung der Landwirte gelten die gleichen Grundsätze wie für die freiberuflich Tätigen 2 3 5 . Hier liegt zwar die Besonderheit i n den speziellen agrarpolitischen Zielsetzungen, die vor allem bei der gesetzlichen Altershilfe hervortreten 2 3 6 . Das G A L w i r d aber ausdrücklich damit legitimiert, daß es keine Voll ver sorgung biete, sondern nur den „Bargeldbedarf des Altenteilers decken solle" 2 3 7 . Er wolle auch, „wie die anderen Zweige der Sozialversicherung" einen „sozialen Ver233 a.a.O. 234 BVerfGE 17, S. 74 (79). 235 Denen sie das B V e r f G i n seiner Grundsatzentscheidung E 29, S. 221 (242) ausdrücklich gleichstellt, wenn nicht zuordnet. 236 BSG SozR, G A L §1, Nr. 1; BSG SozR Nr. 1 zu § 7 G A L 1965, A a 2 (m. weit. Nachw.); BSGE 22, S. 91 (94); 23, S. 39; BVerfGE 25, S. 314 (315 f., insbes. S. 321). 237 BSG SozR, G A L § 1, Nr. 1. 5 Leisner
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sicherungsschutz gegen bestimmte Lebensrisiken" gewähren 2 3 8 . Wieder kommt hier der Grundsicherungsgedanke zum Ausdruck: Nur gegen „bestimmte" Risiken dürfe versichert werden; und es müsse eben eine „soziale Versicherung" sein — was sollte i n diesem Zusammenhang das Wort „sozial" anderes bedeuten, als eine gewisse Grundsicherungstendenz, die nach der Rechtsprechung ersichtlich i m Begriff der Sozialversicherung selbst liegt? Die Rechtsprechung zur Einbeziehung der Landwirte erhärtet also die These, daß auch der horizontalen weiteren Ausdehnung der Sozialversicherung Grenzen aus dem Begriff der Sozialversicherung selbst gesetzt sind, und daß diese insbesondere nicht unbesehen zu einer Volleinbeziehung i n eine totale Pflichtversicherung gesteigert werden darf 2 3 9 . Der weiteren Expansion der Krankenversicherung insbesondere darf hier wohl nur m i t einer besonderen Zurückhaltung nähergetreten werden, welche auch die agrarpolitischen Notwendigkeiten angemessen berücksichtigt. b) Die „Befriedigung des Schutzbedürfnisses" wichtigen Gemeinschaftsgüter
und die „überragend
aa) Von den Aufgaben der Sozialversicherung her kann also das „überragend wichtige" Gemeinschaftsgut, dessen zwingend notwendige Sicherung allein die Pflichtversicherung gegenüber der Berufswahlfreiheit legitimiert, ausschließlich in der Befriedigung eines „sozialen Schutzbedürfnisses" für gewisse Gruppen der Gesellschaft gesehen werden. Es fragt sich, ob dies der Rechtsprechung des BVerfG zu den „wichtigen Gemeinschaftsgüter" i m Sinne von Art. 12 GG entspricht. Das BVerfG hat bisher einen festen Katalog „überragend wichtiger Gemeinschaftsgüter" nicht aufgestellt, welche objektive Zulassungsschranken rechtfertigen könnten 2 4 0 . Insbesondere ist die Abgrenzung zwischen jenen „wichtigen Gemeinschaftsgütern", die subjektive, und den „überragenden", welche objektive Schranken legitimieren, nicht eindeutig. Als „wichtiges Gemeinschaftsgut" w i r d bezeichnet: Erhaltung des Leistungsstandes und der Leistungsfähigkeit des Handwerks und die
238 BVerfG, a.a.O. 239 Nicht unbedenklich sind die Ausführungen von Schieckel, H., G A L , Komm., Std. 1972 (4. Α.), S. X X I V , der auch eine K o n t i n u i t ä t zur Entwicklung i m I I I . Reich hervorhebt, die w o h l besser nicht betont werden sollte. 240 Dazu sowie z. folg. vgl. Leisner, W., Die verfassungsrechtliche Berufsfreiheit, JuS 1962, S. 463 (467 f.) — an der Tendenz der Rechtsprechung hat sich bisher nichts Wesentliches geändert.
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Sicherung des Nachwuchses für die gesamte gewerbliche Wirtschaft 2 4 1 , Schutz vor gesundheitlicher und wirtschaftlicher Schädigung des Verbrauchers 242 , Volksgesundheit 243 , Steuerrechtspflege 244 , sinnvolle und sparsame Verwendung öffentlicher M i t t e l 2 4 5 . Ausdrücklich als „überragend" wird, soweit ersichtlich, neuerdings kein Gemeinschaftsgut bezeichnet. Doch nimmt dies das BVerfG i m Ergebnis an bei der Arbeitsvermittlung (Bekämpfung der Arbeitslosigkeit) 2 4 6 und wohl auch für die Volksgesundheit 247 sowie bei der Volksernährung 2 4 8 . Anders als bei den „wichtigen" Gemeinschaft sgü ter η dürfte es sich hier ausschließlich u m „vorgegebene", allgemein anerkannte Schutzwerte handeln 2 4 9 ; sie können sich also nicht aus den „besonderen wirtschafts-, sozial- und gesellschaftspolitischen Zielen des Gesetzgebers ergeben" 2 3 0 , wie dies bei den „wichtigen Gemeinschaftsgütern" der Fall sein mag. bb) Vergleicht man m i t diesen Wertungen die Befriedigung des sozialen Schutzbedürfnisses durch Pflichtversicherung, so könnte sich eine nähere Parallele lediglich zur Aufgabe der Arbeitsvermittlung ergeben. Dann aber würde sich die Sozialversicherung nie i m Sinne einer wohlfahrtsstaatlichen Gesamt Vorsorge, sondern stets nur als Grundsicherung rechtfertigen: Die Arbeitsvermittlung dient geradezu der Behebung von sozialen Notfällen oder jedenfalls der Bereinigung von Situationen, die sich leicht zu solchen entwickeln können. Sie kann schon deshalb keine allgemeine soziale Besitzstandswahrung anstreben, weil die Arbeits- und Verdienstbedingungen von ihr weder geschaffen, noch auch nur wesentlich beeinflußt werden können. Allgemein ergibt sich aus der A r t der als überragend anerkannten Gemeinschaftswerte, daß sie stets nur i n gewissen elementaren Bereichen geschützt werden sollen. Andernfalls würde die integrale Ver241 BVerfGE 13, S. 97. 242 BVerfGE 19, S. 338. 243 BVerfGE 20, S. 295. 244 BVerfGE 21, S. 179. 245 BVerfGE 28, S. 374. 246 BVerfGE 21, S. 251 „ . . . ist f ü r das gesamte V o l k von entscheidender Bedeutung u n d gehört zu der dem Staat obliegenden, i h m durch das Gebot der Sozialstaatlichkeit v o m GG auch besonders aufgegebenen Daseinsvorsorge". 247 Ein „besonders wichtiges absolutes Gemeinschaftsgut", BVerfGE 25, S. 247. Vgl. auch BVerfGE 17, S. 276. 248 „Gemeinschaftsgut höchsten Ranges", das den Eingriff i n die Freiheit der Berufswahl rechtfertigt, BVerfGE 25, S. 16. 249 Leisner, W., a.a.O., S. 469. 250 So für die Legitimation der subjektiven Zulassungsschranken BVerfGE 13, S. 97. 5*
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folgung jedes dieser Ziele m i t allen Mitteln zugleich das Ende jeder wirtschaftlichen Freiheit bedeuten — i m Namen der Sicherung der Volksernährung könnten die gesamte Landwirtschaft, die ganze Ernährungswirtschaft und der damit verbundene Handel ersatzlos verstaatlicht werden. Es entspricht also der Wesensstruktur dieser Gemeinschaftsgüter, daß sie notwendig ein hohes Abstraktionsniveau aufweisen, damit begrifflich einen weiten Eingriffsbereich eröffnen — daß aber gerade deshalb der Gesetzgeber diesen nie voll ausnützen, nie bis an die letzten Grenzen gehen darf. Überragende Gemeinschaftsgüter geben begrifflich nie Blankoermächtigungen, sie gestatten nur punktuelle Eingriffe. Auf die Sozialversicherung angewendet bedeutet das: Die Allgemeinheit der Legitimation verlangt gerade deren vorsichtig-punktuelle Ausnützung. „Große Sprünge" sind hier bereits begrifflich ausgeschlossen. Ergebnis: Die Rechtsprechung des BVerfG zu den Aufgaben der Sozialversicherung bestätigt deren Legitimation i m Sinne einer auf Grundsicherung gerichteten Befriedigung sozialer Schutzbedürfnisse. Sie verbietet eine wesentliche Steigerung der Pflichtversicherung i n vertikaler Hinsicht und verlangt bei jeder horizontalen Erweiterung auf weitere Berufsgruppen eine vorsichtige Prüfung, den Nachweis konkreter Schutzbedürftigkeit, schrittweises Vorgehen. Eine wohlfahrtsstaatliche Gesamtideologie ist mit dem Wesen der Sozialversicherung nicht vereinbar. Diese Grenzen ergeben sich aus der Aufgabenstellung der Sozialversicherung. Es fragt sich nun, ob aus den organisatorischen Wesenselementen weitere Abgrenzungen zu gewinnen sind und ob diese die bisher aufgefundenen bestätigen oder ergänzen. H L Organisatorische Wesenselemente der Sozialversicherung als Schranken ihrer Expansion 1. Die allgemeine Bedeutung der „organisatorischen Strukturelemente" der Sozialversicherung
Das BVerfG hat die Sozialversicherung nicht ausschließlich aus der Aufgabenstellung, also „materiell" definiert. Gleichgewichtig, wenn nicht vorrangig verweist es auf organisatorische, „formelle" Kriterien: Sozialversicherung sei gegeben, wenn die neuen Sozialleistungen „ i n ihren wesentlichen Strukturelementen, insbesondere in der organisatorischen Beioältigung ihrer Durchführung dem B i l d entsprechen, das durch die klassische Sozialversicherung geprägt ist" (Herv. v. Verf.) 2 5 1 . 251 BVerfGE 11, S. 105 (112).
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Als organisatorisches Strukturelement nennt das BVerfG die Selbstverwaltung (im folg. 3) und die A r t der Mittelaufbringung 2 5 2 (im folg. 4). Diese Rechtsprechung hat K r i t i k erfahren. Während sonst das BVerfG i n erster Linie auf den materiellen Gehalt einer Regelung blicke, stelle es hier entscheidend auf einen rein formalen Umstand ab und ermögliche damit i n erheblichem Umfang eine „Manipulation der Steuerverfassung des GG durch den einfachen Bundesgesetzgeber" 253 . Dieser Einwand hat Gewicht, insbesondere wenn das BVerfG nicht eine strenge „Prüfung an der Tradition" der Sozialversicherung vornimmt, die ja dann allein noch Grenzen ziehen kann; denn wenn alles zulässig ist, was sich organisatorisch als Sozialversicherung darstellt, der Gesetzgeber aber Herr eben dieser Organisation ist, so bildet die Sozialversicherung einen verfassungsfreien Raum. Das BVerfG hat dem jedoch Rechnung getragen — so erklären und rechtfertigen sich die umfangreichen Ausführungen zur Entwicklung der Sozialversicherung i n bestimmten Bereichen. Damit w i r d nicht die frühere Gesetzgebung als solche Verfassungsmaßstab der späteren, wohl aber ihre kontinuierlichen Tendenzen. Ein Bedenken freilich bleibt gegen die „organisatorische" Definition der Sozialversicherung: Hier wie überall i m öffentlichen Bereich muß die Organisation der Aufgabe entsprechen, sie w i r d entscheidend, wenn nicht ausschließlich von dieser bestimmt 2 5 4 . Wenn aber der Gesetzgeber all das zur Sozialversicherung machen und damit den Grundrechten gegenüber absichern kann, was er i n den Organisationsformen der Sozialversicherung erledigen läßt, so w i r d er diese Organisation selbst aufgabenkonform verändern können, ja müssen; dann aber „manipuliert" tatsächlich der einfache Gesetzgeber den Sozialversicherungbegriff und damit den Grundrechtsschutz. Deshalb kann eine rein organisationsrechtliche Betrachtung der Sozialversicherung nicht genügen. „Formale" und „materielle" Kriterien müssen kombiniert werden 2 5 5 , wie dies ja auch das BVerfG ausdrücklich fordert. I m Falle der Sozialversicherung ist dies auch i n besonderem Maße erforderlich: Von den Aufgaben her läßt sich zwar aus der 252 a.a.O., S. 113. 253 So m. Nachw. Selmer, P. (FN 163), S. 189/90. 254 Dies ergibt sich schon aus dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit und der daraus folgenden Zweck-Mittel-Relation, noch mehr aus dem Grundsatz der Sparsamkeit, der gebietet, möglichst viele Aufgaben m i t vorhandener Organisation zu bewältigen. A u f die grundsätzliche Frage, inwieweit nicht weithin das Gegenteil eintritt — u n d auch normativ gewollt ist — daß nämlich die Aufgaben durch die Organisation bestimmt werden, k a n n hier nicht eingegangen werden. 255 Der Unterschied der beiden Betrachtungsweisen ist stets bewußt gewesen, vgl. Schneider, H. (FN 126), S. 49 f.
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„Schutzbedürftigkeit" ein äußerster Rahmen gewinnen (vgl. oben II), dieser ist aber wegen seiner Allgemeinheit aus rechtsstaatlicher Sicht ungenügend. Er muß präzisiert werden durch die Kontrolle aller Erweiterungsmaßnahmen der Sozialversicherung an den organisationsrechtlichen „Strukturelementen". Man w i r d i n diesem Punkt, wie überhaupt, der Rechtsprechung nicht gerecht, w i l l man aus ihr nur Blankette herauslesen. Das BVerfG hat nicht vor der Sozialpolitik kapituliert; es w i l l nur ihrer Dynamik durch eine Vielzahl von Grenzziehungskriterien gerecht werden; deren Bedeutung gilt es nun i m einzelnen zu bestimmen. 2. Exkurs: Sozialversicherung als Versicherung Versorgung, Fürsorge oder als Mischform
Wer die Grenzen der Sozialversicherungsexpansion bestimmen w i l l , kann an der wichtigsten Grundsatzdiskussion dieser Materie nicht vorübergehen — sie betrifft das Wesen der Sozialversicherung als Versorgung, Fürsorge. Ihre Einzelheiten interessieren allerdings weniger als die Ergebnisse, die sich aus den jeweiligen (Modell-)Vorstellungen für die Grenzen der Sozialversicherung und deren Legitimation ergeben 256 . a) Sozialversicherung
als Assekuranz
aa) Der Begriff „Versicherung" w i r d herkömmlich 2 5 7 bestimmt als „gegenseitige Deckung zufälligen schätzbaren Geldbedarfs zahlreicher gleichartig bedrohter Wirtschaften" 2 5 8 . Nach der Mehrheit der Mitglieder des deutschen Vereins für Versicherungswirtschaft ist Versicherung 256 Ob diese Untersuchung ihren dogmatischen Platz i m Rahmen der A u f gaben oder der organisatorischen Bewältigung hat, mag zweifelhaft sein. Sie ist w o h l beiden zuzurechnen: „Assekuranz" wie „Fürsorge" sind auch, wenn nicht vor allem, Formen organisatorischer Bewältigung, insbesondere dann, wenn man die „Aufgabe" des „sozialen Schutzes" sehr weit faßt. Andererseits entsprechen sie auch gewissen speziellen Aufgabenstellungen, was vor allem bei den Begriffen der Versorgung und der Fürsorge deutlich w i r d . Die Frage mag hier offen bleiben — deshalb: Exkurs. 257 Z u den Ursprüngen dieser Definition vgl. Möller, H., Moderne Theorien zum Begriff der Versicherung u n d des Versicherungsvertrages, ZVersWiss 1962, S. 270 1 ; zum Ursprung des Versicherungsdenkens Bogs, W. (FN 2), S. 15/6. 2 5S So die klass. Definition von Manes, Α., Vers. Lexikon, 3. Α., 1930, S. 289 bis 290; ähnl. ders. (FN 92), S. 3; Bogs, W. (FN 54), G A ; Schmidt , R. (FN 162), S. 247; Heyn, W. (FN 177), S. 38 f.; Wälder, Joh., Über das Wesen der Versicherung, 1971 (Überblick; Zusammenfassung S. 80 f.); Möller, H., Stellung der Sozialvers, i m Gesamtgefüge des Versicherungswesens, i n : Festschr. f. H. Schmitz, München 1967, S. 391 f.; Sozialenquête, S. 60; Rohrbeck, W., Der Begriff der Sozialversicherung u n d ihre Abgrenzung zu Versorgung und Fürsorge, i n : Gegenwartsfragen sozialer Versicherung, hrsg. v. Bogs, W.. 1950, S. 17 ff.; Richter, L., Sozialversicherungsrecht, 1931, S. 5; Isensee, J., Umverteilung, S. 13 m. weit. Nachw.; Wannagat, G., Lehrb. I, S. 2 f.
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„die planmäßige Deckung eines i m einzelnen ungewissen, insgesamt aber schätzbaren Geldbedarfs auf der Grundlage eines durch Zusammenfassung einer genügend großen Anzahl von Einzelwirtschaften herbeigeführten Risikoausgleichs" 259 . Wesenselemente sind also: Versicherungsrisiko, Gegenseitigkeit, Gleichartigkeit der Bedrohung, vor allem aber die versicherungstechnische Äquivalenz von Prämie und Versicherungsleistung 260 . Die Äquivalenz kann dabei stets nur Individualentsprechung sein: „Niemand unter den Versicherten w i l l die Wahrscheinlichkeit ihm selbst drohender Gefahr, seine Risikoquote also, mit der Höhe seiner Beiträge überzahlen, und jeder Versicherte kauft so seine Deckungschance streng nur nach dem individualistischen Gerechtigkeitsprinzip der Gleichheit von Leistung und Gegenleistung 261 ." bb) Die Sozialversicherung ist unter mehreren dieser Aspekte eindeutig „Versicherung". Ein Versicherungsrisiko besteht, „wenn die Schätzbarkeit des Risikos überhaupt noch zu den Wesensmerkmalen der Versicherung zu zählen i s t " 2 & 2 ; die Gegenseitigkeit ist selbst bei einer so großen Zahl von Versicherten noch gegeben, der Zusammenschluß, auf den es hier ankommt 2 6 3 , kann begrifflich auch zwangsweise hergestellt werden. Die Gleichartigkeit der Bedrohung schließlich ist jedenfalls dort noch zu bejahen, wo eine gewisse Homogenität der versicherten Gruppe besteht 264 . Die Sozialversicherung konnte daher unschwer unter den Versicherungsbegriff subsumiert werden 2 6 5 , und eine Abgrenzung zwischen allgemeiner (Privat-) und Sozialversicherung wollte nicht recht gelingen 2 6 6 . Diese w i r d daher von der h. L. auch heute noch als eine „echte Versicherung" anerkannt 2 6 7 . 259 Berichtet von Möller, H., a.a.O. 260 Z u m versicherungstechnischen Äquivalenzprinzip vgl. Isensee, J., U m verteilung, S. 14 m. Nachw.; sowie noch Wannagat, G., Lehrb. I., S. 3; Weddigen, W., HdSW, Bd. 9, S. 595; Manes, A. (FN 92), S. 7. 261 Weddigen, W., a.a.O. 262 v g l . dazu Nachw. b. Wannagat, G., Lehrb. I, S. 5. 263 Dazu Möller, H. (FN 259). 264 Dazu unten 3.; die Homogenität ist also Folge des Versicherungsbegriffs, sie kann auch n u r soweit Wesensmerkmal der Sozialversicherung sein, wie man i n dieser eine echte „Versicherung" sieht. 265 Typisch dafür Manes, Α., der seine klassische Definition (vgl. oben F N 260) für die Sozialversicherung n u r u m die Worte „(Vermögensbedarf) notleidender Bevölkerungsschriften" erweitern zu müssen glaubte (Sozialversicherung, 1921, S. 5). 266 Überblick über mögliche Abgrenzungskriterien bei Rohrbeck, W. (FN 260), S. 74 f.; Wolff, H. J., Verwaltungsrecht I I I , 3. Α., S. 180; Schreiber, W. (FN 201), S. 14; Bogs, W. (FN 163), S. 45 f.; Brückmann, W., Die deutsche Sozialversicherung, 1951, S. 5; Eichler, H., Versicherungsrecht, 1966, S. 45 m. Nachw.; Möller, H., Gemeinsame Grundbegriffe der Sozial- u n d P r i v a t -
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Sie unterscheidet sich aber — und das w i r d allgemein zugegeben — von der Privatversicherung wesentlich 268 durch zwei „Strukturelemente": — dadurch, daß sie nicht vom Grundsatz der Individualäquivalenz beherrscht wird. „Sie stellt nicht auf das objektive Kriterium der versicherten Gefahr, sondern auf das subjektive der Leistungsfähigkeit des Versicherten ab, dadurch, daß sie ihre Beitragsbemessung am Arbeitsentgelt ausrichtet 269 ." Bei der Krankenversicherung ist dies besonders deutlich: Die Sachleistungen werden ohne Rücksicht auf die Beitragsbemessung allen i n gleicher Weise gewährt. Die Sozialversicherung bewirkt damit eine nivellierende Umverteilung 2 7 0 . — durch die Möglichkeit staatlicher Zuschüsse und die Gewährträgerschaft 271 .
staatliche
Dadurch werden zwei Wesensmerkmale des klassischen Versicherungsbegriffes alteriert: — Der Grundsatz der „Gegenseitigkeit der Deckung": Von „Deckung kann begrifflich nur gesprochen werden, wenn die Deckung durch individuell auf den Deckungszweck ausgerichtete Beiträge erfolgt, nicht aber dann, wenn nur von einer „Globaldeckung" (Isensee) die Rede wäre — eine solche ist ja betriebswirtschaftlich i n jedem Unternehmen erforderlich. Versicherung, Festg. f. E. Roehrbein, 1962, S. 135 (136/7), auf dessen grundlegende Ausführungen vor allem die Subsumtion der Sozialversicherung unter den Versicherungsbegriff heute gestützt w i r d ; vgl. neuerdings der s Sozialversicherung u n d Privatversicherung, SGb 1970, S. 81 (82); für die Schweiz vgl. Hug , W. (FN 162), S. 110 f. 267 Vgl. dazu aus dem k a u m mehr zu übersehenden Schrifttum u. a. Wannagat, G., Lehrb. I, S. 16 f.; Krohn, J. (FN 163), S. 123 f.; Möller, H. (FN 266), S. 135 f.; ders. (FN 258), S. 393; ders., SGb 1970, S. 81 f.; ders. (FN 258), S. 270 ff.; Bogs, W. (FN 54), S. 8/9; ders. (FN 2), S. 22 f.; Schmidt, R. (FN 162), S. 255; Jahn, Κ . , A l l g . Sozialversicherungslehre, 1965, S. 38 f. (insbes. 41); Richter, L . (FN 178), S. 5 f., 11 f.; Stelzig, R. (FN 159), S. 9 ff. m. Nachw., S. 38 f.; Brackmann, K., Hdb. d. Sozialvers. 1972, Bd. 1, S. 79 f.; Werth, W. (FN 178), Sp. 1927; Frey, E., Die Z u k u n f t der Privatassekuranz, Vers. Wirtsch. 1968, S. 9; Schieckel, H., Entwicklung, Aufgaben u n d Aufbau der dt. Sozialvers., 1946, S. 8 f. Zurückhaltend Bogs, H., Sozialversicherung, S. 407 f.; Eichler, H. (FN 266), S. 44 f. (m. zahlr. Nachw.); Rohrbeck, W. (FN 258), S. 23; Hax, Κ . (FN 164), S. 14 f.; Sozialenquête, S. 62. Abwartend Zacher, H., Die Sozialversicherung als T e i l des öff. Rechts, Festschr. f. K . Jantz, 1968, S. 29 (36): Der Streit konnte „bis heute nicht ausgetragen werden", ablehnend neuerdings Bogs, W., vgl. Z f V 1973, S. 184. 2 68 Die anderen möglichen Unterscheidungsmerkmale liegen — darüber besteht Einigkeit — am Rande. 2 69 Isensee, J., Umverteilung, S. 14/5 (m. Nachw.). 2
™ Näher dazu oben II., 2. Dazu unten 4.; die beiden wesentlichen Unterschiede stellt heraus die Sozialenquête, S. 63. 271
deutlich
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„Gegenseitigkeit" bedeutet auch, daß jeder des anderen Lasten mittrage, nicht aber eine Gruppe allein oder überwiegend die der anderen. Gegenseitigkeit kann also begrifflich nur durch das Prinzip der (Individual-)Äquivalenz verbürgt werden. — Das Prinzip der „Gleichartigkeit der versicherten Risiken": W i r d der „Ausgleich" verschärft, so kann dies nur durch Zusammenfassung von mehr und weniger leistungsfähigen Versicherten geschehen. Dann aber w i r d die Relation Beitrag - Risiko nicht für alle Beteiligten dieselbe sein, w e i l es bereits an der (annähernden) Gleichartigkeit der „versicherten Wirtschaften" fehlt. Damit aber ist auch das „versicherte Risiko" nicht gleichartig. Die Frage, ob die Sozialversicherung „noch" Versicherung ist, ob sie einen „gemischten Versicherungstyp" 272 , eine „Versicherung sui gener i s " 2 7 3 darstellt oder anderen Bereichen zuzuordnen ist (dazu unten b) und c)), w i r d sich eindeutig nie beantworten lassen; es kommt ja dabei auf die Bedeutung an, die man dem „Ausgleich" und den „Staatszuschüssen" beimißt, darüber hinaus aber auch auf die Entwicklung der Sozialversicherung selbst: Wenn sie sich, gegenüber der Individualäquivalenz verstärken, so „wächst die Sozialversicherung aus der Versicherung hinaus", vom „Versicherungselement" bleibt nur eine Hülle, die „Abwicklung nach Versicherungstechnik" 274 . Einen „festen Punkt des Umschlags" w i r d man dabei kaum markieren können. Es stellen sich also für die „Abgrenzung der Sozialversicherung aus dem Versicherungsbegriff" drei Fragen: — Wie ist der jetzige Zustand zu beurteilen? (cc) — K a n n i h n der Gesetzgeber (beliebig) verändern? (dd) — Welche Folgen ergeben sich, wenn dem Versicherungsbegriff bestimmendes oder doch wesentliches Gewicht für die Sozialversicherung erhalten bleibt? (ee) cc) Bei der Beurteilung der jetzigen Lage ist von den Aussagen des BVerfG auszugehen. Nach i h m ist die Sozialversicherung nicht nach dem reinen Versicherungsprinzip gestaltet, sie beinhaltet vielmehr von jeher ein Stück staatlicher Fürsorge 275 . Diese zieht hier „versicherungs272
Vgl. f. viele Rohwer-Kahlmann, K., Die Fürsorge, ZfSozRef 1967, S. 1 (9). 73 Dies ist die Theorie von W.Bogs, vgl. etwa (FN 2), S. 28 f.; (FN 150), S. 48 f.; dazu Achinger, H. (FN 39), S. 116/7; Muthesius, H., Fürsorgeprinzip u n d Einkommenshilfe, Festg. f. Bogs, 1959, S. 247 (248/9); ähnl. auch Nipperdey, H. C. (FN 150), S. 16. 274 Wobei auch diese durch das Abgehen v. Äquivalenzprinzip wesentl. verändert w i r d , vgl. dazu Rohrbeck, W. (FN 258), S. 17 f.; Bogs, H. (FN 18), S. 16. 275 std. Rspr., vgl. BVerfGE 9, S. 124 (133); 10, S. 141 (166); 11, S. 105 (114); 21, S. 362 (378). 2
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fremde" nämlich „soziale" Gesichtspunkte 276 heran. I n gewissen Bereichen steht der Fürsorgegedanke sogar „ i m Vordergrund" 2 7 7 . Dennoch enthält zwar „die Sozialversicherung, namentlich die Rentenversicherung, „ein wesentliches Element sozialer Fürsorge, w i r d aber in ihrer Struktur mindestens ebenso stark durch die versicherungsrechtliche Komponente geprägt" (Herv. v. Verf.) 2 7 8 . Aber auch dort, wo der Fürsorgegedanke i m Vordergrund steht, hindert das nicht die Qualifikation als Sozialversicherung, wenn man ihre heutige Bedeutung i n der staatlichen Sozialpolitik berücksichtigt 279 . Das BVerfG w i l l also den gesamten Bereich der Sozialversicherung nach wie vor dem Begriff der „Versicherung" zugeordnet wissen. Wenn dies „mindestens gleichgewichtig" mit anderen Elementen, insbesondere der Fürsorge, geschehen soll, so bedeutet es, daß die Sozialversicherung die Grundsätze der „Versicherung", damit aber das Äquivalenzprinzip, mitzuberücksichtigen hat. Für die Krankenversicherung kann prinzipiell nichts anderes gelten, obwohl sie, vor allem wegen der gleichmäßig gewährten „Sachleistungen", i n besonderem Maße „aus dem Versicherungsbereich herauszuwachsen" droht 2 8 0 . dd) Ob der einfache Gesetzgeber die „Sozialversicherung entversichern" darf, welche Grenzen ihm hier gesetzt sind, ist umstritten. Diese Zentralfrage der Sozialversicherung ist auch bisher noch zu wenig bewußt geworden. Gelegentlich w i r d die Grenzziehung Privat-/Sozialversicherung als eine „Willensentscheidung des Gesetzgebers" bezeichnet 281 , dem dann auch das Recht zustehen muß, Versicherungsprinzipien aufzugeben. Andere verlangen wenigstens Systemtreue — es dürften „keine Rechtsnormen gesetzt werden, die m i t dem Wesen einer Versicherung nicht vereinbar" seien 282 . Überzeugend hat demgegenüber Walter Bogs dargetan, daß es verfassungswidrig wäre, die Sozialversicherung durch einfaches Gesetz zu beseitigen und „durch ein System allein öffentlicher Fürsorge oder öffentlicher Versorgung" zu ersetzen, eben weil die Sozialversicherung eine „wenn auch i n stark abgeschwächter Form von dem Versicherungsgedanken getragene Gestaltung sozialer Sicherheit" 276 BVerfGE 17, S. 1 (9). 277 So beim Kindergeld (BVerfGE 11, S. 105 (114)); beim Zurücktreten der Altersrente hinter das Arbeitslosengeld (BVerfGE 31, S. 185 (190)). 278 BVerfGE 28, S. 324 (348/9). 279 BVerfGE 11, S. 105 (114). 280 Bogs, W. (FN 2), S. 59 f.; Achinger, H. (FN 39), S. 115/6. 281 Möller, H. (FN 266), S. 82. 282 so Krohn, J. (FN 163), S. 125 f., der aber dem Gesetzgeber das Recht zubilligen w i l l , die Sozialversicherung überhaupt abzuschaffen, u n d zwar sogar ohne ihren Namen zu ändern (S. 128).
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darstellt und daher nicht ohne Verfassungsänderung durch eine beitragslose allgemeine Staatsbürgerversorgung abgelöst werden könnte 2 8 3 . Der Gesetzgeber darf sich also „nicht allzu weit vom Typus Versicherung" entfernen, dieser muß für die Sozialversicherung (mit-) bestimmend bleiben. Dies allein entspricht auch der Rechtsprechung des BVerfG, die in diesem Punkt dem Gesetzgeber ersichtlich keinen weiten Gestaltungsraum gewähren wollte, vielmehr nahezu i n jeder Entscheidung die Kontinuität der Entwicklung und die Verbindung zum Versicherungsbegriff unterstreicht. ee) Aus dieser dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen vorgegebenen „mindestens gleichgewichtigen" Berücksichtigung des Versicherungsprinzips folgt für die Schranken einer Expansion der Sozialversicherung: — Die Beitrag s grundlag e muß erhalten werden, die Zuschüsse dürfen — von Krisensituationen abgesehen — regelmäßig die Grenze von 50 °/o des Gesamtaufkommens nicht erreichen. — Die Leistungen der Sozialversicherung dürfen nicht zu weitgehend beitragsunabhängig gewährt werden. Innerhalb der jeweiligen Versicherungsart muß vielmehr eine gewisse Relation von Beitrag und Leistung aufrechterhalten werden. Dies gilt auch für die Krankenversicherung, bei der man insoweit Geld- und Sachleistungen nicht völlig isoliert sehen darf. — Von der Äquivalenz darf sich insbesondere die Sozialversicherung auch nicht zu weit i n dem Sinne entfernen, daß i n ihr jeweils zu unterschiedliche soziale Gruppen zusammengefaßt werden, weil sonst die Gleichartigkeit des versicherten Risikos nicht mehr bestünde. Wenn das Versicherungsprinzip „mindestens gleichgewichtig" zu berücksichtigen ist, so können die jeweiligen Formen des Ausgleichs die Beitragsabhängigkeit finanziell nicht überwiegen, sie müssen sich also insgesamt i n ihren finanziellen Auswirkungen, auf das Ganze eines Versicherungskomplexes bezogen, unter 50 °/o der Versicherungsleistungen halten. M i t dieser Begrenzung sind auch der horizontalen wie der vertikalen Expansion der Sozialversicherung präzisere Grenzen gesetzt. Jede vertikale Ausdehnung der Versicherungspflicht verstärkt i n der Regel, wenn keine risikoangepaßte Beitragsstaffelung erfolgt, das Ausgleichsmoment und bringt damit die Sozialversicherung näher an die Grenze heran, die ihr aus dem Versicherungsbegriff gesetzt ist. Jede Einbeziehung neuer Gruppen erhöht die Ausgleichswirkungen, wenn deren Lage nicht m i t der der bereits Pflichtversicherten nah vergleichbar ist. 283 43. DJT, G 14; siehe dazu auch die Ausführungen von Ipsen, V V d S t L 28, S. 246 f. (gegen Frowein).
H. P.,
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Infolge dieser Wirkungen des Versicherungsprinzips i n der Sozialversicherung kann diese letztlich nur eine A r t von Grundsicherung bringen: Wenn sie, gerade als Pflichtversicherung, wesentlich auf Ausgleich gerichtet ist, dessen Wirkung aber einen gewissen Teil der Leistung nicht übersteigen darf, so kann sie nicht gesteigert werden, ohne daß ihre soziale Komponente sich zugleich abschwächte. Höhe der Sicherung und Sozialcharakter derselben sind umgekehrt verhältnismäßig, infolge der Bedeutung des Versicherungsprinzips i n der Sozialversicherung. Dasselbe gilt für die Gleichartigkeit der versicherten Risiken: Je weiter sie zurücktritt, desto weniger kann die Sozialversicherung noch „sozial" sein, w e i l sie die letzte Grenze der Selbst-Leistung, der IndividualÄquivalenz nicht überwinden kann. Nur i m Falle einer Grundsicherung läßt sich beides vereinen—horizontale Ausdehnung und Sozialcharakter. Dies führt zu einem wichtigen weiteren Ergebnis: Horizontale und vertikale Expansion sind, bei gleichbleibender Sozialkomponente, gegenläufige Prinzipien: Je mehr neue Gruppen i n die Pflichtversicherung einbezogen werden, desto größer w i r d i n der Regel das Gewicht des Ausgleichs, die Entfernung vom Versicherungsprinzip. Dies kann nur dadurch kompensiert werden, daß die Höhe der Pflichtsicherung über eine Grundsicherung nicht hinausgeht. W i r d zugleich auch diese gesteigert, so wächst i n einem Zusammenspiel von vertikaler und horizontaler Expansion der Ausgleichseffekt derart an, daß er die durch die Versicherungsstruktur gebotene Grenze übersteigt — es sei denn, es erfolgten Abstriche beim Sozialcharakter. In diesem Sinn also bilden sozialer Ausgleich, Versicherungsprinzip und Ausdehnung das „modische Dreieck" der Sozialversicherung. Seine kombinatorische Aufrechterhaltung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers, solange sich dieser auf eine Rechtfertigung von Freiheitsbeschränkungen i m Namen der Sozialversicherung beruft. Und dies wiederum ist guter, tieferer Sinn jener Rechtsprechung des BVerfG, die auf die organisatorischen Strukturen als Legitimation der Sozialversicherung abhebt. b) Sozialversicherung
als Fürsorge — oder Versorgung
aa) Die Sozialversicherung ist früher von vielen wesentlich als staatliche Fürsorgeeinrichtung aufgefaßt worden (sog. „Fürsorgetheorie") 284 . Dies wurde vor allem i n der nationalsozialistischen Epoche stärker betont 2 8 5 . Fürsorge ist zu verstehen als staatliche Hilfe i n individuellen Notfällen, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist 2 8 6 . 284 Dazu m. Nachw. Bogs, W. (FN 2), S. 23; Möller, H. (FN 266), S. 138; Wannagat , G., Lehrb. I, S. 10; Stelzig , R. (FN 159), S. 10.
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Daß die Sozialversicherung nicht ihrem Wesen nach, daß sie nicht ausschließlich Fürsorge sein kann 2 8 7 ergibt sich schon daraus, daß das Versicherungsprinzip mindestens gleichgewichtig i n i h r zum Tragen kommen muß (vgl. oben a), dd), ee)). Es kann sich also allenfalls darum handeln, die „Fürsorgeelemente i n der Sozialversicherung" zu bestimmen 2 8 8 . Die Sozialversicherung entspricht jedoch ihrem Wesen nach dem Typus „Fürsorge" nicht, wenn dieser Begriff überhaupt definitorischen Gehalt haben soll. Sie typisiert, i m Gegensatz zur Fürsorge, ganz wesentlich, stellt also überhaupt nicht auf die individuelle Notlage ab. Ferner ist sie nicht ihrem Wesen nach subsidiär, sonst könnte es ja keinen Versicherungszwang oder nur einen solchen mit Befreiungsmöglichkeit geben. Der Begriff „Fürsorge" i m Sozialversicherungsrecht erklärt sich vielmehr ausschließlich historisch — die Sozialversicherung wurde ursprünglich von vielen als eine Fortsetzung der Armenpflege m i t anderen Mitteln verstanden, obwohl diese wilhelminische Auffassung keineswegs den Grund anliegen der Bismarckschen Reformen entsprach, die sich ja schon dadurch damals wesentlich von „Fürsorge" unterschieden, daß den Versicherten Ansprüche eingeräumt wurden, was der damalige Fürsorge Vorstellung fremd w a r 2 8 9 . Von „Fürsorge" sollte also i m Recht der Sozialversicherung nicht mehr die Rede sein, der Begriff paßt dogmatisch nicht. Gemeint ist vielmehr, allenfalls, Versorgung. bb) Versorgung gewährt Leistungsansprüche gegen den Staat ohne Finanzierungspflichten, zur Sicherung gegen typische Risiken und Belastungen 290 . Dies genau t r i f f t diejenigen Elemente der Sozialversicherung, die sich versicherungsrechtlich nicht rechtfertigen lassen. 285 v g l . Richter, L. (FN 54), S. 13; ders., (FN 178), S. 23. 286 Siehe dazu Weisser, G., H d S W Bd. 9, S. 409; Sozialenquête , S. 61; Isensee, J., Umverteilung, S. 167 m. Nachw. 287 Z u r K r i t i k an der Fürsorgetheorie vgl. u. a. Wannagat, G., Lehrbuch I, S. 62/3; Möller, H. (FN 266), S. 138; Bogs, W. (FN 54), G 7. 288 Dazu Wannagat, G., Lehrb. I, S. 31 f.; Bogs, W. (FN 2), S. 35 f., 104; Röttgen, A. (FN 19), S. 3 5 1 ; Nipperdey, H . C . (FN 150), S. 161; Altendorf, R. (FN 176), S. 164; Büchner, R., „Beiträge", HdB. d. FinWiss. I I , 2. Α., S. 225 (236); Selmer, P. (FN 163), S. 186; Hax, K . (FN 164), S. 14/5. 289 Hier zeigt sich übrigens der typische Abstand der Labandschen „autoritären" Staatsrechtsdogmatik von den „patriarchalischen" Vorstellungen Bismarcks. 290 Isensee, J., Umverteilung, S. 16 m. Nachw.; zum Begriff der Versorgung vgl. ferner noch: Weisser, W., HdSW Bd. 9, S.409; Heyn, W. (FN 177), S. 42 f.; Weddigen, W., HdSW Bd.9, S. 596; Bogs, W. (FN 2), S. 19; Rohrbeck, W. (FN 258), S. 2 3 1 ; Schricker, H., Entwicklung, Aufgaben, A u f b a u der dt. Sozialversicherung, 1946, S. 9.
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Eine Abgrenzung von der „Fürsorge" konnte hier schon deshalb nicht gelingen 2 9 1 , die Entwicklung zu einer „Versorgung" ist klar erkannt worden 2 9 2 . Daß so lange die staatliche Ausgleichsfunktion i n der Sozialversicherung als „Fürsorge" qualifiziert wurde, mag verschiedene Gründe haben: „Versorgung" hatte den Beigeschmack der „bemäntelten Armenfürsorge" 2 9 3 ; „Fürsorge" ist ein mehrdeutiger und damit elastischer Begriff, er kann etwa auch i n dem Sinn gebraucht werden, i n dem er die Versorgung der Beamten begründet — i m Sinne der „Fürsorgepflicht" 294 ; „Fürsorge" hat einen ethischen Anklang und trägt damit i n sich eine gewisse Legitimation; Versorgung bezeichnet ganz hart die beitragslose Staatshilfe, das systematische Staatsgeschenk und stellt dam i t eine Parallele zu dem labouristischen englischen System der sozialen Sicherheit her 2 9 5 . Vor allem aber scheint i m Begriff der „Versorgung" jeder Anklang an die „besondere Notsituation" und damit an den notwendigen Grundsicherungscharakter der Sozialversicherung zu fehlen. Die Aufgabe des Begriffs „Fürsorge" darf nicht dazu führen, diese Bezüge zu verkennen. Es muß vielmehr klar sein, daß der Begriff der Versorgung nur als eine Weiterentwicklung der allgemeinen sozialen Fürsorge zu verstehen ist. Und i m Sinne solcher Kontinuität werden ja auch beide Begriffe i n der Rechtsprechung nebeneinander gebraucht 29®. Die Fürsorge ist der Geist, die Versorgung die Form, in der sich Sozialversicherung entfaltet. cc) Die Abgrenzungsbedeutung der Begriffe „Fürsorge" und „Versorgung" für eine Bestimmung der Schranken einer Expansion der Sozialversicherung ist dogmatisch von anderer Qualität als diejenige, welche sich aus dem Versicherungsbegriff ergibt (vgl. oben a)). Bei 291 Vgl. etwa Bogs, W. (FN 2), S. 113; Weddigen, W., a.a.O. verwendet nebeneinander „Versorgung" u n d „Fürsorge"; Rohrbeck, W., a.a.O.: Sozialversorgung u n d Sozialversicherung können nicht k l a r getrennt werden. Bogs, W. (FN 54), G 8 hält m i t Recht den Fürsorgebegriff für unvereinbar m i t dem der Sozialversicherung. 292 v g l . dazu Zacher, H., Die Frage nach der Entwicklung eines sozialen Entschädigungsrechts, D Ö V 1972, S. 461 f.; hier w i r d deutlich, daß es nur ein sehr weiter, also nicht der dogmatisch präzisierte Fürsorgebegriff sein kann, der sich zur Umschreibung der Sozialversicherung einsetzen läßt — und auch er f ü h r t eben, wie dort nachgewiesen w i r d , zu einer notwendigen Präzisierung i m Gedanken der Versorgung. 293 v g l . Weddigen u n d Rohrbeck (FN 290). 294 Deutlich etwa i n BVerfGE 17, S. 1 (10). 295 Dazu i n diesem Zusammenhang Bogs, W. (FN 2), S. 113; Achinger, H. (FN 39), S. 122; Jantz, K., Entwicklungstendenzen der internationalen und supranationalen Sozialversicherung, ZVersWiss. 1970, S. 255 (256 f.) ; Reuss, W., Jantz, K., Sozialstaatsprinzip u. soz. Sicherheit, 1960, S. 34. 296 v g l . die zutr. Verbindung von Versicherung u n d Versorgung, „gelegentlich auch Fürsorge" i n BSGE 6, S. 213 (218) (unter Hinweis auf Bogs, W.); neuerdings w i r d das Versorgungsprinzip stärker betont, vgl. etwa BVerfGE 31, S. 185 (190).
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diesem wurden dem staatlichen Ausgleich Grenzen soz. „von außen" gesetzt, hier geht es u m eine Bestimmung immanenter Schranken der staatlichen Hilfe i m Bereich der Sozialversicherung, die ja ein wesentliches Element von deren Legitimation darstellt. Aus dem Fürsorgebegriff lassen sich Schranken unschwer gewinnen. I h m ist i n seiner engen begrifflichen Form die Subsidiarität wesentlich, hier müßte also der Blick primär auf die Möglichkeiten adäquater privater Versicherung fallen, nur bei ihrer Unmöglichkeit wäre Sozialversicherung überhaupt legitim. Und selbst wenn man i h n i n jenem weiteren Sinn verstehen wollte, i n dem er geistig auch die „Versorgung" trägt, so bleibt doch der Zusammenhang m i t einem besonderen Schutzbedürfnis der pflichtversicherten Gruppen deutlich. Insoweit ist also der Fürsorgecharakter der Sozialversicherung nichts als eine Bestätigung des Gedankens der Schutzbedürftigkeit (vgl. oben II) und der aus i h m abzuleitenden Beschränkungen. Die organisationsrechtlichen Strukturelemente der Sozialversicherung bestätigen insoweit diejenigen, die sich aus der Aufgabenstellung ableiten lassen. Auch der Versorgungsbegriff ist nicht eigentlich schrankenneutral, so daß er an sich etwa jede Steigerung und Erweiterung der Pflichtversorgung i n sich aufnehmen könnte. I m Bereich der Sozialversicherung ist i h m vielmehr ein gewisser Minimalbezug i m Sinne einer Grundsicherung durchaus eigen 297 . Von der allgemeinen Wortbedeutung her ist diese Beschränkung eher noch deutlicher als bei der Fürsorge und nur der (hier nicht angebrachte) Rückgriff auf beamtenrechtliche Grundsätze könnte eine Ausweitung tragen. Aber auch dann stünde die „Versorgung" als Ausdruck des Sozialelements der Sozialversicherung eben i n jenem magischen Dreieck (vgl. oben a) a. E.), das keine beliebige Steigerung der sozialen Hilfe seitens des Staates zuläßt, und auch für eine so verstandene Versorgung müßte gelten, daß, angesichts der Notwendigkeit, das Versicherungsprinzip zu beachten, jede horizontale Erweiterung der vertikalen entgegenwirkt und umgekehrt. c) Unangemessenheit des Versorgungsbegriffs für die Krankenversicherung? Aus dem Versorgungsbegriff ergeben sich jedoch begriffliche Schranken, die seine Anwendbarkeit auf die Krankenversicherung überhaupt 297 v g l . etwa Eisser, G., HdSW Bd. 9, S.409; Weddigen, W., ebda., Sp.596: „Das Versorgungsprinzip dagegen benutzt die Versicherung n u r als äußere F o r m für eine zentralistische Unterstützung bedürftiger Versicherter wesentlich aus den M i t t e l n des Gemeinwesens. Es bedeutet i n extremer V e r w i r k lichung schon fast nur noch »bemäntelte Armenfürsorge' (Schmittmann). Die Sozialversicherung w i r d damit zum unmittelbaren sozialen Existenzu n d Einkommensschutz" (Herv. v. Verf.).
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zweifelhaft erscheinen lassen. Gerade für die Krankenversicherung ist m i t Recht darauf hingewiesen worden, daß sie sich infolge des vorübergehenden und bedarfsbezogenen Charakters ihrer Leistungen wenig dazu eigne, „Versorgungs "-Elemente i n sich aufzunehmen 298 . Das gesamte Versorgungs denken orientiert sich i n der Tat an Sachverhalten, die schon i n ihrer Grundstruktur m i t dem Krankheitsrisiko nicht durchgehend vergleichbar sind. Bei diesem handelt es sich u m ein völlig ungewisses schädigendes Ereignis, gegen dessen Belastungen man sich i m eigentlichen Sinn des Wortes „versichert"; bei der Versorgung dagegen geht es um die möglichst weitgehende Erhaltung des Einkommensniveaus bei einem möglicherweise verfrüht, i n der Regel jedoch zu einem vorauszuberechnenden Zeitpunkt eintretenden Ereignis. Insoweit also t r i t t das Versicherungsmoment zurück, die Versorgung nimmt vielmehr den Charakter einer Einkommensregelung an, i m Falle der Rentenversicherung den der staatlichen Teilsubventionierung der Arbeitseinkommen — denn i n einer Einheit m i t diesen werden die Versorgungsansprüche heute zutreffend gesehen. So ist denn auch der Prototyp der „Versorgung", die Beamtenpension, soweit ersichtlich nie vorwiegend unter versicherungsrechtlichen Aspekten betrachtet worden. Laufender Bedarf, Anknüpfung an ein Regelereignis, fester Bezug zu einem vorgegebenen Einkommen, dessen Niveau i n etwa gehalten werden soll — dies sind Strukturelemente des Versorgungsbegriffs, welche diesen deutlich von der Krankenversicherungsproblematik abheben. Jedenfalls müßte er dort i n einem anderen als in dem herkömmlichen beamten- und rentenrechtlichen Sinn gebraucht werden. Bei diesen läßt er sich i n der Tat nur schwer auf eine „Grundsicherung" beschränken, weil das Einkommensniveau lediglich i n einer bestimmten Höhe erhalten werden soll, die i n der Regel auch genügt. Anders bei der Krankheits-Versorgung: Diese darf in ihrem Grundsicherungscharakter nicht m i t Kategorien der Rentenversicherung konstruiert werden, hier läßt sich ohne weiteres, über eine gewisse Grundsicherung hinaus, ein weiter Bereich möglicher freier Zusatzsicherung erhalten. Der Begriff „Versorgung" darf also nicht i n einem eng renten- oder beamtenrechtlichen Sinn auf die Krankenversicherung angewendet werden — hier könnte ihm eine Tendenz zur Vollsicherung eignen, die Begrenzungen gar nicht zugänglich ist. Anders dann, wenn er als Oberbegriff für alle sozialen Komponenten sozialversicherungsrechtlicher Sicherung verstanden wird. Dann fehlt hier die Vollsicherungstendenz der Renten. Damit aber hat ein so verstandener Versorgungsbegriff, für die Krankenversicherung, eine immanente Tendenz zur Grundsicherung 298 Zacher, H. (FN 292), S. 464.
