Soziale Gerontologie: Ein interdisziplinäres Fach - Grundlagen, Entwicklungen und aktuelle Fragestellungen. Gedenkschrift für Margret Dieck [1 ed.] 9783428493692, 9783428093694

Der vorliegende Band enthält Beiträge einer Gedenkveranstaltung für die 1996 verstorbene langjährige Leiterin des Deutsc

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German Pages 134 Year 1998

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Soziale Gerontologie: Ein interdisziplinäres Fach - Grundlagen, Entwicklungen und aktuelle Fragestellungen. Gedenkschrift für Margret Dieck [1 ed.]
 9783428493692, 9783428093694

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Deutsches Zentrum für Altersfragen e. V. Christoph Behrend, PeterZeman (Hrsg.)

Soziale Gerontologie Gedenkschrift für Margret Dieck

Sozialpolitische Schriften Heft 76

Soziale Gerontologie Ein interdisziplinäres FachGrundlagen, Entwicklungen und aktuelle Fragestellungen

Gedenkschrift für Margret Dieck

Herausgegeben von Christoph Behrend I Peter Zeman

Duncker & Humblot · Berlin

Das Deutsche Zentrum für Altersfragen e. V. (DZA) wird institutionell gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und von der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, Berlin.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Soziale Gerontologie : ein interdisziplinäres Fach - Grundlagen, Entwicklungen und aktuelle Fragestellungen ; Gedenkschrift für Margret Dieck I hrsg. von Christoph Behrend/Peter Zeman. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Sozialpolitische Schriften ; H. 76) ISBN 3-428-09369-0

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0584-5998 ISBN 3-428-09369-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Vorwort Der vorliegende Band enthält die Beiträge einer Gedenkveranstaltung für die 1996 verstorbene langjährige Leiterin des Deutschen Zentrums für Altersfragen (DZA), Margret Dieck. Ihr wissenschaftliches Wirken hat der Entwicklung der Sozialen Gerontologie in der Bundesrepublik über mehr als fünfundzwanzig Jahre viele Impulse gegeben. Das zeigen ihre in der Fachwelt mit großer Aufmerksamkeit rezipierten Veröffentlichungen und die Aktivitäten des DZA, dessen Leistungsprofil durch sie geprägt wurde. Charakteristisch für das Institut sind Orientierungen, wie sie Margret Dieck vertreten hat: eine auf Synergie zielende Mischung aus multidisziplinär angewandter Forschung, Information und Dokumentation sowie der programmatische Dialog in einem, die gerontologischen Fachrichtungen übergreifenden Theorie-Praxis-Transfer. Es lag daher nahe, die Würdigung von Frau Dieck mit einer wissenschaftlichen Selbstreflexion aktueller Aspekte der Sozialen Gerontologie zu verbinden. Sechs Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen präsentierten Kernthemen und Schlüsselpositionen, die im Diskurs der Sozialen Gerontologie heute zentral sind. In seinem die Tagung und den vorliegenden Band einleitenden Beitrag läßt der Geriater Rudolph-M. Schütz, langjähriger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie, noch einmal das Bild der Person und Wissenschaftlerin Margret Dieck erstehen. Er zeigt damit auch, daß sich fachliche Anerkennung in der Sozialen Gerontologie keineswegs auf den Kreis der Kollegen in der jeweiligen "Mutterdisziplin" beschränken muß. Wenn Vertreter der medizinischen oder psychologischen Gerontologie eben nicht nur die menschliche Integrität und das Forscherethos einer Kollegin mit anderem fachlichem Hintergrund hervorheben, sondern auch die Kompetenz ihres wissenschaftlichen Beitrags - das betraf in diesem Fall vor allem die Qualität der sozial- und sozialpolitikwissenschaftlichen Analyse sozialer Ungleichheit im Alter und der daraus abgeleiteten Politikstrategien - dann sagt dies natürlich viel über die Person. Es kann aber auch als Hinweis auf ein facherübergreifendes Gesamtinteresse der Sozialen Gerontologie interpretiert werden, in dem sich medizinische, psychologische, sozial- und sozialpolitikwissenschaftliche Perspektiven immer mehr ergänzen und verschränken.

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Vorwort

Ludwig Rosenmayr, Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Sozialgerontologie und Lebenslaufforschung in Wien, zeigt am Thema "Generationen", welche Vielfalt an empirischen Befunden, Beobachtungen, Reflexionen und Erkenntnissen die Soziologie und Sozialphilosophie in die Gerontologie einbringen kann. Ausgehend von einer begrifflichen Differenzierung im Bedeutungsfeld "Generationen", die er inhaltlich und mit theoretischen Überlegungen belegt und vertieft benennt Rosenmayr Anregungen und Folgerungen für die Sozialpolitik. Die Psychologin Ursula Lehr, ehemalige Bundesseniorenministerin, Leiterin des Instituts für Gerontologie an der Universität Heidelberg und Direktorin des Deutschen Zentrums für Alternsforschung, berichtet über Ergebnisse und Probleme interdisziplinärer empirischer Forschung in der Gerontologie. Sie differenziert zwischen den Versuchen einer interdisziplinären Integration im Rahmen von Forschungsprozessen und der Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen zur systematischen Durchdringung konkreter Problemstellungen der Praxis der Altenhilfe und Alterssozialpolitik. Wobei sie die eigenständige sozialgerontologische und sozialpolitische Bedeutung der- in ihrem Verständnis eher multi- und transdisziplinären- angewandten Forschung würdigt, wie sie sich im wissenschaftlichen Lebenswerk Margret Diecks widerspiegelt. Siegfried Kanowski, Leiter der Abteilung für Gerontopsychiatrie an der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik der Freien Universität Berlin und der Gerontopsychiatrischen Abteilung am Städtischen Max-Bürger-Krankenhaus, hat bei der konzeptionellen und institutionellen Entwicklung des DZA als Vertreter der Wissenschaft im Vorstand des Instituts über viele Jahre mit Margret Dieck kooperiert. Aus der Perspektive des sozialpolitisch engagierten Mediziners vertritt er, daß sich Soziale Gerontologie immer mehr auch mit ethischen Fragen auseinanderzusetzen hat. Je größer in der demographisch alternden Gesellschaft die Widersprüche zwischen den Möglichkeiten moderner Hochleistungsmedizin, wachsenden Anteilen chronisch kranker alter Menschen und Finanzierungsproblemen des gesundheitlichen Versorgungssystems werden, desto mehr sind ethische Orientierungen vonnöten, die verhindern, daß Rationalisierungen in Rationierungen medizinischer Leistung umschlagen und dies zu Lasten der ohnehin am schwersten Betroffenen. Als langjähriger Weggefahrte Margret Diecks verdeutlicht Gerhard Naegele - heute Lehrstuhlinhaber für Soziale Gerontologie an der Universität Dortmund und Direktor des Instituts für Gerontologie - den sozialpolitischen Ansatz der sogenannten Kölner Schule der Sozialpolitiklehre, als deren wichtigste Vertreterio in der Gerontologie er Margret Dieck bezeichnete. Die Konfrontation dieses Ansatzes (der kontinuierlich nach sozialen Disparitäten in den Lebenslagen älterer Menschen fragt und nach Wegen sucht, sie zu

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überwinden) mit der Gerontopsychologie der "Bonner'' Schule- etwa hinsichtlich der Gewichtung von negativen Rahmenbedingungen des Alters und subjektiven Möglichkeiten einer positiven Lebensgestaltung - ist heute weitgehend einem konstruktiven Dialog dieser Disziplinen gewichen. Frank Schulz-Nieswandt. ebenfalls in der Tradition einer ökonomisch fundierten Sozialpolitikwissenschaft stehend, ist im Frühjahr 1996 als Stellvertreter Margret Diecks an das DZA gekommen, wurde nach ihrem Tod kommissarischer Leiter des Instituts, lehrt Sozialpolitik und Sozialökonomik an der Ruhr-Universität Bochum und hat im Frühjahr 1998 einen Ruf an die wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Köln erhalten. In seiner wissenschaftshistorischen und -theoretischen Analyse eruiert er Möglichkeiten einer theoretischen Grundlegung der sozialen Gerontologie aus der Perspektive der Sozialpolitiklehre Gerhard Weissers, dessen Schülerin Margret Dieck war. Der vorliegende Band wird komplettiert durch eine Bibliographie der Schriften von Margret Dieck, die Kari Thürkow - wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA) - auf der Grundlage der hauseigenen Literaturdatenbank GEROLlT erstellt hat. Die in diesem Werk versammelten Wissenschaftler repräsentieren in vieler Hinsicht den aktuellen Stand der deutschsprachigen Sozialen Gerontologie. Als wir sie darum baten, einer Gedenkfeier für Margret Dieck durch ihre Beiträge Würde und Gewicht zu geben, waren sie alle spontan bereit dazu. Dies ist Ausdruck einer Kultur der Kollegialität in der heutigen Sozialen Gerontologie. Ohne sie wäre auch dieser Band nicht entstanden. Wir bedanken uns dafür im Namen aller Mitarbeiter des Deutschen Zentrums für Altersfragen e.V. PeterZeman

Christoph Behrend

Inhaltsven:eichnis Rudolph-M. Schütz

Zwn Gedenken an Margret Dieck ...................................................... ...... ..

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Leopold Rosenmayr

Über Generationen (aktueller Datenbezug Wld sozialpolitische Praxisrelevanz) ... .............................................................................................

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Ursula Lehr

Soziale Gerontologie -ein interdisziplinäres Fach. EntwicklWlg, Situation Wld Perspektiven (Ergebnisse Wld Probleme interdisziplinärer ForschWlg).. 51 Siegfried Kanowski

Soziale Gerontologie, Gerontopsychiatrie Wld sozialethische Fragen der geslUldheitlichen VersorgWlg im hohen Alter .... ........ .... ... .. .. .. .. .... ..........

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Gerhard Naegele

Alter, Soziale Gerontologie Wld soziale Ungleichheit - ÜberlegWlgen zur Interdisziplinarität in der Sozialen Gerontologie............ .............................. 69 Frank Schulz-Nieswandt

Die Möglichkeiten einer theoretischen GrWldlegWlg der Sozialen Gerontologie aus der Perspektive der Sozialpolitiklehre Gerhard Weissers ...... ..... 83 Kari Thürkow

Spezialbibliographie aus den Schriften von Margret Dieck.. .......... ...... ........ 105 Autoren- Wld Herausgeberverzeichnis .. .. ... ... .. .. .... .. . . .. .. .. .. ..... .. .. .. .. ... .. .. ... .. .. .. .. 131

Zum Gedenken an Margret Dieck Rudolph-M. Schütz Diese Stunde vereint Freunde, Kollegen und Mitarbeiter zu einem Gedenken in Trauer an und zum Abschied von Margret Dieck, gleichzeitig aber auch in Dankbarkeit darüber, sie gekannt und ihr menschliches und berufliches Engagement, ihre hohe wissenschaftliche Qualität und ihre Menschlichkeit erlebt zu haben. Ich lade Sie ein, mit mir noch einmal wesentliche Stationen des Lebens und wissenschaftlichen Arbeitens von Margret Dieck abzuschreiten. Ich verstehe dabei diese Ausführungen nicht als Nachruf. Ein solcher erschiene mir nämlich inadäquat: Er hat so etwas endgültig Abschließendes an sich. Ich habe es deshalb vielmehr für richtiger gehalten zu versuchen, unser aller Gedanken und Gefühle zu einer leisen Hommage zu bündeln: Vielleicht ein letztes Mal haben wir gemeinsam die Möglichkeit, den bescheidenen Menschen Margret Dieck und sein Werk zu würdigen: Beide werden in ihrem Nachwirken und in der Erinnerung dauerhaften Bestand haben. Geboren als Tochter des Arztes Dr. Erwin Leopold Dieck und seiner Ehefrau Ilse, geborene Grassow, am 8. Juli 1941 in Bad Godesberg, besuchte Margret Dieck zunächst die Schule in Aremberg!Eifel. Es folgten Jahre im Convent of Jesus und Mary in Labore/Pakistan, nach Rückkehr in die Bundesrepublik bis zur Reifeprüfung 1959 am NikolausCusanus-Gymnasium II in Bad Godesberg. Margret Dieck studierte dann Wirtschaftswissenschaften in Köln: Schwerpunkte waren Volkswirtschafts- und Betriebswirtschaftslehre, Genossenschaftswesen und Sozialpolitik. Weiter belegte sie Sozialpsychologie und Soziologie sowie Politische Wissenschaften. Sie schloß das Studium mit der Diplomprüfung für Volkswirte im Juni 1964 ab. Unmittelbar darauf begann sie mit ihren Vorbereitungen für eine Dissertation, mit der sie im Juli 1967 zum Dr. rer. pol. promovierte. Schon während der Dissertationserstellung arbeitete Margret Dieck ab November 1964 bis Januar 1966 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im "Forschungsinstitut für Einkommenspolitik und soziale Sicherung" Köln, welches unter der Leitung von Wilfried Schreiber und Philipp Herder-

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Dorneich stand. Aus dieser Zeit stammen richtunggebende Arbeiten zur Theorie der sozialen Steuerung, zur sozialen Kybernetik und zur ökonomischen Theorie der gesetzlichen Krankenversicherung. Ab 1966 war sie unter Gerhard Weisser und Theo Thiemeyer wissenschaftliche Assistentin in der "Forschungsstätte für öffentliche Untersuchungen", deren Geschäftsbetrieb sie führte, gleichzeitig dazu von April 1967 bis Oktober 1969 wissenschaftliche Hilfskraft im "Seminar für Genossenschaftswesen" der Universität Köln, zunächst ebenfalls unter Gerhard Weisser, später unter Otto Blume. Dieses Institut richtete seine Tätigkeit auf die Gerontologie und die praktische Altenarbeit Margret Dieck untersuchte Fragen der Finanzierung öffentlicher Unternehmen, des Einsatzes öffentlicher Unternehmen als Mittel der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, der wirtschaftlichen Betätigung der Gewerkschaften, der Auswirkung von Konzentrationstendenzen in der Wirtschaft allgemein auf das Handwerk. Im Oktober 1969 wechselte sie zum "Kuratorium Deutsche Altershilfe e.V.'', bereitete hier die Gründung des "Institut für Altenwohnbau" vor und hatte von Inbetriebnahme an im Juni 1970 dessen wissenschaftliche Leitung inne. Unter Otto Blume als Vorstand befaßte sich das Institut mit Fragen der praktischen Altenhilfe und sozialen Gerontologie. Es widmete sich ferner der Dokumentation der für Altenhilfe und Gerontologie relevanten Veröffentlichungen und Informationen, der Beratung von Trägern der praktischen Altenhilfe, von öffentlichen Planungsinstanzen, von an der gerontologischen Forschung interessierten Wissenschaftlern, Studenten und Journalisten. Schon zu dieser Zeit pflegte sie Auslandskontakte und internationalen Erfahrungsaustausch, die auch später wesentlicher Bestandteil ihrer Konzeption waren. 1974 ging Margret Dieck auf AnratenBlumesan das "Deutsche Zentrum für Altersfragen e.V. Berlin", zunächst als Bereichsleiterin für Angewandte Forschung und wissenschaftliche Beratung, ab 1977 als dessen wissenschaftliche Leiterin. Sie stand dem Institut bis zu ihrem Tod vor. Während ihres Studiums wurde Margret Dieck durch Gerhard Weisser und Otto Blume stark geprägt: Deren wissenschaftliches Credo war der Lebenslageansatz. Dabei handelt es sich um ein sozialpolitisch-wissenschaftliches Konzept zur Erklärung, Beschreibung und Bewertung der Lebensbedingungen von Personengruppen. Es zielt darauf ab, Lebenssituationen sozial schwacher und gefahrdeter Personengruppen zu identifizieren und dann Vorschläge zur Verbesserung von deren Lebensbedingungen zu entwickeln. Dieses Lebenslagenkonzept - bezogen besonders auf ältere Menschen - stand im Zentrum ihres wissenschaftlichen Arbeitens.

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Es ist unmöglich, das wissenschaftliche Werk von Margret Dieck auch nur annähernd zu skizzieren. Es fand seinen Niederschlag in Aufsätzen und Monographien. Einige will ich im folgenden nennen: Die erste sehr positiv aufgenommene Monographie handelte vom "Wohnen im Alter" - lange Zeit das Standardwerk zu dieser Frage. Bedeutend wurden ferner "Gutachten über die stationäre Behandlung von Krankheiten im Alter und über die Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung" aus 1974 sowie die "Studie zur Lebenslage älterer Menschen in Deutschland" von 1975. 1978 gab sie zusammen mit Gerhard Naegele das Buch "Sozialpolitik für ältere Menschen" heraus: Auch heute noch von vielen als programmatische Begründung einer sozialpolitisch-wissenschaftlichen Forschungsrichtung in der Sozialen Gerontologie angesehen, gleichzeitig aber auch als Weiterentwicklung von Vorarbeiten der "Kölner Schule" um Otto Blume. Ihre Forschungen befaßten sich also stets mit der sozialen Ungleichheit im Alter, wobei nicht nur die Analyse der Situation, sondern stets auch das Bemühen, Hinweise an die Politik zur Überwindung und zum Abbau sozialer Benachteiligungen zu geben, zu erkennen war. Das ist zugleich der Grund, daß sie dem Klischee des positiven Alterns kritisch und oft kämpferisch entgegentrat, nicht immer von anderen Gerontotogen gutgeheißen oder begrüßt. Themen weiterer wesentlicher Veröffentlichungen waren: • die Situation der Frauen im Alter, • die Familienbeziehungen im Alter, • die gesundheitliche und pflegerische Versorgung älterer Menschen, • Reichtum und Armut im Alter, • ältere Arbeitnehmer, • das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und die berufliche Freisetzung des Alters, • die Pflegeversicherung, • die sozialen Dienste und ihre Finanzierung. Schließlich sei noch der unter ihrer Federführung im DZA entstandene dreibändige Bericht über "Altwerden in Deutschland" hervorgehoben, bei dem es sich um die erste systematische Darstellung der Lebenslage älterer Menschen in Deutschland handelt.

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Die Früchte ihrer Forschungen sowie die Ergebnisse der unter ihrer Leitung tätigen Wissenschaftler sind in Hunderten von Veröffentlichungen niedergelegt. Margret Dieck hat das DZA zu einem der führenden sozialpolitisch-wissenschaftlichen Forschungs- und Dokumentationszentren in Deutschland geformt. Die Bezeichnung "DZA" und der Name Margret Dieck waren für viele ein Synonym. Es ist bewundernswert, daß Margret Dieck bei diesem ausgeprägten beruflichen Engagement noch Zeit fand, in wichtigen Funktionen ehrenamtlich tätig zu sein. Als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie will ich als erstes ihre Arbeiten für diese Gesellschaft ansprechen: Sie war viele Jahre mit Siegfried Gößling Vorsitzende des Fachbereiches IV und von 1984 bis 1986 als Vizepräsidentin mit Ursula Lehr unter Ingeborg Falck in der Gesellschaft tätig. Gleichzeitig lief ein intensives Engagement in der International Association of Gerontology, European Region, in welch letzterer sie von 1987 bis 1995 Vorsitzende der Behavioral, Social Science and Research Section war und viele nationale und internationale Tagungen mit hohem wissenschaftlichen Standard vorbereitet bzw. veranstaltet hat. Eine Vielzahl von Gremien hat Margret Dieck durch ihren großen Sachverstand, aber auch durch ihre kritisch abwägende und hinterfragende Art beeindruckt und zu prüfender Nachdenklichkeil verholfen. Persönlich bin ich Margret Dieck äußerst dankbar für ihr Engagement und ihre intensive Unterstützung bei der Erstellung des 1. Altenberichtes der Bundesregierung. Nennen will ich ferner • ihren Einsatz bei der Abfassung des nationalen Fachberichtes über die Aspekte des Alterns und des Alters in der Bundesrepublik, gedacht für die Weltkonferenz der UNO 1982, • die europäisch vergleichende Berichterstattung mit Analysen für die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in Dublin 1985/86, • ihr intensives Engagement durch Expertisen im Rahmen von Anhörungen des Bundestagsausschusses im Zusammenhang mit der Einführung der Pflegeversicherung, • ihre Mitgliedschaft im Kuratorium und Wissenschaftlichen Beirat der Forschungsgesellschaft für Gerontologie in Dortmund, • ihre Tätigkeit im Fachausschuß "Altenpolitik" beim Bundesverband der AWO,

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• ferner die als sachverständiges Mitglied in der Enquetekommission "Demographischer Wandel des Deutschen Bundestages" sowie schließlich • ihr Mitwirken am Erstellen des 2. Landesaltenplanes Nordrhein-Westfalen und der diesem zugrunde liegenden Untersuchung "Ältere Menschen in Nordrhein-Westfalen". Gerade zum jetzigen Zeitpunkt, zu dem der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie die Ausrichtung des 4. Europäischen Gerontologiekongresses 1999 in Berlin übertragen worden ist, bedeutet der frühe Tod von Margret Dieck einen besonders herben Verlust: Hatte die Gesellschaft doch große Hoffnungen auf ihre Mitarbeit und Erfahrung gesetzt im Wissen um ihren intensiven Einsatz im Nationalen Organisationskomitee des 12. Internationalen Gerontologenkongresses 1981, der allen in denkbar guter Erinnerung ist. Keine Aussage kann die wissenschaftlichen und auch menschlichen Qualitäten von Margret Dieck besser zusammenfassen als ein von Otto Blume in seinem Zeugnis 1974 geschriebener Satz: "Ich habe in den 20 Jahren, in denen ich als Leiter verschiedener wissenschaftlicher Institute tätig bin, keinen Mitarbeiter gehabt, dessen intellektuelles Niveau höher und dessen menschliche Eigenschaften schätzenswerter gewesen wären. Ergänzen möchte ich diese gewiß stark persönliche Wertung mit einem Hinweis auf ihren enormen Fleiß und ihre innere Bindung zwn wissenschaftlichen Ethos."

Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Eine Laudatio bliebe unvollständig, würde sie nicht versuchen, auch den Menschen Margret Dieck wenigstens zu skizzieren. Jeder von uns wird seine ganz persönlichen Wahrnehmungen von ihr und Erinnerungen an sie haben, jeder sein eigenes Bild besitzen. Sehen Sie es mir nach, wenn ich mich auf meine persönlichen Erinnerungen stütze: Das erste Mal bewußt wahrgenommen habe ich Margret Dieck 1974 auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie. Der damalige Präsident Rene Schubert hatte in seiner Eröffnungsansprache zum Thema "Wohnen im Alter" Auffassungen vertreten. die für Margret Dieck offensichtlich einen hohen Reizwert besaßen. Jedenfalls stürmte eine schlanke junge Dame in Jeans und rotkarierter Bluse an das Rednerpult und setzte zu einer Philippika an, die fachkompetent und unwahrscheinlich stimulierend, nicht immer ganz objektiv, aber von hohem Engagement geprägt dargeboten und mit großem Beifall aufgenommen wurde. Unseren damals ersten Gesprächen folgten in lockerer Reihe weitere bei Kongressen, Symposia und Sitzungen. Gerne erinnere ich eine 14-tägige Englandreise 1980, bei der wir

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uns mit Unterstützung der Stiftung Volkswagenwerk über Day-Care im weitesten Sinne informierten. Vertrauter wurde unsere Bekanntschaft erst während der Vorbereitungsphase des internationalen Kongresses 1981. Nach einer Sitzung wenige Tage vor Beginn dieser Tagung hatten wir auf einem langen Spaziergang einige bei der Sitzung des Nationalen Komitees aufgetretene Probleme nachdiskutiert. Bei einem anschließenden Abendessen spürte ich eine besondere Stimmungslage bei Margret Dieck: Ich empfand, daß für sie dieser Tag etwas Besonderes bedeutete, ohne daß ich mir erklären konnte, weshalb. Erst gegen Ende des Essens kam dann ganz nebenbei heraus, daß sie an diesem Tag ihr 40. Lebensjahr rundete. Und dann kamen erstmals sie persönlich betreffende Dinge zur Sprache wie ihre Vorstellungen über den späteren Ruhestand oder über ihr Pferd. Diese Episode zeigt- so meine ich deutlich-, wie zurückhaltend und bescheiden Margret Dieck war, sobald es um ihre Person ging oder auch nur darum, über ihre Interessen zu sprechen. Mit der Zeit erwuchs zwischen uns eine Vertrautheit, die trotz einer verbleibenden Distanziertheit mir mehr bedeutete als manche Duzfreundschaft. Selbst in der Phase ihrer Krankheit redete sie über diese und deren Belastungen nur auf direktes Ansprechen und dann zögerlich, war allerdings in den letzten Wochen doch wohl dankbar für Zuspruch. Denn dieser- so sagte sie mir- helfe ihr bei dem Versuch, sich mit ihrem Ende tapfer auseinanderzusetzen. Es gibt nur wenige außergewöhnliche Menschen. Margret Dieck war einer von ihnen. Außergewöhnlich in ihrem wissenschaftlichen Engagement und ihrem wissenschaftlichen Ethos. In Ihren Erfolgen. In ihren Intuitionen. Außergewöhnlich besonders in ihrer feinfühligen Menschlichkeit und ihrem offenen Herzen für Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens standen. Außergewöhnlich durch ihre persönliche Bescheidenheit. Außergewöhnlich schließlich deshalb, weil sie einmal erkannte Probleme - unabhängig davon, ob dieses Verhalten dann für sie politisch opportun war oder nicht - stets klar aufgezeigt und sich um deren Lösung bemüht und darum gekämpft hat. Mit ihrem Tod verliert die deutsche Gerontologie eine kämpferische und kompetente Sachwalterin. Aber die Erinnerungen an sie, die Wertschätzung ihrer Persönlichkeit werden uns trösten und verpflichten zugleich, nach ihrer Art und in ihren Intentionen weiterzuarbeiten. Mensch und Werk werden in ihren Nachwirkungen und in unserem Gedächtnis weiterleben. Ich verneige mich dankbar ein letztes Mal vor ihr.

Über Generationen

(aktueller Datenbezug und sozialpolitische Praxisrelevanz) Leopold Rosenmayr Margret Dieck bleibt mir in dreierlei Hinsicht besonders in Erinnerung: einmal wegen ihrer geradezu unermüdlichen Hilfsbereitschaft, das Dokumentationspotential des von ihr geleiteten Zentrums nach Anfragerbedürfnissen zur Verfügung zu stellen. Zweitens gedenke ich ihrer als eines politischen Menschen mit großer sozialer Anteilnahme, aber mit gleichzeitiger Bemühung um Unbefangenheit in ihrem wissenschaftlichen Urteil. Drittens beeindruckte mich Margret Diecks Bejahung und Förderung von Disziplinen am Deutschen Zentrum für Altersfragen, die, wie die Geschichte, zur Zeit der Gründung des DZA sicher noch nicht zu den klassischen Kooperationsfliehern unter dem Dach der Gerontologie gehörten. A. Begriffliche Differenzierung im Bedeutungsfeld "Generationen"

Ich will mit einer Klärung konzeptueller Art beginnen, auf die ich später zurückkomme um sie inhaltlich und mit einigen theoretischen Überlegungen anzureichern. An den Schluß stelle ich Anregungen und Folgerungen für die Sozialpolitik. Uns allen wohlvertraut ist der erste Sinn des Begriffs Generation, der als "generatio" (Hervorbringung) aus dem Lateinischen kommt und in unserem Kontext Abstammung in Sippe und Familie (kinship) bedeuten soll. Es empfiehlt sich, diesen Generationen-Begriff der Familienzusammenhänge in der Abfolgeordnung von einer zweiten grundsätzlichen Verwendung von Generation abzugrenzen. In diesem zweiten Sinn bezeichnet Generation die Gesamtheit der zu einer bestimmten Zeit geborenen Menschen, die, indem sie zur seihen Zeit aufwachsen, in dem "Zeitalter der Empfanglichkeit" -gemeint sind Kindheit und Jugend - "dieselben leitenden Einwirkungen erfahren" 1. Es ist also nötig, der familiären Abstammungsgeneration die auf historischem und sozialem Wandel beruhende - und zu diesem beitragende - gesellschaftliche Generation oder Kulturkohorte gegenüberzustellen. 1

Dilthey , 1961 , .S. 37.

2 Gedenkschrift Dieck

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Leopold Rosenmayr

Wir mögen bei einem Abstand von 25 oder 30 Jahren bei den aufeinanderfolgenden Kulturkohorten von Kontrahentengenerationen sprechen oder bei viel kürzerer I0- bis 15jähriger Abfolge von Konsekutivgenerationen. Es sind dies also Kohorten, die mit ganz bestimmten Erfahrungen und Ausprägungen, meist allerdings nur in bestimmten Segmenten der Gesellschaft, z.B. als Bildungsjugend und Studenten, sichtbar und fühlbar aufeinander folgen. So diffamierten neue Jugendgenerationen, welche von asiatischen Religionen und New-Age beeinflußt wurden, vor 15 Jahren die Angehörigen der Generation der Studentenrevolte, die damals 35- und 40jährigen 68er, als APO-Opas. Die heutigen Jugendkohorten bilden kaum eine einigermaßen faßbare Generation als "Kulturkohorte" aus. Sie sind unübersichtlich, zeigen pragmatische und individualisierte Grundhaltungen, sind von der Ungewißheit der gegenwärtigen und langfristig zu erwartenden prekären Arbeitsmarktlage sehr stark geformt. Kleingruppen-Initiativen und solche Formen von Zusammenhalt, die viel Wechsel und Wandel ermöglichen, kennzeichnen sie. Wenn man schon Schlagworte prägen will, könnte man sie als Gruppenjugend mit stark ausgeprägten Eigenplänen bei wachsender ökonomisch-sozialer Unsicherheit nennen. Bei dieser ersten begrifflichen Gegenüberstellung zwischen familiärer und geschichtlich-kultureller Generationenbildung ist sofort auch zu bedenken, daß es Wechselwirkungen zwischen der Position in der Generationenfolge in der Familie und in der Position in historischen Generationen, den Kulturkohorten gibt. Am Beispiel der 68er zeigte sich dies so, daß viele derjenigen, die sich in Demonstrationen und politischen Aktionen bis hinein in die Kriminalität engagierten, Sicherheit und Rückhalt in ihren meist liberalen - nicht radikalen - Familien erfahren konnten. Selbst bei den Roten Brigaden in Italien oder der RAF in Deutschland war dies häufig so. Solche und andere Formen von Wechselwirkung muß man konzeptuell und für die Forschung im Auge behalten. Bei der Kulturkohorte der 68er ging es um gesellschaftliche Zielsetzungen und um Lebensformen, um alternative und insofern neue Programme und um Konzepte, die die Ablehnung der bestehenden Autoritäten und den "langen Marsch durch die Institutionen" rechtzufertigen suchten. Die Zwischenrufe im Hörsaal hatten ideologische Bedeutung. Es sollte gezeigt werden, daß Autorität erschütterbar ist. In meinen soziologischen Hauptvorlesungen mit mehreren hundert Studenten in Wien gab es nicht nur diese Zwischenrufe, sondern es wurde in den ersten Reihen vor mir auch gegessen. Das diente nicht vorrangig der Stillung von Hunger, sondern war Ausdruck einer geziehen Respektlosigkeit, war ein programmierter Affront gegen die institutionalisierte Autorität des Professors. Ziel war, wie ich das später von Akteuren der

Generationen

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68er-Studenten erfuhr, die Räterepublik auf der Universität, beginnend mit dem soziologischen Institut. Es gab in den ersten Reihen meiner Großvorlesung der späten 60er- und frühen 70erJahre auch umschlungene Paare, die mir aber keineswegs emotional und erotisch stimuliert erschienen. Sie wollten zum Ausdruck bringen, daß ihre Form von Verhalten als Beispiel der Emanzipation dienen sollte. Es warals Innovation im Verhalten - auch als Angriff auf die mir als Sozialforscher von den 68ern dogmatisch zugeschriebene "positivistische Reproduktion von gesellschaftlichen Verhältnissen" -somit als Blockierung von Neuern- aufzufassen, eine Parole, die aus Theodor W. Adornos Formelrepertoire herausgeholt worden war. Die 68er hatten als Bildungsjugend ein Generationenprogramm und ein Arsenal von Strategien zu dessen Durchsetzung entwickelt. Diese Generation erfaßte die Chancen sozialen Wandels von gesellschaftlichen Defiziten her, und sie wurde zum Rezeptor neuer Wertkonstellationen, und ihre Mitglieder wurden zu "Agents of change"2. Eine Monographie über die Entwicklung der 68er - einschließlich Einzelbiographien - kann als Beitrag zu Generationsverläufen aufgefaßt werden 3 1998 findet in Berlin eine Art Veteranen-Treffen der 68er ( 1968-1998) statt. Es gibt jetzt schon Diskussionen, ob man sich mehr mit der Vergangenheit oder mehr mit der Zukunft auseinandersetzen soll. 4 Tendenzen der Heroisierung eigener Jugendleistungen sind bei den 68ern, die vielfach in den Medien Karriere gemacht haben, unverkennbar. Menschliche Geschichte ist nicht nur ein unberechenbarer ökonomischsozialer und kultureller Wandlungsprozeß, sondern auch einer, in dem Ideentindung und Deutungspraxis, ein konstruierter und konstruierender Prozeß von Sinngebung maßgebend werden. Neue Deutungen werden oft von den neuen Generationen zuerst aufgegriffen, besonders sofern es sich um Angehörige von begünstigten Schichten handelt. Die Wirkungen der Einflüsse müssen sich dann in bestehenden gesellschaftlichen Strukturen einer Selektion aussetzen. Durch die kontrastreiche Selbstdarstellung drängt das Neue amorph nach vorne. Dies geschieht in phasenhaften Schüben von unterschiedlicher Dauer, an denen "Generationen" (im Sinne von Kulturkohorten, also Erlebnisgemeinsamkeit von Altersgenossenschaft mit der Breite etwa eines Jahrzehnts) beteiligt sind. Das können politische oder kulturelle Schübe sein, und diese beiden 2 3 4

z•

Rosenmayr 1971 , S. 258. Vgl. Bude 1995.

Spiegel Nr. 50, 8. Dez. 1997, S. 20.

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Leopold Rosenmayr

Arten von Entwicklung müssen nicht synchron auftreten. Allerdings sind selbst die Stilwandlungen der Malerei oder der Architektur und auch anderer Künste nicht ohne die Generationenperspektive verständlich. Sie erfaßt auch eine Art "kollektiven Wettbewerbs". "Die Jungen steigen, wenn die Alten fallen"~.

Den generationengestützten Innovationen ist eigen, daß sie sich oft nur mit Konflikt, mit Einbrüchen in bestehende Machtsphären oder mit Eklats ereignen können und vorerst ohne breiteres Verständnis vorankonunen. Und natürlich gibt es Konflikte nicht nur zwischen dem Alten und dem Neuen, sondern auch unter den jeweils neuen Weltdeutungen der Jungen, die um Anerkennung ringen. Militante, oft gewalthafte, auf Generationen sich stützende Bewegungen sind in verschiedenen historischen und kulturellen Milieus nachgewiesen worden. 6 Mag sein, daß das Unbewußte großen Anteil an den Ballungen von Protestkräften gegen traditionelle Kulturmächte hat, wie die Jugendrevolten verschiedener Jahrhunderte es zeigen. "Das Unbewußte altert nicht", schrieb Sigmund Freud. 7 Wichtige Umbrüche im Stilwandel oder neue wissenschaftliche Paradigmen, die wiederum neuen theoretischen Sichtweisen den Weg bahnen, sind viel stärker in Generationenkonflikte und Generationenwechsel eingebettet, als das von der Wissenschafts- und Ideengeschichte meist gesehen und dargestellt wird. 8 Den besten generellen Überblick über das Verhältnis von Kulturkohorten zu ihren Opponenten und ihre Dynamik für den sozialen Wandel gibt durch Herausarbeitung eines "espace generationnel" Claudine AttiasDonfut. 9 Auch der Abschnitt über Gerechtigkeit zwischen den Generationen ist in einem Handbuchbeitrag ergänzend dienlich; er versucht eine Vorausschau künftiger Generationenkonstellationen. 10 Ich möchte den bisher genannten beiden Begriffen von Generation, einerseits Abstammungsfolge in der Familie und anderseits Kulturkohorte, die ich gerade behandelte, noch einen dritten Generationenbegriff gegenüberstellen, der die Polarisierung von Interessen altersmäßiger Großgruppen abbilden soll. Diese "Generationen" sprechen, heißt es, einander wechselseitig Ressourcen ab oder werden so interpretiert, als täten sie es oder müßten es tun. Diese

Vgl. Shakespeare, König Lear, 3. Aufzug, 3. Auftritt. Vgl. Feuer 1969. 7 Vgl. ders. , 1950. 8 Roserunayr 1993, S. 50. 9 Vgl. dies.1988. 10 Vgl. Bengtson/Schütze 1992. 5

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Generationen als politisch interessenorientierte Altersgruppierungen sind in einer anderen Art konstituiert als die Konsekutivgenerationen mit ideologischhistorischer Prägung (K.ulturkohorten), wie die 68er es waren. Es handelt sich bei Generationen in diesem unserem dritten Sinn um empirisch schwer faßbare und von Politikern und Medien fiktiv konstituierte Gruppierungen. Sie sind in gewisser Weise durch den staatlich bestimmten und ebenso veränderbaren sogenannten "Generationenvertrag" verflochten und gebunden oder geraten durch diesen Generationenvertrag in Konflikt oder werden in einen solchen von politischen Kräften und aufputschenden Medien hineingetrieben. Interessenunterschiede sind allerdings real vorhanden und werden sich vermutlich verschärfen. Die Austragung von Konflikten ist jedoch weitgehend von ideologisierend-politischen Mächten abhängig. Die wirtschaftliche Lage kann sich verschärfend oder beruhigend auswirken. B. Aushilfe, Transfer und Gemeinsamkeiten im Familienzusammenhang Wir befassen uns hier vor allem mit dem Begriff Generation im ersten von uns bestimmten Sinn, nämlich als Hervorbringungsahfolge in der Familie, im Kinship-System. Die demographische Entwicklung ist durch einen Rückgang der Mehrpersonen- und vor allem der Intergenerativ-Haushafte charakterisiert, bei Zunahme familiärer Multigenerativität. Bei gleichzeitiger Erhöhung körperlicher Leistungsfähigkeit zwischen 60 und 80 ergeben sich erhöhte Chancen von kooperativem und intergenerativem Austausch von Information, Kornmunikation und Dienstleistungen. Die Realisierung dieser Chancen bleibt jedoch hinter dem, was durch sie ermöglicht werden könnte, zurück. So ist z.B. das "goldene Seniorenturn" keineswegs allgemein enkelorientiert. Das Aktivitätsspektrum der Frauen im frühen Großmutteralter hat relativ viele andere als großmütterliche Optionen. Das Medianalter des Eintritts in die Großelternrolle wurde auf Grund von US-Untersuchungen bereits in den 80er Jahren mit 45 angegeben.11 Aus demographischen Entwicklungen werden jedoch oft falsche soziologische Folgerungen gezogen. Ich selber schrieb noch vor einigen Jahren: "Alternde Eltern sind so Teil des Lebens ihrer Kinder for durchschnittlich mehr als ein halbes Jahrhundert. " Die Bindungen der Großeltern zu ihren Enkeln dauern im Durchschnitt mehr als 20 Jahre. Es gibt Minoritäten von Großeltern, die selber noch Großeltern haben und diese teils auch pflegen. Das ist die 'neue Bevölkerungsweise', die Gerhard Mackenroth schon vor 40 11

Vgl. Sprey/Matthews 1982.

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Jahren kommen sah und die nun zu einer 'ergrauten' oder 'bunten Gesellschaft' führt." 12 Diesem Zitat aus einer eigenen Arbeit gegenüber möchte ich heute fragen: Erfolgt wirklich eine Integration in eine bunte Gesellschaft? Sind die Eltern in der Tat "Teil des Lebens" ihrer Kinder? Führt die neue Bevölkerungsweise auch zu einer neuen Gesellschaftsfonn? In der die gewachsenen Chancen der Gemeinsamkeit- wofür- genutzt werden? Gibt es da nicht große Diskrepanzen zwischen einerseits demographischen und anderseits soziologischen bzw. sozialpsychologischen Befunden? Zeitliche Koexistenz sagt ja nur wenig über Interaktion, Empathie, wechselseitige Hilfen aus. Das Ergebnis dieser Überlegungen ist: Auf Grund von Einstellungs- und Verhaltensänderungen wandeln sich mittel- und langfristig die demographischen Verhältnisse. Diese entwickeln wohl ein Eigengewicht und werden ihrerseits wieder Faktoren in der Beeinflussung von Verhaltensweisen und Einstellungen. Von den demographischen Strukturen her darf man aber keine direkten Schlüsse auf soziales oder kulturelles Verhalten ziehen. Trotz Zunahme der demographischen Intergenerativität sinken beispielsweise (nach Allensbacher Vergleichsstudien über die Zeit in den 90er Jahren) der Leistungspegel von wechselseitiger Alltagsaushilfe, ja auch die Besuchstätigkeit zwischen den Generationen. Was am stabilsten zu bleiben scheint, ist vorderhand die familiäre Pflege der alten Eltern und Großeltern im Notfall und die familiäre Langzeitpflege schwerer Fälle. Eine gewisse Rückläufigkeit sozialer Zuwendung ist trotz der durch die Gleichzeitigkeit der Individuen erweiterten Chancen zu beobachten. Die älteren Generationen bieten für die erwachsenen Kinder und deren Familien zu etwa je l/3 • Hilfe beim Kaufvon Kinderkleidung (für die Enkel), • Hilfe in finanziellen Schwierigkeiten, • Unterstützung bei größeren Anschaffungen, • regelmäßige finanzielle Unterstützung. In vergleichbarem Ausmaß stellen sich die älteren Generationen als Großeltern zur Verfügung: • in den Ferien, • am Abend, wenn die Eltern weggehen, • bei der Hilfe für Schulaufgaben der Enkel. 12

Vgl. Rosenrnayr 1993, S. 35.

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Wie sieht der ökonomische Transfer in den Familien aus? Französische Studien13 zeigen, daß von den 70- bis 90jährigen alle etwas an Kinder und Enkel zahlen. Ein Drittel zahlt umgerechnet zwischen etwa 2. 000 DM bis 12.000 DM jährlich an zumindest zwei jüngere Generationen 40% derselben Altenpopulation in Frankreich übermitteln zusätzlich im gleichen Zeitraum in derselben Höhe Werte an Wohnungsbeihilfe, Möbeln, Versicherungen und Sparbüchern. Die Großeltern geben jährlich ca. 100 Milliarden französische Francs (das entspricht 10% des staatlichen Budgets) an ihre erwachsenen Kinder oder Enkel weiter. Das ist etwa die Hälfte der jährlichen von den verstorbenen Alten zu den Jungen wandernden Erbschaftsbeträge. Die "Trente Glorieuses", die wirtschaftlich erfolgreichen Jahre von 1955 bis 1985, machen es möglich. In den USA leistet die Altersgruppe der 70- bis 74jährigen einen jährlichen innerfamiliären Netto-Transfer an Kinder- und Enkelgenerationen in der Höhe von etwa 10 Mrd. Dollar. Die Berliner Altersstudie 1996 von K.U. Mayer, P.B. Baltesund Mitarbeitern zeigt, daß ungefähr 40% der 70+jährigen Berliner im Durchschnitt jährlich 7000 DM an die erwachsenen Kinder, 2.500 DM an die Enkel bezahlen. 14 Andere neue deutsche Studien weisen in die gleiche Richtung. 1 ~ Was bieten umgekehrt die erwachsenen Kinder den älteren Generationen? Die Frequenzen sind höher, aber es handelt sich da nicht um finanzielle Leistungen. Über 60% liegende Frequenzen der wahrgenommenen und berichteten kommunikativen Tätigkeiten sind laut den im Manuskript veröffentlichten Untersuchungen des Allensbacher Instituts: • regelmäßige Besuche bei den Eltern, • kleinere Arbeiten und Reparaturen in Wohnung und Haus, • Mitarbeit in Haushalt und Garten, • Einspringen im Krankheitsfalt Die Leistungen an die Eltern bzw. die Kontakte mit ihnen zeigen in den 90er Jahren eine leicht fallende Tendenz. Interessant und für die Zukunft wichtig sind auch Ergebnisse, wie weit man sich für Verwandte verantwortlich fühlen muß, um ihnen in Schwierigkeiten zu helfen. Rund 3/~ sind der Meinung, man müsse sich verantwortlich filhlen. Die Unterschiede zwischen den Altersgruppen sind nicht sehr groß. Allerdings: geht man ins Detail, so sieht 13 14 15

Vgl. Attias-Donfut 1995. Vgl. Mayer/Baltes 1996. Vgl. Vaskovics 1997.

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man, daß bei den über 60jährigen wesentlich mehr sich auch den Verwandten verpflichtet .fiihlen, die man nicht mag und mit denen man sonst keinen Kontakt hat. Bei den Jüngeren werden Hilfeleistungen überwiegend nur bei positiven Beziehungen in Aussicht gestellt. Die Individualisierung macht sich fühlbar.

In diesem Zusammenhang ist noch ein weiterer Befund aus einem ganz anderen Lebensbereich zu berücksichtigen. Er stammt teilweise aus der Gegenüberstellung von Familienmitgliedern und aus Studien über gesellschaftliche Konsekutivgenerationen und besagt kurz zusammengefaßt Tendenzen der kulturellen Separierung von Kohorten . Das beginnt schon bei der Definition von Kultur, wie sich aus einer Studie von Franz Kolland über altersspezifische kulturelle Interessen und Verhaltensweisen in der Bevölkerung der Stadt Wien zeigen läßt. Die arn häufigsten genannten Elemente der Kultur sind für die älteren Generationen der über 60jährigen außeralltägliche: Theater, Museum, Ausstellungen, Literatur, darstellende Kunst, Malerei, Musik und Architektur. In den mittleren Generationen der 30- bis 60jährigen wiederholen sich diese Inhalte, doch wird der Kulturbegriff durch Fernsehen, Radiohören, Reisen, Sport und Essen erweitert. Die Angebote der Massenkultur werden bei den Personen mittleren Alters als integraler Bestandteil des kulturellen Lebens angesehen und offenbar auch so angenommen. Die 20- bis 30jährigen nennen zwar auch noch Kulturinhalte der älteren Generationen, aber ihr eigener Kulturbegriff verliert weitgehend an Kontur. Er urnfaßt auch Kleidung, Kindererziehung, "Beislkultur", Beziehungen zu fremden Ländern usw. Zur "traditionellen Hochkultur" wird weniger über Wissen und Kompetenz Zugang gesucht, sondern mehr durch unmittelbares subjektiv-affektives Erleben. Kultur ist für bestimmte Teilgruppen von Jugendlichen Suche nach einer Alternative zum Alltag, nach Spannung. Ausstellungen tragen dem Rechnung. 16 Meine Folgerung aus diesem Befund möchte ich als Frage formulieren: Läßt sich, was sich kulturell auseinanderlebt, sozial auf die Dauer rückbinden? Emotionen sind auch an Symbole als Transmitter von Kultur gebunden und an ein durch Symbole und Wertgerneinsamkeit geprägtes, dadurch in gewisser Weise gemeinsames Leben: "Culture is a 'design for living'." Es handle sich um "shared understandings underlying a shared way of life .. . The essential attribute of culture is that it is shared. "17 Kulturgerneinsamkeit bindet. Wo solche Bindung abhanden kommt, lockert sich die soziale Gemeinsamkeit. So ist zu fragen, ob sich das, was sich kulturell auseinanderlebt, und 16

17

Vgl. Kolland 1996. Keith 1985, S. 239.

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sei es in der Familie, auf die Dauer in der Familie durch Verpflichtungsgefühle, Wunsch nach Nähe und Intimität usw. sozial rückbinden läßt? Oder ist es für unsere Wandlungsgesellschaft pluralistischen Zuschnitts schon möglich, mehrspurig zu leben und zu kooperieren, also bei kultureller Divergenz soziale Integration zu leisten?

C. Intergenerationelle Wertgemeinsamkeiten Eine neue Untersuchung von Claudine Attias-Donfut von der Fondation Nationale de Gerontologie, Paris, läßt die Wertgemeinsamkeit in den Familien von Seiten sowohl der jüngeren als auch der älteren Generationen beurteilen. 18 Attias stellt dabei eine Verringerung der familiären Wertgemeinsamkeiten im gesellschaftlichen Wandel fest. Je jünger die Kohorten, desto weniger gibt es Wertgemeinsamkeiten zwischen alt und jung in der Familie. Attias beschreibt auch das Phänomen des sich verstärkenden Rückeinflusses der jüngeren Generationen auf die altgewordenen. Dies läßt sich als "retroaktive Sozialisation" in der Familie bezeichnen, für die ich schon früher Anzeichen fand. 19 Beim Inhalt der Einflüsse von jung zu alt haben wir es heute wohl eher mit transportierten Periodeneffekten zu tun. Es handelt sich mehr um einen sich ausbreitenden Zeitgeist in den Prozessen sozialen Wandels, als um Einflüsse spezifischer Inhalte der jüngeren Kulturkohorten. Dieser Zeitgeist wird durch die Medien, durch massive, auf dem Konsumsektor entstehende Einflußkräfte von den Jungen eher und schneller rezipiert als von den Älteren. Die Jungen geben den Älteren im Grunde nur das allgemeine (kein für sie generationenspezifisches) Neue weiter. So beeinflussen sie die Älteren allerdings auch in ihrem - der Jüngeren - Sinn. Sie werden zu Verstärkern des Zeitgeists und ziehen die Älteren zu diesem Zeitgeist hin. Auf Gebieten der Mode, der Technologie, der Freizeitstile und des Nahrungsmittelkonsums ist dies auch empirisch nachweisbar. Die Studie von Attias bietet neben der Beschreibung von GenerationenUnterschieden in den Werthaltungen auch Vergleichsaspekte zwischen Deutschland und Frankreich. In Deutschland erscheinen die gesellschaftlichen Generationen (Kulturkohorten) nach den Daten der Studie von Attias aus historischen Gründen viel stärker durch Barrieren von einander getrennt. In den deutschen Familien fand ihre deutsch-französische Vergleichs-Untersuchung stärkere Barrieren im Verhältnis der Älteren zu den Jüngeren als in den französischen. Das Gemeinsame zwischen den Generationen in der Familie ist 18 19

Vgl. Attias-Donfut 1998. Vgl. Rosenmayr 1976.

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in Frankreich deutlicher ausgeprägt. Es gibt in Frankreich mehr Wertgemeinsamkeiten zwischen den Generationen der Familie als in Deutschland. Wie kann man das erklären? Trotz der Niederlage 1941 und der Besetzung weiter Teile Frankreichs durch deutsche Truppen wurde das Nationalgefühl in Frankreich weit weniger gebrochen als- bedingt durch den Zusammenbruch des "Dritten Reichs" nach dem Zweiten Weltkrieg im Frühjahr 1945 -das deutsche Nationalgefühl. Die Aufarbeitung der französischen Schuldgefühle, im Hinblick z.B. auf die vom Vichy-Regime tolerierte Judenverfolgung in Frankreich, spielte im Vergleich zu dem vom nationalsozialistischen Deutschland verursachten Holocaust nur eine marginale Rolle. Ein weiterer Unterschied ist zu berücksichtigen: Die von den Studenten der 68er-Revolte als Kulturkohorte fast überall in West- und Mitteleuropa diesseits des damaligen "Eisernen Vorhangs" getragene Bewegung hatte trotz ihrer Lautstärke in Frankreich weniger tief in die Gesamtkultur eingegriffen als in Deutschland. Sie war an der Seine zwar als Mode und als soziale Form von Selbstdarstellung der Jungen in der Gesellschaft massiv und allerorts sichtbar aufgetreten, wirkte aber in Frankreich weniger stark nach als in den sogenannten alten Bundesländern Deutschlands, von denen die Attias-Studie ausgeht. Man könnte sagen, die Franzosen seien mehr an Moden gewöhnt, sie ziehen sie durch, sie lassen sie hochkommen, aufblühen oder explodieren und ihnen bald auch wieder neue folgen, welche die alten ablösen. Bei aller Europäisierung bzw. Globalisierung gibt es also in Europanach Ländern und Kulturregionen spezielle Formen der Verarbeitung von Geschichte, auch verschiedene Formen der Reaktion auf generationenbestimmende Ereignisse. Historische Verhältnisse haben nicht nur die Kulturkohorten, sondern auch die Wertbildungen in den Familiengenerationen auf das stärkste beeinflußt. Durch historisch-kulturelle Divergenzen der Kohorten sind auch Schwierigkeiten oder Unfahigkeiten des Werttransports in der Familie entstanden. Die älteren und ältesten Generationen waren durch ihre schwankenden oder den Jüngeren unerklärlichen politischen Haltungen und Aktivitäten - einschließlich der Schädigungen z.B. durch Denunziation im Nationalsozialismus - zu unglaubwürdig geworden. Die jüngeren Generationen konnten sie nicht anerkennen und in ihren Werten und Einstellungen umfassend akzeptieren. Je mehr die Kulturkohorte der 68er Selbstbewußtsein gewann, desto stärker wuchs der Wertabstand zwischen ihnen und der Vätergeneration. Für die Alten - die gegenwärtig über 70jährigen - war es und ist es selbst heute noch oft zu riskant, über einen Teil ihrer Biographie in Krieg und Nachkrieg zu sprechen. Das hat die Bildungsjugend der 68er wohl gefühlt, und das trägt zu einem auch heute noch nicht überwundenen Mißtrauen gegenüber den Alten

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und teilweise auch zu deren Abwertung in der Gesellschaft bei. Bei den von der 68er Bewegung getragenen oder inspirierten "Jungen", den heute 40SOjährigen, führt dies aber zu einer Stützung ihres Machtanspruchs. Sie benehmen sich auch als Trendsetter der "political correctness" und gestatten sich politisch rückblendende Urteile um mehr als ein halbes Jahrhundert. In ÖSterreich- mit seiner (chronisch) verspäteten Aufarbeitung von Geschichtekommt diesanläßlich der "Dreißig-Jahr"-Feiern der Studentenrevolte deutlich zum Ausdruck. Die Empathie den Alten gegenüber wurde zwar nicht aufgekündigt. Aber das soziale Gedächtnis20 hat diese Empathie nicht stützen können, sondern im Gegenteil eher gemindert. Das soziale Gedächtnis realisierte sich zunehmend außerhalb der Familie, was die kulturelle und politische Kluft zwischen den Generationen in der Familie verstärkte. Daran sind die oft über ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Traumatisierungen der Alten schuld und die daraus resultierenden, auch heute noch beobachtbaren Unfahigkeiten der Alten (über 70jährigen) zu Selbstmitteilung und Gespräch. Die psychische Sicherheit im Alter wird aber durch das eigene "integrierte Gedächtnis" entscheidend gefördert. Es besteht eine Wechselwirkung zwischen diesem integrierten Gedächtnis einerseits und dem Selbstbewußtsein des (alten) Menschen anderseits. Wo ein solches integriertes Gedächtnis im subjektiven Rahmen, das heißt den einzelnen Menschen fehlt, kann es auch in den persönlichen Beziehungen sozial nicht wirksam werden. 21 D. Jugendverhalten heute und Prognosen für künftige Solidarität

Wenden wir uns nun der Jugend als Verstärker und Überbringer der neu in der Kultur entstehenden Verhaltensweisen und Lebensstile zu. Wir tun dies, um Grundlagen für eine Vorausschau auf Aspekte und Dimensionen künftiger Generationenbeziehungen, einschließlich jener zu den Ältesten in der Familie, vorzubereiten. Zum verbesserten Verständnis der Jugend trägt heute eine Vergewisserung über Verhaltensweisen von Kindern bei. Neben vielen anderen Beispielen mag ein besonders augenfälliges angeführt werden: Im Wochenendverhalten werden als Effekt der Ermattung der Eltern (alleinerziehend oder nicht) in vielen europäischen Ländern zwei Drittel bis drei Viertel der Population von Kindern zwischen 4 und 10 Jahren zwischen 2 und 4 Stunden täglich mit Video und Fernsehen vielfach allein konfrontiert. So entstehen oder verschärfen sich 20 21

Vgl. Halbwachs 1967. Vgl. Muthesius 1997; Coleman 1997.

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soziale Integrationsmängel in der Familie. Als Kompensation für Zuwendungsdefizite bilden die Kinder hohe eigene Konsumerwartungen aus. Konsum hat die latente Funktion der Kompensation eigener Unterlegenheitsgefühle, bei Erwachsenen auch der Schwäche und Erschöpfung. Konsum wirft einen Hilfsmotor an, wenn der mit dem Selbst eng rückgekoppelte Hauptmotor reduziert wurde oder ausgefallen ist. Das hohe Anspruchsniveau der Kinder und die ungeregelte und willkürliche Freiheitszubilligung an sie schon im Vorschulalter, die immer wieder mit Konsum-Zugeständnissen verbunden sind, hat die Funktion einer Kompensation für Beziehungsdefizite. Konsum füllt die Lücke, wenn die Eltern weder Zeit noch Energie zur Verfügung stellen können. Aber füllt er die Lücke wirklich? Die Kindheit verliert so schon sehr früh den Charakter einer eigenen geschützten Welt. Und später, zwischen 8 und 10 Jahren, beginnt sich die Kindheit bei Festen und Kinderpartiesan die Erscheinungsformen von gesellschaftlich produzierter "Jugendkultur" anzulehnen. Jugend ist noch besser vermarktbar als Kindheit, darum beginnt sie so früh, noch vor der Pubertät. Viele Faktoren tragen dazu bei, daß die biologischen Voraussetzungen von den sozialen Entwicklungen ins Schlepptau genommen werden und daher Geschlechtsreife früher im Lebenslauf einsetzt und so auch die Pubertät früher beginnt, wie die Vorverlagerung der Menarche um drei Jahre in den letzten 130 Jahren. 22 Mit dem Blick auf diesen Prozeß können wir besser verstehen, daß das Verhalten der Jungen auf ein Zusammenzimmern einer eigenen Erfahrungswelt gerichtet ist, jedoch oft ohne selbstauferlegte anspruchsvolle Standards der Auswahl. Gerhard Schmidtchen kommt in seiner "Sozialpsychologie der Jugend in der postsozialistischen Welt", Opladen 1997, zu dem Schluß, daß aus dem deutlichen Trend zur Unabhängigkeit bei den Jungen mehrerlei Befunde verständlich werden: "der Widerstand gegen die ungeprüfte Übernahme von Normen .. ., gegen Institutionen, die zu wenig Mitbestimmung verheißen, gegen falsche Unterordnung, gegen politische Entscheidungen, die nicht einleuchten".23 Die Jungen stehen auf gegen das, was sie als begrenzend empfinden und nach ihrer Meinung zu deformieren suche. In dieser Hinsicht setzt sich das Erbe der 68er fort, deren Slogan vor 30 Jahren lautete: "Macht kaputt, was Euch kaputt macht." Aus den Befunden von Schmidtchen ist eine bevorstehende Verstärkung von kaltem Egoismus, Narzißmus, der geschlossenen Haltung einer "MeGeneration" mit reiner lchbezüglichkeit gegenwärtig zwar nicht abzulesen. 22 23

Rosenmayr 1976, S. 45-46. Schmidtchen 1997, S. 364.

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Wünsche nach eigener individueller Souveränität und die Bereitschaft zu sozialen Hilfen und Stützungen dürften nebeneinander, gelegentlich auch verbunden miteinander bestehen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Studien in dem Sammelband "Kinder der Freiheit".24 Aber ob diese Solidaritätstendenzen der Bereitschaft zur Hilfe für die altgewordenen Eltern diesen später werden zugute kommen können? Ein beträchtlicher Anteil der Jungen scheint die überzählige Energie in Leistung und Erfolg zu investieren. Aber es geht den Jungen deutlich nicht nur um materielle Werte. Sie haben sich aus ungesicherter Kindheit, die kaum Schutzzonen enthielt, in die frühe Unsicherheit einer weitgehend vorbildlosen Suche nach Orientierung begeben. Die psychoanalytischen Vorstellungen, daß auf Phasen der Identifizierung in der Kindheit die Identitätsjindung in der Jugend folge (Erik Erikson), entsprechen nicht mehr den gewandelten sozialen Verhältnissen. Die IdentifiZierungschancen in der Kindheit mit Elternpersonen sind zurückgegangen. An Stelle von Identitätsjindung, wie sie z.B. durch Schule und Jugendorganisationen gefördert wurde, ist Identitätssuche getreten. Mehrere französische Untersuchungen, über die ein Sammelband des "Esprit" aus dem Oktober 1996 detailliert berichtet, lassen für die Jugend (1830jährige) erkennen: "La famille plait parce qu'on s'y plait." Die Familie wird von den Jungen positiv bewertet, weil man sich in ihr zwar nicht geborgen aber doch gestützt fühlt. Man vermutet aufgrund dieser Studien, daß der Anteil der 30jährigen, die noch zu Hause wohnen werden, im nächsten Jahrzehnt zunehmen wird. 2~ Mit gallischem Humor wird von der "generation frigo" gesprochen, also jener Jugend, die ich als distanzierungsbedürftig, aber a/imentierungsbereit bezeichne. Sie will sich zwar nur zu etwa einem Viertel die Eltern zu Vorbildern nehmen, rechnet jedoch damit, daß sie sich bis ins frühe Erwachsenenalter aus dem Kühlschrank ("frigo") und anderen "Schränken" der Eltern bedienen kann.26 Die Jugend ist eine Art "no man's land" geworden, in der die sozialen und bildungsmäßigen Unterschiede sich um vieles stärker ausprägen als eine "Jugendkultur". Zurückweichende Affluenz läßt die ökonomische Nutzung der Generationen-Beziehungen der Familie deutlicher hervortreten. Der schon stockend und lückenhaft gewordene Transport von Überzeugungen von einer

24 25 26

Vgl.Beck 1997. Lachenmeier 1995, S. 10-13. Vgl. Esprit, Nr. 225, Okt. 1996.

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Generation in der Familie auf die andere wird sich vermutlich weiter abschwächen, ebenso die intergenerative Kulturkontinuität Trotz aller bei den Jugenduntersuchungen auch gefundener Bereitschaft zur Solidarität kann in Zukunft eine solche nur individualisiert aktiviert werden. Der Weg zum anderen, zur anderen Gruppe, geht künftig überhaupt nur über sich selbst und über persönliche Präferenzen. Also muß auch das Alt-Jungund Jung-Alt Verhältnis den Weg der Personalisierung suchen. Dieser Weg führt nicht mehr über ferngesteuerte, verordnete Normen. Die tragen meist nicht mehr. Was zählt, ist die Achtung vor der anderen Person, der Freiraum, der ihr zugebilligt wird. Was geben uns die Jungen zu verstehen? "Anerkennt die Freiräume unserer Individualität, derer wir bedürfen um in der Ungesichertheit unserer Zukunft unsere eigenen Schritte setzen zu können." Schon seit einem Jahrzehnt beobachten wir in der Forschung, daß sich junge Menschen kaum von Identitäten sondern von ihren ganz subjektiven Plänen und Zielsetzungen her definieren, allerdings mit dem Begleitgefühl großer Unsicherheit. Eingrenzende und leitende Autoritäten fehlen so gut wie ganz in den Lebensentwürfen der Jungen. Weder sind es in einem Ausmaß wie noch in den frühen 60erJahren die Väter, Mütter oder die Lehrer, an denen sie für sich Maß nehmen. Im psychischen Innenraum dominieren bis in die religiösen Haltungen und Praktiken religionsgemeinschaftlicher Art die Elemente der .fur die Jugend auf dem Markt der Jugendkultur produzierten Symbole. Als Beispiel mag dienen, daß Techno-Musik auch in der Kirche Platz bekommen soll. In der 12. Shellstudie "Jugend 97" wird eine evangelische Münchner Gruppe beschrieben, die auf Grund der gewährenden Haltung des Pastors zu dem Schluß kommt: "Wenn Jesus könnte, würde er mitraven." Voraussetzung ist, daß dieser Pastor sagt: "In der Kirche gibt es keine Tabuzonen, wo man nicht hindarf. Das Wort Entweihung kommt in meiner Theologie nicht vor." So wächst auch die Gruppe: "Rave ist eine gute Art, Leuten, die die Kirche nicht kennen, die Kirche nahezubringen." Die zeitgemäße Art, so das befragte Mädchen, sei jene, die der Musik entspricht, "die gerade läuft", die also im Moment "in" ist. Die Eltern sind meist nicht zeitgemäß, sie sind uncool. Aber Gott ist als Hoffnungsträger definierbar. So steht auch auf einem Fenster der Münchner Kirche, in der "geravt" wird: "Gott ist cool". 27 Spontane Änderung, Momenthaftigkeit werden zu entscheidenden Elementen des Selbstbildes. Dieter Baacke nannte das das "Recherchen-Ich". Die

27

Fischer/Münchmeier 1997, S. 106-107.

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Identität der Jungen erhält mehr und mehr "Suchhabitus" 28 Das erklärt auch den geringen Bezug auf familiennahe Vorbilder, familiäre Orientierungspersonen, Jugendführer, Pfarrer. Die Muster der Medien und zumindest der vordergründig dargestellten Politiklandschaft, nämlich Diskussion, Verhandlung und allenfalls Abstimmung, dringen nach Einforderung durch die Jungen in die intergenerativen Strukturen ein. Aber bei all dem will man sich, weil man ja im Gehäuse der Individualität und zum Schutz ihrer Ungesichertheit darin abgekapselt lebt, nicht erhitzen. Denn dadurch könnte die Kapsel - das Individualitätsgehäuse - von innen her aufgeschmolzen werden. Auch insofern ist das Wort "cool" ein Schlüsselbegriff. Die Eltern sind "uncool", weil sie aggressiv aus sich herausgehen. Ihre Individualitätskapseln sind zumindest an manchen Stellen aufgeschmolzen, aus Ärger oder Frust, wenig Einfluß auf die Jungen, "ihre" Jungen, nehmen zu können. Indem die Jungen "cool" bleiben, können sie auch abgeschlossen bleiben. Das eigene Cool-sein erlaubt es den Jungen. Orientierungen, die ihnen angeboten oder gar aufgezwungen würden, abzulehnen, sich in oft überdeutlicher Weise abzusetzen. "Jede Seite", schreibt Ulrich Beck über das innerfamiliäre Generationenverhältnis, "führt mit dem Freifahrschein der anderen Seite ihr eigenes Leben". 29 Werden diese Freiheiten zu Verantwortungen führen können, zu realisierter, nicht nur in Aussicht gestellter Solidarität? Wie wird das in Zukunft zu Hilfen und Stützungen führen (können), wie sie heute in den Familien noch mehrheitlich angeboten und praktiziert werden? E. Abstand ohne Intimität?