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auch deshalb, weil hier das versicherte Risiko in besonderem Maße versicherungsrechtlicher Abdeckung zugänglich ist. Gerade dann also, wenn man die Sozialversicherung als eine Mischung von Versicherungs- und Versorgungselementen ansieht, muß für den Fall der Krankenversicherung das Versorgungselement zurücktreten, weil hier die Versorgungsstruktur nur auf eine Grundsicherung hin angelegt sein kann. d) Problematik der Begriffe Versicherung, Versorgung Fürsorge — Notzoendigkeit begrifflicher Neuorientierung aa) Die Trias „Versicherung — Versorgung — Fürsorge" ist, wie sich schon aus den bisherigen Darlegungen ergibt, überhaupt für eine Erfassung der heutigen Sozialversicherungsprobleme wenig geeignet: Der Fürsorgebegriff ist unangemessen, jedenfalls mehrdeutig, dasselbe gilt für die „Versorgung", die sich zudem von der Fürsorge nicht abgrenzen läßt. Auch der Versicherungscharakter ist kein einheitlicher — er ist ein anderer bei der Renten- als bei der Krankenversicherung. Deshalb lassen sich nur schwer präzise Schranken der Sozialversicherung bestimmen; die Freiheitssicherung gerät insbesondere dadurch in Gefahr daß von einem System (Renten) zum anderen (Krankenversicherung) Parallelen gezogen und Begründungen ausgetauscht werden, vor allem aber dadurch, daß hinter jeder einzelnen Sozialversicherungserscheinung stets das mächtige Gesamtphänomen der „sozialen Sicherheit" als solches erscheint, gegen das es keinen Einwand mehr gibt. E i n weiteres Bedenken gegen die Trias ergibt sich daraus, daß sie die Sozialversicherung „charakterisieren" soll — aber i n einer Kombination, innerhalb deren die Gewichte nicht klar bestimmt sind 2 9 9 . Dies läßt dem Gesetzgeber allzusehr freie Hand. Schließlich vereint die Trias in sich heterogene Begriffe — bei der Versicherung steht die „Technik", die „organisatorische Abwicklungsform" i m Vordergrund, bei Versorgung und vor allem Fürsorge die Aufgabe. Bei allen drei Begriffen w i r d nie klar, wo eigentlich der Schwerpunkt der Legitimation der Sozialversicherung liegt — i n der Organisationsform oder i n der Aufgabenstellung. Die dogmatisch klare Erfassung der Sozialversicherung mußte also, trotz umfangreicher Anstrengungen, mißlingen, weil das dafür eingesetzte Begriffsinstrumentarium inadäquat und teilweise i n sich widersprüchlich war. Dogmatische Unklarheiten aber wirken stets zugunsten des Gesetzgebers, unpräzise Begriffe schaffen sogleich grundrechts299 Auch die Formel von der „mindestens gleichgewichtigen Bedeutung" des Versicherungselements (BVerfG) k a n n hier letztlich nicht befriedigen.
6 Leisner
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freie Räume. K a u m etwas ist den privaten Versicherern gefährlicher geworden als die ungenügende dogmatische Erfassung der Sozialversicherung. bb) Anstoß zu einer Neuorientierung ist hier neuerdings der Vorschlag geworden 300 , als neue Trias einzuführen: Vorsorge, Entschädigung, Ausgleich. Vorsorge soll dabei als Kernbereich die Renten- einschließlich der Beamtenversorgung umfassen, Entschädigung die Fälle des beitragslosen Ersatzes für außergewöhnliche Ereignisse, Ausgleich i m wesentlichen die Hilfe i n Notfällen, welche die Sozialhilfe gewährt. Eine solche Einteilung wäre einer präziseren Erfassung der Sozialversicherung dienlich: Fürsorgerische Erwägungen würden ausgeschieden; die immer mehr ausufernden Entschädigungsformen der „unechten Unfallversicherung" würden von der Sozialversicherung klar abgegrenzt 301 ; vor allem aber wäre damit der „Ausgleich" von der „Vorsorge" abgesetzt und i n den Bereich der Sozialhilfe verwiesen. Für die Sozialversicherung als solche wäre der Ausgleich nicht mehr i n besonderem Maße konstitutiv, sie könnte daher wieder mehr i n Richtung auf eine „echte Versicherung" entwickelt werden. Der Platz der Krankenversicherung wäre i n einem solchen System, trotz einer gewissen Nähe zur Entschädigung 302 , dennoch i m Raum der Vorsorgesysteme. Der Begriff der Vorsorge, befreit von fürsorgerischen und ausgleichenden Wesenselementen, wäre wieder wesentlich durch die Beitragslast der Versorgten bestimmt; da aber die Krankenversicherung eben ihrem Wesen nach versorgungsmäßige Elemente nur schwer aufnehmen kann, müßte innerhalb des Vorsorgebegriffs wenigstens nach Renten- und Krankenvorsorge differenziert werden; diese letztere könnte, wenn sie primär auf Beiträge gestützt werden müßte, angesichts der A r t ihres „Risikos" dann nur wieder i n verstärktem Maße Versicherung sein. Das Ergebnis der begrifflichen Klärung durch die neue Trias Vorsorge — Entschädigung — Ausgleich könnte für die G K V nur sein: Ver300 v o n Hans Zacher, W d S t L 28, S. 237/8; ders. (FN 292), S. 462; ders., Soziale Sicherung i n der sozialen Marktwirtschaft, VSSR 1973, S. 97 (105 f.); ders., Das Vorhaben des Sozialgesetzbuches, 1973, S. 19; dazu Rüfner, W. (FN 216), S. 19; Lerche, P. (FN 42), S. 17. soi Dazu Zacher, H. (FN 292), a.a.O.; dazu grdl. Rüfner, W. (FN 214), passim; Bogs, W., Neue Rechtsgestaltungen i m landwirtschaftlichen Sozialrecht, SGb 1973, S. 1 (2); Bogs, Ii., Sozialversicherung, S. 545/5; Überblick über die Auffassungen zur Rechtsnatur der gesetzlichen Unfallversicherung bei von Heinz, H.-M., Entsprechungen u n d Abwandlungen des privaten U n f a l l - u n d Haftpflichtversicherungsrechts i n der ges. Unfallvers, nach der RVO, 1973, S. 173 f. 302 Aus dem Wesen der „versicherten Risiken" heraus, vgl. Zacher, H. (FN 292), S. 464.
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Stärkung ihres versicherungsrechtlichen Charakters — oder völlige Umgestaltung als Entschädigung. I n beiden Fällen würde sich der wesentliche Bezug G K V — Grundsicherung verdichten: Eine Verstärkung des Versicherungselements würde die Expansion der Sozialversicherung i n horizontaler und vertikaler Hinsicht unmöglich machen; bei einer Einbeziehung der Krankenversicherung i n Entschädigungsregelungen würde mehr als ein gewisser Basisersatz schon angesichts des punktuellen und generell zurückhaltenden Charakters des Entschädigungsrechts kaum i n Betracht kommen. cc) Anzustreben wäre auf jeden Fall: — eine klare Trennung von renten- und krankenversicherungsrechtliehen Überlegungen, schon weil der Begriff der Grundsicherung i n beiden Bereichen nicht der gleiche sein kann. — eine stärkere Berücksichtigung des speziellen Risikos, das die Krankenversicherung abdecken soll, damit aber eine Verstärkung des Versicherungselements i n diesem Bereich. — eine möglichst präzise Erfassung der Sozialelemente innerhalb der Krankenversicherung und deren spezielle Legitimation gegenüber dem Freiheitsraum der privaten Versicherer. Dies alles ist i m Rahmen der bisherigen Diskussion um das „Wesen der Sozialversicherung" nicht zu bewältigen, weil die hier eingesetzten Begriffe eine dogmatische Erfassung des Begriffs „Krankenversicherung" innerhalb der Sozialversicherung nicht erlauben. Weiterführen kann hier nur eines: Die „Einheit der Sozialversicherung" mag als Oberbegriff erhalten bleiben, es müssen unter ihm jedoch die Eigenarten der einzelnen Sparten der Versicherung weit stärker herausgehoben, insbesondere müssen die Sozialelemente jeweils genau bestimmt und speziell legitimiert werden. Dabei darf aber nicht von einem Sammeltyp „Sozialversicherung", es muß von Einzelbegriffen (Rentenversicherung, Krankenversicherung) ausgegangen werden. N u r eine stärkere, dogmatische Verselbständigung der Krankenversicherung — die auch bei Einführung der neuen Trias innerhalb der „Vorsorge" nötig ist — kann die Diskussion um das Wesen der Sozialversicherung praktisch fruchtbar machen und deren Grenzen konkret aufzeigen. Immerhin können aber als Ergebnisse aus den wenn auch diffusen Bemühungen u m die Erfassung des Wesens der Sozialversicherung für deren Grenzziehung festgehalten werden: 1. Eine Grundsicherungstendenz ist der Sozialversicherung immanent, wie immer man diese charakterisieren mag. 6*
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2. Der soziale Ausgleichseffekt darf nicht überhand nehmen, weil das Versicherungselement mindestens gleichgewichtig zu berücksichtigen ist. 3. Horizontale und vertikale Expansion w i r k e n beide als Verstärkung der Sozialkomponente. Sie können also nicht ohne weiteres kombiniert eingesetzt werden, ohne den Charakter der Sozialversicherung unzulässig zu verändern. 3. Die wesentliche Organisationsform der Sozialversicherung: Autonome Solidarität
a) Verhältnis
von Autonomie
und Solidarität
Ein wesentliches Strukturelement der Sozialversicherung ist die organisatorische Bewältigung der Aufgaben i n der Form von autonomen Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts 303 . Bei den Körperschaften, aber auch bei den Anstalten, mag die Autonomisierung die Folge einer gewissen Solidarität derjenigen sein, die hier zwangsweise zusammengeschlossen werden, und die auf eine vom Gesetzgeber vorgefundene und sodann fortentwickelte Gruppenhomogenität zurückgeht. Insoweit sind also Autonomie und homogene Solidarität wesentlich verbunden. Rein begrifflich lassen sie sich jedoch trennen: Autonomie kann auch dort gewährt werden, wo Solidarität und Homogenität nicht bestehen — so etwa weil Beitragslasten aufgebürdet werden oder weil gesteigerte Mitbestimmungsrechte gewährt werden sollen, die i n der „unmittelbaren Staatsverwaltung" gar nicht zulässig wären. Schließlich spielt die Tradition gerade bei der Schaffung oder Aufrechterhaltung von Autonomie eine gewichtige Rolle. Der Gesetzgeber könnte also die homogene Solidarität abschwächen oder aufheben, selbst wenn er die Autonomie der Sozialversicherung aufrechterhielte 304 . Die Autonomie soll daher hier gesondert als Strukturelement der Sozialversicherung untersucht werden; es fragt sich, ob sie eine grenzenlose Ausweitung i n vertikaler oder horizontaler Hinsicht rechtfertigt; dasselbe ist dann für die Solidarität zu prüfen. b) Die Selbstverwaltung und die Grenzen der Erweiterung der Sozialversicherung aa) Die Selbstverwaltung i n der Sozialversicherung 305 hat heute keinen „originären" Charakter mehr 3 0 6 , w i r d jedoch überwiegend als 303 BVerfGE 11, S. 105 (113). 304 Ob dies allerdings zulässig wäre, dazu unten c). 305 Dazu umfassend neuerdings Bogs, H., Sozialversicherung, S. I f . ; vgl. auch Wertenbruch, W., Sozial verwaltungsrecht, i n : ν . Münch, I., Bes.Verw.R., 3. A . 1972, S. 305 f.
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ein notwendiges, als ein Wesenselement der Sozialversicherung anerkannt 3 0 7 . Das BVerfG dürfte derselben Auffassung zuneigen: Wenn es die Familienausgleichskassen deshalb zur Sozialversicherung zählt, weil sie „eng an einen Träger der klassischen Sozialversicherung angelehnt" seien 308 , so muß die Selbstverwaltung, i n der diese Träger organisiert sind, ein unabdingbares Wesensmerkmal der Sozialversicherung sein. Andernfalls könnten ja die Träger beliebig verändert und ihnen sodann beliebige Aufgaben zugewiesen werden — dann aber gäbe es überhaupt keinen verfassungsrechtlichen Begriff der Sozialversicherung mehr, von dem jedoch das BVerfG ersichtlich ausgeht. Auch der Hinweis auf die „klassische" Sozialversicherung und die Tatsache, daß immer wieder die historische Kontinuität betont wird, beweist, daß das tragende herkömmliche Organisationselement eben auch ein wesentliches Strukturelement der Sozialversicherung ist — die Selbstverwaltung. Ob und inwieweit die Selbstverwaltung i n der Sozialversicherung heute effizient, ob sie überhaupt noch legitim ist, mag hier offen bleiben. Fraglich ist allein, ob sie sich jedem Expansionszustand der Sozialversicherung anpassen kann. bb) Bedenken könnten hier i n zweifacher Hinsicht auftreten: — Bei der Einbeziehung neuer Gruppen i n die Sozialversicherung muß entweder eine spezielle neue Form der Selbstverwaltung geschaffen werden — dann ergibt sich kein Problem; die „Gliederung der Selbstverwaltung" setzt sich fort, sie w i r d reicher, oder die neuerdings Pflichtversicherten werden i n eine der bisherigen Selbstverwaltungen eingegliedert — ob dies aber sachgemäß, ob es zulässig ist, bleibt eine Frage der homogenen Solidarität (unten c)), nicht der Autonomie als solcher. Der Autonomiebegriff der Sozialversicherung ist bisher zwar stets als ein gegliederter verstanden worden, von seinen Anfängen her trägt er auch heute noch genossenschaftliche Züge, er ist jedoch nicht von Verfassungs wegen auf eine bestimmte Dezentralisationsform festgelegt, eine Straffung wäre vielmehr von der Idee der Selbstverwaltung her möglich. Die Autonomie als solche steht also der horizontalen Expansion nicht i m Wege. Auch eine Steigerung der Versicherungspflicht (vertikale 306 Der i h r zur Zeit ihrer Entstehung zugekommen sein mag, dazu Peters H., Geschichte der Sozialversicherung, S. 114. 307 „Seit jeher Leitgedanke der dt. Sozialversicherung", Wannagat, G., Lehrb. I, S. 17, 19 m. Nachw.; vgl. ferner Bogs, H., a.a.O., S. 502; Stelzig, R. (FN 159), S. 7; ebenso Schneider, H. (FN 126), S. 49; w o h l auch die Sozialenquête, S. 124, die n u r von der Möglichkeit „strafferer zusammenfassender Organisationsform" spricht. 308 BVerfGE 11, S. 105 f.; k r i t . dazu Selmer, P. (FN 163), S. 190 m. Nachw.
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Expansion) läßt sich sowohl i n den bisherigen gegliederten als auch i n weitergehend gestrafften Formen der Selbstverwaltung bewältigen. — Wenn bei einer vertikalen und horizontalen Ausweitung der Pflichtversicherung zwangsweise nicht nur die Quasi-Totalität der Bewohner der BRD i n die Sozialversicherung einbezogen, sondern diese auch noch durch straffere Gliederung zu einem einzigen Selbstverwaltungskörper zusammengefaßt würde, wenn es zu einem riesigen „Einheitsversicherungsträger" käme 3 0 9 , so könnte die Grenz-Frage auftreten, ob hier nicht der Autonomiebegriff mißbraucht würde. Dieser setzt doch immerhin die Notwendigkeit einer gewissen Unter-Gliederung innerhalb der Gebietskörperschaften voraus. W i r d diese geleugnet, so könnten und müßten dann auch die öffentlichen Aufgaben von diesen selbst übernommen werden — es sei denn, man erhalte die Autonomie wegen der Beitragsgrundlage aufrecht. Die beiden Bedenken schlagen also nicht durch. Doch sie weisen auf die Bedeutung der Selbstverwaltung für die Sozialversicherung hin: Sie ist der organisatorische Ausdruck dafür, daß der Staat nicht etwa überwiegend die Sozialversicherung tragen, daß diese vielmehr wesentlich auf Beitragsleistung der Versicherten beruhen soll, und sie ist die organisatorische Form, in der sich der Ver Sicherung s g edanke dort erhalten soll. Beides aber w i r k t , wie bereits dargelegt, einem übermäßigen sozialen „Ausgleich" entgegen 310 . Dieser selbe „Ausgleich" w i r d jedoch sowohl durch die horizontale wie durch die vertikale Expansion der Sozialversicherung erheblich gesteigert. Deshalb stehen diese m i t den Grundprinzipien der Selbstverwaltung nicht i n Einklang. Die Autonomie der Sozialversicherung hat als Form staatlich und vom Arbeitgeber unterstützter gegliederter Selbsthilfe der Arbeiter begonnen. Ihre genossenschaftliche Legitimation hat sie nach und nach dadurch i m wesentlichen verloren, daß die große Mehrheit der Bevölkerung zwangsweise i n sie eingegliedert worden ist. Begründen läßt sie sich heute nur mehr durch die wesentliche Beitragsgrundlage und die versicherungswirtschaftliche Abwicklung. W i r d diese aufgegeben, so müßte unmittelbare Staatsverwaltung geschaffen werden. Wer also, wie das BVerfG, die Selbstverwaltung als Wesenselement der Sozialversicherung anerkennt, der rückt damit den expansionsfeindlichen Versicherungsgedanken i m Sinne der Individual-Äquivalenz
309
Den die Sozialenquete, 310 Vgl. oben 1. a), ee).
a.a.O., offenbar auch f ü r möglich hält.
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der Beiträge i n ihren Mittelpunkt. Die Betonung der Selbstverwaltung stellt schließlich die Sozialversicherung, trotz allen Zwangscharakters, i n einen anderen Zusammenhang als eine staatliche unmittelbare Sozial Verwaltung: Sie soll ganz offensichtlich i n einem Bereich tätig werden, der von einem Miteinander — und einer Konkurrenz — privater und öffentlicher Versicherungsträger geprägt ist. I n gewissem Sinne stellt sich der Staat i n seiner Organisationsform auf diese Privaten ein, insoweit sind sie „ i n der Autonomievorstellung mitgedacht". Die Autonomie ist Ausdruck der Pluralität der Versicherungsverfassung (vgl. E). Diese allgemein bestätigende Bedeutung hat der Autonomiebegriff für die Ergebnisse der bisherigen Untersuchung — mehr nicht. cc) Insbesondere gibt die Selbstverwaltung nicht eine besondere politische Legitimation für eine expansive Fortentwicklung der Sozialversicherung, für einen Eingriff i n private Grundrechte aus „demokratischer Legitimation" heraus. Der starken Konzentration der Sozialversicherung, der Zurückdrängung der „Versorgungsfreiheit" des einzelnen soll ja vor allem dadurch entgegengewirkt werden, daß „mehr als bisher geprüft wird, wie den Leistungsberechtigten innerhalb der Sozialleistungssysteme größere Entscheidungsmöglichkeiten eingeräumt werden können" 3 1 1 . Es liegt, gerade heute, nahe, dies auch i m Sinne einer Erweiterung der Mitbestimmung der Versicherten innerhalb der Selbstverwaltung zu verstehen 312 . Daraus könnte eine besondere demokratische Legitimation der Sozialversicherung hergeleitet werden gegenüber einer Privatversicherung, i n der weder das allgemeine Demokratieprinzip i m Sinne einer Mitbestimmung, noch die sozialpartnerschaftlichen Gedanken des Art. 9 Abs. I I I GG i n gleicher Intensität verwirklicht werden. Dies wäre unhaltbar. Die Argumentation ginge von der unzutreffenden Voraussetzung aus, daß überall i m nichtstaatlichen Bereich demokratisiert werden müsse oder daß Staat und Zwang besser seien als private Freiheit, weil sich i m öffentlichen Bereich „Demokratie" besser entfalten könne. „Demokratie" ist vielmehr i m öffentlichen Bereich und nur dort erforderlich, um dem freiheitsbedrohenden Zwang organisatorisch entgegenzuwirken, den es aber i m privaten Sektor eben nicht gibt. Die Sozialversicherung ist also „demokratisch" gegenüber der Privatversicherung nicht zu legitimieren. Demokratische Formen dienen nur der Milderung des Zwangs, sie machen diesen nicht „besser als private Freiheit". su Sozialbericht 1972, B T Drucks. VI/3432, S. 1. 312 Herder-Dorneich (FN 220), S. 55 betont die sozialpartnerschaftliche Bedeutung der Sozialversicherung.
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c) Homogene Solidarität als Grenze der Sozialversicherungsexpansion aa) Das konkreteste organisatorische Strukturelement der Sozialversicherung ist die homogene Solidarität 312a: I n den autonomen Trägern werden Versicherte zusammengeschlossen, die einer bestimmten Gruppe der Bevölkerung angehören, welche i n sich ein gewisses Maß an Homogenität auf weist. Diese „Gruppenhomogenität" 3 1 3 , welche Grundlage der Pflicht- wie der freiwilligen Zugehörigkeit zur Sozialversicherung ist, könnte eine feste Grenze für deren vertikale wie horizontale Expansion darstellen: — W i r d die Pflichtversicherungsgrenze höher gesetzt oder werden gar alle Angehörigen einer Kategorie ohne Rücksicht auf ihre Einkommenslage, auf ihr soziales Risiko pflichtversichert, so t r i t t innerhalb dieser Gruppe ein erhebliches vertikales Spannungsverhältnis auf, das die Homogenität i n Frage stellt — gehören Vorstandsmitglied und Schreibkraft, unter welchem Gesichtspunkt immer, derselben homogenen „Gruppe" an, kann es also zwischen ihnen auch nur in Ansätzen eine sozialversicherungsmäßige Solidarität geben, „weil sie beide Angestellte sind"? Gibt es Grenzen der „vertikalen Homogenität"? — Werden neue Kategorien in Pflichtversicherung genommen, so t r i t t die Homogenitätsfrage nicht auf, wenn sie also solche, als Gruppe eine Selbstverwaltung bilden, die den übrigen Trägern der Sozialversicherung gegenüber selbständig sind, wenn m i t diesen also kein Ausgleich stattfindet. Dasselbe gilt, wenn sie eine solche Homogenitäts-Nähe zu anderen Gruppen aufweisen, mit denen sie zusammengeschlossen werden sollen, daß die Bildung einer einheitlichen Selbstverwaltung mit Ausgleich innerhalb der Versichertengemeinschaft gerechtfertigt erscheint. Wie aber wenn diese Nähe nicht besteht? Dieses Problem der „horizontalen Homogenität" ist neuerdings i m Fall der Studenten auf getreten 314 . Die Homogenität ist eine praktisch bedeutsame Grenze jeder Expansion: Der Sozialversicherung bleibt, w i l l sie sich erweitern, praktisch
3i2a Dieser Solidaritätsbegriff hat nichts zu t u n m i t dem der solidarischen Staatslehre (dazu Grimm, D., Solidarität als Rechtsbegriff, 1973), er deckt sich auch nicht m i t dem Solidaritätsbegriff des Arbeitsrechts (zu diesem vgl. Gamülscheg, F., Solidarität als Rechtsbegriff, Festschr. f. E. Fechner, 1973, S. 135 f.). 313 So Isensee, J., Umverteilung, S. 18 f. 314 u n d von Josef Isensee i n grdl. Ausführungen behandelt worden (Umverteilung).
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nur die Wahl zwischen massivem Staatszuschuß und Anschluß oder Eingliederung i n bestehende Träger, u m den neu zu Gewinnenden attrakt i v zu erscheinen. Der letztere Weg ist politisch weit weniger odios; w i r d er durch strenge Homogenitätserfordernisse verlegt, so läßt sich dies auch kaum durch Subventionierung voll ausgleichen, weil hier wieder der Versicherungsbegriff i n Gefahr gerät 3 1 5 . Die entscheidenden Fragen sind: Ist die Homogenität Verfassungsgebot? Läßt sich ein Gesetzeskriterium für die „Homogenität" angeben, eine „Homogenitätsschwelle", deren Überschreiten die Expansion der Sozialversicherung verfassungswidrig machen würde? bb) Die Frage nach dem Verfassungscharakter des Homogenitätserfordernisses ist, soweit ersichtlich, bisher noch nicht vertieft untersucht worden. Das BVerfG nimmt dazu nicht ausdrücklich Stellung. Die Verfassungsqualität kann deduktiv oder induktiv bestimmt werden. — Deduktiv darf aus dem Wesenselement der Selbstverwaltung (vgl. oben b)) abgeleitet werden, daß eine Zusammenfassung sämtlicher Versicherter i n einem Einheitsträger mit dem Begriff Autonomie nicht vereinbar und daher als „ministerialfreier" Selbstverwaltungsraum nicht mehr gerechtfertigt wäre. Die Autonomie muß auf einer sachgerechten Gliederung beruhen, die dem Versicherungscharakter Rechnung trägt, der so durch Selbstverwaltung der Beitrags aufkommen verwirklicht werden soll. Die Autonomie muß daher „versicherungsadäquat" gegliedert sein, dies ist nur der Fall, wenn einigermaßen homogene Gruppen zusammengefaßt werden, weil nur dann die „Gleichartigkeit" der vom Risiko bedrohten Gruppen, und damit der Versicherungsbegriff, gewahrt werden kann. Damit also, daß das BVerfG sich zu Versicherungsprinzip und Autonomie als wesentlichen Strukturelementen der Sozialversicherung bekannt hat, hat es indirekt auch das Homogenitätserfordernis in Verfassungsrang erhoben, ohne welches weder „Selbstverwaltung" noch „Versicherung" letztlich denkbar sind. A u f Verfassungshöhe gehoben ist die Homogenität damit allerdings nur i n einer allgemeinen Weise, nur insoweit, als eine Homogenität versicherungstechnisch erforderlich ist. Als Verfassungsschranke vermöchte dann das Homogenitätserfordernis nicht mehr zu leisten 315 Dazu unten I V ; die Homogenitätsproblematik muß daher stets i n ihrem Spannungsverhältnis zu den Staatszuschüssen gesehen werden. Homogenität, Zuschüsse u n d Expansion bilden wieder ein „magisches Dreieck", das nicht n u r versicherungswirtschaftlich, sondern auch sozialversicherungsrechtlich i n etwa gehalten werden muß.
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als das K r i t e r i u m der Versicherung, welches i n der Sozialversicherung dem Äquivalenzprinzip einen gewissen Raum sichert. Bei Überschreitung der Homogenitätsschwelle verstärkt sich der soziale Ausgleich unangemessen, das Versicherungselement w i r d übermäßig zurückgedrängt. Eine nähere Bestimmung der Homogenitätsschwelle ist auf diese Weise nicht möglich, das Prinzip hat nur die Bedeutung, daß es andere Verfassungsschranken bestätigt. — Weit präziser könnten Schranken der Sozialversicherung festgelegt werden, wenn es gelänge, den Homogenitätsbegriff unabhängig von Erfordernissen der Versicherungstechnik, soz. aus dem genossenschaftlichen Wesen der Sozialversicherung heraus zu bestimmen und i h n i n Verfassungshöhe anzusiedeln. Dies kann, mangels näherer Hinweise i n der Verfassung, nur induktiv gelingen: Wenn es zutrifft, daß „die verfassungsrelevante Rechtsfigur des Sozialversicherungsrechts eine Abstraktion der traditionswahrenden Regelungen des Unter Verfassungsbereichs" darstellt 5 1 6 , so könnte sich aus den Aussagen des BVerfG zur Homogenitätswahrung i m Gesetzesrecht der Verfassungsbegriff der Homogenität erschließen lassen. „Katalysator" der induktiven Umformung von Sozialversicherungsrecht in Verfassungsrecht wäre das Herkommen i n seiner Beständigkeit. ^
Der Gesetzgeber ist zur Systemgerechtigkeit verpflichtet 317 . Der Sozialgesetzgeber dürfte ein von i h m selbst ständig gesetztes Homogenitätserfordernis nur dann aufgeben, wenn er dafür „überzeugende Gründe" hätte und nur soweit, wie es dem Gewicht dieser Gründe entspräche.
Eine solche Induktion setzt also voraus, daß es einen faßbaren Homogenitätsbegriff gibt, der i n der Sozialversicherungsgesetzgebung zum Ausdruck kommt und vom BVerfG zugrunde gelegt wird. cc) Das Schrifttum geht allgemein davon aus, daß eine Solidarität, wie sie der Sozialversicherung wesentlich sei 3 1 8 , eine Gruppenhomogenität voraussetze 319 . Bedenken wegen Verletzung der Homogenität wurden 316 Isensee, J., a.a.O., S. 50. 317 Dazu Isensee, J., S. 65, unter Hinweis auf BVerfGE 13, S. 331 (340). 318 Dazu u.a. Bogs, W. (FN 2), S. 30; Quante, P., i n : Bötticher, E., Sozialp o l i t i k u n d Sozialreform, 1957, S. 232 f. 319 v g l . f. viele Bogs, W. (FN 2), S. 27, 111 (Aufbau der Sozialversicherung nach sozialen Gruppen als „Prinzip der Sozialversicherung"); Schewe, D. (FN 166), S. 334: wesentlich ist, daß Begünstigte u n d Benachteiligte „ i n n e r halb einer geschlossenen Gruppe stehen", u n d daß sich hier durch Ausgleich eine „Annäherung zur M i t t e h i n " vollziehen soll, . . . ; Zöllner, D., Die soz. Gesetzgebung der BRD, 3. A . 1962, S. 30; Schewe, D., Zöllner, D., Alterssicherung der Landwirte, 1958, E19; Hug, W. (FN 162), S. 191; Isensee, J., Umverteilung, S. 18/9 m. weit. Nachw.
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vor allem gegen den „solidarischen Zusammenschlug" sämtlicher A n gestellten laut 3 2 0 , sowie gegen die Zusammenfassung von Angestellten, Arbeitern und Handwerkern 3 2 1 . Die Homogenität w i r d aber nicht schon dadurch aufgehoben, daß traditionell Arbeitgeber und Arbeitnehmer i n ihr zusammengeschlossen sind 3 2 2 . Diese Zusammenfassung gehört herkömmlich zum Wesen der Sozialversicherung 323 . Es w i r d hier eine „Gemeinschaft" zwischen den Sozialpartnern geschaffen, sie werden ja beide durch dasselbe „Risiko" belastet. Dies aber w i r f t die Frage nach der A r t der Homogenität auf, die überhaupt i n der Sozialversicherung gefordert werden kann. Hier sind zwei Konstruktionen denkbar: — entweder man stellt auf die soziologisch-ökonomische Zusammengehörigkeit innerhalb einer Gruppe ab — dann besteht keine auch nur annähernde Gleichartigkeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Das Prinzip der Homogenität wäre also völlig sinnentleert — oder man muß die Beitrags Verpflichtung der Arbeitgeber über ein anderes, spezielles Prinzip begründen, etwa aus einer besonderen Fürsorgepflicht heraus 324 . — oder es geht um die Homogenität nicht der bedrohten „Wirtschaften", sondern der Risiken, gegen welche versichert w i r d — dies deckt die Einbeziehung der Arbeitgeber, denn sie werden, wenn auch in anderer Weise, von den gleichen Gefahren bedroht wie die Arbeitnehmer. Die Diskussion u m die Homogenität hat nur Sinn, wenn diese beiden möglichen Begriffe unterschieden werden, was bisher nicht klar geschieht, und wenn man einen von ihnen der Sozialversicherung zugrundelegt. Nur der erstere, der der soziologischen Zusammengehörigkeit, kann i n Betracht kommen. Wollte man von einer GefahrengemeinschaftsHomogenität ausgehen, so ließen sich Grenzen kaum mehr ziehen. Wer ist nicht von der „Gefahr einer Arbeitslosigkeit" bedroht, auf wen hat »so Böckenförde, E.-W., V V D S t L 30, S. 164; Schmidt, W. (FN 8), S. 308. 321 Dazu m. Nachw. Wannagat, G., Lehrb. I, S. 373; krit. Eike, S. (FN 229), S. 110. 322 Wenn allerdings die Tendenz zur Einschränkung der Arbeitnehmerbeiträge sich verstärkt, so gerät die Solidarität i n Gefahr; sie ist n u r „da berechtigt, wo die N a t u r des Risikos die Arbeitgeber als die geeignete Gefahrengemeinschaft empfiehlt", Achinger, H. (FN 48), S. 204. 323 F ü r viele Werth, W. (FN 178), Sp. 1927; Hug, W., a.a.O. 324 Vgl. etwa Ryssel, Η . Α., Die allg. Fürsorgepflicht des Arbeitgebers — Die Geschichte ihrer Entstehung und ihre systematische Behandlung i n der Rspr. des B A G , Diss. Ffm. 1970; B V e r w G E 38, 336 (342).
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das „Risiko Krankheit" nicht „gleichartige Auswirkungen"? Ein „beruf sständisch fest umrissener Personenkreis", wie ihn das BVerfG als Homogenitätsbasis i n der Sozialversicherung feststellen w i l l 3 2 5 , w i r d nicht durch gemeinsame Gefahr konstruiert, sondern durch soziologische Zusammengehörigkeit. Und wenn diese nicht entscheidend wäre, so wäre die Konstruktion des BVerfG über eine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers entbehrlich. Der Begriff der Gefahrengemeinschaft 326 sollte also wegen seiner Doppeldeutigkeit aus der Diskussion ausscheiden. „Gefahrengemeinschaft" ist ein Begriff der privaten Versicherung, nicht der Sozialversicherung 327 . Zuwenig ist bisher erkannt worden, daß er auch freiheitsgefährdend w i r k t : Dem Gesetzgeber eröffnet er noch einen viel weiteren Gestaltungsraum, als die soziologische Homogenität. Bei dieser müssen immerhin gewisse Vorgegebenheiten beachtet werden (vgl. i. folg.), eine „Gefahrengemeinschaft" kann nahezu völlig frei gebildet werden. dd) Gerade gegen eine so verstandene soziologisch-ökonomische Solidarität loerden jedoch Bedenken vorgebracht. Nur gelegentlich geschieht dies grundsätzlich, aus der Erforderlichkeit der „großen Zahl von Versicherten" heraus, die nicht notwendig homogen sein müsse 328 . Man glaubt dagegen, m i t beachtlichen Gründen, eine Abschwächung der soziologischen Homogenität überhaupt feststellen zu können, welche diesen Begriff als Abgrenzungskriterium problematisch erscheinen ließe 3 2 9 : Nur innerhalb einer zahlenmäßig beschränkten Gruppe könne Solidarität überhaupt erwartet werden; infolge des Auf- und Abstiegs der Gruppenangehörigen und dadurch, daß sie sich primär als Verbraucher, nicht als Angehörige eines spezifischen Berufsstandes empfänden, nehme die Solidarität notwendig ab. „ A n die Stelle des ausgeprägten Gruppenbewußtseins, wie es sich etwa in dem Klassenkampfgedanken der Arbeiterschaft manifestiert, ist eine gewisse soziale Uniformierung getreten 3 3 0 ." Schließlich habe die sich ausdehnende Versicherung auf fremde Rechnung 331 , die Zuweisung von Gruppenfremden 325 BVerfGE 25, S. 314 (321). Er taucht i m versicherungswissenschaftlichen Schrifttum auch neuerdings auf, vgl. Möller, H. (FN 260), S. 272. 327 BSGE 6, S. 213 (227). 328 Dieser Zusammenhang k l i n g t an bei Richter, L. (FN 178), S. 8. N u r wenn nahezu das „gesamte V o l k " versichert sei, finde ein Qualitätsumschlag statt, Rüfner, W., W d S t L 28, S. 198; ähnlich auch Paschek, W. (FN 22), S. 110. 329 So i n grundsätzlichen Ausführungen Bogs, W. (FN 2), S. 1 ff., 111/2. 330 Bogs, W., a.a.O., S. 52. 331 v g l . dazu ferner Röttgen, A. (FN 19), S. 37; einen gesetzlichen Niederschlag hat dies i n § 363 a RVO gefunden, nach dem die „ K r a n k e n h i l f e für fremde Rechnung" durch Zuschüsse abgedeckt ist, vgl. dazu Sozialenquête, S.242. 326
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zu einer Solidargemeinschaft, zur Lockerung der Solidarität beigetragen: Die „Fremden" träten der Versicherung m i t einer „anderen Einstellung" gegenüber. Hier trete eine Umkehrung des Subsidiaritätsprinzips ein, indem die Stellen, welche die Leistungen gewährten „nur i m Sinne einer möglichst zweckmäßigen technischen Zuständigkeit, also i m Sinne eines gut funktionierenden Apparates ausgewählt sind", wobei naturgemäß der Leistungsfähigste, der Staat, an erster Stelle steht. Dieser Analyse kann nicht widersprochen werden. Sie zeigt aber auch, daß es nicht so sehr außerrechtliche Entwicklungen sind, welche das Homogenitätsprinzip schwächen, als vielmehr — gerade jene Expansion der Sozialversicherung, die eben jeden gleichermaßen „versorgen" w i l l , tendenziell ohne Rücksicht auf Gruppenzugehörigkeit 332 . Wenn es bei der Beschreibung der Gesetzgebungstendenz bewenden soll, so verliert das Homogenitätsprinzip bald jeden Sinn. Es fragt sich jedoch, ob dem Gesetzgeber eine solche Veränderung der Struktur der Sozialversicherung gestattet ist, ob er insbesondere die „Versicherung auf fremde Rechnung" beliebig ausweiten darf. Ist er nicht durch selbstgeschaffene Sachgesetzlichkeit, durch kontinuierliche Tradition gehindert, ein i n der Gesetzgebung anerkanntes, von der Verfassung rezipiertes Strukturelement der Sozialversicherung aufzugeben? ee) Die Frage muß ausgehend von der Judikatur, vor allem des BVerfG, beantwortet werden 3 3 3 . Diese geht von einem Prinzip der Gruppensolidarität aus 334 . Von der „Versichertengemeinschaft" ist die Rede, welche „homogen" bleiben müsse 335 ; die Auferlegung von „Fremdleistungen" ist nur ausnahmsweise zulässig 336 . Die „Solidarität der Arbeitnehmer" w i r d beschworen 337 , von der Notwendigkeit, auch 332 M i t Recht macht allerdings Bogs, W., a.a.O., S. 52 darauf aufmerksam, daß sich hier auch eine Entwicklung anbahnt, die das Versicherungsprinzip wiederum stärker betonen u n d damit einer Expansion der Sozialversicherung andere Grenzen setzen könnte: „Der Versicherte ist darauf bedacht, möglichst den Gegenwert für seine Beiträge aus der Sozialversicherung herauszuholen". 333 Überblick bei Isensee, J., Umverteilung, S. 49/50. 334 Vgl. BVerfGE 11, S. 221 (226); 25, S. 314 (321) — ein berufsständisch festumrissener Personenkreis bestimmte die Altershilfe f ü r L a n d w i r t e , w i e die anderen Zweige der Sozialversicherung. „Bestimmte Gruppen der Bevölkerung" bildeten Solidargemeinschaften, BVerfGE 14, S. 288. Z u r „vertikalen Homogenität" (wirtschaftlich Stärkerer u n d Schwächerer) vgl. BSGE 32, S. 13 (15). 335 BVerfGE 24, S. 220 (232); vgl. auch 13, S.21 (22, 29) (Versicherungsgemeinschaft zwischen Arbeitenden u n d Rentnern). 336 Wegen der „besonderen, einmaligen" Verhältnisse seit 1945, BVerfGE 14, S. 221 (242/3). 337 BSGE 14, S. 185 (191); 20, S. 123 (127).
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„schwächeren Berufsgenossen" Versorgung zu bieten w i r d gesprochen 338 . Wesentlich für die Sozialversicherung ist die „gemeinsame Deckung eines möglichen, in seiner Gesamtheit schätzbaren Bedarfs durch Verteilung auf eine organisierte Vielheit" (Herv. v. Verf.) 3 3 9 . Dies kann vernünftigerweise nur i m Sinn einer Gruppenhomogenität verstanden werden, w e i l es ja ein sachlogisches Prinzip für diese „vielheitliche Organisation" geben muß und ein anderes nicht ersichtlich ist. Dies gilt vor allem für die Krankenversicherung. „Der deutschen Sozialversicherung liegt das System der gegliederten' Sozialversicherung zugrunde; so baut die Krankenversicherung auf örtlich oder beruflich abgegrenzte Personenkreise als Versicherungsgemeinschaften auf und läßt i n den Innungskrankenkassen geschichtlich überkommene, an das Arbeitsverhältnis anknüpfende Versicherungsträger zu 3 4 0 ." Diesen i n ihrer Gesamtheit eindeutigen Aussagen, die sich i m Laufe der Jahre zu der präzisen Forderung eines „berufsständisch fest umrissenen Personenkreises" als einem Prinzip der gesamten Sozialversicherung verdichtet haben, stehen bei näherem Zusehen gegenteilige Äußerungen nicht gegenüber: Daß die Arbeitgeber ebenfalls beitragspflichtig sind, ergibt sich nicht aus dem Prinzip der Homogenität oder der Gefahrengemeinschaft, sondern aus einem speziellen Grundsatz, der „sozialen Fürsorgepflicht" 341 . Daß „die einen die Beitragslast für die Familienversorgung der anderen mittragen" 3 4 2 , spricht nicht gegen das soziologische Homogenitätsprinzip, sondern bekräftigt dieses: Die Familienzusammengehörigkeit ist, schon kraft Verfassung (Art. 6 Abs. I GG), wesentlicher Inhalt, Teil jeder soziologischen Zusammengehörigkeit, von welcher die Staatsgewalt ausgehen w i l l . Nur i n zwei Fällen scheint das BVerfG das Homogenitätsprinzip aufzugeben. Bei den Familienausgleichskassen werde „keine beschränkte ,berufsständische' Solidarität" erstrebt. Das Gericht sal viert jedoch deutlich das Prinzip: Es handle sich um einen Grenzfall („noch" vereinbar), und es würden ja die unterschiedlichen Belastungen „angemessen" ausgeglichen 343 . Bei der Unfallversicherung verlangt das BVerfG keine Homogenität 3 4 4 , läßt vielmehr einen Risikoausgleich über die Grenzen einer Berufsgenossenschaft hinaus zu; damit geht es von der Solidarität der Gesamtwirtschaft aus. Doch auch hier w i r d das Prinzip allenfalls i n 338 BVerfGE 339 BVerfGE 340 BVerfGE 341 BVerfGE oben cc). 342 BVerfGE 343 BVerfGE 344 BVerfGE
10, 11, 11, 11,
S. 354 (369). S. 105 (112); vgl. dazu BSGE 6, S.213 (228); 6, S. 238 (242). S. 310 (318). S. 105 (114); BSGE 6, S.213 (227); vgl. i m übrigen näher
17, S. 1 (9). 11, S. 105 (108 f., insbes. 121). 23, S. 11 (23).
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einem Ausnahmefall durchbrochen, nicht aber aufgehoben. Die Ausnahme begründet das Gericht sorgfältig aus der Tradition gerade dieses Versicherungsbereiches; es setzt ihr ausdrücklich Grenzen an den „wesentlichen Strukturelementen", also auch an der Selbstverwaltung und dem Versicherungsprinzip, das, wie mehrfach nachgewiesen, ein gewisses Maß an Solidarität voraussetzt. Die Sondergestaltung i m Falle der Unfallversicherung rechtfertigt sich schließlich aus allgemeinen w i r t schaftsverfassungsrechtlichen Erwägungen, die ja auch die Investitionshilfe getragen hatten und eine gewisse Gesamtsolidarität der Unternehmerschaft begründen. Eine Aufgabe der Homogenität für die pflichtversicherten Arbeitnehmer w i r d sich daraus nicht ableiten lassen, allenfalls eine unterschiedliche Intensität bei Abhängigen und Selbständigen. Nach der Rechtsprechung liegt also das Homogenitätsprinzip i n solcher Einheitlichkeit der Sozialversicherung zugrunde, daß es berechtigt erscheint, es induktiv als ein wesentliches Strukturelement und damit als einen Begriff des Verfassungsrechts der Sozialversicherung anzusehen. Von der Homogenität darf nur aus gewichtigen Gründen in Grenzen abgetüichen werden, wenn dies bereits in der Tradition der jeweiligen Einzelsparte angelegt ist. Für die Krankenversicherung ist dies nicht i n wesentlichem Umfang der Fall. Der Gesetzgeber darf hier also die Homogenität nicht manipulieren 3 4 5 . ff) Für die Schrankenziehung der Sozialversicherung hat dies allgemein wie i m Einzelfall erhebliche praktische Bedeutung: Die Homogenität muß streng beachtet, es darf nicht von einer homogenen Solidargemeinschaft (fast) aller Versicherten ausgegangen werden. Eine solche läßt sich insbesondere nicht darauf begründen, daß bereits die große Mehrzahl, ja die Quasi-Totalität der Bewohner der BRD der Sozialversicherung angehören. Da hier nach der Legitimation erweiterter Pflichtversicherung gefragt wird, kommen auch nur diejenigen i n Betracht, welche i n eine solche einbezogen sind. Wie die Homogenität i m Konkurrenzfall zu beurteilen ist, bleibt noch (D) zu untersuchen. Vor allem aber besagt die Homogenität der großen Zahl nichts über die Homogenität der wenigen, der „speziellen Gruppen", die bisher noch nicht ein345 Eine gewisse Parallele, die dieses Verbot verdeutlichen mag, ergibt sich bei der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. I GG). Auch hier hat der Gesetzgeber einen besonderen Gestaltungsraum, der sich bereits aus der Verfassungsbegriff lichkeit ergibt: Er k a n n das Berufsbild fixieren und er mag sozial unwertige Berufe bestimmen. Dies darf aber nicht i n der Weise geschehen, daß dadurch die Berufsfreiheit ausgehöhlt w i r d . Ebensowenig dürfen i n den Begriff der Sozialversicherung gesetzgeberische Gestaltungsmöglichkeiten hineingelegt werden, die sich dann als „stillschweigende Gesetzesvorbehalte" gegenüber den Grundrechten der privaten Versicherer auswirken. Eine Manipulation ist weder bei den Begriffen zulässig, die den Freiheitsraum umschreiben, noch bei jenen, die als eine Legitimation f ü r staatliche Eingriffe i n Betracht kommen.