Beim Studium der Generationenbeziehungen in der Familie erwies sich vor Jahren der Begriff der "Intimität auf Abstand", zuerst räumlich-ökologisch30• dann sozialpsychologisch31 als erklärungskräftig. Dabei konnte ich zeigen, daß eine Person, die der anderen Seite (Sohn, Tochter, Vater, Mutter) "Abstand" - und das heißt Freiraum - gewährt, für die eigenen Intimitätsbedürfnisse und für die der anderen Seite mehr Verständnis und Entscheidungskraft einsetzen muß. Intimität setzt immer auch Zuwendung zu sich und zum anderen voraus, aber eben bei Zubilligung von Freiheitsräumen. Heute entstehen durch die gerade beschriebene Coolheit nun Distanzen, Abstände, die durch keine oder nur geringe Intimitätsangebote von Seiten der Jungen 28 29

30 31

Beck 1997, S. 213. Beck 1997, S. 215. Vgl. Rosenmayr/Köckeis 1965. Rosenmayr/Rosenmayr 1978, S. 186.

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gegenüber ihren Eltern und anderen Familienmitgliedern der älteren Generationen ergänzt oder dadurch besser lebbar gemacht werden. "Intimität auf Abstand" war als Beziehungsform bei der Überwindung der in allen Näheverhältnissen wie Freundschaften, Partnerschaften, Eltern-KindBeziehungen auftretenden Ambivalenz gedacht. Fällt bei der Einräumung von Distanz nun die Intimitätsbindung aus oder verringert sie sich dramatisch, so fehlen auch die Kräfte zur Ambivalenzverarbeitung. Mit Abstand allein lassen sich ablehnende Gefühle, Widerstand und Aggressionen nicht so bearbeiten, daß es das Leben in einer "Gruppe auf Dauer", wie die Familie es ist, stützen kann. Nur beides, die geglückte Intimität, nämlich die mit "Abstand", erlaubt die Leistung der Verarbeitung bzw. der Toleranz der verbleibenden Ambivalenz. Die Coolheit als Distanzhaltung ohne Initimität führt eher zu Repression bzw. Leugnung als zu einer Verarbeitung von Konflikt. Konfliktverarbeitung istjedoch eine zentrale Aufgabe intergenerativer Verhältnisse in der Familie.32 Konfliktleugnung wird aber letztendlich zu einem Weg der Entziehung. Und diese ist ja nur unbearbeitete und die am schwersten lösbare Form von Aggression. Entziehung führt zur Erweiterung der Distanz und zur Verwandlung von Konflikt in bestenfalls Gleichgültigkeit. Welche Folgerungen sind aus all dem für "kinship" und das (künftige) Generationenverhältnis in der Familie zu ziehen? In jedem zwischenmenschlichen Verhältnis gibt es Ambivalenzen, und umso ausgeprägter dort, wo die Emotionen stark und Gefühle der Verpflichtung und Nähe vorherrschend sind, wie in der Familie. Es gibt keine Liebe ganz ohne eine mitten in ihr auftretende Ablehnung. Besonders im Verhältnis zwischen den Generationen in einer Familie, das ja auch immer durch irgendeine Form von Abhängigkeit gekennzeichnet ist, tritt Ambivalenz auf, mischen sich Liebe, Ablehnung und Angst, unterschwellig sogar auch Haß. Dieser tritt besonders dort auf, wo die Jüngeren in ihrem Verhältnis zu den (eingeschränkten) Alten nur wenig "filial maturity" 33 , also innere Selbständigkeit durch Ablösung und Bereitschaft zu Selbstabgrenzung, erlangen konnten. Es kommt für das Glücken eines bis in die letzte Konsequenz der Hilfeleistung und Pflege durchlebten Verhältnisses darauf an, daß dieser Widerspruch von Anziehung und Ablehnung ertragen wird. Notwendig ist, rehabilitative und therapeutische Werte vorausgesetzt, was wir in Anlehnung an den Psychoanalytiker Balla Bahnt die "Bearbeitung des 32 33

Kohli 1996, S. 20. Vgl. Blenkner 1965.

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Generationenverhältnisses", die intergenerationeHe Be.freiungsarbeit, nennen möchten. Eine solche Befreiung bedeutet nicht, daß man nun Aufmerksamkeit und Zuwendung abzieht, sei es von den Kindern, sei es von den Eltern, sondern daß eine Verminderung von Zwängen eintritt, die Veränderungen des Verhaltens erlaubt. Befreiung heißt auch Gewinnung einer Fähigkeit, sich solidarisch, liebend und offen und damit wandlungsfiihig gegenüber Kindem und Eltern einstellen zu können. Die "Vermenschlichung" der Eltern, die Entzerrung ihres oft lebenslang aus Abhängigkeiten heraus fixierten stark negativen Bildes durch eine neue (diesmal eine im reiferen Leben erarbeitete, nicht selbstzerstörerische!) Zuwendung, ist äußerst wichtig für die Verarbeitung von Ambivalenz. Die gegenwärtige geistige und kulturelle Entwicklung in unserer Vermarktungsgesellschaft wird von der Konsumkraft und der durch instrumentelles und marktgerechtes Verhalten möglichen Erringung des prekärer gewordenen Wohlstandes bestimmt. Wie soll bei so viel Instrumentalität und bei so wenig Empathie und Intimität in der von der Wirtschaft und von Wirtschaftlichkeit bestimmten, ja überdeterminierten Gesellschaft genug Verarbeitung von Konflikt entstehen? Die epochalen gesellschaftlichen Effekte führten durch gesteigerte Instrumentalität in Werthaltungen und Beziehungen zu einem sozialen Kälterwerden. Die Gerechtigkeitsproblematik tritt im Verteilungskampf in den Hintergrund. Dies verschärft wieder die Tendenzen der sozialen Ausnutzung und Benutzung der Menschen. Können unter solchen Bedingungen in den Familien Kräfte entstehen oder sich zumindest erhalten, die diesen Erkältungs- und Distanzierungseffekten entgegenwirken? Extrapoliert man Entwicklungen der letzten 25 Jahre, so läßt sich eine weitere Abschwächung des kulturellen Transfers zwischen den Generationen in der Familie voraussagen. Die Generationenprägung durch "leitende Einflüsse in der Jugend" im Sinne von Wilhelm Dilthey und Karl Mannheim wird weiter abnehmen. Der Zeitgeist wird zunehmend allgemeiner wirksam und erreicht alle Generationen wenn auch nicht in gleicher Intensität. Die Informationsindustrie beschickt kaum gefiltert alle Altersgruppen gleichzeitig. Die Populisten verschiedener politischer Färbungen werden im Sinne des einleitend skizzierten dritten Generationsbegriffs der "altersbedingten Interessenkonstellationen" die Jugendkarte wahlwerbend zu spielen verstehen, besonders dann, wenn Einschränkungen im sozialen Sicherheitssystem notwendig werden. Muß nicht verantwortungsvolle Politik die soziale Partnerschaft neu konzipieren und dazu - besonders auf regionaler Ebene - Empathieeffekte und Kooperationsmöglichkeiten zwischen den Generationen erschließen? Eine neue Sozialpartnerschaft braucht jedenfalls auch neue Ideen, eine neue politi-

3 Gedenkschrift Dieck

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sehe Substanz, sonst werden Opportunitätsströmungen die jüngeren Generationen zunehmend instrumentalisieren. Diese realistische Sicht erscheint notwendig, um nach Grundlagen und Lösungsmöglichkeiten gesellschaftlicher Umverteilung bei Minimierung der Benachteiligung einer der Generationen zu suchen, wohl auch mit Hilfe der Wissenschaft. Das war ja das Anliegen der Umsetzung von Wissenschaft für die Entscheidungsvorbereitung in der Politik, das uns Margret Dieck vorgezeigt und in ihrem Wirken im Deutschen Zentrum für Altersfragen auch vorgelebt hat. F. Vorschläge zu einem neuen Forschungsdesign für intergenerative Beziehungen Welchen Überblick können wir für westliche Gesellschaften hinsichtlich der Erforschung der Generationenverhältnisse in der Familie gewinnen? 1. Ein erster Eindruck aus der Fachliteratur vertieft sich bei näherer Überprüfung: die demographischen Studien zum Thema der innerfamiliären Generationenbeziehungen erlauben keine sozialwissenschaftlich zureichenden Gegenwartsanalysen oder Prognosen. Die Demographie kann nicht soziologische Verhaltensbeschreibungen und -vorhersagen ersetzen, obwohl es mangels der mühevoll zu erarbeitenden soziologischen Befunde versucht wird, der demographischen Analyse gesellschaftlichen Prognosewert beizumessen oder ihr stillschweigend einen solchen zu unterschieben.

2. Familiensoziologie und Sozialgerontologie intergenerativer Beziehungen in der Familie auf Umfragebasis leiden an massiv auftretender allgemeiner Schönflirberei von Seiten der Befragten. Es scheint, daß es noch immer keine zureichende methodische Überwindung der "social desirability"-Antworten bei Befragungen auf dem Gebiet der Familienforschung und damit auch - oder besonders - der Familienbeziehungen zu den älteren Generationen gibt. Der normative Druck, sich um die alt gewordenen Eltern zu kümmern, ist so stark, daß ein realistisches Bild über Verhalten und Einstellungen schwer erreichbar ist. Außerdem sind Umfrage-Instrumente besonders in den geschlossenen Fragen ambivalenz-intolerant. Sie lassen nur eine Alternative zu und die Befragten wählen bei normativ positiv besetzten Themen selten die negative Komponente ihrer strukturell ambivalenten Einstellung. Die Harmonisierungs- und Glättungsbestrebungen bei normativ hoch geladenen Fragestellungen scheinen in den USA noch stärker zu sein als in Europa. Auf Grund dieser Tendenz beeindruckten z.B. Vern Bengtsons kürzlich formulierte Aussagen in der amerikanischen Fachliteratur als neu: "We must conceptualize families as relationships involving both solidarity and conflict, between and within generations. "34 Mit ganz wenigen Ausnahmen (von

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Außenseitern) hatte der Mainstream der amerikanischen Theoretisierer und Prognostiker auf dem Gebiet der intergenerativen Familienforschung die in Europa schon seit Jahrzehnten aufgewiesene Ambivalenz in den Familienbeziehungen zwischen den Generationen und die diesbezügliche Konflikt· welt35 so gut wie nicht zur Kenntnis genommen. 3. Die auf exakt gemeinsamen Erhebungsinstrumenten beruhende interkulturelle, Länder und Staaten übergreifende Vergleichsforschung kann nicht länger als vorbildlich erachtet werden. "Übersetzungen" in die BedeutungsUniversen von verschiedenen Ländern und Staaten ist für soziologische Vergleichsstudien notwendig. Im Prozeß europäischer Integration und Koordination werden sich neue Vergleichsmethoden entwickeln müssen, trotz Europäisierung und Globalisierung. 4. Eigene neuere Forschungen zeigen, daß eine Aggregation zu einem Gesamtbefund "Familienbeziehungen zwischen den Generationen" willkürlich wäre. Eine solche Aggregation ist weder theoretisch rechtfertigbar noch sozial- und gesundheitspolitisch wertvoll. Selbst innerhalb einer regional und populationsmäßig enger umschriebenen Untersuchungseinheit erscheint eine solche "Dach-Synthese" über die verschiedensten Elemente von Beziehungen weder möglich noch wünschenswert. Die Einsichten und selbst die statistisch ausweisbaren Werte zeigen, daß es sich um eine Vielzahl von Skalen handelt, die auf eine Mehrzahl von Dimensionen beziehbar sind, aber nicht zu globalen Gesamtscores zusammengezogen werden dürfen. Im Sinne einer theoretischen Bilanz möchte ich die Gliederung nach den folgenden Dimensionen im familiär-intergenerativen Beziehungs-Universum wie folgt vorschlagen: (1) Ökonomische Umverteilungen zwischen den Generationen (vorwiegend von alt zu jung); (2) intergenerative familiäre Hilfe und Pflege als lebensnotwendige Stüt· zungsprozesse (meist vonjung zu alt); (3) wechselseitige, alltagsrelevante Stützung, Aushilfe zwischen den Generationen in der Familie und "Dienstleistungen" in beiden Richtungen, von jung zu alt und umgekehrt; (4) Sozialkontakte, Besuche, gemeinsame Anlässe, wechselseitige familiärintergenerative Kommunikation;

34 35

3*

Bengtson 1995, S. 273. Vgl. Roserunayr 1992; Kohli 1996.

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(5) mehr oder minder geklärte affektive Nähe, verschiedene Formen und Grade von Intimität, Ambivalenztoleranz und Konfliktregelung zwischen den Generationen etc.; (6) kultureller Transfer, Wertgemeinsamkeiten.

Nach unseren obigen Ausführungen und daran schließenden Überblicksversuchen drückt sich derzeit in hochentwickelten Ländern die Kohärenz zwischen den Generationen in der Familie vor allem in 1 und 2, weniger (wenn auch Frequenzen oder Intensitäten zwischen den Dimensionen 1 - 6 nur schwer vergleichbar sind) bei 3 und 4 und auf Grund soziologischer Gegenwartsentwicklungen noch weit schwächer in 5 und 6 aus. Daß Rückläufigkeit in 5 und 6 vermindernde Auswirkungen auf 3 und 4 und von dort schließlich Reduktionseffekte auf 1 und 2 haben werden, kann als Hypothese vorgeschlagen werden. Auflösungsprozesse von gemeinsamen Überzeugungen und generellen Verpflichtungen sind zu beobachten; daß sich diese kulturellen und normativen Auflösungen mittelfristig im Hilfeverhalten auswirken werden, ist im Prinzip anzunehmen. 5. Ob Familien-Identitäten, die als Ergebnis amerikanischer Befragungen festgestellt wurden36 für intergenerative Kohärenz Bedeutung besitzen bzw. der Methodenkritik standhalten, erscheint fraglich. Die erfolgreiche und weit gelesene US-amerikanische Belletristik von Philip Roth bis John Updike und Richard Ford ist mit den Phänomenen der Auflösung dieser Art von Identität der Familien intensiv beschäftigt. In Europa sind solche Identitäten höchstens noch in adeligen, großbürgerlichen und restbäuerlichen Minoritäten zu finden. Allerdings bestehen regional in Europa große Unterschiede, bei denen sich hinsichtlich Farnilien-Identitäten ein Gefalle von Süd nach Nord zeigen läßt. 6. Eine dringende methodologische Forderung richtet sich auf eine engere Verbindung von einerseits qualitativen und anderseits quantitataven Elementen in ein und derselben Forschung über Intergenerativität in der Familie. Diese Verbindung müßte ohne Unterdrückung gegenläufig interpretierbarer Befunde vorgenommen werden. Sehr wünschenswert wären Studien, bei denen mehrere, mindestens zwei verschiedene Personen aus ein- und derselben Familie hinsichtlich verschiedener Dimensionen von Intergenerativität in die Erhebung einbezogen werden. 37 7. Das "interface", das mehrfache und in verschiedenen Richtungen laufende Beeinflussungsgeschehen zwischen einerseits "Zeitgeist" (Epochal-

36 37

Bengtson et al. 1995, S. 278. Vgl. Allerbeck/Jennings/Roseruna)T 1979.

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effekten), anderseits Alterungseffekten und schließlich Kohorteneffekten, müßte schematisch aufgezeigt und nach Datengewinnung auch empirisch nachvollzogen werden. Ähnlich notwendig erscheint die Untersuchung, wie und wie intensiv sich Effekte in den "Kulturkohorten" (gesellschaftlichen Generationen) auf die Generationenverhältnisse in der Familie auswirken und teilweise auch umgekehrt. Die Umsetzung sozialer Wandlungen vollzieht sich nach unseren Hypothesen in hochentwickelten Gesellschaften vom Epochalgeschehen, das die gesamte Gesellschaft betrifft, über die Kulturkohorten auf die Familie. Ich sehe in diesem Dreischritt-Modell eine Überwindung des bisherigen durch Dilthey und Mannheim38 ausgearbeiteten Beeinflussungs-Modells, wonach Generationen konstituiert werden. 8. Eine kritische Bilanz der theoretisch stark defizitären Biographieforschung erscheint nötig. Die Biographieforschung enthält die Vorstellung unilinearer Entwicklung einer Person von "früher zu später". Sie liefert wenig befriedigenden Einblick in die für das Leben der untersuchten Personen entscheidenden Verflechtungen mit gesellschaftlichen Außenbedingungen. So werden die Epochaleffekte, die immer stärker die Gesellschaft bestimmen, zu gering eingeschätzt. Sie mußten durch einen zeitgeschichtlich orientierten Strukturalismus aufgedeckt werden. Gegenwart und Vergangenheit beginnen im Kulturbild mehr und mehr auseinanderzuklaffen. Die Musealisierung der Vergangenheit (Ausstellungen, Gedächtnisjahre, Folgen von Fernsehsendungen), womit Geschäft zu machen ist, vergrößert diesen Abstand. 9. Dringend zu prüfen ist auch die oben geäußerte Vermutung, daß entgegen der von Wilhelm Dilthey, Karl Mannheim und anderen behaupteten Trägerschaft sozialen Wandels durch junge Kulturkohorten39 die epochalen oder Zeitgeisteinflüsse in der Gegenwart vorwiegend direkt auf die verschiedenen Altersgruppen aufprallen. Meine Vermutung geht in diese Richtung. Die vertikale Informations- und Einfluß-Verbreitung von alt zu jung (samt persönlich erzählter Geschichte) weicht zunehmend einer horizontalen Beeinflussung, die alle Kohorten gleichzeitig erreicht. Entsteht dadurch ein grundlegend anderes Verhältnis zu Geschichte und sozialem Gedächtnis und eine Herabminderung der Bedeutung der Alten, deren "Geschichten über Geschichte" niemand mehr hören will? 10. Trotz vereinheitlichender Globalisierungseffekte, die stark von Technologie und Medien getragen werden, erfolgen die verschiedenen unter "Modernisierung" zusammengefaßten Einflüsse nach Weltkultur-Bereichen in Afrika, 38 39

Roserunayr 1976, S. 179-206. Vgl. Roserunayr 1976.

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Asien, Europa und Amerika dennoch in sehr verschiedener Weise. Veränderungen in den verschiedenen intergenerativen Dimensionen, wie hier unter Punkt 4 in sechs verschiedenen Hinsichten konzeptuell aufgegliedert, erfolgen in der hinduistischen Familie (verschiedener indischer Bundesstaaten) ganz anders als zur Zeit z.B. in der Volksrepublik China. Davon wieder verlaufen entscheidend verschieden die Änderungsprozesse in den intergenerativen Generationenverhältnissen innerhalb und außerhalb der Sippen in traditionellen subsahariellen afrikanischen Gesellschaften. 40 Soziologie und soziale Gerontologie müßten aus theoretischen wie anwendungsbezogenen Gründen bemüht sein, den vom amerikanischen Mainstream dominierten "westlichen Provinzialismus" durch europäische Weltoffenheit zu überwinden, indem sich der Blick für die außereuropäischen Kulturen weitet und sich vergleichend auf die kulturelle Vielfalt der Verhältnisse der Generationen zueinander richtet. G. Folgerungen für die Familienpolitik

Durch die Zunahme der über 60jährigen wächst überall in der Welt die soziale Generationenvielfa/t. Ich habe deswegen den Begriff der bunten Gesellschaft statt des "Ergrauens" der Gesellschaft vorgeschlagen. Im Jahre 2000 sind es 20%, 2030 werden es in Mittel- und Westeuropa 35% über 60jährige sein, sodaß "Buntheit mit Grau-Einschlag" vielleicht noch angemessener wäre. Noch nie in der Geschichte der Menschheit lebten so viele Generationen mit nur so wenigen Kindern zur seihen Zeit. In der Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigem (in der Erlebniswelt, im Erinnerungspotential, im Hinblick auf internalisierte Werte) stoßen Unterschiede und Gegensätze aufeinander. Hatten 1960 60jährige Männer in ÖSterreich im Durchschnitt 15 Jahre mittlere Lebenserwartung vor sich, so sind es heute fast 20 Jahre. Bei den Frauen stieg die Lebenserwartung der 60jährigen von 17 auf fast 23 Jahre. In etwa 20 Jahren werden, wenn nicht Katastrophen eintreten, die 60jährigen durchschnittlich mit etwa einem weiteren Vierteljahrhundert Lebenserwartung rechnen dürfen. Diese Veränderung bahnt sich bei zahlenmäßig schrumpfenden jungen Generationen und einer dünner werdenden Grundlage von Arbeitsplätzen an. Dazu kommen bisher nicht gelöste und durch Pflege kostspielige gesundheitliche Probleme im Alter, besonders Demenzen, darunter wieder vorrangig der Alzheimer. Wegen der zähen Gesundheitsproblematik, 40

Rosenmayr 1996, S. 167-185.

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der Schwierigkeit, Krankheiten im Alter mehr und mehr zurückzudrängen, besonders in der Altersgruppe über 85, kann man hinsichtlich der zuwachsenden Jahre an Lebenserwartung bis jetzt nur von einer "Hoffnung mit Trauerflor" sprechen. 41 Wie wird in den Einstellungen auf die wachsende gesellschaftliche Multigenerativität reagiert? Bei einer Umfrage in der Westschweiz betonte eine fast Zwei-Drittel-Mehrheit überzeugend die Gemeinsamkeit der Interessen von alt undjung in Fragen sozialer Sicherheit. US-Studien des letzten Jahrzehnts weisen bei den Altersgruppen der 17- bis 50jährigen 80% aus, die eine Erhöhung der öffentlichen Altensicherung fordern. Eine Repräsentativ-Studie von G. Majce und mir in ÖSterreich brachte vor einigen Jahren weniger als 5% der Befragten, die eine Rücknahme von Alterszuwendungen befürworten. In den allerletzten Jahren dürfte sich die Stimmung geändert haben. Nach einer Untersuchung des Allensbacher Instituts für Demoskopie vom Herbst 1996 sind fast 50% der Meinung, daß der Generationenvertrag gefährdet sei. Meines Erachtens war allerdings die Frageformulierung des Allensbacher Instituts stark krisenorientiert und stand zu sehr unter dem Einfluß der von den Medien überwiegend veröffentlichten, ganz unspezi:fisch artikulierten Erwartung eines Generationenkonflikts. Bei den 16-29jährigen sind es laut dem Allensbacher Institut fast 2/3, die den Generationenvertrag gefährdet sehen, bei den 60jährigen mit altersgestufter Annäherung an diesen Wert weniger als l/3 . Drückt sich in diesen Antworten der Älteren ein Wunschdenken aus? Durchschnittlich bei etwa einem Fünftel herrscht die Auffassung, daß die Alten "auf Kosten der Jungen leben". Bei den 16-29jährigen sind es 40%, bei den 60jährigen und Älteren verständlicherweise nur mehr 10%. Diffuse, ökonomisch- und arbeitsmarktpolitisch bedingte Zukunftsängste der Jungen sind durch die breite Formulierung "Generationenkonflikt" auf die Schienen eines vorwegnehmenden Pessimismus gelenkt worden. Wie lassen sich nun zur Bemessung der intergenerativen Aufgaben Einblicke in die Bedürfnisse der Älteren und Alten gewinnen, die betreut bzw. versorgt werden müssen? Es kommt dabei nicht auf die Anzahl der Jahre an, sondern auf Fähigkeiten, Fertigkeiten, auf das Erleben und Verhalten, auf das sogenannte "functional age". Selbst das Erreichen eines Alters von 90 oder gar 100 Jahren muß trotzkörperlicher Einschränkungen und Krankheiten nicht Pflegebedürftigkeit bedeuten. Internationale Untersuchungen in Japan, Ungarn, Italien, Belgien, Frankreich, England, USA und der Bundesrepublik haben nach einer Zusammenfassung von Ursula Lehr gezeigt, daß etwa ein 41

Baltes 1996, S. 51-53.

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Drittel der Hundertjährigen noch selbständig allein den Alltag meistern kann. Ein zweites Drittel bedarf der Hilfe, kann aber noch außer Haus gehen -und das dritte Drittel schließlich ist pflegebedürftig und wünscht den Tod herbei. Längsschnittuntersuchungen in den USA, Schweden und Deutschland konnten zeigen, daß diejenigen, die das hohe Alter von 85, 90 Jahren erreicht hatten, größtenteils in der Lage waren, ein aktives selbständiges Leben zu führen. Auch die Daten einer Infratest-Test-Erhebung aus dem Jahre 1992 belegen, daß über 75 Prozent der über 85jährigen, wenn auch gelegentlich mit Mühe, jedoch allein ihren Alltag bewältigen. Welche Verallgemeinerungen zur Hilfeleistung können wir vorschlagen? Die allgemeine Sensibilität für Familienkonflikte hat zugenommen, unter bestimmten Befragungsbedingungen steigt auch das Eingeständnis von Konflikten. Die Toleranzschwelle für Beziehungshärten in den Familien ist seit den 60er Jahren stark gesunken. Menschen mittleren Alters nehmen Belastungen gegenüber eine weniger leidensbereite Haltung ein als vor dreißig Jahren.42 Die Frauen im mittleren Alter sind vom Druck in der Familie in besonderer Weise betroffen. 43 Alt gewordene Mütter erwarten in besonderer Weise Zuwendung und Hilfe von ihren Töchtern und reagieren mit Kränkung, wenn sie diese Zuwendung nicht in erwartetem Umfang erhalten. Von den Söhnen wird meist weit weniger erwartet und die Zuwendung mit größerer Anerkennung honoriert. Versorgung und Betreuung der Älteren liegen zumeist auf den Schultern der Frauen. Einigeneuere Studien deuten hier gewisse Wandlungen in Richtung der Steigerung der männlichen Hilfeleistungen an. 44 Eine 1993 vom Verfasser durchgeführte Studie ergab, daß es in der Stadt Wien rund 6.000 durch Altenpflege zeitmäßig (d.h. einer vollen Berufstätigkeil vergleichbar) schwerbelastete Familienmitglieder -zu 90% Frauen - gab, die großteils keine Unterstützung durch ambulante Dienste hatten. Die Sozialdienste verfügten über keine freien Ressourcen um diese Fälle aufzufangen. Damit wird klar, daß die familiären Ressourcen intergenerativ unverzichtbar sind.45 Für manche Pflegefälle wäre Ko-Residentialität nötig, die sich aber in den Städten nur schwer realisieren läßt. 46

42 43

44 45 46

Vgl. Strawbridge/Wallhagen 1991. Kellerhalset al. 1995, S. 142. Vgl. Roserunayr 1992. Höpflinger 1997, S. 14. Kohli 1997, S. 171.

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Die Kapazität der Frauen wird oft bis auf äußerste beansprucht, besonders dort, wo sie berufstätig sind und Mann und Kinder - oft in der Pubertät - zu versorgen haben und ihnen dann noch wie selbstverständlich die Pflege und Betreuung alter Eltern oder Schwiegereltern angesonnen werden. Auch die psychische Belastbarkeit im Konflikt der Loyalitäten und emotionalen Zuwendungen der Frau ihrem eigenen Mann oder den Kindern gegenüber, wird durch die entweder tatsächlichen oder dringlich angemeldeten Bedürfnisse der Älteren stark strapaziert. 47 Gesundheit, Kraft und Liebesfähigkeit von Frauen werden außerordentlich in Anspruch genommen, ohne daß eine spezielle Form der Anerkennung für ihre Leistungen sozial gegeben wäre. Wir wissen z.B. aus Berichten von Beratungsstellen für pflegende Angehörige, daß das Dilemma für eine Tochter, entweder ihren Beruf aufzugeben oder aber die pflegebedürftige Mutter oder den Vater nicht adäquat betreuen zu können, zu einem erstrangigen Krisenfall führen kann. Dieses Dilemma stellt sich für Männer in der Regel nicht. Die Frauen nehmen hinsichtlich der Betreuung pflegebedürftiger alter Menschen Aufgaben wahr, für die sie nicht vorbereitet sind. Sie erhalten wenig oder gar keine Hilfe - meist nicht einmal Verständnis -für die Verarbeitung der dabei auftretenden psychischen Probleme. Um so mehr empfehlen sich Einrichtungen der Beratung, Stützung und Entlastung der helfenden Angehörigen von pflegebedürftigen alten Patienten, da die Helfenden in einer Weise (z.B. bei Alzheimer-Patienten) stark belastet werden48 , die für Personen, die mit solchen Demenzen nicht vertraut sind, gar nicht vorstellbar ist. Eine stärkere Entlastung der Familie durch Zusammenarbeit mit sozialen Diensten könnte sich als Entwicklungschance für das bisher noch "unausgeschöpfte Potential der Gegenwartsfamilie" erweisen. Es läßt sich von synergetischen Effekten sprechen. 49 Die Familie würde ihren Aufgabenbereich erleichtert, aber nicht verkleinert sehen und ihn auch verstärkt auf die nötigen Vermittlungsfunktionen ("linkages") beziehen: Die Familie könnte diese notwendige Funktion des Brückenschlags bei der Entdeckung von ökonomischen, gesundheitlichen, psychologischen und kulturellen Bedürfnissen ihrer Mitglieder erfüllen und zugleich die Vermittlung der Bedürfnisbefriedigung leisten. So kann - könnte - sie, der Neuverteilung der Funktionen an verschiedene Institutionen Rechnung tragend, für sich selbst und die gewachsenen intergenerativen Herausforderungen neue Funktionen gewinnen, näm-

47

48 49

Hagestad 1995, S. 167. Vgl. Bruder 1988. Kellerhalset al. 1995, S. 143.

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lieh jene der Vertiefung persönlicher emotionaler Zuwendung zu ihren Mitgliedern. Ob der Zeitgeist dies begünstigt, bleibt abzuwarten. Es kommt darauf an zu erkennen, daß Organisationen einerseits und Familien anderseits nur in einer koordinierten Anstrengung bestimmte Ziele (z.B. Bedürfniserfüllung für alte Menschen) erreichen können. Primärgruppen - wie die Familie - und Bürokratien, die beim Einsatz von Sozialdiensten unvermeidbar sind, weisen gegensätzliche Merkmale auf: Bürokratien arbeiten auf instrumenteller Basis, halten sich eher an Grundsätze der Unpersönlichkeit, betonen die Erfüllung spezifischer Zwecke, wenden feststehende Regeln und standardisierte Lösungsmuster an, verfügen aber über Experten für den Einsatz in sonst unbewältigbaren Situationen. Primärgruppen hingegen sind durch langwährende Kontakte der Vertrautheit mit der gesamten Lebenserfahrung der Betroffenen gekennzeichnet und gehen von persönlichen, durch den Affekt mitgesteuerten Beziehungsmustern aus. so Selbst wenn Bürokratien "vermenschlicht" werden, bleiben für das psychosoziale Wohlergehen des alten Menschen wesentliche Unterschiede zwischen der Betreuung, die von der Familie, und derjenigen, die von organisierten Diensten geleistet wird. Bei der Altenhilfe ist es meist unvermeidlich, daß wechselnde Betreuer dem Klienten gegenüberstehen. Mit diesen können zwar positive Gefühle aufgebaut werden, bei Wechsel gibt es aber große Enttäuschungen. Die Stärke der Primärgruppe Familie liegt in der unmittelbaren Reaktionsfähigkeit auf individuelle Bedürfnisse und in der höheren Bereitschaft zur Flexibilität bei der Auseinandersetzung mit Problemsituationen, während es ihr jedoch an professioneller Qualifikation in Situationen mangelt, die fundierte Entscheidungen oder intensive, spezialisierte Pflege verlangen. Eine Zusammenarbeit zwischen Familie und sozialen Diensten sollte die Vorzüge beider Systeme ausnützen. Die konventionelle Absicherung der hergebrachten familialen Binnnenmoral scheint allgemein allerdings nicht mehr stark genug, um Solidaritätsleistungen künftig umfassend zu gewährleisten. Die moderne Familie kann sich nicht mehr langfristig praktisch-solidarisch zu ihren alten Mitgliedern verhalten, ohne Elemente ihres Status in der modernen Berufs-, Freizeit- und Bildungswelt zu riskieren. Dieser Umstand legt die Externalisierung von zeitaufwendiger, wie auch unvorhersehbar auftretender und daher nicht kalkulierbarer Hilfe nahe. Die Solidaritätsleistung der Familie besteht dann vielmehr darin, Vermittlungsaktivitäten zu familienexternen Organisationen in Gang zu setzen. Die Familie fungiert so als intermediäre Instanz. Sie übernimmt Bin50

Vgl. Litwak. 1985.