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bezogen worden sind. Bei jedem Schritt weiterer Expansion verschärft sich vielmehr die W i r k u n g der Homogenität, w i r d die Begründung schwieriger — denn sonst wären diese Gruppen ja bereits einbezogen worden. Diesem Begründungszwang kann der Gesetzgeber aber nicht dadurch entkommen, daß er auf eine „allgemeine Solidarität" „der Wirtschaft" oder „aller Werktätigen" ausweicht und damit Sozialversicherungsprinzipien durch Sozialideologie ersetzt. Wächter an der Schallmauer der Homogenität ist i m Einzelfall das BVerfG. Daß es sie nicht niederreißen lassen w i l l , zeigt seine Judikatur. Bei der Einbeziehung jeder neuen Gruppe muß daher die soziologischökonomische Homogenität speziell bewiesen werden; eine so allgemeine Voraussetzung kann der Gesetzgeber nicht durch ein Sozialversicherungsgesetz schaffen. „Vorgegeben" ist also die Homogenität i n vollem Umfang der Sozialversicherung, i n weitem Umfang dem Gesetzgeber überhaupt, solange nicht Zwangswirtschaft herrscht. Nur i n ihr könnte er allgemein und durchgehend die soziologisch-ökonomische Homogenität herstellen. Dasselbe gilt für die vertikale Homogenität: Jede Anhebung der Pflichtversicherungsgrenze erhöht die Heterogenität innerhalb der Versichertengemeinschaft. Für die Krankenversicherung gilt dies ebenso wie i n den anderen Bereichen der Sozialversicherung: Eine „berufsübergreifende Solidarität gegenüber der Krankheit" gibt es nicht. 4. Organisationsprinzipien als Schranken u n d als Legitimation der Sozialversicherung — Zusammenfassung
a) Ergebnisse der organisationsrechtlichen Untersuchung. Die notwendigen Organisationselemente der Sozialversicherung bestätigen die bisher aufgefundenen Schranken einer zulässigen Expansion der Sozialversicherung, zum Teil ermöglichen sie noch präzisere Grenzbestimmung: — Die Achtung der Strukturelemente der Selbstverwaltung und der Homogenität der Versichertengruppen verbietet es, die Sozialversicherung vertikal oder horizontal so weit auszudehnen, daß die berufsgenössische Vielfalt als Begründung der Autonomie wegfällt oder die Versicherungsstruktur beeinträchtigt wird, welche die Selbstverwaltung trägt. Insoweit werden die Grenzen bestätigt, welche sich bereits aus dem „Charakter der Sozialversicherung" (vgl. oben 2) ergaben. — Echte Selbstverwaltung kann nur aus dem Interesse erwachsen, das durch Gruppenhomogenität gebündelt wird. Diese Homogenität muß nach der Verfassung eine soziologisch-ökonomische sein, sie ist der
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Sozialversicherung weitestgehend vorgegeben und sie darf von dieser nicht manipuliert werden. — Die Schrankenwirkung der Homogenität verstärkt sich, je weiter sich die Sozialversicherung ausdehnt. Schon i m gegenwärtigen Zeitpunkt bedarf jeder weitere Schritt vertikaler oder horizontaler Expansion überzeugender Begründung, wenn er die Zuordnung zu bestehenden Versicherungsgemeinschaften bringen soll. Keinesfalls darf sich dabei der Gesetzgeber zu weit von der Gesetzgebungstradition entfernen. b) Selbstverwaltung und Homogenität sind die zentralen organisationsrechtlichen Strukturelemente der Sozialversicherung. Es fragt sich, ob sie die Sozialversicherung als Zwangsorganisation gegenüber der Berufswahlfreiheit rechtfertigen, w e i l i n ihnen ein „überragendes Gemeinschaftsgut" sichtbar wird. Begrifflich können überragende Gemeinschaftsgüter nur speziell geschützte Interessen sein, nicht aber das Instrumentarium, m i t dem gesichert wird. Dieses kann jedoch durch die geschützten Interessen mitgetragen und sogar diesen gegenüber als eigenes Interesse verselbständigt werden. So w i r d etwa die Übersichtlichkeit und gute Ordnung der Gerichtsverhandlungen ein selbständiges Gemeinschaftsgut 346 , ebenso die Steuerrechtspflege 347 . Wenn schließlich der Gesetzgeber zum Schutz eines Gemeinschaftsgutes Beschränkungen anordnen darf, so ist die wirksame Aufrechterhaltung derselben wiederum ein Gemeinschaftsgut 3 4 8 . Die organisatorische Bewältigung der Sozialversicherung i n den Formen homogener Selbstverwaltung kann daher durchaus als ein Gemeinschaftsgut aufgefaßt werden, das als notwendiges Instrument der Behebung sozialer Schutzbedürftigkeit begrifflich ebenfalls eine Legitimation der staatlichen Eingriffe bedeutet. Die Selbstverwaltung i n Homogenität stellt eine derartige Legitimation dar. Sie ist einst deshalb geschaffen und seither immer aufrechterhalten worden, weil man die soziale Vorsorge nicht völlig aus dem gesellschaftlichen Bereich hinaus und i n die Staatsgewalt hinein verlagern wollte. Zwar hat man sich dabei nicht mit der Beleihung privater Unternehmen begnügt, die Vorsorge sollte aber i n einer „gewissen Nähe" zum klassischen Begriff der privaten Versicherung belassen werden, eben als eine Form kollektiv gegliederter Eigenvorsorge der Betroffenen. I n einer Verfassungsordnung, die vom Primat der Entscheidungsfreiheit des einzelnen ausgeht, muß dies erst recht gelten.
346 BVerfGE 28, S. 1. 347 BVerfGE 21, S. 179. 348 Dazu BVerfGE 30, S. 33. 7 Leisner
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W i r d daher die genossenschaftliche Form der homogenen Selbstverwaltung durch weitere Expansion der Sozialversicherung völlig ausgehöhlt, so verliert die Sozialversicherung ihre Freiheitskonformität und ist auch gegenüber der Berufswahlfreiheit der privaten Versicherer nicht mehr zu rechtfertigen. Selbstverwaltung und Homogenität dienen ja auch dem Schutz derjenigen, die durch Zwangsversicherung hier von beruflicher Betätigung ausgeschlossen werden, eben weil sie der Expansion des „großen Konkurrenten" Schranken setzen; nicht zuletzt aber auch dadurch, daß i n einer homogenen Selbstverwaltung der Sozialversicherung immer noch etwas von jenem „Versicherungsdenken" erhalten bleibt, welches zwischen öffentlicher und privater Versicherung eine letzte Einheit aufrechterhält und dem Versicherungsbürger den Übergang i n die (Zusatz-)Leistungen der Privatversicherung erleichtert, es dieser besser ermöglicht, an die Sozialversicherung anzuschließen. So sind die Organisationsstrukturen der Sozialversicherung vielleicht besser greifbare Schranken der Expansion als jene Schutzbedürftigkeit, bei der sie sich nur aus der dort notwendig allgemein bleibenden Aufgabenstellung ergeben. I V . Staatszuschüsse als Rechtfertigung und Grenze der Sozialversicherung Wenn Staatszuschüsse zum Wesen der Sozialversicherung gehören — stellt dies eine Legitimation für deren weitere Expansion dar, oder setzt es ihr vielmehr Schranken? Dies ist hier für die Pflichtversicherung zu untersuchen, während die Konkurrenzauswirkungen unten (D) behandelt werden. 1. Staatszuschüsse — Wesenselement der Sozialversicherung? — Entwicklungszustand, Fragestellung
a) Staatliche Finanzhilfe w i r d den Trägern der Sozialversicherung i n zwei Formen zuteil — Der Bund hat eine gesetzliche Ausfallbürgschaft übernommen: §§ 1384 RVO, 111 A V G verpflichten ihn, die erforderlichen Mittel für die Rentenversicherung selbst aufzubringen, wenn die Beiträge zusammen mit den sonstigen Einnahmen nicht ausreichen sollten, um die dauernde Aufrechterhaltung der von den Versicherungsträgern zu deckenden Leistungen zu gewährleisten 349 .
349 Wannagat,
G., Lehrb. I , S. 19 m. Nachw.
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— Der Bund — früher das Reich — leisten staatliche Zuschüsse, vor allem zur Rentenversicherung. Sie betrugen 3 5 0 mit einiger Konstanz etwa Ve der Gesamtausgaben der Rentenversicherung, stiegen dann während des Krieges zeitweise auf über 50 °/o an und weisen seither zeitweise wieder eine fallende Tendenz auf 3 5 1 . I n der G K V haben demgegenüber die Zuschüsse weit geringere Bedeutung — sie betrugen etwa 1968 71 Millionen gegenüber einem gesamten Beitragsaufkommen von 16 126 Millionen 3 5 2 . Von einem festen Satz staatlicher Zuschüsse kann also nicht die Rede sein; die Zuschußhöhe wechselt m i t Ausdehnung der Pflichtversicherung, m i t der Höhe der Sozialversicherungsleistungen, vor allem aber je nach der sozialpolitischen Grundkonzeption der Regierung. Nach Überwindung der Nachkriegsschwierigkeiten ging hier die Tendenz i n den 60er Jahren ersichtlich dahin, die Sozialversicherung überhaupt möglichst weitgehend von Staatszuschüssen freizustellen. Ob dies weiterverfolgt werden wird, muß bezweifelt werden. Aus der bisherigen Entwicklung der Sozialversicherung läßt sich jedenfalls keine Verpflichtung des Gesetzgebers i n diesem Sinne ableiten. Bei der G K V könnte sich allerdings eine solche aus dem Herkommen ergeben. Es dürfte, angesichts der Kontinuität, wohl als eine Besonderheit dieses Versicherungszweiges aufgefaßt werden, daß er sich weit überwiegend auf Beiträge stützt. Eine präzise Grenze für die mögliche Größenordnung staatlicher Zuschüsse zur G K V w i r d sich daher kaum aus der Entwicklung ableiten lassen. I m Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung dagegen zeigt sich die Tendenz, die Versorgung ganz überwiegend aus Steuermitteln zu bestreiten 3 5 3 . Diese Entwicklung, welche m i t Recht als Ausuferung der Sozialversicherung i n reine Staatsversorgung hinein angesehen wird, hat nicht zuletzt zu den Anregungen für eine grundlegende Neuordnung der sozialen Sicherung geführt, bei der diese Leistungen nicht mehr der Versorgung, sondern der Entschädigung zuzuordnen wären 3 5 4 . Immerh i n erfolgen sie — noch — i m Bereich der Sozialversicherung und zeigen eine Dynamik der Staatszuschüsse, die auf jede andere Versicherungssparte übergreifen könnte. 3δο Dazu Wannagat, a.a.O., S. 18; Zahlen bei Schewe, D., Die Bundeszuschüsse i n der sozialen Rentenversicherung, Beilage zu „Soziale Sicherheit", H. 5/66, S . l (2 f.). 351 Schewe, D., a.a.O., S. 24; Bogs, W. (FN 161), der sie f ü r 1970 m i t etwa 20 % angibt; Zahlen auch i m Handwörterbuch d. SteuerR., 1972, S. 947 f. 352 Z u den Besonderheiten des Knappschaftskonsens vgl. Sozialenquete, S.203. 353 Dazu Bogs, H., Sozialversicherung, S. 354; zur Landabgaberente Bogs, W. (FN 301), S. 4. S54 Vgl. hierzu oben I I I . 2. d). 7©
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b) Die finanziellen Staatshilfen für die Sozialversicherung werden von manchen als Wesenselement der Sozialversicherung bezeichnet, wobei allerdings meist offen bleibt, ob dies deskriptiv oder verfassungsnormativ gemeint ist 3 5 5 . Andere gehen weiter: Die staatliche Beteiligung am Rentensystem werde von den Vertretern des Sozialversicherungsrechts „mehr oder minder als eine zwar notwendige, aber nicht allzu bedeutsame Zutat" abgetan. Sie zeige aber, daß die Staatsleistungen, daß die Sozialversicherung eine „echte staatliche Einrichtung", ein „integrierender Teil des staatlichen Finanzwesens und damit der Finanz Verfassung i m materiellen Recht" sei 3 5 6 . Diese Auffassung liegt aus finanzrechtlicher Sicht nahe, und i n der Tat ist die Sozialversicherung insoweit auch zur Finanzverfassung des Gemeinwesens zu rechnen, als i n größerem Umfang staatliche Zuschüsse gegeben werden. Zur „staatlichen Einrichtung" i m formellen Sinn w i r d sie damit jedoch nicht, weil die Selbstverwaltung ein von Verfassungs wegen festliegendes unabdingbares Struktur element der deutschen Sozialversicherung darstellt 3 5 7 . Die Frage, ob die Staatszuschüsse zum Wesen der Sozialversicherung gehören, ist nur zu entscheiden, wenn ihre möglichen Begründungen dem Grunde nach geprüft sind (im folg. 2 a)) und wenn entschieden ist, ob eine Grenzbestimmung für ihre Höhe möglich ist (im folg. 2 b)). 2. Die Begründung der Staatszuschüsse
a) Die Staatszuschüsse sind Subventionen und bedürfen daher in einer freien Wirtschaftsordnung der Legitimation. aa) Das Problem kann nicht m i t der Begründung umgangen werden, die Bundeszuschüsse seien nicht zu den Subventionen zu rechnen, weil sie der gesamten Bevölkerung zugute kämen; nicht eine Bevölkerungsschicht werde begünstigt, es finde nur eine Aufteilung der Einkommen zwischen jung und alt statt 3 5 8 . Die Zuschüsse werden nur einer bestimmten, wenn auch großen Gruppe der Bevölkerung gewährt, sie sind daher begrifflich Subventionen. Daß sie allgemein einkommensverteilend, also als Instrument der staatlichen Finanzpolitik wirken, ändert nichts an diesem ihrem Rechtscharakter. 335 Wannagat, G., Lehrb. I, S. 17 („für die Sozialversicherung typisches Merkmal") ; S. 29 („Besonderheiten der Sozialversicherung") ; Bogs, W. (FN 2) (die Verbindung von Selbsthilfe, sozialem Ausgleich, „sowie zusätzliche Staatshilfe bilden den wesentlichen K e r n der deutschen Sozialversicherung seit Bismarcks Zeit"); vgl. auch Wolff, H. J., VerwR. I I I , 3. Α., S. 180; Hug, W. (FN 162), S. 118. 356 Friauf , H., V V d S t L 28, S. 254 i n Anlehnung an Rüfner. 357 Dazu näher oben I I I . 3. b). 358 Schewe, D. (FN 351), S. 24.
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bb) Die Zuschüsse lassen sich nicht damit begründen, es würden solche Subventionen ja auch den privaten Versicherern zuteil, es handle sich also soz. u m „Wesenselemente der deutschen Versicherung als solcher". Quantitativ und qualitativ bestehen hier entscheidende Unterschiede — bei der privaten Versicherung handelt es sich nur um Randerscheinungen und die Zuschüsse sollen i m wesentlichen spezielle Lasten aus der Erfüllung öffentlicher Aufgaben (Kriegsfolgen u. ä.) abdecken 359 . cc) Bei der Krankenversicherung sind Zuschüsse insoweit jedenfalls legitim, als es sich u m „Krankenhilfe für fremde Rechnung" handelt. Ganz allgemein lassen sie sich insoweit rechtfertigen, als außerordentliche, insbesondere Kriegsfolgelasten von den Trägern übernommen werden mußten 3 6 0 . Dies gilt auch für die anderen Sparten. Hier ist zugleich der Umfang der Zuschüsse eindeutig bestimmbar. dd) Aus Art. 120 GG kann, entgegen weitverbreiteter Ansicht 3 6 1 die Zulässigkeit der Subventionen auch nicht dem Grunde nach abgeleitet werden. Diese Verfassungsnorm regelt lediglich Besatzungskosten und Kriegsfolgelasten, nicht etwa allgemein Sozialversicherungsrecht. Nur in diesem Rahmen also trägt der Bund kraft Verfassung die Lasten der Sozialversicherung, nicht aber allgemein. Daß dies allein i n A r t . 120 GG geregelt werden sollte, zeigt der letzte Satz von Abs. I klar („die durch diesen Absatz geregelte Verteilung der Kriegsfolgelasten auf Bund und Länder"). Überdies entbehrt A r t . 120 GG, w i e das BVerfG ausdrücklich festgestellt hat, jeden Anspruchsgehalts. Etwaige Ansprüche der Sozialversicherungsträger auf Staatszuschüsse können stets nur auf die Gesetze gestützt werden 3 6 2 . Die reine Kompetenzverteilungsnorm des A r t . 120 GG ist also ohne jeden materiellen Begründungsgehalt. ee) Eine allgemeine Begründung für die Staatszuschüsse kann nicht daraus gewonnen werden, daß sie die Sozialversicherung attraktiver für die Versicherten machten. Das BVerfG hat zwar der Rentenversicherung bescheinigt, einer ihrer „wichtigsten und ohne weiteres erkennbaren Vorzüge" liege „ i n der Gewährung von erheblichen Bundeszuschüssen" 3 6 3 . Darin mag eine einschlußweise Billigung der Zuschüsse liegen, nicht aber eine Begründung für diese: I n diesen Fällen ging es darum, ob den hier Versicherten Nachteile entstünden und nur dies wurde u. a. 359 Näher dazu Wannagat, G., Lehrb. I , S.29; Bogs, W. (FN 2), S. 28. 360 Sozialenquête, S. 241 f. unter Hinweis auf § 363 a R V O ; vgl. BVerfGE 27, S. 253 (283) unter Verweis auf die Sozialstaatlichkeit. 361 Wannagat, G., Lehrb. I , S. 19; Scheme, D. (FN351), a.a.O.; vgl. auch Maunz-Dürig-Herzog, GG, A r t . 120, R d n r . 2 3 f . ; Röttgen, A . (FN 19), S. 37, der hier „die Möglichkeit versorgungsrechtlicher Einbrüche i n die Sozialversicherung" sieht. 362 BVerfGE 29, S. 221 (233, 235). 363 BVerfGE 18, S. 257 (268); 29, S. 245 (254).
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C. Rechtfertigung u n d Grenzen erweiterter Pflichtversicherung
unter Hinweis auf die Zuschüsse verneint. Diese dicta entheben daher nicht der Notwendigkeit, einer anderweitigen Legitimation für die Zuschüsse. Dem BVerfG darf der schwere dogmatisch-systematische Fehler nicht unterstellt werden, es habe einen Staatseingriff damit gegenüber den Grundrechten der Privatversicherung legitimieren wollen, daß er unter Einsatz massiver Subventionen erfolge — dies läßt ihn aus dieser Sicht ja noch bedenklicher erscheinen. ff) Eine Legitimation aus Tradition und Kontinuität entspricht i n diesem Bereich sicher der Grundtendenz der Verfassungsrechtsprechung 364 . Sie kann sich bei der Rentenversicherung auf ein langes Herkommen stützen 3 6 5 — gerade nicht aber i m Falle der Krankenversicherung, die ebenso traditionell gerade zuschußfrei arbeitet. Hier zeigt sich ein so grundlegender Strukturunterschied 366 , daß es bedenklich wäre, auf die Tradition allein eine Begründung für etwa neuerdings hier zu gewährende Staatszuschüsse stützen zu wollen. gg) Eine Legitimation der Staatszusüsse, welche auch für die G K V zutrifft, kann nur aus der Aufgabe gewonnen werden, der sozialen Schutzbedürftigkeit Rechnung zu tragen. Früher mochten sie durch armenfürsorgerische Zielsetzung gerechtfertigt worden sein 3 6 7 , heute ist es die Funktion der Sozialversicherung, eine Versorgung zu bieten, die wirklich „sichere Sicherheit" verbürgt — dies liegt i n dem Sozialauftrag selbst, dem Zwang zur Versicherung muß die Unbedingtbeit der Sicherung entsprechen. Vor allem infolge der Staatsgarantie hat sich die Sozialversicherung als die stabilste und krisenfesteste Sicherungsform erwiesen und „ohne wesentliche innere Erschütterungen" Kriege und Inflationen überstanden 368 . I n einer inflationären Periode kommt der Wertbeständigkeit der Versicherungsleistungen besondere Bedeutung zu 3 6 9 . Sie stellt die Privatversicherung vor schwierige Probleme 3 7 0 / 3 7 1 und kann für die Sozialversicherung letztlich nur durch 364 Allg. dazu Bogs, H., Sozialversicherung, S. 503; Zweigert, Κ . , ReichertFacilides, F. (FN 23), S. 28; generell zu den staatl. Handlungskompetenzen auf wirtsch. Gebiet Stern, K., Burmeister, J. (FN 47), S. 125/6. 3 65 Z u den Auffassungen Bismarcks zur Beteiligung des Reiches vgl. Bogs, W. (FN 2), S. 30 m. Nachw. 366 Z u r Notwendigkeit, daraus dogmatische Folgerungen zu ziehen, vgl. oben I I I . 2. a.E. 3 67 Dazu Wannagat, G., Lehrb. I , S. 18. 3 68 Wannagat, a.a.O., S. 29. 3 69 Z u r anti-inflationären Sicherungsaufgabe der Sozialversicherung vgl. Bogs, W. (FN 2), S. 105; Paschek, W. (FN 22), S. 53 f.; Schreiber, W., Existenzsicherheit i n der industriellen Gesellschaft, i n : Boettcher, E., Sozialpolitik u n d Sozialreform, S. 82. 370/371 Dazu aus der Sicht der Privatversicherung: Frey, E., Das Problem der Inflation, Versicherungswirtschaft 1972, S. 722; Braeß, P., Versicherung u n d Währung, i n : Versicherungswirtsch. Studienwerk, Allg. Versicherungs-
I V . Staatszuschüsse als Legitimation u n d Grenze der Expansion
Staatszuschüsse dafür, daß die Diese — einzig Staatszuschüsse
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gewährleistet werden. Manche Anzeichen sprechen also Zeit der Staatszuschüsse erst noch kommen w i r d . . . mögliche — Begründung für die Erforderlichkeit der führt jedoch auch zu deren notwendigen Grenzen.
b) Grenzen der Staatszuschüsse ergeben sich aus den Wesenseiementen der Sozialversicherung und aus der Legitimation der Subventionen. aa) Sollte sich das Verhältnis der Beiträge zu den Zuschüssen immer mehr zugunsten der letzteren entwickeln, so würde ein Zustand erreicht, der weder m i t dem Versicherungscharakter noch m i t dem Begriff der Selbstverwaltung der Träger mehr vereinbar wäre: — Das Spannungsverhältnis von „Versicherung" und „Staatszuschuß" kann nicht zweifelhaft sein 3 7 2 : Wo subventioniert wird, hat Individual-Äquivalenz von Beitrag und Versicherung keinen Sinn mehr. Als Schranke der Staatszuschüsse vor allem w i r k t also das Monitum des BVerfG, der Versicherungscharakter müsse „mindestens gleichwertig" erhalten bleiben. I n besonderem Maß muß dies für die freien Berufe gelten. Bei der Rechtfertigung der kollektiven Ärzteversorgung als der „dem freien Beruf angemessensten Form" meint das BVerfG, es sei „hervorzuheben, daß die Bayerische Ärzteversorgung keine Staatszuschüsse erhält, sondern ihre Leistungen aus den Beiträgen und Vermögenserträgen deckt" 3 7 3 . Eine Ausdehnung der Versicherungspflicht i m Bereich der freien Berufe wenigstens ist also dann problematisch, wenn sie nur unter Subvention erfolgen kann. Dasselbe gilt für die Krankenversicherung, die sich ihrem Wesen nach wenig zur Aufnahme von Versorgungs-Elementen eignet 3 7 4 , bei der also der Versicherungscharakter traditionell i m Vordergrund steht. Eine weitere Expansion der G K V i n vertikaler oder horizontaler Richtung unterliegt also erheblichen, auch verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sie nur unter Einsatz von Staatszuschüssen durchführbar ist. I n anderen Sparten dürfen diese, von kurzen Ausnahmesituationen abgesehen, 50 °/o der Gesamtlasten nicht erreichen. lehre, Β I I I 1, S. 860 f., der (für die Lebensversicherung) n u r den Ausweg der Versicherten dividende sieht (S. 865) ; Schmidt, G., Die versicherungstechnischen Möglichkeiten zur Vermeidung einer Unterversicherung, Vers Wirtsch. 1973, S. 89 ff.; m i t Blick auf das Problem der Indexklauseln Sozialenquete, S. 188. Dazu Arps, L., Assekuranz u n d Inflation, ZVersWiss. 1971, S. 421 ff. Bes. für die Probleme d. Krankenversicherung: Wymer, T., Die Versicherung und die Währungsschwankungen, ZVersWiss. 1974, S. 63/92 ff. 372 Möller, H. (FN 258), S. 273: Staatliche Zuschüsse sind problematisch, eine staatliche Garantie ist m i t dem Versicherungsbegriff unvereinbar. 373 BVerfGE 10, S. 354 (370). 374 Zacher, H. (FN 292), S. 464.
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C. Rechtfertigung u n d Grenzen erweiterter Pflichtversicherung
— Das Wesenselement der Selbstverwaltung schließt ebenfalls, wenn auch nicht m i t gleicher Intensität, eine weit überwiegende oder gar voll staats-subventionierte Sozialversicherung aus. Die wesentliche Legitimation der Autonomie fällt weg, wenn es nicht mehr um die Verwaltung eigener Beiträge geht 3 7 5 . Diese Schranken der Staatszuschüsse weisen darauf hin, daß die Sozialversicherung stets begrifflich eine A r t von „Grundsicherung" bleiben muß 3 7 6 . Wenn nämlich die Umverteilung i n Grenzen gehalten und die Homogenität der Versichertengruppen erhalten werden soll, so könnte eine erhebliche Leistungssteigerung nur durch Verstärkung der Staatszuschüsse erreicht werden, welche wiederum unzulässig ist. Das „magische Dreieck" der Sozialversicherung legt diese also auf Grundsicherung fest. bb) Die Subventionen lassen sich nur aus dem Begriff der „Schutzbedürftigkeit" unter besonderer Berücksichtigung der Wertbeständigkeit der Sicherung begründen (oben a), gg)). Dies setzt den Zuschüssen, aber auch den Leistungen der Sozialversicherung Grenzen. Wenn nämlich die Subventionen alle Defizite abdecken müssen, die „Schutzbedürftigkeit" aber nicht eine Minimal-, sondern eine Vollsicherung verlangen sollte, so wäre der Staat gezwungen, mit steigender Inflationsrate immer stärker zu subventionieren, und zwar i n einer Größenordnung, welche die Geldentwertung „anheizen" müßte. Dies aber würde den Stabilitätszielen der Verfassung (vgl. A r t . 109 GG) eindeutig widersprechen. Aus der Begründung der Subventionen ergibt sich also einerseits deren Beschränkung auf eine nur teilweise Deckung der Sozialversicherungsausgaben, weil dies ja zu dem fürsorgerischen, zu dem Sozialelement der Sozialversicherung zu rechnen ist, das nie allein bestimmend sein darf; zugleich aber auch die Beschränkung der Sozialversicherung auf eine Grundsicherung, ohne welche sich die Zuschüsse als Zwang zur Inflationierung auswirken müßten. 3. Staatszuschüsse u n d Pflichtversicherung — Ersatz der Subventionen durch Expansion?
a) Die Staatszuschüsse an die Sozialversicherung sind durch deren Sozialauftrag legitimiert, müssen sich aber, entsprechend den „wesent375 I m m e r h i n könnte auch dann noch zu ihrer Begründung auf die besondere Sachnähe dieser „Betroffenendemokratie" oder auf die gemeindliche Selbstverwaltung verwiesen werden, die j a auch w e i t überwiegend übertragene Aufgaben erledige. 376 F ü r die Rentenversicherung vgl. i n diesem Zusammenhang Sozialenquête , S. 188/9.
I V . Staatszuschüsse als Legitimation u n d Grenze der Expansion
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liehen Strukturmerkmalen" der Sozialversicherung, i n festen Grenzen halten, dürfen insbesondere die Lastendeckung durch Beiträge nicht überwiegen. I m Bereich der Krankenversicherung wäre ihre massive Einführung verfassungsrechtlich bedenklich. I n diesem Rahmen w i r d man die Zulässigkeit von Staatssubventionen in der Tat als ein Wesenselement der Sozialversicherung begreifen können, das wenigstens i n den Sparten zu deren Verfassungsbegriff gehört, i n denen sie traditionell kraft Gesetzes bisher bestand. Eine Grenze der Expansion der Sozialversicherung stellt das Recht der Staatszuschüsse insoweit dar, als weder neue Gruppen einbezogen werden dürfen, noch die Pflichtversicherungsgrenze angehoben werden kann m i t der Folge, daß die Mehrbelastungen nur durch Staatszuschüsse gedeckt werden könnten, welche die aufgezeigten Schranken überschritten. Staatszuschüsse sind grundsätzlich kein Weg großer sozialpolitischer Expansion der Sozialversicherung. Vor allem bei der Einbeziehung neuer Gruppen ist stets von Fall zu Fall sehr genau zu untersuchen, ob dies nicht nur durch übermäßige Staatssubventionierung geschehen kann und damit den verfassungsrechtlichen Begriffsrahmen sprengt, indem es i n die Zwecksteuern übergeht 3 7 7 . b) Eine neue sozialpolitische Tendenz geht nun, ganz umgekehrt, dahin, die Staatszuschüsse zu verringern oder ganz abzubauen, unter gleichzeitiger Anhebung der Beiträge und Wegfall der Pflichtgrenzen 378 . Ist nicht die Expansion der Pflichtversicherung gerade das einzig wirksame Mittel, u m von den leidigen Staatszuschüssen loszukommen und damit die wesentlichen Strukturelemente der Sozialversicherung, Versicherungscharakter und Selbstverwaltung, entscheidend zu verstärken? Die Frage hat grundsätzliches Gewicht, unabhängig von dem technischen Problem, ob sich eine Entlastung tatsächlich auf diesem Wege erzielen ließe 3 7 9 . c) Die Sozialversicherung muß besonders „soziale" Leistungen erbringen, darin liegt ihre Legitimation, vor allem die der Pflichtversicherung, und die Leistungen müssen besonders wertbeständig sein. Es bleiben 377 F ü r die Einbeziehung der Studenten hat dies untersucht Isensee, J., Umverteilung, passim, insbes. S. 47 f., 57 f. »78 Dazu etwa Schmidt, W. (FN 8), S. 306/7; die Einbeziehung der höher verdienenden Angestellten i n die Pflichtversicherung w a r vor allem dadurch motiviert; vgl. Bogs, W., Verfassungsrechtliche Fragen zur Aufhebung der Jahresarbeitsverdienstgrenze i n der Rentenversicherung der Angestellten, DVB1 1969, S. 335 (337). 379 Für die Krankenversicherung wurde m i t guten Gründen bezweifelt, daß die Einbeziehung der Höherverdienenden i n die Pflichtversicherung die Leistungsfähigkeit verstärken werde, vgl. dazu Zander, L., Krankenversicherungsreform u n d Finanzlage der Krankenkassen, Die Sozialversicherung, 1969, S. 79 ff.
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also — nach Privatversicherungsgrundsätzen — notwendige Deckungslücken. Werden diese nicht durch Subventionen geschlossen, so gibt es nur zwei Wege — entweder die Sozialversicherung bietet keine „sozialen Leistungen" mehr an — dann ist sie als öffentliche Einrichtung, dann ist insbesondere der Versicherungszwang illegitim. Dieses Geschäft müßte dann der Privatversicherung überlassen bleiben. — oder die Deckung erfolgt über „sozialen Ausgleich" innerhalb der Versichertengemeinschaft, d. h. es verstärkt sich die nivellierende Wirkung der Sozialversicherung. Für die Vertreter einer egalitären Sozialpolitik mag gerade darin der Vorteil der Expansion der Sozialpolitik unter Aufgabe der Subventionen bestehen: Die Sozialversicherung w i r d vom Odium des hilfsbedürftigen Unternehmens frei; die Umverteilung erfolgt nicht jedesmal durch spezielle parlamentarische Entscheidung, die m i t allen Risiken der Parteipolitik belastet ist. sie verläuft vielmehr über eine Automatik, die, einmal ins Werk gesetzt, der Diskussion weitgehend entzogen ist. Vor allem aber sind die Umverteilungswirkungen nicht mehr für jedermann ohne weiteres feststellbar, wie i m Falle der Staatszuschüsse, sie können nur durch komplizierte Berechnungen ermittelt werden, deren Ergebnisse erfahrungsgemäß kontrovers bleiben. Die K r i t i k e r der parlamentarischen Demokratie schließlich müssen eine solche „staatsbefreiende" Wirkung der Expansion der Sozialversicherung begrüßen, welche diese immer mehr i n einen „gesellschaftlichen Bereich" verlegt, die Macht der Koalitionen verstärkt und den Entscheidungsraum des Parlaments weiter verengt. Die folgerichtige Entwicklung dieses Zuschußabbaus durch Ausweitung muß notwendig auf allgemeine und totale Volksv er Sicherung gerichtet sein: Nur wenn alle Gruppen der Bevölkerung i n die Pflichtversicherung einbezogen sind, und wenn diese für alle Einkommenskategorien gilt, können Beiträge die Zuschüsse des Staates i n der Rentenversicherung voll ersetzen, kann i n der Krankenversicherung eine wesentliche Verbesserung der Leistungen erzielt werden. Je mehr vor allem Leistungsfähige einbezogen und zum Ausgleich für Schwächere herangezogen werden, desto unabhängiger w i r d die Sozialversicherung von den Subventionen. M i t steigender (vertikaler) Einkommensunterschiedlichkeit scheint sich so die Legitimation der Sozialversicherung zu verstärken. Diese Legitimation w i r d überhaupt erst bei allgemeiner Volks-Pflichtversicherung erreicht: Wenn der „Gesetzgeber auf halbem Wege stehen bleibt" und weitgehende Umverteilungen nur innerhalb einer Gruppe vornimmt, so betreibt er Sozialpolitik allein auf Kosten
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einer begrenzten Zahl von Höherverdienenden 380 . Werden alle einbezogen, so kann sich, politisch wenigstens, „niemand beklagen", und rechtlich scheint eine Egalität hergestellt, welche der Gleichheit des Bereiches entspricht, dem solche Umverteilung, materiell jedenfalls, zuzurechnen wäre — dem der Steuer 381 . Die Sozialversicherung würde dann hier in vollem Umfang die Steuer als Instrument der Gesellschaftspolitik ablösen: In der Wandlung von der Staatssteuer zur Gesellschaftssteuer könnte sich eine Phase des „Absterbens des Staates" vollziehen. d) Eine solche Entwicklung, der Ersatz der Staatszuschüsse durch Expansion und Umverteilung innerhalb der Versichertengemeinschaft, begegnet entscheidenden Bedenken aus der Staatsformentscheidung des GG und aus dem Begriff der Sozialversicherung selbst. aa) Das GG hat nicht den Staat der gesellschaftlichen Zwangszusammenschlüsse, sondern eine parlamentarische Demokratie errichtet. Sozialpolitisch ist dieses Gemeinwesen primär Steuerstaat, nicht solidarische Umverteilungsgemeinschaft. Sozialgestaltung ist hier keine Technizität von Bedürfnisbefriedigung, sondern eine politische Entscheidung, die als solche i n voller Offenheit vor den Augen aller Bürger, primär i m Parlament zu treffen ist. Eine sozialversicherungsrechtliche Entmachtung der Volksvertretung durch Expansion der Autonomie und Verlagerung der eigentlichen Entscheidungsgewalt i n diese widerspricht dem Grundgedanken des Grundgesetzes. Sie wäre als ein riesiger ministerialfreier Raum, für den die Exekutive keine Verantwortung mehr übernehmen könnte, unvereinbar m i t Gewaltenteilung und Regierungsverantwortung gegenüber dem Parlament. Vor allem aber widerspräche eine solche Entwicklung dem Demokratiegebot: Dieses kennt nur ein Volk, den politisch durch seine Vertreter i n Bund, Ländern und Gemeinden entscheidenden Volkssouverän. Daneben kann die Volksgesamtheit nicht noch einmal versicherungsrechtlich in Formen des öffentlichen Rechts und m i t wesentlichen hoheitlichen Entscheidungsbefugnissen konstruiert werden — unabhängig neben das politische Staatsvolk darf kein bedürfnisbefriedigendes Versicherungsvolk treten. Die Versichertengemeinschaft kann nicht als Gesamtgesellschaft mit so großer und weitreichender öffentlicher Gew a l t beliehen werden. Die Staatsform der BRD erlaubt es nicht, über eine Volksversicherung eine versorgungsrechtliche Einheit von Staat und Gesellschaft herzustellen. Sozialversicherung ist legitim nach dem GG nur insoweit, als sie 38
° Schmidt, W. (FN 8), S. 306 f. Vgl. zu diesem Problemkreis u n d zum folgenden Isensee, J., U m v e r teilung, insbes. S. 42 f. 381
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es immer war: als organisierte Selbsthilfe, die zu diesem Zweck mit unterstützenden Hoheitsbefugnissen ausgestattet ist. Das System der Staatszuschüsse steht also weit näher beim GG als die sonst notwendige Expansion der Sozialversicherung in eine Volksversicherung. Es ist offene Sozialpolitik, der Staat steht der Gesellschaft so „gegenüber", wie es die freiheitliche Demokratie verlangt. bb) Eine Expansion der Sozialversicherung, welche diese von Zuschüssen freistellen wollte, müßte das Prinzip der Homogenität (oben III., 3 b)) verletzen: Sie könnte nur unter Einbeziehung von „Fremden" und besonders Leistungsfähigen erfolgen. Diese würde jedoch horizontale und vertikale Spannungen in die Versichertengemeinschaft hineintragen, welche m i t deren Einheitlichkeit nicht mehr vereinbar wären. Homogenität und Zuschüsse stehen i n einem funktionalen Spannungsverhältnis — die erstere darf nicht zur Abschaffung letzterer völlig beseitigt werden, soweit die Staatszuschüsse an die Sozialversicherung die Garantie der Aufrechterhaltung der Homogenität darstellen. Die Sozialversicherung m i t ihren freiheitsbedrohenden Aspekten ist i n der freiheitlichen Demokratie nur dann erträglich, wenn ihre „wesentlichen Strukturelemente beachtet werden" — dazu gehören Homogenität und Staatszuschüsse. D i e V e r f a s s u n g d e r G r u n d r e c h t e v e r b i e t e t es v o r a l l e m , S o z i a l p o l i t i k ohne B l i c k a u f die F r e i h e i t der B ü r g e r zu b e t r e i b e n . D i e deutsche S o z i a l v e r s i c h e r u n g h a t nahezu e i n J a h r h u n d e r t l a n g m i t begrenzten Staatszuschüssen g u t f u n k t i o n i e r e n k ö n n e n u n d sich eben i m ü b r i g e n auf eine G r u n d s i c h e r u n g beschränkt. Sie h a t dabei die F r e i h e i t der p r i v a t e n V e r s i c h e r u n g geachtet u n d dieser e i n e n i m ganzen doch noch h i n r e i c h e n d e n E n t w i c k l u n g s r a u m e r h a l t e n . Selbst w e n n es aus „ t e c h nischen" G r ü n d e n der S o z i a l v e r s i c h e r u n g besser w ä r e , diese a l l e i n aus B e i t r ä g e n decken zu lassen, auch w e n n deren U m v e r t e i l u n g e i n e m sozialpolitischen K o n z e p t entspräche — es m ü ß t e n stets auch die S c h r a n k e n der G r u n d r e c h t e beachtet w e r d e n . Z u m i n d e s t h ä t t e die v i e l b e r u f e n e „ A b w ä g u n g " d e r Interessen der P r i v a t e n u n d der S o z i a l v e r s i c h e r u n g stattzufinden. Solange sich diese l e t z t e r e noch b e f r i e d i g e n d k o n s t r u i e r e n läßt, ohne d i e P r i v a t v e r Sicherung v ö l l i g zu v e r n i c h t e n , d a r f d i e P f l i c h t v e r s i c h e r u n g n i c h t ungemessen e x p a n d i e r e n . Dies w ä r e
jedenfalls ein unverhältnismäßiger
Eingriff
in die
Berufswahlfreiheit.
D e m Gesetzgeber b l e i b t w e i t e G e s t a l t u n g s f r e i h e i t : E r m a g d e n A u s gleich ü b e r Staatszuschüsse b e i b e h a l t e n , die S e l b s t b e t e i l i g u n g der V e r sicherten v e r s t ä r k e n 3 8 2 oder d e n G r u n d s i c h e r u n g s c h a r a k t e r der Sozials t F ü r die Krankenversicherung der Weimarer Zeit vgl. Prange, P. (FN 5), S. 226; zur Notwendigkeit allg. vgl. TJllmann, H. (FN 4), S. 289; i n der Schweiz ist der allgemeine Grundsatz der Selbstbeteiligung erhalten geblieben, vgl. dazu Hug , W. (FN 162), S. 192.
V. Die Quasi-Volksersicherung als „kalte Enteignung"
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Versicherung mehr betonen, deren Leistungen i n engeren Grenzen halten. Nur eines ist i h m verwehrt: Aus Gründen der „Umorganisation der Sozialversicherung von Zuschüssen auf Beiträge" einen ganzen Berufszweig völlig zu vernichten. Denn daß der Abbau der Staatszuschüsse ein so „überragendes Gemeinschaftsgut" darstellte, daß dies selbst so schwerwiegende Eingriffe i n die Berufsfreiheit rechtfertigen könnte, das w i r d sich nicht nachweisen lassen. Aus dem Begriff der Pflichtversicherung m i t ihren berufssperrenden Wirkungen ergibt sich also ein Verbot übermäßiger Expansion der Sozialversicherung, umgekehrt aber das Gebot, Zuschüsse insoweit beizubehalten, als Deckungslücken nicht i n anderer Weise als durch Ausweitung der Pflichtversicherung geschlossen werden können. Ein paradox anmutendes Ergebnis: Die Staatszuschüsse zur Sozialversicherung sind, bei richtigem Verständnis und i n angemessenen Grenzen, nicht eine Bedrohung, sondern ein Schutz der Freiheit. Sie ermöglichen wirksame Beschränkung einer freiheitsvernichtenden Expansion der Sozialversicherung und eröffnen zugleich die Freiheit der Sozialpolitik. V. Die Quasi-Volksversicherung als „kalte Enteignung" 1. Expansion als Verstaatlichung
Eine ungemessene Ausweitung der Sozialversicherung ist nicht nur bedenklich, w e i l sie nicht mehr durch Aufgaben und Wesen der Sozialversicherung gegenüber der Berufsfreiheit legitimiert w i r d — sie nähert sich auch der Schwelle der Enteignung oder Sozialisierung der privaten Versicherungsunternehmen, die nur gegen Entschädigung zulässig wäre (Art. 14 Abs. I I I , 15 GG). Da eine solche kaum gewährt würde, wäre die „sozialisierende Expansion" verfassungswidrig. Die Erweiterung der Sozialversicherung bis zur (quasi-)totalen VolksPflichtversicherung brächte insoweit keine Expropriation, als die Unternehmen der Privatversicherung nicht etwa ihren Eigentümern weggenommen und auf die Sozialversicherung übertragen würden. Eine Enteignung könnte auch nicht darin gesehen werden, daß existierende — mögliche — Geschäftsbeziehungen der Privatversicherung zu privaten Versicherten jenen durch Hoheitsakt entzogen und auf die öffentlichrechtlichen Träger übertragen würden. Abgesehen davon, daß man wohl i n bestehende Versicherungspositionen nicht eingreifen würde — durch die Versicherungspflicht würde eine nach Grund und Inhalt neue, selbständige Verpflichtung begründet, nicht aber „Bestehendes entzogen".
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C. Rechtfertigung u n d Grenzen erweiterter Pflichtversicherung
Begrifflich läge dagegen eine Enteignung i n Form des enteignenden Eingriffs vor: Durch hoheitliche Maßnahmen (Pflichtversicherung) würde so weitgehend — oder so „ungleich" — i n die privaten Vermögenspositionen der Versicherer eingegriffen werden, daß ihr Eigent u m am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (dazu oben Β I I 2) enteignend entzogen würde. Dabei würde es sich wohl nicht u m eine „verstaatlichende Enteignung", sondern u m „echte" Sozialisierung handeln 3 8 3 — Mitbestimmung und „Gewinnbeteiligung" der Verbraucher insbesondere wäre das Ziel, und die Autonomieformen der Sozialversicherung könnten unschwer als „Gemeinwirtschaft" gedeutet werden. Die Wirkungen der PflichtverSicherungsexpansion würden so allgemein die gesamte private Versicherung oder Sparten derselben treffen, daß auch insoweit das Begriffsmerkmal der Sozialisierung als „Kategorienenteignung" erfüllt wäre. Daß i m Rahmen von A r t . 15 GG auch der enteignende Eingriff genügen kann, w i r d man annehmen können, weil diese Bestimmung eng an A r t . 14 GG „angeseilt" ist 3 8 4 . Die Versicherungsexpansion wäre also „echte", nicht nur Sozialisierung (über Wettbewerb) 3 8 5 .
„kalte"
2. Verstaatlichungstendenzen i m Versicherungswesen
Verstaatlichungsbestrebungen, wie sie i n der Expansion der Pflichtversicherung zum Ausdruck kommen, haben i n diesem Bereich Vorläufer 3 8 6 : a) Die erste Diskussion entstand i m Anschluß an Adolf Wagners berühmte Schrift „Der Staat und das Versicherungswesen" (1881) und wurde i n den darauf folgenden Jahren vor allem für die Feuerversicherung geführt 3 8 7 . Zugunsten der Verstaatlichung wurden pater383
Z u dieser „problematischen" Unterscheidung vgl. f ü r den Versicherungsbereich Plath, W. (FN 129), Sp. 2398. 384 Der Unterschied zwischen Sozialisierung u n d Enteignung hätte n u r insoweit Bedeutung, als nach A r t . 15 GG diese A r t des Eigentumseingriffs generell verboten ist, während sie nach A r t . 14 gegen Entschädigung gestattet ist — allerdings w ü r d e eben praktisch Entschädigung k a u m gewährt werden, so daß diese Maßnahme auch wegen Verstoßes gegen A r t . 14 verfassungswidrig bliebe; vgl. näher unten 3. 3 85 Dazu unten D.; zum Begriff vgl. allg. Thiele, W., Z u r Frage der Verfassungsmäßigkeit öff.r. Kreditinstitute, DVB1 1970, S. 200 (2011); Frentzel, G., Die gewerbliche Betätigung der öffentlichen Hand, 1959, S. 12; Rüfner, W. (FN 131), S. 213. 386 Z u r allgemeinen Frage der Verstaatlichung der Versicherung vgl. m. Nachw. Manes, A . (FN 92), S. 61. 38 7 Vgl. Mazal, K., Die Verstaatlichung des Versicherungswesens, 1882; Rellstab, E., Der Staat u n d das Versicherungswesen, 1882; Plosser, O., V e r staatlichung des Versicherungswesens, 1884; Schäfer, W., Die Verstaatlichung der Feuerversicherung, 1882.
V. Die Quasi-Volksersicherung als „kalte Enteignung"
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nalistische 388 , liberalistische 389 , vor allem aber staatssozialistische Argumente vorgebracht: „Die Versicherung sei ihrem Wesen nach kein freies Geschäft, sondern eine öffentliche Einrichtung, welche den sozialen Ausgleich zugunsten wirtschaftlich Schwächerer zu leisten" habe. Hinzukamen versicherungstechnische Überlegungen — Monopolbetriebe seien hier überlegen und gewährten ihrem Wesen nach besseren Schutz, weil sie einheitlich größere Gebiete zusammenfaßten. A u f breiter Front wurde die Frage dann erst wieder 3 9 0 nach dem Umsturz von 1918 aufgeworfen, wiederum i n erster Linie am Beispiel der Feuerversicherung 391 , aber mit allgemeiner Tendenz 392 — erneut standen staatsethische und versicherungstechnische Überlegungen i m Vordergrund. Deutlich wurde nun aber vor allem der parteipolitische Hintergrund. Die Sozialisierung des Versicherungswesens ist eine alte sozialistische Forderung, die ideologisch begründet ist. Schon 1919 konnte festgestellt werden: „Wo es den Vertretern des Sozialismus möglich ist. die Gesetzgebung maßgebend zu beeinflussen, werden sie bemüht sein, die Überführung der Versicherung i n Staatshand durchzusetzen" 393 . Derartige sozialistische Gedanken sind nach 1945 i m Anschluß an Sozialisierungsbestrebungen der Länderverfassungen erneut auf getreten 3 9 4 . Angesichts der parteipolitischen Virulenz der Verstaatlichungsforderungen dürften diese seit 1969 nicht i m wesentlichen gegenstandslos 395 , sondern höchst aktuell sein. Sie haben allerdings die neue Form der Expansion der Sozialversicherung zu ihrer Verwirklichung gefunden 396 . 388
Z u m W o r t Bismarcks, man solle das Unglück nicht zum Gegenstand des Erwerbs machen, vgl. van der Borght, R., Reichs Versicherungsmonopol, 1919, S. 3. 389 v o r allem das Argument, derartige Riesenkapitale müßten v o m Staat verwaltet werden, a.a.O. 390 Zwischenzeitlich finden sich n u r wenige Äußerungen, so etwa: Wörner, G., Wirtschaft u n d Recht der Versicherung, 1913, S. 265 f.; Gruner, E., Beitrag zur Frage eines Versicherungsmonopols, ZVersWiss. 1915, S. 257 ff. 391 Bahnbr. Wörner, G., Verstaatlichung der Feuerversicherung, 1919; Vathe, H., Die Verstaatlichung des Feuerversicherungswesens. 592 van der Borght, R. (FN 388); vgl. dazu Pranke, O., Die Sozialisierung des Versicherungswesens, 2. A. 1920; Manes, Α., Versicherungsstaatsbetrieb i m Ausland. E i n Beitrag zur Frage der Sozialisierung, 2. A . 1919; ders. (FN 92), S. 66; Reicherts, G., Das Problem der Verstaatlichung des Versicherungswesens, 1921. 393 van der Borght, R., a.a.O., S. 1. 394 Dazu Möller, Α., Die Privatversicherung i n den süddeutschen V e r fassungen, E i n Beitrag zur Sozialisierung, 1947. 395 w i e offenbar Bogs, Η., Sozialversicherung, S. 478 f. annimmt. 396 Endgültig aufgegeben scheinen jedenfalls „Reprivatisierungstendenzen" zu sein, die i n der Sozialversicherung, wie allgemein (dazu etwa Haussmann, F., Die öff. H a n d i n der Wirtschaft, 1954, insbes. S. 50 f.) i n den 50er Jahren festzustellen waren.
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C. Rechtfertigung u n d Grenzen erweiterter Pflichtversicherung
b) Die rechtlichen Gründe für eine Verstaatlichung der Versicherungswesens i m ganzen, der Krankenversicherung i m besonderen, sind heute so wenig überzeugend wie früher 3 9 7 , wesentlich neue Gesichtspunkte haben sich nicht ergeben. — Der Vergleich zu den Monopolbetrieben der öffentlichen Hand zieht nicht, w e i l diese entweder ausdrücklich (Post, Bahn) oder implizit (Finanzmonopole) durch das GG aufrechterhalten worden sind 3 9 8 . Für ein „Verwaltungsmonopol" kann dies — wenn überhaupt 3 9 9 — nur i n den Grenzen des „vorrechtlichen Gesamtbildes" gelten. Dann aber wäre eine volle Verstaatlichung der Versicherungswirtschaft unzulässig. — Eine Analogie zur Daseinsvorsorge des Staates scheidet ebenfalls aus: Abgesehen davon, daß deren B i l d ebenfalls weitestgehend historisch vorgeformt ist und als insoweit konstitutionalisiert gelten kann, und daß hier ja die öffentliche Hand meist den Privaten noch Raum gewährt, soweit diese leistungsfähig sind — die öffentliche Aufgabe, welche hier die staatliche Veranstaltung legitimiert, ist die Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse. Dies könnte allenfalls für die Versicherung als Minimalschutz, bei einer „Dynamisierung" vielleicht noch i m Sinne einer Grundsicherung angenommen werden. Wer aber „Versicherung als solche" als ein elementares, existentielles Bedürfnis des Menschen ansehen und so ihre Gesamtverstaatlichung begründen wollte, der könnte der Staatswirtschaft überhaupt keine Grenze mehr setzen. — Der Hinweis auf die Vermeidung möglicher Mißstände trägt schon deshalb nicht, weil die Versicherungsaufsicht 400 inzwischen derart vervollkommnet worden ist — und noch weiter verbessert werden kann — daß eine Verstaatlichung des Versicherungswesens als Übermaßreaktion erscheinen müßte. 3. Unzulässigkeit einer Sozialisierung der Privatversicherung
Es mag sein, daß es aus versicherungswirtschaftlicher Sicht „keine absolute und ewig richtige Entscheidung" der Frage gibt, ob das Versicherungswesen überhaupt verstaatlicht werden sollte 4 0 1 . Nach gelten397 Ausführliche Darstellung bei v. d. Borght, R., a.a.O.; Zusammenfassung bei Plath, W. (FN 129), Sp. 2399/2400. 398 Insoweit überzeugend Bachof, O., Freiheit d. Berufs, i n : Die Grundrechte I I I / l , S. 201. 399 K r i t . Obermayer, K., Steiner, U. (FN 85), S. 14581; zurückhaltend auch Bettermann, K . A. (FN 35), S. 200 f. 400 Dazu Überblick b. Bogs, H., Sozialversicherung, S. 3841, 394; Plath, W , a.a.O., Sp. 2400. 401 Manes, A. (FN 92), S. 61.
V. Die Quasi-Volks Versicherung als „kalte Enteignung"
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dem Verfassungsrecht ist dies jedenfalls nicht zulässig. Das ergibt sich daraus, daß der tertiäre Bereich i n A r t . 15 GG nicht genannt wird, der ersichtlich eine abschließende Festlegung der enteignungsfähigen Güter bringt. Versicherungen „sind" keine Produktionsmittel und der Besitz von Produktionsmitteln prägt diese Unternehmen nicht entscheidend; Versicherungen dienen nicht dem Einsatz von Produktionsmitteln 4 0 2 . Aus A r t . 15 GG kann auch nicht indirekt auf eine Abschwächung des Eigentumsschutzes für private Versicherung geschlossen werden, indem diese Vorschrift etwa als „Hintergrundnorm" w i r k t und den Zwang zu einer sozialen Ausgestaltung des Versicherungswesens verstärkt, das den Bürgern und der Wirtschaft guten Versicherungsschutz bietet 4 0 3 . A r t . 15 relativiert nicht einmal für die sozialisierungsfähigen Güter den Eigentumsschutz 404 . Noch weit weniger kann man einen solchen Schluß für Güter ziehen, die i n A r t . 15 GG nicht als enteignungsfähig genannt sind. Eine solche Auslegung müßte von einer allgemeinen Vermutung für die Zulässigkeit freiheitsbeschränkender Eingriffe ausgehen, die m i t der Grundrechtlichkeit nicht vereinbar ist, und so i n den Wortlaut des A r t . 15 GG ein „inbesondere" hineininterpretieren. Dann aber hätte der klare Wortlaut und damit die Garantiefunktion der Verfassung jeden Sinn verloren. Das Sozialisierungsverbot untersagt auch die Teilsozialisierung bestimmter, deutlich abgegrenzter Versicherungssparten. Wenn sich die Sozialisierung von A r t . 14 GG als „Kategorienenteignung" abhebt, so werden ihre Begriffsmerkmale immer dann schon erfüllt, wenn ein rechtlich abgrenzbarer Teilbereich dem Eigentumsschutz überhaupt entzogen wird. Andernfalls könnte ja die Sozialisierung von „Produktion" nur dann begrifflich i n Betracht kommen, wenn „alle" Produktionsmittel zugleich entzogen würden. Dies ist bisher noch von niemandem behauptet worden. Die „private Krankenversicherung" wäre also nach ihrer Größenordnung ein „sozialisierbarer" Bereich, ihre Sozialisierung ist jedoch kraft Verfassungsrecht unzulässig. 402 „Nach bisher ganz vorherrschender Ansicht der Staatsrechtslehre ist dieser Sozialisierungsartikel keiner unmittelbaren Anwendung auf die V e r sicherungswirtschaft m i t ihren ungreiflichen Produktionsmitteln u n d - g r u n d lagen fähig" (Bogs, H., Sozialversicherung, S. 481/2; auf diese „h. L . " bezieht sich auch Bettermann, K . A . (FN 35), S. 248 — siehe dort auch zum Verh. von A r t . 12 u n d 15 GG). Soweit i m Schrifttum die Möglichkeit einer Sozialisierung anklingt (vgl. etwa Breipohl, D. (FN 162), S. 91 f., der dies jedoch i m folg. ablehnt; Walek, G., Die Grenzen der Privatautonomie i m P r i v a t versicherungsrecht, Diss. Erlangen, 1967, S. 31) w i r d n u r ganz allgemein auf den sozialstaatlichen A u f t r a g des Staates hingewiesen; dazu unten V I . Neuerdings zu der Frage überzeugend Ipsen, H. P., Über das GG, DÖV 1974, S. 289 (296) m. Nachw. 403 So Bogs, H., i m Anschluß an H. H. Klein, a.a.O., S. 482. 404 Nähere Darlegungen u n d Nachw. b. Leisner, W., Sozialbindung des Eigentums, 1972, S. 65 f.
8 Leisner
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C. Rechtfertigung u n d Grenzen erweiterter Pflichtversicherung
Die Möglichkeit einer „Enteignung der privaten Versicherung" durch Expansion der Sozialversicherung muß daher unter dem Gesichtspunkt von Art. 14 Abs. III GG überhaupt nicht geprüft werden. Eine Erweiterung der Pflichtversicherung könnte nur generelle Wirkungen auf mindestens eine Sparte der Versicherungswirtschaft haben, sie wäre also begrifflich stets Sozialisierung, nie Expropriation. Als „Sozialisierung" wäre sie jedoch verfassungswidrig. 4. Die „Sozialisierungsschwelle" in der Versicherungswirtschaft — Bedeutung des Eigentumsschutzes für die Grenzbestimmung der Sozialversicherung
Wie es eine „Enteignungsschwelle" gibt, bei deren Überschreitung die Sozialbindung i n Enteignung umschlägt, so kann auch eine „Sozialisierungschwelle" bestimmt werden, die nur überwunden werden darf, wenn dies nach A r t . 15 GG zulässig ist. Es fragt sich, wie weit die Expansion der Pflichtversicherung i n den Gewerbebetrieb der privaten Versicherung eingreifen darf, ohne sozialisierend zu wirken. Die Enteignungsschwelle kann, wie anderweit nachgewiesen worden ist 4 0 5 , nur nach der Schwere des Verlustes bestimmt werden, den der Private durch den hoheitlichen Eingriff erleidet. Es geht also um die „tatsächlichen versicherungswirtschaftlichen Auswirkungen" 4 0 6 , entscheidend ist die „wirtschaftliche Schwere des Geschäftsverlustes". Als primäres K r i t e r i u m bietet sich hier das Volumen der Prämien (Beiträge) an 4 0 7 . Dieses ermöglicht zunächst eine einigermaßen exakte quantitative Feststellung der Eingriffstiefe, die für die Enteignung von besonderer Bedeutung ist 4 0 8 . Darüber hinaus läßt sich aber wohl auch mit Mitteln der Versicherungstechnik i n etwa bestimmen, bei welcher Größenordnung von Beeinträchtigungen eine qualitative Alterierung des Versicherungsgeschäfts (einer Sparte) hervorgerufen wird, weil dieses etwa nicht mehr i n der bisherigen versicherungswirtschaftlichen Form betrieben wird, ein entscheidender Verlust an werbender Kraft eintritt, die Deckungskontinuität leidet oder das Versicherungsgeschäft aus Risikogründen überhaupt nur mehr i n (engerer) Verbindung mit einem anderen (Assekuranz-)Unternehmen betrieben werden kann. Die Ab405 Dazu Leisner, W., a.a.O., insbes. S. 147 f. 406 Bogs, H., Sozialversicherung, S. 510. So w i r d auch der Hinweis von Bundesarbeitsminister Arendt (Kennzeichen sozial, 1972, S. 149) verständlich, angesichts einer solchen „Größenordnung" seien die Besorgnisse der privaten Krankenversicherung unbegründet. 407 So zutr. Bogs, H., a.a.O., S. 515. 408 v g l . dazu Leisner, W., a.a.O., S. 234 f.
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grenzungskriterien i m einzelnen lassen sich hier nur versicherungswissenschaftlich bestimmen. Rechtlich ist von Belang, daß Ausgangspunkt stets die Lage der konkreten Unternehmen vor dem sozialisierenden Eingriff ist, die m i t dem Zustand zu vergleichen ist, der nach diesem eintritt. Schwierigkeiten mag es hier geben, insbesondere wegen der Zurechenbarkeit des Geschäftsrückgangs zur hoheitlichen Maßnahme. Sie sind jedoch nicht größer als i n anderen Fällen von Eingriffen i n den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und lassen sich stets notfalls durch gewisse Pauschalierungen und Schätzungen überwinden. Daß es nicht auf Veränderungen i n der Lage eines oder einzelner Unternehmen ankommen kann, daß die Wirkungen der „Sozialisierung" vielmehr grundsätzlich spartenspezifisch beurteilt werden müssen, ergibt sich aus der A r t des Eingriffs: Die Pflichtversicherung w i r k t wesentlich spartenspezifisch, ihre Zulässigkeit endet an der Grenze der Sozialisierung, nicht an der der Enteignung 4 0 9 . Dies darf allerdings nicht so verstanden werden, als läge nur dann Sozialisierung vor, wenn alle Unternehmen einer Sparte verrechtlicht würden. Wollte man dies verlangen, so wäre eine „Sozialisierung durch Konkurrenz" praktisch nie möglich. Sozialisierung ist auch der schwerwiegende Eingriff; wenn er sich als solcher spartenspezifisch auswirkt, so liegt Sozialisierung vor. Hinsichtlich der Sozialisierungsgrenze der Sozialversicherungsexpansion gilt es schließlich, zwei wesentliche Unterschiede gegenüber der Grenzziehung aus A r t . 12 GG zu beachten: — Der Eigentumseingriff w i r d hier, anders als i m Fall des Eingriffs i n die Berufsfreiheit, nicht durch die Wichtigkeit des Schutzgutes der Sozialversicherung legitimiert. Wenn eine gewisse Schweregrenze überschritten ist, w i r d der Eingriff zur Sozialisierung und ist damit unbedingt verfassungswidrig. Das Schutzgut mag indirekt bei der Bestimmung der Schwere Bedeutung gewinnen — grundsätzlich ist der Eigentumsschutz unabhängig von den entgegenstehenden Interessen, er kann also auch durch noch so hohe sozialpolitische Ziele der Sozialversicherung nicht gebrochen werden. — Der Eigentumseingriff läßt sich nicht i n gleicher Weise unter Hinweis auf das verbliebene Aktionsfeld der Privatversicherung legitimieren. 409 Praktisch bringt diese Betrachtungsweise für einzelne etwa besonders betroffene private Versicherungsunternehmen keine Nachteile gegenüber der Qualifikation der Expansion der Pflichtversicherung als (Individual-) Enteignung: I n einem solchen F a l l würde man j a m i t Sicherheit die E n t eignungsschwelle auch n u r dann als überschritten ansehen, w e n n dem speziell Betroffenen nicht zum V o r w u r f gemacht werden könnte, er hätte sich eben verhalten müssen, wie seine Spartengenossen auch. U n d auf den Vergleich m i t diesen würde m a n immer zurückgreifen. 8*
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C. Rechtfertigung u n d Grenzen erweiterter Pflichtversicherung
Der Berufsfreiheit geht es primär u m seine Erhaltung, dem Eigentumsschutz um die der bereits geschaffenen betrieblichen Werte. Der Betroffene kann hier grundsätzlich Ersatz vom Staat verlangen, der ihn nicht darauf verweisen darf, sich selbst Ersatz zu suchen. Insoweit kommt es auf das geschützte Gut allein an. Der Eigentumsschutz ist von anderer A r t als die Sicherung der Berufsfreiheit. Er ist unbedingter als diese, vor allem aber weitestgehend sozialversicherungsunabhängig. Aus dem Begriff der Sozialversicherung läßt sich kaum etwas zur Legitimation der Bedrohung gewinnen, welche deren Expansion dem Eigentum bringt. Dem Eigentümer darf es grundsätzlich gleichgültig sein, woher die Bedrohung des Eigentums kommt. So ergänzen sich A r t . 12 und 14 GG zu einem gewissen Schutz der privaten Versicherung, der aber doch — gewiß ist. V I . Legitimation der Expansion der Pflichtversicherung aus der Sozialstaatlichkeit 1. Die Fragestellung
Die Sozialversicherung findet i n ihrer möglichen Ausweitung als Pflichtversicherung Grenzen an den Grundrechten der Privatversicherung und i n ihren eigenen wesentlichen Strukturelementen, welche der Gesetzgeber beachten muß. Es fragt sich jedoch, ob eine weitere Expansion, bis hin zur „Volksversicherung", nicht durch die Sozialstaatlichkeit (Art. 20, 28 GG) legitimiert oder von ihr sogar gefordert ist. Immerhin ist die Sozialversicherung „ i n ihrer heutigen Ausprägung ein besonders prägnanter Ausdruck des Sozialstaatsprinzips" 410 , sie w i r d als „Ausfluß und Konkretisierung des sozialen Rechtsstaats" bezeichnet 4 1 1 , der Sozialwerte festlegt 4 1 2 und die Sozialversicherung als sozialrechtliche Institution garantieren soll 4 1 3 . Es werden daher selbst so weitgehende Forderungen wie die der Sozialisierung des Versicherungswesens auf die Sozialstaatlichkeit gestützt 414 . 410 BVerfGE 28, S. 324 (348). 411
Meydam, J. (FN 65), S. 93; zur engen Beziehung zwischen Sozialstaat u n d Sozialversicherung vgl. f. viele v. Altrock, Α., Der Standort der Sozialversicherung i m Rechtsgefüge, Festschr. f. W. Bogs, 1959, S. 15 (31); Dersch, H., Der Verfassungsgrundsatz der Sozialstaatlichkeit u n d Rechtsstaatlichkeit i n der Praxis der Sozialversicherung, ebda., S. 59 (60 f.). 412 Stern, K., Burmeister, J. (FN 47), S. 101. 413 Grdl. Bogs, W. (FN 54), G 14; dazu auch Sozialenquëte , S. 123; Menzel, E., Die Sozialstaatlichkeit als Verfassungsprinzip der BRD, D Ö V 1972, S. 537 (540); Stern, K., Burmeister, J., a.a.O., S. 104. 414 Vgl. Nachw. oben F N 402.
V I . Expansion der Pflichtversicherung aus der Sozialstaatlichkeit
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„Sozialstaatlichkeit" ist heute der unklarste und zugleich politisch virulenteste Begriff des Verfassungsrechts. Die einen erheben damit ihre politischen Wünsche zu Verfassungsnormen, die anderen sprechen dem Begriff jede praktische normative Relevanz ab, eine sich immer mehr i n Beschreibungen ergehende, „entnormativierte Staatsrechtslehre" findet hier den Ansatz für ebenso interessante wie meist wenig nutzbringende Spekulationen. Nachdem es hier um die Ableitung einer sehr konkreten Forderung — oder Begründung — aus dem Sozialstaatsprinzip geht, muß versucht werden, Geltung und Inhalt der Sozialstaatlichkeit möglichst konkret auf Grund der Rechtsprechung und der bisherigen Diskussion zu bestimmen und dies jeweils zur Ausweitung der Sozialversicherung i n Beziehung zu setzen. 2. Die Geltung des Soizalstaatsprinzips
Die Auffassungen von der normativen Bedeutung des Sozialstaatsprinzips haben sich seit dem Inkrafttreten des GG nicht wesentlich gewandelt 4 1 5 , sieht man davon ab, daß der Grundsatz ursprünglich von manchen als „reiner Programmsatz" oder gar als „substanzloser Blankettbegriff" abgetan wurde 41 ®. Folgende Punkte sind i m wesentlichen außer Streit 4 1 7 : a) Die Sozialstaatlichkeit ist eine Norm des Verfassungsrechts, sie ist geltendes Recht und nicht nur eine „sittliche Maxime" 4 1 8 . Sie ist ein Rechtsprinzip des GG 4 1 9 , von tragender Bedeutung 4 2 0 und steht insoweit den Grundrechten im Rang gleich 421, so daß sie dogmatisch zu deren Be415 a. A. Menzel, E., a.a.O., der die Entwicklung der Diskussion i m Schriftt u m doch w o h l überbewertet. 416 Nachw. b. Menzel, E., a.a.O., S. 538 f.; dazu auch Forsthoff, E., Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaats, W d S t L 12, S. 22 f.; die Wandlung liegt hier nicht so sehr i m Begriff der Sozialstaatlichkeit, als vielmehr i n den Vorstellungen von den normativen Wirkungen der Verfassungsprinzipien, der „unmittelbaren Geltung" der Verfassungsnormen, die heute „ i m Zweifel" nicht mehr als „reines Programm" gedeutet werden dürfen. 417 v g l . zu folg. vor allem die grundlegenden Ausführungen von Weber, W. (FN 41). 418 Überblick über die Rspr. b. Schreiber, W., Das Sozialstaatsprinzip des GG i n der Praxis der Rspr. 1972, S. 26 f.; Weber, W., a.a.O., S. 430; sowie u. a. Sozialenquête , S. 114; Huber, E. R., Der Streit u m das Wirtschaftsverfassungsrecht, DÖV1956, S. 201; Badura, P. (FN 94), S. 3301; Forsthoff, E., a.a.O., S. 27. 419 Nachw. b. Badura, P., A u f t r a g u n d Grenzen der V e r w a l t u n g i m sozialen Rechtsstaat, D Ö V 1968, S. 446, F N 1 m. Nachw. u n d Überblick über den Meinungsstand. Vgl. z.B. BVerfGE 6, S. 32 (41); 6, S. 55 (72) (std. Rspr.). 420 Siehe etwa BVerfGE 3, S. 377 (381). 421 u. a. BVerfGE 4, S. 6 (16).
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C. Rechtfertigung u n d Grenzen erweiterter Pflichtversicherung
grenzung an sich eingesetzt werden kann 4 2 2 . Begrifflich könnte sie also auch eine gewisse Relativierung der Berufswahl- und der Eigentumsfreiheit der privaten Versicherer begründen. b) Das Sozialstaatsprinzip kann nicht Grundlage subjektiver Rechte sein, es begründet keine Ansprüche gegen den Staat 4 2 3 . Sein Inhalt ist zu vage 4 2 4 , ja verwaschen 425 , es ist als Norm „wesentlich konkretisierungsbedürftig" 4 2 6 , weil es einen offenen Begriff bringt 4 2 7 . Weder können also die Staatsbürger eine Einbeziehung in die Sozialversicherung unter Berufung auf den Sozialstaat verlangen, noch könnten die Sozialversicherungsträger dem Staate gegenüber derartige Forderungen anmelden. Dies gilt aber w o h l nur für Ansprüche aus einem status positivus, während die Sozialstaatlichkeit als Maßstab der Gesetze einen status negativus (etwa der privaten Versicherer) begrifflich durchaus sichern könnte 4 2 8 . Das w i r d allerdings wegen seines Inhalts kaum i n Betracht kommen 4 2 9 . Für die Diskussion u m die Ausweitung der Pflichtversicherung ist dies von wesentlicher Bedeutung: Sie kann nicht in einer „Stimmung sozialstaatlicher Ansprüchlichkeit" geführt werden, welche etwa die Sozialversicherungsträger „gebündelt" für die Bürger verträten. 4-2-2 Weber, W., a.a.O., S. 432 i n Zusammenfassung der Judikatur. 423 B A G E 14, S. 282 (290); BSGE 10, S. 97 (100); 15, S. 1 (8); 19, S. 88 (92); OVG Bremen, N J W 1970, S. 293 (4). Das B V e r f G hat i m Zusammenhang m i t der Sozialstaatlichkeit zu Beginn seiner J u d i k a t u r einmal die Möglichkeit eines Anspruchs angedeutet ( E l , S. 97 (104)), der aber w o h l auf Art. 3 GG zu stützen gewesen wäre (willkürliche Versäumnis); vgl. dazu Schnur, R., Bericht i n „Der Sozialrichter", 1971, S. 41; Bettermann, Κ . Α., Grenzen der Grundrechte, 1968, S. 18; Schreiber, W. (FN 418), S. 148 f. Überblick über die Rspr.) ; ein Ansatz zur Anspruchsbegründung findet sich dagegen i n B V e r w G E 27, S. 360. 424 F ü r viele Püttner, G. (FN 94), S. 256; Momberger, E., Bundesunternehmen i m Wettbewerb m i t der privaten Wirtschaft, Diss. M a r b u r g 1968, S. 28; Forsthoff, E., a.a.O., S. 24. 425 Badura, P. (FN 94), S. 330 m. Nachw. 426 BVerfGE 5, S. 85 (198) : ein „der konkreten Ausgestaltung i n hohem Maße fähiges u n d bedürftiges P r i n z i p " ; dazu Badura, P., Die Rspr. d. B V e r f G zu den verfassungsrechtlichen Grenzen wirtschaftspolitischer Gesetzgebung i m soz. Rechtsstaat, AöR 92 (1967), S. 382 (385); Weber, W. (FN 41), S. 431. 427 Suhr, D., Rechtsstaatlichkeit u n d Sozialstaatlichkeit, Der Staat 1970, S. 67 (73). 428 I m m e r h i n müssen die Gesetze materiell „ i m Einklang" m i t der Sozialstaatlichkeit stehen, vgl. BVerfGE 6, S. 32 (41); das B V e r w G p r ü f t laufend gesetzliche Regelungen am Maßstab des Sozialstaatsprinzips, vgl. dazu Wollny, P., Die Sozialstaatsklausel i n der Rspr. d. B V e r w G , DVB1 1972, S. 525 ff. 429 Nach BVerfGE 10, S. 354 (370/1) verletzt die Einführung der Pflichtversicherung das Sozialstaatsprinzip nicht.
V I . Expansion der Pflichtversicherung aus der Sozialstaatlichkeit
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c) Das Wesentliche zur Konkretisierung der Sozialstaatlichkeit kann daher nur der Gesetzgeber t u n 4 3 0 . I n diesem Sinn ist die Sozialstaatlichkeit Staatsziel 431 und Verfassungsprogramm 432 . Sie gibt der Legislative eine allgemeine sozialgestaltende Interventionskompetenz 433 , eine „Aktionsvollmacht" 4 3 4 . Dies bedeutet jedoch wiederum nicht, daß dem Gesetzgeber damit ein konkreter und bindender Auftrag gegeben worden wäre 4 3 5 , es w i r d nur seine allgemeine Sozialaufgabe angesprochen. Die Interventionskompetenz ist auch nicht als ein Gesetzesvorbehalt gegenüber den Grundrechten zu deuten 4 3 6 — denn wäre dies der Fall, so würden sie alle unter allgemeinem Gesetzes vorbehält stehen, ein „Leerlaufen", das nach Weimarer Erfahrungen 1949 gerade für da3 GG vermieden werden sollte. Die Sozialstaatlichkeit beinhaltet vielmehr gerade eine Verpflichtung zum Schutz der Grundrechte 437. Der allgemeinen Verfassungsdogmatik widerspricht es also, aus der Sozialstaatlichkeit eine Verpflichtung zur Ausdehnung der Pflichtversicherung auf weitere Gruppen der Bevölkerung abzuleiten. Dies würde voraussetzen, daß eine andere Lösung sozialstaatlich nicht möglich wäre 4 3 8 . Dem hat das BVerfG widersprochen: „Dieser Ausschluß selbstverantwortlicher Eigenvorsorge w i r d nicht schon vom Sozialstaatsprinzip gefordert. Dieses läßt vielmehr für die Verwirklichung des Zieles einer gerechten Sozialordnung auch andere Wege offen. Der Gesetzgeber hätte auch die Möglichkeit, die obligatorische Eigenvorsorge vorzusehen" 439 . 430 BVerfGE 1, S. 97 (105), std. Rspr., vgl. etwa 8, S. 274 (329); BSGE 15, S. 1 (8); 19, S. 88 (92); f. viele dazu Bettermann, Κ . Α., a.a.O., S. 19; Bachof, O., V V d S t L 12, S. 12 (Der soz. Rechtsstaat i n verwaltungsrechtlicher Sicht), S. 37 (43). 431 f. viele Ipsen, H. P., Über das GG, 1950, S. 14, 17; Forsthoff, E., a.a.O., S. 27; Weber, W., a.a.O., S. 432; Badura, P. (FN 419), S. 46; ders. ( F N 94), S. 332; Stern, Κ . , Burmeister, J. (FN 47), S. 99. 432 Badura, P. (FN 419), S. 449. 433 Grdl. Bachof, O., a.a.O.; Huber, E. R. (FN 418), S. 201: „staatliche Sozialkompetenz"; Badura , P. (FN 426), S. 384 unter Hinweis auf BVerfGE 15, S. 235 (240); Stern, Κ., Burmeister, J. (FN 47), S. 105. 434 Badura, P. (FN 419), a.a.O., i m Anschluß an Stern, K . 435 Weber, W., a.a.O., S. 415: M a n k a n n nicht aus der Sozialstaatlichkeit ableiten, den drei Gewalten seien „bestimmte Gestaltungen u n d Entscheidungen" auf getragen; Badura, P., a.a.O. 436 Überzeugend Bettermann, Κ . Α., a.a.O., S. 18; i m Sinne eines Gesetzesvorbehalts k a n n auch eine etwaige „spezifische sozialstaatliche Schrankenziehung der Grundrechtsausübung" nicht gedeutet werden (dazu Stern, K., Burmeister, J., a.a.O., S. 132). 437 Zutr. spricht Friauf, Κ . H., Z u r Rolle der Grundrechte i m Interventionsu n d Leistungsstaat, DVB1 1971, S. 674 (676) von der „sozialstaatlichen Garantiepflicht" des Staates für die Verwirklichung der Grundrechte; ähnl. Maunz, Th., Rechtsgutachten über die Verfassungsmäßigkeit des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (masch.), S. 5. 438 Badura, P. (FN 94), S. 333. 439 BVerfGE 29, S. 221 (236).
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C. Rechtfertigung u n d Grenzen erweiterter Pflichtversicherung
Die Sozialstaatlichkeit ist also sozialversicherungsneutral uo, was die weitere Expansion anlangt. Es kann ihr weder eine Forderung, noch eine „Tendenz" entnommen werden, und die Sozialstaatlichkeit begründet daher auch keine Einschränkungsmöglichkeit eines so wichtigen Grundrechts wie der Berufsfreiheit. Es wäre unerträglich, wenn ein derart vorbehaltlos garantiertes Grundrecht völlig zur sozialpolitischen Disposition des Gesetzgebers gestellt würde. Wiederum ist hier aber nicht nur die präzise dogmatische Feststellung wichtig, sondern auch die Bereinigung des „Hintergrundes der Diskussion". Es geht nicht an, bei Begründungsnotstand i n der Sozialversicherung stets „ganz allgemein" noch auf die Sozialstaatlichkeit zurückzugreifen, um allein aus ihr heraus konkrete Forderungen durchzusetzen. Soweit trägt das Prinzip grundsätzlich nicht. Und dies sollte auch zur Vorsicht mahnen, aus i h m „Verfassungsstimmung" für die Sozialversicherung und gegen die Privatversicherung machen zu wollen. Die Grenze von Politik und Verfassungsdogmatik muß gerade hier unbedingt gewahrt werden. d) Die Sozialstaatlichkeit ist ein Auslegungsgrundsatz 441, der allgemein für alle Normen gilt und sämtliche Gewalten bindet 4 4 2 . Begrifflich wäre es also möglich, daß der Verfassungsbegriff der Sozialversicherung, i m Licht der Sozialstaatlichkeit interpretiert, eine Expansion bis zur quasitotalen Volks Versicherung trüge: Die „wesentlichen Strukturelemente" müßten entsprechend „uminterpretiert" werden, so daß keine der (oben I - V) Sperren gegenüber einem Vordringen der Sozialversicherung mehr wirksam werden könnte. Dies ist dogmatisch die einzige Möglichkeit, aus der Sozialstaatlichkeit die Expansion der Sozialversicherung zu begründen. Es erheben sich jedoch sogleich grundsätzliche Bedenken: Abgesehen davon, daß die interpretatorische W i r k u n g der Sozialstaatlichkeit nicht übersteigert werden darf 4 4 3 — die Interpretationsfähigkeit der „wesentlichen Struk440 Zacher, H., Das Sozialstaatsprinzip i n der Rspr. d. BVerfG, B a y V B l . 1969, S. 113 (114) meint zutr., unter den Auswirkungen des Sozialstaatsprinzips stehe i n der J u d i k a t u r zwar das System der sozialen Sicherheit (quantitativ) i m Vordergrund, das Gericht mache es aber keineswegs z u m „Gegenstand notwendiger Sozialstaats Verwirklichung". 441 BVerfGE 1, S. 97 (105), er kann bei der Auslegung des GG von entscheidender Bedeutung" sein; vgl. auch BSGE 15, S. 1 (8); 19, S. 88 (92), sowie aus dem Schriftt. grdl. Bachof, Q., V V d S t L 12, S.43; Weber, W., a.a.O., S. 418, 432; Schreiber, W. (FN 418), S. 148 f. 442 Schreiber, W., a.a.O., S. 62 m. H i n w . auf die Rspr.; zur Bindung der Behörden vgl. BVerfGE 3, S. 377 (381). 443 Davor w a r n t eindringlich Weber, W., a.a.O., S. 418; vgl. dazu Henke, W., Die Rechtsformen der sozialen Sicherung u n d das Allg. Verwaltungsrecht, V V d S t L 28, S. 149 (180f.): die Sozialstaatlichkeit dürfe nicht zur „Sozialisierung des Verwaltungsrechts" führen.
V I . Expansion der Pflichtversicherung aus der Sozialstaatlichkeit
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turelemente" i n einem so weitgehenden Sinn ist zweifelhaft. Die Begriffe der Homogenität und der Selbstverwaltung würden i m Wege der Auslegung praktisch aufgehoben, die Versicherungselemente wären weitestgehend eliminiert. Die gesamte Struktur des Sozialversicherungsbegriffs würde tiefgreifend verändert. Dadurch würde der Auslegungsbereich verlassen; ein so allgemeines Prinzip kann nicht so tiefgreifende Veränderungen auf einer wesentlich konkreteren Ebene hervorbringen; vor allem aber würde dadurch die Auslegung mißbraucht, u m gerade jene Wirkungen hervorzubringen, die aus der Sozialstaatlichkeit nicht abgeleitet werden dürfen: konkrete Aufträge an den Gesetzgeber (vgl. oben c)). Aus allgemeinen, vor allem methodischen Gründen bestehen also bereits erhebliche Bedenken gegen einen Einsatz des Sozialstaatsprinzips zur Legitimation oder gar zur Begründung der Forderung nach einer stärkeren Expansion der Sozialversicherung. Ausnahmsweise i n Betracht kommen könnte dies nur, wenn der Inhalt der Sozialstaatlichkeit, bei all seiner Allgemeinheit, auf diesen Problemkreis besonders hinweisen sollte. Dies kann nur eine Inhaltsanalyse erweisen. 3. Der „Inhalt" der Sozialstaatlichkeit und die Ausweitung der Sozialversicherung
Der Begriff Sozialstaat ist so allgemein, daß keine Vermutung für eine derart konkrete Ausrichtung (dazu oben 2 b)) spricht. Immerhin sind gewisse inhaltliche Schwerpunkte herausgearbeitet worden; es fragt sich, ob von ihnen aus Analogien zum Problem der Expansion der Sozialversicherung gezogen werden können. a) Der Staat soll die „soziale Gerechtigkeit" verwirklichen 4 4 4 . Dieses Ziel ist so allgemein, daß es der Ausdehnung der Pflichtversicherung nicht als Legitimation dienen kann. Es läßt sich nicht feststellen, ob diese der sozialen Gerechtigkeit besser dient als die Eigenvorsorge der Betroffenen bei privaten Versicherungen. Und vielleicht könnten sich auch diese auf i h n berufen. Der Begriff ist rechtlich nichts als eine sinnlose Leerformel, wenn er nicht näher konkretisiert wird. Wenn mit allgemeiner Berufung auf ihn zentrale Grundrechte aufgehoben werden können, so hat die Grundrechtlichkeit überhaupt keinen Sinn mehr, denn welcher staatliche Eingriff läßt sich so nicht legitimieren? Auch der Hinweis auf den wohlfahrtsstaatlichen Auftrag führt nicht weiter 4 4 5 ; man mag ihn als Umschreibungsbegriff zur Kennzeichnung 444 Dazu ausführl. BVerfGE 5, S. 85 (198); E 22, S. 180 (204) (Verwirklichung einer „gerechten Sozialordnung"); B V e r w G E 7, S. 180 (182); vgl. grdl. Bachof, O., V V d S t L 12, S. 40; Schreiber, W., a.a.O., S. 19/20; Badura, P. (FN 419), S. 446. 445 Dazu näher Badura, P., a.a.O., S. 447, der von der „Rezeption der p o l i tischen Idee des Wohlfahrtsstaates" spricht.
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C. Rechtfertigung u n d Grenzen erweiterter Pflichtversicherung
einer historischen Situation verwenden. Sein dogmatischer Einsatz i n so konkreten Fällen würde alle Verfassungsgarantien aufheben. Die Sozialstaatlichkeit mag schließlich dem Gemeinwesen eine gewisse Verpflichtung zur Oaseinsvorsorge auferlegen 446 — doch daraus ergibt sich weder ein Zwang noch eine Legitimation dazu, dies gerade in der konkreten Form der Erweiterung der Pflichtversicherung zu tun, ganz abgesehen davon, daß der Begriff der Daseinsvorsorge eben zu einer solchen Konsequenz nicht trägt (dazu näher oben V 2). b) Die Sozialstaatlichkeit hat einen wesentlichen Gleichheitsbezug** 7, ihr ist die Schaffung eines erträglichen Ausgleichs i m Sinne eines sozialen Kompromisses wesentlich 448 , der auch zu einem weitgehenden Ausgleich der Wohlstandsdifferenzen führen kann 4 4 9 — nicht muß. Daraus kann jedoch für die Sozialversicherung nicht das konkrete Gebot abgeleitet werden, alle Bürger ohne Rücksicht auf ihre w i r t schaftliche Situation i n die Pflichtversicherung einzubeziehen. Der Gesetzgeber hat vielfache Möglichkeiten des sozialen Ausgleichs. Vollzieht er diesen i m Rahmen der Sozialversicherung, so muß er deren „wesentliche Struktur elemente" beachten. Ein so allgemeiner Auftrag wie der des sozialen Ausgleichs kann nicht einerseits zu einem Recht zur vollen Nivellierung gesteigert und andererseits zur Zerstörung konkreter Strukturen verwendet werden, die von Verfassungs wegen festliegen. Eine gewisse Umverteilungsfunktion der Sozialversicherung mag auf Art. 20, 28 GG gestützt werden — sie ist kanalisiert in den komplizierten Strukturen der Sozialversicherung, die nun nicht ihrerseits wieder durch den einfachen Hinweis auf Sozialstaatlichkeit aus den Angeln gehoben werden können. Hier ist „Sozialstaat" deutlich die lex generalis. Die Gleichheit ist übrigens nicht sowohl Inhalt, als vielmehr auch Grenze aller Sozialstaatlichkeit 450 — sie ist vielleicht die wirksamste 446 Das B V e r f G redet von der dem Staat „durch das Gebot der Sozialstaatlichkeit v o m GG auch besonders aufgegebenen Daseins vor sorge" (E 21, S. 245 (251)); vgl. dazu Friauf, K . H. (FN 437), S. 676; es f ü h r t auch nicht weiter, w e n n man den Sozialstaat i m Sinne von Teilungs- oder Zuteilungsvorgängen begreift; zurückhaltend hier auch Forsthoff, E. (FN 416), S.25. 447 Das B V e r f G spricht von einer Hinwendung zu einer „egalitär-sozialstaatlichen Denkweise" (E 8, S. 155 (167)). 448 BVerfGE 1, S. 97 (105) (wo allerdings n u r v o m „Ausgleich widerstreitender Interessen" die Rede ist); 5, S. 85 (198) (jedoch i n sehr allgemeinen Wendungen); 22, S. 180 (204) (Ausgleich der sozialen Gegensätze); vgl. dazu auch Bettermann, Κ . Α., a.a.O.; Weber, W., a.a.O., S. 430. 449 Maunz, Th., Die allg. Verf.prinzipien des GG u n d die neuere Rspr. d. B V e r f G zur Sozialversicherung, i n : Die Sozialversicherung der Gegenwart, 1963, I, S. 19; von der „Sozialpflicht" des Staates zur „weitgehenden A n gleichung der Situation von Bemittelten u n d Unbemittelten" spricht das B V e r f G n u r für den speziellen Bereich des Rechtsschutzes, E 9, S. 124 (131). 450 Darauf weist das B V e r f G m i t großem Nachdruck i m m e r wieder hin, vgl. etwa E 12, S. 354 (367): („Auch das Sozialstaatsprinzip ermächtigt nicht
V I . Expansion der Pflichtversicherung aus der Sozialstaatlichkeit
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Schranke der proteusartigen Vielgestaltigkeit von sozialstaatlicher Expansivität. Begriff und wesentliche Strukturelemente der Sozialversicherung sind aber bereits Konkretisierungen der Gleichheit; vor allem gilt dies für das Homogenitätserfordernis. Sie wirken daher als Schranke einer sozialstaatlich begründbaren Ausweitung der Pflichtversicherung. Auch hier kann also die Sozialstaatlichkeit dem bereits herausgestellten Verfassungsrecht der Sozialversicherung nichts wesentliches hinzufügen. c) Der deutlichste Akzent bei der Inhaltsbestimmung der Sozialstaatlichkeit liegt auf dem Minimalschutz: Ein Mindeststandard muß gesichert 451 , jede Ausbeutung verhindert werden 4 5 2 ; Notleidenden sind erträgliche Lebensbedingungen zu schaffen 453 ; Unterdrückung und schwere Benachteiligung gilt es zu beseitigen 454 . Hier ist die Sozialversicherung deutlicher Ausdruck des Sozialstaates — i n ihrer Schutzfunktion gegen Risiken, die i n Not bringen könnten, i n ihrer begrenzten Umverteilungsfunktion zugunsten sozial Gefährdeter. Doch sie geht über den Schutz Notleidender seit langem hinaus. Sozialstaatlichkeit mag also ein M i n i m u m an Sozialversicherung verfassungskräftig fordern, schon ihre heutige Ausdehnung w i r d durch das GG nicht zwingend vorgeschrieben. Noch weniger kann also eine Expansion der Pflichtversicherung auf die Sozialstaatlichkeit gestützt werden, die ohnehin nur das „Was", nie das „Wie" sozialer Sicherung vorschreibt. Wenn also Sozialstaat über soziale Versicherung eine Aussage bringt, sie „orientiert", so kann dies nur der Hinweis auf eine Grundsicherung sein, die m i t dem Minimalschutz i n begrifflichem Zusammenhang steht, nie eine Tendenz zur vollversichernden Expansion. Nicht anders steht es m i t dem „Schwächerenschutz", der regelmäßig m i t sozialstaatlichen Erwägungen gerechtfertigt w i r d 4 5 5 . Hier tauchen die Kernbegriffe des Sozialversicherungsrechts auf — „Fürsorge" 4 5 6 , zu beliebiger Sozialgestaltung, die das Gebot der Gleichheit auflösen würde"); E 17, S. 1 (23) (Witwenrente) unter besonderem Hinweis auf die Bedeutung der „darreichenden V e r w a l t u n g " ; vgl. auch B A G E 1, S. 51 (57), das allerdings die Sozialstaatlichkeit noch höher stellen w i l l . 451 BVerfGE 17, S. 337 (355): Die hergebrachten Grundsätze des A r t . 33 GG sind „spezielle Konkretisierung der Sozialstaatsklausel. Sie sichern daher dem Beamten den Mindeststandard, der sich aus dem Sozialstaatsprinzip ergibt"; dazu Schwabe, J., Krankenversorgung u n d Verfassungsrecht, N J W 1969, S. 2274 (2275). 452 BVerfGE 5, S. 85 (206) unter Hinweis auf die Menschenwürde. Dazu Weber, W., a.a.O., S.430; Breipohl, D. (FN 162), S. 86. 453 BVerfGE 1, S. 97 (105). 454 Nach dem B a y V e r f G H verpflichtet die Sozialstaatlichkeit den Gesetzgeber, „soziale A k t i v i t ä t zu entfalten und zu verhüten, daß einzelne Gruppen der Bevölkerung wirtschaftlich unterdrückt oder schwer benachteiligt w e r den", n.F. 12, S. 21 (35); 13, S. 109 (124); 22, S. 57 (61).
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C. Rechtfertigung u n d Grenzen erweiterter Pflichtversicherung
„Schutzbedürftigkeit" 4 5 7 , Rücksicht auf die schwächere Schicht der Bevölkerung" 4 5 8 — dies alles steht aber i n Verbindung mit dem Gedanken des Minimalschutzes, der sozialen Rücksicht, keineswegs begründet es die Forderung einer Sozialrevolutionären Umgestaltung der Verhältnisse oder auch nur einer Umverteilung großen Stils. Die ganze bisherige Rechtsprechung des BVerfG zur Sozialstaatlichkeit zeigt nicht eine Grundstimmung der großen Sozialreform mit dem Treibsatz mächtiger sozialpolitischer Verfassungsforderungen, sondern nur das Bestreben, gesetzgeberische Bemühungen u m Härteausgleich und sozialen Schutz punktuell gegenüber der Verfassung zu rechtfertigen. Die Sozialversicherung hat das Sozialstaatsprinzip für ihren Bereich heute bereits realisiert; ausdrücklich bescheinigt sich das BVerfG selbst, daß hier die Sozialstaatlichkeit i n der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht ein „Schattendasein" führe wie i n anderen Bereichen 459 . Die „wesentlichen Strukturelemente" der Sozialversicherung sind daher verfassungsnormative Konkretisierung der Sozialstaatlichkeit. 4. Sozialstaatlichkeit und Sozialversicherung in der Rechtsprechung
a) Dieses Ergebnis w i r d bestätigt durch die Judikatur des BVerfG zur Sozialversicherung, soweit diese auf das Sozialstaatsprinzip Bezug nimmt. Die Sozialversicherung ist zwar ein „prägnanter Ausdruck des Sozialstaatsprinzips" 460 , die Rentenversicherung insbesondere eine „typische Aufgabe des Sozialstaates" 461 — aber es lassen sich Rentenansprüche aus der Sozialstaatlichkeit nicht ableiten 4 6 2 , diese zwingt allenfalls den Gesetzgeber zur Aufrechterhaltung des bisher gewährten sozialen Status 4 6 3 : Der Gesetzgeber „kann" i m Rahmen des Sozialversicherungs455 BVerfGE 26, S. 16 (37) (Kriegsopferversorgung); Dersch, H. (FN 411), S. 63, unter Hinweis auf das B A G ; Weber, W., a.a.O., S. 430; vgl. auch Suhr, D. (FN 427), S. 85. 456 Bettermann , Κ . Α., a.a.O. 457 BVerfGE 14, S. 263 (286) („soziale Schutzwürdigkeit" des Aktionärs), vgl. auch Bachof, O., a.a.O., S. 40; B V e r w G E 7, S. 180 (182): A u f t r a g zur „ A b h i l f e sozialer Bedürftigkeit". 458 Rechtsgedanke der Steuerpolitik (BVerfGE 13, S. 331 (346 f.)), der aber auch „einer Abgabe nichtsteuerlicher A r t zugrundegelegt werden" kann (BVerfGE 29, S. 402 (412)), der Sozialversicherung allerdings eben n u r i m Rahmen von deren besonderen Strukturprinzipien. 459 BVerfGE 32, S. 111 (139) unter Hinweis auf Zacher. 460 BVerfGE 28, S. 324 (348). 461 BVerfGE 9, S. 124 (133); 21, S. 362 (375). 462 BSGE 10, S. 97 (100). 463 B V e r f G E 32, S. 111 (1391).
V I . Expansion der Pflichtversicherung aus der Sozialstaatlichkeit
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begriffs die Pflichtversicherung vorsehen — die Sozialstaatlichkeit zwingt i h n zu nichts. Vor allem nicht zur Einführung oder Erweiterung der Pflichtversicherung. Diese kann eingeführt werden 4 6 4 , es muß aber selbst dann nicht geschehen, wenn dies „dem Sozialstaatsprinzip eher entsprechen" würde 4 6 5 . Das Prinzip w i r k t also auch i n der Sozialversicherung nie als präziser Auftrag zu einer Gestaltung, welche i n die Freiheit der Privatversicherung eingreifen könnte. Das BVerfG schließt dies sogar ausdrücklich aus: Die Sozialstaatlichkeit gebiete jedenfalls insoweit keine Ausdehnung der Pflichtversicherung, wie die „Möglichkeit freiwilliger Versicherung" eröffnet sei 4 6 6 . Lediglich als eine Rahmen-Legitimation kann der Grundsatz wirken, aber eben nur als Hilfsbegründung neben seinen sozialversicherungsrechtlichen Konkretisierungen. Eine Begründung für eine Expansion der Sozialversicherung, die zu einer Zerstörung der Privatversicherung führen würde, liefert er nicht. b) Die Analyse der Judikatur zu Wirkungsweise und Inhalt des Sozialstaatsbegriffs ermöglicht keine Entscheidung der Streitfrage, ob sozialrechtliche Institutionen durch die Sozialstaatlichkeit institutionell garantiert seien 467 . Selbst wenn dies aber anzunehmen wäre, so könnte es sich stets nur — der Dogmatik der institutionellen Garantie entsprechend — u m einen Kernbestand von Sozialversicherungsprinzipien handeln, also u m die „wesentlichen Strukturprinzipien", allenfalls noch (quantitativ) u m eine gewisse Grundsicherung, nie u m die „Garantie der Möglichkeit quasi-totaler Pflichtversicherung". Institutionelle Garantien sichern außerrechtliche oder rechtlich ausgestaltete Realitäten, nie bestimmte Entwicklungsmöglichkeiten bestehender Institutionen — insbesondere wenn diese noch, wie dies bei der Sozialversicherung der Fall wäre, i n ihrem Wesen durch Expansion alteriert würden. Die Sozialstaatlichkeit der Sozialversicherung.
ist also kein Reserve Power für die Aufrüstung Sie ist vielmehr durch den Verfassungsbegriff
464 BVerfGE 10, S. 354 (307/1). 465 BVerfGE 18, S. 257 (267) — eine klare Absage an die (angebliche) verfassungsnormative W i r k u n g derart allgemeiner „Tendenzen". 466 BVerfGE 18, S. 257 (267). 467 Bogs, W. (FN 54), S. 14, jedenfalls für diejenigen Institutionen, „ f ü r welche die Verfassung besondere Zuständigkeitsordnungen u n d Finanzregeiungen getroffen" habe; ähnl. Stern, K., Burmeister, J. (FN47), S. 104: Die Verwirklichung „sozialstaatsimplizierter individueller Rechte setzt die E x i stenz bestimmter öffentlicher Einrichtungen voraus", deren Bestandsgarantie aus dem Sozialstaatsprinzip abzuleiten sei; Sozialenquête , S. 123 — die Garantie sei streitig; gegen die Garantie Forsthoff, E., V V d S t L 12, S. 27; ebenso Weber, W., a.a.O., S. 432; Isensee, J., Subsidiaritätsprinzip u n d Verfassungsrecht, 1968, S. 197. Z u m Unterschied Sozialstaat — Sozialrecht allg. Lerche, P. (FN 42), S. 4: „Das spezifisch Sozialrechtliche ist gerade nicht das allgemein Sozialstaatliche."