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deglied-Funktionen, d.h. sie informiert, vermittelt und berät, ohne letztlich die eigentlichen Leistungen selbst voll zu erbringen. Der Zugang zur sozialen Dienstleistung über den Weg der familialen Lebenswelt ist relativ noch am wenigsten streßgeladen.~ 1 Für eine subjektiv geglückte Bewältigung der intergenerativen Betreuungssituation durch die Kinder hat sich Vorbereitung und vorausgehende Einstellung auf die Pflegephase als trennscharfe Variable herausgestellt. Vorbereitung läßt spätere Belastungen leichter ertragen. H. "Generationenbrücken" als Aufgabe der Sozialpolitik Sozialpolitik ist in der europäischen Geschichte nicht als Bündel staatlicher Aktivitäten entstanden. Erst allmählich, ab dem 18. Jahrhundert, begannen die Staaten, sozialpolitische Initiativen zu unterstützen, später dann auszubauen, die Aufgaben rechtlich zu ordnen und die Leistungen verbindlich zu machen. Staatliche Sozialpolitik ist also ein aus kleinen Anfangen im 18. Jahrhundert in der ersten Hälfte des 19.Jh. entstandener und bis zu den großen wohlfahrtsstaatliehen nationalen Gesetzgebungen und internationalen Abkommen der letzten Jahrzehnte sich kontinuierlich ausbreitender und intensivierender Prozeß desEinwirkensauf die gesellschaftlichen Verhältnisse. Die soziale Marktwirtschaft ab der Mitte des 20. Jahrhunderts war auf einen Pakt zwischen regional überschaubarem Kapitalismus und staatlich steuerbaren sozialpolitischen Korrekturkräften aufgebaut. Es kam zu einem Bündnis zwischen Kapitalismus und Sozialstaat. Die Konkurrenz auf den Märkten wurde durch eine kooperationsfähige sozialpartnerschaftliehe Politik der Interessenvertretungen und durch politisch relativ stabile Koalitionen in einem bestimmten Rahmen gehalten. Diese Kooperationsfähigkeit hat abgenommen. Die Krise des Wohlfahrtsstaates wird durch das Altern der Bevölkerung und den durch Frühverrentung überproportionalen Anstieg von Pensionisten und Rentnern verschärft. ~2 Unter den neuen, die Regionen übergreifenden Bedingungen der Weltwirtschaft (Globa1isierung und Monetarisierung) sind keine der bisherigen nationalstaatliehen Symbiose von Kapitalismus und Sozialsystem vergleichbaren Pakt-Chancen sichtbar. Die neuen Bedingungen globalisierter Märkte einerseits und gesellschaftlicher Individualisierung anderseits, machen es dringlich, sich zwecks Abschätzung sozialer Politik der Zukunft wissenschaftlich mit dem Generationenverhältnis zu befassen. Im Verhältnis der Gesamtlebenszeit ging die aktive Arbeitsperiode des Menschen in hochentwickelten Ländern stark zurück. 51

52

Vgl. Hörl1992. Knipseheer 1995, S. 180.

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Spärliche Gegenentwicklungen müssen sich erst mühsam durchsetzen. Das BIP kann in West- und Mitteleuropa im Vergleich zur Zeit vor einem Vierteljahrhundert mit etwa der Hälfte der Arbeitskräfte erzeugt werden. Die Jahresarbeitszeit schrumpft weiterhin, aber es steigen die Risiken kontinuierlicher Lebensfiihrung auf einem einmal erreichten ökonomischen Niveau. Bestimmte Gruppen von Individuen sind abstiegsbedroht Biographisch-individuelle Unsicherheit gefährdet auch die verschiedenen Elemente des wechselseitigen Stützungssystems zwischen den Generationen. So werden neue Verhältnisse zwischen Privatheit und Öffentlichkeit bzw. Sozial- und Kulturstaatlichkeit nötig, um Stützungen vorzusehen. Diese Vermittlung zwischen Individualisierung einerseits und Staatlichkeit andererseits kann sowohl innerhalb als auch außerhalb der Familie über intergenerative Kooperation verstärkt und verlebendigt werden. Das letzte Jahrzehnt hat in zunehmendem Maße Beispiele nachbarschaftlicher, regionaler u.a. kommunitaristischer Initiativen~3 für die Alterskultur gebracht. Selbstorganisierte Initiativen wurden vielfach mit Hilfe der Verwaltung und wissenschaftsgestützter und pädagogischer Initialförderung als kulturelle oder soziale Aktivitäten von Gruppen älterer Menschen oder generationenübergreifenden Gruppen in Gang gesetzt. 54 Wer subjektive Freiheit als Erweiterung und Vertiefung des Lebensraums im Alter für sich oder als Organisator der Bemühungen anderer anstrebt und gesellschaftspolitisch befürwortet, muß auch die dafür stützenden gesellschaftlichen Netzwerke bejahen. Der menschheitsgeschichtlich völlig neue Veränderungsprozeß der Altersstruktur durch eine weltweit sich ausprägende Verlängerung der Lebenserwartung, besonders jener über 60, und durch die Rückläufigkeit der Geburtenhäufigkeit, führt zu einer von der früher (bis zum 19. Jahrhundert) wirksamen, verschiedenen Bevölkerungsweise der westlichen Gesellschaften. Es entsteht die biologisch neuartige Form des "homo longaevus", des langlebigen Menschen mit gesteigerter Generationenvielfalt. Auch die Verteilungsprobleme zwischen den Generationen (als altersverschiedene Interessengruppen) in unserem einleitend definierten dritten Sinn dieses Begriffs, nehmen zu, und dies durch budgetbedingten Abbau sozialer staatlicher Leistungen. Bereits biologisch läßt sich folgern, daß sich die Zähmung der innerartliehen Konkurrenz durch kooperatives Verhalten lohnt. Sind zwar kurzfristig die nach Gewinnmaximierung strebenden Individuen im Vorteil, so sind Gemeinschaften mit kompromißfähigen, ambivalenzverarbeitenden, koopera53

54

Vgl. Etzioni 1997. Vgl. Hwrune1 1995.

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tiv sich verhaltenden Individuen nachhaltig besser im Stande, die begrenzten Ressourcen von Lebensräumen zu nutzen (Wolfgang Wieser). Kooperation geht bei den höher entwickelten Tieren als Brutpflege allerdings immer "altersabwärts". Der Nachwuchs ist schützenswert. Neu und speziell gültig für den 'homo sapiens' ist die große und vielschichtige Aufgabe auch "altersaufwärts" gerichteter Kooperation, wodurch die Generationen, die auf das Lebensende hingehen, gestützt werden. Die Natur ist an Brutpflege und Fortpflanzung "interessiert", aber nicht an der Versorgung alter Individuen. Generationenbrücken sind deshalb spezifische Kulturaufgabe schon des 'homo sapiens', aber noch stärker die des 'homo longaevus'. Diese Generationenbrücken erfordern mehr als soziale Stützungshilfen. Sie sind enorme Herausforderungen zur Selbstfindung, zur Vermittlung von einer "am eigenen Leib" erlebten Geschichte und der wenn auch widerstandsbesetzten Form der Einsicht in eigene Grenzen. Generationenbrücken helfen, das Konzept punktuell gesehener handlungsorientierter Subjektivität um die biographische Dimension und die Verflechtung mit andersaltrigen, anderen historischen Verläufen exponierten Menschen zu erweitern. In einer Kulturperiode der ökonomischen Verunsicherung durch Diskontinuitäten, durch raschen Technologiewandel, Informations- und Beeinflussungsvielfalt, des andauernden Lernens als Notwendigkeit der Lebensfortsetzung, der Arbeitsplatzverknappung und interkulturellen Herausforderungen, ist der Aufbau von individueller Konsistenz zu verbinden mit der Aufgabe der Ermöglichung generationenübergreifender Kooperation. Erfolgversprechend erscheint eine Politik, die mit bürgerschafWehen Elementen durchsetzt ist, die sich aus selbstgewähltem Engagement Kräfte holt. Insgesamt könnten sich die Potentiale des Engagements im außerfamiliären bürgerschaftliehen Bereich erhöhen. Etwa die Hälfte der 40-64jährigen und fast 40% der über 65jährigen gehören in ÖSterreich mindestens einem Verein an. Können aus einem solchen Potential neue Initiativen entstehen? Unter welchen Bedingungen? Die kapitalistische Wirtschaftsweise ist in westlichen Gesellschaften auf Dauer nur im Wechselspiel mit sozialen Rechten und Ausgleichsbemühungen und mit Initiativen einer auf Freiheiten begründeten Demokratie lebensfähig. Wer nur auf den Markt setzt und beide, den sozialen Ausgleich und die Demokratie vernachlässigt, zerstört mit der Demokratie letztlich auch die freie Wirtschaftsweise. So wird die Zukunft einen mehr um die eigene Sinntindung und Daseinsgestaltung kritisch bemühten Menschen verlangen, der Werte sorgfaltig gegeneinander abwägt und nicht nur auf die Akkumulation von Ressourcen pocht. Sinnstrukturen als bejahte Deutungen für eigenes Handeln, die zur Selbst-Übereinstimmung der Persönlichkeit beitragen und soziale

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Komponenten beinhalten, führen über Wettbewerb und Konswnismus hinaus. Solche Sinnstrukturen sind nach der beruflichen Entpflichtung, wenn das Korsett der Erwerbsorientierung sich lockert, besonders wichtig. Welche Folgerungen sind zu ziehen? Wer aus dem Beruf ausscheidet, darf sich nicht mehr so unbekümmert von sozialen Aufgaben verabschieden und müßte die Generationenbrücke als vorrangig wichtig begreifen. Die Älteren werden sich an der gesellschaftlichen Wertschöpfung durch Hilfe (für die Jüngeren) und Selbsthilfe weiterhin beteiligen müssen. Ergänzungen zum Wohlfahrtsstaat müssen aufgebaut werden. Für die Alten wird es dabei notwendig, die Attitüde des unbekümmerten Seniors durch helfende und an den Problemen der jüngeren Generationen anteilnehmende Rollen auch außerhalb der Familie zu ersetzen. Den nur auf seiner Anspruchsberechtigung pochenden Senior des späten 20.Jahrhunderts wird der "Spät-Lebens-Mensch" des beginnenden 2l.Jahrhunderts mit einem ganzen Bündel von Aufgaben und Chancen der gesellschaftlichen Mitwirkung ablösen (müssen). Mit der Steigerung "später Freiheit" (Rosenmayr) darffür die nach dem Geburtsdatum "Alten" die gesellschaftliche Verpflichtung zu Angeboten für Bildung, Hilfe, Gesundheit und Pflege nicht einfach verschwinden. Zur Anregung und Ermutigung von Kooperation und Selbsthilfe sind öffentliche Gelder unersetzbar. Aber dazu werden massiv soziales "Eigenkapital", nämlich Engagement und Freiwilligenarbeit der Betroffenen und soziale Netzwerke treten müssen, die verschiedene Generationen gemeinsam agieren lassen und die selbstorganisiert sind. Berufliche Entpflichtung darf nicht gesellschaftliche Entpflichtung bedeuten (Tews). Der "Generationenkonjlikt" als Verteilungskampf verschiedener altersbedingter Interessengruppen um öffentliche Mittel ist, wo die Einfühlung und die tätige Anteilnahme der Alten deutlich wird, nicht unvermeidbares gesellschaftliches Schicksal. Den Politikern wird in Zukunft aber auch viel stärker als heute diejenige analytisch orientierte kontinuierliche Lernarbeit abgefordert sein (Helmut Klages), mit der die realistische Erkenntnis sozio-ökonornischer und soziokultureller Realitäten verbunden ist. Es wird zum Tugendkatalog verantwortlicher Politik gehören müssen, sich hinsichtlich der Generationenverhältnisse nicht der durch die Medien in simplifizierender Manier produzierten "Angstlücke" anheimzugeben.

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4 Gedenkschrift Dieck

Soziale Gerontologie - ein interdisziplinäres Fach Entwicklung, Situation und Perspektiven (Ergebnisse und Probleme interdisziplinärer Forschung) Ursula Lehr Gerontologie ist die Lehre vom Altern. Die Bezeichnung wurde erstmals 1929 von dem russischen Forscher N.A. Rybnikov eingeführt, der damals schon Gegenstand und Aufgabe der Gerontologie wie folgt umschrieb: "Gerontologie, die Erforschung des Verhaltens im höheren Alter soll ein Spezialgebiet der Verhaltenswissenschaften werden. Das Ziel der Gerontologie ist die Erforsch\lllg der Ursachen \llld Bedingilllgen des Alterns, wie auch die Erforsch\lllg \llld sorgfaltige Beschreibilllg regulär fortschreitender Verhaltensänderung, die zum Lebensalter in Bezieh\lllg stehen." 1

Das Ziel ist danach einmal die sorgfältige Beschreibung regulär fortschreitender Verhaltensänderung, sodann die Erforschung der Ursachen und Bedingungen der Alternsprozesse. Hier ist der interdisziplinäre Ansatz gefragt, - sowohl im Hinblick auf die Erfassung der Alternsveränderungen, die neben Änderungen im körperlichen Bereich (für die primär die Medizin zuständig ist) auch Veränderungen im psychischen Bereich, d.h. im Erleben und Verhalten (für deren Feststellung primär die Psychologie zuständig ist) und auch Veränderungen im sozialen Bereich, d.h. im Bereich der Sozialkontakte. aber auch durch soziale Faktoren bestimmte Lebenslagen (für die primär die Soziologie zuständig ist) betreffen. Deutlicher noch wird die Notwendigkeit eines interdisziplinären Ansatzes, wenn wir nach den Ursachen und Bedingungen der Alterosprozesse fragen. Wenn man seit etwa der Mitte unseres Jahrhunderts auch bereit war, Erscheinungen des Älterwerdens nicht nur auf den biologischen Bereich beschränkt zu sehen, sondern zugeben mußte, daß im psychischen und sozialen Bereich ebenso Alterosveränderungen deutlich werden, so führte man diese doch lange Zeit auf biologische Ursachen zurück und nahm an, daß das Nachlassen körperlicher Fähigkeiten und die Veränderung biologischer Funktionen für diese Verhaltensänderung verantwortlich zu machen sind. 1

Zit. nach Streib/Orbach, 1967, S. 616.

Ursula Lehr

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Seit Ende der 60er Jahre haben psychologische Untersuchungen2 deutlich gemacht, daß man bei Änderungen im Verhalten und Erleben nicht mehr von einer primär biologischen Bedingtheit der Alterosprozesse ausgehen kann, sondern daß vielmehr soziale Faktoren - darunter auch die Verhaltenserwartungen der sozialen Umwelt - dafür verantwortlich zu machen sind. ,,Altem ist heute primär soziales Schicksal Wld erst sekillldär funktionelle Wld organische Veränder\Ulg. " 3

Mittlerweile wissen wir, daß neben den sozialen Faktoren im engeren Sinne auch ökologische Faktoren - d.h. mannigfache Umweltbedingungen wie bestimmte Wohn- und Siedlungsformen, Wohnen und Wohnumfeld, Transportmöglichkeiten und dergleichen mehr - Erleben und Verhalten beeinflussen und den Alternsprozeß mitbestimmen. Daß darüber hinaus epochale Faktoren von Einfluß sind, ist in der sozialgeschichtlichen Forschung (u.a. durch Imhoff und Borscheid, Conrad und v. Kondratowitz) deutlich aufgezeigt worden, wie der vom DZA 1983 (in 2. Auflage 1985) herausgegebene Band "Gerontologie und Sozialgeschichte- Wege zu einer historischen Betrachtung des Alters" facettenreich belegt. Dieser Vielzahl von unterschiedlichen Einflußfaktoren, die zum Teil durch sozialpolitische und gesellschaftspolitische Maßnahmen noch eine spezifische Konturierung erhalten, versuchte sich Margret Dieck, die sich dem Konzept der Lebenslagen - angeregt durch ihre Lehrer Otto Blume und Gerhard Weisser- verpflichtet fühlte, besonders zu widmen. Die Alterosprozesse sozial benachteiligter und gefährdeter Personengruppen standen bei ihren Veröffentlichungen im Vordergrund, immer verbunden mit der Forderung nach entsprechenden gesellschaftspolitischen Maßnahmen. Dieses Anliegen wurde besonders deutlich bei der von Margret Dieck 1978 in Berlin organisierten Arbeitstagung "Gerontologie und Gesellschaftspolitik", die - wie sie im Vorwort feststellt - "von der Annahme ausging, daß die wissenschaftliche Sozialpolitik/Gesellschaftspolitik und die wissenschaftliche Disziplin Gerontologie trotz fachlich enger Verbundenheit bisher getrennte Entwicklungen genommen haben, ohne ausreichend den Erkenntnisstand, die Methodologie und das Problemwissen der jeweils anderen Disziplin zu beachten". Abgesehen von der Tatsache, daß man Sozialpolitik/Gesellschaftspolitik nicht neben die Gerontologie stellen sollte, sondern sie in bestimmten Bereichen als Teilgebiet der Gerontologie betrachten sollte (genau wie die Psychologie in bestimmten Bereichen ein Teilgebiet der Gerontologie ist), war das 2 3

Vgl. Thomae, 1968. Vgl. ebenda.

Interdisziplinäre Forschilllg

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eine äußerst gelungene Tagung, die sich mit den Problemfeldern der Gesundheitsversorgungälterer Menschen, d.h. den Kranken, der Einkommenssituation älterer Menschen, d.h. den finanziell Schwachen, ebenso der Situation älterer Arbeitnehmer und der (problematischen) Lebenssituation älterer Frauen auseinandersetzte und jeweils praktische Maßnahmen forderte. Dieck arbeitete auch zur Thematik "Wohnen alter Menschen" und analysierte speziell Einrichtungen der stationären Altenhilfe. Sehr richtig stellte sie fest: "Die Verfügbarkeit dieses Wissens genügt nicht, solange keine deutlichen Konsequenzen fiir die aktiven Bernüh\Ulgen um eine Lös\Ulg dieses Problems erkennbar sind." 4

Die Tatsache, daß Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler, Rechtswissenschaftler und Sozialmediziner sowie "an der systematischen Durchdringung konkreter Problemstellungen interessierte Praktiker der Altenhilfe" die Einrichtungen stationierter Altenhilfe analysierten, kommentierte sie als "Hinweis auf die interdisziplinären Problernstell\Ulgen. " 5

Dies ist zweifellos richtig - doch entsprechende Forschungen würde man eher als multidisziplinär bezeichnen: Verschiedene Wissenschaften arbeiten an einem Problem, aber nicht formell aufeinander bezogen an ein und derselben Stichprobe. 6 Viele der Arbeiten von Frau Dieck befaßten sich mit der Thematisierung von sozialer Ungleichheit im Alter, sie wandte sich sozial benachteiligten Menschen zu, war den Problemgruppen im Alter besonders zugewandt - was sicher die Gerontologie sehr bereicherte, wenngleich sie diese Erkenntnisse und Feststellungen manchmal generalisierte und auf das Altern schlechthin übertrug. Die schon mit 26 Jahren zum Dr. rer. pol. promovierte Diplom-Volkswirtin Margret Dieck arbeitete stets mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern anderer Disziplinen zusammen. Sehr hilfreich und konstruktiv waren ihre Beiträge in der Kommission zum 4. Familienbericht (Familie und alter Mensch), zum ersten Altenbericht der Bundesregierung, und sehr engagiert ihre Mitarbeit in der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ,,Demographischer Wandel".

4

5 6

Dieck, 1973, S. 325. Dieck, 1978, S. 195. Busse 1970, S. 8 f.

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Die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen - sei es bei Tagungen und Konferenzen, sei es bei der Zusammenstellung großer Berichte, wie z.B. dem dreibändigen Werk "Altwerden in Deutschland" anläßtich der Weltversammlung der Vereinten Nationen über Probleme des Alters in Wien, August 1982, war ihre besondere Stärke. Doch Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen - so wichtig diese in der Gerontologie auch ist - ist nicht mit interdisziplinärer Forschung gleichzusetzen. Von "Interdisziplinarität" zu reden, ist zwar modern, doch nicht immer wird dabei genau differenziert zwischen Interdisziplinarität, Multidisziplinarität und Transdisziplinarität. Ewald Busse, Leiter der Duke-Studie, einer der größten interdisziplinären Studien über das Altern, definiert interdisziplinäre Forschung als eine Teamarbeit, bei der die Mitglieder aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen stammen und ihre Zusammenarbeit aufeinander bezogen und formell geregelt ist. Multidisziplinäre Forschung ist nach Busse eine informelle Zusammenarbeit, bei der die gegenseitigen Arbeitsbedingungen nicht festgelegt, nicht formell geregelt sind.7 Voraussetzungen für eine interdisziplinäre Forschung sind zunächst: Wille und Bereitschaft zur gleichberechtigten Kooperation, welche auch die Fähigkeiten einschließen, die eigenen Interessen - wenn erforderlich - dem gemeinsamen Ziel unterzuordnen. Weitere Voraussetzung ist, • daß der gemeinsame Forschungsgegenstand durch eine gemeinsame Stichprobe definiert ist; • daß die methodischen Voraussetzungen der Gewinnung und insbesondere der Auswertung der Daten allen beteiligten Disziplinen in wenigstens einigermaßen vergleichbarer Weise allen beteiligten Disziplinen einsichtig werden; • daß tragfahige Modelle der aus den verschiedenen Disziplinen kommenden Daten erarbeitet werden, und • daß die Interpretation und die 'Bearbeitung der Daten und der Aufweis von Zusammenhängen durch alle beteiligten Forscher gemeinsam vorgenommen werden. Dabei ist die Kontinuität in der Zusammenarbeit von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen äußerst wichtig. Ein aufeinander eingespieltes Team, das nicht nur nebeneinander her, sondern miteinander im ständigen Austausch 7

Ebenda, S. 8 ff.

Interdisziplinäre Forschung

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zusammenarbeitet und für das diese gemeinsame Forschung Hauptaufgabe und nicht nur gelegentliche Nebenbeschäftigung ist, ist unerläßlich. Dazu bedarf es eigentlich einer eigenen Institution, mit den entsprechenden Mitteln ausgerüstet, in heutiger Zeit ein Wunschtraum und bei uns in Deutschland (noch) nicht Realität. Freilich ist interdisziplinäre Forschung sehr kostspielig. Sie ist darüber hinaus sehr zeitaufwendig; der einzelne Forscher kann nicht allein das Tempo seiner Untersuchungen und Datenanalysen bestimmen, er ist abhängiger. Interdisziplinäre Forschung verlangt Kooperationsbereitschaft, Tolerierung der Methoden und Analysen anderer Disziplinen und die Bereitschaft und Fähigkeit, die eigene Fachsprache allgemeinverständlich zu übersetzen.8 Interdisziplinäre Forschung verlangt mittel- und langfristige Planungssicherheit Einige der Probleme interdisziplinärer Zusammenarbeit wurden im Geleitwort zu der ersten Veröffentlichung der Bethesda-Studie durch Robert A. Cohen, den Direktor der klinischen Studien im NIMH, deutlich ausgesprochen: Es komme dabei darauf an, den persönlichen Ehrgeiz hinsichtlich der Verfolgung ganz spezifischer eigener Ideen zurückzustellen und der natürlichen sezessionistischen und isolationistischen Tendenzen, die jeden Wissenschaftler bestimmen, Herr zu werden. In dieser frühen Bethesda-Studie9 haben insgesamt 22 Wissenschaftler (Physiologen, Vertreter der Entwicklungspsychologie, klinischen Psychologie, Arbeitspsychologie, der Psychiatrie, Spezialisten für EEG-Studien, für Hirnstoffwechsel, Mathematiker und andere) gemeinsam eine Stichprobe von 47 Männern untersucht. Als eines der wichtigen Ergebnisse wurde dabei konstatiert: "Der Gesundheitszustand ist bei der Beeinflussung unterschiedlichster Aspekte psychischer Funktionen bedeutsamer als die unspezifischen Folgen eines fortgeschrittenen Lebensalters" .10 Dabei wurde bereits vor 35 Jahren eingeräumt, daß gesundheitliche Beeinträchtigungen mit zunehmendem Lebensalter zunehmen, jedoch mit einem beträchtlichen Ausmaß interindividueller Variabilität. Insbesondere wurden Zusammenhänge zwischen Hirndurchblutung, Hirnstoffwechsel und EEGFunktion mit dem allgemeinen Gesundheitszustand nachgewiesen. J. Birren zeige enge Zusammenhänge zwischen dem allgemeinen Gesundheitszustand und einzelnen Intelligenztestwerten auf. Ähnliche Zusammenhänge erbrachte die DUKE-Studie, die außerdem enge Korrelationen zwischen sozialem Status, subjektivem Gesundheitszustand und

8

9 10

Vgl. Busse, 1970; Lehr, 1973, 1995. Vgl. Birren et al.: Hwnan Aging: a bio1ogical and behavioral study, 1963. Ebenda, S. 285.

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höheren Werten in kognitiven Tests nachwies, 11 wie auch die GöteborgStudie12, die Lebenslage und Lebensstil für die positiveren Gesundheits- und Intelligenztestwerte der jüngeren Kohorte der 70jährigen verantwortlich machte. Die in diesen Längsschnittuntersuchungen analysierten Beziehungen zwischen Gesundheitszustand, psychischer Funktionsfahigkeit und sozialem Status traten auch in der Münsteraner Altersstudie, die als Querschnittsstudie angelegt war, vor mehr als 30 Jahren zutage. Hier arbeiteten der Internist und Arterioskleroseforscher Hauss mit dem Soziologen Otto Blume, (einem der Lehrer von Margret Dieck) und dem Bonner Psychologen Hans Thomae zusammen. Unter den zahlreichen bei dieser Nichtpatienten-Population erhobenen Laborwerten zeigten erhöhte Hämatokritwerte und Blutdruckwerte, daneben aber die Gesamtbeurteilung des Gesundheitszustandes durch das internistische Team einen Zusammenhang mit besseren Intelligenzleistungen, höheren Aktivitätsscores und positiver Stimmungslage auf. 13 Das ärztliche Gesamturteil wies auch deutliche Beziehungen zu dem soziologisch ermittelten sozioökonomischen Status auf; höhere gesundheitliche Belastung war mit einem niedrigen sozialen Status assoziiert. Auch Stadt-Land-Unterschiede stellte Blume fest, ebenso ein häufigeres Auftreten chronischer Krankheiten bei Arbeitern als bei Angehörigen anderer Berufsgruppen; "am wenigsten auffallig zeigten sich Freiberuflich-Tätige". 14 Bevor man jedoch eine vorschnelle soziologisch-ideologische Interpretation eines solchen Ergebnisses vornimmt, sollte man allerdings die Befunde einer weiteren wissenschaftlichen Disziplin heranziehen: Nach interdisziplinären Studien des Sozialmediziners Eitner und der Psychologin Tröger sind derartige Schichtunterschiede auf ein unterschiedliches schichtspezifisches Gesundheitsverhalten (in bezug auf Emährungsgewohnheiten, Hygiene, Zahnpflege, Zahnarztbesuch, Präventionsmaßnahmen) während des ganzen Lebens, also auch in den früheren Lebensphasen, zurückzuführen. Auch in der Bonner Gerontologischen Längsschnittstudie (Bolsa) wurden enge Zusammenhänge zwischen internistischer Gesamtbeurteilung des Gesundheitszustandes und den Leistungen bei kognitiven und psychomotorischen Tests aufgefunden, 15 nicht aber zwischen Anregbarkeit, Steuerung,

11

12 13 14

15

Vgl. Palmore, 1970: Normal Aging. Vgl. Svanborg et al., 1982. Vgl. Oberwittler!Drebes, 1970; Schmitz-Scherzer/BerghofflRudinger, 1970. Blwne, 1970, S. 118. Vgl. Thomae, 1976, 1983, Lehrffhomae, 1987.

Interdisziplinäre ForschWlg

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Stimmungslage und Zukunftsorientierung, welche weit mehr vorn "subjektiven Gesundheitszustand" abhängig waren. Interessant ist, daß dieser subjektive Gesundheitszustand weit stärker mit Langlebigkeit korrelierte als der vorn Arzt festgestellte objektive Gesundheitszustand. Darüber hinaus ergaben sich enge Korrelationen zwischen Schulbildung, Berufsqualifikation, sozialem Status und Langlebigkeit bei psychologischem Wohlbefinden. Das aus diesen und internationalen Daten erarbeitete Modell der Langlebigkeie 6 macht deutlich, daß es keine Wenn-Dann-Beziehung gibt. Alterszustand und Alterosprozesse werden durch eine Vielzahl sich gegenseitig beeinflussender Faktoren bestimmt, die nur durch die Zusammenarbeit über die Grenzen verschiedener Disziplinen hinweg analysiert und interpretiert werden können. Interdisziplinäre Forschung kann dazu beitragen, einfache Wenn-DannBeziehungen infrage zu stellen; sie kann Beziehungs- und Bedingungsgefüge aufzeigen, die sich mehrfach in vieler Hinsicht gegenseitig beeinflussen. Einund derselbe Einflußfaktor wirkt sich bei unterschiedlichen Bedingungen in mannigfacher Weise unterschiedlich positiv oder auch negativ aus. Eine Vielzahl von biologischen, persönlichkeitsspezifischen und sozialen Korrelaten von Gesundheit und Wohlbefinden im hohen Alter wurden in der Berliner Altersstudie aufgewiesen. Aus den Daten der vier beteiligten Disziplinen (Innere Medizin, Psychiatrie, Psychologie und Soziologie) wurden insgesamt 11 "Lebenslagen" oder "Formen hohen Alters" abgeleitet, die von hoher körperlicher und geistiger Fitneß bis zu hoher Gebrechlichkeit tendierten. Damit wurde das hohe Ausmaß von interindividueller Variabilität auch für das sehr hohe Alter festgestellt und ein äußerst differenziertes Bild dieser Alterosformen gegeben.' 7 Offenbar wird auch ein Gefüge sozialer Bedingungen zur Erhaltung der Kompetenz im Alter wirksam. So haben einmal Personen des sozialen Umfeldes Einfluß auf den Alternsprozeß: Verhaltens- und Rollenerwartungen von Angehörigen, Mitarbeitern und Kollegen beeinflussen das eigene Verhalten und das Selbstbild. Aber auch Einkommen, sozialer Status und erlebte Wohnsituation sind wesentlich. In unserer Interdisziplinären Studie des Erwachsenenalters und Alters (Ilse), in der wir die Jahrgänge 1930/32 und 1950/52 in den Hauptzentren Leipzig und Heidelberg!Mannheirn, aber auch in den Zentren Rostock, Bonn und Erlangen!Nürnberg erlaßt haben, wiesen Personen mit höherem Einkommen einen besseren Allgemeinzustand auf und fühlten sich auch gesünder. Andere Indikatoren des sozialen Status - Schulbildung und Berufsausbildung - zeigten jedoch keine Zusammenhänge zum objektiven 16

17

Vgl. Lehr, 1982, 1996. Vgl. Baltes et al., 1994.

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Gesundheitszustand. Interessant ist auch, daß der soziale Status keinerlei Beziehungen zur generellen Lebenszufriedenheit wie auch speziell zur Zufriedenheit mit der eigenen Gesundheit, Zufriedenheit mit der finanziellen Situation und Zufriedenheit mit der Wohnsituation erkennen ließ. Deutlich wurden Zusammenhänge zwischen Bildungsabschluß und kognitiver Leistungsfahigkeit im Alter. Vor nunmehr 20 Jahren stellte Margret Dieck fest: "Die Gerontologie ist heute eine primär durch psychologische, soziologische und medizinische Beiträge geprägte interdisziplinär angelegte Disziplin, wobei allein die Medizin in ausgeprägter Form über eine Ausrichtung in Richtung Grundlagenforschung und Anwendung gewonnener Erkenntnisse verfügt. (In engeren Grenzen gilt dies auch für die Psychologie). Aber die hinter der Interventionsgerontologie und der Aktionsforschung liegenden Bestrebungen nach verstärkter Einwirkung auf die Praxis sind nicht zu übersehen. Hieraus mag sich ein verstärktes Zusammenwirken der Vertreter verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen einschließlich der wissenschaftlichen Sozialpolitik und der Betriebwirtschaftslehre zugunsten einer Verbesserung der Praxis der Altenhilfe entwickeln" 18 - und ich glaube, das ist das Entscheidende -und weniger die unfruchtbare Diskussion, ob es sich nun um interdisziplinäre, multidisziplinäre oder gar transdisziplinäre Ansätze in der Gerontologie handelt.

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Soziale Gerontologie, Gerontopsychiatrie und sozialethische Fragen der gesundheitlichen Versorgung im hohen Alter Siegfried Kanowski Das Wissen vom Menschen ruht auf drei wissenschaftlichen Betrachtungsebenen: Biologie, Psychologie, Soziologie, wobei kulturelle Phänomene und Einflüsse der soziologischen Perspektive subsumiert seien. Komplexe biologische Strukturen bestimmen die Ausstattung, mit der wir in die Welt treten. Soziale Strukturen bestimmen Begrenzungen der Entwicklung und Ausmaß der Belastungen und wirken so formend auf die biologische Matrix. Psychische Eigenschaften und Prozesse vermitteln zwischen beiden Sphären, erfahren dabei ihre eigene individuelle Entwicklung und definieren deren Ausgestaltungs- und Bewältigungskapazitäten. Im bewußten und unbewußten Erleben findet sich der Mensch eingespannt zwischen eigenbestimmter Selbstverwirklichung und Angewiesensein auf soziale Kommunikation, Einbindung und Hilfen. Der Balanceakt ist heikel und absturzgefahrdet; organisierte Gesellschaften bilden das sichernde Netz, das in Staatsformen strukturell greifbar und spürbar wird; Staaten markieren Eingemeindung und Ausgrenzung und definieren die Begrenztheit menschlicher Gemeinschaftsfähigkeit und sozialen Identifizierungszwanges. Psychische Erkrankungen sind nur sehr selten monokausal, sondern spiegeln in ihrem Bedingungsgefüge die Dreidimensionalität menschlicher Existenz; dies gilt ebenso für die normativen Bedingungen des Alteros in seiner interindividuellen Vielfalt. Für die Psychiatrie und Gerontopsychiatrie ist die soziale Dimension erstens eine unübersehbar bedeutungsvolle, weil soziale Einflüsse wesentlich an der Entstehung psychischer Erkrankungen beteiligt sein können (z. B. Neurosen und Depressionen) und auch deren Folgen moderieren, zweitens, weil soziale Faktoren von erheblichem Einfluß auf das Altwerden sind und drittens, weil soziale Strukturen die Ressourcen und Hilfen bestimmen und begrenzen, die psychisch kranken alten Menschen zur Verfügung stehen. War das früher überwiegend die Familie, so ist heute die Gesamtgesellschaft ganz wesentlich der Vermittler und Träger von Unterstützungs- und Hilfsangeboten.