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C. Rechtfertigung u n d Grenzen erweiterter Pflichtversicherung
der Sozialversicherung hinreichend konkretisiert und vermag diesem daher keine Entwicklungslinie vorzuschreiben. Aus ihr läßt sich allenfalls — neben der allgemeinen Gestaltungskompetenz des Gesetzgebers — eine gewisse Tendenz zur Grundsicherung entnehmen, jedoch weder eine Neigung noch gar ein präziser Auftrag zur totalen Volks-Pflichtversicherung; über die Formen sozialer Sicherung i m einzelnen enthält der Grundsatz überhaupt keine Aussagen. Man sollte diesen wichtigen Begriff, der zur politischen Wunschformel abzusinken droht, nur vorsichtig und differenziert in dem hochspezialisierten Bereich der Sozialversicherung einsetzen. Zurückdrängung oder gar Verstaatlichung der Privatversicherung können auf ihn nicht gestützt werden. Die Sozial-Pflichtversicherung läßt sich nach den Resultaten dieses Abschnitts gegenüber der Berufsfreiheit der Privatversicherung i n ihrer bisherigen Ausdehnung wohl rechtfertigen. Das Schutzgut der Berücksichtigung sozialer Schutzbedürftigkeit legitimiert die Pflichtversicherung, soweit sie i n den Organisationsformen der klassischen Sozialversicherung erfolgt. Dies gilt vor allem deshalb, weil sich die Pflichtversicherung nur als eine teilweise Berufssperre auswirkt. Bei einer weiteren Expansion der Pflichtversicherung würde jedoch die Schwelle der Verfassungswidrigkeit überschritten, weil — einerseits die Legitimation aus den wesentlichen Strukturelementen der Sozialversicherung nicht mehr zur Verfügung stünde — zum anderen an die Begründung wegen der steigenden berufssperrenden Wirkungen erhöhte Anforderungen zu stellen wären. I m einzelnen ist als Ergebnis von Teil C vor allem festzustellen: 1. Es gibt einen Verfassungsbegriff der Sozialversicherung. Dieser ist durch wesentliche Strukturelemente gekennzeichnet, welche sich aus der Aufgabe (Befriedigung des sozialen Schutzbedürfnisses) und aus der herkömmlichen Gestaltung der Sozialversicherung (Versicherungsprinzip, Selbstverwaltung, Gruppenhomogenität) ergeben. 2. Die Pflichtversicherung bedeutet einen empfindlichen Eingriff in die Berufsfreiheit der Privatversicherung. Dieser w i r d durch das Schutzgut des Sozialschutzes insoweit gedeckt, als die wesentlichen Strukturelemente gewahrt sind. Andernfalls wäre die Sozialversicherung ein unerträglicher grundrechtsfreier Raum. 3. Allgemein ergibt sich aus den Strukturelementen wie aus der Sozialstaatlichkeit die Aufgabe einer Grundsicherung, über welche die Sozialversicherung nicht hinausgehen kann. Der Begriff mag
V I . Expansion der Pflichtversicherung aus der Sozialstaatlichkeit
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i n Grenzen „dynamisiert" werden, er deckt nicht eine volle VolksPflichtversicherung. 4. Die sozialen Umverteilungseffekte innerhalb der Sozialversicherung dürfen nicht überhand nehmen. Die Wirkungen der versicherungswirtschaftlichen Individual-Äquivalenz müssen i m ganzen wenigstens ebenso stark sein und erhalten bleiben. 5. Eine quasi-totale Pflichtversicherung Homogenität und Versicherungsprinzip aufheben. Sie wäre verfassungswidrig.
iwürde Selbstverwaltung, i n der Sozialversicherung
6. Aus der bisherigen Expansion der Sozialversicherung läßt sich kein Argument für eine weitere Ausweitung herleiten — i m Gegenteil: M i t steigender Expansion verschärft sich der Begründungszwang. 7. Die Gruppenhomogenität der Sozialversicherung ist ein Verfassungsprinzip. Sie verbietet übermäßige weitere — vertikale wie horizontale — Expansion der Sozialversicherung. Vor allem bei Einbeziehung neuer Gruppen i n die Pflichtversicherung muß die soziologisch-ökonomische Gleichartigkeit gewährleistet sein. 8. Staatszuschüsse dürfen i m herkömmlichen Rahmen der Sozialversicherung gewährt werden. Unzulässig dagegen ist der Versuch, durch Übersteigerung des sozialen Umverteilungseffektes innerhalb der Sozialversicherung die Staatszuschüsse abbauen zu wollen. 9. Die gesetzliche Krankenversicherung darf Zuschüsse nicht weitergehend erhalten, als dies zur Deckung spezieller Folgelasten erforderlich ist. Sie ist auch nach der Struktur der i n ihr versicherten Risiken zur Aufnahme versorgungsrechtlicher Elemente überhaupt wenig geeignet. 10. Die Unternehmen der privaten Krankenversicherung genießen vollen Verfassungsschutz ihres Eigentums am eingerichteten und ausgeübten Geiverbebetrieb. Eine Verstaatlichung ist ausgeschlossen. Die Pflichtversicherung greift in das Eigentum ein; dies ist nur insoweit als Sozialbindung zulässig, wie die Sozialisierungsschwelle nicht überschritten wird. Zu ihrer Bestimmung kommt es auf die Schwere des Eingriffs, darauf also an, was den Privaten nach dem Eingriff noch bleibt. Dies ist spartenspezifisch, also etwa für „die private Krankenversicherung" zu bestimmen. Es kommt hier — anders als bei der Berufsfreiheit — nicht auf den verbleibenden Freiheitsraum an, sondern auf den Wert des Entzogenen. Aus alledem folgt, daß die verfassungsrechtlichen Grenzen i m bisherigen Expansionszustand der Sozialversicherung nahezu erreicht sind.
D . D i e Sozialversicherung als K o n k u r r e n z der P r i v a t v e r s i c h e r u n g Ï. Die Fragestellung — Schwierigkeiten, der „Konkurrenz" Schranken zu setzen Durch die Pflichtversicherung w i r d die Privatversicherung (sektoral vollständig) vom M a r k t verdrängt. Durch Formen der Weiterversicherung, durch Eröffnung von Wahlmöglichkeiten oder durch Pflichtversicherung m i t Befreiungsvorbehalt t r i t t dagegen die Sozialversicherung i n Konkurrenz zu den Unternehmen der Privatwirtschaft 468 . Hoheitliche Gewalt w i r d insoweit nicht eingesetzt; mag auch die Pflichtversicherung Fernwirkungen auf Macht und Verhalten des „öffentlichen Wettbewerbers" ausüben — diese seine Tätigkeit kann nicht als Hoheitsverwaltung bezeichnet werden. Es fragt sich daher, ob die Sozialversicherung hier den gleichen Beschränkungen unterliegt wie bei einer etwaigen Erweiterung der Pflichtversicherung. Insbesondere könnte dies deshalb rechtlich problematisch sein, weil hier für die Privatversicherung keine „objektive Berufssperre" bestehe: ..Konkurrenz" sei allenfalls einer „subjektiven Zulassungsschranke" gleichzustellen, welche durch entsprechende Leistung überwunden werden könne 4 6 9 . A n die Begründung des Verhaltens der Sozialversicherungsträger seien hier also geringere Anforderungen zu stellen als i m Falle der Pflichtversicherung. Dies leuchtet auch politisch ein: Solange eine „Wahlmöglichkeit" besteht, hat doch die Privatversicherung — ihre Chance. Für die P K V ist jedoch gerade diese Konkurrenz eine erhebliche Gefahr: Die Träger der Sozialversicherung gehen damit um, Zusatzversicherungen anzubieten. Wenn dies i n großem Umfang geschieht, so erfolgt ein Einbruch i n den entscheidenden Raum wirtschaftlicher Tätigkeit, der heute der P K V noch verblieben ist. Es droht ihr die „Sozialisierung durch Wettbewerb". I n diesem Bereich sind einer Expansion der Sozialversicherung besonders schwer Grenzen zu ziehen, weil diese Form des „Wettbewerbs" 468 Dazu näher oben Α. I., 1., 2. 469 Nach der „Stufentheorie" des Apothekenurteils, (400 f.).
BVerfGE
7, S.377
I I . Freiwillige SozV als Leistungsverwaltung, Grundrechtsschutz
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dogmatisch noch nicht bewältigt und vielleicht überhaupt nur schwer i n die rechtsstaatlichen Schemata einzufügen ist. Die Konkurrenz durch die Sozialversicherung kann entweder als „Leistungsverwaltung" denselben Regeln unterworfen werden wie die Hoheitstätigkeit (im folg. II) — oder sie steht einer „staatsunternehmerischen" A k t i v i t ä t gleich; ob sich diese legitimieren muß (im folg. III), ob sich ihr Grenzen ziehen lassen, muß sodann ermittelt werden (im folg. IV); insbesondere fragt es sich, ob sich dadurch die Vorteile ausgleichen lassen, welche die öffentliche Hand i n diesem Wettbewerb als Sozialversicherungsträger genießt (im folg. V). Auszugehen ist wiederum vom Grundrechtsschutz der P K V (Art. 12, 14 GG). I m Falle einer „echten Konkurrenzsituation" muß zusätzlich das Grundrecht der Wettbewerbsfreiheit geprüft werden. II. Die „freiwillige Sozialversicherung" als Leistungsverwaltung — voller Grundrechtsschutz 1. Gleichstellung von Pflicht- und freiwilliger Sozialversicherung
a) Leistungsverwaltung ist materiell öffentliche Verwaltung. Sie erfolgt nicht zur Erzielung von Gewinnen und unterscheidet sich dadurch von der Fiskaltätigkeit der öffentlichen Hand 4 7 0 . Zu ihr werden insbesondere Tätigkeiten der Daseinsvorsorge gerechnet, welche einer existentiellen Angewiesenheit des modernen Menschen entsprechen 471 . Die Sozialversicherung ist sicher — auch i n diesem engeren Sinn 4 7 2 — echte „Daseinsvorsorge" 473 , jedenfalls wo sie legitim als Pflichtversicherung gestaltet ist. Ob dies aber auch i m „Konkurrenzraum", etwa der Weiterversicherung noch der Fall sei, ist bisher, soweit ersichtlich, noch nicht vertieft untersucht worden. Daß hier die Träger der Sozialversicherung i n spezifisch sozialversicherungsrechtlichen Formen handeln, kann nicht entscheidend sein; es kommt vielmehr darauf an, wie stark das öffentliche Interesse gerade an diesen Veranstaltungen ist, und ob sie sich überhaupt von der Pflichtversicherung trennen lassen. b) Für die Gleichstellung der „Sozialversicherung als Konkurrenz" m i t der Pflichtversicherung sprechen gewichtige Gesichtspunkte: 470 Z u r Abgrenzung vgl. die Ausführungen u n d Nachw. bei Leisner, W., Werbefernsehen u n d öffentliches Recht, 1967, S. 22 f. 471 So schon Forsthoff, E., Die V e r w a l t u n g als Leistungsträger, 1938, S. 7, 42; vgl. f ü r die Daseinsvorsorge, welche wesentliche Staatsaufgaben erfüllt, B G H S t 17, S. 137 (141). 472 Z u erweiterter Begrifflichkeit vgl. Leisner, W. (FN 470), S. 30 f. m. Nachw. 473 Vgl. f. viele BVerfGE 21, S. 245 (251); 21, S. 362 (375).
9 Leisner
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D. Die SozV als Konkurrenz der Privatversicherung
— I n Schrifttum und Rechtsprechung w i r d durchgehend die Sozialversicherung als solche, als eine Einheit also behandelt und dogmatisch qualifiziert, die Pflichtversicherung w i r d nicht speziell untersucht. Es kann also von einer — wenn auch unkritischen — h. L. ausgegangen werden, welche Pflichtversicherung und freiwillige Versicherung bei Sozialversicherungsträgern gleichstellt. — A l l e Aktivitäten der Sozialversicherung werden i n enger organisatorischer Einheit betrieben. Eine Trennung müßte hier künstlich w i r k e n und wäre praktisch kaum möglich. — Das öffentliche Interesse kann für die freiwillige Sozialversicherung damit begründet werden, daß der Staat auch diese Formen sozialer Sicherheit unbedingt gewährleisten müsse, selbst, ja gerade für den Fall also, daß die Privatversicherung dazu nicht i n der Lage oder nicht bereit sei (Garantiefunktion der Sozialversicherung). — I m Bereich der Sozialversicherung müßten nach richtiger Auffassung generell, zur Erfüllung aller wesentlichen Entscheidungsaufgaben, Beamte eingesetzt werden 4 7 4 , eben weil es sich jedenfalls um LeistungsVerwaltung handelt. — Vor allem aber stehen Pflichtversicherung und freiwillige Sozialversicherung i n zahlreichen wechselwirksamen Beziehungen. Die Versicherten treten weithin von einer Form i n die andere über, ohne daß ihnen der Wechsel als solcher bewußt wäre; sie genießen Vorteile i n der freiwilligen Versicherung, die ihnen ohne Pflichtversicherung gar nicht gewährt werden könnten; die erhöhte Versicherungssicherheit kommt allgemein aus der Massen-Pflichtversicherung, nach Beitragsauf kommen, wie nach politischer Absicherung. Die Sozialversicherung ist nicht nur organisatorisch, sondern vor allem versicherungswirtschaftlich eine Einheit. I n einer für die Sozialversicherung überhaupt typischen Kombination von Argumenten aus Aufgabe und Organisationsform w i r d man also die Gleichstellung von Pflichtversicherung und freiwilliger Versicherung annehmen können. 2. Die Folge: Voller Grundrechtsschutz auch gegen Veranstaltungen der freiwilligen Sozialversicherung
a) Wenn die freiwillige Sozialversicherung der Pflichtversicherung gleichzustellen ist, so eröffnen sich zwei Qualifikationsmöglichkeiten: 474 Dazu Leisner, m. Nachw.
W., Grundlagen des Berufsbeamtentums,
1971, S. 47 f.
I I . Freiwillige SozV als LeistungsVerwaltung, Grundrechtsschutz
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— entweder man faßt den „Gesamtbereich der Sozialversicherung" als eine volle Einheit und sieht i h n derart als vom Einsatz der Hoheitsgewalt geprägt an, daß er — wie etwa der Bereich der Bundespost — im ganzen als öffentlich-rechtlich i m Sinne des Hoheitsrechtlichen qualifiziert werden k a n n 4 7 5 — oder man sieht i n der freiwilligen Sozialversicherung eine Veranstaltung der Leistungsverwaltung, i n der sich die Hoheitsverwaltung der Pflichtversicherungsbeziehungen fortsetze (soweit man nicht auch diese noch als Leistungs Verwaltung auf faßt). Das Ergebnis ist stets dasselbe: Es greift voller Grundrechtsschutz ein; denn daß die Leistungs Verwaltung, ohne Rücksicht auf ihre Gestaltungsformen i m einzelnen, der Grundrechtsbindung unterliegt, ist heute nicht mehr bestritten und bedarf hier keines speziellen Nachweises 476 . b) Folgt man dieser Auffassung, so hat die Sozialversicherung i m freiwilligen Bereich dieselben Schranken zu achten wie dort, wo sie in Pflicht nimmt: Sie darf den „sozialen Ausgleich" durch Beitragsgestaltung nicht übersteigern; es ist ihr verwehrt, die Selbstverwaltung und die Gruppenhomogenität durch horizontale und vertikale Ausdehnung zu brechen; sie darf nicht überwiegend Staatszuschüsse einsetzen — diese aber auch nicht unter übersteigerter sozialer Umverteilung abzubauen versuchen. Der G K V ist es dann insbesondere aufgegeben, sich i m Rahmen ihrer kontinuierlichen Tradition zu halten und damit vor allem auf das Angebot jener Zusatzversicherung zu verzichten, die von jeher Aufgabenbereich der P K V war. Dies alles sind sozialversicherungsimmanente Schranken der freiwilligen Sozialversicherung, sie sind zu beachten ohne jede Rücksicht auf eine „Wettbewerbssituation", die dann i n der Tat nur eine faktische sein könnte. Den Trägern der Sozialversicherung könnten nicht mehr oder weniger Expansionsmöglichkeiten zugestanden werden, je nach dem, wie die Lage der P K V sich entwickeln sollte. Sie wären primär durch ihre Legitimation, nicht durch die Rechte anderer Konkurrenten beschränkt. Die Auswirkungen auf diese mögen hier besonders schwer nachzuweisen sein — dies würde, selbst für den Eigentumsschutz, keine 475 Diese Lösung steht insoweit am nächsten bei der heute ganz h e r r schenden Auffassung v o m öffentlich-rechtlichen Charakter der gesamten Sozialversicherung, vgl. dazu Zacher, H. (FN 267), S. 29 f. (Sozialversicherung ist kein t e r t i u m zwischen privatem u n d öffentlichem Recht), siehe auch Richter, L . (FN 258), S. 8; ν. Altrock, A. (FN 131), S. 15: besonderer Zweig des Verwaltungsrechts, öff.r. Überbau auf privatrechtlicher Ebene; Hug, W. (FN 162), S. 190; Peters, H., Z u m allgemeinen T e i l des neuen Sozialgesetzbuches, Die Ortskrankenkasse 1971, S. 825. 476 Nachw. b. Leisner, W. (FN 470), S. 159.
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D. Die SozV als Konkurrenz der Privatversicherung
unterschiedliche Behandlung gegenüber der Pflichtversicherung rechtfertigen. Wenn durch Expansion der freiwilligen Versicherung der P K V ein wesentlicher Verlust drohte, müßte i n gleicher Weise wie gegenüber der Pflichtversicherung verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz gewährt werden. Denn eines dürfte nie der P K V entgegengehalten werden: daß sie ja durch eigene Leistung die öffentliche Konkurrenz schlagen könne. Dazu ist sie dann gar nicht verpflichtet, wenn die freiwillige Sozialversicherung Leistungsverwaltung ist: Der Bürger muß nicht durch „eigene Leistung" einen solchen Grundrechtseingriff des Staates abwehren. c) Die Gleichstellung der freiwilligen m i t der Pflichtversicherung begründet jedoch grundsätzliche Bedenken gegen die Möglichkeit der Sozialversicherung, überhaupt i n derartige „Leistungsverwaltungskonkurrenz" m i t der privaten Versicherung einzutreten. Legitim ist die Sozialversicherung, ihren wesentlichen Strukturelementen entsprechend, nur insoweit, als sie ein „soziales Schutzbedürfnis" befriedigt. Dies ist dann nicht der Fall, wenn eine ausreichende Möglichkeit privaten Versicherungsschutzes eröffnet ist. Freiwillige Versicherung müßte stets „subsidiär" bleiben. Soweit muß man allerdings dann nicht gehen, wenn man dem Gesetzgeber auch hier jenen weiten Beurteilungsraum der Schutzbedürftigkeit gewährt, von dem das BVerfG ausgeht: Dann kann eben stets die freiwillige Sozialversicherung neben der privaten stehen — i n gewissen, vorwiegend traditionellen Grenzen, weil dem Schutzbedürfnis eben gerade i n jenem organisierten Nebeneinander genügt wird. Daß damit allerdings einem Expansions drang bei der freiwilligen Sozialversicherung besonders enge Grenzen gesetzt wären, liegt auf der Hand. Eine frei-unternehmerische Sozialversicherung dürfte nicht der Vortrab der Pflichtversicherung sein.
3. Der öffentliche Zweck — Legitimation der freiwilligen Sozialversicherung als Leistlingsverwaltung, nicht als „wirtschaftliches Staatsunternehmen"?
a) Wenn die freiwillige Sozialversicherung ebenso einem öffentlichen Zweck dient wie die Pflichtversicherung, so ist sie nicht unternehmerische Staatswirtschaft, sondern Leistungs ver waltung; als solche w i r d sie durch diesen Zweck legitimiert, nicht aber als Fiskaltätigkeit mit Konkurrenzcharakter gegenüber der Privatversicherung. Es geht also nicht an, die freiwillige Sozialversicherung als staatswirtschaftlichen Wettbewerb zu qualifizieren und sie gleichzeitig unter Hinweis auf einen primär verfolgten öffentlichen Zweck als Teil der Staatswirtschaft
I I . Freiwillige SozV als Leistungsverwaltung, Grundrechtsschutz
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zu legitimieren 4 7 7 , vielleicht noch den Privaten gegenüber teilweise zu privilegieren. Der Staat kann die Zwecke wie die Organisationsformen wählen, er unterliegt hier nur äußersten Grenzen. Hat er sich jedoch für Leistungsverwaltung oder Fiskaltätigkeit entschieden, so muß er auch die Folgerungen ziehen: Als „freier Unternehmer" darf er aus dem öffentlichen Zweck keinen Vorteil ziehen, den er verfolgt — als Leistungsverwalter w i r d er durch den Zweck gar nicht privilegiert, unterliegt aber derselben Grundrechtsbindung wie der Hoheitsstaat. b) Dieser Zwang zur Konsequenz zeigt sich vor allem i m Wettbewerbsrecht* 78. Die öffentlichen Unternehmen sind hier „allgemein" dem GWB unterworfen wie Private — andererseits kann dies aber doch nur gelten, soweit sie nicht einen öffentlichen Zweck verfolgen 4 7 9 . Die Anwendung von GWB und UWG ist also auf rein erwerbswirtschaftliche Tätigkeit zu beschränken 480 — w e i l andernfalls voller Grundrechtsschutz eintritt. 4. Freiwillige Sozialversicherung durch „wirtschaftliches Staatsunternehmen"?
Die Untersuchung der freiwilligen Sozialversicherung könnte hier schließen, wenn deren Einbeziehung i n eine der Pflichtversicherung gleichzustellende LeistungsVerwaltung i n jeder Hinsicht befriedigen könnte. Dies ist jedoch nicht der Fall, diese Veranstaltungen haben vielmehr rechtlich wie politisch doch einen „gewissen Wettbewerbscharakter". Das Phänomen „Wettbewerb seitens der Leistungsverwaltung" ist bisher noch nicht voll bewältigt:
477 Z u m „öffentlichen Zweck" als Legitimation der Staats Wirtschaft vgl. u.a. Püttner, G. (FN94), S. 200f. m. Nachw.; Krüger, H., Die öffentlichen Massenmedien als notwendige Ergänzung der privaten Massenmedien, 1965, S. 31 ff.; Schneider, H. (FN 126), S. 27; Forsthoff, E., Rechtsfragen der leistenden Verwaltung, 1959, S. 11; Wenger, K., Die öffentliche Unternehmung, 1969, S. 400 f., 565. F ü r den Versicherungsbereich Weber, W., Verfassungsprobleme der Versicherungsaufsicht, ZVersWiss. 1968, S. 227 (237/8). 478 Dazu u . a . Rupp, H. H., Verf.r. Aspekte der Postgebühren, usw., 1971, S. 30 f.; Klein, H. H. (FN 94), S. 182, 242 f.; Schwarz, Th., Die wirtsch. Betätigung der öff. H a n d i m Kartellrecht, 1969, der die These beweisen w i l l , daß die öffentliche H a n d insoweit v o m G W B freigestellt sei, als sie u n mittelbar öffr. Zwecke erfülle (S. 6); Frentzel, G. (FN 385), S. 28/9; ders., Wirtschaftsverfassungsrechtliche Betrachtungen zur wirtschaftlichen Betätigung d. öff. Hand, 1961, S. 23 f.; Emmerich, V. (FN 94), S. 47 f., 61. 479 Wohl h. L., vgl. etwa Püttner, G., a.a.O., S. 374 (zurückh.); Klein, H. H., a.a.O., S. 248/9; Schricker, H. (FN 27), S. 154 f.; Schwarz, Th., a.a.O., S.20f.; vgl. auch Forsthoff, E., a.a.O., S. 11. 480 Klein, H. H., a.a.O.; Schricker, H., a.a.O., S.30f.
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D. Die SozV als Konkurrenz der Privatversicherung
a) Aus dem J;, öffentlichen Zweck" allein sollen so weitgehende Folgerungen gezogen werden wie die Schrankenziehung durch die Grundrechte und die Nichtanwendung des Wettbewerbsrechts. Dies würde voraussetzen, daß Vorliegen und Gewicht dieser öffentlichen Interessen jeweils eindeutig zu bestimmen wären. Davon aber kann keine Rede sein 4 8 1 . Selbst wenn man nicht so weit gehen will, aller Staatswirtschaft stets auch die Verfolgung eines öffentlichen Zweckes aufzuerlegen 482 — was das Ende der „Fiskaltätigkeit" bedeuten müßte — i n wettbewerblicher Tätigkeit der öffentlichen Hand laufen meist vielfache Zielsetzungen erwerbswirtschaftlicher und dirigistischer Natur neben- und ineinander, eindeutig lassen sie sich nur selten trennen. Der Staat wählt solche Organisationsformen i n der Regel gerade, um beliebig von Konkurrenz auf Lenkung auszuweichen oder beides zu verbinden 4 8 3 . Die neuere Tendenz i m Schrifttum zum Wirtschaftsverfassungsrecht geht also deutlich dahin, die nicht-hoheitsrechtliche Tätigkeit der öffentlichen Hand als eine Einheit zu sehen 484 , sie (zumindest auch) unter Konkurrenzgesichtspunkten zu betrachten und etwaige „Privilegien" zu isolieren und gesondert zu prüfen. Wer die freiwillige Sozialversicherung kurzerhand der Hoheitstätigkeit gleichstellen wollte, dem würde daher nicht nur der rechtliche Einwand entgegengehalten, daß er damit das Wesen dieser Erscheinung nicht voll erfaßt habe; „politisch" könnte i h m gegenüber geltend gemacht werden, die gesamte freiwillige Versicherung sei ja nicht zuletzt auch eine Gestaltung zum Schutze der Privatversicherung, die nun nicht i n ihr kurzweg eine „andere Form hoheitlichen Eingriffs" sehen dürfe. b) Das Erscheinungsbild der freiwilligen Sozialversicherung spricht in besonderer Weise gerade aus der Sicht der Privatversicherung für die Anwendung von Wettbewerbsgesichtspunkten — ihr gegenüber t r i t t sie wirtschaftlich eindeutig als Konkurrent auf. M i t beachtlichen 481 Bedenken gegen die Abgrenzungswirksamkeit des „öffentlichen Z w e k kes" melden u . a . an: Püttner, G., a.a.O., S. 201 (rechtliche Grenze oder n u r Orientierungshilfe für die Gesetzgebung?); Rüfner, W. (FN 131), S. 145 (daraus lassen sich „ n u r sehr schwer konkrete Folgerungen" ableiten; H i n weis auf Röttgen); Momberger, E. (FN 424), S. 75 f. (Eingrenzung vom Zweck her unmöglich); Emmerich , V. (FN 94), S. 54 (nahezu keine Grenze f ü r Gemeinden). 4 82 Theorie von Herbert Krüger, vgl. F N 477, insbes. S. 82 f.; ders., M a r k t wirtsch. Ordnung u n d öff. Unterhaltung d. Verkehrswege, 1969, S. 2. Aus der Sicht der D r i t t w i r k u n g der Grundrechte gegen den Fiskus, vgl. f. viele Zeidler, K., V V d S t L 19, S. 229 f.; Bachof, O., Verbot des Werbefernsehens durch Bundesgesetz, 1966, S. 14. 483 Z u r „Wirtschaftslenkung durch Staatsunternehmen", vgl. unten I I I . , 1. 484 v g l . f. viele die grdl. Abh. v. Bettermann , Κ . Α., Gewerbefreiheit der öffentlichen Hand, Festschr. f. E. Hirsch, 1968, S. 2/3 m. Nachw.
I I . Freiwillige SozV als Leistungsverwaltung, Grundrechtsschutz
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Gründen ist daher auch die grundsätzliche Anwendung des Wettbewerbsrechts auf sie bei der Werbung für neue Gruppen angenommen worden 4 8 5 . Die allgemeine Entwicklungstendenz „öffentlich-rechtlicher Wettbewerbsunter nehmen der Versicherungswirtschaft" (inbes. der Gebäudefeuerversicherung) muß ferner berücksichtigt werden. Da sich ihr öffentlich-rechtlicher Status nur rechtfertigt, wenn sie einer „Aufgabe der öffentlichen Verwaltung zu dienen bestimmt und von dorther legitimiert sind" 4 8 6 , sich eine solche Rechtfertigung aber für „reine Wettbewerbsunternehmen" der Versicherungswirtschaft heute nicht mehr beibringen läßt, w i r d sich ihr öffentlich-rechtlicher Sonderstatus weiter abflachen und vielleicht i n absehbarer Zeit völlig aufgegeben werden 4 8 7 . Dies würde sowohl rechtlich einer strengeren Rechtsstaatlichkeit entsprechen als auch politisch den Auffassungen derjenigen entgegenkommen, welche die Sozialisierung der Gesellschaft nicht über Formen des Staatsmonopolkapitalismus, sondern über öffentliche, mehr oder weniger beliehene und privilegierte Institutionen des gesellschaftlichen Bereiches erstreben. M i t einer solchen Entwicklung muß also auch bei der „klassischen" Sozialversicherung gerechnet werden, insbesondere i m Falle der GKV, wo angesichts des Fehlens wesentlicher Staatszuschüsse einer Evolution zur „formalen Privatversicherung" kaum etwas i m Wege steht. Dann aber würde die Zurechnung zur Leistungsverwaltung, welche die Konkurrenzsituation völlig unberücksichtigt läßt, vollends u nglaub würdig. Dem Phänomen der freiwilligen Sozialversicherung, insbesondere des „sozialwirtschaftlichen Wettbewerbs" kann man nur durch eine Betrachtung gerecht werden, welche sie auch unter dem Gesichtspunkt der Erwerbswirtschaftlichkeit sieht. Denn dies ist ja auch nicht zuletzt ihr Sinn: M i t t e l für die Erfüllung von Sozialaufgaben der Leistungsverwaltung quasi-erwerbswirtschaftlich aufzubringen. Es soll dabei aber nicht die Qualifikation eines hybriden Zwischenbereiches zwischen öffentlichem und privatem Sektor versucht werden — die freiwillige Sozialversicherung w i r d i m folgenden als erwerbswirtschaftliche Veranstaltung begriffen, aber auch nur i m Sinne einer möglichen Alternative. Ob sie letztlich gerechtfertigt ist, kann nur eine nähere Betrachtung unter erwerbswirtschaftlichen Gesichtspunkten erweisen (vgl. unten d) a. E.). 48 5 Scholz, R., Wettbewerb zwischen Ersatzkassen u n d Privatversicherung, i n Scholz, R., Isensee, J., Zur Krankenversicherung der Studenten, 1973, S. 6 f., der (S. 13 f.) von „sozialwirtschaftlichem Wettbewerb" spricht. 486 Weber, W. (FN 477), S. 237 m. Nachw. 487 Weber, W., a.a.O., S. 438.
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D. Die SozV als Konkurrenz der Privatversicherung
ΙΠ. Die Freiwillige Sozialversicherung als Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand — Legitimation 1. Legitimation durch Grundrechte des Fiskus?
a) Die freiwillige Sozialversicherung kann sich nicht auf die Grundrechtslegitimation berufen, insbesondere wird sie nicht durch eine Gewerbefreiheit der öffentlichen Hand gedeckt (Art. 12 Abs. I GG). Juristische Personen des öffentlichen Rechts genießen grundsätzlich keinen Grundrechtsschutz, da sie geborene Gegner der Freiheit sind, diese also nicht i n Anspruch nehmen können 4 8 8 . Dies gilt auch für erwerbswirtschaftliche Tätigkeit 4 8 9 : Der Fiskus ist allenfalls grundrechtsverpflichtet, nie grundrechtsberechtigt, sieht man von prozessualen Grundrechten ab. Dagegen w i r d vorgebracht, der Staat könne nicht i n einer „Einheit" von Hoheits-, Leistungs- und Fiskaltätigkeit gesehen werden, vielmehr sei der Fiskus i n vielfacher Weise organisatorisch verselbständigt; dem müsse eine entsprechende Grundrechtsfähigkeit folgen, u m so mehr, als ja anerkannt sei, daß juristische Personen des öffentlichen Rechts insoweit dem „Staat" gegenüber autonomisiert seien. Der Fiskus sei auch i n besonderer Weise dem Gemeinwohl verpflichtet, er sei schließlich i n eine feste Kompetenzordnung eingebunden, die nicht durch Grundrechtsbindungen systemwidrig verstärkt werden könne 4 9 0 . Diese Einwände schlagen jedoch nicht durch: Die organisatorische Verselbständigung des Fiskus gegenüber der Hoheits- und Leistungsverwaltung ist weder grundsätzlich-dogmatisch noch praktisch m i t einer auf Verfassung gegründeten Autonomie (Universität, Rundfunkanstalt, Bundesbank) vergleichbar. Sie steht organisationsrechtlich zur Disposition des Staates, ja dieser kann die Organisationsform weitgehend frei wählen; er könnte also selbst bestimmen, ob er der Grundrechtsbindung unterliege (als Hoheitsgewalt), oder selbst Grundrechte geltend machen „ w i l l " (in er wer bs wirtschaftlicher Tätigkeit). Dies ist unerträglich. Der Fiskus könnte nur dann Grundrechtsträger sein, wenn es eine scharfe, eindeutige Trennung von Leistungs- und Fiskaltätigkeit gäbe, verbunden m i t der sanktionierten Verpflichtung des Staates, 488
Dazu Isensee, J., Umverteilung, S. 60/1 m. Nachw. z. h. L . h. L., siehe f. viele Burmeister, J., Der öff. A u f t r a g der Sparkassen, S. 13; grdl. Dürig, G., i n Maunz-Dürig-Herzog, GG, A r t . 2 Abs. I Rdnr. 52 f.; Püttner, G. F N 94), S. 148 f. m. zahlr. Nachw.; Frentzel, G. (FN 385), S. 15/6; Rüfner, W. (FN 131), S. 211, der allerdings zutr. darauf hinweist, daß sich daraus noch nicht die Unzulässigkeit der erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit der öffentlichen H a n d ergeben kann. Nachw. auch b. Bettermann, Κ . A. (FN 484), S. 4/5 (S. 11 zu dem angeblichen Verbot erwerbswirtschaftlicher Betätigung). 490 Dies sind die wesentlichen Argumente von Bettermann, K . A. (FN 484), der i n scharfsinnigen Darlegungen die h. L. bekämpft. Z u r Argumentation aus A r t . 15 GG vgl. unten 2. 489
I I I . Freiwillige SozV als staatliche Wirtschaftstätigkeit
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entsprechend zu organisieren; dann wären Veranstaltungen wie die freiwillige Sozialversicherung schon als Leistungs Verwaltung der Grundrechtsbindung zu unterstellen; die Gefahr, daß die ohnehin nahezu allmächtige Sozialversicherung auch noch Grundrechtslegitimation i n A n spruch nehmen könnte, träte gar nicht auf. Der Fehler der Argumentation zugunsten der Gewerbefreiheit der öffentlichen Hand liegt darin, daß sie von einer dogmatischen Bewältigung des LeistungsverwaltungsWettbewerbs ausgeht, die aber bisher aussteht (vgl. oben 14) — ganz abgesehen davon, daß sie die Privilegien des Fiskus i m Wettbewerb unterschätzt 491 . Auch die Kompetenzbindungen des Fiskus, seine „strukturellen Begrenzungen", reichen nicht aus, u m i h n auf eine Stufe der „vollen Gleichordnung" m i t Privaten zu führen, welche ihm Grundrechtslegitimation schaffen könnte: Grundsätzlich kann organisationsrechtliche Freiheitssicherung die Grundrechtsbindung nicht ersetzen, Grundrechtslegitimation nicht kompensieren. Dies ist die Grundlage der gesamten Grundrechtsdogmatik. Und wiederum wären derartige Beschränkungen nur wirksam, wenn sich der „öffentliche Zweck" näher bestimmen ließe, als dies der Fall ist (siehe oben I a. E.). Freiwillige Sozialversicherung kann sich also, auch als erwerbswirtschaftliches Staatsunternehmen, nicht auf Grundrechte berufen. Eine Grundrechtscibioägung zwischen GKV und PKV kommt begrifflich nicht i n Betracht, auf sie kann eine Expansion der Sozialversicherung nicht gestützt werden. Damit entfällt auch die Möglichkeit, die freiwillige Sozialversicherung als eine Form von Staatswettbewerb anzusehen, der „voll i m Räume der Freiheit stattfinde" und damit freiheitsrechtlich prinzipiell gar nicht gefährlich sein könne, weil er „freiheitserweiternd wirke". Derartige Erwägungen sind auch als politische Hintergrundargumente zurückzuweisen. b) Die freiwillige Sozialversicherung kann sich auch nicht auf Grundrechte der i n der Sozialversicherung zusammengefaßten Versicherten berufen 492. deren gebündelte Grundrechtlichkeit von den Trägern der Sozialversicherung geltend gemacht würde 4 9 3 . Soweit diese i n Zwangsorganisation stehen, kann nicht der Aspekt des „verbandsmäßigen" Zusammenschlusses freier Grundrechtsträger, sondern nur der der 491 So Bettermann , Κ . Α., a.a.O., S. 20 f., dazu näher unten I V . 492 Dazu Isensee, J., a.a.O., S. 62. 493 Z u dieser Konstruktion, die auf Bachof, O., Freiheit des Berufes, i n : Die Grundrechte I I I , S. 180 f. u n d Dürig, G., Maunz-Dürig-Herzog, A r t . 19 Abs. I I I GG, Rdnr. 46 zurückgeht, k r i t . Bettermann , Κ . Α., a.a.O., S. 9/10 m. weit. Nachw.
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D. Die SozV als Konkurrenz der Privatversicherung
Erfüllung öffentlicher Aufgaben i m Vordergrund stehen. Die freiwillige Sozialversicherung w i r d aber gerade nicht von Bürgern getragen, die sich frei zusammengeschlossen haben, sondern von Trägern, die ohne staatlichen Zwang gar nicht existieren und die andernfalls derartige Aufgaben überhaupt nicht erfüllen, insbesondere auch keine freiwillige Sozialversicherung durchführen könnten. Wollte man es dem Staat gestatten, durch Zwangszusammenschlüsse in die Fiskalität, und damit i n die Grundrechtslegitimation, aus der Grundrechtsbindung zu fliehen, so wäre dem Formenmißbrauch Tür und Tor geöffnet. Die freiwillige Sozialversicherung ist also ebenso „verlängerter A r m des Staates", wie die Zwangs Versicherung; auf Grundrechte, insbesondere auf die Gewerbefreiheit kann sie sich nicht berufen. 2. Freiwillige Sozialversicherung als „Wirtschaftslenkung durch öffentliche Unternehmen"
Der Staat kann durch freiwillige Sozialversicherung den „Versicherungsmarkt" wesentlich beeinflussen, dort Konditionen vorschreiben, Wettbewerbsformen bestimmen. Bei einer Expansion läßt sich dies bis zur Wettbewerbsführung steigern. Legitimiert sich dies als Form der „Wirtschaftslenkung durch öffentliche Unternehmen"? „Wirtschaftslenkung" auf diese Weise w i r d allgemein für zulässig gehalten 494 , allerdings unter dem Vorbehalt der Erforderlichkeit 4 9 5 . Diese stellt aber keine wirksame Schranke dar, weil hier dem Staat ein sehr weiter Beurteilungsspielraum gewährt ist. Bei näherem Zusehen w i r d aber eine „Legitimation der Staats Wirtschaft" aus der konkurrenziellen Wirtschaftslenkung nur von jenen abgeleitet, die hier dem „öffentlichen Zweck" eine gewisse Bedeutung zuerkennen oder gar den Fiskusbegriff überhaupt aufheben wollen (Herbert Krüger). Die Begründung aus der Wirtschaftslenkung ist also nur eine andere Form für die Legitimation aus dem öffentlichen Zweck — sie aber würde die freiwillige Weiterversicherung zur Leistungsverwaltung machen und sie damit der vollen Grundrechtsbindung unterwerfen (obenl). Die Konkurrenzproblematik als solche wäre dann nicht selbständig zu untersuchen. Gerade dies aber ist stets zu beachten: Wenn öffentlicher Zweck — dann keine Erwerbswirtschaftlichkeit, also auch keine Legitimation derselben aus „ W i r t schaftslenkung" . 494 Dazu Krüger, H. (FN 216), S. 26 (der sie sogar f ü r unumgänglich hält, soweit der M a r k t nicht gemeinwohlentsprechend funktioniere, sie allerdings nicht als „Fiskaltätigkeit" begreift (vgl. oben I., 4.)); ders. (FN 477), S. 69 f., 77; Frentzel. G. (FN 478), S. 7; Wenger, Κ . (FN 477) S. 553; Klein, H. H., a.a.O., S. 47, 222. 495 Vgl. etwa Frentzel, G., a.a.O.
I I I . Freiwillige SozV als staatliche Wirtschaftstätigkeit
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Eine solche Begründung könnte übrigens auch nicht weit tragen — „Wirtschaftslenkung" ist alles, was der Staat durch Eingriff i n die Berufs- oder Eigentumsfreiheit veranstaltet. A n dieser findet sie ihre Schranke. Sie ist kein Legitimations-, sondern ein Beschreibungsbegriff. Für die Zulässigkeit der Sozialversicherung ergibt sie nicht mehr als jene Sozialstaatlichkeit, die ja auch als Generalvollmacht zur W i r t schaftslenkung gedeutet w i r d (vgl. oben VI). 3. Erwerbswirtschaftliche Konkurrenzunternehmen der öffentlichen Hand bedürfen keiner speziellen Legitimation
a) Die freiwillige Sozialversicherung bedarf dann keiner speziellen Begründung, wenn sie nicht Leistungsverwaltung, sondern „reine Fiskaltätigkeit" ist. Davon aber w i r d i n diesem Abschnitt hypothetisch ausgegangen. Die Zulässigkeit erwerbswirtschaftlicher Tätigkeit der öffentlichen Hand w i r d überwiegend bejaht 4 9 6 und meist mit einer Privatautonomie 4 9 7 begründet, Vielehe aus der Rechtsträgerschaft abzuleiten ist. Soweit dagegen Bedenken vorgebracht und eine spezielle Legitimation gesucht w i r d 4 9 8 , geschieht dies lediglich, weil die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit als Leistungstätigkeit, nicht als Fiskal Veranstaltung begriffen wird. Die Diskussion dreht sich also i m Kreise. b) Die erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand i m Versicherungsbereich w i r d insbesondere durch Art. 15 GG weder begründet noch verboten. Aus der Möglichkeit der öffentlichen Hand, gewisse erwerbswirtschaftliche Unternehmen i n Gememwirtschaft zu überführen, ergibt sich auch dann nicht 4 9 9 für diesen Bereich die generelle Zulässigkeit jeder öffentlichen Erwerbswirtschaft, wenn man unter Gemeinwirtschaft (auch) Erwerbswirtschaft versteht 5 0 0 : Art. 15 GG muß als eine Spezialregelung gesehen werden, welche nicht als Begründung für etwas nach Bedeutung und Allgemeinheit m i t diesem Sonderfall Unvergleichbares dienen kann — die allgemeine erwerbswirtschaftliche Staatsbetätigung. Umgekehrt ergibt sich aus der Soziali496 F ü r die h. L. Püttner, G. (FN 94), S. 170 f.; Klein, H . H . , a.a.O., S. 180 (Erg.); Schricker, H. (FN 27), S. 79 f.; Stern, K., Burmeister, J. (FN 47), S. 114, 174 (Hinweis auf die Sozialstaatlichkeit); Rüfner, W. (FN 131), S. 212 m. Nachw.; Twiehaus, U., Die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute, 1965, S. 137 f. 497 K r i t . dazu Mallmann, W., V V d S t L 19, S. 196 f.; Wenger, K . (FN 477), S. 399. 498 Rupp, H . H . (FN 478), S. 26 f. m. zutr. K r i t i k am herk. Fiskusbegriff. Stern, K., Gedanken über den wirtschaftslenkenden Staat aus verfassungsrechtlicher Sicht, DÖV 1961, S. 325 (328). 499 v g l . Badura, P. (FN 94), S. 334 f.; Schricker, H. (FN 27), S. 74. 500 so Bettermann, K . A. (FN 484), S. 17; a. Α. Klein, H . H . , a.a.O., S. 184.
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D. Die SozV als Konkurrenz der Privatversicherung
sierungsmöglichkeit auch kein allgemeines Verdikt gegen die Möglichkeit des erwerbswirtschaftlichen Handelns der öffentlichen Hand 5 0 1 . Aus denselben Gründen kann aber auch nicht — i m Umkehrschluß — aus Art. 15 GG die Unzulässigkeit jeder erwerbswirtschaftlichen Versicherungstätigkeit öffentlicher Träger abgeleitet werden: Art. 15 GG gilt zwar für den Versicherungsbereich nicht. Da er aber, wie nachgewiesen, die Zulässigkeit staatlicher Erwerbstätigkeit nur als Sozialisierungs-Spezialnorm, nicht aber allgemein legitimiert, kann er sie auch nicht durch sein Schweigen i m Versicherungssektor verbieten. c) Auch aus dem Subsidiaritätsprinzip kann schließlich nicht ein volles Verbot der „freiwilligen Sozialversicherung" abgeleitet werden — mit der Behauptung, diese Aufgabe könne ebenso gut oder besser durch die Privatversicherung erledigt werden. Zwar w i r d es nicht durch eine Sozialstaatlichkeit ausgeschlossen, die etwa die Sozialversicherung institutionalisieren und damit jeder (Re-)Privatisierung in diesem Bereich entgegenwirken könnte 5 0 2 ; ebensowenig w i r d die Grenze zwischen öffentlicher und privater „Zuständigkeit" i m Versicherungsraum durch Art. 87 Abs. I I GG bestimmt, der lediglich Kompetenzen zwischen Bund und Ländern verteilt 5 0 3 . „Die Lebenseinheiten jedoch, welche Vorrang vor dem staatlichen Handeln verlangen dürfen", „werden erst durch die Anknüpfungspunkte der staatlichen Gesetze geschaffen, sind nicht a priori vorgegeben" 504 . Das Subsidiaritätsprinzip fordert i m Bereich der Sozialversicherung 505 lediglich, daß „an konkrete Bedürfnisse angeknüpft und der Autonomieverlust gegen den sozialen Sicherheitsgewinn abgewogen werde". „Die Abgrenzungsschwierigkeiten i m einzelnen können jedoch aus der Sicht des Prinzips nicht gelöst werden 5 0 6 ." Zwar ist also nicht „nur dort und insoweit für eine Sozialversicherung Raum, wo sozialpolitische Ziele sie notwendig erscheinen lassen, also anders nicht erreichbar sind" 5 0 7 und eine totale zwangsweise Staatsversicherung mag auch die letzten Grenzen der Subsidiarität überschreiten 508 . Dem Gesetzgeber bleibt aber ein so weiter Beurteilungs501 Zutr. Zeidler, K., V V d S t L 19, S. 214. 502 isenseee, J. (FN 467), S. 197. 503 Isensee, J., a.a.O., S. 253. 504 Isensee, J., a.a.O., S. 185/5. 505 Z u seiner Geltung dort vgl. Nachw. b. Isensee, J., Umverteilung, S. 76: ders., a.a.O., S. 286. Vgl. ferner noch Bogs, W. (FN 260), S. 81 f.; Rohrbeck, W., Wesen, Gehalt u n d Reform der deutschen Privatversicherung, 1949, S. 17; Schmatz, H. (FN 210), S. 270; Manes, A. (FN 179), S. 8/9. 506 Isensee, J., a.a.O. 507 Bogs, W. (FN 163), S. 82. 508 Achinger, H., i n : Neuordnung der soz. Leistungen (Achinger u. a.), S. 29.
I V . Grundrechte als Schranken erwerbswirtsch. freiwilliger SozV
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Spielraum, daß eine derart generelle und weitreichende Forderung wie der Ausschluß jeder erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit des Staates i m Versicherungsbereich auf das Subsidiaritätsprinzip nicht gegründet werden kann. Nach Geltungsweise und Inhaltsstruktur entspricht es weitgehend der Sozialstaatlichkeit, und es mag deren „allerallgemeinste Wirkungen" i n Richtung auf eine Expansion der Sozialversicherung — wenn man überhaupt solche annehmen wollte — wieder neutralisieren. Ein Prinzip, dem ganz allgemein, auch i n letzter Zeit wieder, überwiegend m i t Skepsis begegnet w i r d 5 0 9 , kann mehr nicht leisten. Die freiwillige Sozialversicherung ist also, qualifiziert man sie als erwerbswirtschaftliche Staatstätigkeit, nicht „an sich" unzulässig oder nur insoweit gestattet, als sie einen „notwendigen Annex der Pflichtversicherung" darstellt. Ihre Legitimation trägt sie dann vielmehr i n sich — i n der Rechtspersönlichkeit der Sozialversicherungsträger. Damit ist allerdings nicht entschieden, welchen Schranken diese Wirtschaftstätigkeit unterliegt. IV. Die Grundrechte als Schranken einer erwerbswirtschaftliclien freiwilligen Sozialversicherung Gegenüber einer rein fiskalisch verstandenen freiwilligen Sozialversicherung lassen sich Grenzen aus dem Vorbehalt des Gesetzes, aus der Legalität i m verwaltungsrechtlichen Sinn nicht gewinnen 5 1 0 — es fehlt gerade jener öffentliche Zweck, der allein hier beschränken könnte. Lediglich marktkonformes Verhalten kann verlangt werden 5 1 1 . Schranken der freiwilligen Sozialversicherung können sich dann nur aus den Grundrechten ergeben. 1. Grundrechtsschutz gegen Konkurrenz — Allgemeines
a) Voraussetzung für eine Grundrechtsbeschränkung der freiwilligen Sozialversicherung ist zunächst allgemein, daß die Grundrechte der 509 Vgl. dazu neuerdings Momberger, E. (FN 424), S. 87; Klein, H.H. (FN 84), S. 161 f. m. Nachw. (164); Stern, K., Burmeister, J. (FN 47), S. 148 f., die es allerdings n u r bei Verfolgung eines öffentlichen Zweckes ausschließen, für die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit dagegen offenbar allgemein gelten lassen wollen (S. 173); allg. skept. auch Lerche, P., Rundfunkmonopol, 1970, S. 67. 510 Zutr. Klein, H . H . (FN 94), S. 159; vgl. auch Püttner, G. (FN 94), S. 194; Schricker, H. (FN 27), S. 81; Rüfner, W. (FN 131), S. 232; Brohm, W., Strukturen der Wirtschaftsverwaltung, 1969, S. 48; Bachof, Ο. (FN 482), S. 21; vgl. auch Frentzel, G. F N 385), S. 13/4; vgl. ferner allg. dazu Leisner, W., Werbefernsehen, S. 130 f. m. Nachw. 511 Nachw. dazu bei Klein, H. H., a.a.O., S. 101.