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Siegtried Kanowski

Die soziologische Alternsforschung hat sich mit einer Fülle von Veränderungen sozialer Beziehungssysteme beschäftigt, mit denen Älter- und Altwerdende in dynamischer Weise konfrontiert werden, die von Ihnen zu bewältigen sind und deren Bewältigung hohe Anpassungsleistungen erfordert. Das Spektrum reicht von der kritischen Aufarbeitung in der Gesellschaft vorgeprägter negativer Altersstereotype über die Bedeutung schrumpfender sozialer Netzwerke, unausweichliche Veränderungen der Qualität sozialer Beziehungen und Rollen und der mit ihnen verknüpften Rewardsysteme, die zunehmende Abhängigkeit von sozialen Hilfeleistungen bis zur Armutsproblematik im Alter. Frau Dr. Diecks vielfaltige wissenschaftliche Beiträge zur sozialen Gerontologie zeugen vor allem von der Energie und Kontinuität, mit der sie sich strukturellen, sozialpolitischen und sozialökonomischen Fragen institutioneller Hilfeleistungen und des Verhältnisses von individuellen zu institutionellen Hilfeleistungen gewidmet hat. Aus all ihren Publikationen wird für mich erkenntlich, daß dieses Engagement von ethischer Sensibilität und zugleich Entschiedenheit getragen worden ist. Deshalb liegt es für mich nahe, meine Ausführungen vor allem auf sozialethische Aspekte zu konzentrieren. Die gerontologische Literatur ist sich darüber einig, daß Krankheiten jenseits des 65. Lebensjahres von wesentlich stärkerem Einfluß auf Wohlbefinden, Funktionsfähigkeit und Lebenszufriedenheit und damit auf die Selbstund Fremdwahrnehmung des Alterosprozesses als das kaiendansehe Altern und biologisch-physiologische Alterosprozesse sind; wobei allerdings eingeräumt werden muß, daß Krankheit und physiologisches Altern nicht immer scharf voneinander abgegrenzt werden können. Krankheit und in Sonderheit chronische Erkrankungen schaffen Bedingungen, deren Folgen Betroffene häufig und bei Progression in zunehmend hohem Maße abhängig von solidarischen Hilfeleistungen in jedem Fall nach der Krankenversicherung, neuerdings der Pflegeversicherung und häufig auch der Renten- und Sozialversicherungssysteme machen. Die in den letzten Jahren sich dramatisch öffnende Schere zwischen gleichzeitiger Zunahme der Anzahl immer älter werdender Menschen und der Verknappung der finanziellen Ressourcen in den Soziaiversicherungssystemen läßt sich gegenwärtig nicht anders als eine dramatische Krise bezeichnen. Entbrennende Verteilungskämpfe lassen plötzlich ethische Dilemmata deutlich hervortreten und offenkundig werden. Die Komplexität ethischer Verhaltensregeln muß sich als existentielle humane Begründung gegen brutale Prinzipien simplifizierender "Monethik" abgrenzen und zur Wehr setzen. Faktisch ist zur altersabhängigen Multimorbidität festzustellen, daß bei über 70jährigen in ca. 90 % der Fälle mindestens eine Krankheit mittleren bis

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schweren Grades zu diagnostizieren ist und fünf und mehr Diagnosen gleicher Schweregradeinschätzung bei den gleichen Probanden in immerhin 30 % der Fälle gefunden werden; 1 dies sind Ergebnisse der Berliner Altersstudie. In über 80 % der Fälle handelt es sich hierbei um chronische Erkrankungen? Aus psychiatrischer Sicht stehen an der Spitze der Häufigkeiten dementielle Erkrankungen, die eine nahezu exponentielle Steigerung von unter 2 % in der Gruppe der 65 - 70jährigen, bis auf 40 % bei der Gruppe der über 85jährigen aufweisen und im Typus der Alzheimerschen Erkrankung, deren Anteil etwa 50 - 60 % beträgt, das Musterbeispiel einer chronisch-progressiven, bisher nicht heilbaren Erkrankung. Chronische Erkrankungen des Bewegungsapparates sind in aller Regel mit schmerzhafter Behinderung der Mobilität, selbst bei Verrichtungen in der Wohnung, verbunden. Einschränkungen der Mobilität bei alltäglich notwendigen Aktivitäten treten auch als Folge von chronischen Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und der Lungen auf. Die Folgen solcher Erkrankungen erstrecken sich.aber nicht nur auf Einschränkungen der Alltagsaktivitäten, sondern führen oft auch zu einer Einschränkung oder gar völligen Aufgabe sozial erwünschter Kontakte und Unternehmungen. Gleichzeitig stellt sich in zunehmendem Maße Abhängigkeit von der Hilfe anderer Menschen ein. Die Demenz vom Alzheimer-Typ führt progressiv zum völligen Verlust kognitiver Fähigkeiten, als deren Folge zunehmender Realitätsverlust, Verlust der kritischen Realitätsbewältigung und der Wahrnehmung der eigenen Situation auftritt, was schließlich ebenfalls zur völligen Hilflosigkeit und Abhängigkeit von der Hilfe anderer führt, und zwar selbst in den basalen Aktivitäten des täglichen Lebens, wie Körperhygiene und Ernährung. Hinzu treten Veränderungen der Persönlichkeitsstruktur und der emotionalen Kontrollfahigkeit. Das eigene Leben unter der Last der Krankheit im Alter zu ertragen, ist ein schweres Schicksal. Hilfe dabei zu suchen und in Anspruch zu nehmen, ist legitim und verletzt die Würde des Alters nicht, solange die Ansprüche sich im Rahmen des gesellschaftlich kodifizierten und familiären, freundschaftlichen, nachbarschaftlichen, also nicht kodifizierten Konsens halten. Die sozialethische Verpflichtung zur Solidarität, zu Mitgefühl und zur Hilfe für Notleidende hat im Hinblick auf Krankheit ebenso wie auf Armut besondere Bedeutung, denn Deutschlands Krankenversicherungs- und Sozialversicherungssystem ist bislang traditionell auf dem Solidaritätsprinzip begründet. Dabei hat diese Solidarität durchaus zwei Ebenen: Die Gesunden haben die Folgerisiken 1 2

Vgl. Steinhagen-Th.iessen u.a., 1996. Vgl. Hinschützer/Momber, I 982.

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des Krankseins solidarisch mitzutragen; dies gilt aber auch für die Kranken untereinander, leicht Kranke tragen die Risiken für schwer Kranke, befristet akut Kranke für Langzeitchronischkranke mit, die mit Krankheit geringer belasteten jüngeren Generationen müssen die Lasten für die häufiger und länger erkrankten Alten übernehmen. Dieser Risikoausgleich zwischen den Generationen ist nicht zuletzt unter der Perspektive zu sehen, daß die jetzt Jüngeren, wenn sie alt geworden sind, dieselbe Solidarität von den später Jüngeren erwarten müssen. Ein solcher solidarischer Ausgleich der Risiken läßt sich ohne Probleme realisieren, solange entweder die diagnostisch-therapeutischen Möglichkeiten in der Medizin stärker begrenzt sind als die finanziellen Ressourcen oder aber die Erweiterung der finanziellen Ressourcen mit den medizinischen Entwicklungen Schritt hält. Der Fortschritt der z.T. sehr kostenträchtigen diagnostischen und therapeutischen Verfahren in der Medizin, die Veränderung der Bevölkerungsstrukturen, die dramatische Zunahme der Höchstaltrigen sowie die rezessive Wirtschaftsentwicklung haben in fast allen industriellen Ländern diesen glücklichen Zustand, der über einige Jahrzehnte bestand, abrupt beendet - mit der Konsequenz eines energischen Drucks auf eine Kostenreduktion im Gesundheitswesen. Der Ruf nach Leistungsbegrenzungen wirft die Frage der Verteilungsgerechtigkeit im Hinblick auf die noch zur Verfügung stehenden Mittel auf und droht das bisher gültige Prinzip der solidarischen Krankenversicherung - zumindest in Deutschland - aufzusprengen. Das manchmal trübe Licht der öffentlichen Diskussion und Berichterstattung hebt immer wieder die Tatsache hervor, daß die über 65jährigen den größten Anteil der Kosten, die durch Krankenhaus- und medikamentöse Behandlung aufgrund der alterskorrelierten Multimorbidität entstehen, konsumieren. Altersbegrenzungen teurer medizinischer Leistungen - wie z.B. intensivmedizinische Behandlung, Organtransplantationen - werden gefordert oder sind in einigen Ländern bereits eingeführt. Aus ärztlicher Sicht kann dabei das Alter eines Menschen für sich genommen nicht als Kriterium für Leistungsbegrenzung im Gesundheitswesen in Betracht kommen. Zum einen ist die allgemeine Bestimmung einer Altersgrenze arbitrarisch und wird bis heute nur an der Anspruchsberechtigung aus der Renten- bzw. Pensionsversicherung gefunden und müßte sich zudem mit der großen interindividuellen Variabilität individueller Leistungsfahigkeit, Krankheitsbelastung und damit auch Prognose auseinandersetzen. Ebenso wichtig erscheint jedoch auch folgende Überlegung: Alle zivilisatorischen Bemühungen und in diesem Zusammenhang historisch entwickelten sozialen Konstruktionen - Sicherung der Ernährung, allgemeine Hygiene, Sicherung des Wohnensund soziale Versicherungssysteme- sind auf Minimierung von Lebensrisiken ausgerichtet und ihre Verwirklichung zieht in logischer Konsequenz die Verlängerung der Lebenserwartung nach sich, d. h.

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konkret, immer mehr Individuen erleben ein hohes Lebensalter. Wird dieses Ergebnis in seinen Konsequenzen als sozial unerwünscht oder nicht mehr tragbar angesehen, kommt das einer Negierung zivilisatorischer Bemühungen gleich und muß in letzter Konsequenz in deren Rücknahme oder in die Forderung nach freiwilligem Suizid im Alter, sozialer oder biologischer Euthanasie münden. Verzicht auf krankheitsbeseitigende oder deren Folgen lindernde Leistungen ist in diesem Zusammenhang als eine Form sozialer Euthanasie anzusehen. In gleicher Weise wären prognostische Kriterien zu betrachten, denn sie würden bedeuten, daß diejenigen, die am stärksten durch Multimorbidität krankheitsbelastet sind, wegen der schlechteren Prognose am ehesten aus den Leistungen der solidarischen Krankenversicherungen auszugrenzen wären. Die am stärksten durch Krankheit Belasteten, hätten letztlich die finanziellen und sozialen Folgen auch noch selbst zu tragen. Dem gegenüber gilt: Solidarische Verantwortung gegenüber Lebensrisiken, insbesondere solchen, die durch Krankheiten und deren Folgen verursacht werden, muß sich auch im intergenerationalen Lastenausgleich bewähren, denn Ursachen und Bedingungen für die Entstehung von Krankheiten folgen zu einem nicht geringen Teil aus psychischen und physischen Existenzbedingungen, die die Gesellschaft selbst schafft und die vom Individuum her kaum oder nicht beeinflußt werden können. Solidarische Absicherung entläßt aber nicht aus der persönlichen Verantwortung für das eigene Lebensschicksal. Auf der finanziellen Ebene ist die lebenslange Bereitschaft der einzelnen gefordert, der statistischen Risikoerwartung angemessene und dem Einkommen angepaßte Beiträge zur Krankenversicherung zu entrichten. Aus dem der Krankenversicherung zugrunde gelegten Solidaritätsprinzip des Risikoausgleiches zwischen Gesunden und Kranken ist die in Deutschland noch immer geübte Praxis der Freistellung höherer Einkommensgruppen von der Versicherungspflicht nicht zu begründen. Die humanitäre Verpflichtung gegenseitiger Hilfeleistung und Unterstützung in Notlagen darf nun aber keinesfalls nur an den finanziellen Lastenausgleich im Rahmen solidarischer Versicherungssysteme delegiert werden, sondern kann nur auf der Grundlage freiwillig aus moralischem Engagement gegebener natürlicher Ressourcen und Hilfsangebote umfassend funktionieren. Angesprochen werden hierdurch sowohl soziale Mikrostrukturen, wie Familie, Freundschaft und Nachbarschaft als auch soziale Makrostrukturen, wie freiwillige Hilfsorganisationen und Verbände. Solche nicht bezahlbaren Solidaritätsleistungen können nun unterschiedliche Generationen nicht nur von einander abfordern, sondern sollten sie einander auch selbst leisten. also die gesunden den kranken Älteren, etwa im Rahmen freiwilliger Hilfsdienste. Diesem Prinzip wird in naher Zukunft wahrscheinlich mehr Beachtung geschenkt werden müssen, wenn man die Tatsache berücksichtigt, daß einer-

S Gedenkschrift Dieck

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seits wegen der stark zurückgegangenen Nachkommenzahl in den kommenden Generationen die Zahl der Familienmitglieder wesentlich geringer sein wird als bei den gegenwärtig Alten und andererseits die vom Berufsleben her geforderte Mobilität und Dispersion der Mitglieder einer Familie die Reduktion familiärer Ressourcen weiter verschärfen wird. In der Versorgung und Pflege chronisch Kranker primär auf die Potentiale der Familien setzen zu wollen, ist aus dieser Sicht eine sozialpolitische Fehleinschätzung. Dieses zu erwartende Schwinden natürlicher familiärer Unterstützungsleistungen kann nur durch die Gründung lokaler bürgerlicher gegenseitiger Hilfen kompensiert werden. Unter dem Schlagwort "Allokationsethik" ist die gerechte Verteilung der für die medizinische Versorgung der Bevölkerung zur Verfügung stehenden Ressourcen unter der Voraussetzung begrenzter Mittel zu verstehen.3 Es geht also um ethische Aspekte der Gesundheitspolitik im ganzen. Betrachtet man die Entwicklung des Gesundheitswesens in Deutschland, so scheint es in der Tat so zu sein, daß ethische Fragen der Verteilungsgerechtigkeit erst mit dem Zwang zur Kostenbegrenzung drängend werden, bzw. überhaupt erst in diesem Moment auftauchen. Eine nicht unwesentliche Ursache in der Kostendiskussion ist die kontinuierliche Ausweitung der erforderlichen Leistungen für die medizinische und pflegerische Versorgung kranker, alter Menschen. Die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit zieht die Frage nach sich, welche Verteilungsfelder prinzipiell zu berücksichtigen sind. Es konkurrieren miteinander: Ausgaben für die Verhütung von Erkrankungen (Prävention), die Behandlung eingetretener Erkrankungen und die Verhütung von Rückfällen (Diagnostik und Therapie), die Beseitigung von Krankheitsfolgen (Rehabilitation) und die medizinische Begleitung und Betreuung nicht heilbarer, chronischer Erkrankungen. Reichen die Mittel zu einer unbegrenzten Befriedigung der Leistungsnachfrage für jedes dieser Felder nicht aus, so treten Probleme der Mittelverteilung auf, die vordergründig unter dem Effizienzgesichtspunkt lösbar erscheinen, zur Rechtfertigung einer gerechten Mittelverteilungjedoch ethischer Begründung bedürfen. Ist es ethisch vertretbar, die vorhandenen Mittel schwergewichtig für Prävention einzusetzen, die Gesunden in der Gesellschaft vor Krankheitsbefall zu schützen und vorrangig Maßnahmen zur Förderung des Gesundheitsverhaltens zu finanzieren, zu Lasten von Diagnostik und Behandlung der bereits Erkrankten oder zu Lasten der Rehabilitation oder zu Lasten der Versorgung chronisch Kranker? Geht man vom Prinzip der Humanität und das heißt der sozialen Solidarität mit den am stärksten Belasteten und deshalb in der sozialen Konkurrenz 3

Vgl. Fuchs, 1995.

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schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft aus, so ergibt sich aus ärztlicher Sicht eine umgekehrte Rangfolge der Verteilung. Die Versorgung und Betreuung langfristig, chronisch schwer Belasteter hätte Vorrang vor Rehabilitation, kurativer Behandlung und Prävention. Verknüpft man dieses ethische Prinzip mit vernünftiger Logik, so folgte daraus Vorrang der intensiven Diagnostik und Behandlung manifester Krankheit und intensiver Rehabilitation zur Vermeidung des Übergang in Chroniflzierung und dauerhafte Behinderung. Das Prinzip der Gerechtigkeit verlangte weiterhin im Rahmen des Erreichbaren , daß Krankheiten mit schwereren Einbußen an psychischer und physischer Leistungsfähigkeit gegenüber solchen mit leichteren Folgen bevorzugt solidarisch unterstützt werden müssen und ebenso Erkrankungen, die höhere Kosten verursachen als solche mit niedrigeren Kosten, die den einzelnen und den betroffenen Familien eher zuzumuten sind. Höheres Lebensalter kann kein Selektionskriterium für gerechte Leistungsgewährung und Mittelattributierung sein. Dies käme der Entsolidarisierung einer zahlenmäßig zunehmenden, bedeutsamen Gruppe der Gesamtgesellschaft und einer Aufkündigung des "Generationenvertrages" gleich4 und ist auch aus allgemeinen ärztlichen ethischen Erwägungen, die das Behandlungsgebot, die Behandlungsfähigkeit, die Rehabilitationsmöglichkeiten von Erkrankungen im Alter berücksichtigen, nicht vertretbar. Dem Prinzip der Effizienz des Ressourceneinsatzes in der individuellen ärztlichen Entscheidung zu folgen, erscheint ethisch höchst bedenklich, denn es basiert auf der Abschätzung des Quotienten von Behandlungsmöglichkeiten und Prognose und bedeutet daher letztlich wieder, daß diejenigen, die aufgrundihrer Erkrankung schon am schlechtesten dran sind, die geringsten Leistungen erhalten. Ethisch vertretbarer erscheint es, Mitverantwortung und Eigenleistungen in einem sozial verträglichen Umfang zu fordern. Unter den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen ist es jedoch unmöglich, daß der Arzt die Einschätzung der finanziellen und persönlichen Leistungsfähigkeit des einzelnen selbst vornimmt. Die Lösung kann nur die Herbeiführung gesellschaftlichen Konsenses und dessen Umsetzung in gesetzliche Regelungen oder Rahmenbedingungen sein, insofern zeigen die Diskussionen um Begrenzungen der Leistungspflicht der solidarischen Krankenversicherungen bzw. um die Selbstbeteiligung der Patienten den richtigen Weg an. Allerdings läßt die systematische Information und Einbeziehung der Öffentlichkeit seitens der Politiker noch viel zu wünschen übrig.

4

Vgl. Lauter/Meyer, 1992.

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Es wurde versucht zu zeigen, welche ethischen Fragen und Probleme hinter der Diskussion um Kostendämpfung und Leistungsbegrenzung im Gesundheitswesen zur Entscheidung anstehen. Es geht hierbei um das Prinzip solidarischer Gerechtigkeit, ihre ethische Begründung und zulässige Begrenzung, d.h. letztlich um die Definition derjenigen, aus Krankheitsbedingungen resultierenden Folgelasten, die den Betroffenen noch gerade eben zuzumuten sind. Hierüber ist dringend gesamtgesellschaftlicher Konsens zu erzielen, der eine offene und vorurteilsfreie öffentliche Diskussion erfordert. Entscheidungen können nur im Rahmen der der Bundesrepublik Deutschland zugrunde liegenden repräsentativen demokratischen Strukturen getroffen werden. Sie sind auf der Grundlage klarer Alternativen zu treffen. Es wäre die Aufgabe der im Bundestag vertretenen Parteien, solche klaren Alternativen zu entwickeln und vorzulegen. Literaturverzeichnis Fuchs, G. (1995): Die Verteihmg medizinischer Ressourcen- ethische Aspekte der Gesundheitspolitik. In: Zeitschrift ft1r Gerontopsychologie und -psychiatrie 8, 1995, H. 1/2, S. 51-56. Hinschatzer, U.!Momber. H. ( 1982): Basisdaten über ältere Menschen in der Statistik der Bundesrepublik Deutschland. Beiträge zur Gerontologie und Altenarbeit Deutsches Zentrum ft1r Altersfragen, Berlin. Lauter, H.!Meyer, J E. (1992 ): Die neue Euthanasie-Diskussion aus psychiatrischer Sicht Fortschr. NeuroL Psychiat 60, S. 441-448. Steinhagen-Thiessen, E.!Borche/t, M. (1996): Morbidität, Medikation und Funktionalität im Alter. In: Mayer, K. U., Baltes, P. B. (Hrsg.): Die Berliner Altersstudie. Akademie Verlag Berlin, S. 151-183.

Alter, Soziale Ger9.ntologie und soziale Ungleichheit- Uberlegungen zur Interdisziplinarität in der Sozialen Gerontologie Gerhard Naegele 1. Vorbemerkungen Rudolf-Maria Schütz und ich haben in einem in der Zeitschrift fiir Gerontologie und Geriatrie l/97 veröffentlichten Nachruf die fachwissenschaftliche Bedeutung von Margret Dieck wie folgt auf den Punkt zu bringen versucht: "Margret Dieck war eine der profihertesten Vertreterinnen einer sozialpolitikwissenschaftlich ausgerichteten Sozialen Gerontologie in Deutschland, war die wichtigste Vertreteein der sog. "Kölner Schule" in der Gerontologie. " 1

Ob Margret Dieck nun eine Gerontologin war, wie wir dies geschrieben haben und wie ich es auch sehen würde, oder eine Sozialpolitikwissenschaftlerin, die hauptsächlich in der Gerontologie arbeitet, wie Margret Dieck sich vielleicht selbst einordnen würde, soll hier offen bleiben. Fakt ist jedoch, daß sie sich in der Gerontologie mit einem klassischen Thema der Sozialpolitikwissenschaften - und übrigens auch der Soziologie - beschäftigt hat, nämlich mit dem Thema "Soziale Ungleichheit", angewandt auf Fragestellungen des Alter(n)s. Sie war damit eine der ganz wenigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Gerontologie überhaupt in Deutschland, die systematisch und kontinuierlich nach sozialen Disparitäten in den Lebenslagen älterer Menschen gefragt und nach Wegen gesucht haben, diese zu überwinden. Margret Dieck und ich haben dieses Anliegen vor knapp 10 Jahren, im September 1988 in Kassel, einmal wie folgt fonnuliert: "Sozialpolitikwissenschaftliche Analysen fragen nach relevanten Disparitäten in den Lebenslagen, d.h. nach Disparitäten in den erreichten Lebensqualitäten Wld in den erwartbaren EntwicklWlgschancen - also nach sozialen Ungleichheiten heute Wld in der überschaubaren Zukunft. Sie müssen weiterhin auch nach Zusammenhängen insbesondere zwischen materiellen und immateriellen Lebenslagemerkmalen und nach Geßhrdungen und Chancen, die einzelne Gruppen betreffen, fragen und damit 1

Naegele/Schütz 1997, S. 69.

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Gerhard Naegele zugleich wn das Aufzeigen von Ansätzen fiir praktische politische Schlußfolgerungen bemüht sein. "2

In meinem heutigen Beitrag möchte ich diese, das gesamte wissenschaftliche Lebenswerk von Margret Dieck gleichsam wie ein roter Faden durchziehenden Thematik der sozialen Ungleichheit aufgreifen. Dabei möchte ich mich auf einen ganz bestimmten Aspekt des Unterthemas dieser Tagung konzentrieren: Interdisziplinarität in der Gerontologie. Diesen Aspekt möchte ich exemplarisch an gerontologischer Forschung zu sozialer Ungleichheit in Deutschland erörtern und Ihnen dazu nicht nur meine eigenen Gedanken vortragen, sondern auch versuchen darzulegen, was Margret Dieck wohl selbst dazu gesagt haben würde. Bitte erwarten Sie von mir keinen ausgefeilten wissenschaftlichen Fachvortrag, womöglich noch vollgespickt mit Zitaten und Belegen. Es sind eher z.T. sehr persönlich gehaltene Überlegungen, aber ich glaube, der Anlaß für die heutige Tagung läßt dies durchaus zu. Die Basis für meine Ausführungen heute bilden einige zentrale Veröffentlichungen von Margret Dieck seit dieser Zeit, der Mitschnitt eines unveröffentlichten und wohl auch nicht zur Veröffentlichung freigegebenen Tonbandinterviews, das Gertrud Backes etwa zwei Jahre vor ihrem Tod mit ihr geführt hat, und natürlich die subjektiv gefarbte Erinnerung aus gemeinsamen Arbeiten und Gesprächen z.B. im Kontext unserer Mitarbeit beim Fachausschuß Altenpolitik beim Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt oder unserer Mitarbeit in der Bundestags-Enquete-Kommission Demographischer Wandel.

2. Was verstand Margret Dieck unter "sozialer Ungleichheit"? Margret Dieck verstand unter sozialer Ungleichheie eine "mehrdimensionale Erscheinungsform von sozialer Benachteiligung beim Erwerb von solchen materiellen und/oder immateriellen Gütern, die in einer Gesellschaft als "wertvoll gelten", wobei die Lebenslage älterer und alter Menschen durch soziale Ungleichheiten gekennzeichnet ist, die auf zwei voneinander unabhängigen Ebenen wirksam werden: (I) Die Ebene der strukturellen Benachteiligung dieser Altersgruppe im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen, wobei hiermit auf die Existenz von "strukturell mit höherem Alter verbundenen spezifischen Altersproblemen als Folge von Diskontinuitäten im Lebenslauf, biologischorganischen Veränderungen, Verlust von Rollen, allgemeiner negativer 2 3

Dieck/Naegele 1989, S. 169. Dieck 1991, S. 26 f

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Wertschätzung des Alters etc. "4 abgehoben wird; eine Ebene, die Tews5 wenn ich es richtig verstehe - als "altersverbundene Ungleichheit" bezeichnet. Diesen Aspekt hat Margret Dieck immer auch dann im Auge gehabt, wenn sie über Defizite in der Versorgung älterer Menschen sprach, z.B. bei Krankheit oder Pflegebedürftigkeit - denken Sie z.B. an ihr engagiertes Plädoyer für die Einführung einer neuen Kostenträgerschaft bei Pflegebedürftigkeit6 - oder - was ihr in den letzten Jahren so wichtig war - an ihre Hinweise auf die eklatanten quantitativen und qualitativen Mängel im Bereich der nicht-verrechtlichten sozialen Dienste. 7 (2) Die klassen-und schichtspezifische Verteilung von sozialen Problemlagen im Alter, eine Ebene die Margret Dieck und ich in späteren Veröffentlichungen erweitert haben um die Dimensionen von Geschlechtszugehörigkeit und Hochaltrigkeit8 und die Margret Dieck dann noch einmal um eine regionale Variante, nämlich die Ost-West-Perspektive,9 ergänzt hat. Hiermit wird auf besondere Privilegierungen und Benachteiligungen bei großen Gruppen in der Altenbevölkerung bei der Verteilung spezifischer Altersprobleme abgehoben. Tews10 hat dies dahingehend differenziert, daß er "Abnahmen und Zunahmen" konstatiert und in diesem Zusammenhang von der Gleichzeitigkeit der "Kumulation von Nachteilen" - hier in Anlehnung an Rosenmayr's These von der "kumulativen Benachteiligung" 11 und der "Kumulation von Vorteilen" spricht, was Margret Dieck und ich einmal mit dem Begriff der "Polarisierung des Alters" 12 umschrieben haben. Margret Dieck hat immer diese Dimension im Auge gehabt, wenn sie z.B. über Armut im Alter13 oder über die Lebenslage von älteren Frauen14 gearbeitet und geschrieben hat.

Dieck!Naegele 1993, S. 46. Tews 1993, S. 38. 6 Vgl. Dieck 1992. 7 Vgl. Dieck 1996. 8 Vgl. Dieck/Naegele 1993. 9 Vgl. Dieck 1994. 10 Tews 1993, S. 37. 11 Rosenmayr/Majce 1978, S. 251. 12 Dieck/Naegele 1993, S. 49 f. 13 Vgl. Dieck 1993. 14 Vgl. Dieck 1994. 4

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3. Soziale Ungleichheit als Forschungsobjekt in der deutschen Gerontologie In der gerontologischen Forschung in Deutschland haben soziale Ungleichheiten im Alter, so eine unserer Thesen von 1988, wenn überhaupt, dann lediglich in den sozialpolitikwissenschaftlichen und zum Teil in den soziologischen und sozialpsychiatrischen Zugängen Bedeutung gehabt. In den Forschungsarbeiten und Veröffentlichungen der beiden, die Gerontologie in Deutschland jahrzehntelang prägenden Disziplinen Geriatrie und Psychologie kommen sozialeUngleichheitende facto nicht vor- so unsere damalige These von 1988. 15 Dazu gibt es heute in mehrfacher Hinsicht Differenzierungsbedarfe, auch selbstkritisch mit Blick auf die eigene Disziplin. Ich möchte mich in meinen heutigen Bemerkungen lediglich auf die drei Disziplinen Sozialpolitikwissenschaft, die Disziplin, der Margret Dieck angehörte und der sie sich wohl auch trotz ihres jahrzehntelangen Engagements in der Gerontologie zum Schluß zugeordnet hätte, sowie Medizin und Psychologie beschränken, und zwar aus Zeitgründen. Zweifellos wäre es auch erforderlich, die vergleichsweise Abstinenz der Soziologie gegenüber der Gerontologie im allgemeinen und zur sozialen Ungleichheit im Alter im besonderen, abzufragen, ich muß jedoch darauf verzichten und verweise in diesem Zusammenhang auf die gerade veröffentlichte Habilitationsschrift von Gertrud Backes. 16 3.1. In den Sozialpolitikwissenschaften

Zunächst will ich vorwegschicken, daß es uns in Kassel mit unseren Thesen ganz sicher fern lag, einseitig ein "hohes Lied" auf die Sozialpolitikwissenschaften als solche zu singen, wie einige Kritiker damals angemerkt hatten. Wir hätten dazu - damals wie heute - auch gar keinen Grund gehabt. Zwar wurde die erste von uns unterschiedene Ebene der strukturellen Benachteiligung des Alters durchaus auch von den Sozialpolitikwissenschaften in den Blick genommen, so insbesondere im Zusammenhang mit Defizitanalysen im Bereich der Sozialen Sicherungssysteme, wie z.B. die unzureichende Absicherung des Risikos Pflegebedürftigkeit oder die Strukturmängel in der Alterssicherung von Frauen. Diese Sicht erfolgte jedoch weder explizit aus der Perspektive der sozialen Ungleichheit noch durch eine gerontologische Brille, und in beiden Zugängen schon gar nicht unter Bezug auf entsprechende Lebenslageanalysen. 15 16

Vgl. Dieck/Naegele 1989. Backes 1997, S. 51 ff.