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D. Die SozV als Konkurrenz der Privatversicherung
Privatversicherer der erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit der Träger entgegengehalten werden können, daß es eine „Fiskalwirkung der Grundrechte" gibt. Dies ist bereits früher eingehend begründet worden 5 1 2 . Der Fiskus ist als alter ego des hoheitlichen Staates niemals „wie ein Privatmann" behandelt worden 5 1 3 . Auch fiskalisches Handeln ist zuständigkeitsgemäße Tätigkeit zur Erfüllung von Staatsauf gaben 514 . Die Einheit der Grundrechtsordnung, welche alles Staatshandeln beherrscht, fordert auch die Bindung dieser Tätigkeitsform 5 1 5 . „Die Fiskalrichtung der Grundrechte" w i r d daher heute von der h. L. grundsätzlich bejaht 5 1 6 . Ebenso allgemein w i r d anerkannt, daß ein „Eingriff i n Grundrechte" durch Konkurrenz begrifflich möglich ist 5 1 7 . Wollte man dies ablehnen, so trüge man der Wirtschaftslenkung durch staatswirtschaftliche Betätigung nicht Rechnung, die heute aber eine mächtige Realität darstellt (vgl. oben I I I 2). Der Staat könnte sodann auf diese Lenkungsform mit der Folge ausweichen, daß die „StaatsWirtschaft" ein Vorgriff auf die Sozialisierung würde 5 1 8 . Dies aber darf nicht geschehen. Wer das nicht erkennt, verschließt die Augen vor der gefährlichsten Freiheitsbedrohung der Gegenwart.
512 Leisner, W., Grundrechte u n d Privatrecht, 1960, S. 196 f. 513 Dürig, G., i n Maunz-Dürig-Herzog, GG, A r t . 1 Abs. I I I , Rdnr. 135. 514 Mallmann, W., V V d S t L 19, S. 165 (196 f.). sis Zeidler, K., W d S t L 19, S. 208 (225 f.); Stern, K., J Z 1963, S. 181 (182). 516 Vgl. neben den Genannten noch Püttner, G. (FN 94), S. 170/1; Weber, W., Der Staat 4 (1965), S. 409 (438/9); Klinger, H., Die Werbe- u n d Verlegertätigkeit des Bay. Rundfunks, Diss. München 1970, S. 15; Bachof, O. (FN 482), S. 14 spricht von einer „ganz überwiegenden Meinung", von deren Ergebnis auch er ausgeht. Gegen eine Fiskalwirkung neuerdings Bettermann, K . A. (FN 484), S. 19 f. m. Nachw.; Klein, H . H . , a.a.O., S. 165 f. 517 Leisner, W., Werbefernsehen, S. 160; Bogs, H., Sozialversicherung, S. 393/4: I n die „Freiheit zur privatwirtschaftlichen Organisation v o n Erstund Rückversicherung k a n n der Staat i n zweierlei Weise eingreifen: Er kann selbst als Wettbewerber . . . " (Hervorh. v. Verf.); Scholz, R., Wettbewerbsrecht u n d öffentliche Hand, ZHR 132, S. 97 ff., 143/4: „Das individuelle Abwehrrecht jedes Grundrechts (muß) durch den Schutz seiner beabsichtigten sozialen Wirkung i n der Weise ergänzt werden, daß auch tatsächliches H a n deln oder privatrechtliche A k t i o n e n des Staates, die als A k t der Eingriffsverwaltung an einem Grundrecht scheitern müßten, w i r k s a m abgewehrt werden können"; siehe auch S. 170/1; Stern, K., Burmeister, J. (FN 47), S. 116, 128 f. i n Anschluß an Herzog u n d Püttner; Brohm, W. (FN 510), S. 49; ders., DVB1 1963, S. 41 (42). Z u r Widerlegung dieser These vgl. bereits oben I I I . 1. a). Klein, H. H. (FN 94), S. 177/8, 231 (der aber diese i m Text erwähnten Bedenken, die er sehr ernst nimmt, nicht zu entkräften vermag); Schricker, H. (FN 27), S. 77, nach dem n u r „reine Gewinnaussichten" geschmälert w e r den (dagegen vgl. unten 2.). I m Schulbuchfall meint der B a y V G H (n. F. 5, S. 224), ein gesetzlicher Schutz gegen Nachteile sei nicht gegeben, die ein privater Verlag erleide. sis Frentzel,
G. (FN 385), S. 12.
I V . Grundrechte als Schranken erwerbswirtsch. freiwilliger SozV
143
Der Grundrechtsschutz kann grundsätzlich immer nur „punktuell" w i r k e n 5 1 9 , also Belastungen einzelner Privatunternehmen betreffen 5 2 0 . Werden jedoch die Möglichkeiten der freiwilligen Sozialversicherung erweitert, so w i r d dies notwendig mit einer Allgemeinheit erfolgen, welche eine ganze Sparte der privaten Versicherungswirtschaft betrifft. Dies aber steht einer Grundrechtswirkung nicht entgegen, die dann eben „gebündelt" zum Tragen kommt. b) „Eingriff " i n die Grundrechte ist hier die ausgeübte wirtschaftliche Tätigkeit selbst, nicht der organisatorische A k t , der sie ermöglicht oder gar ein Gesetz, welches sie den Trägern der Sozialversicherung gestatten würde. Dies verlangt die Folgerichtigkeit der dogmatischen Konstruktion: Wenn man die freiwillige Sozialversicherung als Form der Leistungsverwaltung auffaßt, so bedarf sie einer gesetzlichen Ermächtigung; diese ist dann an den Grundrechten zu messen, ebenso wie eine gesetzliche Erweiterung der Pflichtversicherung. Faßt man sie jedoch als rein erwerbswirtschaftliche Staatstätigkeit und verlangt für diese keine andere Legitimation als die allgemeine Qualität der Sozialversicherungsträger als Rechtssubjekte (vgl. oben I I I 3), so kann nur der „faktische Wettbewerbseingriff" grundrechtsverletzend wirken. 2. Grundrechtsschutz der Privatversicherung gegen freiwillige Sozialversicherung
a) Berufsfreiheit Freiwillige Sozialversicherung berührt die Berufsfreiheit der Privatversicherung, wenn man von den vorstehend dargelegten Prämissen ausgeht 521 . Hier müssen nur die Kategorien des Apothekenurteils sinngemäß angewendet werden, soll der Grundrechtsschutz wirksam werden. aa) Bleibt die Berührung „am Rande", so findet der Eingriff auf der Ebene der Berufsausübungsregelung statt und w i r d damit durch den allgemeinen Gesetzesvorbehalt gedeckt — die öffentliche Hand kann auf Grund ihrer Privatautonomie i n dieser Weise der Berufsfreiheit Privater Grenzen setzen. bb) Solange die Privatversicherung durch eigene geschäftliche A k t i v i t ä t , durch wirksames Konkurrenzverhalten, sich i m Wettbewerb behaupten kann, liegt zwar eine Berührung der Berufswahlfreiheit vor, 519
Vgl. dazu Püttner, G. u n d Scholz, R., a.a.O. Anders i m F a l l der Sozialisierung, die gerade erst dann vorliegt, wenn eine ganze Kategorie getroffen wird, dazu oben C. V., 4. 521 Bachof, O. (FN 482) geht f ü r das Werbefernsehen zu rasch über die Frage hinweg (S. 19), w e n n von einer Grundrechtsbindung auszugehen ist (vgl. S. 14). 520
144
D. Die SozV als Konkurrenz der Privatversicherung
jedoch nur auf der Stufe der „subjektiven Zulassungsschranken". Der staatliche Wettbewerb muß also durch ein wichtiges Gemeinschaftsgut legitimiert sein, das es zu schützen gilt. Dies weist die freiwillige Sozialversicherung i n Schranken: Sie kann den Wettbewerb mit der Privatversicherung nicht beliebig, sondern nur insoweit aufnehmen, als diese keine wirksamen Leistungen erbringt, als daher eine „Marktkorrektur durch Wettbewerb" (vgl. dazu oben I I I 2) erforderlich wird. Dies wiederum ist weder erforderlich noch verhältnismäßig, solange andere insbesondere aufsichtliche Möglichkeiten zur Beseitigung der Dysfunktion des Marktes zur Verfügung stehen. Die Träger der Sozialversicherung unterliegen insoweit einem speziellen Legitimationszwang, dem sie angesichts des umfangreichen Instrumentariums der Versicherungsaufsicht heute kaum genügen könnten, wenn sie die freiwillige Versicherung weiter ausdehnen, insbesondere sie über die herkömmliche Weiterversicherung hinaus entwickeln wollten. Diese nämlich läßt sich leichter rechtfertigen: Sie steht i n engem Zusammenhang mit der Pflichtversicherung, stellt deren „Verlängerung" dar, kann bei Änderung der Verhältnisse wieder i n diese übergehen und entspricht damit einer globalen Weiterbetreuung derjenigen, die pflichtversichert waren. Die Begründung versagt jedoch, sobald diese enge Verbindung mit der Pflichtversicherung aufgehoben wird. Dann kann sie nur auf Marktversagen gestützt werden. Die Maßnahmen der Versicherungsaufsicht werden hier in aller Hegel nicht die schwereren, sondern die leichteren und damit durch die Verhältnismäßigkeit gebotenen Formen der Staatsintervention darstellen, während der Wettbewerb seitens so mächtiger und zudem privilegierter Träger (dazu unten V) immer die Gefahr übermäßigen Eingriffs mit sich bringt. cc) W i r d jedoch der Wettbewerb seitens der freiwilligen Sozialversicherung i n massiver Weise aufgenommen, so daß die Privatversicherung branchenweise i n Existenzgefahr gerät (systematisches Unterbieten, Angebote unter Selbstkosten), so w i r k t der Eingriff des Fiskus auf der Ebene der Berufswahlfreiheit, er w i r d zum Erdrosselungswettbewerb 522. Die Voraussetzungen für eine solche Wirkung des Wettbewerbs der freiwilligen Sozialversicherung dürfen nicht leichtfertig bejaht werden, weil sich dies als ein indirektes Verbot wirtschaftlicher Tätigkeit der öffentlichen Hand auswirken müßte, von dem nach den Prämissen dieses Abschnitts nicht auszugehen ist. Sie lägen nur vor, wenn 522 Z u m Verbot einer Drosselung des privaten Wettbewerbs durch die öffentliche H a n d vgl. B V e r w G E 17, S. 306 (309).
I V . Grundrechte als Schranken erwerbswirtsch. freiwilliger SozV
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— die fehlende dauernde Rentabilität der Privatversicherungsunternehmen insgesamt oder einer Sparte m i t Sicherheit auf die Konkurrenz der Sozialversicherung zurückzuführen und ohne diese nicht festzustellen wäre, — die Rentabilität nicht durch unternehmerische Leistung wiederhergestellt werden könnte. Durch die Berufswahlfreiheit w i r d nicht ein Unternehmen i n seiner konkreten Gestalt, sondern die Freiheit gewährleistet, dem Beruf nachzugehen. Wohl dürften hier nicht überhöhte Anforderungen an die unternehmerische Leistung gestellt werden, es kann aber kein ruhiger Genuß i n concreto erreichter Position gewährleistet sein, — die mangelnde Rentabilität nicht nur Folge der allgemeinen W i r t schaftslage wäre und — der Beruf eines Privatversicherers einer bestimmten Sparte überhaupt nicht mehr gewählt werden könnte; es müßte dies also nicht nur i n einer gewissen Größenordnung, i n bestimmten Bereichen, hinsichtlich bestimmter Versicherungsleistungen unmöglich werden, sondern generell innerhalb eines Rahmens, der durch ein Berufsbild bestimmt wird. Die private Krankenversicherung etwa könnte berufssperrend getroffen werden. Eine Verletzung der Berufswahlfreiheit durch freiwillige Sozialversicherung hielte sich nur dann noch i m Rahmen der Verfassung, wenn sie zur Abwehr von schwerwiegenden Gefahren für ein überragendes Gemeinschaftsgut unumgänglich wäre. Dies könnte kaum je nachgewiesen werden: Daß ζ. B. Zusatzversicherung i m Krankenbereich „unbedingt" auch durch die Sozialversicherungsträger gewährt werden müsse, ließe sich nicht erweisen, selbst dann nicht, wenn man den Begriff der „sozialen Schutzbedürftigkeit" noch so weit ausdehnen wollte. Überdies verlangt A r t . 12 GG, daß das überragende Gemeinschaftsgut gerade in dieser Weise und auf keine andere gesichert werden muß. Die Sozialversicherungsträger würden jedoch durch derartige Expansionen gegen ihre eigenen, immanenten Strukturelemente verstoßen (Selbstverwaltung, Homogenität). Die freiwillige Sozialversicherung wäre also nicht einmal das geeignete, geschweige denn das unbedingt erforderliche Mittel. A n die Legitimation eines solchen Eingriffs i n die Berufswahlfreiheit wären schließlich noch weitergehende Anforderungen zu stellen als an die bisherige Pflichtversicherung (dazu oben C a. E.). Diese mag i n ihrer herkömmlichen Gestalt durch das überragende Gemeinschaftsgut der Behebung sozialer Schutzbedürftigkeit in Formen organisierter Selbsthilfe legitimiert werden. Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß die Pflichtversicherung sich der Privatversicherung gegenüber bisher nur als eine partielle Berufssperre auswirkt. Dem darf 10 Leisner
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D. Die SozV als Konkurrenz der Privatversicherung
auch eine geringere Legitimationsintensität entsprechen. Würden jedoch zu ihren Auswirkungen noch die Effekte einer Expansion der freiwilligen Sozialversicherung kommen, so träte die Gefahr völliger Berufsverdrängung für die Privatversicherung auf — an die Begründung derartiger Staatseingriffe müßten weit strengere Anforderungen gestellt werden; die Erforderlichkeit müßte proportional der berufssperrenden Wirkung des Wettbewerbs zunehmen. Dieser „Beweislast", welche dem Staat obläge, könnte kaum genügt werden. Eine Expansion des Wettbewerbs durch die freiwillige Sozialversicherung müßte unter heutigen Umständen berufssperrend wirken und wäre damit verfassungswidrig. Dies gilt insbesondere für den Einbruch der Sozialversicherungsträger i n das Geschäft der Zusatzversicherung der P K V . b) Eigentumsfreiheit Eine für die Privatversicherung existenzgefährdende Expansion der freiwilligen Sozialversicherung würde auch i n das Eigentum an den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieben der privaten Versicherer eingreifen. Soweit dies spartenspezifisch geschähe, wäre es zwar eine Form der kalten Sozialisierung durch Wettbewerb (vgl. oben C V, insbes. 1 4). Es käme aber nur der Schutz des A r t . 14 Abs. I und I I I GG zum Zuge; der Wettbewerb würde enteignend i m technischen Sinne wirken, nicht sozialisierend, weil die Sozialisierung nur „durch Gesetz" erfolgen kann. Dies setzt jedoch voraus, daß „durch Wettbewerb" (begrifflich) überhaupt enteignet werden kann. Dies wurde gelegentlich abgelehnt 523 , es ergibt sich jedoch aus folgenden Erwägungen: aa) Nach der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte zum Begriff des enteignenden Eingriffs kann „Konkurrenz durchaus Eingriff" sein. Das Eigentum ist gegen Gesetz, Verwaltungsakt, Tathandlung gleichermaßen geschützt 524 . Der Eingriff muß zwar stets „unmittelbar" sein 5 2 5 . Dies aber t r i f f t für die Konkurrenz auch insoweit zu, als sie nur eine „tatsächliche Beeinträchtigung" darstellt 5 2 6 — auch dies genügt. Konkurrenz berührt primär den Good Will, den Kundenstamm eines Be523 v g l . Nachw. dazu bei Leisner, W., Werbefernsehen, S. 183. 524 So ausdr. B G H Z 86, S. 40 (42). 525 Dazu grds. B G H Z 55, S. 229 (231); 56, S. 40 (42); zur Terminologie Schack, F., Enteignungsentschädigung bei nicht beabsichtigten Schäden, DÖV 1965, S. 616 (618 f.); Maunz-Dürig-Herzog, GG, A r t . 14, Rdnr. 86; Berger, J., Das K r i t e r i u m der Unmittelbarkeit i n der Rspr. d. BGH, Diss. Würzburg, 1970, S. 1 ff. (34 f., 108 f.). 526 B G H Z 6, S. 270 (291); 17, S. 96 (101 f.); 30, S. 338 (350), std. Rspr.
I V . Grundrechte als Schranken erwerbswirtsch. freiwilliger SozV
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triebes, gerade dies aber genügt zur Annahme eines Eingriffs 5 2 7 . Der Eingriff muß auch nicht i n dem Sinn gezielt sein, daß etwa die Erweiterung der freiwilligen Sozialversicherung sich primär gegen die Privatversicherung richten solle 5 2 8 . „Eingriff" ist die Konkurrenz auch dann, wenn man die Unmittelbarkeit m i t dem Fehlen eines Zwischengliedes, einer Zwischenursache zur Schädigung definiert 529 . Daß also i m Wege des Wettbewerbs eingegriffen wird, ändert an der rechtlichen Beurteilung nichts 5 3 0 . bb) Die Judikatur des BVerwG bestätigt dies. Es hat i n einem Fall, i n dem sich private Versicherer gegen die Zulassung einer öffentlichen Feuerversicherungsanstalt gewandt und eine Verletzung von A r t . 14 GG durch Konkurrenz gerügt hatten, die Rüge zwar zurückgewiesen, aber nur, w e i l erst die Betätigung auf Grund der Zulassung die wirtschaftliche Stellung der Kläger unmittelbar beeinträchtigen könne. Zur Zeit sei aber nicht ersichtlich, wie weit sich die Konkurrenz auf den Geschäftsbetrieb auswirken werde 5 3 1 . Hätte das Gericht begrifflich die Möglichkeit einer Enteignung durch Wettbewerb ausgeschlossen, so wäre das Argument ohne Hinweis auf künftige Auswirkungen zurückgewiesen worden 5 3 2 . Deutlich hat das BVerwG i n einer Privatschulentscheidung die Konkurrenz seitens der öffentlichen Hand als Eingriff qualifiziert 5 3 3 : Hier müßten auch solche Maßnahmen i n Betracht gezogen werden, die sich finanziell besonders nachteilig auf das Privatschulwesen auswirkten. Dies könne nicht nur durch staatliche Eingriffe, sondern auch dadurch herbeigeführt werden, daß etwa der Besuch der öffentlichen Schulen besonders anziehend ausgestaltet werde — also durch eine Form ruinöser Konkurrenz. Das Urteil ist voll analogiefähig für die Beziehungen der Privatversicherung zur freiwilligen Sozialversicherung. 527 B G H Z 23, S. 157 (161 f.); 29, S. 65 (67 f.). 528 Das frühere Erfordernis der Direktheit (dazu Kröner, H., Die Eigentumsgarantie i n der Rspr. d. BGH, 1961, S. 25 f.) ist aufgegeben worden — B G H Z 37, S. 44 (46 f.). B G H N J W 1964, S. 104; B G H DÖV 1965, S. 203; B G H Z 48, S.46 (49); B G H DVB1 1968, S. 212 (214); B G H Z 55, S. 229 (231). Vgl. ferner Gronefeld , V., Preisgabe u n d Ersatz des „Eingriffs" i n der Rspr. d. B G H und des B V e r w G 1972, S. 14/5, 98 f. 529 v g l . Berger, J., a.a.O., S. 109 f., 116; Wagner, H., Eingriff u n d u n m i t t e l bare E i n w i r k u n g i m öff. Entschädigungsrecht, N J W 1960, S. 569 (572); dazu auch Gronefeld , V., a.a.O., S. 138. 530 Jesch, D., N J W 1962, S. 428 (429/30). 531 B V e r w G JZ 1964, S. 452 (454). 532 Die weitere Feststellung des BVerwG, daß Art. 14 n u r verletzt wäre, wenn die anderen Zugelassenen eine Monopolstellung erlangten, weist zutreffend darauf hin, daß nicht jede Konkurrenz, sondern n u r die übermächtige das Eigentum verletze. 533 B V e r w G E 23, S. 347 (349). 10*
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D. Die SozV als Konkurrenz der Privatversicherung
cc) Die Rechtsprechung des BVerfG steht der Annahme einer Eigentumsverletzung durch Konkurrenz nicht entgegen. Das BVerfG stellt zwar fest, daß A r t . 14 GG nicht gegen Konkurrenten schützt 534 . Dieser Satz, der i n seiner Allgemeinheit übrigens nicht durch die bisherige Judikatur des Gerichts gedeckt ist 5 3 5 , g i l t aber ersichtlich nur gegenüber der privaten Konkurrenz, die grundsätzlich vom Staate zugelassen werden muß, weil die Bedürfnisprüfung unzulässig i s t 5 3 6 ; diese darf nicht auf dem Umweg über Art. 14 GG legitimiert werden. Daß damit nicht etwa eine Entscheidung über die Frage der Zulässigkeit staatlicher Konkurrenz getroffen werden sollte, zeigt der Zusammenhang aller einschlägigen Urteile eindeutig, ebenso ergibt sich dies aus der Tatsache, daß sich das BVerfG unbestritten bisher nicht grundsätzlich zur Fiskalrichtung der Grundrechte geäußert hat. Das Eigentum der Privatversicherung kann also durch die freiwillige Sozialversicherung verletzt werden. Ob dies der Fall ist, hängt von der Schwere des Eingriffs ab 5 3 7 . Nur eine erhebliche Einbuße, welche das Unternehmen als solches gefährdet, kann an sich schon, aus dem Begriff des Eigentums am Gewerbebetrieb heraus, den Verfassungsschutz auslösen. Bei einem Eingriff durch Konkurrenz müssen zudem die „normalen" Auswirkungen eines möglicherweise auch scharfen Wettbewerbs abgezogen werden. Eine übermächtige Konkurrenz, welche sich dem Monopol nähert, w i r k t aber auf jeden Fall als Eigentumsverletzung 5 3 8 . N u n sind aber die „geschäftlichen Fronten" i m Versicherungsbereich i n einer Weise verhärtet, daß jede wesentliche Verschiebung durch Konkurrenz nicht nur meist deutlich feststellbar ist, sondern auch die Privatversicherung sehr leicht i n Existenzgefahr bringen kann. Da diese Besonderheiten des Bereiches beachtet werden müssen, i n dem sich der Eingriff vollzieht, dürfte jede weitere nicht unerhebliche Expansion der freiwilligen Sozialversicherung ein verfassungswidriges Verhalten der öffentlichen Hand bedeuten. Sie würde sich als Enteignung darstellen, was die Entschädigungsfolgen aus A r t . 14 Abs. I I I GG auslösen müßte. 534 So etwa i n einem neueren U r t e i l : 1 B v R 426/72, v. 1.2.1973. 535 v o n den dort zitierten Urteilen befaßt sich E 11, S. 192 (202) m i t dem Schutz eines öffentlichen Amtes, E 28, S. 119 (142) n u r m i t der A r t der etwa geschützten Rechtsposition, wobei der unbestrittene Satz zugrunde gelegt wird, daß reine Chancen nicht durch A r t . 14 GG geschützt werden; das Pflichtbevorratungsurteil betrifft schließlich gar nicht die Konkurrenz (BVerfGE 30, S. 292 (334/5)). 536 So i n scharfen Wendungen das BVerfG i n ständiger Rspr. : Konkurrenzschutz rechtfertigt keine Berufszulassungssperre, E 7, S. 377 (408); 11, S. 30 (45/6); 11, S. 168 (188); 12, S. 144 (148). 537 v g l . zu diesem K r i t e r i u m für die Versicherung oben B. I I . 2. 538 So auch B V e r w G JZ 1964, S. 452 (454).
I V . Grundrechte als Schranken erwerbswirtsch. freiwilliger SozV
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Wenn allerdings eine „Spartenenteignung" oder gar eine Totalenteignung der gesamten Versicherung durch Wettbewerb erfolgen sollte, so wären auch die letzten Schranken überschritten, welche der Wesensgehalt des Eigentums (Art. 19 Abs. I I GG) zieht: Hier würde der Begriff des Privateigentums ausgehöhlt, indem er für eine wichtige Kategorie als Rechtsform überhaupt nicht mehr zur Verfügung stünde, für welche er bisher nach „bürgerlichem Recht und gesellschaftlicher Anschauung" (BVerfG) gegolten hatte. A r t . 14 GG schützt also die Privatversicherung gegen die Konkurrenz der Sozialversicherung nicht unter dem Gesichtspunkt der Entfaltungsfreiheit, sondern dem der von ihr bereits geschaffenen Substanz. c) Wettbewerbsfreiheit Von der h. L. w i r d eine sog. (verfassungsrechtliche) Wettbewerbsfreiheit aus Art. 2 Abs. I GG als ein besonderer Aspekt der allgemeinen Handlungsfreiheit abgeleitet 539 . Für den Versicherungsbereich ist Art. 2 Abs. I GG bisher meist als mögliche Schranke der Pflichtversicherung diskutiert und verworfen worden; hier stand der Aspekt der Vertragsfreiheit i m Vordergrund 5 4 0 . Das BVerfG erkennt sie als Maßstab der Expansion der Sozialversicherung an — aber zum Schutz der Versicherten, nicht der Versicherer 541 . Geht man von der Fiskalrichtung der Grundrechte aus, so zeigt die Wettbewerbsfreiheit folgende mögliche Schutzrichtungen: — Sie schützt die Privatversicherung gegen die öffentliche Hand, weil diese ein „übermäßig starker Konkurrent" ist 5 4 2 . Hier soll eine gewisse 543 Wettbewerbsgleichheit zwischen den Konkurrenten hergestellt werden. 539 Vgl. f. viele grdl. Ipsen, H. P., Rechtsfragen zur Ausgliederung des Werbefernsehens, N J W 1963, S. 2103 (2107); Nipperdey, H. C., Soziale M a r k t wirtschaft u n d GG, 2. A. 1961, S. 26; Dürig, G., Verfassung u n d Verwaltung i m Wohlfahrtsstaat, J Z 1953, S. 193 (198); ders., i n Maunz-Dürig-Herzog, GG, A r t . 2 Abs. I, Rdnr. 52; Bogs, H., Sozialversicherung, S. 491; Huber, E. R., Der Streit u m das Wirtsch. Verf. R., DÖV 1956, S. 1351; Scheuner, U., W d S t L , 11, S. 61; B V e r w G JZ 1964, S. 452, Ls 2; zurückhaltend Lerche, P., Übermaßverbot u n d Verfassungsrecht, 1962, S. 276 m. Nachw.; ablehnend Scholz, R. (FN 517), S. 105; Thiele, W. (FN 386), S. 202). 540 Bogs, W., DVB1 1969, S. 335 (337); Zweigert, K., Facilides, F. (FN 23), S. 5 1 , 14; vgl. auch Ipsen, H. P., W d S t L 28, S. 248; a. A. Schmidt, W. (FN 8), S. 308. 541 BVerfGE 10, S. 354 (363). 542 z . B. Dürig, G., i n : Maunz-Dürig-Herzog, GG, Rdnr. 52 zu A r t . 2 Abs. I. 543 Mag es auch ein allgemeines Gebot vollständiger Chancengleichheit für Tatbestände des Wirtschaftslebens nicht geben (Doerry, A. (FN 62) m. Nachw. ζ. Rspr d. BVerwG).
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D. Die SozV als Konkurrenz der Privatversicherung
— Sie verpflichtet den Staat, den Wettbewerb als solchen „zwischen Privaten" zu gewährleisten 544 . Dagegen könnte der Staat verstoßen, wenn er selbst als Konkurrent auftritt, obwohl der Wettbewerb sich ohne seine (selbst fiskalische) „Intervention" ebenso gut und ausgeglichen abspielen kann. Gewährleistet w i r d die Freiheit, nur mit Privaten zu konkurrieren. Dieser letztere Schutzaspekt kann hier nicht i n Betracht kommen — er würde auf ein grundsätzliches Verbot der erwerbswirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand hinauslaufen, was den Voraussetzungen dieses Abschnitts widerspräche. Bleibt es aber bei der Wettbewerbsgleichheit, so ist Art. 2 Abs. I GG insoweit gegenüber A r t . 12 GG i n gewissem Sinne das „engere" Recht: Nur gegen Wettbewerb sichert es, nicht gegen jede A r t der Schädigung oder Beeinträchtigung der Berufsfreiheit durch gewerbliche Tätigkeit der öffentlichen Hand wie dies bei A r t . 12 Abs. I GG der Fall ist (vgl. oben a)). Hier würde die Wettbewerbsgleichheit dadurch verletzt, daß die öffentliche Hand selbst als übermächtiger Konkurrent auftritt 5 4 5 . Auch dieser Schutzaspekt von Art. 2 Abs. I GG (Wettbewerbsgleichheit) steht jedoch unter allgemeinem Gesetzesvorbehalt („verfassungsmäßige Ordnung") und bietet daher weniger Schutz als Art. 12 GG (vgl. oben a)). Bei schwerwiegender Wettbewerbsungleichheit, welche den Wesensgehalt dieses Aspekts der Entfaltungsfreiheit berühren könnte, wäre jedoch diese neben A r t . 12 GG verletzt. 3. Ergebnis: Verpflichtung zur Zurückhaltung in der freiwilligen Sozialversicherung
a) Faßt man das Ergebnis dieser Darlegungen zu den Grundrechtsschranken zusammen, so zeigt sich: Die öffentliche Hand, hier die Träger der Sozialversicherung, haben i m Konkurrenzraum mit der Privatversicherung nicht etwa freie Hand, sie müssen vielmehr jeden Verdrängungswettbewerb und jeden schweren konkurrenziellen Eingriff i n die Substanz der Privatversicherungsbetriebe unterlassen. Dies ist der konkrete Ausfluß des allgemeinen Grundsatzes, daß sich der Staat i m Wettbewerb besonderer Zurückhaltung befleißigen muß 5 4 6 , weil er ein besonders gefährlicher Wettbewerber ist 5 4 7 : Der Einsatz staatlicher Wettbewerbsunternehmen gefährdet eben Private „ i n einem höheren 5 4 4 Dazu Fischerhof, H., „Daseinsvorsorge" u n d wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden, D Ö V 1960, S. 41 (43/4). 545 v g l . dazu Jürgens, E., Verfassungsmäßige Grenzen der Wirtschaftswerbung, V e r w A r c h 53 (1962), S. 105 (142). 546 so zutr. O L G München, N J W 1958, S. 1298 (1300, 1302). 547 Richtig i m Ansatz Klein, H. H. (FN 94), S. 222/3.
V. Wettbewerbsprivilegien der freiwilligen SozV
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Maße, als das durch das Vorhandensein eines Konkurrenzbetriebes ohnehin bedingt ist", und zwar wegen des „regelmäßigen, auch unabhängig von der Möglichkeit staatlicher Finanzhilfen bestehenden Übergewichts der öffentlichen Unternehmen 5 4 8 ". Die freiwillige Sozialversicherung darf die Privatversicherung weder vom Markt verdrängen, noch schwer in ihrer Substanz schädigen. Insoweit ist dies nicht der allgemeine, letztlich auf Vernichtung des Gegners gerichtete Wettbewerb, sondern eine grundrechtlich gezügelte Konkurrenz. b) Die Veränderungs- und Enteignungseffekte müssen allerdings stets unter Abzug eines gewissen „normalen Konkurrenzeffekts" beurteilt werden — denn zur Teilnahme am Versicherungsgeschäft ist ja der Staat nach der Prämisse dieses Abschnitts legitimiert. Nur das also, was durch marktkonformes Verhalten, durch versicherungswirtschaftliche Kräfteanstrengung von der Privatversicherung nicht überwunden werden kann, liegt i n der Zone des Verfassungswidrigen. Dabei müssen aber vielfache rechtliche und faktische Vergünstigungen berücksichtigt werden, welche der Sozialversicherung aus ihrem öffentlich-rechtlichen Status, aus ihrer Organisationform und aus ihren legitimen Aufgaben, insbesondere aus der Pflichtversicherung, erwachsein. Es kann der Privatversicherung nicht zugemutet werden, auch das noch durch eigene Anstrengungen abzugleichen, was an sich schon ein Konkurrenzprivileg der öffentlichen Träger darstellt. Dies alles muß sich vielmehr die Sozialversicherung i n dem Sinne zurechnen lassen, daß sie u m so mehr Zurückhaltung übt, als diese Privilegien sich spartenspeziflsch zu ihren Gunsten auswirken. Die wettbewerbliche Zurückhaltung muß von Verfassungs wegen verhältnisgleich sein der Wettbewerbswirkung ihrer Privilegien. Diese gilt es nun zu ermitteln. V. Die Privilegien der freiwilligen Sozialversicherung im Wettbewerb m i t der Privatversicherung 1. Der allgemeine Wettbewerbsvorsprung der Sozialversicherung — die Risikolosigkeit
„Besondere Privilegierungen öffentlicher Unternehmungen i m Wettbewerb bedürfen — schon als Abweichung vom gemeinen Recht — gesetzlicher Grundlage 5 4 9 ." Das Konkurrenzverhältnis P K V - G K V zeigt, daß dieser Satz „praktisch weitestgehend Theorie" bleibt: Die öffentliche Hand genießt einen allgemeinen W ettbewerbsv or sprung , der sich 548 Klein , H. H., a.a.O. 549 Rüfner, W. (FN 131), S. 233.
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D. Die SozV als Konkurrenz der Privatversicherung
aus ihrer Natur als Teil der Staatlichkeit ergibt, oder aber aus der notwendigen und engen Verbindung der freiwilligen Sozialversicherung m i t der Pflichtversicherung sowie aus der verfassungsrechtlichen Sonderstellung der Sozialversicherung folgt und sich normativ nur schwer oder gar nicht verhindern läßt. a) Die freiwillige Sozialversicherung w i r d von juristischen Personen des öffentlichen Rechts getragen. Diese sind zwar nicht schon kraft Gesetzes, als Teil der öffentlichen Hand, völlig konkursunfähig 5 5 0 , wohl aber, indirekt, deshalb, weil eine staatliche Zuschußmöglichkeit besteht, die sich i n solchem Extremfall schon aus sozialstaatlichen Gründen zu einer Zuschußverpflichtung steigern kann. Soweit ein eigentumsrechtlicher Schutz von Sozialversicherungspositionen anerkannt wird, können die Träger der Sozialversicherung auch i n schwierigster wirtschaftlicher Lage ihre Leistungen nicht ermäßigen. Ein Sozialversicherungskonkurs wäre jedenfalls reine Theorie. Dasselbe Privileg gilt für die gesamte freiwillige Sozialversicherung, die ja von denselben Personen des öffentlichen Rechts getragen wird. Die unbegrenzt leistungsfähige Staatsgewalt wirkt hier als die sicherste Rückversicherung, die es geben kann; Rückversicherungen sind nicht konkursunfähig, ihre Leistungsfähigkeit hat Grenzen — nicht so die mächtigste der Rückversicherungen, der allmächtige Steuerstaat. Alle Bürger stehen mit ihrer gesamten Finanzkraft hinter einem an sich schon sehr starken Konkurrenten — kann man das noch Wettbewerb nennen? Hier zeigt sich der Mißbrauch der Organisationsformen öffentlichen Rechts für privatwirtschaftliche Zwecke des Fiskus ganz allgemein. Öffentliche Körperschaften und Anstalten sind systematisch gerechtfertigt nur dort, wo die Unbedingtheit der Aufgabenerfüllung jeden Konkurs ausschließt, nicht aber i n einem freien Wettbewerb, den es ohne Konkursrisiko überhaupt nicht geben kann. Eine lange Periode w i r t schaftlicher Prosperität hat dies vergessen lassen; heute t r i t t es wieder besonders ins Bewußtsein. Und dies verstärkt nun noch die „Wettbewerbsverzerrung durch Rechtsform": Je bedrohlicher die Lage der P K V infolge der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung sich gestaltet, desto größer w i r d gerade der Vorsprung der öffentlichen Hand, die keine 550 Jur. Personen d. ö. R. sind grundsätzlich konkursfähig, nicht allerdings B u n d u n d Länder (vgl. § 213 KO, dazu Jaeger-Lent u. a., Komm. z. KO, 8. Α., II/2, R N 2 zu § 231). Nach A r t . I V E G Konk. Nov. k a n n jedoch das Landesrecht hier den Konkurs beschränken oder ganz ausschließen (vgl. etwa Art. 10 B a y A G ZPO). F ü r die Träger der Sozialversicherung ist zwar der Konkurs nicht ausdrücklich ausgeschlossen worden (vgl. Jaeger u. a. a.a.O.) er soll aber allenfalls bei K r a n k e n - u n d Ersatzkassen i n Betracht kommen (dazu Peters, H., Hdb. d. Krankenvers., Teil I I , Anm. 4 d zu § 267 RVO).
V. Wettbewerbsprivilegien der freiwilligen SozV
153
vergleichbaren speziellen Veranstaltungen treffen muß, u m ein Risiko zu vermeiden, das ihr von ihrer Rechtsform abgenommen wird. I m Versicherungsbereich wirken solche „natürlichen" Privilegien stärker als irgendwo sonst. Er muß ganz allgemein die Risiken der Wirtschaftsentwicklung auffangen, bei i h m laufen vielfache, heterogene Sonderbelastungen zusammen. Sein Wesen besteht i n dauernder Leistungsfähigkeit; maximale Konkurssicherheit ist seine wichtigste Leistung gegenüber den Versicherten. Die erste Leistung der Versicherung ist ihre Existenz. Und gerade darin, i m Zentrum ihrer Unternehmensinteressen w i r d die Privatversicherung durch die Rechtspersönlichkeit der Träger der freiwilligen Sozialversicherung getroffen. b) Die Bedeutung der Staatsgarantie für die freiwillige Sozialversicherung zeigt sich nicht nur i m Extremfall der akuten Konkursgefahr: Sie hat „Vorauswirkungen", welche der Sozialversicherung, gerade heute, ein besonderes Prestige der Sicherheit gewähren, wie es Privatunternehmen selbst bei größten Anstrengungen, nie erreichen können. Hier geht es nicht u m das „besondere Ansehen" 5 5 1 , welches jede i m weiteren Sinn „staatliche Veranstaltung durch ein etwaiges Vertrauen auf die besonders „seriöse" Staatlichkeit genießt. E i n derartiger Ansehensvorsprung mag heute allgemein weithin durch Ansehensgewinn jener Privatwirtschaft ausgeglichen oder gar überholt sein, der von vielen Bürgern mehr Effizienz und Beweglichkeit zugetraut w i r d als dem „schwerfälligen" Apparat der Bürokratie. Doch i m speziellen Fall der Versicherung vergrößert sich der Vorsprung laufend: Das Wesen der Sozialversicherung liegt i n der Wertbeständigkeit ihrer Leistungen (vgl. oben C IV), vor allem in Zeiten der Inflation. Diese Wertbeständigkeit aber gilt auch für die freiwillige Sozialversicherung. Sie begründet eine „allgemeine Zukunftsäquivalenz" von Prämie und Leistung, die weit schwerer wiegt als die heute kalkulierbare Individualäquivalenz der „klassischen" Versicherung. Der Bürger w i r d daher selbst erhebliche soziale Umverteilungseffekte innerhalb der Sozialversicherung i n Kauf nehmen, nur u m eine unbedingte Grundsicherung auch bei der Weiterversicherung zu erreichen. Der wirtschaftlich Starke w i r d bereit sein, den Schwächeren weitgehend mitzufinanzieren, wenn ihm dessen massenpolitisches Gewicht indirekt über die Pflichtversicherung eine Basis-Sicherung unbedingt gewährt. M i t Blick auf die Versicherten mag dies sozialpolitisch, ja sogar rechtlich vielleicht noch vertretbar sein — immerhin kaufen die „Reichen" bei den „Armen" die Sicherheit 552 . Die Wettbewerbsgleichheit aber w i r d 551
So für die Sachversicherung etwa Bogs, H., Sozialversicherung, S. 491. Ob dies sozialpolitisch vertretbar ist, ob diese A r t von Grundsicherung nicht eben nur den wirtschaftlich Schwachen zugute kommen sollte, mag hier offen bleiben. 552
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D. Die SozV als Konkurrenz der Privatversicherung
hier nicht nur faktisch, sondern rechtlich gebrochen. Der leistungskräftige Angehörige freier Berufe etwa w i r d hier gar keine echte „Wahl" mehr sehen, weil ihm die freiwillige Sozialversicherung „etwas anderes", nämlich eine (möglicherweise geringe) Leistung m i t unvergleichlich größerer Sicherheit anbietet. Diese Unterschiede sind so bedeutend, sie betreffen derart das Zentrum des Versicherungsinteresses des Bürgers, daß man fragen könnte, ob hier begrifflich überhaupt noch von einem „Wettbewerb" gesprochen werden kann, der doch „gleiche" Leistungen verlangt. Die Unterschiede lassen sich überdies unmittelbar auf gesetzliche Gestaltungen zurückführen — auf die Pflichtversicherung einer-, auf die Garantiefunktion der öffentlichen Hand andererseits. Eine „wahre Konkurrenz" kann es hier nie geben. Was die öffentliche Hand durch ihre Rechtsform gewinnt, das müßte sie jedenfalls durch besondere Zurückhaltung ausgleichen — nur: wie lassen sich die Effekte einigermaßen faßbar fixieren, kann es hier je mehr geben als ein allgemeines Fairneßgebot, das den Wettbewerbsvorsprung kompensiert? Wollte man darauf das rechtliche Rücksichtsnahmegebot beschränken, so würde sich der Staat seinen Verpflichtungen aus einer selbstgesetzten besonderen Rechtslage entziehen. Wie dem natürlichen Wettbewerbsvorsprung der Rechtsform durch Konkurrenzzurückhaltung Rechnung zu tragen ist, kann i m einzelnen nur der Gesetzgeber entscheiden. Dem Grunde nach ergibt sich diese Verpflichtung schon aus der Gleichheit und damit letztlich aus Art. 3 Abs. I GG, der zugleich die Pflicht zur Systemkonsequenz staatlichen Handelns über das Willkürverbot begründet. 2. „Zulässige" Privilegien der freiwilligen Sozialversicherung
a) Die freiwillige soziale Krankenversicherung genießt auf dem Markt Vergünstigungen, die meist mit dem Volumen ihrer Aufträge zusammenhängen, teilweise aber auch durch steuerliche Begünstigungen veranlaßt sind. So räumen die Apotheken den GKV-Kassen einen „Mengenrabatt" auf alle Medikamente usw. ein, die sie den Mitgliedern dieser Kassen auf Grund eines kassenärztlichen Rezepts verabfolgen. Den Krankenhäusern und Ärzten werden nur bestimmte Pflegesätze und Honorare bezahlt 5 5 3 . Dies begünstigt nicht nur die Versicherten gegenüber anderen Gruppen der Gesellschaft, es stärkt auch die finanzielle Lage der Sozialversicherungsträger und kommt damit unmittelbar ihrer Wettbewerbskraft gegenüber der PrivatverSicherung zugute. Die Heilberufe werden i n gewissem Umfang für eine Subventionierung der G K V i n Dienst genommen; sie werden gerade deshalb stets versuchen, ihre 553 Einzelheiten Sozialenquête,
S. 204.
V. Wettbewerbsprivilegien der freiwilligen SozV
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Belastungen auf die P K V zu überwälzen. Nicht nur, daß so die Gleichheit des Wettbewerbs beeinträchtigt wird, es findet sogar eine Uberwälzung der Lasten von dem an sich schon potenteren Konkurrenten auf die schwächeren Wettbewerber statt. Wenn Privatversicherungspatienten für Patienten der freiwilligen Sozialversicherung mitbezahlen, so ist dies kein unvermeidliches „faktisches" Phänomen des Wettbewerbs, sondern eine direkte Wirkung der normativen Festlegung der Heilbedingungen i n der Sozialversicherung. Die Wettbewerbs Verzerrung erfolgt über das Verhalten der Heiltätigen, das diesen aber i m ganzen notwendig, ja unentrinnbar durch Rechtssatz vorgeschrieben ist. Im Ergebnis subventioniert insoweit die PKV die G K V 5 5 4 . b) M i t der Nivellierung der Krankenhausversorgungsleistungen („klassenloses Krankenhaus") t r i t t eine weitere Wettbewerbs ver Zerrung zugunsten der öffentlichen Träger ein. Wenn die Heildienste nur mehr gewisse Leistungen erbringen können, dürfen, so hört der Anreiz auf, sich für Zusatzleistungen privat zu versichern. Dies w i r d zum Privileg der Träger, selbst hinsichtlich der freiwilligen Versicherung: Was diese über die Pflichtversicherung hinaus an Leistungen gewährt, w i r d „gerade noch" von den Heilbediensteten honoriert, nichts mehr sonst — damit vergrößert sich relativ der Wettbewerbsraum; während das indirekte Konkurenzmittel der Sozialversicherung (Pflichtversicherung) bleibt, kann das direkte Konkurrenzmittel der PKV, die differenzierte Sonderleistung, nicht mehr eingesetzt werden, es w i r d entwertet. Auch die freiwillige Sozialversicherung mag zurückgedrängt werden — aber der Wettbewerb mit der P K V findet bereits i n „unmittelbarer Nähe" ihrer Kraftqiielle, der Pflichtversicherung statt, dort w i r d sie immer stärker, die P K V immer schwächer. Die Krankenhausnivellierung schadet also i m Ergebnis nur der P K V und bewirkt damit allein eine grundlegende Verschiebung der Wettbewerbslage kraft Gesetzes. c) I m Verhältnis zur P K V genießt die G K V entscheidende Kostenvergünstigungen 555 . — Die gesetzlich vorgeschriebenen Rücklagen (§§ 64 ff. RVO) belasten die P K V stärker als die GKV. — Die G K V genießt als solche weittragende Steuervergünstigungen 556. Während derartige Privilegien für die öffentlichen Sparkassen abge554 Dazu Ulimann, H. (FN 4), S. 283. 555 v g l . Sozialenquête, a.a.O. 556 Körperschaftsteuer, § 4 Abs. I Ziff. 10 KStG, wo ausdrücklich von „freiw i l l i g e r Mitgliedschaft die Rede" ist, die „unmittelbar an eine Pflichtmitgliedschaft anschließt"; Vermögensteuer, § 3a Ziff. 3 VStG; Gewerbesteuer, § 3 Ziff. 11 GewStG, ebenso w i e bei der KSt.
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D. Die SozV als Konkurrenz der Privatversicherung
schafft worden sind, eben weil sie eine „echte" Konkurrenz m i t den privaten Kreditunternehmen nicht gestatten 557 , bestehen sie für die Sozialversicherung weiter, obwohl die Gründe jedenfalls entscheidend für einen Abbau der Steuerprivilegien hinsichtlich der freiwilligen Krankenversicherung sprechen, faßt man diese als erwerbswirtschaftliches Unternehmen auf. — Die G K V trägt kaum Kosten für Werbung und Akquisition; ihre Pflichtmitglieder werden ihr von Gesetzes wegen zugeführt, für Weiterversicherung braucht sie kaum zu werben. Von Gesetzes wegen genießt sie einen unvergleichlichen Grad von Bekanntheit: dies gilt auch für ihre Konditionen. — Bei der G K V entfallen weithin die Inkassokosten. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Arbeitnehmeranteil bei der Pflichtmitgliedschaft einzubehalten und als Gesamtbetrag an die G K V zu überweisen. „Häufig übernimmt er auch die Abführung der Beiträge der Ersatzkassenmitglieder und der freiwilligen Mitglieder, wenn diese es wünschen" (Sozialenquête) — ein typisches Beispiel für die Wirkung der Pflichtversicherung auf die freiwillige Sozialversicherung. Angesichts der notwendig engen Kalkulation, zu der die P K V im scharfen Wettbewerb verpflichtet ist, bringen ihr allein schon diese „Privilegien" entscheidende Wettbewerbsnachteile gegenüber einer öffentlich-rechtlich organisierten, staatsunternehmerischen „Konkurrenz". 3. Der Einsatz staatlicher Finanzhilfe — Auswirkungen zugunsten der freiwilligen Sozialversicherung
Die öffentliche Hand gewährt der freiwilligen Sozialversicherung laufend umfangreiche Finanzhilfen, und zwar wegen deren organisatorischer Verbindung m i t der Pflichtversicherung: — Das Verwaltungsvermögen der öffentlich-rechtlichen Träger w i r d i n vollem Umfang auch für die freiwillige Sozialversicherung eingesetzt. — Die laufenden Zuschüsse an die Sozialversicherung werden den Trägern global gewährt, sie wirken sich auf ihr gesamtes Ver557 v g l . dazu den Bericht der Bundesregierung (Kurzfassung), B T Drucks. V/3500, S . V f . „Dies liefe auf eine einseitige Begünstigung des Spargeschäfts dieser Gruppen hinaus, während ihre Konkurrenten, die heute dieses Geschäft ebenso intensiv betreiben, leer ausgingen." Auch hier gilt, daß bestimmten K o n k u r r e n t e n nicht eine Sonderbehandlung zuteil werden kann, w i l l m a n nicht das Wettbewerbsgleichgewicht erheblichen Störungen aussetzen" (a.a.O., S. VI). Z u m Wettbewerb Banken — Sparkassen vgl. Stern, K., Burmeister, K . (FN 49), passim; Twiehaus, U. (FN 496), S. 141 f. m. Nachw.; Burmeister, J., Der öff. Auftrag der Sparkassen (Vortrag), 1972.