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Insgesamt konstatiere ich eine deutliche Abstinenz der etablierten Soziaipolitikwissenschaften sowohl in der Ungleichheits- wie in der Lebenslageforschung. Dieses hat vor allem mit der Dominanz der Ökonomie in den Soziaipolitikwissenschaften zu tun. Bekanntlich ist die wissenschaftliche Sozialpolitik selbst eine typische Querschnittswissenschaft, in der sich unterschiedliche Disziplinzugänge mit den jeweiligen Interessenschwerpunkten ihrer "Mutterdisziplin" vereinigen. Traditionell waren in den Sozialpolitikwissenschaften Ökonomen präsent und erst in den letzten Jahren auch noch Soziologen. Erstere, also die Ökonomen, hatten sich in der Vergangenheit nie - und tun dies auch heute noch nicht - sonderlich mit ökonomischer Ungleichheit befaßt, und schon gar nicht im Hinblick auf bestimmte Personengruppen wie Ältere. Einkommensbezogene Ungleichheitsforschung und erst recht Armutsforschung wäre innerhalb der Ökonomie in der Vergangenheit vermutlich auch eher reputationsgefahrdend denn -fördernd gewesen und paßte ja auch jahrzehntelang gar nicht in das Bild einer prosperierenden Marktwirtschaft, in der ja auch angeblichjeder "seines Glückes Schmied" war. Das Desinteresse der Ökonomie - bzw. genauer formuliert - das Desinteresse der Ökonomen, die sich auch mit genuin sozialpolitischen Themen beschäftigten, an Themen des Alter(n)s jenseits der Sicherungssysteme läßt sich leicht und plausibel erklären: Der Fokus der ökonomisch orientierten Sozialpolitikwissenschaften lag naturgemäß beim Produktionsfaktor Arbeit, nicht aber bei aus ökonomischer Sicht vermeintlich unproduktiven Bevölkerungsgruppen. Anstelle von Kindern, Behinderten oder älteren Menschen galt das wissenschaftliche Interesse mehr den Arbeitnehmern und ihren typischen Risiken sowie deren sozialer Absicherung. Die von Weisser und später von Blume oder anderen Weisser-Schüler/innen wie Lompe oder Nahnsen begründete bzw. fortgesetzte Lebenslageforschung bei sozial schwachen oder gefährdeten Bevölkerungsgruppen führte auch in den Sozialpolitikwissenschaften eher ein Schattendasein. In unseren Kasseler Thesen hatten wir - wie gesagt - nicht primär die eigene Disziplin im Auge, obwohl dies - wie gezeigt werden sollte - auch Sinn gemacht hätte. Vielmehr hatten wir vor allem die Geriatrie und die Psychologie im Blick als die beiden, die organisierte Gerontologie in Deutschland noch immer prägenden Disziplinen. 3. 2. In der Geriatrie

Sowohl im Hinblick auf die geriatrische wie auf die gerontopsychologische Forschung ist heute ebenfalls Differenzierungsbedarf angebracht. So thematisiert die Geriatrie heute zunehmend Defizite in der geriatrischen Versorgung

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oder macht sich vehement stark für den Ausbau der geriatrischen Rehabilitation bzw. die Überwindung ihrer institutionellen Barrieren. Exemplarisch für viele andere Stellungnahmen sei hier auf die 1991 von einer maßgeblich mit Geriatern besetzten Expertenkommission erschienene Schrift "Was ist Geriatrie?" hingewiesen, auch das überwiegend von Geriatern geschriebene Kapitel zur geriatrischen Versorgung im Zwischenbericht der Enquete-Kommission Demographischer Wandel von 199417 könnte als Beleg angesehen werden, daß es eine Annäherung in den Sichtweisen bezogen auf soziale Ungleichheiten in der medizinischen Versorgung von Personengruppen gibt, was in den Worten von Margret Dieck als Beleg für die strukturelle Benachteiligung älterer Menschen in einem relevanten Teilsegment gelten könnte. Auf einem anderen Blatt steht jedoch, inwieweit sich die Geriatrie hierbei interdisziplinär gibt. In ihrem Interview kritisierte Margret Dieck in diesem Zusammenhang, daß speziell die Geriatrie in der deutschen Gerontologie einen Führungsanspruch erhebt und sogar die Gesundheitspolitik an zentraler Stelle mitgestalten zu können glaubt, ihr dazu aber die eigentlich notwendigen Hintergrundkenntnisse so vor allem zu den ökonomischen und sozialrechtlichen Rahmenbedingungen unseres Gesundheitssystems oder zu den gesundheitlichen Versorgungsstrukturen insgesamt fehlen; zumal noch als überwiegend praxisorientiert und selbst Teil des zu regelnden Systems. Demgegenüber scheint es mit Blick auf die zweite, von Margret Dieck unterschiedene Ebene der Analyse von sozialen Ungleichheiten, nämlich der sozialen Ungleichheit im Alter, keine Annäherung der Sichtweisen zu geben. Ich vermisse noch immer geriatrische Bewertungen der doch mittlerweile zahlreich vorliegenden empirischen Befunde zu schichtspezifischen Verteilungsmustern von Frühinvaldität oder beim subjektiven und objektiven Gesundheitszustand, zu den u.a. durch Daten der Rentenversicherungsträger oder durch das SOEP18 belegten Unterschieden in der Lebenserwartung zwischen den sozialen Schichten oder zu den immer noch schichtspezifisch ausgeprägten Barrieren im Zugang zu Leistungen des Gesundheitssystems. 3.3. In der Gerontopsychologie

Insbesondere an der Gerontopsychologie der "Bonner Schule" konnte man sich - ganz Vertreter der sozialpolitikwissenschaftlich ausgerichteten "Kölner Schule" - damals gut reiben, war diese doch jahrzehntelang in ganz besonde17 18

Vgl. Deutscher Blllldestag 1994. Vgl. Voges 1996.

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rer Weise an den positiven Dimensionen des Alter(n)s ausgerichtet, so z.B. an Fragen der Intelligenz- und Kompetenzförderung etc., und attackierte sie doch dabei massiv all jene, die - wie die Sozialpolitikwissenschaftler - ausgehend von unseren Leitfragestellungen naturgemäß an den sozialen Problemen des Alter(n)s und an der Ableitung von Konzepten zu deren Verringerung bzw. Überwindung arbeiteten - damit jedoch in der Sprache der Gerontopsychologie aktiv an der Verbreiterung des von dieser vehement bekämpften negativen Altersbildes beteiligt waren. Allerdings, und dies darf nicht verschwiegen bleiben auch an einem solchen Tag wie heute, haben sich auch die Vertreter/ innen der "Kölner Schule" - und schon gar nicht Margret Dieck - mit Attacken gegenüber der "Bonner Schule" nicht zurückgehalten. Von der "Oberflächlichkeit des Positiven" war die Rede, oder davon, daß über positive Altersentwürfe "gesellschaftliche Realität verschleiert" würde. 19 Sind heute die Gräben zugeschüttet? Ich würde zunächst sagen, ja, diesen Eindruck kann man haben, und ich würde dies mit ganz persönlichen Erfahrungen belegen wollen. Ich selbst bin von einem Thomae-Schüler, Reinhard Schmitz-Scherzer, habilitiert worden, zu einem Thema, bei dem bereits das Wort "Risiko" im Titel auftauchte. 20 In einem von mir 1992 herausgegebenen Buch über Armut im Alter bei Frauen hat Anette Niederfranke, eine langjährige enge Mitarbeiterin von Ursula Lehr, den einführenden Überblicksartikel verfaßt, sie war es auch, die 1993 zusammen mit Sabine Kühnert, auch "Bonner Schule", den gelungenen Versuch unternommen hat, gängige gerontopsychologische Theoriekonzepte mit dem sozialpolitikwissenschaftlichen Lebenslageansatz zusammenzuführen, in dem sie überzeugend darlegen, daß gerontopsychologische Theoriekonzepte eine der wichtigen Dimensionen des Lebenslage-Konzeptes, nämlich die der immateriellen Ebene der Lebenslage, abzudecken vermögen. 21 Auch das inzwischen erfolgreich abgeschlossene "Funkkolleg Altern" entstand in denkbar produktiver Kooperation von Gerontopsychologie und Alterssozialpolitikwissenschaft. Ein ausgewiesener Sozialpolitikwissenschaftler und Vertreter des Ungleichheitsansatzes wird gebeten, einen Beitrag zu Lebenslagen im Alter im Jahrbuch der Medizinischen Psychologie zu schreiben.22 Soweit einige punktuelle und ganz persönliche Eindrücke meinerseits dazu. Wie nun aber würde Margret Dieck diese Frage beantworten? Auf jeden Fall

19 20

21 22

Dieck/Naegele 1989, S. 174 f. Vgl. Naegele 1993. Vgl. Kühnert!Niederfranke 1993. Vgl. Naegele 1997.

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differenzierter und vermutlich auch weniger konziliant, wie es nun einmal ihre Art war, aber sicherlich auch analytisch schärfer und genauer. In dem erwähnten Tonbandinterview konstatiert sie zunächst ein bemerkenswertes Zugehen der Gerontopsychologie auf die Sozialpolitikwissenschaften, allerdings in der Weise, daß Gerontopsychologie immer mehr Themen aufgreift, die traditionell der Soziologie und den Sozialpolitikwissenschaften zuzuordnen sind, ohne daß jedoch - und hier setzt jetzt ihre offene Kritik an - die Psychologie über die Wissensbestände verfügt, die benötigt werden, um die entsprechenden Themen auch angemessen bearbeiten zu können, z.B. politökonomisches, volkswirtschaftliches oder sozialrechtliches Wissen. Ähnlich hat sie - wie bereits weiter oben erwähnt - auch in Richtung Geriatrie argumentiert. Mit Blick auf die Gerontopsychologie kann man im Grundsatz beiden Teilen dieser Aussage zustimmen; zunächst zum ersten: Obwohl auch heute noch gerontopsychologische Traditionslinien massiv weiter verfolgt und gefördert werden ("Seniorenbüros"), ist es offensichtlich, daß namhafte Vertreter der Gerontopsychologie, exemplarisch sei auf Andreas Kruse, aber auch auf Reinhard Schrnitz-Scherzer, verwiesen, seit einiger Zeit zunehmend auch Themen des sog. "negativen Alters" aufgreifen. Die Versorgung bei chronischer Krankheit, bei Pflegebedürftigkeit, die psychische und soziale Situation der privaten Pflegepersonen, Möglichkeiten und Grenzen geriatrischer Rehabilitation und dazu förderliche wie hemmende Rahmenbedingungen, wie z.B. "materielle Ressourcen und Schichtzugehörigkeit",23 sind heute zu Themen der Gerontopsychologie geworden, selbst Altersarbeitslosigkeit und Frauenarmut im Alter werden von Kolleginnen und Kollegen aus der "Bonner Schule" bearbeitet, die in meiner Disziplin gut unter den Überschriften "altersverbundene Ungleichheiten" oder "soziale Ungleichheiten im Alter" firmieren würden, die aber ganz sicher noch vor 10/15 Jahren massiv kritisiert worden wären, weil allein schon ihre Thematisierung ein Beitrag zur Festschreibung des negativen Altersbildes sei. Es zeigt sich somit - Margret Dieck würde sagen - auf der Ebene der Oberfläche eine Annäherung in den Themen, selbst - wie gezeigt werden konnte bezogen auf soziale Ungleichheit in ihren hier unterschiedenen zwei Dimensionen. Zwei Anmerkungen sind jedoch zu machen und damit komme ich dann zum zweiten Teil ihrer Aussage: ( 1) So weit geht die Annäherung aber offensichtlich doch nicht, für jedermann erkennbar am 1994 veröffentlichten Zwischenbericht der Bundestags23

Thomae et al. , 1996, S. ll, 4.

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Enquete-Kommission Demographischer Wandel, als ein maßgeblich von Hans Thomae verfaßtes Kapitel zum Aktiven Älterwerden ein unter maßgeblicher Mitarbeit von Margret Dieck entstandenes "Minderheitenvotum" nach sich ziehen mußte. weil eine Integration der beiden Sichtweisen nicht gelingen konnte. Exakt an der Frage, nämlich welche gesellschaftlichen Faktoren ein aktives Älterwerden, das aus der Sicht der psychologischen Gerontologie ein Leitbild für Altenpolitik sein sollte, einschränken, brachen die alten Gräben wieder auf, in dem die Sozialpolitikwissenschaftler in der Kommission, und darunter auch ich, explizit auf die einschränkenden Wirkungen von Schichtzugehörigkeit, der Geschlechtszugehörigkeit sowie von sehr hohem Alter und eingeschränkter körperlicher Verfassung und damit explizit auf soziale Ungleichheit im Alter aufmerksam machen und diese Sicht in ein Minderheitenvotum einfließen lassen mußten, das beinahe auch noch über Mehrheitsbeschluß in den Anhang verbannt worden wäre. (2) Selbst wenn nun in der Gerontopsychologie soziale Ungleichheiten thematisiert und Begriffe wie "soziale Schichtzugehörigkeit" adaptiert werden und mittlerweile Eingang in den gerontopsychologischen Sprachgebrauch gefunden haben, bleibt somit die Frage, ob man damit lediglich Begriffe übernimmt, oder auch die dahinter stehenden, aus anderen Disziplinen stammenden theoretischen Konzepte und damit auch Implikationen für Praxis akzeptiert. Tut man dies nicht, dann fehlt es zwangsläufig an der notwendigen sozialstruktureilen Fundierung der gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen von sozialer Ungleichheit und den daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen. Dies ist an sich nichts Schlimmes, denn vom Gegenstandshereich der "Mutterdisziplin" will und kann Psychologie dies auch gar nicht leisten, und es gibt Veröffentlichungen von Gerontopsychologen genau dazu, in denen dies auch so gesagt wird, 24 was dann auch zu akzeptieren ist. Begründungsbedürftig wird allerdings - und genau dies haben Margret Dieck und ich damals in Kassel gemeint und in einer späteren Veröffentlichung von 1993 dazu -, 25 wenn hinsichtlich der Entstehungsbedingungen von sozialer Ungleichheit im Alter oder ihrer Beseitigung politische Empfehlungen abgegeben werden, ohne den jeweiligen fachspezifischen Zugang offenzulegen, der nämlich kein sozialgerontologischer als solcher, sondern immer nur einer der jeweiligen Mutterdisziplin ist.

24 25

Vgl. Kühnert/Niederfranke 1993. Dieck/Naegele 1993, S. 60.

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3.4. Künftig mehr Interdisziplinarität in der sozialgerontologischen Forschung?

Ich komme damit zum Untertitel zu dieser Tagung und möchte folgende These zur Diskussion stellen: Für die Gerontologie zu sprechen oder im Namen bzw. aus der Sicht der Gerontologie politische Forderungen in den Raum zu stellen, setzt eine interdisziplinäre Abklärung nicht nur auf der Ebene der Begriffe voraus, sondern auch auf der Ebene der analytischen Zugänge. Letzteres geht im Grundsatz nicht ohne Beteiligung kompetenter Vertreter der das jeweilige Thema, zu dem man sich äußert, eigentlich bearbeitenden Fachdisziplinen. Dies gilt insbesondere zur Erforschung von sozialen Ungleichheiten im Alter bzw. zur Ableitung darauf bezogener Praxisempfehlungen. Margret Dieck warnte in ihrem Interview davor, lediglich Begriffe zu adaptieren, die dahinter stehenden Konzepte aber zu negieren, und sprach in diesem Zusammenhang von einer "positivistischen Weltsicht der herrschenden Gerontologie", die systematisch, wenn auch unbeabsichtigt Ideologien des Alters produziert: Es wird beschrieben und verallgemeinert, aber nicht hinreichend in den Sozialstrukturellen Kontext gestellt Aber vielleicht gelingt künftig ein besseres Zugehen der jeweils beteiligten Disziplinen. Mit Blick auf die Psychologie könnte man diese Hoffnung haben, wenn man das nachstehende Zitat von Thomae, Kruse und Olbrich aus dem Jahre 1996 liest. "Erst jene VeröffentlichWlgen, in denen Ergebnisse verschiedener Disziplinen aufeinander bezogen, integriert Wld im Kontext verschiedener theoretischer Ansätze diskutiert Wld zur BeschreibWlg von Altersformen herangezogen werden, verdienen die Charakterisierung als interdisziplinär. Damit interdisziplinär orientierte VeröffentlichWlgen entstehen können, ist in Zukunft engere Kooperation der verschiedenen Disziplinen schon bei der PlanWlg, vor allem aber bei der Durchführung der UntersuchWlg notwendig".

Ich persönlich lese dies als eine Einladung, die ich gern annehmen und erwidern möchte. Auf den ersten Blick gibt es auch im Grundsatz keine Abweichungen zu dem Verständnis, das Margret Dieck von Interdisziplinarität in der Sozialen Gerontologie hatte. In dem bereits erwähnten Interview bezeichnete sie sinngemäß Soziale Gerontologie als eine Querschnittsdisziplin, die man nicht im Wege der Grenzüberschreitung, des "Herumgrasens" einer Disziplin auf den Feldern der anderen, und zwar aus einer sich als eigenständig interpretierenden Hauptdisziplin mit Führungsanspruch heraus betreiben könnte. Gefordert sei vielmehr die auf Gleichberechtigung beruhende Zurkenntnisnahme und Anerkennung der Leistungsmöglichkeiten und Wissensbestände der jeweils

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anderen Disziplinen einschließlich deren theoretischer Verortungen, d.h. die gegenseitige Anerkennung der jeweiligen fachspezifischen Kompetenzen, und zwar ohne den gleichsam naturgemäß gegebenen Anspruch auf "Endredaktion" durch eine oder mehrere "Haupt"-Disziplinen. Zum Beginn interdisziplinärer Forschung in der sozialen Gerontologie müßte es also zunächst um Aufgabe der bisherigen Disziplinabgrenzung gehen und in einem zweiten Schritt um ein aus dem konkreten Thema heraus begründetes fachliches Zusammenfinden der Disziplinen, die dazu etwas beitragen können, bei gleichzeitiger Aufgabe jedweder Führungsansprüche, so wie dies Margret Dieck übrigens schon 1981 einmal sinngemäß gefordert hat. 26 In einem dritten Schritt sollte dann die Anerkennung der Disziplinen als kompetenter in der Erforschung der Themen erfolgen, die jeweils zu deren traditionellen Arbeitsfeldern zählen. Die Entwicklung von Konzepten der gesundheitlichen Versorgung älterer Menschen wären demnach nicht per se am besten bei Geriatern aufgehoben, sondern womöglich sehr viel besser im Bereich von Public Health oder von Gesundheitsökonomik In der Konsequenz hätte dies allerdings auch zu bedeuten, daß sich die in der Disziplin "Mächtigen" aktiv für eine Mitwirkung der "weniger Mächtigen" in den verschiedenen Arbeitsebenen der organisierten Gerontologie einsetzen müßten. Gerade hier jedoch war Margret Dieck, das darf nicht verschwiegen werden, sehr skeptisch und zum Schluß immer mehr. Ganz im Sinne von Margret Dieck möchte ich also zusammenfassend formulieren: Interdisziplinarität in der Sozialen Gerontologie heißt (1), immer dann mögliche Grenzen der eigenen Disziplin zu vermuten, wenn es um die Thematisierung gerontologisch relevanter Sachverhalte mit Querschnittsbezügen geht, und heißt (2), diese in den Fällen zu akzeptieren bzw. die Kompetenzen der anderen dort anzuerkennen und im Bedarfsfall auch aktiv einzuholen, wo es um deren angestammte Themen und Arbeitsbereiche geht. Interdisziplinarität in der Gerontologie heißt somit auch, prinzipiell dazu bereit sein, auf den grundsätzlichen Führungsanspruch der jeweiligen Mutterdisziplin - getreu dem Motto einer "Omnipotenz in allen gerontologischen Fragen" -zu verzichten. In ihrem Tonbandinterview vermutet Margret Dieck, daß in diesem Sinne interdisziplinär zu arbeiten, womöglich solchen Wissenschaften sehr viel leichter fällt, die von Hause aus interdisziplinär sind, wie etwa der Sozialpolitikwissenschaft als "Aspektenlehre" (Weisser) oder dem Sozialrecht, als dies typische Hauptdisziplinen könnten. Nur am Rande sei erwähnt, daß Margret 26

Dieck 1981, S. 225.

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Dieck diese Einschätzung vielleicht noch stärker in Richtung Medizin als in Richtung Psychologie abgegeben hat. Die Nagelprobe für interdisziplinäres Arbeiten ist somit die Realität der faktischen Forschungskooperation. An Bereitschaftserklärungen dazu fehlt es, wie gehört, nicht und auch ich möchte dies hier explizit betonen. Ich persönlich würde mir übrigens auch nie anmaßen wollen, mit der Verwendung gerontopsychologischer Begriffiichkeiten und Konzepte in meinen eigenen Arbeiten automatisch auch eine psychogerontologische Kompetenz für mich in Anspruch nehmen zu können; was übrigens ein Grund dafür war, daß ich bei der Auswahl der wissenschaftlichen Mitarbeiter für das Dortmunder Institut für Gerontologie 2 Psychologinnen, eine aus der "Bonner Schule" und eine aus der "Baltes-Schule", eingestellt habe. Abschließend wäre auf ein ganz praktisches Realisierungsproblem für interdisziplinäres Arbeiten in der Sozialen Gerontologie hinzuweisen: Wie erfahren wir überhaupt, wer in der Bundesrepublik wo und worüber in der Sozialen Gerontologie forscht? Die Jahresversammlungen der DGGG sind längst nicht mehr der Ort des Austausches darüber, schon weil viele Disziplinen, die auch an sozialgerontologisch relevanten Themen arbeiten bzw. solche mitbearbeiten, dort nicht präsent sind. Es wäre ein guter Anfang für interdisziplinäres Arbeiten in der Gerontologie, wenn es uns gelänge das umzusetzen, was wir neulich in Köln anläßlich der diesjährigen KDA-Hauptversammlung verabredet haben, nämlich daß sich die verschiedenen Institute gemeinsam einen Überblick über den Stand der sozialgerontologischen Forschung in Deutschland verschaffen wollen. Ich begann meinen Beitrag mit einer persönlichen Note, und ich will auch damit schließen. Ich muß gestehen, als ich diesen Beitrag für die heutige Veranstaltung geschrieben habe, habe ich erst so richtig gemerkt, wie recht Rudolf-Maria Schütz und ich hatten, als wir in dem eingangs erwähnten Nachruf schrieben: "Ihr Tod wird eine große Lücke hinterlassen". Ihre gewohnt kritischen Kommentare, ihr Nachfragen und bei Bedarf auch ihre Korrekturanregungen und Richtigstellungen haben mir auch bei der Abfassung dieses Textes sehr gefehlt. •

*

Für Anregungen und Hinweise danke ich Gertrud Backes.

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6 Gedenkschrift Dieck

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Gerhard Naegele

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Die Möglichkeiten einer theoretischen Grundlegung der Sozialen Gerontologie aus der Perspektive der Sozialpolitiklehre Gerhard W eissers Frank Schulz-Nieswandt

A. Grundlagen 1. Vorbemerkungen

Die nachfolgende Abhandlung ist im interdisziplinären Kontext der Sozialwissenschaften geschrieben, mitbedingt durch den querschnittswissenschaftlichen Charakter des Werkes von Weisser selbst. Zugleich werden grundlagenwissenschaftliche Ebenen beschritten, insbesondere solche der theoretischen und praktischen Philosophie sowie der Anthropologie. Dies wird - zumal angesichts der Kürze des zur Verfügung stehenden Raumes - das Verständnis des Textes nicht erleichtern. Der Verfasser hofft, daß sich nicht eine kleine Geschichte wiederholt, die im Zusammenhang mit der schwierigen Sprache des Theologen Karl Rahners erzählt wird. 1 Demnach unterhalten sich ein USamerikanischer und ein deutscher Theologe über Rahner. Der Amerikaner freut sich über die nunmehr vorliegende gelungene Übersetzung der Schriften Rahners in die englische Sprache. Der deutsche Theologe erwidert, man warte noch auf die Übersetzung in die deutsche Sprache. Der Verfasser hofft also mit Leroi-Gourhan gesprochen -, daß es dem Leser gegenüber nicht "an der nötigen Barmherzigkeit fehlen" gelassen wird2 2. Zusammenhang und Ausgangshypothesen

Ich argumentiere - vorausgegangene Argumentationen3 aufgreifend und fortführend4 -von folgenden Ausgangshypothesen her:

Vgl. Raffelt, A./Verweyen, H.: Karl Rahner. München, 1997. Vgl. Leroi-Gourhan, A.: Die Religionen der Vorgeschichte. Frankfurt am Main, 1981 , S. 7. 3 Schulz-Nieswandt, F.: Zur Theorie der personalen Existenz des alten Menschen. Berlin, 1996, S. 64 ff. und- über Kapitel VI- auch S. 579 ff. 1

2

6*

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a)

Konflikte und Dualismen zwischen Gerontopsychologie5 und Sozialpolitikwissenschaft des Altems sind auf der Basis eines Lebenslagekonzepts von Weisser weitgehend nicht nötig oder a') in Weissers Lebenslagekonzept kommen personologische Strukturen und kontextuelle Handlungsräume zusammen; b) dies gilt, sofern ba) das Lebenslagekonzept nicht sozialempirisch verflacht, indem anthropologisch-erkenntnistheoretische Dimensionen verloren gehen und bb) die Gerontopsychologie das Lebenslagekonzept insbesondere in Hinsicht auf den Lagebegriff nicht statisch rezipiert, sondern als Konzept von Spielräumen, das offen ist für soziale Konstruktionsprozesse. Es geht also um die Generierung sozialer Relevanzräume und um personale Identitätsbildungen.

B. Hauptteil 1. Das System Weissers

Biographische Anmerkungen zu Gerhard Weisser (1898-1989) müssen hier kurzgehalten werden 6 Weisser war nicht nur Lehrstuhlinhaber für Sozialpolitik und Genossenschaftswesen in Köln, Honorarprofessor der Universität Göttingen und Ehrendoktor der Universität Bochum, er war Leiter des Wohnungswesens in Magdeburg, Bürgermeister von Hagen, Generalsekretär des Beirates der Britischen Zone und Finanzstaatssekretär in NRW. Zur politischen Bedeutung darf nur angemerkt werden, daß Weisser u.a. großen Einfluß auf das Godesberger Programm der SPD hatte. Auch ist auf die anregende Auseinandersetzung Weissers mit Vertretern des ORDO-Liberalismus der Nachkriegszeit hinzuweisen.7 4 Schulz-Nieswandt, F.: Vom ,,homo oeconomicus" zmn ,,homo figurationis". Theoretische Wechselwirkungen zwischen Sozialökonomie und Sozialgerontologie. In Jansen, B./Friedrich, I. (Hrsg. ): Soziale Gerontologie - ein Herstellungsprozeß. Kasseler Gerontologische Schriften Bd. 17. Kassel, 1995, S. 165-192. 5 Vgl. u.a. Walter, H.: Das Alter Leben! Herausforderungen und neue Lebensgestaltungen. Darmstadt, 1995. 6 Vgl. Prim, R.: Praktische Sozialwissenschaft, Lebenslagenforschung und Pädagogik bei Gerhard Weisser. Soziale Arbeit. Texte und Materialien aus dem Fachbereich Sozialwesen der FHS Ravensburg-Weingarten, Reihe Vorträge. H. 2. 1996. 7 Vgl. etwa die Kontroverse Weissers mit Franz Böhm: Neumann, L.F. : Marktwirtschaft von links und rechts. In: Henkel, HA (Hrsg.): Symposium '90. Markt und Kultur. Regensburg, 1991 , S. 93-104.

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a) Zur Architektur einer "praktischen Sozialwissenschaft" bei Weisser zwischen Lebenslagenkonzept und Erkenntniskritik Kommen wir vielmehr zum wissenschaftlichen Kern der Weisserschen Lehre. 8 Im Kern handelt es sich um eine "kritizistische" Theorie der Wohlfahrt, beginnend mit der Monographie "Wirtschaftspolitik als Wissenschaft" (Stuttgart 1934). Der Utilitarismus und die Wohlfahrtsökonomik werden einer grundlegenden wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Kritik unterzogen. Es geht dabei um die Heraushebung des sogenannten "naturalistischen Fehlschlusses" vom empirisch Gegebenen auf das Sollende.9 In Verwandschaft zur Theorie meritorischer Güter hat Weisser - implizit - das präferenzutilitaristische Problem von John Stuart Mill10 aufgegriffen, daß sich die Mitglieder einer Gesellschaft entscheiden müssen, ob sie "unzufriedene Menschen" oder "zufriedene Schweine" sein wollen. Bei Weisser ist die Kritik des ParetoPrinzips ebenso angelegt wie eine Vorwegnahme der rechtsphilosophischen Gedanken bei Rawls. 11 Diese ganzen Zusammenhänge können hier nicht mathematisch-geometrisch präziser dargestellt werden. Das zentrale Problem konnte Weisser zum Ausdruck bringen in seiner Kritik des Sozialproduktes und seiner Maximierung als Wohlstandsindikator. Weisser konnte insbesondere auf die fehlenden Informationen dieses Indikators hinsichtlich des vielgesichtigen Verteilungsproblems verweisen.12 Und

8 Vgl. u.a. Weisser, G.: Beiträge zur Gesellschaftspolitik, hrsg. von S. Katterle u.a. Göttingen 1978; Weisser, G.: Wirtschaft. Neudruck (1956). Mit einer Einleitung von Th. Thiemeyer. Göttingen 1989. 9 Vgl. dazu Schnädelbach, H.: Philosophie in Deutschland 1831-1933. Frankfurt am Main, 1983, 198 f. Hinzuweisen wäre auch auf die zu Fries verwandte Position von Johann Friedrich Herbart ( 1776-1841 ). 10 Vgl. zu Mill insgesamt auch Schurnacher, R.: John Stuart Mill. Frankfiut am Main,NewYork, 1994. 11 Vgl. Romahn, H.: Gerechtigkeit und Effizienz. In H. H. Henkel u.a. (Hrsg.). Gestaltungsprinzipien im Transformationsprozeß. Regensburg 1995, 149-169. Zu Rawls vgl. insgesamt auch Pogge, Th. W.: John Rawls. München, 1994. 12 Weisser hatte mit seinem "Spornungspostulat" aber durchaus einen genuin wirtschaftswissenschaftlichen Sinn filr Effizienz- und Leistungsfragen. Das Problem von wirtschaftlicher Stagnation, Verfiigungsrechten und Anreizmustern ist ja ein universelles Problem, wie neuerdings im transformationstheoretischen Diskussionszusammenhang deutlich wird: vgl. Schulz-Nieswandt, F.: Ökonomie der Transformation als wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Problem. Frankfurt am Main 1996. Vgl. aber auch, um den Horizont auszudehnen: Feldbauer, P.: Die islamische Welt 600-1250. Ein Frühfall von Unterentwicklung? Wien 1995 sowie dazu auch Endreß, G.: Der Islam. Eine Ei.nfilhrung in seine Geschichte. 3. Aufl. München 1997, 103 ff. Eine der spannensten Kontroversen ist die Problematik der "asiatischen Despotie": vgl.

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damit gelangen wir in einer ersten Runde zum Lebenslagenkonzept Auf die dogmengeschichtliche Entwicklung dieses Konzeptes von Friedrich Engels Analyse der Lage der arbeitenden Klasse in England bis hin zu Otto Neuraths13 empirischer Soziologie der Gesellschaft als Relief von Lebenslagen im Kontext seiner Wiener Wissenschaftstheorie 14 kann hier nur verwiesen, aber nicht näher eingegangen werden. Weisser verstand unter Sozialpolitik die Beeinflussung der Verteilung von Lebenslagen vornelunlich sozial schwacher oder sozial gefahrdeter Bevölkerungskreise. Weisser hat Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik als Teile der Gesellschaftspolitik verstanden und definiert. 15 Während die Sozialpolitik unmittelbar in Hinwendung zur Person die Verteilung von Lebenslagen beeinflußt, wirkt die Wirtschaftspolitik nur mittelbar auf eben diese Lebenslagenverteilung. Sozialpolitik hat aber wirtschaftspolitische Aspekte und umgekehrt. Nach Weisser kommen der Gesellschaftspolitikwissenschaft sowohl explikative Aufgaben als auch normative Aufgaben zu. Beide Aufgabenbereiche verknüpfend versuchte Weisser das Konzept einer leitbildorientierten Politik als Gesellschaftsgestaltung zum Gegenstand der Wissenschaft zu machen, und dies gelang ihm. In dieser normativ-explikativen Doppelstruktur der Gesellschaftspolitikwissenschaft ähnelt Weissers Lehre erstaunlich dem Werk von Lorenz von Stein (1815-1890), der die Aufgaben der Sozialpolitik zu bestimmen versucht hat aus einer Verknüpfung rechtsphilosophischer Deduktion und empirischer Soziologie.16 Auf die näheren systematischen Zusammenhänge - etwa zur Hegeischen Rechtsphilosophie ( 1821) - kann aus Raumgründen hier nicht eingegangen werden, gleichwohl ist zu betonen, daß ein Zusammenhang mit der Staatslehre von hierzu in Vidal-Naquet, P.: Athen, Paris und zwück. Die Griechische Demokratie von außen gesehen. Bd. 2. München, 1996. 13 Neurath, 0.: Wissenschaftliche Weltauffassung, Sozialismus und Logischer Empirismus. Herausgegeben von R. Hegselmann. Frankfwt am Main 1979; vgl. ferner Holzhey, H. (Hrsg.): Ethischer Sozialismus. Zur politischen Philosophie des Neukantianismus. Frankfwt am Main 1994. Vgl. schließlich Köhnke, K. Chr.: Entstehung unf Aufstieg des Neukantianismus. Frankfwt am Main, 1986 sowie Sieg, U.: Aufstieg und Niedergang des Marburger Neukantianismus. Wurzburg, 1994. 14 Vgl. auch Stad1er, F.: Studien zum Wiener Kreis. Ursprung, Entwicklung und Wirkung des Logischen Empirismus im Kontext. Frankfwt am Main. 2 Bde. 1996. Vgl. ferner Haller, R.: Neopositivismus. Eine historische Einfilhrung in die Philosophie des Wiener Kreises. Darmstadt, 1993. 15 Zur Abgrenzung vgl. auch Schulz-Nieswandt, F.: Über das Verhältnis von Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik. Sozialpolitik im System der Sozialwissenschaften. Zeitschrift filr Sozialreform 37 (9) 1991, S. 531-548. 16 Vgl. dazu Schulz-Nieswandt, F.: Lorenz von Stein - Bedeutung filr Gegenwart und Zukunft. In A. von Mutius (Hrsg.). Lorenz von Stein 1890- 1990. Akademischer Festaktzum 100. Todestag. Heidelberg 1992, 49-58. ders.: Die Lehre vom öffentlichen Gesundheitswesen bei Lorenz von Stein. Der Staat 27 ( 1) 1988, S. 110-128.