V. Wettbewerbsprivilegien der freiwilligen SozV
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sicherungsverhalten aus und schließen i m Ergebnis ebenso Lücken der Pflicht- wie der freiwilligen Sozialversicherung. M i t ihrer Hilfe vor allem kann die freiwillige Sozialversicherung werbend subventioniert werden. Diesem massiven Eingriff i n die Wettbewerbsgleichheit zwischen privater und öffentlicher Versicherung scheint das Wettbewerbsrecht machtlos gegenüber zu stehen. Der Einsatz von Verwaltungsvermögen zu Wettbewerbszwecken sei üblich und unbedenklich 558 . Nach UWG soll die Heranziehung von Steuermitteln nur dann sittenwidrig sein, wenn sie dazu diene, den privaten Mitbewerber durch einen Preiskampf zu vernichten. „Eine Unterstützung aus Haushaltsmitteln, die die Gewinneinbußen abzugleichen bestimmt ist, bleibt also, solange das Unternehmen nicht beispielsweise zu einem Vernichtungswettbewerb übergeht, wettbewerbsrechtlich irrelevant" 5 5 9 . Offensichtlich geht man w e i t h i n 5 0 0 davon aus, das Wettbewerbsrecht regle das Verhalten i m Wettbewerb, es sage nichts darüber aus, wer i n diesen eintreten dürfe 5 6 1 . Nachdem also der Staat „ m i t seinem Steuersäckel" i n den Wettbewerb ziehe, dürfe er auch grenzenlos subventionieren. Ob diese Lösung wettbevoerbsrechtlich zutreffend ist, mag hier offen bleiben. Staatsrechtlich ist sie unerträglich: Der Staat begeht flagranten Formenmißbrauch, er trägt den „falschen Bart des Wettbewerbs", setzt jedoch gleichzeitig die wichtigsten Ergebnisse hoheitlicher Gewaltausübung, die Steuergelder, i n dieser angeblichen „Gleichheitsbeziehung" ein 5 6 2 . Sollte hier das Wettbewerbsrecht keine Hilfe bieten, so ist gerade dies ein entscheidender Gesichtspunkt dafür, daß die freiwillige Sozialversicherung als Leistungsverwaltung anzusehen ist und in vollem Umfang den Grundrechtsschutz auslösen muß (vgl. oben II). Das Wettbewerbsrecht ist dann auch das beste Argument für die Fiskalgeltung der Grundrechte. Die staatlichen Zuschüsse zur Sozialversicherung sind i m Bereich der Pflichtversicherung nicht nur legitim, sie dienen auch den Belangen der 558 Klein, H. H. (FN 94), S. 190 f. 559 Klein, H. H., a.a.O., S. 250 m. Nachw.; das von Klein angeführte Beispiel aus der Rechtsprechung des R G („Haus der Jugend", RGZ 138, S. 174) hat allerdings keine Beweiskraft, K l e i n selbst erkennt, daß es sich hier nach heutiger Auffassung u m eine Aufgabe der Daseinsvorsorge handelt. 560 a . A . allerdings etwa Rüfner, W. (FN 131), S. 232: Durch Subventionen aus Steuermitteln dürfe die Wettbewerbsposition der öffentlichen Hand nicht gestärkt werden. sei So Schricker, H. (FN 27), S. 100. ' 562 M i t dem traditionellen Hinweis auf das Verbot des „Mißbrauchs amtlicher Gewalt i m Wettbewerb" (dazu u. a. Püttner, G. (FN 94), S. 374 m. Nachw.; Klein, H . H . , a.a.O., S. 243, der dies aber auf den Einsatz hoheitlicher Gewalt beschränkt; Rüfner, W., a.a.O., S. 185 m. Nachw.).
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D. Die SozV als Konkurrenz der Privatversicherung
Privatversicherung und gehören geradezu zum verfassungsrechtlichen Wesen der Sozialversicherung (vgl oben C I V ) . Ihre Wirkung auf die freiwillige Sozialversicherung jedoch bringt eine Verschiebung, die unzulässig ist, wenn man diese als unternehmerische Staatstätigkeit ansieht. 4. Die Notwendigkeit der Wettbewerbsverzerrung zugunsten der freiwilligen Sozialversicherung
Die Wettbewerbsvorteile, welche die Sozialversicherungsträger i m Wettbewerb m i t der Privatversicherung genießen, sind alle auf einen Sachverhalt zurückzuführen: A u f die enge, ja notwendige Verbindung zwischen Pflichtversicherung und freiwilliger Sozialversicherung: — Wegen dieser Verbindung w i r d der Sozialversicherung i m ganzen der wettbewerbsverzerrende Status der juristischen Person des öffentlichen Rechts gegeben (vgl. oben 1). — N u r wegen dieses Zusammenhangs werden die Steuer- und Kostenprivilegien nicht aufgehoben (vgl. oben 2) und wäre dies auch für die freiwillige Sozialversicherung allein nur schwer durchführbar. — Ausschließlich wegen der Einheit von Pflicht- und freiwilliger Sozialversicherung w i r k e n sich die Staatszuschüsse wettbewerbsverzerrend aus (vgl. oben 3). Und diese unzulässigen Wirkungen lassen sich nicht beseitigen. Sie führen zu der gerade für die P K V wohl schwerstwiegenden Beeinträchtigung i n ihrem Wettbewerb m i t der freiwilligen Sozialversicherung: „daß die Ersatzkassen durch verdeckte Subventionierung ihrer Freiwilligenversicherung aus Einnahmen der Pflichtversicherung die Bedingungen der ersteren außergewöhnlich günstig gestalten 563 ." Die enge organisatorische Verflechtung steht einer Beschränkung der Wirkungen auf die Pflichtversicherung entgegen, und die Sozialversicherungsträger werden sich zudem stets auf ihren sozialen Ausgleichs-Auftrag berufen, der eben die ganze Versichertengemeinschaft, damit auch die freiwillig Versicherten umfasse. Politisch w i r d dies immer wirken, selbst wenn rechtlich bei Annahme einer „echten Konkurrenz" eindeutig zwei Versichertengemeinschaften zu unterscheiden wären — die der Pflicht- und die der freiwillig Versicherten. 5. Ergebnis aus dem Wettbewerbsvorsprung für das Verhalten der öffentlichen Hand
Eine volle Trennung von Pflicht- und freiwilliger Sozialversicherung läßt sich praktisch nicht verwirklichen. Geht man aber von ihrer recht563 Bogs, H., Sozialversicherung, S. 492.
V. Wettbewerbsprivilegien der freiwilligen SozV
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liehen und vor allem faktischen Einheit aus, so ergeben sich daraus zwei Folgerungen: a) Man unterstelle den Wettbewerbscharakter versicherung. Dann müßten
der freiwilligen Sozial-
— die Privilegien der Sozialversicherungsträger (vgl. oben 2) wenigstens zum Teil abgebaut oder es müßte durch optimale Organisationstrennung versucht werden sicherzustellen, daß sie nur der Pflichtversicherung zugute kommen. — Soweit dies nicht möglich ist, und auch unabhängig davon, zur Kompensierung des „natürlichen" Wettbewerbsvorsprungs der öffentlichen Hand, müßte der freiwilligen Sozialversicherung besondere Zurückhaltung im Wettbewerb normativ auferlegt und aufsichtlich erzwungen werden. Das bedeutet vor allem praktisch: Die Freiwilligenversicherung müßte ebenfalls noch auf eine gewisse Grundsicherung festgelegt werden, welche der Privatversicherung einen weitgehend von öffentlicher Konkurrenz freien Individualversicherungsraum gewähren würde. -t^· Die freiwillige Sozialversicherung müßte sich i m wesentlichen auf Weiterversicherung beschränken, was ja, zusammen m i t der Pflichtversicherung, auch ihre St euer Privilegien begründet. I m übrigen wäre die Grundsicherung nur i n begrenzten Ausnahmefällen spezifischer Gruppen und auch nur bis zur Höhe einer begrenzten Grundsicherung zu gewähren. I n diesem Nicht-Weiterversicherungs-Bereich kommt die Sozialversicherung nur subsidiär insoweit i n Betracht, als die Privatversicherung offensichtlich nicht hinreichend leistungsfähig ist. Bei allen konkurrenziellen Berührungen m i t der Privatversicherung müßte sich die Sozialversicherung einer speziellen Zurückhaltung, einer „Konkurrenzverdünnung" nach Form wie Intensität des Wettbewerbs befleißigen, wie sie von einem Privaten nicht verlangt werden kann. Nur wenn alle diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist dem „Grundsatz einer Mindestgleichheit von Wettbewerbsbedingungen von privater und öffentlicher Wirtschaft" (Harald Bogs) Genüge getan. Wenn es schon zulässig ist, daß die öffentlich-rechtliche Versicherung vom „Brückenkopf" eines Zwangs- und Monopolrechts aus operieren kann 5 6 4 , so verlangt die Bindung des Fiskus an die Grundrechte, daß dies i n einer Weise durch Wettbewerbszurückhaltung kompensiert werde, welche nicht nur die „nackte Existenz" der Privatver564 Bogs, H., a.a.O., S. 492, unter Hinweis auf BVerfGE 17, S. 306 (308 f.).
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D. Die SozV als Konkurrenz der Privatversicherung
sicherer schützt. Und was könnte bei so großen und vielschichtigen Unternehmensformen überhaupt ein „Existenzschutz" bedeuten — die Kategorie als solche ist unangemessen. Ein nach Größe und Qualität i m wesentlichen durch die bisherige Entwicklung rahmenmäßig bestimmter Entfaltungsraum darf der Privatversicherung nicht durch öffentlich-rechtliche Konkurrenz genommen werden. Der freiwilligen Sozialversicherung muß bewußt sein, daß sie i n der Versicherungsordnung anders nie zu legitimieren ist, denn als ein Annex der Pflichtversicherung. b) Dieses Ergebnis zwingt jedoch dazu, die Fragestellung von Teil D i n Frage zu stellen. Der reine Fiskal-, der Unternehmenscharakter der „freiwilligen Sozialversicherung" läßt sich nur unter größten Schwierigkeiten begründen und rechtlich einigermaßen begrenzen. Er gerät immer wieder infolge des engen, notwendigen Zusammenhangs m i t der Pflichtversicherung ins Zwielicht, als deren Annex oder Fortsetzung m i t anderen M i t t e l n die freiwillige G K V sich weit besser erfassen läßt. Daraus kann nur eine Folgerung gezogen werden: Die Sozialversicherungsträger verwalten i m Gesamtbereich ihrer Tätigkeit. Dies geschieht i m Raum der Pflichtversicherung i n den Zwangsformen des Obrigkeitsstaates, i n der freiwilligen Sozialversicherung i m Wege der Leistungsverwaltung. Der Einheit des Phänomens Sozialversicherung w i r d am besten eine Auffassung gerecht, welche alle seine unterschiedlichen Einzel-Erscheinungsformen derselben, einheitlichen Grundrechtsbindung unterwirft. Damit sollte es bei den Ergebnissen von oben I I bewenden — voller Grundrechtsschutz der Privatversicherung auch gegenüber der freiwilligen Sozialversicherung; Legitimation derselben nur i m Rahmen eines Sozialauftrags, der i n den wesentlichen Organisationsformen der Sozialversicherung erfüllt wird. Dies aber heißt: Kein Wettbewerb, sondern Verwaltung, die nur eingreift, weil und insoweit die Privatversicherung den Sozialauftrag nicht erfüllt. Und vor allem: Rechtlich und politisch sollte von Konkurrenz hier überhaupt nicht mehr die Rede sein, wo nur verwaltet wird. Die Sozialversicherung w i r d i n ihrer Bedeutung unterschätzt, sie w i r d zugleich unterbewertet und verharmlost, wenn man sie als Wettbewerber zu tarnen sucht. N u r wahrer, gleicher Wettbewerb legitimiert vor der Freiheit, weil er ihr Ausdruck ist. I n der konkurrierenden Sozialversicherung aber träte der Staat als Wolf i m Schafspelz auf — denn für ihn jedenfalls, für die Grundsicherung der Sozialversicherung gilt das Bismarck-Wort: Aus dem Unglück der Bürger darf der Staat kein Geschäft machen.
E. I n s t i t u t i o n e l l e , staatsorganisatorische Aspekte D i e „ b i p o l a r e Versicherungsverfassung" der B R D Eine Untersuchung der Expansion der Sozialversicherung, ihrer Legitimation, ihrer Grenzen darf sich nicht auf die ansprüchliche Grundrechtlichkeit der Privatversicherung, auf deren status negativus beschränken. Sie muß vielmehr auch die institutionelle Seite sehen und diejenigen Schranken aufzeigen, welche sich aus dem Begriff der Sozialversicherung als einem Teil der Staatsorganisation ergeben (siehe oben A I I 3). Grundrechtsbeschränkungen zeigen sich hier i n einer anderen, i n ihrer institutionellen Form, als Elemente einer Ordnung, die nicht den Belangen einer Gruppe von Privaten, sondern allen Bürgern dient. Hier geht es nicht primär um Schutz, sondern um Ausgewogenheit. Die Errichtung der Sozialversicherung war nicht nur ein Akt, der Rechte für eine Gruppe schaffen, andere aus einzelnen Positionen verdrängen sollte: „Es w a r auch Gestaltung der Gesellschafts- und Verfassungsordnung, was sich damals vollzog" 5 6 5 . So ist es auch heute. I. Die These von der „gemischten Versicherungsverfassung" 1. Die „gemischte Versicherungsverfassung"
a) Daß sich i n der deutschen Entwicklung eine A r t von gemischter, kombinierter VersicherungsVerfassung, jedenfalls i m materiellen Sinn, herausgebildet hat, ist seit langem bewußt. I n der Rentenversicherung wurde die sog. „Drei-Säulen-Theorie" entwickelt (Sozialversicherung, betriebliche Altersversorgung, Private Lebensversicherung) 566 . Sie vermag heute der Entwicklung nicht mehr gerecht zu werden — die betriebliche Versorgung ist nicht bedeutsam genug, um noch eine „Säule" darstellen zu können. Sie läßt sich meist einer der beiden anderen Sicherungsformen zurechnen. M i t einer gewissen Selbstverständlichkeit geht jedoch die heutige Diskussion davon aus, daß eine „organisatorische Vielfältigkeit des Versicherungswesens" bestehe und auch bleiben müsse 567 . Soweit ersichtlich w i r d nirgends i n Zweifel gezogen, daß sich die Versicherungs565 Rohwer-Kahlmann, H. (FN 179), S. 66. 566 Dazu Ulimann, H. (FN 4), S. 286. 567 Zweigert , Κ . , Reichert-Facilides, F. (FN 23), S. 13. 11 Leisner
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E. Institutionelle Aspekte — „bipolare VersicherungsVerfassung"
Ordnung als solche auf die Sozialversicherung und auf die Privatversicherung, auf ihr Neben- und Miteinander stütze. So selbstverständlich mochte dies erscheinen, daß der Versuch einer größeren ordnungspolitischen Dogmatisierung lange Zeit nicht mehr unternommen wurde 5 6 8 . Dennoch verstärken sich neuerdings die Tendenzen zu einer „Fast-Volksversicherung" 569 . Es gilt daher, die „Versicherungsverfassung" auch institutionell neu zu überdenken. b) Ein neuer Ansatz findet sich bei Harald Bogs. A u f Grund einer umfassenden Analyse des geltenden Sozialversicherungsrechts und seiner Entwicklung kommt er zu folgendem Ergebnis: Das GG enthalte zwar „keine ganz konkreten Aussagen über die nähere Gestalt unserer Versicherungsordnung", sondern allenfalls „eine Rahmenordnung" 5 7 0 . Es gehe auch heute i m wesentlichen nur u m „Grenzstreitigkeiten" zwischen Privat- und Sozialversicherung 571 . Es sei jedoch anzunehmen, daß das GG „eine i n einem Mindestmaß ausgewogene, auch . . . überkommene Ordnungsstrukturen beachtende gemischte Versicherungsverfassung' 1 vorzeichne: I n ihr stehen privat wirtschaftliche Versicherungsunternehmen i n grundsätzlichem Gleichrang neben s oziai wirtschaftlichen Versicherungsunter nehmen, die i n den meisten Fällen die Gestalt öffentlich-rechtlicher Zwangsversicherungseinrichtungen annehmen. I n jenem verfassungsv er ordneten Gleichrang liegt vor allem das Verbot einer übermäßigen, schließlich sogar den Kernbereich 5 7 2 wirtschaftlicher Entfaltungschancen einer freien Assekuranz berührenden Ausdehnung staatlicher Versicherungsmonopole. Der Staat darf demnach m i t seiner Versicherungsgesetzgebung „die . . . spezifischen Vorzüge öffentlicher ΖwangsVersicherungsorganisation nur dort zur Geltung bringen, wo dies nach der Natur der Versicherungsaufgabe wirklich geboten erscheint i m übrigen hat er sich zu begnügen m i t einer aufsichtlichen „inneren Sozialbindung" von Privatversicherung m i t anderen Organisationsvorzügen (Herv. v. Verf.) 5 7 3 . Diese Schranken sind mehr und anderes als 568 Noch i n neuester Zeit w i r d die Frage, ob die eine oder andere V e r sicherungsform i m Unfallbereich die andere ablösen könne, als „utopisch" beiseite geschoben, w e i l die „wirtschaftliche wie auch die rechtliche W i r k lichkeit i n der B R D " auf eine „feste Institutionalisierung beider Versicherungsbereiche hindeute" (von Heinz, H. M. (FN 301), S. 513). 569 Bogs, Η., Sozialversicherung, S. 323; krit. bereits Heyn, W. (FN 176), S. 144; Paschek, W. (FN 22), S.46; das BVerfG hat sich bisher ausdrücklich nur i n der Weise dazu geäußert, daß es eine Verpflichtung zu solcher Gestaltung aus A r t . 3 Abs. I GG abgelehnt hat (BVerfGE 29, S. 221 (244)). Gegen die Verfassungsmäßigkeit einer Volksversicherung überzeugend Bogs, W. (FN 54), S. 14. 570 Sozialversicherung, S. 481. 571 a.a.O., S. 476. 572 Z u m Kernbereich der Sozialversicherung Röttgen, A. (FN 19), S. 34. 573 a.a.O., S. 484/5; ders. (FN 18), S. 9.
I. Die These von der „gemischten Versicherungsverfassung"
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Begrenzungen des Gesetzgebers aus den subjektiven Freiheitsrechten der Privatversicherer: Sie gehen nicht von deren geschäftlichen Interessen, sondern vom Ordnungsinteresse des Bürgers aus, und sie sehen nicht den Einzeleingriff i n seiner Freiheitsbedrohlichkeit, sondern in seiner Bedeutung für eine wirtschaftliche (Teil-)Ordnung. 2. Die Bedeutung des institutionellen Ansatzes für den Versicherungsbereich
a) Es ist heute, wie schon am Ende der Weimarer Republik, staatsrechtliche Mode, Freiheit institutionell zu betrachten. Nur so glaubt man, einerseits der Verwirklichung der Freiheit i n einem status positivus dienen, zum anderen dem Vordringen der Wohlfahrtsstaatlichkeit Einhalt gebieten zu können. Das Problem, daß damit das Grundanliegen der Grundrechtlichkeit verfälscht und die Gefahr einer „Verwässerung der Ansprüchlichkeit i n Organisation" heraufbeworen w i r d — welche Staatsgewalt w i r d nicht für sich i n Anspruch nehmen, sie sei „grundrechtskonform organisiert"? — ist hier nicht zu vertiefen. Nicht aus jedem Grundrecht können daher Ordnungen, ganze Institutionen abgeleitet werden. Der institutionelle Ansatz hat jedoch dort grundsätzliche Berechtigung, wo — grundrechtliche Legitimationen und Schranken für ein Phänomen aufgesucht werden, dem erhebliche gesamtwirtschaftliche ordnungspolitische Bedeutung zukommt. — Grundrechte und Kompetenznormen der Verfassung gesehen werden müssen.
zusammen-
— die Legitimation der Ordnung i n gewissen Bereichen auf staatlicher Seite vor allem i n der Organisationsform der öffentlichen Träger liegt, nicht nur i n der Aufgabe also, sondern vor allem in A r t und Weise ihrer Bewältigung. b) A l l e diese Voraussetzungen treffen für die Versicherungsordnung zu: — Ihre gesamtwirtschaftliche Bedeutung ist erheblich. Über sie laufen erhebliche Teile des Sozialprodukts, werden über sie umverteilt. Der Kapitalmarkt und damit die freie Wirtschaftsordnung würde tiefstgreif end verändert, wenn es nur mehr eine „öffentliche Versicherungsordnung" gäbe. Motivation und Verhaltensweisen der Bürger wie der Unternehmen i m Wirtschaftsprozeß würden sich erheblich ändern, wenn „Sicherung" schlechthin eine öffentliche Aufgabe würde. 11·
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E. Institutionelle Aspekte — „bipolare Versicherungserfassung"
— Das Versicherungswesen weist bedeutende und vielfältige freiheitsfördernde und freiheitsbedrohende Aspekte auf. Seine Gesamtbedeutung w i r d durch die Kompetenzordnungsnormen des GG anerkannt. — Die Sozialversicherung legitimiert sich vor allem durch ihre Organisationsform der Selbstverwaltung homogener Gruppen, welche kraft Verfassung zu ihren Wesenselementen gehört. Wenn es schließlich der „Institution" wesentlich ist, daß sie zwar i n die Verfassung hinaus-, jedoch auch bis tief i n eine breite Basis vielfältiger Gesetzgebung herunterreicht, so gibt es wiederum kaum ein besseres Beispiel für eine „gegliederte Ordnung" als die der Versicherung — die eben eine Verfassung i m materiellen Sinn darstellt. Diese aber muß ihre Grundlagen i n einer Versicherungsverfassung i m formellen Sinne finden. II. Grundlagen und Begründung einer bipolaren Versicherungsverfassung Das GG geht nicht von einer „gemischten" Versicherungsverfassung aus, bei der vielfältige Elemente i n buntem Gemenge lägen. Eigen ist i h m vielmehr die traditionelle deutsche Vorstellung von einer zweispurigen, einer bipolaren Versicherungsordnung, die auf zwei selbständigen, i n sich geschlossenen Trägern ruht — der Sozial- und der Privatversicherung. Wesentlich ist die Ordnung ihrer Berührung, ihres Zusammenwirkens, nicht die Möglichkeit der Schaffung von Zwischenund Übergangsformen 574 . 1. Kompetenzrecht u n d Bipolarität
Dies zeigt sich deutlich i m Kompetenzrecht des GG. Die Verfassung kennt hier nur die „Sozialversicherung" und ihre Träger einer-, das „privatrechtliche Versicherungswesen" andererseits. Zwischenformen sind ihr fremd. a) Daß es eine „Sozialversicherung" geben muß, und zwar organisiert i n der Form von staats-unmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechts, ergibt nicht nur der Kompetenzkatalog. Dieser mag i n A r t . 74 Ziff. 12 weit, ja „offen" zu interpretieren und für die Zuordnung neuer Erscheinungsformen aufnahmefähig sein 5 7 5 — dies kann, gerade aus kompetenzrechtlicher Sicht, nur i n einigermaßen faßbaren Grenzen der 574 Z u diesen Bogs, H., Sozialversicherung, S. 300 f. 575 Dazu Isensee, J., Umverteilung, S. 44 f.; Bogs, H. (FN 18), S. 16 f.; Nipperdey, H . C . (FN 150), S. 15f., 27; Schnur, R. (FN 163), S. 187; MaunzDürig-Herzog, GG, A r t . 120, Rdnr. 25.
I I . Grundlagen u. Begründung einer bipolaren VersicherungsVerfassung 165
Fall sein, weil die bundesstaatliche Gewaltenteilung der Strenge organisationsrechtlicher Unterscheidungen genügen muß. Gerade anhand von A r t . 74 Ziff. 12 hat denn auch das BVerfG 5 7 6 seine Schrankenlehre von den Wesenselementen der Sozialversicherung entwickelt. Dieser Begriffskern der Sozialversicherung ist also staatsorganisatorisch, i m Bund-Länderverhältnis abgesichert, nicht etwa nur zum Schutze der Privatversicherung. A r t . 87 Abs. I I GG verlangt darüber hinaus die Trägerorganisation i n Form von Körperschaften des öffentlichen Rechts für den Bund und weist damit den Ländern die Richtung. M i t Recht hat daher das BVerfG die Organisationsform als verfassungsrechtliches Wesenselement aufgefaßt — sie liegt kompetenzrechtlich fest; und zwar wiederum nicht etwa primär zum Schutze der Privatversicherung, sondern aus staatsorganisatorischen Gründen, i n kompetenzrechtlichem Zusammenhang. Art. 87 GG findet sich ja i n jenem Verwaltungs abschnitt des GG, i n dem es dann vor allem u m eine Beschneidung der unmittelbaren Bundesverwaltung ging. I n diesen Kontext ordnet sich die Sozialversicherung ein, ihre Autonomie findet damit ihre Legitimation i n der Grundstruktur des deutschen Verwaltungs auf baus. Sie kann schon deshalb nicht voll zur Disposition des Bundesgesetzgebers stehen. Die Sozialversicherung ist schließlich ein Sonderbereich der Gerichtsbarkeit — für sie ist ein oberstes Bundesgericht zu schaffen (Art. 95 Abs. I GG). Auch dies deutet wieder auf die Sozialversicherung als einen im Kern festen, abgrenzbaren Bereich hin, mögen diesem auch einzelne andere Materien zugeordnet werden. I n Verbindung m i t den anderen GG-lichen Normen, welche „Sozialversicherung" ansprechen, ergibt sich aus dem Gebot der eigenständigen Gerichtsbarkeit ein Rahmen für Organisation und Aufgaben. Diese Sozialversicherung ist nicht schlechthin — „Versicherung", die Sozialgerichtsbarkeit nicht allgemeine Versicherungsgerichtsbarkeit. Das GG nennt die Sozialversicherung als eine ganz bestimmte Speziai einrichtung der Staatsorganisation, nicht als eine von deren Grundlagen — andernfalls wäre sie nicht am Rande, sondern i n grundsätzlichen Bestimmungen erwähnt worden. Ausdrücklich stellt es ihr die „private Versicherung" gegenüber als einen Teil des „Rechts der W i r t schaft" (Art. 74 Ziff. 11), eines Bereiches, den der Staat regeln, aber nicht einfach übernehmen kann. Das GG sieht also i n der Privatversicherung nicht irgendein Mittelding, einen „Übergang" zur Sozialversicherung, sondern einen Teil der freien Wirtschaft, einen „Pol" der Versicherungsordnung, welcher grundsätzlich unabhängig neben der Sozialversicherung steht. 576 BVerfGE 11, S. 105.
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E. Institutionelle Aspekte — „bipolare Versicherungserfassung"
b) Diese klaren Grundlinien der Kompetenzordnung haben auch Bedeutung für die materielle Ausgestaltung der Sozialversicherung und damit für die Grenzen ihrer Expansion. Schon vor längerer Zeit hat Ulrich Scheuner darauf aufmerksam gemacht: „ I m Grundgesetz gilt weithin der Satz von der Vertauschbarkeit formeller Kompetenzbestimmungen und inhaltlicher Anordnungen" 5 7 7 . Werner Weber sieht gerade i n den organisationsrechtlichen Normen des GG eine Schranke sozialstaatlicher Expansion, welche etwa die Schaffung neuer Bereiche sozialer Selbstverwaltung ausschließt 578 . Wohl wäre es Überinterpretation, aus Kompetenz- und Organisationsnormen präzise Einzelaufträge an den Gesetzgeber oder gar festen Freiheitsschutz ableiten zu wollen. Sie wirken eben „typisch organisationsrechtlich", d. h. nur „ i n großen Gewichtungen", i n der Gegenüberstellung von Gesamtbereichen und der Bestimmung von deren Größenordnung. I m Falle der Versicherung ordnen sie ausdrücklich eine Bipolarität an, nicht um der privaten Versicherung, sondern i n erster Linie um des Föderalismus, sodann aber um des organisatorischen Freiheitsschutzes der Bürger willen. Wenn die Privatversicherung oder wesentliche, traditionelle Sparten derselben durch einfache Gesetzgebung i n die Sozialversicherung überführt oder durch deren Expansion zerstört würden, so fände eine Verfassungsänderung durch einfache Gesetzgebung statt: Die Materie „Recht der privaten Versicherung" würde insoweit zum „Recht der Sozialversicherung". Wäre dies aber zulässig, so verlöre die Kompetenzordnung des GG jeden Sinn: Der Bundesgesetzgeber könnte durch Expansion einer einzigen Materie alle anderen übernehmen. Zwar unterliegen hier die beiden Materien (Sozialversicherung, private Versicherung) ein und derselben konkurrierenden Kompetenz des Bundes. Doch auch dies legitimiert nicht die Aufhebung der Bipolarität. Das GG w i l l durch seine Aufzählung erreichen, daß jede der Materien als solche i n ihrem herkömmlichen Erscheinungsbild stets beurteilt, daß dies nicht durch eine Globalbeurteilung verschiedener Materien ersetzt werde. Träte diese nämlich ein, so wäre ein mögliches Ergebnis solcher Prüfung endgültig ausgeschlossen: daß der Bund eine der Materien regelungsmäßig i n Anspruch genommen habe, die andere aber nicht; oder daß er (nur) eine (teilweise) den Ländern zurückgegeben habe. Derartige Möglichkeiten dürfen nicht durch einen „Gesetzgebungssynkretismus über mehrere Materien hinweg" ausgeschlossen werden. c) Die Bipolarität des deutschen Versicherungswesens findet also eine selbständige staatsorganisatorische Legitimation, jenseits aller Freiheitssicherung. Das GG geht bei der Sozialversicherung von einer fest umrissenen Organisationsform mit bestimmten Aufgaben aus 577 V V d S t L 11, S. 23. 578 (FN 41), S. 433/4.
I I . Grundlagen u. Begründung einer bipolaren Versicherungserfassung 167
— i m Interesse der Länder — i m Interesse einer klaren Einzelbestimmung der Aufgaben der (Bundes-) Verwaltung — i m Interesse der verfassungsrechtlichen Grundlegung der Staatsorganisation überhaupt, welche dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit entspricht. Und als Grenze der Sozialversicherung i m Verhältnis zur Privatversicherung ergeben sich aus dem Staatsorganisationsrecht i m engeren Sinn — die organisatorische Selbständigkeit der Sozialversicherung gegenüber allen anderen Bereichen öffentlicher und privater „Verwaltung" (die auch A r t . 120 GG unterstreicht) — die spezifische Organisationsform der autonomen juristischen Person des öffentlichen Rechts. Dies aber sind gerade — die Grundlagen der bipolaren Versicherungsverfassung. 2. Institutsgarantien und bipolare Versicherungsverfassung
Die „Sozialversicherung" stellt als Verfassungsbegriff durch Aufgabe und Organisation eine Legitimation gegenüber den Freiheitsrechten der privaten Versicherung aus Art. 12 und 14 GG dar. Sie bildet damit einen Teil der freien Berufs- und Eigentumsordnung, welche diese Bestimmungen des GG institutionell sichern — das Eigentum als klassische „Rechtsinstitutsgarantie" 579 , die Berufsfreiheit nach einem neuen, durch die großen Ordnungsentscheidungen des BVerfG gerade für diesen Bereich begründeten Grundrechtsverständnis. Wenn die Legitimation eines Grundrechtseingriffs eine traditionelle, feste Form angenommen hat, bildet sie i n ihrem Erscheinungsbild einen rahmenmäßig bestimmten Teil der jeweiligen Grundrechtsordnung. Dies gilt insbesondere dann, wenn vielfältige, tiefgreifende und weiträumige Eingriffsmöglichkeiten zum herkömmlichen Erscheinungsbild eines Grundrechts gehören, diese jedoch i n einem Grundprinzip zusammengeordnet sind. Eben dies trifft für die Sozialversicherung zu. Sie stellt eine gewisse Globallegitimation dar; zahllose einzelne Eingriffe i n die Freiheitsrechte verschiedener Grundrechtsträger — der Versicherten, der Privatversicherer, der Heiltätigen — finden ihre Begründung i n einer Aufgabe, i n einer Organisation und deren speziellen Wesensstrukturen. I n dieser „Umschaltung der Ordnungsfunktion der Grund579 Dazu näher m. Nachw. Leisner, W., Verfassungsrechtliche Grenzen der Erbschaftsbesteuerung, 1970, S. 43 f., 73 f.
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E. Institutionelle Aspekte — „bipolare Versicherungserfassung"
rechte auf die Sozialversicherung" w i r d diese recht eigentlich zum Teil einer freien Berufs- und Eigentumsordnung, prägt sich sogar dieser Bereich i n besonderer Weise ordnungsmäßig aus. Diese „Ordnung" besteht nicht nur i n „Freiheit" und punktuellen „Einzeleingriffen", sondern weithin i n einem Zusammenhang von Freiheitsförderung und -beschränkung i m Organisationsverbund der Sozialversicherung. Das Besondere an der Sozialversicherung ist schließlich, daß sie den Grundrechten gegenüber vor allem „durch Organisation" legitimiert ist, durch die Selbsthilfeautonomie homogener Gruppen, durch eine spezifische Form organisatorischen Freiheitsschutzes. Diese Verbindung von Freiheit und Organisation aber ist die festeste Form einer Institutionalisierung der Freiheit. Wenn also irgendwo die Grundrechte als Institutionen i n die Staatsorganisation hinüberwirken, so i m Bereich der Sozialversicherung. Doch der Freiheitsraum von A r t . 12 und 14 GG ist damit eben nur „teilinstitutionalisiert". Die Traditionalität und Festigkeit der Sozialversicherung legitimiert Eingriffe i n die höchsten Schutzgüter des GG — aber nur weil sie i n dieser Weise abgegrenzt und verfestigt, weil sie überschaubar und durch große Leistungen als Schützerin, nicht als Zerstörerin der Freiheit ausgewiesen ist. Die grundrechtliche Institutionalisierung der Sozialversicherung ist zugleich deren Begründung und Grenze, durchschlagende Begründung nur wegen der Festigkeit, Unbedingtheit der letzten Grenze. Die institutionelle Sicht bestätigt also nicht nur ein Ergebnis der grundrechtlichen Betrachtung — daß m i t steigender Expansion die Legitimationsschwierigkeit der Sozialversicherung zunimmt; institutionell gesehen nimmt die Legitimation mit jeder loesentlichen Ausweitung der Sozialversicherung schlechthin ab. Die feste, überschaubare Ordnung gewohnter Organisationsformen und Aufgaben verliert sich, die Organisation ordnet nicht mehr einen abgegrenzten Freiheitsraum, sie w i r d zum Sturmbock der Verstaatlichung. Dies aber ist jeder grundrechtlichen Institutionalisierung wesentlich: daß sie zugleich gewährend und eingreifend sei, daß sie zugleich private Freiheit schütze und beschränke. Nach dem Grundverständnis der Grundrechtlichkeit kann es i n voller Staatsorganisation keinen Freiheitsschutz mehr geben. Aus dem Begriff der Sozialversicherung als einer (Teil-) Institutionalisierung der Berufs- und Eigentumsordnung ergibt sich also, daß es ihr gegenüber auch einen freien Bereich geben muß; und er muß um so fester i n sich ruhen, je fester die Sozialversicherung i n sich geschlossen, institutionalisiert ist. Wo die „Ordnung" in „Freiheit" und einem Netz von „Einzeleingriffen" besteht, da benötigt die „Freiheit" keine privat-institutionellen Formen. Wo jedoch der
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Grundlagen u. Begründung einer bipolaren Versicherungserfassung 169
„staatliche Eingriff" intensiv institutionalisiert, zum „Pol" einer Ordnung verfestigt ist, da w i r d jede Ordnung aus den Angeln gehoben, i n die Kopflastigkeit des Dirigismus gedrängt, wenn nicht die „Libertät" ebenfalls i n einem klaren „Pol" zusammengefaßt ist. Als notwendige Folge institutioneller Dogmatik ergibt sich daraus also: — I n der Berufs- und Eigentumsordnung der BRD muß es einen festen Bereich privater Versicherung geben. — Die Privatversicherung muß i n einer Weise organisiert sein, daß sie neben der machtvollen Ordnung der Sozialversicherung einen w i r k samen Bereich privater Ordnung gestalten und diesen aus dem Sozialversicherungsraum ausschließen kann. Die mächtige Sozialversicherung verlangt institutionell als Partner die leistungsfähige Privatversicherung. Als deren Ergänzung hat sie sich einst entwickelt, i n ihren Formen ist sie stets geblieben, neben ihr nur kann sie, ihrem Wesen entsprechend wirken. Wenn eine Sozialversicherungsexpansion die Privatversicherung oder wesentliche Sparten von dieser zerstört oder i n ihrem Wesen verändert — so verändert sie auch ihr eigenes Wesen, sie verliert die Legitimation vor der Freiheit. Und dies ist das Ergebnis der grundrechtsinstitutionellen Betrachtung: Sie schützt nicht die Privaiv er sicherer in ihrem Geschäft, sondern in ihrer freiheitsb eiva.hr enden Funktion für die Allgemeinheit. Sie sichert ihnen nicht Gewinn, sondern eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, ohne welche sie kein Pol der Versicherungsverfassung mehr sein können. Die Privatversicherung kann auch dann ihre Aufgabe nicht erfüllen, wenn man sie i n Pfründen einsperrt, wenn der Staat es ihr erlaubt, sich in Einzelbereichen zu mästen. Gegenüber der Sozialversicherung, als ihre Ergänzung, bedarf sie eines gewissen Maßes von sozialpolitischer Mächtigkeit; das aber bedeutet, daß ihr Handlungsraum Größe, Geschlossenheit, Vielgestaltigkeit aufweisen muß, die sie allein zum Partner der Sozialversicherung machen kann. Institutionelle Lösungen sind immer eine Frage der Größenordnung, nicht der Einzelheit, Probleme der Gesamtbetrachtung, nicht der einzelnen Bilanzposition. Sie lassen sich nicht i n der Konfrontation der justitia commutativa, sondern nur i n der Gesamtschau der justitia distributiva gewinnen. Und deshalb ist ihr erster Ort nicht die Gerichtsverhandlung, sondern das Ministerbüro und der Parlamentsausschuß. Daß diese i n der bipolaren Orientierung der Versicherungsverfassung bleiben, ist ein Verfassungsgebot.
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E. Institutionelle Aspekte — „bipolare Versicherungserfassung"
IÎÏ. Die bipolare Versicherimgsverfassung und die „Wirtschaftsverfassung" des GG Hier ist nicht der Ort, den seit langem fruchtlosen Streit 5 8 0 um die Wirtschafts Verfassung 581 fortzuführen. Es geht nur u m zwei Fragen: Bedeutet eine „bipolare Versicherungsverfassung" i n dem eben dargelegten Sinn eine Neuauflage einer „sozialen Marktwirtschaft", die als solche dem GG nicht unterlegt werden darf? Stimmt sie mit den Grundentscheidungen des GG zur Wirtschaftsverfassung überein? 1. Bipolare Versicherungsverfassung und „Wirtschaftsverfassung der sozialen Marktwirtschaft"
Das BVerfG hat es abgelehnt, dem GG eine Wirtschaftsverfassung zu unterschieben, welche einer „sozialen Marktwirtschaft" entspräche, den Gesetzgeber auf den Einsatz „marktkonformer Mittel" beschränkte oder i h n gar durch ein Neutralitätsgebot von wirtschaftspolitischer Gestaltung ausschlösse582. I n dieser Ablehnung der vielkritisierten Thesen von H. C. Nipperdey 5SZ liegt nicht der Verzicht auf jede wirtschaftsverfassungsrechtliche Aussage. Die Verfassung gebietet lediglich nicht — den wirtschaftlichen Bereich völlig staatsfrei zu lassen — eine bewußt wirtschaftstheoretisch wertneutrale Wirtschaftspolitik i n undogmatischer Förderung der öffentlichen Wohlfahrt zu betreiben 5 8 4 — eine „bisherige" Wirtschaftspolitik fortzusetzen — eine reine oder nur grenzkorrigierte Marktwirtschaft zu betreiben. Insbesondere ist es unzulässig, das GG i m Lichte ganz bestimmter national-ökonomischer Modellvorstellungen zu interpretieren. Gegen diese Auffassung w i r d m i t der Annahme einer bipolaren Versicherungsverfassung nicht verstoßen: sso Z u r Fruchtlosigkeit der Auseinandersetzung u.a. Scholz, R. (FN 517), S. 100 m. Nachw.; Püttner, G. (FN 94), S. 151 f. 581 Z u m Stand der Diskussion: Klein, H . H . (FN 94), S. 101 f.; Schmidt. R., Wirtschaftspolitik u n d Verfassung, S. 128 f., 1971; Badura, P. (FN 94), S. 320 f. 582 BVerfGE 4, S. 7 (17/8). Die Rechtsprechung ist dem gefolgt, Nachw. b. Schreiber, W., Das Sozialstaatsprinzip des GG, 1972, S. 49 f. 583 Dazu u. a. Nachw. b. Leisner, W., Grundrechte u n d Privatrecht, I960. S. 186f.; Klein, H . H . , a.a.O. m. Nachw.; Badura, P. (FN 94), S. 395/6; grds. Ehmke, H., Wirtschaft u n d Verfassung, 1961, S. 55 f. 584 Neutralitätstheorie von Herbert Krüger, siehe Staatsverf. u. W i r t schaftsverf., DVB1 1951, S. 361 (363 f.); ebenso Hamann, Α., Rechtsstaat und Wirtschaftslenkung, 1953, S. 31 f.; Ipsen, H. P., Rechtsfragen der Investitionshilfe, AöR 78 (1962/3), S. 284 (309); k r i t . u.a. Scholz, R. (FN 517), S. 100; Leisner, W., a.a.O. m. Nachw.; Huber, E.R. (FN 418), S. 18 f.; Badura, P. (FN 94), S. 320 f.
I I I . VersicherungsVerfassung u n d Wirtschaftsverfassung des GG
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Allgemein: Der Versicherungsbereich ist nicht „die Wirtschaf tsverfassung". Bei all seiner Bedeutung — Entscheidungen i n diesem Sektor bringen noch nicht eine bestimmte „Wirtschaftsverfassung"; was immer also dem GG für „die Wirtschaf tsverfassung" entnommen werden mag — für Sondergestaltungen ist von der Materie her i m Versicherungsbereich durchaus Raum. Das BVerfG hat sich zur allgemeinen W i r t schaftsverfassung geäußert, Sondergestaltungen für den Versicherungs bereich, eine „spezielle Versicherungs Verfassung" w i r d dadurch nicht ausgeschlossen. Zu ihr hätte sich das BVerfG i m Zusammenhang des Investitionsurteils gar nicht äußern können. Das Problem ist: „Konformität von allgemeinen wirtschaftsverfassungsrechtlichen Entscheidungen und Versicherungsverfassung" nicht: „Wirtschaftsverfassung durch Versicherungsverfassung". Im Besonderen: Die „bipolare Versicherungsverfassung" steht m i t den einzelnen Thesen des BVerfG i m Einklang — Die bipolare Versicherungsverfassung läßt den betreffenden W i r t schaftssektor nicht etwa „völlig staatsfreiSie baut m i t der Sozialversicherung vielmehr i n ihn einen mächtigen Ordnungsfaktor ein, der m i t Monopol und Zwang interveniert. Die Bipolarität w i l l lediglich neben i h m noch einen privaten Bereich erhalten. — Die bipolare Versicherungsordnung entspricht keineswegs einer „unideologischen„wertneutralen" Verfassungsordnung der W i r t schaft. K a u m i n einem anderen Wirtschaftsbereich ist soviel an organisierter Ideologie eingesetzt worden, wie dort, wo die Sozialversicherung tätig ist. Ihre heutige Expansion kommt eindeutig aus der Dynamik sozialpolitischer Ideologie. Auch eine noch so starke Privatversicherung könnte dies nie ideologisch neutralisieren. Mit einer bipolaren Versicherungsverfassung würde also nicht etwa verfassungswidrig Ideologielosigkeit eingeführt, es würde allenfalls der Totalideologisierung eines Wirtschaftsbereichs entgegengewirkt und damit jene wirtschaftspolitische Offenheit begünstigt, von der ersichtlich das BVerfG ausgeht 585 . — Eine Versicherungsverfassung zwischen Sozialversicherung und Privatversicherung bedeutet nicht einfach die „Fortsetzung einer bestimmten bisherigen Wirtschaftspolitik". Als eine solche ist sie bisher noch gar nicht bewußt gewesen, institutionell-systematisch noch nie, soweit ersichtlich, so gedeutet worden. Es geht hier auch gar nicht u m die Kontinuität einer Gesamtpolitik — sie allein wäre 585 Z u r unideologischen Leitbildlosigkeit vgl. u. a. Badura, P. (FN 94), S. 318; Lerche, P., Werbung u n d Verfassung, 1967, S. 69/70; zur D y n a m i k Zacher, H., Aufgaben einer Theorie der Wirtschaftsverfassung, Festschr. f. F. Böhm, 1965, S. 98; Schmidt, R. (FN 581), S. 135.
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E. Institutionelle Aspekte — „bipolare VersicherungsVerfassung"
wirtschaftsverfassungsrechtlich unerträglich — sondern allein um eine spezifische, settoriale, weitestgehend verfestigte und insoweit konstitutionalisierte Gestaltungsform. Daß diese i n ihren Größenordnungen, i n ihrer Gewichtsverteilung i n etwa erhalten werden soll, hat nichts mit einem „bisherigen wirtschaftspolitischen Konzept" gemeinsam. Hinter ihr steht auch nicht ein wirtschaftspolitisches Nachkriegsexperiment von wenigen Jahren, sondern eine staatstragende Kontinuität von nahezu einem Jahrhundert, die Verfassungen überdauert hat. — Bipolare Versich erungsverf assung würde weder reine, noch auch eine lediglich sozial grenzkorrigierte Marktwirtschaft bedeuten. I m ganzen steht die Sozialversicherung heute wenn nicht weit übermächtig, so mindestens gleichgewichtig der Privatversicherung gegenüber. Es kann sich hier allenfalls darum handeln, eine freiheitlich korrigierte Sozialwirtschaft zu erhalten, nicht darum, eine wie immer verstandene Marktwirtschaft einzuführen. Das Konzept einer bipolaren Versicherungsverfassung läßt dem Gesetzgeber all jene Gestaltungsfreiheit, deren er gerade i n diesem Sektor 5 8 6 , i m wirtschaftlichen Bereich überhaupt, bedarf, die i h m das BVerfG erhalten wollte. Sie bedeutet keine Sinnerfüllung von Verfassungsnormen durch nationalökonomische Doktrinen, denn ein derartiges wirtschaftswissenschaftliches Modell gibt es gar nicht. Es ist dies auch nicht ein typischer Ausdruck einer „sozialen Marktwirtschaft", die etwa so auf Umwegen doch noch konstitutionalisiert würde. Vielmehr ist der Versicherungsbereich ja bereits überwiegend „sozialisiert", i n einer Weise, die nach dem Nipperdeyschen Konzept auf die Gesamtwirtschaft keinesfalls übertragen werden dürfte. Die soziale Marktwirtschaft ist übrigens vom BVerfG nicht zuletzt deshalb als Grundentscheidung der Wirtschaftsverfassung abgelehnt worden, w e i l es damals nicht möglich war und auch heute noch nicht gelungen ist, sie auch nur einigermaßen normativ faßbar vorzustellen. Daß ihre Grundwerte dem Grundgesetz zugrundeliegen 587 , läßt sich gar nicht bestreiten. Dies erhellt vor allem, wenn man die Grundrechte als Elemente der Wirtschafts verf assung berücksichtigt, wie es die Theorie von der „gemischten Wirtschaftsverfassung" versucht; m i t dieser Auffassung ist 586 Z u r wirtschaftspolitischen Neutralität hier Bogs, H., Sozialversicherung, S. 480. 587 Neuerdings hat vor allem Zacher, H. (FN 300), S. 100 bei einer Betracht u n g der sozialen Sicherheit unter wirtschaftsverfassungsrechtlichen Gesichtspunkten darauf hingewiesen, daß zwischen der sozialen M a r k t w i r t schaft u n d den Grundwerten unserer Verfassung eine „elementare Harmonie" bestehe.
I I I . Versicherungsverfassung und Wirtschaftsverfassung des GG
173
die Vorstellung von einer bipolaren Versicherungsverfassung vereinbar. 2. Die bipolare Versicherungsordnung als Ausdruck einer „gemischten Wirtschaftsverfassung"
a) Eine nach dem GG mögliche Wirtschaftsordnung kann nie ein freiheitsfreier Raum sein. Der Gesetzgeber ist nur insoweit frei, als er bei seiner Entscheidung die Grundrechte beachtet: Das wirtschaftspolitische Ermessen des Gesetzgebers muß m i t dem Freiheitsschutz vereint werden 5 8 8 . Die Grundrechte sind also ein „Rahmen" der W i r t schaftspolitik 589 , insoweit „sind" sie schon eine A r t von fester W i r t schaf tsverfassung. Darüber hinaus geben sie „ganz bestimmte Richtweisungen" 5 9 0 , ihre Bedeutung für die Wirtschaftspolitik ist hier so groß 5 9 1 , daß man sie als Elemente derselben betrachten muß. Dies hat zu der heute i m Schrifttum wohl h. L. von der „gemischten Wirtschaftsverfassung" geführt 5 9 2 . Sie sieht i m GG keine Entscheidung für ein wie immer geartetes „Modell oder System", das verbessert, grenzkorrigiert werden könnte, sondern sie versucht eine „kombinatorische Zusammenschau" 593 gegenläufiger Einzelentscheidungen, der eine „konnexe" Grundrechtsinterpretation 5 9 4 , eine Auslegung der einzelnen Freiheitsrechte auf einen Zusammenhang h i n vorausgeht. Hier w i r d wieder — wie schon i n der Weimarer Zeit — versucht, ein „SpannungsVerhältnis" zu bestimmen, zwischen staatlicher Eingriffskompetenz, staatlicher Organisation und privater Freiheit. Die Wirtschaftsverfassung besteht geradezu i n diesem Spannungsverhältnis, das der Gesetzgeber verändern, das er aber nicht aufheben kann. Und „Verfassung" ist diese Wirtschaftsordnung eben darin, daß die Spannung i n einem noch nennenswerten Umfang erhalten werden muß. I n diesem Sinn hat dann das GG eine Wirtschaftsverfassung von „wesentlicher Pluralität" aufgebaut, die i n sich nicht 588 BVerfGE 4, S. 7 (17 f.); 7, S. 377 (400), std. Rspr. 589 Dazu u. a. Scheuner, U., W d S t L 11, S. 59 („Es zieht aber durch einige wesentliche grundrechtliche Vorschriften der wirtschaftlichen Entwicklung einen festen Rahmen"); Schmidt, R. (FN 581), S. 130; Bogs, H., Sozialversicherung, S. 392; Püttner, G. (FN 94), S. 151; Scholz, R. (FN 517), S. 100. 590 Scheuner, U., a.a.O. 591 V o m Vorrang der Freiheit ist immer wieder die Rede, vgl. etwa Nachw. b. Badura, P. (FN 94), S. 321. 592 Huber, E. R. (FN 418), S. 97 f.; dazu ders., Wirtschaftsverwaltungsrecht!, 2. A. 1953, S. 18 f.; Schmidt, R., a.a.O., S. 133 m. Nachw. ( „ h . L . " ) ; Klein, H . H . (FN 94), S. 101 m. Nachw.; Badura, P., a.a.O., S. 322; für eine gemischte Wirtschaftsverf. n u n auch Krüger, H. (FN 216), S. 15; k r i t . Scholz, R., a.a.O. 593 Schmidt, R., a.a.O., S. 132. 594 Scheuner, U., W d S t L 11, S. 60.
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E. Institutionelle Aspekte — „bipolare Versicherungserfassung"
heterogen ist 5 9 5 , dies nicht einmal sein darf. Diese Ordnung des „labilen Gleichgewichts heterogener Kräfte" ist hinreichend entwicklungsoffen und doch i n den wirkenden Kräften einigermaßen bestimmt. Der Staat dirigiert ein Orchester, er spielt nicht eintönig alle Instrumente. b) Die bipolare Versicherungsordnung ist ein Ausdruck dieser gemischten Wirtschaftsverfassung, i n ihr ist diese für einen wichtigen Bereich konstitutionalisiert worden. Sie beruht ja gerade auf jenem Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Zwang, das i n den herkömmlichen Organisationsformen der Sozialversicherung bereits fest institutionalisiert, „geordnet" worden ist. Dieses Spannungsverhältnis mag der Staat auch zuungunsten der Freiheit noch einmal verändern — er darf die Spannung nicht i n einer totalen Sozialversicherung aufheben. Geschähe dies oder näherte sich die Staatsgewalt einem solchen Zustand durch weitere Expansion entscheidend, so wäre mehr zerstört als die Freiheit der Privatversicherung oder die Entscheidungs- und Sicherungsfreiheit der Bürger i n einem zentralen Bereich: Gebrochen wäre die Wirtschafteverfassung i n einem wichtigen Punkt, durch diese Bresche würde die zwingende Staatsgewalt ihren Einzug i n alle Bereiche der Wirtschaft halten, ohne daß auch noch irgendeine staatsrechtliche Sperrkategorie ihr irgendwo entgegengesetzt werden könnte. Denn was der sozialen Sicherung recht ist, ist dem sozialen Einkommen, dem sozialen Arbeitsplatz, den sozialen Lebensgewohnheiten billig; nirgends kann dann noch die „Spannung gehalten" werden. Vielleicht ist dies der tiefere Sinn der „gemischten Wirtschaftsordnung": Sie muß irgendwie überall geachtet werden. Wer die Spannung an einem Punkt löst, bringt das Gewölbe zum Einsturz. c) Die „gemischte Wirtschaftsverfassung" führt auf dieselben Wurzeln zurück wie die g ew alt enteilende Staatsverfassung. Auch ihr geht es um Machtmäßigung durch Pluralität heterogener Machtträger, indem der Staat ein Spannungsverhältnis herstellt und erhält. Wohl ist die Gewaltenteilung ein Prinzip der Staatsorganisation, nicht der Organisation der Gesellschaft. Wer jedoch heute das Demokratiegebot auch i n der Gesellschaft, insbesondere i m ökonomischen Bereich, anwenden w i l l , der w i r d dies auch vom machtmäßigen Prinzip der Gewaltenteilung verlangen müssen, weil ohne seinen mäßigenden Einfluß die Demokratie i n Staat wie Gesellschaft rasch zur Diktatur führt. Es ist daher schwer verständlich, daß gerade diejenigen, welche heute eine Demokratisierung der Gesellschaft fordern, zugleich jede Pluralität und Gewaltenteilung innerhalb der Gesellschaft ablehnen ·— obwohl beiden 595 Schmidt, R., a.a.O., S. 130/1 spricht von einer „systematischen Zuordnung heterogener Elemente".
I V . Zusammenfassung — Stellung der Privatversicherung
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Grundsätzen der gleiche höchste Normrang (Art. 20, 79 Abs. I I I GG) zukommt. K a u m irgendwo läge es näher, gesellschaftliche Gewaltenteilung zu versuchen als i m Versicherungsbereich — zwischen Sozial- und Privatversicherung. Und es wäre dies nicht einmal eine „rein gesellschaftliche" Anwendungsform der Gewaltenteilung: M i t dem Aufbau der Sozialversicherung hat der Staat einen großen, einfiußstarken Gewaltträger ohne staatlichen Widerpart i n der Gesellschaft installiert. Ob i n seinem autonomen Innenbereich von einer wirksamen „Gewaltenteilung" gesprochen werden kann, ist sehr zweifelhaft. Es bietet sich also an, die hier unvollkommene staatliche Gewaltenteilung durch gesellschaftliche Gewaltenteilung zu ergänzen. Dies aber führt wiederum unmittelbar zu einer bipolaren Versicherungsverfassung. Die bipolare Versicherungsverfassung ist also diejenige Ordnung des gesamten Versicherungswesen, die am nächsten steht bei den tragenden Verfassungsgrundsätzen der Staatsorganisation, wenn nicht des Gemeinwesens überhaupt. IV. Zusammenfassung: Sicherung der Privatversicherung in einer bipolaren Versicherungsverfassung Die bipolare Versicherungsverfassung bietet der Privatversicherung keinen Schutz gegen bestimmte Einzelzugriffe der Staatsgewalt oder gegen Expansionsschritte der Sozialversicherung. Sie fordert aber, i m ganzen, institutionell gesehen, die Erhaltung eines gewissen Gleichgewichtszustandes zwischen Sozial- und Privatversicherung. Dieser kann allerdings auch durch Einzelmaßnahmen gebrochen werden, insbesondere wenn i n einer gewissen Kumulation von Einzelmaßnahmen der „Punkt des Umschlags" erreicht wird. Ob, wann dies der Fall ist, kann nur ein Verfassungsgericht entscheiden, welches auch das Ganze einer Ordnung beurteilt. Das Denken und Urteilen i n solchen Kategorien ist wesentliche Methode verfassungsgerichtlicher Judikatur. Eine bipolare Versicherungsverfassung, wie sie dem GG zugrundeliegt, gewährleistet der Privat Versicherung vor allem folgendes: 1. Sie muß i n ihrer Lebensfähigkeit, i m ganzen und i n ihren wesentlichen Sparten erhalten bleiben. Zu diesen gehört auch die Krankenversicherung. 2. Zwischen Sozial- und Privatversicherung muß stets ein gewisses Spannungsverhältnis erhalten bleiben, welches eine Form der Gleichgewichtigkeit voraussetzt, die es institutionell zu sichern gilt. Angesichts des Monopols der Sozialversicherung i m Bereich der Grund-
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E. Institutionelle Aspekte — „bipolare Versicherungserfassung"
Sicherung kann dies nur gelingen, wenn i n einem großen Bereich von Individualversicherung der Privatversicherung ein gewisses Übergewicht bleibt. Dies gilt wiederum vor allem für die Krankenversicherung. Die Eröffnung von Möglichkeiten der Zusatzversicherung auf breiter Front zugunsten der Sozialversicherung würde endgültig ein Gleichgewicht brechen, das auch i n seiner vertikalen Dimension und als Spannung gesehen werden muß. Sie wäre daher m i t Sicherheit verfassungswidrig. 3. Die bipolare Versicherungsordnung Deutschlands hat sich i n einem Jahrhundert herausgebildet. Ihre Traditionsgebundenheit hat nichts m i t Konservativismus zu tun, sie gehört vielmehr, nach Methode wie Ergebnis, zu den Grundlagen des Versicherungsrechts i n Deutschland. „Große Sprünge" gegen die Privatversicherung würden daher jedenfalls die Sozialversicherung aus der Verfassung werfen. Damit verbindet sich — bei aller Achtung der Gestaltungsfreiheit des Sozialgesetzgebers — eine gewisse Bestandsgarantie der Privatversicherung, als „wesentlicher Faktor" dieser kombinierten Ordnung. Je mehr die allgemeine wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Privatversicherung an Betätigungsmöglichkeiten erschließt, desto freier w i r d auch die Sozialversicherung, desto weiter kann sie verhältnismäßig vordringen, wie es ja auch ihrem Sozialauftrag entspricht, der eine gewisse Dynamisierung der Grundsicherung einschließt. Wenn jedoch die allgemeine Entwicklung den Gesamtraum der Versicherung verengt, so kann sich die Sozialversicherung nicht ungemessen weiter ausdehnen. Die Beobachtung dieser Grundsätze läßt sich nicht tagtäglich und überhaupt nur i n Extremfällen gerichtlich erzwingen. Sie ist i n erster Linie dem Gesetzgeber aufgegeben, der i m institutionellen Bereich der erste Hüter der Verfassungsordnung ist und bleibt, von seinen englischen Ursprüngen an, eine Sache der Fairneß . . . Die bipolare Versicherungsverfassung ist aber nicht nur Neben- oder Gegeneinander von Sozial- und Privatversicherung. Die Spannung, i n welche sie beide stellt, verlangt vor allem ein Miteinander. Das Thema „Sozialversicherung und Privatversicherung" erschöpft sich nicht in Abgrenzungen, es verlangt die Findung von Formen des Zusammenwirkens beider. Diese können hier nicht i n ihren einzelnen Möglichkeiten dargestellt werden, welche der Versicherungstechnik überlassen werden müssen. Rechtlicher Betrachtung zugänglich sind der Grundsatz des Zusammenioirkens und einige seiner wichtigsten Ausprägungen.
F. P r i n z i p u n d F o r m e n des Z u s a m m e n w i r k e n s v o n Privat- u n d Sozialversicherung Ι . Der Grundsatz des komplementären Zusammenwirkens Ganz allgemein w i r d i m Wirtschaftsbereich einem Zusammenwirken von Staat und Privatwirtschaft das Wort geredet 596 , i n einer „gemischten Wirtschaf tsverfassung" ist dies das Zentrum des „Systems". Es erweist die Versicherungsverfassung als mächtigen Teil dieser gesamten Wirtschaftsordnung, daß gerade hier das Prinzip des komplementären Zusammenwirkens seit langem anerkannt ist 5 9 7 . Es geht dabei also weniger u m ein „gleichartiges Zusammenwirken", das ja wiederum nur i n eine grundsätzlich bedenkliche Wettbewerbsverschärfung führen könnte, sondern u m eine Ergänzung, u m eine Fortsetzung der Sozialversicherung m i t den „anderen Mitteln" der Privatwirtschaft ebenso, wie u m einen „Beginn von Privatversicherung i n der Sozialversicherung". So beinhaltet grundsätzlich das komplementäre Zusammenwirken ein Zweifaches: — eine gewisse Aufgabenteilung, bei der zwar Überschneidungen möglich sind, aber auf Randzonen beschränkt bleiben und nur dort auftreten, wo sie als Weiterwirkung „wesentlicher Versicherungsaufgaben" der jeweiligen Organisation erfüllt werden müssen; 596 Scheuner, U., W d S t L 11, S. 59 („Anerkennung des möglichen M i t e i n ander eines Bereiches privater Wirtschaftsdisposition m i t gemeinwirtschaftlichen Formen"); f. viele Krüger, H. (FN 216), S. 35; ders., V o n der Notwendigkeit einer freien u n d auf lange Sicht angelegten Zusammenarbeit zwischen Staat u n d Wirtschaft, 1966 (H. 5 d. Schriften d. Freiherr-vom-SteinGesellschaft), insbes. S. 7 f., der aus der Sicht des Staates wie aus der der privaten Wirtschaft eine „ d r i t t e " A r t u n d Weise d. Verh. zwischen Staat und Wirtschaft, neben „Freiheit" oder „ L e n k u n g " , verlangt; nach K r ü g e r läuft dies auf eine A r t von fördernder Kooperation hinaus. 597 Grdl.: Weber, W., Die Versicherungsaufsicht i n der wissenschaftl. A n a lyse u n d K r i t i k , i n : 25 Jahre Inst. f. Vers. Wiss. an d. Univ. zu Köln, 1966, S. 51 (64 f.); Hax, K., Die Entwicklungsmöglichkeiten der I n d i v i d u a l Versicherung i n einem pluralistischen System der soz. Sicherung, 1968, S. 114 (121 f.); Möller, H. (FN 266), S. 81 (83); v.Heinz, H . - M . (FN 301), S. 523; Bogs, W. (FN 161), S. 250; Ullmann, H. (FN 4), S. 2881; Zweigert, K., ReichertFacilides, F. (FN 23), S. 13; zu Mischformen vgl. Manes, A . (FN 92), S. 75; zu derartigen Formen i n der Schweiz Hug, W. (FN 162), S. 199 f.; Zacher, H. (FN 300), S. 123 fordert: „Marktwirtschaft u n d soziale Sicherung durch öffentliche Systeme u n d Einrichtungen sollten i n einem Verhältnis der K o m plementarität u n d wechselseitigen Entlastung gesehen u n d konzipiert w e r den"; vgl. auch Schmatz, H. (FN 210), S. 271 f. 12 L e i s n e r
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F. Zusammenwirken von P r i v a t - u n d Sozialversicherung
— eine gewisse Abstimmung der Organisationsformen aufeinander ist zwischen privater und öffentlicher Versicherung unerläßlich, wenn ein reibungsloser Übergang von einer Organisation i n die andere möglich sein soll, wie ihn ein komplementäres Zusammenwirken verlangt. Ein Mindestmaß von versicherungstechnischer Homogenität ist zu gewährleisten. Ein derartiges komplementäres Zusammenwirken unter begrenzter Aufgabenteilung und i n organisatorischer Annäherung entspricht den wesentlichen Strukturelementen der Sozialversicherung, welche diese Untersuchung herauszuarbeiten versuchte (vgl. insbes. oben C): Die Sozialversicherung w i r d aus einer „reinen Konkurrenz" gezogen, welche i h r als eine Form daseinsvorsorgender Leistungsverwaltung ohnehin unangemessen ist; sie w i r d wieder mehr auf eine Versicherungsform verpflichtet, die ihr, bei allem sozialen Auftrag, wesentlich ist; sie kann i m Gedanken der Grundsicherung eine A r t von „vertikaler Gewaltenteilung" zur Privatversicherung aufbauen, der diese Bereiche verschlossen sind und zugleich dadurch die Pflichtversicherung legitimieren. Der Privatversicherung ihrerseits w i r d verstärkt bewußt, daß auch sie einen Sozialauftrag zu erfüllen, daß sie Gedanken der Sozialversicherung m i t ihren Kategorien weiterzudenken hat 5 9 8 . Die Versicherungsaufsicht stellt eine geeignete Transmission dar, u m das komplementäre Zusammenwirken zu sichern, notfalls zu erzwingen. I I . Hauptformen möglichen Zusammenwirkens lo Die Wahlmöglichkeit zwischen Privat- und Sozialversicherung a) Es liegt nahe, das Verhältnis der privaten Versicherungsunternehmen und der Sozialversicherung zueinander i n der Weise zu ordnen, daß eine Wahlmöglichkeit zwischen beiden Formen der Sicherung gesetzlich eröffnet wird. Hier w i r d dann für den Bereich der Pflichtversicherung eine A r t von Konkurrenz erzwungen, welche i n etwa der zwischen der Privatversicherung und der freiwilligen Sozialversicherung entspricht. Derartige Gestaltungen sind der Rentenversicherung bekannt 5 9 9 . I m Bereich der Krankenversicherung bietet die gesetzliche Krankenversicherung der Landwirte ein solches Modell* 500 ; die Wahlmöglichkeit w i r d 598 Z u r „Sozialversicherung durch Privatversicherung" vgl. Breipohl, D. (FN 162), S. 89 f.; Bogs, H., Sozialversicherung, S. 363 f.; Schmidt, R. (FN 162), S. 254. 5 " Dazu Schmatz, H. (FN 210), insbes. S. 272. eoo § 4 K V L G ; dazu Bogs, W. (FN 301), S. 6.
I I . Hauptformen möglichen Zusammenwirkens
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ganz allgemein 6 0 1 für die Versicherungssparte, neuerdings aber vor allem für den Fall der Einbeziehung einer neuer Kategorie (Studenten) i n die Pflichtversicherung vorgeschlagen 602 . Die Wahlmöglichkeit könnte auf eine bestimmte Grundsicherung beschränkt oder auch nur für einen Teil der Versicherungsleistungen (Krankengeld) vorgesehen werden 6 0 3 . Die Wahlmöglichkeit bietet unbestreitbare Vorzüge: Sie vergrößert als solche bereits den Freiheitsraum der Versicherten und w i r k t ihrer Uniformierung entgegen. Sie schafft darüber hinaus eine A r t von „Konkurrenz", von der sich viele eine allgemeine Belebung i n dieser Sparte und eine Leistungssteigerung erwarten mögen. Schließlich stellt sie ein Entgegenkommen gegenüber der Privatversicherung dar und kann sogar i m Geiste echter Subsidiarität gesteigert werden, indem die Sozialversicherung durch ihre Tarifgestaltung bis zu einer bestimmten Grenze den Privaten den V o r t r i t t läßt. I n der sozialpolitischen Diskussion bietet sie ein publikumswirksames Argument gegen die Behauptung, die Sozialversicherung bewirke eine „kalte Sozialisierung" des Versicherungsbereiches. b) Sicher „steht ein Pflichtversicherungssystem mit Wahlmöglichkeit näher bei der Berufsfreiheit" als ein solches ohne Alternative der Privatversicherung. Es steht i h m auch nicht entgegen, daß hier mehr eine Konkurrenz, allenfalls ein Nebeneinander, als eine Komplementarität erreicht w i r d ; denn einen allgemeinen „Zwang zur Ergänzung" der beiden Pole des Versicherungswesens oder gar zu gewissen Formen derselben w i r d man der Verfassung kaum entnehmen können. Dennoch bestehen nicht unerhebliche Bedenken gegen eine unbesehene Erweiterung eines „Systems von Wahlversicherung": — Eine „echte" Konkurrenz zwischen Privat- und Sozialversicherung kann und darf es nach der Verfassung gar nicht geben. Die Sozialversicherung hat, vor allem i m Bereich der Pflichtversicherung, ganz andere Aufgaben als die Privatversicherung. Es ist also bedenklich, ein an sich schon prekäres Nebeneinander, das i m Bereich der Weiterversicherung durch Annexgesichtspunkte legitimiert sein mag, zu weit auszudehnen. — Die Pflichtversicherung legitimiert sich u. a. auch durch Sozialaufgaben, welche nur so zu erfüllen sind. Wenn an ihrer Wahrnehmung die Privatversicherung beteiligt wird, so liegt es nahe, ihre Sozialfunktion zu verstärken. Dies aber führt zwangsläufig zu einer umfangreichen sozialen Förderung seitens des Staates, der die eoi Vgl. etwa Möller, H., SGb 1970, S. 85; Sozialenquête , S. 260. 602 Bogs, Η . (FN 18), S. 9 f.; vgl. F N 18. 603 Etwa i m Anschluß an Vorschläge der Sozialenquête, a.a.O., die einen Verzicht auf die Krankengeld-Pflichtversicherung zur Diskussion stellt. 12®
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Privatversicherung abhängig macht und damit den privaten Sektor von innen zerstört — ohne daß die so Geförderten politisch etwas dagegen wirksam einwenden können, mögen sie auch „an den Staatsgeschenken ersticken". — Das System der Wahlmöglichkeit bietet sich geradezu zur Manipulation durch die bekannten „kleinen Schritte zugunsten der Sozialversicherung" an: Sie reicht vom Antragszwang über die Verschärfung der Genehmigungsvoraussetzungen bis h i n zur „Privatversicherung als Ausnahme". Wenn all das besonders freiheitsgefährdend ist, was sich i n kleine Schritte zerlegen läßt, so gilt dies für die Wahlmöglichkeit — sie kann zur Tarnung werden; sie ist eine legitime Gestaltungsform für diejenigen, welche entschieden freiheitlich i m Sinne einer wie immer verstandenen Subsidiarität denken, ein Zerstörungsinstrument der Privatversicherung für Sozialisierungsbereite. — Die größte Gefahr aller „Wahlsysteme" aber liegt darin, daß sie einen ersten Schritt zur totalen Pflichtversicherung i n der Sozialversicherung darstellen können und diesen i n angeblichen Wettbewerbsformen legitimierend zu tarnen vermögen. Wer neue Gruppen in die Pflichtversicherung einbeziehen, wer deren Grenze nach oben verschieben w i l l , ist wohl beraten, wenn er dies einer mißtrauischen Allgemeinheit zunächst einmal verbunden m i t einer Wahlmöglichkeit anbietet. Er entgeht damit dem Odium des Sozialisierungsvorwurfs und kann sodann die Wahlmöglichkeit schrittweise reduzieren, schließlich eliminieren. Die Wahlmöglichkeit zwischen Privat- und Sozialversicherung verstärkt also die Unsauberheit des Gesamtsystems der Sicherung und verführt geradezu dazu, sie zur politischen Legitimation einer verfassungswidrigen Expansion der Sozialversicherung einzusetzen. Sie sollte daher nur mit großer Vorsicht, eigentlich nur dort verwendet werden, wo sich die Sozialversicherung etwa einmal aus einer bisher monopolmäßig wahrgenommenen Aufgabe zurückziehen wollte. Daß dies i n größerem Umfang geschehen wird, ist zweifelhaft. Echtes Zusammenwirken i m Sinne der Ergänzung ist die Wahlmöglichkeit nicht. Sie zwingt die Privatversicherung i n eine „Konkurrenz", i n der sie grundsätzlich auf Dauer nur verlieren kann. Denn sollte es ihr gelingen, ihre Überlegenheit nachzuweisen, so w i r d der Gesetzgeber — möglicherweise nicht nur aus sozialpolitischen, sondern geradezu aus versicherungstechnischen Gründen — gezwungen sein, der Sozialversicherung zu Hilfe zu kommen. Eine Konkurrenz aber, i n der Private nur Pyrrhussiege erringen können, verdient auch sozialpolitisch diesen Namen nicht.
I I . Hauptformen möglichen Zusammenwirkens
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2. Das „Modell" Grund-Individualsicherung
Die Sozialversicherung muß sich eigentlich, nach der Verfassung, auf eine bestimmte Form der Grundsicherung beschränken und der Privatversicherung den darüber hinausgehenden Bereich der Individualsicherung überlassen. Dies ergibt sich aus den Wesenselementen der Sozialversicherung (vgl. dazu oben C), es verstößt gegen kein Grundrecht und ist daher i m Schrifttum allgemein gefordert worden 6 0 4 . Die Beschränkung der Sozialversicherung auf „Grundsicherung" ist eine Idealform, welche der verfassungsrechtlichen Orientierung entspricht und den Gesetzgeber leiten sollte. Sie würde der Privatversicherung eine A r t von „Feinsicherung" (Zacher) überlassen. Erheblich sind allerdings die grundsätzlichen sozialpolitischen und die praktischen Schwierigkeiten — K l a r muß sein, daß „Grundsicherung" nicht bedeutet, daß alle Bevölkerungskreise notwendig bis zu einem gewissen Grad i n die Sozialversicherung einbezogen werden. Das ist überhaupt nur bei spezieller Schutzbedürftigkeit angebracht, nicht aber, ohne weiteres bei freien Berufen. Es ist daher mißverständlich, Grund- und Zusatzversicherung gegenüberzustellen und die Privatversicherung auf letztere zu beschränken. Das Begriffspaar sollte Grundsicherung — Individualsicherung heißen und letztere der Privatversicherung vorbehalten bleiben. — „Grundsicherung" kann keinesfalls identisch sein m i t jener „Sicherung der elementaren Lebensbedürfnisse", aus welcher einst die Sozialversicherung entstanden ist. W i r d sie aber „entsprechend dem Entwicklungszustand der Gesellschaft dynamisiert", so läßt sie sich nicht leicht i n Grenzen halten und bekommt insbesondere partizipatorische Züge, die dann jede Grenzziehung unmöglich machen. — I m Rentenbereich ist die „Grundsicherung" bereits weitgehend „volldynamisiert". Es besteht eine allgemeine „Vollsicherungserwartung", die sich an die Sozialversicherung richtet und deren Konzeption auch i n anderen Sparten prägt. 604 so insbes. Bogs, W., DVB1 1969, S. 335 (339): Das „Miteinander" von P r i v a t - u n d Sozialversicherung liege de lege ferenda i n der Kombination einer „der Höhe nach beschränkten ,Grundsicherung 4 durch Sozialversicherung u n d einer darauf aufbauenden privaten Vorsorge durch Individualversicherung"; υ. Heinz, H. M . (FN 301), S. 423 f. unter Hinweis auf Hax (Privatversicherung übernimmt die „zusätzliche Versorgung nach individuellen Bedürfnissen"); Hax, K . (FN 164), S. 28; Paschek, W. (FN 22), S. 163—4; Wertenbruch, W., Vortrag „Pflichtversicherung und Alternativen", berichtet von Casselmann, Der Sozialrichter, 1971, S. 42; Ullmann, H. (FN 4), S. 289; zu entspr. neueren Entwicklungen bei dem G A L vgl. Bogs, W. (FN 301), S. 235. Z u Entwicklungen i m Ausland Jantz, K . (FN 295), S. 264 f.
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F. Zusammenwirken von P r i v a t - u n d Sozialversicherung
— Für die Krankenversicherung insbesondere ist darauf hingewiesen worden, daß die Sozialversicherung jeden vollen Bedarf jedenfalls an Sachmitteln decke 605 , so daß insoweit von einer Deckung des „untersten Bedarfs" nicht die Rede sein könne. Die Nivellierung der Heilleistungen (Ein-Klassen-Krankenhaus) verengt den möglichen Kreis von Zusatzleistungen weiter. Dennoch ist das Grund-Individualsicherungsmodell keineswegs eine utopische Orientierung. I m ganzen liegt es heute noch der Rentenversicherung zugrunde, die ja aus drei Schichten besteht: Versorgung i n der Rentenversicherung, betriebliche Altersversorgung, individuelle Lebensversicherung. Und i m Krankenversicherungssektor hat die Sozialversicherung bisher noch nicht i n größerem Umfang Individual leistungen angeboten. Sollte dies allerdings geschehen, so wäre es mehr als ein weiterer Einbruch in das Geschäft der PKV: Das einzig mögliche Grundprinzip der Abgrenzung des privaten vom öffentlichen Sektor wäre aufgegeben, mit unabsehbaren Folgen für die Sozialversicherung, für den Begriff derselben. Niemand w i r d dem Gesetzgeber die nähere Abgrenzung von Grundund Individualsicherung streitig machen können. Doch daß beide Begriffe noch einen gewissen Sinn haben müssen, daran ist er ebenso von Verfassungs wegen gebunden, wie er die bisherigen Strukturen zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen wählen muß. Die Vorstellung von der Grundsicherung als Aufgabe der Sozialversicherung bietet schließlich die einzige Kategorie, welche ein komplementäres Zusammenwirken von privater und Sozialversicherung ermöglicht, ja verlangt: Hier w i r d Heterogenes, Komplementäres angeboten. Hier ist Zusammenarbeit, nicht „Wettbewerb". Wenn ein Zusammenwirken hier überhaupt einen rechtlich faßbaren Inhalt haben kann, so verpflichtet es den Gesetzgeber dazu, die Gesamtsicherung der Bürger als eine grundsätzliche Einheit zu sehen, daher „Konkurrenz" von PKV und GKV zurückdrängen, vielmehr jeden der beiden Pole in gewissem Umfang zur Unterstützung des anderen einzusetzen und den Übergang von der Sozial- in die Privatversicherung (und, wo nötig, umgekehrt) zu erleichtern. Einzelheiten müssen hier der Versicherungstechnik vorbehalten bleiben, als Rahmenmarkierung sei jedoch beispielhaft erwähnt: — Allgemeine „Konkurrenzabschwächung" zwischen Privatversicherung und freiwilliger
Sozialversicherung; Achtung der jeweiligen her-
eon Möller, H., Die Abgrenzung zwischen Sozial- und Privatversicherung, Gegenwartsfragen soz. Versicherung, 1950, S. 77.
I I . Hauptformen möglichen Zusammenwirkens
kömmlichen Tätigkeitsbereiche; insbesondere nung" i n Randbereichen.
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„Konkurrenzverdün-
— Beschränkung der Sozialversicherung auf Information, Ausschluß einer Werbung i m eigentlichen Sinne. — Abstimmung der Tarife. — Übergangserleichterungen.
Scb I u ßbe m e r k u η gen Die Untersuchung hat versucht, der horizontalen und vertikalen Expansion der Sozialversicherung organisationsrechtliche und grundrechtliche Schranken zu setzen. Die wichtigsten Ergebnisse sind: 1. Die Sozialversicherung ist als Einheit zu sehen; sie unterliegt einheitlicher Grundrechtsbindung und stellt keinen Raum freier sozialpolitischer Gestaltung dar. 2. Die Sozialgesetzgebung muß stets die von Verfassungs wegen festliegenden Wesenselemente der Sozialversicherung achten, welche allein diese vor den Grundrechten legitimieren — insbesondere sind der Versicherungscharakter, die Selbstverwaltung und die Gruppenhomogenität der Versicherten zu erhalten. 3. M i t steigender Expansion verstärkt sich der Begründungszwang der Sozialversicherung. 4. Die Ausweitung der Sozialversicherung zu Lasten der Privatversicherung läßt sich nicht dadurch legitimieren, daß Staatszuschüsse abgebaut werden sollen. 5. Wo immer die Unternehmen der Privatversicherung durch Sozialversicherungsexpansion — sei es i n Form der Pflicht- oder der freiwilligen Versicherung — i n einer Weise getroffen werden, die ihre unter bisherigen Umständen solide Unternehmensstruktur tiefgreifend verändern würde, ist die Schwelle zur verfassungswidrigen Sozialisierung überschritten. 6. Die Sozialstaatlichkeit legitimiert weder die allgemeine Volksversicherung, noch Formen der Sozialisierung der Privatversicherung. 7. Die Versicherungsverfassung der BRD liegt i n ihren Grundzügen grundgesetzlich fest. Zu diesen gehört insbesondere eine Bipolarität, welche der Privat- wie der Sozialversicherung verfassungsbedeutsames Eigengewicht garantiert. 8. Sozialversicherung und Privatversicherung Gebot komplementären Zusammenwirkens.
stehen unter
einem
9. Die Sozialversicherung darf, ihrem Verfassungsauftrag entsprechend, nicht mehr bieten als eine i n Grenzen dynamische Grund-
Schlußbemerkungen
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Sicherung. Der Bereich der Individualsicherung ist der Privatversicherung zu überlassen. Insbesondere gilt dies für Formen der Zusatzversorgung i m Bereich der Krankenversicherung. 10. I m ganzen sind heute die verfassungsrechtlichen Grenzen der Sozialversicherungsexpansion erreicht. Große weitere Schritte i n vertikaler oder horizontaler Hinsicht überschreiten die Schranken der Verfassung. Versicherung ist eine Veranstaltung der Ruhe. Wer die Privatversicherung durch Sozialversicherungsexpansion verunsichert, hat sie i m Grunde schon zerstört. Die Privatversicherung ist als Motor einer freien Marktwirtschaft unersetzlich. Wer sie als Kapitalträger ausschaltet, trennt die breite Basis der Bürger i n einem entscheidenden Punkt vom Investitionsgeschehen der freien Wirtschaft. Freiheit darf nicht i n Sicherheit sterben. Wenn das freie Sicherungsstreben des Bürgers nicht mehr die Gesellschaft bewegt, w i r d diese zum Versicherungszwangslager. Gegen die Risiken des eigenen Willens gibt es keine Vollversicherung. Und schließlich: Wer volle Staats-Sicherheit fordert, möge an das Ende seiner Gedanken denken: Was heute für Altersversorgung gilt, w i r d morgen für Lohn verlangt werden; was jetzt für Krankheit gefordert wird, kann bald für Urlaub, Freizeit, für alles gefordert werden. Die Kategorie „soziale Sicherung" ist ein Treibsatz, der mächtig genug ist, um bis zum totalen Zentralverwaltungsstaat zu tragen. Die Sozialversicherung Deutschlands war eine Tat des Ausgleichs. I n ihrem Namen haben ein Jahrhundert lang Konservative, Liberale, Sozialisten i n diesem Lande ihren Frieden geschlossen. Wenn man ihr die Privatversicherung und m i t ihr die Versicherungsfreiheit des Bürgers opfert, so verrät man i h r größtes Anliegen: Den selbstbewußten Bürger, der nie wahrhaft gesichert sein kann, wenn er von einem einzigen abhängt — vom Staat. Versicherungsverfassung sollte nicht zur Ideologie werden. Und wenn schon, so darf i n i h r nicht untergehen, was über der Ideologie stehen muß: Die Idee der allseitigen Freiheit.
Sachregister Äquivalenz 70, 75, 86, 103, 127, 153 Äquivalenzprinzip 71, 73, 74 Ärzte als Grundrechtsträger 31 f. Ärzteversorgung 64 Altersversorgung, betriebliche 161 f., 182 Angestellte 63, 91 Armenpflege 55, 78, 102 Arztwahl, freie 30 Aufgaben der SozV 48 ff., 50 ff., 61, 119, 121 Aufgabenwandel 56 Ausfallbürgschaft, staatliche 98 f. Ausgleich, sozialer 52 ff., 82 f., 86 Ausgleichswirkungen 75 f., 84 Ausweitung der SozV 1 ff., 20 ff., 40, 46, 62 ff., 76 Autonomie 84 ff., 89, 104, 107, 136,165 Beamte 14, 60 Befreiungsmöglichkeit 15, 128 Begriff — der Sozialversicherung 11 (FN 1), 47 ff., 66, 69, 85, 120, 182, 184 — des „sozialen Ausgleichs" 53 ff. Beitragsaufkommen 75, 86, 99, 103, 108 Beitragsbemessung 52, 72, 75 Beitragsbemessungsgrenze 12, 63 Beitragsgrundlage 75, 86, 99, 103 Beruf 36 f. Berufsausübungsregelung 38, 46, 143 Berufsbild 36 f. Berufsfreiheit 28, 31, 34, 35 ff., 95, 109, 116, 126, 143, 150, 167 f., 179 Berufsordnung 167, 169 Berufssperre 38, 391, 145 ff. „berufsständische" Solidarität 94 Berufswahlfreiheit 35 ff., 38 f., 44, 46, 61, 66, 97, 108, 118, 143 f., 145 Besitzstandswahrung 56 f., 67 Bestandsschutz 65 Beweislast des Staates 48 Chancen (keine 41, 142
Eigentumsposition)
Daseinsvorsorge 112, 122, 129 Deckung 42 f., 72, 106, 108 Deckungskontinuität 114 Demokratieprinzip 87, 107, 174 f. Dynamisierung 12
Eigentum 28, 31, 34, 45 Eigentum — Wesensgehalt 149 Eigentumsbeschränkungen 43 f. Eigentumseingriff 41 ff., 109 ff., 115, 146 ff. Eigentumsfreiheit 35, 40 ff., 118, 146 ff., 167 f. Eigentumsordnung 167 169 Eigentumsschutz 33, 40, 43, 116, 127 Eigentumsverletzung 41 f., 115 Eigentumsverletzung durch K o n k u r renz 148 f. Eigenvorsorge 61, 63, 119, 121 Eingriff 15 ff., 143, 146 f. Eingriffsschwere 43, 44, 148 f., 151 Eingriffstiefe 114 f. Eingriffsformen 16 ff. enteignender Eingriff 110, 146 ff. Enteignung 43 f., 46, 109 ff., 148 Enteignung durch Wettbewerb 147 ff. Entfaltungsfreiheit, persönliche 29, 34, 61 f. Entschädigung 82 f. Entwicklungstendenzen 14 f., 110 ff. Erdrosselungswettbewerb 144, 150 f., 157 Erforderlichkeit 28, 40 f., 44, 146 Ergänzungsfunktion (der Privatversicherung) 177 Erwerbschancen 41, 142 erwerbswirtsch. Tätigkeit d. öff. Hand 139 ff. Expansion der SozVers. 11 ff., 20 ff., 40, 46, 62 ff., 76 — Formen 15 ff. — Legitimation 40, 47 ff., 59, 66, 68, 97, 120, 126 f. — Richtung 15 — und Selbstverw. 85 f. — Schranken 44, 46, 63, 68, 70, 75, 78 f., 83 f., 88, 96 f., 101 f., 105, 109, 115, 126 f., 131, 166, 174 ff., 184 f. — als Verfassungsproblem 21 ff. Feuerversicherung 1101, 135, 147 Finanzhilfe, staatliche 1561 Finanzierung 69, 75, 86, 99, 103, 108 Finanzmonopol 35 f., 112 Finanzverfassung 23, 69, 100 Fiskalgeltung der Grundrechte 142, 148, 149, 157
Sachregister Fiskalprivilegien 137 Fiskus 136 ff. Föderalismus 165 f. Formenmißbrauch 157 freiberuflich Tätige 13, 55, 58, 60, 62 ff., 64 Freiheit 24, 108 f., 163 f., 166, 168 Freiheitsbegriff 62 freiwillige SozV 129 ff. Fürsorge 70 ff., 73 f., 76 ff., 81 f. Fürsorgepflicht des ArbGebers 92, 94 Fürsorgetheorie 76 Gebäudefeuerversicherung 110 f., 135, 147 Gefahrengemeinschaft 91 f. Gegenseitigkeit 70 f., 72 Gemeinschaftsgut, überragend wichtiges 39, 50, 59, 66 ff., 97, 109, 145 Gemeinwirtschaft 110, 139 gesamtwirtschaftliche Bedeutung 163 f. Geschäftsbetrieb 31 Geschäftsbeziehungen 41 Gesellschaftspolitik 24, 50 f. Gesellschaftssteuer 107 Gesetz der „großen Zahl" 42, 92 Gesetzesvorbehalt 49, 141, 150 f. Gestaltungsraum des Gesetzgebers 21 f., 27, 28, 36, 58 f., 63, 65, 74 f., 92, 108 f., 119, 126, 132, 140 f., 154, 182 Gewährträgerschaft, staatliche 72 Gewaltenteilung 107, 165, 174 f. Gewerbebetrieb, eingerichteter und ausgeübter 40 f., 110, 127, 146 f. Gewerbefreiheit 34, 35, 136 ff. Gewinnbeteiligung 110 Gleichartigkeit der Bedrohung 70 Gleichartigkeit, soziologisch-ökonomische 127 Gleichheit 29, 34, 122 f., 154 Globaldeckung 72 Globallegitimation 167 f. „große Z a h l " 42, 92 Grundrechte als Grenze der Expansion 33 f., 39 f., 43, 46 f., 108,141 ff., 157 Grundrechtsträger 26 ff., 33 f. Grundrechtsverständnis 22 f., 62, 113, 142, 163 f. Grundrechtsverzicht 64 Grundsicherung 14, 59 ff., 65, 66, 76, 79, 104, 112, 125 f., 126, 159, 179, 181 ff. Gruppenhomogenität 88 ff., 127, 131, 184 Gruppensolidarität 93 f. Handlungsfreiheit 29, 34 Handwerkerversorgung 56, 64 f.
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Herkommen 47, 90, 91, 99 hoheitl. Eingriff 15 ff., 25, 35 ff., 38 Homogenität 89, 90 f., 93, 94, 95 ff., 104, 108, 121, 123, 127, 145 — A r t 90 f. — Begriff 90 — Verfassungsqualität 89 Homogenitätsschwelle 89 f. Impfzwang 30 Individualäquivalenz 70 f., 72, 86, 103, 127, 153 Individualsicherung 181 ff. Inflation 102, 104 Inkassokosten 155 Institutionelle Garantie 125 institutionelle Grundrechtswirkungen 22 f., 163 f. Institutsgarantie 167 Interessenabwägung 108 K a l k u l a t i o n 42 Kategorienenteignung 110, 113 Kassenarzt 31 f., 37 F N 102 Kompetenzrecht des GG 164 ff. Komplementarität 177 ff. Konkurrenz 15 ff., 128 ff., 154, 160, 182 Konkurrenz als Eingriff 16 ff., 146 ff., 148 Konkurrenz von A r t . 12 u n d 14 45 Konkurrenzerweiterung 16, 25 Konkurrenzposition der P r i v a t v e r sicherer 15 ff., 19, 42 Konkurrenzschutz 39, 141 ff. Konkurs 152 Konkurssicherheit 153 K o n t i n u i t ä t 42, 75, 85, 102 Konzentrationszwang 34 Kooperation 176, 177 ff. Kostenvergünstigungen der GKV 155 f., 158 Krankenhausnivellierung 155, 182 Krankenhausträger als Grundrechtsträger 32 Krankenversicherer — als Beruf 36 f. — als Grundrechtsträger 33, 46 Krankenvolksversicherung 14, 17, 61, 80 Kriegsfolgelasten 101 L a n d w i r t e 13, 62, 65 f., 178 Leben, Recht auf 29, 34 Lebensversicherung, private 161 f., 182 Legalität 141 Leistungsfähigkeit 72 Leistungsverwaltung 129, 135, 143, 157, 160
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Sachregister
Marktwirtschaft 138, 170, 172 Mindestleistungspflicht 63 Mindestversorgung 60 Minimalschutz 65, 123 f. ministerialfreier Raum 107 Mitbestimmung 87, 110 Mittelaufbringung 69 ff., 75, 86, 99, 103, 108 Monopol 35 f., 38, 41, 112, 148, 162 Monopolbetriebe 111 f. Öffentl. Aufgabe 50, 112, 135, 163 ö f f enti. Interesse 130 Öffentl. Zweck 132 ff., 138, 141 Öffnung der SozVers. 12, 13, 16 Organisation 68 ff., 161 ff. Organisationsanpassung 178 Organisationsform 53, 167 Organisationsmerkmale der SozVers. 48 f., 96 f., 165 Organisatorische Wesenselemente der SozVers. 68 ff. Parlamentarische Demokratie 107 Personwürde 61 Pflichtversicherung 18,28 ff., 38, 59 ff., 66, 104 ff., 109 ff., 119, 126, 138, 144, 160, 179 f. Pflichtversicherungsgrenze 88, 105, 12, 15 f. Prämienbemessung 52, 72, 75 Privatautonomie 139, 143 private Krankenversicherer als Grundrechtsträger 33, 46 Privatisierung 140 Privatversicherung 15 ff., 19, 42, 51, 165, 169, 181 Privilegien 41, 151 ff. Rechtsstaat 56, 135, 167 Reformkonzept 14 Regierungsverantwortung 107 Rentenversicherung 13, 20, 51, 80, 83, 99, 102, 124, 161, 178 f., 181 f. Risiko 83 Risikohomogenität 91 Risiko-Gleichartigkeit 73, 75, 89 Rücksichtsnahmegebot 154 Selbsthilfe, organisierte 86, 108, 145 Selbsthilfeautonomie 168 Selbständige 13, 55, 58, 60, 62 ff., 64 Selbstverwaltung 69 ff., 84 ff., 89, 95 f., 100, 1031, 121, 127, 131, 145, 164, 184 Solidarität 84 ff., 88 ff., 92, 9 4 1 Solidarfunktion 54 Solidargemeinschaft 53 Sonderleistung 155 Sonderopfer 43 Sozialauftrag 160, 176, 178
Sozialbindung 43 f. Sozialer Ausgleich 52 ff., 73, 1061, 122, 131 soziale Marktwirtschaft 170, 172 soziale Sicherheit 57 f. Sozialhilfe 82 Sozialisierung 45, 46, 1091, 1121, 128, 1391, 184 Sozialisierungsschwelle 114 ff., 127 Sozialpolitik 20, 22, 50 ff., 58, 108 f. sozialrechtliche Institutionen 125 Sozialstaat 116 ff., 184 Sozialversicherung — Begriff, 11 (FN 1), 47 f i , 66, 69, 85, 120, 131, 182, 184 — Einheit der, 20 1, 37, 81, 83, 130 f. — Besonderheiten der Krankenvers., 20, 36, 79 f., 82, 83, 94, 99, 101, 103, 1591, 182 — Unterschied zur Privatversicherung 72, 101 — Versicherung, 70 ff., 165 — Wesenselemente 49, 52, 55, 68 ff., 100, 124, 165, 182 Sozialversicherungsprivileg 48 151 ff. Spartenenteignung 149 subjektive Rechte 118 Subsidiaritätsprinzip 79, 93, 140 Subventionen 100 ff. Systemdenken 20 Systemgerechtigkeit 90 Systemtreue 74 Schranken der Sozialversicherung 231, 46, 831, 951, 96 ff., 105, 141 ff. Schutzbedürftigkeit, soziale 26, 55 ff. (Begriff), 62 ff., 641, 79, 104, 124, 132, 145, 181 Schutzbereich d. A r t . 12 u n d 14 45 Schutzkonkurrenz 45 Schwächerenschutz 124 Staatsaufgaben 23, 121 Staatsgarantie 102, 1531 Staatsorganisation 23, 161, 1641 Staatsorganisationsrecht 23, 167 Staatsunternehmen, wirtschaftliche 133 ff. Staatsversorgung 99 Staatswirtschaft 132 ff. Staatszuschüsse 72 ff., 89, 98 ff., 127, 1561, 158, 184 Steuer 69, 107 Steuerstaat 107 Steuerverfassung 69 Steuervergünstigungen der G K V 1551, 158 Strukturelemente der SozVers. 48 ff., 72, 95, 97, 105, 1241, 126, 145 Studenten 14, 88, 179
Sachregister Teilsozialisierung 113 Totalversorgung 65 Tradition 47, 69, 84, 95, 101, 131, 176 Umverteilung 52, 104, 106 f., 123, 127, 153 Unfallversicherung 82, 95, 99 Verbindung v o n Pflichtvers. u. freiw i l l . SozV 158 Verdienstgrenze 11 Verdrängungs Wettbewerb 150 f. Vereinigungsfreiheit 28, 34 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 28,40, 44, 61, 144 Vernichtungswettbewerb 157 Versichertengemeinschaft 93 Versicherung 54, 70 ff., 74, 81 f., 89, 103, 111, 121 Versicherung auf fremde Rechnung 92 f. Versicherung sui generis 73 Versicherungsaufsicht 112, 144, 178 Versicherungsbegriff 89 Versicherungscharakter 103 Versicherungselement 54, 70 ff., 121 Versicherungsleistungen 13, 16, 102 — Wertbeständigkeit der, 153 Versicherungsmonopol 162 Versicherungsordnung 162, 163 Versicherungspflicht 15, 27, 36, 38, 62, 106 Versicherungspflichtgrenze 12, 15 f., 88, 105 Versicherungsprinzip 73 ff., 95 f., 127 Versicherungsträger, private, als Grundrechtsträger 30 f. Versicherungsrisiko 70 Versicherungsverfassung 23, 87, 161 ff., 164 ff., 170 ff., 184 Versorgung 70 ff., 76 ff., 81 f., 99 Versorgungsbegriff 80 Verstaatlichung 109 ff., 126 Vertragsfreiheit 149 Verwaltungsmonopol 35 f., 38, 41, 112 Vielfalt des Versicherungswesens 161 f.
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Volkskrankenversicherung 14, 17, 61, 80 Volksversicherung, allgemein 14 f., 35, 56, 75, 106, 108, 109 ff., 116, 126, 127, 162 Vorsorge 82 f. Wahlmöglichkeit 27, 128, 178 ff. Weiterentwicklung 11 ff., 14, 15, 20 ff., 40, 46, 62 ff., 76 Weiterversicherung 11, 15, 128, 144, 159 Werbung 156 Wesenselemente der SozV 49, 52, 55, 100, 124, 165 — organisatorische, 68 ff. Wettbewerb 15 ff., 128, 154, 160, 182 wettbewerbliche Zurückhaltung der öff. Hand 150 f., 159 Wettbewerbsfreiheit 34, 129 ff., 149 ff. Wettbewerbsgleichheit 34, 149 f., 153 f., 157 Wettbewerbsprivilegien der öff. Hand 151 ff. Wettbewerbsrecht 133 ff., 157 Wettbewerbsverzerrungen 155, 158 Wettbewerbs vorsprung 151 f. Wirtschaftslenkung 138 f. Wirtschaftsunternehmen des Staates 132 ff. Wirtschaftsverfassung 62, 170 ff. Wertbeständigkeit 104 Wohlfahrtsstaat!.. A u f t r a g der SozV 12 Zurückhaltungsgebot 150 f., 159 Zusammengehörigkeit, soziologischökonomisch 91 ff. Zusammenwirken von SozV und Privatversicherung 176, 177 ff. Zusatzversicherung 15, 16, 17, 63, 128, 131, 145 ff., 176, 181 Zusatzversorgung 60 Zuschußpflicht des Staates 152 Zwangszusammenschluß 27 f., 34 Zwecksteuer 105