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Hermann Heller17 im 20. Jahrhundert gegeben ist. Das betrifft das Verhältnis von Sein und Sollen, insbesondere in der Form der Zwei-Seiten-Theorie in der Staats- und Rechtstheorie18 mit Bezug auf Kelsen19 und Jellinek. 20 Weisser wollte Gesellschaftspolitikwissenschaft nicht auf explikative Analysen beschränken, sondern empfahl eine praktische Sozialwissenschaft. Diese hat auf der Basis explikativen Wissens der Politik aus einem System normativer Urteile Empfehlungen zu geben21 , die dem "approach" eines "gesinnungsgebundenen Realismus" entsprechen. Die Befunde explikativer Wissenschaft begründen also aus sich heraus keine Politik. Dazu bedarf es der extern hinzukommenden Beurteilung aus einem System von Normen. Mit einem Vergleich zur Kunstgeschichte der Malerei im 20. Jahrundert- nämlich mit Bezug auf die "Neue Sachlichkeit"22 - gesagt, reicht "die Nüchternheit und Schärfe des Blicks, eine unsentimental, von Emotionen weitgehend freie Sehweise" 23 , also die "visuelle und soziale Ehrlichkeit"24, nicht aus, Politik wissenschaftlich zu beraten. Im Mittelpunkt dieser Theorieentwicklung stand die Kritik des "Ökonomismus", insbesondere in der Form des Theorems der logischen Unmöglichkeit reiner ökonomischer Interessen. Nicht zuletzt infolge der Kontroverse mit Hans Albert, dessen Kritik am Modellplatonismus der Neoklassik bekannt geworden ist, entwickelte sich bei Weisser ein "Neo-Normativismus", der argumentiert, daß explikative Analysen der Wissenschaft zu verknüpfen sind mit normativen Aussagen, die den Status von Hypothesen (so Albert25) oder von wahrhaftigen Bekenntnissen (so Weisser) haben, aber keinesfalls wahrheitsfähig sind. Hier nun können wir in einer zweiten Runde zum Lebenslagenkonzept zurückkehren. Ausgangsunkt der weiteren Argumentation ist die Definition Heller, H.: Staatslehre. 4. Aufl., hrsg. von G. Niemeyer. Leiden, 1970. Zurneueren Staatstheorie vgl. auch Voigt, R.: Des Staates neue Kleider. BadenBaden 1996; Grinun, D. (Hrsg.): Staatsaufgaben. Baden-Baden, 1994. 19 Vgl. u.a. Kelsen, H. : Der soziologische und der juristische Staatsbegriff (1922). Neudruck der 2. Aufl. 1928. Aalen, 1962. 20 Vgl. u.a. Jellinek, G.: Allgemeine Staatslehre (1900). 3. Aufl. Berlin, 1920. 21 Weisser, G.: Politik als System aus normativen Urteilen. Göttingen, 1951. 22 Vgl. Presler, G.: Glanz und Elend der 20er Jahre. Die Malerei der Neuen Sachlichkeit. Köln, 1992. 23 Richter, H.: Geschichte der Malerei im 20. Jahrhundert. 9. Aufl. Köln, 1993, S. 145. 24 Thwaites, J.A.: Ich hasse die moderne Kunst! Frankfurt am Main, 1960, S. 66. 25 Albert, H.: Traktat über kritische Vernunft. 3., erw. Aufl. Tübingen, 1975, S. 75. 17 18

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der Lebenslage im HdSW-Artikel"Distribution (II), Politik" von 1959 (Bd. 2. Tübingen u.a.). Dort wird Lebenslage als Handlungsspielraum von Personen definiert. Zugleich beinhaltet diese Definition Aspekte einer Theorie des Bewußtseins, der Erkenntnis und des Handelns. So formuliert auch Veyne am Beispiel der Euergesie in der Antike: "'Welche gesetzlichen, sozialen und psycltischen Kräfte veranlassen einen Mann, Jahr für Jahr freigebig und reichlich wegzugeben . .. Die Antwort lautet: Stammessitte und persönlicher Stolz. Es bestehen keine besonderen Strafen, um diese Pflichten zu erzwingen; wer sie vernachlässigt, sinkt nur in seinem Ansehen und hat die öffentliche Verachtung zu tragen.' Aber der Druck der öffentlichen Meinung und die Schande vor dem Nachbarn erklären nichts. Sie funktionieren nur, wenn ein Individuum vom Gefühl einer Verpflichtung erfüllt ist." 26 Hier ist das Wechselspiel von personaler Einstellung und externer Erwartung bereits im Kern formuliert. Konstitutive Elemente sind die personalen Grundanliegen, auf die hin extern bestimmte Handlungsspielräume zu bewerten sind. Weisser führt hier die kritizistischen Begriffe der "Wohlbedachtheit" und "tiefsten Selbstbesinnung" ein. Damit verknüpft sind Fragen theoretischer und praktischer Philosophie, die später im Horizont der modernen Kognitionswissenschaft27 zu reformulieren sind. Es geht dabei um theoretische und praktische Irrtümer des Menschen. 28 Die neuere deutsche Sozialpolitiklehre hat diese anthropologischerkenntnistheoretischen Dimensionen weitgehend aus den Augen verloren, da sie sich in ihrer mehrdimensionalen Lageforschung sozialempirisch weitgehend verflacht hat, und es ihr in diesem Sinne an grundlagenwissenschaftlicher Ausrichtung und theoretischer Fundierung erheblich mangelt.

26 Ve)'lle, P .: Brot und Spiele. Gesellschaftliche Macht und politische Herrschaft in der Antike. München, 1994, S. 29. 27 Auf die umfassende neuere Literatur zum Konstruktivismus kann hier nur ausgewählt verwiesen werden. Vgl. insb. Glaserfeld, E. v.: Radikaler Konstruktivismus. Frankfurt am Main 1997; instruktiv auch die Kategorie der ,,kognitiven Karten" in den Köpfen der Akteure, eine Kategorie, die vor allem in der Sozialgeographie genutzt wird: Downs, R.M. & Stea, D.: Kognitive Karten. Psychologische und geographische Aspekte der räumlichen Vorstellung. New York 1982. Geschichtlich: Burckhardt, M.: Metamorphosen von Raum und Zeit. Eine Geschichte der Wahrnehmung. Frankfurt am Main, New York 1997. Ferner: Unseld, G. : Das Abenteuer ,,Erkennen". Ein soziologischer Reisebericht. Frankfurt am Main, Leipzig 1997 sowie Searle, J.R. : Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Reinbek bei Hamburg, 1997. 28 Zu möglichen motivational begründeten Urteilsfehlern in der Selbstbeurteilung (älterer) Menschen vgl. auch Fliege, H. : Glück und Zufriedenheit im Spiegel subjektiver Theorien über die Entwicklung im Erwachsenenalter. Frankfurt am Main,1997, 318.

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Diese Weissersche Konzeption einer praktischen Sozialwissenschaft und ihrer zentralen Kategorie der Lebenslage ist noch gefangen im Kontext der klassischen idealistischen Philosophie kantianischer Tradition, 29 allerdings vermittelt über Jakob Friedrich Fries (1773-1843)30 und Leonard Nelson ( 1882 - 1927)31 . Erst bei dem Weisser-Schüler Siegfried Katterle werden die erkenntniskritischen Kategorien der Wohlbedachtheit und der Selbstbesinnung und das dabei implizite Urvertrauen auf die eigene Vernunfe2 aufgehoben im Rahmen eines Institutionalismus33 , auf den später nochmals zurückzukommen sein wird. Soviel sei hier festgehalten, daß Institutionen - anders als in der "neuen Institutionenökonomik" und in der Ökonomie des Vertrages und der Verfassung- nicht nur als Restriktionen rationalen Handeins definiert werden, sondern als normative Kontexte, die personale Identitätsbildungen mitprägen. 34 Die Überwindung der erkenntniskritischen Subjektzentriertheit bei Weisser ist auch in der Habilitation von Schulz-Nieswandt versucht worden35 , wo- an die kommunikationstheoretische Wendung in der Philosophie anknüpfend - eine dialogtheoretische Reforrnulierung36 der Kategorie der 29 Die man natürlich aber auch verteidigen kann: vgl. Kersting, W.: Recht, Gerechtigkeit Wld demokratische Tugend. AbhandlWlgen zur praktischen Philosophie der Gegenwart. Frankfurt am Main, 1997. 30 Vgl. Weisser, G.: Jakob Friedrich Fries als Sozialpolitiker. In F. Greiß u.a. (Hrsg.). Der Mensch im sozio-ökonomischen Prozeß. Berlin, 1969,49-60. 31 Neumann, L. F.: BesprechWlg zu: Leonard Nelson. Gesammelte Schriften in ne\Ul Bänden. Ratio 18 (2) 1977, S. 152-165. 32 Einen Zusammenhang zu dieser Position, Erkennen Wld Werten nur durch Rückgriff auf unser tiefstes personales Grundvermögen, auf das das Selbst vertrauen muß, fundieren zu können, findet sich in der Religionslehre von Rudolf Otto (18691937) - in dessen Schrift ,,Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen Wld sein Verhältnis zum Rationalen" (1917. München 1987). Zu Otto vgl. auch Kippenberg, H. G.: Die Entdeck\Ulg der Religionsgeschichte. München 1997, 249 ff. Ein Einfluß von Otto auf Mircea Eliade ist bekannt: Reschik.a, R.: Mircea Eliade zur Einführung. Hamburg, 1997, S. 61 f. 33 Vgl. dazu Schulz-Nieswandt, F.: Die EntwicklWlg vom Kritizismus zum Institutionalismus \Ulter besonderer BerücksichtigWlg des Werkes von Siegfried Katterle. Erscheint demnächst in einer FS für S. Katterle. Berlin, 1998. 34 Exemplarisch Wld zugleich Ausgangsp\Ulkt späterer moderner TheoriebildWlgen: Evans-Pritchard, E.E.: Hexerei, Orakel Wld Magie bei den Zande. Frankfurt am Main 1988; vgl. aber auch als anderes Beispiel: Zanker, P.: Augustus Wld die Macht der Bilder. 3. Aufl. München 1997. Vgl. auch grW1dsätzlich Langer, S.K.: Philosophie auf neuem Wege. Das Symbol im Denken, im Ritus Wld in der KWlst. Frankfurt am Main, 1965. 35 Vgl. Schulz-Nieswandt, F.: Bedarfsorientierte Ges\Uldheitspolitik. Regensburg 1992. 36 Vgl. in diesem Gesamtzusammenhang auch Joas, H.: Die EntstehWlg der Werte. Frankfurt am Main, 1997.

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meritorischen Güter, wobei es um die Frage der sozialen Akzeptanz von individuellen Präferenzen geht, versucht wurde. Aus dem Erkenntniskritizismus bei Weisser resultierte auch dessen Interesse für das Problem der "Haltung" und der Haltungspflege. Bei Weisser war die Gestaltung einer freiheitlich-gerechten Gesellschaft nur durch ein Zusammenwirken von Sozialpolitik und Gesellschaftspädagogik37 möglich38 Grundlage für dieses Postulat ist die historische und vergleichend gewonnene Erkenntnis39, daß jeder Wirtschaftsordnung auch ein durchschnittlicher Sozialcharaktertyp40 korrespondiert. 41 In der Geschichte der Nationalökonomie- jedenfalls bis zur Vorherrschaft der Neoklassik- wurde diese funktionale Korrespondenz42 durchaus gesehen. Die neuere historische Soziologie43 und Sozialgeschichte hat - u.a. unter der Rubrik "Psychophysik des industriellen Systems" -die Sozialdisziplinierungsgenese der Neuzeit (zum Teil als Ratio37 Wurzeln zu dieser Verknüpfilllg liegen in der Reformpädagogik der Jugendbewegilllg der Zwischenkriegszeit Vgl. dazu auch in Oelkers, J.: Reformpädagogik. 3., erw. Aufl. Weinheim, München 1996. Vgl. auch speziell Osterroth, F.: Der Hofgeismarkreis der JlUlgsozialisten. Archiv filr Sozialgeschichte IV, S. 525-569. 38 Vgl. meine älteren Aufsätze, die dieses Thema betreffen: Schulz, F.: ,,neokonservative Pädagogik": Eine Analyse ihrer ordnlUlgspolitischen lrnplikationen. Neue Praxis 15 (5) 1985, 435-439; Schulz-Nieswandt, F.: Der Wohlfahrtsstaat als pädagogisches Problem. Zeitschrift filr Sozialreform 33 (5) 1987, S. 276-289. 39 Vgl. allgemein illld grillldsätzlich Benedict, R.: Patterns of Culture. Boston, 1934; dies.; Urformen der Kultur. Reinbek bei Hamburg, 1955. 40 Vgl. die aktuellen Aussagen bei Lepenies, W. : Benimm lUld Erkenntnis. Frankfurt am Main, 1997, S. 23, 39. 41 Vgl. dazu aktuelle Kontroversen: Beckert, J.: Grenzen des Marktes. Frankfurt am Main, New York 1997; Müller, F./Müller, M. (Hrsg.): Markt lUld Sinn. Dominiert der Markt lUlsere Werte? Frankfurt am Main, New York 1996; Sau!, J.R. : Der Markt frißt seine Kinder. Wider die ÖkonornisieflUlg der Gesellschaft. Frankfurt am Main, New York 1997; Berger, P.L. (Hrsg.): Die Grenzen der Gemeinschaft. Konflikt lUld Verrnittlilllg in pluralistischen Gesellschaften. Frankfurt am Main, New York, 1997. 42 GrlUldsätzlich dieses Erkenntnisnteresse betreffend, wenn auch in der Sache umstritten: Levy-Bruhl, L.: Die geistige Welt des Primitiven. Düsseldorf 1959. LevyBruhl wird offensichtlich durch den Rekurs auf die genetische Entwicklilllgspsychologie von Piaget lUld durch die Beftmde der transkulturellen Psychologie verifiziert: Osterdieckhoff, G.W. : Kulturelle Bedingilllgen kognitiver EntwickllUlg. Frankfurt am Main 1997. Vgl. auch Hallpike, C.R.: GrlUldlagen primitiven Denkens. München 1994. Das wertet wiederum das Werk von Frazer erneut auf: Frazer, J.G.: Der goldene Zweig. Eine Studie über Magie lUld Religion. Frankfurt am Main 1977. Älmliches gilt dann auch filr E.B. Tylor. 43 In der historischen Soziologie wird insbesondere gefragt nach dem Zusammenhang von Freiheitsraum lUld Sozialcharakter des Menschen im modernen Kapitalismus. Vgl. Kruse, V.: Historisch-soziologische Zeitdiagnosen. Frankfurt am Main, 1994, S. 22.

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nalisierungsprozeß) rekonstruieren können. 44 Die Geschichte der Pädagogik spiegelt dies wider. Aufgrund seiner freiheitlich-sozialistischen Ausrichtung45 entwickelte Weisser in Verknüpfung mit der Annahme der Vielgestaltigkeit der personalen Motive und Grundanliegen eine systematische Lehre von der Vielgestaltigkeit der Formen des Wirtschafrens und somit der Einzelwirtschaftsformen, die er im Rahmen seiner Wirtschaftsmorphologie46 behandelte. Insofern wurden Themen der Gerneinwirtschaft und der öffentlichen Unternehmen, des Genossenschaftswesens und der Selbsthilfegebilde zwingend zum Forschungsgegenstand der Kölner Richtung. 47 Schulz-Nieswandt hat in Schriften48 über seinen verstorbenen Lehrer, den Weisser-Schüler Theo Thiemeyer, zeigen können, wie dieser mit Rückgriff auf das Werk von Adolph Wagner ansatzweise eine personale Anthropologie entwickelt hat, die sich einerseits gegen die überabstrakte Nutzentheorie wandte, und zum anderen Grundlage wurde für die normative Empfehlung einer Vielgestaltigkeit der Wirtschaftsgesellschaft. Hier wären die Zusammenhänge zum stiltheoretischen Denken erst noch näher zu behandeln. 49 b) Denken und soziale Struktur Daß es sich bei Fragen einer personalen Anthropologie nicht um mittelbare Interessen oder um unstete Affekte handelt, zeigt auch die Debatte um die Geschichte der evolutiven Transformationen von Scham- und Schuldkulturen (neuerdings insbesondere mit Bezug auf die griechisch-römische Antike, aber

44 Vgl. u:a. auch Treiber, H./Steinert, H.: Die Fabrikation des zuverlässigen Menschen. Uber die "Wahlvetwandtschaft" von Kloster- und Fabrikdisziplin. München, 1980. 45 Vgl. dazu auch Schulz-Nieswandt, F.: Person und Gemeinschaft als Kategorien einer anthropologischen Grundlegung der Sozialpolitiklehre des freiheitlichen Sozialismus. Sozialer Fortschritt 40 (4) 1991, S. 99-102. 46 Vgl. Weisser, G.: Form und Wesen der Einzelwirtschaftslehre. Erster Band. 2. Auflage. Göttingen, 1949. 47 Hier schließen sich Fragen der Subsidiarität an. Vgl. auch Waschkun, A.: Was ist Subsidiarität? Opladen, 1995. 48 Vgl. Schulz-Nieswandt, F.: Politik als Gestaltung. 2. Aufl. Weiden-Regensburg, 1995. 49 Vgl. dazu auch Schefold, B.: Nationalökonomie und Kultu!Wissenschaften: Das Konzept des Wirtschaftsstils. In ders.: Wirtschaftsstile. Bd. 1. Frankfurt am Main, 1994, S. 73-109.

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auch in der Ethnologie50 geführt5\ Zugleich wird hier deutlich, daß eine personale Anthropologie keine Universalkategorien der menschlichen Existenz gegen den Blickwinkel der Geschichtlichkeit52 der personalen Existenz ausspielt: Scham etwa ist immer auch eine soziale Kategorie, denn ohne Bezug auf gesellschaftliche Normen53 ist Scham nicht denkbar. 54 Die Geschichtlichkeit in der Transformation personalanthropologischer Kategorien zeigt sich gerade in der Rolle des jüdisch-christlichen Traditionszusammenhangs.55 Die Transformation zur Strukturierung der Psyche durch Genese des modernen Gewissens wird in der einschlägigen Forschung epochal spät angesetzt56, wenngleich wichtige Rationalisierungsbahnen - etwa durch das römische Recht - früher strukturell einsetzen. 57 Der Verfasser hat die zutiefst grundlegende Bedeutung derartiger Fragen erkannt und hat sie - verstreut in verschiedenen Schriften, immer aber nur aus der Sicht des fachwissenschaftlich interessierten Laien - behandelt, insbesondere mit Bezug auf die Achsenzeit der altisraelitischen Geschichte58 bzw. auf die Psychologie des homerischen Menschen. 59 50 Vgl. auch Parin, P.: Eine scheinbare 'Schamkultur'. Psychologische Betrachtung über die Regulatoren des Verhaltens im Gesellschaftsgefuge der Dogon in Westafrika. Kölner Zeitschrift fur Soziologie und Sozialpsychologie 15 (1963), S. 94-107. 51 Vgl. auch dazu klassisch: Benedict, R.: The chrysanthemum and the sword. New York, 1951. 52 Zum Verhältnis von Anthropologie und Geschichte als Verhältnis von Invarianten und Modifikationen vgl. auch Veyne, P.: Brot und Spiele. Gesellschaftliche Macht und politische Herrschaft in der Antike. München, 1994, S. 37 ff. 53 Vgl. auch Erffra, C.E. v.: AIDOS und verwandte Begriffe in ihrer Entwicklung von Homer bis Demokrit. Leipzig, 1937, S. 29 ff. sowie S. 40. 54 Vgl. auch Neckel, S.: Status und Scham. Zur symbolischen Reproduktion sozialer Ungleichheit. Frankfwt am Main, New York 1991 , hier 10. Vgl. auch Kühn, R. et al. (Hrsg. ): Scham- ein menschliches GefUhl. Opladen, 1997. 55 Vgl. auch Klopfenstein, M.A. : Scham und Schande nach dem Alten Testament. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung zu den hebräischen Wurzeln bos, klm und hpr. Zürich, 1972. 56 Vgl. auch Kittsteiner, H.D.: Die Entstehung des modernen Gewissens. Frankfwt am Main 1995. Vgl. auch allgemeiner nun Dülmen, R. van: Die Entdeckung des Individuums. 1500 - 1800. Frankfwt am Main, 1997. 57 Vgl. u.a. Berman, H.J.: Recht und Revolution. Die Bildung der westlichen Rechtstradition. Frankfwt am Main, 1995. 58 Vgl. schon Rudy, Z.: Soziologie des jüdischen Volkes. Reinbek bei Hamburg, 1965, S. 132. 59 Vgl. hierzu u.a. Böhme, J.: Die Seele und das Ich bei Homer. Berlin 1929; Snell, B.: Der Weg zur Wahrheit und zum Denken. Göttingen 1978; Fränkel, H .: Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums. München 1962. Insgesamt bleibt uneindeutig, ob die Homerische Adelsethik nicht Platz hatte filr die Idee personaler

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c) Zwischenfazit für die Theorie der Gerontologie Bereits jetzt kann argumentiert werden, daß, in der Weisser-Tradition stehend, unter Lebenslage mehr zu verstehen ist als eine Analyse der externen Kontextdimensionen des Handelns. 60 Das Lebenslagekonzept beinhaltet auch personalogische Merkmale, die nur im Rückgriff auf die Biographie der jeweiligen Person zu verstehen sind. Parallelen zwischen der Kategorie der Grundanliegen bei Weisser und den chronischen Themata in der Persönlichkeitstheorie, etwa bei Hans Thomae61 , zeichnen sich ab, können aber hier nicht entfaltet werden. 62 Jedenfalls nähert sich m. E. dieses Verständnis der Weisserschen Lebenslagenwissenschaft der modernen gerontopsychologischen Theorie der Interaktion - hier nicht semantisch scharf getrennt von der Transaktion63 -von Person und Umwelt. 64 Lebenslage umfaßt als eine Theorie der Person eben sowohl die motivationalen als auch die kognitiven Zusammenhänge des Handelns. Auf die Haltung kommt es an! Dies werden wir später im Hinblick auf das Problem der Beziehung von subjektivem Wohlbefinden und objektiver Wohlfahrtslage wieder aufgreifen. Jedenfalls wird sich die Soziaipolitikwissenschaft dem Befund stellen müssen, daß das subjektive Wohlbefinden weniger mit der objektiven Lage als mit der Wahrnehmung und Bewertung dieser Lagen kovariiert. 65

Individualität, ähnlich wie später die Idee des mittelalterlichen Rittertwns. Vgl. ferner Lehmann, H.-T.: Theater und Mythos. Die Konstitution des Subjekts im Diskurs der antiken Tragödie. Stuttgart, 1991. 60 Vgl. etwa Arber, S./Evandrou, M. (Hrsg.): Ageing, Independence and the Life Course. London, Bristol, 1997. 61 Eine Vertiefung der Frage der Zusammenhänge oder der Parallelitäten böte sich an in bezugauf Thomaes ältere Abhandlungen zum ,,Lageschema": Thomae, H.: Die existentielle Lage im Sinngeftlge menschlichen Handelns. Zeitschrift ft1r Angewandte Psychologie und Charakterkunde 63 (1943), 121-160; ders.: Lage und Lageschema. In W. Perput (Hrsg. ): Konkrete Vernunft. Bonn 1958, S. 289-297. Hier geht es ja um das Aufeinanderbezogensein von Person und Umwelt. 62 Vgl. in Schulz-Nieswandt, F.: Person, Relation, Kontext. Weiden-Regensburg, 1997, 94 ff., S. 114 ff. 63 Vgl. Oswald, F.: Hier bin ich zu Hause. Zur Bedeutung des Wohnens. Regensburg, 1997, S. 56. 64 Zum Konzept der Transaktionalität vgl. auch Wahl, H.-W.: Ältere Menschen mit Sehbeeinträchtigungen. Frankfurt am Main 1997, S. 127 ff. 65 Vgl. auch Perrig-Chiello, P. : Wohlbefmden im Alter. Weinheim, München, 1997, S. 213.

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2. Vertiefung

a) "Schülerkreise" von Weisser Weisser bildete keine Schule im engeren und geschlossenen Sinne, führte aber dennoch zu einem Kreis intellektuell selbständiger Schüler. Neben dem schon erwähnten Rolf Prim und neben Otto Blume (als ältester Weisser-Schüler) sind- ohne Anspruch auf Vollständigkeit - folgende Strömungen für uns wichtig und daher nunmehr herauszustellen: Lotbar F. Neumann trug primär zur Klärung wissenschaftstheoretischer Aspekte, insbesondere im Zusammenhang mit der "kritischen Ethik" bei. Diese Arbeiten waren wichtig für die Theorie der wirtschaftspolitischen Zielfindung. Werner Wilhelm Engelhardt66 widmete sich neben seinen für alle Teilgebiete wichtigen dogmengeschichtlichen Studien a) der Morphologie, insbesondere des Genossenschaftswesens und der Selbsthilfegebilde, b) der Erkenntnisund Wissenschaftstheorie, unter anderem mit Bezug auf die Problematik meritorischer Güter und c) der Theorie der Sozialpolitik, zuletzt in engem Zusammenhang mit der Theorie der Institutionen. Ingeborg Nahnsen widmete sich neben der DDR-Sozialpolitik primär der Lebenslageforschung67 , vor allem in Verbindung mit der Arbeitspolitik Dabei beschäftigte sie sich sowohl mit Fragen der Arbeitswelt und der Arbeitsbeziehungen als auch mit Fragen des Arbeitsmarktes und der Arbeitsmarktpolitik, zuletzt bis zu ihrem Tode insbesondere mit Bezug auf die neuen Bundesländer. In theoretischer Hinsicht ist vor allem herauszuheben, daß Nahnsen unter Lebenslage nicht einen statischen, zeitpunktbezogenen Lebensstandardbegriff verstand, sondern das Konzept einer dynamischen Gesellschaftspolitik, der es in der Längsschnittperspektive um die Verteilung von Chancen ging. Theo Thiemeyer arbeitete prägend an einer Kritik der Wohlfahrtsökonomik und der "neuen politischen Ökonomie", wobei er, beeinflußt durch seine dogmengeschichtlichen Studien zur Finanzwissenschaft, der Lehre von den öffentlichen Gütern die Theorie der meritorischen Güter entgegenhielt. Maßgeblich und nachhaltig entwickelte Thiemeyer auf der Basis der Unterneh66 Schulz-Nieswandt, F.: Die Wissenschaftslehre von v. Thünen und die 'kritizistische' Sozialpolitiklehre. Bemerkungen zur Thünen-Abhandlung von W.W. Engelhardt: "von Thünen und die soziale Frage" (1993). Zeitschrift für Sozialreform 41 (5), S. 310-318. 67 Vgl. Schulz-Nieswandt, F. : Person, Relation, Kontext. Weiden-Regensburg, 1997, S. lll ff.

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mensmorphologie eine Gesundheitsökonomie, die sich beispielsweise mit der Analyse des niedergelassenen Arztes und des Krankenhauses beschäftigte. Thiemeyer entwickelte eine Betriebswirtschaftslehre der öffentlichen und gemeinwirtschaftliehen Unternehmen. aa) Schulz-Nieswandt: Auf dem Weg (zurück) zur personalen Anthropologie Thiemeyers einziger Habilitant, Schulz-Nieswandt, auch von Engelhardt, später dann noch von Nahnsen, insbesondere aber von Katterle beeinflußt68 , arbeitet vor allem an der Fortentwicklung des Lebenslagekonzeptes ganz im Sinne oben aufgestellter gerontologiebezogener Ausgangshypothesen. Lebenslagenwissenschaftlich entwickelte er ein Konzept räumlicher Sozialpolitik, das in seineruniversitätenLehre Anwendung findet in den Bereichen der europäischen Integration69, der osteuropäischen Transformation70 und der Entwicklungsländerökonomie. 71 In seiner Habilitation versuchte er einen Beitrag zu leisten, die Gesundheitsökonomie auf der Grundlage einer kommunikationstheoretischen Wende72 der Lehre von den meritorischen Gütern zu definieren. Insbesondere unter dem Einfluß von Katterle hat er diesen dialogischen Ansatz institutionalistisch fortgeführt. Die Arbeiten zur theoretischen Fundierung der Sozialökonomie im allgemeinen und der Gerontologie im besonderen versuchen, Theorie der Person und Theorie des Handlungskontextes so zu ver-

68 Vgl. u.a. Schulz-Nieswandt, F.: Zur Theorie der Wohlfahrtspolitik, 2 Teile, hier Teill. Weiden-Regensburg, 1993. 69 Vgl. Schulz-Nieswandt, F.: Regionale Wohlstandsunterschiede als Problem einer sozialpolitisch relevanten regionalen Entwicklungspolitik in der EG. In Kleinhenz, G. (Hrsg. ). Soziale Integration in Europa ll. Berlin, 1996, S. 189-254. 70 Vgl. auch u.a. Schulz-Nieswandt, F.: Ökonomik der Transformation als wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Problem. Frankfurt am Main 1996; ders.: Ökonomische Transformation und politische Institutionenbildung. In D. Cassel (Hrsg.). Institutionelle Probleme der Systemtransformation. Berlin 1997, S. 69-94. Ferner ders.: Zur Theorie der personalen Existenz des alten Menschen. Berlin, 1996, 36 ff. und IX. 71 Schulz-Nieswandt, F.: Zur Theorie der personalen Existenz. Berlin 1996, Kapitel X und XI. Vgl. auch ders.: Soziale Wohlfahrtsentwicklung ftir Frauen und Kinder in der Dritten Welt - Stand der Diskussion. Sozialer Fortschritt 42 ( 12) 1993, 285-293; ders.: Das Problem der sozialen Wohlfahrt des alten Menschen in der ,,Dritten Welt". Sozialer Fortschritt 43 (9) 1994, S. 210-215. 72 Speziell zur Rolle von Wittgenstein vgl. Kienzler, W.: Wittgensteins Wende zu seiner Spätphilosophie 1930 bis 1932. Eine historische und systematische Darstellung. Frankfurt am Main 1997; ferner Hacker, P.M.S.: Wittgenstein im Kontext der analytischen Philosophie. Frankfurt am Main 1997. Ferner Schatzki, Th. R. : Social Practices. A Wittgensteinian Approach to Human Activity and the Social. Cambridge, 1996.

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knüpfen, daß das Konzept der Lebenslage fundiert wird durch eine Anthropologie der personalen Existenz13, die u.a. von der existentialphilosophischen und anthropologischen Wende der protestantischen Theologie des 20. Jahrhunderts in Deutschland74, also unter dem Einfluß von Martin Heidegger (1888 - 1976)75 stehend, geprägt ist. Zu dieser anthropologischen Fundierung einer lebenslagenwissenschaftlich orientierten theoretischen Gerontologie müssen historische, international vergleichende und kulturübergreifende, also ethnologische Befunde herangezogen werden. 76 Schulz-Nieswandt hat bei Thiemeyer eine "elementare Motivlehre" vorliegen gesehen77 , die Thiemeyer - wie Engelhardt bestätigt78 - beim Klassiker der deutschen Finanzwissenschaft, Adolph Wagner79, entwickelt sieht. Engelhardt stimmt dieser Interpretation von Schulz-Nieswandt zu, möchte aber eher von Anliegenlehre sprechen. 80 Allerdings schließt dies nicht die Perspektive von Schulz-Nieswandt aus, in Rekurs auf charakterologische Richtungen81 der personalen Anthropologie (etwa bei Alfred Adler, mit Bezug auf dessen Werk "Über den nervösen Charakter" von 1912) Grunddispositionen wie Liebe,

73 Vgl. auch Schulz-Nieswandt, F.: Die Person und die Welt zwischen Existenz, Tod und Suizid. Regensburg, 1997, S. 11 ff. 74 Theologiegeschichtlich vgl. Mc Grath, A. E. : Der Weg der christlichen Theologie. München 1997. Vgl. auch Schulz-Nieswandt, F.: Person, Relation, Kontext. Weiden-Regensburg, 1997, S. 68-78. 75 Vgl. auch Luckner, A.: Martin Heidegger: "Sein und Zeit". Ein einfUhrender Kommentar. Paderbom u.a., 1997. 76 Vgl. Schulz-Nieswandt, F.: Zur Theorie der personalen Existenz des alten Menschen. Berlin 1996; ders.: Altem in der Türkei. Weiden-Regensburg, 1998 (i. D. ). 77 Schulz-Nieswandt, F.: Sozialökonomik als politische Theorie. Grundzüge des wissenschaftlichen Schaffens von Theo Thiemeyer. Zeitschrift ftlr Sozialreform 38 (10) 1992, S. 625-638, hier S. 632. 78 Engelhardt, W.W.: Grundprobleme einer personalen Anthropologie und kritizistischen Gemeinwohlkonzeption. In Neumann, L.F./Schulz-Nieswandt, F. (Hrsg. ). Sozialpolitik und öffentliche Wirtschaft. In memoriam Theo Thiemeyer. Berlin 1995, S. 75-113, hier S. 76. 79 Vgl. dazu Schutz, F.: Zur Dogmengeschichte der funktionalen Finanzwirtschafts1ehre. Berlin, 1987, S. 115 ff. 80 Engelhardt, W.W.: Grundprobleme einer personalen Anthropologie und kritizistischen Gemeinwohlkonzeption. In: Neumann, L.F./Schulz-Nieswandt, F. (Hrsg.). Sozialpolitik und öffentliche Wirtschaft. In memoriam Theo Thiemeyer. Berlin, 1995, S. 75-113, hier S. 76. 81 In psychoanalytischer Richtung vgl. die Charakterologie bei Hoffinann, S.O.: Charakter und Neurose. Frankfurt am Main 1996. Allgemeiner zur Geschichte der Charakterologie vgl. auch Helwig, P.: Charakterologie. 2. Aufl. Stuttgart, 1951 , Kapitel2.

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Neid, Eifersucht, Ekel, Abscheu und Verachtung, Angst, Wut und Zorn etc. zu betonen. Diese Phänomene verstehen wir hier nicht als Affekte. Vielmehr rücken wir sie in den Status von Haltungen der Person, die - ähnlich wie Fatalismus oder Optimismus - Einstellungsverdichtungen gleichkommen und als solche die Interaktion der Person mit der materialen und mitmenschlichen Umwelt strukturieren. Damit liegen epistemologische Schnittflächen zur Kategorie des Deutungsmusters vor. Auf die sich analytisch hier- wie auch im Zusammenhang mit der Habitus-Kategorie - anschließende Literatur und Diskussion kann nun nicht eingegangen werden. Sofern Deutungsmuster von epochal prägender Bedeutung sind, kollektiv verbreitet also geteilt werden und somit ganze Gesellschaften hinsichtlich des Weltverhältnisses der Individuen überformen82, liegt eine Nähe zum Begriff der Ideen83 vor, der bei Max Weber bekanntlich vom Begriff der Interessen differenziert wird: Ideen (bzw. Weltbilder) bestimmen die Bahnen der Menschheitsgeschichte, innerhalb derer die Akteure - interessengesteuert - handeln. Der personalistische Standpunkt kann hier nicht umfassend entfaltet werden. Hinweise und Ausführungen finden sich verstreut im Schriftum des Verfassers. Jüngst haben Rattner & Danzer eine personale Anthropologie nochmals abgehandelt mit Bezug auf Fragen medizinischer Heilkunde.84 Einige Grundgedanken können hier aufgegriffen werden. Personsein bedeutet Weltoffenheit Weltoffenheit ist Ausgerichtetheit auf die Welt von Werten. Person ist Du-sagendes Ich. Personale Existenz ist dialogische Praxis, allgemein: symbolische Praxis. Diese Praxis ist Mitsein. Dasein als Mitsein heißt Eingefügtsein in soziale und kulturelle Zusammenhänge. Angerhn formuliert85 : 82 Gegenüber der augenblicklichen Dominanz der Theorien rationaler Mikrofimdierung - oder auch in der Form des nonnativen Individualismus, der einem Essentialismus der Marktpräferenzen gleichkommt - ist auf die Grundeinsichten der klassischen Kulturanthropologie zu verweisen: vgl. Kardiner, A. (Hrsg.): The Individual and His Society. New York 1939; Kardiner, A.: The Psychological Frontiers of Society. New York 1945. Ein berühmtes Beispiel ft1r die kulturelle Prägung menschlicher Phänomene ist die Kontroverse um die kulturübergreifende Universalität des Ödipuskomplexes: vgl. zur Freud-Malinowski-James-Kontroverse auch Reichmayr, J.: Einführung in die Ethnopsychoanalyse. Frankfurt am Main, 1995, S. 42 ff. 83 Zur Rolle der Religion bei der Zivilisationsgeschichte der sozialen Integration im Kulturvergleich: Wheatley, P.: The Pivot of the Four Quarters. Edingburgh 1971; vgl. ferner - zur Religion in Mesopotarnien - Jacobsen, T.: The Treasures of Darkness. New Haven: Conn, 1976. 84 Rattner, J./Danzer, G.: Medizinische Anthropologie. Frankfurt am Main, 1997. 85 Angerhn, E. : Die Überwindung des Chaos. Zur Philosophie des Mythos. Frankfurt am Main, 1996, S. 382.

7 Gedenkschrift Dieck

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"Praktische Vernünftigkeit ist keine solipsistisch verfugbare Kompetenz. Ausdrücklich wird die Wohlberatenheil als höchstes der Güter" zu bedenken sein. bb) Katterle: Vom Kritizismus zum Institutionalismus Siegfried Katterle hat zur Kritik der Wohlfahrtsökonomik ebenso beigetragen wie zu grundlegenden wirtschaftspolitischen Kontroversen, etwa mit Bezug auf Fragen der Mitbestimmung und der Arbeitslosigkeit. Beeinflußt hat Katterle auch die Diskussion um eine (evangelische) Wirtschaftsethik. Im Kontext seiner Aufarbeitung des US-amerikanischen Institutionalismus radikal-kritischer Ausrichtung86 hat Katterle das erkenntniskritische Programm von Weisser reformulieren können. Von der Kulturanthropologie und dem sozialphilosophischen Pragmatismus87 geprägt, verknüpfte Katterle die Theorie institutioneller Arrangements mit der Theorie instrumenteller Werte, und er gelangte so zum "Embeddedness"-Theorem in Abgrenzung zum "Connectedness"-Theorem der modernen Spieltheorie. Zum tieferen Verständnis dieser Problematik muß etwas ausgeholt werden: Polanyi88 hat in seiner Theorie der "großen Transformation" die These vorgetragen, die Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen Subsysteme in der Moderne ginge soweit (und ist noch nicht abgeschlossen), daß die Wirtschaft weitgehend kulturentbunden sei und insofern alteuropäische oder mittelalterliche Formen der "moralischen Ökonomie" eliminiert habe. 89 Dem ist in Anlehnung an den Wirtschaftsethnologen M. Sahlins entgegenzuhalten, daß Utilitätsdenken und nützlichkeitsorientertes Verhalten immer nur im vorgängigen geschichtlichen Sinnkontext kultureller Praxis möglich ist. 90 Dies ist eine sozial-ontologische Aussage über die Unmöglichkeit einer normativen Entbindung individuellen Handelns. In diesem Zusammenhang91 darf in sozialpolitikwissenschaftlicher Absicht auf den

86 Vgl. dazu auch die Dissertation von H. Schnellsclunidt: Ökonomische Institutionenanalyse und Sozialpolitik. Marburg, 1997. 87 Vgl. u.a. Heuberger, F.: Problernlösendes Handeln. Frankfurt am Main, New York 1992; Nagl, L.: Charles Sanders Peirce. Frankfurt am Main, New York 1992. Vgl. ferner Oehler, K.: Charles Sanders Peirce. München, 1993; ders.: Sachen und Zeichen. Zur Philosophie des Pragmatismus. Frankfurt am Main, 1995; Suhr, M. : John Dewey. Hamburg, 1994. 88 Vgl. auch Polanyi. K.: Ökonomie und Gesellschaft. Mit einer Einleitung von S.C. Humphreys. Frankfurt am Main, 1979. 89 Vgl. hierzu Streck, B.: Fröhliche Wissenschaft Ethnologie. Eine Einfuhrung.Wuppertal1997, S. 98. 9 Freiheit und kulturelle Bindung als Gegensätze zu definieren, ist kulturwissenschaftlich problematisch: vgl. etwa Hansen, K. P.: Kultur und Kulturwissenschaft. Eine Einfuhrung. Tübingen, Basel, 1995.

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berühmten "Essai sur le don" von Marcel Mauss verwiesen werden. Dort argumentiert Mauss, daß sich noch im modernen Sozialversicherungswesen Reste der "generalisierten Reziprozität" finden lassen bzw. finden lassen müssen, denn ohne diese normative Tiefenstruktur können auch moderne umverteilende Risikogemeinschaften nicht funktionieren. Am Rande angemerkt sei, daß sich hier Parallelen zur britischen Sozialpolitiklehre in der Tradition von Tittmuss92 finden lassen, wiederum auch dort mit Verwandtschaften zur praktischen Sozialwissenschaft von Weisser. Diese kulturellen Kontexte spielen in der institutionalistischen Variante der Weisserschen Lehre bei Katterle und Schulz-Nieswandt eine grundlegende Rolle, wie sich am Beispiel der Analyse von externen Effekten als Begründungszusammenhang für öffentliche Regulation nachzeichnen läßt. Denn dieser Begründungszusammenhang muß als gesellschaftlicher Konstruktionsprozeß verstanden werden. 93 Entsprechende Forschungsleistungen94 bezüglich dieser Diskursabhängigkeit externer Effekte95 - dies gilt auch für die gesellschaftlichen Definitionsprozesse hinsichtlich sozialer Schwäche und sozialer Gefahrdung als konstitutive Faktoren der Sozialpolitik - wurden vorgelegt unter anderem durch Studien von De Swaan und F. Ewald (von Foucault kommend) oder auch, im feministischen Diskurs, u.a. von D. Stone oder N. Frazer. Demgegenüber scheint die essayistische Soziologie Ia Ulrich Beck das Rad neu zu erfinden.

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b) Wirtschaftswissenschaft als spezielle Soziologie Alle diese Fortentwicklungen in der Architektur einer praktischen Sozialwissenschaft von Weisserverweisen darauf, daß hier Wirtschaftswissenschaftwie bei Weisser selbst auch - als spezielle Soziologie verstanden wird. Die Soziologie beschäftigt sich mit dem Handeln von Personen in institutionellen Kontexten. Dabei bleibt auch das Handeln von individualisierten Akteuren an 91 Vgl. auch hierzu Streck, B.: Fröhliche Wissenschaft Ethnologie. Wuppertal, 1997, S. 87. 92 Vgl. Schulz-Nieswandt, F.: Die Weisser'sche Schultradition der deutschen Sozialpolitikwissenschaft im Vergleich zur modernen britischen Sozialpolitiklehre in der Tradition von Titmuss. Sozialer Fortschritt 39 (12) 1990, S. 273-279. 93 Vgl. mit Bezug bereits auf Fleck: Neumann, J.: Der historisch-soziale Ansatz medizinischer Wissenschaftstheorie von Ludwik Fleck. Sudhoffs Archiv 73 ( 1989), 1225. Vgl. auch Douglas, M.: Wie Institutionen denken. Frankfurt am Main, 1991. 94 Vgl. auch in Schulz-Nieswandt, F.: Politik als Gestaltung. 2. Aufl. WeidenRegensburg, 1995. 95 Vgl. etwa auch das Eigentwnsverständnis im BGB. Verftlgbarkeit paart sich hier mit dem Verbot, dadurch anderen Schaden zuzuftlgen.

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vorgängige, normative Sinnhorizonte immer gebunden, wenngleich aus dem figurativen Geschehen der verketteten Individuen wiederum sozialer Wandel und institutionelle Innovationen entstehen. 96 Diese sozialontologische Überlegung wird nun in der modischen Rezeption des Kommunitarismus97 quasi neu entdeckt bzw. angedacht. In normativer Hinsicht ist im Zusammenhang mit diesem Denken der Weisserschen Richtung, das die Interdependenz der Personen zum Ausgangspunkt der Gesellschaftspolitikwissenschaft macht, noch in systematischer Perspektive anzumerken, daß Weisser (in seinem Briefwechsel mit NellBreuning98) argumentierte, Sozialpolitik gründe sich im Axiom der Gerechtigkeit, nicht in der Solidarität. Denn die Interdependenz von Menschen verschiedener Lebenslagen erfolgt über das Sittengesetz (als Neuformulierung des kategorischen Imperativs bei Kant), nicht über ein Verständnis von Solidarität schlechthin99, denn hierbei bliebe die Frage offen: Solidarität mit wem, mit was, warum und weshalb? c) Nochmals: Zur Theorie der Gerontologie Das in der gerontopsychologischen Forschung aufgeworfene Problem des Auseinanderfallens von subjektivem Wohlbefinden und objektiver Lage 100 ist bereits im "Kritizismus" im Zusammenhang mit der Lehre meritorischer Güter 96 Kontrovers bleibt die Frage, ob der individualistische Handlungsansatz - etwa in der Fonn von Rational choice-Theorien - nicht erweitert werden kann, etwa wn kognitionswissenschaftliche Elemente. Zu den Kategorien Rahmen und Habitus etwa vgl. nun mit Bezug auf Goffinan: Willems, H.: Rahmen und Habitus. Zwn theoretischen und methodischen Ansatz Erving Goffinans. Frankfurt am Main 1997. Vgl. auch Esser, H.: Alltagshandeln und Verstehen. Tübingen, 1991. 97 Vgl. grundlegend Reese-Schäfer, W.: Grenzgötter der Moral. Der neuere europäisch-amerikanische Diskurs zur politischen Ethik. Frankfurt am Main 1997. Zur Theorie der Zivilgesellschaft vgl. auch Frankenberg, G.: Die Verfassung der Republik. Frankfurt am Main, 1997. 98 Vgl. in ,,Mitteilungsblätter" des Forschungsinstituts ft1r Gesellschaftspolitik und beratende Sozialwissenschaft e.V., H. 45, 1988. 99 Darauf verweist bereits das Verständnis von Annenfursorge im antiken Judentum (Tilly, M.: So lebten Jesu Zeitgenossen. Alltag und Frömmigkeit im antiken Judentum. Mainz 1997, 64 f.) bzw. im frühen Christentum (vgl. Markschies, Chr.: Zwischen den Welten wandern. Strukturen des antiken Christentums. Frankfurt am Main 1997, 136). Vgl. auch Stegemann, E.W./Stegemann, W.: Urchristliche Sozialgeschichte. Stuttgart u.a. 1995, 240. Zwn Islam vgl. in Endreß, G.: Der Islam. Eine Einfiihrung in seine Geschichte. 3. Aufl. München 1997, 38, 95. Gleichwohl bleibt zur antiken Annenpolitik vieles kontrovers. Vgl. etwa auch Traede, K.: Soziales Verhalten und Wohlfahrtspflege in der griechisch-römischen Antike. Heidelberg, 1990.

Theoretische Grundlegung

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definiert worden, bedarf wohl aber heute einer Reformulierung auf der Basis der modernen Kognitionsforschung undangesichtsder linguistischen Wende in der Philosophie. Eine Reihe komplizierter normativer, wohlfahrtstheoretischer Fragen schließen sich an und müssen als noch nicht oder nicht befriedigend geklärt angesehen werden. Auf die Haltung kommt es an! Dieses Destillat des Lebenslagekonzepts von Weisser weißt einen hohen Grad an Kompatibilität mit gerontopsychologischen Theorieentwicklungen und empirischen Forschungsbefunden auf. Die differentielle Gerontologie argumentiert ja mit unterschiedlichen Alternsstilen, -formen und -Schicksalen. Als entscheidend gilt hier die lebensgeschichtliche Generierung personaler Kompetenz. Dann nämlich kommt es im Alter zu verschiedenen personalen Interaktionsstilen mit der sich verändernden Umwelt und mit den personal eigenen Defiziten im Bereich der alltäglichen selbständigen Lebensführung im Haushalt. Im Raum steht damit die Theorie des unterschiedlich "erfolgreichen", "glücklichen", "produktiven" oder auch "gelingenden" Alterns101 im Zusammenhang mit verschiedenen Persönlichkeitstypen. 102 Die Persönlichkeiten unterscheiden sich kognitiv und motivational, aber auch auf der Ebene eher instrumenteller Daseinstechniken in einem dichotomisierbaren Spektrum zwischen fataler erlernter Hilflosigkeit einerseits und weltbejahender Gestaltung der Daseinsfonn eines positiv sein Leben bilanzierenden "Selbst" andererseits. 103 Insofern muß die Sozialpolitik dem zentralen Befund der differentiellen Gerontologie, der hohe Grad an interindividueller Variabilität des Alterns104, also genau das, was man angemessen "Patterns of Aging" nennen kann105 , Rechnung tragen. Psychologie und Sozialpolitik behandeln damit ein und dasselbe Problem: Die Daseinsbewältigung der "Person in der Welt". 106 Der existentiale Bezugskontext ist in 100 Vgl. z.B. Schmnacher, J. u. a.: Zmn Einfluß dispositioneHer Bewältigungsstrategien auf Körperbeschwerden und Lebenszufriedenheit im Alter. Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 30, 1997, S. 338-347. 101 Vgl. auch Baltes, M.G.: The Many Faces ofDependency in Old Age. Cambridge, 1996. 102 Als Überblick zur Psychologie des Alterns vgl. nach wie vor: Lehr, U.: Psychologie des Altems. 8., überarb. Aufl. Wiesbaden, 1996. 103 Hier wäre etwa auf die Ergebnisse der Melancholie-Forschung hinzuweisen. 104 Vgl. Shock, N.W. et al.: Normal hmnan aging: The Baltirnore Longitudinal Study of Aging. Washington, D.C.: U.S. Government Printing Office. Nlli Publication No. 84-2450. 1984. 105 Thomae, H.: Patterns of Aging. Findings from the Bonn Longitudinal Study of Aging. Basel, New York, 1976. 106 Vgl. auch Hennis, W.: Max Webers Wissenschaft vom Menschen. Tübingen, 1996.

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beiden Disziplinen thematisch also derselbe. Und hier existiert eine Schnittfläche zu großen Teilen der Religionswissenschaft, so wie W. James in seiner berühmten Abhandlung "The Varieties of Religious Experiences: A Study in Human Nature" (1902) Religion als Phänomen im Interesse des einzelnen Menschen an seinem personalen Schicksal fundierte. Hier liegen Zusammenhänge- zumindest Wahlverwandtschaften- zu Max Webers Schrifttum vor.107 C. Schluß: Theoretisches Fazit

Wir haben das Lebenslagekonzept bei Weisser als ein dialektisches Miteinander von Kompetenz und Kapazität, von personalen Ressourcen und von externen Ressourcen (ökonomischer, sozialer, infrastruktureller Art) verstanden108 Die Sozialpolitik widmet sich nun primär der Beeinflussung der Verteilung externer Ressourcen personalen Daseins. Bezugspunkt etwa der Sozialpädagogik und der Sozialarbeit ist dagegen die Kompetenzsteigerung der Person im Umgang mit der Umwelt aus der Sicht eines Passungsverhältnisses109 von personaler Autonomie und umweltliehen Stressoren angesichts der unvermeidlichen existentiellen Aufgabe der Daseinsbewältigung. Zu dieser Freiheit sind die Menschen verdammt. Was unter Interaktion von Person und Umwelt - welche ja zum großen Teil wiederum die Welt der Mitmenschen ausmacht - zu verstehen ist, hat im kunstgeschichtlichen Kontext Thwaites so formuliert: " ... man darf nicht vergessen, daß der Rohstoff der Kunst aus der Zeit kommt; nur die Qualität liegt beim lndividuun1." 110

Und die praktische Sozialwissenschaft - von der Sozialpolitik bis zur Pädagogik - haben in verantwortungsvoller Weise zum Gelingen dieses widersprüchlichen anthropologischen Balanceaktes beizutragen. Die Psychologie bringt auch in der Alternsforschung ihren speziellen Beitrag zum Gelingen dieses Passungsverhältnisses und zum wissenschaftlichen Verständnis desselben ein. Die Psychologie muß sich dabei aber des viel größeren interdisziplinären - anthropologischen - Gesamtzusammenhangs stärker vergewissern als es bislang der Fall war. Die Psychologie ist, auch in ihrer ökologischen Va107 Vgl. Hennis, W.: Max Webers Wissenschaft vom Menschen. Tübingen, 1996, S. 53 ff. 108 Vgl. Schulz-Nieswandt, F.: Die Freiheit der Person und die Handlungsräume der Gesellschaft. Zeitschrift fiir Sozialreform 42 (5) 1996, S. 328-336. 109 Zur Idee des Fassungsverhältnisses von Person und Umwelt vgl. auch Wahl, H.W.: Ältere Menschen mit Sehbeeinträchtigung. Frankfurt am Main, 1997, S. 141 ff. 110 Thwaites, J.A. : Ich hasse die moderne Kunst! Frankfurt am Main, 1960, 63.

Theoretische Grundlegung

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riante111 , in diesem Sinne nach wie vor allzu sehr subjektzentriert. 112 Die wissenschaftliche Sozialpolitik ist dagegen in ihrer Eigenschaft als originäre Querschnittswissenschaft sowohl in der angewandten wie auch in der Grundlagenforschung und Lehre viel offener, weil auf Integration bedacht. Allerdings muß man auch breiten Strömungen der neueren Sozialpolitikwissenschaft kritisch entgegenhalten, daß sie - etwa in der Soziologie113 - die Beziehungen zu Psychologie, Anthropologie und Erkenntnistheorie intellektuell verloren hat. Die Rezeption der Psychologie des Alteros in der neueren deutschen Soziologie des Alteros verläuft doch recht oberflächlich;114 eine Frage nach dem Angebot an intermediären Variablen, die - in der Persönlichkeit liegend - Mikro- und Makrowelten der Gesellschaftsanalysen vermitteln können, wird nicht hinreichend gestellt. Die psychoanalytische Theorie hat hier schon früh das Freudsche "Strukturmodell der Psyche"115 vorgehalten11 6 Was oftmals erst gar nicht als ein Problem gesehen wird, das ist die Wechselseitigkeit von optionalen Räumen einerseits und Raumnutzung 117 durch personale Sinnstiftung andererseits. Natürlich gibt es Bausteine in der soziologischen (oder auch sozialphilosophischen) Theoriegeschichte; auch liegen aktuelle Bemühungen vor. Aber beide Ressourcenbereiche bleiben im Gesamtbetrieb der Soziologie eher marginal. So stellt sich angesichts eines rein extern verstandenen sozialräumlichen Verfügbarkeilsverständnisses von Ressourcen die Frage nach der Docility-Anfälligkeit in Abhängigkeit von personaler Kontrollüberzeugung und positiver Zukunftseinstellung. In der Ökonomie ist Sozialpolitik im Rahmen der "neuen Finanztheorie" ohnehin zurechtgestutzt 111 Vgl. etwa Saup, W.: Alter und Umwelt. Eine Einführung un die Ökologische Gerontologie. Stuttgart, 1993. 112 Vgl. auch Bruder, K.-J.: Subjektivität und Postmoderne. Der Diskurs der Psychologie. Frankfurt am Main, 1993. 113 Vgl. nun etwa Backes, G. M. : Lebenslage als soziologisches Konzept zur Sozialstrukturanalyse. Zeitschrift für Sozialreform 43 (9) I 997, S. 704-727. 114 Vgl. etwa Prahl, H.-W./Schroeter, K.R.: Soziologie des Alterns. Faderborn u.a. 1996, S. 280 f. 115 Vgl. auch Flader, D.: Psychoanalyse im Fokus von Handeln und Sprache. Frankflut am Main, 1995. 116 Die Rezeptionsgeschichte der Psychoanalyse durch die Soziologie war lange Zeit aber sehr begrenzt und verzerrt. vgl. u.a. Cremerius, J. : Die Rezeption der Psychoanalyse. Frankfurt am Main 1981 ; auch das Verhältnis von Psychoanalyse und Ethnologie (oder Kulturanthropologie) war - ausgelöst durch Freuds berühmter Abhandlung "Totem und Tabu'" von 191211913 - nicht unkompliziert. Vgl. auch Reichmayr, J.: Einführung in die Ethnopsychoanalyse. Frankfurt am Main 1995. 117 Vgl. auch Oswald, F.: Hier bin ich zu Hause. Zur Bedeutung des Wohnens. Eine empirische Studie mit gesunden und gehbehinderten Älteren. Regensburg, 1997, S. 31 f.

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worden. Während die Politikwissenschaft Sozialpolitik als Politikfeld - ebenso wie die Sozialgeschichte der Sozialpolitik - mit fruchtbaren Ergebnissen behandelt hat, expliziert die Rechtswissenschaft118 unabdingbare Kenntnisse für die Sozialpolitikforschung, sofern sich diese der Rechtswirklichkeit - etwa in der Versorgungsforschung119 - zuwendet.

118 Zwn "Wesen" des Rechts vgl. auch Wesel, U.: Geschichte des Rechts. Von den Frühformen bis zwn Vertrag von Maastricht. München, 1997. 119 Vgl. etwa Schulz-Nieswandt, F.: Sterben im Krankenhaus. Weiden-Regensburg 1997; ders. : Versorgungsketten und Krankenhausinanspruchnahme älterer Menschen. Regensburg, 1997.

Spezialbibliographie aus den Schriften von Margret Dieck Kari Thürkow Die vorliegende Bibliographie berücksichtigt aus dem gesamten Schrifttum von Margret Dieck die Publikationen mit dem thematischen Bezug zur Gerontologie, Altenhilfe und Sozialpolitik für ältere Menschen. Die Literatur ist chronologisch geordnet, die ersten Titel in dieser Bibliographie wurden während ihrer Tätigkeit im Institut für Altenwohnbau des Kuratoriums Deutsche Altershilfe in Köln geschrieben. Ausgehend von der Grundannahme sozialer Ungleichheit und Benachteiligung älterer Menschen in Vergangenheit und Gegenwart hat sie die Lebensbedingungen und besonders die Lebenslagemerkmale Wohnen, Einkommen, Gesundheit und Familie analysiert. Über diese Bereiche arbeitete sie während ihrer gesamten wissenschaftlichen Laufbahn, so z. B. schrieb sie schon früh über das Wohnen älterer Menschen und war hiermit bis zu ihrem Tod als Mitglied in der Sachverständigenkommission zum "Zweiten Bericht der Bundesregierung zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland", der das Schwerpunkthema Wohnen im Alter beinhaltet, beschäftigt. Schon Anfang der 70er Jahre widmete sie sich dem Thema Krankheit und Pflegebedürftigkeit im Alter sowie der Absicherung bei Pflegebedürftigkeit, sie war an dem 1974 veröffentlichten Gutachten über die stationäre Behandlung von Krankheiten im Alter beteiligt. Eine Fülle von Publikationen behandelt das System der Altenhilfe in der Bundesrepublik Deutschland, sie schrieb über Themen der geschlossenen und offenen Altenhilfe: Betriebsvergleich der stationären Altenhilfe; Kostenvergleiche stationärer und ambulanter Versorgung; Sozial- und Gesundheitsdienste; Finanzierung der Altenhilfe; Ausbildung und Qualifizierung von Personal der Altenhilfe; Ausstattung und Lebensbedingungen in Alten- und Pflegeheimen; gesetzliche Grundlagen der Altenhilfe; Alteneinrichtungen; Auswirkungen der Bevölkerungsentwicklung auf die Altenhilfe. Neben diesen umfassenden Bereichen der Altenhilfe analysierte sie bisher wenig beachtete Themen, als Beispiel sei hier genannt die Wohnungsauflösung durch das Sozialamt bei Heimunterbringung.

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Themen, die im Ausland diskutiert und untersucht wurden. aber in Deutschland noch längst nicht reflektiert \\Urden, griff Margret Dieck auf. Als Beispiel kann hier das Buch von Eastman "Old age abuse" dienen. Es erschien 1984 in England und konnte auf Betreiben von Margret Dieck schon 1985 in deutscher Übersetzung erscheinen, sie schrieb die Einleitung zu der deutschen Ausgabe. Aber nicht zu allen Bereichen und Themen, die sie für wichtig erachtete, die sie förderte und die sie unterstützte, schrieb sie auch. Ihr lag vor allem an der Veröffentlichung innovativer Themen, so setzte sie sich dafür ein, daß das Buch zur Inkontinenz von der Schwedin Annelie Hollo ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Initiativen werden in einer Bibliographie nicht sichtbar. Ebenso gilt dies für die Berichte verschiedener Kommissionen, deren Mitglied Margret Dieck war. In diese Bibliographie wurden bis auf wenige Ausnahmen nur die Titel aufgenommen, die unter ihrem Namen publiziert wurden. Ausnahme ist z.B. der unter ihrer Federführung von einer multidisziplinären Arbeitsgruppe vorgelegte "Bericht über Probleme des Alterns und Alters in der Bundesrepublik Deutschland" für die Weltversammlung der Vereinten Nationen 1982 in Wien.

1970 Dieck, Margret: Das Institut für Altenwohnbau des Kuratoriwn Deutsche Altershilfe e.V. beginnt in Köln seine Tätigkeit. Das Altenheim, 9 (1970) 3, S. 75-77

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Autoren- und Herausgeberverzeichnis Siegfried Kanowski, Prof. Dr. med., geb. 1935; Studium der Medizin an der Freien Universität Berlin; Facharzt für Psychiatrie und Neurologie; Habilitation Venia für Psychiatrie 1971; seit 1973 Leiter der neu gegründeten Abteilung für Gerontopsychiatrie an der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik der Freien Universität Berlin; seit 1974 Vorstandsmitglied des Deutschen Zentrums für Altersfragen e. V. ; seit 1985 auf der Basis eines Kooperationsvertrages zwischen der Freien Universität Berlin und dem Bezirk Charlottenburg Leiter der Gerontopsychiatrischen Abteilung am Städtischen MaxBürger-Krankenhaus; Arbeitsschwerpunkte: Psychopharrnakotherapie, Psychopathologie und Psychopathametrie in der Gerontopsychiatrie, insbesondere der dementieilen Erkrankungen, Methodenentwicklung zur Evaluation nootroper Substanzen. Ursula Lehr, Prof. Dr. phil. Dr. h.c., geb. 1930, Studium der Psychologie, Philosophie, Germanistik, Kunstgeschichte in Frankfurt und Bonn; Habilitation Venia für Psychologie; 1972 Lehrstuhl für Gerontologie an der Universität Heidelberg; seit 1986 Mitglied des Deutschen Zentrums für Altersfragen e.V.; von 1988 bis 1991 Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit; von 1992 bis 1994 Mitglied des Deutschen Bundestages; 1995 Berufung zur Gründungsdirektorin des Deutschen Zentrums für Alternsforschung in Heidelberg; Trägerin des großen Verdienstkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland; ab 1996 Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie. Gerhard Naegele, Prof. Dr. rer. pol., geb. 1948, Industriekaufrnann; Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften; nach Tätigkeiten als wissenschaftlicher Assistent am Seminar für Sozialpolitik der Universität Köln und Geschäftsführer am Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik in Köln, von 1981 bis 1992 Professor am Fachbereich Sozialarbeit der Fachhochschule Dortmund; seit 1992 Lehrstuhlinhaber für "Soziale Gerontologie" an der Universität Dortmund; Direktor des Instituts für Gerontologie, Arbeitsschwerpunkte: Gerontologie, Armutsforschung und Sozialpolitik. Leopold Rosenmayr, Prof. Dr. phil., geb. 1925; Begründung der Sozialwissenschaftlichen Forschungsstelle an der Universität Wien im Jahr 1952; seit 1963 Professor für Soziologie und Sozialphilosophie in Wien; seit 1980

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Autoren- Wld Herausgeberverzeichnis

Leiter des Ludwig-Bolzmann-Instituts für Sozialgerontologie und Lebenslaufforschung in Wien; seit 1983 Leitung eines Langfrist-Projektes der Feldforschung in ländlicher und städtischer Umwelt Westafrikas über die Konflikte zwischen den Altersgruppen und die Barrieren und Chancen der Jugend im Entwicklungsprozeß; Wirkliches Mitglied der ÖSterreichischen Akademie der Wissenschaften. Frank Schulz-Nieswandt, Univ.-Prof. Dr. rer. soc., geb. 1958, Sozialwissenschaftler. Studium der Sozialwissenschaft an der Universität Bochum, danach Assistenten- und Oberassistententätigkeiten an den Universitäten Bochum; und Regensburg, Vertretungsprofessuren an den Universitäten Konstanz, Regensburg, Göttingen, Kassel, Sielefeld und Bochum; wissenschaftlicher Leiter des Deutschen Zentrums für Altersfragen e. V.; Mitglied der Sachverständigenkommission Zweiter und Dritter Altenbericht der Bundesregierung; Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt. Arbeitsschwerpunkte: Gesamte Sozialpolitik; lehrt seit 1998 Sozialpolitik an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln. Rudoif-M Schütz, Prof. Dr. med., geb. 1929, Studium der Medizin in Göttingen; Habilitation 1968; Von 1974 bis 1996 Direktor der Klinik für Angiologie; 1996 emeritiert; von 1973 bis 1986 Präsident der Gesellschaft für Angiologie; von 1986 bis 1997 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie; Vorsitzender der ersten Altenberichtskomrnission; Vorbereitung des Europäischen Gerontologen Kongresses im Jahr 1999 in Berlin. Kari Thürkow, Dipl.-Soz., geb. 1942, Studium der Soziologie, Psychologie, Publizistik, Sozialpädagogik an der Freien Universität Berlin. Nach Tätigkeiten in der Krankenpflege, in einer Spezialbibliothek und in der Jugendarbeit ab 1974 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Zentrum für Altersfragen e.V. in der Abteilung Information und Dokumentation. Arbeitsschwerpunkte: Literaturdokumentation und Bibliographien zu gerontologischen Themen.

Christoph Behrend, Dr. phil., Dipl.-Soz., geb. 1949, Studium der Soziologie, Volkswirtschafts- und Betriebswirtschaftslehre, wissenschaftlicher Assistent an der Freien Universität Berlin, Bereich sozialwissenschaftliche Methodenlehre, seit 1980 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Zentrum für Altersfragen e.V. in der Abteilung Angewandte Forschung. 1992 Promotion zum Thema Frühinvalidisierung. Derzeit Lehrbeauftragter an der

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Fachhochschule Lausitz und der Universität Vechta. Mitarbeit am Studiengang Public Health an der Technischen Universität Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Sozialpolitik, Ältere Arbeitnehmer, Lebenslagen im Alter.

Peter Zeman, Dipl.-Soz., geb. 1944, Studium der Sozialwissenschaften, Philosophie, Germanistik an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität und Diplom Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main, Regieassistenz Städtische Bühnen Frankfurt a.M. und Staatstheater Darmstadt Studium der Sozialwissenschaften mit Schwerpunkt Soziologie der Interaktion an der Freien Universität Berlin. Seit 1980 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Zentrum für Altersfragen e. V. in der Abteilung Angewandte Forschung. Veröffentlichungen zu den Themen: Lebenswelt älterer Menschen, Altersaktivitäten und gesellschaftliche Integration Älterer, Selbsthilfe, Altersbilder, Altenarbeit und Altenpolitik.